Die Heilige Allianz: Religion und Politik bei Alexander I. (1801–1825) 3515108114, 9783515108119

Die "Heilige Allianz" ist ein Unikat in der Geschichte der internationalen Beziehungen: Sie sollte das Verhält

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Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
1. THEMA UND METHODE
1.1. Forschungsstand
1.2. Anbindung an die Disziplin der Internationalen Beziehungen – Zum Forschungsstand
1.3. Quellenlage
2. METHODISCHES VORGEHEN. DAS KONZEPT DER „ERFAHRUNG“
2.1. Erlebnis
2.2. Handeln und Wissen bei Alfred Schütz
2.3. Intersubjektivität
2.4. Erfahrung
2.5. Wissen
2.6. Religiöse Erfahrung – Erfahrung und Religion
2.7. Krieg und Religion
3. BEDINGUNGEN
3.1. Russland als Großmacht
3.2. Einflüsse und Entscheidungsstrukturen
3.3. Der Zar
II. SI VIS PACEM, PARA BELLUM. AUSSENPOLITIK BIS 1812
1. FRIEDEN IN EUROPA UND EXPANSION IM SÜDEN (1801–1805)
2. DIE LONDON-MISSION: ERSTE GRUNDLEGENDE ÜBERLEGUNGEN FÜR EINEN DAUERHAFTEN FRIEDEN IN EUROPA
3. NE PARLONS PAS, D’AUSTERLITZ, MAMAN – DER WEG NACH TILSIT (1805–1807)
4. VOM BÜNDNIS MIT DEM ANTICHRISTEN BIS ZU DEN KRIEGSVORBEREITUNGEN (1807–1812)
III. ANNUS MIRABILIS
1. DIE KAMPAGNE
2. ERLEBEN DES KRIEGES
3. MOSKAU
4. ENDE DES KRIEGES IN RUSSLAND
IV. RELIGIÖSE WANDLUNG. DIE KONVERSION
1. VOM SAULUS ZUM PAULUS
2. DIE BIBELGESELLSCHAFT
V. AUF DEM WEG NACH EUROPA: 1812–1815
VI. SI VIS PACEM, PARA PACEM. AUßENPOLITIK NACH 1815
1. WIENER KONGRESS
1.1 Polnisch-sächsische Frage und Rückkehr Napoleons
1.2. Eine Verfassung für „Kongresspolen“
2. AUF DEM WEG ZU EINER EUROPÄISCHEN FRIEDENSARCHITEKTUR
3. DIE HEILIGE ALLIANZ
4. THEORETIKER UND SPHINX – DIE GESCHWISTER ROXANDRA UND ALEXANDER STOURDZA
5. ALLIANCE GÉNÉRALE
6. AACHEN
VII. KONGRESSDIPLOMATIE. DIE FRAGE DER REVOLUTIONEN IN EUROPA (1819–1825)
1. GRIECHENLAND
2. VERHANDLUNGEN IN WIEN UND DER KONGRESS VON VERONA
VIII. FAZIT
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1. UNGEDRUCKTE QUELLEN
2. GEDRUCKTE QUELLEN UND MEMOIREN
3. EIGENSTÄNDIG VERÖFFENTLICHTE QUELLEN
4. LITERATUR
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Die Heilige Allianz: Religion und Politik bei Alexander I. (1801–1825)
 3515108114, 9783515108119

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Geschichte Franz Steiner Verlag

h i s to r i s ch e m it te i lu ng en – b e i h e f t e 8 7

Philipp Menger

Die Heilige Allianz Religion und Politik bei Alexander I. (1801–1825)

Philipp Menger Die Heilige Allianz

h i s to r i s c h e m it t e i lu ng e n – b e i h e f te Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft. Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e.V. herausgegeben von Jürgen Elvert

Wissenschaftlicher Beirat: Winfried Baumgart, Michael Kißener, Ulrich Lappenküper, Ursula Lehmkuhl, Bea Lundt, Christoph Marx, Jutta Nowosadtko, Johannes Paulmann, Wolfram Pyta, Wolfgang Schmale, Reinhard Zöllner

Band 87

Philipp Menger

Die Heilige Allianz Religion und Politik bei Alexander I. (1801–1825)

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim ­Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Die Promotion wurde gefördert durch die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Deutsche Historische Institut Moskau

Umschlagabbildung: „Der heilige Bund“ geschlossen von Zar Alexander I., Kaiser Franz I. und Friedrich Wilhelm III. am 26. September 1815 Lithografie nach einem Kupferstich von J. C. Bock, um 1815 © bpk / Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin / Inv.Nr. 1778, 1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Zugleich Dissertation an der Universität Potsdam, 2013 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10811-9 (Print) ISBN 978-3-515-10821-8 (E-Book)

VORWORT Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2012/13 unter demselben Titel von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam angenommen wurde. Zu allererst möchte ich mich bei Prof. Dr. Thomas Brechenmacher bedanken, der mir als seinem Assistenten am Lehrstuhl für Neuere Geschichte II die größtmöglichen Freiheiten lies, mir dabei stets sein vollstes Vertrauen aussprach und schließlich das Erstgutachten übernahm. Ich danke Prof. Dr. Manfred Görtemaker, ebenfalls Potsdam, für die Übernahme des Zweitgutachtens, sowie Prof. Dr. Wolfram Pyta, Stuttgart, für die Anregung des Themas und die intensive Förderung der Arbeit und meiner Person. Darüber hinaus danke ich den Kolleginnen und Kollegen in Potsdam für eine stets wundervolle Atmosphäre am Institut. Für die wertvollen Hinweise, Diskussionen und endlosen Korrekturarbeiten bin ich einer Reihe von Personen zu großem Dank verpflichtet. Dr. Carsten Kretschmann, Dr. Matthias Langensteiner, meine Schwester Dr. Julia Menger und mein Vater Thomas Menger haben jeweils weite Teile – wenn nicht den gesamten Text – mühsam redigiert. Julia Salamon hat das Literaturverzeichnis in Form gebracht. Zudem bin ich dankbar für das Stipendium der Promotionsförderung seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung und für das Forschungsstipendium des Deutschen Historischen Instituts Moskau. Für den Druckkostenzuschuss danke ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung. Dem Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Jürgen Elvert, danke ich für die Aufnahme des Manuskripts. Harald Schmitt und Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag waren eine große Hilfe bei der Herstellung – auch dafür herzlichen Dank. Ich widme dieses Buch meiner Oma, denn sie wollte nie glauben, dass sie so alt werden könne, um mein Abitur, das Studium oder gar dessen Ende zu erleben. Hamburg, im April 2014

INHALTSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis................................................................................... 12   I.

Einleitung ............................................................................................ 13  

1.       Thema und Methode ........................................................................... 16   1.1.     Forschungsstand .................................................................................. 21   1.2.     Anbindung an die Disziplin der Internationalen Beziehungen – Zum Forschungsstand ......................................................................... 24   1.3.     Quellenlage ......................................................................................... 51   2.       Methodisches Vorgehen. Das Konzept der „Erfahrung“ .................... 53   2.1.     Erlebnis ............................................................................................... 53   2.2.     Handeln und Wissen bei Alfred Schütz .............................................. 56   2.3.     Intersubjektivität ................................................................................. 58   2.4.     Erfahrung ............................................................................................ 60   2.5.     Wissen ................................................................................................. 61   2.6.     Religiöse Erfahrung – Erfahrung und Religion .................................. 62   2.7.     Krieg und Religion .............................................................................. 66   3. Bedingungen ....................................................................................... 67   3.1. Russland als Großmacht ..................................................................... 67   3.2. Einflüsse und Entscheidungsstrukturen .............................................. 73   3.2.1. Das „Geheime Komitee“..................................................................... 73   3.2.2. Speranskij ............................................................................................ 82   3.2.4. Weitere Faktoren: Adel und Hofzirkel ............................................... 86   3.3. Der Zar ................................................................................................ 93   II.

Si vis pacem, para bellum. Außenpolitik bis 1812 ........................... 110  

1. 2.    

Frieden in Europa und Expansion im Süden (1801–1805) ............... 110      Die London-Mission: Erste grundlegende Überlegungen für einen dauerhaften Frieden in Europa ................................................ 118   Ne parlons pas, d’Austerlitz, Maman – Der Weg nach Tilsit (1805–1807) .................................................... 132     Vom Bündnis mit dem Antichristen bis zu den Kriegsvorbereitungen (1807–1812) ........................................... 159  

3. 4     III.

Annus Mirabilis ................................................................................ 188  

1. 2. 3.

Die Kampagne .................................................................................. 189   Erleben des Krieges .......................................................................... 200   Moskau .............................................................................................. 205  

8

Inhaltsverzeichnis

4.

Ende des Krieges in Russland ........................................................... 208  

IV.

Religiöse Wandlung. Die Konversion .............................................. 213  

1. 2.

Vom Saulus zum Paulus ................................................................... 222   Die Bibelgesellschaft ........................................................................ 240  

V.

Auf dem Weg nach Europa: 1812–1815 ........................................... 250  

VI.

Si vis pacem, para pacem. Außenpolitik nach 1815 ......................... 281  

1. 1.2. 1.3. 2. 3. 4.

Wiener Kongress ............................................................................... 282   Polnisch-sächsische Frage und Rückkehr Napoleons ....................... 288   Eine Verfassung für „Kongresspolen“ .............................................. 296   Auf dem Weg zu einer europäischen Friedensarchitektur ................ 300   Die Heilige Allianz ........................................................................... 302   Theoretiker und Sphinx – Die Geschwister Roxandra und Alexander Stourdza........................ 319   Alliance générale .............................................................................. 325   Aachen .............................................................................................. 329  

5. 6. VII.

Kongressdiplomatie. Die Frage der Revolutionen in Europa (1819–1825) ........................ 341  

1. 2.

Griechenland ..................................................................................... 354   Verhandlungen in Wien und der Kongress von Verona ................... 370  

VIII. Fazit................................................................................................... 384   Quellen- und Literaturverzeichnis ................................................................ 391   Ungedruckte Quellen .................................................................................... 391   Gedruckte Quellen und Memoiren ............................................................... 391   Literatur ........................................................................................................ 397  

Nullum esse librum tam malum, ut non aliqua parte prodesset. (Plinius d. Ä.)

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Aperçu AS AVPRI AKV CTS č d. f. GARF MVUA NDr. op. o.D. o.O. PSZ RGADA SIRIO unpag. VPR

Aperçu des Transactions politiques du Cabinet de Russie, Tome II. Transactions politiques sous le règne de l’Empereur Alexandre Ier 1801–1825. in: GARF f. 728, op. 1, d. 685 Alter Stil (d.i. der in Russland gültige julianische Kalender) Archiv Vnešnej Politiki Rossii, Moskau Archiv Knjazja Voroncova Consolidated Treaty Series Čast’ delo fond Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, Moskau Materialy voenno-učenogo archiva. Otečestvennaja voina 1812 goda. Sankt Petersburg 1900–1914 Nachdruck opis’ ohne Datum ohne Ort Polnoe Sobranie Zakonov Rossijskij Imperii s 1649 g Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Drevnich Aktov, Moskau Sbornik Imperatorskago Russkago Istoričeskago Obščestvo Unpaginiert Vnešnjaja Politika Rossi

In God’s name, cheerly on, courageous friends, To reap the harvest of perpetual peace By this one bloody trial of sharp war.1

I. EINLEITUNG Mit der 1882 in der Christi-Erlöser-Kathedrale uraufgeführten Fest-Ouvertüre in Es-Dur mit dem Titel „Das Jahr 1812“ – heute bekannter als die „1812Ouvertüre“ – hat der Komponist Peter Tschaikowski die musikalische Deutung eines nationalen Ereignisses unternommen.2 In einer seltsamen Mischung aus religiösen und martialischen Elementen erzählt die Komposition in knapp 16 Minuten die Geschichte des napoleonischen Feldzugs in Russland und des Sieges der Truppen des Zaren. Für zeitgenössische Hörer war diese Erzählung leicht zu verstehen: Beginnend mit dem Troparion des Heiligen Kreuzes, einem integralen Bestandteil der russisch-orthodoxen Liturgie, entwickelt sich die Geschichte vom Bittgottesdienst anlässlich der Kriegserklärung aus hin zur französischen Invasion; hier wird die „Marseillaise“ als Motiv eingesetzt. Gegenwehr durch die russische Armee kündigt sich durch Kanonendonner an. Nachdem sich der Schlachtennebel verzogen hat, erklärt der russische Volkstanz „U vorot, vorot, vorot, da vorot batjuškinych“ („Am Tor, Tor, Tor, ja, Tor des Väterchens“) den Sieg der national-russischen Soldaten. Glockengeläut und Feuerwerk, unter dem die russische Hymne „Bože, Carja chrani!“ („Gott erhalte den Kaiser!“) zu hören ist, zei-

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Shakespeare, Richard III, Akt 5, Szene 2. Die Transkription erfolgt nach DIN 1460:1982. Eigennamen werden in der Regel transliteriert. Ausnahmen sind besonders geläufige Personen, etwa Zar Alexander und nicht Zar Aleksandr. Ortsnamen, die im Deutschen üblich sind, werden beibehalten, also Moskau und nicht Moskva. Archivalien aus russischen Archiven werden wie folgt zitiert: Name des Archivs, fond, opis’, delo. Anschließend, durch Komma abgetrennt, das Blatt. Die Angabe der Blätter folgt nicht der russischen Konvention „list(y)“, deren Rückseite mit „ob“ gekennzeichnet werden, sondern orientiert sich am deutschen Gebrauch mit der Angabe „Xr“ für die Vorderseite, und „Xv“ für die Rückseite. Die zeitgenössische Orthographie wird in den Quellenzitaten beibehalten, das gilt auch für die Transkription russischer Namen in französischer oder englischer Literatur, die nicht den Regeln der wissenschaftlichen Transkription folgt. Literaturangaben sind dahingehend vereinheitlicht worden, dass immer die deutsche Bezeichnung der Verlagsorte angegeben wurde (Moskau statt Moskva). Datumsangaben im Fließtext folgen durchgehend dem gregorianischen Kalender. Der in Russland zu der Zeit übliche julianische Kalender lag 12 Tage hinter dem gregorianischen. In den Fußnoten werden dann das julianische als auch das gregorianische Datum angegeben, wenn es den Angaben der Quellen entspricht.

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Einleitung

gen schließlich den Sieg der russischen Armee dank göttlicher Hilfe an. Diese Ouverture enthält alle Elemente der offiziellen zaristischen Deutung der Ereignisse: Volk, Nation, Zar, Religion. Zwar war die Marseillaise auch schon 1812 seit einigen Jahren nicht mehr die französische Nationalhymne und die Zarenhymne sollte das erst in den 1830er Jahren werden, doch störten diese leichten Anachronismen nicht, ganz im Gegenteil. „1812“ ist in der russischen Geschichte zu einer Chiffre geworden, die den Wendepunkt hin zu einem russischen Nationalstaat markiert. Dies ist bis heute so. Zum 200jährigen Jubiläum 2012 soll ein 60 Millionen Euro teures Museum fertiggestellt und eröffnet werden, doch auch heute schon erinnern zahlreiche Gebäude des öffentlichen Lebens an die Invasion. So gibt es eine Brücke über die Moskva, die nach dem Feldherrn Bagration benannt ist, am Kutuzovskij-Prospekt (selbst schon Erinnerung an den Oberbefehlshaber Kutuzov) steht ein Triumphbogen an der Stelle, an der Napoleon die Stadt betreten hatte, und einige hundert Meter weiter befindet sich das Panorama-Museum zur Schlacht von Borodino. Die Stadt selbst bekam durch das Facelift des Brandes 1812 ein gänzlich neues, neoklassizistisches Angesicht.3 Im Zentrum der Hundertjahrfeiern von 1912 stand der mehrtägige Besuch von Zar Nikolaus II. auf dem Schlachtfeld von Borodino und in Moskau.4 1812 ist zum Stoff einer umfassenden patriotischen Legende geworden. Für Zeitgenossen hatte das Jahr etwas Apokalyptisches. Die Bewohner Russlands wurden von den Ereignissen buchstäblich überrollt: Im Juni begann die Invasion Russlands und im Spätsommer brannten gleich zwei der „heiligen Städte“, Smolensk und Moskau, das als „Drittes Rom“ für die orthodoxen Christen eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung hatte. Der Brand Moskaus hat sich tief in das kollektive Gedächtnis Russlands eingegraben, mehr noch als der von Smolensk. Er ist gleichsam ein Symbol für die Wiederauferstehung oder besser: die Erweckung aus den Flammen. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die russische Europapolitik zwischen 1801 und 1825. Es soll allerdings keine umfassende Darstellung dieser Politik erfolgen, sondern vielmehr die Konzentration auf eine besonders drängende Frage. Denn einem Diktum Droysens folgend ist der „Ausgangspunkt des Forschens […] die historische Frage“.5 Und im Falle der russischen Außenpolitik gestaltet sich diese Frage nicht in der Form eines „warum?“, sondern vielmehr in der Form des „warum nicht?“. Seit dem Sieg über Napoleon hatte Alexander I. von Russland alle Möglichkeiten und jedes Argument auf seiner Seite, um territo-

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Vgl. zum Wiederaufbau der Stadt Albert J. Schmidt, The Restauration of Moscow after 1812, in: Slavic Review, 40, 1981, 37–48. Vgl. B. Glinskij, Toržestvo Rossii v bor’be s Napoleonom, in: Istoričeskij Vestnik 8, 1912, XLII. Vgl. allgemein zur Erinnerung und der frühen Historiographie Kurt Schneider, 100 Jahre nach Napoleon. Russlands gefeierte Kriegserfahrung, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 49, 2001, 45–66. Johann Gustav Droysen, Grundriß der Historik. Leipzig 1868, 13 [Herv. i.O.] und passim.

Einleitung

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rialen Zugewinn aus der neuen Situation zu schlagen. Auch später, als während des Unabhängigkeitskampfes der Griechen das Osmanische Reich ihm mehr als einmal die Gelegenheit bot, sich zu bereichern, nahm er diese „Angebote“ nicht an. Warum also hatte der Zar diese Möglichkeiten, die sich wie auf einem Silbertablett darboten, nicht wahrgenommen? Doch reicht es nicht aus, erst 1815 mit dem Wiener Kongress einzusetzen. Es gilt auch, nach Veränderungen und Kontinuitäten der russischen Außenpolitik zu fragen. Insofern ist die gesamte Regierungszeit Zar Alexanders I. in den Blick zu nehmen. Damit wird der Untersuchungszeitraum durch die Eckdaten der Regierung des russischen Zaren, 1801–1825, vorgegeben. Dabei fällt der Antritt Alexanders zusammen mit einem bedeutenden Wechsel in der internationalen Politik. Mit den Friedensschlüssen von Lunéville 1801 und Amiens 1802 kam eine erste Phase der napoleonischen Kriege zu einem Ende. In dieser Phase, die das direkte Ergebnis des Zusammenbruchs der Ordnung des 18. Jahrhunderts war, ging es vornehmlich darum, den Status Frankreichs im europäischen Gefüge neu zu definieren. Nach 1801/02 stand das Verhindern von Napoleons hegemonialen Ambitionen akut auf der Tagesordnung.6 Das Ende des Untersuchungszeitraumes wird bestimmt durch den Tod Alexanders I. in Taganrog 1825. Dadurch fiel gewissermaßen der Motor der Heiligen Allianz aus. Namensgeber der Arbeit ist die „Heilige Allianz“ vom September 1815, das eines der merkwürdigsten Dokumente der Völkerrechtsgeschichte ist und mit dem Alexander I. die europäischen Mächtebeziehungen auf eine neuartige Basis stellen wollte. Dieser Vertrag ist die Manifestation von Überlegungen zur Außenpolitik, die seit Beginn der Regierungszeit des Zaren angestellt worden waren und die durch die Ereignisse, die mit der Chiffre „1812“ verbunden sind, verstärkt und religiös untermauert wurden. 1812 stand Napoleon in Moskau – ein Ereignis, das dazu beitrug, dass der Zar seine bisher vertrauten Muster der Weltdeutung und -erklärung keineswegs ganz ablegte, sondern sie in einem tiefen christlichen Glauben weiter entfaltete. Im Brennpunkt von „1812“ standen nicht nur die geschichtspolitische Erinnerung in Russland, sondern auch die Lebensentwürfe von Individuen einer ganzen Generation. Es ist daher kein Zufall, dass die Gruppe der revoltierenden Offiziere von 1825, die Dekabristen, allesamt „Kinder von 1812“ waren.7 Folgerichtig ist „1812“ auch der Brennpunkt der vorliegenden Analyse. In ihrem Aufbau folgt sie einem dreiteiligen Schema, bei dem 1812 das Prisma darstellt, in dem sich die Auseinandersetzung mit Napoleon bricht. Dabei ist das Ziel der Arbeit, das politische Verhalten des russischen Zaren Alexander I. zu analysieren und zu interpre-

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Diese Deutung bei Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763–1848. Oxford 1994, 213 f. Die „Generation“ von 1812 wartet noch auf eine umfassende Darstellung. Zum Begriff der Generation siehe Ulrike Jureit, Generationenforschung. Göttingen 2006. Grundlegend Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: ders, Wissenssoziologie. Hrsg. von Kurt H. Wolff. Neuwied/Berlin 1964, 509–565.

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Einleitung

tieren. Denn die Ereignisse von 1812 hatten – so die Hauptthese – katalysatorische Wirkung und waren ein Kernelement eines Wandels in der geistigen Haltung des Zaren, die zu einer aktiven Friedenspolitik führte. Das viel diskutierte Erweckungserlebnis des Zaren wird dabei zu hinterfragen sein. Sollte es sich hierbei um eine ernst zu nehmende Konversionserscheinung handeln, so wird man die Folgen dieses Ereignisses kaum hoch genug veranschlagen können. Es wäre dann also nach den Spuren des Religiösen in der Außenpolitik zu fahnden. Insofern liegt der Schwerpunkt der Untersuchung in zwei Bereichen: neben der Rekonstruktion dieser geistigen Entwicklung, bei der auch eventuelle Bruchstellen und Richtungswechsel mit in den Blick genommen werden, wird die Analyse des außenpolitischen Verhaltens dazu herangezogen, um zu überprüfen, ob und inwieweit sich die russische Außenpolitik an den in der Heiligen Allianz formulierten Zielen messen lässt. Der interpretatorische Kompass der Untersuchung ist ein Konzept, das in verschiedenen Sozial- und Geisteswissenschaften ausgefeilt und erprobt worden ist, dessen Anwendung auf den Bereich der Internationalen Beziehungen beziehungsweise als Analysemittel für außenpolitisches Handeln bislang nicht erfolgt ist.8 Mit dem Begriff der „Erfahrung“ lassen sich die Prozesse im Inneren eines Akteurs abbilden und der Wandel von Haltungen und Einstellungen kann so nachvollzogen werden. Gerade im Falle eines Bruchs und eines grundstürzenden Wandels vermeintlicher Gewißheiten vermag das Konzept zu erklären, wie der Wandel zu verstehen ist. Mit einem solchen konstruktivistischen Vorgehen kann auch das Ereignis der Konversion genauer untersucht werden. 1. THEMA UND METHODE Der aufsehenerregende Vorschlag Alexanders, durch kollektive Selbstverpflichtung aller europäischen Monarchen Kriege in Europa künftig unmöglich zu machen, ist ein essentieller Teil der in Wien und Paris 1815 begründeten Friedensordnung für Europa, mit dem das Zeitalter der napoleonischen Kriege sein Ende finden sollte. Ausgerechnet aus Russland, einem Land, das eigentlich immer Krieg führte, kam dieser Vorstoß,9 der ins Zentrum des europäischen Mächtekonzerts zielte. Dabei kennzeichnet er in doppelter Hinsicht eine diplomatische Revolution. Zum einen in der Absicht, Kriegsprävention durch Friedensstiftung zu ersetzen. Zum anderen bezeichnet er einen deutlichen Einschnitt in der russischen

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Zur Terminologie: mit „internationale Beziehungen“ ist der Gegenstandsbereich gemeint. „Internationale Beziehungen“ meint hingegen die Disziplin. Für einen Überblick über die außenpolitischen Aktivitäten Katharinas siehe Michael G. Müller, Nordisches System – Teilungen Polens – Griechisches Projekt. Russische Außenpolitik 1762–1796, in: Zernack, Klaus (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands. Stuttgart 2001, 567–623. Revolutionen als Epochenmerkmal bei Eric Hobsbawm, The Age of Revolution. London 1962.

Einleitung

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Europapolitik. Hatten Alexanders Vorgänger versucht, ihre Zugehörigkeit zu Europa dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie europäische Sitten und Gesetze importierten, so war Alexander bereits in einem Maße in Europa angekommen, dass er seit Beginn seines Engagements gegen Napoleon eigene Vorschläge zur Gestaltung des europäischen Systems durchzusetzen suchte und damit nicht mehr nur adaptiv, sondern regelnd in Erscheinung trat. Das war bis dahin keine Selbstverständlichkeit. Erst mit Katharina II. begann eine beschleunigte Annäherung an Europa. Durch Sturz ihres Gatten an die Macht und auf den Thron gekommen, benötigte sie dringend eine Legitimation ihrer Herrschaft, die sie darin fand, dass sie bereits im Thronmanifest vom 7. Juli 1762 erklärte, fortan Herrschaft und Verwaltung auf gesetzlichen Boden zu stellen. Die 1767 veröffentlichte „Instruktion“, der „Nakaz“, wurde in Teilen der aufgeklärten Öffentlichkeit als substanzieller Beitrag Russlands zur Aufklärung gefeiert. In Artikel 6 war hier festgeschrieben, dass Russland zu Europa gehöre.10 Friedenszeiten waren in dieser Epoche kurz und nicht immer beliebt. Die Entscheidung Peters III., Russland aus dem Siebenjährigen Krieg zu nehmen, wurde in Russland in größeren Kreisen als „unpatriotisch“ gegeißelt, ein Faktum, das nicht wenig zu seinem Sturz und zur Inthronisation Katharinas beitrug. Schon 1768 brach der russisch-türkische Krieg aus und nach dessen Ende 1774 begann die bis dato längste Friedensperiode in der neueren russischen Geschichte. Insgesamt 13 Jahre sollten vergehen, ehe ein erneuter Konflikt mit dem Osmanischen Reich seinen Anfang nahm. Nach den Erfahrungen der napoleonischen Kriege lag es daher durchaus nahe, neue Bemühungen um mehr Frieden in Europa auch auf festere Füße zu stellen.11 So entwickelten sich zwischen 1815 und 1818 Strukturen, die eine neuartige Sicherung des europäischen Friedens erreichten, indem sich die fünf Großmächte – das Vereinigte Königreich, die Habsburgermonarchie, Russland, Preußen und Frankreich12 – kollektiv zu der Verantwortung bekannten, den Frieden in Europa zu sichern. In gemeinsamen Entscheidungen zu den wichtigsten politischen Fragen übten diese Staaten kollektiv eine internationale Autorität aus, für die sich die Bezeichnung „Europäisches Konzert“ eingebürgert hat.13 Tatsächlich hatte mit der

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13

Katharinä der Zweiten, Kaiserin und Gesetzgeberin von Russland, Instruction für die zu Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Commission. Riga 1768. Bemühungen um Frieden entstanden vermehrt im Anschluss an kriegerische Konflikte, siehe hierzu G. John Ikenberry, After Victory. Institutions, Strategic Restraint, and the Rebuilding of Order after Major Wars. Princeton/Oxford 2001. In der Darstellung werden die Bezeichnungen „England” für das Vereinigte Königreich und „Österreich” für die Habsburgermonarchie aus Gründen der Vereinfachung synonym verwendet. Die Literatur zum Europäischen Konzert ist beinahe endlos. Wichtigste Titel: Charles Dupuis, Le principe d’équilibre et le concert européen. Paris 1909; Walter Alison Phillips, The confederation of Europe. A study of the European alliance, 1813–1823 as an experiment in the international organization of peace. New York 1966; René Albrecht-Carrié, The Concert of Europe 1815–1914. New York 1968; Carsten Holbraad, The Concert of Europe. A Study in

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Einleitung

1815–1818 institutionalisierten Pentarchie etwas Neues Einzug in die europäischen Mächtebeziehungen gehalten. Denn das Europäische Konzert setzte nicht mehr auf die alten Konfliktregelungsmechanismen, die bilateral auf Schadensbegrenzung bauten. Dies war in den Jahrhunderten vorher der Fall, denn das Konflikte einhegende Prinzip des 18. Jahrhunderts war das der Balance of Power oder des „Gleichgewichts der Mächte“ gewesen.14 Aufgrund der Erfahrung hegemonialer Bestrebungen vor allem der Habsburger und später Frankreichs sollte solchen Bestrebungen durch Bildung von Gegenmacht entgegengewirkt werden. Dies sollte durch eine „flexible Bündnispolitik“15 der Staaten geschehen, da so die Ruhe in Europa bewahrt werden könne, gründe sie sich, so Friedrich der Große bezeichnend, doch hauptsächlich auf einem „weisen Gleichgewicht“.16 Der Begriff Balance of Power ist daher zumindest ambivalent und jedenfalls schwer zu greifen, er ist „slippery“ – unbestimmt.17 Gleichwohl existierte unter den Großmächten ein „Fundamentalkonsens“, um das Staatensystem vor grundlegenden Veränderungen zu bewahren.18 Grundlage der Balance of Power ist die Annahme, dass alle Staaten in Rivalität und wenigs-

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German and British International Theory 1815–1914. London 1970; Wolfram Pyta, Konzert der Mächte und kollektives Sicherheitssystem. Neue Wege zwischenstaatlicher Friedenswahrung in Europa nach dem Wiener Konreß 1815, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs, 1996, 133–173; Anselm Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß zur Pariser Konferenz. England, die deutsche Frage und das Mächtesystem 1815–1856. Göttingen/Zürich 1991; Winfried Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung 1830–1878. Paderborn u. a. 1999; Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterung und erneutes Gleichgewicht 1785–1830. Paderborn 2004; Stand der Forschung bei Matthias Schulz, Normen und Praxis. Das Europäische Konzert der Großmächte als Sicherheitsrat, 1815–1860. München 2009 und Pyta, Wolfram (Hrsg.), Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Stuttgart 2009, dort auch Literatur zum Mächtekonzert nach 1848/53. Zur Begriffsherkunft vgl. Hans Fenske, Gleichgewicht, Balance, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 2. Stuttgart 1975, 959–996. ebenso die Beiträge von M. Anderson, Eighteenth-Century Theories of the Balance of Power, in: Hatton, R./Anderson, M. (Hrsg.), Studies in Diplomatic History. London 1970, 183–198. und Herbert Butterfield, Balance of Power, in: Wiener, Philip P. (Hrsg.), The Dictionary of the History of Ideas, Bd. I 1973, 180–188. Einführend Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785. Paderborn u. a. 1997, 11–19; Anderson, Theories, und Arno Strohmeier, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit. Wien u.a. 1994. Jens Spiegelberg, Staat und internationales System – ein strukturgeschichtlicher Überblick, in: Spiegelberg, Jens/Schlichte, Klaus (Hrsg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden. Wiesbaden 2000, 11–52, hier 19. Friedrich II. von Preußen, Anti-Machiavell oder der Versuch einer Critic über Niccolo Machiavells Regierungskunst eines Fürsten, nach des Herrn von Voltaire Ausgabe ins Deutsche übersetzt. Frankfurt/Leipzig 1745, 388. Vgl. Schroeder, Transformation, 6–11. Duchhardt, Balance of Power, 17 f.

Einleitung

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tens impliziter Feindschaft zueinander stünden.19 Als Begriff wurde Balance of Power 1701 von Charles Davenant in seinen „Essays on the balance of power“ geprägt, popularisiert durch Daniel Defoes „A Review of the Affairs of France“, und als „équilibre entre les Puissances“ fand er Eingang in den Text des Friedens von Utrecht, mit dem der spanische Erbfolgekrieg 1713 sein Ende fand.20 Versinnbildlicht wurde das Modell des Gleichgewichts oft durch das Bild einer Waage: in beiden Waagschalen müssten sich identische Massen, also politische und militärische Macht, befinden, damit sich die Schalen im Ruhezustand, im Gleichgewicht, befänden.21 Eine gewisse Gruppe von Staaten – die Pentarchie – hatte die Aufgabe, über die Waagschalen zu wachen.22 Die Folgen dieses Prinzips zeigten sich besonders eindrucksvoll bei der ersten Teilung Polens 1772, die treffend als „Länderschacher“ charakterisiert wurde.23 In der Logik der Balance of Power konnten Bündnisse kurzfristig und zielgebunden geschlossen und ebenso schnell, wie sie entstanden waren, auch wieder aufgekündigt werden. Gleichgewichtsbildung bedeutete im Kern daher Selbstschutz von Großmächten gegenüber hegemonialen Ambitionen anderer Großmächte. Kleinere Staaten und Mittelmächte bildeten hierbei lediglich die Verfügungsmasse der Großen. Wurde durch Machtzuwachs einer Großmacht das Gleichgewicht gestört, so galt es als legitime Maßnahme, die geschädigten Großmächte auf Kosten kleinerer Staaten zu entschädigen. Hierbei konnten sowohl entstehende als auch bereits entstandene Verluste in Fragen von Macht oder Prestige kompensiert werden. Im Kern lässt sich das System der Balance of Power als 19

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Vgl. Jack Levy, The theoretical foundations of Paul W. Schroeder’s International System, in: The International History Review 16, 1994, 715–744, insbes. 718–725; Matthew Anderson, The Rise of Modern Diplomacy 1450–1919. London 1993, 157. Vgl. auch Heinz Schilling, Formung und Gestaltung des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Krüger, Peter (Hrsg.), Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. Marburg 1991, 19–37. Traité de Paix entre la France et l’Angleterre conclu à Utrecht le 11 Avril 1713. Paris 1713, Art. VI, 11. Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß. Darmstadt 1976; Winfried Baumgart, Vom Europäischen Konzert zum Völkerbund. Friedensschlüsse und Friedenssicherung von Wien bis Versailles. Darmstadt 21987; Charles Davenant, Essays upon I. The ballance of power; II. the right of making war, peace, and alliances; III. Universal monarchy which is added an appendix containing the records referr’d to in the second essay. London 1701; Daniel Defoe, A review of the Affairs of France. and of all Europe, as influenc’d by that nation. Being historical observations, on the publick transactions of the world; purg’d from the errors and partiality of news-writers, and petty-statesmen of all sides. With an entertaining part in every sheet, being advice from the Scandal Club, to the curious enquirers; in answer to letters sent them for that purpose. London 1704–1729. Vgl. Duchhardt, Gleichgewicht, 12. Vgl. Duchhardt, Balance of Power, 12 f. Vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Tausch, Teilung und Länderschacher als Folgen des Gleichgewichtssystems der europäischen Großmächte. Die polnischen Teilungen als europäisches Schicksal, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 30, 1981, 53– 68.

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ein System zur Verhinderung von Hegemonien beschreiben, zu dessen notwendigen Mitteln auch die Kriegsführung zählte.24 Als Maßnahme zur Förderung eines allgemeinen Friedens konnte ein solches System kaum gelten.25 Lediglich den hegemonialen Bestrebungen von Großmächten wurde ein Riegel vorgeschoben. Unterhalb dieser Schwelle aber galten Kriege weiterhin als legitime Mittel der europäischen Staaten. Es verwundert daher nicht, dass das System des 18. Jahrhunderts auch als ein „auf Konflikt angelegtes internationales System“ bezeichnet worden ist.26 Das wiederum soll nicht bedeuten, dass es keine Versuche gegeben hätte, Kriege an sich aus dem Miteinander der europäischen Staaten zu verbannen. Besonders in der Zeit nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, der „großen Zeit der Gleichgewichtsliteratur“, kam es zu solchen Überlegungen, die auf den beiden Kongressen von Cambrai 1724/25 und Soissons 1728 diskutiert wurden.27 Das Instrument, das zur Friedenswahrung eingesetzt wurde, die „médiation“, war zweifellos noch nicht genug entwickelt, um erfolgreich zwischen streitenden Großmächten zur Anwendung zu gelangen. Die Vermittlung beschränkte sich daher auf die „bons offices“, was freilich nicht mehr bedeutete, als dass die Konfliktparteien an einen Verhandlungstisch geladen wurden. Danach hielten sich die Mediatoren weitestgehend aus dem Geschehen heraus. Im Falle des Kongresses vom Cambrai etwa übernahmen Frankreich und Großbritannien diese Mittlerrolle, hatten im Vorfeld aber schon Abkommen mit der spanischen Seite geschlossen, um eigene Vorteile zu sichern.28 Bezeichnenderweise sind es so vor allem bilaterale Abmachungen gewesen, die die Mediatoren erwirkt haben. Das „Konzert der Mächte“ oder „europäisches Mächtekonzert“ bezeichnet im Kern die Arbeitsweise der europäischen Politik, die sich gegen Ende der Kriege gegen das napoleonische Frankreich herausgebildet hatte. Seine vertragliche Grundlage war der am 1.3.1814 geschlossene Vertrag von Chaumont zwischen den alliierten Mächten, der den Grundstein für den Sieg über das napoleonische Frankreich ebenso legte, wie für den kommenden Frieden. Kernelement dieses Vertrags war die Eindämmung Frankreichs, das als struktureller Störfaktor in den internationalen Beziehungen gesehen wurde. Der Zweite Pariser Frieden und die Quadrupelallianz, beziehungsweise „Große Allianz“ haben die Grundlagen des Konzerts und seiner Arbeitsweise festgelegt, indem Konferenzen als Mittel der Konfliktlösung festgeschrieben wurden. Dahinter steckte die grundsätzliche Idee, dass Probleme, die alle Staaten betreffen, in Konferenzen gemeinsam gelöst wer24 25 26 27 28

Dies war die bereits 1713 formulierte Einsicht des Abbé de Saint-Pierre: Castel Abbé de Saint-Pierre, Der Traktat vom ewigen Frieden. NDr. Berlin 1922, 29 f. Auch wenn die Absichten in den Vertragstexten oftmals genau das angaben, siehe z.B den Frieden von Utrecht 1713, 10. Gottfried Niedhart, Handel und Krieg in der britischen Weltpolitik 1738–1763. München 1979, 141. Vgl. Fenske, Gleichgewicht, 971. Zu den Kongressen vgl. Duchhardt, Balance of Power, 267–283. Vgl. Pyta, Idee, 143.

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den sollten. Hierdurch wurde eine Zusammenarbeit geschaffen, die gleichzeitig informell – durch die persönlichen Begegnungen während der Konferenzen –, als auch institutionell war.29 Eine derartige Arbeitsweise setzte voraus, dass die internationalen Verträge mit einem gewissen Respekt betrachtet wurden. Diese Haltung war der Grundkonsens zwischen den Staaten, dessen Nicht-Einhalten durchaus Sanktionen nach sich ziehen konnte.30 1.1. Forschungsstand Der Forschungsstand zur Heiligen Allianz in einem engeren Sinn kann mit nur gelinder Übertreibung als „nicht existent“ bezeichnet werden. Neuere Untersuchungen gibt es im Grunde nicht, mit Ausnahme von wenigen Aufsätzen. Dabei ist die Heilige Allianz immer wieder thematisiert worden, wenigstens in einer Funktion als pars pro toto, um die vermeintlich restaurative Politik der „drei schwarzen Adler“ nach dem Sieg über Napoleon zu kennzeichnen. Daher folgt die Darstellung des Forschungsstandes einem zweigeteilten Schema. Zunächst wird die Forschung zur Heiligen Allianz und zur russischen Außenpolitik nachgezeichnet, bevor es allgemeiner um den Stand der Überlegungen im Bereich der „Internationalen Beziehungen“ geht. Von dieser Warte aus folgen anschließend die methodischen Überlegungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Dabei können hier nur grobe Linien entwickelt werden, eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand findet in den einzelnen Kapiteln statt. Die Geschichte der europäischen Mächtebeziehungen kann als ausgesprochen gut erforscht gelten.31 Einhergehend mit einem wieder gestiegenen Interesse an politikgeschichtlichen Fragen existiert seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine verstärkte Debatte über die Geschichte der internationalen Beziehungen.32 Dabei wird in der internationalen Theorie- und Methodendiskussion verstärkt ein interdisziplinärer Zugang mittels politologischer Zugriffe eingefordert.33 29

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Vgl. Jean-Baptiste Duroselle, Le „concert euopéen“, in: relations internationales 39, 1984, 271–285, hier 274. Vgl. auch Matthew Rendall, Defensive Realism and the Concert of Europe, in: Review of International Studies 32, 2006, 523–540, der argumentiert, dass auch ein modifiziertes balance of power-Modell zur Erklärung herangezogen werden kann. Vgl. Anselm Döring-Manteuffel, Internationale Geschichte als Systemgeschichte. Strukturen und Handlungsmuster im europäischen Staatensystem des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Loth/Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte, 93–115, hier 97; James R. Sofka, Metternich’s theory of European Order. A Political Agenda for ‚perpetual peace’, in: Review of Politics 60, 1998, 115–149. Sofka verklärt Metternich allerdings zu einem idealistisch handelnden Politiker. Siehe die neue Handbuchreihe Duchhardt, Heinz u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen. Paderborn 1997 ff. Siehe Frevert, Ute/Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung. Frankfurt 2005. Caroline Kennedy-Pipe, International History and International Relations Theory. A Dialogue beyond the Cold War, in: International Affairs 76, 2000, 741–754; Jack S. Levy, Too Im-

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Im Zentrum der Debatten steht eine Kontroverse um die theoretische Beurteilung des Staatensystems.34 Als communis opinio kann gelten, dass für den zu untersuchenden Zeitraum Staaten die zentralen Akteure des europäischen Mächtekonzerts sind.35 Etwas trüber sieht die Lage für das frühe 19. Jahrhundert aus. Dieser Befund überrascht, da das „Europäische Konzert“ ein klassisches Beispiel für ein multipolares Staatensystem darstellt, das zudem durch außerordentlich lange Friedensphasen gekennzeichnet war.36 Das Vorhaben kann allerdings auf speziellere Untersuchungen zurückgreifen. Zu nennen sind hier vor allem die einschlägigen Werke aus den zwanziger beziehungsweise dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, die zum Teil auch unter dem Eindruck des Völkerbundgedankens entstanden sind,37 sowie französischsprachige Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren.38 Diese Arbeiten beachten jedoch den Gestaltwandel europäischer Politik, den Alexander anstrebte, nicht und konnten darüber hinaus die russischen Archivbestände nicht berücksichtigen39

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portant to Leave the Other, History and Political Science in the Study of International Relations, in: International Security 22, 1997, 22–34. Den Stand der Diskussion faßt zusammen Friedrich Kiessling Der „Dialog der Taubstummen“ ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 275, 2002, 651–680. Vgl. neuerdings Matthias Schulz, „Wächter der Zivilisation“? Institutionelle Merkmale und normative Grundlagen des Europäischen Konzerts im 19. Jahrhundert, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 17, 2004, 35–47. Zum strukturgeschichtlich interessierten Zugang siehe Gabriele Metzler: Strukturmerkmale des europäischen Staatensystems, 1815–1871, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 12, 1999, 161–181; Ulrich Muhlack, Das europäische Staatensystem in der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, in: Annali dell`Istituto storico italo-germanico in Trento 16, 1990, 43–92. Vgl. Eckart Conze, Abschied von Staat und Politik? Überlegungen zur Geschichte der internationalen Politik, in: Conze, Eckart/Lappenküper, Ulrich/Müller, Guido (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Köln u. a. 2004, 15–43, hier 15 und Alexander Wendt, The State as a Person in international Theory, in: Review of International Studies 30, 2004, 289–316. Eine grundlegend freundlichere Deutung des Wiener Kongresses und seiner friedensstiftenden Wirkung, als bis dahin gültig bei Henry A. Kissinger, A World restored. Metternich, Castlereagh, and the Problem of Peace, 1812–1822. Boston 1957. Zu nennen sind vor allem William P. Cresson, The Holy Alliance. The European Background of the Monroe Doctrine. New York 1922; E. J. Knapton, The origins of the treaty of the Holy Alliance, in: History 26, 1941, 123–140; Hildegard Schaeder, Die dritte Koalition und die „Heilige Allianz“, Königsberg 1934 (Nachdruck Darmstadt 1963); Robert de Traz, De l’alliance des rois à la ligue des peuples. Sainte Alliance et S. d. N. Paris 1936; Wilhelm Schwarz. Die Heilige Allianz. Tragik eines europäischen Friedensbundes. Stuttgart 1935. Maurice Bourquin. Histoire de la Sainte Alliance. Genf 1954; Jacques-Henri Pirenne. La Sainte-Alliance. Organisation euopéene de la paix mondiale, Bd. 1: Les traités de paix 1814– 1815. Neuchâtel 1946; Bd. 2. La rivalité Anglo-Russe et le compromis autrichien 1815–1818. Neuchâtel 1946. Ulrike Eich, Russland und Europa. Studien zur russischen Deutschlandpolitik in der Zeit des Wiener Kongresses. Köln u. a. 1986, zugl. phil. Diss. Passau 1985; Leonid Vasil’evič Mar-

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– was auch bei Arbeiten aus der Feder von Osteuropa-Historikern der Fall ist. Dieser Befund trifft auch für Spezialisten der russischen Geschichtswissenschaft zu und ist auf die politisch-institutionellen Bedingungen seit 1917 zurückzuführen.40 Für den Untersuchungszeitraum existieren russische Gesamtdarstellungen41 und Forschungsberichte42, eine detaillierte und umfassende Untersuchung ist bis dato aber ausgeblieben. Die Person Zar Alexanders I. hat demhigegen deutlich mehr Interesse gefunden.43 Es existieren durchaus einige Studien, die sich mit meist geographischen Teilaspekten der russischen Außenpolitik oder den Beziehungen Russlands zu einzelnen Staaten auseinandersetzen.44 Obwohl in den letzten Jahrzehnten zahlreiche

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kov. Rossija i svjaščennyi sojuz, in: Novaja i noveijšaja istorija 1, 1989, 63–76.; Marie-Pierre Rey, L’engagement européen du tsar Alexandre Ier, in: Bossouat, Gérard (Hrsg.), Inventer l’Europe. Histoire nouvelle des groupes d’influence et des acteurs de l’unité européenne. Brüssel u.a. 2003, 42–53. Vgl. unter anderem Vasilij O. Ključevskij, Kurs russkoj istorii, 5 Bde, Moskau 1908 ff. Richard Pipes, Russia Under the Old Regime. London u.a. 1995. Zur Geschichte der russischen Historiographie vgl. Sanders, Thomas (Hrsg.), Historiography of Imperial Russia. The Profession and Writing of History in a Multinational State. New York 1999 und den Bericht „Forschungstendenzen” von Michael Schippan/Martin Schulze Wessel, in: Zernack (Hrsg.), Handbuch, 895–934. Z. B. N. S. Kinjapina, Vnešnjaja politika Rossii pervoj poloviny XIX veka. Moskau 1963. O. V. Orlik, Novejšie sovetskie issledovanija vnešnej politik Rossii s konca XVIII v. do Parižkogo mira 1856 g, in: Tichvinskij, S. L. (Hrsg.), Vnešnjaja politika Rossii. Istoriografija. Moskau 1988, 54–73. Vgl. auch Radu Stefan Vergatti, Genèse et actions de la Sainte Alliance, in: Revue roumaine d’histoire 42, 2003, 159–177. Leonid Vasil’evič Markov, Rossija i svjaščennyi sojuz, in: Novaja i Novejšaja Istorija 32, 1989, 63–76. Vgl. als Überblick für die außenpolitischen Rahmenbedingungen D. MacKenzie, Imperial Dreams/Harsh Realities. Tsarist Russian Foreign Policy 1815–1917. Fort Worth 1994 und zu den innenpolitischen Restriktionen vgl. Marc Raeff, Le climat politique et les projets de réforme dans les premières années du règne d’Alexandre Ier, in: Cahiers du monde Russe 2, 1961, 415–433. Neueste Monographien zu Alexander sind u. a. Michael Klimenko, Tsar Alexander I. Portrait of an Autocrat. Tenafly/NY 2002; Aleksandr Archangelskij, Aleksandr I. Moskau 2000; Vol’demar Baljazin, Imperator Aleksandr I. Moskau 1999; A. N. Sacharov, Aleksandr I, in: Russkie samoderžcy. Moskau 1993, 13–90; ders., Aleksandr. I. Moskau 1998; Ludmila Evreinov, Alexander I, Emperor of Russia. A reappraisal. Philadelphia/New York 2001; Aleksandr Nikolaevič Archangel’skij, Aleksandr I. Moskau 2005; Henri Troyat, Alexandre Ier, le sphinx du Nord. Biographie. Paris 2008 [11980]; Marie-Pierre Rey, Alexandre Ier. Paris 2009. Ein Überblick bei Ludmilla Thomas, Russische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Kontinuität und Brüche, in Vyslonzil, E./Leifer, P. (Hrsg.), Russland-Sowjetunion-Russland. Hundert Jahre russische Außenpolitik. Frankfurt a.M. 1999, 27–43. Ansonsten George F. Jewsbury, The Russian Annexation of Bessarabia, 1774–1828. A Study of Imperial Expansion. Boulder, Colo. 1976; E. C. Thaden, Russia’s Western Borderlands, 1710–1870. Princeton 1984; Giampiero Bozzolato, Polonia e Russia. Alla fine del XVIII secolo. Uun avventuriero onorato: Scipione Piattoli. Padova 1964; Alexander Bitis, Russia and the Eastern Question. Army, Government and Society 1815–1833. Oxford 2006; Barbara Jelavich, Russia’s Balkan Entaglements, 1806–1914. Cambridge 1991; Ekkehard Völkl, Russland und Lateinamerika 1741–1841. Wiesbaden 1968; Norman E. Saul, Russia and the Mediterranean, 1797–1807. Chicago [u.a.] 1970; Norman E. Saul, Distant Friends. The United States and

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Kooperationen zwischen europäischen, amerikanischen und russischen Historikern stattgefunden haben, besteht selbst über grundlegende Ausrichtungen, Fragestellungen und Methoden noch weitestgehend Dissens.45 Diplomatiegeschichte im engeren Sinne ist in den vergangenen Dekaden immer mehr marginalisiert worden, auch wenn zugleich eine steigende Tendenz in Qualifikationsschriften zu verzeichnen ist, die sich mit politikhistorischen Fragen beschäftigen. In jüngster Zeit sind gleich zwei Arbeiten erschienen, die sich mit dem Russlandfeldzug 1812 auseinandersetzen. Der aus einer polnischen Adelsfamilie stammende Adam Zamoyski hat eine Studie vorgelegt, in der er sich vorwiegend mit den Erfahrungen der Teilnehmer der Grande Armée beschäftigt. Bei Zamoyski überwiegen jedoch die alten Deutungen, das Buch ist voller antirussischer Ressentiments und der Krieg ist bei ihm der Konflikt der beiden großen Ideen: Reaktion (Russland) gegen Aufklärung (Frankreich). Dominic Lieven, der ebenfalls aus einer alten baltendeutschen Adelsfamilie entstammt, hat eine umfangreiche Studie zu den militärischen Aspekten des Feldzugs vorgelegt, die dabei sozial- und politikhistorische Fragen gleichermaßen berücksichtigt. In dieser Arbeit weist er nach, dass es nicht Général Hiver war, der die napoleonische Armee besiegt hatte, sondern eine akribische und langfristige Vorbereitung innerhalb der russischen militärischen Führung.46 1.2. Anbindung an die Disziplin der Internationalen Beziehungen – Zum Forschungsstand „The surest way to make yourself unappointable in any British, let alone American, university is to say that you wish to study of battles, diplomacy and kings.”47 Von Politik zu schreiben, von internationaler Politik und internationalen Beziehungen zumal, mutet überkommen an. Zudem, wenn der Untersuchungsgegenstand sich im 19. Jahrhundert befindet, in einer scheinbar „überforschten“ Epoche der europäischen Geschichte. Das erscheint freilich insofern paradox, als die Geschichte der internationalen Beziehungen doch seit den 1970er Jahren zunächst weitgehend marginalisiert wurde. Das Ende des Kalten Krieges, mit dem die scheinbar stabile bipolare Weltordnung ins Wanken kam, die voranschreitende

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Russia 1763–1867; Lawrence P. Meriage, Russia and the First Serbian Revolution, 1804– 1813. New York 1987; I. S. Dostjan, Rossija i balkanskij vopros. Moskau 1972; Drabek, Anna M./Leitsch, Walter/Plaschka, Richard G. (Hrsg.), Russland und Österreich zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Wien 1989. Vgl. David L. Ransel, A Single Research Community: Not Yet, in: Slavic Review 60, 2001, 550–557. Adam Zamoyski, Moscow 1812. Napoleon’s fatal march on Moscow. London 2004; Dominic Lieven, Russia against Napoleon. The battle for Europe 1807 to 1814. London u.a. 2010. Beide Bücher sind jüngst in deutscher Übersetzung erschienen. Dominic Lieven, Russia against Napoleon. The battle for Europe 1807 to 1814. London u.a. 2010, 4.

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Integration Europas und die – positiven wie negativen – Folgen und Auswirkungen der Globalisierung beförderten jedoch erneutes Interesse an einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit den internationalen Beziehungen.48 Seit den 1990er Jahren wird wieder eine verstärkte Debatte um den Systemcharakter des europäischen Mächtesystems geführt, in der sich insbesondere Paul W. Schroeder methodisch und thematisch profiliert hat.49 In den Blick der Historiker sollten demnach fortan vor allem Mittel und Methoden zur Friedenswahrung treten.50 Diese Kontroverse um die theoretische Beurteilung des Staatensystems nach 1815 fand bislang nur wenig Niederschlag in empirischen Arbeiten. Gerade zur Funktionsweise der europäischen Politik gilt es daher eine Forschungslücke zu schließen, was insbesondere auf das Instrument der Botschafterkonferenzen sowie das der europäischen Mächtekongresse zutrifft.51 Der Vorwurf von zeitgenössischer britischer Seite, hinter der Heiligen Allianz verberge sich reines Machtkalkül, ist oftmals direkt in ihre Bewertungen übernommen worden, bis hin zur Verbrämung als „Friedensdemagogie“,52 die die wahren Ziele hinter einem Formulierungsschleier christlicher Moral verberge.53 In der Forschung wird denn auch immer wieder betont, dass die Heilige Allianz einzig in der von ihr vermittelten Idee gewirkt habe und dass die reale Basis der Mächtekonstellation die Quadrupelallianz gewesen sei.54 In diese Richtung argumentiert auch Thomas Nipperdey: „Die Heilige Allianz ist kein Instrument realer Politik der europäischen Mächte, aber sie wird ein Symbol der konservativen, der

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Vgl. Eckart Conze, Jenseits von Männern und Mächten. Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte, in: Kraus, Hans-Christof/Nicklas, Thomas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, 41–64. Paul W. Schroeder, The 19th-Century International System. Changes in the Structure, in: World Politics 39, 1968, 1–26; Ders, The Nineteenth Century System. Balance of Power or Political Equilibrum?, in: Review of International Studies 15, 1989, 135–153; Ders, Historical Reality vs. Neo-Realist Theory, in: International Security 19, 1994, 108–145. Erstmals Duchhardt, Gleichgewicht; vgl. auch Pyta, Konzert. Tatsächlich ist die Erforschung der Botschafterkonferenzen als Mittel des europäischen Mächtekonzerts nach wie vor ein erhebliches Desiderat. Vgl. auch Oliver Schulz, Ein Sieg der zivilisierten Welt? Die Intervention der europäischen Großmächte im griechischen Unabhängigkeitskrieg (1826–1832). Berlin 2011, 122–125 sowie Pyta, Konzert, 148 f.; 151–160 mit weiteren Literaturhinweisen. Skeptisch gegenüber einer Deutung, die die Kongresse zum Signum der Epoche erhebt ist Roy Bridge, Allied Diplomacy in Peacetime. The Failure of the Congress ‚System‘, in: Sked, Alan (Hrsg.), Europe’s Balance of Power 1815–1848. London 1979, 34–53. Harald Müller, Im Widerstreit von Interventionsstrategie und Anpassungszwang. Die Außenpolitik Österreichs und Preußens auf dem Wiener Kongreß und der Februarrevolution 1848, Bd. 1. Berlin 1990, 18 und 25–30, Zitat 18. Vgl. Hans-Jobst Krautheimer, Alexander I, in: Torke, Hans-Joachim (Hrsg.), Die russischen Zaren 1547–1917. München 1995, 275–287; Erich Donnert, Das russische Zarenreich. München 1992, 281 f. und Harald Kleinschmidt, Geschichte der internationalen Beziehungen. Ein systemgeschichtlicher Abriß, Stuttgart 1998, 251 f. In diesem Sinne auch Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn 2000, 109.

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antirevolutionären Restaurierung und Stabilisierungspolitik.“55 Die Heilige Allianz wird auch als Instrument der Unterdrückung aller Ansätze einer „neuen Politik und Ordnung“ gedeutet, womit sich die Interpretationen in die generell negative Beurteilung der Zeit nach dem Wiener Kongress einpassen.56 Es ist der Makel der ‚Restauration’, der ihr anhaftet und folgenschwer jede Beschäftigung mit der Epoche beeinflusst.57 Man kommt sicherlich nicht umhin, den restaurativen Charakter des Zeitalters zur Kenntnis zu nehmen, doch gilt das eher an der Peripherie. Spanien und Italien erlebten als einzige Gebiete eine lupenreine Wiederherstellung des absolutistischen Systems. Als Signum der Epoche nach 1814/15 ist der Begriff nur wenig aussagekräftig.58 Eine Rundschau über die Entwicklungen Europas lässt schnell deutlich werden, dass der Begriff unscharf ist und viele divergierende Entwicklungen zusammenfasst: In Frankreich galt die Selbstverpflichtung Ludwigs XVIII. auf die Charte constitutionnelle und Polen, als Kongreßpolen, erhielt im November 1815 eine Verfassung, die sich nicht nur dem Namen nach (Charte constitutionnelle du Royaume de Pologne) an Frankreich orientierte.59 Auch für das deutsche Gebiet lässt sich angesichts der bayerischen Verfassung von 1818 kaum von einer übergreifenden restaurativen Phase sprechen. Für das russische Reich ist der Begriff – ebenso wie für England – völlig unpassend. Und gerade auf dem Feld der Mächtebeziehungen gibt es Anzeichen dafür, dass in dieser Zeit ein grundlegender Wandel im Politikstil der Mächte sich abzeichnete und durchzusetzen begann: Es entwickelten sich neue Mechanismen, das Staatensystem stabil und friedlich zu gestalten und zu erhalten. Diesen Wandel beschreibt der amerikanische Historiker Paul W. Schroeder in seinem Buch The Transformation of European Politics, das nicht nur inhaltlich Neues präsentiert, sondern auch eine theoretische Neuerung der Disziplin befördert.60 Paul Schroeder hatte in seiner Arbeit einen grundlegenden Wandel des europäischen Systems konstatiert, für

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Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983, 100. Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß, München 31993, 130. Hier allerdings die Einschränkung auf die Zeit nach 1820. Grundlegend: Karl Griewank, Der Wiener Kongress und die europäische Restauration 1814/15. Leipzig 21954, 366–386. Vgl. zusammenfassend: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2. Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Doppelrevolution“. München 1987, 322–369. Vgl. zu diesen Überlegungen vor allem Volker Sellin, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa. Göttingen 2001, 275–325. Abgedruckt bei Comte de Angeberg (Hrsg.), Recueil des traités et actes diplomatiques concernant la Pologne 1762–1862. Paris 1862, 707–724. Einführend zur Geschichte Polens: Adam Zamoyski, Poland. A History. London 2009. Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763–1848. Oxford 1994. Zur Kritik an Schroeders Thesen vgl. Jack S. Levy, The theoretical foundations of Paul W. Schroeder’s International System, in: The International History Review 16, 1994, 715–744 und Harald Kleinschmidt, Vom „Gleichgewicht“ zum „Äquilibrium“, Paul W. Schroeders „Transformation of European Politics“ – eine Systemgeschichte der internationalen Beziehungen?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45, 1997, 520–527.

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den er die Erfahrung eines bislang beispiellosen Umfangs von Krieg verantwortlich macht. Kernelement des Wandels sei der Weg von einem mechanistischen Balance of Power-Prinzip hin zu einem flexibleren und differenzierteren political equilibrium, das von einer geteilten Hegemonie zwischen Großbritannien und Russland beherrscht wurde, da beide Staaten kaum Berührungspunkte auf dem Kontinent hatten.61 Die Revolutionskriege hätten den Führungen der Staaten deutlich gemacht, dass die Existenz konkurrierender Gleichgewichtssysteme nicht länger möglich sei, da sie automatisch in verheerende Kriege münde. Insofern sei das Denken der Verantwortlichen systemischer geworden: anstelle der Frage, wie man das europäische System zum eigenen Vorteil nutzen könne, sei nun die Frage getreten, welche Ziele das System überhaupt zulasse. Folglich sei ein grundlegender Konsens entstanden, Normen und Regeln im internationalen Raum einzuhalten und zu akzeptieren. Den qualitativen Unterschied zur Idee der Balance of Power erkennt Schroeder vor allem darin, dass Recht an die Stelle von Machtverteilung getreten sei.62 Den wohl maßgeblichen Grund für den Wandel im Stil der Außenbeziehungen der Mächte sieht Schroeder in einem grundlegenden Mentalitätswandel gegeben. Es sei zu einer „Transformation of political thinking“ gekommen.63 An dieser Stelle lässt sich die Brücke zur Heiligen Allianz schlagen: Wenn der Grund für den Wandel im Bereich der Einstellungen – mithin von handlungsleitenden Sinnkonfigurationen – zu suchen ist, dann scheint es plausibel, alte Ressentiments über Bord zu werfen, die dem Religiösen jegliche Geschichtsmächtigkeit absprechen wollen. In die Geschichte der internationalen Beziehungen ist in den letzten Jahren beträchtliche Bewegung gekommen; neues Interesse an der vermeintlich toten Diplomatiegeschichte ist zu beobachten.64 Die Disziplin, lange Zeit eines der Kernstücke der historischen Wissenschaft, hat sich gewandelt und für neue methodische Ansätze geöffnet. Damit einhergehend ist ein neu erwachtes Interesse

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Vgl. Paul W. Schroeder, Containment Nineteenth-Century Style. How Russia was Restrained, in: South Atlantic Quaterly 82, 1983, 1–18. Zur Kritik an der geteilten Hegemonie siehe Wolf D. Gruner, Was there a Reformed Balance of Power System or Cooperative Great Power Hegemony, in: American Historical Review 97, 1992, 725–732. Vgl. Ders., Did the Vienna Settlement rest on a Balance of Power?, in: AHR 97, 1992, 683706. So der Titel eines programmatischen Aufsatzes. Ders., The Transformation of political thinking, 1787–1848, in: Snyder, Jack/Jervis, Robert (Hrsg.), Coping with Complexity in the International System, Boulder 1993, 47–70. Vgl. Karina Urbach, Diplomatic History since the Cultural Turn, in: The Historical Journal 46, 2003, 991–997; Eckart Conze/Ulrich Lappenküper/Guido Müller, Einleitung, in: Conze/Lappenküper/Müller (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen, 1–15, hier 15; Ursula Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte. Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, 394–423; auch Duchhardt, Balance of Power, 3 f.

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am „Politischen“ zu konstatieren.65 Dies ist keineswegs selbstverständlich, denn mitunter hatte es die Politikgeschichte in der deutschen – nicht unbedingt der internationalen – Geschichtswissenschaft nicht gerade leicht.66 Die Bezeichnung ‚Politikhistoriker‘ galt längere Zeit geradezu als Beleidigung, nicht zuletzt, weil die großen Theoriedebatten eher in der Sozialgeschichte stattfanden, von wo aus man auf die Niederungen der politischen Geschichte förmlich herabsah. Die Wehler-Hillgruber-Auseinandersetzung zeigt, mit welch scharfen Waffen hier Grabenkämpfe ausgefochten wurden.67 Dabei ging es in der Auseinandersetzung – der „Primatsdebatte“ – weniger um Inhalte, sondern, wie sich in der Rückschau zeigt, vor allem um „Revierkämpfe“ innerhalb des Faches.68 Es ist daher verständlich, dass in den großen Konfliktlinien vermittelnde Positionen dabei weitgehend marginalisiert wurden. Dass eine solche Vermittlung durchaus erforderlich gewesen wäre, zeigt ein Beitrag von Gustav Schmidt, der deutlich die Defizite auf beiden Seiten aufzeigte.69 Diese Gräben werden zunehmend überbrückt. Eine neue Verbindung von Sozial- und Politikgeschichte stammt sogar aus der Feder eines ehemaligen Frontkämpfers: Hans-Ulrich Wehlers „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ ist von Band zu Band mehr zu einer politischen Geschichte geworden, und Historiker einer jüngeren Generation gehen weitgehend undogmatisch vor.70 Barbara Stollberg-Rilinger etwa plädierte vor etwa zehn Jahren für eine Untersuchung

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Zuletzt Frevert/Haupt (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Siehe zur Kontextualisierung Eckart Conze, „Moderne Politikgeschichte“. Aporien einer Kontroverse, in: Müller, Guido (Hrsg.), Deutschland und der Westen. Internationale Beziehungen im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1998, 19–30. Conze, Abschied, 15. Andreas Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht, in: Historische Zeitschrift 216, 1973, 529–552; Hans-Ulrich Wehler, „Moderne“ Politikgeschichte oder „Große Politik der Kabinette“?, in: Geschichte und Gesellschaft 1, 1975, 344–369; Klaus Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte“? Die Notwendigkeit einer politischen Geschichtsschreibung von den internationalen Beziehungen, in: Historische Zeitschrift 223, 1976, 328– 357. Vgl. Hans-Christian Crueger, Geschichte als politische Wissenschaft – Der Historikerstreit, in: Kailitz, Steffen (Hrsg.), Die Gegenwart der Vergangenheit 2008, 38–49, Enrico Syring, Der „Historikerstreit“ und die Frage der Historisierung des Nationalsozialismus, in: Kailitz, Steffen (Hrsg.), Die Gegenwart der Vergangenheit. Der „Historikerstreit“ und die deutsche Geschichtspolitik. Wiesbaden 2008, 120–132 und Ulrich Herbert, Der „Historikerstreit“. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Sabrow, Martin/Jessen, Ralph/Große Kracht, Klaus (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, 94–113. Gustav Schmidt, Wozu noch „politische Geschichte“? Zum Verhältnis von Innen- und Außenpolitik am Beispiel der englischen Friedensstrategie 1918/1919, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1975, 21–45; eingelöst beispielsweise Gustav Schmidt, England in der Krise. Grundzüge und Grundlagen der britischen Appeasement-Politik (1930–1937). Opladen 1981. Vgl. Achim Landwehr, Diskurs–Macht–Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85, 2003, 71–117, sowie die Replik von Thomas Nicklas, Macht–Politik–Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 86, 2004, 1–25.

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des Politischen von der kulturgeschichtlichen Warte.71 Weiter noch geht die in Deutschland bislang kaum wahrgenommene Antrittsvorlesung von Pierre Rosanvallon, in der dieser mit einem weitgespannten methodischen Bogen politische Philosophie und Politikgeschichte aufeinander bezieht.72 Der Bereich der Internationalen Beziehungen als eigenständige Teildisziplin der Geschichtswissenschaft war in der Wehler-Hillgruber-Auseinandersetzung gewissermaßen das Schlachtfeld für Stellvertreterkämpfe geworden. Ihm wurde auf der einen Seite eine besondere methodische Rückständigkeit attestiert, auf der anderen Seite wurde sein Studium und damit das Studium des Umgangs mit „Macht“ für unabdingbar erklärt. Dabei ist die Geschichte der internationalen Beziehungen eine Disziplin sui generis.73 In der deutschen Geschichtswissenschaft schien sie lange von innovativen Methoden ausgeschlossen zu sein;74 wer sich für außenpolitische Zusammenhänge interessierte, dem seien methodische Fragen fremd und wer sich für methodische Fragen interessiere, dem seien außenpolitische Themen fremd – so lautete ein gängiger Vorwurf.75 Das dem nicht so war und auch nicht so sein musste, wird in dreifacher Hinsicht deutlich. Zum einen ist die in den USA geführte Methodendiskussion um eine „New Diplomatic History“ mittlerweile weit gediehen.76 Zum anderen kamen gerade aus Frankreich, von wo aus es 1971 getönt hatte, die „traditionelle politische Geschichte“ sei ein „Kadaver, den es noch zu töten gilt“77, Anstöße, langfristige Tiefenstrukturen wie Raum und Geographie, Demographie, ökonomische und finanzielle Entwicklungen, sozialen Wandel oder Ideengebäude sowie Ideologien zu erforschen.78 Seit den 1990er Jahren gingen von hier aus weitere Anregungen aus, die insbesondere mit dem Name Lucien Bélys79 und der Reihe „Nouvelle histoire des relations interna-

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Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. Berlin 2001, 9–24. Pierre Rosanvallon, Pour une histoire conceptuelle du politique. Leçon inaugurale au Collège de France faite le jeudi 28 mars 2002. Paris 2002. Grundlegend: Hildebrand, Geschichte, 344 ff. Vgl. auch Gerhard A. Ritter, Der Umbruch von 1989/91 und die Geschichtswissenschaft, in: Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 5, 1995, 3–46, hier 25. Vgl.Wilfried Loth, Einleitung, in: Loth, Wilfried/Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen–Ergebnisse–Aussichten. München 2000, VII–XIV, hier VII. Vgl. Gerhard Th Mollin, Internationale Beziehungen als Gegenstand der deutschen NeuzeitHistoriographie seit dem 18. Jahrhundert. Eine Traditionskritik in Grundzügen und Beispielen, in: Loth/Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte, 3–30. Ein Klassiker der Diskussion ist Michael J. Hogan/Thomas G. Paterson (Hrsg.), Explaining the History of American Foreign Relations. Cambridge 1991. Zusammenfassend: Frank Schumacher, Kalter Krieg und Propaganda. Die USA, der Kampf um die Weltmeinung und die ideelle Westbindung der Bundesrepublik Deutschland 1945–1955. Trier 2000. Jacques Le Goff, Ist Politik noch immer das Rückgrat der Geschichte?, in: ders. (Hrsg.), Phantasie und Realität des Mittelalters. Stuttgart 1990, 339–352, Zitat 351. Pierre Renouvin, Histoire des relations internationaleParis 1954. Lucien Bély, Les relations internationales en Europe. XVIIè–XVIIIè siècles. Paris 1992.

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tionales“ verbunden sind.80 Und schließlich schwappten diese Diskussionen auch in die deutsche Geschichtswissenschaft über; auf dem Historikertag 2000 in Aachen sorgte die Sektion „Neue Wege der Geschichte der internationalen Beziehungen“ für Aufsehen.81 Mittlerweile hat sich neben dem „Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen“82 noch die Reihe „Studien zur Internationalen Geschichte“ in Deutschland etabliert.83 Doch war dieses Interesse vornehmlich auf die Zeit seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschränkt – zu nennen wäre etwa die intensive Debatte über die Frage, ob es bereits im 19. Jahrhundert Vorformen der Globalisierung gegeben habe.84 Für die Zeit vor 1848 hat insbesondere Paul Schroeders Neuinterpretation des Zeitraumes 1763–1848 für einige Aufmerksamkeit gesorgt und eine beachtliche Diskussion angestoßen. Schroeder hatte sich seit seiner Dissertation über Metternich intensiv mit den internationalen Beziehungen im 19. Jahrhundert auseinandergesetzt und in seinem opus summum „The Transformation of European Politics“ eine Synthese vorgelegt, in dem er das Internationale System nach 1815 als grundsätzlich gewandelt darstellte.85 Ein wichtiges Argument für die Thesen Schroeders ist, dass es auch in der Art der Allianzbildung nach 1815 einen bedeutsamen Wandel gegeben hat. Wie der 80 81 82 83 84

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Insbesondere Jean-Pierre Bois, De la paix des rois à l’ordre des empereurs 1714–1815. Paris 2003. Kerner, Max (Hrsg.), 43. Deutscher Historikertag in Aachen 26. bis 29. September 2000. Berichtsband. München 2001, 256–264. Duchhardt, Heinz u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Paderborn 1997 ff. Zur konzeptionellen Verortung der Reihe: Loth, Wilfried/Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen–Ergebnisse–Aussichten. München 2000. Der „Klassiker“ ist Francis S[tewart] L[eland] Lyons, Internationalism in Europe. 1815–1914. Leyden 1963. Siehe sonst Jürgen Osterhammel, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München 42007; John Boli/George M. Thomas, Constructing world culture. International nongovernmental organizations since 1875. Stanford, Calif 1999; Geyer, Martin H./Paulmann, Johannes (Hrsg.), The mechanics of internationalism. Culture, society, and politics from the 1840s to the First World War. London u.a. 2001; Cornelius Torp, Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860–1914. Göttingen 2005; ders., Erste Globalisierung und deutscher Protektionismus, in: Müller, Sven Oliver/Torp, Cornelius (Hrsg), Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2008, 422–440. Paul W. Schroeder, Metternich’s Diplomacy at its Zenith, 1820–1823. Austin 1962; zunächst hatte auch Schroeder das internationale System des 19. Jahrhunderts als ein System der balance of power gekennzeichnet: Paul W. Schroeder, The ‚Balance of Power‘ System in Europe, 1815–1871, in: Naval War College Review, 1975, 18–31. Die Beiträge eines Symposiums, das sich mit der Schroederschen Interpretation auseinandergesetzt hat, sind in der International Historical Review abgedruckt: H. M. Scott, Paul Schroeder’s International System. The View from Vienna, in: International History Review 16, 1994, 663–680; Charles Ingrao, Paul W. Schroeder’s Balance of Power. Stability or Anarchy?, in: International History Review 16, 1994, 681–700; Tim C. W. Blanning, Paul W. Schroeder’s Concert of Europe, in: International History Review, 1994, 711–713; Paul W. Schroeder, Balance of Power and Political Equilibrium. A Response, in: International History Review 16, 1994, 745–754.

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amerikanische Politikwissenschaftler Jack S. Levy in einem diplomatiegschichtlichen Längsschnitt durch die gesamte Neuzeit festgestellt hat, waren nach 1815 Allianzen fast ausschließlich defensiver Natur.86 Levy hat in seiner quantitativen Analyse der Bündnispolitik der Großmächte in Europa nachgewiesen, dass die Bildung von Allianzen nur in wenigen Fällen zu kriegerischen Konflikten geführt hat. Dieses Argument wäre auch in einer streng realistischen Perspektive gültig, nach der Allianzen keinem anderen Zweck dienten, als dem Erhalt der eigenen Macht: ad-hoc-Allianzen zur Verhinderung einer das internationale System insgesamt bedrohenden Machtkonzentration dienten der flexiblen Gegenmachtbildung.87 Sie waren in Hinblick auf Dauer und Verpflichtungen beschränkt und enthielten häufig genaue Auflistungen über die zu erreichenden Ziele und die dazu notwendigen Mittel.88 Dauerhafte Allianzen wirken in dieser Denkschule hingegen eher friedensbehindernd, da sie die Anzahl an potentiellen Bündnispartnern zur Gegenmachtbildung mit Blick auf die Großmächte reduzieren.89 Obwohl es an einer allgemein gültigen Definition des Begriffes „Großmacht“ mangelt, scheint es in der Forschung einen Konsens darüber zu geben, wodurch eine „Großmacht“ im Einzelnen definiert ist, wenigstens im Sinn eines pragmatisch verstandenen „common sense“. Eine operationalisierbare Definition stammt ebenfalls aus der Feder Jack S. Levys. Ihm zufolge zeichnen sich Großmächte dadurch aus, dass sie über ein hohes Maß an Ressourcen verfügen, an internationalen Kongressen teilnehmen, de facto als Großmächte wahrgenommen werden und zu formellen oder informellen Organisationen von Staaten zugelassen sind.90 Dass es im Bereich der internationalen Beziehungen, insbesondere im europäischen Mächtesystem, vor allem um Macht und ihre Verteilung geht, mutet beinahe wie eine Tautologie an.91 ‚Macht‘ ist ein unscharfes begriffliches Konstrukt, das dauerndem Wandel unterworfen ist.92 An Definitionsangeboten mangelt es daher durchaus nicht. Im Regelfall greifen Historiker auf die „klassische“ Defini-

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Jack Levy, Alliance Foundation and War Behavior. An Analysis of the Great Powers 1495– 1975, in: Journal of Conflict Resolution 25, 1981, 581–613. Edward Vose Gulick, Europe’s classical balance of power. A case history of the theory and practice of one of the great concepts of European statecraft. New York 1955, 61 f. Vgl. Schroeder, Transformation, 7. Hans Morgenthau, Politics among Nations. The Struggle for Power and Peace. New York 1985 [1. Aufl. 1948], 335. Jack Levy, War in the modern great power system, 1495–1975. Lexington Ky. 1983, 8–49, besonders 10–19. Zum Begriff der Macht in der Politikgeschichte vgl. Nicklas, Macht, 5–11. Vgl. z.B. den Artikel von Hans Maier/Bernhard Vogel, Politik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Bd. 4. Freiburg 1988, 431–440, der eine erste Einführung in die Problematik von Gegenstand und Definition des Begriffs „Politik“ liefert, sowie zu den verschiedenen Ausformungen von Politik immer noch grundlegend Anschütz, Gerhard (Hrsg.), Die Grundlagen der Politik. (Handbuch der Politik, 1.) Berlin/Leipzig 1920. Einen guter Überblick aus soziologischer Perspektive bei Katharina Inhetveen, Macht, in: Baur, Nina/Korte, Hermann/Löw, Martina/Schroer, Markus (Hrsg.), Handbuch Soziologie. Wiesbaden 2008, 253–272.

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tion Max Webers zurück.93 Der locus classicus findet sich in der Schrift „Wirtschaft und Gesellschaft“: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“94 Doch ist der Begriff bei Weber kein analytischer Terminus, er räumt sofort ein, er sei „soziologisch amorph“, weshalb er den trennschärferen Begriff der Herrschaft einführt.95 Macht muss sich demnach erst noch zur Herrschaft verdichten, um so auf Dauer gestellt zu werden. Die soziologische Debatte um den Machtbegriff hat bislang noch keine eindeutige und gemeinhin akzeptierte Definition hervorgebracht, wohl aber lässt sich beobachten, dass auch in dieser Debatte der Fixpunkt der Auseinandersetzung die Webersche Definition ist. In den verschiedenen Diskussionsbeiträgen hat sich der Blickwinkel entsprechend ausdifferenziert: Macht ist nicht gleich Macht, vielmehr hängen die Definition und entsprechend die Ausprägung der Machtmerkmale entscheidend vom jeweiligen Kontext und der historischen Situation ab. Was für innergesellschaftliche Phänomene evident erscheint und mit dem Begriff verschiedener Macht-Arenen eingefangen werden kann,96 bedarf für den Kontext internationaler Beziehungen der steten Erinnerung: Staaten, Politik und somit Macht sind keine statischen, sondern historisch-dynamische Größen.97 Dessen ungeachtet sperrt sich der Begriff, so wichtig er ist, gegen eine einfache Zuschreibung. Es scheint daher weiterführend zu sein, Foucault folgend, Macht als Bezeichnung für eine „komplexe strategische Situation“ zu verwenden.98 Macht ist damit dezentral und netzförmig organisiert, kann sich aber an bestimmten Knotenpunkten verdichten.99 Für die vorliegende Untersuchung ist diese Definition hinreichend, da sie die Möglichkeit des historischen Wandels einschließt und somit den veränderten Realitäten vor und nach 1812 beziehungsweise 1815 gerecht wird. Sie schließt auch die sich ständig verändernden machtpolitischen Konstellationen ein und erlaubt eine Schwerpunktsetzung auf die Konzepte, die für eine Neugestaltung des europäischen staatlichen Miteinanders entworfen wurden. Mit Max Weber ist das „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung“ das Wesen der Politik.100 Die in der Politikwissenschaft 93

Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss d. verstehenden Soziologie. Tübingen 51980, 28 f; 520 f; 541–545 sowie Max Weber, Politik als Beruf, in: Weber, Max (Hrsg.), Gesammelte politische Schriften. Tübingen 1988, 505–560, hier 506–511. 94 Weber, Wirtschaft, 28. 95 Ebd. 96 Der Begriff in Anlehnung an Mario Rainer Lepsius, Soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Lepsius, Mario Rainer (Hrsg.), Interessen, Ideen und Institutionen. Wiesbaden 2009, 117–153, hier 146. 97 Vgl. Conze, Abschied, 27. 98 Vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Frankfurt/Main 61992, 114. 99 Siehe hierzu ders., Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. 1978, bes. 113–115. Eine auf perfomative Aspekte von Macht abzielende Definition bei Ernst-Otto Czempiel, Akteure und Handlungszusammenhänge, in: Lehmkuhl, Ursula (Hrsg.), Theorien internationaler Politik. München 22000, 27–67. 100 Weber, Wirtschaft, 821.

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klassische Definition stammt von David Easton, der das politische System von seiner Umwelt dadurch abgrenzt, dass er ihm die Kompetenz zuschreibt, bestimmte Werte autoritativ für eine Gesellschaft zu verteilen. Inhalt der Politik ist nach Easton daher vor allem die Wertzuweisung in den Bereichen Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft.101 Allein dies zeigt: Perspektiven und Begriffe lassen sich gerade aus dem Blick über den Tellerrand der historischen Disziplin gewinnen. Hier bieten sich insbesondere diejenigen Nachbardisziplinen an, die – wie die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen – selbst ein Interesse an zwischenstaatlichen Beziehungen mitbringen.102 Dies wird dadurch nicht gerade erleichtert, dass es in der politikwissenschaftlichen Subdisziplin der Internationalen Beziehungen ein kaum noch zu überblickendes Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Theorieangebote gibt, die sich zum Teil sowohl ontologisch als auch epistemologisch widersprechen.103 Wurde sie Mitte der 80er Jahre noch als „dividing discipline“ gekennzeichnet,104 galt sie zehn Jahre später schon als „divided discipline“.105 Auch wenn die gerade in der Politikwissenschaft axiomatisch geführte Diskussion über Akteure und Einflussfaktoren die Anbindung gelegentlich erschweren mag, lassen sich gleichwohl fruchtbare Anknüpfungspunkte finden.106 So soll 101 Vgl. David Easton, A Framework for Political Analysis. Englewood Cliffs 1965, 50. 102 Vgl. Caroline Kennedy-Pipe, International History and International Relations Theory. A Dialogue beyond the Cold War, in: International Affairs 76, 2000, 741–754; Jack Levy, Too important to leave the Other. History and Political Science in the Study of International Relations, in: International Security 22, 1997, 22–34; Korina Kagan, The Myth of the European Concert. The Realist-Institutionalist Debate and Great Power Behavior in the Eastern Question, 1821–41, in: Security Studies, 1997/98, 1–57; Marc Trachtenberg, The Craft of International History. A Guide to Method. Princeton/Oxford 2006. 103 Vgl. Ulrich Menzel, Zwischen Idealismus und Realismus. Die Lehre von den internationalen Beziehungen. Frankfurt/Main 2001; Ulrich Teusch, Zwischen Globalisierung und Fragmentierung: Theoriedebatten in den „Internationalen Beziehungen“, in: Neue Politische Literatur 44, 1999, 402–425; Rittberger, Volker (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven. Wiesbaden 1990. 104 Kalevi J. Holsti, The Dividing Discipline. Hegemony and Diversity in International Theory. Winchester, Mass. 1985. 105 Andrew Linklater/John MacMillan, Introduction. Boundaries in Question, in: MacMillan, John/Linklater, Andrew (Hrsg.), Boundaries in Question. New Directions on International Relations. London/New York 1995, 1–16, Zitat 2. Vgl. auch Siegfried Schieder/Manuela Spindler, Einleitung, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Opladen 2006, 9–37; Volker Rittberger/Hartwig Hummel, Die Disziplin „Internationale Beziehungen“ im deutschsprachigen Raum auf der Suche nach ihrer Identität. Entwicklungen und Perspektiven, in: Rittberger, Volker (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven. Wiesbaden 1990, 17– 47. 106 Zum Stand für die historische Forschung: Spiegelberg, Jens/Schlichte, Klaus (Hrsg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden. Wiesbaden 2000. In der Politikwissenschaft wird die Historie vielfach als Empirie herangezogen, mit oftmals fragwürdigem methodischem Zugang. Vgl. zum Thema etwa Richard B. Elrod, The Concert of Europe. A fresh look at an in-

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der Staat in der vorliegenden Arbeit nicht als ‚black box‘ gesehen werden, wie es in der sogenannten realistischen Schule der Internationalen Beziehungen geschieht.107 Weder steht der Staat hier als autonom handelndes Kollektivsubjekt im Vordergrund, noch wird sein Ende postuliert. Neuere Ansätze zur Erforschung der internationalen Beziehungen haben deutlich gemacht, dass grundsätzlich auch innenpolitische Determinanten bei der Interpretation außenpolitischer Aktionen zu beachten sind.108 Im Falle Russlands im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts allerdings stößt ein solches Vorgehen an seine Grenzen. Nicht nur im Schulterschluss mit politologischen Fragestellungen hat sich das Untersuchungsinteresse zu Fragen des europäischen Mächtekonzerts mittlerweile grundlegend verändert. Auch durch die „kulturgeschichtliche Wende“ haben sich neue Perspektiven eröffnet.109 Bislang unberücksichtigte Faktoren werden nach ternational System, in: World Politics 28, 1975/76, 159–174; Charles A. Kupchan/Clifford A. Kupchan, Concerts, Collective Security, and the Future of Europe, in: International Studies 16, 1991, 114–161; William H. Daugherty, System Management and the Endurance of the Concert of Europe, in: Snyder, Jack/Jervis, Robert (Hrsg.), Coping with Complexity in the International System. Boulder 1993, 71–105; Benjamin Miller, Explaining the Emergence of Great Power Concerts, in: Review of international Studies 20, 1994, 327–348; Korina Kagan, The Myth of the European Concert. The realist-institutionalist debate and great power behavior in the Eastern Question, 1821–1841, in: Security Studies 7, 1997, 1–57. 107 Andreas Jacobs, Realismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Opladen 2006, 35–60; Marc Trachtenberg, The Question of Realism: A Historian’s View, in: Security Studies, 2003, 156–194. 108 So schon mit einem nachdrücklichen Plädoyer für die Verknüpfung von innen- und außenpolitischen Fragestellungen Schmidt, Politische Geschichte; Donald E. Nuechterlein, National interest and foreign policy. A conceptual framework for analysis and decision-making, in: British Journal of International Studies 2, 1976, 246–266. Exemplarisch siehe Wolf D. Gruner, „British Interest“ und Friedenssicherung. Zur Interaktion von britischer Innen- und Außenpolitik im frühen 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 224, 1977, 92–104; sowie für Frankreich im 19. Jahrhundert Reiner Marcowitz, Großmacht auf Bewährung. Die Interdependenz französischer Innen- und Außenpolitik und ihre Auswirkung auf Frankreichs Stellung im europäischen Konzert 1814/15–1851/52. Stuttgart 2001. Auch wenn Hans-Ulrich Wehler in seiner Rezension von Klaus Hildebrands „Das vergangene Reich“ angemahnt hatte, eben diese Verbindungen von Innen- und Außenpolitik nicht beachtet zu haben, so fehlen auch in Wehlers „Deutsche Geschellschaftsgeschichte“ entsprechende Querverbindungen, die Kapitel zur Außenpolitik stehen in dem Werk weitestgehend isoliert. Hans-Ulrich Wehler, „Moderne“ Politikgeschichte? Oder: Willkommen im Kreis der Neorankeaner vor 1914, in: Geschichte und Gesellschaft 22, 1996, 257–266. 109 Die Frage, ob es einen oder mehrere solcher cultural turns gegeben hat, ist an dieser Stelle nicht relevant. Wichtig scheint m.E. das Ergebnis, nämlich die Verbreitung der Analysemöglichkeiten. Vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek bei Hamburg 32009; Andreas Reckwitz, Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms. Weilerswist 22008; Otto Gerhard Oexle, Geschichte als Historische Kulturwissenschaft, in: Hardtwig, Wolfgang/Wehler HansUlrich (Hrsg.), Kulturgeschichte heute. Göttingen 1996, 14–40; Georg G. Iggers, Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang. Göttingen 22007, 124–127; Lars Deile, Die Sozialgeschichte entlässt ihre Kinder. Ein Orientierungsversuch in der Debatte um Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturge-

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und nach in die Untersuchungen mit einbezogen. So ist etwa in kulturgeschichtlicher Herangehensweise die Frage zu stellen, ob außenpolitisches Agieren normgestützt und -gesteuert ist, ohne dass dabei die machtpolitische Dimension aus dem Blick geraten muss.110 Und bereits bei einer kursorischen Durchsicht der Literatur und Quellen zur Heiligen Allianz fällt ins Auge, dass das Thema der Religiosität Alexanders I. als zentral angesehen werden muss. Religion ist als Analysekategorie für die Geschichte der internationalen Beziehungen im 19. Jahrhundert bislang weitestgehend unbeachtet geblieben.111 Auch in systematischer Hinsicht – als Teil einer theoretischen Reflexion über den Charakter internationaler Beziehungen – ist vielfach über die Funktion und Bedeutung von Religion hinweggesehen worden.112 Religion indes kann als Sinnstiftungsinstanz par excellence bezeichnet werden.113 Somit ist eine analytische Herangehensweise, die gerade die Wirkweise von Normen in den Mittelpunkt stellt, besonders ergiebig, um sie für die histori-

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schichte, 87, 2005, 1–25; Martin Dinges, Neue Kulturgeschichte, in: Eibach, Joachim/Lottes, Günther (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2002, 172– 192. Zur Frage nach den auftretenden „Wenden“ in den Geisteswissenschaften: Christoph Conrad, Die Dynamik der Wenden. Von der neuen Sozialgeschichte zum cultural turn, in: Osterhammel, Jürgen/Langewiesche, Dieter/Nolte, Paul (Hrsg.), Wege der Gesellschaftsgeschichte. Göttingen 2006, 133–160. Siehe hierzu: Wolfram Pyta, Kulturgeschichtliche Annäherungen an das europäische Mächtekonzert, in: ders. (Hrsg.), Mächtekonzert, 1–24, v. a. 12 f.; Sven Externbrink, Internationale Beziehungen und Kulturtransfer in der Frühen Neuzeit, in: Fuchs, Thomas/Trakulhun, Sven (Hrsg.), Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500–1850. Berlin 2003, 227–248. Siehe allerdings die voluminöse Synthese von Michael Burleigh, Irdische Mächte, göttliches Heil. Die Geschichte des Kampfes zwischen Politik und Religion von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart. München 2008. Sowie für den Untersuchungszeitraum Tim C. W. Blanning, The Role of Religion in European Counter-Revolution 1789–1815, in: Beales, Derek/Chadwick, Owen (Hrsg.), History, society and the churches. Essays in honour of Owen Chadwick. Cambridge 1985, 195–214. Zur sozialen Komponente religiöser Interaktionsmuster in den internationalen Beziehungen vgl. Andrew J. Rotter, Christians, Muslims, and Hindus. Religion and U.S.-South Asian Relations, 1947–1954, in: Diplomatic History 24, 2000, 593–613. Vgl. Jonathan Fox, Religion as an overlooked Element of International Relations, in: International Studies Review, 2001, 53–73. Fox zeigt drei verschiedene Forschungsebenen auf, sich mit Religion zu beschäftigen: Entscheidungsträger, Legitimation und „international issue“. Siehe weiterhin: Michael Minkenberg/Ulrich Willems, Neuere Entwicklungen im Verhältnis von Politik und Religion im Spiegel politikwissenschaftlicher Debatten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B42–43, 2002, 6–14. Vgl. Jürgen Gebhardt, „Politik“ und „Religion“. Eine historisch-theoretische Problemskizze, in: Walther, Manfred (Hrsg.), Religion und Politik. Zur Theorie und Praxis des theologischpolitischen Komplexes. Baden-Baden 2004, 51–71; Georg Pfleiderer, Politische Religion als kulturelle Tiefengrammatik, in: ders./Ekkehard W. Stegemann (Hrsg.), Politische Religion. Geschichte und Gegenwart eines Problemfeldes. Zürich 2004, 11–17; Hans-Georg Soeffner, Kulturmythos und kulturelle Realität, in: ders. (Hrsg.), Kultur und Alltag. Göttingen 1988, 3– 20, hier 16–20.

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sche Untersuchung nutzbar zu machen. Mit den analytischen Kriterien des Realismus, der als Paradigma der Internationalen Beziehungen lange Zeit vorherrschend war, kann man die Wirkweise religiöser Sinnkonfigurationen hingegen nicht erfassen.114 Dieser lange Zeit dominierende Theoriestrang sperrt sich dabei gegen eine einfache und umfassende Definition.115 Gleichwohl lässt sich ungeachtet seiner vielen Varianten eines feststellen: Das zentrale Element ist der Faktor „Macht“, zentraler Akteur bleiben Staaten, das internationale System ist anarchisch, und es fehlt jegliches Gewaltmonopol.116 Dies entsprang der Einsicht, dass Politik den zentralen Faktor der Macht nicht außer Acht lassen dürfe, so sehr man sich auch wünschte, das internationale Spiel folge anderen Regeln.117 Auch in modernisierten Varianten dieser Großtheorie kann Kooperation, die nicht auf kurzfristigen Machtgewinn abgestellt ist, nicht recht erklärt werden, ebensowenig kann durch die Fixierung auf „Macht“ als Explanans ein Wandel im internationalen System nicht gedeutet werden.118 Im Schule machenden Werk Hans Morgenthaus etwa wird explizit dargelegt, dass die Internationalen Beziehungen die Sozialwissenschaft sind, die sich mit Macht beschäftigt.119 Es verwundert daher nicht, dass diese Schule vor allem während der Zeit des Kalten Krieges, als sich die Internationalen Beziehungen ihrer Sache relativ sicher sein konnten, dominant wurde.120 Auch geprägt durch eine lange Reihe von Denkern, von Karl Marx über Emile Durkheim bis hin zu Max Weber und anderen, neigt man heute allzu schnell dazu, Religion als ernsthafte Antriebskraft im neuzeitlichen staatlichen Miteinander zu 114 Frederick Schuman, International Politics. An introduction to the Western State System. New York 1933; Morgenthau, Politics; Harald Kleinschmidt, Die ungesicherten Quellen des Realismus. Anmerkungen zur Theoriegeschichte der Internationalen Beziehungen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 6, 1999, 129–146; Frank Schimmelpfennig, Internationale Politik. Paderborn 22010, 66–88; Richard Ned Lebow, Classical Realism, in: Dunne, Tim/Kurki, Milja/Smith, Steve (Hrsg.), International Relations Theories. Oxford 2010, 59– 75. 115 Für einen Überblick über die einzelnen Stränge siehe Jack Donelly, Realism and International Relations. Cambridge u. a. 2000. 116 In neueren Beiträgen wird der Faktor „Macht“ allerdings weniger prominent gemacht, vgl. John Mearsheimer, The false Promise of International Institutions, in: International Security 19, 1994/95, 5–49; Robert Jervis, Realism in the study of world politics, in: International Organization 52, 1998, 971–991. Vgl. auch Menzel, Idealismus, 20–22. 117 Vgl. Edward Hallett Carr, The Twenty Years’ Crisis, 1919–1939. An introduction to the Study of International Relations. New York 1964. 118 Vgl. Ralf Roloff, Die Konflikttheorie des Neorealismus, in: Bonacker, Thorsten (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Opladen 22002, 99–119; Robert Jervis, From Balance to Concert. A Study in International Security Cooperation, in: Oye, Kenneth A. (Hrsg.), Cooperation under Anarchy. Princeton 1986, 58–79. 119 Morgenthau, Politics, 15, 31 f. 120 Teusch, Globalisierung, 402 f.; Conze, Jenseits. In den 1970er Jahren entwickelte sich die systemischere Variante des Neo-Realismus. Vgl. Kenneth N. Waltz, Theory of international politics. Reading Mass. u.a. 1979. und Robert Owen Keohane, Neorealism and its critics. New York 1986. Ein Überblick bei Jacobs, Realismus.

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übersehen; ein Hindernis für quantifizierend arbeitende Politikwissenschaftler ist zudem die schwere Operationalisierbarkeit von „Religion“ als messbarer Größe.121 Erst in den 1980er Jahren wurde die scientific community – nicht zuletzt alarmiert durch den Sturz des Schahs von Persien 1979 – darauf aufmerksam, dass Religion als normgebende Variable eine entscheidende Triebfeder politischen Handelns sein kann.122 Und seit einigen Jahren ist das Thema „Politik und Religion“ in der politikwissenschaftlichen Debatte wieder aktuell geworden. Die These Samuel Huntingtons vom „Kampf der Kulturen“123, die sogenannte „asiatische Wertedebatte“124 und der 11. September 2001 haben diesen Zusammenhang, den Edward Luttwak einmal als „missing dimension“ bezeichnet hat,125 wieder virulent erscheinen lassen. Doch zeichnen sich die politikwissenschaftlichen Beiträge eher durch synchrone Analysen aus, die ihren Schwerpunkt eindeutig auf die Untersuchung des religiösen Fundamentalismus legen. Die Debatte findet allerdings fast ausschließlich in der amerikanischen Politikwissenschaft statt und ist hier stark ereignisgebunden.126 Mit der Übertragung des Paradigmas der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit auf das Feld der internationalen Beziehungen kann hier angesetzt werden.127 Diese mit dem Begriff „Konstruktivismus“ belegte Entwicklung fand ihren Eingang in die Internationalen Beziehungen als Kritik auf eine spezifische Variante des Realismus Ende der 1980er Jahre.128

121 Erste Ansätze liefern Patricia R. Hill, Religion as a Category of Diplomatic Analysis, in: Diplomatic History 24, 2000, 633–640; Andrew J. Rotter, Gender Relations, Foreign RelationThe United States and South Asia 1947–1964, in: Journal of American History 81, 1994, 518–542; Bernhard Giesen/Daniel Šuber, Politics and Religion. An Introduction, in: dies. (Hrsg.), Religion and Politics. Cultural Perspectives. Leiden 2005, 1–13. 122 Vgl. Siegmar Schmidt, Ursachen und Konsequenzen des Aufstiegs religiöser Orientierungen in der internationalen Politik, in: Brocker, Manfred/Behr, Hartmut/Hildebrandt, Matthias (Hrsg.), Religion–Staat–Politik. Zur Rolle der Religion in der nationalen und internationalen Politik. Wiesbaden 2003, 195–313, hier 297; Petito, Fabio/Hatzopoulos, Pavlos (Hrsg.), Religion in International Relations. The Return from Exile. New York/Basingstoke 2003; Lucian N. Lenstean, Towards an integrative theory of religion and politics, in: Method and Theory in the Study of Religion 17, 2005, 364–381. 123 Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs 72, 1993, 22–49 und ders., Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München 1996. 124 Vgl. Peter R. Moody, Jr., Asian Values, in: Journal of International Affairs 50, 1996, 166– 192. 125 Edward Luttwak, The Missing Dimension of Statecraft, in: Johnson, Douglas/Sampson, Cynthia (Hrsg.), Religion. The Missing Dimension of Statecraft. Oxford 1994, 8–19. 126 Eine Ausnahme bildet der Arbeitskreis „Politik und Religion“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. 127 Grundlegend Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/Main 202004 [11969]. 128 In der politikwissenschaftlichen Debatte ist man sich uneins, ob der Konstruktivismus eine Theorie ist oder ob es viele verschiedene Konstruktivismen gebe. Andere Stimmen bezeich-

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Dieses Paradigma entstammt einer über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinausgreifenden Strömung: dem Konstruktivismus, der seit den 1960er Jahren eine so starke Konjunktur erlebt hat, dass er sogar als „Kampfvokabel in den Wissenschaften“ bezeichnet wurde.129 Der soziologische Konstruktivismus ist von Peter L. Berger und Thomas Luckmann in ihren Worten von der „gesellschaftliche[n] Konstruktion der Wirklichkeit“ auf eine Formel gebracht worden, die seit den 1960er Jahren leitend werden sollte. Ein solcher Zugang ermöglicht es, der Frage nach Genese und Verfestigung von handlungsleitenden Normen der Akteuren angemessen nachzugehen. Der Ausgangspunkt einer konstruktivistischen Theorie internationaler Beziehungen liegt in der Kritik am Konzept des Nutzen maximierenden homo oeconomicus, das im Zentrum der neorealistischen wie der utilitaristisch-liberalen Analyse von Außenpolitik steht.130 Im Rahmen dieses Akteurmodells können Ideen, Werte oder Normen lediglich als Instrumente zur zweckrationalen Durchsetzung von Interessen eine Rolle spielen. Die konstruktivistische Außenpolitiktheorie betont demgegenüber die eigenständige Bedeutung von Normen und Ideen. Nach konstruktivistischer Auffassung sind Handlungen von Normen beeinflusst.131

nen den Konstruktivismus eher als „Haltung“: Alexander Wendt, The Agent-Structure-Problem in International Relations Theory, in: International Organization 41, 1987, 335–370; David Dessler, What’s at stake at the Agent-Structure Debate, in: International Organization 43, 1989, 441–473; Nicholas Onuf/Frank Klink, Activity, Authority, Rule, in: International Studies Quaterly 33, 1989, 149–173.Zur Debatte, ob Realismus und Konstruktivismus miteinander zu vereinbaren sind oder sich kategorial ausschließen siehe J. Samuel Barkin, Realist Constructivism, in: International Studies Review 5, 2003, 325–342. 129 Ian Hacking, Was heißt „soziale Konstruktion“? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften. Frankfurt/Main 1999; Frank Schimmelpfennig, Rhetorisches Handeln in der internationalen Politik, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 4, 1997, 219–254; Ders., Internationale Politik, 89–188. 130 Einführend James Fearon/Alexander Wendt, Rationalism vs. Constructivism. A sceptical View, in: Carlsnaes, Walter/Risse, Thomas/Simmons, Beth A. (Hrsg.), Handbook of International Relations. London 2002, 52–72; vgl. auch Rainer Baumann/Volker Rittberger/Wolfgang Wagner, Macht und Machtpolitik. Neorealistische Außenpolitiktheorie und Prognosen für die deutsche Außenpolitik nach der Wiedervereinigung. Tübingen 1998. 131 Anja Jetschke/Liese Andrea, Kultur im Aufwind. Zur Rolle von Bedeutungen, Werten, Handlungsrepertoires in den Internationalen Beziehungen, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 5, 1998, 149–179; Jeffrey Legro, Which Norms matter? Revisiting the „failure“ of Internationalism, in: International Organization 51, 1997, 31–64, bes. 33; Judith Goldstein/Robert O. Keohane, Ideas and Foreign Policy. An Analytical Framework, in: dies. (Hrsg.), Ideas and Foreign Policy. Beliefs. Institutions, and Political Change. Ithaca, NY/London 1993, 3–30, hier 20; Thomas Schaber/Cornelia Ulbert, Reflexivität in den Internationalen Beziehungen. Literaturbericht zum Beitrag kognitiver, reflexiver und interpretativer Ansätze zur dritten Theoriedebatte, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1, 1994, 139–169; Cornelia Ulbert, Sozialkonstruktivismus, in: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Opladen 22006, 409–435; Karin Fierke, Constructivism, in: Dunne/Kurki/Smith (Hrsg.), International Relations Theories, 178–194.

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In der konstruktivistischen Theorie fungieren Normen – definiert als intersubjektiv geteilte, wertegestützte Erwartungen angemessenen Verhaltens – als unabhängige Variablen für die Erklärung außenpolitischen Verhaltens. Von anderen ideellen Variablen grenzen sich Normen durch die Definitionsmerkmale Intersubjektivität und unmittelbare Verhaltensorientierung sowie durch Wertebezug und kontrafaktische Gültigkeit ab.132 In der neorealistischen und utilitaristischen Theorie sind Normen immer an „Macht“ oder „Interessen“ gebunden, wo sie ihnen konformes Verhalten höchstens dadurch bewirken können, dass schwächere Staaten aus Furcht vor Sanktionen die von stärkeren Staaten vorgegebenen Normen einhalten.133 Demgegenüber gehen Normen in einem konstruktivistischen Verständnis den Interessen von Akteuren voraus und haben somit eine konstitutive Wirkung. Indem Normen bestimmte Ziele als legitim auszeichnen, wirken sie als „motives“.134 Als „motives“ legen sie fest, nach welchen Zielen Staaten legitimerweise streben. Der Frage, woher Staaten wissen, was ihre Motive sind, geht Martha Finnemore in ihrer einflussreichen Studie nach.135 Interessen sind weder objektiv gegeben, wie es der Realismus postuliert durch die Definition von Politik als dem Streben nach Macht;136 noch sind sie aus materiellen Strukturen deduzierbar. Vielmehr ergeben sie sich aus den im internationalen Umfeld durch Interaktion von Staaten konstituierten Normen und Werten. Einen interessanten Ansatz liefert Alexander Wendt in einem grundlegenden Aufsatz. Auch das Streben nach Macht werde, so seine Analyse, im internationalen Umfeld sozial konstruiert.137 Dennoch: der politikwissenschaftliche Konstruktivismusansatz greift für die historische Analyse zu kurz. Die Frage nach der Genese von Normen wird hier

132 Vgl. Martha Finnemore, National Interests in International Society. Ithaca, NY 1996, 22f; Ann Florini, The Evolution of International Norms, in: International Studies Quaterly 40, 1996, 363–390; Andreas Hasenclever/Peter Mayer/Volker Rittberger, Theories of International Regimes. Cambridge 1997, 164f; Friedrich V. Kratochwil/John Gerard Ruggie, International Organisation. A State of the Art on an Art of the State, in: International Organization 40, 1986, 753–775, hier S.767 f.; Vendulka Kubalková, Foreign Policy, International Politics, and Constructivism, in: dies. (Hrsg.), Foreign Policy in a constructed World. Amonk/London 2001, 15–34. 133 Vgl. Stephen D. Krasner, Power, Polarity, and the Challenge of Disintegration, in: Haftendorn, Helga/Tuschoff, Christian (Hrsg.), America and Europe in an Era of Change. Boulder Col. 1993, 21–42. 134 Audie Klotz, Norms in International RelationThe Struggle against Apartheit. Ithaca/London 1995, 26. 135 Finnemore, Interests. Zum Interesse von Staaten grundsätzlich Nuechterlein, Interest. 136 Dass auch diese „harten“ realistischen Kategorien kulturwissenschaftlichen Deutungen offenstehen zeigt Jutta Weldes, Constructing national Interests, in: European Journal of International Relations 2, 1996, 275–318. 137 Alexander Wendt, Anarchy is what States make of it. The Social Construction of Power Politics, in: International Organization 46, 1992, 391–425; Cameron G. Thies, Are two Theories better than one? A Constructivist Model oft he Neorealist-Neoliberal Debate, in: International Political Science Review 25, 2004, 159–183.

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lediglich durch den Verweis auf einen – nicht weiter spezifizierten – Sozialisationsprozess beantwortet.138 Für die Untersuchung der Internationalen Beziehungen in historischer Perspektive bietet das Forschungsdesign von Akira Iriye weitreichende Anknüpfungspunkte. Es fragt zum einen nach der Art und Weise der Interaktion zwischen Vertretern verschiedener Kulturen und zum anderen, auf welche Art und Weise sich kulturelle Charakteristika auf die Machtposition eines Staates in der internationalen Mächtehierarchie auswirken.139 Internationale Beziehungen, so die Prämisse, seien immer auch das Resultat zwischenmenschlicher Kommunikation. Irye legt seinen Forschungen einen symbolischen Kulturbegriff zugrunde, den er aus der kulturanthropologischen Theorie ableitet.140 Ein „kulturelles System“ umfasst demnach spezifische Traditionen, soziale und interkulturelle Orientierungen und politische Arrangements einer Nation. „Kultur“ definiert Iriye mithin als „die Bildung und Vermittlung von Erinnerungen, Ideologien, Gefühlen, Lebensstilen, wissenschaftlichen und künstlerischen Werken und anderen Symbolen“,141 was der „klassischen“ kulturanthropologischen Definition entspricht: the sum total of ideas, conditioned emotional responses, and patterns of habitual behavior which members of a society have acquired through instruction or imitation and which they share to a greater or lesser degree.142

Neuere Untersuchungen zu den internationalen Beziehungen haben dann auch die Funktion kultureller Phänomene bereits berücksichtigt.143 Hier lag das Interesse in erster Linie nicht bei Individualentscheidungen, sondern bei aufeinander bezogenen Handlungen von zwei oder mehr Personen. Damit wird ein zentrales Charakteristikum einer Norm in Abgrenzung zu anderen ideellen Variablen deutlich: Normen sind intersubjektiv. Darüber hinaus weisen sie eine unmittelbare Verhaltensorientierung auf, sind auf Werte bezogen und können auch kontrafaktische Gültigkeit beanspruchen.

138 Vgl. Wolfgang W. Weiß, Sozialisation, in: Schäfers, Bernhard (Hrsg.), Grundbegriffe der Soziologie. Opladen 1986, 269–271. und Frank Schimmelfennig, Internationale Sozialisation neuer Staaten. Heuristische Überlegungen zu einem Forschungsdesiderat, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1, 1994, 335–355, hier 338–340. 139 Akira Iriye, Culture and International History, in: Hogan, Michael J./Paterson, Thomas G. (Hrsg.), Explaining the History of American Foreign RelationCambridge 1991, 214–225. 140 Akira Iriye, Cultural Internationalism and World Order. Baltimore 1997. Iriye bezieht sich explizit auf Clifford Geertz und Leslie A. White. 141 Iriye, Culture, 215. 142 Ralph Linton, The Study of Man. New York 1936, 288. 143 Peter J. Katzenstein, Introduction, in: Katzenstein, Peter J. (Hrsg.), The Culture of National Security. Norms and Identity in World PoliticNew York 1996, 1–32; Jeffrey T. Checkel, The Constructivist Turn in International Relations Theory, in: World Politics 50, 1998, 324–348.

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Internationale Austauschprozesse werden so als soziale Situation verstanden. Dabei spielt Sprache als Vermittlungsmedium eine dominante Rolle.144 Mit der Übertragung des Paradigmas der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit auf das Feld der Internationalen Beziehungen findet sich ein wichtiger Anknüpfungspunkt, die Debatte um die Wirkweisen von Normen zu erweitern, indem nach ihrer Entstehung und Verfestigung gefragt werden kann.145 Einen solchen Zugriff kann die „Kulturgeschichte der Politik“ insofern ermöglichen, indem das Politische – so unscharf es auch definiert ist – nicht negiert, sondern von einer anderen Warte aus analysiert wird.146 Kulturgeschichte ist so verstanden eine Art der Fragestellung und keine Vorauswahl von Themen.147 Gefragt wird dabei nach der 144 Harald Müller, Internationale Beziehungen als Kommunikatives Handeln, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1, 1994, 15–44; Anthony Giddens, Interpretative Soziologie. Eine kritische Einführung. Frankfurt/Main/New York 1984, 199. 145 Stefano Guzzini, A Reconstruction of Constructivism in International Relations, in: European Journal of International Relations 6, 2000, 147–182; Ted Hopf, The Promise of Constructivism in International Relations Theory, in: International Security 23, 1998, 171–200; Jennifer Sterling-Folker, Competing Paradigmas or Birds of a Feather. Constructivism and Neoliberal Institutionalism Compared, in: International Studies Quaterly 44, 2000, 97–119; Emanuel Adler, Seizing the Middle Ground. Constructivism in World Politics, in: European Journal of International Relations 3, 1997, 319–363; Nicholas Onuf, Constructivism: A User’s Manual, in: Kubálková, Vendúlka/Onuf, Nicholas/Kowert, Paul (Hrsg.), International Relations in a Constructed World. Armonk, New York 1998, 58–78; Hugh C. Dyer, Normative Theory and International Relations, in: ders./Mangasarian, Leon (Hrsg.), The Study of International Relations. The State of the Art. London 1989, 172–188. 146 Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2003 und Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt/Main 2002, 11: Kulturgeschichte ist eben keine „Bindestrichgeschichte“, sondern eine spezifische Art der historischen Analyse. Einen Überblick zur Kulturgeschichte bietet Wolfgang E. J. Weber, Einleitung und allgemeiner Überblick, in: Tschopp, Silvia Serena/Weber, Wolfgang E. J. (Hrsg.), Grundfragen der Kulturgeschichte. Darmstadt 2007, 1– 23. Die Literatur zu einer – wie auch immer gearteten – „neuen Politikgeschichte“ ist mittlerweile ausufernd. Vgl. die Beiträge in den Sammelbänden Conze/Lappenküper/Müller (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen; Loth/Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte; Frevert/Haupt (Hrsg.), Neue Politikgeschichte, sowie die Beiträge Andreas Rödder, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283, 2006, 657–688; Friedrich Kießling, Der „Dialog der Taubstummen“ ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 275, 2002, 651–680; Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte und Johannes Paulmann, Grenzräume. Kulturgeschichtliche Perspektiven auf die Geschichte der internationalen Beziehungen, in: Lutter, Christina /Szöllösi-Janze, Margit/Uhl, Heidemarie (Hrsg.), Kulturgeschichte. Fragestellungen, Konzepte, Annäherungen. Innsbruck u. a. 2004, 191–205. Kritisch gegenüber einem solchen Verständnis von Kultur, weil vermeintlich die Hochkultur ausblendend: Klaus Ries, Kultur als Politik. Das „Ereignis Weimar–Jena “und die Möglichkeiten und Grenzen einer „Kulturgeschichte des Politischen“, in: Historische Zeitschrift 285, 2007, 303–354. 147 Auch wenn ein Großteil der kulturgeschichtlichen Arbeiten zunächst Themen behandelt hat, bei denen die Sinn- und Symboldimensionen besonders deutlich zu fassen sind, beispielsweise Ute Daniel, Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahr-

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spezifischen Aneignung der Welt durch den Menschen.148 Pionierstudien für die internationalen Beziehungen haben sich der Begegnung von Monarchen gewidmet oder der Erfahrung des „Fremden“.149 Unter „Kultur“ soll im Folgenden ein intersubjektiver, von den Interagierenden geteilter Sinn verstanden werden. Der Begriff „Kultur“ bezeichnet somit eine handlungsorientierende Sinnkonfiguration, die den Bedeutungsrahmen spannt, in dem Ereignisse und Handlungen verständlich werden.150 Dieser Sinn leitet die Handlungen von Individuen in der Weise, dass er ihnen eine Richtung gibt, sie jedoch keinesfalls mechanistisch zu konkreten Aktionen veranlasst. Die soziale Realität ist somit immer eine „sinnhafte Realität“, das bedeutet, dass „Handeln“ und nicht „Verhalten“ als Grundbegriff analysiert werden muß.151 Mit der Frage nach dem „Sinn“ steht das Individuum als handelnde Person im Vordergrund und somit auch seine jeweiligen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster. Daher drängt sich die Frage nach den Instanzen auf, die das Wahrgenommene sinnhaft strukturieren können. Religion als der Deutungsinstanz schlechthin kommt hier eine besondere Rolle zu.152 Natürlich muss in diesem Zusammenhang auch das geistige Umfeld des russischen Zaren in den Blick geraten, auch und gerade im Zusammenhang einer gedeuteten Lebensgeschichte, die im Moment des religiösen „Erwachens“ konstruiert beziehungsweise umgedeutet wird. Dies fügt sich ein in eine Untersuchung, die mit der kulturwissenschaftlichen Schlüsselkategorie der „Erfahrung“ operiert.153 Diese Kategorie

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hundert. Stuttgart 1995. Vgl. auch Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift 250, 1990, 321– 346. Vgl. Landwehr, Diskurs. Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn 2000 und Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840). Genève 2002; auch ders, Diplomatie als Erfahrung fremder politischer Kulturen. Gesandte von Monarchen in den eidgenössischen Orten (16. und 17. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft 32, 2006, 5–44 und ders, Réseaux personnels, perceptions de l’Autre et pratique des relations consulaires et politiques dans l’espace méditerranéen, in: Belissa, Marc/Ferragu, Gilles (Hrsg.), Acteurs diplomatiques et ordre international. XVIIIe–XIXe siècle. Paris 2007, 73–97. Diese Formulierung im Anschluss an Thomas Luckmann, Die „massenkulturelle“ Sozialform der Religion, in: Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.), Kultur und Alltag. Göttingen 1988, 37–48, hier 38; vgl. Soeffner, Kulturmythos, 12. Ähnlich auch Thomas Mergel, Kulturgeschichte – die neue „große Erzählung“? Wissenssoziologische Bemerkungen zur Konzeptualisierung sozialer Wirklichkeit in der Geschichtswissenschaft, in: Hardtwig, Wolfgang/Wehler HansUlrich (Hrsg.), Geschichte als Historische Kulturwissenschaft. Göttingen 1996, 41–77, hier 60. Vgl. Karin Knorr Cetina/Richard Grathoff, Was ist und was soll kultursoziologische Forschung?, in: Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.), Kultur und Alltag. Göttingen 1988, 21–36. Vgl. Horst Carl, „Der Anfang vom Ende“-Kriegserfahrung und Religion in Belgien während der Französischen Revolutionskriege, in: Beyrau, Dietrich (Hrsg.), Der Krieg in religiösen und nationalen Deutungen der Neuzeit. Tübingen 2001, 86–106, hier 87. Einführend Nikolaus Carl/Horst Buschmann, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie, Fragestellung, in: Buschmann, Nikolaus/Carl, Horst (Hrsg.), Die Erfah-

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bietet die notwendigen Mittel, um nicht bei der Feststellung zu verharren, dass Normen einer Handlung zugrunde liegen, sondern vielmehr auch nach der Genese dieser Normen zu fragen. Ebenso sensibel muss mit dem Begriff des ‚Internationalen Systems‘154 umgegangen werden. Da es sich dabei keineswegs um ein extraterritoriales Gebiet zwischen den Staaten handelt, sondern es durch das Handeln sowohl von staatlichen Akteuren als auch von anderen Institutionen konstituiert ist, kann es im Anschluss an M. Rainer Lepsius durchaus als „gedachte Ordnung“ bezeichnet werden.155 Die gemeinhin in der Politikwissenschaft akzeptierte Definition beschreibt ein System als „an arrangement of certain components so interrelated as to form a whole“156. Das europäische Staatensystem wird dabei als ein System innerhalb des internationalen Systems definiert, in dem es eine Vielzahl von Akteuren und Beziehungen in interdependenten Subsystemen gibt. Wiederum eines der Teilsysteme des europäischen Staatensystems ist das europäische Konzert der Großmächte, das seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Mittel zur Konfliktlösung in Erscheinung trat.157 Lange Zeit dominierten in der Forschung Stimmen, die das Mächtekonzert als einen legitimistischen Hort der Rückwärtsgewandtheit qualifizierten, der lediglich Mechanismen zur Unterdrückung von Freiheitsbewegungen kannte.158 In neueren Arbeiten ist der ordnende und friedensstiftende beziehungsweise -erhaltende Charakter des Konzerts jedoch deutlich herausgearbeitet worden.159 Zumindest verhinderte es kriegerische Konflikte zwischen den Großmächten. Die „Heilige Allianz“ war in der Zeit von 1815 bis 1825 integraler Bestandteil der dem Konzert der Mächte zugrunde liegenden reglementierenden Struktur des „Wiener Systems“ beziehungsweise der „Pariser Ordnung“.160 Für sie galt in noch stärkerem Maße, was für das Konzert der Mächte ganz grundsätzlich galt – sie wurde durchweg negativ bewertet und häufig sogar zur Namensgeberin der

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rung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg. Paderborn u. a. 2001, 11–26; Ute Daniel, Erfahren und Verfahren. Überlegungen zu einer künftigen Erfahrungsgeschichte, in: Flemming, Jens u. a. (Hrsg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag. Kassel 2004, 9–30. Ein Überblick bei Snyder, Jack/Jervis, Robert (Hrsg.), Coping with Complexity in the International System. Boulder 1993. M. Rainer Lepsius, Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Winkler, Heinrich August (Hrsg.), Nationalismus in der Welt von heute. Göttingen 1982, 12–27, hier 13. George Klir, The Polyphonic General Systems Theory, in: Klir, George (Hrsg.), Trends in General Systems Theory. New York 1972, 1–16, hier 1. Vgl. Schulz, Normen. Griewank, Wiener Kongreß. Schulz, Normen; Metzler, Strukturmerkmale; Pyta, Idee. Zur Terminologie vgl. Doering-Manteuffel, Kongress, 12–39. Siehe auch Paul W. Schroeder, The Vienna System and Ist Stability. The Problem if Stabilizing a State System in Transformation, in: Krüger, Peter (Hrsg.), Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit. München 1996, 107–122.

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gesamten Epoche der vermeintlichen Restauration.161 Es soll an dieser Stelle nicht der Eindruck entstehen, dass diese Deutung alleinbestimmend gewesen wäre. Vielmehr gab es parallel dazu auch Darstellungen, die den friedenswahrenden Charakter des Mächtekonzerts herausgestellt haben.162 Vor allem die in Wien und Paris 1814/15 festgeschriebene Ordnung wurde positiv gewertet, was nicht zuletzt auf die einflussreiche Darstellung von Henry Kissinger zurückzuführen ist.163 Neuere Studien haben diesen Aspekt nachhaltig untermauern können.164 Hauptvertreter dieser dominierenden Richtung ist der bereits erwähnte Paul Schroeder, der als ordnendes Prinzip ein komplexeres „Equilibrium“ anstelle des Gleichgewichts sieht. Dieses politische Equilibrium sei determiniert durch die Vormachtstellung von Großbritannien und Russland und in seiner Ausprägung zurückzuführen auf einen kollektiven Einstellungswandel der führenden Köpfe nach den Erfahrungen der napoleonischen Kriege.165 Europas Politiker hätten gelernt, systemisch zu denken und die Grenzen, die vom internationalen System vorgegeben wurden, als Grenzen der eigenen Handlungen zu akzeptieren.166 Dazu habe es eines Konsenses über Normen, Regeln und legitime Verhaltensweisen bedurft, zu der auch die Anerkennung der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller Staaten im Hinblick auf Unverletzlichkeit ihrer Territorien gehörte. Als Folge dieses Lernprozesses habe sich das ordnende Prinzip der internationalen Beziehungen von der Balance of Power zum „political equilibrium“ gewandelt. Schroeders Thesen sind nicht unwidersprochen geblieben. Hauptkritikpunkte waren, dass seine Unterscheidung zwischen Balance of Power und politischem Equilibrium künstlich sei, sowie dass er den außereuropäischen Raum nicht genügend in seine Überlegungen eingeschlossen habe.167 Denn, so ein Kritiker, die Zeit nach 1815 sei auch deshalb so friedlich gewesen, weil außereuropäische Gebiete gewissermaßen als normfrei-

161 Nur eines von vielen Beispielen: Serge Berstein/Pierre Milza, Histoire de l’Europe contemporaine. Le XIXe siècle (1815–1919). Paris 1992, 10 f. 162 Dupuis, Principe; Werner Näf, Zur Geschichte der Heiligen Allianz. Bern 1928; H. W. Schmalz, Versuche einer gesamteuropäischen Organisation 1815–1820. Mit besonderer Berücksichtigung der Troppauer Interventionspolitik. Bern 1940; Jacques-Henri Pirenne, La Sainte-Alliance. Organisation euopéene de la paix mondiale, Bd. 1. Les traités de paix 1814– 1815. Neuchâtel 1946; ders., La Sainte-Alliance. Organisation euopéene de la paix mondiale. Bd. 2. La rivalité Anglo-Russe et le compromis autrichien 1815–1818. Neuchâtel 1949; ders., La Sainte-Alliance, in: La Paix 1961, 465–480. 163 Henry Alfred Kissinger, A world restored. London 1999. 164 Schulz, Normen; Pyta, Idee; Doering-Manteuffel, Kongress. 165 Paul W. Schroeder, The Transformation of political thinking, 1787–1848, in: Snyder, Jack/Jervis, Robert (Hrsg.), Coping with Complexity in the International System. Boulder 1993, 47–70. 166 Paul W. Schroeder, System and Systemic Thinking in International History, in: Journal of International History Review 15, 1993, 116–134. 167 Scott, System; Enno Kraehe, A bipolar Balance of Power, in: The American Historical Review 97, 1992, 707–715; Wolf D. Gruner, Was there a Reformed Balance of Power System or Great Power Hegemony? in: American Historical Review 97, 1992, 725–732; Ingrao, Balance.

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er Raum zur Verfügung stehen konnten, in dem Stellvertreterkonflikte ausgefochten werden konnten.168 So existiert ein Nebeneinander von Forschungen, aus dem sich zwei Hauptrichtungen ableiten lassen. Erstens: Arbeiten, die in der Tradition der „Primatsdebatte“ stehen;169 zweitens Arbeiten, die – direkt oder indirekt – Schroeders Weg folgen und den Anschluss an politikwissenschaftliche Fragestellungen und/oder kulturgeschichtliche Herangehensweisen suchen.170 Diesem Pfad folgend soll in dieser Studie auch untersucht werden, wie groß der russische Anteil an diesem neuen System Europas war und wie genau dieser Anteil aussah. Für den Untersuchungszeitraum und -gegenstand gilt, wie zu sonst keinem anderen Zeitpunkt der europäischen Geschichte, dass Russland als integraler und gestaltender Teil Europas gesehen werden muss.171 Dies ist kein Allgemeinplatz, vielmehr ist häufig eingefordert worden, dieser Beobachtung Rechnung zu tragen, aber es folgte nur in seltenen Fällen auch die Einlösung.172 So konstatiert Dominic Lieven in der Einleitung zu seinem Werk „Russia against Napoleon“: „Russia is the biggest gap in contemporary Western understanding of the Napoleonic era.”173 Speziellere Untersuchungen zur Heiligen Allianz, einem Thema, das dezidiert einen russischen Ansatz zur europäischen Ordnung enthält, haben ihre eigene Tradition.174 So ist die Heilige Allianz etwa für Jacques-Henri Pirenne ein entschiedenes Mittel russischer Weltpolitik, um gegen England und dessen Bestrebung nach Hegemonie auf den Weltmeeren ein „système d’équilibre universel“ zu setzen, das auch Frankreich und die USA einschließe.175 Der dezidiert religiöse 168 Edward Ingram, Bellicism as Boomerang. The Eastern Question during the Vienna System, in: Krüger, Peter/Schroeder, Paul W. (Hrsg.), „The transformation of European politics, 1763–1848“. Episode or model in modern history? Münster 2002, 707–715; Stig Förster, Der Weltkrieg 1792–1815. Bewaffnete Konflikte und Revolutionen in der Weltgesellschaft, in: Dülffer, Jost (Hrsg.), Kriegsbereitschaft und Friedensordnung 1800–1814. Münster/Hamburg 1995, 17–38. Gabriele Metzler hat herausgestellt, dass nach 1815 der Anteil der Kriege, die ihre Ursachen in außereuropäischen kolonialen Konflikten hatten, von zehn auf drei Prozent sank: Metzler, Strukturmerkmale, 162. 169 Günther Heydemann, Konstitution gegen Revolution. Die britische Deutschland- und Italienpolitik 1815–1848. Göttingen 1995; Reiner Marcowitz, Grossmacht auf Bewährung. Die Interdependenz französischer Innen- und Außenpolitik und ihre Auswirkungen auf Frankreichs Stellung im europäischen Konzert 1814/15–1851/52. Stuttgart 2001; ders., Kongressdiplomatie 1815–1823. Frankreichs Rückkehr in das Europäische Konzert, in: Francia 24, 1997, 1–22. 170 Siehe hierzu die angegebene Literatur im Sammelband Pyta (Hrsg.), Konzert. 171 Vgl. auch das Plädoyer von Andreas Kappeler: Andreas Kappeler, Die Bedeutung der Geschichte Osteuropas für ein gesamteuropäisches Geschichtsverständnis, in: Stourzh, Gerald (Hrsg.), Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung. Wien 2002, 43–55, v. a. 13. 172 Ausnahmen sind Eich, Russland und die Arbeiten von Winfried Baumgart. 173 Lieven: Russia against Napoleon, 15. 174 Daher erfolgt an dieser Stelle die Beschränkung auf den Forschungsstand zu Arbeiten, die die „Heilige Allianz“ zum Thema haben. Zu einzelnen Teilaspekten in den jeweiligen Kapiteln. 175 Pirenne, Sainte-Alliance, 237.

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Duktus der entsprechenden Verträge wird in dieser Tradition als Mittel zum Erreichen rein politischer Ziele verstanden: der Isolierung des Osmanischen Reiches sowie der Camouflage angeblicher Bestrebungen, eine Weltorganisation aufzubauen, die den europäischen Rahmen sprenge.176 In älteren russischen Studien wird der Einfluss Sankt Petersburgs häufig überbetont, ebenso wie die vermeintlich positive Rolle des Zaren – ein interessanter Befund angesichts der ideologischen Abwertung des Zarenreiches durch sowjetische Historiker.177 Neben nationalistischen und ideologischen Aspekten ist wohl auch die historiographische Tradition Sergej Michajlovič Solov’jovs hierfür ausschlaggebend gewesen.178 Vielfach neigen Alexanderbiographen dazu, scheinbar nicht aufzulösende Widersprüche im politischen Verhalten des Zaren durch einen psychologisierenden Rekurs auf dessen Kindheit zu erklären.179 Die Konzentration der folgenden Analyse auf die Person des Zaren Alexander I. ist mithin nicht dem überholten Ansatz eines „Große Männer machen Politik“ geschuldet. Politik – auch internationale Politik – geht über eindeutig zuschreibbares Entscheidungshandeln hinaus, enthält aber eben gerade auch diese personale Komponente. Daneben und eng mit ihr verknüpft ist politisches Handeln freilich immer auch Ausdruck von Strukturzusammenhängen und diskursivem, vor allem aber symbolisch aufgeladenem Handeln.180 Die perspektivische Zuwendung auf

176 Ebd, 234. Zum Verhältnis von osteuropäischer und internationaler Geschichte siehe Damien Tricoire, Von der anderen Staatlichkeit. Geschichte der internationalen Politik und osteuropäische Geschichte, in: Schulze Wessel, Martin (Hrsg.), Eine Standortbestimmung der osteuropäischen Geschichte. Zeitenblicke 6, 2007. URL: http://www.zeitenblicke.de/2007/2/tricoire/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-912373; auch O. J. Frederiksen, Alexander I and his league to end wars, in : Russian Review 1, 1941/1942, 10–22. 177 N. Kinjapina/V. A. Georgiev, Izučenie vnešnej politiki Rossii perioda razloženija i krizisa feodal’no-krepostničeskoj sistemy, in: Naročnickij, A. L. (Hrsg.), Itogi i zadači izučenija vnešnej politiki Rossii. Sovetskaja istoriografija. Moskau 1981, 188–247; B. Okun’, Očerki istorii SSSR. Vtoraja četvert’ XIX veka. Leningrad 1957. Ein Überblick über die russischsowjetische Historiographie und ihre Traditionslinien bei Alfred J. Rieber, The historiography of Imperial Russian foreign policy. A critical Survey, in: Ragsdale, Hugh (Hrsg.), Imperial Russian foreign policy. Cambridge 1993, 360–344. 178 S. M. Solov’jov, Vostočnyj vopros 50 let nazad, in: Drevnjaja i novaja Rossija 1, 1876, 129– 141. Vgl. V. V. Kučurin, S. M. Solov’jov. Christianin i učjonyj. Sankt Petersburg 2001 und V. O. Ključevskij, Istoričeskije Portrety. Moskau 1991, 499–513. 179 Vgl. stellvertretend Bernhard Friedmann/Hans-Jobst Krautheim, Reformen und europäische Politik unter Alexander I, in: Zernack (Hrsg.), Handbuch, 951–993, hier 954f; Henry A. Delfiner, Alexander I, the Holy Alliance and Clemens Metternich. A Reappraisal, in: East European Quaterly 37, 2003, 127–150. 180 Vgl. hierzu auch den Ansatz bei Matthias Langensteiner, Für Land und Luthertum. Die Politik Herzog Christophs von Württemberg (1550–1568). Stuttgart 2008, 5–12.

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die Akteursebene erlaubt einen konstruktivistischen Zugang, der sich mit individuellen Weltdeutungen und Sinnzuschreibungen auseinandersetzt.181 In den nicht-konstitutionellen Staaten des frühen 19. Jahrhunderts – und zu ihnen zählen die Signatarmächte der Heiligen Allianz – galt, dass das Feld der Außenpolitik prinzipiell gegen gesellschaftliche Ansprüche abgeschirmt werden konnte, wodurch das Gebiet der Mächtebeziehungen zu einem Politikfeld sui generis wurde, das eigenen Gesetzen gehorchte.182 Für Russland ist das Zentrum der außenpolitischen Entscheidungsfindung in diesem Zeitraum beim Zaren, dem „chief diplomatic decision-maker“, selbst zu suchen.183 Die russische Regierung besaß keine effiziente Bürokratie und nur wenige institutionelle und prozedurale Kontrollen der Exekutive. Persönliche Vorlieben des Zaren waren so oft wichtiger als wirtschaftliche oder innenpolitische Erwägungen.184 Es wäre ein Kurzschluss, aus Titeln oder Ämtern den Grad effektiver politischer Gestaltungsmöglichkeiten abzulesen, dieser bemaß sich einzig über die Nähe und den Zugang zu Alexander und seinen Vertrauten.185 Die russische Wirtschaft war im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in ihrer Entwicklung deutlich hinter der politischen Entwicklung zurückgeblieben. Ein starkes Stadt-Land-Gefälle gehörte ebenso zu den Charakteristika der wirtschaftlichen Entwicklung, wie das Festhalten an der Leibeigenschaft.186 Zudem waren die russischen Exportwaren auf dem europäischen Markt zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr konkurrenzfähig, und da die Landwirtschaft nur in geringem Umfang leistungsfähig war, konnte sie das Außenhandelsdefizit nicht mehr aufwiegen. Selbst der dichter besiedelte und infrastrukturell besser entwickelte westliche Teil des Reiches hing deutlich hinter der europäischen Entwicklung zurück – und umso mehr galt dies für die östlichen Teile des Reiches.187

181 Vgl. Cornel Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland. Göttingen 2006, 23 f. 182 Vgl. Pyta, Idee, hier 317. 183 Hierüber herrscht Konsens in der Forschung. Siehe Patricia Kennedy Grimsted, The Foreign Ministers of Alexander I. Political Attitudes and the Conduct of Russian Diplomacy, 1801– 1825. Berkeley 1969, 10–31, hier 30; M. N. Pokrovskij, Diplomatija i vojny carskoj Rossii. Moskau 1923; David Saunders, Russia in the Age of Reaction and Reform, 1801–1881. London 1992, 3, sowie Eich, Russland, 27. 184 Die Wirtschaftsgeschichte Russlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ausgesprochen dürftig erforscht. Vgl. hierzu Klaus Heller, Russlands Wirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zernack (Hrsg.), Handbuch, 1145–1188. mit weiteren Literaturangaben. 185 Vgl. Alexander M. Martin, Defenders of the old Regime. Russian Conservatives in the Age of Napoleon and the Holy Alliance, Ann Arbor 1993, 5. Zur Entwicklung der Frage der Leibeigenschaft siehe v. a. Susan P. McCaffray, Confronting Serfdom in the Age of Revolution. Projects for Serf Reform in the Time of Alexander I, in: Russian Review 64, 2005, 1–21. 186 Vgl. Boris N. Mironov, Russkij gorod v 1740–1860ee gody. Demografičeskoe, social’noe i ėkonomičeskoe razvitie. Leningrad 1990. 187 Vgl. Heller, Wirtschaft, 1182 f.

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Auch eine „politische Öffentlichkeit“ war im Russland Alexanders I. kaum anzutreffen und wo es sie in Ansätzen gab, war sie schlecht informiert. Sie bestand im Wesentlichen aus Adel und Hofzirkel, wobei auch deren Meinung in außenpolitischen Belangen wenig Gewicht hatte. 1807 berichtete der französische Gesandte Anne-Jean Savary nach Paris: „On tomberait dans une grande erreur si l’on entendait par l’opinion publique de Pétersbourg ce que ce mot comprend dans tout autre pays.“188 Gerade für den Zeitraum 1801–1825 gilt aber, dass der einzelne Akteur Alexander I., eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat: Er ist Träger von bestimmten, im Folgenden noch genau zu bestimmenden Ideen und Werten.189 Noch dazu gab es einen handfesten Grund, der Alexander in die Position versetzte, entsprechend handeln zu können. Nach der Niederlage und der endgültigen Verbannung Napoleons auf die Insel Sankt Helena war Russland fortan das mächtigste Land in Europa und Alexander sein uneingeschränkter Herrscher – und damit machtpolitisch eigentlich in die Lage versetzt, das vermeintliche Ziel der russischen „Grand Strategy“ umzusetzen, sich die uneingeschränkte Vorherrschaft im östlichen Europa zu sichern. Das Konzept der „Grand Strategy“ ist von John Paul LeDonne eingeführt worden und bezeichnet eine Art Meta-Interpretation von Nationalinteressen, die für einen äußerst langen Zeitraum definiert sind.190 LeDonne, der sich dabei auf Edward Luttwak bezieht,191 definiert sie als „an integrated military, geopolitical, economic, and cultural vision“. Freilich lässt sie diese „Grand Strategy“ nicht in den Akten und Archiven finden, sondern kann nur aus der Gesamtschau destilliert werden.192 In dieser kaum verklausulierten Art der Vorurteilsgeschichtsschreibung, die vermeintliche ewig-gleiche und nur in Nuancen wandelbare Interessen als letzte Gründe politischen Handelns interpretiert, ist wenig Raum für die Analyse von Neuerungen und Wandlungen. Zu verlockend scheint es, Neues in das interpretatorische Korsett von Altbekanntem und Immergleichem einzupassen. Hier sind bis in die heutige Zeit antirussische Stereoty-

188 Savary an Champagny, 21.10.1807, in SIRIO 83, 1893, Nr. 49, 141–146, hier 143 f. Zur Sozialstruktur des Adels siehe Jan Kusber, Zwischen Europa und Asien. Russische Eliten des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach der eigenen Identität, in: Conermann, Stephan (Hrsg.), Geschicht(en), Mythen, Identitäten. Hamburg 1999, 91–117. 189 Zur Ideengeschichte vgl. Lutz Raphael, „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit“. Bemerkungen zur Bilanz eines DFG-Schwerpunktprogramms in: ders./Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte. München 2006; Günther Lottes, „The State of the Art“ Stand und Perspektiven der „Intellectual History“, in: Kroll, FrankLothar (Hrsg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag. Paderborn u. a. 1996, 27–45; Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory 8, 1969, 3–53. 190 John P. LeDonne, The Grand Strategy of the Russian Empire, 1650–1831. Oxford 2004. 191 Edward Luttwak, Der Anfang vom Ende. Baltimore 1976. 192 John P. LeDonne, Grand Strategy, viii f.

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pe wirksam.193 Diese gehen zurück auf das vermeintliche „Testament“ Peters des Großen, in dem der Zugriff auf Konstantinopel und die Meerengen, sowie der Drang nach den warmen Gewässern als unverrückbare, gleichsam ewige Ziele russischer Politik begründet worden seien.194 Diese Vorurteile sind relativ zählebig und waren Ausdruck eines Wandels, der urprünglich „nordische“ Zuschreibungen bis zum 18. Jahrhundert weiter nach „Osten“ verlagerte, so dass sich Russland-Stereotypen in der Folge durch eine Gemengelage vermeintlich nordischer und orientalischer Aspirationen auszeichneten.195 Noch im Juni 1814 konnte sich der englische Prinzregent sicher sein, verstanden zu werden, wenn er von dem Zaren und seiner Schwester als den „barbarians of the North“ sprach.196 Seit dem Zeitalter der Aufklärung begann sich ein Bild „Osteuropas“ – und damit Russlands – durchzusetzen, in dem der Osten als Negativfolie zum Westen konstruiert war.197 Mit dem 19. Jahrhundert wurden solche Zuschreibungen zusätzlich durch gegenwartsmotivierte historiographische Werke legitimiert.198 Vorherrschend sollte im Westen eine vorurteilsbehaftete Geschichtsschreibung bleiben, die mit ahistorischen Kategorien epochenübergreifend die Politik des russischen Reiches auf wenige Topoi zu reduzieren suchte. Als Leitmotive fungierten hierbei der „Drang nach den warmen Gewässern“, das vermeintliche „Testament“ Peters

193 Siehe zur Genese und Verbreitung dieser Stereotypen Leonid Luks, Dekadenzängste und Russlandfurcht – zwischen Wiener Kongreß und Krimkrieg, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 24, 1995, 15–39; Troy Paddock, Creating an Oriental Feindbild, in: Central European History 39, 2006, 214–243. 194 Dies geht zurück auf das vermeintliche „Testament“ Peters des Großen von 1775, in dem Peter seinen Nachfolgern auf den Weg gegeben habe, so weit wie möglich nach Konstantinopel und Indien vorzustoßen und so zumindest die (teilweise) Beherrschung der Welt vorzubereiten. Vgl. zum „Testament“ und seiner Verbreitung Erwin Oberländer, Zur Wirkungsgeschichte historischer Fälschungen. Das „Testament Peters des Großen“, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 21, 1973, 46–60 sowie Orest Subtelny, Peter I’s Testament. A Reassessment, in: Slavic Review 33, 1974, 663–678 und Albert Resis, Russophobia and the “Testament” of Peter the Great, 1812–1980, in: Slavic Review 44, 1985, 681–693. Die Wirksamkeit dieses Stereotyps zeigt sich darin, dass es v. a. in Überblickswerken nach wie vor transportiert wird. Siehe beispielsweise Werner Markert, Alexanders I Politik der Heiligen Allianz. Eine Untersuchung zur russischen Europapolitik im letzten Jahrzehnt seiner Regierung. Habil.-Schrift. Göttingen 1948, 121 f. Deutlich auch bei Zamoyski, Moscow, das von antirussischen Stereotypen durchdrungen ist. 195 Vgl. Ekkehard Klug, Das „Asiatische Russland“. Über die Entstehung eines europäischen Vorurteils, in: Historische Zeitschrift 245, 1987, 265–289. 196 Vgl. Enno Kraehe, Metternich’s German Policy. Bd. 2. The Congress of Vienna, 1814–1815, Princeton, NJ, 1983, 55. 197 Grundlegend hierzu: Larry Wolff, Inventing Eastern Europe. The map of civilization on the mind of Enlightenment. Stanford, Cal. 1994. 198 Ein Beispiel ist Jean-Pierre Pellion, La Grèce et les Capodistrias pendant l’occupation française de 1828 à 1834. Paris 1855.

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des Großen, das Ausgreifen auf Konstantinopel und die Meerengen oder gar ein byzantinischer Messianismus.199 Während für die napoleonische Zeit Studien zur historischen Konfliktforschung überwiegen,200 wird erst seit wenigen Jahren intensiver über die zeitgenössischen Bemühungen um die Bewahrung des Friedens nachgedacht.201 Dies hängt eng mit der oben beschriebenen Vorherrschaft der (neo-)realistischen Denkschule in den internationalen Beziehungen zusammen.202 Doch gerade die Frage nach Ordnungsentwürfen für das internationale System fällt in das Kerngebiet der historischen Friedensforschung.203

199 Als ein Beispiel von vielen siehe Renouvin, Histoire, Bd. V: Le XIXe siècle. I. De 1815 à 1871. L’Europe des nationalités et l’éveil de nouveaux mondes, Paris 1954, 29–32. Zum Messianismus siehe Hans Kohn, The permanent Mission. An essay on Russia, in: Review of Politics 10, 1948, 267–289. Einen Überblick bei Martin E. Malia, Russia under western eyes. From the Bronze Horseman to the Lenin Mausoleum. Cambridge MA 1999. 200 Jüngst Lieven: Russia against Napoleon. 201 Siehe auch Paul W. Schroeder, Explaining Peace more than War, in: Clemens, Gabriele (Hrsg.), Nation und Europa. Studien zur internationalen Staatenwelt im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Peter Krüger zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2001, 271–284. 202 Vgl. Lothar Gall, Europa auf dem Weg in die Moderne. 1850–1890. München 2009, 158– 160, zur historischen Friedensforschung: Benjamin Ziemann, Historische Friedensforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 2005, 266–281; Andreas Gestrich, Friedensforschung, Historische Anthropologie und neue Kulturgeschichte, in: Eckern, Ulrich/Herwartz-Emden, Leonie/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2004, 99–115; Wolfram Wette, Kann man aus der Geschichte lernen? Historische Friedensforschung, in: Eckern, Ulrich/Herwartz-Emden, Leonie/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2004, 83–97; Benjamin Ziemann, Perspektiven der historischen Friedensforschung, in: Ziemann, Benjamin (Hrsg.), Perspektiven der historischen Friedensforschung. Essen 2002, 13–39; Jost Dülffer, Internationale Geschichte und Historische Friedensforschung, in: Loth/Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte, 247–266; Wolfram Wette, Geschichte und Frieden. Aufgaben historischer Friedensforschung, in: Steinweg, Reiner (Hrsg.), Lehren aus der Geschichte? Historische Friedensforschung. Frankfurt/Main 1990, 14–60; vor allem für die 2. Hälfte des 19. und das 20. Jahrhundert sind die Arbeiten von Jost Dülffer zu nennen. Eine Auswahl in Dülffer, Jost/Frey, Marc (Hrsg.), Frieden stiften. Deeskalations- und Friedenspolitik im 20. Jahrhundert. Köln 2008, Jost Dülffer, Im Zeichen der Gewalt. Frieden und Krieg im 19. und 20. Jahrhundert. Köln u. a. 2003. Zu neueren Anätzen, die auch gender-Aspekte integrieren siehe Davy, Jennifer A./Hagemann, Karen/Kätzel, Ute (Hrsg.), Frieden-Gewalt-Geschlecht. Friedensund Konfliktforschung als Geschlechterforschung. Essen 2005; Egbert Jahn/Sabine Fischer/Astrid Sahm, Die Zukunft des Friedens. Band 2. Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generation. Wiesbaden 2005. 203 Vgl. Ziemann, Friedensforschung, 275.

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1.3. Quellenlage Für die Untersuchung liegt eine Fülle von gedruckten Quellen vor. An erster Stelle ist hier an in sowjetischer Zeit begonnene Edition der Akten des Außenministeriums zu denken, die den Untersuchungszeitraum vollständig abdeckt.204 Überprüfungen an den Archivalien haben gezeigt, dass die Edition gründlich gearbeitet ist. Allerdings fehlen durchgehend die Angaben der Archive, inklusive der Signaturen. Wichtige Dokumente finden sich zum Teil auch nur in einer ins Russische übersetzten Kurzversion.205 Ergänzend wurde die 148 Bände umfassende Reihe „Sbornik Imperatorskogo russkogo istoričeskogo obščestva“ herangezogen.206 Diese unübersichtliche Edition der „kaiserlich russischen historischen Gesellschaft“ hatte bereits im 19. Jahrhundert politische Korrespondenz und andere Archivalien abgedruckt und ist nach wie vor von unschätzbarem Wert, da viele der Archivalien den Verlauf der russisch-sowjetischen Geschichte nicht überlebt haben. Um dem konstruktivistischen Ansatz folgen zu können, sind in erster Linie Ego-Dokumente von Nöten. Der Zar hatte wohl kein Tagebuch geführt und sein Bruder hatte zu Beginn seiner Amtszeit den Nachlass bereinigt und den Flammen überantwortet.207 Das bedeutet nun nicht, dass es einen Mangel an Dokumenten gibt, in denen Alexander Auskunft über sich selbst gegeben hatte. Zum einen sind die Briefe und Billets mit seinen engsten Vertrauten Kočubej, Golicyn, seiner Schwester Katharina und seiner Mutter eine Art Tagebuchersatz, da sie zum überwiegenden Teil sehr unmittelbar und intim gehalten sind. Sie wurden häufig nicht einmal mehr ins Reine geschrieben, sondern sind schnelle Bleistiftskizzen aus der Hand Alexanders.208 Zum anderen gibt es verstreut gedruckte Quellen zu Alexander, wie etwa die Sammlung „Alexandrana“.209 Die beiden älteren Biographien des Großfürsten Nikolaj Michaijlovič und des Biografen Nikolaj Karlovič Šil’der enthalten zudem einige Briefe des Zaren.210

204 Ministerstvo Inostrannych Del SSSR (Hrsg.), Vnešnjaja politika Rossii XIX i načala XX veka. Moskau 1960–1995. 205 Vgl. die editionskritische Besprechung von Patricia Kennedy Grimsted, in: Slavonic and East European Studies 44, 1966, 227–230. 206 Sbornik Imperatorskogo russkogo istoričeskogo obščestva, 127 Bde., St. Petersburg 1868– 1916. 207 Einen Hinweis darauf im Anschreiben einer Sendung an Czartoryski, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 265, 2r. 208 Grand-Duc Nicolas Mikhaïlovitch (Hrsg.), Correspondance de l’empereur Alexandre Ier avec sa sœur la grande-duchesse Catherine, princesse d’Oldenbourg, puis reine de Wurtemberg. 1805–1818. Sankt Petersburg 1910; Nicolas Michailovič, L’impératrice Élisabeth: Épouse d’Alexandre Ier. 3 Bde. Sankt Petersburg 1909. 209 Alexandrana ou bons mots et paroles remarquables d’Alexandre Ier. Paris 1815. 210 Nikolaj Karlovič Šil’der, Imperator Aleksandr Pervyj. Ego žisn’ i carstvovanie. 4 Bde. Sankt Petersburg 1894–1902. Nicolas Michailovič, L’Empereur Alexandre Ier. Essais d’Etude historique. Tome premier Texte et Annexes. Tome second Annexes. St. Petersburg 1912

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Da dem gewählten Ansatz zur Folge die Phase der primären Sozialisation Alexanders von besonderem Interesse ist, kann die Korrespondenz des Zaren mit seinem Erzieher La Harpe benutzt werden.211 Weitere Dokumente zur Erziehung finden sich in einer Sammlung zu La Harpe.212 Weitere Editionen betreffen den Austausch des Zaren mit anderen ihm zeitweise nahestehenden Personen. So gibt es eine Edition des Verkehrs zwischen Alexander und Bernadotte für das Jahr 1812.213 Gerade für die Zeit vor dem Wiener Kongress aufschlußreich ist die Korrespondenz Alexanders mit seinem Außenminister und Jugendfreund Czartoryski.214 Die Korrespondenz mit Napoleon ist bereits im 19. Jahrhundert weitgehend vollständig ediert worden.215 Auf der Ebene der diplomatischen Spitze liegen viele Memoiren und Sammlungen von Quellen vor, die einen tiefen Einblick in das Zustandekommen politischer Entscheidung erlauben und dabei ebenso etwaige Diskussionsprozesse und Widersprüche abbilden. Genannt werden sollen hier nur die unvollständige Edition für den Staatssekretär im Außenministerium, Nesselrode.216 Für Kapodistrias gibt es eine neue Edition seiner autobiographischen Skizze.217 Weitere Memoiren und Sammlungen werden in den einzelnen Kapiteln genannt. Neben diesen gedrucken Quellen stehen die russischen Archive zur Verfügung. Im Staatsarchiv (Gosdarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, GARF) lagert die umfangreiche Sammlung „Aleksandr I“, der die politische und private Korrespondenz des Zaren versammelt.218 Daneben ist die Sammlung von Schriften aus der Bibliothek des Winterpalastes von großer Bedeutung. In ihr finden sich zahlreiche Quellen Alexanders und seines Umfelds.219 Im Russischen Staatsarchiv für alte Akten (Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Drevnich Aktov, RGADA) wurden

211 Biaudet, Jean Charles/Nicod, Francoise (Hrsg.), Correspondance de Frédéric-César de La Harpe et Alexandre Ier. Suivie de la correspondance de F.-C. de La Harpe avec les membres de la famille impériale de Russie. 2 Bde. Neuchâtel 1978–1980. 212 Frédéric-César de La Harpe, Le gouverneur d’un prince. Frédéric César de La Harpe et Alexandre Ier de Russie; d’après les manuscrits inédits de F. C. de La Harpe et les sources russes les plus récente. Lausanne u.a. 1902. 213 Correspondance inédite de l’empereur Alexandre et de Bernadotte pendant l’année 1812. Paris 1909. 214 Czartoryski, Adam, Mémoires du prince Adam Czartoryski et correspondance avec l’Empereur Alexandre Ier. Paris 1887; Czartoryski, Ladislas (Hrsg.), Alexandre Ier et le Prince Czartoryski: Correspondance particulière et conversations 1801–1823, publiées par le Prince Ladislas Czartoryski. Avec une introduction, par Charles de Mazade. Paris 1865. 215 Sergej Tatishchev, Alexandre Ier et Napoléon d’après leur correspondance inédite 1801– 1812. Paris 1893. 216 Nesselrode, A. de (Hrsg.), Lettres et Papiers du Chancelier Comte de Nesselrode 1760–1850. Paris 1904–1912. Für den Austausch mit Pozzo di Borgo siehe Pozzo Di Borgo, Charles Comte (Hrsg.), Correspondance diplomatique du Comte Pozzo di Borgo et du Comte Nesselrode (1814–1818) 2 Bde. Paris 1890. 217 Jean Capodistria, Aperçu de ma carrière publique depuis 1798 jusqu’à 1822. Paris 1999. 218 GARF f. 679. 219 GARF f. 728.

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bislang wenig benutzter Bestand benutzt, der viele Quellen des russischen Außenministeriums enthält und darüber hinaus viele Korrespondenzen von Ministern und Botschaftern.220 Weitere Schriftstücke und Briefe des Zaren finden sich in einem Bestand „Geheime Pakete“.221 Ein weiterer Bestand versammelt Quellen zur Innen- und Außenpolitik, die nicht in den Beständen des Außen- oder Innenministeriums überliefert sind.222 Im Archiv der Außenpolitik des Russischen Reiches (Archiv Vnešnej Politiki Rossijskij Imperii, AVPRI) wurde vor allem die Reihe „Kancelarija“ (Kanzlei) eingesehen, in der die im Ministerium eingegangene Korrespondenz lagert, sowie die Archive der Botschaften.223 2. METHODISCHES VORGEHEN. DAS KONZEPT DER „ERFAHRUNG“ 2.1. Erlebnis Mit der Übertragung des Paradigmas der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit auf das Feld der internationalen Beziehungen findet sich ein wichtiger Anknüpfungspunkt, die Debatte um die Wirkweisen von Normen zu erweitern, indem nach ihrer Entstehung und Verfestigung gefragt werden kann. Hierzu bietet sich insbesondere der Zugang eines wissenssoziologisch fundierten Erfahrungsbegriffs an. Seit den 80er Jahren wird der Begriff der „Erfahrung“ zunehmend in der historischen Analyse verwendet.224 Mit einem vielzitierten Diktum von Hans-Georg Gadamer handelt es sich dabei um einen der schillerndsten und „ungeklärtesten Begriffe“ in den Geisteswissenschaften.225 Schon 1988 hatte Reinhart Koselleck die Geschichtswissenschaft methodisch als „Erfahrungswissenschaft [...], die Erfahrung und Erkenntnis aufeinander verweist“226, bestimmt, wobei der Erfahrungsbegriff bei ihm sehr umfassend definiert wurde als „gegenwärtige Vergangenheit, deren Ereignisse einverleibt worden sind und erinnert werden können. Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen. Ferner ist in der je eigenen Erfahrung, durch Generationen oder Institu-

220 221 222 223 224

RGADA f. 15, Diplomatičeskij otdel‘. RGADA f. 1, Sekretnye Pakety RGADA f. 3. AVPRI, f. 133. Ein erster Meilenstein war der Sammelband von Vondung, Klaus (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen. Göttingen 1980. 225 Gadamer, Wahrheit und Methode 1990, 352. 226 Reinhart Koselleck, Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze (1988), in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik. Mit einem Beitrag von Hans-Georg Gadamer. Frankfurt/Main 2000, 27–77, hier 30.

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tionen vermittelt, immer fremde Erfahrung enthalten und aufgehoben.“227 Diese Definition ist freilich zu weit, um sie operationalisierbar zu machen, daher bedarf sie noch einiger Präzisierung. Vor allem in der Alltagsgeschichte ist der Begriff der Erfahrung benutzt worden, wobei Fragen nach den Strukturen von Deutungen und Wahrnehmungen im Mittelpunkt standen. Geprägt wurde der Begriff „Erfahrungsgeschichte“ im Wesentlichen von Lutz Niethammer.228 Insbesondere hat sich Reinhart Koselleck darum verdient gemacht, den Bogen vom Individuum zum „sozialen Bewusstsein“ zu spannen.229 Koselleck greift damit – wenn auch nicht explizit – auf Paul Fussel zurück, der schon 1980 den Begriff des „kulturellen Paradigmas“ einführte. Unter einem solchen Paradigma versteht Fussel „Konventions- oder Erwartungssysteme“, die darüber bestimmen, was von den historischen Phänomenen in die Erfahrung des Individuums eindringt.230 Somit wird es nötig, systematisch zwischen Erlebnissen und Erfahrungen zu unterscheiden. Dabei sind Erfahrungen „gelungene Auslegungen oder Interpretationen von aktiven und passiven Erlebnissen“231. Erfahrungen sind also immer Erfahrungen von etwas. Damit unterscheiden sie sich kategorial von Erlebnissen, bei denen eine solche Trennung nicht möglich ist – das Erlebnis ist immer bereits das, was erlebt ist. Erfahrungen stehen demnach nicht für sich, sondern haben durchaus einen praxeologischen Bezug.232 In diesem Sinne scheint der Erfahrungsbegriff ein Schlüssel für die Nahperspektive des Individuums zu sein. Der Ort der Erfahrung bleibt das Individuum. Doch geht der Erfahrungsbegriff darüber hinaus. Gerade im Anschluss an eine

227 Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei historische Kategorien, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/Main 1979, 349–375. 228 Lutz Niethammer, Fragen–Antworten–Fragen. Methodische Erfahrungen und Erwägungen zur Oral History, in: Ders./Plato, Alexander von (Hrsg.), „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Band 3. Berlin/Bonn 1985, 392–445. Für einen Überblick Karin Hartewig, Wer sich in Gefahr begibt, kommt [nicht] darin um, sondern macht eine Erfahrung! Erfahrungsgeschichte als Beitrag zu einer historischen Sozialwissenschaft der Interpretation, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, 110–124. 229 Reinhart Koselleck, Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in: Wette, Wolfram (Hrsg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. München/Zürich 1992, 326. 230 Paul Fussel, Der Einfluß kultureller Paradigmen auf die literarische Wiedergabe traumatischer Erfahrung, in: Vondung (Hrsg.), Kriegserlebnis, 175–187, hier 175 f. 231 Klaus Latzel, Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56, 1997, 1–30, hier 14. 232 Ebd, 16.

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phänomenologisch orientierte Soziologie ist der Begriff in der Lage, Individuum und Struktur miteinander zu verbinden.233 In jüngster Zeit hat der Erfahrungsbegriff in der Geschichtswissenschaft eine gewisse Konjunktur. So hat der Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrung“an einem Erfahrungskonzept gearbeitet, ebenso hat die Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit 1999 eine Tagung in Essen zum Thema veranstaltet, deren Akten die methodischen Fortschritte reflektieren.234 Der angewandte Erfahrungsbegriff zeichnet sich durch drei Dimensionen aus: er ist konstruktivistisch orientiert, das heißt, ihm liegt ein Verständnis von Wirklichkeit als Kommunikationsprozess zugrunde. Zweitens hat Erfahrung eine zeitliche Struktur und muss somit selbst als Prozess analysiert werden. Drittens bleibt Erfahrung nicht im Inneren eines Individuums verhaftet, sondern hat eine praxeologische Dimension. Den vorangestellten Ansätzen ist dabei eines gemein: Sie beziehen sich auf die Verarbeitung von Erlebnissen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten. Eine Übertragung beziehungsweise Adaption des Konzeptes auf das Feld der Internationalen Beziehungen ist bislang allerdings ausgeblieben. Dabei bieten sich mannigfache Anknüpfungspunkte: Wie werden Erlebnisse zu Erfahrungen, und wie verdichten diese sich zu Wissen, das dann handlungsleitend wird? Damit sind Fragen benannt, die sich auch auf der Ebene internationaler Beziehungen stellen. Somit bietet sich der Erfahrungsbegriff geradezu idealtypisch an, Politik- und Kulturgeschichte miteinander zu verbinden.235 Grundlegend für die Diskussionen um den Erfahrungsbegriff sind die Werke von Alfred Schütz sowie die daran anknüpfenden Überlegungen seines Schülers Thomas Luckmann, der das Konzept um eine anthropologische Dimension im Anschluss an Gehlen und Plessner erweitert hat. Da im Folgenden die These vertreten wird, dass Erfahrung und Handeln kategorial nicht voneinander zu trennen sind, soll zunächst die Handlungstheorie Alfred Schütz’ rekonstruiert werden, ehe der Erfahrungsbegriff definiert wird. Schließlich wird dieser spezifiziert als „religiöse Erfahrung“, was die Verknüpfung mit dem Handeln Zar Alexanders ermöglicht.

233 Dazu: Berger/Luckmann, Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit; Thomas Luckmann, Lebensweltliche Zeitkategorien, Zeitstrukturen des Alltags und der Ort des „historischen Bewußtseins“, in: Jauß, Hans Robert (Hrsg.), Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd. XI/1. Heidelberg 1986, 11–26; Knoblauch, Hubert, Die Soziologie der religiösen Erfahrung, in: Ricken, Friedo (Hrsg.), Religiöse Erfahrung. Ein interdisziplinärer Klärungsversuch. Stuttgart 2004, 69–80, hier 69. 234 Münch, Paul (Hrsg.), „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001. 235 Das ist bislang noch nicht geschehen. Auch Rödder, Kleider weist auf diese Möglichkeiten in der Diskussion neuerer Ansätze nicht hin.

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2.2. Handeln und Wissen bei Alfred Schütz Für die historische Analyse ist der von Alfred Schütz verfolgte Ansatz schon deshalb interessant, weil er einer radikal konstruktivistischen Grundannahme folgend den Ursprung aller Realität als subjektiv klassifiziert.236 Das bedeutet freilich nicht, dass es außerhalb der Wahrnehmung keine Wirklichkeit gibt, sondern besagt, dass diese Wirklichkeit erst dann Bedeutung gewinnt, wenn sie wahrgenommen wird.237 Die Art, in der sich ein Akteur der Wirklichkeit zuwendet, kann unterschiedlich sein, so dass Erfahrungen die wahrgenommene Wirklichkeit prägen. Schütz spricht hier von „mannigfachen Wirklichkeiten“, von verschiedenen „Sinnprovinzen“.238 Diese Wirklichkeiten zeigen sich vor allem in der Abgrenzung der Alltagswelt von anderen Sinnprovinzen, wie etwa das Aufwachen aus einer Traumwelt.239 Der Zusammenhang zwischen Handeln und Wissen ist nur vor dem Hintergrund einer phänomenologischen Soziologie zu verstehen. Alfred Schütz geht vom Weberschen Begriff des Handelns als Aufladung eines Verhaltens mit einem subjektiven Sinn aus.240 Diesen Handlungsbegriff präzisiert er weiter. Ein Erlebnis wird dann zum Verhalten, wenn ein interpretierender Akt hinzukommt, es wird in der Rückschau mit Sinn versehen und ist damit auf die Vergangenheit gerichtet.241 Ein Verhalten wird dann zum Handeln, wenn die Ausführung an einem zuvor gefassten Entwurf, an einem Plan orientiert ist.242 Handeln ist somit „ein[] ablaufende[r] Prozeß menschlichen Verhaltens, der vom Handelnden vorgezeichnet wurde […], der auf einem vorgefaßten Entwurf beruht.“243 Der Plan oder Entwurf, der den Akteur leitet, besteht in einer Vorannahme über einen zukünftigen Zustand, der durch sein Verhalten herbeigeführt werden soll. Dieser antizipierte Zustand, das Ziel, kontrolliert den Verlauf des Verhaltens und markiert damit auch die Grenzen des Handelns. Mit dem Entwurf wird so der Rahmen gesteckt, innerhalb dessen verschiedene Verhaltensformen zu einer Handlung gebündelt werden. Ergebnisse von Verhalten zählen nur dann und insoweit zur Handlung, als sie mit dem Ziel der Handlung übereinstimmen.

236 Grundlegend zum Handlungsbegriff Alfred Schütz, Das Wählen zwischen Handlungsentwürfen, in: ders.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, 77–110. 237 Schütz/Luckmann, Strukturen der Lebenswelt 1988, 48. Vgl. auch Hacking, Soziale Konstruktion, 47. 238 Schütz, Alfred, Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 1. Das Problem der sozialen Wirklichkeit. Den Haag 1971, 237–298. 239 Vgl. Schütz/Luckmann, Strukturen der Lebenswelt 2003, 55 f. 240 Vgl. zum Folgenden grundlegend Schneider, Wolfgang Ludwig, Grundlagen der soziologischen Theorie. Bd. 1. Wiesbaden 2002, 234–289. 241 Schütz/Luckmann: Strukturen der Lebenswelt 2003, 44 f. 242 Vgl. Alfred Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Wien 21960, 58 ff. Zum „Entwurf“ auch Alfred Schütz, Tiresias oder unser Wissen von zukünftigen Ereignissen, in: ders.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, 259–278, hier 272 f. 243 Schütz, Wählen, 77.

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Auch die Ebene des Handlungsentwurfes unterliegt dabei einer prinzipiellen Wandelbarkeit. Durch Wiederholungen und ähnlich ablaufende Erfahrungen können auch komplexe Handlungsabläufe so verdichtet werden, dass sie als eine Einheit erscheinen, was bedeutet, dass der handlungsleitende Entwurf dem Akteur nicht permanent bewusst sein muss. Nach dem Entschluss zum Handeln können auch große Teile des Handelns automatisiert ablaufen. Verhalten wird dann zum Handeln, wenn es als Folge eines vorausgegangenen Entwurfes verstanden und erklärt werden kann. Dieses Schema lässt sich weiter abstrahieren: So können verschiedene Handlungen durch einen Plan verbunden und so zu einer höherstufigen Handlung werden. Die Teilhandlungen bekommen dadurch einen instrumentellen Charakter. Auch höherstufige Handlungen können ihrerseits wieder in höhere Pläne eingebunden sein. Der Sinn von Handlungen variiert dabei, je nach Einbettung in einen weiter ausgreifenden Plan. Diese Veränderlichkeit einer Handlung in der Folge ihres sachlichen Zusammenhangs stellt eine von drei Dimension dar, in denen sich der Sinn von Handlungen verändern kann. Hinzu kommen noch die Zeit- und die Sozialdimension. Grundlegend in der Zeitdimension ist für Schütz die Differenz zwischen Antizipation und Rückblick. Der im ursprünglichen Entwurf gelegene Sinn kann sich im Rückblick verändern, wenn deutlich wird, was tatsächlich ausgeführt wurde. Prinzipiell ist die Anzahl der Reflexionsmöglichkeiten, die genutzt werden können, um der vergangenen Handlung Sinn zuzuschreiben, dabei unbegrenzt.244 Der Sinn einer Handlung ist somit wandelbar, und der Entwurf enthält nicht mehr als den „primäre[n] und fundamentale[n] Sinn des Handelns“245. Da sich mit dem Ablauf des Verhaltens auch die Perspektive des Akteurs ändert, treten Unterschiede zwischen Plan und Ergebnis in das Blickfeld des Akteurs. Zwei markante Momente im Prozess des sinnhaft Machens von Verhalten sind demnach der Punkt des Entwurfes und der Punkt, an dem die Handlung abgeschlossen ist. Die Sinndeutungen des Akteurs können sich an diesen beiden Punkten unterscheiden. Analog zur Bündelung verschiedener Entwürfe und Handlungen zu einer höheren Handlung kann wiederum jede Handlung in Teilhandlungen zerlegt werden. Diese Ausdifferenzierung erlaubt es, auch während einer Handlung den ihr unterlegten Sinn zu modifizieren, indem auch einzelne Teilhandlungen nach ihrem jeweiligen Vollzug reflektiert werden. In seiner Definition des Motivs einer Handlung geht Schütz damit weit über Max Weber hinaus, der das Motiv als einen Sinnzusammenhang definiert, „welcher dem Handelnden selbst oder dem Beobachtenden als sinnhafter ‚Grund‘ seines Verhaltens erscheint“.246 Diese Definition berücksichtigt den für Schütz zent-

244 Alfred Schütz, Die Soziale Welt und die Theorie der sozialen Handlung, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Bd. 2. Studien zur soziologischen Theorie. Den Haag 1972, 3–21, hier 12. 245 Ebd. 246 Max Weber, Wirtschaft, 5.

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ralen Unterschied zwischen Akteur und Beobachter ebenso wenig wie den Unterschied in der Zeitdimension einer Handlung. Schütz unterscheidet zwei Arten von Motiven: die „um-zu“-Motive und die „weil“-Motive.247 Erstere konstituieren den Entwurf und letztere bezeichnen die Gründe für die Entstehung des Entwurfes. Das „um-zu“-Motiv konstituiert den Sinn des Handelns aus der Perspektive des Akteurs im Vollzug der Handlung. Während der Ausführung ist damit der Sinn für den Handelnden unmittelbar gegeben. Die Rekonstruktion eines „um-zu“Motives durch einen Beobachter ist daher nur möglich, wenn er den Akteur fragt, welchen Sinn er seinen Handlungen gebe.248 „Weil“-Motive stehen demgegenüber außerhalb der Handlung, deren Entwurf sie determiniert haben. Um sie zu rekonstruieren, muss sich der Akteur selbst in eine Beobachterperspektive bringen und sich fragen, welche Gründe ihn in der Vergangenheit zum Handeln veranlasst haben. Damit hat er keinen privilegierten Zugang zu seiner Vergangenheit. Letzten Endes speist sich das System aller „weil“-Motive aus der Persönlichkeit des Akteurs, aus seiner Biographie. Dem entgegen besteht das System der „um-zu“-Motive aus seinem Lebensentwurf beziehungsweise aus den verschiedenen Entwürfen der unterschiedlichen Aspekte seines Lebens. 2.3. Intersubjektivität Die Veränderbarkeit des Sinns ist in der Sozialdimension am ausgeprägtesten. Hierbei steht die Unterscheidung der Perspektiven von Ego (Akteur) und Alter (Beobachter) im Vordergrund. Dabei kommt es weniger darauf an, ob der Beobachter ein direkter Interaktionspartner des Akteurs ist oder ob es sich um einen wissenschaftlichen Beobachter handelt. Da jedes Handeln ein Teilelement von höheren Plänen sein kann und zudem antizipierte Zustände zum Ziel hat, die für weiteres Handeln des Akteurs relevant sind, kann der vollständige subjektive Sinn einer Handlung nur dann erfasst werden, wenn man das gesamte Erleben und Handeln eines Akteurs in seinem Sinnzusammenhang kennt. Der „subjektiv gemeinte Sinn“ markiert dabei den Grenzwert des Verstehens. Ein Beobachter kann nie den gesamten Sinnzusammenhang aller Handlungen des Beobachteten überblicken. Daher ist der subjektiv gemeinte Sinn immer nur in Annäherung, nie jedoch vollständig zu erreichen.249 Um ihr Handeln wechselseitig zu verstehen, müssen Akteure die Situation des Handelns übereinstimmend definieren. Vollständig kann diese Übereinstimmung jedoch nie hergestellt werden, da das Erleben an die jeweilige Lage, an die jeweils spezifisch biographische Tradition des Akteurs gebunden ist. Diese Differenz ist

247 Vgl. Schütz, Aufbau, 93–105; ders., Soziale Welt, 12–14 sowie ders., Wählen, 80–83. 248 Vgl. ders., Wählen, 82. 249 Alfred Schütz/Talcott Parsons, Zur Theorie des sozialen Handelns. Ein Briefwechsel. Hrsg. und eingeleitet von Walter M. Sprondel. Frankfurt/Main 1977, 30.

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nicht hintergehbar, sie kann aber mittels der „Generalthese der Reziprozität der Perspektiven“ umgangen werden.250 Diese Generalthese besteht aus zwei miteinander verbundenen Idealisierungen: der Idealisierung der Standpunkte und der Idealisierung der Relevanzsysteme. Die Idealisierung der Standpunkte bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass zwei Akteure die gleichen Erfahrungen machen würden, wenn sie ihre Standpunkte austauschen würden.251 Die soziale Dimension wird dann deutlich, wenn Ereignisse beschrieben werden, die einer der Teilnehmer nicht wahrgenommen hat, etwa bei Berichten über ein Ereignis. Nur wenn angenommen wird, dass man dasselbe gesehen haben würde, wenn man anwesend gewesen wäre, kann die Mitteilung in akkumuliertes Wissen einfließen. Die zweite Unterstellung muss folglich sein, dass der Berichtende die relevanten Elemente für seine Darstellung ausgewählt hat und somit eine Kongruenz der Relevanzsysteme unterstellt werden kann. Ihren Ursprung hat diese Idealisierung darin, dass sich jeder Handelnde in jedem Moment in einer einzigartigen biographischen Situation befindet. Dennoch wird üblicherweise angenommen, dass die Unterschiede, die aus den unterschiedlichen Relevanzsystemen stammen, für den momentan verfolgten Zweck unbeachtet bleiben können. Es wird vielmehr unterstellt, dass die Interaktionspartner die Gegenstände, Gegebenheiten und Ereignisse in einer Weise als identisch deuten, die für praktische Zwecke ausreichend ist.252 Diese Generalthese dient dazu, die nicht aufhebbare Differenz der Perspektiven durch Unterstellung zu neutralisieren, und zwar so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist. Durch die Generalthese wird somit die Position von „jedermann“ bestimmt.253 Für das Aufnehmen einer Interaktionsbeziehung genügt die Unterstellung einer hinreichenden Kongruenz der Relevanzsysteme. Hierbei können drei Typen der Relevanz unterschieden werden:254 Thematische Relevanzen bestimmen erstens, welche Aspekte der Wirklichkeit ausgewählt werden und damit Aufmerksamkeit erfahren. Hier werden Thema und Problem definiert. Sobald ein Gegenstand zum Thema und Problem geworden ist, bedarf es zweitens näherer Untersuchung. Das geschieht mit Hilfe von typischen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Aus diesen Erfahrungen werden dann die Typisierungen ausgewählt, die zur Interpretation des Gegenstandes als geeignet erscheinen. Dieser Schritt bezeichnet die Auslegungsrelevanz.255 Die motivationa-

250 Vgl. zum Folgenden: Alfred Schütz: Wissenschaftliche Interpretationen und Alltagsverständnis menschlichen Handelns, in: ders.: Gesammelte Aufsätze Bd. 1, 3–54, hier 12–14. und ders, Symbol, Wirklichkeit und Gesellschaft, in: ebd, 311–411, hier 364 f. 251 Alfred Schütz, Don Quixote und das Problem der Realität, in: ders.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, 102–128, hier 111. 252 Ebd. 253 Schütz/Luckmann. Konstruktion 2003, 45 f. 254 Vgl. Alfred Schütz, Das Problem der Relevanz, in: ders.: Gesammelte Aufsätze Bd. 1, 44– 111. 255 Vgl. ebd, 67–69.

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len Relevanzen betreffen drittens die Bildung von Handlungsentwürfen, die sich auf den thematisierten und typisierten Ausschnitt der Wirklichkeit beziehen. Die soziale Welt gliedert sich bei Schütz anhand der Art, wie fremdes Erleben und Handeln aus der Perspektive des Akteurs zugänglich ist. Dabei unterscheidet er zwischen einer unmittelbaren sozialen Umwelt, in der andere Akteure anwesend sind und somit direkt ansprechbar; einer Mitwelt, in der die anderen Akteure medial prinzipiell erreichbar sind, wenn sie auch zur Zeit nicht an einem Ort mit dem Akteur sind; einer Vorwelt, zu der alle Akteure gehören, die vor dem Akteur gelebt haben. Eine wirkliche soziale Beziehung ist in dieser Vorwelt nicht möglich.256 2.4. Erfahrung Der Begriff der Erfahrung bezeichnet zunächst unterschiedliche Verlaufsformen und Techniken, mit denen ein Akteur sich Wirklichkeit aneignet. Zweifellos ist der Begriff der Erfahrung schillernd und bislang fern davon, eindeutig definiert zu sein.257 Häufig werden Wahrnehmungen und Anschauungen mit ihm gleichgesetzt. Beide Begriffe sind zwar wichtige Bestandteile in einem wissenssoziologisch fundierten Erfahrungskonzept, sind aber nicht gleichbedeutend.258 Ein so verstandener Erfahrungsbegriff hat zwei Dimensionen: eine akteursbezogene und eine gesellschaftliche. Unter der gesellschaftlichen Dimension sind etwa Sprache oder Institutionen zu verstehen, die die Rahmenbedingungen schaffen, welche einer subjektiv erfahrenen Wirklichkeit vorgelagert sind. Die sozial konstruierte Wirklichkeit wird über Erfahrung reproduziert und modifiziert. Erfahrungen sind also kontextabhängig und situationsgebunden. Sie sind sozial vermittelt und sprachlich strukturiert. Eine entscheidende Rolle spielen dabei staatliche und gesellschaftliche Institutionen, die als sedimentierte Erfahrungen individuelle und kollektive Wahrnehmungen filtern und damit neue Erfahrungen zu einem gewissen Grad mitbestimmen. Verbunden werden die beiden Ebenen mittels Kommunikation. Wirklichkeit vollzieht sich im intersubjektiven Austausch.259 Obwohl der Akteur sich immer in einer einmaligen biographischen Situation befindet, liegen seiner Verarbeitung des Erlebten immer vergesellschaftete Deutungskategorien zugrunde, die auf Sprache basieren. Sprache bildet insofern den Rahmen der Erfahrung, als sie den

256 Vgl. Schütz/Luckmann, Konstruktion 2003, 133–139. 257 Vgl. Jutta Nowosadtko, Erfahrung als Methode und Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Begriff der Erfahrung in der Soziologie, in: Buschmann/Carl: Erfahrung des Krieges, 27–50. 258 Vgl Ute Planert, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur. Erfahrungsgeschichte an der Schwelle zum nationalen Zeitalter, 51–66, hier 53. 259 Vgl. Berger/Luckmann, Gesellschaftliche Konstruktion, 60.

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semantischen Apparat vorgibt, mit dem Erlebnisse überhaupt erst erfasst werden können.260 Somit ist also auch das Erlebnis nicht unmittelbar, sondern immer schon in einem Rahmen gebunden, der kulturell vorgegeben und sprachlich verfasst ist. Erfahrung ist daher nicht nur eine Reflexionsleistung eines Individuums, im gleichen Maße wirken hier vielmehr Sedimente kollektiven Wissens, die dem individuellen Erleben als soziale Objektivationen vorgelagert sind.261 Ein solcher Erfahrungsbegriff ist offen auch für Deutungen außerhalb von Krisensituationen, deckt sie aber gleichwohl ab.262 Ein weiteres wichtiges Element dieses Erfahrungsbegriffs ist die Dimension der Zeitlichkeit, die Erfahrungen strukturiert. Ereignisbezogene Erinnerungen und die antizipierte Zukunft erlauben es, gegenwärtige Erfahrungen in einen weiteren Erfahrungszusammenhang einzuordnen.263 2.5. Wissen Wissen ist bei Schütz die Sedimentierung ehemals aktueller Erfahrungen. Es wirkt typisierend, nach Relevanzen strukturierend, ist intentional auf etwas gerichtet und stets intersubjektiv. Obwohl der Ursprung allen Wissens bei Schütz in der Lebenswelt verortet ist, die allen Menschen fraglos gegeben ist,264 bleibt der Schritt zur Erklärung der Intersubjektivität darüber hinaus noch erklärungsbedürftig. Peter L. Berger und Thomas Luckmann haben an diesen Wissensbegriff angeknüpft und den sozialphänomenologischen Zugang erweitert. Der in ihrem 1966 erschienenen Klassiker „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ dargelegte Begriff von Wissen gilt heute vielfach als Bezugspunkt in der Diskussion.265 Ihre Prämisse ist, dass alles Wissen sozial konstruiert sei. Aus der dialektischen Interaktion von Entäußerung, Vergegenständlichung und Verinnerlichung – oder in den Worten Luckmanns: Externalisierung, Objektivation und Internalisierung – entstehe die gesellschaftliche Wirklichkeit. Derselbe dialektische Pro-

260 Vgl. Ebd, 72. 261 Vgl. Buschmann/Carl, Zugänge, 22. 262 Niklas Luhmann definiert Erfahrung als „laufende Rekonstruktion der sinnhaft konstituierten Wirklichkeit durch Aufarbeiten von Enttäuschungen“ (Niklas Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: Habermas, Jürgen/Luhmann, Niklas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/Main 101990, 25–100, hier 42) – ein solcher Begriff übersieht, dass sich Erfahrungen auch nahtlos in den immer vorhandenen Wissensvorrat der Lebenswelt eingliedern kann. 263 Vgl. Thomas Luckmann, Lebensweltliche Zeitkategorien, Zeitstrukturen des Alltags und der Ort des historischen Bewußtseins, in: Cerquiglini, Bernhard/Gumbrecht, Hans Ulrich (Hrsg.), Der Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Wissenschaftsgeschichte als Innovationsvorgabe. Frankfurt/Main 1983, 13–28, hier 19. 264 Vgl. Schütz, Tiresias 264. 265 Vgl. Sabine Maasen, Wissenssoziologie. Bielefeld 1999, 26 f.

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zess gilt für die Konstruktion von Wissen. Dieses Wissen lässt sich in verschiedene Kategorien gliedern. Das lebensweltliche Wissen ist fraglos gegeben. Erfahrungen fügen sich nahtlos ein. Der lebensweltliche Wissensvorrat ist somit kein Wissen im eigentlichen Sinne – es kann nie problematisiert werden und durch keine lebensweltliche Erfahrung widerlegt werden –, es ist vielmehr die Voraussetzung für Wissen, nicht zuletzt, weil er in erster Linie nicht aus eigenen Erfahrungen gebildet wird, sondern sein größter Teil sozial abgeleitet ist.266 Das „eigentliche“, das explizite Wissen wird in konkreten Situationen erfahren. Es muss nicht zwingend problematisch sein, also mit dem bisherigen Wissensvorrat nicht übereinstimmen, aber es bedarf immer einer Deutung, ehe Erfahrung in den Wissensvorrat übernommen wird. Wissen ist damit die (mehr oder weniger) bewusste Sedimentierung von Erfahrung. Damit ist der lebensweltliche Wissensvorrat kein Ergebnis rationaler Denkvorgänge, sondern das Ergebnis der Ablagerungsprozesse von Erfahrungen. So können auch widersprüchliche Wissenselemente nebeneinander existieren. 2.6. Religiöse Erfahrung – Erfahrung und Religion Erfahrungen sind gedeutete Erlebnisse – mit Sinn versehene Erlebnisse. Im Anschluss an Peter Berger und Thomas Luckmann lässt sich in einem zweiten Schritt danach fragen, welche Instanzen oder „Deutungsspezialisten“ besonders geeignet sind, Sinn zu stiften. An erster Stelle drängen sich die Institutionen Religion und Kirche auf, deren Deutungsmuster grundsätzlich darauf ausgerichtet sind, Kontingenzerfahrungen in einen transzendierenden Sinnzusammenhang zu integrieren.267 Der Begriff der ‚religiösen Erfahrung‘ oder der ‚Transzendenzerfahrung‘268 kann ebenso bedeuten, dass hiermit Erfahrungen von Religion gemacht werden, dass Religion zum Erfahrungsraum wird.269 Um eine ethnozentrische Schlagseite bei der Untersuchung von Religion als „Erfahrung“ zu vermeiden, schlägt Hubert Knoblauch vor, lieber von Transzendenzerfahrungen zu sprechen.270 Da jede Er266 Vgl. Schütz/Luckmann, Strukturen 2003, 149–153 und Schütz, Tiresias, 264 f. 267 Vgl. auch den Sammelband Asche, Matthias/Schindling, Anton (Hrsg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrung und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Münster 22002. 268 Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion. Frankfurt/Main 21991; vgl. auch einführend ders., Neuere Schriften zur Religionssoziologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 12, 1960, 315–326. 269 Vgl. Rudolf Schlögl, Einleitung. Von der gesellschaftlichen Dimension religiösen Erlebens, in: Münch, Paul (Hrsg.), „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001, 271–280. 270 Hubert Knoblauch, Transzendenzerfahrung und symbolische Kommunikation. Die phänomenologisch orientierte Soziologie und die kommunikative Konstruktion der Religion, in: Tyrell, Hartmann/Krech, Volkhard/Knoblauch, Hubert (Hrsg.), Religion als Kommunikation. Würzburg 1998, 147–186.

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fahrung in der Terminologie von Schütz schon mit Transzendenzen umgeht, wird im Folgenden von „religiöser Erfahrung“ gesprochen, wenn es um die Erfahrung von Transzendenzen geht. Religion ist hier verstanden als ein allgemein zugängliches Bezugsfeld von symbolischen, metaphorischen, gleichnishaften und allegorischen Logiken und Praktiken.271 Sie ist mithin ein kommunikatives Konstrukt und beschreibt einen sehr fragilen Erfahrungsraum, da er eben nicht sinnlich Wahrnehmbares zum Inhalt hat.272 Gewissheit über religiöses Erleben kann einzig in sozialer Kommunikation hergestellt werden. Im Zusammenhang der Erfahrung kann Religion als Symbolsystem verstanden werden, das starke und dauerhafte Stimmungen und Motivationen erzeugt, die den Rang von Wirklichkeit erlangen können.273 An die Phänomenologie von Edmund Husserl, Alfred Schütz und Thomas Luckmann angelehnt, kann Erfahrung beschrieben werden als ein elementarer Prozess des Bewusstseins. Erfahrungen sind stets auf etwas bezogen. Aus dem Auf-etwas-bezogen-sein bestimmt sich ihre Einheit. Diese erklärt sich nicht – wenigstens nicht nur – aus dem, was erfahren wird, also aus den Erlebnissen. Vielmehr ist sie ein Produkt des Bewusstseins selbst: Typisierungen, Erzeugen einer Horizontstruktur, appräsentative Ergänzungen.274 So ist das Bewusstsein an der Schaffung der Welt beteiligt. Erfahrung ist kein passives Erleiden der Welt. Das zeigt sich vor allem an der Rolle des Handelns. Handeln lässt sich, wie oben gezeigt, nicht kategorisch vom Erfahren trennen. Vielmehr stellt Handeln eine besondere Form des Erfahrens dar. Handeln unterscheidet sich allerdings durch eine besondere Zeitstruktur von anderen Formen des Erfahrens: Es enthält einen „Vorentwurf des zukünftigen Erfahrens“ und ist damit intentional und auf die Zukunft gerichtet.

271 Vgl. Hartmann Tyrell/Volker Krech/Hubert Knoblauch, Religiöse Kommunikation. Einleitende Bemerkungen zu einem religionssoziologischen Forschungsprogramm, in: dies. (Hrsg.), Religion, 7–29, hier 10–17. 272 Das ist die Grundthese bei Luckmann, unsichtbare Religion und ders., Religion in der modernen Gesellschaft, in: ders., Lebenswelt und Gesellschaft. Grundstrukturen und geschichtliche Wandlungen. Paderborn u. a. 1980, 173–189, hier 175–178. Damit wendet sich Luckmann gegen eine Tradition der Religionssoziologie, die im Anschluss an William James und Max Weber annimmt, dass religiöse Erlebnisse prinzipiell inkommunikabel seien und dort, wo sie kommuniziert werden, diese Kommunikation zur Entfremdung des Erlebten führe. Vgl. dazu William James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. NDr. Olten 1979 [11902]. Diese Form des Verständnisses von Religion führte dazu, dass Max Weber sich einer Definition von Religion verweigert hat. Max Weber, Religionssoziologie, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft. Neu Isenburg 2005, 317. 273 Vgl. Clifford Geertz, Religion als kulturelles System, in: ders, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/Main 1987, 44–95, hier 48. 274 Appräsentation ist hier im husserlschen Sinne der Paarung gemeint, nach dem zwei oder mehr Daten intuitiv in der Einheit des Bewusstseins gegeben sind. Somit werden zwei an sich getrennte Phänomene als Einheit gedacht. Vgl. Alfred Schütz, Symbol, Wirklichkeit und Gesellschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze Bd. 1, 331–411, hier 364.

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Im Rahmen einer phänomenologisch orientierten Religionssoziologie ist Transzendenz kein Bereich, der über das menschliche Erfahren hinausgeht. Transzendenz ist vielmehr ein notwendiger Bestandteil der menschlichen Erfahrung selbst und beruht darauf, dass Erfahrungen immer Erfahrungen von etwas sind. Erfahrung zeichnet sich dadurch aus, dass das Erfahren auf etwas Erfahrenes bezogen ist, das nicht mit dem zeitlichen Vorgang des Erfahrens identisch ist.275 So transzendiert das vom Bewusstsein konstituierte Erfahrene den Vorgang des Erfahrens. Transzendenz bezeichnet mit Jacques Derrida eine in der Struktur des menschlichen Bewusstseins angelegte „Metaphysik der Präsenz“276: Etwas erscheint als unmittelbar gegeben, dass tatsächlich aber erst durch Eigenleistung des Bewusstseins konstituiert wird.277 Das kann in dem hier vorgeschlagenen Entwurf zum Ausgang verschiedener Ebenen von Transzendenz genommen werden. „Kleine Transzendenzen“ werden erfahren, wenn der Akteur im Erfahren und Handeln mit zeitlich und räumlich nicht unmittelbar Erfahrbarem konfrontiert wird (Erinnerungen, Zukunftspläne, Ziele, die nur durch technische Mittel erreichbar sind…). „Mittlere Transzendenzen“ beschreiben den Umgang mit Akteuren, denen man eine Intentionalität zuschreibt. Letzten Endes bleibt die Zuschreibung von Intentionalität eine Vermutung. Letzte Gewissheit über die Absichten des Interaktionspartners wird man nie erreichen können. Der Unterschied zwischen den beiden Transzendenzebenen ist rein pragmatisch: Kleine Transzendenzen können prinzipiell selbst überwunden werden, etwa durch das Bewegen zur Ursache, Warten oder andere Tätigkeiten. Allerdings gilt es zu beachten, dass uns die Bewusstseinsvorgänge der Anderen nie auf die gleiche Art zugänglich sind wie unsere eigenen. Sie sind nur mittelbar, durch Kommunikationsvorgänge, zu erschließen, wozu der Rückgriff auf die „Generalthese“ erforderlich ist. Beide Formen von Transzendenz prägen den Alltag. Und dieser ist wiederum genau dadurch definiert, mit den Transzendenzen auf routinierte Art und Weise umzugehen. Probleme, die die kleinen Transzendenzen aufwerfen, werden gewöhnlich mit technischen Mitteln gelöst; die der mittleren Transzendenzen durch entsprechende Institutionen. So können beispielsweise Probleme der Glaubwürdigkeit durch die Institution des Eides gelöst werden. Wegen des transzendenten Charakters jeder Erfahrung ist die normalisierte Routine notwendigerweise instabil. Der Alltag wird immer von Erfahrungen bedroht, die nicht routinemäßig bewältigt werden können. (Naturereignisse, Tod..). Solche Erfahrungen werden „in der Regel als unmittelbare Äußerungen der Wirklichkeit des sakralen Bereichs aufgefaßt.“278

275 Edmund Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität, hrsg. v. Iso Kern. Den Haag 1973, 145. 276 Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt/Main 1979. 277 Vgl. dazu auch Schütz/Luckmann Lebenswelt, Kap. VI, 587–670. 278 Vgl. Luckmann: unsichtbare Religion, 96.

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Erfahrungen „großer Transzendenzen“ sind die Grundlage für das, was man „religiös“ nennt, sie sind aber nicht per se schon Religion. Nur dort, wo sie mit einer Deutung verbunden sind, die eine Trennung zwischen Alltag und anderen Wirklichkeiten macht, kann man eigentlich von Religion und religiösen Erfahrungen sprechen.279 Auch religiöse Erfahrung setzt voraus, dass jede Art des religiösen Wahrnehmens bereits vermittelt ist, wenigstens in dem Sinn, dass bestimmt wird, was erfahren werden kann und soll,280 womit sich der „religiöse Hintergrund“ analog zur Lebenswelt verhält. Er ist eine Ordnung der Lebenswelt. Lebenswelt bezeichnet den umgreifenden Sinnhorizont der mannigfachen Wirklichkeiten, sie ist das „Insgesamt der Sinnwelten“281, zu denen auch Religion gehört. Es bleibt zu betonen, dass religiöse Erfahrungen die Lebenswelt eines Menschen überschreiten, also gerade nicht vollständig in den lebensweltlichen Wissensvorrat integriert werden können.282 Die Tradierung und Kommunikation religiöser Erfahrungen ist nur möglich, wenn dabei auf einen Fundus von kommunikativen Codes zurückgegriffen werden kann. Auch hier zeigt sich das „sozio-historische Apriori“ Luckmanns.283 Der Übergang von einer Phänomenologie zur Soziologie der Transzendenzerfahrung setzt bei dem oben skizzierten Problem der Beobachtung ein.284 Die zentrale Frage dabei lautet: Wie kann man Erfahrungen beobachten, wenn man sie nicht selber macht? Erfahrungen sind grundsätzlich nur durch Kommunikation zugänglich. Was man beobachtet, ist folglich nicht die Erfahrung an sich, sondern lediglich die Kommunikation der Erfahrung. Um zu erfassen, in welchem Ausmaß Erfahrungen kommunikativ vermittelten Deutungen unterliegen, die dem Wissensvorrat der Gesellschaft entstammen, kann mit Peter Berger und Thomas Luckmann auf den Begriff der Legitimationen zurückgegriffen werden. Die erste Ebene der Legitimationen bezeichnet das „System der sprachlichen Objektivationen menschlicher Erfahrungen“ – hier wäre vor allem an das Vokabular einer Erzählung und ihre Semantik zu denken. Die zweite Ebene enthält „theoretische Postulate in rudimentärer Form“. Damit sind verschiedene Schemata gemeint, die objektive Sinngefüge miteinander

279 Vgl. Luckmann, Religion in der modernen Gesellschaft, 179. 280 In der Terminologie von Schütz/Luckmann ist damit der Aspekt der „Wirklichkeitstheorie“ beschrieben. 281 Anne Honer, Bausteine einer lebensweltorientierten Wissenssoziologie, in: Hitzler, Ronald/Reichertz, J./Schöer, N. (Hrsg.), Hermeneutische Wissenssoziologie. Standpunkte zur Theorie der Interpretation. Konstanz 1999, 51–67, hier 64. 282 Vgl. Detlev Pollack, Was ist Religion? Probleme der Definition, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 3, 1995, 163–190, hier 185. 283 Vgl. Thomas Luckmann, Persönliche Identität als evolutionäres und historisches Problem, in: Ders., Lebenswelt und Gesellschaft. Grundstrukturen und geschichtliche Wandlungen. Paderborn 1980, 123–141, hier 133. 284 Für einen Überblick Hartmann Tyrell, Religionssoziologie, in: Geschichte und Gesellschaft 22, 1996, 428–457.

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verknüpfen, gemeint, etwa Sprichwörter. Die dritte Ebene enthält „explizite Legitimationstheorien, die einen institutionellen Ausschnitt an Hand eines differenzierten Wissensbestandes erklären“.285 Hier findet sich besonderes Wissen. Auf der vierten Ebene befinden sich „synoptische Traditionsgesamtheiten, die verschiedene Sinnprovinzen integrieren und die institutionale Ordnung als symbolische Totalität überhöhen.“286 Auf der subjektiven Ebene tritt somit auch schon gesellschaftlich vermitteltes Wissen auf.287 Kommunikation liegen kulturelle und sprachliche Deutungsmuster zugrunde, die Motive, sprachliche Klassifikationsschemata, Metaphorik und die kulturellen Modelle umfassen und enthalten.288 Erfahrungen sind demnach insofern kulturell geprägt, als sie in bestimmten kommunikativen Formen, wie Memoraten, Interviews, Konversionsgeschichten, rekonstruiert werden. Diese sind häufig gattungsartig verfestigt, wodurch inhaltliche Präferenzen vorgegeben werden. Darüber hinaus wirken die jeweiligen Kontexte ebenfalls höchst selektiv (werden Erfahrungen verschriftlicht und wie?). Von besonderer Bedeutung sind Weltansichten und symbolische Traditionen der jeweiligen Gesellschaft. Hier stellen sich Fragen nach der Wirklichkeitstheorie: Welche Transzendenzerfahrungen sind berichtenswert? Welche sind als religiös anzusehen?289 2.7. Krieg und Religion Dass Krieg eine der extremsten Situationen menschlicher Erfahrung ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Der Krieg setzt die in „normalen“, in Friedenszeiten eingeübten Denk- und Verhaltensroutinen außer Kraft, wodurch ein gesteigerter Bedarf an religiösen Deutungen zu beobachten ist. Empirisch zeigt sich das in Wendungen wie dem „Unbeschreiblichen“ oder „Unsagbaren“, mit denen Kriegserlebnisse charakterisiert werden. Der Tod als äußerste Form von Transzendenzerfahrung wird im Krieg alltäglich. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zu Kriegszeiten in einem erhöhten Maße symbolische Sinnwelten konstruiert werden, die das Erlebte in einen Sinnzusammenhang einordnen können. Es sind vor allem Grenzerfahrungen wie Angst, Grauen und Tod, die als eine besondere verursachende Kraft für religiöse Sinnbildung gelten.290 Im Krieg verdichtet sich die Erfahrung anhaltender existentieller Bedrohung, die auf Bewältigung und Verarbeitung drängt, wozu transzendente Deutungen in besonderem Maße geeignet sind.291 Somit sind Erfahrungen des Krieges nicht von religiösen Erfahrungen zu 285 286 287 288 289 290 291

Berger/Luckmann, Lebenswelt, 101. Ebd, 102. Vgl. dazu Hubert Knoblauch, Religionssoziologie. Berlin/New York 1999, Kap. 9. Damit soll nicht gesagt sein, dass sämtliche Kommunikation kulturell determiniert sei. Vgl. Knoblauch: Soziologie, 74. Vgl. Berger/Luckmann, Lebenswelt, 107. Vgl. Gottfried Korff, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Alliierte im Himmel. Populare Religiosität und Kriegserfahrung. Tübingen 2006, 9–32, hier. 15 sowie Geertz, Religion , 64.

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trennen.292 Dazu kommt, dass Religion auch eine funktionale Komponente hat.293 Religion sorgt dafür, dass der Mensch „an den Grenzen seiner analytischen Fähigkeiten, an Grenzen seiner Leidensfähigkeit und an Grenzen seiner ethischen Sicherheit“ Interpretations- und Handlungsmöglichkeiten zurückgewinnt.294 3. BEDINGUNGEN 3.1. Russland als Großmacht Mit der Regierungszeit Peters des Großen (1689–1725) begann der Aufstieg des Landes zur Großmacht und zum Faktor, mit dem auch in Europa gerechnet werden musste. Während vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Russland vorwiegend mit Attributen des Nordens ausgestattet wurde, mit Wildheit, Barbarentum, Kälte und Nähe zur Hölle, wandelte sich die Zuschreibung in der mentalen Topographie der Deutschen ab dem 19. Jahrhundert, Russland wurde in den Osten verlegt und bekam damit orientalische Züge zugeschrieben.295 Diese Verschiebung führte allerdings nicht dazu, dass die alten Attribute verschwanden, vielmehr wurden die nordischen Zuschreibungen in der Folge von den orientalischen überlagert und so findet sich eine Ambivalenz von Zuschreibungen, wie etwa vermeintliche gedankliche Tiefe bei gleichzeitiger Rohheit. Das Reich des Bären (eine eindeutig nordische Zuschreibung) wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts durch weitere imaginierte Ostverlagerungen zu einem asiatischen Reich.296 Unter Peter wurde Russland zunächst nach dem Nordischen Krieg (1700-1721) zur vorherrschenden Macht im Norden Europas. Gleichzeitig wurde Russland das wichtigste Land im

292 Vgl. Andreas Holzem/Christoph Hopzapfel, Kriegserfahrung als Forschungsproblem. Der Erste Weltkrieg in der religiösen Erfahrung von Katholiken, in: Theologische Quartalsschrift 182, 2002, 279–297, hier 283 f. 293 Damit wird über Luckmann hinausgegangen, der Religion rein funktional bestimmt. Vgl. Luckmann, Unsichtbare Religion, 1991, 165. 294 Vgl. Geertz, Religion, 61. 295 Dazu Hans Lemberg, „Der Russe ist genügsam“. Zur deutschen Wahrnehmung Russlands vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg, in: Aschmann, Birgit/Salewski, Michael (Hrsg.), Das Bild ‚des Anderen‘. Politische Wahrnehmung im 19. und 20. Jahrhundert 2000, 121–131, hier 122. Einführend in die Xenologie: Alois Wierlacher, Kulturwissenschaftliche Xenologie. Ausgangslage, Leitbegriffe und Problemfelder, in: Wierlacher, Alois (Hrsg.), Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. Mit einer Forschungsbibliographie. München 1993, 19–112. 296 Zu diesem Komplex vgl. Klug, Asiatisches Russland. Einen Überblick über die verschiedenen Russlandbilder bei Oxana Swirgun, Das fremde Russland. Russlandbilder in der deutschen Literatur 1900–1945. Frankfurt/Main 2006, 27–54 und Bernd Bonwetsch, Deutsche Russlandbilder im Wandel der Zeiten vom 16. zum 20. Jahrhundert, in: Wagner, Johannes V./Bonwetsch, Bernd/Eggeling, Wolfram (Hrsg.), Ein Deutscher am Zarenhof: Heinrich Graf Ostermann und seine Zeit 1687–1747. Essen 2001, 269–275; Paddock, Feindbild; grundlegend: Wolff, Inventing.

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europäischen Handel mit dem Orient.297 Im Siebenjährigen Krieg konnte der Einfluss weiter nach Westen ausgedehnt werden durch die Eroberung Ostpreußens und die kurzzeitige Besetzung Berlins. Eine ähnliche Dominanz, wie sie Peter im Ostseeraum erreicht hatte, wurde unter Katharina II. (1762–1796) im Schwarzmeer-Gebiet gesichert durch die Annexionen weiterer Territorien, die als Neues Russland in das Reich eingegliedert wurden. Der Erfolg ließ bei ihr und ihrem Berater Potëmkin den Plan reifen, das byzantinische Reich wiederherzustellen, mit ihrem Enkel Konstantin auf dem Thron.298 Russland unter Alexander I. war eine Autokratie. Dieses Faktum hat deutliche methodische Implikationen. Im Zentrum der Untersuchung steht daher die Person des Zaren Alexander. Auch wenn Alexander sehr enge Abstimmungen mit seinen Ministern pflegte, so machte er sich deren Meinung jedoch nicht von vornherein zu eigen, und bewies mehrfach einen eigenen Kopf.299 Eine behördengeschichtlich angelegte Untersuchung etwa des Außenministeriums würde den historischen Gegebenheiten im frühen 19. Jahrhundert auf eklatante Art und Weise Unrecht tun.300 Eine gemeinsame Sprache, ähnliche soziale und kulturelle Werte, die verbindende aristokratische Herkunft und nicht zuletzt die gemeinsame Ausbildung förderten einen europäischen esprit de corps diplomatique – und dies wohl besonders im russischen Fall; denn kaum ein Diplomat des Petersburger Hofes war tatsächlich russischer Herkunft.301 Seit dem 18. Jahrhundert galt daher für die russische Außenpolitik in besonderem Maße, dass sie konzeptionell in systemischen Kategorien funktionierte. Dies war bedingt durch die Bemühungen, im Spiel der europäischen Mächte als ebenbürtiger Mitspieler anerkannt zu werden.302 Vor allem von Seiten der russischen Historiographie ist den vielen Ausländern in russischen Diensten häufig vorgeworfen worden, sie hätten die russischen Interessen verraten.303 Der korsische Graf Carlo Andrea Pozzo di Borgo war mit Napoleon

297 Vgl. Andrej L. Zorin, Kormja dvuglavogo orla… literatura i gosudarstvennaja ideologija v Rossii v poslednej treti XVIII-pervoj treti XIX veka. Moskau 2001, 35–38. 298 Vgl. zum „griechischen Projekt“: Edgar Hösch, Das sogenannte „griechische Projekt“ Katharinas II, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 12, 1964, 168–206. 299 Vgl. etwa auch die Schilderung bei Comtesse Choiseul-Gouffier, Mémoires historiques sur l’Empereur Alexandre et la Cour de Russie. Paris 1829, 103 f. 300 Dazu schon Erik Amburger, Geschichte der Behördenorganisation Russlands von Peter dem Großen bis 1917. Leiden 1966. 301 Auf dem Wiener Kongress war Andrej Kirillovič Razumovskij die einzige Ausnahme. Er sprach allerdings kaum russisch, er war in seinen beiden Ehen mit einer Deutschen verheiratet und ließ sich schließlich dauerhaft in Wien nieder. 302 Vgl. Martin Schulze Wessel, Systembegriff und Europapolitik der russischen Diplomatie im 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 266, 1998, 649–669. Schulze Wessel argumentiert hier überzeugend, dass unter Peter ein gewisser Grad an Systemkompatibilität zu Europa erreicht wurde, den die Außenpolitik Katharinas wieder verspielt hatte. Das hatte natürlich Konsequenzen für den Umgang der europäischen Diplomatie mit Alexanders Europapolitik. 303 Siehe beispielsweise für den Vorwurf an die zahlreichen deutschbaltischen Adeligen in russischen Diensten, sie hätten abenteurerhaft die russischen Interessen nicht ernst genommen: A.

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persönlich bekannt, trat 1805 in russische Dienste und war von 1814 bis 1835 russischer Botschafter in Paris.304 weitere Beispiele für Ausländer an exponierter Stelle in der russischen Diplomatie waren neben Außenminister Nesselrode der Finne David Maksimovič Alopeus, der von 1813-1831 als Gesandter in Berlin fungierte, der Korfiote Graf Ioannis Kapodistrias, der 1807 in russische Dienste trat, nachdem seine Heimat französisch besetzt wurde und der von 1816 bis 1822 neben Nesselrode der zweite Mann im Außenministerium war.305 Der Botschafter in London, Semen Voroncov, galt gar als derartig anglophil, dass ihm die notwendige Distanz zu seinem Gastland regelmäßig abgesprochen wurde. Nicht zuletzt hatte der Bewunderer Pitts große Teile seines Vermögens in England angelegt. Im Regelfall französisch erzogen, schrieben die meisten Diplomaten auch ihre private Korrespondenz auf Französisch. Aufgrund der Begegnungen bei Konferenzen und in den Salons waren sie mit den meisten ihrer Kollegen persönlich bekannt; den gemeinsamen diplomatischen Verhaltenscode konnten sie entweder bei François de Callières oder seit 1822 auch im Manuel Diplomatique von Carl v. Martens nachlesen.306 Auch ökonomisch und sozial war das Land nicht so rückständig im Vergleich zu den anderen europäischen Mächten, wie dies am Ende des Jahrhunderts, ja schon im Krimkrieg der Fall sein sollte. Ein schneller wechselseitiger Austausch von Informationen und rasches Reagieren auf Ereignisse in aller Welt waren schon allein aufgrund der erheblichen räumlichen Distanzen unmöglich.307 Daher konnten die Diplomaten auf entfernten Posten relativ unabhängig agieren. Aus Sankt Petersburg erhielten sie zwar explizite, aber verallgemeinerte Anweisungen. Der Gesandte in Paris, Pozzo di Borgo,

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L. Naročnikij, Meždnarodnye otnošenija evropeiskich gosudarstv s 1794 do 1830 g. Moskau 1946. Zu Pozzo di Borgo siehe J. M. P. McErlean, Napoleon and Pozzo di Borgo in Corsica and after, 1764–1821. Not quite a Vendetta.Lewiston u.a. 1996; V. B. Michajlov, K. A. Pocco-diBorgo. Diplomat restavracii na službe Rossijskoj Imperii, in: Ignat’ev, A. V./Orlik, O. V./Rybačenok, I. S. (Hrsg.), Portrety rossijskich diplomatov. Moskau 1991, 47–71. Im „Aperçu de ma carrière“ hat Kapodistrias geschildert, wie seehr ihn die französische Besetzung der ionischen Inseln geprägt hatte. Siehe zur Biographie: Christopher M. Woodhouse, Capodistria. The founder of Greek Independence. London 1973; Stamati Th. Lascaris, Capodistrias avant le révolution grecque. Sa carrière politique jusqu’en 1822. Etude d’histoire diplomatique et de droit international. Lausanne 1918. François de Callières, De la manière de négocier avec les souverains. De l’utilité des négociations, du choix des ambassadeurs et des envoyez, et des qualitez nécessaires pour reussir dans ces employs. Amsterdam 1716; Carl von Martens, Manuel diplomatique ou précis des droits et des fonctions des agens diplomatiques. Suivi d’un recueil d’actes et d’offices pour servir de guide aux personnes qui se destinent à la carière politique. Paris 1822. Zum Beispiel war es außerordentlich schnell, wenn eine Botschaft die Strecke Paris–St. Petersburg in 12 oder 13 Tagen zurücklegte. Normalerweise waren 18–24 Tage einzurechnen. Der sardische Botschafter in St. Petersburg, Joseph de Maistre beklagte sich 1803, dass ein Brief nach Sardinien und die Antwort vom Kabinett 2–3 Monate brauche. Wie groß die zeitlichen Spannen waren, zeigt sich auch darin, dass ein Brief aus den USA nach Europa zwischen 2 ½ und 7 Monaten unterwegs war. Vgl. Joseph de Maistre, Mémoires politiques et correspondance diplomatique de Joseph de Maistre. Paris 21859, 78.

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beklagte sich im Mai 1817 gegenüber seinem Vorgesetzten im Außenministerium, Ioannis Kapodistrias, dass die Distanz es nicht erlaube, für den Fall von akutem Handlungsbedarf erst Anweisungen einzuholen: „[…] à la distance où nous sommes, il doit y avoir beacoup d’indulgence, n’étant pas possible de demander des ordres avant de me décider, ainsi que je le désirais […].“308 Und als der Posten des Gesandten beim König von Sardinien Anfang 1811 neu zu besetzen war, gab Alexander dem neuen Gesandten Mocenigo mit auf den Weg: Pour ce qui concerne votre correspondence avec mon ministère, comme toutes les nouvelles que vous pourrez faire parvenir ici ne peuvent guère être d’une fraîche date, vous vous abstiendrez de toute dépense inutile sous ce rapport, et vous vous servirez pour expédier vos dépêches de la voie ordinaire et la moins coûteuse.309

Das Tagesgeschäft verblieb somit bei den Gesandten. Was die Reaktionszeit der russischen Diplomatie vergrößerte, ist für eine Analyse der ihr zugrunde liegenden politischen Vorstellungen ein Glücksfall. Denn in diesen generalisierten Anweisungen mussten die Ziele der russischen Außenpolitik sowie grundsätzlich ihre Begründungen deutlich gemacht werden, um den ausführenden Organen, den „interprètes de mes [=Alexanders, PhM] intentions auprès des monarques“, klare Handlungsanweisungen zu geben.310 Die Gestaltungsräume zeigten sich vor allem in der Personalpolitik und auf dem Gebiet des Heeres. 1809 wurde die Zahl der Kammerherren von 24 auf 146 erhöht. Jetzt wurden die Ränge ‚Kamerger‘ (Kammerherr) und ‚Kamer-junker‘ abgeschafft, die bis dato reine Hoftitel waren.311 Fortan mussten die Träger tatsächlich einen Posten in der Verwaltung bekleiden und auch ausfüllen.312 Durch die stärker werdende Verbindung von Hof und Verwaltung wurde auch Alexanders persönliche Herrschaft mitbestimmt. Zu den Bedingungen des herrschaftlichen Handelns muss auch die Besonderheit des russischen „Empires“ gezählt werden. Mit beinahe 46 Millionen Einwohnern war das russische Reich der größte Staat in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Und dessen besondere Verfasstheit brachte es mit sich, dass, wie bereits angedeutet, ein Großteil der Eliten nicht-russischen Ursprungs war, wie etwa die Generalität in den Feldzügen 1813/14. Das größte Reservoir an gut ausgebildeten und dringend benötigten „Fachkräften“ stellte das Baltikum dar. Selbst vorsichtig geschätzt dürften zehn Prozent der russischen Generalität in diesem Krieg aus 308 Vgl. Pozzo di Borgo an Kapodistrias, 08./20.05.1817, in: SIRIO 119, 1904, Nr. 97, 190–193, hier 191. Vgl. auch Grimsted, Foreign Ministers, 18. 309 Alexander an Mocenigo, 21.01./02.02.1811, in: VPR I/6, 21–24. 310 Instruktion Alexanders an die Gesandten in Madrid, Brüssel etc, 23.03./03.04.1816, in: VPR I/2, 113–115. Vgl. auch Alexander an Čičagov, o.D. 1812, in: Pavel V. Chichagov, Mémoires de l’admiral Tschitschagoff, commandant en chef de l’armée du Danube, gouverneur des principautés de Moldavie et de Valachie en 1812 (1769–1849). Leipzig 1862, Bd. 1, 89. 311 Die deutschen Bezeichnungen sind im 18. Jahrhundert als Teil einer Europäisierungsstrategie des Dienstadels in Russland eingeführt worden. Vgl. Geoffrey Hosking, Russland. Nation und Imperium. 1552–1917. Berlin 2000, 128 f.; Grimsted, Foreign Ministers. 312 PSZ Nr. 23.559, 3.4.1809.

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dem baltischen Adel stammen.313 Die Armee stellte dabei einen Sonderfall der ethnischen Integration dar. Bereits im 18. Jahrhundert hatte das Militär einen weitreichenden Zulauf erhalten, der durch die Suche nach gutem Sold bedingt wurde. Die auf diese Weise nach Russland gekommenen Soldaten und Flüchtlinge aus dem revolutionären Frankreich bildeten das Reservoir an ausgebildeten Ingenieuren und Ärzten.314 Der Empire-Begriff ist seit den 1970er Jahren vor allem mit Blick auf das Vereinigte Königreich und die Zeit zwischen 1860 und 1914 verwendet worden.315 Im Vergleich mit anderen europäischen Reichen ist das russische zweifellos ein Sonderfall, denn ihm fehlte das Merkmal der überwiegend überseeischen Besitzungen. Dennoch ist der Begriff für die Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts auch für Russland geeignet. Während der Zustand der Hegemonie oder des Beherrschens eines Dominions nach der einflussreichen Studie von Adam Watson durch unterschiedliche Grade indirekter Kontrolle gekennzeichnet ist, darf als Merkmal einer imperialen Struktur die direkte, zentrale und bürokratisierte Herrschaft über koloniale Gebiete gelten.316 Weitere Elemente einer Definition umfassen den Großmachtstatus des beherrschenden Staates, wobei der Einfluss auch im Bereich der kulturellen Haltungen und Wertvorstellungen im internationalen System erkennbar sein muss. Mit der Annahme, Imperialismus diene vornehmlich dem Zweck, Kapital- und Warenfluss in das politische Zentrum zu ermöglichen,317 lässt sich die russische Form des Imperialismus nicht zur Gänze auffan-

313 Vgl. auch zum Bildungsvorteil: Gert von Pistohlkors, Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder. Berlin 1994, 266–294. 314 Vgl. A. A. Baranov, Meditsinskoe obespečenie armii v 1812 godu, in: Bezotosnyj, Viktor Michajlovič (Hrsg.), Epocha 1812 goda. Issledovanija, istočniki, istoriografija. Moskau 2002, 105–124. 315 In dieser Arbeit wird der international übliche Begriff des „Empire“ anstelle seiner deutschen Äquivalente „Imperium“ oder „Reich“ genutzt, um Mehrdeutungen auszuschließen. Empire bezeichnet eine zusätzliche Qualität eines Staates, ist nicht gleichzusetzen mit dem Staat. Darauf weisen hin: Michael Cox/Timothy Dunne/Ken Booth, Introduction: Empires, Systems and StateGreat Transformations in International Politics, in: Cox, Michael/Dunne, Timothy/Booth, Ken (Hrsg.), Empires, Systems and States. Great transformations in international politics. Cambridge 2001, 1–15, hier 6 f. Einführend zur Empire-Forschung siehe das grundlegende Werk von Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Cambridge Mass. u.a. 32000, sowie Tarak Barkawi/Mark Laffey, Retrieving the Imperial. Empire and International Relations, in: Millennium-Journal of International Studies 31, 2002, 109–127. Zu Russland: Dietrich Geyer, Russland als Problem der vergleichenden Imperialismusforschung, in: Thadden, R. von/Pistohlkors, G. von/Weiss, Hellmuth (Hrsg.), Das Vergangene und die Geschichte. Festschrift für Reinhard Wittram zum 70. Geburtstag. Göttingen 1977, 337–369; Dietrich Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang zwischen innerer und auswärtiger Politik 1860–1914. Göttingen 1977; Marc Raeff, Un empire comme les autres?, in: Cahiers du monde russe 30, 1989, 321–327; Jürgen Osterhammel, Russland und der Vergleich zwischen Imperien. Einige Anknüpfungspunkte, in: Comparativ 18, 2008, 11–26. 316 Adam Watson, The evolution of international society. A comparative historical analysis. London u.a. 1992. 317 Vgl. Hardt/Negri, Empire, 224 f.

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gen. Zwar spielte der wirtschaftliche Aspekt etwa bei der Süd-Expansion auf die Krim und an das Schwarze Meer eine entscheidende Rolle, doch standen primär wirtschaftliche Interessen bei der Ost-Expansion (Sibirien) nicht im Vordergrund. Für die Erhaltung des Empires war in den Grenzregionen das Funktionieren von herrschenden Familien von hoher Bedeutung.318 Die imperiale Struktur und Dynamik von Grenz- und Kerngebieten, die große territoriale Ausdehnung und damit verbunden eine multi-ethnische Bevölkerung bedingten zumindest zu einem Teil die autokratische Herrschaftsform in Russland.319 Diese Herrschaftsform hatte im 19. Jahrhundert bereits eine über drei Jahrhunderte zurückreichende Tradition. Ivan III. hatte eine expansive Machtpolitik verfolgt und konnte sich 1480 von der Vormacht der Mongolen lossagen. Er nutzte die Eroberung Konstantinopels, um sich in die Tradition des „Zweiten Roms“ zu stellen, indem er 1472 die Nichte des letzten Kaisers von Byzanz heiratete und seinen Hof nach byzantinischem Vorbild gestaltete. Zudem ließ er die Legende verbreiten, Reichsinsignien und Krone seien bereits im 11. Jahrhundert an Kiew übergeben worden. Durch diese Aufwertung Kiews schuf er die Grundlage für eine Aufwertung des eigenen Herrschaftsbereiches. Folgerichtig gab er sich einen neuen Titel: Zar. Mit der Krönung seines Enkels Ivans IV. 1547 und seiner Selbstausrufung zum Herrscher (Gosudar’) Russlands wurden die verschiedenen Gründungsmythen der Herrschaft gesammelt und vereinheitlicht. Die Monarchie erhielt so einen speziellen religiösen Anstrich, in dem säkulare und religiöse Traditionen zusammenflossen.320 Zentraler Bestandteil der Mythisierung wurde der Herrschaftssitz des neuen Autokraten, Moskau.

318 Welchen Einfluss solche Dynastie–Politik hatte, zeigt John P. LeDonne in einem dreiteiligen Aufsatz: LeDonne, Frontier Governors. 319 Ich folge hier der Definition von Dominic Lieven: Dominic Lieven, The Russian Empire and the Soviet Union as Imperial Polities, in: Journal of Contemporary History 30, 1995, 607– 636, v. a. 608. Zum Nationalitätenproblem des russischen Reiches siehe Andreas Kappeler, Russlands erste Nationalitäten. Das Zarenreich und die Völker der mittleren Wolga vom 16. bis 19. Jahrhundert. Köln/Wien 1982; ders., Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. München 1992, sowie immer noch grundlegend zur geostrategischen Politik: Carsten Goehrke, Geographische Grundlagen der Russischen Geschichte, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 18, 1970, 161–204. und zusammenfassend John P. LeDonne, The Russian empire and the world, 1700–1917. The geopolitics of expansion and containment. New York 1997, 1–20. Welchen Einfluss Dynastie-Politik hatte, zeigt John P. LeDonne in einem dreiteiligen Aufsatz: John P. LeDonne, Frontier Governors General 1772–1825. I. The Western Frontier, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 47, 1999, 56–86; John P. LeDonne, Frontier Governors General 1772–1825. II. The Southern Frontier, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 48, 2000; John P. LeDonne, Frontier Governors General 1772– 1825. III. The Eastern Frontier, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 48, 2000, 321– 340. 320 Vgl. Hildegard Schaeder, Moskau. Das Dritte Rom. Studien zur Geschichte der politischen Theorien in der slawischen Welt. Darmstadt 1957. Heinz Setzer, Moskau – Das Dritte Rom, in: Kluge, Wolf-Dieter/Setzer, Heinz (Hrsg.), 1000 Jahre Russische Kirche 988–1988. Geschichte, Wirkungen, Perspektiven. Tübingen 1989, 43–61 und Erich Bryner, Die orthodoxen Kirchen von 1274 bis 1700. Leipzig 2004.

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Nicht nur in den Grenzregionen, auch im Kern des Reiches hatte sich nach den petrinischen Reformen eine Struktur von einflussreichen Familien herausgebildet, die den Dienstadel stellten. Diese Familien hatten sich durch Leistungen in der Verwaltung hervorgetan. Nach außen waren sie durch demonstrative Loyalität zum Autokraten, das Tragen von Uniformen und vor allem durch die aus Europa importierte Kultur abgegrenzt.321 Dennoch gab es im 18. Jahrhundert noch keine staatliche zentrale Autorität, noch kein einheitliches Gesetzbuch. Einzige konstante Autorität war die kaiserliche Garde. 3.2. Einflüsse und Entscheidungsstrukturen 3.2.1. Das „Geheime Komitee“ Alexander nahm zu Beginn seiner Regierungszeit ein beeindruckendes Reformprogramm in Angriff und schuf dabei Institutionen, die in ihrer Substanz lange Bestand haben sollten.322 In jungen Jahren hatte Alexander eine Reihe von engen Freundschaften mit Angehörigen aus alten russischen Adelsfamilien geschlossen, denen gemein war, dass sie „liberalen“ Ideen, wie der Einführung einer Verfassung und der Abschaffung der Leibeigenschaft, offen gegenüberstanden, dabei aber fest in der Hofgesellschaft Sankt Petersburgs verankert waren. Zeit seines Lebens sollte das Konzept der Freundschaft prägend für Alexander bleiben. Ältester dieser Freunde war Viktor Kočubej. Geboren 1768 stammte er aus ukrainischem niederen Adel, war Neffe des Kanzlers und Außenministers Aleksandr Bezborodko und seit 1792 mit Alexander befreundet. Kočubej war seit 1784 an der russischen Botschaft in Stockholm beschäftigt. Hier besuchte er Vorlesungen an der Universität, was sich unter anderem in einem Essay über die Menschenrechte niederschlug. Weitere Aufenthalte, die auch zu Studienzwecken genutzt wurden, führten ihn nach London und bis 1792 Paris, wo er schließlich ein Anhänger liberaler Ideen wurde. Von Katharina erhielt er im selben Jahr den prestigeträchtigen Posten des Botschafters in Konstantinopel, dort blieb er die meiste Zeit der 1790er Jahre, weitab von Sankt Petersburg.323 Alexanders jüngster Freund war Pavel Stroganov, der als Sohn eines der bedeutendsten russischen Kunstsammler und Mäzene 1772 in Paris geboren wur-

321 Vgl. Geoffrey Hosking, Patronage and the Russian State, in: The Slavonic and East European Review 78, 2000, 301–320, v. a. 308–313 und John P. LeDonne, Absolutism and ruling class. The formation of the Russian political order 1700–1825. New York u.a. 1991, 300. 322 Insofern ist Eich, Russland, 30 f., zu widersprechen, die feststellt, dass die Herrschaft Alexanders von Beginn an „als unmittelbares und aktives Wirken auf die auswärtige Politik konzentriert“ sei. 323 Zu Kočubej siehe Filipp Filippovič Vigel’, Zapiski. Moskau 1928, Bd. 1, 306. Erst seit Kurzem liegt eine biographische Studie vor: Petr Dmitrievič Nikolaenko, Knjaz’ V. P. Kočubej. Pervyj ministr vnutrennych del Rossii. Sankt Petersburg 2009.

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de.324 Von seinem Vater in liberalem Geist erzogen, wurde Pavel Stroganov ins revolutionäre Paris geschickt, wurde dort sogar Bibliothekar des Jakobinerklubs und unterhielt enge Beziehungen zum revolutionären Milieu. Das kam Katharina II. zu Ohren, die ihn daraufhin unter Hausarrest in Moskau stellte. Als diese Bedingungen 1796 erleichtert wurden, stieg der junge Graf schnell im Freundeskreis Alexanders auf. Dritter im Bunde sollte Adam Czartoryskij werden; der Spross einer polnischen Adelsfamilie kam nach dem Kościuszko-Aufstand 1795 zusammen mit seinem Bruder Konstantin nach Sankt Petersburg.325 Auch Czartoryski war im Geiste der Aufklärung erzogen worden und hatte Europa bereist. Seit 1796 war er eng mit Alexander befreundet.326 Das Quintett wurde durch einen Cousin Pavel Stroganovs, den 1761 geborenen Nikolaus Novosil’cev, vervollständigt. Dieser hatte 1788 bis 1790 in der Armee im Krieg gegen Schweden gedient und danach, trotz nur geringer formaler Erziehung, Karriere im Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten gemacht. Novosil’cev war in diesem Kreis wahrscheinlich der Mann mit der umfassendsten Bildung im Hinblick auf Wirtschaft, Finanzen, Recht und Diplomatie.327 Aus diesem Kreis rekrutierte sich ab Mitte März 1801 eine beratende Runde um den Zaren.328 In diesem Gremium wurde vor allem über die anstehende Verfassung diskutiert, zunächst in einem Vieraugengespräch zwischen dem Zaren und Pavel Stroganov am 23. April 1801. Alexander hatte eine Verfassung mit Garantie der Bürger- und Menschenrechte favorisiert, auf Stroganovs Vorschlag hin wurde zu diesem Zweck ein eigener Ausschuss gegründet: das „Geheime Komitee“.329 324 Aleksandr Stroganov war nicht in der Lage, genau aufzuzählen, wie viele Sklaven er besaß. Ebenso wenig konnte er sein Vermögen exakt beziffern. Zur Biographie vgl. Nicolas Michailovič, Le Comte Paul Stroganov. 3 Bde. Paris 1905. Zum Vergleich: 1797 besaßen über 80% der sklavenbesitzenden Grundbesitzer weniger als 100 Sklaven. Vgl. de Madariaga, Nobility, 254 f. 325 Zu Czartoryski liegt eine neuere und umfassende Biographie vor:W. H. Zawadzki, A Man of Honour. Adam Czartoryski as a Statesman of Russia and Poland, 1795–1831. Oxford 1993. Siehe ebenfalls die bislang nicht übersetzte Studie von Jerzy Skowronek, Adam Jerzy Czartoryski. 1770–1861. Warschau 1994. Unter den älteren Studien sind vor allem die Werke von Marceli Handelsman, Adam Czartoryski. Warschau 1948/49 und Marian Kukiel, Czartoryski and European unity. Westport 1955 zu erwähnen. Kukiel behandelt die für diesen Aspekt wichtige Periode nur sehr kurz. Der frühe Briefwechsel von Alexander und Czartoryski ist zuverlässig abgedruckt: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance. 326 Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 7–32. 327 Zur Person vgl. den Eintrag bei D. N. Šilov, Gosudarstvennye dejateli Rossijskoj Imperii. 1802–1917. Bibiografičeskij spravočnik. Sankt Petersburg 2001, 465–467. 328 Vgl. Kočubej an R. Voronocov, 27.03./08.04.1801, in: AKV, Bd. 18, 286. 329 Vgl. Principes de la Réforme du Gouvernement. Résultat d’une conversation avec l’empereur, 23.04.1801, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 1–3. In der Literatur taucht die Bezeichnung „inoffizielles“ Komitee auf (so z. B. bei Zawadzki, Czartoryski. Hier soll wegen der direkteren Übersetzung des Wortes „neglasnyj“ als „geheim“ die Bezeichnung „Geheimes Komitee“ verwendet werden. Zum Komitee vgl. Elmo E. Roach, The Origins of Alexander I’s Unofficial Committee, in: Russian Review 28, 1969, 315–326; Olga A. Narkiewicz, Alexander I and the Senate Reform, in: Slavonic and East European Review 47, 1969, 118–

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Dieses Komitee bestand neben den eigentlichen staatlichen Institutionen als ein loser Zusammenschluss von Freunden des Zaren. Es hatte keinen offiziellen Status im politischen Gefüge des Reiches, was sich auch daran ablesen lässt, dass es immer im Geheimen in Alexanders privaten Räumlichkeiten tagte. Seinen Kern hatte das Komitee darin, dass Czartoryski den Zaren mit seinen beiden engsten Freunden außerhalb des Hofes, Stroganov und Novosil’cev, bekannt machte.330 Die drei Männer waren dem Gedankengut der europäischen Aufklärung stark verhaftet, so dass diese Phase von Nicholas Riasanovsky als eine „zweite russische Aufklärung“ bezeichnet wird.331 Noch 1797 sprach Alexander von einer „constitution libre“ mit repräsentativen Instanzen und einer nur noch begrenzten kaiserlichen Autorität, die er einführen wolle.332 Zwischen Ende Juni 1801 und Anfang Mai 1802 gab es regelmäßige Treffen, nach einer Pause von achtzehn Monaten arbeitete das Komitee schließlich bis November 1803.333 Der Zirkel zeichnete sich durch außergewöhnliche Offenheit aus, was sich beispielsweise daran ablesen lässt, dass es den Mitgliedern erlaubt war, ohne vorherige Ankündigung beim Dîner des Zaren zu erscheinen.334 Die Arbeitsweise der Gruppe gestaltete sich derart, dass sie sich mehrfach in der Woche bei Alexander trafen, Stroganov fertigte Berichte der einzelnen Treffen an.335 Die Mitglieder des Komitees stimmten darin überein, dass Russland in eine konstitutionelle Monarchie mit gewählten legislativen Institutionen verwandelt werden solle. Um das zu erreichen, sollte zunächst die Verwaltung und Sozialstruktur modernisiert, ebenso die in den Anfängen steckengebliebene Kodifizierung der Gesetze vorangetrieben werden. Kern der Reformüberzeugungen war jedoch, dass diese notwendigen Schritte nur durchgeführt werden könnten, wenn Alexander die volle monarchische Gewalt behielte. Eine Ausweitung der Kompetenzen der obersten Behörde für Verwaltung und Justiz, des Senats, würde im Prozess der Modernisierung nur hinderlich

120; N. V. Minaeva, Pravitel’stvennyj konstitucionalizm i peredovoe obcščestvennoe mnenie Rossii v načale XIX veka. Saratov 1982, 60–72; David Christian, The political views of the Unofficial Committee, in: Canadian-American Slavic Studies 12, 1978, 247–265; Nicholas Valentine Riasanovsky, Russian identities. A historical survey. Oxford 2005. 330 Czartoryski, Sroganov und Novosil’cev werden von Šil’der, Imperator, Bd. 2, 45 „Triumvirat“ bezeichnet. Vgl. zu Stroganov vgl. Michailovič, Alexandre; zu Czartoryski vgl. W. H. Zawadzki, A Man of Honour. Adam Czartoryski as a Statesman of Russia and Poland 1795–1831. Oxford 1993, die ältere und in manchen Teilen überholte Biographie von sowie Skowronek, Czartoryski. Zur Frühphase des Geheimen Komitees vgl. Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 56–61. 331 Nicholas Valentine Riasanovsky, A parting of ways. Government and the educated public in Russia 1801–1855. Oxford 1976, 56. 332 Vgl. Alexander an La Harpe, 27. 9./8.10.1797, in: Šil’der, Imperator, Bd. 1, 280–282. 333 V. Mironenko, Samoderžavie i reformy. Političeskaja borba v Rossii v načale XIX v. Moskau 1989, 67 gibt die Existenz bis November 1805 an, was zu lang erscheint. 334 Vgl. Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 269 und die Briefe Stroganovs an Alexander aus dem Jahr 1802, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 202 f. 335 Diese Berichte sind abgedruckt bei Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 94–147.

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sein.336 Der Vorschlag, die Kompetenzen des Senates dahingehend zu erweitern, dass er zu einem umfassenden Kontrollorgan ausgebaut würde, dem auch die Minister verantwortlich sein sollten, stammte vom Staatsmann und Dichter Gavriil Deržavin, den Alexander für den Entwurf zwar mit dem Alexander-NevskijOrden auszeichnete, dessen Plan aber nicht umgesetzt werden sollte.337 Die personalisierte Art der Machtausübung erlaubte Alexander auf der einen Seite freies Schalten und Walten. Auf der anderen Seite stand die Verwaltungsverfassung des Reiches einer effizienten Regierung hinderlich im Wege. Die Anstrengungen des geheimen Komitees zielten daher nach westeuropäischem Vorbild auf eine Zentralisierung der Macht durch Rationalisierung und Reform der Administration.338 So ging die Reform der zentralen Verwaltungselemente einher mit einer Anhebung des Erziehungsniveaus der Beamten. Zum Vergleich: Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Russland etwa so viele Staatsbedienstete wie Preußen.339 Angesichts der geographischen Gegebenheiten und der mehrfachen Anzahl der Bewohner folgte daraus im Einzelfall eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Idee und der Umsetzung von Dekreten.340 Mit dem geheimen Komitee fand der Zar eine Gruppe von Vertrauten, die sich nicht davor scheute, weite Anleihen bei den Staaten des westlichen Europa zu machen, etwa bei der Einführung eines Ministerialsystems, das die von Peter I. eingeführte Kollegienordnung ersetzte und sich dabei stark am französischen Ministerialsystem orientierte.341 Das Projekt wurde von Alexander am 8. September 1802 umgesetzt: Aus den Kollegien wurden nun acht Ministerien, die direkt dem Zaren verantwortlich waren. Zum ersten Mal in der russischen Geschichte wurde die Ressortverantwortlichkeit eingeführt. Die Kollegien für Inneres, Auswärtige Angelegenheiten, Justiz, Militär, Marine und Finanzen wurden entsprechend modernisiert. Als neues Ressort wurde das „Ministerium für Volksaufklärung“ („Ministertstvo narodnogo prosveščenija“) geschaffen.342 Die Minister waren aller-

336 Vgl. Allen McConnell, Alexander I’s Hundred Days. The Politics of a Paternalist Reformer, in: Slavic Review 28, 1969, 373–393, hier 388f; Michail M. Safonov, Problema reform v pravitel’stvennoj politike Rossii na rubezhe 18 i 19 vv. Leningrad 1988 und grundlegend Christian, Unofficial Committee. 337 Zu Deržavin gibt es eine Fülle an Literatur. Vgl. stellvertretend Nina Petrovna Morozova, G. R. Deržavin i ego vremja. Sbornik naučnych statej. Sankt Petersburg 2007. 338 Vgl. Richard Wortman, Scenarios of power. Myth and ceremony in Russian monarchy. Princeton, NJ 1995, 201. 339 Als Zahl gibt Frederick Starr, Decentralization and Self-Government in Russia, 1830–1870. Princeton, NJ 1972, 48 16500 Beamte an. Vgl. grundlegend die Studie von Robert Edward Jones, The emancipation of the Russian nobility, 1762–1785. Princeton 1973. 340 Vgl. allgemein zu den Verwaltungsreformen Amburger, Behördenorganisation, 19–29. 341 Abgedruckt in PSZ 20, Nr. 20,406, 243–248; vgl. Marc Raeff, Plans for Political Reforms in Imperial Russia 1730–1905. Englewood Cliffs, N. Y. 1966, 88–91 sowie ders., Michael Speransky, statesman of imperial Russia, 1772–1839. Westport, Conn. 1990, 41–46. 342 Einführend Amburger, Behördenorganisation, 120–127. Als behördengeschichtlicher Steinbruch von großem Werk ist die Darstellung anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Außenministeriums: Očerk istorii Ministerstva inostrannych del 1802–1902. Sankt Petersburg 1902.

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dings einzig dem Zaren verantwortlich und wurden von ihm ernannt und entlassen, dennoch sollten sie einmal im Jahr dem Senat berichten. Die Treffen mit den Ministern fanden einzeln statt und sie berichteten dem Zaren auch einzeln, es gab also keine Kabinettssitzungen.343 Den Reformern schwebte auch ein Kabinett aus allen Ministern vor, sie konnten diesen Plan aber nicht umsetzen. Eine so gestaltete Exekutive hätte dazu geführt, dass Alexander mit allen gemeinsam hätte umgehen müssen. Den Ministern wurde ein Ministerassistent (Tovarišč Ministra) mit weitreichenden Kompetenzen zur Seite gestellt.344 Allerdings blieben diese Minister und ihre Assistenten einzig und allein von der Gunst des Autokraten abhängig. Je nach politischer ‚Großwetterlage’ konnten Ministerposten entsprechend besetzt werden. Der frankophile Rumjancev wurde Außenminister, als sich Russland im Bündnis mit Frankreich befand.345 Nachdem Napoleon besiegt worden war, wurde er durch die Doppelspitze von Nesselrode und Kapodistrias ersetzt – er war der letzte Minister, dem Alexander das Ressort anvertraute. Auch auf Rumjancev fiel die Wahl lediglich, um die Wünsche des Zaren getreu in die Tat umzusetzen.346 Insgesamt zeigt sich die starke Position des Zaren und sein Anspruch, selbst zu regieren, auch darin, dass spätestens nach 1816 die wichtigsten Ämter mit Vertrauten besetzt wurden.347 Während in anderen europäischen Ländern ein Universitätsabschluss die notwendige Bedingung für eine Karriere in der höheren Verwaltung darstellte, war in Russland der Seiteneinstieg nach einer erfolgreichen Militärkarriere noch üblich. Doch da selbst der Großteil der Offiziere in Russland nicht richtig lesen und schreiben konnte, ist verständlich, warum gebildete Ausländer gern gesehene Mitarbeiter in der russischen Verwaltung wurden.348 Zugleich wurden vier neue Universitäten gegründet und die Moskauer Universität entsprechend ausgebaut.349 Bislang gab es nur die 1755 in Moskau gegründete Universität sowie das Kollegium in Wilna, 1802 wurde die Dorpater Universität neu gegründet und in Sankt

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Für die anderen Ministerien liegen vergleichbare Darstellungen vor. Vgl. Friedmann/Krautheim, Reformen, 959, FN 19 für weiterführende Literatur zu den Ministerien. Vgl. Zhand P. Shakibi, Central government, in: Lieven, Dominic (Hrsg.), Cambridge History of Russia. Vol. 2: Imperial Russia, 1689–1917. Cambridge u.a. 2006, 429–448, hier 432. Vgl. George L. Yaney, The systematization of Russian government. Social evolution in the domestic administration of imperial Russia 1711–1905. Urbana, Ill.1973, 94; Safonov, Reform, 203–209. Vgl. Kennedy Grimsted, Foreign Ministers, 168–193. Vgl. Markert, Politik, 20 f. Vgl. Modest I. Bogdanovič, Istorija carstvovanija imperatora Aleksandra I i Rossija v ego vremja. 6 Bde. Sankt Petersburg 1869, v.a. Bd. 2, 367 sowie Bd. 6, 285–287. Vgl. D. G. Tselerungo, Oficery russkoj armii. Učastniki borodinskogo sraženija. Moskau 2002, 111–134. Hierzu stand die Expertise von La Harpe ebenso zur Verfügung, wie die von Stroganov, die Universität Göttingen wurde als Vorbild herangezogen. Vgl. James T. Flynn, The university reform of Tsar Alexander I. 1802–1835. Washington D. C. 1988, 2–16. Die Literatur zur Universitätsentwicklung ist sehr reichhaltig. Siehe den Überblick bei Galina E. Pavlova, Organizacija nauki v Rossii v pervoj polovine XIX v. Moskau 1990.

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Petersburg entstand nun das Pädagogische Institut, das 1819 in den Rang einer Universität erhoben wurde.350 Das Ministerium für Volksaufklärung legte 1803 einen umfassenden Plan zur Neuordnung des Bildungswesens vor: Jeder Bezirk sollte in der Folge eine eigene Universität erhalten.351 Jetzt wurden auch die Anforderungen für den Eintritt in den Staatsdienst festgeschrieben. Hier konnte Alexander an Maßnahmen von Katharina anknüpfen, die zur Verbesserung der Literarizität bereits zahlreiche Schulen und Universitäten gegründet hatte. 1797 lag die Zahl der Analphabeten selbst in dem europäischen Teil liegenden Städten wohl bei siebzig Prozent.352 Bei diesen Reformen ist der tatsächliche Einfluss des geheimen Komitees nur sehr schwer einzuschätzen. Zwar waren einige der Reformprojekte, die in dieser kleinen Runde diskutiert wurden, von Erfolg gekrönt, andere und für die Initiatoren wichtige Projekte waren hingegen nicht durchsetzbar: Die Senatsreform war ebensowenig erfolgreich, wie der Versuch, das Amt eines Ministerpräsidenten nach englischem Vorbild zu schaffen, der die erste Anlaufstelle für die Ressortverantwortlichen gewesen wäre.353 Als informelles Gremium übte das geheime Komitee einen wahrscheinlich relativ hoch zu veranschlagenden Einfluss auf die Meinungsbildung des Zaren aus. Und nach der Ministerienreform konnten die Mitglieder der Gruppe zudem in entscheidende Position einrücken. Kočubej wurde Innenminister, mit Stroganov als Assistenten. Novosil’cev wurde neben seiner Tätigkeit als Privatsekretär des Zaren Assistent des Justizministers, A. R. Voroncov wurde als verdienter Diplomat unter Katharina II. Außenminister und mit dem Titel des Reichskanzlers versehen, Assistent in seinem Ministerium wurde Czartoryski. Dieser Kreis hatte ausführlicher in seinen Sitzungen Ende Juli beziehungsweise Ende August 1801 über die Notwendigkeit allgemeiner Richtlinien für die Außenpolitik, also eine Art ‚Masterplan‘ gesprochen – ohne diesen allerdings inhaltlich bereits näher zu spezifizieren.354 Als Alexander 1801 den Thron bestieg, gab es wie erwähnt, keine verbindliche Sammlung der geltenden Gesetzestexte – die letzte Sammlung, das „Uloženie“, war 1649 unter Zar Aleksej Michajlovič vorgenommen worden. Die seither in großer Zahl erlassenen ukazy waren weder gesammelt noch publiziert worden,

350 Vgl. PSZ I, 36, Nr. 27675 und K. Meyer, Russlands „erste“ Universität. Zur Gründungsgeschichte der Universität Moskau 1755, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 50, 2002, 87–93. 351 Vgl. Klaus Meyer, Die Entstehung der Universitätsfrage in Russland. Zum Verhältnis von Universität, Staat und Gesellschaft zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 25, 1987, 229–238. 352 Vgl. B. N. Mironov, Gramotnost’ v Rossii 1797–1917 godov. Polučenie novoi istoričeskoj informacii s pomoščju metodov retrospektivnogo prognozirovanija, in: Istorija SSSR 4, 1985, 137–153, v. a. 149. 353 Dass die Reformen auch durchaus „restaurativ“ gemeint sein können zeigt für den Fall der Senatsreform Christian, Unofficial Committee, 247–265. 354 Vgl. Michailovič, Stroganov, Bd. 2, 68–71 und 94 f.

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auch wenn Peter I. dem Senat 1719 in Auftrag gegeben hatte, ein neues uloženie zu entwerfen. Das Resultat dieser über hundert Jahre währenden Nicht-Tätigkeit war allgemeine Rechtsunsicherheit angesichts teilweise widersprüchlicher Gesetzestexte.355 Die Notwendigkeit einer staatlichen Erfassung und Systematisierung der Gesetze ergab sich auch aus der Tatsache, dass es im Grunde keine russische Rechtswissenschaft gab. Die Sammlung der Gesetze in einem umfassenden Gesetzbuch war daher zunächst kein ausgesprochener Akt der Reform, sondern sollte dem Ziel dienen, Rechtssicherheit im Land herzustellen. An anderen – westeuropäischen – Gesetzessammlungen sollte sich die eingesetzte Kommission unter Graf Pëtr Vasil’evič Zavadovskij nur in Ausnahmefällen orientieren.356 Die Arbeit an der Kodifizierung kam nur schleppend voran. Nach nur zwei Jahren gab es einen Wechsel an der Spitze des Gremiums und damit verbunden einen Perspektivwechsel in der Zielsetzung. Ab 1803 übernahm Justizminister Pëtr Vasil’evič Lopuchin die Leitung der Kommission und begann mit einer gründlichen Bestandsaufnahme der bisherigen Tätigkeit, über die er am 28. Februar 1804 Rechenschaft ablegte.357 In diesem Bericht empfahl er eine Umbildung der Kommission, die nun nicht mehr die reine Sammlung des bestehenden Rechts zur Kernaufgabe hatte, sondern zudem das geltende Recht systematisieren sollte. Neuer Vorsitzender wurde der stellvertretende Justizminister Novosil’cev, dem Gustav Adolf von Rosenkampf als Sekretär zur Seite gestellt wurde – einen geeigneten russischen Juristen hatte man nicht finden können. Als zu Beginn des Jahres 1808 ein erneuter Rechenschaftsbericht der Kommission vorgelegt wurde, war eine deutliche Orientierung am Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 zu erkennen.358 Der Sohn eines Popen und spätere enge Berater von Alexander und seinem Nachfolger Nikolaus, Michail Michajlovič Speranskij, wurde im August 1808 in die Kommission aufgenommen und baute seine Position hier systematisch aus, bis er 1810 Direktor wurde und damit Rosenkampf an der Spitze ablöste. Er hatte sich bereits 1802 öffentlich zur Arbeit der Kommission geäußert, indem er eine Europäisierung ihrer Tätigkeit forderte. Künftig sollten die Verfassungen von Schweden, Dänemark und Preußen berücksichtigt und Beobachter nach Frankreich und England entsandt werden.359 Jetzt entwickelte er seine Ideen weiter und legte eine weitere Denkschrift – das „Verfassungsprojekt“ – vor, in der er eine scharfe Trennlinie zog zwischen staatlichen Gesetzen, die das Miteinander von Staat und 355 Vgl. auch das Reskript vom 05.06.1801, in PSZ I, 26, 682–685. 356 Vgl. ebd, 685. Vgl. David M. Lang, Radishchev and the Legislative Commission of Alexander I, in: American Slavic and East European Review 6, 1947, 11–24. 357 PSZ I, 28, 160–173. 358 Vgl. Alexander N. Makarov, Das preußische Allgemeine Landrecht und die russischen Kodifikationsarbeiten, in: Woltner, Margarete/Bräuer, Herbert (Hrsg.), Festschrift für Max Vasmer zum 70. Geburtstag am 28. Februar 1956. Wiesbaden 1956, 286–292. 359 Vgl. Michail M. Speranskij, Proekty i zapiski. Moskau 1961, 24. Zur politischen Ideenwelt Speranskijs vgl. Marc Raeff, The Political Philosophy of Speranskij, in: American Slavic and East European Review 12, 1953, 1–21.

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Bewohnern regelten, und bürgerlichen Vorschriften, die für das Miteinander der Bewohner zuständig waren. Entsprechend sollten Gesetze die Veränderungen in den Beziehungen von Privatpersonen regeln, Verordnungen hingegen das geltende staatliche Recht zusammenfassen.360 Damit war ein qualitativer Sprung in der russischen Rechtsgeschichte erreicht – der zu schaffende Staatsrat („gosudarstvennyj sovet“) sollte am Prozess, Gesetze zu erlassen, beteiligt werden, seine Kompetenzen waren jedoch bei seiner Schaffung 1810 nicht annähernd so ausgreifend, wie von Speranskij gefordert.361 Speranskij ging sogar noch weiter und wollte nach französischem Vorbild eigene Kodices für das Zivil-, Straf- und Handelsrecht ausarbeiten.362 Speranskijs Modell stieß auf die Kritik Rosenkampfs, der historisch argumentierte, dass das Recht eines Landes sich aus seiner Praxis und Geschichte entwickelt habe und das Römische Recht, das Speranskij zur Grundlage genommen habe, daher nicht angewandt werden könne.363 Dennoch wurden wesentliche Züge des Speranskij-Entwurfes umgesetzt, indem die Kommission nun einen Zivil-, einen Straf- und einen Handelskodex entwerfen sollte, und die Arbeit machte nun schnelle Fortschritte. Bereits 1809 war der erste Teil über das Zivilrecht fertiggestellt und Alexander schuf analog zu den Überlegungen Speranskijs Anfang 1810 den Staatsrat.364 Bis 1812 sollten weitere maßgebliche Teile folgen, und so lag 1812 auch der Entwurf für ein Zivilgesetz vor.365 Mit Speranskijs Abschied aus dem Zentrum der Macht im selben Jahr verlor das Projekt der Kodifikation sein Ziel und mäanderte zu Lebzeiten Alexanders zwischen den Polen der Anlehnung an den Code Civile einerseits und seiner völligen Ablehnung andererseits umher. Der Zar hatte es dennoch nicht ad acta gelegt. Noch auf dem Höhepunkt der „100 Tage“ der napoleonischen Rückkehr von der Insel Elba schrieb er an Jeremy Bentham, mit dem er seit seinem Aufenthalt in London 1814 in direktem Austausch über Fragen der Verfassung stand.366 Erst mit der Inthronisation Nikolaus I. 1825 und dem erneuten Aufstieg Speranskijs konnte die Arbeit zu Ende gebracht werden. 1830 konnten die ersten 45 Bände der Sammlung aller jemals erlassenen Gesetze, der „Polnoe Sobranie zakonov“ erscheinen und drei Jahre später die systematische Sammlung der gültigen Gesetze als „Svod zakonov“.

360 Vgl. Speranskij, Proekty, 144–201: „Vvedenie k Uloženiju gosudarstvennych zakonov“, 1809. Für eine detailiertere Beschreibung des Reformprojektes vgl. Raeff, Codification, 92– 109. 361 PSZ I, 31, Nr. 24064 und Amburger, Behördenorganisation, 65–70. 362 Vgl. Speranskij, Proekty, 177. 363 Vgl. Norbert Reich, Kodifikation und Reform des Russischen Zivilrechtes im neunzehnten Jahrhundert bis zum Erlaß des Svod Zakonov (1833), in: Ius Commune III, 1970, 152–185, 164–166. 364 PSZ I, 31, 2. 365 Vgl. für eine ausführliche Besprechung Victor Leontovitsch, Geschichte des Liberalismus in Russland. Frankfurt a.M. 21974, 90–101. 366 Vgl. Alexander an Betham, 10./22.4.1815, in: Michajlovič, Alexandre, I, 170 f.

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Auch wenn das Verfassungsprojekt eine Totgeburt war, so ließ Alexander den Plan keinesfalls fallen. 1818 beauftragte er Novosil’cev erneut, eine Verfassung für das Russische Reich auszuarbeiten. Hierbei entstand ein Entwurf, der die Fehler der der Jahre 1801–1809 vermeiden konnte, indem er gleichzeitig systematischer als auch umfassender war. Auch ihm blieb allerdings das Schicksal nicht erspart, praktisch folgenlos zu bleiben.367 Der von Novosil’cev erarbeitete Entwurf, mehrfach von Alexander redigiert, griff Kerngedanken des Entwurfes von Speranskij auf: Gewaltenteilung und eine Legislative, die sich aus gewählten Vertretern zusammensetzen sollte. Auch hier sollte das habeas corpus-Prinzip festgeschrieben werden, allerdings wurden die Rechte nicht auf die Bauern und Leibeigenen ausgedehnt. In zwei wesentlichen Aspekten unterschied sich Novsil’cevs Entwurf allerdings von dem aus dem Jahr 1809. Das Russische Reich sollte erstens in Vizekönigreiche mit je eigener Administration unterteilt werden, und zweitens sollte die Orthodoxie zur Staatsreligion erhoben werden. Da es zunächst keine formale Gliederung in Ministerien gegeben hatte, waren auch die Belange des Äußeren von einem Kollegium für Auswärtige Angelegenheiten besorgt worden. Mit Einführung der Ministerien wurde dann auch die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eindeutiger geregelt.368 Per Dekret vom 8. September 1802 wurde das neue Außenministerium gegründet. Damit ging einher, dass Kočubej durch Alexander Voroncov ausgetauscht wurde. Kočubejs Haltung, Russland solle sich diplomatisch neutral verhalten, traf immer weniger den Nerv des Zaren. Voroncov hingegen konnte bereits auf eine langjährige und erfolgreiche Tätigkeit als Diplomat zurückblicken. Ihm wurde Czartoryski als Vize-Außenminister zur Seite gestellt. Mit demselben Dekret wurde allerdings ebenfalls die Existenz der Kollegien festgeschrieben. Zumindest in den ersten Jahren spielte das Kollegium der Auswärtigen Angelegenheiten eine bedeutende Rolle, wurden von hier aus doch die wichtigen Rekrutierungen von erfahrenen Diplomaten vorgenommen, die Voroncov zum Ausbau der Kanzlei des Außenministeriums benötigte.369 Diese neu geschaffene Kanzlei gliederte sich in vier Abteilungen. Die erste Abteilung umfasste den asiatischen Raum, die zweite hatte das Osmanische Reich und den Handel zum Gegenstand, die dritte kümmerte sich um die russischen Diplomaten und die vierte um die in Russland akkreditierten Diplomaten. Voroncov rekrutierte in großer Anzahl Ausländer und nicht-russische

367 Vgl. G. Vernadsky, La Charte Constitutionelle de l’Empire Russe de l’an 1820. Paris 1933. 368 Vgl. zur Geschichte der Behörden in Russlands Amburger, Behördenorganisation; N. P. Eroškin, Istorija gosudarstvennych učreždenij dorevoljucionnoj Rossii. Moskau 31983 und neuerdings umfassend Raskin, David Isofovič (Hrsg.), Vyssie gosudarstvennye učreždenija. Sank Petersburg 1998–2004, bes. Bd. 4: ders. (Hrsg.), Central’nye gosudarstvennye učrezdenija. Ministerstvo Innostrannych Del, Voennoe Ministerstvo, Morskoe Ministerstvo. Sankt Petersburg 2004. Die Einrichtung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten: PSZ, 27, Nr. 20406. 369 Zur Doppelexistenz und gegenseitigen Beeinflussung siehe Igor Sergeevic Ivanov, Očerki istorii Ministerstva Inostrannych Del Rossii. Moskau 2002, Bd. 1, 241 f.

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Untertanen des Zaren für den diplomatischen Dienst, unter ihnen auch die späteren Botschafter Stackelberg und Lieven. Im Januar 1804 musste Voroncov sein Amt als Außenminister aus gesundheitlichen Gründen niederlegen, wodurch Czartoryski aufstieg. Er blieb bis 1806 im Amt, ehe er wegen der russisch-preußischen Annäherung und dem russischen Beitritt zur neuen Koalition gegen Napoleon zurücktrat. Das Geschäft der Diplomaten wird im Untersuchungszeitraum in der Regel treffend als „Konferenzdiplomatie“ gekennzeichnet. Und tatsächlich dominierte ab 1815 eine bis dato unbekannte Dichte an Konferenzen zur Regelung der internationalen Angelegenheiten, auf denen face to face zwischen den Monarchen und den Regierungschefs verhandelt wurde.370 Selbst auf den formalisierteren Kongressen wurden die wichtigsten Themen in vertraulichen Diskussionen im kleinen Kreis getroffen.371 Somit ist das Element der persönlichen Beziehungen zwischen den policy-makers von besonderer Bedeutung gewesen. Sympathien und persönliche Abneigungen konnten so entscheidend werden für den Gang und die Ergebnisse von Verhandlungen. Als Beispiel sei Alexanders Verhältnis zu Napoleon genannt, das zumindest dilatorische Auswirkungen auf seine Politik hatte, oder das von Höhen und Tiefen geprägte Verhältnis zwischen Metternich und dem Zaren. 3.2.2. Speranskij Nachdem sich das geheime Komitee in die zur Verfügung stehenden Posten der Minister und Ministerhelfer aufgelöst hatte, übernahm ein Mann die Position des Beraters, dessen Einfluss auf den Zaren deutlich größer war. Wie umfassend sein Reformwillen war, lässt sich daran ablesen, dass er das politische Gefüge des Reiches mit den Reformen, die ihm nach Erfurt und Tilsit 1807/1808 vorschwebten, ad profundum verändert hätte. Ein gravierender Unterschied zu seinen „Vorgängern“ sticht in der sozialen Herkunft des Aufsteigers ins Auge. 1797 trat er in den Staatsdienst ein und wurde durch Protektion seitens des ehemaligen Vizekanzlers Kurakin 1802 in das neu geschaffene Innenministerium versetzt, wo er schnell die rechte Hand Kočubejs wurde.372 Aus dem Schatten Kočubejs konnte Speranskij schon bald heraustreten, als er 1803 zum Vorsitzenden des einzigen Départements des Innenministeriums und dadurch de facto zum Vizeminister ernannt wurde. Auf dieser Position hatte er sich den Respekt des Zaren erarbeitet – eine freund-

370 Als besonders schon erkannt bei Metternich: Clemens v. Metternich, Mémoires, documents et écrits divers laissés par le prince de Metternich, chancelier de cour et d’état. Ed. Richard Metternich, 8 Bde. Paris 1880–1884, „Autobiographie“. Bd. 1, 152. 371 S. Ebd., 173. 372 Vgl. neuerdings auch Vladimir A. Tomsinov, Speranskij. Moskau 2006, sowie zu den familiären Bindungen Michail M. Speranskij, M. M. Speranskij. Žizn’, tvorčestvo, gosudarstvennaja dejatel’nost’. Sankt Petersburg 2000, 16.

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schaftliche Verbindung der beiden hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Alexander nahm Speranskij mit nach Erfurt, nachdem er ihn zum „Rapporteur des affaires de haute importance“ ernannt hatte. In Erfurt verhandelte er direkt mit Talleyrand und Napoleon, der von ihm derart eingenommen war, dass er ihm eine goldene Tabaksdose schenkte.373 Seither war er der engste juristische Berater des jungen Zaren, allerdings ohne den Rückhalt einer der aristokratischen Gruppen am Hof völlig von Alexanders Gunst abhängig. Dass er 1812 nach Nižnij Novgorod verbannt wurde, ist auch darauf zurückzuführen, dass die eingesessenen Familien um ihren Einfluss am Hof Alexanders fürchteten.374 Wichtigste Grundpositionen seiner politischen Überzeugung zeigten sich bereits während seiner Tätigkeit im Innenministerium. In einer Denkschrift aus dem Jahr 1802 etwa analysierte er die soziale Struktur des Landes als stark modernisierungsbedürftig, insbesondere das System der leiblichen Abhängigkeit der Bauern vom Adel.375 Nach der erfolgreichen Feuertaufe in Erfurt wurde er von Alexander zum Vizekanzler der Justiz ernannt und mit der Erarbeitung einer Gesetzesreform beauftragt.376 Die Reformpläne wurden in enger Abstimmung mit Alexander erarbeitet, so dass sie dem Monarchen die Prärogative beließen.377 Dabei orientierte sich der Reformer konsequent am Code Civil, was ein nicht ungewöhnliches Vorgehen im zeitgenössischen Europa war.378 Bis Oktober 1809 erarbeitete Speranskij drei Entwürfe: „Introduction au code des lois de l’État“, „bref récapitulatif sur la formation de l’État“ und das „Aperçu général de toutes les réformes et de leur classement chronologique“. Diese Entwürfe haben allein schon deshalb besondere Beachtung gefunden, weil sie eine repräsentative Versammlung, die Duma, vorschlugen. Doch da nach dem Ende von Speranskijs Karriere seine Dokumente unter Verschluss gestellt wurden, existieren nur wenige Texte, die Aufschluss über die Ziele des Staatsmannes geben können.379 Speranskij selbst schrieb ein Jahr nach seiner Verbannung, also 1813, apologetisch an den Zaren und erläuterte ihm, dass es ihm nicht um eine Begrenzung der zaristischen Macht gegangen sei, 373 Vgl. ebd., 19. 374 Vgl. Marc Raeff, Michael Speransky. Statesman of Imperial Russia, 1772–1839. Den Haag 21969, v. a. 170–193; ders, The Bureaucratic Phenomena of Imperial Russia, 1700– 1905, in: American Historical Review 84, 1979, 399–411. 375 Vgl. hierzu John Gooding, The Liberalism of Michael Speransky, in: The Slavonic and East European Review 64, 1986, 401–424. 376 Zum Umfeld der Reformschriften nach 1809 vgl. Vladlen Gerogievič Sirotkin, Russkaja pressa pervoj četverti XIX veka na inostrannych jazykach kak istoričeskij istočnik, in: Istorija SSSR 4, 1976, 77–97. 377 Vgl. Mironenko, Samoderžavie, 29 f. 378 Vgl. Marc Raeff, Codification et Droit en Russie impériale, in: Cahiers du monde russe et soviétique 20, 1979, 5–13; ders., Political Ideas and Institutions in Imperial Russia. Boulder 1994, 78–80; Zur Kontextualisierung und zum europäischen Vergleich siehe Paul Koschaker, Europa und das römische Recht. München/Berlin 41966, bes. Kap XVI. 379 Für eine Diskussion um die Ziele Speranskijs vgl. David Christian, The Political Ideals of Michael Speransky, in: The Slavonic and East European Review 54, 1976, 192–213.

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sondern nur darum, die Bürokratie effektiver zu gestalten.380 Tatsächlich strafften zwei wichtige Vorschläge, die von Alexander umgesetzt worden waren, die Bürokratie. „Sur les grades de la Cour“ vom 3. April 1809 knüpfte die Vergabe von Titeln an das Bekleiden eines Rangs in der Armee oder der Verwaltung und schaffte damit die reinen Hoftitel als Sinekuren ab. „Sur les grades civiles“ vom 6. August schrieb eine verbindliche Karrierehürde für den Verwaltungsdienst in Form eines Universitätsabschlusses vor. Eckpunkte der Reform sollte eine Verbindung von neu geschaffenen Institutionen und gegenseitiger Kontrolle durch eine Gewaltenteilung sein. Der Staatsrat (Gosudarstvennyj Sovet) sollte vom Kaiser ernannt werden und Kontrollfunktionen ausüben. Die Exekutivmacht sollte vor allem in der repräsentativen Einrichtung der Duma versammelt werden, deren Mitglieder aus regionalen Wahlen hervorgehen sollten. Schließlich sollte der Senat zu einer Art oberstem Gerichtshof umgebildet werden.381 Die Exekutivgewalt sollte in den Händen der Minister gebündelt werden. Zentrale Institution wäre demnach die Duma gewesen, deren Zustimmung bei Gesetzesvorhaben notwendig gewesen wäre, auch hätten ihr die Minister Bericht erstatten müssen. Auch wenn der Zar wichtige politische Funktionen weiterhin in seiner Hand versammelt hätte, wie die Ernennung der Minister und der lokalen und regionalen Verwaltungschefs, die Entscheidung über Krieg und Frieden, sowie das Recht auf Gesetzesinitiative, so hätte er doch entscheidende Kompetenzen eingebüßt. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Reformen war die Einführung des habeas-corpus-Prinzips für alle Bewohner des Landes, wobei die Bevölkerung jedoch in drei Klassen eingeteilt werden sollte: Adel, Besitzende und Besitzlose. Nur die ersten beiden Klassen wären zur Partizipation an politischen Entscheidungen zugelassen gewesen. Die Reformarbeit wurde in Europa durchaus positiv aufgenommen. Jeremy Bentham hatte im Januar 1814 seine Mitarbeit angeboten, ohne allerdings Russisch zu können.382 Speranskij selbst hatte die Schriften Benthams gelesen und in den frühen Jahren der Reform seine Nähe zu Bentham immer wieder betont.383 Zunächst zeigte sich Alexander aufgeschlossen gegenüber den Vorschlägen Speranskijs. Anfang Januar 1810 rief er 35 Senatoren zusammen, um in ihrer Anwesenheit feierlich den Beginn der Arbeit des Staatsrats und seinen Willen zu bekunden, ein ziviles Gesetzbuch zu erlassen.384 Alexander hatte den Text seiner

380 Abgedruckt in Russkij Archiv 22 (1892), 51–65 381 Vgl. zu den Einflüssen George Vernadsky, Reforms under Czar Alexander I. French and American Influences, in: The Review of Politics 9, 1947, 47–64. 382 Vgl. Bentham an Alexander, Januar 1814, in: Conway, Stephen/Burns, J. H. (Hrsg.), The collected works of Jeremy Bentham. London 1988, Nr. 2266, 369–371 sowie die Antwort Alexanders vom 22.04.1815, in: ebd, Nr. 2313, 454. Der damalige Leiter der Kommission, Rosenkampf, war der russischen Sprache allerdings ebenso wenig mächtig. Vgl. Reich, Kodifikation, 160. 383 Vgl. zu Benthams Beziehungen zu Russlands: A. N. Pypin, Russkie otnošenija Bentama, in: Očerki literatury i obščestvennosti pri Aleksandre I-m. Petrograd 1917, Bd. 2, 1–109. 384 Vgl. Mironenko, Samoderžavie, 34.

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Mutter zur kritischen Lektüre überlassen, die grundsätzliche Bedenken anmeldete. Zwar sei die Idee, eine Institution zu schaffen, die über Gesetze beraten könne, „urbainement respectable, juste et bien développé“, aber die besonderen Umstände der russischen Politik, der monarchischen Tradition und der Weite des Landes müssten berücksichtigt werden. Es dürfe auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass der Souverän seine Macht einbüßen könnte.385 Auch Aleksej Arakčeev, zu der Zeit Sankt Petersburger Militärgouverneur, zeigte sich anfänglich sehr skeptisch, wurde dann allerdings von Alexander zum Präsidenten des Departments für militärische Angelegenheiten im Staatsrat ernannt, Barclay de Tolly rückte auf den Posten des Kriegsministers nach.386 Speranskij machte sich in den folgenden Monaten an die schwere und drückende Aufgabe, die Staatsfinanzen zu sanieren. Die an sich schon defizitäre Lage des Haushaltes wurde in Zeiten des erhöhten Bedarfes bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen auf eine besonders harte Probe gestellt.387 Bei etwa gleichbleibenden Einnahmen von etwa 120 Millionen Rubeln stiegen von 1807 bis 1810 die Ausgaben von 170 auf beinahe 280 Millionen Rubel.388 Zunächst wurde der Papierrubel an die Deckung in Silber angepasst, womit Papier- und Silberrubel nominal identisch werden sollten. Mit verschiedenen Mitteln – Verkäufe von Staatseigentum ebenso wie dem Einfrieren der Ausgabe der Assignaten – schaffte es Speranskij, innerhalb von zwei Jahren einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen.389 Doch die Maßnahme, die Einkommen des Adels – wenn auch nur vorübergehend – zu besteuern, brachte ihm viele Feinde ein. Auch war das Reformwerk grundsätzlich nicht erfolgreich. Dass nach 1812, in der Zeit, als die antifranzösische Stimmung im Land auf dem Siedepunkt war, das Kodifikationsprojekt und sein maßgeblicher Motor Speranskij in die Kritik gerieten, nimmt daher nicht Wunder.390 Der

385 Vgl. die Antwort Marija Fjodorovnas vom 27.12.1809/8.1.1810, in: GARF, f. 663, op. 1, d. 43. 386 Michael Jenkins, Arakcheev. Grand Vizier of the Russian Empire. A Biography. London 1969, 137. 387 Vgl. zur Lage des Haushalts während der Kontinentalblockade Eugen [Evgenij Victorovič] Tarlé, Kontinental’naja blokada. Issledovanija po istorii promyšlennosti i vnešnej torgovli Francii v ėpochu Napoleona. 1913 [NDr. Moskau 1963], eine Zusammenfassung: Eugen Tarle, Russland und die Kontinentalsperre, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 94, 1933, 70–106. 388 Vgl. Allen McConnell, Alexander I. Paternalistic Reformer. New York 1970, 72 f. 389 Vgl. Speranskij, Speranskij, 23. 390 Siehe Nikolaj Michajlovic Karamzin, Zapiska o drevnej i novoj Rossii. Sankt Petersburg 1914, 106–113. Zur Einordnung der Schrift neuerdings Nikolai Mikhailovich Karamzin/Richard Pipes, Karamzin’s memoir on ancient and modern Russia. A translation and analysis. Ann Arbor 2005, bes. die Einleitung, 3–92. Zum literarischen Leben am Hof vgl. einführend Edward C. Thaden, The Beginnings of Romantic Nationalism in Russia, in: American Slavic and East European Review 13, 1954, 500–521; Horst Schmidt, Geistiges und literarisches Leben in Russland 1789–1825 und die Französische Revolition, in: ders. (Hrsg.), Geistiges und literarisches Leben in Russland 1789–1825 und die Französische Revolition. Halle (Saale) 1990, 5–24.

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Papierrubel hatte wieder massiv an Wert verloren, und Kritik kam nicht zuletzt von Seiten des Dichters und Politikers Nikolaus Karamzin, dessen Buchmanuskript „Notiz über das Alte und Neue Russland“ – „Zapiska o drevnej i novoj Rossii“ 1811 in Adelskreisen herumgereicht wurde, auch wenn das Buch erst sechzig Jahre später im Druck erschien. Karamzin war stark gegen Alexanders Pläne eingenommen, trotz einer an sich westlichen Orientierung.391 Anstelle von neuen Gesetzen favorisierte er zunächst die Kodifikation des bestehenden Rechts. Prominente Unterstützer Karamzins kamen in Gestalt Maria Fedorovnas und ihrer Tochter Ekaterina Pavlovna aus den Reihen der Romanovs ebenso wie aus politischen Kreisen – zu denken wäre an die Personen Andrej Šiškovs und Fedor Rostopčins. Sie nutzten gezielt die antifranzösische Stimmung des Jahres 1812, um Speranskij zu stürzen. Eine Reihe von Kritikpunkten hatte sich angestaut: So hatte Speranskij, der bis dahin de facto die Position eines Premierministers bekleidete, in der Schulreform maßgeblichen Einfluss auf die Einrichtung des Lyceums in Carskoe Selo genommen, das sich stark an französischen Vorbildern orientierte.392 Die Minister blieben weiterhin dem Zaren verantwortlich, die Duma erblickte das Licht der Welt erst nach der Revolution von 1905. Einzig der Staatsrat nahm seine Arbeit auf, das aber in einem anderen Sinne als dem seines Erfinders. Der Rat wurde in erster Linie ein weiteres Exekutivorgan. Es gab vier Abteilungen und ein Plenum. Der Großteil seiner auf Lebenszeit ernannten Mitglieder entstammte dem hohen Adel, hatte im Militär gedient und war Teil ein und derselben Generation.393 Šiškov schließlich folgte Speranskij im Amt. 3.2.3. Weitere Faktoren: Adel und Hofzirkel Als einzige Instanz, die noch in der Lage war, die Politik zu einem gewissen Grad mit zu prägen, blieben die Ministerien bestehen. Da die Verfasstheit des politischen Systems keinerlei kollegiale Beratungen, etwa in der Fom von Kabinettssitzungen, vorsah, und zudem Minister eher hochrangige Beamte waren, genügt es, die Struktur des Außenministeriums zu skizzieren.

391 Michael Schippan (Wolfenbüttel) bereitet gerade eine umfassende Karamzin-Biographie vor. Zur Orientierung des Dichters vgl. Gabriela Lehmann-Carli, Die französische Revolution von 1789 und Impulse für N. M. Karamzins Konzept von einer idealen absoluten Monarchie, in: Österreichische Osthefte 32, 1990, 459–482. 392 Vgl. Ljudmila Michajlova, Das Lyzeum von Carskoe Selo. Ein staatlich-pädagogisches Experiment vom Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Lehmann-Carli, Gabriela (Hrsg.), Russische Aufklärungsrezeption im Kontext offizieller Bildungskonzepte (1700–1825). Berlin 2001, 283–309 und Allen Sinel, The Socialization of the Russian Bureaucratic Elite, 1811–1917. Life at the Tsarskoe Selo Lyceum and the School of Jurisprudence, in: Russian History 3, 1976, 1–31. 393 Vgl. Mironenko, Samoderžavie, 34f, der das Durchschnittsalter der Ratsmitglieder auf etwas über 56 Jahre errechnet hat.

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Die Doppelspitze aus Nesselrode und Kapodistrias war zweifellos eines der prägenden Charakteristika in der Zeit nach 1815 und trug in nicht unerheblichem Maß dazu bei, dass die russische Außenpolitik in Europa nicht als einheitlich wahrgenommen wurde. Beide waren als Ausländer an die Spitze eines Ministeriums gelangt, doch war das auch schon alles, was sie miteinander verband.394 Während Kapodistrias seine politische Laufbahn in Russland aus der Regierung der ionischen Inseln heraus begann, durchlief Nesselrode die eher klassische Laufbahn in russischen Diensten.395 „Nesselrode’s long term as minister was significant not for his substantive influence on diplomacy […] but rather for his singular ability to reflect and support the will of his sovereign“ – so lautet das wohl treffende Diktum Patricia Kennedy Grimsteds.396 Seine erste diplomatische Mission führte ihn 1801 nach Berlin, wo er Vorlesungen bei Johann Peter Friedrich Ancillon hörte und den damals noch in preußischen Diensten stehenden Friedrich von Gentz kennen lernte. Beide Männer verband eine lebenslange Freundschaft. Weitere Stationen führten ihn nach Den Haag und auf eine Tour mit dem Ziel, entlang der österreichischen Grenze die österreichische und französische Truppenstärke auszukundschaften.397 Zum ersten Mal in Kontakt mit den verheerenden Folgen des Krieges kam der junge Diplomat bei der Schlacht von Preußisch-Eylau 1807: „Il est vraiment inconcevable que les forces humaines soient assez résistantes pour ne pas y succomber.“398 Diese Abneigung aus eigener Anschauung sollte er nicht mehr vergessen und zeitlebens auch in seinem Dienst beibehalten.399 Im selben Jahr wurde er als Botschaftsrat nach Paris versetzt, zur Unterstützung des Botschafters Tolstoj, der bereits wenige Tage nach seiner Ankunft in Paris um Ablösung gebeten hatte. In Paris pflegte Nesselrode einen intensiven

394 Zur Bedeutung von ausländischen Spitzenbeamten in Russland siehe Amburger, Behördenorganisation, 502–519. 395 Die Einflüsse der beiden Minister sind hinreichend erforscht. Siehe vor allem Grimsted, Foreign Ministers, 184–286; zu Nesselrode vgl. Ulrike Eich, Nesselrode, Karl Robert v, in: NDB 19 (1999), 74f; Henning Gritzbach, Der russische Reichskanzler Graf Nesselrode (1780–1862). Biographische Untersuchungen zur Diplomatie des Zarenreiches in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, phil. Dis. Erlangen-Nürnberg 1974, sowie Kennedy Grimsted, Foreign Ministers, 194–225; 269–287. Zu Kapodistrias vgl. G. L. Arš, I. Kapodistria i grečeskoe nacional’no-osvoboditel’noe dvizjenie 1809–1822 gg. Moskau 1976; Patricia Kennedy Grimsted, Capodistrias and a „New Order“ for Restoration Europe. The „Liberal Ideas“ of a Russian Foreign Minister, 1814–1822, in: Journal of Modern History 40, 1968, 166–192. 396 Grimsted, Foreign Ministers, 285 f. 397 Vgl. zu den „Lehrjahren“ Gritzbach, Nesselrode, 160–195. 398 Nesselrode an seinen Vater,10./22.02.1807, in: Nesselrode, Lettres et Papiers, Bd. 3, 169– 171, Zitat 170. 399 Zutreffend wird er deshalb auch von Matthew Rendall als „Dove“ – Befürworter von friedlicher Außenpolitik“ am Hof in Sankt Petersburg charakterisiert. Vgl. Matthew Rendall, Cosmopolitanism and Russian Near Eastern Policy, 1821–41. Debunking a Historical Canard, in: Pyta (Hrsg.), Mächtekonzert, 237–56.

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Kontakt zu Metternich.400 Dessen spätere Bemerkung, Alexander habe Tolstoj und Nesselrode nahegelegt, sich eng an ihn zu halten, wird wohl eine Übertreibung sein, doch blieb von dieser Begegnung und durch die gemeinsame Station ein engerer Kontakt.401 Geradezu liebevoll charakterisierte ihn der russische Botschaftsrat 1806 M. de Metternich, bien qu’il ne soit pas encore, j’en conviens, à la hauteur de la place qu’on lui destine, n’est cependant pas sans esprit; il en a même plus que trois quarts des Excellences viennoises, il est de plus très aimable quand il veut, d’un joli extérieur, presque toujours amoureux, mais plus souvent encore distrait, ce que est aussi dangereux en diplomatie, qu’en amour.402

Nach seiner Rückkehr wurde er im Oktober 1811 zum Staatssekretär ernannt. Der Titel „staatssekretar’ Ego Veličestva“ bezeichnete lediglich eine Vertrauensstellung zum Zaren, ein eigener Zuständigkeitsbereich war damit nicht verbunden. Aber: Staatssekretäre hatten das Recht auf unmittelbaren Zugang zum Zaren.403 Diese Beförderung war eine Auszeichnung für die Arbeit Nesselrodes in Paris. Den entsprechenden gesellschaftlichen Hintergrund konnte der neue Staatssekretär durch die Ehe mit der Tochter des Finanzministers Gur’ev sichern.404 Nesselrode galt als nicht belastet, als ‚homo novus‘ der politischen Szenerie verband ihn nichts mit der Verschwörergruppe, die für den Tod Pauls verantwortlich war. Als erfahrener Diplomat war er zudem ein guter Zuarbeiter im Hinblick auf die Anfertigung von Entwürfen oder die Ausfertigung von Schriftstücken. Einen eigenen politischen Gestaltungswillen kann man bei ihm in dieser Position nicht erkennen.405 Das aus dieser Haltung resultierende Urteil des Freiherrn vom Stein, Nesselrode sei ein „pauvre petit chiffon, cinq cent mille toises au-dessous de sa place“ misst mit falschem Maß. Nach der Rückkehr aus Wien wurde er de facto Außenminister, indem er mit der Leitung des Außenministeriums betraut wurde. Allerdings ist die Titulatur aufschlussreich und zeigt, wie sehr sich Alexander als sein eigener Außenminister sah, Denn Nesselrode wurde nur „mit der Leitung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten beauftragter Staatssekretär“.406 „Es ist nicht Nesselrode, der den Platz Rumjancevs eingenommen hat“, urteilte der russische Gesandte in Württemberg, „der Kaiser selbst macht alles; Kapitän ist er, da er zugleich Kriegsund Außenminister ist; Nesselrode ist nur sein Privatsekretär.“407

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Vgl. Manfred Botzenhart, Metternichs Pariser Botschafterzeit, Münster 1967, 184. Vgl. Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 1, 62 und Bd. VIII, 393. Nesselrode, Lettres et Papiers, Bd. 3, 132. In der Liste bei Amburger, Behördenorganisation, 87 wird er allerdings nicht erwähnt. Vgl. Gritzbach, Nesselrode, 252–255; Kennedy Grimsted, Foreign Ministers, 202 f. Vgl. ebd., 214–225. Die Formulierung „sein eigener Minister“ schon in der berühmten Charakteristik Metternichs, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. I (1880), 322. 407 Zit. nach Schiemann, Geschichte, Bd. 1, 538.

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Vor allem bei politisch sensiblen Richtungsentscheiden umging der Zar nicht selten die Wege seiner eigenen Bürokratie, indem er mit besonderen Kompetenzen ausgestatte Sondergesandte mit der Führung von Gesprächen beauftragte. Sein Vertrauter Novosil’cev verhandelte auf diese Weise in London, und Außenminister Rumjancev sah sich mehr als einmal düpiert, indem er von den Entscheidungen des Zaren nicht in Kenntnis gesetzt wurde, etwa als Graf Nesselrode 1811 in Paris tätig war.408 Ebensowenig war der Außenminister in die Gespräche zwischen dem engen Vertrauten Alexanders, Košelev, und dem spanischen Gesandten Zea Bermudez, informiert. Alexander trat auf dem internationalen Parkett als „Tsar-Diplomat“409 auf, direkte Verhandlungen mit Staatsmännern und Monarchen wurden, soweit möglich, von ihm persönlich geführt.410 Diese Führung der außenpolitischen Geschäfte ermöglichte vor allem in Krisenzeiten eine direkte Kommunikation, ohne dass Reibungsverluste durch die Überbrückung der zum Teil enormen Distanzen entstanden wären. Kehrseite der Medaille war, dass es verhältnismäßig leicht war, auf die russische Politik Einfluss zu nehmen. Metternichs direkter Einfluss auf Alexander legt hiervon ebenso beredtes Zeugnis ab, wie die grundsätzliche Festlegung der russischen Außenpolitik auf religiöse Werte durch den Zaren ab 1812. Was für die meisten europäischen Staaten galt, galt nicht minder für Russland: Außenpolitik und Diplomatie waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Sache der Höfe. Die Position des Zaren war sogar noch weitaus losgelöster von externen Einflüssen als die seiner Kollegen des Kontinents, vielleicht mit der Ausnahme Napoleons. Alexander war „tsar-diplomat par excellence“.411 In Metternichs Wahrnehmung war der Zar der Überzeugung, dass manche Angelegenheiten von so entscheidender Bedeutung waren, dass sie von Ministern gar nicht getroffen werden könnten.412 Die russische Regierung besaß keine effiziente Bürokratie und nur wenige institutionelle und prozedurale Kontrollen der Exekutive.413 Auch eine „politische Öffentlichkeit“ ist im Russland Alexanders I. kaum anzutreffen und war zudem schlecht informiert.414 Sie bestand im Wesentlichen 408 Siehe unten. Nesselrode hatte in Paris tatsächlich ohne Wissen des Außenministers und des russischen Botschafters in Paris mit Talleyrand verhandelt. Vgl. Šil’der, Aleksandr, Bd. 2, 397. 409 Diese Formulierung von Kennedy Grimsted, Foreign Ministers, 32. 410 Vgl. auch Eich, Russland, 30–33. 411 Grimsted, Ministers, 11. 412 Castlereagh an Liverpool, 30.1.1814, in: Charles K. Webster, British diplomacy, 1813–1815. Select documents dealing with the reconstruction of Europe. London 1921, Nr. 79, 145. 413 Dazu bereits Amburger, Behördenorganisation. 414 Eine der wichtigsten Zeitungen war die „St. Petersburgische Zeitung“, deren politischen Seiten vom Außenministerium kontrolliert wurden. Das „Journal du Nord“ wurde sogar maßgeblich vom Außenministerium in den Jahren 1806–1813 finanziert. Für die Zeit nach 1813 existiert der „Conservateur impartial“, der ganz auf Französisch erschien, aber nur wenige Informationen enthiet. Russische Diplomaten waren daher sensibel für Gerüchte und Hörensagen in der Gesellschaft. Daher wurde hier viel mehr Zeit und Geld als an anderen Höfen für soziale Events investiert. Wer informiert sein wollte, musste sich in den Salons sehen lassen.

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aus Adel (Dvorianstvo) und Hofzirkel, zu geringeren Teilen aus dem gebildeten Teil von Klerus und Kaufleuten, wobei auch deren Meinung in außenpolitischen Belangen wenig Gewicht hatte – Geheimnisse seien die Seele des politischen Geschäfts, so formulierte es Außenminister Kočubej.415 Diese politische Öffentlichkeit Russlands war verschwindend gering und setzte sich aus einer Handvoll Familien zusammen, die in einem weit verzweigten Bekanntschafts- und Verwandtschaftsnetz untereinander verbunden waren. Klerus, Kaufleute oder sogar Bauern oder untere städtische Schichten suchte man in dieser Öffentlichkeit vergebens.416 Wichtiger waren erste politische Clubs, die nach englischem und französischen Vorbild in Moskau und Sankt Petersburg entstanden waren, ebenso Freimaurerlogen, die zwar unter Katharina verboten worden waren, unter Alexander jedoch wieder erlaubt wurden, sowie der politische Salon von Ekaterina Pavlovna in Tver’, der von 1809–1812 existierte. Jedoch kann man den Einfluss des Adels nicht zu gering veranschlagen.417 Im späten 18. Jahrhundert war die Idee des patriarchalischen Monarchen langsam erodiert, und mit ihm war die Idee, dass der Zar als Ikone Gottes auf Erden für eine Rückführung ins Paradies bürge, ins Wanken gekommen.418 Zu einem überwiegenden Großteil setzte sich die politische Elite aus der Klasse des landbesitzenden Adels zusammen.419 Den Adel wird man am ehesten als Gruppe charakterisieren können, Merkmale einer politischen Klasse konnte man ihm hingegen kaum zusprechen – zu heterogen war seine Zusammensetzung und zu schwach das Amalgam aus Privilegien und Ämtern.420 Es mangelte auch an einem institutionell organisierten Kern, der Klasseninteressen hätte formulieren, fordern und

415 Kočubej an Razumovskii, 28.2.1802, in: Vasil’čikov, Aleksandr A. (Hrsg.), Les Razoumovsky, Bd. 2.4. Correspondance politique du comte André. Halle 1894, 306. Vgl zur Öffentlichkeit in Russland Alexander M. Martin, Romantics, reformers, reactionaries. Russian conservative thought and politics in the reign of Alexander I. DeKalb, Ill. 1997. 416 Vgl. ebd., 6–11. 417 Vgl. zum Adel Manfred Hildermeier, Der russische Adel von 1700 bis 1917, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.), Europäischer Adel 1750–1950. Göttingen 1990, 166–216; Karl–Heinz Ruffmann, Der russische Adel als Sondertypus der europäischen Adelswelt, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 9, 1961, 161–178; Isabel de Madariaga, The Russian Nobility in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: Scott, H. M. (Hrsg.), The European Nobilities in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Bd. 2. Northern, Central and Eastern Europe. London/New York 1995, 223–273 und Marc Raeff, The Russian Nobilities in the 18th and 19th centuries. Trends and Comparisons, in: Banac, Ivo/Bushkovitch, Paul (Hrsg.), The nobility in Russia and Eastern Europe. New Haven 1983, 99–121. 418 Vgl. Stephen L. Baehr, Regaining Paradise. The „Political Icon“ in Seventeenth- and Eighteenth-Century Russia, in: Russian History 11, 1984, 148–167, v. a. 158–164. Ausführlicher: Stephen L. Baehr, The paradise myth in eighteenth century Russia. Utopian patterns in early secular Russian literature and culture. Stanford, Calif. 1991. 419 Gregory L. Freeze, The Soslovie (Estate) Paradigm in Russian Social History, in: American Historical Review 91, 1986, 11–36. 420 Vgl. für eine ausführliche Diskussion I. A. Kristoforov, Aristokratičeskaja oppozicija velikim reformam. Moskau 2002.

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umsetzen können.421 Der Adel als sozio-politische Gruppe wurde in Russland vom Gesetzgeber definiert. Eine Rangtabelle war 1722 von Peter I. eingeführt worden und teilte alle Dienstgrade in Militär und Verwaltung in vierzehn Klassen ein. Mit dem vierzehnten Rang traten die Amtsinhaber in den persönlichen Adel, mit Erreichen des achten Ranges in den Erbadel.422 Damit waren Adelsprivilegien und Dienst für den Herrscher untrennbar miteinander verbunden. Auch wenn das petrinische System des lebenslangen Dienstes für den Zaren mit seinem Tod verschwand, so blieb ein wesentlicher Kern erhalten. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war es auch für wohlhabende junge Adelige selbstverständlich, einige Jahre in der Armee, in selteneren Fällen auch in der Verwaltung des Staates, gedient zu haben, ehe ein Leben als Privatier auf den eigenen Gütern geführt werden konnte. In den Provinzen („gubernija“) und Distrikten („uzed“) war dem Adel durch Katharina II. eine politische Mitbestimmung eingeräumt, die sich jedoch nicht auf eine zentrale Mitbestimmung erstreckte. Doch hatten diese politischen Körperschaften gerade in den Kriegszeiten 1812 eine besondere Bedeutung, da von ihnen die Bereitstellung von Truppenkontingenten und entsprechenden Mitteln ausging.423 Machte der Adel wahrscheinlich rund ein Prozent der Bevölkerung aus, so stellte er weit über neunzig Prozent der Eliten im Staatsdienst, auch im Militär. Vom Hof ging dabei eine beeindruckende Integrationsleistung aus. Selbst ukrainische, baltendeutsche und andere nicht-russische Familien wurden in den Kreis des Reichsadels integriert. Parallel zur Reform des auswärtigen Dienstes betrieb Alexander die Umstrukturierung der Armee. Hierzu holte er den von seinem Vater 1801 verbannten Aleksis Andreevič Arakčeev zurück nach Sankt Petersburg.424 Mitte Mai erreichte Arakčeev die Hauptstadt und wurde dort zum Kommandaten des ArtillerieBataillons der Garde sowie zum Generalinspekteur der Artillerie ernannt. Von Alexander freie Hand erhaltend, die Artillerie zu modernisieren, begann er hier eine umfassende Modernisierung, indem er die Ausbildung der ArtillerieOffiziere verbesserte und die Artillerie zu einer eigenen Abteilung machte, die nicht mehr der Infanterie zugeordnet war. Diese Reformen waren nicht auf kurzfristige Erfolge angelegt, sondern zielten darauf, langfristig die Schlagkraft der Artillerie und damit der russischen Armee insgesamt zu stärken. Kurzfristig schienen die Kritiker aus den Reihen der Offiziere Recht zu behalten, denn in den

421 Pointiert bei Dominic Lieven, The Elites, in: Lieven (Hrsg.), Cambridge History, 227–244, hier 228. 422 Eine Ausnahme war das Heer und die Marine, bei denen bereits mit dem 14. Rang der Erbadel erreicht wurde. 423 So wurden im Juli 1812 von dem Moskauer und den angrenzenden Bezirken 100 000 Soldaten versprochen, was Alexander an Bernadotte erfreut berichtete. Vgl. Aperçu, 74=42v f. 424 Arakčeev hatte sich in den Adelskreisen nicht richtig einfinden können. Aus niederem Adel stammend war er zudem den Vergnügungen am Hof gegenüber stark ablehnend eingestellt. Siehe zu Arakčeev die Sammlung an zeitgenössischen Äußerungen: E. E. Davydova/E. Ė. Lijamina/A. M. Peskov, Arakčeev. Svidetel’stva sovremennikov. Moskau 2000. Einführend zur Biographie den Überblick bei Jenkins, Arakcheev.

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ersten Bewährungsproben schlug sich die neue Artillerie nicht mit übermäßigem Erfolg.425 Andere Reformen gingen langsam voran. Auch in Fragen der Befreiung der Leibeigenen konnte kaum Bewegung erreicht werden. Alexander kaufte zwar Land und Leibeigene, aber eine vollständige Befreiung war nicht durchzusetzen.426 In einem Brief an S. Voroncov beschwerte sich Kočubej 1801, dass die Reformen auch deshalb nicht vorangingen, weil sie keine einheitliche Richtung verfolgten.427 Der Adel hatte gezeigt, dass er keine quantité négligeable war, er konnte Monarchen absetzen und umbringen. Paul I. war nicht zuletzt ermordet worden, weil er an das Selbstverständnis und die Unantastbarkeit des adeligen Besitzes die Axt hatte anlegen wollen. Daher galt es, die Unterstützung des Adels zu gewinnen, dessen Meinungsbildung dank des engen Verbindungsgeflechts exzellent funktionierte. Der russische Adel war dadurch geprägt, dass die Familien untereinander durch Ehen verbunden, im Regelfall sehr wohlhabend waren und seine Mitglieder Zugang zu den privaten Clubs und Salons hatten. Mindestens ebenso bedeutsam war die gemeinsame Sozialisation in einem der aristokratischen Regimenter.428 Eine politische Öffentlichkeit konnte sich auch deshalb nur schwer herausbilden, weil Verwandtschaft mit den Romanovs eines der Elemente war, über das sich die Adelsfamilien definierten. Zudem war die Regierung dank eines Systems der Briefzensur hervorragend über den Austausch zwischen den adeligen Familien im Bilde. Zu den ersten Verantwortlichen der russischen Außenpolitik zählte der polnische Fürst Adam Czartoryski, der nach der Geburt von Elisabeths Tochter Maria Alexandrovna von Paul I. als Botschafter zum thronlosen König von Sardinien entsandt worden war.429 Kurz nach der Thronbesteigung Alexanders wurde er nach Sankt Petersburg zurückbeordert.430 Hier übernahm er Anfang 1804 die Verantwortung im Bereich der Auswärtigen Politik unter der Bedingung, dass er jederzeit seinen Hut würde nehmen können, wenn diese Aufgabe mit seinen patrio-

425 Die Reformen sind vor allem in der russischen/sowjetischen Historiographie behandelt worden. Vgl zu den Militärreformen: Ljubomir Grigo’evič Beskrovnyj, Otečestvennaja vojna 1812 goda. Moskau 1962; Ljubomir Grigo’evič Beskrovnyj, Russkaja armija i flot v XIX veke. Voenno-ekonomičeskij potencial Rossii. Moskau 1973; Ljubomir Grigo’evič Beskrovnyj, Russkoe voennoe iskusstvo XIX v. Moskau 1974. Zu den Innere Reformen: A. V. Predtečenskij, Očerki obščestvenno-političeskoj istorii Rossii v pervoj četverti 19 veka. Moskau usw. 1957. 426 Vgl. AKV, 18, 254. 427 Kočubej an S.R. Voroncov, 12./24.05.1801, in: AKV, Bd. 18. 239. Zu den Reformen vgl allgemein Raeff, Climat. 428 Vgl. Lieven, Elites, 233. 429 Nach Zawadzki, Czartoryski, 37 f., der sich auf die polnischen Memoiren Czartoryskis beruft, war Czartoryski wohl auch der Vater von Maria Alexandrovna. In der englischen und französischen Version der Memoiren fehlen diese Passagen. 430 Alexander an Czartoryski, 17.3.1801, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, 1 f.

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tischen Pflichten als Pole kollidieren sollte.431 In noch bedeutenderem Ausmaß als Kočubej wird Czartoryski nachgesagt, dass er der russischen Außenpolitik in den Jahren 1804 bis 1806 seinen Stempel aufgedrückt haben soll.432 Die zweite Phase von Alexanders Regierungszeit, die 1812 begann, wird üblicherweise als „restaurative Ära“ bezeichnet.433 Begründet wird diese Wertung zunächst mit dem Wechsel der beratenden Persönlichkeiten: Speranskij wurde durch Arakčeev abgelöst. Untrennbar mit diesem Namen ist das Projekt der Militärkolonien verbunden, die, insbesondere sein eigenes Gut Grusino, zum Inbegriff der brutalen Repression wurden.434 Mindestens ebenso sinnfällig war die Person Golicyns, der ab 1816 zur maßgeblichen Figur im Bildungswesen wurde, und zudem als Oberprokurator des Heiligen Synod eine Wandlung von einem kirchenfernen Skeptiker hin zu einem pietistischen Gläubigen durchzumachen schien, die nicht ohne Auswirkungen auf den Zaren bleiben sollte. Die in der Folge einsetzende „Säuberung“ der Universitäten von unliebsamen westlichen Professoren, die erst zu Beginn des Jahrhunderts angeworben worden waren und die totale Unterordnung aller Wissenschaft unter die Religion schienen eine solche Deutung zu bestätigen. Jedoch übersehen diese Interpretationen das enorme reformerische Potential und die große Gestaltungskraft, die nach 1812 gerade in der Außenpolitik des Reiches abzulesen ist. Hier boten sich nach dem Sieg über Napoleon größere Handlungsspielräume, hier galt es weniger Rücksichten auf oppositionelle Gruppen zu nehmen und hier sah der Zar sein eigentliches Bewegungsfeld. 3.3. Der Zar Um die Frage nach der Genese und Verfestigung von Werten bei Entscheidungsträgern zu klären, ist es notwendig, sämtliche Phasen ihrer Sozialisation in den Blick zu nehmen. Das umfasst sowohl die primäre Sozialisation als auch die sekundäre und jede weitere, die in der Form von einschneidenden Erlebnissen, wie etwa Konversionen auftreten. Damit gerät notwendigerweise das persönliche Umfeld des Zaren ins Visier der Untersuchung. Zwar kann im Falle einer historischen Untersuchung die primäre Sozialisation nicht exakt nachvollzogen werden, aber die Gruppe der ersten Bezugspersonen lässt sich anhand der überlieferten Dokumente rekonstruieren.

431 Diese Vereinbarung spiegelt die besondere Wertschätzung Alexanders wider. Vgl. Adam Czartoryski, Mémoires du prince Adam Czartoryski et correspondance avec l’Empereur Alexandre Ier. Paris 1887, Bd. 1, 324. 432 Vgl. Charles Morley, Czartoryski’s Attempts at a New Foreign Policy under Alexander I, in: American Slavic and East European Review 12, 1953, 475–485 und Patricia Kennedy Grimsted, Czartoryski’s System for Russian Foreign Policy. A Memorandum, in: California Slavic Studies 5, 1970, 19–91 sowie Grimsted, Foreign Ministers, 104–150. 433 Als „Ära der Reaktion“ bezeichnet bei Friedmann/Krautheim, Wiener Kongress, 971. 434 Vgl. Jenkins, Arakcheev, 185–189.

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Alexander galt schon den Zeitgenossen als differenzierte und schillernde Persönlichkeit, die sich für abstrakte aufklärerische Ideale begeistern und sich gleichzeitig mystizistischen Spekulationen hingeben konnte.435 „It was a life full of contrast and inconsistencies“, urteilt der Alexander-Biograph Allen McConnell.436 Er sei ein Engel, urteilte seine Frau.437 Und kaum irdischer mutet die Beschreibung der Gräfin Sophie de Choiseul-Gouffier an: „la beauté parfaite de sa figure répondait à celle de son âme: elle paraissait en être une émanation.“438 Obwohl sein Vater versucht habe, ihm die Vorliebe für alles Militärische nahezubringen, habe Alexander – so die Erinnerung der geborenen Gräfin Golicyn – überaus positive Züge behalten: „[…] son esprit est doux et séduissant, il a du charme et de la noblesse dans le discours, beaucoup d’éloquence dans le style et une modestie parfaite dans ses bonnes actions.“439 Für seine Gegner hatte Alexander weniger positive Züge. Napoleon beschimpfte ihn wegen seiner vermeintlichen Wandlungsfähigkeit als „Talma du Nord“440, „faux comme un jeton“.441 Sein tiefer Glaube gab sogar Anlass zu der Spekulation, er sei 1825 nicht gestorben, sondern habe nur ein neues Leben als heiliger Eremit begonnen442 – eine Erzählung, die auch dadurch genährt wurde, dass der Sarg Alexanders in der Peter-Paul-Festung mehr als einmal geöffnet wurde, aber leer war.443 Bezeichnungen und Epitheta variieren von „rätselhaft“444

435 Vgl. Hans-Jobst Krautheim, Alexander I, in: Torke, Hans-Joachim (Hrsg.), Die russischen Zaren 1547–1917. München 1995, 275–287, hier 275. 436 Allen McConnell, Tsar Alexander I. Paternalistic Reformer. New York 1970, V. 437 Mit den Worten „notre Ange est au ciel“ teilte Elisabeth ihrer Mutter den Tod ihres Mannes mit. Zitiert u. a. bei Ivan Golovin, Histoire d’Alexandre Ier. Empereur de Russie. Leipzig/Paris 1859, 218. 438 Choiseul-Gouffier, Mémoires, 1. 439 Souvenirs de Comtesse Golovine, née Galitzine, 1766–1821. Avec und introduction et des notes par K. Waliszewski. Paris 1910, 45. 440 Französischer Schauspieler François-Joseph Talma. Diese Charakterisierung ist z.T. ohne weitere Hinterfragungen in die Sekundärliteratur übernommen worden und wurde gewissermaßen ein Topos der Alexander-Biographik, siehe z.B. Alan Palmer, Alexander I. Gegenspieler Napoleons. Esslingen 1982, 64 und passim. 441 Zit. nach Rey, Alexandre, 9. Hier auch noch mehr Beispiele. 442 Zu dem Mythos um ein Nachleben Alexanders vgl. Janet M. Hartley, Alexander I. London 1994, 200–202; Palmer, Alexander, 364–368 und Maurice Paléologue, Alexandre Ier. Un tsar énigmatique. Paris 1934, 391–411. Neuere Literatur V. Baljazin, Sokrovennye istorii Doma Romanovych. Moskau 1996; I. Bunič, Dve smerti imperatora Aleksandra I. Legendy i fakty. Sankt Petersburg 1993; Alexis S. Troubetzkoy, Imperial Legend. The Mysterious Disappearance of Tsar Alexander I. New York 2002 und M. M. Gromyko, Svjatoj pravednyj starec Fedor Kuz’mič Tomskij – Aleksandr I Blagoslovennyj. Issledovanie i materialy. Moskau 2007. Erste einflussreiche Literatur war Michailovič, Legenda o končine imperatora Aleksandra I v Sibiri v obraze starca Fedora Kozmiča. Sankt Petersburg 1907. 443 Vgl.Vladimir Bariatinsky, Le mystère d’Alexandre Ier. Le tsar a-t-il survécu sous le nom de Fédor Kousmitch? Paris 1929, 50. 444 Paléologue, Alexandre.

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über „mystisch“445 bis hin zur „Sphinx des Nordens“446 – kurz: Alexanders Beurteilung variiert zwischen „Heiliger“ und „Antichrist“. Und in der Tat erscheint seine Persönlichkeit widersprüchlich, wenigstens ambivalent.447 Die ihm nahestehenden Personen erkannten in ihm eine himmlische Gestalt,448 seine Widersacher ließen kein gutes Haar an ihm. Napoleon charakterisierte ihn noch aus seinem Exil in Sankt Helena mit folgenden Worten: „il est sans franchise; c’est un Grec du Bas-Empire“, doch ist auch sein Bild nicht frei von Bewunderung: „Peut-être aussi me mystifiait-il, car il es fin, faux, adroit; il peut aller loin. Si je meurs ici, ce sera mon véritable héritier en Europe.“449 Infolge dieser Ambivalenz gibt es kaum ein Urteil über den Zaren, das als communis opinio gelten kann. Sogar seine geistigen Fähigkeiten sind in Frage gestellt worden: Although [...] general principles and lofty ideas had a compelling fascination for him, he lacked the ability or even the firm conviction necessary to translate any of his ideals into a successful course of action.450

Ganz anders das Urteil der Gräfin Choiseul-Gouffier, die zu mehreren Gelegenheiten intensiver und länger mit Alexander gesprochen hatte: Sa Majesté parla avec éloge du Génie du Christianisme, production aussi justement célèbre que son auteur; de la philosophie de Kant, si profonde et si abstraite, qu’on peut le regarder comme incompréhensible, et que peut-être Kant lui-même n’avait pas le clef.451

Er hatte die Grenzen seines Landes ausgedehnt wie keiner seiner Vorgänger aus dem 18. Jahrhundert, erklärt, er favorisiere Konstitutionen, sich aber zugleich dagegen verwehrt, Russland eine Verfassung zu geben. Zum Teil scheint diese ambivalente Wertung darauf zurückzuführen zu sein, dass russischer Politik per se ungezügelter Machttrieb, Expansionismus und Aufrechterhaltung der aristokratischen Verfasstheit unterstellt wurde.452 Alexander I. hat dabei wie kaum eine andere Gestalt der russischen Herrschergeschichte historiographisches Interesse auf sich gezogen, dennoch fehlte lange Zeit eine umfassende, auf Archivalien beruhende Biographie, die auch die russische Literatur berücksichtigte.453 445 Constantin de Grunwald, Alexandre Ier. Le Tsar mystique. Paris 1955; Martin Winkler, Zarenlegende. Glanz und Geheimnis um Alexander I. Berlin 1941. 446 Troyat, Alexandre. 447 Vgl. Erwin Oberländer, Russland von Paul I. bis zum Krimkrieg 1796–1856, in: Schieder, Theodor (Hrsg.), Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 5: Europa von der Französischen Revolution bis zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1981, 616–676, hier 667. 448 Beispielsweise Choiseul-Gouffier, Mémoires, 3. 449 Mémorial de Sainte-Hélène, Eintrag 10.–12.3.1816. 450 Vgl. Barbara Jelavich, A Century of Russian Foreign Policy 1814–1914. Philadelphia, New York 1964, 28 f. 451 Choiseul-Gouffier, Mémoires, 148 f. Eine ähnliche Deutung auch ebd, 3. 452 Vgl.Eckhard Matthes, Das veränderte Russland. Studien zum deutschen Russlandverständnis im 18. Jahrhundert zwischen 1725 und 1762. Frankfurt/Main u.a. 1981. 453 Die wichtigsten Titel sind Troyat, Alexandre; Archangel’skij, Aleksandr; Hartley, Hartley, Alexander; Michael Klimenko, Notes of Alexander I, the emperor of Russia. New York 1989;

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Die Liste der Biographien ist lang, bereits kurz nach dem Ableben des Zaren erschienen die ersten biographischen Arbeiten.454 Außerdem erfreuten sich Berichte aus dem persönlichen Umfeld des Zaren, die zum Teil noch zu dessen Lebzeiten auf dem Markt erschienen, größerer Beliebtheit.455 Aus dem 19. Jahrhundert liegt die mehrbändige Biographie von Nikolaus Karlovič Šil’der vor, die immer noch neu aufgelegt wird.456 Der Fülle der erschienenen Arbeiten zum Trotz bleibt Šil’ders Studie, neben der ebenso materialreichen Arbeit des Großfürsten Nikolas Michajlovič, die tragende Säule jeglicher Alexander-Biographik, auch neuere Arbeiten, wie etwa die von Janet Hartley,457 haben nur selten ausführlicher die in Moskau verfügbaren Materialien genutzt. Mittlerweile liegt eine umfassende Biographie zu Alexander aus der Feder der renommierten RusslandHistorikerin Marie-Pierre Rey vor, die die oben genannte Lücke schließt.458 Diese Biographie ist insofern bemerkenswert, weil sie sowohl russisches Archivmaterial als auch russische Forschungsliteratur benutzt.459 Allerdings ist einschränkend zu vermerken, dass sie manchmal sehr oberflächlich und nicht gründlich genug gearbeitet ist, so dass sich an manchen Stellen sachliche Fehler einschleichen.

Baljazin, Imperator; Daria Olivier, Alexandre. Prince des illusions. Paris 1973; McConnell, Alexander I; Henry Valloton, Le tsar Alexandre Ier. Paris 1966; Edith M. Almedingen, The Emperor Alexander I. London 1964; Grunwald ,Alexandre; Paléologue, Alexandre; F. Gribble, Emperor and Mystic. The Life of Alexander I. of Russia. London 1931; Nicolas Michailovič, L’Empereur Alexandre Ier. Essais d’Etude historique. Tome premier Texte et Annexes. Tome second Annexes. St. Petersburg 1912; Theodor Schiemann, Kaiser Alexander I. und die Ergebnisse seiner Lebensarbeit. Berlin 1904. 454 Adrien Egron, Vie d’Alexandre Ier, empereur de Russie. Suivie de notices sur les grands-ducs Constantin, Nicolas et Michel; et de fragmens historiques, politiques, littéraires et géographiques propres à faire connaitre l’empire russe, depuis le commencement du 19e siècle jusqu’à ce jour. Paris 1826; Alphonse Rabbe, Histoire d’Alexandre Ier, empereur de toutes les Russisies et des principaux événements de son règne, 2 Bde. Paris 1826. 455 Alexandrana ou bons mots et paroles remarquables d’Alexandre Ier. Paris 1815; ChoiseulGouffier, Mémoires; Roxandra Edling, Mémoires de la comtesse Edling (née Stourdza) demoiselle d’honneur de Sa Majesté l’Imperatrice Elisabeth Aexéevna. Moskau 1888. (NDr.: Roxandra Edling, Zapiski, in: Liberman, A./Naumov, V./Shokarev, A. (Hrsg.), Derzhavnyj Sfinks. Moskau 1999, 157–236.); Dorothea Lieven, Unpublished Diary and Political Sketches of Princess Lieven. Ed. Harold Temperley. London 1925. 456 Weitere Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert sind N. I. Grech, Biografija Imperatora Aleksandra I. Sankt Petersburg 1835; A. I. Michailovskij-Danilevskij, Imperator Aleksandr I i ego spodvižniki. 6 Bände. Sankt Petersburg 1845–1849; P. Ja Protasov, O junosti Aleksandra I. Leipzig 1862; Modest I. Bogdanovič, Istorija carstvovanija imperatora Aleksandra I i Rossija v ego vremja. 6 Bde. St. Petersburg 1869–1871; Sergej M. Solov’ev, Imperator Aleksandr I. Politika. Diplomatija. St. Petersburg 1877. 457 Hartley, Alexander. 458 Rey, Alexandre. 459 Gerade letzteres ist häufig als Manko angemahnt worden. Siehe Dietmar Wulff: Rezension zu: Utz, Raphael: Russlands unbrauchbare Vergangenheit. Nationalismus und Außenpolitik im Zarenreich. Wiesbaden 2008, .

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Grundsätzlich steht jede Beschäftigung mit Alexander I. vor dem Problem, dass kein gesammelter und systematisch erschlossener Nachlass vorliegt.460 Besonderes Interesse hat seine Person schließlich vielleicht auch deswegen gefunden, weil er, besonders deutlich in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit „the only articulate ideologist to Rule Russia between Ivan IV and Lenin“ war.461 Die biographischen Details sind hinlänglich bekannt, daher genügt es an dieser Stelle, auf die Ereignisse in Alexanders Leben einzugehen, die von besonderer Bedeutung für diese Studie sind. Alexanders Mutter Maria Fjedorovna war 18 Jahre alt, als Alexander am 23. Dezember 1777 das Licht der Welt erblickte. Seinen Namen erhielt er nach dem russischen Nationalhelden und Stadtpatron von Sankt Petersburg Alexander Nevskij.462 Sechs Tage nach der Geburt fand die Taufe durch Katharinas Beichtvater Ioann Ivanovič Panfilov statt. Katharina nahm das Alter von Alexanders Mutter zum Vorwand, um massiv in die Erziehung Alexanders einzugreifen.463 Die Erziehung des Carevič war alles andere als verhätschelnd: seine Matratze war nur mit Stroh gefüllt, er schlief am offenen Fenster, jeden Abend gab es kalte Bäder oder Duschen, die Kammer war keinesfalls wärmer als 13-14 °C. Er schlief in einem Flügel des Winterpalais, der direkt neben der Admiralität lag, um ihn an den Kanonendonner zu gewöhnen. Er beschwerte sich schon früh über Taubheit im linken Ohr, die mit modernen Anwendungen von Strom behandelt wurde.464 Alexander war Katharinas Lieblingsenkel und ihre Briefe an Melchior Grimm zeigen deutlich den Stolz der Großmutter.465 Sie verfolgte ein „modernes“ und aufgeklärtes Erziehungskonzept in Anlehnung an Rousseau und Pestalozzi, das auf Eigenständigkeit setzte, Kreativität fördern, sowie einen respektvollen Um460 In den persönlichen Fondy der Romanovs im GARF existiert der Fond 679. Dokumente von unschätzbarem Wert sind von Nikolaus I. bei seiner Thronbesteigung verbrannt worden. Ebenso wichtig ist Fond 728, der Dokumente aus der Bibliothek des Winterpalastes enthält, aber auch er ist „bereinigt“. 461 James Billington, The Icon and the Axe. New York, 1966, 217. 462 Katharina II. an Grimm, 14.12.1777, in: SIRIO 23, 1878, Nr. 46 sowie Katharina II. an Grimm, 25. Dezember 1777, in: ebd., 71. 463 Gleiches passierte auch bei der Geburt des jüngeren Bruders von Alexander, Konstantin, dessen Name programmatisch von Katharina festgesetzt wurde. Grimm begleitete Prinzessin Willhelmina Luisa von Hessen-Darmstadt 1771 nach Sankt Petersburg (sie heiratete Paul und nannte sich fortan Natalja Alekseevna. Nach seiner Reise stand der bedeutende Essayist in engem Briefkontakt mit Katharina, der neben den Memoiren Katharinas einen tiefen Einblick in die Erziehungskonzepte der Zarin gibt. Vgl. Wilmont Haake, Grimm, Friedrich Melchior Frhr. v, in: NDB 7, 86–88. Zu den familiären Konflikten siehe Rey, Rey Alexandre, 27–39, zur Erziehung 49–64. 464 Vgl. Alexander an La Harpe, 12. März 1796, in: Biaudet/Nicod (Hrsg.), Correspondance. Bd. 1, 160. 465 Vgl. beispielsweise Katharina II. an Grimm, 13. Februar 1780, in: ebd, 174; Diean Dens, 11. Oktober 1782, in: ebd, 250. Zu Alexander einführend Vassilji O. Ključevskij, Kurs russkoj istorii. Bd. 5. Moskau 1908, 202–211; Palmer, Alexander, 82 f. Das umfassende Werk Ključevskijs ist fehlerhaft ins englische und deutsche übersetzt worden, der für den Untersuchungszeitraum zu nutzende Band 5 liegt bislang nur in russischer Sprache vor.

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gang mit anderen üben sollte.466 Kurz: Aus Alexander sollte ein „Mensch auf dem Thron“ werden.467 Wahrscheinlich hat Katharina ihrem Enkel die Erklärung der Menschenrechte vorgelesen, zumindest aber diskutierte sie mit ihrem Enkel die Ideen der Aufklärung.468 Der Einfluss Katharinas wurde besonders intensiv, als Paul und Maria Fjodorovna 1781/82 ihre Grand Tour durch Europa machten. Während Alexander und sein jüngerer Bruder Konstantin von ihrer Großmutter erzogen wurden, verhielt es sich bei den insgesamt fünf Töchtern des Thronfolgers anders. Sie wuchsen bei ihren Eltern auf. Für die weitere Entwicklung dess jungen Großfürsten bestimmte Katharina 1784 General Nicolaj Ivanovič Saltykov, der auch schon die Aufsicht über die Erziehung ihres Sohnes Paul ausgeübt hatte.469 Saltykov ist von Zeitgenossen ein eher schädlicher Einfluss zugesprochen worden, so äußerte sich Gräfin Golovin: Son instituteur le comte Saltykov, homme astucieux, fourbe et intrigant, lui dictait sans cesse une conduite, qui devait nécessairement détruire la franchise de caractère et la remplacer par une étude continuelle de ses paroles et de ses actions.470

In der Tat hatte Paul kaum direkten Einfluss auf die Entwicklung seines Sohnes, der gesamte Kontakt musste über Saltykov abgewickelt werden.471 Dem Mathematiklehrer Charles François Philibert Masson ist eine mehrbändige Erinnerungsschrift zu verdanken, die unter anderem das Personaltableau der Erzieher am Hof 466 Katharina II. an Grimm, 12. Juni und 16. Juli 1782, in: SIRIO 23, 236 und 246. Katharina schrieb für ihren Enkel sogar ein Märchen, das schnell ins Deutsche übersetzt wurde: Das Märchen vom Zarewitsch Chlor, Berlin 1782. Hierin spiegeln sich die Kernideen ihrer Erziehungsphilosophie wider: Der wundervolle Zarewitsch Chlor wird von einem kirgisischen Khan entführt und bekommt die Aufgabe, die Rose ohne Dornen, als Symbol für Tugend, zu finden. Fortuna selbst hilft dem Suchenden in Gestalt ihres Sohnes, der Vernunft. Die Suche lehrt Chlor vor allem Vorsicht vor Schmeicheleien und anderen Gefahren, doch wird er am Ende belohnt, indem er die Rose findet. Vielleicht hiervon inspiriert ließ Alexander später in Zarskoe Zelo einen Rosentempel bauen. Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 1, 59 f. 467 Diese berühmte Wendung stammt aus der Feder des Dichters und persönlichen Vertrauten Katharinas II, Gavriil Romonovič Deržavin, siehe: G[avriil]. R[omanovič]. Deržavin: Sočinenija, 9 Bde, StP. 1864–1883, hier Bd. 1, 50–53. Die Wendung „čelovek na trone“ ist so bekannt, dass sie Eingang in die meisten Darstellungen zu Alexander gefunden hat. Vgl. etwa den Romantitel A. N. Sacharov, Čelovek na trone. Moskau 1992. 468 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 1, 36. 469 O. V. Suchareva, Kto byl kto v Rossii ot Petra I do Pavla I. Moskau 2005, 74. Die Anweisungen für den Erzieher: „Instructions composées pour la gouverne de Nicolas Saltykov“ sind abgedruckt in: Frédéric-César de La Harpe, Le gouverneur d’un prince. Frédéric César de La Harpe et Alexandre Ier de Russie; d’après les manuscrits inédits de F. C. de La Harpe et les sources russes les plus récente. Lausanne u.a. 1902, 269–292 und auf russisch in SIRIO 27, 1880, 307–320. Saltykov wurde angewiesen, das Märchen von Chlor mit Alexander und seinem Bruder zu lesen. 470 Golovine, Souvenirs, 44. 471 Charles François Philibert Masson, Mémoires secrets sur la Russie et particulièrement sur la fin du règne de Catherine II. et le commencement de celui de Paul I. formant un tableau des moeurs de St. Pétersbourg à la fin du XVIIIe siècle. Paris 1799/1800 [Ndr. in einem Band Paris 1869], 169.

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skizziert.472 Außerdem wurde zur geistlichen Erziehung der Protopriester des Sophienklosters in Sophia (heute Puškin) Andrej Afanasevič Samborskij bestellt, der zugleich auch den Englischunterricht übernahm. Samborskij hatte fünfzehn Jahre in London zugebracht, weshalb er die Erlaubnis erhielt, keinen Bart zu tragen. Seine Sprachkompetenz, ebenso wie sein Interesse an der Landwirtschaft müssen größer gewesen sein als sein als sein religiöser Eifer.473 Samborsky wird wohl nur für eine basale religiöse Erziehung gesorgt haben.474 Obwohl Saltykov die Oberaufsicht über die Erziehung hatte, wurde der Schweizer Republikaner Frédéric César de La Harpe prägend für den jungen Carevič.475 Durch ihn kam Alexander eventuell in Kontakt mit der Friedensschrift des Abbé de Saint-Pierre.476 Sicher brachte er die Ideen Rousseaus und Lockes in die Erziehung ein.477 Die beiden wichtigsten Erzieher, Saltykov und La Harpe, behielt Alexander zeitlebens in guter Erinnerung. Als Saltykov 1818 starb, begleitete Alexander seinen Sarg bis zum Friedhof, der Witwe La Harpes stattete der Zar während seines Aufenthaltes in Paris einen Besuch ab.478 Auch als La Harpe 1797 in Begriff war, die Schwiegermutter Alexanders kennenzulernen, wurde er von Alexander herzlich empfohlen und hoch gelobt „comme mon ami intime et comme un homme auquel je dois tout hors la vie“.479 Und noch auf dem Wiener Kongress soll sich Alexander gegenüber der Fürstin Bagration geäußert haben: „Ein Fürst ist in der Regel nur ein Fürst. Laharpe [sic] aber hat aus mir einen Menschen gemacht [...].“480 Frédéric-César de La Harpe hatte Philosophie und Mathematik in Genf studiert, anschließend Jura in Tübingen. Sein besonderes Interesse galt der Antike, 472 Masson, Mémoires. 473 Vgl. Šil’der, Imperator; Bd. 1, 43 f.; Masson, Mémoires, Bd. 2, 94 f. A. Fatéev, Le problème de l’individu et de l’homme d’état dans la personnalité historique de Alexandre I, empereur de toutes le Russies, in: Russkij Svobodnyj Universitet v Prage. Zapiski naučno-issledovatel’skogo ob’edinnenija 3 (1936), 139–178, 5 (1937), 1–13, hier I, 160 gibt an, dass Samborski bereits die Idee einer Vereinigung aller christlichen Monarchen Europas gehabt habe, allerdings ohne Beleg. 474 Johann Heinrich Schnitzler, Histoire intime de la Russie sous les empereurs Alexandre et Nicolaus. 2 Bde. Paris 1854, Bd. 1, 462. 475 Die Schreibweise des Namens differiert von La Harpe über La Harpe zu La Harpe. Siehe zu La Harpe die Studie seines Großneffen, des Karlsruher Professors Arthur Boehtlingk, Der Waadtländer Friedrich Caesar Laharpe. Der Erzieher und Berater Alexanders I. von Russland, des Siegers über Napoleon I. und Anbahner der modernen Schweiz. 2 Bde. Leipzig 1925; Jean Charles Biaudet/Françoise Nico, La Harpe, Frédéric-César, in: Reinalter, Helmut/Kuhn, Axel/Ruiz, Alain (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der demokratischen und liberalen Bewegungen in Mitteleuropa. Bd. 1. Frankfurt/Main 1992, 210–212. 476 Vgl. Knapton, Origins, 135. 477 Vgl. Boehtlingk, La Harpe, 66. 478 Vgl. Rey, Alexandre, 51 f. und Choiseul-Gouffier, Mémoires, 200. 479 Alexander an seine Schwiegermutter, 9. Mai 1797, in GARF, f. 658, op. 1, d. 109, zit. nach Rey, Alexandre, 54 f. 480 August Fournier, Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongress. Eine Auswahl aus ihren Papieren. Wien 1913, 42.

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vor allem der römischen Republik, die ihm zum politischen Fixstern seiner eigenen Anschauungen wurde.481 Für seinen Unterricht nutzte er intensiv das Standardwerk von Edward Gibbon „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“, dessen geschichtsphilosophischen Standpunkt Alexander sich bereits früh angeeignet hatte.482 Er war überzeugter Republikaner und schrieb entsprechende Schriften auch aus Russland, allein mehr als sechzig in den Jahren 1790/91. Von den Berner Behörden verraten an Katharina musste er sich vor ihr rechtfertigen. Offen gab er in einem Brief seine Haltung zu und bekräftigte gleichzeitig, dass er das in der Erziehung von Katharinas Enkeln nie zur Sprache gebracht habe. Katharina schenke dem Waadtländer Glauben und so blieb die Denunziation vorerst ohne weitere Konsequenzen für La Harpes Wirken in Russland.483 Doch schon nach einem weiteren Jahr schlug die Stimmung erneut um, als eine Gruppe von Flüchtlingen – unter Ihnen die aus Bern stammende Frau des Grafen Esterhazy – darauf hinwirkte, dass der Thronfolger nicht von einem Republikaner erzogen werden sollte. Auch in diesem Fall gelang es La Harpe, Katharina von seiner Integrität zu überzeugen.484 Katharinas Vertrauen gründete sich nicht nur in die Persönlichkeit des Schweizers, seine Erziehungsziele hatte dieser schon 1784 formuliert, und ihnen zufolge sollte Alexander vor allem zu einem moralischen „citoyen éclairé“ gebildet werden.485 Im gleichen Maß wie in der Erziehung regierte Katharina auch in die Eheschließung Alexanders hinein. Seit 1790 fasste sie den Plan, ihren Enkel zu verloben. So schickte sie im selben Jahr Nikolaus Rumjancev nach Baden, wo er die beiden Töchter des badischen Erbprinzen Karl Ludwig, Louise Marie Auguste und Friederike Theresa, in Augenschein nehmen sollte. Von seinem Bericht angetan, lud sie beide Prinzessinnen nach Sankt Petersburg ein. 1793 konvertierte Louise zur Orthodoxie, nahm den Namen Elisabeta Alekseevna an,486 am 21. Mai 1793 wurde die Verlobung und am 28. September desselben Jahres die Vermählung gefeiert.487 Die junge Zarin wurde für ihre Schönheit gerühmt.488 Doch die Rolle einer wirklichen First Lady erfüllte sie zunächst nicht. Stattdessen privilegierte Alexander nach seiner Inthronisation seine Mutter in bis dahin nicht bekanntem Ausmaß mit Vorrechten, dass der französische Botschafter Savary noch 1807 berichtete:

481 Vogel, Jacques (Hrsg.), Mémoires de Frédéric-César Laharpe concernant sa conduite comme Directeur de la République helvétique. adressés par lui-mème à Zschokke [1804]. Paris u.a. 1864, 67. 482 Vgl. Zapiski Lagarpa o vospitanii velikich knjazej Aleksandra i Konstantina Pavlovičej, 1786–1794 gg, in: Russkaja Starina 2, 1870, 152–207. 483 Dazu seinen Bericht in Vogel (Hrsg.), Mémoires, 82. 484 Vgl. Rey, Alexandre, 56 f. 485 La Harpe, Gouverneur, 23. 486 Hier folge ich der üblichen Transkription des Namens. Korrekt wäre Elisaveta Alekseevna. 487 Die persönliche Beziehung der Braut zu Alexander spiegelt sich in Nicolas Michailovič, L’impératrice Élisabeth. Épouse d’Alexandre Ier. 3 Bde. Sankt Petersburg 1908 f. 488 Vgl. Troyat, Alexandre, 157.

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La répresentation se trouve du côté de l’impératrice-mère. Tous les honneurs extérieurs, tous les hommages sont dirigés vers ce point. Dans les ceremonies publiques, Maria Fiodorovna prend souvent le bras de l’empereur; l’impératrice marche après elle, et seule. […] Il ne s’accorde pas une faveur en Russie, il ne se fait pas une nomination qu’on aille lui render homage et lui baiser la main pour la remercier; mais on ne va rien dire à l’impératrice Élisabeth: ce n’est pas l’usage. Les grands de Saint-Pétersbourg se garderaient bien de laisser passer quinze jours sans avoir fait une apparition chez l’impératrice-mere.489

Auch Alexander hatte mehrere außereheliche Beziehungen: Madame Phillis, eine französische Dichterin, folgte ihrer Landsfrau Madame Chevalier, andere Hofdamen reihten sich ein. Wohl seit der Karnevalssaison 1801 war der Zar Maria Naryškina verfallen. Sie war die Tochter des polnischen Fürsten Antoine-Stanislas Četvertinskij und seit 1794 ‚demoiselle d’honneur‘ von Katharina. Sie heiratete Dimitri Naryškin, einen der reichsten Männer der Zeit, doch die Ehe wurde ein Fiasko. Maria Naryškina war zunächst die Geliebte von Platon Zubov – dem ehemaligen Geliebten Katharinas –, ehe sie das Verhältnis mit Alexander begann. Dieses hielt bis zu Alexanders Rückkehr aus Europa im Sommer 1814 an.490 Mit La Harpes Entlassung 1795 unternahm Katharina den Versuch, Alexander an die Geheimnisse der Verwaltung und Regierung heranzuführen, ohne ihm dabei jedoch Verantwortungsbereiche zu übertragen – ein Anliegen, das scheiterte.491 Das Verhältnis zwischen Alexander und La Harpe blieb besonders. In einem sehr emotionalen Brief reagierte der Zar auf ein Schreiben des mittlerweile in das helvetische Direktorium aufgerückten ehemaligen Erziehers zur Thronbesteigung.492 Hier nennt er La Harpe „mon cher et vrai ami“, dessen Brief ihm den ersten Moment der Freude seit der Thronbesteigung bereitet habe. Die seither vergangene Zeit beschreibt er rundweg unglücklich: „je me trouve à la tête des affaires de mon malheureux pays.“ Dieser Brief zeigt Alexander als unsicher, er bittet seinen ehemaligen Erzieher um gelegentlichen Rat: Que ne pouvez-vous être là pour me guider de votre expérience et me garantir des pièges auxquels je suis exposé par ma jeunesse, et peut-être par l'ignorance dans laquelle je suis de la noirceur des âms perverties!“

Doch wird man aus diesem Schriftstück letztlich nicht mehr als sentimentale Anhänglichkeit herauslesen können. Denn bereits kurze Zeit später machte sich La Harpe auf den Weg nach Russland, ohne formell von Alexander eingeladen worden zu sein, wie er gegenüber Kočubej mit Bedauern feststellte.493 Seine Einreise 489 Zitiert nach Marie Martin, Maria Fédorovna et son temps, 1759–1828. Contribution à l’histoire de la Russie et de l’Europe. Paris 2003, 156. 490 Das geht aus einem Brief hervor, den Alexander wahrscheinlich an seine Schwester geschrieben hatte, der in einer Sammlung im GARF aufbewahrt wird: Lettre à une femme, in: GARF, f. 728, op.1, d. 1336. 491 Masson, Mémoires, Bd. 1, 182 f. 492 Alexander I. an La Harpe, 9./21.5.1801, in: Biaudet/Nicod (Hrsg.), Correspondence Bd. 1, 240 f. 493 Vgl. Koubej an Voroncov, 6./18.8.1801, in Archiv Knjazja Voroncova, Bd. 14 (1879), 155. Zu La Harpes Reise in Russland siehe auch Rey, Rey Alexandre, 144 f.

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wurde zunächst dadurch erschwert, dass ihm der notwendige Pass vorenthalten wurde. Auch als er im Sommer 1801 am Hof eintraf, um Alexander bei seinen Reformvorhaben zu unterstützen, wurde er nicht überall mit offenen Armen empfangen.494 Ein Jahr lang blieb La Harpe in Sankt Petersburg, und im Laufe dieses Jahres behielt er einen direkten Zugang zu Alexander. Fast täglich trafen sich die beiden, tauschten häufig Noten und Billets aus, die dann von Alexander dem „Geheimen Komitee“ zugetragen wurden.495 Hier machte sich La Harpe vor allem Gedanken um die Schul- und die Justizreform. Doch er wurde zu keiner einzigen Sitzung des „Geheimen Komitees“ zugelassen. Den jungen Männern erschien La Harpe als zu wenig modern, vielmehr als alter Mann, der noch in den Ideen des 18. Jahrhunderts stecken geblieben sei. Dass Alexander versuchte, das Ansehen des Schweizers zu bessern, hatte ebenfalls wenig Auswirkungen.496 Ein nennenswerter Einfluss des ehemaligen Erziehers ist in dieser Phase nicht zu konstatieren. Von seinem Vater übernahm Alexander die Liebe zur intensiven Beschäftigung mit dem Militär. Für Paul war das Militär in erster Linie eine Institution zur Verkörperung von Stärke und Männlichkeit.497 Schon in jungen Jahren hatte er den französischen König Heinrich IV. zu seinem Vorbild erkoren.498 Das herausragendste Merkmal bei Heinrich identifizierte Paul in der „Ordnung“ (Porjadok) der Armee und der starken Führung – Eigenschaften, die dem russischen Militär fehlten.499 Als strukturierendes System des russischen Staates wurde das Konzept der wohlgeordneten Polizei aus den deutschen Territorien übernommen.500 Ab 1795 nahmen Alexander und Konstantin vier Mal wöchentlich an den militärischen Übungen und Paraden in Gatčina teil, ab 1796 täglich. Der Rest der Zeit war mit militärischen Ratespielen gefüllt.501 Während in Gatčina militärischer Drill herrschte und Fragen des sozialen Ranges kaum eine Rolle spielten, war das

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Vgl. Monnard: Notice biographique, 60. Czartoryski, Mémoires, I, 271. Ebd., 271 f. Vgl. Wortman, Scenarios, 153 f. Zu Paul ist die Literaturlage vor allem durch russische Biographien dominiert: Nikolaj Karlovič Šil’der, Imperator Pavel Pervyj. Istoriko-biografičeskij očerk. Sankt Petersburg 1901; Valentin Platonovic Zubov, Zar Paul I. Mensch und Schicksal. Stuttgart 1963; Aleksej M. Peskov, Pavel I. Moskau 1999; Gennadij Obolenskij, Imperator Pavel I. Moskau 2000; Semen Andreevič Porosin/Aleksandr Borisovič Kurakin, Russkij Gamlet. Moskau 2004. Eine moderne Biographie liegt von Roderick Erle McGrew, Paul I of Russia. 1754–1801. Oxford 1992. Darüber schrieb er eine kleine Abhandlung: Carevič Pavel Petrovič, Istoričeskie materialy chranjaščiesja v biblioteke dvorca goroda Pavlovska. Otryvok iz pochval’nago slova Genrichy IV, in: Russkaja Starina 9, 1874, 677–684, hier 681–683. Dies nahm er wohl bei Gesprächen mit Peter Panin auf. Vgl. hierzu: Šil’der, Pavel, 59 f. Vgl. Marc Raeff, The well-ordered police state. Social and institutional change through law in the Germanies and Russia 1600–1800. New Haven 1983; Riasanovsky, Ways. Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 1, 180–182; Jenkins, Arakcheev, 51. Dem häufigen Wechsel zwischen den beiden Orten und der jeweiligen Kultur ist in der Literatur oft ein bestimmendes Element in Alexanders Persönlichkeitsentwicklung eingeräumt worden. Vgl. zuletzt Rey, Alexandre, 65–72.

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Leben am Hof Katharinas geprägt von strenger Etikette. Seinen Vertrauten gegenüber legte Alexander auch später keinen Wert auf Fragen der Herkunft, vielleicht hatte er das am Hof seines Vaters gelernt, wo auch der aus dem niederen Adel stammende Alexis Arakčeev schnell in den inneren Kreis aufgenommen worden war.502 Als Zar nahm Alexander das unterbrochene Zeremoniell der Wachparaden noch am Tag seiner Krönung wieder auf und widmete sich ihm mit der gleichen Hingabe, die sein Vater gezeigt hatte.503 Alexander ersetzte zum Beispiel die eher plumpen Uniformen durch solche, die nach französischem Muster geschnitten wurden.504 1802 wurden die typisch napoleonischen Zweispitze eingeführt, ein Jahr später folgten französische Tschakos und kurze Westen ersetzten die alten Mäntel. Caulaincourt berichtet 1808, dass sich alles darum drehe, die Dinge aus Frankreich zu kopieren.505 Und sogar während der französischen Invasion 1812 fand Alexander noch Zeit für die täglichen Paraden. Dabei führte er die Vorliebe seines Vaters für Drill und Uniformen weiter. Bis 1807 gab es nur eine einzige Änderung an den Statuten seines Vaters und die betraf die Länge eines soldatischen Schrittes.506 In der psychologisierenden Deutung Richard Wortmans diente Alexander diese penible Beschäftigung mit militärischem Zeremoniell als Surrogat für ein echtes Kommando, wofür ihm – wie Austerlitz demonstrierte – das Talent gefehlt habe.507 Doch zeigt Austerlitz noch etwas anderes. Alexander war der erste russische Monarch seit Peter dem Großen, der sich in persona auf dem Schlachtfeld zeigte. Nach der Schlacht von Austerlitz wurde ihm die Georgs-Medaille erster Klasse angeboten, die er mit dem Hinweis darauf ablehnte, dass er kein Kommando geführt habe. Aus Respekt vor dem Orden akzeptierte er dennoch die Medaille vierter Klasse.508 Katharina überlegte wahrscheinlich seit 1791 intensiver, wie sie Alexander auf die direkte Thronfolge vorbereiten könne und wie Pauls Ansprüche dabei zu umgehen seien. In verschiedenen Anläufen versuchte sie, diesem Ziel näherzukommen. In diesem Zusammenhang zog sie ausgerechnet La Harpe zu Rate, der das 1793 stattfindende Gespräch rückblickend als „torture morale“ bezeichnete, konnte er der Zarin doch keinen ihr genehmen Rat geben.509 Nicht zuletzt fürchtete der Schweizer um sein Leben, sollten diese vertraulichen Erörterungen Paul zu Ohren kommen.

502 Jenkins, Arakcheev, 43. 503 Vgl. Eintrag vom 12.4.1801 in Kamer-fur’erskij ceremonial’nyj žurnal’. Janvar’–Ijun’ 1801 goda, Sankt Petersburg 1901, 230. Ich danke Ekaterina Gončarova, Moskau, für ihre Hilfe. 504 Vgl. Raoul Brunnon, Uniforms of the Napoleonic Era. The Age of Napoleon. Costume from Revolution to Empire, 1789–1815. New York 1989, 179. 505 Nikolaj Michailovič, Diplomatičeskie snošenija Rossii i Francii, Sankt Petersburg 1908, Bd. 4, 3. 506 Vgl. Sergej Petrovič Mel’gunov, Dela i ljudi Aleksandrovskogo vremeni. Berlin 1923, 43 f. 507 Vgl. Wortman, Scenarios, 205. 508 Vgl. ebd. 509 Vgl. La Harpe, Gouverneur, 50.

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1794 unternahm Katharina einen erneuten Versuch, diesmal wegen der vermeintlichen Inkompetenz ihres Sohnes, stieß aber auf Vorbehalte von Graf Musin-Puškin, der hierin eine Gefahr der Destabilisierung sah. Zwei Jahre später weihte Katharina ihren Enkel ein: Am 16. September 1796 offenbarte sie Alexander ihren Plan und sandte ihm gleichzeitig den Entwurf eines Manifestes, das zur Thronfolge veröffentlicht werden sollte. Alexanders Antwort fiel zögerlicher aus, als sich das die Zarin wohl erhofft hatte.510 1796 dachte Alexander bereits in legalistischen Kategorien – seinen Vater sprach er mit „Majesté“ an –, und es bestand für ihn wohl kein Zweifel daran, dass Paul die Nachfolge Katharinas antreten würde. In dem berühmten Brief an seinen Freund Pavel Kočubej gestand Alexander, dass er mit seiner Lage sehr unzufrieden sei: Oui, mon cher ami, je le répète, je ne suis nullement satisfait de ma position, elle est beaucoup trop brillante pour mon caractère qui n’aime que la traquillité et la paix. La cour n’est pas une habitation faite pour moi; je souffre chaque fois que je dois être en representation et je me fais du mauvais sang en voyant ces bassesses qu’on fait à chaque instant pour acquérir une distinction pour laquelle je n’aurais pas donné trois sols.511

Angewidert zeigte er sich davon, dass er sich mit Menschen umgeben müsste, die er unter anderen Umständen nicht einmal als Hausangestellte beschäftigen würde. Mon plan est qu’ayant une fois renounce à cette place scabreuse […], j’irai m’établir avec ma femme aux bords du Rhin, où je vivrai tranquille en simple particuliere, faisant consister mon Bonheur dans la société de mes amis et l’étude de la nature.512

Umgesetzt wurden diese Pläne nie, auch wenn der Zar 1812 und 1817 noch einmal von solchen Plänen – dann allerdings weniger konkret – sprach.513 Mit Katharinas Tod am 6. November 1796 bestieg Paul dann tatsächlich den Thron.514 Die ältere Historiographie ist mit Paul hart ins Gericht gegangen und hat ihn beinahe ausnahmslos als hochmütigen, paranoiden und cholerischen Despoten beschrieben, dessen politisches Handeln chaotisch und konzeptionslos gewesen sei; einziger Fluchtpunkt seiner Maßnahmen sei es gewesen, das Wirken seiner Mutter rückgängig zu machen.515 In der neueren Geschichtsschreibung setzt sich langsam ein differenzierteres Bild des Zaren durch. Die Inkonsistenzen und Ausbrüche in seiner Regierungszeit fallen dabei nicht unter den Tisch, aber sie werden 510 Nach Katharinas Tod fand sich das Schreiben bei den Unterlagen von Platon Zubov. Abgedruckt bei Šil’der, Imperator, Bd. 1, 279. 511 Alexander an Kočubej, 10. Mai 1796, in: La Harpe, Gouverneur, 336. 512 Ebd, 337. Der Rhein als Bezugspunkt ist oftmals diskutiert worden. Vielleicht ist er eine Reminiszenz an La Harpe. 513 Vgl. Choiseul-Gouffier, Mémoires, 134 und Arkhanguelskij, Feu follet, 442. 514 In den privaten Papieren seiner Mutter fand er auch das Vermächtnis, das ihn in der Thronfolge überging. Paul verbrannte das Papier und Alexander stellte keine Ansprüche auf den Thron. Zu Paul siehe Hugh Ragsdale, Paul I. A Reassessment of his Life and Reign. Pittsburgh 1979. und R. McGrew, Paul I of Russia. New York 1992. 515 Vgl. Ole Feldbaek, The Foreign Policy of Tsar Paul I, 1800–1801. An Interpretation, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 1982, 16–36. Pauls Regelungen betrafen beinahe alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Zum Beispiel wurde 1799 der Walzer verboten.

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nicht mehr als pars pro toto zur alleinigen Grundlage der Deutungen erhoben. Folgt man den Darstellungen vor allem von Aleksej Peskov und Gennadij Obolenskij, so war Pauls Politik keineswegs so unorganisiert und planlos, wie es bis dato dargestellt wurde.516 Nutznießer seiner Politik sollte freilich ein kleiner elitärer Kreis werden, der schließlich den Königsmord betrieb und den Grundstein für die düsteren Legenden um den Zaren legte, um so das eigene Tun nachträglich zu rechtfertigen.517 Schon als Katharina in der Nacht des 5. November 1796 ins Koma fiel, machte sich Paul an radikale Veränderungen, abgestoßen von den Einstellungen seiner Mutter. Sofort ließ er sich die persönlichen Papiere seiner Mutter bringen und verbrannte sie. Er ließ den Palast in Zarskoie Zelo schließen und bezog den Winterpalast. Die Sommer- und Herbstmonate wollte er weiterhin in Gatčina oder Pavlovsk verbringen. Die vermeintliche Frivolität der französischen Sitten sollte aus Russland verbannt werden, und so wurde sofort nach der Thronbesteigung eine Reihe von Ukazen erlassen, die das Leben in Sankt Petersburg empfindlich einschränkten.518 Jedoch gab es zu Beginn seiner Regierung durchaus auch liberale Zeichen, wie Begnadigungen der von Katharina aus religiösen oder politischen Gründen Verhafteten. Eine Armee, die Katharina in Richtung Persien entsandt hatte, wurde von Paul zurückbeordert.519 Auch in anderer Hinsicht legte der neue Zar andere Maßstäbe an. Die von Katharina an den Adel verteilten Privilegien wurden aufgehoben – wenn auch die Charta von 1785 nicht angetastet wurde – und auch der Adel wurde zu Steuern verpflichtet und musste fortan körperliche Strafen bis hin zur Verbannung fürchten. Einschneidender waren die Veränderungen, die Paul in der Armee durchsetzte. Ein detaillierter Katalog regelte buchstäblich alle Bereiche des soldatischen Auftretens nach dem Vorbild Friedrichs des Großen. Ziel der Maßnahmen war die Modernisierung der russischen Amee. Paul machte tabula rasa unter den Eliten seiner Armee: Sieben Feldmarschalle, mehr als 300 Generale und über 2.000 Offiziere mussten gehen.520 Durch eine russische Offiziere benachteiligende Beförderungspolitik verschärfte Paul den Unmut in der Armee weiter. Nach und nach wurde zunächst das Militär auf die Person Pauls ausgerichtet und dann das politische Leben militarisiert. Damit einhergehend brachte er den Adel durch eine Reihe von Prozessen aus nichtigen Gründen weiter gegen sich auf.521

516 Vgl. Peskov, Pavel; Obolenskij, Imperator. 517 Vgl. Rey, Alexandre, 93. 518 Einige der Regelungen: frugales Mittagessen für die Adeligen um 13 Uhr, Sperrstunde um 22 Uhr, nachts waren die wichtigsten Straßen der Stadt verschlossen und nur noch für Ärzte und Hebammen passierbar; sogar die Kleidung wurde reglementiert. Siehe zu den Maßnahmen Chichagov, Mémoires, Bd. 2, 25–30. 519 Vgl. dazu das Mémoir von 1774. 520 Zahlen bei Jenkins, Arakcheev, 60. Vgl. außerdem Roger R. Reese, The Russian imperial army, 1796–1917. Aldershot 2006. Serge Andolenko, Histoire de l’armée russe. Paris 1967. 521 Vgl. N. Ejdel’man, Gran’ Vekov političekaja bor’ba v Rossii v Rossii, konec XVIII–načalo XIX stoletija. Moskau 1982, 90–113.

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Paul hatte Russland durch seine Politik in eine schwierige Lage manövriert. Von England und Österreich entfremdet, begann eine langsame Annäherung an Frankreich. 1800 wurde erstmals seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. wieder diplomatischer Kontakt etabliert, beide Länder einigten sich schnell auf einen Plan, das Osmanische Reich untereinander aufzuteilen.522 Es kam zur Wiederbelebung der bewaffneten Neutralität von 1780 und in der Folge zu einer ersten Kontinentalblockade.523 Die Spannungen mit England wurden auf die Spitze getrieben, als Paul anordnete, dass in russischen Häfen liegende britische Handelsschiffe konfisziert und die Seeleute inhaftiert werden sollten. Eine Flotte unter dem Kommando von Nelson und Parker brach in Richtung Baltikum auf, um diese Probleme zu lösen, als der Zar ermordet wurde. Gegen Mitternacht am 23. März 1801 wurde Paul von einer Gruppe Verschwörer, unter ihnen die Staatsmänner Peter von der Pahlen und Nikita Petrovič Panin, gefangengesetzt, für abgesetzt erklärt und bei einem Handgemenge ermordet.524 Die Logik dieses Aktes lag nicht zuletzt in den außenpolitischen Spannungen, die er beschworen hatte, so dass in Russland schnell dem Kabinett in London eine Mitschuld, wenn nicht gar die Drahtzieherschaft, angedichtet wurde.525 Dass der Verschwörer Nikita Panin und Baron Whitworth eng befreundet waren, ließ weitere Theorien ins Kraut schießen, war Whitworth doch nach der britischen Besetzung Maltas 1800 von Paul als Gouverneur entlassen worden.526 England hatte nach den verheerenden Auswirkungen der ersten Kontinentalblockade alles Interesse, auf einen Wechsel in der russischen Politik hinzuwirken. Diese Blockade war aus mehreren Gründen bedrohlich für das englische Königshaus, denn sie fiel mit einer katastrophalen Fehlernte 1799/1800 zusammen, und zudem existierte die Möglichkeit noch nicht, aus Südamerika Ersatz für den mangelnden Import aus Europa zu besorgen. Es fehlte darüber hinaus auch an Holz für den Schiffbau.

522 Vgl. Zapiska Grafa F.V. Rostopčina o političeskich otnošenijach Rossii v poslednie mejacy pavlovskago carstvovanija, in: Russkij Archiv Nr 1, 1878, 103–110. 523 Vgl. Hugh Ragsdale, A Continental System in 1801. Paul I and Bonaparte, in: Journal of Modern History 42, 1970, 70–89. 524 Vgl. Leo Loewenson, The Death of Paul I (1801) and the Memoirs of Count Bennigsen, in: Slavonic and East European Review 29, 1950, 212–232. Die Ereignisse haben viel Interesse gefunden, siehe die Schilderung bei Palmer, Alexander, 52–57. 525 Hierzu die Aussagen von Kočubej gegenüber Voronvoc, 28.3.1801, in: Bartenev, P. I. (Hrsg.), Archiv knjazja Voroncova. St. Petersburg 1870–1897 (hinfort: AKV), Bd. 14, Nr. 81, 146–148 und R. Voroncov an A. R. Voroncov, London, 31.7.1801, n.St, in: AKV, Bd. 10, 113f, der sich auf die Aussage von Zubovs Schwester Ol’ga Žerebetsova stützte, die im Haushalt des englischen Gesandten Charles Whitworth angestellt war. 526 Vgl. Theodor Schiemann, Zur Geschichte der Regierung Paul I. und Nikolaus I. Neue Materialien. Berlin 21906, 43 f. Zu Whitworth siehe immer noch: Stanley Thomas Bindoff, British diplomatic representatives 1789–1852. London 1934, 108 f. Die Indizien für und wider englische Mitwisserschaft oder Verantwortung diskutiert James J. Kenney, JR, Lord Whitworth and the Conspiracy Against Tsar Paul I. The New Evidence of the Kent Archive, in: Slavic Review 36, 1977, 205–219, mit dem Ergebnis, dass immerhin die Möglichkeit bestanden haben mag.

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Durch die Getreideknappheit kam es in mehreren Städten zu Unruhen und Aufständen, die die Regierung unter starken Zugzwang setzten.527 Daraus wird man jedoch nicht eine englische Mittäterschaft an der Palastrevolution vom März 1801 ableiten können.528 Angesichts des hohen Legitimationsdruckes, dem sich Alexander in der Folge ausgesetzt sah, da er durch einen Königsmord auf den Thron gelangte, knüpfte er an Traditionen an, die nach der Herrschaft Pauls positiv konnotiert waren. Daher verkündete er bereits bei der Thronbesteigung, an die Prinzipien der Herrschaft Katharinas wieder anschließen zu wollen.529 Das entsprechende Manifest war von Dmitrij Troščinskij, einem ehemaligen Vertrauten Katharinas und Senators verfasst worden, der eigens aus dem erzwungenen Ruhestand reaktiviert worden war. Diese Erklärung war geschickt gewählt, da sie hinreichend offen war, so dass sich die unterschiedlichsten Gruppen ohne größere Schwierigkeiten in ihr wiederfinden konnten.530 Alexander erbte nicht nur eine angespannte innenpolitische Situation von seinem Vater. Auch in außenpolitischer Hinsicht war die Situation nicht leicht. Seit 1800 hatte Napoleon seine Vormachtstellung in Europa noch ausbauen können durch die Siege in Marengo und Hohenlinden. Paul hatte in den letzten Monaten seines Lebens mit Dänemark, Schweden und Preußen eine „bewaffnete Neutralität“ gegen Großbritannien geschlossen, doch schon fünf Tage nach seiner Ermordung hatte die britische Marine die dänische Flotte vor Kopenhagen vernichtend geschlagen, womit der Liga der bewaffneten Neutralität ihrer Existenzgrundlage geraubt worden war. Mit Alexanders Thronbesteigung begann das Streben nach Frieden in Europa. Er bemühte sich um gutes Einvernehmen mit anderen Staaten, gleich welcher politischer Couleur. Das lässt sich an den vielen Instruktionen der Zeit um 1801 ablesen.531 Zahlreiche während der Regierung seines Vaters in Ungnade gefallene Offiziere und Beamte wurden wieder eingesetzt – Nikita Panin wurde zum Beispiel nach Sankt Petersburg beordert und mit der Leitung des Kollegiums für auswärtige Angelegenheiten betraut.532 Und auch wenn Panin nur wenige Monate

527 Vgl. William Freeman Galpin, The grain supply of England during the Napoleonic period. New York 1925, 10–18, auch Ragsdale, Continental System, v.a. 87–89. 528 Ob und wie viel Alexander wusste, ist nicht hinreichend geklärt. Bei Kasimierz Waliszewski, Le Règne d’Alexandre Ier. Bd. 1. La Bastille russe et la révolution en marche (1801–1812). Paris 1923–1925, Bd. 1. La Bastille russe et la révolution en marche (1801–1812), 23 ohne Quellenbelege die Position, Alexander habe den Mord billigend in Kauf genommen. 529 Vgl. Marc Raeff, Le climat politique et les projets de reforme dans les premieres années du regne d’Alexandre Ier, in: Cahiers du monde russe 2, 1961, 415–433. sowie H. Seton-Watson, The Russian Empire 1801–1917. Oxford 1967, 72–74. 530 Vgl. McConnell, Alexander, 21. 531 Bsp.: Alexander I. an Semen Romanovič Voroncov, 6./18.11.1802, in: VPR I/1, Nr. 130, 326– 328. 532 Vgl. V. Okun’, Bor’ba za vlast’ posle dvorcogo perevorota 1801 g, in: Voprosy istorii Rossii XIX–načala XX veka. Mežvuzovskij sbornik. Leningrad 1983, 3–15.

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im Amt bleiben sollte, so hatte diese Ernennung eine hohe symbolische Bedeutung. Innenpolitisch veranlasste Alexander eine Reihe von liberalen Reformen in den ersten Regierungsjahren. Die Zensur wurde sofort gelockert, der Senat wurde aufgewertet und nahm damit eine entscheidende Rolle in der Machtstruktur des Reiches ein, das auch mit der Einrichtung der acht regulären Ministerien und dem Staatsrat als oberster legislativer Instanz nach dem Vorbild der napoleonischen Ordnung modernisiert wurde. Zu den Änderungen in der Politik, die Alexander durchsetzte, gehörte auch, dass er die „kolonialen“ Verwaltungsstrukturen änderte. Hatte Paul Gebiete zu größeren Einheiten zusammengefasst, so wurden von Alexander kleinteiligere Verwaltungsstrukturen im Süden und Westen des Reiches wiederhergestellt.533 Außenpolitisch hatte der neue Zar schnell den Wunsch geäußert, mit den Linien der Politik seines Vater zu brechen.534 Auch für den Handel folgte eine Reihe von Lockerungen, die den Im- und Export erleichterten. Noch vor seiner Thronbesteigung hatte er zudem Czartoryski beauftragt, ein Manifest zu entwerfen, in dem die wichtigsten Maßnahmen angekündigt und erläutert werden sollten. Im Freundeskreis wurden diese Ideen als „Revolution“ bezeichnet, offenbar ein Begriff, der noch nicht negativ besetzt war.535 Ziel der frühen Außenpolitik war es, sich aus Europa weitgehend herauszuhalten und eine Ruheposition einzunehmen, die auch wegen der drängenden innenpolitischen Reformen dringend benötigt wurde. In ihrer Gesamtheit waren die ersten Maßnahmen ambitioniert und zeugten von dem Willen, aktiv Veränderungen herbeizuführen. Doch bereits nach wenigen Wochen stockten die meisten Vorhaben. Die geplante Charta wurde nicht erlassen und zeitgleich wuchs Alexanders Misstrauen gegenüber den Senatoren. Es spricht viel dafür, dass die anfängliche Reformfreude auf Druck Pahlens zustande gekommen ist. Denn zum einen änderte sich Alexanders Kurs dramatisch, nachdem Pahlen im Juni 1801 sein Exil in Kurland (auf seinen Ländereien) antrat.536 Tatsächlich war Pahlen eine bedeutende Person in der „Antichambre der Macht“ – er war Militärgouverneur von Sankt Petersburg, Mitglied des außenpolitischen Rats und des Staatsrats, sowie Zivilgouverneur der baltischen Provinzen und wusste diese Machtfülle ausgesprochen gut zu nutzen.537 Die Memoiren von Czartoryski zeichnen ebenso wie die Erinnerungen anderer Zeitgenossen das Bild eines übermächtigen Mannes am Hofe, der beinahe alle Fäden nach Belieben ziehen konnte. Dabei war Pahlens Stellung höchst ambivalent und seine Exilierung war Teil des Ablösungsprozesses von der

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Vgl. LeDonne, Frontier Governors, 165 f. Vgl. Rey, Alexandre, 135. Vgl. David Saunders, Russia in the Age of Reaction and Reform, 1801–1881. London, 1992. Dies das Kernargument bei McConnell, Paternalistic Reformer, bes. 374–378. Vgl. Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 248. Dessen Aussage deckt sich mit der Beobachtung von Napoleons Vertrautem Gérard Christophe Michel Duroc „M. de Pahlen est toujours à la tête des affaires at paraît avoir une grande influence.“, Duroc an Napoleon, Sankt Petersburg, 6. Prairial an IX [=14./16.5.1801], in: SIRIO 70, 1890, Nr. 75, 155–159, hier 159.

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Verschwörergruppe des 23. März.538 Auf Pahlens Exil folgten die Verbannung Panins und die der Offiziere Jachvil und Tatarinov, bis schließlich auch Platon Zubov Anfang 1802 das Reich verlassen musste. Pahlens Stellung entsprach wohl tatsächlich nicht mehr als einer mächtigen Rolle innerhalb der „Antichambre“ der Macht. Ein vermeintlicher Druck Pahlens, wie ihn McConnell konstatiert,539 kann aktenmäßig nicht nachgewiesen werden. Und auch ein weiteres Argument spricht gegen diese These: Zwar geriet Alexanders Reformprogramm mit der Verbannung Pahlens ins Stocken, ein abrupter Richtungswechsel blieb allerdings aus. Die Erlebnisse um die Ermordung seines Vaters haben wohl dazu beigetragen, dass Alexander zeitlebens von Angst vor Komplotten geplagt wurde. Diese Sorge war nicht ganz unberechtigt. Nach der Rückkehr aus Paris bildete sich in Sankt Petersburg eine kleine Gruppe von Verschwörern aus sechs Offizieren um Michail Orlov, die sich die „Union der Rettung“ nannten und die sich der Errichtung einer konstitutionellen Monarchie verschrieben hatten, allerdings über die Frage der anzuwendenden Mittel 1818 zerbrach. Ein radikaler Kern der Gruppe um Michail Lunin schreckte auch vor Regizid nicht zurück. Die Nachfolgeorganisation, die „Wohlfahrtsunion“, begann sich in einem lockeren Netzwerk in Sankt Petersburg, Moskau, Kiew und anderen Städten des Imperiums zu formieren, als Katalysatoren wirkten häufig die Freimaurerlogen in den entsprechenden Städten.540

538 Simon Voroncov an Novosilcev, 6./18.5.1801 : „Il ne peut avoir ni volonté ni sûreté à s’opposer à ce que veut cette terrible cabale“, in: AKV, XI, Moskau 1877, 391 f. 539 Hierzu McConnell, Alexander, 25–31. 540 Zur Vorgeschichte der Dezembristen siehe Raeff, Marc (Hrsg.), The Decembrist Movement. Englewood Cliffs 1966.

II. SI VIS PACEM, PARA BELLUM. AUSSENPOLITIK BIS 1812 1. FRIEDEN IN EUROPA UND EXPANSION IM SÜDEN (1801–1805) Alexanders frühe Äußerungen zu politischen Fragen zeigen ihn häufig als „Moralisten“, der keine realpolitische Erwägungen anstellte. Diese erste Phase der Außenpolitik sah den vielfachen Versuch, so etwas wie eine „pacification générale“ in Europa herzustellen.1 Doch waren die ersten Jahre des neuen Zaren vor allem geprägt von reformatorischen Unternehmungen im Inneren. Nachdem die negativen Folgen von Pauls Annäherungen an Frankreich nicht mehr spürbar waren, gab es aus russischer Perspektive zunächst keinen Anlass, in Europa politisch tätig zu werden. In Europa trat Alexander als arbiter pacis auf, doch in Richtung Süden trug sein Handeln durchaus expansionistische Züge. Mit der Inthronisation Alexanders begannen systematische Überlegungen zu einer Neuorientierung der russischen Außenpolitik, doch folgte sie bis 1812 insgesamt keinem streng ideologischen Konzept.2 Auch wenn ein solches geschlossenes System fehlte, so lassen sich doch einzelne Fixpunkte in der Außenpolitik des Zaren ausmachen. Dazu zählt vor allem zu Beginn eine auffällige Tendenz, mit beinahe allen Mächten Europas freundschaftliche Beziehungen unterhalten zu wollen. Zu Beginn dieser Phase kam Kočubej, der seinen Vorgänger Panin im Oktober 1801 ersetzte, die Rolle des wichtigsten Beraters zu. Er wusste sich in völligem Einverständnis mit seinem Dienstherrn. Le comte Kotchoubeï avait adopté un système qu’il croyait entièrement conforme aux opinions et aux vues de l’empereur […]. C’était de se sentir à l’écard des affaires de l’Europe, de s’en mêler le moins possible, d’être bien avec tout le monde, afin de pouvoir consacrer tout son temps et son attention aux ameliorations intérieurs. C’était bien l’avis et le désir de l’empereur, et celui de ses intimes; mais personne ne l’avait adopté avec plus de conviction et

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Diese Wendung: Aperçu des Transactions politiques du Cabinet de Russie = Obzor političeskich soglašenij Russkogo kabineta, 1801–1812gg, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 6=7v (hinfort: Aperçu). Vgl. auch RGADA, f. 15 (Diplomatičeskij otdel), op. 1, d. 119, 173v. Zur Außenpolitik der ersten Jahre siehe Uta Krüger-Löwenstein, Russland, Frankreich und das Reich 1801–1803. Zur Vorgeschichte der 3. Koalition. Wiesbaden 1972; Avgusta Michailovna Stanislavskaja, Russko-anglijskie otnošenija i problema Sredizemnomor’ja (1798– 1807). Moskau 1962; sowie Eich, Russland, 13–99. Zur Diskussion um den Einfluss und die Politik seiner frühen Berater Pahlen, Panin und Kočubej: Grimsted, Foreign Minister, 66– 103. Vgl. Naročnickij, Hegemoniepolitik. Er ist als verantwortlicher Redakteur der VPR ein intimer Kenner der russischen Archivalien.

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ne le soutenait avec plus d’insistance, personne n’était decide à le suivre avec une constance plus inébranlable que le comte Kotchoubeï.3

Verbunden mit grundsätzlichen Überlegungen war die Einsicht, dass der russische Export sich eher an Großbritannien als an Frankreich orientieren sollte. Dank der Entspannung in Europa durch die Friedensschlüsse von Lunéville und Amiens gab es keinen Zwang, sich zwischen Großbritannien und Frankreich zu entscheiden. Den Anfang machte Alexander, indem er die von Paul befohlene Expedition nach Indien rückgängig machte und wenig später den Titel des Großmeisters des Malteserordens ablegte, als Zeichen des guten Willens. Darauf folgte schon kurze Zeit später eine bilaterale Entente zwischen England und Russland. Auch die Beziehungen zu Österreich wurden wiederhergestellt. 1801 wurde Razumovskij zum Botschafter in Wien ernannt. Wichtigste Aufgaben sollten gemeinsame Beratungen über die Angelegenheiten der kleineren deutschen Staaten und die Garantie der territorialen Unversehrtheit des Osmanischen Reiches sein. Gerade die Unabhängigkeit der deutschen Staaten wurde von Alexander als Schlüsselelement des europäischen Friedens betrachtet: „Son indépendance et sa sureté tiennent de trop près à la tranquillité future de l’Europe pour que je puisse être indifférent [...].“4 Damit wurde nach außen ein deutlicher Friedenswunsch demonstriert, den Alexander und sein Vizekanzler Kočubej, der mit den auswärtigen Angelegenheiten betraut war, teilten. Alexander schien selbst mit der französischen Politik – wenigstens mit ihren Idealen – einverstanden, so dass nach Beratungen im Geheimen Komitee bereits im Oktober 1801 ein Friedensvertrag zwischen Russland und Frankreich in Paris unterzeichnet werden konnte, der die russischen Mittelmeerinteressen sicherte.5 Darüber hinaus hatte der geheime Zusatzvertrag einen gesamteuropäischen Bezug: Alexander und Napoleon vereinbarten die Überwachung eines „juste équilibre“ und die Freiheit der Schifffahrt auf den Meeren. Wenigstens war damit eine Art Appeasement erreicht worden. Bereits zuvor, im April, hatte Alexander den französischen Gesandten in Sankt Petersburg, Napoleons Adjutanten Duroc, wissen lassen, dass es sein Wunsch sei, beide Staaten vereint zu sehen, zudem wolle er direkt mit Napoleon verhandeln. Doch pochte der Zar darauf, dass die von Frankreich mit Russland geschlossenen Verträge eingehalten werden sollten und seine Rolle als Schutzherr Sardiniens und Neapels unangetastet bleibe – auch wenn er gleichzeitig ein gewisses Verständnis für die französische Besetzung Ägyptens zum Ausdruck brachte.6 Ein stabiles Verhältnis zu Frankreich schien Alexander der Garant für ein stabiles und damit friedliches

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Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 292 f. Alexander an Razumovskij, 10./22.9.1801, in: VPR I/1, Nr. 18, 78–86, Zitat 81. Vgl. auch Eich, Russland, 59 f. Vertrag vom 10.10.1801 in VPR I, 1, 98 f. Vgl. die Berichte der Sitzungen des Komitees in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 44–54; Aperçu, f. 27=18v–33=11r. Vgl. Duroc an Bonaparte, 16. Prairial IX (=24.5./5.6.1801), in: SIRIO 70, 1890, 176–182, bes. 178.

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Europa zu sein. Zugleich zeigte er aber auch die Grenzen auf: Sollte Napoleon weiterhin Unruhe in Europa schüren, um seine eigene Macht zu stärken, dann sei keine Einigung mit ihm zu erreichen.7 Eine eindeutige pro-französische Linie war in der Politik des Zaren daher kaum zu erkennen. Am 26. September 1801 wurde ein Friedensvertrag mit Frankreich geschlossen, dem zwei Tage später eine geheime Konvention folgte.8 Mit diesem Vertrag wurden die Beziehungen beider Länder wieder auf den Stand vor 1789 gebracht. Die Unabhängigkeit der Ionischen Inseln wurde hier ebenso festgeschrieben wie die Räumung von Neapel und eine Kompensation des Königs von Sardinien für die verlorenen Gebiete. Die Annäherung an England scheint für Alexander indes die wichtigere Option gewesen zu sein. Er ermächtigte seinen Botschafter in London jedenfalls, die Regierung gegebenenfalls sogar vom Inhalt der geheimen Klauseln zu informieren.9 Anfang Juni 1801 wurde unter Einfluss der pro-englischen Fraktion seiner Berater, der Brüder Voroncov, eine Konvention mit England unterzeichnet, die mit zwei separaten und einem geheimen Artikel einem Friedensvertrag gleichkam.10 In diesem Vertrag verzichtete Russland auf jeglichen Versuch, die bewaffnete Neutralität von 1800 wiederzubeleben, im Gegenzug legte sich Großbritannien darauf fest, Russland nicht in einen Krieg mit Frankreich hineinzuziehen.11 Zwar folgte Alexander der Einschätzung Panins, dass Großbritannien ein wichtiger Handelspartner sei, die Anglophilie des Ministers konnte er jedoch nicht teilen.12 Seine Haltung zu Großbritannien folgte der raison d’état, emotional war er weitaus mehr in Richtung Frankreich orientiert.13 Aus der emotionalen Zugewandtheit folgte freilich keine unkritische Beobachtung des Landes, vor allem nicht gegenüber dem Ersten Konsul.14 Deutlich brandmarkte er dann auch Napoleons Politik. Seit seiner Ernennung zum Konsul auf Lebenszeit habe er eine Ent7 8 9 10

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Vgl. das Schreiben an den neu nach Paris gesandten Morkov vom 27.6.1801, in SIRIO 70, 1890, 201–222. Russisch-französicher Friedensvertrag, Paris, 26.9./8.10.1801, in: VPR I/1, 95 f. Alexander an Simon Voroncov, 7./19.11.1801, in VPR I/1, 141 f. Vgl. Texte de la convention avec la cour de Londres, avec deux articles séparés et un article secret, 5./17.6.1801, in: VPR I/1, 28–34. Vgl. Ole Feldbaek, The Anglo-Russian Rapprochement of 1801. A prelude to the peace of Amiens, in: Scandinavian Journal of History 3, 1978, 205–227, sowie Charles John Fedorak, In Search of a Necessary Ally. Addington, Hawkesbury, and Russia, 1801–1804, in: The International History Review 13, 1991, 221–245. Vgl. auch Vladlen Sirotkin, Napoleon i Aleksandr I. Diplomatija i razvedka Napoleona i Aleksandra I v 1801–1812 gg. Moskau 2003, 55. Hierzu ist Panins Memoir „Du système politique de l’Empire russe“, 16.7.1801, in: VPR I/1, 62–67 aufschlussreich. Vgl. auch Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 284. Vgl. Aleksej Leont’evič Naročnickij, Russland und die napoleonische Hegemoniepolitik. Widerstand und Anpassung, in: Aretin, Karl Otmar Freiherr von/Ritter, Gerhard A. (Hrsg.), Historismus und moderne Geschichtswissenschaft. Europa zwischen Revolution und Restauration 1797–1815. Stuttgart 1987, 163–184, hier 165. Vgl. auch Tarlė, Kontinental’naja blokada.

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wicklung genommen, so äußerte sich Alexander gegenüber La Harpe im Juli 1803 deutlich, die ihn zu einem der berüchtigtsten Tyrannen der Geschichte mache.15 Bereits zu dieser Zeit zeichnen sich grundsätzliche Überlegungen Alexanders ab. Oberstes Ziel seiner Europa-Politik sollte die Aufrechterhaltung des Friedens sein, wichtigstes Mittel dazu die garantierte Gleichheit unter den Staaten. Der russische Gesandte in Paris Peter d’Oubril erklärte am 21. Juli 1803 die Politik des Zaren. Hier wurden die Prinzipien Alexanders deutlich, aber auch kaum verklausulierte Drohungen in Richtung Napoleons: L’unique vœu de sa Majesté serait que la paix renaisse en Europe, que personne ne veuille s’arroger une suprématie quelconque et que le gouvernement français reconnaisse aussi l’égalité des États moins forts et tout aussi indépendants que lui. La Russie, on ne saurait assez le répéter, n’a aucune envie, aucun intérêt de faire la guerre.16

Dass diese Worte nicht nur bloße Rhetorik waren, zeigen Äußerungen aus dem weiteren diplomatischen Umfeld. So berichtete der Philosoph und sardische Gesandte in Sankt Petersburg, Joseph de Maistre, im Juli 1803: „L’empereur de Russie n’a que deux idées: paix et économie“.17 Es war eine deutliche Warnung, gerade mit Blick auf das Heilige Römische Reich, als dessen Schutzmacht das Zarenreich seit dem Frieden von Teschen 1779, an dem Russland als Garantiemacht beteiligt war, auftrat.18 Als im Juni 1802 ein Friedensvertrag zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich geschlossen wurde, fürchtete die russische Diplomatie im Rahmen der langfristigen Konkurrenz im Schwarzen Meer um die seit 1799 bestehende freie Passage durch die Dardanellen und den Bosporus. Ebenfalls wurde die russische Situation auf dem Balkan durch die massierte französische Truppenpräsenz in Italien zumindest latent bedroht. Daher ließ die russische Reaktion nicht lang auf sich warten. Entgegen den Vereinbarungen wurde im August 1802 ein russischer Stützpunkt auf den ionischen Inseln errichtet.19 Im folgenden Jahr wurde auf Alexanders Betreiben hin auf Korfu ein Militärrat zur Verteidigung der Inseln organisiert.20 Das Beispiel der Ionischen Inseln ist von besonderem Interesse. Angesichts ihrer Lage spielten hier geostrategische Erwägungen eine besondere Rol-

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Alexander an La Harpe, Kammenye Ostrova, 7./19.7.1803, in: Biaudet/Nicod (Hrsg.), Correspondence, Bd. 2, 44 f. Zit. nach Grunwald, Alexandre, 99. Maistre, Mémoires,17./29. 7.1803, 97. Auf die besondere Bedeutung des Heiligen Römischen Reiches für das europäische Machtgefüge weist Wolf D. Gruner, Der Deutsche Bund und die europäische Friedensordnung, in: Rumpler, Helmut (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage, 1815-1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation. Wien 1990, 235–263, hin. Siehe auch seine frühere Arbeit: Wolf D. Gruner, Großbritannien, der Deutsche Bund und die Struktur des europäischen Friedens im frühen 19. Jahrhundert. Studien zu den britisch-deutschen Beziehungen in einer Periode des Umbruchs 1812–1820. München 1979. Das widersprach Art. 9 der französisch-russischen Konvention von 1801. Vgl. Sirotkin, Duel’, 60.

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le. Doch selbst in diesem Fall – einem exponierten Gebiet mit Konfliktpotenzial – war die Politik Alexanders nicht nur an strategischen Erwägungen ausgerichtet. Vielmehr gab es insofern eine idealistische Komponente, als er für die Inseln den Plan einer Verfassung verfolgte. Die Grundlagen stammten vom Vizekönig der Inseln, Mocenigo, ausgearbeitet und fertig gestellt wurde das Projekt jedoch in Sankt Petersburg vom deutschen Juristen Gustav Rosenkampf. Dass Rosenkampf die Feinarbeit übernahm, war kein Zufall. Als Staatsdiener in der russischen Hauptstadt fiel ihm die Aufgabe zu, die Verfassung an die Gegebenheiten und die Mentalität der Bevölkerung anzupassen.21 Auf den Ionischen Inseln sollte eine Verfassung entstehen, die einen Senat mit Exekutivmacht und Gesetzgebungsinitiative ausstattete, eine Repräsentantenkammer sowie eine Art Verfassungsgericht in Gestalt von drei Zensoren. Diese drei Körperschaften sollten von einer um herausragende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Handel und Politik erweiterten Adelsversammlung gewählt werden.22 Hier zeigte sich, wieweit Alexander den in der Französischen Revolution propagierten Idealen bereit war, entgegen zu kommen. Doch kann man auch mehr in diesem Projekt sehen: Es zeigt auch die liberalen Überzeugungen des Zaren. In seinen Erinnerungen sprach Rosenkampf später davon, dass ihm Alexander anvertraut habe, auch für Russland eine Verfassung einzuführen, mit Bürgerrechten und politischer Partizipation.23 Das wird man als Übertreibung werten müssen, doch immerhin sollte Rosenkampf später Speranskij an der Spitze der Gesetzgebungskommission ablösen und bei den Reformen nach 1811 eine bedeutende Rolle spielen.24 In einem Gespräch mit Napoleon wies Alexander in der Folge darauf hin, dass er auf den Ionischen Inseln einen leistungsfähigen „konstitutionellen Adel“ geschaffen habe, ohne den Erbadel abzuschaffen.25 Das französische Engagement in der Region führte zu intensiven Diskussionen am Hof in Sankt Petersburg. Alexander Voroncov und Czartoryski sahen deutlich die Gefahren, die für die russische Position drohten, sollte Napoleon seine Politik auf dem Balkan weiter ausbauen.26 Czartoryski ging sogar soweit, eine Allianz mit England vorzuschlagen. Seit dem Winter 1803 war ein Krieg gegen Frankreich 21 22 23

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Vgl. P. Maikov, Baron G.A. Rozenkampf, in: Russkaja Starina 120, 1904, 373. Vgl. A. M. Stanislavskaja, Rossija i Grecija v konce XVIII–načale XIX veka. Politika Rossii i Ioničeskoj respublike 1798–1807 gg. Moskau 1976, Rossija i Grecija, 72 f. Vgl. Maikov, Rosenkampf, 373. Rosenkampfs Arbeiten für den Zaren mündeten in einer deutschen Broschüre mit dem Titel „Übersicht der russischen Gesetzgebung seit der Regierung Peters des Grossen bis zum Tode Alexanders I.“. Vgl. Michailovič, Alexandre, 60. Auch wenn er selbst kein Wort Russisch sprach. Vgl. zu Rosenkampf den Eintrag in Johann Friedrich von Recke/Karl Eduard Napiersky, Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland Esthland und Kurland. Bd. 3. Mitau 1831, 565–568 sowie Alexander N. Makarov, Entwurf der Verfassungsgesetze des Russischen Reiches von 1804. Ein Beitrag zur Kodifikation des russischen Rechts, in: Jahrbücher für Kultur und Geschichte der Slawen, N.F. 2, 1926, 201–366, hier 209–232. McConnell, Alexander, 391. Vgl. Note A.R. Voroncovs an Warren und Hédouville, in: VPR I/1, 338f; Czartoryski an Alexander, 17./29.2.1804, in: ebd, 619–624. Vgl. Sirotkin, Duel’, 62.

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nicht mehr ausgeschlossen. Anfang des Jahres 1804 schien auch Alexander bereit zu sein, sich diesem Gedanken nicht weiter zu verschließen. Sollte sich die Situation auf dem Balkan nicht ändern, dann wäre Krieg die ultima ratio.27 Innerhalb von nur zwei Jahren hatten sich die Beziehungn zu Frankreich derart verschlechtert, dass der russische Botschafter aus Paris abgezogen wurde.28 In dieser Situation war die Ermordung des Herzogs von Enghien nur Wasser auf die Mühlen der Entfremdung zwischen Russland und Frankreich. Alexander ordnete Staatstrauer an und war kurz davor, die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich ganz abzubrechen.29 Qualitativ neu an dieser Maßnahme war, dass ein moralisches Moment Einzug in die russische Außenpolitik hielt und noch vor Überlegungen der Staatsräson gestellt wurde. Finanzminister Rumjancev warnte dann auch vor einem solchen Schritt, da das Land dringend auf den Handel mit Frankreich angewiesen war. Obwohl von der Ermordung Enghiens keine russischen Interessen betroffen waren, war die Verletzung des Völkerrechts in Alexanders Augen der Stein des Anstoßes.30 Der Herzog stammte aus dem legitimen französischen Königshaus (Napoleon hatte auch an einem Bourbonen ein Exempel statuieren wollen), und zudem war er ausgerechnet in Baden, der Heimat von Alexanders Frau Elisabeth, von französischen Gendarmen und Dragonern festgesetzt und nach Frankreich verschleppt. Joseph de Maistre fasste die Situation wie folgt zusammen: L’indignation est au comble. Les bonnes impératrices ont pleuré. Le grand-duc est furieux, et Sa Majesté Impériale n’est pas moins moins profondément affectée. On ne reçoit plus la legation de France, et même on ne lui parle plus.31

Die Verletzung der badischen Neutralität und die damit einhergehende Beugung des Internationalen Rechts zeigten Alexander, mit welchen Mitteln französischerseits künftig zu rechnen war. Konsequenterweise ließ er durch Czartoryski in der Staatsratssitzung vom 5. April 1804 eine Grundsatzerklärung verlesen: Sa Majesté Impériale indignée d’une infraction aussi criante de tout ce que l’équité et le droit des nations peuvent prescrire de plus obligatoire, répugne de conserver plus longtemps des rapports avec un gouvernement qui ne connaît ni frein, ni devoir d’aucun genre et qui, entaché d’un assasinat atroce, ne peut plus être regardé que comme un repaire de brigands.32

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Czartoryski an S. R. Voroncov, 26.2./9.3.1804, in: VPR I/1, 637–639 Vgl. Krüger-Löwenstein, Russland, 121–123. Vgl. zu den Reaktionen in Russland die Depechen des frz. Botschafters in Sankt Petersburg, Hédouville, an Talleyrand, vom 17.4, 20.4, und 01.05, in: SIRIO 77, 1891, Nr. 224, 563–565; Nr. 228, 576 f. und Nr. 233, 586 f. Vgl. Czartoryski an Razumovskij, 10./22.4.1804, in: VPR I/2, 17 f. und ders. an Italinskij, 16./28.4.1804, in.: ebd., 23–25. Zu Enghien Jean-Paul Bertaud, Le duc d’Enghien. Paris 2001. Dies auch die Einschätzung von Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 384; GARF, f. 728, op. 1, d. 685: Obzor političeskich soglašenij Russkogo kabineta, f. 31v f. Maistre, Mémoires, 110 f. Zur Sitzung vgl. Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 378–380. Das Protokoll der Sitzung in: VPR I/1, 686–692.

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Die Mehrheit der Anwesenden stimmte mit Alexander in der Auffassung überein, dass eine Allianz mit Großbritannien, Österreich und Preußen zwingend geboten sei. Lediglich Rumjancev und der Minister für öffentliche Aufklärung, Zavadovskij, argumentierten, dass Russland kein Recht habe, sich in die inneren Angelegenheiten der deutschen Staaten einzumischen und dass russische Interessen von der Ermordung des Herzogs nicht betroffen seien.33 Alexander nahm am Ende eine differenziertere Position ein. Anstatt die Beziehungen mit Frankreich ganz abzubrechen, beschränkte er sich darauf, öffentlich sein Missfallen auszudrücken. Außerdem protestierte er beim Reichstag in Regensburg formal gegen die Verletzung des badischen Territoriums. Politische Konsequenz dieses Ereignisses war der Abschluss eines Defensivvertrages zwischen Russland und Österreich Ende April 1804 mit dem Inhalt, dass von österreichischer Seite im Falle eines Angriffes durch Napoleon 200.000 Mann bereitgestellt werden, während russischerseits 100.000 Soldaten eingesetzt werden sollten.34 In seiner Antwort auf den russischen Protest machte Talleyrand den französischen Standpunkt deutlich: […] le Premier Consul ne se mêle point des partis ou des opinions qui peuvent diviser la Russie. Sa Majesté l’empereur n’a aucun droit por se mêler des partis et des opinions qui peuvent diviser la France.35

Maliziös fügte er hinzu: „lorsque l’Angleterre médita l’assassinat de Paul Ier, on eût eu connaîssance que les auteurs des complots se trouvaient à une lieue des frontières, on n’eût pas été empressé de les faire saisir?“ Diese gezielte Provokation verfehlte ihre Wirkung nicht, und die Annahme des Kaisertitels durch Napoleon tat dann ein Übriges. Im Verbund mit Schweden, dem Haus Habsburg und dem Osmanischen Reich erkannte Russland diesen Titel nicht an. Alexander forderte den russischen Gesandten d’Oubril auf, Paris zu verlassen und das gesamte diplomatische Personal abzuziehen. Auch der französische Gesandte in Russland, Gabriel Hédouville, verließ Sankt Petersburg auf Order Napoleons, mit Maximilien Gérard de Rayneval blieb gleichwohl ein Chargé des affaires, der die laufenden Geschäfte besorgte. Somit war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen quasi vollzogen und der Weg zu einem antifranzösischen Bündnis mit Großbritannien vorgezeichnet. Doch auch jetzt ließ der Zar nichts unversucht, den Krieg doch noch zu vermeiden. Vor seiner Abreise übermittelte d’Oubril am 9. Juli ein Ultimatum an Napoleon, mit dessen abschlägiger Antwort sich der Kaiser allerdings über einen Monat Zeit ließ. In der Zwischenzeit verhärteten sich die Fronten weiter: 1804 kam es zu einem englisch-schwedischen Abkommen, ein Jahr später zu einem russisch-schwedischen.36 Die englisch-russische Einigung zog sich nicht zuletzt wegen der noch offenen Frage über die Besitzansprüche auf Malta in die

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Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 382. Vgl. Alexander an Franz II., 25.4./7.5.1804, in: VPR I/2, Nr. 15, 38–41, hier 39. Zitiert bei Sergej Tatishchev, Alexandre Ier et Napoléon d’après leur correspondance inédite 1801–1812. Paris 1893, 79. Vertrag vom 2./14.1.1805, in: VPR I/2, 262–267.

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Länge. Napoleons Vorgehen in Italien hatte hier katalysatorische Wirkung, so dass Ende März 1804 schließlich ein britisch-russischer Vertrag geschlossen wurde, dem Österreich im August des gleichen Jahres beitrat.37 Diese Politik hatte ebenfalls eine auf Polen bezogene Komponente, sollte doch ein Sieg über Frankreich in Alexanders Planung zur Wiederherstellung eines polnischen Staates führen, Hoffnungen, die der Zar nicht zuletzt bei seinem Außenminister weckte, als er auf dessen Schloß Puławy eingetroffen war.38 Bereits vor seiner Inthronisation war Alexander dafür eingetreten, den polnischen Staat zu restituieren. Als er von Katharina II. zur zweiten Teilung Polens 1795 befragt wurde, antwortete er ihr: j’en [les affaires de Pologne, PhM] gémis, mais j’ai toujours pensé comme vous vous en souvenez vous-même qu’elles ne pouvaient pas bien finir. L’Être Suprême qui est si juste ne peut jamais souffrir une injustice et tôt ou tard elle sera punie […].39

Die Beziehungen zu Preußen konnten hingegen wohl vor allem dank der guten persönlichen Bindungen, die seit dem Treffen in Memel Juni 1802 zwischen Alexander und dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. sowie seiner Gattin Luise bestanden, ausgebaut werden.40 Das Treffen fand auf Alexanders Initiative hin gegen den ausdrücklichen Rat von Czartoryski und Kočubej statt.41 Hier zeigt sich, dass Alexander durchaus Herr seiner Außenpolitik war, denn die vorbereitenden Briefe des Treffens wechselte er mit Friedrich Wilhelm persönlich, Kočubej hatte von ihnen keine Kenntnis. Als Alexander am 20. Mai 1802 aus Sankt Petersburg aufbrach, hatte er wenige Wochen zuvor Kočubej mit der Planung der Reise beauftragt – ohne ihn um inhaltlichen Rat zu fragen, worüber dieser sich gegenüber Simon Voroncov beschwerte.42 Von Kočubej, Novosil’cev und Tolstoj begleitet traf der Zar am 29. Mai 1802 in Memel ein, nach einer Reise, die ihn über Tartu und Riga geführt hatte. Die engere Anbindung Preußens an Russland als Ergebnis des Treffens war in den diplomatischen Kreisen der Hauptstadt nicht gern gesehen: L’opinion de l’armée et des salons n’était d’ailleurs pas favorable à la Prusse; sa conduite equivoque, sa plate soumission envers la France, et les acquisitions qui lui avait valu cette

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Das Bündnis vom 30.3./11.4.1805 in VPR I/2, Nr. 117, 355–368. vgl. auch Schaeder, Koalition, 25–39 und V. G. Evstigneev, Voprosu o celjach vnešnej politiki Rossii v 1804–1805 gg, in: Voprosy Istorii 6, 1962, 203–210. Vgl. Charles Morley, Alexander I and Czartoryski. The Polish Question from 1801–1813, in: Slavonic and East European Review 25, 1947, 405–426; W. H. Zawadzki, Russia and the Reopening of the Polish Question 1801–1814, in: The International History Review 7, 1985, 19– 44. und Zawadzki, Czartoryski, 111–136, der Aufenthalt in Puławy 131–134. Alexander an seine Mutter, o.D, GARF, f. 728, op. 1, d. 357, Bd. 2, 52. Vgl. Martin Schulze Wessel, Russlands Blick auf Preußen. Die polnische Frage in der Diplomatie und politischen Öffentlichkeit des Zarenreiches und des Sowjetstaates 1697–1947. Stuttgart 1995, 98–113. Die Beschreibung des Treffens bei Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron. Berlin 1992, 178 f. und Rey, Rey Alexandre, 183 f. Vgl. Kočubej an Voroncov, 27.11.1801, in: AKV XIV, 171 f. Kočubej an Voroncov, 7.5.1802, in AKV XVIII, 271.

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Si vis pacem, para bellum soumission, étaient vues de mauvais œil par les Russes, qui ne lui ménageaient pas leurs sarcasmes. L’empereur cependant était fidèle à son amitié envers le Roi et à la haute opinion qu’il avait conçue de l’armée prussienne.43

Diese Einschätzung Czartoryskis enthält einen Kern, der sicherlich zutraf. Der Außenminister übersah allerdings, dass Preußen in Alexanders Konzeption von Europa nicht unberücksichtigt bleiben durfte. Preußen war wichtig für das Gefüge der kleineren deutschen Staaten, deren Schicksal Alexander nicht aus den Augen verlor, und dies schon aus dynastischen Gründen. Sein Großvater war ein Herzog von Holstein-Gottorp gewesen, seine Großmutter entstammte dem Haus AnhaltZerbst, seine Mutter kam aus Württemberg, er war mit einer badischen Prinzessin verheiratet, sein Bruder mit einer Fürstin Sachsen-Saalfeld-Coburg. Zudem bot das Engagement für die deutschen Staaten ein Vehikel, um mit Frankreich weiter zu verhandeln. Mit dieser Aufgabe war der russische Botschafter in Paris im Übrigen seit Juni 1802 betraut gewesen. Das „Mittel“ der deutschen Fragen diente somit der russisch-französischen Annäherung, ohne dass dabei vitale Interessen einer der beiden Seiten berührt wurden. 2. DIE LONDON-MISSION: ERSTE GRUNDLEGENDE ÜBERLEGUNGEN FÜR EINEN DAUERHAFTEN FRIEDEN IN EUROPA Zu ersten schweren Spannungen zwischen Russland und Frankreich kam es wegen des Engagements Alexanders für den König von Piemont-Sardinien und in der Folge nach der Besetzung Hannovers durch französische Truppen im Juni 1803.44 Dieser Schritt kam nicht gänzlich überraschend, denn der französische Sondergesandte Duroc hatte bereits im März 1803 in Berlin davor gewarnt, dass Frankreich im Falle eines erneuten Krieges gegen England das Königreich auf dem Festland, in dem vom englischen König in Personalunion regierten Hannover, attackieren werde.45 Die britische Regierung reagierte auf diese vom preußischen Botschafter in London vorgetragene Nachricht erstaunlich gelassen und wandte sich stattdessen an den russischen Botschafter Voroncov, damit Russland für eine Einbindung Österreichs und Preußens in den Kampf gegen Frankreich Sorge trage.46 Doch ging die Bereitschaft des Zaren nur soweit, eine Mediation zwischen England und Frankreich anzubieten.47 Dies lag daran, dass für Alexand-

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Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 337. Vgl. Philip G. Dwyer, Two Definitions of Neutrality. Prussia, the European States-System, and the French Invasionof Hanover in 1803, in: International History Review 19, 1997, 522– 540, sowie Brendan Simms, The impact of Napoleon. Prussian high politics, foreign policy and the crisis of the executive, 1797–1806. Cambridge 1997, 230–238. Vgl. die Instruktionen Napoleons an Duroc, 21. Ventôse XI (=12.3.1803), in: Correspondence de Napoleon Ier. Publié par ordre de l’Empereur Napoléon III. Paris, Bd. VIII (1861), Nr. 6.629, 243–246. Vgl. Dwyer, Neutrality, 526 f. Vgl. Alexander an Voroncov, 29.3./10.4.1803, in: VPR I/2, 409–411.

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er und seine Berater ein Krieg außerhalb des Denkbaren stand, sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen – als oberstes Ziel der zaristischen Außenpolitik wird in fast jedem Schriftstück die Bewahrung der „tranquilité générale“ identifiziert48 –, als auch aus der ganz pragmatischen Einsicht in die Risiken eines solchen Unterfangens.49 Voroncov und Novosil’cev waren zudem anglophil eingestellt und Czartoryski argwöhnte, dass hinter dem preußischen Hilfeersuchen in Wahrheit ein weiterer Schritt in Richtung territorialer Vergrößerung stand.50 So war das russische Eröffnungsangebot in der Vermittlung, durch das Frankreich seinen Einfluss über die deutschen Gebiete, die Schweiz, die Niederlande und Italien zurücknehmen sollte, auch nicht annehmbar. Vorerst spielte Napoleon auf Zeit. Doch ließ sich der Zar nicht unbegrenzt hinhalten. Im Mai erhielt der Botschafter in Berlin Anweisungen, über eine preußisch-russische Allianz zu verhandeln, um Hannover zu besetzen und damit dem französischen Vorstoß gewissermaßen zuvorzukommen. Gleichzeitig ging ein persönliches Schreiben an Friedrich Wilhelm, worin dem dem König russische Hilfe angeboten wurde.51 Doch kam diese Hilfe zu spät. Als die Nachricht am Hof in Berlin ankam, standen die französischen Truppen beinahe an den Grenzen Hannovers. Auch wenn hier eventuell dynastische Erwägungen im Vordergrund standen – denn in Mecklenburg und Holstein saßen, wie erwähnt, Verwandte des Hauses Romanov auf dem jeweiligen Thron –, so hatte Alexanders Engagement in Europa zu diesem Zeitpunkt bereits eine ideologische Komponente.52 Sein Engagement in der anti-napoleonischen Koalition war nicht allein von der Opposition zum französischen Kaiser bestimmt. Vielmehr sollten grundsätzliche Regelungen zur Sicherung eines dauerhaften Friedens getroffen werden. Nach der französischen Besetzung Hannovers setzte sich die Erkenntnis in London und Sankt Petersburg durch, dass Preußen und Österreich nicht als bloße Objekte der Machtspiele auf dem Kontinent zu sehen waren, sondern aktiv in eine friedenssichernde Politik eingebunden werden mussten. Die Dritte Koalition machte sich daher zum Ziel, die Territorien der Schweiz, Hollands und Italiens von den französischen Truppen zu befreien, wobei England Subsidien bereitstellte. Schon im Vorfeld wurde intensiver über eine mögliche europäische Nachkriegsordnung nachgedacht. Bereits 1803 hatte Czartoryski, der zu diesem Zeit48

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Beispielsweise Czartoryski an Italinskij, 16./28.4.1804, in: ebd., 23–25; ders. an S. R. Voroncov, 26.2./9.3.1804, in: ebd., 630–634; ders. an Mocenigo, 8./20.3.1804, in: ebd., 653– 655; ders. an Razumovskij, 2./14.4.1804, in: ebd., 681 f. Vgl. Alexander an Razumovskij, 25.4./7.5.1804, in: ebd., 33–36; Czartoryski an Razumovskij, 25.4./7.5.1804, in: ebd., 44–46. Grimsted, Foreign Ministers, v.a. 28. Vgl. Alopeus an Haugwitz, 7./19.5.1803, in: VPR I/1, 434. Die Anweisungen an Alopeus, in Martens, F. (Hrsg.), Recueil des traités et conventions conclus par la Russie avec les Puissances étrangères. 15 Bde. Sankt Petersburg 1874–1909, Bd. 4. 313 sowie „Projet de concert à établir entre sa majesté l’Empereur de toutes les Russies et sa majesté le Roi de Prusse”, zwischen 13./25.5. und 29.5./10.6.1803 in: VPR I/1, 442–444. Das dynastische Argument macht stark Heinrich Ulmann, Russisch-preußische Politik unter Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. bis 1806. Leipzig 1899, 69.

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punkt noch Berater des Zaren war, in dessen Auftrag und mit Hilfe seines Sekretärs und Lehrers Scipione Piattoli ein ausführliches „Mémoire sur le système politique que devrait suivre la Russie“ verfasst, das einige Jahre später um den „Article pour l’arrangement des affaires de l’Europe à la suite d’une guerre heureuse“ ergänzt und vervollständigt wurde.53 Die Vorstellungen, die Russlands Außenminister Czartoryski verfolgte, spiegeln zum einen die Situation und ihre Probleme, weisen mit einer gesamteuropäischen Friedenskonzeption aber zum anderen weit über deren Lösung hinaus.54 Kerngedanke des Mémoires war, dass Russland sich mit England gegen Frankreich verbünden und dieses Bündnis zum Kern eines neuen europäischen Systems werden solle, das auf neuartigen Grundlagen beruhen müsse. Unter englisch-russischer Anleitung sollte der im Hobbes’schen Sinne definierte Naturzustand unter den Staaten eliminiert werden, um Vernunft und Toleranz zur Geltung zu bringen, die zugleich den Respekt vor den Nationen befördern sollten.55 In dem neuen europäischen System sollten Nationen, verstanden als eigene Entitäten mit anthropomorphen Eigenschaften, als ursprünglich und somit konstitutiv gelten. Somit ergaben sich revolutionäre Schlussfolgerungen: Das neue System sollte aus einer Gemeinschaft von freien Staaten bestehen, die sich gegenseitig respektieren. Kriegen wäre damit von vornherein die Existenzgrundlage entzogen worden, denn aus dem gegenseitigen Respekt musste notwendigerweise die Unverletzlichkeit der Grenzen und der territorialen Ordnung folgen. Idealerweise seien Staaten daher als Nationen-Staaten organisiert. Wo das nicht möglich sein sollte, etwa in Italien und Deutschland, da seien föderale Staaten nicht weniger sakrosankt. Dieser Text erhielt eine besondere Brisanz und Aktualität im zeitlichen Umfeld des Bruches mit Frankreich. Das von Czartoryski und Piattoli favorisierte Bündnis mit England, das zum Nukleus der neuen europäischen Ordnung werden sollte, war nun zum Greifen nahe, zumal sich in London die politischen Gegebenheiten durch den Wechsel von Addington zu Pitt zu Russlands Gunsten zu verändern schienen. Die Ideen des Mémoires von Czartoryski und Piattoli sollten nicht ungehört verhallen: Alexander sandte nun, zum Verdruss des anglophilen Botschafters Simon Voroncov,56 seinen Freund Novosil’cev als geheimen Emissär nach London, um dort mit der neuen Regierung über ein englisch-russisches Bündnis zu verhandeln.57 Novosil’cev hatte von Czartoryski, der seit 1804 Außenminister war, detaillierte Anweisungen erhalten, die die Ideen

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Abgedruckt: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 62–66. Zur Datierung s.u. Zu Piattoli und Czartoryski vgl. Zawadzki, Czartoryski, 116–118. Vgl. Evstigneev, Vorprosu. Vgl. auch Grimsted, System, 115. Czartoryski nutzte wohl auch diese Gelegenheit, um auf eine Wiederherstellung seiner Heimat hinzuwirken. Czartoryski schrieb die wichtigsten Punkte seiner Korrespondenz mit Alexander aus London aus Angst vor Voroncov in unsichtbarer Tinte. Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 111, FN 1. Vgl. zu der Mission Werner Markert, Metternich und Alexander I. Die Rivalität der Mächte in der europäischen Allianz, in: Markert, Werner (Hrsg.), Osteuropa und die abendländische Welt. Aufsätze und Vorträge. Göttingen 1966, 122–144, 124 f; Phillips, Confederation, 36–38 und Schaeder, Koalition, 28–39.

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seines Mémoirs aufgriffen.58 Voroncov zu übergehen hatte auch eminent politische Gründe. Er war als Bewunderer Pitts bekannt und die Anweisungen für den Sondergesandten nach London beinhalteten vor allem mit den Whigs und dem früheren Staatssekretär im Außenministerium und Bewunderer der französischen Revolution Charles James Fox, zu verhandeln. Diese Gruppe galt in Sankt Petersburg als die aufgeklärtere Partei in London, die zudem dank der Verbindungen von Fox nach Frankreich in eine gesamteuropäische Konzeption eingebunden werden konnte. Enthusiasmiert konnte Novosil’cev von einem Treffen mit dem Prinzen von Wales, Fox und Lord Moira berichten, dass der Thronfolger sein Wort als Gentleman gegeben habe, sich dem neuen System anzuschließen, sobald er König sei.59 Auch Fox schien einem antinapoleonischen Bündnis generell nicht abgeneigt, mahnte aber grundsätzlich zur Gelassenheit.60 Novosil’cev musste schließlich noch mit der Regierung verhandeln, er traf Pitt, den Außenminster Lord Harrowby sowie dessen Nachfolger Lord Mulgrave. Der Erfolg dieser Verhandlungen war, dass Pitt weitgehende Unterstützung für eine größere Koalition gegen Napoleon zusagte. Er unterstrich die Notwendigkeit, den Ambitionen Napoleons „natürliche Grenzen“ zu setzen ebenso wie die einer auf Dauer gestellten russisch-britischen Allianz. Die Mission, über die in Sankt Petersburg viele Gerüchte kursierten,61 fußte somit auf der Idee, dass ein Bündnis – und damit der Frieden – nicht dauerhaft sein könne, wenn es nur auf gemeinsamem Hass beruhe. Eine rein negative Begründung des Zusammenschlusses könne, so die Überlegungen, nicht in dauerhafter Kooperation münden, die einem höheren Ziel gewidmet sein solle. Vielmehr müsse es auf Prinzipien wie Menschlichkeit und Gerechtigkeit gegründet werden.62 Qualitativ neu an dieser Konzeption war, dass nicht die Bündnisziele, sondern die Bündnisgrundlagen als entscheidend für den Erfolg identifiziert wurden. Nicht der Sieg über Napoleon sollte das neue System gründen, sondern die europaweite Anerkennung der Unverletzbarkeit der Staaten und der ganz und gar aufgeklärten Einsicht, dass eine vernunftgeleitete Politik letztlich automatisch zum Frieden führen würde. Diesen idealistischen Hoffnungen entsprangen keine weltfremden Weltverbesserungsträume. Frankreich benutze, so die Instruktionen, vor allem das Mittel der Propaganda. Diese Waffe solle nun gegen Napoleon selbst verwendet werden, indem die wahren Absichten Napoleons aufgezeigt und bekannt gemacht würden. Während Frankreich im Namen der Freiheit antrete, unterjoche es in Wahrheit nur 58

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Dass die entsprechenden Anweisungen von Czartoryski verfasst wurden, ist mehr als wahrscheinlich. Vgl. Morley, New Foreign Policy, 476 f. Die Anweisungen vom 11. September 1804 sind abgedruckt: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 27–45: „Instructions secrèts à M. de Novosiltzow allant en Angleterre, le 11 septembre 1804“; sowie in VPR I/2, 138–146. Novosil’cev an Alexander, London, 24.12.1804/05.01.1805, in: VPR I/2, 257–260. Vgl. Fox an Czartoryski, 17.03.1805, in: Czartoryski, Memoirs (engl. Ausg). Bd. 2, 13–137. Vgl. Lesseps an Talleyrand, 6. venémiaire XII (=28.9.1813), in: SIRIO 77, 1891, Nr. 307, 749–751. Vgl. Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 374 f.

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die Völker Europas.63 Erst durch die Befreiung von diesem Joch könne Russland wirkliche Freiheit bringen. Der König von Sardinien solle, so hieß es konkret, seinen Thron zurückerhalten, allerdings unter der Auflage, seinem Volk eine Verfassung zu geben, die „libre et sage“ sei.64 Eine Liga von Nationen, mit einem neu kodifizierten Völkerrecht als vertraglicher Grundlage, sollte gegründet werden.65 Die Annahme war, dass diese Liga auch auf die kleineren Staaten eine große Anziehungskraft ausüben würde, da sie ihnen Sicherheit bieten könne. Vertragsverletzungen würden in einem solchen System automatisch kollektive Sanktionen nach sich ziehen. Des Weiteren sollte das Recht auf Neutralität ebenso festgeschrieben werden wie die Verpflichtung, im Konfliktfall zuerst den Weg der Mediation zu beschreiten. Alexander erkannte expressis verbis an, dass sich die Welt verändert hatte und man nicht einfach das Rad der Zeit würde zurückdrehen können. So schlug er vor, Sardinien, Holland, die Schweiz und Frankreich mit gemäßigten monarchischen Verfassungen auszustatten. Leitfaden solle der „Charakter einer Nation“ sein, nichts sollte oktroyiert werden. Für Frankreich sollten sogar Fragen der Regierungsform und der Dynastie verhandelbar sein.66 Posant comme décidé que pour le bien de l’Europe et de la France, il est nécessaire que la Constitution y soit monarchique, c’est de la part de la nation qu’on devra en attendre la proposition.67

Mit „klugen“ Verfassungen, so war dies zu verstehen, könnten weitere Revolutionen verhindert werden, da aus ihnen unweigerlich neue Kriege folgen müssten.68 Dabei sei es nicht wichtig, welche Art politischen Systems sich die europäischen Staaten gäben. Wichtig sei nur, dass sie auf den „droits sacrés de l’humanité“ beruhten und zur Stabilität und zum Frieden in Europa beitrugen. Partout le même esprit de sagesse et de bienveillance doit diriger les institutions. Mais l’application de mêmes principes pourra varier selon les localités, et les deux puissances, pour s’entendre à cet égard, aviseront aux moyens de se procurer sur les lieux des données justes, impartiales et détaillées, auxquelles on puisse ajouter foi.69

Die Instruktionen zeigen eine deutliche Nähe zu den Idealen der Aufklärung und gleichzeitig eine deutliche Distanz zu den napoleonischen Praktiken, den Staaten Europas ein bestimmtes Regierungssystem aufzuzwingen. Ein in der Literatur häufig zu findender Vorwurf, Alexander habe nur aus machtpolitischen Interessen

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Vgl. die Anweisungen in: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 29. Ebd., 30. Das Völkerrecht ist zeitgenössisch abgebildet in der entsprechenden Literatur. Vattel 1758, Schmalz 1817, Klüber 1819, Martens 1796. Vgl. Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 31 f. Ebd., 32. Dieser Sachverhalt ist treffend als „die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution“ bezeichnet worden: Kunisch, Johannes/Münkler, Herfried (Hrsg.), Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution. Studien zum bellizistischen Denken des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Berlin 1999. Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 32.

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die Einführung von Verfassungen gefördert, beruht darauf, dass Alexander für Russland eben keine Verfassung einführte und alle Pläne dazu ins Stocken gerieten. In den Instruktionen an Novosil’cev findet sich allerdings ein möglicher Schlüssel zur Lösung dieses Problems: Verfassungen konnten dort eingeführt werden, wo es die Natur und der Charakter eines Landes ermöglichten. Auch in anderer Hinsicht waren die Instruktionen innovativ: In den Anweisungen wurde das Konzept einer europäischen Föderation – „fédération européenne“ – diskutiert.70 Getragen vom gegenseitigen Respekt der Völker und dem Respekt vor dem Recht sollte diese Föderation auf einer Reihe von Prinzipien beruhen und auf einem Vertrag, der die Grundlage aller europäischen Politik sein sollte. Hier sind im Kern bereits die leitenden Ideen der Heiligen Allianz angelegt. Deutlich betont der Zar, dass die Zeit reif sei, nicht mehr nur von der Idee eines ewigen Friedens zu träumen, sondern sie umzusetzen. Ce n’est point le rêve de la paix perpétuelle qu’il s’sagit de réaliser; cependant on se rapprocherait sous plus d’un rapport des résultats qu’il annonce, si dans le traité qui terminerait la guerre générale on parvenait à fixer sur des principes clairs et précis les prescriptions du droit des gens. Pourquoi ne pourrait-on pas y soumettre le droit positif des nations, assurer le privilège de la neutralité, insérer l’obligation de ne jamais commencer la guerre qu’après avoir épuisé les moyens qu’une médiation tierce peut offrir, avoir de cette façon mis au jour les griefs respectifs, et tâché des les aplanir? C’est sur de semblables principes que l’on pourrair procéder à la pacification générale, et donner naissance à une ligue dont les stipulations formeraient, pour ainsi dire, un nouveau code du droit des gens, qui, sanctionné par la plus grande partie des États de l’Europe, deviendrait sans peine la règle immuable des cabinets, d’autant que ceux qui prétendraient l’enfreindre risqueraient d’attirer sur eux les forces de la nouvelle union.71

Die Herstellung der „pacification générale“, eines allgemeinen und vertraglich garantierten Friedenszustands im internationalen System, tritt hier als handlungsleitende Begründung politischen Handelns auf. Nach den Erfahrungen der permanenten Vertragsverletzungen seitens Napoleons schien das Element der Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung für eine friedliche Nachkriegsordnung. Da eine Instanz, die diese Sicherheit garantieren könnte, im internationalen System bislang fehlte, war die einzig mögliche Konsequenz, eine Liga der Nationen zu schaffen, die kollektiv Vertragsbrüche ahnden könnte.72 Zwischen den Staaten Europas sollte ein „équilibre naturel“ hergestellt werden, hierzu war die Errichtung von Staaten „du second ordre“ als Gegengewicht erforderlich – an erster Stelle dachte der Zar hier an eine Föderation von deutschen Staaten, die nicht unter österreichisch-preußischer Dominanz stehen sollte.73 Dazu mussten allerdings bestimmte weitere Voraussetzungen geschaffen werden. Expansionistischen Neigungen sollte auch dadurch ein Riegel vorgeschoben werden, dass Staaten fortan in ihren „natürlichen Grenzen“ und mit einer homo70 71 72 73

Ebd., 34. Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 35. Rey, Alexandre, 200 erkennt hingegen geopolitische Dimensionen als Kern der Instruktionen. Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 37.

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genen Bevölkerung bestehen sollten.74 Die Idee, Frankreich territorial zurechtzustutzen, erfuhr theoretische Bestärkung durch das „Mémoire politique sur l’Italie, la maison d’Autriche, celle de Savoie“ des sardischen Gesandten in Russland, Joseph de Maistre. Er hatte im selben Jahr vorgeschlagen, Frankreich in seine alten Grenzen zurückzuversetzen, um so zur alten und vermeintlich christlichen Ordnung Europas zurückzukehren. Das Mémoire de Maistres war Alexander bekannt, es zirkulierte in den politischen Kreisen Sankt Petersburgs, und de Maistre traf sich regelmäßig mit Kočubej und Czartoryski. Auf diesem Weg ist es direkt in die Hände von Alexander gelangt.75 Was hier insgesamt vorgeschlagen wurde war nicht weniger, als eine Revolution des europäischen Systems.76 Die internationale Politik sollte gezähmt werden durch Einbindung in ein festes Regelwerk, das auf bestimmten und von allen geteilten Prinzipien beruhen sollte. Diese Prinzipien sind mit Verweis auf die Ideen der Aufklärung und des positiven Völkerrechts schon deutlich bestimmt. In der Heiligen Allianz sollte 1815 die religiöse Grundierung vorgenommen werden. Der Vorstoß von 1804 ist ein ernstzunehmender Versuch, philosophische Ideen eines ewigen Friedens – zu denken wäre hier an die Friedensschriften des Abbé de St.Pierre von 1713 und die Schrift Kants von 1795 – aus der Sphäre der Spekulation in die der Tat zu überführen.77 Auch wenn die Autorenschaft dieser Anweisungen Czartoryski zugeschrieben wird, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass er nicht im Einklang mit Alexanders Vorstellungen gehandelt haben sollte.78 Es kann vielmehr angenommen werden, dass der Zar auf diese grundlegenden Überlegungen starken Einfluss genommen hat, wenigstens aber umfassend informiert gewesen ist. Und er stärkte seinem

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Ebd., 36. Vgl. Rey, Rey Alexandre, 201. Diese positive Deutung findet sich selbst in der sowjetischen Historiographie. Vgl. Stanislavskaja, Rossija i Grecija, 152. Eich, Russland, 67 deutet die Mission Novosil’cevs als Versuch, „hegemoniale Aspirationen des Zarenreiches zu kaschieren“. Solche Überlegungen, einen ewigen Frieden herbeizuführen gab es bereits seit der Spätzeit des Ancien Régimes, wenngleich noch ein Ansatz vorherrschend war, der nach den Erfahrungen des 30jährigen Krieges auf begrenzte Kabinettskriege setzte, um so die Totalität eines Krieges auszuschließen. Vgl. Kraus, Friedenskriege, 194 f., der argumentiert, dass durch den Bezug auf ein außerpolitisches Kriegsziel, mithin durch die Aufladung des Krieges mit einem transzendenten Bezugspunkt, der den Krieg „heilig“ werden lässt, jegliche Form der Kriegsführung gerechtfertigt scheinen konnte. Vgl. auch Michael Salewski, „Praevenire quam praeveniri“. Zur Idee des Präventivkrieges in der späten Neuzeit, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 18, 2005, 88–100. Dafür sprechen auch die zusätzlichen Instruktionen Alexanders an Novsil’cev vom 11./23.09.1804, in: VPR I/2, Nr. 151, 151–153, hier 153. Dass die Instruktionen von Czartoryski stammen hat Zawadzki, Czartoryski, 107–115 nachgewiesen. Sie ist angezweifelt worden, weil in in einem anderen Schriftstück („Articles pour l’arrangement des affaires en Europe, 1804“, in: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 62–66) konträre Ansichten geäußert worden waren. Jedoch ist die Datierung in der Ausgabe der Memoiren Czartoryskis falsch, der Text ist wohl aus den Jahren 1806 oder 1807. Vgl. dazu Zawadzki, Czartoryski, 169 f.

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Minister auch gegen widrige Umstände den Rücken. Eine einflussreiche Fraktion in Sankt Petersburg um den Justizminister Lopuchin, Panin, Rumjancev und die Brüder Dolgorukij hatte gegen Ende des Jahres 1804 versucht, bei Alexander dahingehend zu intrigieren, dass dieser seinen Außenminister entlassen solle. Alexanders großes Vertrauen in Czartoryski zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er diesem Drängen nicht nachgab, sondern im Gegenteil seinen Freund am 13. Januar 1805 zum vollwertigen Mitglied des Staatsrats und zum Senator ernannte.79 Allerdings blieb es vorerst beim Versuch, ein neues System zu implemtieren. In London wurde der russische Enthusiasmus durchaus nicht geteilt, und auch der russische Botschafter in London, Simon Voroncov, stand dem Unternehmen eher im Wege. Von November 1804 bis Februar 1805 verhandelte Novosil’cev mit gemischtem Erfolg.80 Dass die in den Instruktionen niedergelegten Pläne jedoch keineswegs bloße Gedankenspiele waren, zeigen die weiteren Korrespondenzen zwischen Novosil’cev und dem Außenministerium. Am 27. November 1804 verdeutlichte Czartoryski dem Sondergesandten in deutlichen Worten den Stellenwert seiner Mission: „Cette attente est la seule chose sur laquelle notre Maître se rapporte toujours avec le même intérêt.“81 Doch Pitt teilte nicht alle Standpunkte der Instruktionen. Auf die Wiederherstellung der alten Grenzen Frankreichs konnte er sich einlassen, auch auf die Herstellung einer italienischen Föderation.82 Auch in der Beurteilung der französischen Propaganda waren sich beide Parteien einig. Pitt schlug darüber hinaus vor, die enteigneten adeligen Familien in Frankreich zu entschädigen. Dass keine legitimistischen Slogans, die eine Restauration der Bourbonen forderten, angezeigt wurden, war ebenfalls unstrittig.83 Jedoch war der Prime Minister skeptisch gegenüber den Plänen einer europäischen Föderation und hielt sich im Hinblick auf den Vorschlag eines neuen positiven Rechts für die europäischen Staaten vorsichtig bedeckt.84 Für Pitt war es die Stunde der Realpolitik, Hauptaufgabe des Bündnisses sollte der Sieg über Napoleon sein. Frankreich sollte nach Möglichkeit auf seine Grenzen von 1792 reduziert werden, wobei Belgien von Frankreich getrennt werden sollte, um so gewissermaßen einen Festungsring um die französische Westgrenze zu etablieren. Damit wiederholte Pitt britische Forderungen aus dem britisch-russischen Vertrag von 1798, widersprach jedoch der russischen Linie, die vor allem darauf bedacht war, sich in Frankreich eine Partei zu erhalten, die gegen Napoleon in Stellung zu bringen wäre.85 Für Italien stimmte Pitt mit dem russischen Vorschlag überein, aus dem Königreich 79 80 81

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Vgl. Tatiščev an R. Voroncov, in: AKV, Bd. XVIII, 390 sowie Zawadzki, Czartoryski, 115. Vgl. den bitteren und anklagenden Rückblick: Czartoryski, Mémoires, Bd. 1, 376. Abgedruckt bei Martens, F. F. (Hrsg.), Sobranie traktatov i konvencij, zaključennych Rossiej s inostrannymi deržavami, Bd. XI, 94. Insofern ist Eich, Russland, 64–67, zu widersprechen, die in der Mission vor allem eine Maßnahme zur Interessenssicherung in Europa sieht. Pitt am 30.11.1804 in: Martens (Hrsg.), Sobranie, Bd. XI, 104 f. Bericht Novosil’cevs vom 13./25.12.1804, in: VPR I/2, Nr, 79, 219–235. Pitt am 13.12.1804, in: VPR I/2, 234 f. Vgl. den Bericht Novosil’cevs über das Gespräch mit Pitt, 13./25.12.1805, in VPR I/2, 219– 234, bes. 233 f.

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Sardinien eine Sicherung gegen Frankreich zu machen. Doch in einer Note vom 19. Januar 1805 – dem berühmten Pitt-Memorandum – ließ er sich wenigstens pro forma auf einen weitestgehenden Teil der russischen Vorschläge ein: die territoriale Besitzgarantie und kollektive Interventionen.86 Allerdings zeigte sich der britische Premier höchst skeptisch, ob sich eine Großmacht dauerhaft auf Mediation als erstes Mittel der Konfliktlösung würde festlegen lassen. Im Jahr zuvor waren alle Schiffe im Hafen von Cádiz von den Briten beschlagnahmt worden, aus der Sorge heraus, dass Spanien bereits mit Frankreich verbündet sei. Dass der russische Vorschlag, die spanischen Schiffe als symbolische Geste zurückzugeben, in London auf taube Ohren stieß, verwundert nicht.87 Der Sprengstoff für die Nachkriegsordnung wurde von Pitt dabei allerdings entschärft. Anstelle eines neu zu schaffenden Rechts sprach er sich für die Wiederherstellung eines allgemeinen Systems des öffentlichen Rechts in Europa aus.88 Zunächst schien es Ziel der englischen Politik zu sein, jede auf die Zukunft gerichtete gestalterische Komponente aus einem englisch-russischen Vertrag herauszuhalten: Der englische Außenminister Lord Mulgrave sandte einen Entwurf nach Sankt Petersburg. Das Fehlen der entsprechenden Passagen wurde von Voroncov umgehend an Czartoryski berichtet.89 Weitere Verhandlungen wurden im Januar 1805 nach Sankt Petersburg verlegt, wo der englische Unterhändler Gower direkt mit Czartoryski sprach, der sich nicht so leicht den Wind aus den Segeln nehmen ließ, wie Novosil’cev.90 Der von Novosil’cev redigierte Text der englischrussischen Konvention wurde schließlich am 30. März 1805 unterzeichnet und enthielt nur einen Rumpf der ursprünglichen Pläne. Russland erklärte sich bereit, für den Kampf gegen Napoleon 115.000 Soldaten zu stellen, aus Großbritannien sollten 1.250.000 Pfund Sterling für jeweils 100.000 russische oder österreichische Soldaten gezahlt werden. Dabei war sich die russische Armeeführung durchaus im Klaren darüber, wie viele Soldaten auf französischer Seite mobilisiert werden konnten: Eine Schätzung ging von 625.000 Mann aus.91 In mehreren Geheimartikeln wurden zudem die geostrategischen Ziele des russischen Vorschlags vereinbart: die Wiederherstellung der alten Grenzen Frank86

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Mulgrave an R. Voroncov, 19.1.1805, in: Webster, British Diplomacy, 389–394. Siehe zum Memorandum Doering-Manteuffel, Kongress, 21–28. Das Memorandum ist abgedruckt: Memorandum on the Delivrance and Security of Europe, in: Temperley, Harold/Penson, Lilan M. (Hrsg.), Foundations of British Foreign Policy from Pitt (1792) to Salisibury (1902) or, Documents Old and New, with Historical Introduction. Cambridge 1938, 10–21. Vgl. Hermann Wentker, Der „Pitt-Plan“ von 1805 in Krieg und Frieden: Zum Kontinuitätsproble, der britischen Europapolitik in der Ära der napoleonischen Kriege, in: Francia 29, 2002, 129– 145. Vgl. Czartoryski an R. Voroncov, 27.11./9.12.1804, in: VPR I/2, 200–202 f. sowie Novosil’cev an Alexander, London, 24.12.1804/5.1.1805, in: VPR I/2, 257–260. Webster, Castlereagh, 393. Voroncov an Czartoryski, Frühjahr 1805, in: AKV XI, 486. Vgl. Schaeder, Koalition, 37. Vgl. die Stellungnahme des Außenministeriums vom 24.4./6.5.1805, in: VPR I/2, Nr. 121, 388–392.

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reichs ebenso wie die Befreiung der besetzten Staaten. Der Kern der russischen Vorschläge wurde allerdings nicht umgesetzt. Zur gleichen Zeit, als Novosil’cev in London verhandelte, konnte Czartoryski einen Bündnisvertrag mit Österreich erreichen, der ebenfalls liberal im Hinblick auf die politische Gestaltung der künftigen französischen Regierung war.92 In territorialen Fragen hinsichtlich der Niederlande, der Schweiz und Italien orientierte sich der Vertrag eher an Pitts Vorschlägen. Was allerdings Preußen betraf, konnte sich Czartoryski durchsetzen, so dass Preußen nur die Rückerstattung von Cleve und Geldern, die 1795 an Frankreich verloren gegangen waren, zugesagt wurde. Die Klausel ist nicht in erster Linie als antipreußische Spitze zu verstehen, sondern als Ausdruck der Überlegungen, dass territoriale Gewinne die Stabilität des europäischen Systems erheblich gefährden könnten. In einem geheimen und separaten Artikel konnte die Basis für den Umgang mit Frankreich festgeschrieben werden, als Ausdruck des Respekts des freien Willens der Franzosen, vor allem in Hinblick auf die Form der Regierung, und der Ergebnisse der französischen Revolution. Wunschoption der russischen Seite war freilich eine Monarchie, die sich gemäßigt zeigen sollte – ein Wunsch, der kein reines Hirngespinst war, denn Czartoryski erhielt zu dieser Zeit vermehrt Berichte einer erstarkenden Opposition gegen Napoleon.93 Als Verhandlungsgrundlage für einen Frieden sollte Napoleon die Médiation als notwendige Bedingung präsentiert werden.94 Die dafür weiter erforderlichen Bedingungen wurden allerdings so festgelegt, dass sie für Napoleon beinahe unannehmbar waren: Evakuierung aller besetzten Gebiete jenseits der Mosel, des Rheins und der Alpen sowie die Freigabe des Königreiches Sardinien. Weiterhin sah die Marschroute vor, dass Malta einer provisorischen russischen Regierung überstellt werden und Großbritannien sich auf ein gemeinsames Seerecht einlassen sollte. Gerade diese beiden Punkte – aufrecht erhalten gegen den ausdrücklichen Rat des russischen Botschafters in London – hätten die Verhandlungen beinahe zum Scheitern gebracht.95 Czartoryski hatte die englische Konzessionsbereitschaft sogar so weitgehend unterschätzt, dass er ernsthaft vorschlug, England

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Vgl. den Entwurf, 25.10./6.11.1804, in; VPR I/2, NR. 63, 174–179, v. a. Art. XI („Les principes des deux Souverains ne leur permettant pas dans aucun cas de vouloir contraindre de libre vœu de la nation française, le but de la guerre ne sera pas d’opérer la contre-révolution, mais uniquement de remédier aux dangers communs de l’Europe.”, 177. Der Vertrag vom 30.3./11.4.1805 in: ebd, Nr. 117, 355–368. Der Erste geheime Zusatzartikel: VPR I/2, 366 f; zu den Berichten vgl. das Memorandum von Vernègues vom 10./22.3.1805, in: SIRIO 82, 1892, Nr. 11, 20–26 und Nr. 12, 27 f. Zum Wunsch, es möge ein „Gouvernement monarchique, basé sur des principes de modération et d’équité“ sein: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 34r–38v. VPR I/2, 362–366. Vgl. Voroncov an Czartoryski, 6./18.5.1805, in: AKV 15, 306–313. Zur strategischen Bedeutung Maltas: Mulgrave an R. Voroncov, 05.06.1805, in: John Holland Rose, Select despatches from the British Foreign office archives. Relating to the formation of the third coalition against France, 1804–1805. London 1904, 155–164 sowie Voroncov an Alexander, 26.5./7.6.1805, in: AKV 10, 436–444.

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solle Gibraltar opfern, um so Spanien zum Beitritt zur Koalition zu bringen.96 Gleichzeitig zeigte sich die russische Politik lernfähig, denn seit 1804 wurden Handelsagenten im Westen instruiert, Werbung für die russische Perspektive zu machen, ebenso wie hohe Beamte den Armeen zur Seite gestellt wurden, um als politische Agenten zu wirken.97 So sind nur Teile dieses Planes in den Vertrag mit England eingeflossen und zur Basis der Dritten Koalition geworden, die weitgehend traditionellen Charakter trug. Hildegard Schaeder hat bereits darauf hingewiesen, dass in diesen Überlegungen der Kern der Heiligen Allianz angelegt war und dass die Pläne Czartoryskis zu einem Gutteil auf Überlegungen seines Lehrers Scipione Piattoli beruhten.98 Czartoryski war mit seiner Tante, Fürstin Ludomirska, im Winter 1787/88 in Paris gewesen, wohin sie von Piattoli begleitet worden waren. Der gebürtige Florentiner war ein ehemaliger Piarist und Professor an der Universität Modena. Nachdem er gezwungen worden war, Modena zu verlassen, fand er eine Anstellung bei der Fürstin und lernte den Neffen Adam Jerzy bald kennen.99 Nach der Teilung Polens trennten sich die Wege der beiden Männer: Czartoryski kam an den russischen Hof, während Piattoli als vermeintlich gefährlicher Jakobiner 1794 inhaftiert wurde. In den Dienst der Herzogin von Kurland getreten, reiste er 1804 nach Sankt Petersburg, wo sich seine Pfade wieder mit denen seines ehemaligen Schülers kreuzten. Bis zu seinem Tod 1809 blieben die beiden in engem Kontakt. Doch wird man nicht soweit gehen können, eine Mit-Autorschaft von Piattoli an den Instruktionen von 1804 zu konstatieren.100 Gleichwohl konnte Czartoryski in den Jahren nach 1804 auf die geistige Arbeit seines ehemaligen Lehrers zurückgreifen und nutzte diese Gelegenheit zu verschiedenen Anlässen. Gegenüber Novosil’cev bezeichnete er den Abbé einmal sogar als ausgezeichnetes Werkzeug.101 Doch gerade in der Einschätzung der Person Napoleons lagen die Ansichten der beiden weit auseinander. Während Piattoli der Ansicht war, dass man auch mit Napoleon zu einer grundsätzlichen und dauerhaften Verständigung kommen könnte, standen die Zeichen für Czartoryski auf Krieg. Die in den Verhandlungen mit England eingeschlagene Richtung versuchte Czartoryski konsequent weiter zu verfolgen, indem er im Februar 1805 einen Plan ventilierte, der einen Frieden zwischen Großbritannien und Frankreich zu Konditionen vorsah, die für Napoleon nicht akzeptabel gewesen wären. In diesem Kalkül wäre ein Ultimatum die logische Folge gewesen, denn die Mediation wäre 96 97 98 99

Czartoryski an Novosil’cev 4./16.02.1805, in: VPR I/2, 310–315. v. a. 314. Vgl. Stackelberg an Betling, Oktober 1804, in: VPR I/2, 192 f. Vgl. Schaeder, Koalition, 13–29. Die Literaturlage zu Piattoli ist mehr als dürftig. Es gibt eine neuere, wenngleich auch schon bald 50 Jahre alte Darstellung: Giampiero Bozzolato, Polonia e Russia alla fine del XVIII secolo. Un avventuriero onorato: Scipione Piattoli. Padova 1964, vgl. ansonsten immer noch Alessandro D’Ancona, Scipione Piattoli e la Polonia. Firenze 1915. 100 Auch Zawadzki, Czartoryski, der ansonsten minutiös Piattolis Einfluss nachzeichnet, erwähnt eine solche These nicht. 101 Czartoryski an Novosil’cev, 10./22.6.1805, in: VPR I/2, 462–465, hier 464.

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derart gewesen, dass sie das französische Volk von Napoleon getrennt behandelt hätte, um so europäisches Wohlwollen gegenüber dem Volk bei gleichzeitiger Gegnerschaft zu Napoleon zu demonstrieren.102 Mit diesem Vorschlag rannte er bei Alexander zunächst gegen verschlossene Türen, da sich der Zar nicht darauf einlassen konnte, das Mittel der Mediation von vornherein als machiavellistische Option politischen Handelns zu missbrauchen.103 Und bereits im Juni wurde Novosil’cev wieder als Sondergesandter nach Paris geschickt, um hier über die Mediation, und ausdrücklich auch über das Seerecht, zu verhandeln.104 Doch gab es für Czartoryski und Kanzler Voroncov keine Alternative zu einem allgemeinen Krieg gegen Napoleon. Czartoryski wusste allerdings, dass Alexander nicht für den Krieg optierte und er diese Entscheidung nur würde treffen können, wenn es keine anderen Handlungsalternativen mehr gab.105 Zunächst musste sich der Außenminister bestätigt fühlen, denn als Novosil’cev gerade Berlin erreicht hatte, wurde in Sankt Petersburg die Annexion Genuas bekannt.106 Doch erst als aus London der ratifizierte Vertrag eintraf, in dem die strittigen Fragen um Malta und das Seerecht nicht enthalten waren, wurde Novosil’cev zurückbeordert. Viel Handlungsspielraum blieb nun nicht mehr. Hätte Alexander den Vertrag nicht ebenfalls ratifiziert, dann stand zu befürchten, dass sich England aus der Verantwortung ziehen würde. So wurden die Ratifikationen am 28. Juli in Sankt Petersburg formal ausgetauscht. Dieser Vertrag enthielt dennoch einen Kern der Ideen Alexanders.107 In Artikel 1 wurde festgeschrieben, dass eine „ligue générale des États de l’Europe“ geschaffen werde, deren Nukleus das gemeinsame Vorgehen von Großbritannien und Russland gegen die französische Aggression sein solle. Nachdem im zweiten Artikel eine Reihe von politischen Nahzielen sehr präzise benannt wird, schließt sich eine etwas wolkig gehaltene Formulierung an. Als Ziel der neuen „ligue générale“ wurde festgehalten: L’établissement d’un ordre des choses en Europe qui garantisse efficacement la sûreté et l’indépendance des différents Etats et présente une barrière solide contre des ursupations futurs[...].108

102 Vgl. Czartoryski an Novsil’cev, 4./16.02.1805, in: VPR I/2, 310–315, hier 313. 103 Vgl. ders. an dens., 5./17.2.1805, in: VPR I/2, 319. 104 Vgl. die Legitimation Novosil’cevs, 30.5./11.6.1805, in: SIRIO 82, 1892, Nr. 21, 62 f., ebenso den Entwurf des Vertrages, ebd, Nr. 22, 63–69 und den Entwurf einer Erklärung für den russischen Bevollmächtigten, ebd, Nr. 23, 70. 105 Zawadzki, Czartoryski, 122. 106 Vgl. Archives de Novosiltzeff relatifs à sa mission à Berlin en 1805, in: AVPRI f. 133, op. 468, d. 694, 1r–92v. 107 Der Vertrag vom 30.3./11.4.1805, in: VPR I/2, 355–368, zur Ratifizierung vgl. das Protokoll der Unterhaltung zwischen Czatroyski und Gower, 16./28.7.1805, in: VPR I/2, Nr. 149, 489 f. Ein weiteres Zeichen dafür, dass man in Sankt Petersburg die Hoffnung auf eine vollständige Umsetzung der Ideen noch nicht aufgegeben hatte, ist die Tatsache, dass Piattoli weiterhin an der Kodifizierung des Seerechts arbeitete. Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 123, FN 48. 108 Vertrag vom 30.3./11.4.1805, in VPR I/2, 356.

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Damit war nichts anderes gemeint als eine Garantie der territorialen Integrität aller europäischen Staaten.109 Während er zunächst im Westen eine konsequent pazifistische Politik verfolgte, trat Alexander in Richtung Süden aggressiver auf. War er zu Beginn seiner Herrschaft noch als Gegner der 1800 zwischen Russland und dem christlichen Königreich Kartlien-Kachetien geschlossenen „Union“ aufgetreten, die das georgische Gebiet vor persischem Zugriff sichern sollte, de facto aber einer Annexion gleichkam, so verfolgte er nun einen ähnlichen Kurs gegenüber den kleineren Staaten am Rande des Schwarzen Meeres. Die Annexion kam nach dem Tod des Königs Georg XII. (XIII.) von Georgien 1800 zustande, als General Knorring in das georgische Gebiet gesandt wurde, um dort die Stimmung der Bevölkerung im Hinblick auf eine Vereinigung der Länder zu erkunden. Knorring ging wohl zu leichtfertig davon aus, dass der Zar diese Mission nur als Vorwand nutzte und ließ den erforderlichen Einsatz vermissen, so dass am Ende fingierte Berichte von der Stimmung zur Entscheidungsgrundlage wurden. Demnach war eine Annexion von weiten Teilen der georgischen Bevölkerung gewünscht und dies diente dem Zaren dann als Legitimation.110 1803 und 1804 wurden das Fürstentum Mingrelien, das Königreich Imeretien und das Fürstentum Gurien unter russische Protektion gestellt, behielten aber formal ihre Unabhängigkeit, indem ein eigenes Steuersystem erhalten und das lokale Recht weiterhin gültig blieb. Auf diese Weise wurde der russische Zugriff auf das Schwarze Meer weiter erleichtert, der Zugriff auf die Ressourcen des Kaukasus gesichert und gleichzeitig eine Hand auf die wichtige Sicherheitszone zwischen Russland und dem Osmanischen Reich beziehungsweise Persien gelegt. Dabei hatte Alexander seine Lektion gelernt, denn die Annexion Kartlien-Kachetiens hatte größere Schwierigkeiten mit sich gebracht. Dort sollte eine russische Verwaltung installiert werden, die sich nach den georgischen Gesetzen und Sitten verhalten sollte. Die Annexion der georgischen Gebiete war damit so etwas wie ein Modell, nach dem auch 1809 die Annexion Finnlands ablaufen konnte. Die russischen Verantwortlichen zeigten sich deutlich überfordert, düpierten den lokalen Adel und 1802 kam es zu ernstzunehmenden antirussischen Umtrieben. Um der Lage Herr zu werden, sandte Alexander einen hohen Offizier als Generalkommandanten in den Kaukasus: den aus einem georgischen Fürstengeschlecht stammenden russischen General Pavel Dmitrievič Cicianov, der allerdings wenig Geschick im Umgang mit den Bewohnern der Region bewies und als autoritärer Vertreter Sankt Petersburgs die autochthone Bevölkerung weiter gegen Russland aufbrachte. Als Resultat kam es 1804 zu Revolten in Georgien, und Cicianov wurde 1806 außerhalb der Stadt Baku ermordet.111 Die russische Stellung

109 Vgl. auch GARF, f. 768, op. 1, d. 685, 32v–34v. 110 Vgl. McConnell, Alexander 50 f. 111 Vgl. Cicianov an Czartoryski, 29.5./10.6.1804, in: VPR I/2, 72; Czartoryski an Italinskij, 18./30.8.1804, in: ebd., Nr. 46, 126 f.; Czartoryski an Cicianov, 11./23.7.1805, in: ebd., 480– 482; Czartoryski an Cicianov, 26.7./7.8.1805 (geheim), in: ebd., Nr. 152, 494 f.; Czartoryski an Cicianov, 8./20.9.1805, in: ebd., 580.

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in Transkaukasien entpuppte sich mithin als nicht sehr belastbar. Die inneren Instabilitäten wurden verstärkt durch den Widerstand des Schahs von Persien, der seine Besitzungen in dem Bereich verloren hatte. Zusätzlich machten sich auch die Interessenlage des Osmanischen Reiches bemerkbar. Auf dem Höhepunkt des russisch-osmanischen Krieges 1806 kulminierten beide Entwicklungen in einer gegen Russland gerichteten Revolte in Imeretien, die vom Osmanischen Reich unterstützt wurde.112 Die ersten expansionistischen Gehversuche des Zaren waren folglich nicht von Erfolg gekrönt, und die hohen Kosten, die dieses Engagement verursachten, sind wohl ein Grund, warum sich Alexander wieder vermehrt dem Theatrum Europaeum zuwandte. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass das europäische Engagement aus der Expansionspolitik im Süden abgeleitet werden kann.113 Ein in sich geschlossenes System lässt sich aus der gesamten Außenpolitik Alexanders in der Frühzeit nicht erkennen. Das Engagement in Europa hatte in der politischen Gedankenwelt Alexanders auch in den frühen Jahren stets Vorrang besessen – und daher wird eher umgekehrt ein Schuh aus der Überlegung: Frieden und Ruhe in Europa boten dem Zaren erst die Bedingungen, seine geostrategischen Überlegungen in Richtung Transkaukasus in die Tat umzusetzen. Doch im März 1805 sollte es auch mit dem pazifistischen Engagement in Europa vorbei sein. Mit dem Beitritt Österreichs zur britisch-russischen Allianz stieg auch das russische Engagement: Alexander erklärte sich bereit, 180.000 Soldaten anstelle der vertraglich vereinbarten 115.000 einzubringen.114 So wurde Anfang Juni 1805 in Wien ein Plan erarbeitet, der die Truppenstärke regelte: Österreich stellte 250.000 Soldaten, Russland 180.000, insgesamt sollte ein Heer von über 600.000 Soldaten aufgeboten werden, der Vertrag vom 28. Juli 1805 regelte die Details. Preußen zog es jedoch entgegen der Abmachungen vor, in dem sich nun bedrohlich am Himmel abzeichnenden Konflikt neutral zu bleiben. Am 10. September schloss Russland einen Vertrag mit dem Königreich beider Sizilien, womit im Herbst 1805 die Dritte Koalition etabliert war. Trotz pazifistischer Ambitionen befand sich das russische Reich nun in einer Situation, in der ein Krieg nicht mehr zu umgehen war, doch wiesen die Pläne, die Novosil’cev im Reisegepäck nach London mit sich führte, strukturell bereits weit über den bevorstehenden Krieg und seine Lösung hinaus.

112 Vgl. Rey, Alexandre, 187–189. 113 Diese Deutung ebd., 191. 114 Alexander an Razumovski 28.4./10.5.1805, in: VPR I/2, 395–397.

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3. NE PARLONS PAS, D’AUSTERLITZ, MAMAN – DER WEG NACH TILSIT (1805–1807) 115 In den wenigen Jahren seit Beginn seiner Thronbesteigung war Alexander nach und nach in Frontstellung zu Napoleon geraten und hatte damit einen Weg betreten, der für die nächsten zehn Jahre seine außenpolitischen Handlungen stark beeinflussen und limitieren sollte. Nachdem in Sankt Petersburg Ende Juni die ratifizierten Verträge vom 11. April zwischen Czartoryski und Lord Gower ausgetauscht worden waren, begannen sich die Ereignisse zu überstürzen. Schon am 16. Juli konnte eine Einigung mit Österreich über den bevorstehenden Krieg erzielt werden, am 9. August trat Österreich dem englisch-russischen Bündnis bei. Nachdem Napoleon die österreichische Mediation erwartungsgemäß abgelehnt hatte und im Gegenzug verlangte, dass das Land neutral bleiben solle, begannen die russischen und österreichischen Truppen ihre Bewegungen in Richtung Westen Ende August. In einem vergeblich bleibenden Versuch, möglichst viele Staaten gegen Napoleon zu sammeln, erfolgten Angebote an die deutschen Staaten und Dänemark, der Koalition beizutreten. Nach der Unterzeichnung der Defensivallianz mit Neapel folgte am 23. September ein ähnlicher Vertrag mit dem Osmanischen Reich, das auf seine Interventionsrechte hinsichtlich der inneren Angelegenheiten der Ionischen Inseln verzichtete und die Meerengen für russische Schiffe freigab. Der Versuch, diesen Vertrag auch dazu zu nutzen, das Osmanische Reich zu einem Entgegenkommen gegenüber der christlichen Bevölkerung auf dem Balkan zu bewegen, scheiterte allerdings.116 Am 22. August 1805 gab der Zar bekannt, dass er sich nun wieder an die Spitze der antinapoleonischen Bewegung stellen wolle. Exakt einen Monat später verließ er in Begleitung der Grafen Tolstoj, Lieven und Volkonskij sowie seiner Freunde Czartoryski, Stroganov und Novosil’cev die Hauptstadt, nachdem er lang in der Kathedrale der Mutter Gottes von Kazan gebetet hatte, um zunächst einmal für zwei Wochen auf den Gütern der Familie seines Freundes Czartoryski Station zu machen.117 Zwei Armeen mit insgesamt 140.000 Mann wurden zur selben Zeit in Marsch gesetzt, von denen sich die von Kutuzov befehligte Armee mit 50.000 Soldaten mit der österreichischen verbinden sollte. Die verbleibenden 90.000 nahmen Aufstellung an der Grenze zu Preußen, von dort drohte notfalls der Einmarsch. Doch war die Stimmung unter den Beratern des Zaren gespalten. Die anglophile Fraktion – unter ihnen die Botschafter Voroncov, Razumovskij, Tatiščev und Italinskij – befürwortete einen Krieg, während die frankophile Fraktion um

115 Elisabeth an ihre Mutter, Sankt Petersburg, 10./22.1.1806, in: Michailovič, Élisabeth, Bd. 2, 178 f. 116 Vgl. den russisch-osmanischen Vertrag vom 11./23.9.1805, in VPR I/2, 582–589, französische Übersetzung 584–589 sowie Stanislavskaja, Rossija i Grecija, 234 f. 117 Rey, Alexandre, 211 f.

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Rumjancev und Rostopčin vor allem für die Beibehaltung der militärischen und diplomatischen Neutralität argumentierte.118 Die Verhandlungen über einen preußischen Beitritt zur Koalition gestalteten sich derart schwierig, dass sie kurzfristig gar zu scheitern drohten. Da sich der preußische König nicht auf einen schnellen Beitritt zur Koalition festlegen wollte, begann der russische Außenminister in London und bei seinem Herrn die Stimmung gegen die vermeintliche preußische Selbstsucht und Unsicherheit weiter anzuheizen.119 Alexander versuchte er davon zu überzeugen, dass die preußische Politik nicht verlässlich sei, sondern in egoistischen Bahnen verlaufe. Dabei kam ihm zu Gute, dass Alexander seinem Botschafter in Berlin, Maxim Alopeus, misstraute und ihm einen Großteil der Verantwortung für den bislang nicht erfolgten Beitritt Preußens zuschrieb.120 Mit der Entsendung des Czartoryski-Freundes Wintzingerode als Gesandten nach Berlin sollten die Rahmenbedingungen für einen Kampf gegen Frankreich erneut ausgehandelt werden.121 Karl August von Hardenberg, Außenminister seit August 1804, sicherte zu, dass Preußen seine Begehrlichkeiten auf Schwedisch-Pommern zügeln werde, hielt sich aber offiziell an die Devise, dass das preußisch-russische Abkommen von Mai 1804 ausreichend sei.122 Auch wenn in privaten Unterredungen die russische Seite von Hardenberg der preußischen Bündnistreue versichert wurde: offiziell konnte kein Vertrag unterzeichnet werden. So erreichte auch Wintzingerode nicht das gewünschte Etappenziel und kam zu dem Schluss, dass nur eine auf Berlin marschierende russische Armee den preußischen König zum Beitritt zur antinapoleonischen Koalition würde bewegen können.123 Anfang Mai sandte Friedrich Wilhelm seinen Adjutanten General Friedrich Zastrow nach Sankt Petersburg, wo dieser weiterhin im Sinne der preußischen Neutralität verhandeln sollte.124 Für Czartoryski war diese Mission nur ein weiterer Beweis für seine Vermutung, dass man Preußen nur mit Gewalt zu einem Bündnis mit Russland würde zwingen können.125 Obwohl der Zar ursprünglich auf die Unterstützung des preußischen Königs baute, begann er nun langsam, sich der Meinung Czartoryskis anzunähern.126 Und auch wenn im 118 Vgl. Voroncov an Czartoryski, 20.6./2.7.1805, in: SIRIO 82, 1892, 81–90; Voroncov an Czartoryski, 24.7./5.8.1805, ebd., ders. an dens. 24.7./5.8.1805, in: ebd., 97–102. 119 Vgl. Gower an Harrowby, 24.12.1804, in: Rose, Despatches, 80 f.; Mulgrave and Gower, 29.06.1805, in: ebd, 99–101; Alexander an Voroncov, 3./15.4.1805, in: VPR I/2, 377–380; Voroncov an Alexander, 26.5./7.6., in: AKV, Bd. X, 401–405. 120 Vgl. Czartoryski an Voroncov, 29.4./11.5.1805, in: VPR I/2, 401–405; Bericht des Außenministerium über die Entwicklungen der Verhandlungen mit Preußen, 7./19.8.1805, in: ebd., 512–516, v. a. 513; Czartoryski an Alopeus, 7./18.8.1805, in: ebd., 522–528. 121 Vgl. die Instruktionen Alexanders an Wintzingerode, 16./28.1.1805, in: VPR I/2, 273–278. 122 Berichte der Treffen von Alopeus und Wintzingerode mit Hardenberg, 6./18.3.1805, in: VPR I/2, 337–342. 123 Wintzingerode an Czartoryski, 10./22.3.1805, in: ebd., 347 f. 124 Czartoryski nahm die Argumente des preußischen Sondergesandten eher kalt entgegen. Vgl. die Verbalnote an Zastrow, Juni 1805, in: VPR I/2, 448–451. 125 Vgl. Czartoryski an R. Voroncov, 15.5.1805, in: AKV, Bd. XV, 299. 126 Vgl. Alexander an Razumovskij, 28.4./10.5.1805, in: VPR I/2, 395–397.

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Juni die Vorbereitungen für eine militärische Offensive gegen Preußen begannen, so meldete Novosil’cev noch Ende des Monats aus Berlin, dass Friedrich Wilhelm III. an der Neutralitätspolitik strikt festhalten wolle.127 Für den Fall eines Konfliktes mit Preußen war die Frage nach der Revision der polnisch-preußischen Grenze von besonderer Bedeutung. In einem Brief an Czartoryski ließ A. R. Voroncov dann auch verlauten, dass Russland die preußisch-polnischen Gebiete besetzen werde, sollte es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Preußen kommen.128 Czartoryskis Konzeptionen sind nur unzureichend erforscht, man wird allerdings kaum so weit gehen können, sein Vorgehen als „Mordplan gegen Preußen“, so eine berühmte Formulierung Wilhelm Onckens, zu bezeichnen.129 Wohl im Juli 1805 wandte sich Czartoryski an Razumovskij mit dem Plan, Napoleon zuvorzukommen, indem Österreich und Russland sich das Wohlwollen ihrer jeweiligen polnischen Bevölkerung sichern und Alexander zum König von Polen ausrufen würden.130 Konkrete Teilungspläne waren, dass Schlesien und Bayern im Ausgleich für das abzutretende Galizien an Österreich fallen sollten, auch Russland sollte nicht leer ausgehen – im September stand sogar Königsberg, die alte Königsstadt der preußischen Könige, als russisches Ziel zur Diskussion.131 Dabei hatte sich Österreich noch überhaupt nicht zum Beitritt zur Koalition bereit erklärt, und dieser „Mordplan“ wäre überdies mit dem Beitritt Preußens zur Koalition hinfällig geworden.132 Dass Alexander einem solchen Vorhaben zugestimmt hätte, scheint zudem höchst zweifelhaft, auch wenn Mitte Juli in Sankt Petersburg eine Demonstration militärischer Stärke in Form einer Parade angesetzt wurde, mit der man Preußen überzeugen wollte, der Koalition beizutreten.133 Schließlich erging eine ultimative Forderung an Friedrich Wilhelm, der Koalition beizutreten, gleichzeitig wurde mit einer Invasion durch russische Truppen gedroht, für den Fall einer Absage.134 In der Folge wurde ein Treffen von Friedrich Wilhelm und Alexander geplant, Bedingung hierfür sollte allerdings die Unterzeichnung des Beitritts zur Koalition sein. Die Spannungen zwischen den Ländern stiegen noch weiter, da diese Bedingung zunächst nicht erfüllt wurden. Zwar teilte Hardenberg mit, dass Friedrich Wilhelm grundsätzlich bereit sei, dem Vertrag beizutreten,

127 Novosil’cev an Alexander, 28.6./10.7.1805, in: VPR I/2, 470–472. 128 Vgl. A. R. Voroncov an Czartoryski, 24.05./05.06.1805, in: SIRIO 82, 1892, 38–41, hier 39 f. 129 Wilhelm Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege. 1886, 157. 130 Vgl. Martens (Hrsg.), Recueil, Bd. II (1875), 478. 131 Vgl. Jerzy Skowronek, Antynapoleońskie koncepcje Czartoryskiego. Warschau 1969, 218. 132 Daher schlägt Zawadzki, Czartoryski, 127 f. als Lösung des Dilemmas mit großer Plausibilität vor, es könne sich um eine Fehldatierung handeln. Der entsprechende Brief sei somit nicht vor September geschrieben worden. Das Manuskript des Briefes ist in den Archiven nicht auffindbar. Vgl. auch Skowronek, koncepcje, 207 und VPR I/2, 664f, Anm. 79. 133 Vgl. Czartoryski an Razumovskij, 12./24. 7.1805, in: VPR I/2, 482–484. 134 Vgl. den Bericht des Außenministeriums, 7./19.8.1805, in: VPR I/2, 512–516 sowie Czartoryski an Alopeus, 7./19.8.1805, in: ebd., 518 f.

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aber erst im Jahr 1806 und auch dann erst nach einem Treffen mit dem russischen Zaren. Sollten allerdings die preußischen Grenzen von russischen Truppen verletzt werden, so würde die preußische Armee mit 200.000 Mann an der Seite Napoleons in den Krieg ziehen.135 Nach diesen Briefen widerrief der Zar am 17. September den Marschbefehl und stimmte einem Treffen in Berlin zu.136 Gleichzeitig erging jedoch der Befehl der Mobilmachung an die preußischen Truppen, um im Falle eines Angriffs aus dem Osten gewappnet zu sein.137 Doch während des Zwischenaufenthaltes von Alexander und seiner Entourage auf den Gütern seines Außenministers in Puławy kam es zu einem Gespräch mit dem dorthin gereisten österreichischem Gesandten in Russland, Graf Stadion, dessen Ergebnis es war, dass die Zusage strikter Neutralität von Seiten Preußens ausreichend sei. Der Chef der österreichischen Militärmission in Sankt Petersburg, General Karl Stutterheim, versuchte Alexander schließlich davon zu überzeugen, die Pläne für einen militärischen Coup gegen Preußen fallenzulassen.138 Der Zar konnte sich allerdings nicht auf diese Position einlassen. Am 7. Oktober befahl er General Michelsen, das linke Ufer der Weichsel zu überqueren und sich etwa zwanzig Kilometer von der preußischen Grenze entfernt zu stationieren. Ehe von dort aus weitermarschiert werden konnte, sollte allerdings noch das Ergebnis der Mission Dolgorukijs in Berlin abgewartet werden, der seit September in der preußischen Hauptstadt verhandelte.139 Dass ausgerechnet Dolgorukij entsandt worden war, zeigt, dass Alexander sich eben nicht von seinem Außenminister abhängig machte. Dolgorukij war zum einen einer der entschiedeneren Gegenspieler Czartoryskis am Hof in Sankt Petersburg, zum anderen hatten Czartoryski und Novosil’cev versucht, Alexander davon abzuhalten, gemeinsam mit seinen Truppen in Richtung Westen zu ziehen.140 Dieses Zögern des Zaren ist wohl auch auf das enge persönliche Verhältnis zwischen den Herrschern zurückzuführen, ließ Alexander doch zugleich einen Vertrag entwerfen, der deutlich weniger Forderungen in Richtung Preußen enthielt.141

135 Alopeus an Czartoryski, 25.8./6.9.1805, in: VPR I/2, 567 f. und ders. an dens. 25.8./6.9, in: ebd,. 568 f. 136 In seiner Antwort an Alopeus konnte Czartoryski nur schwer verbergen, dass ihm diese Option nicht gut passte. Vgl. Czartoryski an Aloepeus, 5./17.9.1805, in: VPR I/2, 579. 137 Vgl. die Briefe Friedrich Wilhelms III. an Alexander I. vom 6. und 21.9.1805, in: Bailleu, Paul (Hrsg.), Briefwechsel König Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise mit Kaiser Alexander I. Leipzig 1900, 74–78 sowie Alopeus an Bennigsen und Michelsen, 10./22.9.1805, in: VPR I/2, 581. 138 Vgl. VPR I/2, 695 Anm. 316. 139 Dolgorukin an Alexander, 18./30.11.1805, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 728. Dolgorukij sollte vor allem über ein Durchmarschrecht der russischen Truppen verhandeln. Vgl. Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 15./27.9.1805, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, 78 f. Zu Dolgorukij siehe Nicolas Michailovič, Knjazja Dolgorukie. Spodvižniki Aleksandra I v pervye gody ego carstvovanija. Sankt Petersburg 1901. 140 Vgl. Skowronek, Koncepcje, 218. 141 Vgl. Notiz des Außenministeriums, nicht früher als 3./15.10.1805, in: VPR I/2, 607 f.

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Jedoch entband der Lauf der Ereignisse die russischen Verantwortlichen davon, eine Entscheidung treffen zu müssen: Ohne Rücksprache mit Friedrich Wilhelm gab Napoleon den Marschbefehl an General Bernadotte, der Anfang Oktober mit 20.000 französischen Soldaten aus dem besetzten Königreich Hannover in Richtung Donau aufbrach, wobei die preußische Neutralität in Ansbach verletzt wurde. Am 16. Oktober erreichte Dolgorukij Puławy und brachte die Nachricht mit, dass es russischen Truppen nun erlaubt werde, preußisches Gebiet zu durchqueren.142 Alexander gab bekannt, dass er sich umgehend auf den Weg nach Berlin begeben werde, ohne vorher Halt in Warschau zu machen. Hatte sich Friedrich Wilhelm III. bisher noch zögerlich gezeigt,143 so erlaubte er den russischen Truppen nach dem Vorgehen bei Ansbach den Durchmarsch, von einer weitergehenden Beteiligung am Krieg gegen Napoleon war allerdings auch jetzt noch keine Rede. Am 25. Oktober erreichte Alexander die preußische Hauptstadt und wurde hier warm empfangen. Doch innerhalb von kürzester Zeit überschlugen sich die militärischen Ereignisse: Am 14. Oktober wurden die österreichischen Truppen bei Elchingen geschlagen, fünf Tage später kapitulierte Mack bei Ulm. Damit war der Weg für Napoleon frei in Richtung Norden. Vor diesem Hintergrund erhielten die Verhandlungen in Berlin neue Priorität – wenn auch das preußische Verlangen, der Koalition beizutreten, dadurch keinesfalls gestärkt wurde. Czartoryski und Metternich, zu dem Zeitpunkt österreichischer Botschafter in Berlin, drängten nun auf einen Beitritt Preußens, doch gab sich Alexander in der preußischrussischen Konvention, dem Vertrag von Potsdam vom 3. November mit der Zusage einer bewaffneten Mediation zufrieden.144 In einem geheimen Zusatzvertrag erkannte Alexander darüber hinaus das preußische Recht an, Hannover zu annektieren. Er schluckte damit die Kröte, den britisch-russischen Vertrag vom 30. März desselben Jahres zu brechen, in dem die Wiederherstellung eines unabhängigen Hannover vereinbart worden war, um so die preußische Unterstützung gegen Napoleon sicherzustellen.145 In Artikel neun des Vertrags wurde sogar eine mögliche Änderung der preußischen Ostgrenze nicht ganz ausgeschlossen.146 Und noch in derselben Nacht besiegelten Alexander und der preußische König am Grab Friedrichs II. symbolträchtig ihre Freundschaft. Nach der Niederlage von Mack wurde Kutuzov zum Oberbefehlshaber der alliierten Truppen ernannt und stand nun vor der schwierigen Aufgabe, Wien zu

142 143 144 145

Vgl. Friedrich Wilhelm III. an Alexander I, 9.10.1805, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, 81 f. Vgl. Czartoryski an Alopeus, 10./22.12.1804, in: VPR I/2, 214–217, hier 215 f. Russisch-preußischer Vertrag von Potsdam, 22.10./3.11.1805, in VPR I/2, 613–616. Dies wurde in London mit einiger Irritation aufgenommen. Vgl. Mulgrave an Harrowby, 23.11.1805, in: Rose, Despatches, 230–235, hier 232 f. sowie die russischen Erklärungsversuche: Czartoryski an S.R. Voroncov, 24.10./5.11.1805, in: VPR I/2, 631–633. 146 Vertrag von Potsdam, 616. Dass Czartoryski den Vertrag gemeinsam mit Dolgorukij und Alopeus unterschreiben musste, war eine bittere Pille für den Außenminister. Rückblickend bezeichnete er den Aufenthalt in Berlin als einen der Tiefpunkte seines Lebens. Vgl. Czartoryski an S.R. Voroncov, in: AKV, XV, 636.

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schützen. Nach Rückzugsgefechten der Armee Bagrations schlug er sein Lager in Olmütz auf, wo Alexander zu ihm stieß. In dieser Situation begann Napoleon eine diplomatische Offensive. Savary wurde als Sondergesandter in das russische Hauptquartier entsandt, wo ihm am 15. November ein wenig herzlicher Empfang bereitet wurde.147 Savary verließ das Lager noch am selben Tag mit einem unterkühlten Brief Alexanders an Napoleon, mit dem jegliche Aussicht auf Annäherung in weite Ferne gerückt war: Alexander verweigerte dem französischen Kaiser sogar die Titulatur – der Brief war provozierend schlicht an den „chef du gouvernement français“ adressiert.148 Am selben Tag gab er in Auftrag, einen möglichen Angriff auf das französische Heer vorzubereiten und ein kleinerer Sieg bei Vyškov (Wischau) am nächsten Tag war ein hoffnungsvoller Auftakt der Operationen. Ein erneuter Versuch Savarys, Alexander zu einem Treffen mit Napoleon zu bewegen, mündete darin, dass Alexander an seiner Stelle den jungen Adjutanten Dolgorukij sandte, der Napoleon durch sein arrogantes Auftreten und die für Napoleon nicht akzeptable Forderung düpierte, er solle sich aus Italien, den linksrheinischen Gebieten und Belgien zurückziehen sowie Wien evakuieren.149 Alexander scheint – auch beeinflusst durch Dolgorukijs Fehleinschätzung nach dessen Rückkehr aus dem französischen Lager – die Situation verkannt zu haben. Grundsätzlich verließ er sich eher auf seine jungen und relativ unerfahrenen Adjutanten als auf die erfahrenen Militärs, zu denen er in Olmütz Distanz hielt.150 Vor allem Kutuzov wurde zum Gespött der Runde, galt er doch als eitel, faul, zögerlich und zu sehr dem Wein und den jungen Frauen zugetan. Zwischen den Alliierten mangelte es an effizienter Kooperation: So gab der österreichische General Weyrother vom ersten auf den zweiten Dezember eine Lagebesprechung auf Deutsch, die dann von russischen Offizieren ins Französische übersetzt wurde, wobei erhebliche Konfusion im Hinblick auf die Ortsnamen auftrat. Der Plan von Weyrother sah vor, die vermeintlich erschöpften Truppen Napoleons bei Pratzen in der Nähe von Austerlitz anzugreifen, doch sah der französische Kaiser dieses Manöver voraus und brachte sich in eine bessere strategische Position. Am zweiten Dezember griff die österreichisch-russische Armee Napoleon bei Austerlitz an und wurde vernichtend geschlagen. Diese Niederlage war einer der letzten Schritte auf dem Weg zur österreichischen Kapitulation vor Napoleon. Dass Alexander persönlich in die Schlacht eingriff und Kutuzov befahl, die Truppen sollten angreifen anstatt sich zurückzuziehen, wirkte sich ebenfalls negativ auf die Erfolgsaussichten der Alliierten aus.151 Bereits um 11 Uhr musste das Rückzugssignal geblasen werden: Kutuzov erlitt einen Schuss durch die Wange,

147 Vgl. Napoleon an Alexander, 25.5.1805, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 733. 148 Die Antwort Alexanders an den „chef du gouvernement français“ sowie der Bericht Savarys vom 05.12. sind abgedruckt bei Šil’der, Imperator, Bd. 2, 283 f. 149 Vgl. Rey, Alexandre, 217. 150 So die Erinnerungen Langerons, abgedruckt bei Šil’der, Imperator, Bd. 2, 283. 151 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 1, 140.

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auch auf Alexander und den österreichischen Kaiser Franz wurde geschossen.152 Der Zar wurde von dem Großteil der Armee getrennt und erreichte schließlich das Dorf Hodejitz, von wo aus er zum österreichischen Kaiser stoßen wollte, der im 20 Kilometer entfernten Czejtsch Quartier gemacht hatte. Auf dem Weg dorthin brach der Zar mit Fieber zusammen und musste in einer Bauernhütte versorgt werden.153 Alexander hatte sich als Feldherr versucht und musste eine herbe Schlappe hinnehmen, sowohl persönlich als auch militärisch. 35.000 Soldaten waren getötet oder wurden vermisst, davon allein 28.000 aus der russischen Armee. Napoleon musste lediglich 9.000 Opfer beklagen.154 Nicht nur militärisch war die Schlacht eine Niederlage: Am vierten Dezember schloss Franz II. einen Waffenstillstandsvertrag mit Napoleon, in dem vereinbart wurde, dass die russischen Soldaten so schnell wie möglich das österreichische Gebiet verlassen sollten. Mit dem in Pressburg am zweiten Weihnachtstag geschlossenen Vertrag war das Ende der Dritten Koalition besiegelt. Auch wenn Talleyrand versucht hatte, harsche Friedensbedingungen für Österreich abzuwenden, so kam der Vertrag für das Haus Habsburg einem Ausverkauf gleich: Tirol und Vorarlberg fielen an Bayern, der Breisgau an Baden. Venetien, Istrien, Dalmatien und Cattaro gingen an das Königreich Italien, Augsburg und Teile des Hochstifts Passau fielen Bayern zu, im Ausgleich erhielt Österreich Salzburg.155 Schwerer allerdings wog neben diesen territorialen Veränderungen und der Rangerhöhung der Herrscher in Baden und Württemberg, der Franz als Römischer Kaiser zustimmen musste, die Übergabe des Herzogtums Berg an Murat und die Schaffung eines neuen Bundes deutscher Staaten, der sich eng an Frankreich anlehnen sollte: des „Rheinbundes“. Mit seiner Taufe begann die Grablegung des Heiligen Römischen Reiches, die im August des kommenden Jahres abgeschlossen sein sollte.156 Nach dieser Niederlage traf Alexander auf dem Weg nach Sankt Petersburg noch einmal mit Franz II. zusammen und versicherte am 20. November dem preußischen König weiterhin die volle russische Unterstützung, doch sollte sich Preu152 Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, 407. 153 Vgl. Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, 410. Eine dramatisierte Schilderung in dem Brief Elisabeths an ihre Mutter vom 11./23.12.1805, in: Michailovič, Élisabeth, Bd. 2, 174– 176. 154 Vgl. Oleg Sokolov, Austerlitz, Napoléon, l’Europe et la Russie. 1799–1805. Paris 2006, 420 f. 155 Vgl. auch die Beurteilung Czartoryskis an Alopeus, 3./15.12.1805, in: VPR I/2, 653 f. 156 Zum Ende des Heiligen Römischen Reiches vgl. Hans-Christof Kraus, Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806. Berlin 2006. und Wolfgang Burgdorf, Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806. München 2006, dort auch ein Überblick über die Literatur. Zur Historiographie siehe weiter Karen Hagemann/Katherine Aaslestad, 1806 and Its Aftermath. Revisiting the Period of the Napoleonic Wars in German Central European Historiography, in: Central European History 39, 2006, 547–557; Karen Hagemann, Occupation, Mobilization, and Politics: The Anti-Napoleonic Wars in Prussian Experience, Memory, and Historiography, in: Central European History 39, 2006, 580–61.

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ßen als das schwächste Glied in der Kette der Koalition erweisen.157 Czartoryski hatte am 15. Dezember in einem Brief an Alopeus Preußen darauf gedrängt, sofortige militärische Schritte zu unternehmen, doch war dieses Vorgehen nicht mit Alexander abgesprochen.158 Auch reiste Alexander nicht persönlich nach Berlin, um das weitere Vorgehen mit der preußischen Regierung zu koordinieren, sondern er sandte erneut Dolgorukij und stellte es Friedrich Wilhelm sogar frei, sich aus dem Vertrag von Potsdam zu lösen.159 Für die dort zugesagte Vermittlung zwischen Frankreich und Russland wurde der ehemalige preußische Minister Christian von Haugwitz nach Schönbrunn gesandt, um mit Napoleon zu verhandeln. Er ließ sich jedoch bereitwillig von Napoleon hinhalten, so dass am 15. Dezember in Schönbrunn eine Offensiv- und Defensiv-Allianz zwischen Preußen und Frankreich geschlossen wurde, die Preußen den Zugriff auf Hannover sicherte, während die preußischen Exklaven Ansbach, Kleve und Neuenburg an Frankreich fielen. Damit war die Dritte Koalition auch in formaler Hinsicht Geschichte.160 Alexander erreichte am 26. November die Hauptstadt seines Reiches und dekorierte Kutuzov noch am selben Abend bei einem Ball mit dem Vladimir-Orden, zudem ehrte er ihn mit den Posten des Gouverneurs von Kiev. Dies war ein Schachzug, um den General aus seinem direkten Umfeld zu entfernen. Doch schon bald machten Gerüchte in Sankt Petersburg die Runde, dass am Unglück von Austerlitz allein der Zar die Schuld trage. Diese Gerüchte machten auch vor den Ohren der Freunde und Familie des Zaren keinen Halt, und harsche Kritik war selbst von Czartoryski zu hören: „[…] la présence de Votre Majesté […], loin d’aider, ne faisait que dérouter et embarrasser les généraux […].“161 Der Außenminister stand freilich seinerseits unter Kritik, die schärfsten Kritiker waren die Brüder Rumjancev und Admiral Čičagov.162 Die weitergehende Kritik, die Czartoryski am Zaren übte, war vor allem politischer Natur und gegen das favorisierte Bündnis mit Preußen gerichtet, sie erklärt sich vor allem aus der polnischen Perspektive des Ministers. Er scheute dabei auch die Mühen nicht, dem Zaren eine Denkschrift vorzulegen, in der er für ein starkes Königreich Polen unter russischer Krone plädierte – als Schutz vor Napoleon.163 Und er ließ weiterhin nicht locker: Im April wandte er sich noch einmal mit demselben Anliegen an Alexander.164 Dieser hielt jedoch an seinen Allianzplänen mit Preußen fest, auch wenn der Ver-

157 Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, 85. 158 Czartoryski an Alopeus, 3./15.12.1805, in: VPR I/2, 653–655. 159 Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 24.11./6.12.1805, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, 88 f. 160 Vgl.Grunwald, Alexandre, 109 f. 161 Czartoryski an Alexander, April 1806, in: Czartoryski, Mémoires, 121–123, hier 121. 162 Vgl. Kočubej an Stroganov, 1./13.2.1806, in: Mikhaïlovitch, Stroganov, Bd. 3, 118 f. 163 Mémoire sur les rapports de la Russie et la Prusse, in: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 66–82 164 Denkschrift Czartoryskis, April 1806, an Alexander, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, 18–56.

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trag von Schönbrunn bereits unterzeichnet worden war. Czartoryski erhielt dann auch eine deutliche Absage: Vous désirez une discussion: je suis prêt à l’accorder, mais je ne puis m’empêcher de vous dire que je crois qu’elle ne servira à rien, les bases desquelles nous partons se trouvant diamétralement opposées.165

Auch von Seiten der Mutter Alexanders, der Dowager Kaiserin, kam Kritik. Sie zeichnete in einem Brief an ihren Sohn, mit dem sie sich zum Sprachrohr der Kritik am Petersburger Hof machte, ein pessimistisches Bild der russischen Lage und beschuldigte den Zaren, es versäumt zu haben, sich mit fähigen Offizieren zu umgeben,166 womit er die Lage des Landes geschwächt habe. On se dit: l’existence de la Russie est en danger, elle a perdu son influence, sa considération; elle n’est plus comptée dans la balance de l’Europe, ses alliés sont perdus. […] L’Empereur a prouvé la plus belle valeur personnelle, mais le métier de la guerre veut être étudié à la grande école de l’expérience; il faut donc qu’il consulte des gens qui y ont passé. […]167

Alexander war in dieser Zeit nicht untätig. Am 9. Januar rief er den Staatsrat zusammen, der über die zu ergreifenden Maßnahmen beraten sollte. In einem langen Bericht legte der Außenminister den Verlauf der Ereignisse und die Gründe für die Niederlage dar.168 Der ursprünglich noch umfangreichere Entwurf wurde allerdings von Alexander in den besonders anglophilen und borussophoben Passagen um ein Viertel gekürzt.169 Ende März schrieb er an Friedrich Wilhelm III., dass die Allianz zwischen beiden Staaten nun mehr denn je notwendig sei.170 Diese politische Ausrichtung ging allein auf die Entscheidung des Zaren zurück. Seine wichtigsten Berater, namentlich Adam Czartoryski, und die wesentlichen Stimmen am Hofe, die in der Mutter des Zaren ihre Stimme gefunden hatten, vertraten unisono die Meinung, dass dieser Weg nicht eingeschlagen werden sollte. Dennoch wurden Verhandlungen mit Preußen aufgenommen, und dies, obwohl das Land bereits mit Frankreich alliiert war. Tatsächlich waren am 15. Februar die Vereinbarungen von Schönbrunn in Paris mit einem Vertrag besiegelt worden. In Russland nährte das Bekanntwerden dieses Vertrags die Sorge, dass die Verträge von Schönbrunn und Pressburg gegen Russland gerichtete Geheimartikel beinhalten könnten. Im Ergebnis schlug die Mehrheit des Staatsrates einen außenpolitischen Kurswechsel vor, der vorsichtige

165 Alexander an Czartoryski, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, 57–59, hier 57. 166 Czartoryski und Novosil’cev waren von ihrer Kritik allerdings ausgenommen. Vgl. Kočubej an Stroganov, 1./13.2.1806, in: Mikhailovič, Stroganov, Bd. 3, 119. 167 Maria Fjodorovna an Alexander, 18. April 1806, in: Russkij Archiv 1911, 132–143, hier 133 f. 168 Vgl. Bericht Czartoryskis, in: SIRIO 82, 1892, 200–214. 169 Vgl. Vladlen G. Sirotkin, Duel’ dvuch diplomatij. Rossija i Francij v 1801–1812 gg. Moskau 1966, 26 f. 170 Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 30.3.1805, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, 61 f.

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Verhandlungen mit Frankreich enthalten sollte.171 Napoleon isolierte auf diese Weise seine beiden verbleibenden Widersacher, England und Russland, indem er für Preußen überraschend drei neue Bedingungen zum Austausch der Territorien ergänzte. Die Festung Wesel sollte französisch werden, die preußischen Häfen mussten für englische Schiffe gesperrt werden und Preußen sollte England den Krieg erklären. Nach der Ratifizierung durch Friedrich Wilhelm III. am 5. März, rechtfertigte sich der preußische König gegenüber Alexander dahingehend, dass er den Vertrag nur unterschrieben habe, um nicht alles zu verlieren.172 Und der Zar schien dieser Aussage durchaus Glauben zu schenken. Bereits zwei Tage später schlug er eine preußisch-russische Allianz gegen Napoleon vor, die der Kern eines größeren Bündnisses werden sollte.173 Als Gesandten für diese heikle Mission suchte er einen Mann aus, der in Sankt Petersburg besonders hohes Ansehen genoss: den Herzog von Braunschweig, der die preußischen Truppen gegen das revolutionäre Frankreich 1792–1794 befehligt hatte. Auch wenn sich der Herzog von Braunschweig aufgeschlossen zeigte, so wurden doch Preußens Häfen für englische Schiffe gesperrt, woraufhin zuerst England und dann Schweden ihre Häfen für preußische Schiffe schlossen und England schließlich Preußen den Krieg erklärte. Die internationale Situation war damit festgefahren, auch wenn Alexander seine Hoffnungen noch nicht aufgab. Er schlug vor, dass Russland im preußisch-englischen Konflikt vermitteln könne, verhandelte jedoch gleichzeitig geheim mit Preußen über eine Defensivallianz.174 Auch aus wirtschaftlichen Gründen war es notwendig für Russland, dass Preußen und England ihren Konflikt rasch beilegten, denn der Ostseehandel erlitt massive Einbrüche.175 Die Schaffung des Rheinbundes, die ohne preußische Mitsprache geschah, sorgte darüber hinaus für eine preußische „Rückversicherung“: Friedrich Wilhelm unterzeichnete am 19. Juni eine geheime Deklaration, die am 24. Juli gegen eine von Alexander unterzeichnete Deklaration ausgetauscht wurde.176 Sollte es zu einem russisch-französischen Krieg kommen, so sagte Preußen zu, sich nicht auf Seiten Frankreichs zu stellen, Frieden mit England zu suchen und sich an den Vorbereitungen zu einer anti-napoleonischen Koalition zu beteiligen. Russland garantierte im Gegenzug die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Preußens. Damit war das russisch-preußische Bündnis aus dem Jahr 1800 wiederbelebt und Alexanders Politik hatte wieder einen tragfähigen Pfeiler in Europa.

171 Vgl. Rapprochement des opinions énoncées dans le conseil tenu par Sa Majesté Impériale le … [sic!] janvier 1806, in: SIRIO 82, 1892, 240 f. 172 Vgl. Sirotkin, Duel’, 96. 173 Memorandum Alexanders, 28.2./7.3.1806, in: Karl August von Hardenberg, Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg bis zum Jahre 1806. Leipzig 1877, Bd. 2, 552–563. 174 Vgl. Czartoryski an Alopeus, 26.3./7.4.1806, in: VPR I/2, 353 f. 175 Darauf wies Handelminister Rumjancev hin: Budberg an Alexander, 4./16.5.1806, in: VPR I/3, 149–252. 176 In VPR I/3, 231–233.

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Alexander verfolgte seine Politik gegen Napoleon weiter und sandte seinen Vertrauten Stroganov nach London, wo dieser sich mit Pitt über die folgenden Schritte beraten sollte.177 Stroganov erreichte England am 9. Januar 1806, doch hatte er keine Gelegenheit, seine Mission zu erfüllen, da Pitt bereits zwei Wochen später verstarb.178 Mit Charles James Fox gelangte ein vermeintlicher Bewunderer Napoleons an die Spitze des Außenministeriums, doch zeigte sich – trotz der Zurückhaltung der Briten, sofort offensiv gegenüber Napoleon aufzutreten –, dass Fox kein Interesse daran hatte, die Allianz zwischen Russland und England zu beenden.179 Stattdessen lehnte er das Angebot Napoleons, einen separaten Frieden zu schließen, ab. Die russisch-britischen Verhandlungen wurden allerdings durch eine tief sitzende und offen ausgetragene persönliche Abneigung zwischen Fox und dem russischen Botschafter Voroncov in einem Maße erschwert, dass sich Czartoryski genötigt sah, den britischen Außenminister zu bitten, Voroncov zu umgehen und statt dessen mit Stroganov zu verhandeln.180 Dieser berichtete nach Sankt Petersburg, dass Fox Frieden um jeden Preis wolle.181 Die britische Karte zu spielen, brachte freilich Kosten mit sich: So wurden die Verhandlungen über das Seerecht – Streitpunkt in den vorangegangenen Jahren – nun fallengelassen, und mit einigem argumentativem Aufwand konnten auch die britischen Hochseeaktivitäten des Empires als integraler Bestandteil des Kampfes gegen Napoleon gedeutet werden.182 Während sich die britische Regierung um Fox an die Spielregeln hielt und es zur Maxime machte, nicht separat mit Frankreich zu verhandeln, dachte Alexander tatsächlich über Verhandlungen mit Napoleon nach. Czartoryski konnte ihn jedoch davon überzeugen, dass nur eine unnachgiebige Politik mit koordiniertem Vorgehen Napoleon dazu bringen werde, Frieden zu moderaten Konditionen zu schließen. Damit einhergehend konnte er Alexander auch davon überzeugen, auf Österreich einzuwirken.183 Entsprechend wurde Razumovskij angewiesen, in London nachzufragen, wie es um zukünftige englische Subsidien ge-

177 Vgl. Elmo E. Roach, Anglo-Russian Relations from Austerlitz to Tilsit, in: International History Review 5, 1983, 181–200, hier 181 f. In dieser Hinsicht wurde er nach wie vor von seinem Außenminister bestärkt. Vgl. Alexander an R. Voroncov, 1./13.2.1806, in: VPR I/3, 40–42, hier 42 sowie Czartoryski an R. Voroncov, 2./14.2.1806, in: ebd, 44–47. Entsprechend versuchte Czartoryski, die englische Regierung von einem offensiven Kurs gegen Napoleon zu überzeugen. Vgl. Czartoryski an Fox, 13./25.5.1806, in: Czartoryski, Memoirs, Bd. 2, 138. 178 Vgl. Alexander an Simon Voroncov, 1./13.2.1806, in: VPR I/3, 40; Stroganov an Czartoryski, 30.12.1805/11.1.1806, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 214–218. 179 Vgl. Czartoryski an Stroganov, 6./18.2.1806, vertraulich, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 221 f. 180 Vgl. Roach, Relations, 182 und Czartoryski an Stroganov, 6./18.02.1806, vertraulich, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 222–226. 181 Vgl. Stroganov an Czartoryski, 19./31.3.1806, in: Czartoryski, Memoirs, II, 145 f. 182 Vgl. die Zusammenfassung des Mémoire sur les rapports de la Russie et de l’Angleterre, Februar 1806, in: VPR I/3, 659f, Anm. 39. 183 Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 147 sowie Alexander I. an Franz I, 17.2./1.3.1806, in: Adolf Beer, Zehn Jahre österreichische Politik 1801–1810, Leipzig 1877, 471 f.

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genüber Österreich bestellt sei.184 Da Napoleon weiterhin massiven Druck auf die Regierung in Wien ausübte, war es kein leichtes Unterfangen, Wien auf den russisch-britischen Kurs einzuschwören. Gegenüber dem österreichischen Sondergesandten Maximilian Graf Merveldt versuchte Czartoryski daher, auf weitere direkte Verhandlungen hinzuwirken.185 Eng verbunden damit war die Sorge, dass das Osmanische Reich nach dem Vertrag von Schönbrunn zu einem weiteren Opfer der napoleonischen Politik werden könnte oder es den Verlockungen eines Bündnisses mit Frankreich nicht würde widerstehen können. Betroffen davon wären auch die christliche Minderheit im Osmanischen Reich und die für den Handel wichtige freie Passage durch die Meerengen gewesen. Eine ganze Serie von Memoranden aus der Feder Czartoryskis erreichten Alexander. Hierbei wurde er von seinem Berater in Fragen des Osmanischen Reiches, Nikolaus Pisani, einem ehemaligen Übersetzer an der russischen Botschaft in Konstantinopel unterstützt und vom Hospodaren der Wallachei, Fürst Konstantin Ypsilantis.186 Letzterer stand seit zwei Jahren in Kontakt mit Czartoryski, denn er hoffte, dass sich das Russische Reich für ein Ende der Souzeränität der Donaufürstentümer einsetzen würde. Er wurde 1806 abgesetzt wegen geheimer Absprachen mit Russland, aber kurze Zeit später wieder eingesetzt. Nach dem Frieden von Tilsit emigrierte er mit seiner Familie nach Russland.187 Während in einem ersten Memorandum Czartoryskis vom 23. Januar eine konzertierte Aktion mit England vorgesehen war, bei der die Briten Ägypten besetzen sollten und Russland die Donaufürstentümer, wobei die Christen in Albanien, Bosnien und Serbien gegen Frankreich aufgebracht werden sollten,188 war das zweite Memorandum vom selben Datum deutlich ambitionierter. Da das Osmanische Reich vor dem unmittelbaren Kollaps stehe, müsse Russland den Einfluss in Südosteuropa dadurch ausbauen, dass eine Reihe Staaten unter russischer Souzeränität gegründet werden sollten. Dabei kam Czartoryski Alexanders Vorstellung von good governance geschickt entgegen, indem er den neu zu gründenden Staaten die Freiheit lassen wollte, die Form ihrer Regierung selbst zu bestim-

184 Alexander an Razumovksij, 12./24.2.1806, in: Wassiltchikow, Razoumowski, Bd. 4. 122– 125. 185 Vgl. die Gesprächsaufzeichnungen Czartoryskis, 27.5./8.6.1806, in: VPR I/3, 185 f. 186 Pisani war der Meinung, dass die phanariotischen Griechen pro-osmanisch eingestellt waren und empfahl daher eine stärkere Einbeziehung der Slaven auf dem Balkan. Vgl. Mémorial Pisanis, 3./15.8.1805, in: SIRIO 82, 1892, 114–122; Pisani an Czartoryski, 18./30.1.1805, in: ebd, 177–182. 187 Zu Ypsilantis vgl. Notis Botzaris, Visions balkaniques dans la préparation de la révolution grecque, 1789–1821. Genf/Paris 1962, 64–70 sowie Jewsbury, Annexation, 37–42. 188 Memorandum Czartoryskis, 11./23.1.1806, in: SIRIO 82, 1892, 244–251. Zu den Erfoglen in Serbien und der Serbischen Revolution 1804–1812 vgl. Harald Heppner, Der Österreichischussische Gegensatz in Südosteuropa im Zeitalter Napoleons, in: Drabek, Anna M./Leitsch, Walter/Plaschka, Richard G. (Hrsg.), Russland und Österreich zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Wien 1989, 85–93.

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men. Die Donaufürstentümer sollten aus strategischen Gründen allerdings annektiert werden.189 Im dritten Memorandum desselben Datums entwickelte er die Idee von zwei Pufferstaaten: einen slawischen, der unter anderem Montenegro, Dalmatien und Cattaro umfassen sollte, sowie einen griechischen Staat um die Ionischen Inseln und einen nicht weiter bezeichneten Bereich auf dem griechischen Festland.190 Die Idee der Pufferstaaten wurde von Alexander zustimmend aufgenommen, so dass sie bereits einen Monat später an Stroganov nach London übermittelt wurde, um sie dort mit Fox zu diskutieren.191 Als noch bedeutsamer wurde die Rolle Serbiens eingestuft. Als der Hilferuf der Anführer des serbischen Aufstandes gegen das Osmanische Reich, Karadjordje Petrović und Aleksa Nenadović Alexander im Dezember 1805 erreichte, ließ er Italinskij anweisen, sich bei der Hohen Pforte für die Belange der Serben einzusetzen und vorzuschlagen, dass ein autonomes, aber unter Osmanischer Souzeränität stehendes Fürstentum Serbien eingerichtet werden sollte.192 Serbien galt Czartoryski als Dreh- und Angelpunkt für den russischen Einfluss auf den Balkan und damit auch für eine erfolgreiche Gegenposition zu Napoleon. Der Vorschlag, die slawischen Völker auf dem Balkan zu einem Aufstand gegen das Osmanische Reich zu bewegen, stieß in Sankt Petersburg allerdings nicht auf positive Resonanz.193 Seine Sorgen schienen sich vollends zu bestätigen, als Sultan Selim III. im März den Kaisertitel Napoleons anerkannte und sich Gerüchte über eine bevorstehende militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Osmanischen Reich verbreiteten. Czartoryski versuchte vergeblich, Alexander zu bewegen, Truppen bis an die Donau vormarschieren zu lassen,194 jedoch hatte er Erfolg bei dem Versuch, den Monarchen von der Notwendigkeit einer weiteren Stationierung von russischen Truppen in Cattaro zu überzeugen.195 Dies war jedoch eine

189 Memorandum Czartoryskis, 11./23.1.1806, in: SIRIO 82, 1892, 252–264. 190 Memorandum Czartoryskis, 11./23.1.1806, in: ebd, 265–275. 191 Vgl. Czartoryski an Stroganov, 6./18.2.1806, in: VPR I/3, 54 f. Stroganov brachte den Plan eines slawischen Pufferstaates im Juli noch einmal auf die Tagesordnung, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Vgl. Stroganov an Greenville, 9.7.1806, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 3, 35 f. Der Fürstbischof Montenegros, Petar I. Petrović Njegoš, hatte von dem Plan Wind bekommen und versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen, indem er einen ähnlich lautenden Vorwurf machte. Vgl. Vladlen G. Sirotkin, Franko-russkaja diplomatičeskaja borba na Balkanach i plany sozdanija slavjano.serbskogo gosudarstva v 1806–1807 gg, in: Učenie zapiski Instituta Slavjanovedenija 25, 1962, 171–192, 181 f. 192 Vgl. das Memorandum Czartoryskis zu Serbien, in: SIRIO 82, 1892, 275–278; Karadjordje Petrović und Aleksa Nenadović an Alexander, 30.11.1805 (alter Stil) in: S. A. Nikitin, Pervoe serbskoe vosstanie 1804–1813 gg. i Rossija. Moskau 1980, 172–182; Czartoryski an Italinskij, 3./15.2.1806, in: ebd, 207f; Italinskij an die Osmanische Regierung, 19./31.5.1806, in: VPR I/3, 95–99, bes. 97 f. 193 Vgl. E. V. Komissarova, Pervoe serbskoe vosstanije 1804–1813 gg. i Rossija. Moskau 1980. 194 Memorandum Czartoryskis zur Türkei, 23.2./7.3.1806, in: SIRIO 82, 1892, 315 f. und vom 24.2./8.3.1806, in: ebd, 322. 195 Vgl. Czartoryski an S.R. Voroncov, 24.7./5.8.1806, in: AKV, Bd. 15, 407.

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der wenigen Gelegenheiten, in denen die beiden übereinstimmten. Czartoryski konnte sich nach wie vor nicht auf Alexanders Politik einlassen – vor allem im Hinblick auf Preußen – und so wurde er Anfang Juli 1806 durch den baltischdeutschen Infanteriegeneral Budberg ersetzt. Mit deutlichen Worten drückte Czartoryski seine Unzufriedenheit mit der als zögerlich empfundenen Politik Alexanders aus: […] l’empereur est toujours le même; la crainte et la faiblesse sont toujours au plus haut point. Nous avons peur de tout; nous sommes incapables de tout parti vigoureux, on ne saurait même lui donner de conseils de craint qu’ils ne soient soutenus. […] Jugez donc, si lo’on peut avoir l’intention de rester.196

Ein Bruch zwischen beiden hatte sich bereits bei Austerlitz angedeutet, Czartoryskis Beharren auf einem anti-preußischen Kurs hatte die Fronten nur verhärtet und so war die Ablösung des Jugendfreundes an der Spitze des Außenministeriums die Konsequenz.197 Wie kein anderer Außenminister des Zaren hatte der Pole nicht geringe Freiheiten in der Formulierung und Gestaltung der Politik besessen.198 Doch zeigen die Misserfolge des „Mordplans“ Ende 1805 und die Ereignisse in Austerlitz, dass sich der Zar nicht blind seinen Wünschen und Empfehlungen beugte, sondern seine eigenen politischen Pläne verfolgte. Nach dem Debakel von Austerlitz schien Alexander in eine Art apathischen Zustand zu fallen. Auch in der Auseinandersetzung mit Frankreich war kaum noch Bewegung. In den folgenden Wochen wurde Czartoryski gleichwohl damit beauftragt, detaillierte Anweisungen für den Gesandten in Paris, den jungen und relativ unerfahrenen d’Oubril, zu erarbeiten.199 Die Anweisungen waren klar: Freigabe Dalmatiens, das Ende der französisch-preußischen Einigung über Hannover, Garantien für das Osmanische Reich, Neapel, Schweden und Dänemark, sowie die Schaffung von Pufferstaaten zwischen Italien und dem Osmanischen Reich waren als Gegenleistung für die Anerkennung des französischen Kaisertitels zu erbringen. Zudem sollte d’Oubril auf einen französisch-englisch-russischen Vertrag hinwirken.200 Ende Juni 1806 erreichte der Diplomat Paris. Dort zeigte sich, dass er dem mit allen Mitteln gewaschenem Taktiker Talleyrand in keiner Weise gewachsen war. Durch eine Mischung aus Schmeicheleien und Drohungen wurde er soweit gebracht, in grandioser Überschreitung seiner Kompetenzen, am 20. Juli einen Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen Russland und Frank-

196 Czartoryski an Stroganov, vertraulich, 6./18.2.1806, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 221f, hier 222. 197 Wie sehr die Frage Preußens zwischen den beiden stand, zeigt die harte Kritik, die Czartoryski nach seinem Rücktritt im April 1806 an Alexander übte: Czartoryski an Alexander, April 1806, in: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 104–132, vgl. Kukiel, Czartoryski, 72–74. 198 Dies bleibt entgegen der konträren Einschätzung von Handelsman, Czartoryski, Bd. 1, 60, festzuhalten. 199 Czartoryski an d’Oubril, 12.5.1806, in: VPR I/3, 134–136. 200 Vgl. das Sendschreiben Oubrils, 30.4./12.5.1806, in: SIRIO 82, 1892, 364; GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 56v–66v.

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reich zu paraphieren, der Russland darauf festlegen sollte, keinen Krieg mehr gegen Frankreich zu führen.201 Anstelle einer Ratifizierung wurde d’Oubril sofort nach Sankt Petersburg zurück beordert und anschließend aus dem Staatsdienst entlassen und auf seinen Landbesitz verbannt. Das Ergebnis seiner Mission war schließlich das exakte Gegenteil dessen, was geplant war: weder war ein Puffer zum Osmanischen Reich eingerichtet worden, noch gab es eine Sicherheit für Neapel – der Kaisertitel Napoleons musste somit gänzlich ohne Widerspruch anerkannt werden. Nach zum Teil heftig ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen dem Zaren und seinem Außenminister akzeptierte Alexander schließlich das Rücktrittsgesuch seines Ministers.202 Czartoryskis Entlassung, die offiziell aus gesundheitlichen Gründen erfolgte, war nur der Anfang von größeren personellen Veränderungen, mit denen Alexander einen klaren Schnitt zog, um mit den Fehlern der Vergangenheit auch personell aufzuräumen.203 Czartoryski wurde jedoch nicht aufs Abstellgleis befördert, sondern fand weiterhin Verwendung, die Politik gegenüber dem Osmanischen Reich zu gestalten.204 Die anglophile Fraktion wurde nach und nach ausgetauscht. In London räumte Simon Voroncov seinen Posten für Pavel Nikolaus, und in Wien wurde einer der Vertrauten Alexanders, der Graf Alopeus, installiert, von dem der Zar hoffte, er könne einer russisch-österreichischen Allianz dienen.205 Auch Novosil’cev und Stroganov gingen.206 Seit 1803 hatten keine Sitzungen des Geheimen Komitees mehr stattgefunden – jetzt war auch niemand der Freundesrunde mehr im Dienst des Zaren. Der neue Außenminister Budberg fand sich nun bei Dienstantritt inmitten der schwierigen Verhandlungen mit England und Frankreich, doch galt er grundsätzlich als Verfechter einer Allianzpolitik mit England.207 Ansonsten hatte er aus Sankt Petersburg nicht mit viel Rückendeckung zu rechnen. Seine diplomatische Erfahrung war nicht allzu groß und die Stimmung in diplomatischen Kreisen eher gegen ihn eingenommen. Novosil’cev charakterisierte ihn als „l’homme le plus incapable, le plus faible, le plus ridicule“.208 201 Der Vertragstext in VPR I/3, 226–228. Als Druckmittel benutzte Talleyrand Dalmatien, wohin er pro forma 15.000 Soldaten sandte. D’Oubril rechtfertigte die Unterschrift später gegenüber Alexander damit, dass er einen Krieg gegen einen unbeteiligten Staat habe verhindern wollen. Vgl. GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 64v. 202 Cgl. Czartoryski an Alexander, 22.3./3.4.1806, in: Czartoryski, Mémoires, 99 f. Vgl. auch Grimsted, Foreign Ministers, 145–150 und Zawadzki, Czartoryski, 154–157. 203 Vgl. Kukiel, Czartoryski, 77; Grimsted, Foreign Ministers, 153. Die Beurteilung durch Czartoryski: Czartoryski an Stroganov, 19.6.1806, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 245 f. 204 Hierzu sind eventuell auch seine und Piattolis Memoranden in dieser Hinsicht ausschlaggebend gewesen. Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 159–162. 205 Siehe zu Nikolaus: Gleb Struve, An Anglo-Russian Medley. Worozows, Pembrokes, Nikolays, and others unpublished letters and historical notes, in: California Slavic Studies 5, 1970, 93–136; Stanislavskaja, Russko-anglijskie otnošenija. 206 Vgl. Kukiel‚Czartoryski 78 f. 207 Vgl. Grimsted, Foreign Ministers, 155. 208 Novosil’cev an Stroganov, 17.3.1806, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 3, 109–112, hier 111.

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Ende Juni richtete der Zar einen Kriegsrat ein, der sich systematisch mit den Bedingungen und Möglichkeiten des kommenden Konfliktes mit Frankreich beschäftigte. In der Zwischenzeit hatten britische Truppen, die aus Sizilien verlegt worden waren, in Kalabrien mit einigem Erfolg die Landbevölkerung gegen das französische Heer aufgebracht.209 Doch brachte der erneute Tod eines Außenministers Unruhe in die britische Politik. Am 13. September starb Fox und in der Folge wurde die britische Politik weitaus insularer, als sie es jemals zuvor gewesen war. Von britischer Seite – nicht von Seite Russlands – ging der langsame Tod des russisch-britischen Bündnisses aus.210 Auch auf dem Kontinent standen die Zeichen auf Sturm, als Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 18. September ein Ultimatum an Frankreich richtete, in dem er den Rückzug der französischen Truppen von den Ufern des Rheins und die Auflösung des Rheinbundes forderte – für Napoleon nicht zu akzeptierende Bedingungen. Am 2. Oktober überquerten französische Truppen die preußische Grenze, und nach den verheerenden Schlachten von Jena und Auerstedt war der Weg nach Berlin offen, das im Oktober besetzt wurde. Friedrich Wilhelm war gezwungen, die Hauptstadt zu verlassen und gelangte über Königsberg nach Memel. Auf die Ereignisse in Preußen war Alexander nicht vorbereitet gewesen. Ungünstig war auch, dass die Flucht des preußischen Königspaares so übereilt geschah, dass ein Großteil seiner Korrespondenz in Napoleons Hände fiel. Auf diesem Weg erfuhr er von Alexanders Einstellung ihm gegenüber – und das zu einem Zeitpunkt, als offiziell noch über den Frieden verhandelt wurde.211 Alexander kam dem preußischen Hilferuf gegen entschiedenen Rat dennoch nach und erklärte am 26. Oktober Frankreich erneut den Krieg.212 Aus den Fehlern von Austerlitz hatte Alexander allerdings gelernt. Er stellte sich nicht an die Spitze seiner Armee, sondern bestellte als Oberbefehlshaber den aus Hannover stammenden General Bennigsen. An anderer Front aber zeichnete sich Neues ab. Es begann nun ein Prozess der Verteufelung des Gegners. In Europa hatte bereits in weiten Kreisen eine Gleichsetzung von Napoleon mit dem Antichristen stattgefunden.213 Am 16. November erging an den Heiligen Synod die Aufforderung, Napoleon zu exkommunizieren.214 In den russischen Kirchen wurde ab sofort an Sonn- und Feiertagen Napoleon mit dem Tier der Apokalypse gleichgesetzt und propagiert: Napoleon wolle

209 Vgl. Piers Mackesy, The War in the mediterranean 1803–1810. Cambridge (Mass.) 1957, 121–153. 210 Dies ist die Kernthese von Roach, Relations. 211 Vgl. Almedingen, Alexander und Michailovič, Alexandre, 46 f. 212 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 2, 154. 213 Vgl. Erich Pelzer, Die Wiedergeburt Deutschlands 1813 und die Dämonisierung Napoleons, in: Krumeich, Gerd/Lehmann, Hartmut (Hrsg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Göttingen 2000, 135–156. sowie Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg Frankreichs Kriege und der deutsche Süden; Alltag–Wahrnehmung– Deutung 1792–1841. Paderborn München Wien Zürich 2007, 252–254. 214 Vgl. Rey, Alexandre, 229 f.

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das Ende der Orthodoxie215 – eine wirksame Propaganda, die dafür Sorge trug, dass die französischen „Verlockungen“ in Russland langsam auf weniger fruchtbaren Boden fielen. War die Kultur der Eliten bis dato im Wesentlichen auf Europa, namentlich auf Frankreich, konzentriert, so zeichnete sich nun ein dauerhafter Wandel ab.216 Das Stereotyp der „gottlosen Franzosen“, das in Europa auf eine beachtliche Karriere seit der Frühen Neuzeit zurückblicken konnte, wurde auf diese Weise aktualisiert und personalisiert und auf diese Weise nach Russland exportiert.217 Auch die reiche antifranzösische Propaganda in Form von Theaterstücken und Karikaturen zeigte Wirkung: Anders als in den vorhergehenden Auseinandersetzungen flossen nun reichlich finanzielle Mittel aus privaten Schatullen und aus Landstädten. Das Zusammenspiel aus antifranzösischer Propaganda und einer einsetzenden Nationalisierung des Krieges begann mit der erneuten Kriegserklärung nach der preußischen Niederlage und kulminierte, als die Grande Armée sechs Jahre später in Moskau stand. Trotz der krisenhaften und hektischen Situation zeigte sich, dass Alexander durchaus ein kohärentes politisches Konzept verfolgte. Auf dem Weg zu seiner Armee traf er den künftigen Ludwig XVIII., der als Graf von Lille im russischen Exil in Kurland lebte. Ihm legte er dar, dass die Wiederherstellung der französischen Monarchie eines der Kernanliegen dieses Feldzugs sei. Doch blieb er bei den bereits zwei Jahre zuvor in den Instruktionen an Novosil’cev festgeschriebenen grundsätzlichen Überlegungen. Eine Restauration im reinen Wortsinn, wie sie dem Grafen von Lille vorschwebte, war für den Zaren nicht vorstellbar. Die Revolution und das Empire Bonapartes waren Variablen, die es in die Konzeption der politischen Ordnung Nachkriegsfrankreichs mit einzubeziehen galt.218 Hieran lässt sich ebenfalls deutlich ablesen, dass die Anweisungen an Novosil’cev für dessen London-Mission 1804 vollumfänglich von Alexander geteilt worden waren.219 Der Autor der Instruktionen war freilich nicht mehr im Amt, als Alexander diese Grundsätze gegenüber Ludwig wiederholte.

215 Vgl. Alexander I., Ot mitropolita rimskich cerkvej v Rossii Stanislava Sestrenceviča Boguša, in: Šil’der, Imperator, Bd. 2, 368–361. Dabei bediente sich der Synod durchaus auch antisemitischer Klischees. Vgl. André Ratchinski, Napoléon et Alexandre Ier. La guerre des idées. Paris 2002, 84 f. 216 Die Auseinandersetzung mit Frankreich in Person von Napoleon hat ganz Wesentlich dazu beigetragen, einen spezifisch als „russisch“ zu bezeichnenden Stil in der bildenden Kunst, Literatur und Musik zu suchen. Dies die Kernthese bei Figes, Natasha’s Dance. 217 Zu den „gottlosen Franzosen“ in Europa siehe Winfried Schulze, Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Zur Kultur der Wahrnehmung fremder Nationen in der europäischen Frühen Neuzeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46, 1996, 642–665. 218 Vgl. Sirotkin, Duel’, 125. 219 Vgl. auch „Note additionelle à l’instruction .. à M. de Novossiltzoff, 11./23.9.1804, in: VPR I/2, 151–153.

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Das neue preußisch-russische Bündnis wurde in Bartenstein, Bennigsens Hauptquartier, am 26. April 1807 vertraglich fixiert.220 In der Kürze der Zeit hatte Bennigsen die angeschlagene russische Armee wieder aufgebaut: 120.000 Mann und fast 500 Kanonen standen Seite an Seite mit 14.000 preußischen Soldaten und 90 preußischen Kanonen. Doch machte sich zu Beginn der Feindseligkeiten schnell ein eklatanter Mangel an Futter und Munition bemerkbar. Nach der unentschiedenen Schlacht bei Preußisch-Eylau, 26./27. Januar, herrschte den Winter über eine Kampfpause, doch schon Ende März brach Alexander aus Sankt Petersburg nach Memel auf, das er in nur vier Tagen erreichte, auf, um dort das preußische Herrscherpaar zu treffen.221 Das Bündnis von Bartenstein war in den Augen des Zaren kein reines Zweckbündnis, sondern es sollte über die Notwendigkeit der militärischen Allianz hinaus ein weitreichendes Ziel verfolgen. Die „Kydullener Denkschrift“, in der Hardenberg im April 1807 die Aufteilung der Interessensphären in Deutschland zwischen Preußen und Österreich vorschlug, wurde von Alexander entsprechend aufmerksam geprüft. Eine einzige Randbemerkung schrieb der Zar, die Bezug nahm auf das „bien général“.222 Sollte es dem höheren Ziel eines dauerhaften Friedens dienen, dann war er einverstanden mit den Entwürfen Hardenbergs. Die letzte Niederlage der Koalition bei Friedland, in der General Bennigsen aufgrund einer kolossalen Fehleinschätzung beinahe die Hälfte seiner Soldaten verloren hatte, war der letzte Stein des Anstoßes, um ein Umdenken in Gang zu setzen.223 Alexander begann fortan ernsthaft über Friedensverhandlungen mit Napoleon nachzudenken, zumal die britischen Subsidienzahlungen nicht annähernd in dem erwünschten Maße geflossen waren. Seit 1805 hatte der Zar Niederlage über Niederlage gegen Napoleon hinnehmen müssen und die Stimmung am Hof war zunehmend offen feindselig gegen diesen Krieg gewesen, vor allem sein Bruder Konstantin und seine Mutter sprachen sich gegen den Krieg aus.224 Doch lässt sich daraus nicht ableiten, dass eine „Opposition“, an deren Spitze Konstantin gestanden hatte, maßgeblich am Zustandekommen dieses Umdenkens beteiligt gewesen war, auch wenn sich dies immer wieder in der Literatur findet.225 Hinzu 220 Vgl. zum Vertrag von Bartenstein Walter Hubatsch, Der Bartensteiner Vertrag vom 26. IV. 1807, in: Hubatsch, Walter (Hrsg.), Wege und Wirkungen ostpreußischer Geschichte. Leer 1956, 114–126. 221 Vgl. Elisabeth an ihre Mutter, 23.3./4.4.1807, in: Michailovič, Élisabeth, Bd. 2, 240 f. 222 Vgl. die Denkschrift mit dem Kommentar ist abgedruckt bei Leopold v. Ranke, Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg, Bd. 3, Leipzig 1877, 341–344. Vgl. auch Fritz Zierke, Die deutsche Politik Hardenbergs in der ersten Periode seines staatsmännischen Wirkens 1770–1807. Frankfurt a. M. 1932, 90–93. 223 Bennigsen verlor 18.000 von 46.000 Soldaten. Die französischen Verluste betrugen hingegen nur 7–8.000. Eine Beschreibung der Schlacht bei David Gates, The Napoleonic Wars. 1803– 1815. London 2003, 77–80. 224 Vgl. Rey, Alexandre, 232. 225 So zum Beispiel bei Schroeder, Transformation, 320; Werner Markert, Alexanders I. Politik der „Heiligen Allianz“. Eine Untersuchung zur russischen Europapolitik im letzten Jahrzehnt seiner Regierung, Habil-Schrift Göttingen 1948 (unveröffentlicht), 1; Herbert Butterfield, The

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kam, dass das Heer im Winter 1806/07 schwere Verluste wegen des Mangels an Verpflegung, Krankheiten oder Desertionen hinnehmen musste. Ein schlechtes Versorgungsmanagement und horrende Preise für Getreide taten ein Übriges.226 Zum ersten Mal informierte Alexander seinen preußischen Verbündeten nicht über beabsichtigte diplomatische Schritte in Richtung Frankreich. Czartoryski drängte bereits seit Dezember 1806 darauf, Frieden mit Frankreich zu schließen, da es nicht mehr darum gehen könne, Staaten jenseits der russischen Grenzen zu schützen. Es komme einzig darauf an, Russland möglichst unversehrt zu behalten.227 Dieser Kurswechsel war auch von anderer Seite motiviert. Im August 1806 hatte das Osmanische Reich begonnen, Russland zu provozieren, indem die beiden Hospodaren der Donaufürstentümer Moldau und Walachei abgesetzt worden waren. Auch dies geschah nicht ohne französischen Einfluss: Napoleon hatte den Plan verfolgt, das Osmanische Reich als Kontergewicht gegen Russland zu benutzen, und schlug daher im Sommer 1806 eine französisch-osmanische und eine französisch-persische Allianz vor.228 Die Hohe Pforte zeigte sich zwar dem Plan gegenüber sympathisch, zu einer politisch-militärischen Allianz kam es dennoch nicht, wohl aber zu einer Annäherung, die die Absetzung der Hospodaren nach sich zog. Ein französisch-persisches Bündnis konnte im Mai 1807 unterschrieben werden.229 Unterstützt vom neuen französischen Botschafter an der Pforte, Horace-François Sébastiani, und vor dem Hintergrund des Vertrags mit Frankreich, der die Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches festschrieb, wurden nicht nur die Hospodaren abgesetzt, sondern auch die Meerengen für russische Kriegsschiffe gesperrt. Damit war die alleinige Herrschaft über die Donaufürstentümer wiederhergestellt.230. Allerdings verletzte das Osmanische Reich mit diesem Schritt die Verträge von Küçük Kaynarca 1774 beziehungsweise Iaşi 1792.231 Die Reak-

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peace tactics of Napoleon. 1806–1808. Cambridge 1929, 184–192. Maria Fedorovna ließ sich aus Tilsit gut unterrichten. Vgl auch Kurakin an Marija Fedorovna, in: Russkij Archiv, 1868, 41–51, deran dies, Tilsit, 1./13.6.1807, in: Russkij Archiv 1868, 63–71. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 38. Vgl. Roach, Relations, 193. Vgl. Napoleon an Talleyrand, Saint-Cloud, 9.6.1806, in: Correspondance de Napoleon I. 1863–1868, Bd. 12, Nr. 10339, 449f, hier 450: „Le but constant de ma politique est de faire une triple alliance de moi, de la Porte et de la Perse, dirigée indirectement ou implicitement contre la Russie.“. Vgl. Sirotkin, Duel’, 109–113. Vgl. Italinskij an Budberg, 11./23.8.1806, in: VPR I/3, 263–266. In klassisch-sowjetischer Deutung wurden den ökonomischen Faktoren Vorrang in der Analyse außenpolitischer Entscheidungen eingeräumt: Stanislavskaja, Rossija i Grecija. Vgl. I. Dostijan, Značenija Kjučuk-Kainardžijskogo dogovora 1774 g. v politike Rossii na Balkanach konca XVIII i XIX vv, in: Etudes balkaniques 11, 1975, 97–107. sowie Jelavich, Entanglements; Vgl. zur Bedeutung des Mittelmeerhandels, der erst nach dem Vertrag von Iaşi ungehindert funktionierte: Walter Leitsch, Russland 1649–1861, in: Mieck, Ilja (Hrsg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1993. Stuttgart 1993, 747–795.

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tion auf diese gezielte Provokation ließ nicht lange auf sich warten. Anfang November gab Alexander den Befehl, den Dnjestr zu überschreiten und das zum Osmanischen Reich gehörende rumänische Gebiet zu annektieren.232 Jetzt bereits gab es Stimmen, allen voran Mocenigo, die vorschlugen, einen griechischen unabhängigen Staat auszurufen, doch beschränkte sich Alexander darauf, in einem Manifest an die religiösen Sentimente der Griechen zu appellieren.233 Die Verteufelung Napoleons durch den Synod wurde in hundert griechischsprachigen Kopien an Mocenigo gesandt, damit dieser sie unter den Griechen verteilen sollte, gleichzeitig versprach eine Proklamation von Admiral Senjavin den Griechen unspezifische Belohnung, falls sie Russland im Kampf gegen den gemeinsamen Feind unterstützen würden.234 Am 16. Dezember erklärte das Osmanische Reich Russland den Krieg, nachdem im November russische Truppen die Grenze überschritten hatten. Somit befand sich Russland auf einmal in einem Zweifrontenkrieg, der wichtige Truppen im Süden Europas für die nächsten Jahre band. Die britische Regierung entsandte Schiffe, um ihrem russischen Bündnispartnern zur Hilfe zu eilen, doch kam es schnell zu Spannungen zwischen dem englischen Admiral Duckworth und seinem russischen Pendant Admiral Senjavin über Ziele und Mittel des gemeinsamen Einsatzes, worüber dieses Unterfangen zerbrach.235 Eine belastbare britisch-russische Kooperation im Mittelmeer war damit nicht mehr denkbar. Anfang Juni kam in Abwesenheit Alexanders eine Art „Krisenstab“ in Sankt Petersburg zusammen, dem neben dem Großfürsten Konstantin unter anderem noch die Vertrauten des Zaren Kurakin, Czartoryski, Novosil’cev und Budberg angehörten. Diese Gruppe sprach sich eindeutig für Verhandlungen mit Frankreich aus. Vielleicht schwangen hier für Alexander noch Erinnerungen an die Palastrevolution 1801 mit, denn als er von den Empfehlungen der Gruppe in Friedland Kenntnis erhielt, beauftragte er Bennigsen umgehend mit Friedensverhandlungen.236 Auch aus anderen Gründen gab es Anlass, ernsthaft über einen Friedensschluss nachzudenken. Denn für den Fall eines französischen Einmarschs in den Westen des russischen Reiches, bestand die reale Gefahr, dass sich die polnischen Eliten in diesen Gebieten ihm anschließen würden.237

232 Vgl. M. Anderson, The Eastern Question 1774–1923. A Study in International Relations. London 1966, 37 f. 233 Vgl. Stanislavskaja, Rossija i Grecija, 311–313. 234 Vgl. ebd., 340. Senyavins Proklamation vom 15./27.2.1807 in: VPR I/3, 507 f. 235 Vgl. Andrei A. Lobanov-Rostovsky, Russia and Europe 1789–1825. Durham, N. C. 1947, 128–131. Zu Senjavin: Aleksandr L’vovič Sapiro, Admiral D. N. Senjavin. Moskau 1958. 236 Vgl. die Absprache vom 9./21.6.1807, in VPR I/3, 616 f. sowie Bennigsen an Budberg, 7./19.6.1807, in: SIRIO 89, 1893, 23. 237 Über die Ereignisse und Einschätzungen rund um Tilsit berichtete Fürst Kurakin an die Dowager Kaiserin. Diese Berichte sind abgedruckt in SIRIO 1, 1868. Zu der Sorge um eine wahrscheinliche polnische Unterstützung Napoleons vgl. Kurakin an Maria Fjodorovna, Tilsit, 22.5./3.6.1807, in: SIRIO 1, 1868, 42–66; ders. an dies, 3./15.6.1807, in: ebd, 71–79.

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Darüber hinaus zog Alexander offenbar seine Schlüsse aus den Erfahrungen, die er damit gemacht hatte, jüngere und unerfahrene Diplomaten mit Napoleon verhandeln zu lassen. Für die Friedenverhandlungen, die nun geführt werden sollten, griff er auf seine alte Garde zurück, als er Dimitrij Lobanov-Rostovskij beauftragte, die Verhandlungen mit Napoleon zu leiten. Dieser stammte aus russischem Uradel und führte seine Familie zurück auf Rjurik, den Gründer des Reiches, zudem hatte er bereits unter Katharina II. gedient. Zwar war er kein Diplomat, aber der zweifach verwundete Offizier war zweifellos eine beeindruckende Gestalt. Er war von Maria Fjodorovna stets über die politischen Entwicklungen informiert worden und daher bestens vorbereitet, als er sich in Begleitung des ehemaligen russischen Botschafters in Wien, Alexander Kurakin, auf den Weg nach Tilsit machte, um dort Napoleon zu treffen.238 Hauptgrund für Alexanders Wahl wird jedoch gewesen sein, dass Lobanov-Rostovskij dem Zaren treu ergeben war und sich keiner der Fraktionen innerhalb der Generalität angeschlossen hatte.239 Zur Überraschung des Unterhändlers wurde er in Tilsit von Napoleon mit offenen Armen empfangen. Dieser war zu der Zeit nicht daran interessiert, das russische Reich zu zerschlagen oder Teile abzutrennen, da er der Überzeugung war, dass der Hauptgegner jenseits des Kanals saß. So wurde General Durcoc damit beauftragt, mit Bennigsen über einen Friedensvertrag zu verhandeln. Alexander reagierte auf diese Entwicklung prompt: In seinen Instruktionen an Lobanov-Rostovskij betonte er die Notwendigkeit, dass die Monarchen direkt miteinander verhandeln. Interessant sind diese Instruktionen auch deshalb, weil Alexander das Angebot Napoleons zum Anlass nahm, um sein Projekt einer dauerhaften und stabilen Ordnung für Europa zu verhandeln. So wies er Lobanov an: Vous lui [=Napoleon, PhM] direz que cette union entre la France et la Russie a été constamment l’objet de mes désirs et que je porte la conviction qu’elle seule peut assurer le bonheur et la tranquillité du globe. Un système entièrement nouveau doit remplacer celui qui a existé jusqu’ici, et je me flatte que nous nous entendrons facilement avec l’empereur Napoléon, pourvu que nous traitions sans intermédiaires.240

Die Verhandlungen mit Berthier und Talleyrand in Tilsit wurden von Lobanov und Kurakin, dem erfahrensten russischen Diplomaten geführt.241 In dieser Runde sind die Details ausgehandelt worden. Die „großen Linien“ wurden jedoch in direkter Kommunikation zwischen den Souveränen selbst abgesteckt. Napoleon nahm das ihm unterbreitete Angebot gern an. Es sollte nicht nur ein Friedensvertrag geschlossen werden, sondern eine Allianz zwischen Russland und Frankreich

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Vgl. Sirotkin, Duel’, 144. Zu Tilsit auch Zamoyski, Moscow, 29–34. Vgl. Tatishchev, Alexandre, 121: Alexander an Lobanov, 4./16.6.1807. Alexander an Lobanov, o.D, in SIRIO 89, 1893, 31. Vgl. den Bericht über die Verhandlungen Lobanov an Alexander, 7./19.6.1807, in: Russkaja Starina 89, 1899, 594 f. und Kurakin an die Kaiserin, 10./22.6.1807, in: Russkij Archiv 1, 1869, 183–187. Lobanov und Kurakin waren eng miteinander verwandt und einen Teil seiner Erziehung genoss der aus ärmlicheren Verhältnissen stammende Lobanov im Haus der Familie Kurakin.

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begründet werden. Gegen dieses Ansinnen konnte sich die russische Seite angesichts der militärischen Situation nicht wehren, auch wenn nicht zuletzt aus innenpolitischen Erwägungen versucht werden sollte, diese enge Bindung nicht einzugehen. Denn das hätte bedeutet, dass Russland sich an der Kontinentalblockade beteiligen und die Häfen hätte schließen müssen.242 Nach dem Waffenstillstand vom 21. Juni wurden in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni die Ratifikationsschreiben ausgetauscht.243 „Tilsit“ ist zu einem der wichtigsten Scheidepunkte in der Historiographie der internationalen Beziehungen im frühen 19. Jahrhundert geworden.244 Dabei lassen sich die Interpretationen grob in drei Gruppen einteilen. Eine erste sieht in dem Vertragsabschluss das maliziöse Machwerk der beiden Kaiser, um Europa unter sich aufzuteilen.245 Eine zweite Gruppe schreibt Tilsit einzig und allein Napoleon zu, der Alexander besiegt habe und in Tilsit die Bedingungen diktieren konnte.246 Schließlich gibt es eine dritte Interpretation, die in Tilsit nicht mehr als eine Komödie sieht. Rückblickend war man sich in Sankt Petersburg der Kröten bewusst, die man in Tilsit hatte schlucken müssen. Mit Hinterlist habe Napoleon die Gutmütigkeit der russischen Politik ausgenutzt und sie auf Regeln festgelegt, die er selbst nicht einzuhalten gewillt war.247 Tatsächlich fand das Treffen der beiden Kaiser unter vier Augen statt, so dass es keine weiteren Zeugen gibt und man bei der Deutung angesichts der „Bereinigung“ von Alexanders Nachlass auf die Erinnerungen Napoleons angewiesen

242 Vgl. das Memorandum Alexanders o.D, in: SIRIO 89, 1893, 37–39, hier 38. Vor allem der russische Adel war in hohem Grade abhängig vom Handel mit England. Vgl. die entsprechenden Passagen bei Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 134–136; Lesseps an Champagny, 6./18.11.1807, in: SIRIO 88, 1893, 310–314. 243 Literatur zum Frieden von Tilsit: Gherardo Casaglia, Le partage du monde. Napoléon et Alexandre à Tilsit 25 juin 1807. Paris 1998; G. A. Kuznecova, Aleksandr I i Napoleon v Til’zite, in: Novaja i Novejšaja Istorija 6, 1991, 243–248. Der Waffenstillstandsvertrag in SIRIO 89, 1893, 29 f. 244 Vgl. Casaglia, partage, passim sowie Ilja Mieck, Die Rettung Preußens? Napoleon und Alexander I. in Tilsit 1807, in: Mieck, Ilja/Guillen, Pierre (Hrsg.), Deutschland–Frankreich– Russland. Begegnungen und Konfrontationen. La France et l’Allemagne face à la Russie. München 2000, 15–34, der überzeugend nachweisen kann, dass Alexander nicht als Retter Preußens auftreten konnte, weil eine Abschaffung Preußens 1807 nicht auf der Tagesordnung Napoleons stand. Somit ist von der weit verbreiteten These, Napoleon habe Preußen nur bestehen lassen, weil Alexander sich für das Land eingesetzt habe, Abstand zu nehmen. Zum Einschnitt auch Markert, Politik, 12 f. 245 Vgl. Marceli Handelsman, Napoléon et la Pologne 1806–1807 d’après les documents des Archives nationales et les Archives du Ministère des affaires étrangères. Paris 1909; F Loraine Petre, Napoleon’s campaign in Poland, 1806–1807. London 2001. Zur Bedeutung, die die polnische Frage spielte vgl. Emanuel Halicz, La question polonaise à Tilsitt, in: Acta Poloniae historica 12, 1965, 44–65. und W. Hubert Zawadzki, The Polish Question at Tilsit (1807), in: Central Europe 7, 2009, 110–124. 246 Dies bei Zamoyski, Moscow, 33. 247 Vgl. Obzor, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 75r–84v.

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ist.248 Dabei war das Treffen meisterlich inszeniert und folgte einer genauen Dramaturgie. Von den Ufern des Flusses Njemen konnten die Beobachter sehen, wie die beiden Kaiser sich auf ein Floß begaben, das in der Mitte des Flusses festgemacht und festlich geschmückt war. Man sah, wie die beiden sich umarmten und dann das auf dem Floß errichtete Zelt betraten. Der Rest blieb den Augen am Ufer verborgen. Bei ihrem ersten Treffen am 25. Juni sprachen die beiden für zwei Stunden unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Napoleon war in der Uniform der Jäger seiner Garde erschienen, mit dem großen Band der Ehrenlegion geschmückt, und erwartete den Zaren auf dem Floß. Napoleons Sicht der Dinge dort ist gut dokumentiert. In einem Brief an Alexander vom 1. Juli 1812 versuchte er das Gespräch so darzustellen, als habe Alexander ihm in Tilsit gesagt, er hasse die Engländer ebenso wie es die Franzosen täten und er wolle Napoleon beim Kampf gegen England unterstützen.249 Alexander habe sich daraufhin für „un allié malheureux“, Preußen, stark gemacht und darauf gedrängt, dass Friedrich Wilhelm an dem zweiten Treffen, das für den kommenden Tag geplant war, teilnehmen sollte.250 Eine reine Geste, denn Friedrich Wilhelm war bei dem Treffen nur die Rolle eines Zuschauers zugedacht, er bezog Quartier außerhalb der Stadt, über deren Reiz sich der britische Botschafter in Russland, Granville Leveson Gower, in einem Brief an seine Frau äußerte: „Nothing can exceed the dullness of this place […].“251 Napoleon verfolgte das Ziel, eine Allianz mit Russland zu schaffen. Der Zar sollte sowohl den Kaiser-Titel, als auch die Aufteilung Preußens akzeptieren. Alexander musste zunächst einmal einen Frieden sichern, der keine territorialen Verluste mit sich brachte – dies war der „point capital“ –, die preußische Monarchie nicht in Gefahr brachte und gleichzeitig Russland noch einen Handlungsspielraum gegenüber dem Osmanischen Reich beließ.252 Als Hebel für die Abgrenzung der Interessensphären war das Osmanische Reich in besonderer Weise geeignet. In den folgenden zwei Wochen trafen die beiden Kaiser sich häufiger, während ihre mitgereisten Diplomaten an den Vertragstexten arbeiteten. In den Gesprächen ging es nicht nur um Politisches – der Zar überraschte den französischen Kaiser ganz offensichtlich mit seinen liberalen Haltungen, wie letzterer ge-

248 Vgl. zur Schilderung des Treffens Tatishchev, Alexandre, 150–187; Albert Vandal, Napoléon et Alexandre Ier. L’Alliance Russe sous le premier Empire. Paris 1896–1897, Bd. 1, 56–111. Gegenüber Madame de Staël soll Alexander später zugegeben haben, dass er der Inszenierung durch Napoleon durchaus erlegen gewesen sein soll. Vgl. Anne Louise de Staël-Holstein, Dix années d’éxile. Paris 1966, 215. 249 Zit. in Šil’der, Imperator, Bd. 2, 293. 250 Ebd., 296. 251 Leveson Gower an seine Frau, 7.7.1807, in: Campbell Leveson Gower, Castalia Rosalind (Hrsg.), Lord Granville Leveson Gower (First Earl Granville) pivate correspondence. 1781 to 1821; in two volumes. London 1916, Bd. 2, 269 f., Zitat 270. 252 Zu Alexanders Zielen: Quelques idées qui pourront trouver place dans les instructions du négociateur russe qui sera chargé de traiter de la paix , in SIRIO 89, 1893, 33–37.

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genüber Las Cases zugab.253 Diese positive Einschätzung des Autokraten scheint ernst gemeint zu sein, denn er gestand in einem Brief an Joséphine: „[…] c’est un fort beau, bon et jeun empereur; il a de l’esprit plus que l’on ne pense communément.“254 Alexander hingegen nahm öffentlich nur Stellung zu den politischen Aspekten der Treffen mit Bonaparte.255 Dies hatte seinen Grund darin, dass sich der inszenierten Freundschaft von Tilsit und der gegenseitigen Sympathiebekundungen zum Trotz nichts an den außenpolitischen Prioritäten des Zaren geändert hatte. Er spielte nun das Spiel nach den Spielregeln desjenigen, den er in privater Korrespondenz nach wie vor nur „Bonaparte“ oder „le Corse“ nannte. Wenige Wochen nach dem Treffen in Tilsit zeigte sich der Zar in einem Brief an seine Mutter geradezu zynisch in der Beurteilung seines Gesprächspartners.256 Und auch die unmittelbar nach dem Treffen verfassten Instruktionen an Lobanov und Kurakin lassen jeden Anflug der alten Bewunderung vermissen. Stattdessen dominiert hier die sachliche Analyse der Lage.257 Am 7. Juli 1807 wurde der Vertrag von Tilsit unterschrieben, zwei Tage später der französisch-preußische Vertrag.258 Die französisch-russische Vereinbarung bestand aus zwei Teilen, einem Friedens- und Freundschaftsvertrag und einem geheimen Offensiv- und Defensivbündnis. Zwar verlor Russland keinen Quadratmeter seines Territoriums, aber Dalmatien und die Ionischen Inseln mussten ebenso wie die Donaufürstentümer von den russischen Truppen geräumt werden. Für Preußen ging die Angelegenheit weniger glimpflich aus: Es verlor einen Großteil seiner polnischen Besitzungen zu Lasten Sachsens und des Großherzogtums Warschau sowie alle westlichen Territorien zu Gunsten des zu schaffenden Königreiches Westfalen.259 In Summe verlor Preußen etwa die Hälfte seiner Bevölkerung und ein Drittel seines Territoriums. Dass Preußen nicht noch mehr verloren hatte, ging auf das Konto des Zaren. In Artikel 4 des Vertrages hieß es, dass Napoleon „par égard pur sa Majesté l’empereur de toutes les Russies, et voulant donner une preuve du désir sincère qu’il a d’unir les deux nations par les liens d’une confiance et d’une amitié véritable“,260 sich dazu verstehe, Preußen in den Grenzen von 1722 bestehen zu lassen. Danzig wurde – nach Vorbild Hamburgs – zur Freien Stadt unter preußischem und sächsischem Protektorat. Das war das Ergebnis eines zähen Ringens und harten Verhandelns zwischen Napoleon und

253 Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, 10.–12.3.1816. 254 Zit. nach Olivier, Alexandre, 139. 255 Vgl. etwa die Erinnerungen der Gräfin Edling, Gespräch mit Alexander 1813, in: Edling, Mémoires, 83–86. 256 Rey, Alexandre, 239 257 Vgl. Tatishchev, Alexandre, 140; Vandal, Napoléon, Bd. 1, 61–67. Die Anweisungen sind abgedruckt in VPR I/3, Anm. 414, 754–760. 258 VPR I/3, 631–637. 259 Vgl. Art. 5 des Vertrages. 260 Ebd, 632.

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Alexander, wie die Korrespondenz der beiden in den Tagen Anfang Juli zeigt.261 Und selbst dann wurde eine 100.000 Mann starke Besatzungsarmee in Preußen installiert, deren Abzug an die Zahlung einer absurd hohen Summe geknüpft wurde.262 Der Umgang mit Preußen war nicht die schlimmste Kröte, die Alexander schlucken musste.263 Von größerer Bedeutung noch waren die erzwungene Anerkennung des Rheinbundes und des neuen Königreiches Westfalen, die Anerkennung von Napoleons Schwager Joseph als König von Neapel sowie die französische Mediation im Konflikt mit dem Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich durchlebte gerade eine Phase der Wirren, nachdem Sultan Selim III. im Mai 1807 durch einen Aufstand der Janitscharen abgesetzt, inhaftiert und schließlich ermordet worden war. Ihm folgte kurzfristig sein Cousin Mustafa (IV.), ehe dieser ebenfalls abgesetzt wurde und 1808 Mahmut II. den Thron bestieg. Somit war nicht abzuschätzen, wie das Osmanische Reich auf ein solches Ansinnen reagieren würde.264 In der Offensiv- und Defensivallianz verpflichtete sich Russland, für den Fall, dass England eine russische Mediation im Konflikt mit Frankreich ablehnen sollte, an der Seite Frankreichs in den Krieg zu ziehen. Außerdem sollte es sich an der Kontinentalblockade beteiligen, die Schließung der russischen Häfen allein war nicht ausreichend. Um das zu erreichen, sollte gemeinsamer Druck auf Dänemark, Portugal und Schweden ausgeübt werden, damit diese ihre Häfen ebenfalls für britische Schiffe schließen.265 Für diese Maßnahmen war zunächst der Zeitraum bis zum 1. Dezember vorgesehen. Dann wäre die russische Ostseeflotte wegen des Winters keine Beute für einen eventuellen Angriff Englands.266 An England ergingen zwei Vorschläge: Erstens sollten die von England eroberten Kolonien im Tausch gegen Hannover zurückerstattet werden, zweitens sollten alle Schiffe – gleich unter welcher Flagge sie segelten – identische Rechte und Frei-

261 Vgl. Napoleon an Alexander, 4.7.1807, in: Napoleon, Correspondance, Bd. 15, Paris 1864, 382–385. 262 Vgl. Schroeder, Transformation, 346–351. 263 Zu den Konsequenzen für Preußen siehe Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850. Reformen, Restauration und Revolution, in: Büsch, Otto (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte. Bd. 2. Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Preußischen Geschichte. Berlin/New York 1992, 3–292, hier 31–35. 264 Vgl. Robert Mantran, Les débuts de la question d’Orient (1774–1838), in: Mantran, Robert/Bacqué-Grammont, Jean-Louis (Hrsg.), Histoire de l’empire ottoman. Paris 2003, 421–458. 265 Napoleon hatte in Tilsit offenbar versucht, Alexander in eine Offensivallianz gegen England zu treiben. Das legen zumindest die Aussagen eines als „vertraulich“ gekennzeichneter Briefs an Canning nahe. Abgedruckt in Thomas Munch-Petersen, The Secret Intelligence from Tilsit. New Light on the Events surrounding the British Bombardment of Copenhagen in 1807, in: Historisk Tidsskrift 102, 2002, 55–96, hier 77–83. Als Quelle der Information diskutiert Thomas Munch-Petersen, Defying Napoleon. How Britain bombarded Copenhagen and seized the Danish Fleet in 1807. Stroud 2007, 128–131. 266 Dass dies eine Rolle spielte: Quelques idées qui pourront trouver place dans les instructions du négociateur russe qui sera chargé de traiter de la paix, in SIRIO 89, 1893, 33–37, hier 35.

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heiten zugesprochen bekommen. War der erste Vorschlag noch im Rahmen des Akzeptierbaren, so war der zweite gänzlich unannehmbar, denn er berührte die britische Praxis, neutrale Schiffe zu durchsuchen auf den Verdacht hin, dass von ihnen aus Handel mit britischen Gegnern getrieben werde.267 Gegen diese Praxis hatte sich verbreiterter Widerstand in Europa formiert, und auch Russland hatte sich an der Liga der „bewaffneten Neutralität“ beteiligt, zuletzt 1800. Mit dem britisch-russischen Abkommen vom Juni 1801 war dieses Thema lediglich vertagt worden, bis sich ein aus russischer Perspektive günstigerer Zeitpunkt finden ließ. Doch hielt sich Napoleon nicht an die Abmachung. Binnen weniger Wochen wurde der Druck auf Dänemark und Portugal erhöht, noch ehe aus London eine Antwort auf Alexanders Mediationsvorschlag eingetroffen war. Diese Antwort erfolgte mit dem britischen Angriff auf Dänemark im August 1807.268 Aus britischer Perspektive war dies ein Präventionsschlag zur Sicherung der Flotte.269 Zudem gab es Gerüchte, dass Napoleon Zugriff auf die dänische Flotte suchte, um sie zum Transport einer Invasionsarmee zu nutzen. Auch wenn die Details der russisch-französischen Verträge von Tilsit in London nicht vollumfänglich bekannt geworden waren, so konnte sich Canning dennoch zusammenreimen, was zwischen den beiden Monarchen besprochen worden war.270 Die letzte „Oase der Neutralität“ im Norden Europas, Dänemark, verlor somit ihre Unschuld.271 Zwei konfliktträchtigere Themen wurden in Tilsit auf spätere Verhandlungen verschoben. Die Frage nach der Zukunft Polens war vorläufig durch die Schaffung des Großherzogtums Warschau vertagt.272 Auch die drängendere Osmanische Frage wurde nicht verhandelt. Napoleon weigerte sich, Konstantinopel an Russland abzutreten – wobei er Signale sandte, dass er durchaus bereit sei, das Schicksal des Osmanischen Reiches zwischen Frankreich und Russland zu entscheiden. Als sich die beiden Monarchen am 27. Juni wieder trennten, fiel die Bilanz für den nach Russland zurückkehrenden Alexander gemischt aus. Zwar waren die Grenzen des Imperiums nicht angerührt worden, doch musste er die französische Hegemonie in Europa anerkennen. Die langfristig konfliktträchtige Frage nach dem Umgang mit dem Osmanischen Reich war ebenso wenig verhandelt worden wie das emotional aufgeladene Thema der Wiederherstellung Polens

267 Dabei wurde ein zum Teil erhebliches Preisgeld ausgesetzt, das zum Großteil den Offizieren der Schiffe zu Gute kam. Vgl. zu diesem Phänomen John Richard Hill, The prizes of war. The naval prize system in the Napoleonic Wars 1793–1815. Stroud 1998. 268 Hauptziel der Aktion war, die dänische Flotte zu erhalten. Hierzu wurde der Frieden durch die Bombardierung Kopenhagens vom 3.–5. September 1807 erzwungen. 269 In diesem Sinne auch die Beschwichtigungsversuche von Canning gegenüber Alexander. Vgl. Canning an Alopeus, 18./30.7.1807, in: VPR I/4, 15 f. 270 Vgl. Obzor, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 86r; Munch-Petersen, Defying Napoleon, 133. Dass Russland in den Überlegungen der britischen Regierung kaum eine Rolle gespielt hatte: ebd, 112–114. 271 Die Bezeichnung ist entliehen bei Thomas Munch-Petersen. 272 Vgl. Monika Senkowska-Gluck, Das Herzogtum Warschau, in: Sieburg, Heinz-Otto (Hrsg.), Napoleon und Europa. Köln/Berlin 1971, 221–230.

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– Czartoryski bezeichnete die Ergebnisse von Tilsit wohl auch deshalb als desaströs.273 Die russischen Handelsinteressen fanden hier ebenfalls keinen Niederschlag. Auch eine dauerhafte Regelung zur Sicherung eines stabilen Friedens in Europa, die Alexander zum Ziel der Verhandlungen erhoben hatte, war ausgeblieben – allen Beteuerungen, dass man weiter verhandeln werde, zum Trotz. Man wird davon ausgehen können, dass der Zar die Verabredungen von Tilsit daher als Mittel betrachtete, Zeit zu gewinnen. Dennoch hat er sich in der Zukunft skrupulös an die Vertragsklauseln gehalten. In den grundsätzlichen Überlegungen zur Außenpolitik hatte Alexander bereits in den vergangenen Jahren vertragsbrüchiges Verhalten als ein Grundübel der gegenwärtigen Verfasstheit des internationalen Systems identifiziert. Nun wurde Tilsit ein scharfer Prüfstein für ihn. Alexander verließ Tilsit direkt im Anschluss an die Verhandlungen und reiste nach Sankt Petersburg, wo er am 16. Juli eintraf. Hier und in Moskau wurde der Vertrag mit Gottesdiensten und Kanonensalut gefeiert.274 Doch war die Stimmung am Hof alles andere als erfreulich. Zum ersten Mal machten Gerüchte über ein mögliches Komplott gegen den jungen Zaren, der soeben in Tilsit einen Pakt mit dem Antichristen geschlossen hatte, die Runde, und unter der Hand wurden kritische Gedichte Puškins am Hof weitergereicht und in den Straßen Sankt Petersburgs und Moskaus kursierten englische Flugblätter, die an das Ende Pauls erinnerten.275 Auch die ausländischen Beobachter nahmen diese Stimmung war: Gneisenau wusste von dem Gerücht, dass Alexanders Leben in Gefahr sei: „Gerüchte aus Russland sprechen von einer vorseienden Thron-Revolution“, schrieb er am 17. August 1807.276 Dass die Stimmung durchaus ernst zu nehmen war, berichtete der schwedische Botschafter im Oktober 1807 nach Stockholm: Le mécontentement contre l’empereur va en augmentant, et les propos que l’on entend de toute part sont effrayants. Les bons serviteurs, les amis de l’empereur en sont au désespoir, mais il n’y a aucun parmi eux qui sache remédier au mal et qui ait le courage de faire reconnaître à l’empereur l’excès de danger où il se trouve. […] dans les sociétés particulières et même dans les assemblées publiques, on s’entretient souvent d’un changement de règnem et que l’on pousse l’oubli des devoirs au point de dire que toute la ligne masculine de la famille regnante doit être proscrite.277

273 Vgl. Sirotkin, Duel’, 181. 274 Vgl. N. F. Dubrovin, Russkaja žisn’ v načale XIX v, in: Russkaja Starina 29/96, 1898, 481– 516. 275 Vgl. Olivier, Alexandre, 143; Tarle, Kontinentalsperre, 83 mit Beispielen der englischen Propaganda. Vgl. auch den Bericht Lesseps an Talleyrand, 7./19.8.1807, in: SIRIO 88, 1893, 95– 113, v. a. 112. 276 Georg Heinrich Pertz, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Berlin 1864–1869, Bd. 1, 303. Vgt. auch Caulaincourt an Champagny, 3.10.1809, in: Grand-Duc Nicolas Michailovič, Les relations diplomatiques de la Russie et de la France. D’après les rapports des ambassadeurs d’Alexandre et de Napoléon, 1808–1812. 1905–1908, Bd. 4, 110– 116, hier 112. 277 Graf Stedingk an den den König von Schweden, 28.9./10.10.1809, in: Mémoires posthumes du Feld-Maréchal Comte de Stedingk. Rédigés sur les lettres, dépêches et autres pièces au-

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Und auch Joseph de Maistre berichtete nicht weniger drastisch von den Gefahren: Um der momentanen Situation zu entgehen, werde über eine „remède asiatique“ – also den Mord am Tyrannen zugunsten seiner Schwester oder Mutter – laut nachgedacht.278 Graf Tolstoj hatte sogar den Mut, Alexander offen zu warnen: „Prenez garde, Sire! Vous finirez comme votre père!“.279 Es sind hier vor allem konservative Kreise der „Alt-Russen“ um Rumjancev, Kurakin und andere zu nennen, die sich unzufrieden mit der neuen Außenpolitik und ihren Folgen zeigten.280 Diese „asiatische Medizin“ für die ungewollten Zustände in Sankt Petersburg war keinesfalls ein Hirngespinst, denn die Zarenmutter sammelte die Unzufriedenen an ihrem Hof in Pavlovsk um sich.281 4. VOM BÜNDNIS MIT DEM ANTICHRISTEN BIS ZU DEN KRIEGSVORBEREITUNGEN (1807–1812) Trotz der zum Teil deutlichen Kritik an seinem Kurswechsel versuchte Alexander in den folgenden Jahren den Text und den Geist der neuen Allianz penibel einzuhalten. Das tat er jedoch nicht völlig willen- und kritiklos. Am 9. August 1807 veröffentlichte er ein Manifest, in dem er etwa das Verhalten Frankreichs gegenüber Preußen deutlich kritisierte.282 Zur Bekräftigung der neuen Allianz schickte Napoleon seinen Intimus Savary als „officier général attaché à la personne de l’empereur“ nach Sankt Petersburg, wo er anscheinend eine besondere Wertschätzung durch Alexander erfuhr.283 Am Hof der Zarenwitwe Maria Fjodorovna wurde ihm hingegen ein kühler Empfang bereitet, der seinem Bericht zufolge unter einer Minute dauerte. Für den Hof musste diese Personalentwicklung wie blanker Hohn scheinen, denn Savary war 1804 Kommandant der Einheit gewesen, die den Herzog von Enghien in den Katakomben des Schlosses von Vincennes erschossen hatte. Schon deshalb wurde Savary in Sankt Petersburg mit äußerster Distanz und Kühle empfangen. Am Hof war ohnehin die Fraktion der Frankophilen bereits seit einiger Zeit geschrumpft. Ihr Oberhaupt blieb der neue Außenminister Rumjancev, der um den Jahreswechsel 1807/08 Budberg ersetzte, sich dabei aber weiter um einen alten Tätigkeitsbe-

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thentiques laissées à sa famille par le Général Comte de Björnstjerna. Bd. 2. Paris 1845, 352– 358, hier 355 f. De Maistre an den König, 16./28.9.1808, in: de Maistre, Mémoires, 320–324, hier 322. Zit. nach Ley, Sainte-Alliance, 32. Vgl. Prozorovskij an Golicyn, 23.7./4.8.1807, in: Russkij Archiv 2, 1876, 157–159. Feldmarschall Prozorovskij ging sogar so weit, das Ende des Hauses „Holstein“ auf dem russischen Thron zu prophezeien. Vgl. den Brief Elisabeths an ihre Mutter, 29.9./11.10.1807, in: Michailovič (Hrsg.), L’Impératrice Élisabeth. Épouse d’Alexandre Ier, Bd. 2. Sankt Petersburg 1909, 257 f. sowie Martin, Maria Féodorvna,, 163. Vgl. Sirotkin, Duel’, 197. Vgl. den Brief Stedingks vom 28.9./10.10.1807, in: Stedingk, Mémoires, 352–358, hier 354.

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reich, den Außenhandel, kümmerte.284 Im Oktober 1807 erreichte ihn ein Brief der Zarin, in dem sie ihn bat, sie – wenn irgend möglich – von dem Gefallen zu befreien, um den Alexander sie gebeten hatte: Sie sollte Savary innerhalb der ersten zehn Tage nach seiner Ankunft zweimal einladen.285 Alexander ahnte zunächst nichts von der ihn umgebenden Gefahr. Mitte Januar gründete er ein Komitee für allgemeine Sicherheit, das ihn über Stimmungen und Meinungen in der Hauptstadt unterrichten sollte. Was sich im Zuge der Investigationen herausstellte, erwies sich mehr und mehr als alarmierend. Gegenüber Savary äußerte er: „je le sais, je le vois, mais que voulez-vous que je fasse contre la destinée qui m’y conduit“?286 In dieser Stimmung vertraute Alexander auf die Fähigkeiten von Arakčeev, den er mit außerordentlichen Vollmachten ausstattete und zum Kriegsminister beförderte und zudem reagierte er auf die Bedrohung, indem er zwei ihm ergebene Offiziere, Lobanov-Rostovskij und Uvarov, zum Stadtkommandanten von Sankt Petersburg beziehungsweise zum Kommandanten der Wachen ernannte. Savarys Aufenthalt in Sankt Petersburg war jedenfalls nicht von langer Dauer. Noch im November 1807 wurde er durch Armand de Caulaincourt ausgetauscht, während Graf Tolstoj als russischer Gesandter nach Paris ging.287 Tolstoj bekam als Anweisung auf den Weg, sich streng an die geschlossenen Verträge zu halten, um dem Ziel eines stabilen und friedlichen Europas näherzukommen: „[…] je résolus de faire une nouvelle tentative pour le maintien de la paix sur le continent“. Dazu sei es notwendig, die Beziehungen mit Frankreich zu normalisieren: Quelqu’eussent été les motifs de cette longue rupture entre la russie et la France, et quelque soit l’état des choses qui en est résulté, je suis déterminé à ensevelir le passé dans un parfait oubli et à remplir scrupuleusement les engagements que je viens de contracter, aimant à croire, que l’Empereur des Français de son côté ne cessera d’être dans des dispositions analogues.

Als Leitfaden erhielt Tolstoj eine Liste der wichtigsten Verträge zwischen Russland und Frankreich sowie den Hinweis, dass Alexander sich selbst als „religieux observateur des engagements que j’ai une fois contracté“ sehe.288

284 Vgl. Sirotkin, Duel’, 198. Rumjancev war vor allem um den schwindenden russischen Status als Großmacht besorgt und suchte Russland auf dem Weltmarkt als Konkurrenten zu England zu positionieren. Dies machte er gegenüber dem amerikanischen Botschafter in Russland, John Quincy Adams, deutlich. Vgl. Lieven: Russia against Napoleon, 69 f. Vgl auch David W. McFadden, John Quincy Adams, American Commercial Diplomacy, and Russia, 1809– 1825, in: The New England Quarterly 66, 1993, 613–629; Markert, Politik, 19 f. 285 Vgl. Jean Jacoby, Napoléon en Russie. L’empereur et le tsar, la famille impériale et la société russe, les causes de la campagne de Russie (1807–1812). Paris 1938, 33. 286 Zit. nach ebd., 34. 287 Vgl. Extrait du Journal de Fourrier de la Cour, in: Michailovič, Relations, Bd. 1, 241–251, hier 241. 288 Vgl. das Sendschreiben Alexanders an Tolstoj, 14.9.1807, in: SIRIO 89, 1893, 97–113. Zitate 99, 103 und 113.

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Auch Caulaincourt wurde in Sankt Petersburg nicht gerade herzlich empfangen, und auch er war in die Ermordung des Herzogs von Enghien verstrickt gewesen. Dessen ungeachtet begrüßte Alexander den neuen Gesandten wie einen alten Freund und brachte ihn in einem der schönsten Paläste der Hauptstadt, dem Palais Volkonskij, unter.289 Caulaincourt bemühte sich, die Stimmung in Sankt Petersburg zu drehen und den Hof für sich einzunehmen, wozu auch seine sprichwörtliche Gastfreundschaft und der vielgerühmte Koch, den er beschäftigte, beitrugen.290 Als gut informierter und aufmerksamer Beobachter berichtete er detailliert auch über die Stimmungen in Sankt Petersburg. Dabei entging ihm nicht, dass das russisch-französische Bündnis Alexander und Rumjancev zu isolierten Personen in der Hauptstadt machte.291 Die Allianz mit Frankreich brachte auch andere personelle Veränderungen mit sich. Die anglophilen Novosil’cev und Czartoryski wurden gezwungen, Russland zu verlassen, nachdem ihnen zur Last gelegt worden war, ein Pamphlet mit dem Titel „Réflexions sur la paix de Tilsit“ verbreitet zu haben.292 Auch Kočubej musste von seinem Amt als Innenminister zurücktreten. Damit war die personelle Umstellung in der Umgebung des Zaren perfekt. Für Tolstoj gestaltete sich die Aufgabe etwas einfacher, wenn er auch die Anweisung erhalten hatte, sich wie ein braver und gehorsamer Soldat zu verhalten und nicht wie ein Diplomat.293 Doch machte Tolstoj aus seiner Verbundenheit mit Preußen und seiner Abneigung gegen Napoleon, den er nach wie vor nur „Bonaparte“ nannte, keinen Hehl, so dass seine Position bald zu einer Belastung im russisch-französischen Verhältnis werden sollte.294 Daher wurde er nach nur einem Jahr durch Kurakin ersetzt.295 Zunächst erfüllte Alexander seine Bündnisverpflichtungen und brach das Verhältnis mit England am 25. Oktober, doch blieben die Differenzen der Bündnispartner in Sachen Osmanisches Reich und Polen weiterhin bestehen. So verlangte Alexander von Tolstoj, dass er einen Vertrag mit Frankreich aushandeln solle, in dem die Donaufürstentümer endgültig Russland zugesprochen werden sollten. Doch als Antwort kam als Zeichen der französi289 Vgl. die Erinnerungen von Caulaincourt: Armand-Augustin-Louis de Caulaincourt, Mémoires du Général de Caulaincourt, Duc de Vicence, Grand Écuyer de l’Empereur. Paris 1933, Bd. 1, 96. Tatsächlich war Caulaincourt häufiger Gast bei Alexander. Von diesen Treffen fertigte er zum Teil minutiöse Gesprächsprotokolle aus dem Gedächtnis an. Diese sind abgedruckt in Michailovič, Relations. 290 Vgl. Caulaincourt, Mémoires, Bd. 1, 99. 291 Vgl. Caulaincourt an Champagny, 25.2.1808, in: Michailovič, Relations, Bd. 1, 161–174, hier 173. Die Stimmung war ebenfalls durch eine Reihe prominenter Emigranten in Sankt Petersburg gekennzeichnet. Vgl. Ratchinski, Napoléon. 292 Vgl. Vandal, Napoléon, Bd. 1, 165–167. 293 Vgl. Michailovič, Relations, Bd. 1, Introduction, XX. 294 Tolstoj hätte sich einmal fast mit Marschal Ney duelliert, nachdem er ihn provoziert hatte. Vgl. Tolstoj an Rumjancev, 25. 4./7.5.1808, in: SIRIO 89, 1893, 519–527. Zuvor hatte er mehrfach und eindringlich darum gebeten, von dem Posten abgezogen zu werden. Vgl. Tolstoj an Alexander, Dezember 1807, in: ebd, 183–185. 295 Vgl. Michailovič, Relations, Bd. 1, Introduction, XXI.

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schen „bienviellance“ nur die Zusage, Russland an anderer Stelle für die Donaufürstentümer territorial zu entschädigen und die Grenzen des Großherzogtums Warschau auszudehnen, vor allem aber Schlesien, die reichste der noch verbliebenen preußischen Provinzen, in Besitz zu nehmen. Dies war für Russland nicht akzeptabel, denn das Großherzogtum musste wie eine französische Zeitbombe an der Grenze des Empires wirken, wenn mit dem Erwerb Schlesiens eine Landbrücke von Sachsen nach Warschau geschaffen worden wäre. Über die Frage der Donaufürstentümer und der Art der französischen Kompensationen kam es zu ersten Rissen im russisch-französischen Einvernehmen. Auch gegenüber Preußen geriet der Zar in Not, seine Allianz mit Napoleon zu rechtfertigen. Das Argument, das er gegenüber Friedrich Wilhelm III. anführte, war, dass durch eine russischfranzösische Allianz England zu einem Einlenken gebracht werden könne und so die konfrontative Haltung aufgeben könne. Nur auf diese Weise, so argumentierte er, könne der Frieden in Europa wiederhergestellt werden: „J’ai lieu d’espérer que ce cela un moyen d’accélerer une paix générale dont l’Europe a un besoin si urgent.“296 Dabei wurde er mehrfach eindringlich – unter anderem von Rumjancev – gewarnt, dass es nach den Entwicklungen in Spanien, wo britische Truppen gegen die französische Armee kämpften, keinen Frieden zwischen England und Frankreich geben werde.297 Napoleon versuchte seinerseits im Februar 1808 Profit aus dem Bündnis zu schlagen und brachte eine gemeinsame Expedition gegen Indien ins Spiel. Um russisches Wohlgefallen zu erzwingen, benutzte er zudem die Osmanische Frage als Hebel. Im Gegenzug zur russischen Beteiligung an der Expedition sei er zu Zugeständnissen in Fragen der Donaufürstentümer bereit.298 Russland sollte um jeden Preis zu einem antibritischen Engagement veranlasst werden. Alexander war damit in eine schwierige Lage gebracht worden. Er sagte Napoleon in einem Schreiben vom 13. März 1808 seine prinzipielle Bereitschaft zu einer gemeinsamen Expedition nach Indien zu und stimmte ebenso von Napoleon vorgeschlagenen bilateralen Gesprächen zu.299 In einem Treffen mit Caulaincourt noch am selben Tag machte er allerdings seine Konditionen deutlich. Für den Fall, dass das Osmanische Reich aufgeteilt werden sollte, würde Russland Konstantinopel und die drei europäischen Provinzen Bessarabien, Moldau und Walachei annektieren.300 Dieser Forderung verlieh er in einem Gespräch mit dem französischen Gesandten Mitte Juni weiteren Nachdruck: Aus geografischen Gründen sei es erforderlich, dass Konstantinopel an Russland falle, Konstantinopel sei „la clef de la porte de [la] maison.“301 An einer Expedition nach Indien konnte Alexander nicht

296 Alexander an Friedrich Wilhelm III, Sankt Petersburg 2.11.1807, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 157, 169. 297 Vg. z.B. Rumjancev an Alexander, 16./28.12.1808, in: VPR I/4, 441. 298 Eine detaillierte rekonstruktion bei Zamoyski, Moscow, 33–36. 299 Vgl. Sirotkin, Duel’, 206–208. 300 Alexander an Napoleon, 1./13.3.1808, in: SIRIO 88, 1893, 538–539. 301 Caulaincourt an Napoleon, 12./24. 6.1808, in: Michailovič, Relations, Bd. 1, 201.

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gelegen sein – zumal das Rückbeordern der von seinem Vater eben dorthin entsandten Soldaten eine seiner ersten Amtshandlungen 1801 gewesen war. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die zwischen Rumjancev und Caulaincourt geführten Verhandlungen über diese Expedition bald im Sande verliefen. In dieser Phase zeigt sich somit eine klare Zielsetzung der russischen Außenpolitik: Konsolidierung und Sicherung des eigenen Territoriums – dazu waren die Donaufürstentümer unerlässliche Bausteine.302 Napoleon versuchte auf anderem Wege, sich Alexanders Gefälligkeit zu sichern, und ihn gleichzeitig auf eine antibritische Handlung einzuschwören. Anfang Februar schlug er eine russische Invasion in Finnland vor. Finnland war schwedisches Territorium, und mit einem Angriff auf das mit England verbündete Land hätte sich Russland an einer für Napoleon völlig uninteressanten Stelle Europas territorial vergrößern können und sich gleichzeitig in Frontstellung zu England hineinmanövriert.303 Dieses Angebot nahm Alexander an. Und allein ein Blick auf die zeitliche Dimension (schon im Mai erfolgte die finnische Kapitulation) offenbart, dass die Verhandlungen über die indische Mission deliberativ zum Scheitern gebracht worden waren.304 Die Frage nach dem Fortbestehen Polens war nicht weniger konfliktträchtig. Napoleon favorisierte eine baldige Restauration unter französischer Protektion – das wäre für Russland eine nicht hinnehmbare Provokation gewesen, da an den russischen Grenzen damit französische Soldaten gestanden hätten. Um sich für seine militärische Unternehmungen in Spanien den Rücken frei zu halten, plante Napoleon, Alexander erneut vertraglich zu binden und die Vereinbarungen von Tilsit zu verstärken. Für Ende September war ein Treffen der beiden Monarchen in Erfurt, das unter französischer Verwaltung stand, geplant. Und als Alexander im September 1808 zum Kongress nach Erfurt aufbrach, war keiner der Konfliktfälle beigelegt und das Verhältnis der Bündnispartner eher unterkühlt. Diese Reise gab erneuten Anlass zur Sorge um Alexanders Unversehrtheit, denn Napoleon hatte in der Zwischenzeit alle außenpolitischen Hemmungen fallengelassen. Die spanische Herrscherfamilie war in Bayonne durch einen Taschenspielertrick festgesetzt worden, und der Papst als abgesetzt erklärt. Eindringlich wurde der Zar von seiner Mutter vor der Reise gewarnt: Er sei der einzige, der glaube, dass durch ein solches Treffen irgendetwas Gutes bewirkt werden könne. In Wahrheit werde das Treffen in Erfurt nur weiteres Blutvergießen nach 302 Vgl. Budberg an Goltz, 27.11./9.12.1807, in: VPR I/3, 407–409. 303 Dies ist wiederholt vom französischen Gesandten Caulaincourt angebracht worden. Vgl. Caulaincourt an Champagny, 29.1.1808, in: Michailovič, Relations, Bd. 1, 86–94; ders. an dens., 1./13.–17./29.1.1808, in: ebd., 95–100; ders. an Napoleon, 1.2.1808, in: ebd., 100–104; ders. an Champagny, 27.4.1808, in: Michailovič, Relations, Bd. 2, 99–106; ders. an Champagny, 12.4.1808, in: ebd., 68–77. 304 Zum finnischen Feldzug vgl. K. K. Blobina, Diplomatičeskija snošenija meždu Rossieju i Šveciju v pervye gody carstvovanija Imperatora Aleksandra Pervago do prisoedinnenija finljandii k Rossii, in: SIRIO 2, 1869, 1–95, hier 82–95. Das Kapitel ist von der nicht-finnischen Historiographie kaum behandelt worden.

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sich ziehen und Alexander auf einen Krieg gegen England festgelegt. Am Ende stehe der Ruin Alexanders und Russlands.305 Der war sich der drohenden Gefahren bewusst und erschien gut vorbereitet in Erfurt.306 Durch die angespannte Lage auf der iberischen Halbinsel hatte sich auch das Kräfteverhältnis verschoben und der Zar wurde entgegen der Erwartungen nicht zum Spielball Napoleons. Vielmehr nutzte er die Dauer des Kongresses, um sich etwas Luft zu verschaffen. In einer Antwort an seine Mutter legte Alexander seine Einstellung im Hinblick auf den Kongress dar. Er wolle Napoleon davon überzeugen, dass Russland ein treuer Bündnispartner sei, denn „dès qu’elle [=Frankreich, PhM] n’aura pas cette croyance, elle ne verra plus dans la Russie qu’un ennemi, qu’il sera dans son intérêt de chercher à détruire […].“307 Es sei vielmehr sinnvoll, sich mit dem einzigen Feind, den Russland habe, gut zu stellen. Eine negative Reaktion der übrigen europäischen Staaten stehe nicht zu befürchten, da diese sich nicht rächen würden, nur weil Russland eine gewisse Zeit mit Frankreich verbündet gewesen sei. Czartoryski hatte ebenfalls deutlich vor einer weiteren Annäherung an Napoleon gewarnt, denn für den Fall würden die Beziehungen mit Frankreich ein böses Ende nehmen. In einem bemerkenswerten Memorandum hatte Czartoryski bereits im Juni 1808 die Lage analysiert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass Napoleon über kurz oder lang Russland angreifen werde.308 In diesem Memorandum warnte Czartoryski den Zaren, dass seine Beziehungen zu Napoleon zu keinem guten Ende führen würden. Dessen einzige Absicht sei es, alle Regierungen zu unterwerfen und sodann zu vernichten. Ziel dieses Verhaltens sei es, eine einzige Dynastie in Europa bestehen zu lassen, die nicht mehr umzustürzen sei. Die einzige – und schwache – Chance, dass Napoleon Russland verschonen werde, sah Czartoryski für den Fall, dass die russische Politik die napoleonischen Pläne nicht durchkreuze. Russland sei als selbständiges Land im Grunde nur noch in der Rolle eines französischen Zulieferers denkbar. „Du moment où il entrevèra qu’il y a d’opposition de sa [=Russlands, PhM] part, il cherchera à l’abattu de vive force.“309 Das leitete er durch einen Verweis auf das Schicksal Preußens – und noch frappanter: Spaniens – ab, „qui avait si bien servi ses intérêts“, aber Napoleon sei über das Land hergefallen „[a]ussitôt qu’il l’a apperçu isolée, avec un commerce détruit, sans ressources pécuniaires, brouillée avec plusieurs puissances

305 Maria Fjodorvna an Alexander, 13./25.8.1808, in: RGADA, f. 1: Sekretnye Pakety, op. 1, d. 3. unpag. 306 Vgl. auch Benl, Rudolf (Hrsg.), Der Erfurter Fürstenkongreß 1808. Hintergründe, Ablauf, Wirkung. Erfurt 2008, sowie grundlegend Šil’der, Nikolaj Karlovič, Nakanune Erfurtskago svidanija, in: Russkaja Starina 98/2, 1899, 3–24. 307 Alexander an Maria Fjodorovna, 13./25.8.1808, zit, in: Olivier, Alexandre, 183. Der undatierte Brief ist zuerst abgedruckt in Russkaja Starina 98/2, 1898, 17–24. Dort auch das folgende Zitat. 308 Vgl. ebd. 309 Mémoire Czartyskis, 26.6.1808, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 265, Zitat 3r f. Dort auch das folgende Zitat.

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abandonnée des autres[…].“ Auf Unterstützung von Seiten Österreichs dürfe man ebenfalls nicht hoffen. Napoleon werde auch hier siegreich sein, die Habsburgermonarchie zerschlagen und ihre wesentlichen Teile daraufhin in den Rheinbund eingliedern.310 Da Russland dann die einzig verbleibende Macht auf dem Kontinent sei, sei ein Angriff gewiss, denn auf diese Art könne Napoleon seine Ambitionen durchsetzen „notre heure alors sonnera.“311 Die Konsequenzen aus dieser Analyse waren eindeutig: Der Zar sollte heimlich mit Großbritannien, Österreich und Schweden verhandeln, um den vorhersehbaren Schaden einigermaßen begrenzt zu halten. Anfang September brach Alexander mit einer kleinen, aber hochkarätigen Entourage, bestehend aus seinem Bruder Konstantin, Speranskij, Rumjancev, Tolstoj, Alexander Golicyn, sowie den Adjutanten Trubeckoj, Volkonskij und Gagarin, auf. Auf dem Weg nach Erfurt traf er das preußische Herrscherpaar und vom Stein in Königsberg, die ihn dazu drängten, sich an die Spitze einer neuen antinapoleonischen Koalition zu stellen.312 Doch Alexander musste auf Zeit spielen, da seine sich Armee nach dem Einsatz gegen das Osmanische Reich noch weit entfernt an den Grenzen zum Osmanischen Reichs stand. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als in Erfurt gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich damit erneut, wie auch schon in Tilsit, auf Napoleons Methoden einzulassen. Am 25. September traf Alexander in der Stadt ein, zwei Tage später fand das Treffen etwas außerhalb Erfurts statt.313 Napoleon erschien zu Pferd, Alexander in einer Kutsche, beide waren in Uniformen gekleidet: Napoleon in der eines Jägers der Garde, Alexander in der grünen Generalsuniform. So ritten beide in die Stadt. Außer den beiden Kaisern befanden sich die Könige von Bayern, Sachsen und Württemberg in der Stadt, ebenso wie der preußische Prinz Wilhelm, daneben Schriftsteller wie Goethe und Künstler wie der berühmte Komödiant Talma. Das Treffen dauerte bis in den Oktober hinein. Am Jahrestag der Schlacht von Jena provozierte Napoleon seinen russischen „Gast“, indem er ihn auf das Schlachtfeld führte. Jeden Abend gab es auf Einladung Napoleons ein französisches Stück vom

310 Ebd, 4r f. 311 Ebd, 5r. 312 Zu Steins Rolle im Umfeld Alexanders vgl. Wolfram Pyta, Stein und die europäische Friedensordnung seit dem Wiener Kongress 1814/15, in: Duchhardt, Heinz/Teppe, Karl (Hrsg.), Karl vom und zum Stein: der Akteur, der Autor, seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Mainz 2003, 65–84. 313 Der Vertrag von Erfurt vom 30.9./12.10.1808 ist abgedruckt in VPR I/4, 359–363. Vgl. auch Reiner Prass, Eine Politik der „grandeur“. Die kulturelle Selbstdarstellung Napoleon Bonapartes auf dem Erfurter Fürstenkongress 1808, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 2009; Reiner Prass, Der Erfurter Fürstenkongreß, Napoleon und die Comédie française, in: Stadt und Geschichte, 2008, 6–8; Horst Moritz, Krieg oder Frieden. Der Erfurter Fürstenkongreß 1808 und Napoleons Hegemonialpolitik, in: Stadt und Geschichte, 2008, 3–5; Gustav Brünnert, Napoleons Aufenthalt in Erfurt im Jahre 1808. Erfurt 1899.

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Théâtre français.314 All dies war sorgfältig inszeniert, denn Napoleon brauchte die russische Unterstützung gegen Österreich und England.315 Hierzu setzte er auf Alexanders Naivität und musste schnell feststellen, dass er nicht mehr so leicht mit dem Besiegten von Jena umgehen konnte. Gegenüber Caulaincourt beschwerte er sich bitterlich darüber, dass Alexander nun das Spiel nach napoleonischen Regeln spielte: Votre empereur Alexandre est têtu comme une mule. Il fait le sourd pour les choses qu’il ne veut pas entendre. Ces diables affaires d’Espagne me coûtent cher.316

Und auch im persönlichen Zusammentreffen konnte Alexander die Oberhand behalten: Als die Gespräche nicht nach seinem Wunsch verliefen, schmiss Napoleon seinen Hut auf den Boden und trat nach ihm, worauf Alexander versetzte: „Vous êtes violent, moi je suis entêté. Avec moi, la colère ne gagne donc rien. Causons, raisonnons, ou je pars.“317 Dieses selbstbewusste Auftreten wäre ein Jahr vorher noch undenkbar gewesen. Alexander akzeptierte zwar die Rechtmäßigkeit des französischen Vorgehens in Italien und Spanien und bekräftigte seine Teilnahme an der Kontinentalblockade, aber auf einen Waffengang gegen Österreich ließ er sich nicht festlegen. Auch als weitere Annexionen in Schweden in Aussicht gestellt wurden, blieb Alexander hart. Gleichwohl ließ er sich darauf ein, einen Brief an den englischen König zu schreiben, in dem er darum warb, auf der Grundlage des uti possidetis – also der Rechtmäßigkeit des Besitzes der bisher durch kriegerische Auseinandersetzungen erworbenen Territorien – Friedensverhandlungen zu beginnen. Damit erfüllte er Artikel 4 des Vertrages von Tilsit. Am 30. September wurde ein Geheimvertrag unterzeichnet, der für zehn Jahre gelten sollte und den Vertrag von Tilsit somit zementierte und gleichzeitig ein weiteres Treffen der Monarchen ansetzte. Dieses Treffen sollte freilich nicht mehr stattfinden. Das Treffen in Erfurt hatte gezeigt, dass der Zar durchaus in der Lage war, das Spiel nach den Regeln Napoleons, die er in der Zwischenzeit beherrschte, zu spielen. Gegenüber seiner Schwester, seiner engsten Vertrauten, schrieb er am 26. September 1808 aus Weimar: „Bonaparte prétend que je ne suis qu’un sot. Rira bien qui rira le dernier!“318 Für Alexander blieb Napoleon ein Usurpator in Frankreich,

314 Eine Auflistung der 16 Aufführungen bei Rey, Alexandre, 531. Vgl. auch Prass, Fürstenkongreß. 315 Vgl. die Instruktionen an Talleyrand, in: Emmanuel de Waresquiel, Talleyrand. Le prince immobile. Paris 2006, 693. 316 Caulaincourt, Mémoires, Bd. 1, 273. 317 Ebd. 318 Alexander an seine Schwester, 26.05./07.06.1807, in: Michailovič, Grand-Duc Nicolas (Hrsg.), Correspondance de l’empereur Alexandre Ier avec sa sœur la grande-duchesse Catherine, princesse d’Oldenbourg, puis reine de Wurtemberg. 1805–1818. Sankt Petersburg 1910, 20. Die Äußerungen Alexanders gegenüber seiner Schwester können als authentisch angenommen werden, ihren Rat hat er in allen wichtigen Entscheidungen gesucht und ihr gegenüber hat er sich besonders offen geäußert. Vgl. auch Theodor Schiemann, Kaiser Alexander und die Großfürstin Ekaterina Pavlovna, in: Zeitschrift für östeuropäische Geschichte 1

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der Europa aus persönlichen Gründen in den Krieg gestürzt hatte und mit dessen Ambitionen gerechnet werden musste. Eine aktive Politik mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens in Europa war gegen Napoleon nicht zu machen – solange er noch das Tableau der europäischen Szenerie beherrschte, führte kein Weg an ihm vorbei. Alexanders Forderung, die französischen Truppen aus Preußen abzuziehen, stießen nun auf taube Ohren. Immerhin konnte eine Herabsetzung der preußischen Kriegsentschädigungen von 140 auf 120 Millionen Francs erreicht werden und der Zahlungszeitraum auf drei Jahre verdoppelt werden. Außerdem wurden die Annexionen Finnlands und der Donaufürstentümer anerkannt.319 Somit war Erfurt aus russischer Sicht durchaus ein Erfolg. Alexander hatte sich auf Napoleons Verhandlungstaktik eingelassen und die Oberhand behalten. Dies allerdings war nur möglich durch die Unterstützung eines weiteren diplomatischen Meisterspielers, Talleyrand. Dieser unterhielt während der zweieinhalb Wochen engen Kontakt zum Zaren, die beiden trafen sich beinahe täglich im Haus der Schwester der preußischen Königin, der Fürstin von Thurn und Taxis.320 Talleyrand steuerte bereits auf eine bewusste Beschränkung Frankreichs hin: „Le Rhin, les Alpes, les Pyrénées sont les conquêtes de la France; le reste est la conquête de Napoléon, la France n’y tient pas.“321 Die indische Mission und die Aufteilung des Osmanischen Reiches enthüllte Talleyrand gegenüber Alexander als bloße Täuschungsmanöver, um von den Entwicklungen in Spanien abzulenken. Alexander vertraute dem Franzosen schließlich in einem solchen Ausmaß, dass er ihm die geheime Konvention von Potsdam offenbarte, woraufhin er von Talleyrand schließlich überzeugt wurde, die Österreich betreffenden Artikel zu ändern.322 In der Zeit nach Erfurt dominierte ein anderes Thema die russische Politik. Es galt, die österreichisch-französischen Spannungen auf einem geringen Maß zu halten und einen drohenden Krieg abzuwenden. Die Lagebeurteilung in Sankt Petersburg förderte zu Tage, dass ein solcher Konflikt nur mit einem Sieg Frankreichs enden könne, wodurch Russland das einzige freie Land auf dem Kontinent bliebe. Daher lehnte der Zar gemeinsame französisch-russische Demarchen nach Wien ab. Gleichzeitig warnte er dort offen vor einem Krieg mit Frankreich, der nicht zu gewinnen sei. Als dann tatsächlich der Krieg zwischen Österreich und Frankreich im April 1809 ausbrach, wurde dies von Alexander als ein Zeichen

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(1911), 540–556 und Léonce Pingaud, L’Empereur Alexandre et la Grande-duchesse Cathérine Pavlovna, in: Revue d’histoire diplomatique 25, 1911, 379–395. Vgl. Art. IV des Vertrags in VPR I/4, 360. Vgl. de Waresquiel, Talleyrand 390. So gibt Metternich am 4.12.1808 dessen Worte wieder, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 2, 248. Waresquiel, Talleyrand, 391.

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mangelnden Weitblicks und mangelnder politischer Vernunft der Wiener Politik aufgefasst.323 Alexander hielt jedoch zunächst ostentativ an seinen Verbindungen zu Preußen fest. Als das preußische Königspaar am 19. Januar 1809 die russische Hauptstadt zu einem zweiwöchigen Besuch erreichte, wurde Luise so reich beschenkt, dass der französische Botschafter Caulaincourt sich selbst vergaß und nach Paris berichtete, die Reise habe einen einzigen Grund: „la reine de Prussie vient coucher avec l’empereur Alexandre.“324 Wenige Tage nach der Abreise des preußischen Königspaares erreichte Fürst Schwarzenberg als österreichischer Sondergesandter die Hauptstadt, um Russlands Neutralität im geplanten Krieg gegen Napoleon sicherzustellen. Damit wurde von Alexander nicht weniger verlangt, als gegen den Vertrag von Erfurt zu verstoßen. In einem geheimen Abkommen wurde daher am 18. April ein Kompromiss gesucht: Zwar sollte Russland de facto neutral bleiben in der Auseinandersetzung, werde Österreich jedoch de iure den Krieg erklären müssen, um nicht gegen den Vertrag von Erfurt zu verstoßen.325 Dies geschah wohl auch aus der Angst vor einem Krieg an zwei Fronten, denn das Reich befand sich immer noch im Waffengang gegen Schweden. Nachdem Anfang 1809 Stockholm besetzt worden war, reiste Alexander nach Finnland, um in Porvoo, schwedisch Borgå, im März 1809 die Nationalversammlung zu eröffnen, die ihm als Großfürsten von Finnland huldigte.326 In der Rede, die er aus diesem Anlass hielt, führte er aus, dass erst mit der Staatswerdung Finnlands die ‚Nation’ entstanden sei. Für Alexander war der Begriff Nation also untrennbar mit einer staatlichen Organisation und somit auch mit eigener Staatlichkeit verbunden – damit drehte er den Zusammenhang von Staat und Nation, wie er in Europa um 1800 gesehen wurde, gewissermaßen um 180 Grad. Nicht der Staat erwuchs aus der Nation,

323 Vgl. Kurakin an Alexander, 2./14.6.1808, in: VPR I/4, 291–198; Alexander an Kurakin, 14./26.8.1808, in: ebd, 316f; Alexander an Kurakin, 27.8./08.9.1808, in: ebd, 331f; Alexander an Rumjancev, 10./22.2.1809, in: ebd, 502–504. 324 So wurde er von Joseph de Maistre an Rossi, Jan. 1809, zitiert. Zit. nach: Paléologue, Alexandre, 89 f. 325 Vgl. Sirotkin, Duel’, 226. 326 Vgl. PSZ 24,301 und 24,302 (1811, Bd. 31), 276276–276278. Zur finnischen Autonomie: Peter Scheibert, Die Anfänge der finnischen Staatswerdung unter Alexander I, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 4, 1939, 351–430; Päiviö Tommila, La Finlande dans la politique européenne en 1809–1815. Helsinki 1962; Osmo Jussila, Die russische Reichsgesetzgebung in Finnland in den Jahren 1809–1898. Eine Untersuchung über das Verhältnis zwischen allgemeiner und lokaler Gesetzgebung im Russischen Kaiserreich, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 33, 1985, 345–365. und mit weiteren Literaturangaben Edgar Hösch, Die kleinen Völker und ihre Geschichte. Zur Diskussion über Nationwerdung und Staat in Finnland, in: Alexander, Manfred u.a. (Hrsg.), Kleine Völker in der Geschichte Osteuropas. Festschrift für Günther Stökl zum 75. Geburtstag. Stuttgart 1991, 22–32. und Frank Nesemann, Ein Staat, kein Gouvernement. Die Entstehung und Entwicklung der Autonomie Finnlands im russischen Zarenreich, 1808 bis 1826. Frankfurt a.M. 2003, zugl. Phil. Diss Heidelberg 2002.

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sondern die Nation aus einer staatlichen Verfasstheit.327 Damit lehnte er sich eng an die Definition von Abbé Sieyès an, derzufolge eine Nation diejenige Gruppe sei, die unter demselben Gesetz stehe: „un corps d’Associés vivant sous une loi commune, et représentés par la même législature“.328 Mit dem im September geschlossenen Frieden von Hamina, schwedisch Fredrikshamn, fand dieser Krieg sein Ende.329 Die Åland-Inseln wurden russisch und Finnland als Großherzogtum in das russische Reich integriert. Enthusiastisch schrieb Alexander an seine Schwester nach dem Friedensschluss: Je ne puis assez remercier l’Être Suprême. Cession entière de la Finlande jusqu’à Tornéo avec les îles Åland, adhésion au système continental et fermeture des ports à l’Angleterre, enfin paix avec les Alliés de la Russie; le tout conclu sans intermédiaires. Il y a de quoi chanter un beau Te Deum Laudamus; aussi le nôtre demain à Isaac, avec toute pompe militaire, ne se mouchera pas du pied.330

Diese Zeilen sind aufschlussreich: An erster Stelle sind es rein außenpolitische Ziele, die genannt werden. Der Rekurs auf das „Être Suprême“ wirkt hier sehr formelhaft. Zudem wird die besondere Leistung – Eingliederung Finnlands, Schließen der Häfen für englische Schiffe und Frieden mit den Alliierten – einzig dem russischen Vorgehen zugeschrieben, es sei „sans intermédiaires“ erreicht worden. Das Wirken eines „Être Suprême“ ist hier völlig unspezifisch, wenn überhaupt vorhanden. Doch liefert die Wortwahl einen entscheidenden Hinweis: Es ist nicht das Wirken Gottes, sondern das des „Être suprême“, das erwähnt wird. 1794 wurde der Kult des höchsten Wesens, des „Être suprême“, von Robespierre per Dekret eingeführt, mit einer großen Zeremonie am 8. Mai der entsprechende Feiertag, der gleich mitdekretiert wurde, auf dem Champ de Vertus in Paris begangen. Seither war der Begriff verbunden mit der Terreur – dem Kult war nur eine kurze Lebenszeit beschieden.331 Es ist nicht anzunehmen, dass der Zar, in welcher Form auch immer, hierauf Bezug genommen hat. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er mit dem höchsten Wesen über die Encyclopédie in Berührung gekommen war. Im 327 Vgl. Reinhart Koselleck, Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7. Stutgart 1972, 141–431; Karl W. Deutsch, Nationenbildung, Nationalstaat, Integration. Düsseldorf 1972; Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte. München 22004, 108–208. „Klassiker“ der Diskussion ist Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Berlin 1998, v. a. 15–50. 328 Emmanuel Joseph Sieyès, Quest-ce que le Tiers État? Paris 1789, 13. 329 Zum Frieden vgl. A. A. u. a. Gromyko, Rossija i Švecija. Dokumenty i Materialy, 1809– 1818. Moskau 1985, 5–13. Ältere Literatur: Erick Hamnström, Freden i Fredrikshamn. Diss. Upsala 1902; I. I. Kjajvjarjajnen, Meždunarodnye otnošenija na severe Evropy v Načale XIX veka i prisoedinenie Finljandii k Rossii v 1809 godu. Pedrozavods’k 1965. 330 Alexander an seine Schwester, 6.9.1809, in Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 25f, Zitat 25. 331 Vgl. F.-A. Aulard, Le Culte de la Raison et le Culte de l’Être Suprême (1793–1794). Paris 1892; Michelle Vovelle/Serge Bonin, 1793. La Révolution contre l’Église. De la raison à l’Être Suprême. Lausanne 1988, 45–49; 155–192.

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Aufsatz zum Deismus, der vor allem in der von Voltaire und Rousseau vertretenen Form vorgestellt worden war, heißt es dort: L’être suprême, disent-ils, est un être éternel, infini, intelligent, qui gouverne le monde avec ordre et avec sagesse, la verité et la sainteté par essence. Les règles éternelles du bien ordre sont obligatoires pour tous les êtres raisonnables; ils abusent de leur raison lors’quils s’en écartent.332

In dieser Formulierung finden sich alle Elemente, die auch die Grundsätze der Außenpolitik Alexanders bestimmen, ebenso wie die Schlagworte der Klugheit, Wahrheit und Heiligkeit, die als Motive in den zaristischen Instruktionen und Korrespondenzen immer wieder letztbegründend auftauchen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Alexander über La Harpe mit diesen Gedanken in Berührung gekommen ist. Während Alexander enthusiastisch über den territorialen Zugewinn an seine Schwester berichtete, so warnte ihn sein Erzieher La Harpe in einem Brief vom 31. März 1809, die Annexion sei unrechtmäßig erfolgt und zudem politisch nicht zu rechtfertigen, da sie den Zaren von wichtigen Reformen im Inneren abhalte.333 Indessen wurde Speranskij beauftragt, eine politische Struktur für Finnland zu schaffen.334 Am 20. Januar 1809 konstituierte sich die finnische Nationalversammlung. Alexanders Rede am 28. März vor dieser Versammlung, die das Fortbestehen der finnischen Verfassung und der grundlegenden Gesetze garantierte, beruhte auf einem Entwurf Speranskijs.335 Zum Generalgouverneur der Provinz Finnland und damit zum Oberbefehlshaber der dort stationierten russischen Truppen wurde Barclay de Tolly ernannt, der aus einer lutherischen Familie stammte, die sich im 17. Jahrhundert von Schottland aus in Livland angesiedelt hatte.336 Alexanders Politik in Finnland war gekennzeichnet von einem hohen Maß an Pragmatismus – Kernelemente der etablierten schwedischen Praxis blieben unangetastet. Hier wurde erfolgreich angewandt, was im Süden des Reiches schon erprobt worden war. Finnland, die Ionischen Inseln und später auch Polen konnten zudem als „Experimentierfelder“ für liberale Verfassungen genutzt werden.

332 Art. ‚Déistes’, in: Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une societé de gens de lettres, Bd. 4. Paris 1754, 773f, hier 774. Der Autor des Artikel, der Encyclopedist Edme-François Mallet zitiert hier: Traité de la véritable Religon contre les athées, les déistes, etc, par l’Abbé de la Chambre. Paris 1737. Vgl. für einen Überblick auch Christof Gestrich, Deismus, in: Theologische Realenzyklopädie 8, 1981, 392–406. 333 La Harpe an Alexander, 31.03.1809, in: Biaudet/Nicod (Hrsg.), Correspondence Bd. 1, 307. 334 Vgl. Scheibert, Anfänge, 410. 335 Vgl. Allan Rosas/Martin Scheinin, Les libertés fondamentales figurant dans la Constitution finlandaise, in: Revue internationale de droit comparé 47, 1995, 643–658. Die zentralen und immer wieder zitierten Worte „J’ai promis de maintenir votre constitution, vos lois fondamentales; votre re-union ici vous garantit ma promesse.“ Bei Šil’der, Imperator, Bd. 1, 303. 336 Zu Barclay de Tolly siehe Michael Josselson, The Commander. A life of Barclay de Tolly. Oxford 1980; Andrej G. Tartakovskij, Nerazgadannyj Barklaj. Legendy i byl’ 1812 goda. Moskau 1996.

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Während Napoleon sich in Spanien immer größeren Schwierigkeiten ausgesetzt sah, gärte es im Osten Europas. Dabei war man in Russland bestens informiert über die Entwicklungen auf der iberischen Halbinsel, nachdem Zea Bermudez, der spanische Gesandte in Sankt Petersburg, und Košelev in einem dichten Austausch standen.337 Ermutigt von der Situation in Spanien und der britischen Hilfszusage begann ein österreichischer Feldzug, der innerhalb weniger Wochen das von den französischen Truppen weitestgehend geräumte Warschau erreichte. Unterstützung erfuhren die 32.000 österreichischen Soldaten durch 14.000 polnische Soldaten unter Józef Poniatowski; im Mai 1809 konnten sie Lemberg besetzen.338 Die Nachricht von dieser Erhebung alarmierte die russische Regierung, die durch den Vertrag von Erfurt jedoch an Frankreich gebunden war.339 Und diesen Verpflichtungen war Alexander pro forma zunächst auch nachgekommen. Mitte April hatte Napoleon auf die in Erfurt zugesagte militärische Hilfe gedrängt. 70.000 Soldaten sollten nach Galizien in Marsch gesetzt werden, eine Zusage, die Alexander am 27. April Napoleon gab. Doch wurde der Marschbefehl tatsächlich bis zum 18. Mai herausgezögert, und der Marsch war alles andere als ein Eilmarsch. Erst am 3. Juni erreichten die Soldaten die Grenze. Gefechte mit den österreichischen Truppen wurden sorgsam vermieden. Unterdessen rückte die französische Armee in Richtung Wien vor, das sie am 13. Mai erreichte, Anfang Juli musste sich die österreichische Armee in Wagram geschlagen geben. Damit war die russische Waffenhilfe hinfällig. Napoleon glaubte nicht mehr an die Verlässlichkeit seines russischen Bündnispartners, das Bündnis mit Russland sei nicht mehr als ein „fantôme d’alliance“, gleichwohl sollte Caulaincourt in Sankt Petersburg weiterhin den Schein einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aufrecht halten.340 Mit dem Vertrag von Wien vom 14. Oktober 1809 wurde Österreich territorial abgestraft. Galizien, Salzburg und die illyrischen Provinzen wurden abgetrennt. Indem Napoleon gute Miene zum bösen Spiel machte, wurde Russland das Gebiet um Tarnopol als Entschädigung für die Hilfeleistung zugesprochen. Allerdings gab es auch eine bittere Pille obendrein: die von Österreich abgetrennten galizischen Gebiete wurden dem Herzogtum Warschau angegliedert, das damit substanziell wuchs. Damit konnte die französische Armee durch die Hintertür bis an die russische Grenze gebracht werden. Zudem bestand die Gefahr, dass Napoleon in Warschau die nationale Karte ausspielen und damit die polnische Frage erneut befeuern und Unruhe im russischen Reich stiften könnte. Entsprechend kippte in den Salons der russischen Hauptstadt die Stimmung gegen Alexander und seine

337 Vgl. etwa Zea an Košelev, o.D.; ders. an dens., 31.11.1811; ders. an dens., 11./23.10.1811; ders. an dens., 16./28.10.1811, alle in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 269. 338 Dieser Erfolg ist nicht nur dem vermeintlichen Fanatismus der Polen zuzuschreiben, wie es Enno Kraehe, Metternich’s German Policy. Princeton 1963, 100 tut. 339 Vgl. Rumjancev an Caulaincourt, 15./27.7.1809, in VPR I/5, 116–118. 340 Champagny an Caulaincourt, 2.6.1809, zit. nach Vandal, Napoléon, Bd. 2, 95 f., hier 96.

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mit der polnischen Frage betrauten Minister.341 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wurde von Rumjancev und Caulaincourt Anfang Januar eine bilaterale Konvention über Polen erarbeitet, in deren ersten Paragraph festgeschrieben wurde: „le royaume de Pologne ne sera jamais retabli“, und in Art. 5, dass das Herzogtum Warschau keine weiteren territorialen Vergrößerungen erwarten dürfe.342 Und innerhalb weniger Wochen wandelte sich die Stimmung, so dass zumindest für Napoleon ein Krieg nicht mehr vermeidbar schien. Auch die erneute Entsendung eines Sondergesandten in Person von Alexis Kurakin änderte nichts daran.343 In diese Zeit fällt auch die Episode der napoleonischen Heiratspläne. Mit dem russischen Verhalten im französisch-österreichischen Krieg war die Allianz der beiden Staaten im Grunde beendet. Doch war das noch nicht deutlich zu spüren. Napoleon weihte am 12. Oktober seinen ehemaligen Minister in den Plan ein, sich von Josephine scheiden zu lassen, um eine der Schwestern Alexanders zu heiraten.344 Talleyrand und Caulaincourt sollten Alexander überreden, Napoleons Eheschließung mit einer russischen Großfürstin ins Kalkül zu ziehen.345 Schon im März 1808 machten in Paris Scheidungsgerüchte die Runde, von denen auch Alexander dank seines Botschafters unterrichtet war. Um Zeit zu gewinnen reagierte Alexander zögernd auf das Ansinnen, indem er auf den starken Einfluss seiner Mutter auf seine Schwestern hinwies. Testamentarisch war festgelegt worden, dass Maria Fjodorovna das alleinige Bestimmungsrecht über ihre Töchter hatte.346 Zur selben Zeit hielt Talleyrand für seinen Neffen Edmond de Périgord um die Hand der Fürstin Dorothea von Kurland an, die drauf und dran war, sich mit Adam Czartoryski zu verloben. Eine Woche nach dem Kongress in Erfurt gab Alexander die Verlobung seiner Schwester Katharina mit Georg von Oldenburg bekannt. Die 1795 geborene Anna Pavlovna rückte damit als nächstgeborene Schwester in das Blickfeld des Korsen. Erst am 7. Februar antwortete Alexander auf das von Caulaincourt vorgeschlagene Arrangement, gemeinsam mit den Hei341 Vgl. Vandal, Napoléon, Bd. 2, 112. 342 Vgl. ebd., 336 f. 343 Vgl. auch die Instruktionen Alexanders an Suchtelen, 28.10./9.11.1809, an Palen, 27.12.1809/8.1.1810 und an Lieven, 31.12.1809/12.1.1810, in: VPR I/5, 275–279, 338–340, 345–348. 344 Vgl. die Briefe Maria Fjodorovnas an Katharina, um Weihnachten 1809, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 251–260 sowie Pierre Bertrand, Projet de marriage de Napoléon Ier avec la grande-duchesse Anne de Russie. Correspondance secrète et inédite de Champagny et de Coulaincourt, in: Le Correspondant 62, 1890, 845–876. Rey, Alexandre, 259 f. schreibt fälschlicherweise, Napoleon habe Katharina heiraten wollen und zieht daraufhin den Schluss, dass Katharina mit Georg von Oldenburg vermählt worden sei, um diplomatische Schwierigkeiten zu vermeiden. 345 Vgl. Johannes Willms, Napoleon. Eine Biographie. München 22005, 512–514. Bereits 1807 kursierten Gerüchte, dass Napoleon ein Auge auf Alexanders Schwester Katharina geworfen habe. Vgl. Elisabeth an ihre Mutter, 29.8./10.10.1807, in: Michailovič, Élisabeth, Bd. 2, 250– 254, hier 253. 346 Ebd, 392.

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ratsplänen eine endgültige Lösung der polnischen Frage zu verhandeln, indem er versuchte, auf Zeit zu spielen. Anna sei noch zu jung und es sei der Wunsch der Zarenmutter, dass sie noch zwei Jahre warte, ehe sie den französischen Kaiser heiraten könne.347 Noch während man in Paris auf eine Antwort aus Sankt Petersburg wartete, machte Napoleon jedoch Nägel mit Köpfen. Mit Franz hatte er sich über die Ehe mit Erzherzogin Marie-Louise verständigt. Deutliches Zeichen für die Verschlechterung der Beziehungen war, dass man in Paris kaum ein offenes Ohr für die Klagen aus Sankt Petersburg zeigte, das unter der Kontinentalblockade empfindlich litt.348 Und auch in Frankreich stand es nicht gut um die ökonomische Entwicklung. In den Jahren 1809-1812 wurde Frankreich von einer veritablen Wirtschaftskrise heimgesucht, die beinahe alle Bereiche des öffentlichen Lebens erwischte.349 Napoleon erließ daraufhin einen neuen Zolltarif mit dem Dekret von Trianon am 5. August 1810, dessen Einführung er auch von Russland verlangte: Künftig sollten keine Kolonialwaren mehr importiert werden, außer auf französischen oder neutralen Schiffen. Damit war die Kontinentalblockade schwer angeschlagen, denn diesen Schritt vollzog Alexander zum Ende des Jahres 1810 nicht mehr mit. Auf dem Landweg wurden nun Waren aus Frankreich, besonders Luxusgüter und Wein, nicht weiter importiert, außerdem wurden die Häfen wieder für neutrale Schiffe geöffnet. Zwischen 1806 und 1808 hatten die Blockade und der schwedische Feldzug die ohnehin schon angeschlagene russische Wirtschaft weiter belastet und in eine tiefe Krise gestürzt, die einen massiven Einbruch des Außenhandels ebenso zur Folge hatte wie eine Entwertung des Papierrubels.350 In der Konsequenz wurden 1809 keine weiteren Papierrubel mehr ausgegeben.351 347 Vgl. den Brief Maria Fjodorovnas an Alexander, 12./19.01.1810, zitiert bei Martin, Maria Féodorovna, 167 f. Emmanuel Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, Bd. 2. Paris 21842, 211 u. 706 berichtet hingegen, dass die Initiative von Alexander ausgegangen sei. Vgl. auch Anton Becker, Der Plan der zweiten Heirat Napoleons, in: Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichtswissenschaft 19, 1898, 92–156; Pierre Bertrand, Projet de marriage de Napoléon Ier avec la grande-duchesse Anne de Russie. Correspondance secrète et inédite de Champagny et de Caulaincourt, in: Le Correspondant 62, 1890, 845–876. 348 Vgl. Obzor, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 91r f. 349 Vgl. Guy Thuillier, La Monnaie en France au début de XIXe siècle. Genf 1983, 107–152 für eine detaillierte Beschreibung der Auswirkungen. 350 Vgl. Sirotkin, Duel’, 237–249 mit genaueren Angaben. Dies war in Frankreich billigend in Kauf genommen worden. Über die Beschwerden der Kaufleute in Russland vgl. Caulaincourt an Champagny, 19–27.02.1808, in: Michailovič, Relations, Bd. 1, 177 f. 351 Die Literaturlage zur russischen Fiskalpolitik ist düftig. Vgl. Klaus Heller, Die Geld- und Kreditpolitik des Russischen Reiches in der Zeit der Assignaten (1768–1839/43), Wiesbaden 1983, 78–85 sowie ders, Russlands Wirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zernack (Hrsg.), Handbuch, 1145–1188. Die russische Standardliteratur ist Michail F. Zlotnikov, Kontinental’naja blokada i Rossija. Moskau 1966. Zur Wirtschaftsgeschichte Russlands vgl. auch den Überblick D. I. Kopylov, Sovetskaja istoriografija vtoroi poloviny 60– ch-načala 80-ch godov o krizise feodal’no-krepostičeskoj sistemy chozjajstva, in: Krizis feodal’no-krepostničeskich otnošenij v sel’skom chozjajstve Rossii (Vtoraja četvert’ XIX v.). Vladimir 1984, 3–38. Zum Außenhandel nach wie vor einschlägig I. Kulišev, Očerk po istorii

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Weitere Spannungen erwuchsen aus der Thronbesteigung Bernadottes in Schweden und der Annexion der Hansestädte und Oldenburgs durch Napoleon unter dem Vorwand, die Kontinentalblockade aufrecht halten zu müssen.352 Aufgrund der familiären Verbindungen Alexanders zum Haus Oldenburg war das eine gezielte Provokation, die auch nicht dadurch gemindert wurde, dass Napoleon einen Tausch von Oldenburg gegen Erfurt vorschlug. Die Antwort des Zaren verweist deutlich auf die leitenden Prinzipien seiner Politik: Vertragstreue ist eines der am meisten zitierten Elemente, verbunden mit dem Hinweis, dass von russischer Seite der Vertrag von Tilsit exakter befolgt worden sei als von französischer.353 Die Eroberung Finnlands wurde interessanterweise als „Kollateralgewinn“ ausgewiesen, denn der Krieg gegen Schweden sei nur geführt worden, um das Kontinentalsystem einzuhalten. Dabei sei die russische Armee so erfolgreich gewesen, dass Finnland gewissermaßen en passant erobert worden sei. Auch im Falle Schwedens funktionierte das persönliche Netzwerk des Adjutanten Alexanders, Černyšev, ausgezeichnet. Er hatte bereits in Paris gute Kontakte zu Bernadotte aufgebaut und konnte so bei einer Sondermission nach Stockholm sicherstellen, dass der neue schwedische Kronprinz weder ein Bewunderer Napoleons war noch feindlich gegenüber Russland gesonnen.354 Bernadotte war nicht nur von persönlichen Einstellungen gegenüber Russland geleitet, sondern hatte erkannt, dass die schwedische Unabhängigkeit auf Dauer nur gesichert werden konnte, wenn Russland den Krieg gegen Frankreich gewinnen würde – zumal das Land grundsätzlich vom Export abhängig war und somit nicht in einen Konflikt mit der maritimen Macht Großbritannien geraten durfte.355 Dass die Zeichen dennoch auf Sturm standen, war nicht zu übersehen: „combattre et vendre chèrement mon existence“, lautete die von Alexander ausgegebene Parole.356 Er bekam von Nesselrode einen Abriss der wichtigsten Ereignisse seit 1807 vorgelegt, der sich wie ein Zeitraffer der napoleonischen Invasionspläne liest: Im Juni 1810 wurden die Niederlande in das Empire Français einverleibt, im August drei französische Divisionen aus Süddeutschland an die Ostsee verlegt, kurze Zeit später 50.000 Gewehre nach Warschau verbracht und ein Artillerieregiment in das be-

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russkoj torgovi. Petrograd 1923. Zur russischen Zollpolitik vgl. Klaus Gestwa, ProtoIndustrialisierung in Russland. Wirtschaft, Herrschaft und Kultur in Ivanovo und Pavlovo, 1741–1932. Göttingen 1999, zugl. phil. Diss. Tübingen 1996, 225–232. Vgl. Košelev an Alexander, 13.6.1810, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 268, Nr. 3, 2r.; ders. an dens., 23.8.1810, in: ebd., Nr. 5, 3r f. Vgl. auch die Instruktionen Alexanders an Mocenigo, 21.1./2.2.1811, in: VPR I/6, 21–24. Konsequenterweise ist der Vorwurf der Untreue einer der der Schlüsselvorwürfe in der Rechtfertigung der Politik gegen Napoleon. Vgl. GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 68v. Vgl. die Berichte Černyševs an Rumjancev vom 13./25.7.1810 und 5./17.9.1810, in: SIRIO 121, 1906, 75–80 u. 88–95. Vgl. Bernadotte an Löwenhielm, 7./19.3.1812, in: Johnson, Seved/Jarring, Gunnar (Hrsg.), La Suède et la Russie. Documents et matériaux 1809–1818. Upsala 1985, 96–98. Der sich anschließende Vertrag zwischen Schweden und Russland ebd, 105–111. Alexander an Napoleon, 1./13.3.1811, zit. n.: Tatishchev, Alexandre, 137 f., Zitat 138.

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setzte Magdeburg verlegt. Diese Vorbereitungen wurden in einen engen Zusammenhang mit Napoleons Heiratsplänen gestellt. Durch die Vermählung mit der österreichischen Prinzessin Marie-Louise sei Napoleon nicht mehr auf die Verbindung zu Alexander angewiesen und könne nun seinen Krieg vorantreiben. In der zweiten Hälfte des Jahres 1810 habe Napoleon versucht, die Zolltarife von Trianon mit Waffengewalt umzusetzen, eine Maßnahme, die von Russland allerdings abgelehnt wurde.357 Auf den daraufhin erfolgten Protest Alexanders gab es allerdings keine Reaktion von Napoleon. Im Gegenteil: Er befahl dem Herzog von Cadore, die Note so zu behandeln, als habe er sie nicht empfangen. Ende des Jahres sprach Alexander gegenüber seiner engsten Vertrauten das erste Mal von einem bevorstehenden Krieg: Il paraît que le sang doit couler encore: du moins ai-je fait tout ce qu’il était humainement possible de faire pour l’éviter. Voici la vraie raison pour laquelle je vous ais i peu écrit, mais si je ne suis pas rose, je ne suis pas abbatu et je me soumets à la volonté de Dieu avec confiance en Lui.358

Interessanterweise wurde in diesem Brief einzig die Annexion Oldenburgs als Grund für einen bevorstehenden Krieg genannt – und Alexander hatte auch in seiner Antwort an Napoleon nur gegen die Behandlung Oldenburgs protestiert. Diese Annexion fasste der Zar als gegen ihn persönlich gerichtet auf, zumal Paris auf seinen Protest hin nicht geantwortet hatte.359 Hinzu kommt, dass das Verschweigen weitergehender russischer Sicherheitsinteressen Teil der Deeskalationsstrategie war, die der Zar um die Jahreswende 1810/11 verfolgte. Das Ausscheren aus der Kontinentalblockade wird man jedoch nicht als Annäherung an Großbritannien bewerten dürfen, sondern als strikt antifranzösischen Akt. Dazu passt auch, dass eine gegen Großbritannien gerichtete (Handels-)Politik zur See, inklusive durchsuchter und beschlagnahmter Schiffe und einem freilich kaum erfolgreichen ‚Wildern‘ beim Handel mit den USA und Südamerika, noch im Mai 1812 von Rumjancev auf der Haben-Seite gegenüber Frankreich verbucht wurde.360 Legt man eine Deutung russischer Außenpolitik zugrunde, die realistischen Faktoren den Vorrang einräumt, so ist kaum zu erklären, warum gerade im März 1811 die Spannungen eine solche Intensität erreichen konnten. Weder die Frage des Herzogtums Oldenburg noch die Polens waren angetan, russische Interessen im Kern zu treffen. Zwar hatten in den vergangenen Monaten insbesondere Napoleons Balkanpolitik und die Arrondierung des Herzogtums Warschau, beides ohne 357 Vgl. Eugen [Evgenij Victorovič] Tarlé, Napoleon in Russland 1812 [Našestvie Napoleona na Rossiju]. Zürich [Moskau] 1944 [1938], 18. 358 Alexander an seine Schwester, 25.12.1810, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 35 f. Wie groß das Vertrauensverhältnis war, zeigt sich auch in der Liste der Dinge, die Alexander mit seiner Schwester bei einem Besuch in Tver diskutieren wollte: Politik, Militär und innere Reformen waren die Themen, zu denen er ihren Rat suchte. Vgl. ebd, 36. 359 Brief Alexanders: Alexander an Napoleon, 1./13.3.1811, in: Tatishchev, Alexandre, 137 f. 360 Vgl. Alexander an F. P. v. Pahlen, 22.8./3.0.1811, in: ebd, Nr. 58, 156–158; Gur’ev an Rumjancev, 26.3./7.4.1812, in: ebd, Nr. 131, 328. Vgl. auch Daškov an Kurakin, 5./17.1.1812, in: ebd, Nr. 104, 259 f.

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vorherige Konsultation zwischen den vermeintlichen Alliierten, die Spannungen erhöht. Doch hatte es auch vorher genügend Gelegenheiten gegeben, einen Krieg zu beginnen.361 Im März 1811 bestünde die einzige Erklärung, die man in dieser Lesart russischer Politik geltend machen könnte, entweder in Leichtsinn oder in dem Kalkül, einen Krieg zu beginnen, der vielleicht noch hätte vermieden werden können. Der Sargnagel der Beziehungen der beiden Länder war allerdings letztlich das französische Pochen auf einer kompromisslosen Durchsetzung der Kontinentalsperre. Bereits am 31. Dezember 1810 aber hatte Alexander in einem Ukaz den russischen Ausstieg aus dem Kontinentalsystem verkündet und damit den Weg in den Krieg unumkehrbar beschritten.362 Und Alexander war diesmal nicht unvorbereitet: Seit 1810 ließ er seine Armee neu organisieren, und zur gleichen Zeit installierte er in Paris einen Geheimdienstposten, der ihm wertvolle Informationen über die französische Armee liefern sollte.363 Die Informationen aus Paris flossen gut. Der stellvertretende Botschafter, Graf Nesselrode, stand in direktem Austausch mit Alexander und mit ihm der junge Oberst Černyšev, der das Vertrauen Napoleons erringen konnte und zu einem gern gesehenen Gast der Pariser Salons avancierte.364 Die beiden teilten sich die Arbeit – während Nesselrode im Wesentlichen politische Informationen sammelte (nicht selten gab er mehrere Tausend Francs für ein Schriftstück aus), die er via Talleyrand und Polizeiminister Joseph Fouché erhielt, waren die Nachrichten, die Černyšev beschaffen konnte, überwiegend militärischer Natur.365 Er lernte Anfang 1811 einen gewissen „Michel“ aus dem Generalstab der französischen Armee kennen, der ihm detaillierte Informationen liefern konnte, da er zweimal im Monat Zugriff auf den Bericht bekam, den das Kriegsministerium an Napoleon über den Zustand der Grande Armée ablieferte. Diese Berichte wurden von Michel kopiert, wofür er von Černyšev gut entlohnt wurde. Ein ganzes Jahr, von Februar 1811 bis Februar 1812, war man daher in Sankt Petersburg über den Zustand der französischen Armee exzellent unterrichtet.366 Ein Verdacht der französischen Geheimpolizei, das Abfangen eines Kuriers und die Durchsuchung der 361 Stackelberg warnte etwa vor den Konsequenzen, die die russischen Truppen an der Grenze zu Galizien haben könnten. Vgl. Stackelberg an Košelev 18./30.3.1811, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 270 Nr. 1, 1r. 362 Vgl. auch Schiemann, Geschichte, Bd. 1, 106–109 und Schroeder, Transformation, 416–425. 363 Der neue Kriegsminister Barclay de Tolly hatte als erste Amtshandlung die Verteidigung in Richtung Westen organisiert. Vgl. Lieven: Russia against Napoleon, 78. 364 Nesselrodes Berichte sind abgedruckt in Nesselrode (Hrsg.), Lettres et papiers, Bd. 3, 225– 451. Černyševs Berichte in SIRIO 121, 1906, 32–108 und 114–204. Zur Rolle des Oberst vgl. Vandal, Napoléon, Bd. 3, 306–318. 365 Vgl. z.B. Nesselrode an Speranskij, 5./17.8.1810, in: ebd, 375–379. Nicht zuletzt wegen dieser Tätigkeit stieg Nesselrode in den kommenden beiden Jahren an die Spitze der russischen Diplomatie auf. Zur Karriere Nesselrodes vgl. Gritzbach: Nesselrode, 222–228. 366 Im Juni 1810 konnte Černyšev berichten, dass sich der französische Kriegsminister damit brüstete, die Invasion seit 15 Monaten vorzubereiten. Vgl. Černyšev an Rumjancev, 6./18.6.1810, in: SIRIO 121, 1906, 55–58.

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Wohnung Černyševs ließen die Spionage allerdings schließlich auffliegen. Da Napoleon weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machte, konnte Černyšev ohne persönliche Konsequenzen aus Paris zurück nach Sankt Petersburg reisen. Michel wurde nach einem Schauprozess in Paris öffentlich hingerichtet, um die Stimmung gegen Russland anzuheizen.367 Mittels politischer Spionage verschaffte Alexander sich jedoch weitere wichtige Informationen. Speranskij hatte bereits 1808 die dafür notwendigen Maßnahmen ergriffen und nun liefen die Fäden bei Nesselrode in Paris zusammen. Hauptinformant war Talleyrand, der sich seine Dienste gut entlohnen ließ, jedoch bereits 1810 deutlich über das Ziel hinausschoss. Weitere detaillierte Informationen konnten mit preußischer Hilfe beschafft werden: Der russische Botschafter in Berlin, Lieven, bekam vertraulich die detailliertesten Karten der deutschen Gebiete, der Niederlande und Zentraleuropas zugespielt – „la quintessence de la collection des cartes secrètes que le dépôt prussien possède“ – und konnte Kopien nach Sankt Petersburg schicken.368 Zwischen dem Jahresende 1810 und dem Beginn des Jahres 1811 begann im Umfeld Alexanders eine Auseinandersetzung mit der Idee, einen offensiven Krieg auf polnischem und deutschem Gebiet zu beginnen, um den Krieg auf diese Weise von russischem Gebiet fernzuhalten. Czartoryski, der sich noch in Puławy aufhielt, wurde von Alexander der verlockende Plan unterbreitet, dass Polen wiederhergestellt werden könne, eine Idee, die der Zar als eine seiner ehemaligen Lieblingsideen charakterisierte. Czartoryski hatte die Flamme am Leben erhalten und den Zaren Anfang Dezember an seine Pläne für Polen erinnert.369 Dass diese Überlegungen wohl ernst zu nehmen waren, wird durch eine lange Liste von Informationswünschen unterstrichen. Alexander wollte von Czartoryski unter anderem wissen, ob dieser mit Sicherheit die positive Haltung der Bewohner des Herzogtums Warschau einschätzen, Ross und Reiter einer eventuellen Opposition benennen und die Meinungsführer in der Armee aufzählen könne. Ein Vergleich der veranschlagten Truppenstärken sollte Czartoryski in einem Rechenexempel davon überzeugen, dass die Gelegenheit günstig war: 230.000 Soldaten könnten 150.000 auf der Seite Napoleons gegenüberstehen. Hinzu könnten weitere 100.000 russische Soldaten in Aussicht gestellt werden, und es sei damit zu rechnen, dass die deutschen Staaten Napoleon nicht unterstützten und Österreich sich mit 200.000 Mann auf die Seiten der Napoleon-Gegner stellte – alles in allem eine Überschätzung der russischen Möglichkeiten und eine Unterschätzung der französischen.370 Czartoryskis Antwort zeigte allerdings, dass er seine vermeintliche Rolle als Befreier deutlich überbewertete. Zudem war Napoleons Kalkül aufge367 Vgl. Tarlé, Napoleon, 33 f.; Rey, Rey Alexandre, 295–297 Eine detaillierte Beschreibung der Spionage und der Rolle Černičevs bei Curtis Cate, The war of the two emperors. The duel between Napoleon and Alexander. Russia, 1812. New York 1985. 368 Vgl. Lieven an Barclay de Tolly, 2./14.12.1810, in: VPR I/4, 635–637. 369 Vgl. Czartoryski an Alexander, 6.12.1812, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 831, 12r–12v. 370 Vgl. Alexander an Czartoryski, 25.12.1810/6.1.1811, in: Czartoryski, Mémoires, Bd. 2, 250– 252; Czartoryski an Alexander, 18./20.1.1811, in: ebd, 255–270; Alexander an Czartoryski, 31.1./12.2.1811, in: ebd, 272–277. Für einen Überblick Zawadzki, Czartoryski, 188–205.

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gangen und die öffentliche Meinung in Warschau ging dahin, dass hinsichtlich des Herzogtums Warschau dem Spatz in der Hand in jedem Fall der Taube auf dem Dach der Vorzug zu geben sei.371 In einem ausführlicheren Memorandum legte er dar, dass die einzige Möglichkeit, Polen aus der Hand Napoleons zu lösen, darin bestand, den polnischen Nationalstaat neu zu erschaffen, denn für die Polen gelte: „L’amour de la patrie reste leur sentiment dominant. Ravoir leur patrie fut des lors le seul but de leurs voeux, de leurs travaux, de leur existance.“372 Das erkläre die Verbundenheit mit Napoleon, der zumindest eine Art ‚Rumpfpolen‘ in Form des Herzogtums Warschau geschaffen habe. Geschickt appellierte Czartoryski an die Eitelkeit und die Selbstverpflichtung des Zaren: Il dépendra de lui d’être injuste, et il ne le voudra pas. Dans un siècle de rapine et de la violence, il sera le premier à donner sur le trône un exemple éclatat d’équité, de modération, d’humanité. Il ne suivra pas la foule des Conquérans qui l’ont précédé et qui tous se sont repeté dans le mal. En prenant une route plus élevée et inconnue jusqu’à nos jours il deviendra un nouveau modèle à suivre pour ceux qui viendront après lui, aux quels il apprendra comment les bienfaits doivent couronner les victoires, et comment l’extrême puissance peut être rehaussée par l’extrême bonté.373

Zwei Szenarien wurden in den Anhängen des Memorandums durchgespielt für den Fall, dass Russland den Krieg gewinnen würde. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden war, dass für den Fall eines sofortigen Friedens die eine Alternative darin bestand, nicht Alexander, sondern seinem Bruder Michael die polnische Königswürde zuzusprechen, weil das leichter zu vermitteln wäre.374 Die andere Alternative entwarf ein Programm, das das polnisch-litauische Königreich beinahe vollumfänglich wiederhergestellt hätte, inklusive der Einführung von Polnisch als Amtssprache, eines stehenden Heeres, einer Verfassung, eines polnischen Vizekönigs und der Bedingung der polnischen Staatsbürgerschaft für Ausübung eines öffentlichen Amtes.375 Auch aus der Grenzgegend von Białystok ließ sich Alexander über die öffentliche Meinung informieren, und dies bestärkte ihn weiter in seinen Absichten.376 Allerdings mahnte der mit dieser Aufgabe betraute Diplomat Johann von Anstett, der aus Białystok berichtet hatte, aus Warschau zur Vorsicht: Hier sei die Armee entgegen der Haltung der übrigen Bevölkerung auf Seiten Joseph Bonapartes –

371 Vgl. Alexander an Czartoryski, Sankt Petersburg, 25.12.1810, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, 127–135. Czartoryski war in seiner Antwort deutlich skeptischer. Vgl. Czartoryski an Alexander, 18./30.12.1810, in: ebd, 136–157. Ein weiterer Brief Alexanders spielte die verschiedenen Szenarien durch, die als Antwort auf Czartoryskis Schreiben denkbar waren. Vgl. ebd. 158–168. Siehe auch Alexander an Czartoryski, 31.01./12.02.1811, in: VPR I/6, Nr. 139, 53–56. 372 Mémoire Czartoryskis vom 13./25.12.1812, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 831 Perepiska Imperatora Aleksandra I k knjazijam Adamom Čartoryskim, 13r–20v, hier 14v. 373 Ebd, 19r f. 374 Ebd, Annexe B, 23r–25v. 375 Vgl. ebd, Annexe A, 21r–22v. 376 Vgl. Anstett an Alexander, 02./14.03.1811, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 1/831, 106r–107v.

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und damit auf Seiten Napoleons.377 Diese Einschätzung war nicht falsch, denn als Czartoryski den Plan Alexanders in Warschau vorstellte, wurde dieser nicht nur zurückgewiesen, sondern vom dortigen Oberkommandierenden Jozef Poniatowski unverzüglich an Napoleon weitergegeben.378 Czartoryski versuchte dennoch, das vermeintlich immer noch heiße Eisen zu schmieden. Es brauche etwas Zeit, die Meinung der Polen zu ändern. Denn für sie sei das Vorhaben des Zaren gleichbedeutend mit einem vollständigen Umwälzen aller Gewohnheiten und Gewissheiten. Daher sollten fortan kleinere Brötchen gebacken werden und in behutsameren Schritten das Wohlwollen Alexanders gegenüber den Polen demonstriert werden – auch und gerade im Herzogtum Warschau.379 Auch wenn er erst einmal einen Dämpfer erhalten hatte, so verfolgte der Zar seinen Plan, Napoleon im Westen zu schlagen, konsequent weiter. Noch im April 1812 zeichnete Alexander gegenüber Czartoryski ein düsteres Bild von den bevorstehenden Entwicklungen: „Elle [=la guerre, PhM] va faire couler des flots de sang, et cette pauvre humanité va être encore sacrifiée à l’ambition insatiable d’un homme crée, à ce qu’il paraît, pour son malheur.“ 380 Die Wiederherstellung Polens sei, so schrieb er weiter, nach wie vor eine seiner Lieblingsideen und nun ging die Frage an Czartoryski, wann der geeignetste Zeitpunkt sei, diesen Plan umzusetzen – nach dem Bruch mit Frankreich oder nach Aufnahme der kriegerischen Handlungen, die nun unvermeidbar schienen. Für ein solches Vorgehen war es freilich unumgänglich, die Unterstützung, zumindest die Duldung durch Österreich zu erreichen. Daher ließ Alexander dort auch die Lage sondieren, doch das Ergebnis war eher ernüchternd. Während es grundsätzlich hieß, Österreich werde sich auf die Seite Russlands stellen, so warnte der Gesandte Stackelberg, dass ein russischer Aufmarsch in Galizien den Wiener Hof direkt in Napoleons Arme treiben würde.381 Obwohl aus Wien und aus Warschau nicht die erhofften Zeichen zu erkennen waren, unternahm es der Zar, jetzt beim preußischen König um Unterstützung für das Vorhaben zu werben.382 Die Wiederherstellung Polens diente damit auch als eine Art Waffe in letzter Sekunde, und erst im April 1812 verabschiedete sich Alexander endgültig von dieser Idee, nachdem weder Czartoryski noch der preußische König sie bereitwillig unterstützten.383 Acht Monate später wurde der Gedanke, ein wiederhergestelltes Polen als Mittel gegen Napoleon zu nutzen, allerdings wieder akut. Nesselrode warnte den Zaren in einem langen Memorandum, diesen Weg einzuschlagen, da so für Russland kaum die militärische oder strategische Position verbessert werden könnte. Allenfalls ein minimaler Zugewinn an Ressourcen stünde einer ganAnstett an Alexander, 14./26.4.1811, ebd, 110r–113v. Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 35. Vgl. Czartoryski an Alexander, 28.2./13.3.1811, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 831, 96r–102r. Alexander an Czartoryski, Sankt Petersburg 1./13.4.1812, in: VPR I/6, 350–353. Vgl. Stackelberg an Košelev, 17./29.3.1811, in: GARF f. 728, op. 1, d. 831, 45r–48v sowie ders. an dens. 18./30.3.1811, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 270. 382 Vgl. Mesures envers la Prusse, in: GARF, o.D, f. 728, op. 1, d. 831, unpag. 383 Vgl. Alexander an Czartoryski, 1.4.1812, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondance, 169–177.

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zen Reihe von negativen Folgen gegenüber: Missgunst unter den Alliierten, Verletzung der nationalen Sentimente in Polen und der nicht zu vermeidende Verlust russischer Gebiete, die zum Staatsgebiet des neuen polnischen Staates geschlagen werden würden.384 Im Mai 1811 wurde Caulaincourt durch General Jacques Lauriston abgelöst. Dieser war vorher Generalgouverneur von Venedig gewesen und hatte sich in Spanien militärisch ausgezeichnet. Caulaincourt wurde von Napoleon vorgeworfen, er habe die Entwicklungen in Polen nicht aufmerksam genug verfolgt. Seine Einschätzung des russischen Zaren, wie er sie unter anderem bereits ein Jahr zuvor dem Außenministerium übermittelt hatte, brachte ihm den Vorwurf ein, wie ein Russe zu sprechen, ja sogar, ein Russe geworden zu sein: A l’égard de ce prince, il me semble qu’on ne le juge pas ce qu’il est. On le croit faible: on se trompe. Sans doute, il peut supporter beaucoup de contrarieties et dissimule son mécontentement, mais c’est parce qu’il a un but dans la paix générale, et qu’il espère l’atteindre sans crise violente.385

Napoleon machte indes deutlich, dass kein Weg mehr am Krieg vorbeiführe. Öffentlich wurde Botschafter Kurakin im August vor dem diplomatischen Corps in Paris gedemütigt: Napoleon hielt dem beinahe 60jährigen vor, dass das Eintreten Alexanders für Oldenburg nichts weiter sei als ein Ablenkungsmanöver. In Wahrheit gehe es um das Großherzogtum Warschau, ein Ziel das – so der Empereur schreiend – unerreichbar bleiben werde.386 Die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen Alexanders Polen-Plänen und dem Protest gegen die Annexion des Herzogtums Oldenburg lassen Napoleons Reaktion nicht ganz unberechtigt erscheinen.387 Sichtbar dokumentiert war mit diesem undiplomatischen Verhalten auch, dass die Zeichen für Napoleon auf Krieg standen. Ungeachtet der jungen dynastischen Verbindungen zwischen Napoleon und dem Herrscherhaus in Wien hatten bereits Anfang des Jahres 1811 erste Absprachen zwischen Russland und Österreich stattgefunden.388 In einem Gespräch informierte Alexander den österreichischen Gesandten Saint-Julien über die konkreten Dimensionen der bevorstehenden Auseinandersetzung,389 für die er in einem

384 Vgl. Mémoire sur le rétablissement du Royaume de Pologne rémis à Sa Majesté l’Empereur au mois de Décembre 1812, à Vilna, par le Comte de Nesselrode, in: RGADA, f. 3 („Dela otnosjaščiesja do vnutrennej i vnešnej politiki Rossii“), op. 1, d. 147, 1r–7v. 385 Bericht Caulaincourts (persönlich) vom 19.9.1810, in: Michailovič, Relations, Bd. V, 138– 140, hier 139. Der Vorwurf in dem Gespräch mit Napoleon am 5. Juni 1811. Vgl. die Erinnerungen de Caulaincourt, Mémoires, Bd. 1, 270–293. 386 Diese Szene ist bereits eindrucksvoll beschrieben bei Vandal, Napoléon, Bd. 3, 211–215. 387 Es gab in Frankreich durchaus warnende Stimmen. Champagny schlug Ende 1810 vor, dass es sinnvoller sein, ein geteiltes Polen unter einem sächsischen König zu errichten, als Russland anzugreifen. Vgl. Champagny an Napoleon, 16.11.1810, in: SIRIO 21, 1877, 204–213. 388 Vgl. Stackelberg an Rumjancev, 27.1./8.2.1811, in: VPR I/6, 41–43; Stackelberg an Košelev, 18./3.03.1811, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 270. 389 Vgl. Saint-Julien an Metternich, 10./22.2.1811, in: Michailovič, Alexandre, 387–397 und 397–402; Rumjancev an Stackelberg, 11./23.2.1811, in: VPR I/6, 78 f.

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geheimen Schreiben an Franz um österreichische Neutralität warb.390 In Metternichs Besitz befanden sich Kopien des Briefwechsels zwischen Czartoryski und Alexander über die Polen-Frage. Daher konnte der Außenminister gefahrlos ein doppeltes Spiel anlässlich der Unterzeichnung des Pariser Vertrags vom 14. März 1812 spielen. In diesem Vertrag sicherte er Napoleon für den Fall eines Krieges zwischen Frankreich und Russland ein österreichisches Kontingent von 30.000 Mann zu. Metternich traf allerdings Vorsorge, dass diese Truppen niemals das Feuer auf russische Soldaten richten konnten. Metternich war in Paris zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Krieg Frankreichs gegen Russland nur mit einem Sieg der französischen Waffen enden könne. Für den – im Grunde auszuschließenden – Fall, dass es doch anders kommen sollte, war dies die ‚Rückversicherung‘.391 Für den als wahrscheinlicher eingeschätzten Fall eines französischen Sieges hatte Österreich Waffenhilfe geleistet – für den als deutlich unwahrscheinlicher wahrgenommenen Ausgang eines russischen Sieges konnte sich die österreichische Diplomatie darauf berufen, dass bereits vor Beginn der Kampfhandlungen ein österreichisch-russisches Gefecht ausgeschlossen worden war. Eindeutiger war die Position Bernadottes. Nachdem Schwedisch-Pommern von Napoleon besetzt worden war, um die Einhaltung der Kontinentalblockade zu erzwingen, unterschrieb er am 5. April einen Allianzvertrag mit Russland, in dem er die schwedische Neutralität garantierte – im Gegenzug erhielt er eine russische Zusage, bei der Eroberung Norwegens Waffenhilfe zu leisten.392 Damit war spätestens im November 1811 für Alexander klar, dass ein Krieg gegen Napoleon unter Umständen nicht mehr zu vermeiden war.393 Dass bis zu den eigentlichen Kampfhandlungen noch eine ganze Weile Zeit verstreichen sollte, ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass beide Seiten nicht mit Eifer auf den sich abzeichnenden Krieg zusteuerten. Auch nach dem formalen Bruch Alexanders mit dem Kontinentalsystem beschränkte sich seine Politik auf Protestnoten nach Paris. Und auch dort war zunächst an keiner weiteren Eskalation gele-

390 Vgl. Sirotkin, Duel’, 324. 391 Vgl. Guillaume de Bertier Sauvigny, Metternich. Staatsmann und Diplomat im Zeitalter der Restauration. München 1996, 139–141; 145–147, vgl. außerdem Saint-Julien an Metternich, 31.3./12.4.1812, in: Michailovič, Alexandre, 498–504. Metternichs Position ist dargelegt in dem Hauptbericht über die Ergebnisse der Pariser Mission, Vortrag vom 17.1.1811, in Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 2, 405–420; vgl. auch Kraehe, Metternich’s German Policy, Bd. 1, 136–143. 392 Russisch-schwedischer Allianzvertrag vom 24.3./5.4.1812, in: VPR I/6, 318–324. Die Begründung des schwedischen Engagements durch die Besetzung Schwedisch-Pommerns in Art. IV, 319. In der Präambel wurden als Ziele genannt: „la nécessité urgente d’établir entr’elles un concert intime pour le maintien de la sûreté de leurs Etats respectifs et de l’indépendance du nord, que menacent également les vues ambitieuses et envahissantes de la France […].“, ebd., 318. 393 Vgl. Alexander an seine Schwester, 10.11.1811, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 57.

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gen.394 Noch im April 1812 wurde ein Vorschlag gemacht, den Krieg abzuwenden: Alexander machte über Kurakin das Angebot, Frankreich solle seine Truppen aus Preußen und Schwedisch-Pommern abziehen, sowie einen Teil der Garnison der Festung Danzig abrücken lassen. Sogar auf Oldenburg insistierte der Zar nicht mehr. Er war nun bereit, für eine nicht näher spezifizierte Kompensation auf die Rückgabe des kleinen Landes zu verzichten. Im Gegenzug versprach er, die Kontinentalsperre strikt einzuhalten.395 Dieses Angebot lässt sich als Politik deuten, die mit der überlieferten Balance of Power-Doktrin gänzlich übereinstimmte. In einer solchen Lesart wäre der territoriale Angelpunkt seiner Bemühungen im Frühjahr 1812 das polnische Gebiet. Selbst das so vehement verteidigte Herzogtum Oldenburg war offenbar – sollte es zum Schwur kommen – verzichtbar. Doch kann dieser Vorschlag auch anders gedeutet werden. Angesichts der vielfachen Bezüge auf einen stabilen europäischen Frieden als oberstes Ziel der Außenpolitik lässt sich die Kausalität hier mit größerer Plausibilität umdrehen. Der Zar war zur Rettung dieses Zieles sogar bereit, auf wichtige Forderungen zu verzichten. Insofern ist das Angebot an Napoleon wohl vielmehr ein Versuch, den Frieden um jeden Preis zu wahren. Als dieser Versuch keinerlei Früchte trug, war es schließlich nur noch der in Ungnade gefallene Rumjancev, der weiterhin auf den Gesandten einwirkte, mit Napoleon zu verhandeln. Dass die Zeichen dennoch auf Sturm standen, ließ sich für den aufmerksamen Beobachter nicht leugnen. Im Januar besetzte Napoleon Schwedisch-Pommern, Marschall Berthier wurde von Spanien zurück nach Frankreich beordert und zum Chef des Stabes ernannt, Murat kam aus Neapel und wurde Chef der Kavallerie. Und nun sank auch das französische Außenministerium endgültig zu einem Instrument der Militärverwaltung herab.396 Schließlich wurden Bataillone von Spanien in Richtung Osten verlegt. Von russischer Seite hingegen wurde weiterhin versucht, den Krieg mit allen Mitteln noch zu vermeiden. Der frisch ernannte Staatssekretär Nesselrode arbeitete einen Plan aus, demzufolge Frankreich seine Truppen aus Preußen abziehen und im Gegenzug eine Defensivallianz aus Österreich, Preußen und Russland den territorialen Status Quo garantieren sollte. Nesselrode war mit der Ernennung gewissermaßen als Kronprinz hinter Außenminister Rumjancev, dem letzten pro-französischen Berater Alexanders, in Stellung gebracht worden. Rumjancev hatte das Vertrauen Napoleons besessen und war daher in den Jahren vor der Eskalation von einiger Bedeutung

394 Vgl. Kurakin an Rumkancev, 1./13.1.1811, in: VPR I/6, 7f; Rumjancev an Kurakin, 6./18.1.1811, in: ebd, 11; ders. An dens., in: ebd, Nr. 4, 12 f.; Note Kurakins, 8./20.2.1811, in: ebd, 69 f. 395 Vgl. Kurakin an Maret, 18./30.4.1812, in: ebd, 382 f. Kurakin hatte wenig Erfolg mit seiner Mission und bat schon wenige Wochen später in Paris um seine Papiere. 396 Vgl. Edward A. Whitcomb, Napoleon’s diplomatic service, Durham, NC 1979, 78 f. Sinnfällig ist diese Abwertung des Ministeriums durch den Wechsel an der Spitze vom mahnenden Champagny zum eher unterwürfig gegenüber Napoleon auftretenden Hugues Maret.

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für die russisch-französischen Beziehungen.397 Sein Stern sank endgültig, nachdem er eine Anweisung des Zaren fehlerhaft ausgeführt hatte und von Alexander dafür abgemahnt worden war.398 In dem Wissen um den Krieg ließ sich die Politik in Sankt Petersburg von Großbritannien hofieren. Ein erstes Angebot für ein Bündnis aus London wurde mit dem Hinweis auf ein pacta sunt servanda abgelehnt: Russland sei bereit, unter allen Umständen an dem Bündnis mit Frankreich festzuhalten. Gleichzeitig unterbreitete Rodion Košelev allerdings ein Angebot mit Konditionen, zu denen die russische Seite bereit war, die Häfen wieder zu öffnen. Ein Frieden mit dem Osmanischen Reich solle zu russischen Gunsten entschieden werden, Schweden müsse weiterhin im Bündnis verbleiben, zudem sollte London die russischen Schulden in Holland übernehmen.399 Auch wenn zunächst noch keine Antwort auf die russischen Forderungen aus London eintraf, wurde auch die Organisation der Armee umgestellt und auf den Krieg ausgerichtet. Seit 1808 war Arakčeev als neuer Kriegsminister für den Ausbau der Armee verantwortlich, vor allem für die Reform der Infanterie, die das Rückgrat der russischen Armee bildete. Auch die Modernisierung der Artillerie verzeichnete große Erfolge. In einer Denkschrift an Alexander bescheinigte Gneisenau, der sich ansonsten skeptisch gegenüber den Erfolgsaussichten der russischen Armee zeigte, im Juni 1812, dass die Artillerie in einem exzellenten Zustand sei.400 Arakčeevs Gut Grusino organisierte er streng militärisch, um mit Hilfe einer entsprechenden Disziplin die Bauern zu Soldaten auszubilden, die notfalls die eigene Scholle verteidigen sollten. Zwar zeigte sich Alexander von dieser Idee in höchstem Maße angetan, doch mit der Ernennung Barclay de Tollys zum Kriegsminister im Januar 1810 reagierte er auf die aktuelle Situation, die schnelles Handeln erforderte und für langwierige Reformen der Rekrutierungsstruktur kei-

397 Zur Wertschätzung durch Napoleon vgl. den Bericht Metternichs an Franz II, 4.4.1810, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 2, 331–337, hier 335 und Napoleon an Alexander, in: Correspondance de Napoléon I, Bd. XVIII, Nr. 14778, 311; Grimsted, Foreign Ministers, 186–190 zeigt auf, dass Rumjancev sogar nach dem Überschreiten des Niemen nicht an einen Krieg Frankreichs gegen Russland geglaubt hatte. 398 Das Schreiben Alexanders ist abgedruckt: Russkij Archiv 7, 1869, 609–614. Vgl. auch Rumjancev an Alexander, 13./25.6.1812, in: VPR I/6, 444 sowie ders. an dens., 23.6./7.7.1812, in: ebd, 252 f. 399 Vgl. Alexander an Košelev, Sommer 1811, in: VPR I/6, 169; die Denkschrift Alexanders I. vom 26.1./7.2.1812, in: ebd, 270 f. Zu Schweden: Rumjancev an Nikolai, 29.1./10.2.1812, in: ebd, 273–275; Rumjancev an Alexander, 22.3./3.4. und ders. an Italinskij, 22.3./3.4, in: ebd., 315 f.; vgl. auch die Anweisungen Rumjancevs an Suchtelen vom 12./24.4.1812, in: ebd, 365–372 und dessen Antwort vom 28.4./10.5.1812, in: ebd, 389–391. 400 Diese Denkschrift ist abgedruckt bei Pertz, Gneisenau, Bd. 2, 285–308. Zu den Maßnahmen gehörte auch die Einführung von verbesserten Musketen (deren Herstellung dann allerdings hinter den planerischen Erwartungen zurückblieb) und die bessere Ausstattung der Soldaten mit Uniformen.

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nen Raum bot.401 Ein weiterer Faktor war, dass Arakčeev nie im Feld gestanden hatte und über keine militärischen Erfahrungen verfügte, während sein Nachfolger auf eine beachtliche aktive Laufbahn zurückblicken konnte. Er führte das begonnene Reformwerk seines Vorgängers weiter, das in dem berühmt gewordenen „gelben Buch“ mündete, einem umfassenden Regelwerk und Handbuch für die Armee.402 Barclay erkannte die Notwendigkeit, die Flanken zu schließen und schlug daher vor, die Linie Dvina-Dnepr zur Hauptverteidigungslinie auszubauen. Finnland sollte gegen eventuelle Angriffe aus Schweden verteidigt werden.403 Er führte die schiere Länge der westlichen Verteidigungslinie an, um Alexander und Rumjancev dazu zu bewegen, einen schnellen Frieden mit dem Osmanischen Reich zu schließen. Dieser Frieden wurde am 28. Mai 1812 in Bukarest geschlossen.404 Mit diesem Vertrag, der Russland im Osten die nötige Atempause verschaffte, obwohl er unter höchst widrigen Umständen zustande kam und sein Abschluß von den französischen Gesandten torpediert wurde, kamen Bessarabien und der schiffbare Arm der Donau unter russische Kontrolle.405 Vor allem aber löste der erst nach bangem Warten ratifizierte Vertrag die Armee Čičagovs im Süden von der Grenze zum Osmanischen Reich und machte sie für den Einsatz gegen Napoleon verfügbar. Das sollte allerdings nicht bedeuten, dass Pläne, ein von Russland abhängiges byzantinisch-slawisches Reich zu gründen, ganz der Vergangenheit angehörten, vielmehr wurden sie nur vorerst auf Eis gelegt. Čičagov, der sich selbst bereits in der Rolle des Vizekönigs eines solchen Reiches sah, sollte auf dem Balkan insgeheim verbreiten, dass die Pläne zu einem solchen panslawistischen Reiches avant la lettre nach dem Sieg über Napoleon weiterhin oberste Priorität für den Zaren hätten.406 Alexander nutzte die Eitelkeit des Admirals, indem er sich Čičagovs Ambitionen und agitatorisches Talent zu Nutze zu machte. Er hatte bereits einen

401 Vgl. Alexander an seine Schwester, Grusino, 7. Juni 1810, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 33 f. 402 Abgedruckt PSZ 31, Nr. 24975, 27.1.1812, 43–164. Vgl. Michael Josselson, The Commander. A life of Barclay de Tolly. Oxford 1980, 80–93. 403 Barclay de Tolly an Alexander, 22.1./3.2.1812, in: VPR I/5, 267 f. und ders. an dens., 12./24.02.1812 und 28.02./12.03.1812, in: ebd., 379. 404 Abgedruckt in VPR I/6, 406–417. Vgl. zum Frieden von Bukarest auch T. Juzefovič, Dogovory Rossii s vostokom. Političeskie i torgovye. Sankt Petersburg 1869; P. N. Miliukov, The case for Bessarabia. A collection of documents on the Rumanian occupation. London 1919. und F. Ismail, The Making of the Treaty of Bucharest, 1811–1812, in: Middle Eastern Studies 15, 1979, 163–192. Zur französischen Politik vgl. Germaine Lebel, La France et les principautés danubiennes. Du 16e siècle à la chute de Napoléon Ier. Paris 1955, 157–159. 405 Siehe für einen Überblick über die russische Balkanpolitik Jelavich, Entanglements, bes. 2– 18. Zur Mahnung Barclays, dass ein Frieden mit dem Osmanischen Reich die notwendige Voraussetzung für einen Krieg gegen Frankreich sei: Barclay de Tolly an Alexander, nicht früher als 22.1./3.2.1812, in: VPR I/6, 275–279; Obzor, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 14r– 17v. 406 Vgl. die Briefe Alexanders an Čičagov vom 6./18.6. und 22.6./4.7.1812, in: Voennoistoričeskij Sbornik. Sankt Petersburg 1911–1916, 2/3, 1912, 201–206.

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Plan erarbeitet, um einen slawischen Aufstand gegen die österreichische Herrschaft anzuzetteln, die österreichischen Kräfte zu binden und Napoleons Position an der Adria zu schwächen.407 Letztendlich hatte das im Geheimen gegebene Versprechen, dass sich österreichische Truppen nur pro forma an dem Feldzug beteiligen sollten, den Ausschlag dafür gegeben, diesen Plan wieder fallen zu lassen. Ab Oktober 1811 begannen konkrete Maßnahmen, um die russische Armee auf einen Krieg vorzubereiten. Das Rekrutierungssystem wurde modernisiert und die Anzahl der Rekruten pro Bevölkerungseinheit in den drei Rekrutierungskampagnen zwischen 1810 und 1812 deutlich von einem Rekruten pro 700 Einwohner auf zwei pro 500 Einwohner angehoben.408 Daneben wurden die Häufigkeit der Manöver erhöht sowie die Lager mit Waffen und Getreide gefüllt, um einen Krieg gegen Napoleon notfalls auch ohne Verbündete führen zu können.409 Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1705 und 1801 insgesamt 2,5 Millionen Rekruten eingezogen worden waren.410 1812 waren es allein 420.000.411 Auf diese Weise wurde im Verlauf des Jahres 1811/1812 eine schlagkräftige Armee von mehr als 500.000 Mann aufgebaut, wohingegen die Errichtung einer Befestigungslinie nicht mehr rechtzeitig abgeschlossen werden konnte.412 Als Gouverneur Moskaus wurde im März 1812 Rostopčin eingesetzt, wohl auch mit dem Ziel, die frankophobe Stimmung in der zweiten Hauptstadt des Reiches zu verstärken. Er zählte zu dem konservativen Kreis um Admiral Šiškov und dem Historiker Karamzin, die sich vor allem für eine starke Rückbesinnung auf vermeintlich „russische“ Werte stark machten, war dabei allerdings weitläufig gebildet und westlich erzogen worden – zudem ein Intimfeind Speranskijs gewesen. Rostopčin war bereits 1810 durch Vermittlung von Katharina in eine hochrangige Position am Hofe gelangt, nachdem sie ihn in ihrem Salon in Tver kennengelernt hatte. Katharina war es auch, die aktiv die Entlassung Speranskijs betrieb, so dass dieser am 17./29. März verbannt und durch Rosenkampf ersetzt

407 Vgl. Alexander an Barclay, 7./19.4.1812, in: Materialy voenno-učenogo archiva. Otečestvennaja voina 1812 goda. Sankt Petersburg 1900–1914 (hinfort: MVUA), 13, 181 f. sowie die Instruktion Alexanders an Čičagov, 9./21.4.1812, in: VPR I/6, 363–365. Ähnlich – wenn auch deutlich drastischer – argumentierte Rumjancev, der Alexander zum Patron der Slawen erklärte mit der Aufgabe, die slawischen Völker vor ihrer Versklavung durch Napoleon zu retten. Vgl. Rumjancev an Alexander, 5./17.6.1812, in: VPR I/6, 486–490, hier 487. Auch Rumjancev sah Čičagov für die Rolle des Anführers vor. 408 Vgl. Diana Josselson/Michael Josselson, Le Général Hiver. Paris 1986, 136. Für einen Überblick siehe John L. H. Keep, Soldiering in Tsarist Russia, in: Reddel, Carl W. (Hrsg.), Transformation in Russian and Soviet military history. Proceedings of the 12. Military History Symposium United States Air Force Academy 1–3 October 1986. Washington, D.C. 1990, 5– 20. 409 Dies das argumentative Mantra Barclays – explizit in dem Memorandum vom 22.1./6.2. 410 Vgl. John L. H. Keep, Soldiers of the tsar. Army and society in Russia 1462–1874. Oxford 1985, 145. 411 Vgl. Ljubomir G. Beskrovnyj, The Russian army and fleet in the nineteenth century. Handbook of armaments, personnel and policy. Gulf Breeze, Fla. 1996, 145. 412 Zu den Zahlen vgl. Josselson/Josselson, Général Hiver, 138.

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wurde. Sie war es ebenso, die sich für Rostopčin einsetzte, auch wenn Alexander zuerst gegen ihren Günstling eingenommen war, da er nicht über entsprechende militärische Erfahrungen verfügte. Da es sich allerdings bei dem Posten im Grunde um ein Ehrenamt handelte, gab er schließlich nach.413 Grundlage der Entlassung waren die von Polizeiminister Balachov vorgebrachten Anschuldigungen, Speranskij habe Russland an Napoleon verraten. Zwar beruhten diese Anschuldigungen auf fingierten Beweisen, doch war die Verhaftung eine wirkungsvolle Geste, da Speranskij in den Hofkreisen aufgrund seiner Frankophilie und seiner Bewunderung für Napoleon verhasst war.414 Joseph de Maistre hatte sich kritisch geäußert, und die Schwester des Zaren hatte Karamzin zu seiner „Notiz über das alte und neue Russland“ ermutigt, wobei sie ihm für die gegen Speranskij gerichteten Passagen sogar Dokumente überließ, die sie von Alexander erhalten hatte. Zudem hatte sich Speranskij in Briefen, die von Balachovs Polizei abgefangen worden waren, mehr und mehr kritisch und distanziert gegenüber Alexander gezeigt. Und die am weitesten gehende Schrift aus dem intriganten Kreis stammte von Fedor Rostopčin. In seiner „Notiz über die Martinisten“ glaubte er einer von Napoleon selbst beauftragten freimaurerischen Verschwörung auf die Spur gekommen zu sein, deren Koordinator in Russland niemand anderes als Speranskij war.415 Speranskij selbst wurde noch am Abend seiner Verhaftung zusammen mit einem engen Vertrauten ins Exil nach Nižnij-Novgorod verbannt. Dieser Akt hatte eine eminent symbolische Bedeutung und wurde am Hof entsprechend aufgenommen. Speranskijs Verbannung galt als erster Sieg in dem sich abzeichnenden Krieg gegen Frankreich. Ein anderer Aspekt der Kriegsvorbereitungen kam auf Vorschlag Barclay de Tollys zustande. Er schlug im Februar 1812 vor, gezielt nationale Sentiments der russischen Bevölkerung zu wecken, um so für den bevorstehenden Krieg gewappnet zu sein.416 Offensichtlich hatte die russische Generalität auch in dieser Hinsicht von Napoleon gelernt. Das Manuskript zu der „Notiz“ Karamzins war ursprünglich nicht dafür geschrieben worden, in einer größeren Öffentlichkeit verbreitet zu werden. Katharina hatte den Historiker dazu angehalten, den Text ausschließlich mit ihrem Bruder zu diskutieren. Stellte das Werk in erster Linie eine Argumentation dar, die Monarchie als Regierungsform zu verteidigen, so sparte sein Verfasser gleichzeitig nicht mit Kritik an der Außen- und Innenpolitik Alexanders.417

413 Vgl. A. Ja. Bulgakov, Vospominanija o 1812 gode o večernych besedach u grafa Fjodora Vasileviča Rostopčina. Moskau 1904, 2 f. 414 Alexander wusste sehr wohl, dass Speranskij unschuldig war. Siehe den Brief an Golicyn, in: Alexandre Arkhanguelski, Alexandre Ier. Le feu follet. Paris 2000, 194. Daher wurde das Exil so angenehm wie möglich gestaltet. Speranskij durfte seine Titel und Orden behalten, ein Prozess gegen ihn hat nicht stattgefunden. Stattdessen wurde er 1816 Gouverneur von Penza und 1819 Generalgouverneur von Sibirien. 415 F. V. Rostopčin, Zapiska o martiniskach, predstavlennaja v 1811 gody grafom Rostopčinym velikoi kniagine Ekaterine Pavlovne, in: Russkij Archiv 9, 1875, 75–81, hier 80 f. 416 Vgl. Barclay de Tolly an Alexander, nicht früher als 22.1./3.2.1812, in: VPR I/6, 275–279. 417 Siehe v. a. die Passagen in Karamzin, Memoir, 147–167.

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Die Ernennung des Admirals zum Nachfolger Speranskijs war gleichzeitig ein Signal zur Rückbesinnung auf vermeintlich ur-russische Werte und fügt sich in die Blut-und-Boden-Propaganda des Jahres 1812 ein, die nun auch eine Entsprechung in personeller Hinsicht fand. Neben Šiškov wurde auch der ehemalige Erzieher des Zaren Saltykov – beinahe die 80 erreichend – reaktiviert und zum Präsidenten des Reichsrates ernannt.

Erst seit der Zeit, wo mir das Christenthum über Alles wichtig und der Glaube an den Erlöser in seiner Kraft fühlbar geworden, ist – wie danke ich’s Gott – Friede in meine Seele gekommen.1

III. ANNUS MIRABILIS 1812 ist vor allem in der russischen Geschichtsschreibung schnell zu einem nationalen Mythos erhoben worden. Das russische Volk hatte sich – gemäß der offiziellen zaristischen Deutung – um den Thron versammelt und die heilige russische Erde von den fremden Aggressoren bereinigt. Angeführt wurde das Volk dabei vom Adel.2 Die Geschichte der napoleonischen Kampagne in Russland ist eine der wohl am häufigsten dargestellten Episoden der Neuzeit. In den einhundert Jahren bis 1912 sind allein in Russland ungefähr 15.000 Bücher und Aufsätze erschienen, die sich diesem Thema widmen.3 Der Krieg – aus französischer Perspektive schlicht der „Russlandfeldzug“, aus russischer Perspektive der „Vaterländische Krieg“ hat wie kein anderes Ereignis der russischen Geschichte seine Spuren im Schrifttum hinterlassen: Bereits 1908 zählte eine Bibliographie 70.000 Quellen und Abhandlungen. Eine Drucklegung in 8 Bänden scheiterte, es wurden nur die ersten beiden verlegt.4 Bis 1994 soll die Zahl der Veröffentlichungen auf über

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Alexander gegenüber Bischof Eylert im Jahr 1818. R[ulemann] Fr[iedrich] Eylert, CharakterZüge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III. Zweiter Theil. Magdeburg 1845, Bd II, Abt. 2, 246. Vgl. V. I. Semevskij, Volnenija krest’jan v 1812 g.i svjazannyja s otečestvennoj vojnoj, in: Otečestvennaja vojna 5, 1912, 75–81; Paul I. Trensky, The Year 1812 in Russian Poetry, in: The Slavic and East European Journal 10, 1966, 283–302; Nikolaj Alekseevič Troickij, 1812 g i russkaja Literatura XIX veka. Moskau 1998; Nikolaj Alekseevic Troickij, 1812. Velikij god Rossii. Moskau 2007. und grundlegend I. A. Šein, Voina 1812 goda v otečestvennoj istoriografii. Moskau 2002. Diese nationale Deutung fand ihre Entsprechung beispielsweise in der Memorialliteratur für 1813 auf preußischem Boden, die um den Aufruf Friedrich Wilhelms III. „An mein Volk!“ vom 17.3.1813 und die „Völkerschlacht“ herum gerinnen. Diese Zahl nach Troickij, Otečestvennaja vojna, 3. Vgl. Friedrich M. Kircheisen, Bibliographie des napoleonischen Zeitalters. Einschließlich der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Hildesheim u.a. 1977.

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400.000 angestiegen sein.5 Wie viele es heute sind, vermag man nicht einmal mehr zu schätzen.6 Dennoch gibt es nach wie vor weiße Flecken auf der historiographischen Landkarte, vor allem, was die Rolle Russlands betrifft.7 Die nationalen Historiographien sind häufig genug der Versuchung erlegen, die Ereignisse der napoleonischen Kriege zur nationalen Mythisierung zu nutzen. Der russische Anteil am Ausgang des Krieges wurde – so der verallgemeinerte Befund für die westliche Geschichtsschreibung – zu gering veranschlagt.8 Bis in die 1990er Jahre hinein wurde eine seriöse Beschäftigung mit der russischen Perspektive durch die Unzugänglichkeit der Archive und ihrer Bestände erheblich erschwert und auch heute sind der Forschung in Moskau wieder engere Grenzen gesetzt.9 1. DIE KAMPAGNE Von einem überraschenden Angriff Napoleons, auf den das russische Reich nicht vorbereitet gewesen sei, kann keine Rede sein. Die Kriegsplanungen begannen bereits im Jahr 1810 mit dem erwähnten Memorandum Barclays, in dem er sich dafür stark machte, die Westgrenze stärker zu befestigen und besser zu verteidi5 6 7

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Vgl. Nikolaj Alekseevič Troickij, Aleksandr I i Napoleon. Moskau 1994, 5. Die Darstellung in diesem Kapitel orientiert sich im Wesentlichen an Lieven, Russia against Napoleon. Vgl. für einen Überblick auch Dominic Lieven, Russia and the Defeat of Napoleon (1812– 14), in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 7, 2006, 283–308; Alexander M. Martin, The Russian Empire and the Napoleonic Wars, in: Dwyer, Philip G. (Hrsg.), Napoleon and Europe. Harlow 2001, 243–263 und Bezotosnyj, V. M. (Hrsg.), Otečestvennaja vojna 1812 goda. Ėnciklopedija. Moskau 2004. und Nikolaj Alekseevich Troitskii, The Great Patriotic War of 1812: A History of the Subject, hrsg. von Donald J. Raleigh, in: Russian Studies in History, 32, 1993, 6–94. Ein Grund mag auch sein, dass die Untersuchung einer so dezidiert nicht modernen Armee im Vergleich zu den Armeen Frankreichs und Preußens wenig Erkenntnisgewinn versprach. Siehe Christopher Duffy, Borodino and the war of 1812. London 1999. Vgl. auch das eindrucksvolle Werk von Zorin, Kormja, bes. 206 f. Vgl. zur militärhistorischen Einschätzung Janet M. Hartley, Russia, 1762–1825. Military power, the state, and the people. (Studies in military history and international affairs.) Westport, Conn. 2008, John P. LeDonne, Grand Strategy; Émile Marco de Saint-Hilaire, Napoléon en Russie. Histoire de la campagne de Russie pendant l’année 1812 et de la captivité des prisonniers français en Sibérie et dans les autres provinces de l’Empire. Paris 2003; Paul B. Austin, 1812. The march on Moscow. London 1993; Richard K. Riehn, 1812. Napoleon’s Russian campaign. New York 1990; Elise K. Wirtschafter, From serf to Russian soldier. Princeton NJ 1990; Nigel Nicolson/Irene Riesen, Napoleon in Russland. Zürich 1987; Keep, Soldiers, sowie nach wie vor auch Tarlé, Napoleon. Das Interesse an Napoleon ist ungebrochen. Hier ist die Fülle an Biographien wenig zu überschauen. Vgl. einführend die Biographien von Georges Lefebvre, Napoleon. Stuttgart 32004. und Willms, Napoleon, zu der Kriegsführung vgl. Robert M. Epstein, Napoleons Last Victory and the Emergence of Modern War. 1995. Erstaunlicherweise sind auch aus russischer Perspektive wenig Forschungen in den letzten Jahrzehnten zum Vaterländischen Krieg erschienen, so dass nach wie vor die Lektüre der „Klassiker“ notwendig ist: Modest I. Bogdanovič, Istorika otečestvennoj voiny 1812 goda. Sankt Petersburg 1859. mit ähnlichen Darstellungen der Kampagnen 1813 und 1814.

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gen.10 Entscheidend für den Ausgang des Krieges sollte sein, dass zum einen die russische Führung diesmal exzellent vorbereitet war, einen Krieg auf russischem Boden zu führen. Zum anderen hatten Arakčeev und Barclay aus den Mängeln der Kriege 1806/07 gelernt und die Armee von Grund auf modernisiert sowie das Verhalten im Feld trainiert. Es war also nicht „General Winter“, der den Krieg gewonnen hatte. Denn diese Veränderungen im russischen Heereswesen – zu denen auch die erstmalige Einrichtung eines echten Generalstabes gehörte – sind von Napoleon systematisch unterschätzt worden.11 Dieser hatte sich entschieden, an der Spitze seiner Armee nach Russland zu marschieren, ganz offensichtlich in der Hoffnung auf eine baldige Entscheidungsschlacht –, vergleichbar mit Austerlitz und Friedland – die Alexander zur Kapitulation zwingen würde. Damit hätte er freie Hand gehabt, um sich endgültig England zuzuwenden. Und dieses Kalkül sollte sich letztlich als fatal erweisen. Während der Monate, in denen der Krieg näher rückte, unternahm Alexander allerdings nichts, was Napoleon einen Vorwand liefern konnte, in Russland einzumarschieren. Dies beinhaltete auch, dass die russische Armee nicht demonstrativ vergrößert wurde. Im Unterschied zur etwa eine halbe Million Mann starken „Grande Armee“ umfasste sie gerade einmal 242.000 Soldaten.12 Dazu gehörte auch, dass ein Bündnis mit Großbritannien vermieden wurde. Britische Truppen hatten die französische Armee in Spanien gebunden, und zusätzlich lieferte London im Winter 1812/13 wertvolle Hilfe in Form von 101.000 Musketen.13 Anfang 1812 dachte Alexander über ein Umklammerungsbündnis mit Spanien nach. Seit 1810 gab es einen einigermaßen dichten Austausch zwischen dem spanischen Gesandten in Sankt Petersburg, Francisco Zea Bermudez und Košelev, der über die reine Zwecknotwendigkeit einer Allianz gegen Frankreich deutlich hinausging.14 Ein solches Unterfangen wurde zwar im Vertrag von Velikie Lukie am 20. Juli vertraglich fixiert, es kam in der Folge allerdings zu keiner konzertierten militärischen Aktion.15 Mit diesem aus der Not geborenen Vertrag war die Anerkennung der Cortes-Verfassung durch die Hintertür vollzogen worden. Dieser Schritt 10

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Abgedruckt in: MVUA, Bd. 1. Nr. 1, 1–6. Insofern ist McConnell, Alexander, 92 zu widersprechen, der keinerlei taktische Vorbereitungen bis zum unmittelbar bevorstehenden Angriff erkennen kann. Vgl. zu den militärischen Vorbereitungen und Reformen Lieven: Russia against Napolen, Kap. 4: Preparing for war, 102–137. Paul Schroeder ist zuzustimmen: „The Russians in some ways conducted their wartime poltics as skilfully as Napoleon had bungled his.“ (Schroeder, Transformation, 448). Die Zahlen bei V. Švedov, Komplektovanie, čislennost’ i poteri russkoj armii v 1812 godu, in: Naročnickij, Aleksej Leont’evič (Hrsg.), Bessmertnaja ėpopeja. k 175-letiju Otečestvennoj vojny 1812 g. i Osvoboditel’noj vojny 1813 g. v Germanii. Moskau 1988, 120–139. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 90. Vgl. die Briefe in RGADA, f. 15, op. 1, d. 269, vor allem Košelev an Alexander, 23.8.1810, Nr. 5, 3r f. Vgl. Alexander an Košelev, 26.01.1812, in: Michailovič, L’Empereur , Bd. 2, 5f; der Vertrag zwischen Russland und Spanien von Velikie Luki, 08./20.07.1812, in: VPR I/6, Nr. 202, 495 f.

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nötigte die russische Regierung zu einigen Rechtfertigungsanstrengungen, denn ein Vertrag mit einer revolutionären Regierung war mit keinem der Prinzipien russischer Außenpolitik vereinbar. Daher wurde die Hintertür offen gelassen, dass der Vertrag zwar von der revolutionären Regierung Spaniens unterzeichnet worden war, dies aber in Vertretung des legitimen Herrschers, der aufgrund seiner Gefangenschaft nicht unterzeichnen konnte.16 Entscheidender für den bevorstehenden Krieg waren daher gute Beziehungen zu Preußen und Österreich. In Wien sah eine starke Fraktion in Russland eine weitaus größere Bedrohung als in Frankreich, zudem hatte Franz II. seine Tochter mit Napoleon verheiratet und musste, um die Existenz Österreichs nicht zu gefährden, ein gegen Russland gerichtetes Bündnis mit Frankreich eingehen. Insofern war die Situation von der Perspektive Wiens aus durchaus vergleichbar mit der russischen Lage in und nach Tilsit.17 Preußens Stellung war nicht weniger prekär. Von französischen Truppen umzingelt, war Hoffnung auf ein russisch-preußisches Bündnis nur dann gegeben, wenn Alexander den Bitten Friedrich Wilhelms nachkam, ein unabhängiges Königreich Polen zu errichten, um so die östliche Flanke geschlossen zu halten.18 Zwar hatte Alexander mit Czartoryski eine solche Option diskutiert, doch letzten Endes hatten die Überlegungen zu nichts geführt. In den beiden Jahren vor Ausbruch des Krieges wurde von den einflussreichen Generalen in Russland eine offensive Taktik vorgeschlagen, denn nur auf diesem Wege bestand überhaupt Hoffnung, Preußen als verbündeten Staat zu gewinnen und gleichzeitig Napoleon zuvorzukommen, polnische Truppen gegen Russland zu mobilisieren.19 Zum weiteren Ausbau der Beziehungen sandte Alexander seine „Allzweckwaffe“ Alopeus im Frühjahr 1813 als Gesandten nach Berlin. Ihm wurden detaillierte Anweisungen mit auf den Weg gegeben, die sowohl eine Liste mit wichtigen Personen enthielten, als auch Hinweise, wie am besten mit diesen Personen umzugehen sei.20 Als politischer Grundsatz erläuterte der Zar, dass eine Interessenskonvergenz zwischen den alliierten Staaten hergestellt werden sollte. Damit war weitaus mehr 16

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Vgl. Obzor, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 586, 54v–56r. Vgl. grundsätzlich Enno E. Kraehe, The strange Relationship of Spain and Russia 1812–1823, in: Clemens (Hrsg.), Nation und Europa, 67–87, hier 68 f. Vgl. Stackelberg an Rumjancev, 29.04./11.05.1812, in: VPR I/6, 393 f. Vgl. Friedrich Wilhelm III. an Alexander I, 30.04/12.05.1812, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 196, 214–218. Vgl. etwa das Memorandum Barclays, Januar 1811, in: MVUA, Bd. VII, Nr. 16, 187–189 und sowie den taktischen Plan Bennigsens vom Februar 1811, in: ebd, Bd. 2, 83–93. Eine offensive Strategie hätte zudem den „Vorteil“ gehabt, dass die Kriegskosten von polnischen Gebieten zu tragen gewesen wären und das Großherzogtum Warschau sowie die angrenzenden Gebiete hätten Napoleon nicht als Aufmarschgebiet gedient. Für weitere Diskussionen um die Strategie sie Lieven, Russia against Napoleon, 126–133. Die Anweisungen: Alexander an Alopeus, 26.03./07.04.1813, in: VPR I/7, Nr. 56, 137–141. Von besonderer Bedeutung war nach wie vor der 1807 „à la suite“ gesandte Major Schöler, der einen weiteren belastbaren Kommunikationskanal zwischen Sankt Petersburg und Berlin offen hielt.

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gemeint, als eine Abstimmung im Hinblick auf politische Nahziele – vielmehr sollten die Grundinteressen der jeweiligen Politik auf eine Art und Weise harmonisiert werden, dass aus gemeinsamen Voraussetzungen und Anschauungen internationaler Beziehungen automatisch eine Übereinstimmung in der Wahl der Mittel folgen musste. Eine solche Vereinbarung, die die Grundlagen des Miteinanders berührte und veränderte, war in der Diktion des Zaren ein „System“. Integraler Bestandteil dieses speziellen „Systems“ sollte Offenheit im Umgang miteinander sein. Auf diese Weise, durch das Herstellen von konvergenten Interessen wäre eine umfassende Allianz, die keinerlei Partikularallianzen erforderlich machen würde, hergestellt. Der „Vaterländische Krieg“ wurde von Alexander und seinen Beratern auf eine längere Zeit geplant. Dies war möglich, weil die beiden wichtigsten und letzten Endes auch kriegsentscheidenden Ressourcen, Pferde und Menschen, relativ kostengünstig und in größerer Zahl zur Verfügung standen.21 Ein russischer Soldat verdiente beispielsweise ein Elftel seines englischen Pendants, und das auch nur, wenn er in Silberkopeken bezahlt wurde. Zudem war die Ernährung der russischen Soldaten, die hauptsächlich aus Mehl und Grütze bestand, im Kriegsfall ergänzt um Vodka und etwas Fleisch, deutlich kostengünstiger als in den meisten anderen europäischen Armeen.22 Hinzu kam, dass das im europäischen Vergleich rückständig wirkende Aushebungssystem, das junge Männer für 25 Jahre an die Armee band, dazu führte, dass eine weitaus höhere Loyalität der Soldaten zu ihren Einheiten ausgebildet wurde, diese waren zum Ersatz der Heimat geworden.23 Wenn die Soldaten in Papierkopeken bezahlt wurden, wie es ab 1812 üblich war, dann verdienten sie realiter nur noch ein gutes Vierzigstel ihrer europäischen Kollegen. Kostenersparnis war bitter von Nöten, denn das an sich schon hoch verschuldete Land – die Staatsschulden lagen bei Ausbruch der Französischen Revolution deutlich über denen von Österreich oder Preußen – durchlitt in der Folge der napoleonischen Eroberungen eine massive Finanzkrise. Das Haushaltsloch wurde zunächst durch Kredite, vor allem bei niederländischen Banken, finanziert, doch nachdem die Niederlande von Napoleon erobert und die Finanzmärkte damit geschlossen worden waren, stand diese Möglichkeit nicht mehr offen. Somit wurde zum Mittel der Ausgabe von mehr Papierrubeln gegriffen und eine ernstzunehmende Inflation war die Folge. Der Wert eines Papierrubels sank in der Folge bis 1812 auf ungefähr ein Viertel des Wertes eines Silberrubels.24 Auf dem Höhepunkt der napoleonischen Invasion brach die russische Verwaltung weitestgehend zusammen. Zwar konnten basale administrative Funktionen

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Genaue Angaben über die Bevölkerungszahlen Russlands können nur schwer gemacht werden, da es keine verlässliche statistische Erhebung gab. Die Zählung in den offiziellen Statistiken war an das Ableisten des Militärdienstes gekoppelt. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 25 f. Vgl. ebd., 40 f. Vgl. für einen Überblick Peter Waldron, State Finances, in: Lieven (Hrsg.), Cambridge History, 468–488.

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erhalten bleiben, aber beinahe alle ordnungsstiftenden Funktionen, wie Polizei und Verwaltung jenseits der Machtzentren, waren nicht mehr gewährleistet.25 Dass das Imperium und mit ihm die soziale Ordnung nicht kollabiert sind, ist wohl auch dem Umstand zuzuschreiben, dass Napoleon grundsätzlich kaum Interesse an der Auflösung des Reiches zeigte. Seine Erwartung, dass die Bauern zu ihm als Befreier strömen würden, sobald er im Kreml angekommen war, sollte sich allerdings nicht erfüllen.26 Als Kutuzov 1812 wieder an die Spitze der Armee gerufen wurde, gab es mancherlei aufzuräumen: Marodeure waren anzutreffen, und die Disziplin ließ stark zu wünschen übrig.27 Dies hatte er innerhalb von nur wenigen Monaten grundlegend geändert, so dass selbst bei den russischen Rückzügen eine beispiellose Disziplin an den Tag gelegt wurde, die der französischen Armee nur wenig Raum für Beute ließ.28 Und tatsächlich scheint Alexander von Anfang an einen einigermaßen kohärenten Plan besessen zu haben, wie mit dem Aggressor umzugehen sei. Bereits im August 1811 erklärte er gegenüber dem österreichischen Gesandten Saint-Julien die Taktik, dass Napoleon sich in der Weite des Landes „totlaufen“ solle.29 Um Napoleon von einer Invasion abzuhalten, malte der Zar in einem Vier-AugenGespräch mit Caulaincourt die Folgen eines solchen Krieges in düsteren Farben.30 Die gegenüber Saint-Julien ausgebreitete Strategie wiederholte Alexander Mitte Mai 1805 in einem Brief an Friedrich Wilhelm III.: […] le système de guerre qui peut promettre le plus vraisemblablement cette réussite doit être le seul adopté. Tel me parait être d’éviter soigneusement les grandes batailles en organisant de très longues lignes d’opérations pour des mouvements retrogrades, aboutissant à des camps retranchés où la nature joint à l’art de l’ingénieur ajouterait auf forces qu’on aurait à 25 26

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Vgl. Janet M. Hartley, Russia in 1812, Part II. The Russian Administration of Kaluga Gubernija, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 38, 1990, 399–416, hier 416. Vgl. Semevskij, Volnenija krest’jan, hier 78. Caulaincourt bezeichnete die Idee der Befreiung der Sklaven als Drohung: de Caulaincourt, Mémoires, Bd. 1, 287. Janet Hartley hat in einer Lokalstudie gezeigt, dass ein solcher Plan auch nicht umsetzbar gewesen wäre: Janet M. Hartley, Russia in 1812. Part I: The French Presence in the Gubernii of Smolensk and Mogilev, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 38, 1990, 178–198. Dennoch war die Angst vor einem solchen Schritt weit verbreitet. So auch der Sekretär von Alexanders Frau, Longinov, an R. Voroncov, 28.7.1812, in: Russkij Archiv 4, 1912, 481–547, hier 490. In der Korrespondenz Alexanders findet sich allerdings kein Hinweis auf Angst vor einem solchen Szenario. Vgl. Kutuzov an Alexander, 19./31.8.1812, in: Val’kovič, A. M./Kapitonov, A. P. (Hrsg.), Borodino. Dokumental’naja chronika. Moskau 2004, 24 f. Vgl. Lieven, History, 291 f. Vgl. Saint-Julien an Metternich, 13.8.1811, in: Wilhelm Oncken, Oesterreich und Preußen im Befreiungskriege. Urkundliche Aufschlüsse über die politische Geschichte des Jahres 1813. Berlin 1876/1879, Bd. 2, Nr. 30, 611–614. Ähnlich auch gegenüber dem bayerischen Gesandten am 1.10.1811, vgl. Ursula Seyffarth, Zur Außenpolitik des Staatskanzlers Freiherrn von Hardenberg von 1810–1812. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Befreiungskriege, Würzburg 1939, zugl. phil. Diss. Berlin 1939, 51. Vgl. Cate, War, 23.

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Annus mirabilis opposé aux talents de l’ennemi. Ce système est celui qui a rendu victorieux Wellington en épuisant les armées françaises, et c’est celui que je suis résolu de suivre.31

Zwei Tage später schlug Alexander vor, dass der preußische König ebenso verfahren und Lager an der Küste errichten solle, damit sie seeseitig von England versorgt werden könnten.32 Damit überließ er das preußische Gebiet dem französischen Angriff und somit konnte es niemanden verwundern, dass der preußische Monarch nach der französischen Hand griff, die ihm ausgestreckt wurde.33 Damit waren Preußen und Österreich zunächst – trotz anderslautender Beteuerungen – für Russland verloren. Auch wenn ein Großteil der Generalität sich in den Jahren 1810–1812 für einen offensiven Feldzug ausgesprochen hatte, so hielt sich der Zar sehr eng an einen Plan, der in weiten Teilen auf die Vorschläge General Karl von Pfühls zurückging, eines ehemaligen preußischen Stabsoffiziers, der seit 1806 in russischen Diensten stand und eine streng defensive Taktik ausgearbeitet hatte.34 Dabei war Alexander weitsichtig genug, zumindest im privaten Rahmen mit seiner Schwester die Möglichkeit zu diskutieren, dass Moskau und Sankt Petersburg von Napoleon eingenommen werden könnten.35 Daran geglaubt haben wird er freilich nicht, auch wenn es geheime Pläne gab, die engste Familie des Zaren bis an die Volga zu evakuieren. Endgültig bestätigt sah sich Alexander, als ihn die Nachricht über das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich erreichte. Nun bestand die Gefahr, dass bei einer offensiven Strategie eine österreichische Armee über Galizien nach Russland einmarschieren könnte.36 Diese Überlegungen wurden allerdings mit dem Einmarsch der Grande Armée am 24. Juni 1812 hinfällig. Ihr standen drei russische Armeen gegenüber, die zusammen auf etwa 242.000 Mann kamen: 136.000 in der Ersten Armee unter Barclay de Tolly, 57.000 unter Pëtr Bagration in der Zweiten Armee, schließlich 48.000 unter Tormasov.37 Der Zar verbrachte die erste Zeit des Feldzugs in der Nähe von Vilna im Hauptquartier Barclays. Beide vertraten die Auffassung, dass eine defensive Taktik das probate Mittel gegen Napoleon sei, beide waren sich aber auch darin einig, dass diese nicht allzu deutlich benannt werden solle, um die Ordnung innerhalb

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Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 14.05.1811, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 189, 219–222, Zitat 221. Die Taktik erinnert nicht zufällig an diejenige, die Fabius „Cunctator“ gegenüber Hannibal in Italien siegreich verfolgt hatte. Vgl. Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 16.5.1811, in: ebd, Nr. 199, 222–224, bes. 223. Vgl. Friedrich Wilhelm III. an Alexander I, 2./14.7.1812, in ebd, Nr. 201, 225–229 und deran dens, 15./27.8.1812, in: ebd, Nr. 202, 229–231. Vgl. v. a. Viktor M. Bezotosnyj, Razvedka i plany storon v 1812 godu. Moskau 2005, 85– 105. Vgl. Alexander an Katharina, 18.9.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 86–93. Vgl. Alexander an Barclay de Tolly, 7./19.4.1812, in: MVUA, 16, Nr. 2, 180 f. Bereits um Ostern 1811 war allerdings die Einsicht getroffen, dass der Krieg nicht von russischer Seite aus begonnen werden sollte, v. a, um nicht den österreichischen Bündnisfall zu provozieren. Vgl. Alexander an Košelev, um Ostern 1811, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 860, 36. Švedov, Komplektovanie, 125. Eine gute Darstellung der Grande Armée bei Zamoyski, Moscow, 78–103.

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der Armee nicht zu gefährden.38 Offenbar hatte der Zar seine desaströse militärische Erfahrung im Feld teilweise vergessen, denn bis zu seiner Abreise nach Moskau am 19. Juli mischte er sich tatkräftig in die militärischen Entscheidungen ein: Alle Berichte mussten auch in Kopie an ihn gehen, er gab zudem Befehle, die nicht selten denen Barclays widersprachen, und setzte sich auch in Personalangelegenheiten über den Kopf des Generals hinweg.39 Verbunden mit dem strukturellen Problem der Armeeführung, dass es keinen obersten Befehlshaber gab, erschwerte dies den Beginn der Kampfhandlungen auf russischer Seite. Die Nachricht vom Angriff erreichte Alexander bei einem Ball in Bennigsens Landhaus. Seit Tagen hatte der Geheimdienst genaue Informationen über Ort und Zeit geliefert, und Manifeste, die Armee und Bevölkerung auf den Krieg einschwören sollten, waren bereits gedruckt. Eine formale Kriegserklärung war zwar in Moskau angelangt, aber dem Zaren noch nicht unter die Augen gekommen.40 Wohlweislich hatte Napoleon diesen Feldzug in seiner Ansprache an die Armee als „deuxième guerre de Pologne“ bezeichnet. Er vermied damit jegliche Reminiszenz an die geografische Situation und die Gefahren, die aus einem Krieg entstanden, der möglicherweise bis in den Winter hinein in einem kaum zu vermessenden Raum ausgetragen wurde. Zudem hatte der erste „polnische Krieg“ in Tilsit siegreich geendet und somit konnte an dieses Erlebnis propagandistisch angeknüpft werden.41 Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges wurde General Balašev zu einer Friedensmission in das napoleonische Hauptquartier entsandt. Zweites Ziel dieser Mission war, detailliertere Informationen über den Zustand der französischen Armee zu erhalten, und zu diesem Zweck wurde ein Spion, der junge Offizier Michail Orlov, ebenfalls nach Vilna geschickt. Zwar wurde Balaševs Ansinnen von Napoleon abgelehnt, aber das eigentliche Ziel der Mission war dennoch erreicht worden. Nach der Rückkehr wurde Orlov von Alexander empfangen und als Lohn für seine Erfolge nach einem Vier-Augen-Gespräch befördert.42 Der aufgrund dieser Informationen begonnene Rückzug in das Lager bei Drissa sollte sich als strategisch ungünstig erweisen, und so begann ein weiterer Rückzug nach Vitebsk.43 Gleichzeitig drängten Arakčeev, Šiškov und Aleksandr

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Alexander mißtraute zudem der militärischen Leistung Bagrations. Vgl. Alexander an Katharina, 18./30.9.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 86–93. Die Äußerung zur Ruhe und Ordnung in der Armee: Alexander an Barclay, 24.11./6.12.1812, in: Voennyj Sbornik 47/1, 1904, 231–233. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 144. Auch von russischer Seite wurde eindeutig festgelegt, wann der Krieg anfange: sobald Kurakin in Paris seine Papiere erhalten habe. Vgl. dazu Obzor., in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 37r. Dennoch kann man in der russischen Literatur immer noch lesen, dass es keine Kriegserklärung gegeben habe – wohl auch, um die Parallelen zwischen dem „Vaterländischen Krieg“ von 1812 und dem „Großen Vaterländischen Krieg“ deutlicher zu machen. Vgl. Nikolaj Alekseevič Troickij, Rossija v XIX veke. Kurs lekcij. Moskau 1997, 37. Vgl. Napoléon, Correspondance, Bd. V, 535 f. Vgl. Lieven: Russia against Napoleon, 149. Vgl. Zamoyski, Moscow, 170–173.

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Balašev darauf, dass sich der Zar in eine der Hauptstädte begeben solle, um von dort aus die nötigen Ressourcen des Landes zu mobilisieren und gleichzeitig auf die Moral der Bevölkerung einzuwirken.44 Am 19. Juli, noch im Lager von Drissa, ließ Alexander ein Manifest entwerfen, das stilbildend für die weitere Propaganda und auch die spätere russische Deutung werden sollte. In diesem Manifest wurden geschickt patriotische Sentiments mit religiösen Empfindungen zu einer einheitlichen Textur verwoben.45 Bei seiner Abreise mahnte er noch einmal Barclay und Bagration, Zeit zu gewinnen, um die französische Armee auszuzehren.46 Bagration hatte zunächst andere Pläne. Er wandte sich an den Zaren mit dem Vorschlag, einen Schlag auf Warschau auszuführen, um so die Grande Armée auf seine Zweite Armee zu lenken. Dies wäre in jedem Fall ein gefährliches Manöver gewesen, das sehr wahrscheinlich im Verlust dieser Armee geendet hätte, daher lehnte Alexander diesen Vorschlag rigoros ab.47 Die Taktik sollte unverändert so sein, wie sie von Barclay seit zwei Jahren unablässig vorgebracht worden war: Wenn eine russische Armee auf die französische Armee treffen sollte, dann müsse sie sich sofort zurückziehen, die Front auf diese Weise in die Länge ziehen und den anderen russischen Armeen Gelegenheit zum Angriff geben. Innerhalb von nur drei Tagen erreichte Napoleons Armee Vilna, in das er am 28. Juni einzog und wo die französische Armee von der überwiegend polnischen Bevölkerung enthusiastisch empfangen wurde.48 Hektisch wurden während des nur zweitätigen Aufenthalts in der Stadt eine provisorische litauische Regierung und eine Militärverwaltung installiert.49 Doch nachdem der Rückzug bis nach Smolensk erfolgt war, setzte offenbar ein Umdenken bei Alexander ein und er drängte Barclay geradezu, die Grande Armée anzugreifen. Die darauf folgende Niederlage von Smolensk war so etwas wie das erste Schockerlebnis für den Zaren. Barclay ordnete an, alle Depots und Brücken in Smolensk in Brand zu stecken, so dass die Stadt dem Feuer anheimfiel. Auch wenn die Pläne einen Rückzug nach Smolensk immer eingeschlossen hatten, so hatte Alexander doch nicht ernsthaft damit gerechnet, so weit in das eigene Landesinnere ausweichen zu müssen.50 44

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Der Brief ist abgedruckt in den Memoiren Šiškovs: Kiselev, N[ikolaj]./Samarin, Ju[rij Fedorovič]. (Hrsg.), Zapiski, mnenija i perepiska A[leksandra] S[emenovica] Šiškova. Berlin 1870, Bd. 2, 131–148. Eine französische Übersetzung ist abgedruckt bei Rey, Alexandre, 321. Die Mahnung an Barclay wurde von seinem Adjutanten Löwenstern aufgezeichnet: Woldemar von Löwenstern, Mémoires du général-major russe Baron de Löwenstern (1776– 1858). Paris 1903, Bd. 1, 208; vgl. auch Alexander an Bagration, 5./17.07.1812, in: MVUA, 17, 275 f. Vgl. Bagration an Alexander, 26.6./8.7.1812, in: MVUA, 13, 131–133. Vgl. Rey, Alexandre, 309. Vgl. Jacques-Olivier Boudon, La France et L’Europe de Napoléon. Paris 2006, 264. Vgl. Alexander an Barclay, 28.7./9.8.1812, in: MVUA, 14, 263 f. Vgl. auch Thierry Lentz, L’effondrement du système napoléonien. 1810–1814. Paris 2004, 324. Die Anordnung des Brandes führte dazu, dass Großfürst Konstantin Barclay de Tolly heftig als Feigling beschimpfte. Vgl. Josselson, Commander, 119 ; Zamoyski, Moscow, 218–222.

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Die Situation der Grande Armée in Smolensk war alles andere als günstig. Vermehrt forderten Anstrengungen und Krankheiten ihren Tribut, und die zerstörte Stadt bot nicht genug Reserven, um die Truppen zu ernähren. Zudem gab es für Napoleon keinen militärischen oder politischen Grund, in Smolensk zu überwintern, denn je länger er aus Paris fortblieb, desto gefährdeter wurde seine Position dort. Zudem gab es militärische Gründe, weiter in das Landesinnere Russlands zu marschieren. Denn in Smolensk war die Versorgung der Armee nicht leicht zu garantieren, was in der fruchtbaren Region um Moskau – zumal zur Erntezeit! – leichter gefallen wäre. Zudem war beinahe sicher, dass die zweite symbolisch hoch aufgeladene Stadt, Moskau, nicht kampflos an die Franzosen fallen würde. Ewig konnte sich die russische Armee also einer entscheidenden Schlacht nicht verweigern. Zunächst entwickelte sich die Situation eher zu französischen Ungunsten, zwischen den verschiedenen Teilen von Napoleons Armee lagen zum Teil erheblich mehr als 1000 Kilometer Distanz, und die nördliche Flanke litt schwer unter den Folgen der Allianz zwischen Schweden und Russland.51 Alexander hatte Ende August in Åbo den schwedischen Kronprinzen Bernadotte getroffen und eines der Ergebnisse dieses Treffens war, dass angesichts der napoleonischen Invasion die Pläne für eine gemeinsame Expedition gegen Dänemark fallen gelassen wurden. Auf diese Weise wurden 21.000 Soldaten frei, die nun für die Verteidigung Rigas eingesetzt werden konnten.52 Mit der Schlacht von Polotsk, die zwar mit einer Niederlage der russischen Armee unter Wittgenstein endete, war ein Weiterkommen für die nördliche Gruppe der Grande Armée nicht mehr durchführbar – und damit auch der Weg nach Sankt Petersburg versperrt. Somit blieb allein die andere Hauptstadt, Moskau, noch in Reichweite. In den annähernd drei Wochen zwischen dem weiteren Rückzug und dem Eintreffen von Napoleons Vorhut in Moskau wuchsen allerdings die Probleme mit der Disziplin in der russischen Armee.53 In dieser Situation, während des französischen Vormarsches auf Moskau und der beginnenden Unruhe im Heer, wurde Barclay, der sich immer mehr den Ruf eines „Deutschen“ eingehandelt hatte, dem das russische Wohlergehen nicht am Herzen liege, durch Kutuzov ersetzt.54 In einem Brief an seine Schwester rechtfertigte Alexander die Wahl des Generals, den er persönlich nicht leiden konnte – seinen Charakter beschrieb er als „perfide“ und „immoral“ – damit, dass zu ihm keine Alternativen verfügbar gewesen seien. Barclay

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Nachdem Napoleon Schwedisch-Pommern Anfang Januar 1812 besetzt hatte, entwickelte sich auf Initiative Bernadottes ein enges Verhältnis zwischen Alexander und dem schwedischen Kronprinzen. Vgl. Obzor.., in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 31r f. Vgl. immer noch Bogdanovič, Istorija otečestvennoj voiny , Bd. 1, 340–343. Dies ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, dass Barclay scheinbar leidenschaftslos seinen Plan weiter verfolgte und auch Moskau nur als weiteren Punkt auf der Landkarte behandelte. Vgl. die Aufzeichnungen seines Adjutanten von Löwenstern, Mémoires, Bd. 1, 250. Ein anderer Teil dürfte in der Psychologie eines Rückzugs liegen, der verbrannte Erde hinterlässt. Vgl. Tartakovskij, Barklaj, 130–137.

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hatte sich in Smolensk in Diskredit gebracht und sowohl in Moskau, als auch in Sankt Petersburg wurde lautstark nach Kutuzov verlangt: A Pétersbourg, j’ai trouvé tous les esprits prononcés pour la nomination du vieux Koutousof au commandement en chef: c’était le cri général. […] Je crois encore dans ce moment que, dans les circonstances où nous nous trouvions, je ne pouvais faire autrement que de me decider, entre trois généraux également peu propres pour commander en chef, pour celui qui réunissait la voix générale.55

In der krisenhaften Situation, die hier explizit angesprochen wird, schien es vielleicht tatsächlich geboten, auf „Volkes Stimme“ zu hören, gewissermaßen als Rückversicherung für den Fall, dass die Berufung Kutuzovs sich als Fehler herausstellen sollte. Kutuzov ist von Leo Tolstoj in „Krieg und Frieden“ ein patriotisches Denkmal gesetzt worden.56 In dieser Tradition hatte sich die sowjetische Historiographie beeilt, sein militärisches Genie als dem Napoleons überlegen zu (v)erklären. Zweifellos ist diese Einschätzung übertrieben. Dennoch liegt in ihr ein Funken Wahrheit: Kutuzov war ein äußerst fähiger Militär, der sowohl taktische Weitsicht besaß, als auch im Umgang mit den Soldaten den richtigen Ton zu treffen wusste. Beides hatte er bereits in den Kampagnen 1805 in Europa und 1811/12 gegen das Osmanische Reich bewiesen.57 1812 war Kutuzov bereits 65 Jahre alt und in keiner guten körperlichen Verfassung. Zwar konnte er sich noch auf dem Pferd halten, jedoch zog er eine Beförderung in der Kutsche vor. Nachdem Smolensk aufgegeben worden war, wurden zahlreiche Stabsoffiziere nach Moskau geschickt, um Plätze auszukundschaften, auf denen Napoleon gestellt werden könnte. Die Militärs entschieden sich schließlich für einen Ort in der Nähe des Dorfes Borodino, knapp 130 Kilometer westlich von Moskau, wo am 7. September die Schlacht geschlagen wurde. Etwa 130.000 Soldaten der Grande Armée standen 125.000 russischen Soldaten gegenüber.58 Vor Beginn der eigentlichen Kampfhandlungen hatte Kutuzov eine aus Smolensk gerettete Ikone der Muttergottes in einer Prozession an seiner Armee vorbeigeführt, eine Szene, die selbst von Napoleons Quartier aus beobachtet werden konnte:

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Vgl. Alexander an seine Schwester, 8.8.1812 (AS), in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, Nr. 70, 81 f. und deran dies, in: ebd, Nr. 73, 86–93, hier 87. Zum Wahrheitsgehalt des Buches siehe den interessanten Beitrag von Dan Ungurianu, Visions and Versions of History. Veterans of 1812 on Tolstoy’s War and Peace, in: The Slavic and East European Journal 44, 2000, 48–63. Vgl. als Beispiel für eine hagiographische Darstellung Lev Nikolaevič Punin, Fel’damaršal Kutuzov. Moskau 1957. Zur Biographie Kutuzovs siehe Roger Parkinson, The fox of the north. The life of Kutuzov, General of War and Peace. London 1976 und neuerdings die abgewogen urteilende Darstellung Nikolaj A. Troickij, Fel’dmaršal Kutuzov. Mify i fakty. Moskau 2002. Vgl. zur Schlacht Lieven, Russia against Napoleon, 195–210. Alexander Mikaberidze, The battle of Borodino. Napoleon against Kutuzov. Barnsley 2007, 49–53 diskutiert die unterschiedlichen Zahlenangaben einer Reihe von historischen Darstellungen, die alle um diesen Wert herum gruppiert sind. Zur Schlacht von Borodino vgl. Mikaberidze, Borodino und Duffy, Borodino.

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Au milieu de cette journée, Napoléon avait remarqué dans le camp ennemi un mouvement extraordinaire. En effet, toute l’armée russe était debout et sous les armes. Kutusof, entouré de toutes les pompes religieuses et militaries, s’avançait au milieu d’elle. Ce général a fait revêtir à ses popes et aux archimandrites leurs riches et majestueux vêtements, heritage des Grecs. Ils le précèdent, portant les signes révérés de la religion, et surtout cette sainte image, naguère protectrice de Smolensk, qu’ils dissent s’être miraculeusement soustrite aux profanations des Français sacrileges.59

Mit dieser Botschaft, einhergehend mit seinem Tagesbefehl, verband er auf geschickte Weise Religion und Patriotismus als Leitmotive des Krieges. Die knappe Order Napoleons machte hingegen die Notwendigkeit eines Sieges für andere Ziele deutlich: Reichtümer, Winterquartiere und schnellstmögliche Rückkehr in die Heimatländer.60 Bei Borodino fand eine der blutigsten und verlustreichsten Schlachten der napoleonischen Kriege statt, die am Ende des Tages 80–90.000 Tote forderte.61 Dennoch war Kutuzov nach dem Rückzug der Truppen entschlossen, am nächsten Tag erneut anzugreifen, und nur die Nachricht, dass Napoleon seine Wach-Regimenter zurückgehalten hatte und eine erste Schätzung der massiven Verluste der russischen Armee konnten ihn davon abbringen. Der Rückzug brachte die russische Armee gefährlich nah an die alte Hauptstadt. Nur eine Woche nach der Schlacht befand sich die erschöpfte Armee, deren Rückzug durch den Kosackengeneral Matvei Platov nur unzureichend gesichert worden war, an den Grenzen der Stadt. In der neuen Situation, die sich aus der Schlacht von Borodino ergeben hatte, konnte die Rettung Moskaus, die Kutuzov sowohl bei seiner Abreise aus Sankt Petersburg als auch bei Ankunft im Hauptquartier der Armee, als oberstes Ziel formuliert hatte, nicht mehr sichergestellt werden. Moskau wäre nur um den Preis der Zerstörung der russischen Armee zu verteidigen gewesen.62 Daher entschied sich der Kriegsrat, in dem Bennigsen sich für und Barclay gegen die Verteidigung Moskaus ausgesprochen hatten, in der Sitzung in Fili am 13. September folgerichtig für den riskanten Schritt, die Armee via Moskau weiter zurückzuziehen. Dort hatte bereits eine Massenflucht eingesetzt, die sich nun mit dem Durchmarsch der Armee überschneiden sollte.63 Zwischen der russischen Nachhut und der französischen Vorhut unter Murat wurde ein eintägiger Waffenstillstand vereinbart. Im Falle einer Weigerung Murats, sich auf diesen Handel einzulassen, drohte der Kommandant der Nachhut, Miloradovič, er werde in Moskau kämpfen 59 60 61 62

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Paul Philippe de Ségur, Un aide de camp de Napoléon. Mémoires du Général Cte. de Ségur. 3 Bde. Paris 1894–1895. Bd II: La Campagne en Russie (1894), 112 f. Proclamation, 7.9.1812, in: Napoléon, Correspondance, Bd. 24, Nr. 19282, 207. Zu den Zahlen vgl. Mikaberidze, Borodino, 209. Eine Darstellung der Schlacht bei Zamoyski, Moscow, 265–295. Vgl. A. P. Ermolov/Alexander Mikaberidze, The czar’s general. The memoirs of a Russian general in the Napoleonic Wars. Welwyn Garden City 2005, 168–172. Hierbei handelt es sich um die Übersetzung der Tagebücher von General Ermolov, in dem die Diskussionen im Kriegsrat genau widergegeben werden. Eine Beschreibung des Zuges gibt I. Maevskij, Moj vek ili istorija generala Maevskago, 1779–1848, in: Russkaja Starina 8, 1873, 125–167, v. a. 141–151.

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und damit die Stadt in Schutt und Asche legen. Murat nahm das Angebot nicht nur an, sondern er verlängerte den Waffenstillstand sogar noch um weitere zwölf Stunden, was dazu führte, dass die russische Armee beinahe unbehelligt aus Moskau abziehen konnte.64 2. ERLEBEN DES KRIEGES La guerre est commencé. C’est la Providence qui l’a voulu ainsi, tout a été fait de mon coté pour l’éviter. La confiance la plus pure, la plus entière dans l’Etre Suprême soutient mes esperances. Sa main puissante seule peut nous tirer de tous les embarras par lesquels nous aurons à passer.65

Im Juli 1812 verließ der Zar auf Drängen seines Umfelds die Front, um sich nach Moskau zu begeben. Alles schien darauf hinzudeuten, dass Napoleon auch in Russland so vorgehen könnte wie bereits in Preußen und dem Herzogtum Warschau und gezielt das politische Gefüge des Landes destabilisieren werde, indem er die Bauern für frei erklärte. In Smolensk erhielt er von der Stadt 20.000 Soldaten. Dort erlitt der Zar zum ersten Mal einen Schwächeanfall.66 Ende Juli erreichte Alexander Moskau, auch hier empfing ihn die Stadt in patriotischer Stimmung. In Moskau nahm er an einem Gottesdienst teil und empfing aus der Hand des Adels und der Kaufleute insgesamt über 10 Millionen Rubel. Eine Woche lang blieb er in Moskau, danach reiste er weiter nach Sankt Petersburg, wo er seinen „Propaganda“-Feldzug fortsetzte. In dem Ukaz von Ende August flossen patriotische Argumente zusammen mit religiösen, gemeinsam waren sie wie eine Selbstexkulpation zu lesen: Mit göttlicher Unterstützung solle das russische Volk den Aggressor abwehren in einem gerechten Krieg. Für die Kampfhandlungen sei allein Napoleon verantwortlich, Alexander hingegen habe sich strikt an die Verträge mit Frankreich gehalten.67 Verbreitet wurden diese Ukaze unter anderem in der Form von Flugblättern und durch Zeitschriften. Auf eine andere Art und Weise arbeitete Moskaus Gouverneur Rostopčin an der patriotischen Propaganda, in dem blutrünstige und angst-schürende Pamphlete in den Straßen Moskaus verteilt wurden. Angesichts des hohen Anteils an illiterater Bevölkerung kam der Kirche, in der die propagandistischen Erzeugnisse verlesen wurden, eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur an die eigene Bevölkerung richteten sich die Bemühungen. Mit Hilfe einer mobilen Druckerei wurden Flugblätter erstellt, die sich an nicht-französische Soldaten der Grande Armée richteten und diese zur Aufgabe bewegen sollten. Ergänzend entfaltete Alexander eine beachtliche diplomatische Tätigkeit: Im August wurde

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Vgl. Ebd., 143 f. Alexander an Golicyn, 9.–13.6.1812, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 873. Vgl. Rey, Alexandre, 322. Ukaz vom 13./25.8.1812. Eine Übersetzung ins Französische ist abgedruckt bei Rey, Alexandre, 323.

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ein Frieden mit England geschlossen, der jeglichen Warenverkehr freigab, und im selben Monat erhielt er von Bernadotte die Zusage, dass Finnland unverletzlich bleibe, so dass das russische Finnlandkorps in die Heimat zurückbeordert werden konnte. Auf dem Weg nach Helsinki unterhielt sich Alexander ausführlich mit dem schwedischen Politiker Johann Albrecht Ehrenström. In diesem Gespräch erklärte der Zar, dass er gezielt dafür gesorgt habe, dass das russische Volk den Krieg als einen Krieg gegen sich selbst aufgefasst habe. Er wiederholte auch gegenüber seinem Begleiter, dass er keinen Frieden schließen werde, solange auch nur ein französischer Soldat noch auf russischem Boden stehe.68 Gezielt wurde der Krieg von Anfang an als nationaler Krieg konzipiert, in dem es um die Verteidigung des Vaterlands und der Religion gegen barbarische und gottlose Franzosen gehe.69 Auf diese Art und Weise konterkarierte die russische Planung die Zielsetzung Napoleons, der einen begrenzten Kabinettskrieg mit realistischen Zielen vor Augen gehabt hatte, an dessen Ende Russland wieder zurück in das Kontinentalsystem gezwungen werden sollte.70 Alexander verließ die Armee auf Drängen Šiškovs am 19. Juli, um sich nach Moskau zu begeben, wo er unmittelbar damit begann, eine Miliz aufzustellen. In einem von Admiral Šiškov Anfang Juli entworfenen Manifest, in dem die Landbesitzer dazu aufgefordert wurden, sich an der Einrichtung eines solchen „Volksheeres“ zu beteiligen, rührte er an das nationale Sentiment, indem er an die „Zeit der Wirren“ Anfang des 17. Jahrhunderts erinnerte, als ebenfalls Milizen gegen den vom polnischen König unterstützten Thronprätendenten gekämpft hatten. Neu allerdings war hier der Konnex, der zur russischen Orthodoxie hergestellt wurde.71 Die Milizen sollten schließlich einen nicht unerheblichen Anteil daran haben, dass Napoleons Armee sich in Moskau nicht über den Winter hätte versorgen können und daher zum Rückzug gezwungen worden war.72 Diese Reise nach Moskau hatte eine praktische und eine symbolische Komponente. Alexander brauchte Geld und Rekruten, wollte aber größere Aufmerksamkeit verhindern und reiste daher bei Nacht und ohne Zeremonie an.73 Zunächst blieb das Erwartete allerdings aus. Während des Gottesdienstes im Kreml machte das Gerücht die Runde, die Tore würden nun geschlossen und die Besucher

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Das Gespräch ist widergegeben in: Šil’der, Imperator , Bd. 3, 99–103. Vgl. dazu auch Barclay de Tolly an Casimir von Asch, 21.7.1812 (AS), in: MVUA 17, 157 f. Wie sehr diese Propaganda bei der russischen Armee fruchtbaren Boden fand zeigt Janet Hartley: The patriotism of the Russian Army in the „Patriotic“ or „Fatherland“ War of 1812, in: Esdaile, Charles J. (Hrsg.), Popular Resistance in the French War. Patriots, Partisans and Land Pirates, Basingstoke 2005, 181–200. Abgedruckt in Beskrovnyj, Ljubomir G. (Hrsg.), Narodnoe opolčenie v otečestvennoj voine 1812 goda. Sbornik dokumentov, Moskau 1962, 14 f. Zu dem Anteil der Milizen am Krieg vgl. A. I. Popov: Velikaja armija v Rossii. Pogonia za miražom. Samara 2002. Vgl. v.a. das Kapitel „The Home Front in 1812“, in: Lieven: Russia against Napoleon, 215– 240. Vgl. Richard Wortman, Scenarios of power: Myth and ceremony in Russian monarchy. Princeton, NJ 1995, 218.

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zwangsrekrutiert. Sofort begann eine Massenpanik und Flucht.74 Ganz anders stellt sich das Bild dar, wenn man der publizistischen Darstellung folgt, die den Besuch zu einem zentralen Moment der Mythenbildung formte. Vor allem geht die publizistische Darstellung zurück auf die Beschreibung des russischen Adeligen Sergej Glinka, die 1812 geschrieben und 1814 im Ruskoj Vestnik veröffentlicht worden war.75 Trotz der Massenpanik erhielt der Zar zusätzliche 2,5 Millionen Rubel von den Kaufleuten der Stadt, sowie die Zusage auf weitere 100.000 Soldaten.76 Auch die orthodoxe Kirche sollte sich als Stütze der Stabilität erweisen. Nachdem der Kirchenbann über Napoleon bereits in den Kriegen 1806/07 verhängt worden war, wurde Napoleon nun endgültig mit dem Antichristen in eins gesetzt. In einem Manifest vom 27. Juli erfolgte die explizite Gleichsetzung des Bösen mit der Französischen Revolution, deren bewaffneter Arm in Gestalt Napoleons nach Russland gekommen sei. Die Propaganda der orthodoxen Kirche war also ebenfalls mitverantwortlich für die Trias aus Glaube, Nation und Verteidigung des Vaterlands.77 Die Unterstützung des Adels zu gewinnen, war eine der Kernaufgaben, um den Krieg erfolgreich zu führen. So gut wie jegliche Ressource wurde vom Adel kontrolliert, und in der Zeit der Invasion mangelte es an Geld, um Rekruten, Verpflegung, Rohstoffe und Baumaterialien durch den Staat zu kaufen. Zwar waren dem Adel unter Katharina weiträumige Freiheiten zugestanden worden, wie etwa die Befreiung von Zwangsdiensten für den Staat, doch hatte die Adels-Charta, die „Gnadenurkunde für den Adel“ von 1785, eine entscheidende Lücke gelassen. In einem Notfall konnte die autokratische Macht nach wie vor über Leben und Dienste des Adels verfügen.78 Alexander pochte allerdings nicht auf dieses Recht, vielmehr gestaltete er seine Anfrage an den Adel als Einladung – eine Einladung allerdings, die letzten Endes nicht ausgeschlagen werden konnte.79 Auf dem Weg nach Moskau hatte Alexander einen kurzen Aufenthalt in Smolensk eingelegt, ehe er weiter nach Moskau reiste, wo er am späten Abend des 23. 74 75 76 77

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Vgl. Mel’gunov, Dela i ljudi, 129–133. Sergej Glinka: Vospominanie o Moskovskich proizšestvijach v dostopamiatny 1812 god, ot 11 julia do izgnanija vragov iz drevnei Ruskoj Stolitzy, in: Ruskoj Vestnik 9, 1814, 3–21. Vgl. Alexander an Bernadotte, 17./29.7.1812, in: Correspondance inédite de l’Empereur Alexandre et de Bernadotte pendant l’année 1812. Paris 1909, 24 f. Vgl. Golovkin an Volkonskij, 24.5./5.6.1813, in: VPR I/7, Nr. 100, 231–234; Šil’der, Imperator, Bd. 3, 90 sowie L. V. Mel’nikova, Armija i pravoslavnaja cerkov’ Rossijskoj imperii epochu Napoleonskich voin, Moskau 2007, 100–115. Zu den Mitteln der Propaganda vgl. auch Eich, Russland und Europa, 108–114. PSZ, 22, 16187, 21.4.1785 (AS), 348. Vgl. Manfred Hildermeier: Der russische Adel von 1700 bis 1917, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.), Europäischer Adel 1750–1950. Göttingen 1990, 166–216; zum Adel im 18 Jahrhundert, vgl. John P. LeDonne: The eighteenth-century Russian Nobility. Bureaucracy or Ruling Class, in: Cahiers du monde russe et soviétique 34, 1993, 139–148; aus dem selben Heft auch Roger Bartlett, Russian nobility and the Baltic German nobility in the eighteenth century, in: Cahiers du monde russe et soviétique 34, 1993, 233–243. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 223.

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Juli eintraf. Mit großem Enthusiasmus wurde er am kommenden Vormittag zu einem Gottesdienst im Kreml begrüßt. In dieser Szene, der von Leo Tolstoj ein schriftstellerisches Denkmal gesetzt wurde, hatten sich die Bemühungen um die Konstruktion einer nationalen Einheit unter dem Signum des Kreuzes konkretisiert.80 Die Dramaturgie des Moskau-Aufenthaltes war geschickt geplant: zuerst die Messe und die Begegnung mit der Masse, am zweiten Tag dann ein Treffen mit den Moskauer Kaufleuten und Adeligen, die dem Zaren massive Unterstützung für den Krieg zusagten.81 Die restliche Zeit des Sommers verbrachte der Zar in Sankt Petersburg. In seiner bescheidenen Unterkunft auf der Insel Kammenij Ostrov, fernab des Prunks seines Palastes. Alexander hat somit die Schlacht bei Borodino, den Einzug der Grande Armée und den berühmten Brand der Stadt daher nicht mit eigenen Augen gesehen. Als diese Ereignisse, die für ihn eine Schlüsselstelle in der eigenen Lebenserzählung einnehmen sollten, passierten, hielt er sich weit entfernt in der einfachen Umgebung seines Hauses auf der Insel in der Neva auf. Nach Borodino hatte Kutuzov gemeldet, dass die Front halte und nur wenig Land an den Feind abgetreten werden musste.82 Daher sandte der Zar unmittelbar darauf seinen Vertrauten Černyšev in das Hauptquartier zu Kutuzov. Mit ihm hatte er in Sankt Petersburg Pläne für eine russische Gegenoffensive erarbeitet, die nun dem Feldmarschall empfohlen wurden.83 Nach dem Verlust Moskaus hatte Alexander zudem den Offizier Alexandre Michaud de Beauretour nach Sankt Petersburg geschickt. Dieser versicherte dem Zaren, dass die Armee nach wie vor zu ihm stehe. Alexander selbst zeigte sich entschlossen, unter keinen Umständen Frieden zu stiften, eher werde er sich einen langen Bart wachsen lassen und bis ans Ende seiner Tage Kartoffeln essen.84 Michaud berichtete später in seinen Erinnerungen ausführlich von der Unterhaltung. Man wird die Schilderung wegen der unmittelbaren Wiedergabe von Alexanders Reaktion als glaubwürdig qualifizieren können. Hiernach habe der Zar, nachdem er die „tristes nouvelles“ gehört hatte, erstaunt gefragt, „mais aurait-on livré mon ancienne capitale sans se battre?“ und nicht weniger geschockt „l’ennemi, est-il entré en ville?“. Nach einer Schrecksekunde, die von Michaud wie folgt geschildert wird: „A ces mots les yeux du souverain me firent si bien connaitre l’état de son âme que j’en fus ému à ne pouvoir tenir...“, habe

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Vgl. die Schilderung bei Šil’der, Imperator, Bd. 3, 88–90. Bei seiner Abreise dankte der Zar den Gouverneur Moskaus, Rostopčin, für dessen Engagement und Erfolg in der Herstellung der Einheit. Vgl. ebd, 90–92. Vgl. Kutuzov an Alexander I, 27.8.1812 (AS), in: Beskrovnyj, Ljubomir G. (Hrsg.), M. I. Kutuzov. Sbornik Dokumentov, Bd. 4/1, Moskau, 1954, Nr. 187, 154 f. Vgl. Alexander an Kutuzov, 31.8.1812 (AS), in: ebd, Nr. 241, 194 f. Zur militärischen Beurteilung des Planes vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 243–245. Der Bericht Michauds an Michailovskij-Danilevskij vom Juli 1812 ist abgedruckt bei Šil’der, Imperator, Bd. 3, 509 f. Nach Tarlė, Napoleon, 226 hatte Alexander vom Brand Moskaus bereits vorher durch einen Kurier Rostopčins erfahren, eine Behauptung, für die sich kein Beleg finden lässt.

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sich Alexander gefangen und die entscheidende Frage nach dem Zustand der Armee gestellt.85 Wie bereits fünf Jahre zuvor war die Stimmung ausgesprochen feindselig gegenüber dem Zaren, als in Sankt Petersburg das Ausmaß der Niederlage von Moskau bekannt wurde. Als am 27. September sein Krönungsjubiläum gefeiert wurde, ritt Alexander nicht, wie bislang üblich, offen und hoch zu Pferd, sondern ließ sich aus Sicherheitserwägungen in einer geschlossenen Kutsche zur Kathedrale von Kazan’ bringen. Während einen Monat zuvor die Massen ihren Zaren enthusiastisch gefeiert hatten, wurde er nun mit eisigem Schweigen empfangen.86 Als Katharina von dem Brand erfuhr, riet sie Alexander eindringlich, keinen Frieden zu schließen: „Moscou et pris. Il est des choses inexplicables. N’oubliez pas votre résolution: point de paix, et vous avez encore l’espoir de recouvrer votre honneur. [...] Mon cher ami, pas de paix, et, fussiez-vous à Kazan, pas de paix!“87 Seine Antwort zeigt den Zaren indes entschlossen: „[...] ma résolution de lutter est plus inébranlable que jemais; j’aime mieux cesser d’être ce que je suis que de transiger avec le monstre qui fait le malheur du monde.“88 Trotz dieser verkündeten Standhaftigkeit sind schwere Vorwürfe am Hof erhoben worden, weil Alexander in dieser Krisensituation nicht bei seiner Armee war, sondern sich fernab aufhielt. Wiederum unterrichtete Katharina ihren Bruder von dieser Stimmung: La prise de Moscou a mis le comble à l’exaspération des esprits; le mécontentement est au plus haut point, et votre personne n’est pas ménagée. [...] On vous accuse hautement du malheur de votre empire, de la ruine générale et particulière, enfin d’avoir perdu l’honneur du pays et le vôtre individuel. Ce n’est pas une classe, c’est toutes qui se réunissent à vous décrier.89

Der Hauptkritikpunkt bestand darin, dass Alexander Moskau im Stich gelassen und die Stadt geopfert habe, ohne dafür einen nennenswerten Schritt für ein baldiges Kriegsende getan zu haben.90 Katharina hatte ihren Bruder zunächst davon abhalten wollen, als Oberbefehlshaber der Armee in Erscheinung zu treten. Stattdessen hatte sie ihm empfohlen, einen General zu berufen, der die Truppen hinter sich wisse: „[...] pour Dieu! n’adoptez pas celui de vouloir commander vous-même [...]“. Mit Blick auf die Motivation der Soldaten warnte sie „sous ce rapport, vous n’en pouvez inspirer aucune [...].“91 Wenig später dann formulierte sie den Vorwurf, dass der Zar nicht bei seiner Armee gewesen sei. Dieser Vorwurf traf Alexander, der sich seiner Schwester gegenüber ausführlich für seine Entscheidungen und sein Verhalten

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Zitate Šil’der, Imperator, Bd. 3, 509. Vgl. den Eintrag im Tagebuch von Edling, Mémoires, 79 f. Katharina an Alexander, Jarsoslavs, 3.9.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 83. Alexander an seine Schwester, 7./19.9.1812, in: ebd, 84. Katharina an Alexander, Jaroslavl, 6.9.1812, in: ebd, 83 f. Vgl. ebd, 84 Katharina an Alexander, Jaroslavl, 5.8.1812, in: ebd, 80 f., Zitate 81.

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rechtfertigte.92 Zwar hatte ihn Rostopčin dazu gedrängt, sich in Moskau zu zeigen, doch hatte ihn dieser Appell noch vor dem Verlust Smolensks erreicht. Nach dem Brand der Stadt sah die Lage anders aus, und auch Rostopčin fürchtete um Alexanders Sicherheit für den Fall, dass er sich in der aufgewühlten Stadt zeigen sollte. Mehrfach war ihm versichert worden, dass seine Anwesenheit bei der Armee mehr Schaden als Nutzen bringen würde, und er selbst zweifelte „l’armée se rapprochant de Moscou après sa retraite de Smolensk, pouvais-je décemment me trouver à Moscou? [...] Alors quel rôle y aurais-je joué et serais-je venu à Moscou pour plier bagage avec les autres?“93 Er selbst hätte nur die Schande auf sich geladen, für die eigentlich andere verantwortlich gewesen seien, wenn er rechtzeitig in Moskau gewesen wäre. In diesem Antwortbrief an seine Schwester zeigt sich Alexander von einer offenen und verletzten Seite: Quant à moi, chère amie, tout ce dont je puis répondre, c’est de mon cœur, de mes intentions et de mon zèle pour tout ce qui peut tendre au bien et à l’utilité de ma patrie, d’après ma meilleure conviction. Quant au talent, peut-être je puis en manquer, mail il ne se donne pas: c’est un bienfait de la nature et personne ne se l’est jamais procuré. Secondé aussi mal que je le suis, manquant d’instruments dans toutes les parties, menant une achine si énorme, dans une crise terrible et contre un antagoniste infernal, qui à la plus horrible scélératesse joint le talent le plus éminent et se trouve secondé, et par toutes les forces de l’Europe entière et par une masse d’hommes à talents qui se sont formés pendant 20 ans de guerre et de révolution, on sera obligé de convenir, si on veut être juste, qu’il n’est pas étonnant que j’éprouve des revers.94

Im Moment der Krise hatte der Zar offenbar das Bedürfnis, seine Intentionen und innersten Absichten einer Vertrauensperson mitzuteilen. Aus den Zeilen lässt sich sowohl der Versuch einer Exkulpation herauslesen, in Hinblick auf ein Napoleon unterlegenes Talent („c’est un bienfait de la nature [...]“) ebenso wie eine grundsätzliche Unterlegenheit der russischen Offiziere und Soldaten gegenüber der Grande Armée, hatte diese doch ganz Europa auf ihrer Seite. Vor allem aber lässt sich aus den Zeilen eine fast schon ausweglose Verzweiflung erahnen. Auch wenn in dem Plan Alexanders, der im August 1812 ausgearbeitet worden war, die Hoffnung noch nicht verloren war, Napoleon durch eine Gegenoffensive aus dem Land zu vertreiben, so stellen der Verlust und der Brand Moskaus dennoch einen tiefen Einschnitt dar. 3. MOSKAU Im Gefolge der russischen Armee hatten auch die Bewohner die Stadt Moskau fluchtartig verlassen. Es blieben lediglich knapp über 6000 Einwohner und 20.000

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Alexander an Katharina, 18.9.1812, in: ebd, 86–93. Ebd, 89. Ebd, 91, Herv. i.O.

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verwundete Soldaten zurück in der Stadt, die vorher gut 300.000 Einwohner gezählt hatte.95 Nachdem die russische Armee nach Südwesten abgezogen war, betrat Napoleon mit seiner Armee eine Geisterstadt. Am 15. September schlug er sein Hauptquartier innerhalb der Mauern des Kreml auf, zusammen mit ungefähr 130.000 Soldaten seiner Armee. Noch am selben Tag begann es in der Stadt zu brennen, drei Viertel der Gebäude fielen den Flammen in nur wenigen Stunden zum Opfer. Innerhalb der Stadtgrenzen wurden bis dahin die Verwundeten der vorherigen Schlachten versorgt. Dass von diesen nicht ein Großteil starb, ist auf den immensen Einsatz von Alexanders Leibarzt, James Wylie, zurückzuführen, so dass mehr als zwei Drittel der Zurückgelassenen evakuiert werden konnten. In Moskau hatte Kutuzov zudem eine Reihe von Depots anlegen lassen, in denen allein 70.000 Musketen gelagert wurden. Ein Großteil der Waffen und Materialien sollte auf Schiffen die Moskva hinab evakuiert werden, doch war schon eines der ersten Schiffe des Konvois, die diese Aufgabe übernehmen sollte, derart überladen, dass eine weitere Passage nicht mehr möglich war und zwei Drittel der Fracht verbrannt werden mussten, um sie nicht Napoleon in die Hände fallen zu lassen.96 Wer das Feuer in Moskau gelegt hat, ist Thema endloser Spekulationen geworden.97 Es lässt sich mit Sicherheit sagen, dass weder Napoleon noch Alexander für den Brand verantwortlich waren. Rostopčin hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass die Stadt nur in der Form von Asche den Franzosen in die Hände fallen sollte: „Si on me consultait, je n’hésiterais pas à dire ‚Brûlez la capitale plutôt que de la livrer à l’ennemi!“, auch wenn er in seinen Memoiren jegliche Urheberschaft für den Brand bestritt.98 Doch sprechen die Indizien gegen ihn und auch schon eine von Napoleon eingesetzte Untersuchungskommission hatte ihn des Brandes für schuldig gehalten.99 Am 14. August hatte er die Evakuierung aller Schätze und Archive angeordnet, die wenige Tage später in Richtung Vladimir beziehungsweise Nižnij Novgorod abtransportiert wurden.100 Die Gefängnisse der Stadt wurden ebenfalls geräumt und die Gefangenen in Richtung Nižnij Novgorod

Diese Zahlen nach Alexander M. Martin, The Response of the Population of Moscow to the Napoleonic Occupation of 1812, in Lohr, Eric/Poe, Marshall (Hrsg.), The Military and Society in Russia 1450–1917. Leiden u. a. 2002, 469–489, hier 473. 96 Vgl. v. a. Bogdanovič, Istorija otečestvennoj voiny, Bd. 3, 28 sowie die französische Verteidigungsschrift des Gouerneurs: Comte Théodore Rostopchine, La verité sur l’incendie de Moscou. Paris 1823. 97 Vgl. Anka Muhlstein, Der Brand von Moskau. Napoleon in Russland. Frankfurt a.M./Leipzig 2008, 190–194. 98 Rostopčin an Eugen von Württemberg, 13.09.1812, zit, in: Anatol de Segur, Vie du Comte Rostopchine, gouverneur de Moscou en 1812. Paris 1874, 207. 99 Vgl. Hans Schmidt, Die Urheber des Brandes von 1812, phil. Diss. Greifswald 1904, 16 f., 24 f., 42–44. 100 Vgl. Fedor Vasil’evič Rostopčin, Tysjača vosem’sot dvenadcatyj god v zapiskach grafa F. V. Rostopčina, in: Russkaja Starina 64, 1889, Nr. 12, 643–725, hier 702 f. 95

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abtransportiert, wobei viele Gefangene freigelassen wurden, was zur chaotischen Lage in der Stadt beitrug.101 Gesichert ist, dass Rostopčin zusammen mit der Armee auch die gesamte Feuerbrigade der Stadt – immerhin 2.000 Mann – und ihre Ausrüstung evakuieren ließ. Und in ihren Erinnerungen schildert die Tochter des Gouverneurs, dass in der Nacht vor dem Brand Polizeichef Balachov und einige seiner Mitarbeiter im Hause ihres Vaters detaillierte Anweisungen erhalten hätten, welche Häuser auf welche Weise in Brand zu stecken seien.102 Wenigstens ein Viertel ist von den Kosaken, die den Rückzug der russischen Armee sicherten, in der Taktik der verbrannten Erde entzündet worden, weiterhin hatte der Oberkommandierende angeordnet, auch die noch in der Stadt befindlichen Depots den Flammen zu übergeben.103 Damit hätte die Stadt, die größtenteils aus Holz bestand, wahrscheinlich ohnedies komplett gebrannt. Und Rostopčin selbst beteiligte sich ebenfalls. Der Gouverneur war vorangeschritten und hatte sein eigenes Gut außerhalb der Stadt angezündet, damit es nicht der Grande Armée in die Hände falle.104 In seiner apologetischen Schrift rechtfertigte er diese Tat als einen patriotischen Akt.105 Entscheidend für die Bewertung des Brandes ist seine symbolische Wirkung: Nicht nur war die heilige Stadt verloren, sondern sie brannte als Ergebnis einer Invasion durch barbarische und vor allem gottlose Franzosen, ein Fanal, das an das Jüngste Gericht mahnte. Diese Deutung war nicht zuletzt von Rostopčin in seinen propagandistischen Flugschriften verbreitet worden. Dass sich die feindliche Armee in der Stadt tatsächlich wie die sprichwörtlichen Vandalen aufgeführt hatte, machte die Propaganda nur umso wirksamer.

101 Rostopčin selbst gibt an, er habe nur zwanzig Gefangenen, die wegen Gelddelikten einsaßen, die Freiheit geschenkt, der Rest sei nach Nižnij Novgorod verschickt worden. Vgl. Rostopchine: Verité, 723. Dort sind auch tatsächlich über 500 Gefangene angekommen, vgl. Hans Schmidt: Die Urheber des Brandes von 1812, phil. Diss. Greifswald 1904, 12 f. 102 Von diesem konspirativen Treffen berichtet die Tochter Rostopčins, Natal’ja Fedorvna Naryškina, 1812. Le Comte Rostopchine et son temps, Sankt Petersburg 1912, 168 f. und 181–186. Dies deckt sich mit den Aussagen eines Quartieraufsehers der Moskauer Polizei, die dieser 1836 gegenüber Michajlovskij-Danilevskij getätigt hatte, abgedruckt in: Tartakovskij, Andrej Grigor’evič u.a. (Hrsg.), 1812 god v vospominanijach sovremennikov, Moskau 1995, 69–72. 103 So wurden auf dem Rückzug nach Smolensk auch die Leichen von Pferden und Soldaten auf den Straßen aufgetürmt, deren schnelle Verwesung den weiteren Vormarsch der Grande Armée weiter gefährdete. Vgl. auch die Erinnerungen des Majors Pion (seit 1818 geadelt als Pion des Loches), dessen Erinnerungen nicht nur literarisch interessant sind, sondern auch von Bedeutung, weil er die Tätigkeit in der Armee als rein professionelle Angelegenheit betrachtete. [Antoine Flavien Augustin] Pion des Loches, Mes Campagnes (1792–1815). Paris 1889, 22 f. und 286–288. Zur Person siehe Thierry Choffat/Jean-Marie Thiébaud/Gérard Tissot-Robbe, Les Comtois de Napoléon. Cent destins au service de l’Empire, Yens sur Morges 2006, 221 f. 104 Vgl. Rostopchine, Verité, 39. 105 Vgl. ebd, sowie Naryškina: 1812, 191.

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Nicht nur in der späteren Deutung, sondern auch schon für die Zeitgenossen wurde der Verlust und Brand Moskaus zu einem entscheidenden Einschnitt im Kriegsverlauf. Für den nation-building-Prozess wurde die brennende Stadt ein grundlegendes Symbol, aus dem sich Mythen des Volkszusammenhaltes speisten. Der Plan Napoleons, in Moskau Alexander zu einem Friedensvertrag zu zwingen, war nicht aufgegangen, und nun befand sich die französische Armee in desolatem Zustand, in einer brennenden Stadt und ohne Aussicht auf ein Ende des Krieges. Die Versorgungslage war schlecht, das Hinterland verlassen und so kam es in Moskau zu massiven Plünderungen durch die französischen Soldaten. Der Zar hatte jedoch noch andere Gründe, nach dem Verlust Moskaus keinen Frieden zu schließen. Zum einen hatten weder Friedrich Wilhelm III. noch Franz II. einen für sie ungünstigen Frieden geschlossen, als Berlin 1805 oder Wien 1809 besetzt worden waren – und Moskau war nicht die eigentliche Hauptstadt des Reiches. Zum anderen, und viel entscheidender, wäre die Unterzeichnung eines Friedens nach dem Verlust Moskaus Feuer in das Öl der adeligen Opposition gewesen. Auch wenn diese nicht als homogene und organisierte Gruppierung auftrat, so wäre die Situation für den Zaren unter Umständen lebensbedrohlich gewesen – das hatten die Proteste nach 1807 deutlich gemacht.106 4. ENDE DES KRIEGES IN RUSSLAND Der lange Aufenthalt der Grande Armée in Moskau erlaubte ihr, sich nach der Schlacht von Borodino zu regenerieren, auch wenn letztendlich wahrscheinlich genau dieser Aufenthalt einen sicheren Rückzug nach Smolensk verhinderte, indem er den russischen Armeen Gelegenheit und Zeit verschaffte, sich um die Rückzugsroute herum zu gruppieren. Zunächst sah allerdings alles danach aus, als hätte sich Napoleon in Moskau einen immensen Vorteil verschafft. Seine Infanterie war der russischen zweifellos überlegen, sie war kampferfahren und besser ausgebildet. Dies und die russische Taktik, der Artillerie einen hohen Stellenwert zuzugestehen, brachte Kutuzovs Armee, die darüber hinaus zu einem beachtlichen Teil aus kaum ausgebildeten jungen Männern bestand, in eine nachteilige Lage.107 Diese Einschätzung relativiert sich allerdings, sobald die Kosaken-Truppen mit in die Rechnung aufgenommen werden. 15.000 Don-Kosaken hatten sich als irreguläre Truppenteile der Armee Kutuzovs angeschlossen und stellten eine bedrohliche Macht für die Grande Armée dar, die sich auf dem Rückzug befand.108 Es galt also nun, Napoleon möglichst lang in Moskau festzuhalten. Zu diesem Zweck wurden seine Hoffnungen auf einen Friedensschluss mit Alexander systematisch 106 Vgl. Lieven: Russia against Napoleon, 236. 107 Kutuzovs Statisken der Zahlen: Kutuzov an Alexander I, 22.9.1812 (AS), in: Beskrovnyj (Hrsg.), Kutuzov, Bd. 4/1, Nr. 438, 353–361. 108 Vgl. V. I. Babkin, Organisacija i voennye deistvija narodnogo opolčenija v Otečestvennoj voine 1812 g, in: Nečkina, Milica V./Dunaevskij, Vladimir A. (Hrsg.), 1812 god. K stopjatidesjatiletiju otečestvennoj vojny. Sbornik statej, Moskau 1962, 134–163, vor allem 145.

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genährt, während der Zar seinerseits entschlossen war, jedes Verhandlungsansinnen abzulehnen. In einem Gespräch, das Kutuzov mit dem in russische Gefangenschaft geratenen französischen Kriegskommissar Louis Guillaume de Puibusque während dessen Gefangenschaft führte, zeigte sich der General erstaunt über Napoleons mangelnde Weitsicht: Par quel aveuglement lui seul n’a-t-il pas vu une piége qui étoit visible pour tout le monde? Le maréchal s’étonnoit surtout de la facilité avec laquelle ont réussi toutes les ruses employées pour le retenir à Moscou et de sa ridicule prétention d’y faire la paix lorsqu’il n’avoit plus les forces nécessaires pour faire la guerre.“109

Dabei hatte bereits der Brand der Stadt bei Napoleon zu Überlegungen geführt, dass Alexander unter Umständen nicht zu einem Friedensschluss bereit sein könnte.110 Nur kurz spielte er indes mit dem Gedanken eines Rückzugs, der ihm bald zu gefährlich erschien und in Europa als Niederlage gewertet werden würde. Einzig ein russisches Friedensangebot hätte ihn davor bewahren können, als Verlierer gedemütigt nach Europa zurückzukehren. Dieses Dilemma Napoleons, in Moskau bleiben zu müssen und auf ein Angebot zu hoffen, wurde für die Grande Armée zum Verhängnis.111 Ausgerechnet Murat trug zu diesem Verhängnis bei, indem er sich als Kommandant der Vorhut in kleineren Geplänkeln vor allem mit KosakenEinheiten der russischen Armee, verwickeln ließ und dabei der Fehlinformation aufsaß, die russische Armee befinde sich im Zustand der Auflösung und im Grunde warte die Armeeführung nur noch auf die Zustimmung Alexanders zum Frieden.112 Nachrichten aus der Feder des Zaren blieben jedoch aus und somit unternahm Napoleon bereits am 18. September erste zaghafte Versuche, Alexander den Frieden anzubieten: indirekt zunächst über seine Mutter, der Schutzherrin des Waisenhauses in Moskau.113 Wie dringend es Napoleon daran gelegen war, einen Frieden herzustellen, lässt sich aus der Tatsache ablesen, dass er bereits zwei Tage später – eine Antwort auf seine erste Offensive hätte noch gar nicht eintreffen können – einen zweiten Versuch unternahm. Diesmal nutzte er die Chance, die sich ihm bot, als der Vater des Schriftstellers Alexander Herzen, Ivan Jakovlev, um freies Geleit vorsprach. Als Bedingung wurde ihm zur Auflage gemacht, einen Brief an Alexander mit nach Sankt Petersburg zu nehmen.114 In diesem Brief klagte er Rostopčin der Brandstiftung an und gab an, dass 400 Brandstifter verhaftet und erschossen worden seien. Der Vergleich mit Wien, Madrid und Berlin

109 Louis Gouillaume de Puibusque, Lettres sur la Guerre de Russie en 1812; sur la ville de Saint-Petersbourg, les Mœurs et les Usages des Habitans de la Russie et de la Pologne. Paris 1816, 139–145, Zitat 141. 110 Vgl. Caulaincourt, Mémoires, Bd. 2, 18, sowie Willms, Napoleon, 557. Caulaincourts Memoiren erlauben einen intimen Einblick in das französische Hauptquartier im Kreml und sind daher von unschätzbarem Wert. 111 Vgl. hierzu die hellsichtige Analyse von Caulaincourt, Mémoires, Bd. 2, 22–25. 112 Vgl. ebd, 31–33. 113 Vgl. Tarlė, Napoleon, 267 f. 114 Vgl. ebd, 269–271. Der Brief Napoleons: Napoleon an Alexander I, Moskau 20.09.1812, in: Correspondance de Napoleon Ier, Bd. XXIV, Nr. 19213, 221 f.

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wurde hier bemüht, Städte, die nicht zerstört worden waren, sondern ihre eigene Verwaltung behielten, um Alexander versöhnlich zu stimmen. Zwar enthält der Brief keine direkte Bitte um Friedensverhandlungen, diese Blöße wollte sich Napoleon nicht geben. Er schließt aber im vermittelnden Tonfall. Eine Nachricht von Alexander hätte gereicht und er wäre nie nach Moskau selbst marschiert. Etwas anderes als einen Versuch, Frieden zu schließen, wird man aus dem Brief nicht lesen können. Eine Antwort des Zaren blieb aber auch auf diesen Brief aus, und so schwand die Chance, vor dem Winter den Rückzug anzutreten. Was blieb, war ein Verzweiflungsplan, mit Hilfe der Armee MacDonalds nach Sankt Petersburg zu marschieren, denn Überwintern war in Moskau angesichts der dramatischen Versorgungslage nicht möglich.115 Am 18. Oktober brachte ein nächtlicher Kosakenangriff auf die kampierenden Truppen Murats bei Vinkovo Napoleon dazu, wenige Stunden später, im Morgengrauen, die Offensive fortzusetzen und in Richtung Kaluga zu marschieren. Am folgenden Tag verließ Napoleon die ausgebrannte Stadt mit dem Hauptteil seiner Armee, ließ eine beachtliche Nachhut zurück, um den Abzug zu koordinieren und den Kreml’ zu zerstören.116 Beide großen Rückzugsoptionen, über Smolensk oder über Kutuzovs Versorgungsbasis Kaluga, hätten keine ausreichende Sicherheit für die Armee geboten, auf beiden Routen wäre die Nachhut Attacken von russischer Seite ausgesetzt gewesen, und keine der beiden Optionen hätte Verpflegung für Mensch und Tier in ausreichender Menge garantieren können.117 Der Abzug aus Moskau gestaltete sich entsprechend desorganisiert. In den Worten Philippe de Ségurs erinnerte das Verhalten der französischen Armee an das einer tartarischen Horde.118 Plünderungen waren an der Tagesordnung, da die Versorgung mit Lebensmitteln nicht ernst genug genommen worden war – kurze Zeit später wurde die Verteilung der wenigen verbleibenden Lebensmittelvorräte in der Armee zu einem der drückendsten Probleme. Bereits vier Tage nach dem Abzug gen Kaluga entschied die verlustreiche Schlacht von Malojaroslavec schließlich den Ausgang des Krieges.119 Die Verluste hielten sich auf beiden Seiten etwa die Waage, allerdings trafen nun die finnische Armee unter Wittgenstein und die Donauarmee unter Čičagov ein und versperrten Napoleon den weiteren Weg nach Süden. Einer numerischen Überlegenheit frischer und nicht ausgezehrter Soldaten gegenüberstehend entschied sich Napoleon für den Rückzug nach Smolensk. Der einsetzende Winter und perma-

115 Der Bericht des Deutschen Arztes Anton Wilhelm Nordhoff spricht davon, dass täglich zwischen 5 und 600 Pferde wegen der katastrophalen Versorgungslage starben. Vgl. Anton Wilhelm Nordhoff, Die Geschichte der Zerstörung Moskaus im Jahre 1812, hrsg. von Claus Scharf. München 2000, 220. 116 Vgl. zu den Überlegungen über die unterschiedlichen Rückzugswege Napoleon, Correspondance, Bd. XXIV, Nr. 19237, 235–238 117 Vgl. für eine Diskussion der Alternativen Lieven, Russia against Napoleon, 254–256. 118 Ségur, Aide de Camp, 252 f. 119 Vgl. Zamoyski, Moscow, 371–376.Vgl. den Bericht Kutuzovs an Alexander I, 16.10.1812, in: Beskrovnyj (Hrsg.), Kutuzov, Bd. 4/2, Nr. 119, 128–134.

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nente Attacken der russischen Armee machten den Rückzug äußerst verlustreich. Dennoch konnte sich Kutuzov nicht dazu durchringen, einen entscheidenden Schlag gegen die sich immer mehr auflösenden Reste der ehemaligen Grande Armée zu unternehmen. Zum einen, weil er die eigene Armee nicht gefährden wollte, zum anderen aus außenpolitischen Erwägungen: Seinen Überlegungen zufolge würde eine völlig vernichtete napoleonische Armee eine Leerstelle in Europa hinterlassen, die schnell von England gefüllt werden könnte.120 Da Alexander sich nicht völlig von seiner Generalität abhängig machen wollte, ließ er sich von Robert Wilson aus dem Lager Kutuzovs unterrichten und war daher bestens informiert über seine zögerliche Taktik. Kutuzov bat Alexander, er möge in das Hauptquartier kommen, um das Zepter der Kriegsführung selbst in die Hand zu nehmen. Auf diesen Vorschlag antwortete Alexander, dass der Sieg der russischen Armee ohnehin nicht mehr aufzuhalten sei, er sich aber nicht an die Spitze seiner Soldaten stellen könne, da dann der Ruhm des Sieges nur seiner Person zugeschrieben würde. Zudem wäre angesichts seiner militärischen Unerfahrenheit damit wenig gewonnen, im Gegenteil, es könne sogar mehr russisches Blut vergossen werden.121 Angesichts seiner Erfahrungen mit der Kriegsführung scheint diese Selbstcharakterisierung, so pathetisch sie im Ton sein mag, durchaus glaubwürdig zu sein – denn bei aller Geringschätzung des Feldmarschalls erkannte er doch die enorme Popularität Kutuzovs an und blieb dem Hauptquartier fern.122 Der weitere Rückzug der Grande Armée geschah unter permanenten Kosaken-Angriffen. Die Armee floh regelrecht an die Grenze, ließ dabei ihre Kranken, Verwundeten und Toten zurück. Verfolgt wurde sie außerdem von Kutuzovs Armee, was die Versorgungslage noch dramatischer werden ließ, denn die russische Armee konnte auf vorher angelegte Versorgungslager bauen.123 Auch der Zwischenstopp in Smolensk vom 9. bis zum 12. November konnte die Versorgungslücke nicht schließen. Die Stadt war zuvor von den französischen Truppen bis auf eine kleine Garnisonsbesatzung verlassen worden, da die Soldaten bei einem russischen Angriff gebraucht worden waren. Nach den nicht vermeidbaren Plünderungen und Desertationen blieb wenig übrig, um die geschwächte Armee Napoleons wieder zu Kräften zu bringen.124 Der kurze Aufenthalt in der Stadt ermöglichte es jedoch der Armee Kutuzovs, Smolensk südlich zu umgehen, und damit bestand die Möglichkeit, Napoleon den Weg zum Dnjepr zu versperren und ihn auf diese Weise zum Gefecht zu zwingen. Kutuzov blieb – 120 Zum außenpolitischen Aspekt vgl. die Erinnerungen von Sir Robert Wilson, The French Invasion of Russia. Bridgnorth 1996, 234 sowie Troickij, Fel’dmaršal Kutuzov, 278. Zu den Diskussionen, ob Napoleons Armee weiter verfolgt werden solle, oder nicht, vgl. N. M. Družinin, Osvoboditel’naja vojna 1813 g. i russkoe obščestvo, in: Voprosy Istorii 11, 1963, 34–46, v. a. 36–38. 121 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 3, 124. 122 Vgl. auch Katharina an Alexander I, 25.11.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 108 f. 123 Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 262 f. 124 Vgl. die Schilderung bei Puibusque, Lettres, 105–115.

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sehr zum Unwillen des Großteils der Generalität – bei seiner Linie, Napoleon eine „goldene Brücke“ zu bauen. Eine Schlacht kam für ihn erst dann in Frage, wenn Napoleon und seine Garde nicht mehr in Kämpfe mit dem Hauptteil der russischen Armee verwickelt werden könnten.125 Symbolisch für den französischen Rückzug sollte die Überquerung der Berezina Ende November werden.126 Seit Anfang des Monats hatte es heftiger geschneit. Der November entpuppte sich in der Folge allerdings als eher milder Monat, so dass das Eis auf dem Fluss taute. Damit war die Berezina nicht mehr über das Eis zu überqueren – Brücken mussten also gebaut werden.127 60.000 französische Soldaten konnten über die eilig errichtete provisorische Brücke geführt werden, ehe diese angesichts der herannahenden russischen Truppen in Brand gesteckt wurde. Hierbei blieben zwischen 25.000 und 40.000 Mann und beinahe die gesamte Artillerie auf der anderen Seite zurück. Der Rest der Armee konnte sich am 13. Dezember 1812 über den Njemen zurückretten. Damit war der russische Feldzug endgültig gescheitert. Auch wenn kaum mehr als 20.000 Soldaten das Unternehmen überlebt hatten, so befand sich unter ihnen der Großteil der erfahreneren Offiziere, eine wichtige Bank für den Wiederaufbau der Armee in den kommenden Monaten. Auch die Tatsache, dass Napoleon selbst mit dem Leben davongekommen war, musste teuer erkauft werden, denn seine Verfolgung in den kommenden – auch für russische Verhältnisse außerordentlich kalten – Wochen brachte der russischen Armee weitere größere Verluste.128

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Vgl. Löwenstern, Mémoires, Bd. 1, 348. Vgl. Zamoyski, Moscow, 458–480. Zum Wetter siehe die Übersicht bei Beskrovnyj (Hrsg.), Kutuzov, Bd. 4/2, 719, Anm. 21. Dies stellt schon Modest I Bogdanovič, Istorija otečestvennoj voiny 1812 goda, Sankt Petersburg 1859, Bd. 3, 288, fest. Allein die Armee Kutuzovs verlor in den Wochen annähernd 48.000 Soldaten durch Krankheit (vor allem Typhus) oder Mangelerscheinungen, so dass sie von 90.000 auf 42.000 schrumpfte. Vgl. Kutuzov an Alexander, 19.12.1812 (AS), in: Beskrovnyj (Hrsg.), Kutuzov, Bd. 4/2, 551–554.

IV. RELIGIÖSE WANDLUNG. DIE KONVERSION Ungeachtet seiner langen Tradition ist der Begriff der Konversion bis heute unterbestimmt und nicht eindeutig definiert, zudem stark konfessionell konnotiert.1 Es scheint kaum verwunderlich, dass die protestantische Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) dem Phänomen 13 Spalten widmet, das katholische Lexikon für Theologie und Kiche (LThK) hingegen nur zwei – denn in katholischer Perspektive gibt es als Konversionsphämomen nur den „Kirchenabfall“, die Apostasie.2 Im LThK wird zwar konstatiert, dass der Begriff nicht scharf definiert sei, wenigstens einen „Glaubenswechsel“ bezeichne, im Allgemeinen aber die Bereitschaft einer Person „einer bestimmten Religionsgemeinschaft beizutreten“.3 Die RGG erweitert den Zugang durch das Einbeziehen ganzer Gruppen, so dass Konversion ein „rel. gedeutete[r] Prozeß ganzheitlicher Umorientierung“ ist, in der ein Mensch oder eine Gruppe „das vergangene Leben reinterpretiert, die Abwendung von diesem vollzieht und das künftige in einem veränderten gesellschaftlichen Beziehungsnetz neu begründet und gestaltet.“4 Das amerikanische Projekt „Conversion: Sacred and Profane“, das von 1999 bis 2001 am Shelby Cullom Davies Center for Historical Studies der Universität Princeton verfolgt wurde, kam gar zu dem Schluss, sich von dem Begriff zu verabschieden und statt dessen Umschreibungen, wie „cultural interaction, cultural transmission, diffusion, religious change, selective appropriation or borrowing, interactive emergence“ zu benutzen.5

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Vgl. Lewis Ray Rambo, Understanding religious conversion. New Haven 1993, 3; Jörg Deventer, Konversion und Konvertiten im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Stand und Perspektiven der Forschung, in: ASCHKENAS 15, 2005, 257–270; Gesine Carl, Zwischen zwei Welten? Übertritte von Juden zum Christentum im Spiegel von Konversionserzählungen des 17. und 18. Jahrhundert. Hannover 2007, 41 f. Für einen Überblick siehe zudem Monika Wohlrab-Sahr, Paradigmen soziologischer Konversionsforschung, in: Henning, Christian/Nestler, Erich (Hrsg.), Konversion. Zur Aktualität eines Jahrhundertthema. Frankfurt/Main u.a. 2003, 75–93. Religion in Geschichte und Gegenwart4 (1998), Sp. 1228–1241, Ilona Riedel-Spangenberg, Konversion, Konvertiten, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 4. 1997, Sp. 338–340. Siehe einführend und als guten Überblick auch James T. Richardson, Conversion, in: Swatos, William H. u.a. (Hrsg.), Encyclopedia of religion and society. Walnut Creek, Calif. 1998, 119–121. Riedel-Spangenberg in LThK. Sp. 338; hier wird auch konstatiert, dass nach die Konversion eines Katholiken zu einer anderen Glaubensgemeinschaft als „Kirchenabfall“ gewertet wird: ebd, Sp. 339. RGG4, Konversion, Sp. 1228 f. Kenneth Mills/Anthony Grafton, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Conversion. Old worlds and new. Rochester 2003, IX–XIX, hier X.

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Diese Ausweitung der Begriffe schien den an der Studie beteiligten Wissenschaftlern nötig zu sein, um den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Konversionen Herr zu werden. Ähnlich ist das Urteil Jörg Deventers, der sich eingehend mit dem Phänomen in sozial- und alltagsgeschichticher Perspektive auseinandergesetzt hat: Wolle man an dem Begriff festhalten, dann „lediglich als Sammelbezeichnung für Handlungen und Prozesse verschiedener Intensität und Reichweite.“6 Eine sehr weitgefasste Definition des Begriffes, die Konversion als Wechsel der Weltsicht versteht, kann dazu führen, dass er nur noch deskriptiv und als catch-all-term kaum noch analytisch verwendet werden kann.7 Bei aller Unschärfe des Begriffes besteht ein Minimalkonsens darin, ihn als als „Glaubenswechsel“ zu definieren. In einem weiteren Sinn als „Prozesse der Zu- oder Abwendung von Glaubenssystemen […], im engeren Sinn den Beitritt beziehungsweise Austritt aus religiösen Gemeinschaften.“8 Damit kann sowohl der Wechsel einer religiösen Gemeinschaft, einer Partei, eines Verwandtschaftssystems gemeint sein als auch die Änderung von kognitiven Grundanschauungen (Weltbilder und Ideologien) sowie Neuorientierungen in Mentalität und Verhaltensmustern. Angesichts des Befundes, dass der Begriff kaum analytisch nutzbar scheint, stellt sich auf den ersten Blick die Frage, warum eine Beschäftigung mit Konversionen und Konvertiten sinnvoll ist. Die Antwort fällt eindeutig aus: Weil Konversionen einen radikalen Wandel bedeuten und als solche in den autobiographischen Rekonstruktionen gedeutet werden. Dabei ist die Konversionsforschung vor allem in der Frühen Neuzeit ein Boom-Thema.9 Hier existieren schon seit Längerem Untersuchungen, die Konversionen von Reichsfürsten zum Thema machen, doch wird meist mehr oder weniger stillschweigend vermutet, dass „hinter“ der so ettiketierten Konversion eigentliche Motive zu finden seien, die im politi6

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Jörg Deventer, „Zu Rom übergehen“. Konversion als Entscheidungshandlung und Handlungsstrategie – Ein Versuch, in: Leeb, Rudolf/Pils, Susanne C./Winkelbauer, Thomas (Hrsg.), Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien/München 2007, 168–180, 172. Eine Untersuchung von adeligen Konvertiten als Gruppe bei Thomas Winkelbauer, Karrieristen oder fromme Männer? Adelige Konvertiten in den böhmischen und österreichischen Ländern um 1600, in: Chocholáč, Bronislav (Hrsg.), Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspĕvků, ež vĕnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brünn 1999, 431–452. Eine so weit gefasste Definition bei John Lofland/Rodney Stark, Becoming a world-saver. A theory of conversion to a deviant perspective, in: American Sociological Review 30, 1965, 862–875, bes. 862. Hubert Mohr, Konversion/Apostasie, in: Cancik, Hubert/Gladigow, Burkhard/Kohl, KarlHeinz (Hrsg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 3. Stuttgart 1993, 436–445, hier 436. Siehe Ute Lotz-Heumann/Jan-Friedrich Mißfelder/Matthias Pohlig, Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Systematische Fragestellungen, in: Lotz-Heumann, Ute/Mißfelder, Jan-Friedrich/Pohlig, Matthias (Hrsg.), Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Gütersloh 2007, 11–32. sowie den Forschungsüberblick bei Deventer, Konversion und ders., Zu Rom übergehen; Kim Siebenhüner, Glaubenswechsel in der Frühen Neuzeit. Chancen und Tendenzen einer historischen Konversionsforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34, 2007, 243–272.

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schen Kalkül identifizierbar sind.10 Neben diesen Studien liegen weitere vor, die sich dem Phänomen aus einer sozialgeschichtlichen Perspektive nähern und somit vor allem Massenkonversionen untersuchen.11 In der Spätneuzeit ist das Thema – mit Ausnahme der Konversion von Juden, die häufig als Missionsgeschichte geschrieben worden ist12 – allerdings nicht recht angekommen. Die Politische Geschichte hat bislang einen noch größeren Bogen darum gemacht, sich mit dem Phänomen eingehender zu beschäftigen. Zu verlockend scheint es, die vermeintlich realpolitischen Motive auch auf Fälle von Konversionen von Staatmännern im 19. Jahrhundert zu übertragen, erst recht, da Religion als Faktor sui generis in der Analyse der internationalen Beziehungen allenfalls in synchronen politikwissenschaftlichen Untersuchungen zum Islam und anderen, vor allem außereuropäi-

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Siehe beispielsweise Günther Christ, Fürst, Dynastie, Territorium und Konfession. Beobachtungen zu Fürstenkonversionen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts, in: Saeculum 24, 1973, 367–387; Hans Schmidt, Konversion und Säkularisierung als politische Waffe am Ausgang des konfessionellen Zeitalters. Neue Quellen zur Politik des Herzogs August von Hannover am Vorabend des Friedens von Nymwegen, in: Francia 5, 1977, 183–230; Winkelbauer, Karrieristen, gekürzt auch erschienen Thomas Winkelbauer, Karrieristen oder fromme Männer? Adelige Konvertiten in den böhmischen und österreichischen Ländern um 1600, in: Frühneuzeit-Info 10, 1999, 9–20; Eric-Oliver Mader, Staatsräson und Konversion. Politische Theorie und praktische Politik als Entscheidungshintergründe für den Übertritt Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg zum Katholizismus, in: Kugeler, Heidrun (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven. Hamburg 2006, 120–150; Jenny Lagaude, Die Konversion des Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. Motive und Reaktionen. Leipzig 2006; Eric-Oliver Mader, Die Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg. Zur Rolle von politischem und religiös-theologischem Denken für seinen Übertritt zum Katholizismus, in: Lotz-Heumann, Ute/Mißfelder, JanFriedrich/Pohlig, Matthias (Hrsg.), Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Gütersloh 2007, 107–146. Alexander Schunka, Exulanten, Konvertiten, Arme und Fremde. Zuwanderer aus der Habsburgermonarchie in Kursachsen im 17. Jahrhundert, in: Frühneuzeit-Info 14, 2003, 66–78; Martin Scheutz, Glaubenswechsel als Massenphänomen in der Habsburgermonarchie im 17. und 18. Jahrhundert. Konversionen bei Hof sowie die „Bekehrung“ der Namenlosen, in: Leeb, Rudolf/Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar (Hrsg.), Geheimprotestantismus, 431–455. Z. B. Christopher Clark: Jewish Conversion in Context. A case study from nineteenth-century Prussia, in: German History 14, 1996, 281–296; Elisheva Carlebach, Divided souls. Converts from Judaism in Germany, 1500–1750. New Haven 2001; Johannes Graf: Judaeus conversus. Christlich-jüdische Konvertitenautobiographien des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1997; Rotraud Ries, ‚Missionsgeschichte und was dann?‘. Plädoyer für eine Ablösung des kirchlichen Blicks, in: Ashkenas 15, 2005, 271–301; Jutta Braden, Eine Probe aufs Exempel. Neue Forschungskonzepte am Beispiel Hamburger Konversionen von Juden zum Christentum (1600–1850), in: ASCHKENAS 15, 2005, 303–335; Deborah Hertz, How Jews became Germans. The history of conversion and assimilation in Berlin. New Haven 2007; Meiners, Werner (Hrsg.), Konversionen von Juden zum Christentum in Nordwestdeutschland. Vorträge des Arbeitskreises Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Hannover 2009.

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schen, Religionen auftaucht.13 Eine Ausnahme sind hierbei die Studien zu Konflikten, die maßgeblich von religiösen Differenzen bestimmt werden.14 Vermutet man jedoch hinter politischen Entscheidungen, denen religiöse Rechtfertigungserzählungen folgen, einzig eine geschickt getarnte Machtpolitik, so wird das analytische Spektrum in erheblicher Weise eingeschränkt. Ein blindes Vertrauen in den Wahrheitsgehalt von Konversionsberichten birgt allerdings nicht weniger große Gefahren. Somit ist Vorsicht geboten, denn die Selbstaussage, dass bestimmte Dinge religiös motiviert seien, erlaubt für sich allein genommen noch nicht den Schluss, dass diese Handlungen auch tatsächlich religiös bestimmt sind. Hierzu bedarf es eines differenzierten Instrumentariums, das sowohl die Selbstaussagen als auch die Praxis untersucht. Besonders lohnend scheint die Beschäftigung in Fällen, bei denen ein Gesinnungswandel eines handelnden Akteurs zu beobachten ist, mithin in Fällen, die sich auf die Nahperspektive konzentrieren.15 Ein Blick in die historische Literatur hilft hier nur begrenzt: vielfach wird über die Motive spekuliert und die Konversion als Vorgang treu aus den Quellen nachgebetet. Eine Ausnahme bildet hier die sozialgeschichtlich orientierte Forschung, die sich dem Phänomen quantifizierend genähert hat. Dabei ist Konversionsforschung keinesfalls neu. Sie nahm ihren Anfang im Grunde unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In einer ersten Phase standen die beiden wohl prominentesten Fälle von Konversionen der Weltgeschichte, die des Apostels Paulus und die des Kirchenlehrers Augustinus, Pate für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Paulus hatte als Pharisäer zu den Anhängern Jesu gefunden, worüber in der Bibel ausführlich berichtet wird.16

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Vgl. Aarts, Paul/Nonnemann, Gerd (Hrsg.), Saudi Arabia in the Balance. Political Economy, Society, Foreign Affairs, London. London 2006; Dass religiös motivierte Konflikte zwischen 1950 und 1996 zugenommen haben zeigt Jonathan Fox, Religion and State failure. An Examination of the Extent and Magnitude of Religious Conflict from 1950 to 1996, in: International Political Science Review/Revue internationale de science politique 25, 2004, 55– 76; grundlegend Fox, Religion; Mansoor Moaddel, The Study of Islamic Culture and Politics. An Overview and Assessment, in: Annual Review of Sociology 28, 2002, 359–386. Zur Konversion zum Islam: Monika Wohlrab-Sahr, Konversion zum Islam in Deutschland und den USA. Frankfurt 1999. Für weitere Literatur zum Thema Religion und (internationale) Politik siehe auch Philipp Menger, Die Heilige Allianz – „La garantie religieuse du nouveau système Européen“?, in: Pyta (Hrsg.), Mächtekonzert, 209–236. Siehe zum Israel-Konflikt Hillel Frisch/Shmuel Sandler, Religion, State, and the International System in the Israeli-Palestinian Conflict, in: International Political Science Review/Revue internationale de science politique 25, 2004, 77–96. Hierzu Jochen Hörisch, Konversionen. Von der Kultur– zur Mediengeschichte, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 5, 2001, 167–189. Auf den Aspekt der politischen Konversion kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu einleitend Heinz-Gerhard Haupt, Politische Konversionen in historischer Perspektive. Methodische und empirische Überlegungen, in: Gerhard, Uta (Hrsg.), Zeitperspektiven. Studien zu Kultur und Gesellschaft. Beiträge aus der Geschichte, Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft. Stuttgart 2003, 267–304. Zum Namen Saulus/Paulus siehe Apg. 13: 9; vgl zur Konversion Apg. 9: 2; Kor. 12: 1–5 und Gal. 1: 15 f.; über seine Auffassung des Judentums: Phil. 3:3, 5–7; Gal. 6:16; Röm. 2:29; und

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Ebenso eindrücklich ist die Schilderung in den Confessiones bei Augustinus. Zum ersten Mal findet sich hier auch eine Beschreibung der „Symptomatik“ einer Konversion: Schweißausbrüche, Asthma, Hysterie – im Falle der paulinischen Konversion kommen noch Halluzinationen hinzu.17 Beide Berichte standen Pate für die Frühzeit der Konversionsforschung. Zwischen 1734 und 1740 hatte der amerikanische presbyterianische Geistliche und Präsident der Princeton University, Jonathan Edward, sich mit der Erweckungsbewegung beschäftigt.18 Doch erst nach dem sprichwörtlichen Dornröschenschlaf von 100 Jahren wurde das Gedankengut aufgegriffen, als der amerikanische Psychologe Stanley Hall 1882 über „The Moral and Religious Training of Children“ schrieb.19 Ausgehend von dieser Studie legten zwei Schüler Halls das Fundament für die gegenwärtigen Forschung: Edwin Starbuck, der wie sein Lehrer vor allem die Phase der Adoleszenz untersuchte, und James H. Leuba. Letzterer unterschied psychische Bedingungen, Krise des Konvertiten und Gefühlslage nach der Konversion, wobei die Selbstaufgabe, der schockartige Charakter der Konversion und die passive Haltung des Konvertiten als gegeben akzeptiert wurden.20 Sein Kollege Starbuck übernahm diese Annahmen, präzisierte sie aber weiter.21 Übernommen wurde es sodann in den „Klassiker“ der amerikanischen Religionspsychologie, den „Gifford Lectures“ von William James (1901/1902), in denen Konversion auch als plötzlich auftretendes Ereignis beschrieben wurde.22 Voraussetzungen für das Auftreten einer solchen plötzlichen Bekehrung seien eine erhöhte Sensibilität des eher passiven Konvertiten und seine Neigung, Handlungen zu automatisieren. Allerdings könne diese besondere religiöse Erfahrung nicht jedem „ordinary religious believer“ zuteil werden: „These experiences we can only find in individuals for whom religion exists not as a dull habit but as an acute fever rather“, nur den religiösen

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Mary E. Andrews, The Conversion of Paul, in: Journal of Bibel and Religion 9, 1941, 147– 150. Augustinus, Confessiones, 5,9 f. Z.B. Jonathan Edwards, A treatise concerning religious affections in three parts; Part I. Concerning the nature of the affections, and their importance in religion. Part II. Shewing what are no certain signs that religious affections are gracious, or that they are not. Part III. Shewing what are distinguishing signs of truly gracious and holy affections. Boston 1746. Granville Stanley Hall, The Moral and Religious Training of Children and Adolescents. Read at General Meeting of Am. Social Science Ass’n, Saratoga, N. Y, Sept. 6, 1881, in: Princeton Review 20, 1882, 26–48. J. H. Leuba, A study in the psychology of religious phenomena, in: American Journal of Psychology 7, 1896, 309–385. Siehe Albert Rudolph Uren, Recent religious psychology; a study in the psychology of religion, being a critical exposition of the methods and results of representative investigators of the psychological phenomena of religion. Edinburgh 1928, 27. W. James, The varieties of religious experience. A study in human nature. Being the Gifford Lectures. New York 21902 (ND New York 1982). Deutsche Ausgabe: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur, Frankfurt/Main 1997. Eine prozesshafte Konversion taucht hier nur als willentlicher Akt auf. Vgl. Ulrike Popp-Baier, Bekehrung als Gegenstand der Religionspsychologie, in: Henning, Christian/Murken, Sebastian/Nestler, Erich (Hrsg.), Einführung in die Religionspsychologie. Paderborn 2003, 94–117, hier 94–97.

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„Genies“.23 Diese am religiösen Fieber leidenden Wenigen machen allerdings keinen vollständigen Wandel durch, vielmehr werden bei ihnen nur bereits angelegte Muster der Weltdeutung verstärkt, so dass eine ursprüngliche Zerissenheit aufgehoben werde.24 Im Grunde waren damit die wesentlichen Bausteine der religionswissenschaftlichen Konversionsforschung für die nächsten fünfzig Jahre zusammengefügt. Mit einer Studie des japanisch-amerikanischen Religionssoziologen Tamotsu Shibutani begann Anfang der 1960er die moderne religionssoziologische Konversionsforschung.25 Shibutani schafft den Schritt aus der Innenwelt des Konvertiten in die soziale Umwelt. Ein Konvertit durchläuft in seinem Modell mehrere Phasen:26 Zunächst enfremdet er sich allmählich von seinen signifikanten Anderen – denjenigenden, die in der primären Sozialisationsphase prägenden Einfluss auf die Persönlichkeit des Konvertierenden ausübten.27 In der Folge wird eine neue Gruppe von signifikanten Anderen gesucht, zu denen funktionierende und stabile Sozialbeziehungen aufgebaut werden.28 Diese Gliederung wurde von den „Gründervätern“ der konstruktivistischen Soziologie, Peter L. Berger und Thomas Luckmann aufgegriffen. Für sie ist eine Konversion eine radikale Verwandlung. Konvertiten durchlaufen einen erneuten Sozialisationsprozess, der in seinen Konsequenzen denen der primären Sozialisation vergleichbar ist, da er (neue) Plausibilitätsstrukturen schafft.29 Konversion ist nicht mehr als innere, als persönliche Krise zu verstehen, sondern in erster Linie als eine Krise von Beziehungen. Auf eine interpersonelle Krise folgt die Suche nach neuen sozialen Beziehungen. Somit ist Konversion zumindest zu einem Teil auch ein Willensakt, eine wenigstens teilbewusste Entscheidung muss der Suche vorausgehen.30 Eingepasst in diese Suche kann ein Bekehrungserlebnis stattfinden. Ein solches Erlebnis ist damit eine kann-Option und keine formale Notwendigkeit. Die formelhafte Einengung von Konversion auf ein plötzliches Schocker-

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James, Varieties, 6. Ebd, 189. Tamotsu Shibutani, Society and personality. An interactionist approach to social psychology. Englewood Cliffs, N.J. 1961. Ebd, 525 f. Der Begriff des „signifikanten Anderen“ ist m.E. von George Herbert Mead eingeführt worden. Vgl. Klaus Kiefer, Sozialisation, in: Reimann, Horst u. a. (Hrsg.), Basale Soziologie. Opladen 1991, 140–159, hier 144 f. und Dieter Geulen, Sozialisation, in: Joas, Hans (Hrsg.), Lehrbuch der Soziologie. Frankfurt/Main 2007, 137–159, 144. Shibutani, Society, 527–529; ders., Bezugsgruppen und soziale Kontrolle, in: Hondrich, Karl Otto (Hrsg.), Menschliche Bedürfnisse und soziale Steuerung. Eine Einführung in die Sozialwissenschaft. Reinbek 1975, 154–171. Berger/Luckmann, Lebenswelt 21967, 158. Siehe auch Monika Wohlrab-Sahr, Konversion als Resozialisation, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 18, 1998, 373–388. Vgl. Frauke Volkland, Konversion und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der „konfessionellen Identität“, in: Greyerz, Kaspar von/Jakubowski-Tiessen, Manfred/Kaufmann, Thomas/Lehmann, Hartmut (Hrsg.), Interkonfessionalität–Transkonfessionalität–binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003, 91–104; kritischer hingegen Deventer, Konversion.

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ereignis oder als einen langandauernden Prozeß der Neuorientierung führt nicht weiter. Ebensowenig kann man den Konvertiten als passives Objekt höherer Gewalten sehen, denn er wird aktiv und sucht nach neuen Wegen und Kanälen. Mit der Öffnung hin zur Umwelt ist der Schritt von einer religionspsychologischen zu einer modernen religionssoziologischen Methode getan. Deren Anfang wurde stark beeinflusst durch die Arbeiten von John Lofland und Rodney Stark,31 denenzufolge zwei Faktorenarten auftreten müssen, um von einer Konversion sprechen zu können: persönliche Faktoren („predisposing factors“), die schon vor dem Kontakt zu der aufnehmenden Gruppe vorhanden sind, sowie situationsgebundene Faktoren („situational contingencies“). Daraus entwickeln Lofland und Stark ein mehrere Punkte umfassendes Modell: ein potenzieller Konvertit muss sich in einer länger andauernden Spannungssituation befinden, die gerade besonders akut scheint. Als Ausweg müssen ihm religiöse Problemlösungsmuster grundsätzlich plausibel erscheinen, so dass er in der Folge als Suchender auftreten kann. Wenn er nun der religiösen Aufnahmegruppe an einem Wendepunkt seines Lebens begegnet und eine emotionale Beziehung zu mindestens einem ihrer Mitglieder aufgebaut wird, wobei die Beziehungen außerhalb dieser Gruppe in den Hintergrund treten, dann ist die Bekehrung durch intensive Interaktion mit der Gruppe vollzogen. Dieses Modell ist im Grunde nicht weiter ausdifferenziert in der Forschung übernommen und auf alle Arten von Konversion angewandt worden.32 Methodischer Zugang in all diesen Modellen waren meist die Konversionserzählungen, die somit positivistisch als Wiedergabe der Ereignisse betrachtet, aber nicht weiter problematisiert wurden. Erst mit dem Ankommen des linguistic turn in den Sozialwissenschaften sollte sich das methodische Vorgehen ändern.33 Nun standen

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Lofland/Stark, world-saver und J. Lofland, „Becoming a world-saver“ revisited, in: Richardson, J. T. (Hrsg.), Conversion Careers. In and out of the new Religions. London 1978, 10–23. Zur Kritik am Modell von Lofland und Stark siehe David A. Snow/C. L. Philips, The Lofland-Stark Conversion Model. A Critical Reasessment, in: Social Problems 27, 1980, 430–447. Vgl. A. L. Greil/D. R. Rudy, What have we learned from Process Models of Conversion? A Examination of ten case studies, in: Sociological Focus 17, 1984, 305–323. Vgl. Monika Wohlrab-Sahr/Hubert Knoblauch/Volkhard Krech, Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung, in: Wohlrab-Sahr, Monika/Knoblauch, Hubert/Krech, Volkhard (Hrsg.), Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive. Konstanz 1998, 7–43. Eine erste Kritik an einer naiven und nicht quellenkritischen Herangehensweise schon bei Snow/Philips, Encyclopedia; Siegfried Lamnek, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim 42005, v. a. 47–82; Flick, Uwe (Hrsg.), Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Weinheim 1995; für die Geschichtswissenschaft Elizabeth Ann Clark, History, theory, text. Historians and the linguistic turn. Cambridge, Mass. 2004; Peter Schöttler, Wer hat Angst vor dem „linguistic turn“?, in: Geschichte und Gesellschaft 23, 1997, 134– 151. sowie Hayden White, Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie, in: Rossi, Pietro (Hrsg.), Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt/Main 1990, 57–106.

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vermehrt die Erzählungen also solche im Fokus der Aufmerksamkeit, der Prozess des Erzählens erhielt mehr und mehr Aufmerksamkeit. Denn Erzählungen von Konversionserlebnissen sind im Kern nur als „kommunikative Rekonstruktion“, also als „Konversions-Erzählung“ zugänglich.34 Folgt man Thomas Luckmann, so setzen Konversionen und ihre Erzählungen „so etwas wie einen ‚Kanon‘ voraus, der den Kern der Wirklichkeitssicht festlegt, zu der ein Mensch konvertiert.“35 Hatten schon die ersten Forschungen auf Ego-Dokumenten– also all jenen Dokumenten, „in denen ein Mensch Auskunft über sich selbst gibt“36 –, freilich avant la lettre, beruht, so blieben Aussagen aus Tagebüchern und Interviews häufig unreflektiert. Die Darstellungen der Konversion bieten eben keine „objektive“ Schilderung, sondern sind vielmehr Rekonstruktionen, bei denen biographische Ereignisse so selektiert, geordnet und gedeutet werden, dass ein konsistenter Lebenszusammenhang sichtbar wird, der in Einklang mit der durch die Konversion erworbenen Identität des Darstellers steht. Insbesondere die Angaben, die ein Konvertit über seine vorkonversionelle Biographie macht, dürfen daher nicht bindlings als Datengrundlage für die wissenschaftliche Analyse und Rekonstruktion der Ursachen [...] und der typischen Verläufe von Konversionen herangezogen werden.37

Obwohl Konversionen höchst subjektive biographische Erfahrungen sind lassen sich Konvertiten bei den Schilderungen ihrer Konversion von vorhandenen „Deutungs- und Darstellungsmustern“ leiten. Diese Muster werden zu einem Großteil von der neu aufnehmenden religiösen Gruppe bestimmt.38 Konvertiten übernehmen also aus den aufnehmenden Gruppen die dort vorherrschenden Vorstellungen über das Wesen des Glaubens und damit auch über das Wesen der Konversion. Mit Bernd Ulmer kann man Konversionserzählungen als „rekonstruktive kommunikative Gattung“ begreifen. Damit sind „alle kommunikativen Vorgänge, in denen vergangene Ereignisse und Erlebnisse nach gesellschaftlich verfestigten und intersubjektiv verbindlich vorgeprägten kommunikativen Mustern rekonstruiert werden“ gemeint.39 Die Ausprägung und Verfestigung dieser Rekonstruktion ist das Resultat eines Sedimentierungsprozesses. Sie stellen historisch gewachsene

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Vgl. Thomas Luckmann, Kanon und Konversion, in: Assmann, Aleida/Assmann, Jan (Hrsg.), Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II. München 1987, 38–46 und Bernd Ulmer, Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattung. Erzählerische Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses, in: Zeitschrift für Soziologie 17, 1988, 19–33. Luckmann, Kanon, 38. Schulze, Winfried: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen zur Tagung „Ego-Dokumente“, in: ders. (Hrsg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, 11–32, hier 21. Zur Diskussion des Begriffes siehe Planert, Ute: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag–Wahrnehmung–Deutung 1792–1841, Paderborn u. a. 2007, 52–56. Ulmer, Konversionserzählung, 19. Vgl. James A. Bedford, Accounting for Conversion, in: British Journal of Sociology 29, 1978, 239–262. Ulmer, Konversionserzählung, 20.

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und gesellschaftlich erprobte kommunikative „Lösungen“ für kommunikative „Probleme“ dar. Grundsätzlich sind Konversionserzählungen demnach ähnlich aufgebaut: Sie folgen einer Dreiteilung in „Wendepunkt“, die „Zeit davor“ und die „Zeit danach“.40 Dem entspricht eine thematische Dreiteilung der Konversionerzählungen. Mit der „Zeit davor“ beschreibt der Konvertit ein scheinbar anderes Leben, das zum nachkonversionellen Leben in Widerspruch steht. Die Krisenzeit ist vor allem dadurch geprägt, dass alltägliche Lösungsmechanismen für die Probleme ausscheiden und das Religiöse besondere Relevanz erhält. Merkmal der Krise ist eine zunehmende Isolierung. Erst durch die Beschreibung des Konvertiten, durch die Erzählung seiner Krise also kann seine Innenwelt intersubjektiv zugänglich werden. In gewisser Weise wird sie durch diese Erzählung auch erst konstituiert, da das eigentliche Bekehrungs- beziehungsweise Konversionserlebnis selbst nicht kommunizierbar ist: Es sprengt den Rahmen des Sagbaren, worauf der Erzähler häufig selbst hinweist. Hierdurch wird dem außer-normalen Wirklichkeitsstatus der Konversion Rechnung getragen. Die soziale Umwelt wird ausgegrenzt und der Vorgang der Konversion in die Innenwelt des Konvertiten verlagert. Typischerweise ist der Konvertit dabei „emotional erschüttert“.41 Daraus folgt unmittelbar, dass das „wie“ der Erzählung bei der Analyse ebenso berücksichtigt werden muss, wie das „was“. Dieses „was“ kann man im Anschluss an David A. Snow und Richard Machalek als einen Wechsel des Diskursuniversums betrachten.42 Dabei kann die Sprache zum Mittel werden, gewissermaßen vollzieht sich die Konversion sogar erst durch ihre Versprachlichung und damit durch ihre soziale Mitteilung. Hierbei gilt, dass der Wandel radikal, einschneidend und für das weitere Leben als bedeutsam thematisiert werden sein muss. Zudem muss er sowohl auf der individuellen Ebene der eigenen Biographie als auch auf der intersubjektiven Ebene der Symbol- und Deutungssysteme passieren. Es bieten sich freilich mehrere Möglichkeiten, ein solches Konzept auch für die Geschichte der internationalen Beziehungen nutzbar zu machen. Denkbar wäre es, sich die Frage nach dem Einfluss religiöser pressure groups auf internatio-

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Ebd., bes. 22 und 31. Dies findet sich auch schon eindrücklich geschildert bei Augustinus, Confessiones, Buch 8. Vgl. ansonsten W. M. Sprondel, Subjektives Erlebnis und das Institut der Konversion, in: Lutz, B. (Hrsg.), Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Verhandlungen des 22. Deutschen Soziologentages in Dortmund 1984. Frankfurt/Main 1985, 549–588. David A. Snow/Machalek Richard, The Sociology of Conversion, in: Annual Review of Sociology 10, 1984, 167–190. Mit „Diskursuniversum“ wird – wiederum anschließend an G. H. Mead – ein System von Bedeutungen verstanden, das innerhalb von sozialen Gruppen hergestellt wird. Es bezeichnet somit den Deutungshorizont innerhalb von Gruppen. Vgl. George Herbert Mead, Geist, Identität und Gesellschaft. Aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Frankfurt Main 1973 [11934], 129 f. Vgl. auch Monika Wohlrab-Sahr, „Ich hab’ das eine gegen das andere ausgetauscht sozusagen.“. Konversion als Rahmenwechsel, in: Psychotherapie und Sozialwissenschaften 3, 2001, 224–248.

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nale Verhandlungen zu stellen.43 Wenn allerdings die policy-maker des internationalen Systems von religiösen Sinnkonfigurationen beeinflusst sind und der Nachweis erbracht werden kann, dass diese Sinnkonfigurationen nicht nur im Privaten wirken, sondern auch im Politischen, dann ist der Einfluss des Religiösen erheblich unmittelbarer und kann gewissermaßen direkt nachvollzogen werden 1. VOM SAULUS ZUM PAULUS Es scheint außer Frage zu stehen, dass der russische Zar nach 1812 ein zutiefst religiöser Mensch gewesen ist.44 Da für den Zeitraum vor 1812 kaum Äußerungen vorliegen, die auf einen ernsthaften religiösen Hintergrund schließen lassen, liegt der Schluss nahe, dass im Jahr 1812 eine Konversion stattgefunden hat. Auch wenn sich herausgestellt hat, dass die Beschreibung der Abläufe von Konversionen nicht schematisierbar sind, sondern sich vielmehr an den jeweiligen Beziehungen zwischen Konvertit und seinen Umwelten orientieren,45 so kann das von Lofland und Stark vorgeschlagene Modell Beschreibung der Bedingungen eines Konversionserlebnisses mit guten Gründen herangezogen werden.46 Diese Bedingungen sind: Eine länger andauernde persönliche Krise, die gerade akut scheint, soll mit Hilfe von religiösen Mitteln gelöst werden. Dadurch definiert sich der Konvertit in dieser Phase als religiös Suchender, dessen Kontakt mit der aufnehmenden Gruppe an einem vermeintlichen Wendepunkt der eigenen Biographie zustande kommt. Ein weiteres Merkmal schließlich ist die affektive Bindung an eines oder mehrere Mitglieder der neuen Gruppe von signifikanten Anderen, 43

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Wie sehr solche Pressure Groups internationale Beziehungen beeinflussen, zeigen Willetts Peter (Hrsg.), Pressure groups in the global system. The transnational relations of issue-orientated non-governmental organizations New York 1982, Margaret E Keck/Kathryn Sikkink, Activists beyond borderAdvocacy networks in international politics. Ithaca, NY 1998, und Tanja Brühl, Nichtregierungsorganisationen als Akteure internationaler Umweltverhandlungen. Ein Erklärungsmodell auf der Basis der situationsspezifischen Ressourcennachfrage. Frankfurt/Main 2003. Dies ist keinesfalls ein Phänomen der Gegenwart, als aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert seien nur die philhellenistische Bewegung und die Anti-SklavereiBewegung genannt. Siehe Natalie Klein, L’humanité, le christianisme, et la liberté. Die internationale philhellenische Vereinsbewegung der 1820er Jahre. Mainz 2000; Betty Fladeland, Abolitionist Pressure on the Concert of Europe. 1814–1822, in: Journal of Modern History 38, 1966, 355–373 sowie Ellen G Wilson, Thomas Clarkson. A biography. Basingstoke 1989. Vgl. u.a. Erbe, Erschütterung, 246f; Eich, Russland, 293, v. a. Andrei Zorin, “Star of the East”. The Holy Alliance and European Mysticism, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History, 2003, 313–342. Karl Stählin, Ideal und Wirklichkeit im letzten Jahrzehnt Alexanders I., in: Historische Zeitschrift 145, 1932, 90–105. Vgl. auch schon Roy L. Austin, Empirical Adequacy of Lofland’s Conversion Model, in: Review of Religious Research, 18, 1977, 282–287, hier 286. Vgl. Willem Kox/Wim Meeus/Harm t’Hart, Religious Conversion of Adolescents. Testing the Lofland and Stark Model of Religious Conversion, in: Sociological Analysis 52, 1991, 227–240 und Gesine Carl, Zwischen zwei Welten? Übertritte von Juden zum Christentum im Spiegel von Konversionserzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Laatzen 2007, 534–536.

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der eine Herabstufung der Bedeutung anderer Sozialbeziehungen entspricht bei einer gleichzeitigen Intensivierung der neuen Beziehungen.47 Alexanders Konversion fand während der dramatischsten Phase des Krieges gegen Napoleon statt. Napoleon war mit seiner Grande Armée weit nach Russland eingedrungen und hatte Moskau erobert. Wenig später brannte die Stadt lichterloh, innerhalb von vier Tagen, vom 15. bis zum 19. September, zerstörte das Feuer die hauptsächlich aus Holz erbaute Stadt fast vollständig.48 Der Verlust der Stadt war vor allem unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten, weniger unter militärischen, bedeutsam. Das „Dritte Rom“ war verloren. Eine der ersten und unmittelbaren Äußerungen des Zaren zu diesem Ereignis findet sich in einem Brief an den schwedischen Kronprinzen Bernadotte: Mais c’est Moscou vide qui est tombé au pouvoir de l’ennemi. De tous ses habitants, il n’y est resté que les portiers des maisons. Cette perte est cruelle, j’en conviens, mais plus sous le rapport moral et politique que sous le rapport militaire. Du moins me donnera-t-elle l’occasion de présenter à l’Europe entière la plus grande preuve que je puisse offrir de ma perséverance à soutenir la lutte contre son oppresseur, car après cette plaie, toutes les autres ne sont que des égratignures.49

Einem konstruktivistischen Ansatz folgend ist zunächst die Konversionserzählung Alexanders von Interesse. Da Alexanders Bruder Nikolaus systematisch die Papiere des Zaren vernichtet hat, fehlen die Notizbücher Alexanders oder andere Ego-Dokumente, in denen sich Alexander zu seiner Konversion hätte äußern können.50 Was allerdings erhalten ist, sind Briefe oder Gesprächsaufzeichnungen. So erinnerte sich etwa der preußische evangelische Bischof Eylert an ein Gespräch, das er mit Alexander I. geführt hatte und in dem Alexander von seiner Konversion berichtet. Ein Ausschnitt dieser Äußerung soll einer Konversionserzählung, die aus Interviews mit Konvertiten entstammen, gegenübergestellt werden, um grundsätzliche Ähnlichkeit zu verdeutlichen.51 Dabei sind auch die Entstehungsbedingungen beider Berichte vergleichbar, denn beide Erzählungen sind in einer Art Interviewsituation aufgezeichnet worden und wurden dann vom „Interviewer“ wiedergegeben. So ist in den Erinnerungen Eylerts die Wiedergabe eines lang 47 48

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Lofland/Stark, World-saver, 874 f. Siehe dazu Schroeder, Transformation, 445ff; Friedmann/Krautheim, Reformen, hier 983– 993 sowie Erbe, Erschütterung, 333–335. Zum Brand Moskaus: Claus Scharf, Moskau 1812. Die Erinnerung von Franzosen, Deutschen und Russen, in: Mieck/Guillen (Hrsg.), Deutschland–Frankreich–Russland, 37–49. Alexander an Bernadotte, 19./31.9.1812, in: Correspondance inédite de L’Empereur Alexandre et de Bernadotte pendant l’année 1812. Paris 1909, 37–41, hier 37 f. Einen Hinweis darauf gibt das Anschreiben Czartoryski an Golicyn, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 265: Mémoire du Prince Czartoryski, 2r. Über den Umgang mit Ego-Dokumenten: Heiko Haumann, Geschichte, Lebenswelt, Sinn. Über die Interpretation von Selbstzeugnissen, in: Hilmer, Brigitte/Lohmann, Georg/Wesche, Thilo (Hrsg.), Anfang und Grenzen des Sinns, Weilerswist 2006, 42–54 und Winfried Schulze, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen zur Tagung „Ego-Dokumente“, in: ders. (Hrsg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996, 11-32. Die Interviews sind aus Ulmer, Konversionserzählungen.

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andauernden Gespräches des Bischofs mit dem Zaren während einer Audienz zu lesen: Der Brand von Moskau hat meine Seele erleuchtet und das Gericht des Herrn auf den Eisfeldern hat mein Herz mit einer Glaubenswärme erfüllt, die es bis dahin so nie gefühlt. Nun lernte ich Gott kennen, wie die Heilige Schrift ihn geoffenbart; nun verstand und verstehe ich seinen Willen und sein Gesetz, und der Entschluß wurde in mir reif und fest, mich und meine Regierung nur ihm und der Beförderung seiner Ehre zu widmen. Seit dieser Zeit bin ich ein Anderer geworden; der Erlösung Europa’s von dem Verderben verdanke ich meine Erlösung und Freimachung.52

Die oben aufgeführten Charakteristika einer Konversionserzählung finden sich hier beinahe idealtypisch. Auch dieser kurze Bericht folgt der inhaltlichen und strukturellen Dreiteilung in vorkonversionelles Leben, Konversion und postkonversionelles Leben. 1. Das vorkonversionelle Leben bleibt hier im wesentlichen unbestimmt, einziges Merkmal ist die Glaubensleere („die es bis dahin so nie gefühlt“). Alexander führt diesen Aspekt gegenüber Eylert weiter aus: Die Kaiserinn [sic] Catharine war eine kluge, geistreiche, große Frau [...]; aber mit der Erziehung zur wahren Herzensfrömmigkeit ging es am Hofe zu Petersburg, wie fast überall: viel Worte, aber wenig Geist; viel äußeres Formelwerk, aber die heilige Sache des Christenthums selbst blieb uns verborgen. Ich fühlte eine Leere in der Seele und eine unbestimmte Ahnung schwebte mir vor. Ich ging dahin und zerstreute mich.53

Tatsächlich ist über Alexanders religiöse Überzeugungen vor der Konversion nur wenig bekannt. Seine Erziehung, die von seiner Großmutter Katharina II. arrangiert wurde, zielte vor allem darauf ab, aus dem Carevič eine aufgeklärte Person zu machen, einen „Mensch auf dem Thron“, wie es in Deržavins Ode anlässlich Alexanders Geburt heißt.54 Den wohl bedeutendsten Einfluss auf den jungen Alexander hatte – wie erwähnt – der Schweizer Republikaner Frédéric César de La Harpe, der die Erziehung nach aufklärerischen Gesichtspunkten gestaltete. Die religiöse Erziehung durch Samborskij war nur basal. So verwundert es nicht, dass Alexander 1810 dem sardischen Botschafter Joseph de Maistre seine Meinung über Christen so zusammenfassen konnte: „les chrétiens sont d’honnêtes gens, mails ils ne servent à rien.“55 Die in den Briefen des Zaren häufig zu findende Invovcatio Dei vor 1812 nennt entweder Gott beim Namen oder ein anonymeres „être suprême“ in aufgeklärter Diktion. Allerdings ist diese Nennung dabei formelhaft: an keiner Stelle wird dieses être suprême näher bestimmt oder ihm gar eine aktive Rolle zugedacht.56

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Eylert, Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III. Zweiter Theil. Magdeburg 1845, Bd II, Abt. 2; 246–248, hier 248. Ebd., II/2, 247. G[avriil] R[omanovič] Deržavin, Sočinenija. 9 Bde. 1864–1883, hier Bd. 1, 81–86, Zitat 85. Zit. nach Ley, Sainte-Alliance, 45. Z.B. Alexander an seine Schwester, 6.9.1809, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 25.

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2. Der Wendepunkt („Brand von Moskau“ und „Gericht des Herrn auf den Eisfeldern“) wird in poetischer Sprache geschildert. Wenn diese Wortwahl authentisch ist und nicht die Sprache Eylerts spiegelt, dann ist sie wohl auf den zeitlichen Abstand von sechs Jahren zurückzuführen. Tatsächlich fällt der Wendepunkt in eine Krisenzeit in Alexanders Leben. Für den Zaren bezeichnet das annus horribilis 1812 einen entscheidenden Einschnitt. Diese Krisenwahrnehmung kam nicht aus heiterem Himmel, im Grunde begann diese Zeit mit den Ereignissen von Tilsit und spätestens Ende 1811 nahm Napoleon immer mehr die Gestalt des Antichristen an. In einem Brief an seine ihm sehr nahestehende Schwester Katharina beschrieb Alexander am 24. Dezember 1811 seinen Gegner „cette diable de Politique va de mal en pis et l’être infernal qui fait le fléau du genre humain devient de jour en jour plus détéstable.“57 1812 war die Metarmorphose Napoleons abgeschlossen: „Il s’agit à cette époque de lutter contre le Rêgne de Satan“.58 In dieser Zeit wurde für Alexander aus dem être suprême ein persönlicher, handelnder und lenkender Gott.59 Diese Wandlung konnte erfolgen, weil die charakteristischen Elemente des höchsten Wesens denen eines handelnden und lenkenden Schöpfergottes ähnlich waren, und entsprechend konnte das être suprême aufgehen in Gottvater. Wiederum an seine Schwester schrieb er Anfang März : „C’est du fond de mon âme que je rends grâce à la Bonté Divine et il m’est impossible de vous rendre toute la joie que j’éprouve.“60 Im Laufe des Jahres 1812 lässt sich erkennen, dass Alexander dem Wirken Gottes nach und nach mehr Bedeutung beimisst. Ebenso nahm seine persönliche Erlösung einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Der tatsächliche Prozess der Konversion verlief wohl deutlich langsamer als in der zitierten Darstellung beschrieben. Auch rücklickend äußerte sich der Zar im Gespräch mit dem frisch zum Bischof berufenen Rulemann Friedrich Eylert: „O! Ich bin auch nicht auf einmal dahin gekommen; glauben Sie mir, der Weg dahin ist durch manche Kämpfe und Zweifel gegangen.“61 Bereits die bevorstehende Invasion führte zu einer tiefen Unruhe, die sich in einer persönlichen Krise äußerte. Der Fall und Brand Moskaus markiert dabei den Höhepunkt der Krisenzeit, so war der Moment, in dem Botschafter Lieven nach London gesandt wurde, um dort über britische Unterstützung zu verhandeln, als symbolisch gewertet. Mündlich instruierte er den Gesandten: J’ai choisi le moment où l’armée française est à Moscou pour fixer votre départ, afin de mieux constater par là ma détermination inébranlable de poursuivre la guerre ce grave évènement.

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Alexander an seine Schwester, 24.12.1811, in: ebd. 53f, Zitat 54. Vgl. auch Rey, Alexandre, 328 f. Alexander an Czartoryski, 1812, o.D, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 831, 1 f. Vgl. auch Schiemann, Alexander I., 82 ff. Alexander an seine Schwester, Sankt Petersburg 2.3.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 65 f., hier 65. Eylert, Charakter-Züge, II/2, 247.

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Religiöse Wandlung [...] c’est au Moment où Napoléon se trouve dans mon Cabinet au Kremlin que je vous envoye d’ici à Londres pour y porter la ferme assurance que je ne ferai pas la paix tant que je n’aurai pas refoulé l’ennemi hors de notre frontière, dussé je, avant d’y parvenir, me retirer au de là de Cazan. Toutes les mesures sont prises pour celà. Cette assurance que vous donnerez en mon nom à l’angleterre, soit être pour elle le gage le plus certain de la constance de mes résolutions. Afin de lui en donner une preuve de plus je vous ferai suivre de toutes mes forces navales en état de tenir la mer. Dans ce fait le Gouvt Britannique doit trouver la garantie la plus forte de ma volonté invariable de poursuivre la guerre. J’aime à lui offrir ce gage, pour qu’il puisse placer une confiance entière dans la Russie comme une Alliée sur laquelle il peut compter à jamais. Je pense que ces explications seront satisfaisantes pour le Gouvernement Anglais et que je pourrai franchement attendre son concours. Mais je ne lui demande que des munitions de guerre et des armes, parce que les efforts que la Russie a faits, ont épousé ses arsenaux. Je ne réclame que ce seul secours tant que j’aurais à défendre le territoire Russe. Lorsque avec l’aide de la Providence, j’aurai repoussé l’ennemi hors de nos frontières, je ne m’arrêterai avec l’Angleterre sur l’assistance plus éfficace que j’aurai à réclamer d’elle pour parvenir à liberer l’Europe du joug français62

Selbst gegenüber dem britischen Botschafter äußerte sich der Zar am 16. März 1812 : Le lutte terrible qui va s’ouvrir décidera du sort de mon empire et je n’éspère pas triopmher du génie et des forces de mon ennemi. Mais je ne ferai sûrement pas une paix déshonorante; je m’ensevelirai plutôt sous les débris de l’empire. Si le ciel en a ordonné ainsi, parlez de moi à la postérité; vous connaissez mon cœur.63

Dies ist eine der ersten Stellen, in der das bislang unbestimmte être suprême in eine auch noch nicht näher bezeichnete Größe „le ciel“ transformiert wird. Im Laufe des kommenden Jahres wird sich die Zuschreibung wandeln, bis schließlich die Trinität klar erkennbar zu Tage tritt. Aus dem être suprème wurde Gottvater, neben ihn traten der Sohn und der Heilige Geist: „Adressez vos prières à l’Être Suprème, à notre Sauveur, et au Saint-Esprit qui émane d’Eux [...].“64 Dieser Brief an seinen Vertrauten Košelev gewährt auch in anderer Hinsicht Einblicke in das Glaubensverständnis des Zaren. Denn in ihm nahm er explizit Stellung zum Filioque: der Heilige Geist entstehe aus dem Vater und dem Sohn. Damit war inhaltlich der Bruch zur Orthodoxie vollzogen, der sich auch daran ablesen lässt, dass die für die Orthodoxie charakteristische Marien-Verehrung in der gesamten Korrespondenz des Zaren keinen Raum einnimmt. Daraus musste keinesfalls folgen, dass nun mit Sanktionen gegen die orthodoxe Kirche zu rechnen sei. „Peu importe, je crois, au Tout-Puissant, qu’on l’évoque en grec ou en latin [...].“65 Alexander trat während dieses Prozesses als religiöser Suchender auf, der sich intensiv mit mystizistischer Literatur auseinandersetzte, was durch den Essay „De la littérature mystique“ belegt ist, den Alexander während der Krisenzeit für seine 62 63 64 65

Zit. In GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 68r–70r. Šil’der, Imperator, Bd. 3, 368. Alexander an Košelev, 25.1.1813, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 6 f., Zitat 7. So Alexander zit. nach Choiseul-Gouffier, Mémoires, 147.

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Schwester anfertigte.66 Der Zar beklagte, dass die Texte des deutschen Mystikers Johann Heinrich Jung-Stillings, die hier erwähnt werden, ausschließlich auf Deutsch zur Verfügung stünden.67 Die Zusammensetzung der Autoren ist deckungsgleich mit der „Pflichtlektüre“, die in der russischen Freimaurerloge „Polarstern“ zirkulierte.68 In diesem Essay deutet sich bereits der Weg zu einer pietistischen Zugangsweise zum Christentum an.69 Am Ende heißt es: „Tous ces livres sont de l’or pur sans alliage. Mas le fondement de tous ceux-ci est la Bible.”70 Wichtigster Teil der Bibel wurde für ihn die Apokalypse.71 „Là“, schrieb er Golicyn, „mon cher frère, il n’y a que plaies et bosses.“72 Alexander hatte auch in späteren Briefen an Košelev und Golicyn immer wieder Wendungen aus der Apokalypse zitiert, ohne sie als solche kenntlich zu machen. Üblicherweise gab er sehr genau an, woher die Zitate stammten. Im Juli 1812, als die Katastrophe sich bereits am Horizont abzeichnete, war die geistige Wandlung spürbar im Gange: Dans des moments comme ceux dans lesquels nous nous trouvons, le plus endurci éprouve, je crois, un retour vers son Créateur: qu’est-ce donc pour ceux qui, dans les moments les plus calmes et les plus tranquilles, y ont trouvé leur plus douces jouissances? Dites-vous donc que, pour m’acquitter de ce devoir sacré et en même temps si cher à mon cœur, le temps ne me manque jamais: je me livre à ce sentiment si habituel pour moi, je m’y livre, dis-je, avec une chaleur, un abandon, bien plus grands encore que par le passé.73

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Ursprünglich bei Michailovič, Nicolas (Hrsg.), Perepiska Imperatira Aleksandra I i s sestroj velikoj knjaginej Ekaterinoj Pavlovnoj. Sankt Petersburg 1912, 286–290. Dieser Essay ist nicht in die französische Ausgabe aufgenommen worden. Auf Deutsch erschienen in Martin Winkler, Slavische Geisteswelt. Bd. I. Russland. Darmstadt/Marburg 1954, 160–163. Französisch bei Ley, Sainte-Alliance, 56–59. Theodor Schiemann, Kaiser Alexander und die Großfürstin Ekaterina Pavlovna, in: Zeitschrift für östeuropäische Geschichte 1, 1911, 540– 556, hier 547 f. datiert das Schreiben fälschlicherweise auf 1809 und sieht in ihm ein Indiz dafür, dass sich Alexander schon vor 1812 dem „kirchlichen Christentum“ abwandte und statt dessen von Baronin Krüdener zu einem „extatischen Christentum“ geführt worden sei. Dass sich bis 1812 keine weiteren Spuren dieses Wandels finden, erklärt Schiemann dadurch, dass seine Schwester ihn um Verschwiegenheit in diesen Dingen gebeten habe. Dann bliebe immer noch zu klären, warum zu keinem der anderen Vertrauten ein Wort gefallen sei. Dass Alexander zwei Essays dieser Art geschrieben habe, ist zudem höchst zweifelhaft. Vgl. Ley, Sainte-Alliance, 58. Zu den Verbindungen zwischen Politik und Freimaurerei siehe den Abschnitt über die Bibelgesellschaft unten. Diese Literaturliste ist von Ivan Lopuchin erarbeitet worden. Vgl. Andrej V. Danilov, Iwan Lopuchin. Erneuerer der russischen Freimaurerei. Seine Lehre von der Inneren Kirche als eigenständiger Beitrag zum Lehgebäude der freimaurerischen Mystik. Dettelbach 2000, 87 f. Über die Verbreitung des Pietismus in Russland siehe Marc Raeff, Les Slaves, les Allemands et les „Lumières“, in: Canadian Slavic Studies 1, 1967, 521–551, hier 546–549. Ley, Sainte-Alliance, 59. Rey, Alexandre, 330. Zit. in Russkij Archiv 2, 1886, 87. Alexander an Golicyn, Samocha, 23.06.1812 (AS), in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 506 f., hier 506.

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Bereits im Sommer 1812 – noch vor dem „Brand von Moskau“ und dem „Gericht des Herrn auf den Eisfeldern“ – schrieb der Zar von einer habituellen Zuwendung zur Bibellektüre. Ein abruptes, plötzliches Konversionserlebnis kann also ausgeschlossen werden, vielmehr scheint der Prozess den gesamten Sommer 1812 angedauert zu haben, mit einem Kulminationspunkt um den Brand Moskaus herum. Auch die oben beschriebene typische „emotionale Erschütterung“ wird im Kontext von Alexanders Konversionserlebnis genannt: „Ce fut à l’époque de la prise de Moscou que, se sentant troublé jusque dans le fond son âme, il confia au prince Galitzine […] l’angoisse et les tourments qu’il éprouvait.“74 Auch gegenüber Gräfin Choiseul-Gouffier gab er zwei Jahre nach den Ereignissen zu, wie sehr ihn die Verantwortung belastete.75 Ein weiteres Erlebnis, das den Zaren emotional tief berührte, ereignete sich während seines Aufenthaltes in Vilna Ende Dezember 1812. Die Feierlichkeiten anlässlich seines Geburtstages wurden in der Stadt, die voller Typhus-Kranker war, mit großem Prunk gefeiert. In dieser Zeit erfuhr er vom Tod seines Schwagers, der ebenfalls zu den Opfern der Krankheit zählte. Wenige Tage nach den Feierlichkeiten besuchte Alexander das französische Hospital, das in der Universität untergebracht war, und da ihn niemand aus seiner Entourage begleitete, machte er dort ganz allein eine schaurige Entdeckung: J’y fus dans la soirée [...], une seule lampe éclairait ses profondes voûtes, sous lesquelles on avait entassé des piles de cadavres jusqu’à la hauteur des murs. Je ne puis exprimer l’horreur dont je fus pénétré, lorsqu’au milieu de ces corps inanimés, je vis tout à coup se remuer des êtres encore vivans.76

Auch wenn eine explizite Konversionserzählung aus der Feder des Zaren nicht vorliegt, gibt es allerdings neben der bereits zitierten Erinnerung des Bischofs Eylert einige Selbstaussagen Alexanders, in denen die Umbruchzeit 1812 zur Begründung seiner Handlungen herangezogen wird. So erinnert sich die Gräfin Choiseul-Gouffier an ein Gespräch, das sie 1812 mit Alexander in Vilna geführt habe, als die Grande Armée in Moskau gestanden sei. Pourquoi […] tous les souverains et les nations de l’Europe ne s’entendraient-ils pas entre eux, pour s’aimer et vivre en frères, en s’aidant dans leurs besoins réciproques?

Der Gedanke einer brüderlichen Verbindung der Monarchen, der drei Jahre später zu einer der Leitideen der Heiligen Allianz werden sollte, wird hier bereits formuliert. Wenig später sei Alexander dann – zum ersten Mal! – auf religiöse Themen zu sprechen gekommen und habe konstatiert, dass es zwar Unterschiede zwischen den Konfessionen gebe, mais l’esprit de tolérance réunirait tous les cultes. Peu importe, je crois, au Tout-Puissant, qu’on l’invoque en grec ou en latin, pourvu qu’on remplisse tous ses devoires envers lui et

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Henri Louis Empeytaz, Notice sur Alexandre, Empereur de Russie. Paris 21840, 9 f. Comtesse Choiseul-Gouffier: Mémoires, 146. Ebd, 161 f.

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qu’on satisfasse à ceux d’honnête homme: ce ne sont pas toujours les longues priers qui le touchent le plus.77

Mit der Schlacht von Borodino hatten sich die französischen Truppen den Weg nach Moskau freigekämpft, das Anfang September erreicht wurde.78 Mit Moskau wurde nach Smolensk die zweite heilsgeschichtlich bedeutende Stadt in die Hände des „Attila moderne“ gegeben.79 In der Stadt herrschte blankes Chaos. Diebstahl, Raub und Überfälle waren an der Tagesordnung. Seit der gründlichen AlexanderBiographie des Großfürsten Nikolaus Michajlovič wird in diese Zeit das Erweckungserlebnis des Zaren verortet.80 Bei einem Aufenthalt in Sankt Petersburg soll Alexander seinen Freund Golicyn gefragt haben, wie er in einer solchen Krise so ruhig bleiben könne. Dessen Antwort habe gelautet, dass ihm sein Glauben und sein Vertrauen in die Heilige Schrift helfe. Bei diesem Gespräch soll die Bibel aus dem Regal gefallen und bei Psalm 91 aufgeschlagen sein. Bei einem Gottesdienst zur Entsendung der russischen Soldaten an die Front, an dem Alexander in Moskau teilnahm, las der Priester ebenfalls Psalm 91, eine Stelle, die ihm – wie er Alexander im Anschluss an den Gottesdienst berichtete – von Gott selbst gezeigt worden sei. Dieser Psalm kann als Allegorie der akuten Lage gelesen werden. Nach diesem Ereignis soll Alexander die tägliche Bibellektüre aufgenommen haben: [J]e vous dirais même que depuis Petersbourg, aucun jour ne se passe sans que je lise l’Ecriture Sainte. Cette lecture m’attache de plus en plus [...].81

Die intensive Lektüre fand zunächst im Kreis seiner beiden Vertrauten Golicyn und Košelev stattgefunden. In den Moskauer Archiven ist eine Liste erhalten, auf der Alexander notiert hatte, welche Bibelstellen er gemeinsam lesen und diskutieren wollte. Aus dem Alten Testament war es das Buch Levitikus, Kapitel 26, in dem die Verheißungen Gottes aufgezählt werden. Es folgen die Himmelfahrt Christi nach dem Lukasevangelium, der Prolog aus dem Johannesevangelium, die Kindheitsgeschichte Christi aus dem Matthäusevangelium mit besonderem Augenmerk auf Kap. 1, Vers 21, in dem Maria prophezeit wird, dass ihr Sohn sein Volk erlösen werde, sowie aus dem Lukasevangelium die Vorgeschichte und die Geburt Christi. Als Abschluss sollte aus dem ersten Thessalonicher-Brief Kap. 2, Vers. 13 gelesen werden.82 Es handelt sich hierbei um eine Zusammenstellung von Bibelstellen, die direkt Auskunft über das Wesen Gottes geben. Das Wesen 77 78 79

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Comtesse Choiseul-Gouffier, Mémoires, 147. Zu den Ereignissen nach Borodino: LeDonne, Grand Strategy, 164 f. und Lieven, Russia against Napoleon, 174–214. Vgl. Setzer, Moskau; Zitat „Attila moderne“: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 45r. Dass bereits der Brand von Smolensk zu panikartigen Reaktionen in Moskau geführt hatte: Naryškina, 1812, 141 f. 1812 als Entscheidungsschlacht biblischen Ausmaßes in der Deutung Alexanders: Schiemann, Kaiser Alexander, 84. Alexander an Košelev, 16.03.1813, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 930, 20. Vgl. Zur täglichen Bibellektüre auch Michailovič, Alexandre, hier Bd. 1, 160 f. und Bd. 2, 124 f. GARF, f. 728, op. 1, d. 1303, o.D, Nr. 33.

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Gottvaters wird im Buch Levitikus beschrieben, dasjenige des Gottessohns schließlich in den Stellen der vier Evangelisten. Der Vers im Paulus-Brief passt in doppelter Hinsicht in das neue Glaubenskonzept des Zaren. Zum einen wird hier die unmittelbare Erkenntnis von Gottes Wort thematisiert, für die der Gläubige keine weitere Instanz benötigt. Zum anderen kann man die Stelle auch als Kommentar zum Wesen des Heiligen Geistes lesen. Man kann vermuten, dass diese Zusammenstellung der Textstellen aus der Bibel zurückgeht auf den Direktor der kirchlichen Akademie in Sankt Petersburg und späteren Metropoliten von Moskau, Filaret. Dieser vertrat eine ähnliche hermeneutische Herangehensweise in der Bibelinterpretation, wie sie auch in pietistischen Kreisen üblich war, und war zudem zu einer Figur nationaler Prominenz nach den Ereignissen des Jahres 1812 geworden.83 Auch der Terminus der „Erweckung“ wirft einiges Licht auf die Glaubensinhalte des Zaren, beschreibt er eine über Ländergrenzen hinweg gefühlte Zugehörigkeit zu einer Bruderschaft der Erweckten.84 Ein prägendes Merkmal dieser Bruderschaft war zum einen der persönliche Kontakt ihrer Mitglieder jenseits von Nation und Standeszugehörigkeit. Zum anderen ist ein starkes prophetisches Motiv zu erkennen, vor allem ein durch die Französische Revolution erschüttertes Geschichtsbild, das allerdings nicht in Resignation mündet, sondern dazu führt, dass sich die Erweckten den Herausforderungen stellten.85 Zentraler Referenzpunkt blieb die Auslegung der Bibel, in der Hinweise für das baldige Eintreten der Endzeit gesucht und gefunden werden konnten. Als Alexander die Situation im November 1812 darstellt, wählt er beinahe identische Worte, was zeigt, wie sehr die Psalmen bereits verinnerlicht waren.86 Tatsächlich begann er wohl die Lektüre der Heiligen Schrift zu dieser Zeit, als er Ende August von Sankt Petersburg aufbrach, um sich in Finnland mit dem Grafen Bernadotte zu treffen.87 Seine poetische Schilderung des Brandes von Moskau, der seine Seele erleuchtet habe, bedarf einer inhaltlichen Korrektur: Alexander selbst war während des Angriffs auf Moskau nicht bei seiner Armee, sondern in Sankt Petersburg, wofür er hart kritisiert wurde. Bereits im Juni 1812 war Ale-

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Zur Interpretation der Bibel durch Filaret vgl. Alexander I. Negrov, Biblical Interpretation in the Russian Orthodox Church. Tübingen 2008, bes. 81 f. Zur Person siehe den „Klassiker“ I. N. Korsunskij/A. N. Smirnov, Peterburgskij period žisni mitropolita Filareta (1808–1819). Moskau 1894 und neuerdinge A. I, Jakovlev, Svetoč Russkoj Cerkvi. Žisneopisanie svjatitelja Filareta (Drosdova) mitropolitana Moskovskogo i Kolomenskogo. Moskau 2007. Vgl. Ulrich Gäbler, „Erweckung“ – Historische Einordnung und theologische Charakterisierung, in: ders., „Auferstehungszeit“, Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts. München 1991, 161–179, hier 161–163; Klaus Scholder, Grundzüge der theologischen Aufklärung in Deutschland, in: Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rückert zum 65. Geburtstag. Berlin 1966, 460–484; Walter Sparn, Vernünftiges Christentum. Über die geschichtlichen Aufgaben der theologischen Aufklärung im 18. Jahrhundert, in: Vierhaus, Rudolf (Hrsg.), Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung. Göttingen 1985, 18-57. Vgl. Gäbler, Erweckung, 168–170. Alexander an seine Schwester, 8.11.1812, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 101–104, hier 103. Vgl. ebd. 159 f.

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xander auf Drängen Admiral Šiškovs in Moskau gewesen, um Mittel und Soldaten für den Kampf gegen Napoleon zu erhalten.88 Während in der Publizistik Alexanders Ankunft verklärt wurde, zeigte sich in Wahrheit ein anderes Bild: schon kurz nach der Einreise machten Gerüchte von Zwangsrekrutierungen die Runde und eine panikartige Massenflucht begann.89 Zweifellos war der Brand Moskaus eine traumatische Erfahrung. Und allein die langfristige Wirkung, das Einbrennen in das kollektive Gedächtnis von mehr als einer Generation, ist ein deutliches Indiz für die Tragweite des Ereignisses. Der Brand der Stadt und das hunderttausenfache Sterben der russischen Soldaten haben den Horizont des Erlebbaren überschritten, in ihnen wurden die extremsten Formen von Transzendenzerfahrungen alltäglich. Durch diese ins Extrem gesteigerte Leiblichkeitserfahrung, in der die permanent der Gefahr der physischen Vernichtung präsent war, wurde eine Generation von 1812 konstituiert.90 Der Zar konnte sich in die Memoria der Ereignisse als oberster Kriegsherr nahtlos einfügen und wurde somit Teil der Generation 1812. Somit sind bei Alexander im September 1812 zwei Erfahrungsräume zusammengekommen: die individuelle Katastrophe floss mit der Erfahrung des kollektiven Traumas zusammen. Bernhard Giesen hat gezeigt, dass für die Konstruktion der Erfahrung die tatsächliche leibliche Anwesenheit nicht in jedem Fall erforderlich ist – um Anteil an der Erfahrungsgemeinschaft zu haben, reicht die „imaginierte Anwesenheit am Ort des außerordentlichen Geschehens“ aus. Eine durch Berichte vermittelte Anwesenheit kann somit eine Leiblichkeitserfahrung generieren.91 In der Rechtfertigung des Zaren ist deutlich eine – zumindest so wahrgenommene – interpersonelle Krise zu erkennen, wie sie für Konversionen typisch ist: „Peut être suis je destiné même à perdre les amis sur les quels je comptais le plus.”92 Soziale Beziehungen waren im Falle Alexanders von besonderer Bedeutung. Seit seiner Jugend spielten Freundschaften eine besondere Rolle, was sich auch in seinem Herrschaftsstil niederschlug, denn häufig ernannte er ihm nahestehende Personen zu Ministern und beriet sich privat mit ihnen, anstatt im Ministerkomitee.93 Auch im Bereich der internationalen Politik spielte die Kategorie der Freundschaft für den Zaren eine große Rolle: Mit Friedrich Wilhelm III. von Preußen verband ihn ewige Freundschaft, die am Grab Friedrichs des Großen fei-

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Šil’der, Imperator, Bd. 3, 80–87. Vgl. Mel’gunov, Dela i ljudi, 129–133; Stilbildend für die glorifizierende Publizistik: S[ergej]. Glinka, Vospominanie o Moskovskich proizšestvijach v dostopamiatny 1812 god, ot 11 julia do izgnanija vragov iz drevnei Ruskoj Stolitzy, in: Russkoj Vestnik 9, 1814, 3–21. Dass der Generationenbegriff jenseits der alltagssprachlichen Verwendung als „Alterskohorte“ zu benutzen ist: Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: ders., Wissenssoziologie. Hrsg. von Kurt H. Wolff, Neuwied/Berlin 1964, 509–565. Vgl. Bernhard Giesen, Generation und Trauma, in: Reulecke, Jürgen (Hrsg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, 59–71, hier 62 f. Alexander an seine Schwester Katharina und ihren ersten Mann Georg, 18.9.1812, in: RGADA, Fond 1, Opis’ 1, Delo 32, 81r–94v, hier 81r. Vgl. dazu Wortman: Scenarios, 195 und 204.

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erlich geschworen wurde. Ein „Freund“ sollte ihm jedoch abhanden kommen: Napoleon hatte das Treffen in Tilsit 1807 als freundschaftliche Begegnung inszeniert, es wurden Ehrungen ausgetauscht, der französische Kaiser schenkte seinem Gast gar eine goldene Toilettenkiste und der hier ausgehandelte Vertrag war ein „traité de paix et d’amité“. 94 Die neu gewonnene Bezugsgruppe war weiterhin von herausragender Bedeutung. Selbst in den Jahren 1820/21 waren Košelev und Golicyn die beiden einzigen Menschen im Umfeld des Zaren, die seine Politik und seine geistige Haltung kritisieren konnten, sogar erstaunlich offen. Nicht nur das: Alexander nahm Kritik von beiden derart ernst, dass er selbst während des Kongresses von Laibach außerordentlich ausführlich und detailliert Rechenschaft über sein Handlungen und seine spiritielle Haltung ablegte.95 3. Das postkonversionelle Leben steht ganz im Zeichen der neugewonnen Frömmigkeit. In den Erinnerungen Bischof Eylerts wird Alexander mit den Worten zitiert, er sei ein „anderer“ geworden. Die interpersonelle Krise löste sich zum einen durch die Öffnung zu neuen Gruppen, wie der Quäker, die zur Gründung einer Bibelgesellschaft nach Russland eingeladen wurden. Buchstäblich neue Kreise erschlossen sich auch in Form von Bibelstunden, die Alexander fortan abhielt. Sein Jugendfreund Golicyn, der 1804 noch gegen dessen eigenen Willen zum Oberprokurator des Heiligen Synods ernannt worden war, durchlebte ungefähr zur gleichen Zeit wie Alexander eine Konversion, so dass sich die Bindung zwischen den beiden noch festigte. Golicyn begann mit seiner Ernennung zum Oberprokurator – eine Art staatlicher Aufsichtsposten – sich dem Studium des Christentums zuzuwenden.96 Er war es auch, der die Verbindungen zu den neuen Gruppen herstellte. Die bei Konversionen typischerweise auftretende enge emotionale Bindung an ein Mitglied der neuen Gruppe kann hier nachvollzogen werden. Die „neue Gruppe“ zeigt sich dabei in zwei Formen: zum einen als Kreis der Bibellektüre, zum anderen als intensives und engmaschiges Netzwerk von Korrespondenzen. Nach seinem Erweckungserlebnis lebte Alexander in einer tiefempfundenen inneren Frömmigkeit, die am ehesten mit der des Pietismus zu vergleichen ist.97 Die pietistische im Diesseits vollzogene Arbeit am Jenseits bilden einen roten Faden in seinen Äußerungen und Briefen.98 Auch mied er – vor allem nach seiner Rückkehr von seiner triumphalen Englandreise im Juli 1814 – große Auftritte, der Sieg über Napoleon sollte nicht ihm, sondern dem Wirken Gottes zugeschrieben 94 95 96

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Zu den Ereignissen vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 2, 191f, 200 f. Zu den Verhandlungen: Thomas Stamm-Kuhlmann, König, 252–266. Vgl. Alexander an Golicyn, 8.–15.2.1821, in: Ley, Sainte-Alliance, 251–258. Vgl. Georges Florovsky, Ways of Russian Theology, Bd. 1, 166 und Peter von Goetze, Fürst Alexander Nikolajewitsch Galitzin und seine Zeit. Aus den Erlebnissen des Geheimraths Peter von Goetze, Leipzig 1882, 18; Walter W. Sawatsky, Prince Alexander N. Golitsyn (1773–1844). Tsarist Minister of Piety, Ph.D. Diss. Minnesota 1976, 249. Vgl. Schaeder, 52–57; Ley, Sainte-Alliance, 45–62; auch Hartley, Alexander I, 115. Z.B. Alexander an den Palatin Erzherzog Joseph, Sankt Petersburg 1./13.1.1816, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 1003, 1r–2v.

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werden. Exemplarisch hieß es im Neujahrsmanifest 1816: Gottes Zorn habe das Monster Napoleon aus Europa vertrieben.99 Konsequenterweise nahm Alexander an keinen Erinnerungs- und Gedenkfeiern für die Ereignisse und Opfer von 1812 teil, und als Ende August der Schlacht von Borodino gedacht wurde, war der Zar fernab und nahm an den Feierlichkeiten nicht teil.100 Zu dieser Form des Glaubens passt auch die Abwendung von der Orthodoxie. Es fand zwar kein formeller Bruch statt, etwa in der Form eines Kirchenaustritts. Das wäre aber auch in keinem Fall möglich gewesen, allein schon aus innenpolitischen Erwägungen. Die Abwendung von der Orthodoxie zeigt sich aber vor allem in der bereits erwähnten Frage des „filioque“, der strittigen Frage, ob der Heilige Geist vom Gottvater und Gottes Sohn ausgeht, oder nicht. Während diese Position in der Westkirche seit dem Hochmittelalter Konsens ist, hat sich in der Ostkirche die Haltung herausgebildet, dass die drei Formen Gottes gleichberechtigt sind.101 Die orthodoxe Glaubenspraxis lebt in starkem Maße von ritualisierten Handlungen, die die Glaubensgemeinschaft jenseits der reinen Zugehörigkeit zur Kirche konstituieren, auch über ihren exklusiven Charakter.102 Auch dies unterscheidet sich deutlich von der neu gefundenen Glaubensform. Alexanders tief empfundene Frömmigkeit zeigt sich in vielen Bereichen. Sie äußert sich im Persönlichen, der täglichen Bibellektüre,103 in den fortan abgehaltenen Bibelstunden und dem persönlichen Kontakt mit britischen Quäkern. Darüber hinaus drückt sie sich im institutionellen Rahmen aus, wie zum Beispiel in der Errichtung einer Bibelgesellschaft, die die Verbreitung der Heiligen Schrift zum Ziel hatte, deren Popularisierung bislang allein schon dadurch enge Grenzen gesetzt waren, dass sie nur im schwer verständlichen Kirchenslawisch vorlag. Der Gesellschaft trat der Zar am 15. Februar 1813 bei, als er auf dem Feldzug gegen Napoleon in Kalisch war.104 Von den neuen religiösen Aktivitäten sichtlich abgeschreckt berichtete der französische Botschafter in Sankt Petersburg, Noailles, Ende Mai 1817: L’Empereur semble se délasser des soins du gouvernement en se livrant aux sentiments religieux qui remplissent son cœur et dominent son esprit. Il continue à porter le plus grand intérêt à la Société biblique.105

Bewusst erlebte Gotteserfahrung stand hier – ganz in pietistischer Tradition – im Vordergrund. Es war das Wort der Bibel, in dem sich Gott der Seele der Gläubi99 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 4, 1 f. 100 Vgl. Ebd. 50. 101 Vgl. Bernd Oberdörfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen 2001 und Peter Gemeinhardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter. Berlin 2002, 536–556. 102 Dies beschreibt Bernhard Giesen, Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation 2. Frankfurt a. M. 1999, v. a. 15–27. 103 Vgl. Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 124. 104 Vgl. Ebd., Bd. 1, 508 f. 105 Noailles an Richelieu, Sankt Petersburg, 30.05.1817, in: SIRIO 119, 1904, Nr. 104, 206–210, hier 207.

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gen offenbarte. Beides bezeichnet ganz und gar unorthodoxe Praktiken. Ein charakteristischer Zug orthodoxer Theologie ist die Betonung von Nicht-Wissen: Gott ist unfassbar, unbegreifbar, unerkennbar. Entsprechend berichtete der Zar seinem Freund Golicyn von den Andachten, die er in der Zeit abhielt: Vous saurez déjà l’occupation de Berlin. Gloire à Tout-Puissant! Je fais mes dévotions, et avec moi beaucoup des soldats. Nous écoutons les pières ensemble. Notre service divin se fait admirablement. J’ai réussi dans ce que je désirais, et c’est nos musiciens de regiment qui chantent de manière à ne pas céder aux chantres de la cour. Cette masse de monde priant ensemble avec ferveur et onction est vraiment édifiante, et mon cœur jouit en plein.106

Von einem ähnlich intensiven Erlebnis der Andacht berichtete er Anfang Mai.107 Auch der erste Sieg über die napoleonische Armee wurde von Alexander gänzlich dem Wirken Gottes zugeschrieben. In einem Brief an seine Schwester war von der eigenen Beteiligung oder der der Soldaten oder Generale keine Rede: „Dieu a tout fait; c’est Lui qui a changé la face des choses si subitement en notre faveur, en faisant tomber sur la tête de Napoléon tous les malheurs qu’il avait préparés pour nous.“108 Am nächsten Tag schrieb er an Arakčeev beinahe mit den identischen Worten.109 Auch die Feierlichkeiten nach seiner Rückkehr aus Wien 1815 gestalteten sich gänzlich anders, als es erwartet worden war. War der Zar zuvor für seine „Paradomanie“ bekannt gewesen, so lehnte er einen Triumphzug für sich und seine Soldaten nunmehr ab. Vergleicht man die Gesprächsaufzeichnungen Eylerts mit einer typischen Erzählung eines Konversionserlebnisses, so fallen einige Parallelen ins Auge. […] in dene Tage, (–) han’e wirklich die Realität von Jesus erfahra derfa; (– – –) und dass es mehr gibt als i bis jetzt kennt han; gell; und ois war mir klar; genau des isch des wonach i immer gsuachd han; (–) des des isch – des – des – des war feschd drin; (–) gell; Menschenkinde i: : - des isch ja des; (– – –) Und von dem Zeitpunkt an (– –) da hat’s bei mir unheimlich f- war’e ( ) unheimlich umdreht.110

Auch in den Interviews bleibt das vorkonversionelle Leben unbestimmt, es wird einzig durch die Abwesenheit eines sinnvollen Glaubensinhalts definiert: „han i mi nie mehr alloi und einsam gfühlt so wie früher…“.111 Der Konversionsakt wird als plötzliches Ereignis, als Wendepunkt, geschildert, aus dem eine nachkonversionelle Lebensschilderung, entsteht die ganz vom neu gewonnenen Glauben durchsetzt ist.

106 Alexander an Golicyn, 26.02.1813, in: GARF, f. 729, op. 1, d. 803. 107 Vgl. Alexander an Golicyn, 01.03.1813, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 509. 108 Alexander an seine Schwester, 08.11.1812, in: Michailovič, Correspondance, 101–105, hier 103. 109 Alexander an Arakčeev, 09.11.1812, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 263. 110 Zitiert nach Ulmer, Konversionserzählung, 22. Legende: (–) Pause von ca. 0,25 Sek; : : Dehnung (pro : eine Dehnung); und betont; ( ) unverständlich; ; schwach sinkender Intonationsverlauf. 111 Ulmer, Konversionserzählungen, 22. Zur Charaktersitik der vorkonversionellen Biographie vgl. ebd., 23–26.

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Um sich Alexanders Haltung zu nähern, ist die Analyse von „EgoDokumenten“ von besonderer Bedeutung. Gerade die Korrespondenzen mit seinen engsten Vertrauten Košelev – der den Mystiker Saint-Martin persönlich kannte – und Golicyn erlauben einen tiefen Einblick in Alexanders nach 1812 neu gewonnene Religiosität.112 Die Ent-Menschlichung Napoleons, die Bezeichnung als „Monstre“ wurde von Košelev bereits ein Jahr vor dem Konversionserlebnis des Zaren in einer Denkschrift für Alexander betrieben.113 Seit Januar 1813 tauchen erstmalig religiöse Inhalte in den Billets Alexanders an Košelev auf.114 Diese zeigen eine deutliche Übereinstimmung mit pietistischen Inhalten.115 Ein Kernelement des Pietismus ist die „Inspirationslehre“, nach der die gesamte Bibel vom Heiligen Geist inspiriert worden und somit harmonisch aufgebaut sei. Daraus folgerte August Hermann Francke, der Hauptvertreter des hallischen Pietismus, dass zur Erkenntnis wesentlicher Glaubensinhalte keine fremden Hilfsmittel benötigt werden.116 Ein weiteres Kernstück der Franckeschen Hermeneutik ist die Lehre der Affekte. Die Affekte im Inneren der Seele des Schreibenden äußerten sich in den Worten der Schrift, womit ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen dem Lesenden und dem Schreibenden konstruiert wurde.117 Entzündet würden die Affekte (der Autoren und der Leser) durch den Heiligen Geist. Entscheidend für das Verständnis des Pietismus ist darüber hinaus seine praxeologische Komponente, die praxis pietatis. Die „Hoffnung auf bessere Zeiten“ markiert schon bei Philipp Jacob Spener den Ausgangspunkt seiner Kritik an der Kirche.118 Vor der Wiederkehr Christi muss auch bei Spener der Antichrist überwunden werden, der in der diesseitigen Welt bereits wirke. Dieser Gedanke ist grundlegend für die weitere Entwicklung des Pietismus. Er fordert in Konsequenz bereits die Arbeit im Dies112 Zu Košelev und seinem Verhältnis zu Alexander I. siehe Aleksandr I i Rodion Aleksandrovič Košelev, in: Russkaja Starina 162, 1915, 326–337. Vgl. auch Schaeder, Koalition, 52–54. 113 Denkschrift vom 7.4.1811, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 27–29. 114 Siehe Billets de l’Empereur Alexandre Ier à Kochéleff, in: Michailovič, Alecandre, Bd. 2, 1-12. Die Billets bis 1811 liegen im RGADA, f. 15, op. 1, d. 268: Predstavlenija ober-gofmejstera Košeleva imperatoru Aleksandru Pervomu po gosudarstvennym delam 1810 und haben keinerlei religiösen Inhalt. Wie eng das Verhältnis zwischen dem Zaren und Košelev war, zeigt sich auch daran, dass Alexander sich 1814 offen gegenüber Košelev über den Schmerz der Trennung von Maria Naryškina äußern konnte: Alexander an Košelev, o.D, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 860. 115 Zum Pietismus grundlegend: Brecht, Martin (Hrsg.), Geschichte des Pietismus, 4 Bde. Göttingen 1993–2004. Ein Überblick bei Johannes Wallmann, Der Pietismus. Göttingen 22005. Zur Begriffsbestimmung „Pietismus“ vgl. Peter Schicketanz, Der Pietismus als Frage an die Gegenwart. Berlin, 10–14; Sung-Duk Lee, Der deutsche Pietismus und John Wesley. Gießen 2003, v. a. 20–68. 116 Dies ist eine der Kernaussagen bei August Hermann Francke, Manductio ad lectionem Scripture Sanctae, Halle 1693, bes. 72 und 82 f. 117 Vgl. Erhard Peschke, August Hermann Francke und die Bibel. Studien zur Entwicklung seiner Hermeneutik, in: Aland, Kurt (Hrsg.), Pietismus und Bibel. Witten 1970, 59–88, hier 85. 118 Zit. nach Johannes Wallmann, Philipp Jacob Spener und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 1986, 323–324.

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seits an jener Seligkeit, die erst im Jenseits erreicht werden kann,119 ein Gedanke, den Alexander mit seiner Politik konsequent in die Tat umzusetzen versuchte. In der Heiligen Allianz legt Alexander genau fest, nach welchen Werten er seine Außenpolitik fortan betreiben werde. In dem Gespräch mit Eylert äußert sich Alexander sehr deutlich in eine Richtung, die erkennen lassen, dass er die Inspirationslehre und die Affektenlehre verinnerlicht hatte: Er [der Vertrag der Heiligen Allianz, PhM] ist gar nicht unser, sondern Gottes Werk. Der Erlöser selbst hat alle Gedanken, die er enthält, und alle Grundsätze, die er ausspricht, eingeflößt.120

Expliziter noch äußerte sich Alexander im Hinblick auf die Bibel: Man überlasse es jedem Christen, welcher Kirche er auch angehören mag, die heilige Schrift auf sich wirken zu lassen, was sie kann und soll, und gewiß wird sie, weil sie ein göttliches Buch ist, das Buch aller Bücher, ist, weckend und wohlthätig wirken.121

All diese Elemente – ebenso wie der dem Pietismus eigene konfessionsübergreifende Charakter – finden sich bei Alexander I. wieder. Der Kontrast zur formalen Konfession, der russisch-orthodoxen, könnte kaum größer sein. Während die russische Orthodoxie stark form- und traditionsgebunden gerade das Nicht-Verstehen Gottes betonte, lebte Alexander nach seinem „Damaskus“ in einer pietistischen Frömmigkeit. Tägliche Bibellektüre und die Diskussion über Glaubensinhalte prägten seinen Alltag.122 In den folgenden Jahren steigerte sich seine Frömmigkeit derart, dass er am Ende seines Lebens von der ihm eng vertrauten Diplomatengattin Dorothea von Lieven als „Beinahe-Mönch“ charakterisiert wurde. Er sehe seine Minister kaum und sei den Tag über mit pietistischer Lektüre beschäftigt.123 Und nach seinem Tod bestätigte sein Arzt Tarassov, dass der Zar „très religieux et chrétien sincère“ gewesen sei. Das erkenne man bereits daran, dass seine Knie durch das viele Beten schon dicke Schwielen aufwiesen.124 Diese Abwendung von der Welt ist das Ergebnis eines längeren Prozesses gewesen. Es ist dabei durchaus möglich, die Verbindungslinien von Spener zu Alexander aufzuzeigen. Zwei Stränge vereinen sich um 1800, die sich überlagern und gegenseitig verstärken. Zu Zeiten Katharinas II. gründeten Herrnhuter Brüder die Siedlung Sarepa, eine

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Vgl. Francke, Manductio, 11 f., 94 f., 132. Eylert, Charakter-Züge, II/2, 249. Ebd, 252 f. Hierzu ist der Brief Alexanders an Golicyn vom 8.–15.2.1821 besonders aufschlussreich. Abgedruckt bei Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 521–529. Auch Jung-Stilling berichtet von seiner Begegnung mit Alexander „Der Kaiser selbst macht aus der Heiligen Schrift sein tägliches Studium; seine Bibel sah ich auf seinem Tisch, sie glich einem Schulbuche, das schon mehrere Jahre gebraucht worden. Ausser der Bibel liest er wenig, ausser dem, was er Amtswegen lesen muss“, zit. nach Hauptmann, Peter/Stricker, Gerd (Hrsg.), Die Orthodoxe Kirche in Russland. Dokumente ihrer Geschichte (860–1980). Göttingen 1988, 475. 123 Dorothea Lieven, Unpublished Diary and Political Sketches of Princess Lieven, together with some of her letters. Hrsg. von Harold Temperley. London 1925, 87–99. 124 Dieses berühmte Zitat in Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 299.

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Siedlung, die wohl auch von Alexander vor seinem Herrschaftsantritt besucht worden war.125 Ein zweiter Strang, der eng mit Sarepa verbunden ist, konzentriert sich um den Prediger und Arzt Johann Heinrich Jung-Stilling.126 Dieser entwarf eine heilsgeschichtliche Theologie in Endzeiterwartung, in der er drei Vorstellungskreise zusammenführte: erstens die Vorstellung einer „inneren Kirche“ als der wahren Kirche, zweitens die Erwartung eines bevorstehenden Endes der Geschichte und schließlich die mystische Vorstellung vom Heilswert des Ostens, namentlich Russlands, dem eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung des Reiches Gottes zugesprochen wurde.127 Jung-Stilling sah im Sieg der Fortschrittsidee der Aufklärung gleichzeitig auch ein Zeichen der zunehmenden Macht des Antichristen und damit ein Zeichen seiner baldigen Enthüllung.128 Die Aufklärung deutete der Arzt als letzte und gefährlichste Form der Verkleidung des Antichristen, als letzten Schritt in der Zerstörung der Welt Gottes.129 Dank einer Übersetzung waren Jung-Stillings Schriften auch in Russland weit verbreitet.130 Alexander sollte ihn und die ihm nahestehende Mystikerin Juliane von Krüdener schließlich persönlich kennenlernen.131 Der Kontakt mit der letztgenannten war sogar so weitgehend, dass ihr vielfach die eigentliche Autorenschaft der Heiligen Allianz zugeschrieben wurde. Jung-Stillings Deutungen der französischen Revolution deckten sich weitestgehend mit denen Alexanders. Sie ziele auf die Vernichtung der wahren christli-

125 Hierzu Otto Teigeler, Die Herrnhuter in Russland. Ziel, Umfang und Ertrag ihrer Aktivitäten. Göttingen 2006, 19–24. Ein ähnliches Unternehmen, Sarata, hatte der bayerische Prediger Ignaz Lindl, den Alexander 1818 in Aachen traf, in Bessarabien umgesetzt. Lindl musste das Land 1823 bereits wieder verlassen. Die Literaturlage zu Lindl ist mehr als dünn. Vgl. Burkard Krug, Lindl, Ignaz, in: BIOGRAPHISCH-BIBLIOGRAPHISCHES KIRCHENLEXIKON 5, Sp. 85 f. sowie die nicht gedruckte Dissertation von Hermann Turtur, Chiliastischschwärmerische Bewegungen in Bayern im frühen neunzehnten Jahrhundert, phil. Diss. München 1953; Hans Petri, Ignaz Lindl und die deutsche Bauernkolonie Sarata in Bessarabien, in: Südostdeutsches Archiv 8, 1965, 78–112. 126 Dieser Spur geht zuletzt nach Susan A. Crane, Holy Alliances. Creating Religious Communities after the Napoloenic Wars, in: Geyer, Michael/Hölscher, Lucian (Hrsg.), Die Gegenwart Gottes in der modernen Gesellschaft. Göttingen 2006, 37–59. 127 Vgl. Michael Schippan, Zwei Romane Jung-Stillings in Russland („Theobald oder die Schwärmer“ und „Das Heimweh“). Siegen 2000; Otto W. Hahn, Das „Heimweh“ von JungStilling, in: Frost, Michael (Hrsg.), Blicke auf Jung-Stilling. Festschrift zum 60. Geburtstag von Erhard Merk. Kreuztal 1991, 115–134; Dieter Groh, Russland und das Selbstverständnis Europas. Ein Beitrag zur europäischen Geistesgeschichte. Neuwied 1961, 113–124. 128 Vgl. Johann Heinrich Jung Stilling, Erster Nachtrag zur Siegsgeschichte der christlichen Religion in einer gemeinnützigen Erklärung der Offenbarung Johannis. Nürnberg 1805, 35. 129 Vgl. auch Ernst Benz, Russische Endzeiterwartung. Studien zur Einwirkung der deutschen Erweckungsbewegung in Russland, in: ders.: Endzeiterwartungen zwischen Ost und West. Studien zur christlichen Eschatologie. Freiburg 1973, 211–240, hier 211–213. 130 Vgl. Alexander M. Martin, Romantics, Reformers, Reactionaries. Russian Conservative Thought and Politics in the Reign of Alexander I, Dekalb 1997, 146. 131 Die Hoffnungen, die Jung-Stilling auf Alexander setzte, spiegeln sich in seinen Briefen: Schwinge, Gerhard (Hrsg.), Johann Heinrich Jung-Stilling. Briefe. Gießen 2002.

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chen Religion und den Umsturz der Staatsverfassungen. Schlimmer noch: Das Reich des Antichristen nehme mit der Französischen Revolution seinen Anfang.Jung-Stilling war überzeugt, „dass die französische Revolution den entfernten Grund zum großen, letzten Kampf zwischen Licht und Finsternis legen würde“132. In seiner Schrift „Heimweh“ steht die Revolution selbst für das Tier aus dem Abgrund, das Jung-Stilling mit dem Krieg assoziiert.133 Russland war hingegen ausersehen, Schutzmacht für das Friedensreich zu sein und der neu zu errichtenden Kirche eine Zufluchtsstätte im Osten zu gewähren – und somit eine heilsgeschichtlich zentrale Rolle zu übernehmen.134 Ebenso passte eine weitere Prophezeiung Jung-Stillings in das Weltbild des Zaren: Die Französische Revolution war bei ihm nicht gleichzusetzen mit dem Beginn der Herrschaft des Antichristen. Dieses Ereignis sei dennoch in der nächsten Zukunft zu erwarten. Dann werde der Antichrist als universaler Herrscher der Welt auftreten, er werde „ein König, ein großer Regent seyn, welcher unumschränkt regiert“ als „großes Genie“ auftreten und auch die „höchste geistliche Macht an sich reißen und besetzen.“135 Es bedurfte keiner großen gedanklichen Verrenkung mehr, um den Antichristen mit Napoleon gleichzusetzen. Auch ein weiteres Argument musste Wasser auf die Mühlen des Zaren sein. Nicht nur, dass Russland als Land im Osten eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung zugewiesen bekam, auch war der Kampf gegen den Antichristen nur als Kampf in der Welt zu gewinnen, in dem die wahren Christen sich in einer konfessionsübergreifenden Sammlung zusammenfinden – jenseits irgendeiner konfessionellen oder kirchlichen Bindung.136 Alexander und Jung-Stilling begegneten sich in Bruchsal im Juli 1814. Bei der langen Audienz, die durch Roxandra Stourdza, der Ehrendame der Kaiserin, vermittelt worden war,137 tauschten sich der Zar und der Prediger intensiv aus.138 Auch Jung-Stilling sah im Sieg über Napoleon ein deutliches Zeichen für den Sieg Gottes, der sich der drei christlichen Monarchen bedient habe.139

132 Johann Heinrich Jung-Stilling, Lebensgeschichte. Vollständige Ausgabe, hrsg. von Gustav Adolf Benrath. Darmstadt 1976, 483. 133 Vgl. Thomas Baumann, Jung-Stilling und die Französische Revolution, in: Pietismus und Neuzeit 16, 1990, 132–154. 134 Wie sehr Russland in der Erweckungsbewegung als gelobtes Land gesehen wurde zeigt Heiko Haumann, „Land des Friedens und des Heils.“ Russland zur Zeit Alexander I. als Utopie der Erweckungsbewegung am Oberrhein, in: Pietismus und Neuzeit 18, 1992, 132-154. 135 Zitate Jung Stilling, Nachtrag, 92, 95, 99. 136 Vgl. ebd. 160. 137 Vgl. Edling, Mémoires, 142–151. 138 Siehe zum Verlauf der Audienz – bei der auch Alexander Ypsilanti anwesend war: ebd, 148– 161 sowie Jung-Stilling an seinen Schwiegersohn Friedrich Heinrich Christian Schwarz in Heidelberg, 15.07.1814, in: Schwinge, Jung-Stilling, 548 f. Ebenso: Brief an die Christentumsgesellschaft in Basel beziehungsweise deren Sekretär Christian Friedrich Spittler, 20.07.1814, in: ebd, 549–551. 139 Vgl. Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, Taschenbuch für Freunde des Christenthums. Auf das Jahr nach Christi Geburt 1815. Nürnberg 1815, 3–5.

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Während Alexander mit der Gedankenwelt Jung-Stillings wohl in erster Linie durch den persönlichen Austausch mit dem deutschen Arzt Bekanntschaft machte, kam er mit dem Theosophen Karl von Eckartshausen durch eigene Lektüre von dessen Hauptwerk „Die Wolke über dem Heiligtum“ in Kontakt.140 Die „Wolke“ erschien 1802, ein Jahr vor Eckartshausens Tod. In der Hauptsache beschäftigt sich das Buch mit dem Problem der „Inneren Kirche“ – ein Gedanke, mit dem Alexander bereits eng vertraut war.141 In sechs „Briefen an einen Geistesfreund“ erläutert Eckartshausen, wie sich die innere Kirche finde und wie der gegenwärtige „Krankheitszustand der Menschen“142 mit ihrer Hilfe überwunden werden könne. In diesen Briefen wird Religion, verstanden als „Wiedervereinigungslehre“143 der Christen jeder Konfession, die zentrale Rolle zugesprochen, den Menschen auf eine höhere Stufe der inneren Erkenntnis zu bringen und so den Frieden wiederherzustellen. Das Konzept der „Inneren Kirche“ war in Russland seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit Erscheinen von Lopuchins „Nekotoraja čerty vnutrennej cerkvi“ aus dem Jahr 1789 populär. Hierin vertrat der prominente Freimaurer und Freund Karazins die Position, dass durch einen Prozess der „Wiedergeburt“ eine erneute und intensivierte Verbindung von Menschen und Gott gestiftet werden könne. Aus dieser engen Beziehung folge notwendigerweise, dass der Mensch nur noch Gutes tun könne, da er Dank der Gegenwart Gottes in ständiger Präsenz und im steten Einklang mit Gottes Geboten lebe. Lopuchins Entwurf sah den Vorrang der inneren Kirche vor jeder äußeren Glaubensbezeugung vor – damit waren alle Fragen der Konfessionszugehörigkeit unbedeutend. Dieses Modell war als Gegenmodell zu einer als formalistisch und unflexibel empfundenen Orthodoxie entstanden. Auch Alexanders Vertrauter Golicyn, der gegen seinen Willen als Agnostiker 1803 zum Oberprokurator des Heiligen Synods ernannt worden war, hatte eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Seine Konversion scheint allerdings mehr ein längerfristiger Prozeß gewesen zu sein, der bereits vor 1812 abgeschlossen war, so dass Golicyn richtungsgebend wirken konnte. Golicyn hatte sich mit der Kabbala und der Gnosis ebenso beschäftigt wie mit Saint-Martin und seiner Lehre von der „Inneren Kirche“. Er wurde damit zu einer Leitfigur in Alexanders Konversionsprozess.144 Zusammen mit Alexander Stourdza und dem Zaren bildete er ab 1812 die Formation des „Trois-Un“ – eine Anspielung auf die Dreifaltigkeit – zur regelmäßigen gemeinsamen Bibellektüre und -exegese. Die 1821 ausgetauschten Billets der beiden enden stets mit der selben Wendung „Tout à vous en notre

140 Vgl. Francis Ley, Madame de Krüdener. 1764–1824. Romantisme et Sainte-Alliance. Paris 1994, 289 f. 141 Vgl. Zorin, Star, 322. 142 Karl von Eckartshausen, Die Wolke über dem Heiligtum. Briefe von Karl von Eckartshausen wieland kurfürstlicher Hofrat und geheimer Archivar in München. Baden-Baden 21986, 75. 143 Ebd, 50. 144 Zu Saint-Martin siehe die Einführung von Gerhard Wehr, Louis Claude de Saint-Martin. Der „unbekannte Philosoph“. Berlin 1995.

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Seigneur“.145 Alexander schien die Lehre von der „inneren Kirche“ verinnerlicht zu haben. Bereits 1812, in dem erwähnten Essay „De la littérature mystique“, begann er die Trennung von innerer und äußerer Kirche zu propagieren.146 Der Essay gibt weiterhin Aufschluss über das enorme Lesepensum des Zaren. Jacob Böhme hatte er in der Übersetzung Saint-Martins gelesen, Saint-Martin selbst, im übrigen Swedenborg und Jung-Stilling, die ‚Confessiones’ von Augustinus und den Essay „Recherche sur la verité“ von Malebranche. Neben Eckartshausen war für ihn die Literatur des katholischen Schriftstellers Fénelon besonders bedeutend. Allein diese Auflistung zeigt: der Zar bediente sich bei den religiösen Schriftstellern wie in einem Gemischtwarenladen. Eingeteilt wurden die Autoren in solche, die entweder in besonderem Maße die Wahrheit Gottes erkannt oder aber eine Schule begründet hätten (Böhme, Swedenborg, Saint-Martin, Jung-Stilling). Keines der aufgezählten Werke könne allerdings für sich die für sich die Wahrheit beanspruchen: „Il est cependant nécessaire de répéter ici que dans toutes ces œuvres il y a un grand mélange de vérités et d’erreurs.“147 Eine zweite Gruppe von Autoren wurde nach dem Merkmal der praktischen Moralphilosophie zusammengestellt. Hier finden sich Augustinus, Malebranche, Eckartshausen und Fénelon. Eine dritte Gruppe schließlich fasste Autoren zusammen, die der moralischen Erbauung dienen sollten: Franz von Sales, Thomas von Kempen und Johannes Tauler. Auch Baronin Krüdener ließ sich 1817 in Russland nieder – wurde aber bereits 1821 wieder verbannt, nachdem sie sich stark für den griechischen Aufstand engagiert hatte. 2. DIE BIBELGESELLSCHAFT Nur kurz zuvor, am 6. Dezember 1812, war in Russland von Košelev und Golicyn, der seit 1803 der staatlichen Kirchenaufsicht vorstand,148 die Bibelgesellschaft als Ableger der 1804 gegründeten British and Foreign Bible Society ins Leben gerufen.149 Sie verfolgte das Ziel, den Text der Bibel (ein Kommentar war

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GARF f. 728, d. 1303. Vgl. Ley, Sainte-Alliance, 56. Ebd, 58. Vgl. Krautheimer, Alexander I, 283. Zur Bibelgesellschaft allgemein: I. A. Čistovič, Istorija perevoda Biblii na russkij jazyk. Sankt Petersburg 1873; A. N. Pypin, Rossijskoe Bibleiskoe Obščestvo (1812–1826), in: ders., Issledovanija I stat’i po epoche Aleksandra I. Bd. I. Religioznye dviženija. Petrograd 1916, 3–293; Stuart R. Tompkins, The Russian Bible Society. A Case of Religious Xenophobia, in: American Slavic and East European Review 7, 1948, 251–268; W. Krause, Die Bibel in Russland, in: Kirche im Osten, 1958, 11–23; Boris A. Tichomirov, Geschichte der russischen Bibelübersetzung I, in: Stimme der Orthodoxie, 2004, 37–44; ders, Geschichte der russischen Bibelübersetzung II, in: Stimme der Orthodoxie, 2004, 18–27; Judith Cohen Zacek, The Russian Bible Society and the Catholic Church, in: Canadian Slavic Studies 5, 1971, 35–50.

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nicht vorgesehen) in jeglicher Sprache der Welt zu verteilen. Die Bibellektüre sollte individuelles Heil sichern. Bewusst erlebte Gotteserfahrung stand hierbei – ganz in pietistischer Tradition – im Vordergrund. Es war das Wort der Bibel, in dem sich Gott der Seele der Gläubigen offenbarte.150 Bereits im 18. Jahrhundert war es zu Absetzbewegungen von der Orthodoxen Kirche gekommen, die dem durch die Aufklärung verstärkten Verlangen nach erklärenden Antworten nicht nachkommen konnte.151 Die Wurzeln des russischen Zweiges der Bibelgesellschaft sind in der Adelsgesellschaft zu suchen, die die aus Europa übernommen Ideen der Aufklärung aufsog. Und auch wenn die Bibelgesellschaft später formal eine offene Gesellschaft war, so blieb sie im Kern ein Phänomen des Adels. Das organisatorische Fundament, auf dem die neue Gesellschaft aufbauen konnte, waren die bereits gut organisierten Kanäle der verschiedenen Freimaurerzirkel in Sankt Petersburg. Das Freimaurerwesen war von Katharina II. verboten worden, Alexander I. hatte das Verbot 1809 wieder aufgehoben.152 Trotz der vergleichsweise langen Phase der Illegalität hatten sich die Strukturen und Personenverbände gehalten, so dass mit Aufhebung des Verbots kein Neuanfang in der Organisation erforderlich war.153 Hinzu kam eine bereits aus dem 17. Jahrhundert tradierte Kritikbewegung, die sich eng an das Freimaurertum angliederte, und der Bibel den entscheidenden Einfluss für die Reformen von Religion, Staat und Kultur beimaß. Die Bewegung der Rosenkreuzer war in Westeuropa eher eine Randerscheinung, jedoch wurden die „Gründungsmanifeste“ 1784 vom Direktor der Moskauer Universität, dem Aufklärer Ivan Petrovič Turgenev ins Russische übertragen, wo sie sich mit großem Erfolg verbreiteten. Der Kreis der Freimaurer um Turgenev hatte sich – jenseits der mit dem Rosenkreuzertum verbundenen kabbalistischen und alchimistischen Interessen – vor 150 In der russischen Historiographie herrscht die Einschätzung der Bibelgesellschaft als konservativ und reaktionäre vor. Vgl. Z. P. Zunina, Britanskoe i Russkoe bibleiskoe Obščestvo v XIX veke, in: Tugan-Baranovskij, Džuči M. (Hrsg.), Političeskij lider, partija i obščestvo. Saratov 1992, 70–79 151 Vgl. Pavel Anikiev, Misticizm v epochu Aleksandra I. Moskau 1912; N. I. Barsov, Istoričeskie, kritičeskie i političeskie opyty, Sankt Petersburg 1879, 245–260; Robert L. Nichols, Orthodoxy and Russia’s Enlughtenment, 1762–1825, in: ders./Stavrou, Theofanis George (Hrsg.), Russian Orthodoxy under the Old Regime. Minneapolis 1978, 65–89. 152 Vgl. allgemein: Andrei Ivanovič Serkov, Istorija russkogo masonstva XIX veka. Sankt Petersburg 2000. 153 Vgl. A. N. Pypin, Istoričeskie očerki. Charakteristiki liraturnych mnenii ot dvadcsatych do pjatidesjatych godov, Sankt Petersburg 1890. Ebenso einflussreich war die eher locker organisierte Bet-Gruppe um Ekaterina Filipovna Tatarinova, die „Bruderschaft in Christus“ („Bratstvo vo Christe“), die mindestens einmal von Alexander, Košelev und Golicyn besucht worden war. Vgl. Ju. V. Tolstoj, O duchovnom sojuze E. F. Tatarinovoj, in: Bartenev, P. I. (Hrsg.), Devjatnadsatij vek. Istoričeskoj Sbornik. Bd. I. Moskau 1872, 220–234; Raffaella Faggionato, Un’utopia rosacruciana. Massoneria, rosacrocianesimo e illuminismo nella Russia settecentesca. Il circolo di N. I. Novikov, in: Archivio di storia della cultura 10, 1997, 11–276; In-Ho L. Ryu, Moscow Freemasons and the Rosicrucian Order. A study in Organization and Control, in: Garrard, J. G. (Hrsg.), The Eighteenth Century in Russia. Oxford 1973, 198–232.

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allem in der Loge zum „Polarstern“ dem Ziel gewidmet, eine aufgeklärte und gebildete Elite für den Staatsdienst zu schaffen.154 Diese Loge existierte seit 1809, Gründungsmitglieder waren unter anderem Golicyn und Speranskij, der seinerseits über Ivan Lopuchin mit den Schriften Eckartshausens, Saint-Martins und Jung-Stillings in Berührung gekommen war.155 Die Idee zur Gründung einer Filiale in Russland stammte von den beiden schottischen Missionaren Robert Pinkerton und John Paterson und wurde anlässlich einer Begegnung der beiden in Moskau entwickelt. Paterson freundete sich mit Golitzyn an,156 der zusammen mit Innenminister Osip Petrovič Kozodavlev und protestantischen Kirchenvertretern eine Gründungssatzung entwarf und diese Zar Alexander vorlegte.157 Im Wesentlichen kam der Kontakt zu Alexander, der per Ukaz am 6.12. die Bibelgesellschaft gründete, über Golicyn zustande.158 Der Zar trat der Gesellschaft förmlich bei, stiftete die nicht geringe Summe von 25.000 Rubeln, eine jährliche Summe von 10.000 Rubeln und ein Steinhaus für die Bibelgesellschaft in Sankt Petersburg.159 Die neu gegründete Gesellschaft be-

154 Vgl. C. Gilly, Rosenkreicery v Rossii v XVII i XVIII vekach. Nekotorye momenty iz istorii evropeiskoj duchovnoj reformacii, in: 500 let gnozia v Evrope. Materialy konferencii 26–27 marta 1993 g. Moskau 1994, 54–63; Gabriele Lehmann-Carli, Kulturelle Übersetzung westlicher Konzepte und nachpetrinische Identitätsentwürfe bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: dies./Yvonne Drosihn/Ulrike Klitsche-Sowitzki, Russland zwischen Ost und West? Gratwanderungen nationaler Identität. Berlin 2011, 13–80. 155 Vgl. Pis’ma I. V. Lopuchina k M. M. Speranskomu, in: Russkij Archiv 8, 1870, 622; Danilov, Lopuchin, 89–91. Weiteres Gründungsmitglied war der protestantische Geistliche und Orientalist Ignaz Aurelius Fessler, der siet 1809 Professor an der Akademie in Sankt Petersburg war. Fessler hatte sich bereits früh über die Rolle der Freimaurerei geäußert: Ignaz Aurelius Fessler, Fessler’s sämmtliche Schriften über Freymaurery. Wirklich als Manuscript für Brüder. Berlin 1801. Er war in Berlin Mitglied in der auch von Fichte besuchten Loge „Royal York“. Vgl. Florian Maurice, Freimaurerei um 1800. Ignaz Aurelius Feßler und die Reform der Großloge Royal York in Berlin. Tübingen 1997. 156 Zu Golitzyn: V. Roždestvenskij, Istoričesckij obzor dejatel’nosti Ministerstva Narodnogo Prosveščenija. 1802–1902. Sankt Petersburg 1902, 105–113. 157 Kozodavlev war von Katharina II. zum Studium nach Leipzig geschickt worden und unter der Zarin maßgeblich an der Reform der Universitäten und höheren Schulen beteiligt. Vgl. E. M. Garšin, Odin iz russkich Grachov prošlovo stoletija, in: Istoričeskij vestnik 41, 1890, 621– 628 und M. Poliektov, Kozodavlev, Osip Petrovič, in: Russkij biografičeskij slovar’. Band 9. Sankt Petersburg 1909, 54–60. 158 Golicyns Vorschlag zur Einrichtung der Bibelgesellschaft: A. N. Golicyn, Proekt ob učreždenii Sankt-Peterburgskogo Bibleiskogo Obščestva. Sankt Petersburg 1812. Vgl. auch für das folgende Stephen K. Batalden, Printing the Bible in the Reign of Alexander I: Toward a Reinterpretation of the Imperial Russian Bible Society, in: Hosking, Geoffrey A. (Hrsg.), Church, Nation and State in Russia und Ukraine. New York 1991, 65–76, hier 67. Allgemein: Judith Cohen Zacek, The Russian Bible Society, 1812–1826. Ph.D. Diss., Columbia University 1964. Der Text des Vorschlags von Paterson und Pinkerton: Project on the Establishment of a Bible Society in St. Petersburg, sowie die Satzung sind abgedruckt in: Rossijskoe Bibleisjkoe Obščestvo, O bibleiskich obščestv i učreždenii takogo že v Sanktpeterburge. Sankt Petersburg 1813, 24 f. Der Ukaz: PSZ 25,287, 6.12.1812, 471, 476. 159 Vgl. Schiemann, Alexander I, 417.

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kam die Erlaubnis, sich an die fremdsprachigen Christen in Russland zu wenden und ihnen eine Übersetzung der Heiligen Schrift zur Verfügung zu stellen. Für die Herstellung und Verbreitung der offiziellen kirchenslawischen Ausgabe blieb nach wie vor der Heilige Synod verantwortlich. Die Zusammensetzung der Teilnehmer des ersten Treffens der Gesellschaft in Golicyns Petersburger Haus Anfang Januar 1813 zeigt, dass die Bibelgesellschaft von Beginn an eine überkonfessionell ausgerichtete Einrichtung war, die zudem noch nicht in Konflikt mit dem Synod und der Orthodoxie stand. Anwesend waren neben den beiden Initiatoren ebenfalls Golicyn, Kočubej, Kozodavlev, sowie Metropolit Amvrosii von Sankt Petersburg, Erzbischof Serafim von Minsk, der Direktor der kirchlichen Akademie in Sankt Petersburg Archimandrit Filaret, der katholische Metropolit Stanislas Siestrzencewicz-Bohusz, sowie der spätere Minister für Volksaufklärung und Patensohn Katharinas II., Sergej Semjonovič Uvarov.160 Beinahe die gesamte Führungsriege der Gesellschaft bestand aus Mitgliedern von Freimaurer-Logen. Golicyn und Košelev kannten sich aus der Loge „Polarstern“,161 die Vizepräsidenten Serafim und Michail waren Mitglieder der „freundschaftlichen gelehrten Gesellschaft“ („Družeskoe učenoe obščestvo“).162 Kočubej gehörte seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts der Loge zum „theoretischen Grad“ an, in der die Auseinandersetzung mit der „inneren Kirche“ intensiv gepflegt wurde.163 Die frappierende personelle Übereinstimmung der Mitglieder erklärt sich vor allem aus der großen inhaltlichen Nähe: in beiden Kreisen wurden Mystiker gelesen, beide Kreise waren überkonfessionell ausgerichtet und proklamierten religiöse Toleranz. Zudem bot die Bibelgesellschaft die Möglichkeit, mystizistische Schriften nicht mehr nur im Verborgenen zirkulieren zu lassen, sondern nun mit staatlicher Unterstützung durch Labzin, einem weiteren Schüler Lopuchins, übersetzen und verbreiten zu lassen.164 Zwar war der hohe orthodoxe Klerus von Golicyn eingeladen worden, in der Leitung der Bibelgesellschaft war er zunächst nicht zu finden.165 Bereits ein Jahr später sollte sich dies grundlegend ändern. Das Monopol der Orthodoxen Kirche auf die Herstellung und Verbreitung der Bibel erwies sich als nicht konkurrenzfähig gegenüber den dank modernster Drucktechnik billiger hergestellten übersetz-

160 Rossijskoe Bibleisjkoe Obščestvo, O bibleiskich obščestv, 45 f.; Pervyi otčet komiteta Rossijskogo Bibleiskogo obščestvo za 1813 god. Sankt Petersburg 1814, 5 f. 161 Vgl. Raffaella Faggionato, From a Society of the Enlightened to the Enlightenment of Society. The Russian Bible Society and Rosicrucianism in the Age of Alexander I., in: Slavonic and East European Review 79, 2001, 459–487, hier 462. 162 Vgl. S. P. Ševyrev, Istorija Imperatorskogo moskovskogo Universiteta 1755–1855. Moskau 1855, 267. 163 Vgl. Faggionato, Un’utopia, 74–77. 164 Markert, Politik, 51f. betont die besondere inhaltliche Nähe Alexanders zu St. Martin, ohne weitere quellenmäßige Fundierung. 165 Vgl. Judith Cohen Zacek, The Russian Bible Society and the Russian Orthodox Church, in: Church History 35, 1966, 411–437, hier 413–415, sowie Rossijskoe Bibleisjkoe Obščestvo, O bibleiskich obščestv, 47 f.

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ten Ausgaben.166 Anlässlich der ersten Generalversammlung der Gesellschaft im September 1814 wurde eine Reihe von hohen Klerikern der Orthodoxen Kirche in das Direktorium als Vizepräsidenten aufgenommen. Unter ihnen befanden sich die Metropoliten von Kiew und Sankt Petersburg und die Erzbischöfe von Černigov (Tschernihiv), Tver’ und Ekaterinoslavl’ (heute Dnipropetrovsk).167 Nach Alexanders Rückkehr aus Europa konnte Golicyn ihn mit Hilfe der Erfolge der Gesellschaft überzeugen, eine zweisprachige Edition zu erlauben, die neben dem kirchenslawischen Text über eine autorisierte russische Übersetzung verfügen würde.168 Zunächst wurden die vier Evangelien übersetzt – Filaret selbst besorgte die Übertragung des Johannes-Evangeliums, der Text wurde dann zur Prüfung an ein Komitee übergeben, in dem wiederum Filaret saß, mit ihm der Mystiker Alexander Fedorovič Labzin – auch er Mitglied der „freundschaftlichen gelehrten Gesellschaft“ –, und der Golicyn-Vertraute und Direktor einer Abteilung in dessen Ministerium Vasilij Michajlovič Popov. Labzin war keinesfalls umstritten. Er hatte seit 1806 die Zeitschrift „Bote Zions“ („Sionskij Vestnik“) herausgegeben, die regelmäßig mystische Literatur, vor allem Jung-Stillings Schriften, verbreitete. Noch im selben Jahr geriet er unter enormen Druck des orthodoxen Klerus und stellte das Erscheinen des Boten ein, der 1817 mit Unterstützung des Zaren wieder erlaubt wurde.169 Erst 1821 lag eine vollständig übertragene Ausgabe vor, 1822 erschien schließlich eine einsprachige russische Ausgabe.170 Das Erscheinen einer einsprachigen Ausgabe hatte zum einen pragmatische Gründe, denn die zweisprachige Ausgabe war teuer und schwer, so dass sie kaum in den Tornistern der Soldaten Platz finden konnte. Zum anderen hatte sich auf Betreiben Filarets und Golicyns auch die Priesterausbildung der orthodoxen Kirche gewandelt und ähnelte nun mehr einem modernen Theologie-Studium, das die Lektüre der Heiligen Schrift mehr in den Vordergrund stellte. Wie mühsam auch dort der Umgang mit der kirchenslawischen Ausgabe war, lässt sich daran ablesen, dass es nur einen Katechismus gab. Ein zweiter Katechismus, geschrieben von Filaret, fiel schnell dem Häresie-Vorwurf anheim und wurde nie verbreitet.171 In dem Komitee zur Übersetzung der Bibel ins Russische waren nach 1815

166 Vgl. A. N. Pypin, Rossijskoe Bibleiskoe Obščestvo, 30–32. 167 Vgl. Cohen Zacek, Bible Society, 415 f. sowie Schwarz, Heilige Allianz, 68. 168 Vgl. die Erinnerungen von John Paterson, The Book for Every Land. London 21850, 196– 214; I. A. Čistovič, Istorija perevoda Biblii na russkij jazyk. Sankt Petersburg 21899, 26–28. 169 Vgl. A. N. Pypin, Russkoe masonstvo v carstvovanie Ekateriny II. Sankt Petersburg 32001 [11917], 235–243; A. S. Stourdza, O sud’be pravoslavnoj russkoj cerkvi v carstvovanie Imperatora Aleksandra I-go, in: Russkaja Starina 15, 1876, 274–276; Angelika Schmähling, Auf dem Tugendpfad. Die Aufzeichnungen der Freimaurerin A. E. Labzina (1739–1828), in: Herzberg, Julia/Schmidt, Christoph (Hrsg.), Vom wir zum Ich. Individuum und Autobiographik im Zarenreich. Köln u.a. 2007, 147–177, hier 165. 170 Vgl. Čistovič, Istorija, 28 f. 171 Vgl. Isabel de Madariaga, Russia in the Age of Elisabeth I. London 1981, 673.

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zudem nur noch Mitglieder des Heiligen Synods zu finden.172 Die modernen Standards entsprechenden Druckereien ermöglichten erst den phänomenalen Erfolg der Gesellschaft, allein die nackten Zahlen der Auflagen sind beeindruckend: zwischen 750.000 und einer Million Exemplare der Bibel wurden in der Dekade nach 1815 gedruckt und verteilt. Man kann davon ausgehen, dass die Tipografija zu Spitzenzeiten 280 Exemplare am Tag druckte. Diese Bibeln erschienen in 26 verschiedenen Sprachen und waren die Grundlage für eine fortschreitende Evangelisierung des Russischen Reiches.173 In der Bibelgesellschaft drückt sich nicht zuletzt die große Nähe Alexanders zur pietistischen Erweckungsbewegung aus, deren Ziel es unter anderem war, die Welt zu evangelisieren. Dass ausgerechnet britische Quäker Alexander bei seinem Vorhaben unterstützten, war kein Zufall, Alexander pflegte sogar persönlichen Umgang mit führenden Männern der „Friends“ – auch zu Vertretern der Methodisten, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten. Bei seiner EnglandReise 1814 besuchte er zusammen mit Botschafter Lieven und seiner Schwester eine Veranstaltung dieser Gruppe und sprach zu ihnen über eine friedliche Lösung der aktuell in Europa zu beobachtenden Probleme.174 Dem Beauftragten der „Abolition Society“, Thomas Clarkson, gewährte er sogar zweimal eine Audienz: 1815 in Paris und 1818 in Aachen. Hierbei versprach er, dass Russland sich um die Belange dieser Gesellschaft kümmern werde.175 Da herausragende Persönlichkeiten der Politik, neben Golicyn auch Viktor Kočubej und Aleksej Razumovskij, in der Bibelgesellschaft engagiert waren, traten ihr bald wesentliche Teile der Hofgesellschaft bei. Mitglied der Bibelgesellschaft zu sein, gehörte für einige Jahre zum guten Ton in der Petersburger Gesellschaft.176 Mehr noch: zwar war die Bibelgesellschaft zwar kein offizieller Faktor in der Herstellung politischer Entscheidungen in Sankt Petersburg, spielte aber dank der personellen Verbindungen eine nicht gering zu veranschlagende Rolle. Golicyn war in Doppelfunktion tätig und ebenso waren es die beiden Sekretäre der Gesellschaft, die gleichzeitig als Abteilungsleiter im „Doppelministerium“ fungierten. Kehrseite dieser Entwicklung war eine geradezu unnachgiebige Politik gegenüber dem Jesuitenorden. Per Ukaz wurden die Jesuiten am 20. Dezember 1815 aus Sankt Petersburg vertrieben, das Betreten Moskaus wurde ihnen verboten. Schließlich wurden sie auf das polnische Gebiet beschränkt und alle bisherigen Schüler wieder in die Obhut ihrer Familien gegeben.177 Gerüchte, dass diese 172 Vgl. Robert Lewis Nichols, Metropolitan Filaret of Moscow and the Awakening of Orthodoxy, phil. Diss. (masch.) Univ. Washington 1972, 105 f. 173 Nach Schwarz, Heilige Allianz, 69 sind es 48 Sprachen. 174 Vgl. Benjamin Seebohm, Life and Gospel Labors of Stephen Grellet, 2 Bde. London, 1862, 316 f. Vgl. auch Arthur Garratt Dorland, The Origins of the Holy Alliance, in: Transactions of the Royal Society of Canada 33, 1939, 59–79. 175 Vgl. Ellen Gibson Wilson, Thomas Clarkson. A Biography. New York 1990, 145–149. 176 Vgl. Pypin, Rossijskoe bibleiskoe obščestvo, 118 f. 177 Vgl. Ekaterina Larionova, Das Schicksal der Jesuitenschulen in Russland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Lehmann-Carli, Gabriela (Hrsg.), Russische Aufklärungsrezeption im Kon-

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Maßnahmen darauf zurückzuführen sind, dass ein Jesuitenpater Alexanders ehemaliger Mätresse Naryškina die Beichte verweigert habe, entbehren jeder Grundlage. Vielmehr scheint ein direkter Zusammenhang zu einer größeren Konversionswelle in der Sankt Petersburger Gesellschaft zu bestehen, deren bekanntester Exponent der Neffe des Oberprokurators des Heiligen Synods, Alexander Golicyn war. Dass die Jesuiten verweigert hatten, der Bibelgesellschaft beizutreten und der Papst den Beitritt zur Heiligen Allianz abgelehnt hatte, wird sich nicht positiv ausgewirkt haben auf die antijesuitische Stimmung. 1820 jedenfalls wurde der Orden auf russischem Boden gänzlich verbannt. Golicyn wurde zur personellen Schnittstelle zwischen den Institutionen.178 Er machte schnell Karriere – schon 1811 leitete er drei Behörden: das Ministerium für Volksaufklärung, die Oberprokuratur des Heiligen Synods, und das Departement für fremde Glaubensbekenntnisse („Departamanent inostrannych ispovedanij“). Somit war alles in einer Hand versammelt, was mit der christlichen Aufklärung, wie sie Alexander vorschwebte, zusammenhing – und das in der Hand eines der engsten Vertrauten des Zaren. Aufgabe der kirchlichen und der staatlichen Behörden war es nach Meinung von Golicyn und Alexander, dem Christentum zur Durchsetzung zu verhelfen. Insofern lag es nahe, die schon de facto vollzogene Vereinigung der Behörden auch de jure zu vollziehen. Mit einem Manifest vom 17. Oktober 1817 wurde das „Ministerium für geistliche Angelegenheiten und Volksaufklärung“ („Ministerstvo duchonych del i narodnogo prosveščenija“), das sogenannte „Doppelministerium“ geschaffen. Mit dem gleichzeitigen Verschwinden des Heiligen Synods und übernahm Golicyn den Posten des Ministers für geistliche Angelegenheiten und Volksaufklärung. Das Ministerium war in vier Abteilungen gegliedert, die sich um die jeweiligen Konfessionen kümmern sollten: Russisch-Orthodoxe und Altgläubige, Römisch-Katholische und Unierte, Protestanten und Sektierer und schließlich Nicht-Christen. Mit der Schaffung dieses Ministeriums verringerte sich die Möglichkeit der Einflussnahme des Heiligen Synods. Die Einrichtung des Doppelministeriums entsprach weniger einer politischen Logik, Kompetenzen zusammenzuführen und in einem modernen Ministerium zu bündeln, als vielmehr dem umfassenden Programm des Zaren, die gesamte russische Gesellschaft auf den Weg der Erlösung zu bringen, indem die Bibel zur unumstößlichen Grundlage jeglicher Erziehung gemacht werden sollte.179 War vorher über den Oberprokurator der Zugang zum Zaren gesichert, gab es jetzt

text offizieller Bildungskonzepte (1700–1825). Berlin 2001, 311–322. Neueste Literatur ist: Marek Inglot, Rossija i iezuity, 1772–1820. Moskau 2006. 178 Vgl. Ernst Benz, Die abendländische Sendung der östlich-orthodoxen Kirche. Die russische Kirche und das abendländische Christentum im Zeitalter der Heiligen Allianz, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur; Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, 1950, Nr. 8, 563–845, 591 f, und Theodor Schiemann, Kaiser Alexander I. und die Ergebnisse seiner Lebensarbeit. Berlin 1904, 411, sowie Igor Smolitsch, Geschichte der russischen Kirche 1700–1917. Leiden 1964, 197. 179 Vgl. den Ukaz Alexanders zur Einrichtung vom 24.10.1817, in: PSZ 27,106, Nr. 34, 814–34.

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noch die zwischengeschaltete Ebene des Ministers.180 Zudem haben nach und nach die Gruppe der „Mystiker“ den intellektuellen Ton innerhalb des Ministeriums angegeben.181 Der Konnex zwischen Religion und Bildung zeigt sich nicht nur in der Denomination des „Doppelministeriums“, sondern auch darin, dass die Bibel zur Grundlage der Bildung werden sollte. Michail Magnickij, die rechte Hand Speranskijs, wurde damit beauftragt, diesen Geist auch in die Universitäten hinein zu tragen. Bei der Neuausrichtung der Universitäten handelt es sich also nicht um eine Art „konservatives Roll-back“, was angesichts der Methoden und Ergebnisse zu vermuten wäre, sondern um einen Auswuchs der pietistischen Wandlung des Zaren. Dass er Magnickij mit der Aufsicht beauftragte, war eine eher unglückliche Wahl, denn dieser hatte zahlreiche ‚Säuberungen‘ nichtgläubiger Professoren veranlasst.182 Bislang hatte die orthodoxe Kirche quasi die Stellung einer Staatskirche besessen, alle anderen Kirchen waren lediglich geduldet. Jetzt erfuhren die anderen Kirchen eine Aufwertung, was zugleich bedeutete, dass die russische Kirche ihre herausragende Stellung verlor. Es musste in den Augen der Orthodoxie ein Affront sein, wenn in einem Zimmer gleichzeitig und gleichbedeutend Angelegenheiten der ‚wahren‘ Kirche, des ‚wahren‘ Glaubens und der ‚Ketzerei‘ verhandelt wurden.183 In zweifacher Weise verlor der Heilige Synod an Einfluss: Religiös wurde er – wenigstens dem eigenen Empfinden nach – abgewertet durch die Aufwertung der anderen Konfessionen. Politisch wurde er dadurch kaltgestellt, dass ihm der direkte Zugang zum Minister verwehrt wurde.184 Auch für die katholische Kirche änderte sich einiges in Russland. Ihre Stellung in Russland wurde nicht etwa von Rom aus geregelt, sondern von Sankt Petersburg. Die kirchliche Konstitution vom 18. März 1817 hob alle Privilegien der geistlichen Ordnung auf, die Orden wurden den Bischöfen unterstellt und diese wiederum dem Erzbischof von Mohilev als Primas untergeordnet, der an die Weisungen des Ministeriums für geistliche Aufklärung gebunden war. Päpstliche Verfügungen bedurften von nun an der Zustimmung des Zaren. So wie der höchste Katholik in Russland, Erzbischof Siestrzencewicz von Mohilev, hatte sich ein Großteil des katholischen Klerus schell mit der neuen Situation arrangieren können.185 Seit 1823 nahm Golicyns Einfluss am Hof sukzessive ab. Schließlich musste er sein Amt 1824 an Admiral Alexander Semjonovič Šiškov abgeben, der zu einer um 1812 entstandenen konservativen Gruppe am Hof zählte und unter dessen Ägide die Bibelgesellschaft eine inhaltliche 180-Grad-Wende vollzog. Mit dem 180 181 182 183 184

Vgl. Sawatsky, Golitsyn, 236–241; Šil’der, Imperator, Bd. 4, 10 f. Vgl. Martin, Defenders, 506 f. Vgl. Rey, Alexandre, 392 f. Vgl. Benz, Sendung, 594 f. Die ökumenische Komponente der Heiligen Allianz betont Kurt Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. München 1995, 63. Auch bei Benz, Sendung, 64. 185 Vgl. ebd, 595.

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Verweis darauf, dass in seiner Ministerzeit Bücher gedruckt worden waren, die der Lehre der orthoxen Kirche widersprachen, musste Golicyn 1824 seinen Posten als Minister für Volksaufklärung räumen, die Stelle des Ministers geistliche Angelegenheiten wurde nicht wieder besetzt, auch wenn Alexander das in einem Ukas noch angekündigt hatte.186 Stein des Anstoßes war das Buch „Geist des Lebens und der Lehre Jesu Christi“ des in Sankt Petersburg lebenden katholischen Priesters Johann Gossner, das von Golicyns Vertrautem Popov ins Russische übersetzt wurde. Dieses Buch wurde von konservativen Kreisen innerhalb der Orthodoxie als kabbalistisch und atheistisch gebrandmarkt – ein Vorwurf, der auf die hohe personelle Schnittmenge zwischen Anhängern des Rosenkreuzertums und der Bibelgesellschaft zielte.187 Vor allem in der Gestalt des Klerikers Pëtr Nikitič Spasskij, der sich Fotii nannte und in den Hofkreisen Sankt Petersburgs große Beliebtheit genoss, machte sich der Protest der Kirche fest. Fotii wurde zum Gegenspieler Golicyns, verweigerte ihm den Segen und sprach schließlich den Kirchenbann über ihn aus.188 Er nutzte die Stimmung aus, um der Gesellschaft den Todesstoß zu versetzen: in einem Memorandum an Alexander beschuldigte er die Bibelgesellschaft, revolutionäre Pläne im Geheimen auszuhecken.189 In einem konzertierten Angriff gegen Golicyn und Filaret wurde innerhalb von nur wenigen Wochen das „Doppelministerium“ aufgelöst und die beiden aktivsten Fürsprecher der Bibelgesellschaft politisch ins Abseits gestellt.190 Golicyns Nachfolger Šiškov arbeitete von Anfang an an einem Verbot der Bibelgesellschaft. In seinem Hauptwerk „Kommentare zum alten und neuen Stil der russischen Sprache“ („Rassuždenie o starom i novom sloge rossijkago jazyka“) aus dem Jahr 1803 versuchte er nachzuweisen, dass alle ländlichen Dialekte in Russland aus dem Kirchenslawischen entstanden seien und dass das von der Oberschicht gesprochene Russisch durch fremdländischen und nicht-religiösen Einfluss verderbt worden sei.191 An einer Popularisierung der Heiligen Schrift in dieser Sprache konnte Šiškov entsprechend wenig gelegen sein. Doch betrachteten er und Serafim die Bibelgesellschaft vor allem als politische Gefahr für den russischen Staat.192 Nachdem Alexander davon überzeugt werden konnte, dass die Bibelgesellschaft aufzulösen sei, wurde ihm von Šiškov die goldene Brücke gebaut, dass er lediglich eine zwei-

186 Vgl. Smolitsch, Geschichte, 202. 187 Vgl. N. I. Greč, Zapiski o moei žisni. Sankt Petersburg 1886, 316–320; NDr. Leningrad 1930, 579–585. 188 Vgl. K. D. Popov, Jur’evskij archimandrit Fotii I ego cerkovno-obščestvennaja dejatel’nost’, in: Trudy Kievskoj Duchovnoj Akademii, 1875, 762–765. 189 Vgl. Pypin, Russkoe bibleiskoe Obsčestvo, 199–201. 190 Vgl. Cohen Zacek, Bible Society, 431–434. 191 Vgl. Gary M. Hamburg, Russian Political Thought, 1700–1917, in: Lieven (Hrsg.), Cambridge History, 116–144, 123. 192 Vgl. Pypin, Russkoe bibleiskoe obščestva, 83 ff.; Sobstvennoruchnaja Zapiska A. S. Šiškova o Bibleiskich Obščestvach (1824), in: Dubrovin, N. (Hrsg.), Sbornik istoričeskich materialov izvlečennych iz Archiva Ego Veličestva Kanceljarii. Sankt Petersburg 1903, 365 f.; Serafim an Alexander, 11.12.1824, in: Russkij Archiv, 1868, 940–942.

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sprachige Bibelversion autorisiert habe, nicht jedoch eine rein russische. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden alle Beschäftigten der Gesellschaft entlassen und bis auf Paterson mussten alle Ausländer Russland verlassen.193 Im Juli 1826 wurde die Gesellschaft formal aufgelöst und ihr beträchtliches Vermögen konfisziert.

193 Vgl. Paterson, Book, 394.

V. AUF DEM WEG NACH EUROPA: 1812–1815 1812 hatte der Zar eine weltanschauliche Krise durchlebt, die in der Konversion mündete. Und als der Tiefpunkt der Ereignisse durchschritten schien – die Grande Armée war aus Russland vertrieben worden und die Zeichen standen gut, dass ein Feldzug erfolgreich verlaufen würde – formulierte er in einem privaten Gespräch einen utopisch anmutenden Entwurf für das politische Gefüge Europas: Pourquoi […] tous les souverains et les nations de l’Europe ne s’entendraient-ils pas entre eux, pour s’aimer et vivre en frères, en s’aidant dans leurs besoins réciproques? Le commerce deviendrait le bien général de cette grande société dont quelques membres, sans doute, différaient entre eux de religion, mais l’esprit de tolérance réunirait tous les cultes. Peu importe, je crois, au Tout-Puissant, qu’on l’évoque en grec ou en latin, pourvu qu’on remplisse tous ses devoirs envers lui et qu’on satisfasse à ceux d’honnête home: ce ne sont pas toujours les longues priers qui touchent le plus.1

Der Zar formulierte den Wunsch, dass die Souveräne in brüderlicher Nächstenliebe gemeinsam als Wohltäter der Nationen die Geschicke Europas zum Besten der Völker lenkten. In diesem Sinne ist der Begriff der „frères“ zu verstehen. Hier wird deutlich, dass sich Alexanders Verständnis vom Christentum in überkonfessionellen Bahnen bewegte: als private Angelegenheit des Einzelnen, nicht formalisiert oder konfessionell festgelegt.2 Die Idee des ewigen Friedens, die von Alexander seit Beginn seiner Herrschaft konsequent verfolgt worden war, hatte nun eine religiöse Fundierung erhalten, blieb aber grundsätzlich bestehen.3 Der Gedanke der brüderlichen Liebe und des Beistandes unter den Monarchen wurde auch gegenüber Bernadotte ausgebreitet: C’est la dernière lutte de l’indépendance contre l’asservissement, des idées liberales contre le système de la tyrannie [...]. Il me semble qu’il faudrait moins de transactions, de formes et plus de ces sentiments généreux, ardents qui porteraient à envisager tous les peuples unis pour le salut de leur liberté, commes des frères empressés à se porter mutuellement tous les secours dont ils pourraient avoir besoin et n’envisageant qu’un seul but, celui de leur salut commun. Telle est ma manière d’envisager les choses. L’égoisme soit des individus, soit des états, a ammené l’ordre actuel des choses.4

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Choiseul-Gouffier, Mémoires, 134 f. Vgl. zur überkonfessionellen Ausrichtung auch Ludolf Müller, Russischer Geist und evangelisches Christentum. Die Kritik des Protestantismus in der russischen religiösen Philosophie und Dichtung im 19. und 20. Jahrhundert. Witten (Ruhr) 1951, 9–27. Eine Kontinuität der Ziele erkennt auch Eich, Russland und Europa, 100. Alexander an Bernadotte, 2.7.1812, in: Šil’der, Imperator, Bd. 3, 499 f.

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Hier wurde schon konkreter jene Utopie benannt, die von einer gefühlsmäßigen Verbundenheit der Monarchen, dem Subsidiaritätsprinzip und einer grundsätzlichen Absage an jegliche Form von Egoismus bestimmt war. Bezeichnet wurde dieser Gegenentwurf als Vorherrschaft der „idées libérales“. Diese sind seit 1812 zum Leitmotiv in der Begründung der russischen Außenpolitik erhoben worden, blieben allerdings zunächst unterbestimmt, da die Abwehr der napoleonischen Invasion Priorität besaß.5 Dementsprechend waren die Gespräche und Verhandlungen mit Schweden ganz den militärischen Obliegenheiten des Feldzugs untergeordnet. Zur Sicherung des eigenen Gebietes war für Schweden der Erwerb Norwegens von Bedeutung. Als Gegenleistung für russisches Entgegenkommen in dieser Hinsicht wurde zugesagt, eine russische Annexion Finnlands nicht zu behindern. Damit war zum einen die Gefahr eines Zweifrontenkrieges gebannt, zum anderen wurden somit die in Finnland stationierten Truppen frei.6 Doch war auch der schwedisch-russische Vertrag vom 5. April 1812 kein reines bilaterales Abkommen, denn er enthielt die Option des Beitritts anderer Staaten. England sollte als Garantiemacht eingebunden werden und bei den Verhandlungen über den dänischen Besitz entsprechend einbezogen werden.7 Es war daher nur konsequent, dass alle nicht in einem unmittelbar mit dem Krieg in Zusammenhang stehenden politischen Fragen auf die Nachkriegszeit verschoben werden sollten, auch, um nicht weiteren Brüchen innerhalb der Koalition Vorschub zu leisten.8 Napoleons Position in Frankreich wurde durch seine lange kriegsbedingte Abwesenheit empfindlich gefährdet.9 Daher brach er am 5. Dezember nach Paris auf, Murat übernahm die Position des Oberkommandierenden, doch hatte Napoleons Weigerung, ernsthaft über einen Frieden zu verhandeln, die Fronten so verhärtet, dass innerhalb der dritten Koalition die Entscheidung gefallen war, eine militärische Entscheidung zu suchen.10 Damit war ein Rahmen vorgegeben, in den sich die Politik des Zaren einspannen musste – und den sie passgenau ausfüllte. Ende 1812 wurde in allen Kirchen Russlands ein Manifest verlesen, dass Alexander bei Admiral Šiškov in Auftrag gegeben hatte. Hierin wurde das Versprechen öffentlich gemacht, nicht eher zu ruhen, bis der letzte französische Soldat russischen Boden verlassen habe.11 Zwar wurde in diesem Manifest die Rolle des russischen Volks für den Abwehrkampf besonders hervorgehoben, doch dahinter und ‚eigentlich‘ verantwortlich für die Rettung Russlands sei einzig die göttliche

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Vgl. Alexander an Stein, 27.3./8.4.1812, in Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, bearb. von Erich Botzenhart, neu hrsg. von Walther Hubatsch. 10 Bde. Stuttgart 1957–1974, Bd. 3, Nr. 440, 627f; Alexander an Anstett, 26.6./8.7.1813, in: VPR I/7, 283–286. Vgl. Alexander an Karl Johann, 13./25.5.1813, in: ebd, 210–213; den schwedisch-russischen Vertrag vom 24.3./5.4.1812, in: VPR I/6, 319–323. Vgl. den ersten Separatartikel zum russisch-schwedischen Vertrag, ebd, 322 f. Vgl. Nesselrode an Stackelberg, 17./29.3.1813, in: VPR I/7, 118–121. Dies auch die Einschätzung des russischen „Spions“ Černišev. Vgl. Lentz, L’effondrement, 324. Vgl. Schroeder, Transformation, 477. Vgl. Šiškov, Zapiski, Bd. 1, 156–159; Nadler, Aleksandr, Bd. 2, 54–57.

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Intervention. Ausgerechnet die Religion, die Napoleon zu zerstören gesucht habe, sei für die Wendung verantwortlich gewesen. In der Logik dieser Proklamation lag auch, dass am selben Tag zum Dank für die Rettung Russlands der Bau einer Kirche, der Christi-Erlöser-Kathedrale, angeordnet wurde.12 Gleichzeitig schlug der Senat vor, Alexander den Beinamen „der Gesegnete“ („blagoslovennyj“) zu verleihen. Warum diese Ehrung für den Zaren nicht tragbar war, erläuterte der Zar seinem Freund Golicyn: der Sieg über Napoleon sei einzig und allein dem Wirken Gottes zuzuschreiben.13 Alexander hatte die Ehrung ursprünglich ohne nähere Begründung ablehnen wollen. Wiederum war es Šiškov, der den politischen Gehalt dieser Gelegenheit erkannte und die Antwort formulierte.14 Auf der Gedenkmünze, die zur Erinnerung an den Sieg geprägt wurde, fand sich die Inschrift „Non nobis, sed nomine tuo, Domine“ in Anlehnung an Psalm 113.15 An besonderer Stelle und propagandistisch hoch wirksam wurde der Sieg über Napoleon gerade nicht der russischen Armee, dem Volk oder dem Zaren zugeschrieben, sondern einzig dem Wirken Gottes. Jenseits des neu gefundenen Glaubens bestand allerdings auch die funktionale Notwendigkeit, übersinnliches Wirken für die Rettung verantwortlich zu machen. Durch die Invasion war ein symbolischer Schulterschluss mit den Massen der Bevölkerung erzwungen worden, der nun ein gewisses Potenzial in sich barg und gefährlich für die Legitimation der Monarchie werden konnte. Der Verweis auf das Wirken Gottes schuf damit eine Art „Blitzableiter“ an sensibler Stelle und konnte auch dafür genutzt werden, die Stellung des Autokraten nach wie vor sakrosankt zu erhalten.16 Insofern trafen sich hier die Vorstellungen Šiškovs und Alexanders. Auch nachdem die französische Armee das russische Territorium verlassen hatte, war der Krieg nicht beendet. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich wieder französische Armeen gesammelt hätten und zu einer weiteren Offensive bereit seien, hatte sich Alexander gegenüber dem finnischen Architekten Ehrenström geäußert.17 Die Sicherheit des russischen Reiches konnte nur garantiert werden, wenn die französische Armee über den Rhein hinaus getrieben worden war.18 Gleichzeitig war spätestens im November 1812 eine „europäische Mission“ Alexanders in Grundzügen mit den Ereignissen in Russland verknüpft worden. Ende Dezember 1812 schwor er die versammelte Armee in Vilnius ein: „Vous n’avez pas sauvé la Russie seule, mais l’Europe tout entière.“19 Die Entscheidung, den

12 13 14 15 16 17 18 19

Die Anordnung: PSZ Nr. 25.295 und 25.296, 25.12.1812. Vgl. Troickij, Aleksandr i Napoleon, 219. Die Erinnerungen des Admirals werden zitiert bei Šil’der, Imperator, Bd. 3, 246–248. Vgl. Rey, Alexandre, 331. Vgl. Wortman, Scenarios, 222. Das formuliert beispielweise in der Unterhaltung Alexanders mit Ehrenström im Jahr 1812, Erinnerungsprotokoll in: Šil’der, Imperator, Bd. 3, 500–504, hier 502. Vgl. Dominic Lieven, Russia and the Defeat of Napoleon (1812–14), in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 7, 2006, 283–308. Zitiert nach André Ratchinski, Napoléon et Alexandre Ier. La guerre des idées. Paris 2002, 319.

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Krieg nach Europa zurückzutragen, stieß in Russland nicht auf viel Gegenliebe. Alexanders Schwester Katharina, seine Mutter, auch Kutuzov, Razumovskij und Šiškov versuchten mit einem ganzen Bündel von Argumenten, den Zaren von seinem Plan abzuhalten: Es werde nur noch mehr russisches Blut auf fremder Scholle vergossen, und ein Krieg, der ohne eine unmittelbare Bedrohung des Reiches geführt werde, drohe die gerade entstandene Einheit des russischen Volkes zu gefährden. Hinzu kamen geostrategische Argumente. Von einer kompletten Niederlage Napoleons profitiere ausschließlich England als einzige Macht und zu guter Letzt lägen Russlands nationale Interessen in Asien und nicht in Europa.20 Doch ließ sich der Zar von seinem Entschluß nicht abbringen. Mit der Überquerung des Niemen am 13. Januar 1813 waren damit die Einwände der Kritiker hinfällig geworden. Unbestritten traf der Zar die außenpolitischen Richtungsentscheidungen selbst. Allein die Zusammenstellung seiner Entourage auf der Reise in den Westen Europas legt hiervon Zeugnis ab. Für die militärischen Angelegenheiten waren Pëtr Michailovič Volkonskij und Aleksej Arakčeev anwesend. Für außenpolitische Fragen lediglich Karl von Nesselrode – Außenminister Rumjancev blieb in Sankt Petersburg. Offiziell tat er dies, um seine angeschlagene Gesundheit zu schonen. Doch hatte er seine Kompetenzen kurz vorher überschritten und nun befand sich sein Stern im Sinken. Er hatte die Fixierung von Alexanders Politik auf Napoleon kritisiert und warnte im Verlauf des Jahres davor, Napoleon zu entthronen, da damit ganz neue Gefahren am Horizont heraufbeschworen würden und zudem die Brandherde im Südosten aus dem Blickfeld geraten könnten.21 Auch Admiral Šiškov und Kutuzov opponierten gegen ein weiteres Engagement in Europa. Napoleon stelle keine Gefahr mehr für Russland dar und man könne die Hauptkosten und -lasten des Krieges auf österreichische und preußische Schultern legen, um so Russland weitestgehend im Hintergrund zu halten.22 Auch wenn Napoleon für den Moment keine unmittelbare Gefahr war, so zweifelte Alexander doch daran, dass dies auch für die Zukunft gelten müsste. Daher müsse man nun Frankreich in seine „natürlichen Grenzen“ zwingen sowie Preußen und Österreich in ein Bündnis mit Russland bringen, denn ein Friedensvertrag mit Napoleon könne nicht mehr sein als ein bloßer Waffenstillstand. Ein Memorandum Nesselrodes vom Februar 1813 zeigt, dass nun ein Wechsel von bloßem Reagieren auf die Ereignisse hin zu einer aktiven und gestaltenden Außenpolitik stattfand. Mit militärischen Mitteln allein – so das Memorandum – sei ein dauerhafter und stabiler Frieden in Europa, von dem auch Russland profitieren werde, nicht zu erreichen. Zum anderen kam Nesselrode zu dem Schluss,

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Vgl. ebd, 319 f.; N. M. Družinin, Osvoboditel’naja vojna 1813 g. i russkoe obščestvo, in: Voprosy Istorii 11, 1963, 34–46. Vgl. Rumjancev an Alexander, 27.6./9.7.1813, in: VPR I/7, 293 f. sowie ders. an dens, 18./30.9.1813, in: ebd, 386–389. Vgl. Kiselev/Samarin (Hrsg.), Zapiski, Bd. 1, 167–169.

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dass in jedem Fall das Großherzogtum Warschau als Faustpfand in russische Hand gelangen müsse.23 „Rachsucht“ ist als Motiv für die weitere Verfolgung Napoleons über die Grenzen des russischen Reiches hinaus diskutiert worden. Diese Deutung stützt sich hauptsächlich auf die Äußerung Alexanders gegenüber dem Überbringer der Nachricht vom Brand Moskaus, Michaud, die im Kern auf eine Duell-Situation hinausläuft, aus der nur einer der beiden Duellanten lebend hervorgehen könne.24 Wenn man den Erinnerungen Michauds Glauben schenkt, bleibt dennoch ein quellenkritischer Einwand: Er hatte dem Zaren in Sankt Petersburg soeben die Nachricht überbracht, dass Moskau nicht nur gefallen, sondern zudem noch in den Flammen untergegangen war – ein spontaner und emotionaler Ausbruch des Zaren in dieser Art ist durchaus vorstellbar. Ähnliches ist jedoch nie gegenüber engen Vertrauten oder politischen beziehungsweise militärischen Entscheidungsträgern geäußert worden. Die weitest verbreitete Erklärung ist, dass der Zar nach territorialen Gewinnen getrachtet habe. Um das Gebiet des Großherzogtums Warschau in das russische Reich einzugliedern und Preußen entsprechend zu kompensieren, sei es notwendig gewesen, den Krieg weit über die Grenzen des Reiches hinaus zu tragen, um so Preußen im Westen am Rhein zu entschädigen.25 Quellenmäßig ist diese Interpretation ebenso wenig abgesichert. Sie beruht auf einer Beobachtung ex-post, die im Zusammenhang mit den territorialen Erweiterungen in der ersten Hälfte der Regierungszeit Alexanders gesehen wird. Mit der Überquerung des Grenzflusses Niemen betrat die russische Armee ein Territorium, das formal noch mit Frankreich verbündet war, jedoch hatte der preußische General Yorck in der berühmten Konvention von Tauroggen am 30. Dezember 1812 eigenmächtig einen Waffenstillstand mit dem russischen General Diebitsch geschlossen, der den Marsch durch preußisches Territorium ermöglichte.26 Gleichzeitig erging mit dem Grenzübertritt das Angebot Alexanders an Friedrich Wilhelm III., ihm bei der Wiederherstellung Preußens zu helfen.27 Nachdem sich der preußische Monarch einige Wochen Bedenkzeit gelassen hat23

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Memorandum Nesselrodes an Alexander I., Februar 1813, in: VPR I/7, 33f; Nesselrode an Stadion, 4./16.5.1813, in: ebd, 202. Zur Entscheidung, den Krieg bis nach Paris zu bringen vgl. Alexander an Kutuzov, 2./14.10.1812, in: Bezkrovnij (Hrsg.), Kutuzov, Bd. 4/1, 431– 433; ders. an dens., 9./21.10.1812, in: ebd, 4/2, 68; Šil’der, Imperator, Bd. 3, 112. Vgl. auch Pierre Rain, Un tsar idéologue. Alexandre Ier (1777–1825). Paris 1913, 215; J[ohann]. H[einrich]. Schnitzler, La Russie en 1812. Rostopchine et Koutousof. Tableau des mœurs et essai de critique historique. Paris 1863, 320 f. Vgl. Volker Sellin, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa. Göttingen u.a. 2001, 46–48. Vgl. zur Verhandlung im Vorfeld Lieven an Hardenberg, 29.9./3.10.1812, in: VPR I/6, 571– 573. Die Konvention: ebd, 642 f. Vgl. Alexander I. an Friedrich Wilhelm III, 6.1.1813, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 210, 240 f. Zur Frage der Eigenmächtigkeit vgl. Theodor Schiemann, Zur Würdigung der Konvention von Tauroggen, in: Historische Zeitschrift 84, 1900, 210–243. Vgl. grundlegend Mieck, Preußen, 3851; Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947. München 32008, 414–422.

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te,28 versprach eine chiffrierte Nachricht des Kanzlers Hardenberg an den noch in russischen Diensten stehenden Freiherrn vom Stein einen Allianzvertrag und volle Unterstützung seitens des preußischen Königs.29 Bis dahin hatte Friedrich Wilhelm nicht klar erkennen lassen, ob er den Bruch mit Frankreich tatsächlich vollziehen werde.30 Schließlich wurde am 28. Februar der Allianzvertrag in Kalisch geschlossen.31 Dieser Vertrag begann mit der Invokationsformel „Au nom de la très sainte et indivisible Trinité“, und stellte bereits in der Einleitung den Konnex zwischen den Ereignissen und der göttlichen Führung heraus: „[...] la belle cause que la Providence a si visiblement protégée [...].“32 In der Einleitung wurden Teile des weiteren politischen Programmes deutlich, das weit über den Zweck einer Militärallianz hinausreichte. Es skizzierte einen Entwurf, nachdem zukünftig Vertragstreue – eine beinahe religiöse Observanz von Verträgen – ebenso zur Geltung kommen, wie die Befreiung Europas sichergestellt werden sollte, obwohl der Geltungsbereich der Konvention lediglich auf den gegenwärtigen Krieg festgeschrieben wurde: avec cette foi religieuse, cette inviolabilité sacrée auxquelles tiennent la considération, la force et la conservation des empires.33

Diese Formulierung war mehr als eine Worthülse. Hier sollte eine qualitativ neue Ära in den internationalen Beziehungen eingeleitet werden, mit einem verbindlichen Völkerrecht, das auf dem Fundament der Religion ruhte. Entsprechend war das Bündnis nicht auf den aktuellen Anlass beschränkt, sondern seine Gültigkeit wurde in Artikel 1 unbegrenzt festgeschrieben: Il y aura à dater au jour de la signature du présent traité, paix, amitié et alliance entre S. M. le Roi de Prusse et S.M. l’Empereur de toutes les Russies, leurs héritiers et successeurs, leurs États et sujets respectifs, à toute perpétuité.34

Ebenso revolutionär wie der Inhalt des Vertrags war die Proklamation, die Feldmarschall Kutuzov drei Tage zuvor an die deutsche Bevölkerung gerichtet hatte. In ihr rief der russische Oberbefehlshaber jeden Deutschen – „Prince, noble, ou placé dans les rangs des hommes du peuple, seconde de son bien et de son rang,

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32 33 34

Vgl. Friedrich Wilhelm III. an Alexander I, Breslau, 5./17. Februar 1813, in: Bailleu (Hrsg.), Briefwechsel, Nr. 215, 245 f. Vom Stein an Alexander I, 27.2/11.3.1813, in: Botzenhart (Hrsg.), Stein, Bd. 4. Preußens Erhebung. Stein als Chef d. Zentralverwaltung. Napoleons Sturz. Stuttgart 1963, 234–236. Vgl. Stamm-Kuhlmann, König, 369–371; Friedrich von Ancillon, Ancillon’s Denkschrift vom 4. Februar 1813, in: Historische Zeitschrift 68, 1892, 275–300. Abgedruckt in VPR I/7, 63–66. Zu den Hintergründen vgl. Douglas Dakin, The Congress of Vienna, 1814–15, and its Antecedents, in: Sked (Hrsg.), Balance of Power, 14–33, Aperçu: Obzor političeskich soglašenij Russkogo kabineta, 1801–1812gg, 41=117r-54=123v. Beide Zitate VPR I/7, 63. Art. II, 63 f. VPR I/7, 63.

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de son corps et de sa vie, de cœur et d’esprit“ – auf, sich der russisch-preußischen Operation anzuschließen.35 Mit dem Vertrag von Kalisch wurde Preußen, neben beträchtlichen Subsidien von England, auch Ostpreußen zugesprochen – ein bemerkenswertes Zugeständnis, denn das Gebiet war aus politischer und ökonomischer Sicht für Russland höchst bedeutsam. Das spricht gegen eine rein machtpolitische Deutung der Fortsetzung des Krieges, denn es wäre nicht zu erklären, warum auf zentrale und zudem wirtschaftlich bedeutsame Landstriche verzichtet werden sollte. Ermöglicht wurde diese Zusage dadurch, dass Alexander seine Haltung hinsichtlich der Frage nach einem wiederhergestellten Polen änderte.36 Beide Mächte einigten sich darauf, fortan ihre Bemühungen darauf zu konzentrieren, ein Bündnis mit Österreich herzustellen. Alexander nahm diese Verpflichtung durchaus ernst: Er gab Franz II. und seiner Generalität im Grunde carte blanche in Süddeutschland. Vor allem aber kam ihm zugute, dass Metternich die Gunst der Stunde zu nutzen verstand, um das fatale Bündnis mit Napoleon zu lösen.37 So fragil das österreichischrussische Verhältnis im Sommer 1813 war, so hilfreich war es, dass Nesselrode und Friedrich von Gentz, Metternichs rechte Hand, in engem Austausch standen. Auf diese Weise ist das verhaltene Taktieren Metternichs in Russland erklärbar: Die Haltung des Kaisers spielte hier ebenso herein, wie die größeren Probleme des Wiederaufbaus der österreichischen Armee, die durch den Vertrag von Schönbrunn beschränkt worden war.38 Zeitgewinn musste für Metternich unter diesen Umständen das Mittel der Wahl sein. Auch an anderer Stelle wurde auf Zeit gespielt. Für Friedrich Wilhelm III. war das allerdings ein Spiel mit hohen Einsätzen. Angesichts der großen Distanzen und der nach wie vor befestigten Stadt Thorn waren signifikante Teile des russischen Heeres entweder gebunden oder sahen sich enormen Strecken gegenüber, ehe sie auf den Schlachtfeldern in Deutschland eintreffen konnten.39 150.000 russische Soldaten und 80.000 preußische sollten das gemeinsame Kontingent gegen Napoleon bilden. Anfang Mai wurde Berlin von russischen Truppen besetzt, und die französische Armee zog sich hinter die Elbe zurück. Bis annä35

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Proclamation du feld-maréchal Koutousoff aux Allemands annonçant la dissolution de la Confédération du Rhin, donnée au quartier général de Kalisch le 13/25 mars 1813, in: Angeberg, Congrès de Vienne, Bd. 1, 7–9, hier 8. Diese Proklamation beruhte auf einem Entwurf Alexanders. Vgl. Obzor.., in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 97v. Zum Hintergrund vgl. auch Sellin, Revolution, 55–57. Vgl. Czartoryski an Alexander, 23.5./4.6.1812, in: Michajlovič, Alexandre, Bd. 1, 365–369; ders. an dens. 5./17.3.1813, in: VPR I/7, 98–101; ders. an dens., 3./15.1.1813, in: Czartoryski (Hrsg.), Correspondence, 206–212; vgl. auch die Notiz des Vizepräsidenten der Interimsregierung Novosil’cev vom 25.7./6.8.1813, in: VPR I/7, 335–337; R. Voroncov an M. Voroncov, 15./27.1.1813, in: AKV 17, 271–275. Vgl. Kraehe, Metternich’s German Policy, Bd. 1, 156–172. Die Korrespondenz von Nesselrode und Gentz ist abgedruckt in Nesselrode, Lettres, Bd. V, Paris 1907. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 296 f. Thorn kapitulierte schließlich Anfang April. Vgl. den Kapitulationsvertrag om 4./16.4.1813, in: VPR I/7, 166–168.

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hernd zu diesem Zeitpunkt blieben die Verhandlungen mit Friedrich Wilhelm zäh und kreisten um das Schicksal Polens. Aus Sicht Preußens war eine Rückerstattung der verlorenen Gebiete in Polen, die das Land durch die Ereignisse nach dem Treffen Alexanders und Napoleons in Tilsit verloren hatte, unerlässlich, um den Status als Großmacht zu behalten und gleichzeitig die eigene Sicherheit zu garantieren. Dem stand Alexanders Überzeugung gegenüber, dass nur von einem möglichst großen Polen, unter seiner Krone, keine größere Gefahr mehr ausgehe. Ende Februar konnte nach einem Rückzug der österreichischen Truppen beinahe das ganze Herzogtum Warschau, mit Ausnahme Krakaus, von russischen Truppen erobert werden.40 Siege bei Lüneburg und die Besetzung Hamburgs und Lübecks im März und April 1813 waren zunächst große Erfolge. Gerade in den beiden Hansestädten wurden die russischen Soldaten mit großer Begeisterung empfangen, denn hier hatte die Kontinentalblockade empfindliche Einbußen nach sich gezogen.41 Doch nur kurze Zeit später waren die anfänglichen Erfolge unter dem Druck der französischen Gegenoffensive Makulatur geworden.42 Zunächst standen die Operationen gegen die sich zurückziehende Grande Armée unter keinem guten Stern. In den Schlachten von Lützen/Großgörschen und Bautzen am 2. beziehungsweise 20./21. Mai hatte Napoleon jeweils Siege verzeichnen können, wenn sie auch mit hohen Verlusten erkauft worden waren. Für den Ausgang der weiteren Ereignisse war es jedoch nicht unerheblich, dass Kutuzov Ende April gestorben war. Der ihm nachfolgende General Wittgenstein bat allerdings bereits wenige Tage nach den beiden Niederlagen um seine Entlassung und wurde am 29. Mai durch Barclay de Tolly ersetzt. Während auf sächsischem Boden gekämpft wurde – in der Darstellung Alexanders geschah das, um Napoleon zu behindern und Österreich die Gelegenheit zu geben, in das militärische Geschehen einzugreifen – spielte auch Metternich weiterhin auf Zeit, indem er sowohl mit Napoleon als auch mit Alexander verhandeln ließ und auf beiden Seiten österreichische Mediation anbot.43 Vertraglich war Österreich noch an Frankreich gebun40

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Vgl. Nesselrode an Stackelberg, 17./29.3.1813, in: VPR I/7, 118–121; Kutuzov an OstenSacken, 17./29.3.1813, in: ebd, 123f, sowie die russisch-österreichische Konvention über Galizien, 18./30.4.1813, in: ebd, 184–186. Siehe Jürgen Huck, Das Ende der Franzosenzeit in Hamburg. Hamburg 1984, sowie Helmut Stubbe-da Luz: „Franzosenzeit“ in Norddeutschland (1803–1814). Napoleons Hanseatische Departements, Bremen 2002. Bernadotte kam der Armee Tettenborns nicht zur Hilfe, so dass diese die Stadt am 30.5. evakuiert werden musste. Zu den Gründen vgl. die Aufzeichnungen über das Gespräch zwischen Bernadotte, Pozzo di Borgo und Suchtelen von Juni 1813, in: Pflugk-Harttung, Julius von (Hrsg.), Das Befreiungsjahr 1813, aus den Akten des Geheimen Staatsarchivs. Berlin 1913, Nr. 136, 175–177. Vgl. Alexander an Bernadotte, 26.5./7.6.1813, in: VPR I/7, Nr. 102, 283–242 sowie Stadion an Metternich, 3.6.1813, in: Wilhelm Oncken, Oesterreich und Preußen im Befreiungskriege. Urkundliche Aufschlüsse über die politische Geschichte des Jahres 1813, Bd. 2, 660–663. Dass er dabei auf die russische Seite setzte: Metternich an Lebzeltern, 29.4.1813, in: ebd, Nr. 33, 630 f. und ders. an dens., 29.4.1813, in: ebd, Nr. 34, 632–634. Die Instruktionen an Stadion für die Verhandlungen mit Napoleon ebd, Nr. 38, 640–644.

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den. Das Vermittlungsangebot erlaubte, diesen Pflichten nachzukommen und gleichzeitig nicht in Kampfhandlungen involviert zu werden. Unter der Hand stand freilich bereits die Zusage, dem russisch-preußischen Bündnis beizutreten, sollte die Mediation scheitern. Der österreichische Unterhändler Johann Philipp von Stadion erläuterte gegenüber Nesselrode, der zur Vermittlung nach Wien geschickt worden war, in zwei Gesprächen am 13. Mai die österreichische Position: Jeglicher territoriale Verlust Österreichs sollte kompensiert, preußische Restaurationsansprüche unterstützt und das Herzogtum Warschau aufgelöst werden, ebenso sollten alle französischen Neuerwerbungen rechts des Rheines zurückgegeben werden.44 Sollte Napoleon diese Forderungen nicht akzeptieren, was nach Nesselrodes Einschätzung höchst wahrscheinlich sei, werde Österreich den Krieg erklären.45 Diese markigen Worte entsprachen jedoch nicht ganz der Wiener Realität. Nicht einmal einen Monat später erfuhr Nesselrode aus dem Mund Schwarzenbergs und Radetzkys, dass die österreichische Armee nicht vor dem 20. Juni in der Lage sein würde, die Grenze zu überqueren. Von einem harten Vorgehen gegenüber Napoleon konnte also keine Rede sein.46 Im Frühjahr/Frühsommer 1813 standen die alliierten Truppen vor einem Bündel von Problemen. Zu der katastrophalen Versorgungslage gesellten sich Schwierigkeiten bei der Organisation in der russischen Armee und die Tatsache, dass alle Pläne aus Berlin, einen Landsturm zum Kern der neuen preußischen Armee vor allem in Schlesien zu machen, bestenfalls mangelhaft umgesetzt worden waren.47 Inmitten dieser sich krisenhaft zuspitzenden Situation behielt Alexander einen beachtlich kühlen Kopf und ausgesprochenen Optimismus, der aus seiner neu gefundenen Überzeugung gespeist wurde, dass Gott an seiner Seite stehe und der Kampf gegen den Antichristen daher gewonnen werden müsse. Anlässlich des Ostergottesdienstes in Dresden schrieb er an Golicyn: […] C’est du fond de mon cœur que je vous réponds: En vérité Il est ressucité! et plût à Dieu que cela ne soit pas une vaine expression. C’est samedi 12, après la messe, que nous avons fait notre entrée à Dresde, et à minuit nous avons chanté sur les bords de l’Elbe l’hymne pascal. Il me serait difficile de vous render l’émotion dont je me sentais pénétré en repassant tout ce qui s’était passé depuis un an et où la Providence Divine nous avait conduits. À côté cependant de ces sensations de plaisir et de gratitude envers notre Sauveur, nous nous préparons avec soumission à une épreuve difficile.48

Ein weiteres Indiz dafür, dass es dem Zaren ernst war um die Neuausrichtung seines Lebens war der Besuch der Herrnhuter Brüdergemeinde, die er ohne Begleitung während des Höhepunkts der persönlichen und militärischen Krise am 44 45 46 47

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Zur Mission Nesselrodes vgl. Obzor, in. GARF, f. 729, op. 1, d. 685, 100=146v–112=153v. Vgl. Nesselrode an Alexander, 1./13.5.1813, in: VPR I/7, Nr. 80, 196 f. Vgl. Nesselrode an Alexander, 24.5./5.6.1813, in: VPR I/7, Nr. 101, 236 f. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 231–236. Der Landsturm war maßgeblich eine Idee des russischen Zaren: vgl. Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie. Stuttgart 31958, 418–420. Alexander an Golicyn, 17.03.1813, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 509.

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21. April aufsuchte, um hier als Gleichrangiger Gespräche über den Glauben zu führen.49 Hierbei versprach er auch, die Herrnhuter Gemeinde Sarepa im Wolgabecken zu besuchen. Kurz darauf schien sich das Geschick zu wandeln, denn Anfang Juni stimmte Napoleon der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsvertrags mit Österreich zu, an den sich Friedensverhandlungen anschließen sollten.50 Ein Angebot gleichen Inhalts an Alexander war nach wie vor unbeantwortet geblieben. Doch hatten die Monate des Krieges nicht nur verheerende Auswirkungen auf den Zustand der Truppen und die Versorgungslage. Der Staatshaushalt war derart ruiniert worden, dass Finanzminister Gur’ev eine Hyperinflation fürchtete, für den Fall, dass Alexander dem Drängen Barclays auf 2,5 Millionen Papierrubeln zur Ausstattung der Armee nachgeben sollte.51 Daher ist es nicht verwunderlich, dass zu den dringendsten Aufgaben, die der neue Botschafter in London, Christoph von Lieven, mit auf den Weg bekam, die Beschaffung britischer Zahlungen, nach Möglichkeit in harter Münze, gehörte.52 Für den Krieg auf russischem Boden 1812 hatte die russische Regierung britische Subsidien abgelehnt, nicht zuletzt, weil der Erhalt von Geld aus dem Ausland auch der Propaganda vom Kraftakt des russischen Volkes entgegengelaufen wäre. Nicht ohne Stolz wird daher in dem bereits erwähnten „Aperçu“ berichtet, dass die russische Führung lediglich um die Lieferung von Waffen gebeten habe, die in Russland nicht mehr herzustellen waren.53 Nun aber war eine Fortsetzung des Krieges ohne fremde Mittel kaum noch möglich. Die drückendsten finanziellen Probleme schienen gelöst, als Lieven Anfang April vermelden konnte, dass aus London mit insgesamt 4,6 Millionen Pfund zu rechnen sei.54 Lieven war seit Dezember 1812 in London, um das antinapoleonische Bündnis am Leben zu erhalten, gesandt in dem Moment, als der Kreml’ in Moskau buchstäblich in Flammen stand. Tatsächlich war die russische Marine an beinahe allen britischen Operationen zur See 1812/13 beteiligt und Lieven neben dem schwedischen Botschafter der einzige Gesandte auf der Insel.55 Ende Mai begannen Waffenstillstandsverhandlungen, die beiden Seiten die notwendige Zeit verschaffen sollten. Als der Waffenstillstand 49 50

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Vgl. Ley, Sainte-Alliance, 65 f. Vertrag von Pleswitz vom 4.6, gültig bis zum 20.07., in: CTS 62, 267–272. Dieser Waffenstillstand spielte der Reorganisation der russischen Armee in die Hände. Barclay hatte kurz vorher darum gebeten, die Armee für sechs Wochen zurück nach Polen zu führen, um dort die notwendigen Maßnahmen ergreifen zu können. Vgl. Alexander an Gur’ev, 14.6.1813, in: Sbornik istoričeskich materialov izvlečennych iz archiva Sobstvennoj ego Imperatorskago Veličestva kanceljarii, 3, Nr. 136, 100 f. Sowie das Memorandum Gur’evs vom 24.04.1813, in: ebd, 1, 47–50. Vgl. Alexander an Lieven, 20.1./7.2.1813, in: VPR I/7, 36 f. und die Ergänzung: ders. an dens., 20.1./7.2.1813, in: ebd, 38 f. GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 74r–76r. Vgl. Lieven an Alexander, 25.3./6.4.1813, in: VPR I/7, 132–135, sowie ders. an dens., in: ebd, 682–684. Vgl. Obzor., in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 73r–74r und 88v. Im folgenden Jahr kam mit Johann Freiherr v. Wessenberg-Ampringen ein Sondergesandter nach London und erst im Februar 1814 wurde mit Maximilian Graf Merveldt wieder ein regulärer Botschafter entsandt.

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mit Napoleon am 4. Juni in Kraft trat, sollte er zunächst bis zum 20. Juli anhalten, wurde aber auf Drängen Metternichs bis zum 10. August verlängert. Hierauf wurde Nesselrode nach Wien gesandt, um dort auf eine härtere Linie der österreichischen Politik hin zu wirken. Auf dem Weg nach Wien traf er mit Franz II. und Metternich zusammen, die sich bereits auf den Weg gemacht hatten, um mit den Alliierten im Hauptquartier in Reichenbach direkt zu verhandeln. Anfang Juni verhandelte Nesselrode in zahlreichen Treffen mit Franz II., Metternich, Schwarzenberg und Radetzky. In diesen Gesprächen gewann er die Überzeugung, dass sowohl die österreichische Generalität als auch Metternich für einen Kriegseintritt Österreichs eingestellt waren, lediglich Franz habe darauf bestanden, dass Napoleon zunächst ein Friedensangebot unterbreitet werden müsse. Sollte er das ablehnen, wäre er auch für den Krieg bereit.56 Während der Zeit des Waffenstillstands zog sich Alexander allein in die Nähe von Reichenbach zurück. Er hat diese Zeit wohl zur intensiven Auseinandersetzung mit dem neu gefundenen Glauben genutzt: Aus dem Diarium der Gemeinde Gnadenfrei, einer kleinen Siedlung der Herrnhuter Brüder, geht hervor, dass er ohne irgendeine Form von Begleitung den Ort aufsuchte und im Anschluss zwei Brüdern der Gemeinde eine Privataudienz gewährte, die sich ganz um religiöse Fragen drehte.57 Der Zar war also in der kurzen Verschnaufpause, die der Waffenstillstand verschaffte, nicht bei seiner Armee und arbeitete etwa an Schlachtplänen oder Ähnlichem. Gerade in der Krisenzeit suchte er Halt und Anschluss an die Gruppe der neu gefundenen Glaubensbrüder. Nach seiner Rückkehr wurde in Reichenbach auf Grundlage der österreichischen Forderungen zwischen Preußen und Russland verhandelt, auch wenn hier wenig Handlungsspielraum blieb, denn ohne österreichische Unterstützung war der Krieg nicht weiterzuführen.58 Dabei waren die österreichischen Bedingungen für die russischen Unterhändler höchst unbefriedigend – mit ihnen glaubte er keinen dauerhaften und stabilen Frieden in Europa generieren und erhalten zu können. Denn Napoleon behielte im Rheinbund eine dominante Stellung, Jérôme wäre nach wie vor König in Westfalen und Deutschland damit weiterhin von Frankreich kontrolliert. Die Unabhängigkeit der deutschen Staaten, vor allem Preußens, sei hingegen eines der Kernelemente für einen Frieden in Europa.59 Während um diese Bedingungen noch gerungen wurde, fand der endgültige Seitenwechsel der

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Vgl. Nesselrode an Lieven, 2./14.6.1813, in: ebd, 246–248. Die österreichischen Forderungen: Auflösung des Herzogtums Warschau, Rückgabe Danzigs an Preußen und Rückgabe der illyrischen Provinzen an Österreich. Vgl. auch Metternich an Stadion, 6.6. und 8.6.1813, in: Oncken (Hrsg.), Österreich und Preußen, Bd. 2, 664–665; Metternichs Vortrag an Kaiser Franz, 12.7.1813, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 2, Nr. 187, 463–467. Der Bericht der Gemeinde über dieses Besuch findet sich im Diarum der Gemeinde Gnadenfrei: Unitätsarchiv Herrnhut, R.7.D.I.b.3.a. Auszugsweise abgedruckt: H. Krüger, Aus der Geschichte Gnadenfreis zur Zeit der Freiheitskriege, in: Herrnhut-Wochenblatt aus der Brüdergemeine, 14/1898, 107 f. und 15/1898. Vgl. Nesselrode an Lieven, 2./14.6.1813, in: VPR I/7, 246–248. Vgl. Alexander an Anstett, 26.6./8.7.1813, in: ebd, 283–288, v. a. 285 f.

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österreichischen Regierung statt. Ein Großteil der Grande Armée war in Spanien gebunden, wo Wellington gerade gesiegt hatte. Und da Napoleon sich nach wie vor weigerte, das österreichische Angebot einer Vermittlung anzunehmen, brauchte es den Charme von Alexanders Schwester Katharina, die sich in Böhmen aufhielt, gar nicht mehr, um die Konvention von Reichenbach auszuhandeln.60 In der dort getroffenen Vereinbarung der Alliierten vom 27. Juni wurden die Minimalbedingungen Österreichs festgeschrieben, die Napoleon auf einem Friedenskongress in Prag vorgelegt werden sollten.61 Reichenbach ist jedoch mehr als eine Vereinbarung über Kriegseintrittskonditionen, sondern bezeichnet einen Wandel in den grundsätzlichen Kriegszielen der Alliierten. Ein militärischer Sieg über Napoleon, der ihn von seinem Thron gestürzt und Frankreich in engere Schranken verwiesen hätte, wich dem Ziel eines diplomatisch zu erreichenden Friedens, der auf einem allgemeinen Kongress in Prag verhandelt werden sollte. Als Resultat einer solchen Politik hätte Napoleon weiterhin über die größte Streitmacht Europas gebieten können.62 Konsequenterweise wertete Außenminister Nesselrode das Ergebnis eines solchen Kongresses lediglich als Waffenstillstand, den Napoleon weidlich ausnutzen würde, um zu alter Stärke zurückzufinden, so dass die Notwendigkeit, als Bündnis bestehen zu bleiben, eminent sei.63 Aus der systemischen Bedrohung, die der französische Empereur nach wie vor darstellte, erwuchs die Notwendigkeit einer auf Dauer gestellten Kooperation. Für Paul Schroeder ist Reichenbach eine Wegmarke im Gefüge des allierten Miteinanders, die den Unterschied markierte zwischen kurzfristigen Kriegszielen und langfristiger Kooperation. Notwendig geworden war dieser Qualitätssprung allein durch die Präsenz Napoleons.64 Diese Einschätzung deckt sich mit der russischen Deutung, derzufolge der Vertrag gewertet wurde als triomphe vraiment mémorable dans les annales de la diplomatie moderne, parce que ce fut là le premier acte qui, en faisant disparaître la défiance mutuelle des Cours de Vienne et de Berlin, les réunissait toutes les deux dans un même but, dans un même intérêt, pour le salut de l’Europe entière.65

Im Vorfeld hatten sich die Vertreter Preußens und Russlands darauf geeinigt, die vorgebrachten Minimalforderungen nur bis zu einem erneuten Ausbruch des Krieges zu akzeptieren. Sobald die Auseinandersetzung begonnen habe, sollten

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Alexander an seine Schwester, 1.8.1813: „Je suis bien touché de tous les soins que vous avez employés pour la cause commune.“ zitiert in Paleologue, Alexandre, 177. In VPR I/7, 259–261. Die Bedingungen: Aufteilung des Herzogtums Warschau zwischen Preußen und Russland, Ausdehnung Preußens nach Polen, einschließlich Danzigs, Aufgabe aller französischen Festungen in Preußen und dem Herzogtum Warschau, Rückgabe Illyriens an Österreich, Wiederherstellung der freien Hansestädte, wenigstens Hamburgs und Lübecks. Frist zur Annahme war der 20. Juli, andernfalls würde Österreich Frankreich den Krieg erklären und ein Kontingent von der Größe des russischen stellen. Vgl. auch Schroeder, Transformation, 472 f. Vgl. Nesselrode an Metternich 7./19.6.1813, in: VPR I/7, 257 f. Schroeder, Transformation, 473. Aperçu, 133=163r.

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die eigentlichen Kriegsziele präzisiert werden.66 Ein geheimes Treffen von Metternich und Napoleon in Dresden am Tage zuvor zeigte, dass auch Napoleon die Abmachung lediglich als Mittel sah, um mehr Zeit zu gewinnen.67 In Dresden stimmte Napoleon allerdings zu, dass Metternich als Mediator der geplanten Konferenz wirken könne – und hierzu musste als elegante Lösung des österreichischen Problems der bestehende Bündnisvertrag aufgelöst werden. Im Zuge der Vorbereitungen der anstehenden Friedenskonferenz wurde Russlands diplomatische Marschroute genauer definiert. Es war für den Zaren völlig offensichtlich, dass die Konferenz ein reines Hinhaltemanöver Napoleons war, aber für den Fall, dass dieser wider Erwarten doch zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein sollte, wurde der Gesandte Anstett mit detaillierten Anweisungen ausgestattet.68 Oberstes Ziel der Verhandlungen müsse sein d’assurer une tranquilité durable à l’Europe, et que pour parvenir à ce but, il est nécessaire d’y établir un ordre des choses qui en assurant l’indépendance de chacune des puissances, repose sur un équilibre général.69

Als höchstes Ziel, das keiner weiteren Begründung bedurfte und selbsterklärend war, wurde dauerhafte Ruhe, nichts anderes als der ewige Frieden, benannt. Um dieses Ziel zu erreichen war es demnach in den Augen des Zaren erforderlich, eine neue Ordnung der internationalen Beziehungen herbeizuführen, die die Unverletzlichkeit jedes einzelnen Staates in Europa garantieren könne. Ein auf diese Weise hergestelltes „équilibre général“ wäre demnach qualitativ anders zu werten als ein System der Balance of Power, auch wenn die semantische Nähe anderes suggeriert. Denn das „équilibre général“ beinhaltete im Unterschied zur Balance of Power eine Bestandsgarantie der Staaten. Entsprechend wurde einiger argumentativer Aufwand betrieben, um die geplante Vergrößerung Preußens zu rechtfertigen und nicht als bloße „aggrandissement chimérique“ wirken zu lassen –, was nach den Regeln der Balance of Power durchaus legitim gewesen wäre – sondern als dem höchsten Ziel der dauerhaften Befriedung Europas dienlich. 66 67

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Vgl. Schroeder, Transformation, 470–473. Es existieren lediglich die Beschreibungen Metternichs und Napoleons von diesem Treffen. Während sich Metternich in seinen Erinnerungen selbst überhöhte, war die Schilderung Napoleons wahrscheinlich deutlich näher an der Wahrheit. Napoleons Bericht ist überliefert in einer Version von Caulaincourt und einer von seinem Sekretär Baron Fain. In der Aussage der Zeitgewinnung decken sich allerdings beide Darstellungen. Vgl. Armand Caulaincourt, Conversation de M. le Comte de Metternich avec l’empereur Napoléon, telle que M. me l’a racconté, ed. Jean Hanoteau, in: Revue d’histoire diplomatique XLVII (1933), 424–440, Entretien de l’Empereur avec le Comte de Metternich, le 23 Juin 1813, in: Napoleon, Correspondance, Nr. 20175, 423–426, sowie die „Biographische Denkschrift“ Metternichs, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. I (1880), 123–126. Vgl. weiterhin Kraehe, Metternich’s German Policy, Bd. 1, 173, 179 f. und 199. Vgl. Alexander an Anstett, 26.6./8.17.1813, in: VPR I/7, 283–288. Zu den Absprachen mit Österreich im Vorfeld vgl. auch Nesselrode an Stadion, 4./16.5.1813, in ebd, 201 f. sowie die Zusammenfassung des Treffens von Metternich, Hardenberg und Stadion, 10. und 12.6.1813, in: ebd., 242–244. Alexander an Anstett, 26.6./8.7.1813, 285.

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Denn nur eine dauerhaft gesicherte Kooperation zwischen den beiden deutschen Mächten könne eine stabile Mitte Europas garantieren. Die sich anschließende Friedenskonferenz in Prag war angesichts weiterer geheimer Verhandlungen, die Metternich im Vorfeld mit Napoleon in Prag geführt hatte, kaum dazu angetan, einen belastbaren Frieden herbeizuführen. Denn nun regierte auf russischer Seite das Misstrauen gegenüber der österreichischen Position, auch wenn Metternich beständig auf eine Entscheidung des Kaisers hinwirkte, sich gegen Napoleon zu engagieren für den Fall, dass der alle Angebote ausschlagen sollte.70 Was die Konferenz in Prag allerdings vollends zum Scheitern brachte, war das Verhalten der französischen Gesandten. Der Kongress sollte vom 12. Juli bis zum 10. August stattfinden, doch von französischer Seite wurde weiterhin die Taktik der Verzögerung verfolgt. Caulaincourt reiste erst am 28. Juli an, so dass der Kongress erst am folgenden Tag eröffnet werden konnte, und der Gesandte Narbonne erhielt erst gar keine Instruktionen. Die französischen Gesandten hatten sich rundheraus geweigert, in direkten Gesprächen zu verhandeln, so dass brieflich kommuniziert werden musste. Das Prozedere, auf das sich die Parteien schließlich einigen konnten, war äußerst schwerfällig und zeitintensiv: Briefe einer Partei wurden zunächst an den zum Moderator des Kongresses ernannten Metternich gesandt, der sie daraufhin weiterleitete. Auf diese Art und Weise wurde der Kongress verschleppt und verzögert, um Napoleon weiterhin Luft für den Wiederaufbau der Grande Armée zu beschaffen.71 Weitere verfahrenstechnische Winkelzüge kamen ebenfalls zur Anwendung: Ein Schreiben Humboldts und Anstetts vom 30. Juli wurde erst acht Tage später beantwortet, und in der Antwort beschwerten sich die französischen Gesandten, dass sie die gegnerischen Gesandten nicht zu Gesicht bekommen hätten. Jetzt forderten sie die Einsetzung eines richtigen Kongresses.72 Metternich wurde in den verbleibenden Tagen mit weiteren Verfahrensfragen bombardiert, die nur ein einziges Ziel verfolgten, nämlich den Kongress ohne Ergebnis enden zu lassen, wie es am 11. August dann tatsächlich geschah. Noch am selben Tag bekam Narbonne, der französische Gesandte in Wien, seine Papiere ausgehändigt und der casus belli war eingetreten. Auch während der Kampagne des Jahres 1813 hatte sich Alexander an die Spitze der Entscheidungsträger gestellt. Zwar hatte er es abgelehnt, selbst das Oberkommando zu übernehmen, dies sollte der österreichische Feldmarschall Karl von Schwarzenberg tun, und anfangs hielt sich der Zar tatsächlich bedeckt. Jedoch musste auch Schwarzenberg schnell lernen, dass der einzige Weg, die russische Generalität auf seinem Kurs zu halten, über Alexander lief.73

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Vgl. den Vortrag Metternichs an Kaiser Franz, 1207.1813, in: Oncken (Hrsg.), Österreich und Preußen, Bd. 2, 402–405 und die Antwort des Kaisers, 405–409. Vgl. auch Aperçu, 126=159–130=161v. Hierzu Sellin, Revolution, 66–73. Zum Kongress vgl. Aperçu, 144=168v–177=185r. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 368, dort auch die einflussreichsten militärischen Berater.

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Nach der Niederlage der alliierten Truppen bei Dresden brachte die Schlacht von Kulm am 29. und 30. August den ersten großen Sieg, zu dem Alexander seinen Beitrag geleistet hatte, so dass diese Schlacht eine zentrale Stellung in der Erinnerung des Zaren einnehmen sollte. In der sich anschließenden Phase des Krieges war Alexanders Anteil an der Kriegsführung deutlich höher, als er es 1812 gewesen war.74 Vor allem in der Schlacht von Leipzig Mitte Oktober 1813 sollte sich seine glückliche Hand in der Auswahl der Generale beweisen. Es war in erster Linie Alexanders Verdienst, Schwarzenberg von seinem ursprünglichen Schlachtenplan abzubringen, was sich als entscheidend für den Verlauf der Schlacht herausstellen wollte.75 Vier Tage lang hatte die Schlacht gedauert und im Ergebnis verlor Napoleon die Kontrolle über die Gebiete östlich der Elbe. Nach einem Rückzug, der an Geschwindigkeit dem aus Moskau in nichts nachstand, überquerte die französische Armee den Rhein in Richtung Frankreich. Für Alexander bedeutete Leipzig auch das Auswetzen der Scharte von Austerlitz. Politisch war es seine Maxime, die Koalition unter jeden Umständen zusammenzuhalten und keinerlei Separatfrieden zuzulassen. Nur in der Konzentration aller Mittel war in seinen Augen der Krieg zu gewinnen.76 Das im Vertrag von Teplitz vom 9. September vereinbarte Ziel der Alliierten, Napoleon zurück über den Rhein zu drängen, war im November 1813 erreicht.77 Damit tat sich die Frage auf, wie weiter verfahren werden sollte: Sollte Frankreich auf seine „natürlichen“ Grenzen reduziert werden, so waren noch weitere Probleme ungelöst, die in Teplitz nur verschoben worden waren. Weite Teile Europas hatten unter direktem französischen Einfluss gestanden. Und auch wenn das Herzogtum Warschau vor den Kriegen aus preußischen und österreichischen Gebieten bestanden hatte, so hatte sich der russische Arm schon länger in Richtung Warschau ausgestreckt.78 Die Frage nach dem Umgang mit dem Herzogtum Warschau war also noch keinesfalls gelöst. Während im Vertrag von Reichenbach noch die Auflösung und Aufteilung des Gebietes festgeschrieben worden war, wurde nun

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Vgl. Alexander an Barclay de Tolly, 28.8./9.9.1813, in: VPR I/7, 377; Konstantin Pavlovič an V. F. Vasil’ev, 22.9./4.10.1813, in: ebd., 395; Alexander an Wintzingerode, 20.10./1.11.1813, in: ebd., 428; Barclay de Tolly an Alexander, 28.10./9.11.1813, in: ebd., 431–433. Zur Schlacht von Leipzig liegen eine Unzahl von Darstellungen vor. Vgl. Digby George Smith, 1813. Leipzig. Napoleon and the Battle of the Nations. London 2001. Vgl. auch Lieven: Russia against Napoelon, 426–459. Zu Alexanders Einwirken auf Schwarzenberg vgl. Rudolf Friedrich, Der Herbstfeldzug 1813. Berlin 1912, 294 f. Vgl. Nesselrode an Lieven, 8./20.11.1813, in: VPR I/7, 466–469, v. a. 466; Lieven an Nesselrode, 3./15.12.1813, in: ebd., 506–509. Zum Vertrag vgl. Kraehe, Metternich, I, 202–207. Wortlaut des Vertrags Martens, Fedor Fedorovich (Hrsg.), Recueil des traités et conventions conclus par la Russie avec les Puissances étrangères: 15 Bde. Sankt Petersburg 1874–1909, hier Bd. 3, Nr. 70, 117–126; VPR I/7, Nr. 153, 369–374. In der Präambel des Vertrags wurde als Hauptziel die Wiederherstellung eines „juste équilibre“ vereinbart. Ebd., 369 Vgl. z.B. Münster an den Prinzregenten, 30.1.1814, in: August Fournier, Der Congress von Châtillon. Die Politik im Kriege von 1814, Wien 1900, 295 f.

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eine spätere und einvernehmliche Lösung vereinbart.79 Nachdem eine von allen Seiten akzeptierte Lösung im zurückliegenden Jahr nicht zu erreichen gewesen war, deutete sich hier bereits der Sprengstoff an, der den Wiener Kongress beinahe zum Scheitern gebracht hätte. Auch innerhalb der russischen Regierung stieß der Wunsch des Zaren, Russland und das Herzogtum Warschau in Personalunion zu regieren, auf wenig Gegenliebe. Nesselrode, Voroncov und Novosil’cev argumentierten im Grunde ähnlich, dass es einen inhärenten Widerspruch geben werde, wenn der Zar gleichzeitig als Autokrat in Russland und als konstitutioneller Monarch in Warschau herrschen würde.80 Von hoher Bedeutung war die zukünftige Gestaltung der deutschen Territorien. Auch diese Frage war in Teplitz nur dahingehend verhandelt worden, dass der Rheinbund aufgelöst und die deutschen Staaten wieder selbständig werden sollten. Metternich hatte mit den Verträgen Zeit gewinnen wollen, um sich für eventuelle Verhandlungen mit Napoleon Raum zu verschaffen.81 Dies sollte sich als Bumerang erweisen, denn die Unbestimmtheit des Vertrages spielte der Macht in die Hände, die bereits ihre Truppen auf ehemals französisch besetzten Gebieten hatte: Russland. Auf diese Weise waren russische Interessen zu einem Teil bereits gedeckt, während Österreich und Preußen auf russische Unterstützung angewiesen waren, um die jeweiligen Interessen in Italien beziehungsweise Deutschland durchzusetzen. Dadurch bekam Russland zudem ein Vehikel, in Fragen der Neugestaltung der deutschen Territorien ein gewichtiges Wort sprechen zu können und darüber hinaus in der Allianz eine dominierende Stellung zu wahren.82 Angesichts ihrer nicht übereinstimmenden Vorstellungen baten die Alliierten um einen englischen Vermittler, der die Friedensverhandlungen mit Frankreich leiten könnte. Die Wahl fiel in London auf Außenminister Castlereagh, der im Januar 1814 im alliierten Hauptquartier, das in der Zwischenzeit nach Basel weitergezogen war, eintraf. Oberstes Ziel der Verhandlungen sollte ein dauerhafter und stabiler Frieden werden, wobei Großbritannien mindestens in der Form von hohen Subisidien die weiteren Kampagnen des Jahres 1814 unterstützen sollte, deren Ziel es auch war, die Bourbonen in Spanien wieder zu restaurieren.83 Britische Konditionen bestanden darin, das Seerecht nicht zum Bestandteil der Verhandlungen zu machen, auch wenn das zu kleineren Verstimmungen zwischen Sankt Petersburg und London führte, da russische Schiffe nach wie vor von briti-

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Vgl. den ersten geheimen Zusatzsartikel, VPR I/7, 372. Vgl. Nesselrode, Mémoire betr. Polen, in: Nesselrode, Lettres, Bd. 4. 313–320; Denkschrift Novosil’cevs, 25.6./6.7.1813, in: VPR I/7, 335–338; R. Voroncov an M. Voroncov, 15./27.1.1813, in: AKV 17, 1880, 271–275. Czartoryski hatte Alexander in dieser Hinsicht unterstützt Czartoryski an Alexander, 7./19.3.1814, in: VPR I/7, S 618–620. Vgl. Kraehe, Metternich, I, 204 f. Vgl. Schroeder, Transformation, 478. Vgl. Instruktion Alexanders an Lieven und Pozzo di Borgo, 24.11./6.12.1813, in VPR I/7, 492–497. Zu den Verhandlungen und der Rolle der britischen Unterhändler vgl. Paul W. Schroeder, An Unnatural ‘Natural Alliance’. Castlereagh, Metternich, and Aberdeen in 1813, in: International History Review 10, 1988, 522–540

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schen Patrouillen durchsucht und kontrolliert wurden.84 Auch das russische Angebot, im britisch-amerikanischen Konflikt zu vermitteln, wurde entschieden abgelehnt.85 Insgesamt konnte sich Castlereagh zufrieden zeigen: Wichtige Teile des Empires, wie Indien, waren nicht Gegenstand der Verhandlungen und die britischen Ziele auf dem Kontinent, die Befreiung Spaniens und Belgiens, waren entweder bereits erreicht oder Teil der Vereinbarungen. Wie wichtig das Verbleiben Großbritanniens im Bündnis war, zeigt die Tatsache, dass Ende November Pozzo di Borgo als zweiter Verhandlungsführer nach London gesandt wurde. In seinen Instruktionen wurde als „but principal“ des Krieges die Sicherung der Unabhängigkeit der Regierung und der Völker genannt – weitere Kriegsziele waren nicht festgeschrieben. Wichtigstes Ziel der Mission Pozzos sollte sein, einen Alleingang Großbritanniens um jeden Preis zu verhindern, statt dessen solle die Regierung in London zum „projet d’une alliance générale“ zurückkehren.86 Nachdem seit dem Vertrag von Ried, der den Abfall Bayerns vom napoleonischen Bündnissystem besiegelte, sich weitere deutsche Staaten der Koalition angeschlossen hatten,87 war aus der Koalition eine große Allianz, die „alliance générale“ geworden, die sich nach dem Sieg über Napoleon vom ursprünglichen Ziel emanzipieren und eine eigene Existenzform annehmen sollte. Auch der Gedanke eines „Exekutionsausschusses“ innerhalb dieser großen Allianz tauchte bereits jetzt auf. Der entscheidende Kern von Staaten solle nach russischer Meinung klein gehalten werden. Staaten der „second ordre“ sollten nicht den kriegszielbestimmenden Allianzen beitreten, da das die Meinungs- und Entscheidungsbildung nur verkomplizieren würde.88 Die russischen Verhandlungsziele spiegelten einzig die Haltung des Autokraten.89 Gleichzeitig bestand der Konsens der Eliten in Sankt Petersburg und Moskau darin , sich so weit wie möglich aus dem Krieg herauszuhalten.90 Zwar stimmte Nesselrode mit dem Zar darin überein, dass der Krieg fortzuführen sei, allerdings warnte er – wie bereits im Jahr zuvor – davor, falsche Entscheidungen 84 85

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Vgl. Generalkonsul in London Dubačevskij an Rumjancev, 21.3./2.4.1814, in: VPR I/7, 630– 634 mit einer Auflistung der Übergriffe. Vgl. Castlereagh an Cathcart, 27.9.1813, in: Webster, Ch[arles]. K[ingsley]. (Hrsg.), British diplomacy, 1813–1815. Select documents dealing with the reconstruction of Europe. London 1921, 31–33; Lieven an Rumjancev, 26.11./8.12.1813, in: VPR I/7, 500f; Lieven an Nesselrode, 3./15.12.1813, in: ebd., 506–509; Lieven und Pozzo di Borgo an Nesselrode, in: ebd., 514–518. Alexander an Lieven und Pozzo di Borgo, 24.11./6.12.1813, in: VPR I/7, 492–497, Zitat 495. Diesem Vertrag trat auch Russland bei. Vgl. für die weiteren Verträge etwa die Allianzverträge zwischen Russland und dem Großherzogtum Baden vom 8./20.11.1813 oder zwischen Russland und dem Kürfürstentum Hessen vom 20.11./2.12.1813, in: ebd., 452–460 u. 486–490. Vgl. Lieven an Nesselrode, 3./15.12.1813, in: ebd., 506–509, hier 507. Nesselrode und Černyšev waren die beiden einzigen nennenswerten Stimmen, die die Argumente des Zaren unterstützten. Vgl. Nesselrode an Alexander, 28.12.1813/9.1.1814, in: VPR I/7, 539 f.; Černyšev an Alexander, 8./20.11.1813, in: ebd., 447–450. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 465 f.

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für Polen zu treffen. 1813 hatte er in einem Memorandum vor den Gefahren gewarnt, die eine Inkorporation des Herzogtums Warschau mit sich bringen würde: Spannungen mit Österreich und à la longue die Möglichkeit des Verlustes der polnischen Gebiete Russlands.91 Anfang 1814 empfahl er zusätzlich Verhandlungen mit Napoleon, um den Krieg zu beenden.92 Mit dieser Position stellte sich Nesselrode in die Nähe Metternichs – ohne dass Alexander seinen Einwänden Gehör geschenkt hätte. Vielmehr setzte er sich auch über diese Ratschläge hinweg und verfolgte sein eigenes Ziel, Paris von Napoleon zu befreien. Dieses Ziel ist von Castlereagh dahingehend interpretiert worden, dass Alexander Rache üben wollte für den Verlust Moskaus.93 Doch entsprach es weniger einem persönlichen Sendungsbewusstsein als der Einsicht, dass ein dauerhafter Frieden nicht mit Napoleon zu erreichen war und folglich nur in Paris würde geschlossen werden können.94 Im ‚Windschatten‘ der Entwicklungen hatte Czartoryski noch einmal versucht, an den Zaren zu appellieren, sich der Frage Polens wieder zuzuwenden und auf eine Wiederherstellung des Staates unter dem Szepter Alexanders hinzuwirken, wenigstens aber eine erneute Teilung zu verhindern.95 In Frankfurt einigten sich die Alliierten auf ein ähnliches Vorgehen wie in Prag. Napoleon sollten sehr moderate Friedensbedingungen vorgeschlagen werden, die er mit Sicherheit ablehnen würde. Dies wäre als Signal an die französische Bevölkerung zu nutzen, dass der Krieg sich lediglich gegen den Usurpator Napoleon richte und nicht gegen die Bevölkerung.96 Bereits am 4. Dezember, einen Tag vor der Ankunft des französischen Unterhändlers in Frankfurt, ließen die Alliierten ein Flugblatt in einer Auflage von 20.000 Stück verbreiten, in dem dies deutlich artikuliert wurde.97 Angesichts der enormen Geschwindigkeit, mit der die Grande Armée nach dem Desaster in Russland wiederhergestellt worden war, schien nun Eile geboten, erst Recht, als die Nachrichten in Frankfurt eintrafen, dass Napoleon weitere 300.000 Soldaten ausgehoben habe. Metternich und Alexander hatten sich Ende Oktober auf Friedensbedingungen geeinigt, die Napoleon am 10. November übermittelt wurden.98 Frankreich sollte auf seine „natürlichen“ 91 92 93

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Vgl. Mémoire présenté par le comte de Nesselrode sur les affaires de Pologne, in: SIRIO 31, 1881, 301–303. Vgl. Nesselrode an Alexander, 28.12.1813/9.1.1814, in: VPR I/7, 539 f. Dieser Einschätzung sitzt auch Schroeder, Transformation, 497, auf. Lieven, Russia against Napoleon, 467 interpretiert Alexanders Politik Anfang 1814 als Vernachlässigung russischer Interessen zugunsten eigener Vorstellungen. Vgl. Considérations générales sur sur la politique du Cabinet de Russie à la fin de la Campagne de 1813, in: SIRIO 31, 1881, 343–345 Diese Entscheidung ist entgegen der Annahme von Schroeder, Transformation, 497, bereits Ende des Jahres 1813 gefallen. Vgl. auch Černyšev an Alexander, Ende Dezember 1813, in: SIRIO 121, 1906, 232–234. Vgl. die beiden Schreiben Czartoryskis an Alexander vom 7./19.3.1814, in: VPR I/7, 617– 621. Vgl. Aperçu, 3me Partie: Evènemens de 1814, 2=6v–5=8r. Déclaration de Francfort, in: Angeberg, Congrès, I, 78 f. Vgl. auch Albert Sorel, L’Europe et la Révolution Française. La Coalition, les traités de 1815. Paris 31904, 225. Vgl. Fournier, Congress, 8; Nesselrode an Lieven, 08./20.11.1813, in: VPR I/7, 466–469.

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Grenzen reduziert werden, doch bereits in dem Manifest an das französische Volk waren diese Grenzen schon wieder erweitert worden. Auch untereinander waren die Alliierten nicht einig. Der englische Unterhändler, der spätere britische Premierminister Aberdeen, hatte wegen seiner mangelnden Französischkenntnisse seine Zustimmung gegeben, über die Frage der Seerechte mit Frankreich zu verhandeln und damit eine der wichtigsten Bedingungen seiner Regierung ignoriert. Als dies in London bekannt wurde, musste er deutliche Worte des Außenministers hinnehmen.99 Auch um die daraus entstandenen Wogen zu glätten und weiteren Missverständnissen vorzubeugen, wurde Pozzo di Borgo als Vertreter der Alliierten nach London geschickt. Dieser konnte immerhin heraushandeln, dass Castlereagh persönlich an den Verhandlungen auf dem Kontinent teilnehmen würde. Der Vormarsch der russischen Armee auf die Niederlande löste dort einen antinapoleonischen Aufstand auf, der weitere Kontingente auf die Seite der alliierten Armee brachte.100 Der Hauptweg der Armee sollte durch die Schweiz führen.101 Zwar nahm Alexander relativ schnell wieder Abstand von der Idee und begründete das damit, dass die schweizerische Neutralität zu respektieren sei, doch nahm die österreichische Planung auf diesen Meinungswechsel keine Rücksicht, denn nur so konnten die französischen Festungen umgangen werden.102 Auch waren die Anweisungen an den russischen Sondergesandten Kapodistrias nicht einheitlich. Während der Zar die strikte Einhaltung der schweizerischen Neutralität verlangte, orientierte sich Nesselrode stark am Kurs Metternichs.103 Ohnehin war die Neutralität der Schweiz eine Neutralität von französischen Gnaden, die nur auf dem Papier existierte. Dennoch nutzte Metternich die Abwesenheit des Zaren aus dem alliierten Hauptquartier, um vollendete Tatsachen zu schaffen, über die sich der Zar nur noch im Nachhinein beschweren konnte.104 Der Übergang über den Rhein bei Basel wurde auf Wunsch Alexanders auf den 1. Januar nach dem russischen Kalender verlegt – exakt ein Jahr nachdem die russische Armee den Niemen überquert hatte stand sie nun am Rhein. Beim Grenzübergang richtete der Zar eine Ansprache an seine Armee: Guerriers! Votre valeur nous a conduits des rives de l’Oka jusqu’aux bords du Rhin… En pénétrant dans l’intérieur de notre empire l’ennemi que nous combattons aujurd’hui y a cause

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Vgl. Castlereagh an Aberdeen, 13.11., 30.11., 7.12.1813, in: Webster, British Diplomacy, 111 f., 114–116 und 116–118. Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 472 f. Vgl. Alexander an Bernadotte, 10.11.1813, in: VPR I/7, 434–436. Vgl. die Instruktionen Nesselrodes an Kapodistrias und Lebzeltern, 17./29.12.1813, in: ebd., 523–525, sowie die Berichte des Gesandten Kapodistrias an Alexander vom 27.12.1813/ 8.1.1814, 30.12.1813/10.1.1814 und 22.1./3.2.1814, in: ebd., 208 und 532–534, 541 f. ;553– 555; vgl. auch Srbik, Metternich, Bd. 1, 168 f. Vgl. hierzu Eich, Russland und Europa, S 194–201 und Grimsted, Foreign Ministers, 226. Vgl. Alexander an Katharina Pavlovna, 15.12.1813, in: Michailovič (Hrsg), Correspondance, Nr. LXXX, 159 f.: „Metternich s’est conduit détestablement dans la question suisse, et j’en suis indigné.“ (160). Vgl. auch Alexander an La Harpe, 22.12.1813/3.1.1814, in: SIRIO 5, 1870, 42–45.

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des grands désastres; mais un châtiment terrible est retombé sur sa tête […] La colère de Dieu a éclaté sur nos ennemis […]. Ne les imitons pas: oublions leurs œuvres. Portons en France, non le ressentiment de la vengeance, mais une main tendue en gage de paix. La gloire du Russe est de vaincre l’ennemi qui l’attaque, et de traiter en frère l’ennemi désarmé. Notre foi révérée nous enseigne, par la bouche même de Dieu, à aimer nos ennemis, à faire du bien à ceux qui nous haïssent. Guerriers! Je suis convaincu que, par la modération de votre conduite sur cette terre ennemie où nous allons entrer, vous saurez vaincre autant par la grandeur d’âme que par la force de votre bras, et qu’unissant ainsi à la valeur du guerrier l’humanité du chrétien, vous vous ont acquise de la nation vaillante et police. Je suis persuadé aussi que vos chefs ne négligeront aucun moyen pour entretenir sans tache l’honneur de nos armes.105

In der Ansprache wurde nicht etwa das Erreichte auf die Leistung der russischen Armee zurückgeführt, auch nicht auf die überlegene Strategie der alliierten Generalität. Stattdessen wurde das biblische Motiv des rächenden Gottes bemüht.106 Die persönliche Glaubenswahl wurde hier auf die Soldaten übertragen. Krieger und Christ in einem war das hier propagierte Ideal. Ebenfalls propagandistisch wirksam war die Ansprache Alexanders an das französische Volk im Mai, in der er betonte, dass der Krieg einzig gegen Napoleon gerichtet gewesen sei, und er mit dem Volk weiterhin in enger Freundschaft verbunden gewesen sei.107 Militärische Erfolge blieben allerdings erst einmal aus. Ende Januar konnte Napoleon in der Schlacht von Brienne noch einen letzten großen Sieg verbuchen, ehe mit der Schlacht von La Rothière am 1. Februar 1814 das Schicksal sich wandelte. Die Monarchen Preußens und Österreichs hatten sich bis dahin mehrfach bereit gezeigt, mit Napoleon zu verhandeln, doch scheiterte das an der hartnäckigen Weigerung Alexanders, solche Verhandlungen aufzunehmen.108 Entsprechend wurde auf einer Konferenz in Langres vereinbart, dass die anstehende Neuordnung zuerst einmal bindend innerhalb der Koalition entschieden werden sollte, um so unisono bei einem Friedenskongress auftreten zu können.109 Bezugspunkt und verhandelnde Partei sollte explizit nicht ein Bündnis von separaten Staaten sein, sondern Europa.110 Die Alliierten einigten sich daher darauf, dass ihre Verhandlungsbevollmächtigten wortidentische Weisungen erhielten.111 Bereits im Vorfeld hatte Metternich ein Memorandum an Alexander gesandt, in dem er die wichtigs-

105 Choiseul-Gouffier, Mémoires, 162. 106 Vgl. Nah. 1,2 und Offb. 19,15. 107 „Les Français sont mes amis, et je veux leur prouver que je viens rendre le bien pour le mal. Napoléon est mon seul ennemi.“ Zit. in: Alexandrana, 39 f. 108 Vgl. Rey, Alexandre, 339. 109 Vgl. Eich, Russland und Europa, 171 f. Das Protokoll von Langres in SIRIO 31, 1880, 360 f. 110 Ebd., sowie: „[...] que ce ne sont pas des Puissances mais l’Europe […]”. Aperçu, 3me partie, 28v. Damit reiht sich die alliance générale in eine Tradition von Europakonzeptionen ein, ist jedoch die erste, die explizit die Sphäre des Spekulativen verlässt bzw. von Anfang an pragmatisch gedacht war. Zu den Konzepten vgl. Wolf D. Gruner, Europa-Vorstellungen und Europa-Pläne im Umfeld des Wiener Kongresses und in der Epoche der europäischen Transformation (1750–1820), in: Duchhardt, Heinz/Morawiec, Małgozata (Hrsg.), Vision Europa. Deutsche und polnische Föderationspläne des 19. und 20. Jahrhunderts. Mainz 2003, 1–35. 111 Die erste Anweisung vom 2.2.1814, in: Fournier, Congress, Anhang V, 306–308.

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ten Fragen des Umgangs mit Frankreich diskutierte.112 In einer detaillierten Auseinandersetzung mit diesem Memorandum, in der Satz für Satz Stellung zu den einzelnen Punkten Metternichs bezogen wurde, nahm ein Passus einen besonderen Stellenwert ein: die Frage nach der Vertragstreue der alliierten Staaten.113 Bereits Ende 1814 hatten die Alliierten große Teile Ostfrankreichs besetzt und damit effektiv weitere Wiederbewaffnungsanstrengungen behindert. Nach den darauf folgenden Niederlagen ernannte Napoleon Caulaincourt zum Außenminister und schien sich auf die alliierten Friedensbedingungen einzulassen, so dass Anfang Februar der Friedenskongress in Châtillon eröffnet wurde. Auch dieser Friedensversuch scheiterte, nachdem der bereits im Vorfeld der Konferenz am 17. Februar übersandte Friedensentwurf unbeantwortet geblieben war.114 Die österreichische Position war, Napoleon soweit wie möglich entgegenzukommen, um Frankreich als Gegengewicht zu Russland zu erhalten. Hierzu formulierte Metternich in dem genannten Memorandum einen Fragenkatalog, mit dessen Hilfe Franz Alexander auf Verhandlungen mit Frankreich festlegen sollte, doch der ließ sich nicht so einfach einspannen und versuchte so gut es ging, die österreichische Taktik ins Leere laufen zu lassen. Zunächst tat er dies mittels einer durchschaubaren Verzögerungstaktik, einer Kopie des französischen Verhaltens in Prag: Razumovskij erklärte zu Beginn des Kongresses, er habe seine Anweisungen noch nicht erhalten.115 Als dieser eher plumpe Versuch nicht fruchtete, begann die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem österreichischen Vorstoß: Auf Verhandlungen konnte sich der Zar einlassen, gleichzeitig sollte allerdings die Offensive fortgeführt werden. Hierbei konnte er sich auf die spätestens seit Kalisch und Frankfurt festgesetzten alliierten Ziele berufen und den Standpunkt vertreten, dass die Ausgestaltung des Friedens mit Frankreich erst nach einem Sieg über Napoleon erfolgen könne.116 Entsprechend war der Ton in Châtillon gegenüber Napoleon gleichzeitig rauer geworden. Statt der in Frankfurt diskutierten „natürlichen“ Grenzen wurden Napoleon nun die „historischen“ Grenzen von 1792 angeboten. Und Metternich legte nach, indem er die Alliierten zu einer Entscheidung drängte, wie zu verfahren sei, für den Fall, dass Napoleon annehmen oder ablehnen sollte.117 Wichtigster Streitpunkt zwischen Castlereagh und Caulaincourt war die Frage nach den in 112 Ebd, 349–355. 113 Vgl. Obsérvations sur le Mémoire présenté par Monsieur le Prince de Metternich à sa Majesté l’Empereur de toutes les Russies en date du 26 Janvier 1814, in: ebd, 365–360, zur Vertragstreue 358–360. 114 Abgedruckt bei Angeberg, Congrès, I, 110–113. 115 Nesselrode an Razumovskij, 6.2. und 7.2., in: F. I. Brunov, Aperçu des principales transactions du Cabinet de Russie sous les règnes de Catherine II, Paul I et Alexandre I, in: SIRIO 31, 1880, 197–417, 371 f. 116 Vgl. Nesselrode an Alexander, 28.12.1813/9.1.1814, in: VPR I/7, 539f; ders. an dens., 1./13. 2.1814, in: ebd., 569. Sowie zur russischen Einstellung Nesselrode an Metternich, Castlereagh und Hardenberg, 1./13.02.1814, in: ebd., 568; Alexander an Hardenberg, 2./14.2.1814, in: Fournier, Congress, 292 f. 117 Vgl. Fournier, Congress, 105–114. Das Memorandum Metternichs in SIRIO 31, 1881, 349– 355.

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Aussicht gestellten Kompensationen, die Frankreich aus den britischen kolonialen Gebieten erhalten sollte. Nach dem verlustreichen Sieg von La Rothière gab Napoleon Caulaincourt am 5. Februar freie Hand, um mit den Alliierten zu verhandeln und die in Châtillon ausgehandelten Konditionen anzunehmen. Bereits 12 Tage später wurden diese Vollmachten zurückgenommen, denn in der Zwischenzeit hatte Napoleon militärisch wieder Boden gutmachen können und die Armee Blüchers besiegt. Jetzt, so ließ er seine Verhandlungspartner wissen, seien nur noch die Beschlüsse von Frankfurt – also die Reduktion auf die „natürlichen“ Grenzen akzeptabel.118 Während sich die Vertreter Preußens und Großbritanniens darauf einließen, mit Napoleon auf der Grundlage der „historischen“ Grenzen Frieden zu schließen und im Falle einer Weigerung die Restauration der Bourbonen zu betreiben, fand sich der Zar in isolierter Lage mit seiner Meinung, dass ein Frieden erst nach einer Einnahme von Paris zu verhandeln sei.119 Ein Teil dieser Haltung resultierte sicherlich aus Alexanders Geringschätzung Ludwigs XVIII., der Jahre seines Exils in Russland verbracht hatte, und aus seinen Sympathien für Bernadotte. Als konservativ-legitimischer Vertreter eines Restaurationsgedanken trat der Zar Anfang 1814 jedenfalls nicht in Erscheinung.120 Tatsächlich zeigte sich der Zar auf eine erstaunliche Art „modern“. Seinen Überlegungen zurfolge musste Frankreich eine Regierungsform erhalten, die die revolutionären Errungenschaften, wie den Code civil oder repräsentative Verfassungsorgane, beibehalten würde. Anstelle von Ludwig XVIII. dachte er wohl ernsthaft über Eugène de Bauharnais oder den Herzog von Orléans nach, da diese nicht mit einer monarchistischen Hypothek belastet waren.121 Gegenüber Metternich und Castlereagh, die angereist waren, um mit Alexander über diese Frage zu sprechen, bestritt der Zar allerdings vehement, eine Kandidatur Bernadottes für den Thron in Frankreich betrieben zu haben, wobei dem Engländer die tiefsitzende Abneigung gegenüber dem Haus Bourbon nicht verborgen blieb: „yet I could not but be struck with the comparative disfavour with which His Imperial Majesty spoke of the Bourbons for such a trust.“122

118 Vgl. Napoleon an Franz II., 21.2.1814, in: Corréspondance de Napoléon, Bd. 27, Nr. 21344, 224–227. 119 Vgl. Fournier, Congress, 285–289 und Obsérvations sur le mémoire présenté par Monsieur le de Metternich à sa Majesté l’empereur de toutes les Russies en date du 26 janvier 1814, in: SIRIO 31, 1881, 355–360. 120 Eine aktive Unterstützung der möglichen Kandidatur Bernadottes lässt sich nicht nachweisen. 1812 war Bernadotte von Alexander favorisiert worden, dieser hatte sich dann allerdings desavouiert. Vgl. Bernadotte an Alexander, 7.12.1814, in: Correspondance inédite de l’empereur Alexandre et de Bernadotte pendant l’année 1812. Paris 1909, 54 f. Siehe zu dessen Ambitionen: Franklin D. Scott, Bernadotte and the Throne of France, 1814, in: Journal of Modern History, 5, 1933, 465–478. Zu Ludwig XVIII: Philip Mansel, Louis XVIII. London 2005, v. a. 164 zum Verhältnis von Ludwig und Alexander. 121 Diese Namen sind ausgerechnet im Gespräch mit dem Bourbonen-treuen Baron Vitrolles von Alexander ins Gespräch gebracht worden. Vgl. Baron de Vitrolles, Mémoires et relations politiques, Paris 1884, Bd. 1, 115–120. 122 Castlereagh an Liverpool, 29.1.1814, in: Webster (Hrsg.), Diplomacy 138–149, hier 139.

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Diese gewissermaßen idealistische Komponente wurde überlagert von der realistischen Einschätzung, dass Russland nicht in der Lage sein würde, ein weiteres Mal eine Armee durch Europa marschieren zu lassen – allein aus diesem Grund war ein echter Frieden bitter nötig.123 Als sich abgezeichnet hatte, dass Frankreich bereit sein würde, den Bedingungen zuzustimmen, wies Alexander Razumovskij an, die Verhandlungen zu unterbrechen, um eine direkte Konferenz der Monarchen anzuberaumen. Diese Aktion schürte beim österreichischen Gesandten Graf Stadion Ängste, dass Russland, mit Preußen im Schlepptau, nun auf größere Kompensationen aus sei.124 Weitere Bestimmungen des am 1. März geschlossenen Vertrages sollten die Wiederherstellung der alten Grenzen Spaniens sein, nachdem Ferdinand VII. wieder auf dem Thron saß,125 sowie die Errichtung von Konstruktionen aus unabhängigen Staaten in Italien und Deutschland. Die deutschen Staaten sollten durch ein „lien fédératif“ miteinander dauerhaft verbunden werden.126 In Fragen der inneren Organisatonen des deutschen Gebietes hielt sich die russische Politik an die Vorstellungen der Verbündeten. Vorschläge seiner Berater, etwa Steins oder La Harpes, wurden hingegen ganz ignoriert.127 Châtillon offenbarte ein grundsätzliches Dilemma der Alliierten: Ohne eine von allen Beteiligten akzeptierte Konzeption, ohne eine Idee über die weitere Struktur der europäischen Staatenwelt war der Krieg gegen Napoleon nicht zu beenden. Die russische Haltung, erst den Krieg militärisch zu entscheiden und anschließend in Paris zu verhandeln, ließ sich auch nach heftigen Diskussionen im Hauptquartier in Troyes nicht ändern.128 Und allen Beteuerungen systemischer Verpflichtungen zum Trotz brachte die Halsstarrigkeit des Zaren die Koalition an

123 Vgl. Lieven, Russia against Napoleon, 485. 124 Vgl. Stadion an Metternich, 9./10.2.1814, in: Fournier, Congress, 316–318. 125 Der Vertrag von Valençay in: Angeberg, Congrès, I, 82 f. Vgl. John W. Rooney, The Treaty of Valençay. An Effort Calculated to Save an Empire, in: Consortium on Revolutionary Europe 1750–1850. Proceedings, 12, 1992, 33–42. 126 Der Vertrag ist abgedruckt: VPR I/7, 587–592; „lien fédératif“ im ersten Zusatzartikel 591. Der Passus mit dem „lien fédératif“ war bereits in den gleichlautenden Anweisungen an die Botschafter der Alliierten enthalten. Siehe Fournier, Congress, 306–308. 127 Vgl. auch Eich, Russland und Europa, 172 f., die konstatiert, Alexander habe die Vorschläge der Alliierten in Châtillon „weitgehend bedingungslos“ akzeptiert. Zu den Vorschlägen vom Stein: Denkschrift zur Bundeserfassung, 21.11.1813, in: Botzenhardt, Stein, Bd. 4. Nr. 461, 332 f. und die Denkschrift für Fürst Hardenberg, Graf Münster, Zar Alexander 10.3.1814, in: ebd, Nr. 927, 612–614. Vgl. auch allgemein Heinz Duchhardt, Freiherr vom Stein. Preußens Reformer und seine Zeit. 2010, 79 f. Laharpe: Laharpe an Alexander, 16.5.1811, in: Biaudet/Nicot (Hrsg.), Correspondance, Bd. 2, Nr. 218, 410–423 u. ders. an dens., 22.7.1814, in: ebd, 541–545. Nesselrode unterstützte die Position des Zaren ohne jede Einschränkung: Nesselrode an Alexander, 28.12.1813/9.1.1814, in: VPR I/7, 539 f. 128 Observations sur le Mémoire présenté par Monsieur le Prince de Metternich à Sa Majesté l’Empereur de toutes les Russies en date du 26 janvier 1814, in: Brunov, Aperçu, 355–360. Vgl. auch Nesselrode an Metternich, Castlereagh und Hardenberg, Troyes, 1./13.1.1814, in: VPR I/7, Nr. 221, 316–318.

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den Rand der Existenz.129 Dass Alexander auch auf das Angebot Hardenbergs nicht einging, im Falle einer Annahme des Waffenstillstands durch Frankreich, in Paris über den Frieden zu verhandeln, um so dem Zaren den vermeintlich ersehnten triumphalen Einzug in die französische Hauptstadt zu lassen, zeigt, dass es für den Zaren gerade nicht um die Befriedigung persönlicher Eitelkeiten ging. Auf der anderen Seite ließ er sich auf einen Kompromissvorschlag ein, der im Falle des Sturzes Napoleons die Restauration der Bourbonen ebenso festschrieb wie eine alliierte Verwaltung des besetzten Paris.130 In der Zwischenzeit fand man die Kompromissformel, dass parallel zu den Verhandlungen in Châtillon die militärischen Handlungen weitergehen und dabei von den Alliierten keinerlei Initiative für einen Regimewechsel ausgehen sollten. Sollte sich die Bevölkerung Frankreichs allerdings für einen Wechsel hin zu den Bourbonen entscheiden, dann werde man ihr keine Hindernisse in den Weg legen.131 Alexander schien damit Recht zu behalten, dass mit Napoleon nicht zu verhandeln war. Der Kongress von Châtillon ging schließlich ohne ein greifbares Ergebnis vorüber, so dass nur ein militärisches Ende der Auseinandersetzungen möglich war.132 Metternich versuchte es weiterhin mit einer Verzögerungstaktik, um einen Frieden mit dem mittlerweile wieder siegreichen Napoleon nicht auszuschließen. Alexander zögerte die Verhandlungen seinerseits hinaus, um durch die Einnahme von Paris und einen endgültigen Sieg über Napoleon vollendete Tatsachen zu schaffen. Einige Wochen war die Koalition damit belastet. Castlereagh verhandelte in dieser Hinsicht im alliierten Hauptquartier zwischen Russland, Preußen und Österreich, während der russische Gesandte Lieven sich in London der Rückendeckung des Prinzregenten und des Prime-Ministers versicherte.133 Als

129 Schroeder, Transformation, 499 geht sogar soweit, einen Rückfall in „eighteenth-century politics of compensations and indemnities“ als Drohszenario zu erkennen. 130 Vgl. Fournier, Congress, 283 f. Eine andere Deutung, nämlich, dass Alexander es hier um die Vorherrschaft in Europa gegangen sei, bei Griewank, Wiener, 49 f.; Jacques-Henri Pirenne, La Sainte-Alliance: Organisation euopéene de la paix mondiale, Bd. 1: Les traités de paix 1814–1815. Neuchâtel 1946, i. 131 Vgl. Castlereagh an Liverpool, 29.1.1814, in: Webster, Diplomacy, 141–144, ders. an dens., 30.1.1814, in: ebd., 144 f.; Protocole de la conférence qui a eu lieu à Langres le 29 janvier 1814, in: Brunov, Aperçu, 360 f. Zwischen den Alliierten ist diskutiert worden, nach welchen Kriterien man den Willen bestimmen sollte. Vgl. dazu Conférence tenue à Troyes le 13 février 1814. Questions posées par l’Autriche. Réponse du Cabinet de Russie, in: Brunov, Aperçu, 377–384, hier 377; Castlereagh an Liverpool, 16.2.1814, in: Webster, Diplomacy, 147–155, hier 149–151. Diese Kompromissformel spiegelte den russischen Standpunkt in der Frage ohne Einschränkungen wider. Vgl. Nesselrode an Metternich, Castlereagh und Hardenberg, Troyes, 1./13.1.1814, in: VPR I/7, 316 f. 132 Dass der Kongress scheiterte, lag an dem Rückzieher, den Napoleon gemacht hatte. Es hätte also alle Möglichkeiten auf einen Frieden gegeben – somit war Châtillon kein „Pseudo-Kongreß“ (Guillaume de Bertier de Sauvigny, Metternich. Staatsmann und Diplomat im Zeitalter der Restauration. München 1996, 203). 133 Vgl. Lieven an Nesselrode, 14./26.1.1814, in: VPR I/7, 548 und Nesselrode an Lieven, 25.2./10.3.1814, in: ebd., 603–606.

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Ergebnis stand der Vertrag von Chaumont vom 9. März 1814 (rückdatiert auf den 1. März), in dem sich die Alliierten darauf einigten, nur auf Grundlage der „historischen“ Grenzen Frankreichs den Frieden zu schließen.134 Der Vertrag war als wortidentischer Vertrag jeweils zwischen zwei Parteien geschlossen worden und hatte als Kriegsziel die Herstellung eines generellen Friedens, „paix générale, sous la protection de laquelle les droits de la liberté de toutes les nations puissent être établis et assurés“, explizit formuliert, und deutet somit bereits über einen klassischen Allianzvertrag hinaus.135 Deutlicher ist dies in Artikel XVI formuliert: Le présent traité d’alliance défensive, ayant pour but de maintenir l’équilibre en Europe, d’assurer le repos et l’indépendance des puissances, et de prévenir les envahissemens qui depuis tant d’années ont désolé le monde, les hautes parties contractantes sont convenues entre elles d’en étendre la durée à vingt ans, à dater du jour de la signature, et elles se réservent de convenir, si les circonstances l’exigent, trois ans avant son expiration de sa prolongation ultérieur.136

Damit war die Dauer der Allianz über den eigentlichen Anlass hinaus für 20 Jahre festgeschrieben – mit der Möglichkeit einer Verlängerung.137 Chaumont zeigte auch, dass es einen Grundkonsens zwischen den Alliierten gab. Bei allen divergierenden Kriegszielen, wie sie in Châtillon und Troyes offengelegt worden waren, war ein Ausscheren aus der Allianz für keine der Mächte eine ernsthafte Option.138 Vor allem aber wurden in Chaumont die Grundzüge für die kommende Gestaltung der politischen Ordnung des Kontinents festgeschrieben. Ein „juste équilibre“ sollte in Europa wiederhergestellt werden, das allen Staaten – unabhängig von der jeweiligen realpolitischen Potenz – das gleiche Recht auf Unversehrtheit zubillige. Ausdrücklich war die Rede von den „droits de la liberté de toutes les nations“ bei Garantie durch die alliierten Mächte, die den Fall eines Angriffs auf einen Staat als Bündnisfall für kollektive Reaktion definierten.139 Inwieweit bereits systemische Kategorien vorherrschend für das Verhalten der Alliierten waren, sollte sich an dem Umgang mit den weiteren Konfliktzonen Italien, 134 Abgedruckt bei Martens, Geo. Fréd. de (Hrsg.), Nouveau Recueil de Traité d’Alliance, de Paix, de Trêve, de Neutralité, de commerce, de limites, d’échange etc. et des plusieurs autres actes servant à la connaissance des relations étrangères des Puissances et états de l’Europe tant dans leur rapport mutuel que dans celui envers les Puissances et états d’autres parties du Globe depuis 1808 jusqu’à pésent. Göttingen 1817 ff., Bd. 1, 1817, 683–688, auch in VPR I/7, 587–592. Vgl. auch Schroeder, Transformation, 498–500. 135 Art. I, in: Martens, Recueil, 684. 136 Ebd, 687 f. 137 Dass Chaumont zustande gekommen war, ist zu einem Großteil das Verdienst der unermüdlichen Verhandlungen Castlereaghs. Vgl. Schroeder, Transformation, 501 f. 138 Metternich hatte gleichwohl kurzzeitig über einen Separatfrieden nachgedacht. Vgl. den Entwurf des Vertrags in Wilhelm Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreichs und der Befreiungskriege. Bd. 2. Berlin 1886, 768–770. Einzig der britische Prinzregent hatte Alexanders Argumentation geteilt, dass mit Napoleon kein dauerhafter Frieden zu erreichen sei. Vgl. hierzu das Schreiben Lievens an Alexander, 14./26.1.1814, in: Castlereagh, Correspondance IX, 267–273. 139 Zitate: Martens, Nouveau Recueil, 684. Herv. PhM. Vgl. auch Paulmann, Pomp, 62–66.

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Schweiz, den Niederlanden und der schwedisch-norwegischen Auseinandersetzung zeigen. Tatsächlich lässt sich konstatieren, dass in all diesen Fällen an erster Stelle nicht die Suche nach eigenen Vorteilen stand (auch wenn dieser Aspekt nicht gänzlich verschwunden war aus dem Arsenal der Denkfiguren), sondern die Einsicht, dass eine dauerhafte Befriedung des Kontinents nur zu erreichen sei, wenn nicht partikulare Interessen, sondern die Sorge um die Gesamtheit des europäischen Miteinanders vorherrschend waren.140 In den verbleibenden Wochen des Feldzuges hatte sich Alexander immer wieder in Fragen der Taktik eingeschaltet, am deutlichsten, als es Ende März darum ging, ob die alliierten Armeen weiterhin Napoleon verfolgen oder auf Paris marschieren sollten.141 Entgegen der bisherigen Strategie entschied sich Alexander, nachdem er sich am Vormittag des 24. März mit seinen engsten militärischen Beratern besprochen hatte, dafür, die Jagd auf Napoleon auszusetzen und statt dessen in Richtung der französischen Hauptstadt zu marschieren.142 Paris wurde Ende des Monats bereits erreicht und kapitulierte nach kurzer Verteidigung am 30. März.143 Viel hing nun davon ab, wie sich die Armeen in der Stadt verhalten würden. Strenge Disziplin wurde den Soldaten auferlegt, die nicht in den Häusern der Bewohner untergebracht worden waren, sondern in den nun leerstehenden Baracken der französischen Soldaten. In den ersten Tagen war der Zar im Hause Talleyrands untergebracht, dessen Hilfe er bereits am 31. März in Anspruch nahm, um eine neue Regierung in Frankreich zu installieren.144 Im Haus Talleyrands fand die erste Konferenz statt, an der Alexander, Friedrich Wilhelm III., Schwarzenberg, Dalberg, der Abbé de Pradt, sowie Nesselrode und Pozzo di Borgo teilnahmen.145 Im Ergebnis dieser Beratungen einigten sich die Verhandlungspartner auf die Restauration der Bourbonen und eine einer provisorische Regierung aus 64 Senatoren unter Vorsitz Talleyrands.146 Dabei machte Alexander in Gesprächen mit den Eliten in Paris von Anfang an deutlich, dass es sein Ziel war,

140 Vgl. hierzu Schroeder, Transformation, 509–516. 141 Vgl. zu den Ereignissen Lieven, Russia against Napoleon, 494–520. 142 Dies Treffen wird widergegeben in den Erinnerungen eines Teilnehmers: Bernhardi, Thomas v., Denkwürdigkeiten aus dem Leben des kaiserlichen russischen Generals der Infanterie Carl Friedrich Grafen von Toll, 5 Bde, Leipzig 1858, hier Bd. 4/II, 310–314. 143 Vgl. die Schilderung bei Guillaume de Bertier, The Bourbon Restauration. Philadelphia 1966, 3–55; E[arnest]. J. Knapton, Some Aspects of the Bourbon Restoration of 1814, in: Journal of Modern History 6, 1934, 405–424; Beschreibung bei Henry Houssaye, 1814. Paris 681912, 552 ff. 144 Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 3, 210 und Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 133. 145 Pradt war von Talleyrand eingeladen, um für Ludwig XVIII. zu sprechen. Die Beratungen lassen sich aus seinen Beobachtungen und den Memoiren Talleyrands rekonstruieren. Vgl. Dominique de Pradt, Récit historique sur la restauration de la royauté en France le 31 mars 1814. Paris 1816, 61–68 und Talleyrand, Mémoires, 155–164. 146 Vgl. Sellin, Revolution, 143–160. Vgl. grundsätzlich Michel Kérautret, Die Verfassungsentwicklung in Frankreich in napoleonischer Zeit, in: Schmidt, Alois (Hrsg.), Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung – Zielsetzung – Europäisches Umfeld. München 2008, 111–128.

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nicht bestimmend in die Wahl der Regierung einzugreifen.147 Geschickt verstand es Talleyrand, Einfluss auf die Verhandlungen über das politische Schicksal Frankreichs zu nehmen. Er beherbergte den Zaren und stellte die Räumlichkeiten, in denen die Alliierten mit Vertretern Frankeichs am 31. März verhandelten. Hier wurde auch der Entwurf der alliierten Proklamation an das französische Volk verhandelt. Während die Idee einer Regentschaft für den Sohn Napoleons noch im Raume stand, brachte Alexander am 5. April sein bereits vorher entworfenes Programm auf die Tagesordnung: Mit keinem Mitglied der napoleonischen Familie solle verhandelt werden, der Senat solle statt dessen zusammentreten und eine provisorische Regierung wählen sowie eine provisorische Verfassung vorbereiten.148 Anfang April wurde dies von einem Rumpfsenat beschlossen und Talleyrand als einer von vier Ministern in die provisorische Regierung gewählt.149 In der Deklaration der Alliierten wurde noch einmal deutlich auf die Gegnerschaft zu Napoleon, nicht zum französischen Volk hingewiesen: Qu’ils reconnaîtront et garantiront la constitution que la nation française se donnera. Ils invitent par conséquent le sénat à désigner un gouvernement provisoire qui puisse pourvoir aux besoins de l’administration, et preparer la constitution qui conviendra au peuple français.150

Unstrittig war dabei, dass Frankreich als Faktor im europäischen Miteinander erhalten bleiben sollte, um Europa stabil zu erhalten.151 Die kompromissartige Formulierung dieser Deklaration ermöglichte es, den Zaren wieder fest auf den Kurs der Alliierten einzuschwören. Nachdem seine conditio sine qua non – die Beseitigung Napoleons – erfüllt war, gab es nunmehr außer der polnischen Frage keinen offenen Streitpunkt mehr zwischen den Alliierten. Um künftigen revolutionären Unruhen vorzubeugen, schrieb er dem neuen König Ludwig XVIII. und mahnte ihn zur Mäßigung in seinem restaurativen Bestreben.152 Das Verhältnis zwischen Zar und dem als Graf der Provence noch nicht nach Frankreich aus seinem englischen Exil zurückgekehrten Ludwig war angespannt. In den Briefen bediente sich Alexander der Anrede „Moniseur le Comte“, während Ludwig den Zaren mit der Formel bedachte, die unter den Monarchen Europas gängig war: „Monsieur mon Frère et Cousin“. Erst Anfang April 1814 änderte sich das, als Alexander Ludwig darüber informierte, dass er den Korsen Pozzo di Borgo als Botschafter in Paris einsetzen werde. Dieser erreichte seinen Posten im Juni und fand sich zunächst in

147 Vgl. M. F. Orlov, Kapitulacija Pariža 1814 g, in: Voennyj Sbornik 37/6, 1864, 300 f. 148 Vgl. Caulaincourt, Mémoires, Bd. 3, 223 f. 149 Vgl. die Dokumente in SIRIO 31, 1881, 403–416. Zur Suche nach einem Regenten vgl. Palmer, Alexander, 258–260 sowie Caulaincourt, Mémoires, Bd. 3, 226–230. 150 Archives Parlementaires. De 1789 à 1860. Recueil Complet des Débats Législatifs & Politiques des Chambres Françaises. Deuxième série (1800 à 1860), Bd. XII: Du 31 Mars 1814 Au le Ier Octobre 1814, Paris 1868, 7. 151 Vgl. Nesselrode an Alexander, 28.12.1813/9.1.1814, in: VPR I/7, Nr. 207, 539 f; Protokoll einer Sitzung mit Nesselrode, Metternich, Castlereagh und Hardenberg, 1./13.4.1814, in: VPR I/7, 647 f. 152 Alexander an Ludwig XVIII, 5./17.4.1814, in: SIRIO 112, 1901, 1 f.

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einer Ruine untergebracht.153 Dennoch blieb das Verhältnis unterkühlt.154 Dass der Erste Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 derart günstig für Frankreich ausfallen konnte, war dem unermüdlichen Einsatz Talleyrands und Alexanders zu verdanken.155 Frankreich blieb in den Grenzen von 1792 bestehen, behielt Avignon und Venaissin, Mömpelgard, Teile Savoiens und Mulhouse. Die rechtsrheinischen Gebiete und Napoleons Eroberungen in Italien, den Niederlanden und der Schweiz mussten allerdings abgetreten werden. Selbst die Kolonien wurden mit Ausnahme von Tobago und Santa Lucia, der Île de France im indischen Ozean und Malta an Frankreich erstattet. Allerdings wurden keine Entschädigungen festgeschrieben. Ein Frieden mit äußerst milden Bedingungen. Frankreich war an den Verhandlungen über die Umstände des Friedens nicht beteiligt – gewissermaßen als Gegenleistung zum russischen Wohlwollen wurde in einem Zusatzartikel die Bestätigung der provisorischen Verwaltung des Herzogtums Warschau vereinbart.156 Über die Details von Alexanders Aufenthalt in Paris informieren zahlreiche Erinnerungen von Personen, die in dem Jahr mit ihm in Kontakt gekommen sind.157 Das tadellose Verhalten der russischen Armee in Paris, unterstützt von Androhungen drakonischer Strafen, trug Sorge, dass das Bild des „Kosaken“ sich grundlegend änderte. Die Armeeführung und der Zar setzten alle Mittel daran, die öffentliche Meinung dahingehend zu ändern, dass die Angst des „Alexander ante portas“ grundlos werden sollte. Während sich die französischen Soldaten in Moskau barbarisch verhalten hatten, benahmen sich die Barbaren in Paris äußerst gesittet.158 Auch der Zar selber war geradezu frenetisch in der Stadt empfangen worden.159 In einem symbolischen Akt feierte der Zar das Osterfest 1814 auf der Place de la Concorde. Das Datum allein war symbolisch, denn in diesem Jahr fielen orthodoxes und westliches Fest auf einen Tag.160

153 154 155 156 157

158

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Vgl. Pozzo an Nesselrode, 4./16.6.1814, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 938, č. 2, 1=1r–3=2r. Vgl. Paléologue, Alexandre, 199. Der Frieden ist abgedruckt CTS 63, S, 171–197. Ebd, 197. Diese Klausel ist in den Zweiten Pariser Frieden übernommen worden, CTS 65, 263–300. Mémoires de la comtesse de Boigne, née d’Osmond, Récits d’une tante, hrsg. von JeanClaude Bercher, Bd. 1. Du règne de Louis XVI à 1820, Paris 1999; Choiseul-Gouffier, Mémoires. Von besonderer Gründlichkeit sind die Aufzeichnungen des Adjutanten Alexanders, Michajlovskij-Danilevskij, der auch mit der Dokumentation des Krieges beauftragt worden war: Aleksandr Michajlovskij-Danilevskij, Memuary, 1814–1815. Sankt Petersburg 2001. Eine wohl authentische Sammlung von Anekdoten ist zeitgenössisch zusammengetragen worden: Alexandrana ou bons mots et paroles remarquables d’Alexandre Ier. Paris 1815. Vgl. Mémoires Boigne, 324 f. Grundsätzlich zur russischen Armee in Paris: Jacques Hantraye, Les Cosaques aux champs-Elysées. L’occupation de la France après la chute de Napoléon. Paris 2005. Lobeshymnen auf den Zaren etwa M. X. V. Draparnaud, à sa Majesté l’Empereur de Russie, libérateur. Épitre. Paris 1816. Vgl. Valloton, Alexandre, 225.

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Mit Napoleons Abdankung war das Kapitel des Feldzuges beendet.161 Napoleon bekam im Vertrag von Fontainebleau, der von Alexander und Caulaincourt ausgehandelt wurde und dem Castlereagh und Metternich nur widerwillig zustimmten, Elba als Herrschaftsgebiet zugesprochen.162 Nachdem der Friedensvertrag unterschrieben wurde, verließ Alexander die Stadt am 03. Juni 1814, um einer Einladung zu den englischen Siegesfeiern in London zu folgen.163 In London düpierte Alexander den Prinzregenten, zu dem das Verhältnis ohnehin nicht besonders herzlich war, in dem er sich über Fragen der Etikette hinwegsetzte und sogar das intensive Gespräch mit dem Führer der Whig-Opposition suchte, während der Prinzregent wartete.164 Dass er nicht im St. James’ Palast wohnte, wie ursprünglich vorgesehen, sondern bei seiner Schwester im PulteneyHotel und zudem als seinen Gast Adam Czartoryski mitbrachte, der von Castlereagh während des Krieges des alliierten Hauptquartieres verwiesen worden war, trug nicht zu einer Verbesserung des Verhältnisses bei.165 Am Tag vor seiner Abreise empfing er in seinem Hotel den britischen Quäker William Allen, gemeinsam mit seinen Begleitern Stephen Grellet, einem Quäker aus den USA, und John Wilkinson.166 Über diese Audienz liegt nur der Bericht Allens vor.167 Ihm zufolge hatte Alexander zusammen mit seiner Schwester und zwei weiteren Begleitern, unter anderem dem Mann Katharinas, am 19. Juni eine Versammlung der Quäker in deren Haus in der Martin’s Lane besucht und war dabei von der Predigt John Wilkinsons derart angetan, dass er Allen und Wilkinson zu einer Audienz in sein Hotel einlud. Allen lud noch Stephen Grellet ein, ihnen zu folgen. Die einstündige Begegnung im Hotel gestaltete sich so, dass der Zar Fragen stellte, die von den Quäkern beantwortet wurden. Alexander wurde unter anderem mit den Schriften Penns beschenkt und zeigte reges Interesse an der Organisation und dem Glaubensleben der Gemeinschaft. Hierbei zeigte sich die geistige Nähe der religiösen Einstellungen des Zaren, die ganz von dem Glauben an den Heiligen Geist getragen war:

161 Zu den Ereignissen der Abdankung vgl. Sellin, Revolution, 173–195. 162 Vgl. Metternich, Mémoires, Bd. 1, 194–196; Castlereagh an Liverpool, 13.4.1814, in: Webster, Diplomacy, 175–177 und Harold Nicolson, The Congress of Vienna. A study in Allied unity 1812–1822. New York 111967, 95–97. 163 Vgl. zum Aufenthalt in London Palmer, Alexander, 264–270; Jurij Vasil’evič Tolstoj, Imperator Aleksandr I i korol’ prusskij v Anglii v 1814 g. Vyderži iz anglijskij gazet, in: Russkaja Starina 8, 1892, 347–363. 164 Vgl. Extraits des Mémoires de la Princesse Lieven, Londres en 1814, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 225–246, hier 242–244. 165 Vgl. Kukiel, Czartoryski, 116. 166 Folgt man Scott, Quakers in Russia, 43, dann war Alexander bereits in Kindertagen in Kontakt mit einem Quäker-Arzt gekommen und war von dessen Frau während einer Krankheit gepflegt worden. 167 Life of William Allen with Selections from his correspondence, Bd. 1, Philadelphia 1847, 145–150.

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[...] his questions were chiefly in reference to the doctrines and practices of our Society, and evidently showed that he was acquainted with the operations of the Holy Spirit in the soul, and considered forms and external observations but of secondary importance.168

Das Gebet wurde vom Zaren als persönliche und innere Angelegenheit betrachtet, im Gegensatz zur formelhaften Praxis, wie sie in der Orthodoxie anzutreffen war. [...] he said that he was himself in the habit of daily prayer, that at first he employed a form of words, but at length grew uneasy with them as not always applicable to the present state of his mind, and that now the subject of his prayer was according to the impressions he felt of his wants at the time, and in this exercise he felt sweet peace. [...] He remarked that divine worship consisted not in outward ceremonies or repetitions, which the wicked and the hypocrite might easily adopt, but in having the mind prostrate before the Lord.169

Gegenüber den Quäkern fasste er auch noch einmal seine Konversion zusammen und spitzte sie dahingehend zu, dass er als Suchender von Gott selbst mit der Religion vertraut gemacht worden war. Dass dieses Ereignis erwähnt wurde und dabei die Gemeinsamkeiten in Glaubensinhalten herausgestellt wurden, zeigt, dass die Quäker als Teil der neuen religiösen Gemeinschaft betrachtet wurden, zu der der Zar nun dank seiner Konversion zugehörig sein konnte. Eine Gemeindeorganisation, die flach gestaltet war und ohne die festgeschriebene Rolle eines Predigers auskam, übte eine weitere Anziehung auf ihn aus. Der Aufenthalt in London hatte auch eine diplomatische Komponente, denn in der englischen Hauptstadt sollte eine Präliminarkonferenz den Weg zur Friedenskonferenz in Wien bahnen und in erster Linie über das Schicksal Polens entscheiden.170 Allerdings hatte der Zar durch sein Auftreten in England einiges Porzellan zerschlagen. Deutlich geschickter bewegte sich sein Gast Czartoryski auf dem rutschigen Parkett in London. Er hatte ruhig und im Hintergrund zu werben verstanden für den polnischen Staat.171 Zudem zeichneten sich hier bereits die Frontlinien von Wien ab: Über Sachsen würde es zum Streit kommen.172 Ergebnisse der Konferenz von London waren die Bestätigung der Allianz von Chaumont sowie eine Verschiebung des geplanten Konferenzbeginns auf September, da Alexander zunächst nach Sankt Petersburg reiste.173 Bereits in Bruchsal, wohin der Zar nach seinem England-Aufenthalt reiste, traf er mit Abgesandten aus Sankt Petersburg zusammen. Bei dieser Gelegenheit lehnte er jegliche Siegesfeier oder die Errichtung einer Siegessäule für seine Per-

168 Ebd, 147. 169 Ebd, 147 f. Herv. i. O. 170 Convention suplémentaire de Londres entre les quatres puissances alliées, 29.06.1814, in: CTS 63, 251–254. 171 Vgl. Kukiel, Czartoryski, 116 f. 172 Vgl. Metternich an Franz, 12.06.1814, in: Fournier, August, Londoner Präludien zum Wiener Kongress (Geheime Berichte Metternichs an Kaiser Franz), in: Deutsche Revue 42, 1918, Nr. 1, 125–136, 205–216; Nr. 2, 24–34, hier: Nr. 1, 205–210. 173 Vgl. Griewank, Kongreß, 65. Metternich an Franz, 23.06.1814, in : Fournier, Präludien , Nr. 1, 212.

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son ab.174 Während seines mehrwöchigen Aufenthaltes ernannte er Nesselrode zum Direktor des Außenministeriums – nicht aber zum Minister. Ein Schritt, der nun auch formal den Gestaltungswillen des Zaren in außenpolitischen Dingen zementierte.175

174 Vgl. Palmer, Alexander 270. 175 Diese Einschätzung auch bei zeitgenössischen Beobachtern. Vgl. etwa den Bericht de Maistres vom 15./27.08.1814, in: Maistre, Correspondance, Bd. 2, 2–5, hier 3 f.

VI. SI VIS PACEM, PARA PACEM. AUßENPOLITIK NACH 1815 Auch nach 1815 stand Europa nach wie vor im Fokus der russischen Außenpolitik. Zwar hatten nach dem Wiener Kongress Rumjancev, Rostopčin und andere versucht, den Zaren davon zu überzeugen, sich aus den europäischen Angelegenheiten erst einmal zurückzuziehen, um sich inneren Reformen zu widmen, die neu hinzugewonnen Gebiete zu integrieren und sich ansonsten weiter in Richtung Osten, nach Persien oder China, zu orientieren, doch stießen diese Vorschläge beim Zaren auf taube Ohren.1 Das Außenministerium wurde nun in einer Doppelspitze von Nesselrode und Kapodistrias geführt, wobei jedem eine eigene Kanzlei zur Verfügung stand. Gemeinsam hatten beide dem Zaren zweimal pro Woche Bericht zu erstatten. Gegenüber den südöstlichen Territorien begann jetzt gleichwohl eine Phase der territorialen Arrondierung. Mit dem Vertrag von Gulsitan vom 12. Oktober 1813, der mit Persien geschlossen wurde, war die Annexion Georgiens vertraglich abgesichert und der russische Einfluss in Dagestan und dem nördlichen Teil Aserbaidschans festgeschrieben worden. Eine Expedition unter General Ermolov sollte die kaukasischen Völker zwingen, sich in das russische Empire einzuordnen.2 Dieser Expansionismus scheint in einem Widerspruch zu der selbst auferlegten Aufgabe zu stehen, auf christliche Nächstenliebe gründende Politik zu betreiben. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man die Referenzgrößen der Politik Russlands in den Blick nimmt. Die Politik im Südosten wurde in erster Linie als konsolidierende Maßnahme, mithin als innenpolitische Notwendigkeit, betrachtet. War Außenpolitik eine Angelegenheit zwischen souveränen Staaten, die auf unverletzlicher Territorialität als Grundsatz fußte, so war in der Kaukasus-Region kein zwischenstaatliches Handeln betroffen. Gegenüber den Khanaten im zentralasiatischen Raum wurde hingegen eine auf Normalisierung abzielende Politik betrieben. Dies war die Motivation für die Einrichtung von diplomatischen Beziehungen – hierzu wurden in den Jahren 1819 bis 1821 zwei Missionen entsandt, die vor allem zum Khanat von Xiva gute Verbindungen herstellen sollten, aber letztlich erfolglos blieben. Eine erste Mission nach China, mit der der Senator Golovkin betraut worden war, scheiterte an den 1

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Erst im Mai 1819 wurde im Außenministerium ein Department eingerichtet für die asiatischen Gebiete, das allerdings nur etwa ein Dutzend Mitarbeiter beschäftigte. Ein Jahr später wurde ein „Comité asiatique“ eingerichtet, das aus dem Finanzminister, einem Vertreter des Außenministeriums und dem Generalgouverneur von Sibirien, Speranskij, bestand. Mit einer speziellen Ausbildung der Diplomaten in sprachlicher Hinsicht wurde erst 1823 begonnen. Ergebnisse dieser Expedition waren unter anderem die Einrichtung verschiedener Festungsanlagen, etwa in Grozny und in der Region Karabach 1818 beziehungsweise 1822.

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großen kulturellen Differenzen, vor allem im diplomatischen Protokoll. Sie war in der Folge aber mit dafür verantwortlich, dass Maßnahmen ergriffen wurden, Diplomaten auf ihre Verwendung im Fernen Osten besser vorzubereiten.3 In einem ähnlich „rechtsfreien Raum“ fand eine weitere Expedition statt. 1812 wurde eine Gruppe um den Gouverneur Russisch-Amerikas, dem Gebiet des heutigen Alaska, und der russisch-amerikanischen Gesellschaft, Aleksandr Baranov, ausgesandt, um nördlich der Mission San Francisco de Asís, dem Nukleus des heutigen San Francisco, ein Fort zu errichten. Dies diente in erster Linie dem Ziel, die Versorgung der Siedler in Alaska sicherzustellen.4 Dass sich hieraus knapp zehn Jahre später eine diplomatische Krise zwischen den USA und Russland entwickelte, lag außerhalb des Denkhorizontes der russischen Außenpolitik im Jahr 1812.5 1. WIENER KONGRESS Wie kaum ein anderes politisches Ereignis in der Geschichte ist der Wiener Kongress namensgebend für eine ganze Epoche geworden. Er ist dabei gleichermaßen als Negativ- wie als Positivbeispiel herangezogen worden, wenn es darum ging, die Nachkriegsepoche zu charakterisieren. Die vermeintliche „Wiener Ordnung“ wird je nach Sichtweise als Menetekel der Restauration oder aber als Glanzstück einer diplomatischen Kunst gedeutet, die eine Ordnung geschaffen habe, die erst mit dem Ersten Weltkrieg zerbrach.6 In rein territorialer Hinsicht mag diese Beurteilung durchaus zutreffend sein – doch mit Blick auf ordnungspolitische Entwürfe und die Etablierung neuer Mechanismen im europäischen Staatengefüge wurde in Wien wenig erreicht. Statt einer „Wiener Ordnung“ ist daher eher von einer „Pariser Ordnung“ zu sprechen, die das Miteinander der europäischen Staaten neu justierte, denn die wesentlichen Verträge, die das europäische System neu strukturierten, wurden in Paris geschlossen.7 Der Kongress in Wien war dennoch in seiner Art singulär in der europäischen Geschichte. Im Gegensatz zu bisherigen Friedenskongressen waren in Wien Ver3 4 5

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Vgl. Istorija Vnešnej politiki rossii, pervaja polovina XIX veka, ot vojn rossii protiv Napoleona de Parižkogo mira 1856g. Moskau 1999, 245 f. und Ivanov, Očerki, 285. Vgl. Istorija Vnešnej politiki rossii, 274. Vgl. Rey, Empire, 105 f. Zur den Beziehungen zwischen Russland und den USA siehe Rüdiger Horn, Das amerikanisch-russische Verhältnis: 1780–1917, in: Thomas, Ludmilla/Wulff, Dietmar (Hrsg.), Deutsch-russische Beziehungen. Ihre welthistorische Dimension vom 18. Jahrhundert bis 1917. Berlin 1992, 74–91. Vgl. auch Günther Kronenbitter, Denkbarer Frieden – Die Wiener Ordnung von 1814/15, in: Maurer, Friedemann/Schultze, Rainer-Olaf/Stammen, Theo (Hrsg.), Kulturhermeneutik und kritische Rationalität. FS Hans-Otto Mühleisen zum 65. Geburtstag. Lindenberg 2006, 454– 461. Darauf hat mit Nachdruck hingewiesen Anselm Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß zur Pariser Konferenz. England, die deutsche Frage und das Mächtesystem 1815–1856. Göttingen/Zürich 1991.

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treter aller Staaten an der Aushandlung einer neuen und dauerhaften Friedensordnung beteiligt, weshalb der Kongress auch als „Friedensvollzugs-Kongress“ bezeichnet worden ist.8 Seine Einrichtung war in Art. 32 des Ersten Pariser Friedens vereinbart worden, und dort waren auch bereits wichtige inhaltliche Vorgaben festgeschrieben worden, die im Wesentlichen territoriale Probleme umfassten.9 Bei allen taktischen Spielen in den Jahren seit 1812 war auch Metternich daran gelegen, die Grundlagen des europäischen Miteinanders dauerhaft zu ändern.10 Dies zeigt bereits der Vertrag von Ried zwischen Österreich und Bayern vom Oktober 1813, der den bayerischen Abfall aus dem napoleonischen Bündnissystem besiegelte.11 Dieser Vertrag kündigt in zweifacher Hinsicht einen Wandel an. Trotz des Machtgefälles zwischen den beiden Parteien kam es nicht zu einer Balance of Power-Politik. Denn hier wurden erhebliche österreichische Selbstbeschränkungen festgeschrieben: Tirol sollte nicht unmittelbar an Österreich zurückfallen, und ein österreichisches Korps wurde als Faustpfand unter das Kommando des bayerischen Generals von Wrede gestellt. Als Ziel der Allianz wurde in Art. II nicht etwa der Krieg gegen Napoleon genannt, wie es zu erwarten gewesen wäre, sondern allgemein „le rétablissement d’un ordre des choses en Europe, qui assure à toutes l’indépendance et leurs tranquillité future.“12 Balance of Power hätte demgegenüber Gegenmachtbildung erfordert, kein Einbinden von Bayern in eine österreichisch dominierte süddeutsche Fraktion. Ungleichverteilung von Macht schien also nicht mehr vorrangig zu sein. Das Machtungleichgewicht der Staaten konnte aber nur dann als nachrangig gelten, wenn kleinere Staaten nicht mehr um ihre Existenz fürchten mussten, wenn sie also die gleichen Rechte und Sicherheiten genießen konnten wie die Großen. Hier hatte sich bereits ein Wandel vollzogen, der von der russischen Politik nicht nur mit getragen, sondern aktiv gestaltet wurde. In territorialer Hinsicht war die Etablierung von kollektiven Sicherheits-

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Diese Formulierung bei Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1. Reform und Restauration 1789–1830. Stuttgart 1957, 543. Zum Kongreß vgl. neben der bereits genannten Literatur grundlegend ebd., 543–563; Schroeder, Transformation, 517– 582; Griewank, Kongress, 145–154; sowie Joseph Karl Mayr, Aufbau und Arbeitsweise des Wiener Kongresses, in: Archivalische Zeitschrift 45 (1939), 64–127; Henry A. Kissinger, The Congress of Vienna. A Reappraisal, in: World Politics 8, 1956, 264–280. Neuerdings Adam Zamoyski, Rites of peace. The fall of Napoleon & the Congress of Vienna. London 2008. Die Geschichte des Wiener Kongresses ist hinreichend erforscht und ausreichend dargestellt, daher wird sie hier nur insoweit rekonstruiert, wie sie für den Argumentationsgang der Arbeit notwendig erscheint. Eine minutiöse Rekonstruktion des Kongresses bietet Kraehe, Metternich, Bd. II, 118–366. Auch für den Zaren standen die territorialen Fragen im Vordergrund. Ein Memorandum „Bases d’un arrrangement général“ umfasste genaue Vorstellungen über territoriale Einigungen, von darüber hinausgehenden Ordnungsvorstellungen fand sich dort nichts. Vgl. das Memorandum Nesselrodes 31.7./12.8.1814, in: VPR I/7, 87 f., sowie das Memorandum vom 20.1./1.2.1815, in: ebd., 180–182. Dies die Quintessenz bei Kraehe, Metternich, Bd 1. Der Text: Martens, Nouveau Recueil, Bd. I, 610–614. Diese Interpretation des Vertrags von Ried bei Schroeder, Transformation, 481 f. Martens, Nouveau Recueil, 610.

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mechanismen das Mittel der Wahl.13 Verletzungen der territorialen Integrität eines einzelnen Landes innerhalb eines solchen Sicherheitsverbundes würden sofort und automatisch kollektive Sanktionen nach sich ziehen. Innerhalb des europäischen Systems kollektiver Sicherheit waren dabei durchaus Subsysteme denkbar: so sollten deutsche Gebiete als ein ebensolches System aufgebaut und mit russischer Garantie stabil gehalten werden. Es war als integraler Bestandteil von großer funktionaler Bedeutung, nicht nur für Europa, sondern auch für die gesamte Welt: „L’allemagne est la clef de la route Européenne“.14 Sollte das neue System hier scheitern, so hätte das fatale Rückwirkungen auf den Rest Europas haben können.15 Es überrascht daher nicht, dass der Fall der deutschen Ordnung besonders gründlich in Einklang mit den allgemeinen Überlegungen zur Politik gebracht werden sollte. Das deutsche Gebiet war von der Warte der politischen Gestaltung aus gesehen so etwas wie ein Europa in der Nussschale. Dauerhafter Frieden in Europa könne nur erreicht werden, wenn das „deutsche System“ stabil, planbar, verlässlich und ohne Gefahr, menschlichen Leidenschaften ausgesetzt zu werden, errichtet werden könne.16 Die Festlegung des Programms für Wien war in der Annahme erfolgt, es werde sich um einen kurzen Kongress handeln, der innerhalb weniger Wochen die noch zu klärenden Fragen beilegen könne.17 Nachdem Frankreich in territorialer Hinsicht auf den Status von 1792 reduziert worden war, sollte nun die Ausdehnung des Königreiches der Niederlande verhandelt, die Schaffung des Deutschen Bundes beraten, eine Verfassung für die Schweiz erarbeitet, ebenso die Freiheit der Schifffahrt auf internationalen Flüssen und das Verbot der Sklaverei beschlossen werden. Neu hinzu kam, dass die konkrete territoriale Regelung Deutschlands, Italiens und des Herzogtums Warschau noch verhandelt werden mussten, da vor allem der Status des letzten deutschen Staates, der mit Napoleon verbündet geblieben war, Sachsen, nicht geklärt war.18 Gerade das Beispiel der Vereinigten

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Zur Funktionsweise kollektiver Sicherheitssysteme vgl. Vgl. George W. Downs/Keisuke Iida, Assessing the Theoretical Case against Collective Security, in: Downs, George W. (Hrsg.), Collective Security beyond the Cold War. Ann Arbor/Mich. 1994, 17–37; Charles A. Kupchan/Clifford A. Kupchan, The Promise of Collective Security, in: International Security 20, 1995, 52–61. Vgl. die geheimen Instruktionen an Pahlen, 17./29.6.1815, in: VPR I/8, 387–390. Die besondere Bedeutung des deutshen Territoriums auch Mémoire sur l’état politique en Allemagne, écrit en Juin 1818, in: GARF, f. 573, op. 1, d. 488, 3r–10v, hier 4r. Vgl. den Bericht Golovkins, 21.6./3.7.1814, in: VPR I/8, 35–41, hier 40 f.; Memorandum Golovkins, 21.6./3.7.1814, in: ebd., 45–50; Memorandum Nesselrodes, 31.7./12.8.1814, in: ebd., 87 f. Zur Bedeutung der deutschen Territorien auf dem Wiener Kongress siehe Michael Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress. Mainz 1996, v. a. 65–98. Vgl. Sur le Plan des arrondissemens en Allemagne, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 13r– 16r. Vgl. den ersten Geheim- und Separatartikel des Ersten Pariser Friedens, in: CTS 63, 191. Vgl. Webster, Congress, 61–71. Zur sächsisch-polnischen Frage v. a. Reiner Marcowitz, Finis Saxoniae? Frankreich und die polnisch-sächsiche Frage auf dem Wiener Kongreß 1814/15,

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Niederlande, die auf Druck Englands entstanden waren, zeigt, dass der angedeutete Strukturwandel in den internationalen Beziehungen noch keinesfalls überall durchgesetzt war. Auf englisches Betreiben wurde in den Pariser Vertrag zur Legitimation dieses Aktes sogar explizit auf das Prinzip der Balance of Power verwiesen. Und auch die Regelungen, die für Italien gefunden werden sollten, zeigten deutlich einen machtpolitischen Schwerpunkt, denn Österreich konnte sich bereits mit dem Pariser Frieden weitestgehend sicher sein, seine Zugewinne auf der Halbinsel als abgesichert zu betrachten. Unberücksichtigt geblieben waren ebenso die Interessen des größten Kriegsgegners Frankreichs. Im Pariser Frieden wurden die Belange des besiegten Frankreichs geregelt, wohingegen sich die russischen Interessen vor allem auf den Vasallenstaat Warschau konzentrierten. Hier galt es in Wien zu verhandeln. Keine einfache Aufgabe, zumal Metternich eifrig in Großbritannien Stimmung gegen die Pläne des Zaren machte.19 Die russischen Verhandlungsziele lagen auf zwei Ebenen. Wichtige Ziele umfassten die territoriale Neuordnung Deutschlands und des Großherzogtums Warschau sowie die Regelung der Kriegsschulden. Nachgeordnet sollten die Versorgungsprobleme von Prinz Eugène und Marie-Luise behandelt, schließlich eine Regelung für Neapel und die Ionischen Inseln gefunden werden.20 Von weiteren Vereinbarungen mit Blick auf das europäische Miteinander ist in der Frühzeit des Wiener Kongresses keine Spur zu finden.21 Es blieb zwar bei der Prärogative der Großmächte, aber die betroffenen Staaten durften nun Stellungnahmen zu den Beschlüssen abgeben. Für die Beratungen über die deutschen Staaten wurde Frankreich mit der Begründung ausgeschlossen, dass es dort sonst zu erneuter Klientel- und Machtpolitik kommen würde, die einer dauerhaften friedlichen Neuordnung Europas im Wege stünde.22 Damit war das Land de facto von einer Mitsprache bei den drängenden Fragen der europäischen Neugestaltung ausgeschlossen. Eine Kommentatorenrolle war Frankreich nur in Fragen der allgemeinen politischen Situation oder in Fällen, in denen die eigene Sicherheit berührt wurde, zugestanden worden.23

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in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 68, 1997, 157–184. Eine Idee des Zaren war es, den König von Sachsen mit Etrurien zu entschädigen. Vgl. Autographe de l’Empereur sur les Bâses d’un arrangement général, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 23r f. Vgl. Liverpool an Nesselrode, 6./18.10.1814, geheim, in: VPR I/8, 115 f. Castlereagh hatte von Metternich keine besonders hohe Meinung. In einer Sammelcharakterisierung der Akteure auf dem Wiener Kongress warnte er geradezu: Kaiser Franz sei zwar ein christlicher Mann, aber seinem Minister könne niemandem trauen, da er Politik nur als „finesse and trick“ begreife. Castlereagh an Liverpool, 24.12.1814, in: Webster (Hrsg.), Diplomacy, 268–271, hier 268. Zu den ionischen Inseln vgl. Kapodistrias an Čičagov, 15./27.5.–21.5./2.6.1815, in: VPR I/8, 365 f.; ders. an Hardenberg, 21.5./2.6.1815, in: ebd., 368 f. Vgl. das Memorandum über die Interessen Russlands, 28.1./9.2.1815, in: VPR I/8, 185–188. Vgl. Tagebuch Steins während des Wiener Kongresses, in: Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. V, Nr. 318, 316–387, hier 316 f. Vgl. Protocole séparé d’une conférence tenue le 22 septembre., in: Comte d’Angeberg, Le Congrès de Vienne et les traits de 1815. 4 Bde. Paris 1864, hier Bd. 1, 249–251.

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Von allen Monarchen, die in Wien anwesend waren, war der Zar der einzige, der auch persönlich an ausgewählten Sitzungen des Kongresses teilnahm.24 Unterstützt wurde er dabei von einer internationalen und damit für das diplomatische Korps in Wien ungewöhnlichen Mannschaft: die deutschsprachigen Nesselrode, Stackelberg und Anstett, der Korse Pozzo di Borgo und der Korfiote Kapodistrias bildeten das Team, dem die russische Verhandlungsführung oblag. Dabei agierte der Zar in Wien einmal mehr als sein eigener Außenminister. Über manche Verhandlungen wurde sein Staatssekretär Nesselrode nicht einmal informiert, von einer Verhandlungsteilnahme ganz zu schweigen.25 Die Zusammenarbeit mit Österreich konnte durch regelmäßige Diners mit Franz intensiviert werden, daneben traf sich der Zar häufig zu Lage- und Arbeitsbesprechungen mit seinem Stab, mit La Harpe und Czartoryski, insbesondere wenn es um die „Polnische Frage“ ging. Die Anzahl der hochrangigen Berater Alexanders verstärkte die Unsicherheit bei den anderen Delegationen darüber, welcher Berater aktuell den größten Einfluss auf die Entscheidungen des Zaren ausübte, über wen man also am besten die Meinung des Zaren beeinflussen konnte. Alexander selbst wurde von den meisten Beobachtern des Kongresses als selbstherrlich, falsch und arrogant eingeschätzt.26 Der britische Gesandte Castlereagh nahm gegenüber Wellington kein Blatt vor den Mund: „The Emperor of Russia is profligate from vanity and self-sufficiency, if not from principle.“27 Das rauschende Leben der Bälle soll ihm wichtiger gewesen sein als die politische Arbeit, so dass der Fürst Ligne die viel zitierten Worte „Le congrès ne marche pas, mais il danse“ auf Alexander münzte, woraufhin er von diesem zur Rede gestellt wurde.28 Man hält ihn für einen Schwindler (fourbe), der sich vor ehrenwerten Leuten den Anschein des Philanthropen gibt, aber auch die Kanaille an sich zieht, um alle Welt für sich zu haben. Man glaubt, er sei falsch und ohne moralischen Fond, obgleich er von Religion redet wie ein Heiliger und allen äußeren Schein wahrt.29

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Wegen seiner Reise von Paris nach Sankt Petersburg wurde der Kongressbeginn nach hinten verlegt. Vgl. Nesselrode an die Vertreter Österreichs, Großbritanniens, Preußens, London, 10./22.6.1814, in: VPR I/8, 25. Nesselrode reiste vor, um in Vorgesprächen eine entsprechende Grundlage für die Verhandlungen zu schaffen. Vgl. Nesselrode an Alexander, 12./24.5.1814, in: ebd., 27 f. Vgl. die entsprechenden Aussagen vom Steins bei Botzenhart (Hrsg.), Stein, V, 201. Vgl. August Fournier, Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongress. Eine Auswahl aus ihren Papieren. Wien 1913, 33–50, hier 33. Castlereagh an Wellington, 23.12.1814, in: Webster, British Diplomacy, 267 f., hier 268. Fournier, Geheimpolizei, Vortrag vom 21.11.1814, 264 f. „Über den russischen Kaiser, der nie am Schreibtisch sitzt, der den Vormittag jeden Tag mit Truppen-Exercieren, Ausreiten, Ausfahren, Jagen, Besuchen zubringen will, höre ich sehr viel Reden“, war einer der Informanten der Geheimpolizei zu vernehmen. Ebd, 250. Ebd, 36.

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Hardenberg soll gegenüber Gneisenau den Zaren so charakterisiert haben: „Herrschsucht und Tücke im Gewand der Menschenfreundlichkeit und edler liberaler Gesinnung.“30 Für keine andere Zeit seiner Herrschaft liegt eine vergleichbare Fülle von gut dokumentierten negativen Äußerungen über den Charakter des Zaren vor. Die Äußerungen lassen sich großteils dadurch erklären, dass Alexander mit seinem Verhalten die Grenzen der Konventionen, die gerade in Wien zur Zeit des Kongresses besondere Beachtung erfuhren, sprengte. Der unmittelbare Zugang und die Freundschaft, die Alexander mit Personen pflegte, die nicht aus dem Hochadel stammten, wie etwa den Quäkern, sein Einsatz für den Abolitionismus, der aus seiner religiösen Wandlung zu erklären ist, und die demonstrative Milde im persönlichen Umgang – das waren Elemente seines Verhaltens, die in Wien auf dreifachen Widerstand stießen. Zum einen stießen sie auf die latent vorhandenen antirussischen Sentiments, die hinter jeglicher Politik Expansionsgelüste witterten. Des Weiteren auf die „vieille politique“, auf das Denken in Kategorien der Balance of Power, das einen vergleichbaren Effekt hervorbrachte. Schließlich schien es in Wien ganz und gar undenkbar zu sein, dass der russische Zar, der Autokrat, der an den Sitzungen des Kongresses selbst teilnahm, tatsächlich religiös erweckt worden war und dass persönliche Einstellungen sich in das Spiel der Diplomatie mischte.31 Eine der Fragen jenseits der Probleme einer europäischen Konsolidierung war die von England vorgebrachte Abschaffung des Sklavenhandels. Alexander hatte bereits im Vorfeld versprochen, sich während des Kongresses für dieses Thema stark zu machen und dieses Versprechen mit allgemeinmenschlichen Erwägungen begründet.32 Tatsächlich hat die russische Außenpolitik während des Wiener Kongresses ihren Einfluss auf die Mächte geltend gemacht, auf die nach dem Sieg über Napoleon moralischer Druck ausgeübt werden konnte. So argumentierte Tatiščev gegenüber dem spanischen Gesandten Cevallos, dass Sklavenhandel nicht mit den Prinzipien des Christentums vereinbar sei und sowohl Moral als auch Religion strikt dagegen sprächen.33 Dasselbe Argument wurde auch anlässlich der Entsendung des kurzzeitigen Gesandten in Madrid, Pëtr Fedorovič Balk-Polev,

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Pertz, Gneisenau, Bd. 4, 296. Alexander war durchaus in der Lage war, das Spiel der Diplomatie mit gezinkten Karten zu spielen. So war er wohl maßgeblich mitverantwortlich, dass die Beziehung Metternichs zur Fürstin Sagan endete, da diese einen Großteil ihres Vermögens in Russland hatte. Für den Fall einer Weiterführung der Liaison mit Metternich wurden ihr größere Schwierigkeiten prophezeit. Vgl. Fournier, Geheimpolizei, 233f, Vortrag vom 2.11.1814. Ähnlich Joseph de Maistre, 8.10.1814, in: ders., Correspondance, II, 20–31, hier 27 f. Vgl. einführend Fladeland, Pressures, 355–366; Nesselrode an Castlereagh, 19./31.5.1814, in: VPR I/8, 9; Nesselrode an Alexander, 30.12.1814 (NS), in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 84r–87v. Tatiščev an Cevallos, 25.2./9.3.1814, in: VPR I/8, 217 f. Dass es eine konzertierte Aktion Großbritanniens und Russlands gegen Spanien gab: Tatiščev an Nesselrode, 27.2./11.3., in: ebd., 221 f.

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wiederholt und um eine weitere Komponente vertieft: der Handel mit Sklaven sei gegen die Natur.34 Doch lässt sich keine Priorität dieser „Menschenrechtspolitik“ avant la lettre feststellen. Einziger Adressat blieb die spanische Regierung, die schließlich 1817 soweit gebracht werden konnte, dem Vertrag zur Abschaffung des Handels entlang eines Streifens an der afrikanischen Küste beizutreten.35 Die Rolle der russischen Politik in dieser Frage war es, die britische Politik zu unterstützen.36 1.1 Polnisch-sächsische Frage und Rückkehr Napoleons Mit der Niederlage Napoleons stand auch das Territorium des Großherzogtums Warschau zur Disposition.37 Auch wenn polnische Soldaten einen Teil der Grande Armée ausgemacht hatten, so versicherte Alexander seinem Jugendfreund Czartoryski bereits seit Anfang 1813, dass er keinesfalls in Kategorien von Rache denke und nach wie vor an der Idee der Wiederherstellung eines polnischen Staates festhalte.38 Auf die Ankündigung folgten Taten. Im Februar 1813 erließ der Zar ein Manifest, das den polnischen Teilnehmern bei der Invasion Russlands Amnestie zusagte, zudem wurden die polnischen Kriegsgefangenen freigelassen.39 Czartoryski, der die Zeichen der Zeit zu deuten wusste, ergriff die Gelegenheit beim Schopf, um verstärkt auf ein unabhängiges Polen hinzuwirken, das in Personalunion vom russischen Autokraten als konstitutionellem König von Polen regiert werden sollte. Es ist daher wenig überraschend, dass die russische Diplomatie in der polnischen Frage auf dem Wiener Kongress kein einheitliches Bild abgab. Nesselrode, der ansonsten eher den Ruf hatte, lediglich das Sprachrohr und ausführende Organ des Zaren zu sein, verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Wiederherstellung Polens ein großer Fehler sei, in einem vertraulichen Zusatz einer Depeche an

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Alexander an Balk-Polev, Mai 1815, in: ebd., 362 f. Vgl. Bericht Nesselrodes an Alexander, 31.12.1814, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 84r–87v; Ana Maria Schop Soler, Un siglo de relationes diplomaticas y commerciales entre España y Rusia 1733–1833. Madrid 1984, 201. Vgl. Nesselrode an Alexander, 18./30.10.1814, in: VPR I/8, 152 f. Vgl. einführend Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 564–575. Vgl. Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 115. Zur polnischen Frage auf dem Wiener Kongress vgl. Markert, Politik, 54–62; Schroeder, Tranformation, 523–537. Grundlegend zur systemischen Bedeutung des Staates: Klaus Zernack, Polens Einfluß auf die Wandlungen des europäischen Staatensystems von den Teilungen bis zur Reichsgründung, in: Krüger (Hrsg.), Staatensystem im Wandel, 122–130, ders., „Negative Polenpolitik“ und deutsch-russische Beziehungen, in: Thomas, Ludmilla/Wulff, Dietmar (Hrsg.), Deutsch-russische Beziehungen. Ihre welthistorische Dimension vom 18. Jahrhundert bis 1917. Berlin 1992, 68–73. Vgl. Zawadzki, Czartoryski, 227.

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Pozzo di Borgo nannte er diese Pläne „[t]outes ces malheureses idées“.40 Mit dieser Einschätzung teilte er die Meinung eines Großteils der in Wien anwesenden Diplomaten, widersprach damit aber gleichzeitig der Auffassung seines Monarchen. In der Folge verlor der Staatssekretär rapide an Einfluss, bat vergeblich um Aufklärung über die eigentlichen Absichten des Zaren, bis schließlich zwischen dem Zaren und seinem de facto-Außenminister eine Art Funkstille herrschte:41 ein deutliches Zeichen, dass es Alexander ernst war in der polnischen Frage.42 Seine Stellung übernahm Adam Czartoryski, der den Zaren bereits nach London begleitet hatte und nun als Berater nach Wien eingeladen wurde, freilich ohne ein entsprechendes Amt. Castlereagh beschwerte sich über diese spezifische Art der undiplomatischen Diplomatie bitterlich: The Emperor has latterly, on the question of Poland, ceased to act through his regular servants. It is unfortunately his habit to be his own minister, and to select as the instrument of his immediate purpose the person who may happen to fall in most with his views.43

Auch wenn Czartoryski als Außenminister und Sprachrohr des Zaren in der polnischen Angelegenheit auftrat – einen deutlich spürbaren Einfluss auf die Entscheidungen seines Dienstherren hat er nicht nehmen können. Das, was ihm für Polen vorschwebte, unterschied sich grundsätzlich von den Ergebnissen der Verhandlungen in Wien. Und was für Czartoryski galt, musste umso mehr für den Rest der Entourage des Zaren gelten. Alexander blieb unabhängig von seinem politischen Personal: il n’y a pas dans le monde de prince plus soupçonneux, surtout sur ce point, et il a, pour deviner les inclinations particulières des hommes, un tact et un instinct qui passent l’imagination; il voit arriver de mille lieues l’homme qui veut le mener ici ou là. Je crois qu’il demeurera parfaitement indépendant et impassible.44

Der Zar war in der Durchsetzung seiner politischen Ideen also durchaus eigenständig. Das bedeutete allerdings nicht, dass er keinen Rat einholte und diskutierte, um zu einer Entscheidung zu gelanden. Auf dem Weg nach Wien machte er Station in Puławy und führte dort mit Czartoryski und Novosil’cev Gespräche über die Zukunft des polnischen Staates. Seit Beginn des Krieges hatte sich der 40

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Dies war schon die früher geäußerte Meinung, vgl. das Memorandum über die polnische Frauge in Nesselrode, Lettres et Papier, Bd. 4, 313–320. Vgl. auch Nesselrode an Pozzo di Borgo, 21.06./02.07.1814, in: Pozzo di Borgo (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, Nr. XII, 29 f. Vgl. Nesselrode an Alexander, 13./27.9.1814, in: AVPRI, f. 133, op. 469, d. 11686, 48r–58v. Hierzu gibt es eindrückliche Zeugnisse. Stein, Tagebuch, 18.–23. November, in: Stein, Briefe, Bd. V, 336 und 349 f. Stein führt den Abstieg Nesselrodes auf eine zu enge Annäherung an Metternich zurück. Vgl. auch Gentz an Karadja, 1.1.1816, in: Gentz, Dépêches, Bd. I, 195– 214, hier 202 f. Castlereagh an Liverpool, 5.11.1814, in: Webster, British Diplomacy, 222–227, hier 222; vgl. auch ders. an dens., 24.12.1814, in: ebd., 268–271, hier 269: „although not in any official situation, [Czartoryski] appears now the actual Russian minister, at least in Polish and Saxon questions.“ Brief Joseph de Maistres vom 26.9./8.10.1814, in: Joseph de Maistre, Mémoires politiques et correspondance diplomatique de Joseph de Maistre. Paris 21859, 20–31, hier 27 f.

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Zar ausgesprochen positiv zu der Idee geäußert, einen polnischen Staat wiederherzustellen, und war seither in engem Austausch in dieser Frage mit seinem ehemaligen Außenminister Czartoryski gewesen.45 Noch im Januar 1813 hatte Alexander seinem Jugendfreund versichert, er werde an seinen Lieblingsideen festhalten, trotz der großen nationalen und internationalen Schwierigkeiten, die das mit sich bringen werde: Ayez quelque confiance en moi; dans mon caractère, dans mes principes, et vos espérances ne seront plus trompées. A mésure que les résultats militaires se developperont, vous verrez à quel point les intérêts de votre patrie me sont chers et combien je suis fidèle à mes anciennes idées.46

In der folgenden Zeit warb Adam Czartoryski unermüdlich in Polen – vor allem aber in England – für die Pläne des Zaren, galten sie ihm doch als die einzige Chance auf eine baldige Wiederherstellung seines Heimatlandes. Mit der polnischen Frage im Gepäck reisten daher nicht nur die russischen Teilnehmer zum Wiener Kongress. Der Zar selber hatte sie im Oktober 1814 sogar zu einer Schlüsselfrage für die Sicherheit Euopas erklärt, sowohl in territorialer als auch in allgemein-politischer Hinsicht.47 Bereits bei den Präliminarverhandlungen Mitte September 1814 war diese Frage in einer Konferenz zwischen Nesselrode, Hardenberg, Metternich und Castlereagh kontrovers erörtert worden.48 Während Castlereagh grundsätzlich zur Vorsicht und Besonnenheit mahnte und Hardenberg vor allem darauf drängte, dass Thorn in preußischen Besitz falle, zeigte sich, dass die Differenzen zwischen Metternich und Nesselrode kaum zu überbrücken waren. Die russische Argumentation kreiste in dieser Runde vor allem um die Frage, wie die Eingliederung des polnischen Gebietes in den russischen Herrschaftsbereich legitimiert werden könne. Diese sei dadurch gerechtfertigt, dass die Eroberung des Gebietes ohne alliierte Hilfe erfolgt sei, folglich sei es nur natürlich – Nesselrode benutzt den Ausdruck „naturel“ –, dass das Gebiet nun als Kompensation für die erbrachten Verluste und Opfer betrachtet werde.49 Als Zeichen des guten Willens könnten Österreich die lukrativen Salinen von Wieliczka angeboten werden, ebenso könne mit Preußen über einen Landkorridor zwischen den preußi-

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Vgl. Kennedy Grimsted, Foreign Ministers, 222 f. Auch Freiherr vom Stein teilte die Einschätzung, dass der Zar moralische Erwägungen den Vorrang gegenüber realpolitischen gab. Vgl. Stein an Hardenberg, Oktober 1814, in: Botzenhart (Hrsg.), Stein, V, 61 f. Alexander an Czartoryski, 13.1.1813, in: Czartoryski (Hrsg.), D’Alexandre Ier et le Prince Czartoryski, 206–212, hier 208. Vgl. Alexander an Lieven, 15./27.10.1814, in: VPR I/8, 139–144, hier 141 f. Vgl. Stackelberg an Nesselrode, 27.6./9.7.1814, in: VPR I/8, 58 f.; ders. an dens. 9./21.7.1814, in: ebd., 67 f.; besonders: Nesselrode, Bases d’un arrangement général, nach dem 31.7./12.8.1814, in: ebd., 87 f. Vgl. Markert, Politik, 60–62. La Harpe hatte vergeblich versucht, eine vermittelnde Position einzunehmen, indem er darauf hinwies, dass Thorn und Krakau den Ärger nicht wert seien. Vgl. Laharpe an Alexander, 8.–9.11.1814, in: VPR I/8, 124–126.

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schen Territorien und Schlesien verhandelt werden.50 Um dies zu verhindern, wandte Metternich geschickt ein, dass die Eroberung nur deshalb erfolgreich verlaufen sei, weil Österreich de facto die Aufgaben eines Verbündeten übernommen habe, auch wenn die beiden Mächte de iure nicht vertraglich liiert gewesen seien. Ein stärkeres Argument noch war der Appell an Alexanders Glaubwürdigkeit, hatte dieser doch wiederholt betont, dass Russland an keinem territorialen Zugewinn interessiert sei. Zudem sei eine Vergrößerung dieses Ausmaßes nach den Annexionen von Bessarabien und Finnland ungerecht den anderen Staaten gegenüber, und darüber hinaus müsse die Stationierung von russischen Soldaten in einer Entfernung von zehn Tagesmärschen zu Wien beziehungsweise drei Tagesmärschen zu Lemberg wie eine kaum verklausulierte Drohung wirken. Metternich ging schließlich sogar soweit, einen Krieg zwischen Österreich und Russland für die Zukunft nicht auszuschließen und den europäischen Frieden als gefährdet anzusehen, wenn der Name „Polen“ benutzt werde.51 Tatsächlich waren sich die Vertreter Englands, Österreichs und Preußens darin einig, dass das Gebiet unter keinen Umständen den Namen Polens führen dürfe, um nicht nationale Sehnsüchte zu befördern. In Metternichs Worten: „Elle [=la Pologne, PhM] renferme tous les germes de troubles qu’il eût été si désirable de faire cesser en Europe, elle est tout à fait contraire aux traités existants“.52 Nur wenige Tage später, am 28. September, erfolgte russischerseits das folgenschwere Angebot an Preußen, mit Sachsen kompensiert zu werden. Insgesamt gerierte sich der Zar seit Beginn des Kongresses als advocatus Poloniae, indem er einen polnischen Staat forderte, der um die nach der letzten Teilung an Preußen und Österreich verlorenen Gebiete wiederhergestellt, unter seiner Herrschaft stehen sollte.53 Dafür sollten im Gegenzug Österreich und Preußen entschädigt werden. Österreich mit der Lombardei, Venetien, Tirol, Salzburg und Dalmatien. Preußen sollte einen Großteil Sachsens zugesprochen bekommen, dessen Rest zwischen Coburg und Weimar aufgeteilt werden sollte. Dieser Plan scheiterte allerdings am Widerstand von England und Österreich. Weiter versuchte es Alexander mit einem neuen Vorschlag, der über Nesselrode am 30. Dezember den anderen Mächten vorgelegt wurde: die Gebiete um Poznan und Tarnopol sollten nun an Preußen beziehungsweise Österreich fallen, Thorn und Krakau als freie Städte etabliert werden.54 Der verbleibende Rest des Herzogtums Warschau sollte an Russland gehen und dort sollte eine Verfassung eingeführt werden.55

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Nesselrode an Alexander, 13./25.9.1814, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 48r–58r, hier 48r. Das Salzbergwerk von Wieliczka war ein durchaus als großzügig zu bezeichnendes Angebot, die Traditionsmine war nach wie vor sehr profitabel. Ebd., 48v–51v. Ebd. Mit den existierenden Verträgen spielt Metternich auf die Vereinbarung der Teilungsmächte an, den Namen Polen nicht mehr zu benutzen. Vgl. Troickij, Rossija, 58; Anweisungen an Razumovskij, 3./15.2.1815, in: RGADA, f. 1, op. 1, d. 533, 6v–11r. Zu den Verhandlungen vgl. Ritter, Stein, 504 f. Vgl. auch Alexander an Razumovskij, 3./15.2.1815, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 533.

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Dieser Vorschlag war für Metternich aus einem bestimmten Grund nicht annehmbar. Denn er beinhaltete die Zusage, dass die in Preußen oder Österreich lebenden Polen eigene nationale Institutionen erhalten sollten. Das war aus der Perspektive des Vielvölkerstaates Österreich nicht hinnehmbar. Talleyrand nutzte diese Situation geschickt aus, um die ehemalige Koalition der Sieger gegen Napoleon zu spalten und gleichzeitig Frankreich wieder in eine Lage zu bringen, in der Entscheidungen nicht mehr ohne Paris getroffen werden konnten.56 Ein weiteres Aktionsfeld war die Frage nach dem Verbleib des Schwiegersohnes des bayerischen Königs, Eugène de Beauharnais, der als ehemaliger Großherzog von Frankfurt eine territoriale Entschädigung begehrte. Kurzfristig war Parma ins Auge gefasst worden, aber aufgrund der politischen Entwicklungen in Italien und Eugènes eigenen Abneigungen war dieser Plan nur von kurzer Dauer.57 Metternich schlug vielmehr vor, dass Eugène auf deutschem Gebiet entschädigt werden und dabei unter bayerischer Souveränität stehen sollte – was wiederum die bayerische Sorge provozierte, dass damit die eigenen Kompensationsansprüche verringert werden könnten.58 Der bayerische Gesandte Wrede wandte sich mit seinem Protest nicht an Metternich, von dem der Vorschlag stammte, sondern an den Kaiser persönlich, ebenso an Castlereagh und den Zaren.59 Auch wenn diese sich aufgeschlossen zeigten, sich für Napoleons Stiefsohn Eugène einzusetzen, so mussten zunächst die dringenderen Fragen der territorialen Neuordnung der deutschen Gebiete geklärt werden. Während der Herbstmonate des Jahres 1815 setzte sich die russische Verhandlungsführung durchgehend für Eugène de Beauharnais ein, schlug vor, ihn mit dem ehemaligen Besitz Bernadottes, Pontecorvo, zu entschädigen, ehe er schließlich als Herzog von Leuchtenberg tatsächlich unter bayerische Souveränität gelangte.60 In den letzten Wochen des Jahres 1814 gerieten die Verhandlungen mehr und mehr ins Stocken und drohten zu scheitern, so dass ab Dezember die vier Großmächte begannen, sich auf russische Initiative in offiziellen Konferenzen zu verständigen. Von diesen Wendungen unbeeindruckt schlossen Frankreich, Österreich und England am 3. Januar 1815 eine gegen Russland und Preußen gerichtete Allianz. Dieses Bündnis hätte den Verlauf des Kongresses grundlegend beeinflussen und zu anderen Ergebnissen führen können. Dass es nicht von langer Dauer war, lag an der Rückkehr Napoleons. Dieses Ereignis hatte den Kongress unvorbereitet getroffen. Ausgerechnet von Metternich, mit dem er in Folge des Streits 56 57 58 59 60

Aus russischer Perspektive schien England die Verhandlungen zu torpedieren. Vgl. Nesselrode an Lieven (geheim), 23.2./7.3.1815, in: VPR I/8, 216 f. Schließlich sollte Marie-Luise mit Parma, Piacenza und Guastalla versorgt werden. Vgl. Alexander an Marie-Luise, 10./22.11.1814, in: VPR I/8, 132. Vgl. Kraehe, Metternich, Bd. II, 31 f. Vgl. Adam Sahrmann, Pfalz oder Salzburg? Geschichte des territorialen Ausgleichs zwischen Bayern und Österreich, 1813–1819. München 1921, 33. Vgl. Kapodistrias an Metternich, 16./28.10.1815, in: VPR I/8, 573f; Kapodistrias an Nesselrode, 16./28.10.1815, in: ebd., 576 f.; Razumovskij und Kapodistrias an Metternich, 31.10./12.11.1815, in: ebd., 587–589.

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über die polnisch-sächsische Frage mehrere Wochen kein Wort gewechselt hatte, wurde der Zar über dieses Ereignis informiert. In einem Brief informierte Alexander seine Mutter unmittelbar über den Fortgang der Rückeroberung Frankreichs durch den gestürzten Kaiser: Enfin Napoléon est parti le 26 février de son île d’Elbe, mais non pas seul! C’est en embarquant tout son monde, c’est-à dire deux bataillons et deux cents cavaliers avec quelques pieces d’artillerie de campagne, en tout 1 200 hommes!!!61

Der Zar spielte verschiedene Szenarien durch. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es nicht unwahrscheinlich sei, dass Napoleon auf Paris marschieren werde. Le voilà dès ce moment redevenu empereur des Français comme par le passé et nous, si nous ne voulons pas derechef succomber avec le plus vigueur que jamais, pour l’empêcher justement de s’en saisir davantage […]; j’avoue, chère Maman que cette perspective est désolante.

Wie in anderen privaten Schriftstücken wurde Napoleon auch in diesem Brief an seine Mutter als „génie du mal“ bezeichnet. Es kann also angenommen werden, dass die Verteufelung des französischen Kaisers keine reine Propaganda-Figur war, sondern für Alexander eine Glaubenswahrheit, zumal ein expliziter Zusammenhang zur Religion hergestellt wurde. Der Untergang Napoleons sei unausweichlich. „[…] je la [=la conviction, PhM] sur les paroles de notre Sainte Religion porvu toutefois que nous parvenions jusqu’au bout comme cela nous est prescrit.“ Der Brief schließt mit einem Absatz, der wiederum die Sphäre des Politischen transzendiert. Enfin remettons-nous à cet Être Tout-Puissant avec résignation et sans murmures et tâchons de notre mieux de remplir Sa Volonté Suprême. C’est la seul but que nous devons tous avoir uniquement en vue […].

Alexander beginnt mit einer nachgerade aufgeregt zu nennenden Schilderung der Rückkehr Napoleons, diskutiert im Anschluss daran alle möglichen Szenarien, um sodann das Schlimmste für realistisch zu erklären. Die tröstliche Wendung am Schluss hat das unmittelbar drohende Szenario des zurückgekehrten Kaisers Napoleon jedoch in den Hintergrund treten lassen und setzt ganz und gar auf die Erlösung durch den Glauben.62 Die Ereignisse sollten der Prognose des Zaren Recht geben. Nach der Flucht von der Insel Elba am 1. März konnte sich Napoleon bereits drei Wochen später wieder auf den Thron setzen, nachdem Ludwig XVIII. geflohen war. Napoleon hatte versucht, seine alte Taktik wieder anzuwenden und die Alliierten zu entzweien, indem er Alexander eine Abschrift des gegen Russland gerichteten Allianzvertrages der Alliierten zukommen ließ. Doch änderte auch dieser Zug nichts an der Überzeugung des Zaren, der das Vertragsdokument als Rückfall in die

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Der Brief ist abgedruckt bei: Martin, Maria Fédorovna, 405–408. Dort auch die folgenden Zitate. Vgl. auch Lieven an Nesselrode, 6./18.3.1815, in: VPR I/8, 231 f. Vgl. auch Alexander an seine Mutter, März 1815 (Entwurf), in: RGADA, f. 1, op. 1, d. 3, 42r–48v.

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„vieille politique“ wertete und entsprechend ignorierte.63 Die Rückkehr Napoleons führte sogar zu einer Aussöhnung zwischen Alexander und Metternich, in dessen Gefolge auch Staatssekretär Nesselrode rehabilitiert wurde.64 Am 18. Juni endete das Intermezzo der „Hundert Tage“ mit der katastrophalen Niederlage bei Waterloo. Erneut wurde in Paris über einen Frieden verhandelt, der als Zweiter Pariser Frieden am 8. November 1815 geschlossen wurde. Vor allem von britischer und preußischer Seite waren in diesem Zusammenhang harte Strafen für Frankreich gefordert worden, so dass Ludwig XVIII. sich gezwungen sah, bei Alexander zu intervenieren, dieser möge sich für ihn verwenden. Als Zeichen seines guten Willens ernannte er den Herzog von Richelieu, der während der napoleonischen Herrschaft als Gouverneur von Odessa der Hafenstadt zu einem beachtlichen Aufschwung verholfen hatte, zum Außenminister. Dass keine weiteren Gebietsabtretungen in diesem Frieden erfolgten, war der Fürsprache des russischen Zaren zu verdanken. Dies ist freilich nicht auf eine besondere Verbundenheit zum Land oder seinem Monarchen zurückzuführen. Alexander setzte sich für den Fortbestand Frankreichs aus einer höheren Perspektive, der Perspektive Europas und des europäischen Equilibriums, ein.65 An seine Schwester schrieb er Anfang Oktober 1815 noch, dass er nicht geringe Lust verspüre, seinen Rachegefühlen nachzugeben.66 Doch im Interesse eines höheren Wohls wusste Alexander, diese Neigung zu kanalisieren. In einer detaillierten Argumentation setzte der Zar dem preußischen Heeresreformer Gneisenau auseinander, wie mit Frankreich nun umzugehen sei. Da Europa kollektiv gegen Despotismus und Eroberungsgeist gekämpft habe, dürfe jetzt nicht Rachsucht und das Recht des Stärkeren zur Doktrin erhoben werden. Auf diese Weise würden das französische Volk und sein König nur in eine erneute Opferrolle gebracht. In weiterer Konsequenz dürfe man Frankreich nicht einer effektiven Verteidigungslinie berauben, denn das würde zwangsläufig eine verlängerte Besatzungszeit nach sich ziehen, um das Land vor inneren Unruhen zu schützen. Zum anderen wäre eine dauerhafte Einigung mit der französischen Regierung dann kaum noch möglich. Nur eine auf Dauer gesicherte französische Regierung könne helfen, dem „intérêt général“ zu 63

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Vgl. die verschiedenen Schreiben Nesselrodes an Pozzo di Borgo vom 21.4./3.5.1815, in: SIRIO 112, 1901, 203–215. Dennoch ließ er eine Depesche an Lieven entwerfen, die allerdings nicht abgesandt wurde, in der er dieses Bündnis als Rückfall in „ancienne diplomatie“ geißelte, die dem System gegenseitiger Garantien im Weg stünde. Vgl. Nesselrode an Lieven (réservée), 5./17.6.1815, in: VPR I/8, 376–378. Vgl. Stein, Tagebuch, 13.03.1815, in: Stein, Briefe, Bd. V, 374 f., sowie Gentz an Karadja, 26.06.1815, in: Gentz, Dépêches, Bd. I, 152–171, hier 160 f. Alexander informierte Ludwig XVIII. umgehend darüber, dass sich russische Truppen auf den Marsch nach Frankreich gemacht hatte, Vgl. Alexander an Ludwig XVIII., 16./28.3.1815, in: VPR I/8, 251 f. Zu den Verhandlungen um Besatzung und Entschädigung vgl. Nesselrode an die Vertreter Österreichs, Großbritanniens und Preußens, 14./26.7.1815, in: ebd., 438 f.; Instruktionen an Barclay, 16./28.7.1815, in: ebd., 440 f. Vgl. die Zirkularnote Nesselrodes vom 14./26.09.1815, in: VPR I/8, 519 f. Alexander an seine Schwester, 1.10.1815, zit. n. André Ratchinski, Napoléon et Alexandre Ier. La guerre des idées. Paris 2002, 346.

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dienen, das eindeutig definiert wurde als Frieden in Europa.67 Offensichtlich hatte die Rückkehr Napoleons eine katalysatorische Wirkung, denn fortan forderte der Zar offensiver eine moralische Dimension als Grundlage der internationalen Beziehungen: „Il est temps [...] que la morale rentre dans les rapports politiques des Etats.“68 Nicht verhandelbar war für den Zaren, dass die Familie Napoleons fortan von allen politischen Entscheidungen in Frankreich ausgeschlossen werden müsse. Dies war ihm so wichtig, dass er bei der britischen Regierung nachdrücklich darauf hinwirkte, dass dieser Punkt kein beiläufiger Passus in den Friedenverhandlungen werde, sondern an zentraler Stelle festgeschrieben werde.69 Für das zu schließende Bündnis der Alliierten war die russische Position eindeutig. Da von Frankreich nach der endgültigen Verbannung Napoleons keine Gefahr mehr ausgehe, müsse nun der Blick auf Europa als Ganzes gerichtet werden. Ein neuerlicher Bündnisvertrag auf der Grundlage des Vertrags von Chaumont vom März 1814 könne daher nur temporären Charakter haben und müsse auslaufen, sobald Frankreich wieder in das europäische System integriert worden sei.70 Trotz des russischen Einsatzes waren die Konditionen des Zweiten Pariser Friedens deutlich ungünstiger. Frankreich wurde auf die Grenzen von 1790 zurückgesetzt. Zwar blieben dem Land Avignon, Venaissin, Montbéliard (Mömpelgard) und Mulhouse; aber Bouillon, die Festungen Philippeville und Marienbourg wurden an die Niederlande abgetreten, Saarlouis und Saarbrücken an Preußen, Landau an Bayern, die Schweiz bekam die Region Gex, und ein Großteil des Piemonts wurde dem Königreich Sardinien zugesprochen. Auch die Kolonien Santa-Lucia, Tobago, die Île de France und Malta mussten abgetreten, schließlich eine Entschädigung in Höhe von 700 Millionen Francs gezahlt werden. In den nordöstlichen Grenzgebieten sollten für fünf Jahre insgesamt 150.000 alliierte Soldaten stationiert werden.71 Am 20. November erneuerten die Alliierten feierlich den in Chaumont geschlossenen Pakt. Auf die Unterzeichnung hatte der Zar über Monate kontinuierlich hingearbeitet.72 Auch in der Polnischen Frage war der Knoten nun geplatzt. Am 3. Mai 1815 wurde ein Freundschaftsvertrag zwischen Russland, Preußen und Österreich unterzeichnet. Die Ergebnisse dieses Vertrages sind in der Wiener Schlussakte zum überwiegenden Teil übernommen worden. Zwar behielt Russland einen Teil des Herzogtums Warschau, inklusive der Stadt selbst, sowie das Recht, sich gleichzei67 68 69 70 71 72

Réponse aux observations consignées dans le mémoire de M. le général comte Gneisenau, in: VPR I/8, 479–484. Vgl. ebd., hier 479 f. Vgl. Razumovskij und Kapodistrias an Nesselrode, 5./17.10.1815, in: VPR I/8, 551. Vgl. das Memorandum Razumovskij und Kapodistrias an die Vertreter Österreichs, Großbritanniens und Preußens, 9./21.10.1815, in: ebd., 565–567. Alexander an M. Voroncov, 12./24.09.1815, in: VPR I/8, 512 f. sowie Zirkularnote Nesselrodes vom 14./26.09.1815, in: VPR I/8, 519 f. Vgl. die Instruktion Alexanders an Razumovskij und Nesselrode, 12./24.09.1815, in: VPR I/8, Nr. 226, 505–507.

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tig König von Polen nennen zu dürfen, aber nicht unbedeutende territoriale Bestandteile wurden an Preußen (Poznan und Kalisch) und Österreich (Tarnopol) abgetreten. Krakau wurde zur Freien Stadt erklärt. Die in die Wiener Schlussakte aufgenommene Formulierung, dass „landständische Verfassungen“ in den Ländern erlassen werden sollten, fand ebenfalls Eingang in den Vertrag. Bereits auf dem Wiener Kongress war im Stab Alexanders die heikle Frage nach dem Umgang mit einer polnischen Nation kontrovers diskutiert worden.73 In einem Memorandum hatte Pozzo di Borgo aus diplomatischen Erwägungen davor gewarnt, einen eigenständigen polnischen Staat zu errichten mit entsprechenden Institutionen wie einer Armee und einer Volksvertretung, da dies unweigerlich zu einem nationalen Zusammenschluss der Polen führen würde. Ein weiteres Argumente war, dass der Zar dann zwei unterschiedliche Kronen trage, die mit ungleichen Rechten – auch für die jeweiligen Untertanen – verbunden wären, was zu sozialen Unruhen führen könne. Kern der Argumentation war allerdings die Sorge um das Verhältnis des Zarenreiches zu Europa insgesamt. Ein unabhängiges Polen werde Russland erst recht als barbarisch erscheinen lassen: „C’était pour plonger la Russie dans la barbarie et pour en faire exclusivement une puissance asiatique […].“74 Daher plädierte Pozzo dafür, das polnische Problem auf die Frage der polnischen Grenzen zu reduzieren und alle neuen Formen der Staatsorganisation auf die neu erworbenen Gebiete zu beschränken und führende Positionen in der Verwaltung überwiegend mit polnischen Staatsbürgern zu besetzen. Diese Maßnahmen sollten sowohl in Verträgen mit den Alliierten als auch durch Ukaze bekannt gemacht und abgesichert werden.75 1.2. Eine Verfassung für „Kongresspolen“ Damit war zumindest der Anspruch der Polen auf eine eigene Nation wiederhergestellt. Dies geschah zur Zeit zwar nur bruchstückhaft, da Teile des Staatsgebietes fehlten, aber durch die Aufnahme der Klausel der Repräsentativverfassung war Polen wieder auf eine Stufe mit den anderen Nationen Europas gerückt. Unter den gegebenen Umständen hatte Alexander sein Versprechen, sich für das Entstehen des polnischen Staates einzusetzen, tatsächlich eingelöst – wenn wohl auch kaum im Sinne Czartoryskis. Das Königreich Polen, „Kongresspolen“, mit seiner Verfassung vom 27. November 1815, war tatsächlich ein polnischer Staat, wurde allerdings in das russische Empire einverleibt76 – und hatte eine durch und durch 73

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Vgl. etwa Karl Griewank, Preußische Neuordnungspläne für Mitteleuropa aus dem Jahre 1814, in: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 6, 1942, 342–360 sowie Kraehe, Metternich Bd. 2, 33–37. Das Memorandum Pozzos „sur la question polonaise, 8./20.10.1814, in: GARF, f. 679, op. 1, d. 47. Vgl. ebd. 10r f. Das zeigt sich auch an der Bezeichnung des „Royaume“. Es wurde in den russischen Dokumenten als „carstvo“ geführt, wie die anderen (teil-)souveränen Gebiete des Empires auch.

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liberale Verfassung, die von einer Gruppe polnischer Adeliger unter der Regie Adam Czartoryskis entworfen und von Alexander minutiös redigiert worden war.77 Die Verfassung beruhte größtenteils auf einem Papier mit dem Namen „Bases de la Constitution du Royaume de Pologne“ vom 13./25. März 1815.78 Neben dem habeas corpus-Prinzip wurde eine Volksvertretung mit Haushaltsrecht eingeführt. Grundsätzlich wurden alle christlichen Konfessionen gleichgestellt, wenn auch der katholischen Kirche als „religion nationale“ ein Sonderstatus eingeräumt wurde. Polnisch wurde Amtssprache, alle Posten in der Staatsverwaltung mussten von Untertanen des Königreiches besetzt werden, und schließlich sollte ein Staatsrat unter der Führung des Vizekönigs die weitere Ausarbeitung der Gesetze übernehmen.79 Die Verfassung sah ein auf ewig an Russland gebundenes Königreich Polen vor (Art. 1), dessen Einwohnern Gleichheit vor dem Gesetz und eine ganze Reihe von persönlichen Freiheiten garantiert wurden (Art. 4, 11 ff.). Ein Repräsentativorgan, der Sejm, wurde eingerichtet, das aus dem König, sowie einem Oberund einem Unterhaus bestand (Art. 31; 85–107). Die Rechte (Art. 35–62) des Königs blieben umfassend. Er war Herr über Krieg und Frieden, vertrat das Königreich in völkerrechtlicher Hinsicht, war Oberkommandierender des Heeres und ernannte die Spitzen der Verwaltung. Außerdem bedurften alle Gesetze seiner Zustimmung. Aber: Bei Gesetzen, die vom König ausgingen, hatte der Sejm ein Vetorecht. Diese Verfassung ging in der Garantie liberaler Grundrechte und Gedanken noch deutlich über das hinaus, was für Finnland Anwendung gefunden hatte. Polen war damit nach den Ionischen Inseln und Finnland das dritte Feld für verfassungspolitische Experimente. Was sich hier bewährt hatte, wurde einige Jahre später an anderer Stelle aufgegriffen und umgesetzt. So enthielt etwa das Statut für Bessarabien 1818 einen Großteil der in Polen und Finnland getesteten Prinzipien.80 Im November 1815 äußerte sich Alexander in einem Gespräch mit dem polnischen Adeligen Michael Oginski dahingehend, dass Polen ein Testfeld für solche politische Entwicklungen sein könne. Hier könne man studieren, dass liberale Reformen nicht schädlich seien für die Entwicklung des Landes, und auf diese Weise könne man auch die russische Gesellschaft davon überzeugen, entspre-

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Vgl. Rett R. Ludwikowski, Constitution-making in the region of former Soviet dominance. Durham, N.C, 1996, 12 f. sowie Zawadzki, Czartoryski, 261 f. Die Verfassung ist abgedruckt bei Tarnowska, Anna (Hrsg.), Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts, Bd.5: Polnische Verfassungsdokumente 1790–1848, München 2008, 71–95. Eine Diskussion der Verfassung bei Frank W. Thackeray, Antecedents of revolution. Alexander I and the Polish kingdom, 1815–1825. Boulder, Col./New York, NY 1980, 30–33. Zu den Überarbeitungen durch Alexander und für eine Analyse der Verfassung vgl. Mironenko, Samoderžavie, 150–154. Alexander hatte auf dem Wiener Kongreß noch mit Bentham, den er in London getroffen hatte, über die Verfassungsfrage diskutiert. Vgl. Alexander an Bentham, 10./22.4.1815, in; Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 150 f. Les Bases de la Constitution du Royaume de Pologne, in: Tarnowska, Verfassungen, 55–65. Vgl. Mironenko, Somoderžavie, 163.

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chende Reformen im eigenen Land als notwendig anzusehen.81 Allerdings waren diese Äußerungen im privaten Rahmen gefallen. Öffentlich hat sich der Zar zu solcherlei Aussagen erst anlässlich der feierlichen Eröffnung des Sejm am 15. März 1818 verleiten lassen.82 Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dort gewisse Schranken der Vorsicht eingehalten wurden. Als Vizekönig wurde Józef Zajaczek und nicht Adam Czartoryski eingesetzt. Zajaczek war ein frankophiler General, verheiratet mit einer Französin, und er blieb der einzige Vizekönig, den das Königreich Polen gesehen hat.83 Eindrücklichster Beleg dafür, dass diese Äußerungen deutlich mehr waren als heiße Luft, war, dass der Zar seinen Stellvertreter in Polen, Novosil’cev im Juni 1818 damit beauftragte, eine Verfassung zu entwerfen, die für das gesamte russische Reich gelten solle. Hierzu leistete der junge Dichter und Freund Puškins, Pëtr Vjazemskij, einen herausragenden Beitrag. Dieser hatte sich bereits einen Namen gemacht, als er die Eröffnungsrede Alexanders vor dem Sejm ins Polnische übertrug.84 Im Oktober 1819 wurde eine erste Version präsentiert, die noch einmal redigiert werden sollte. Im Ergebnis wurde das „Précis de la Charte constitutionnelle pour l’empire russe“ vorgestellt, das endgültige Ergebnis lag erst im Oktober 1820 vor.85 Das 191 Artikel umfassende Dokument zeigt eine erstaunliche Nähe nicht nur zur Charte constitutionnelle für Polen, sondern auch zur amerikanischen Verfassung, hier vor allem in Hinblick auf die angedachte föderale Neuorganisation des Empires.86

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Vgl. Mémoires de Michel Oginski sur la Pologne et les Polonais depuis 1788 jusqu’à la fin de 1815, Bd. IV, Paris 1827, 229–242, bes. 236; vgl. auch Mironenko, Samoderžavie, 154–156. Vgl. auch die Erinnerungen von Borstells „Desjat’ dnej moej žisni. Vospominanija generala Borstella poezdka imperatora Aleksandra I v Germanii v 1818“, in GARF, f. 728, op. 1, d. 633a. Recueil des Traités, Conventions et actes diplomatiqurs concernant la Pologne (1762–1862) par le Comte d’Angeberg. Paris 1862, 734–737. Bereits 1816 war diskutiert worde, ob Polen und Finnland Modellcharakter haben sollten, oder ob sie als vom Reich losgelöst zu betrachten seien. Vgl. John Paul LeDonne, Administrative regionalization in the Russian Empire, 1802–1826, in: Cahiers du Monde Russe 43, 2002, 5–34. Vgl. P. Maikov, Cartsvo Pol’skoe posle Venskogo kongressa, in: Russkaja Starina 4, 1902, 183–194. Die Literaturlage zu Vjazemskij ist dürftig. Die neueste Biographie ist: Maksim I. Gillel’son, P. A. Vjazemskij. Žizn’ i tvorčestvo. Leningrad 1969. RGADA, f. 3, razrjad III, d. 25. Das Dokument wurde aus verschiedenen Gründen nicht unterzeichnet und tauchte 1831 in den Unterlagen Novosil’cevs auf. Vgl. Theodor Schiemann, Eine Konstitution für Russland vom Jahre 1819, in: Historische Zeitschrift 72, 1894, 65–70; Alfred Stern, Ergänzung zu der Mittheilung „Eine Konstitution für Russland vom Jahre 1819“, in: Historische Zeitschrift 73, 1894, 284–287; Georg Vernadsky, Zur Geschichte des Entwurfs einer Konstitution für Russland v. Jahre 1819, in: Historische Zeitschrift 135, 1927, 423–427; Šil’der, Imperator, Bd. 4, 499–526. Grundlegend: Georges Vernadsky, La Charte constitutionnelle de l’empire russe de l’an 1820. Paris 1933. Vgl. George Vernadsky, Reforms under Czar Alexander I. French and American Influences, in: Review of Politics 9, 1947, 47–64. Der Verfassungsentwurf ist abgedruckt: M. Theodor Schiemann (Hrsg.), La Charte constitutionnelle de l’Empire de Russie. Publiée d’après l’original des archives de St. Pétersbourg, Berlin 1903.

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Sowohl das Reich selber sollte von einem Zwei-Kammern-Abgeordnetenhaus mitregiert werden, als auch die einzelnen Regionen.87 Auch in diesem Entwurf lag die Souveränität ungeteilt und unteilbar beim Monarchen (Art. 11 und 12), die Exekutivgewalt wurde jedoch aufgeteilt zwischen dem Monarchen und dem Abgeordnetenhaus, der „Diète de l’Empire“ (Art. 13). Weitgehende Zugeständnisse wie Religionsfreiheit (Art. 78), Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Garantie der Prinzipien habeas corpus und nulla poene sine lege wurden ergänzt um die Pressefreiheit und das Recht auf Freizügigkeit und den Schutz des Eigentums (Art. 80–89, 97). Es ist durchaus anzunehmen, dass diese Pläne ernst gemeint waren, auch wenn die Gesandten Preußens und Österreichs dies anders beurteilten.88 Dafür spricht zum einen, dass General Balašov in den zwanziger Jahren beauftragt wurde, sich bei der Reform des Gebietes Rjazan möglichst weitgehend an die Vorgaben dieser Charte constitutionnelle zu halten, und auch die Reformpläne Speranskijs für Sibirien weisen eine deutliche Nähe zu der polnischen Verfassung auf.89 Zum anderen lässt sich eine Kontinuitätslinie in den Gedanken und Entwürfen des Zaren vom ersten Entwurf einer Charta für Russland 1802 über die Verfassungspläne für die Ionischen Inseln, Finnland und Polen, die Eröffnungsrede vor dem Sejm 1818 und diesem Entwurf ziehen. Dass der Entwurf schließlich nicht unterzeichnet wurde, ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: die Sorge vor einer Adelsopposition und vor allem den Umstand, dass Alexander den Entwurf in die Hände bekam, als Europa vermeintlich von ubiquitären Revolutionen heimgesucht wurde, die es zu bekämpfen galt. Solche Erklärungsversuche bleiben letzten Endes allerdings Spekulation. Von Alexander ist keine Stellungnahme überliefert und da der Ort der Entstehung Warschau war, abgeschieden vom Hofklatsch in Sankt Petersburg oder Moskau, existieren auch keine Äußerungen aus seinem näheren Umfeld.90 Dass als Hauptgrund für den Umschwung allerdings die äußeren Ereignisse der erneuten revolutionären Unruhen in Europa zu vermuten ist, legt die Rede nahe, die Alexander anläßlich der Eröffnung des zweiten Sejm im September 1820 hielt. Diese Rede setzte gänzlich andere Schwerpunkte , indem sie thematisch um die jüngsten Ereignisse kreiste und mahnende Warnungen an die Abgeordneten richtete: „[…] le génie du mal s’essaye à reprendre son funeste empire, et déjà il plane sur une partie de l’Europe, déjà il accumule les forfaits et les catastrophes.“ Aus dieser pessimistischen Gegenwartsanalyse wurde als politische Aufgabe abgeleitet, die bestehenden Institutionen zu bewahren, um

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Vgl. John Paul LeDonne, Regionalism and Constitutional Reform 1819–1826, in: Cahiers du Monde Russe 43, 2003, 5–34. Vgl. Schiemann, Konstitution und Stern, Ergänzung, sowie Vernadsky, Entwurf. Vgl. hierzu LeDonne, Regionalism. Der Ansatz von Rey, Alexandre, 409 f., der das Ausbleiben einer Unterschrift vor allem auf den Einfluss der konservativen Hofgruppe um Karamzin und den der pietistischen Gruppe um Alexander zurückführt, kann nicht überzeugen in Anbetracht des Ortes (Warschau) und der Tatsache, dass die engen Kontakte mit den Pietisten bereits seit acht Jahren bestanden, ohne dass es einen negativen Einfluss auf liberale Überzeugungen des Zaren gegeben hätte.

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sie nicht kurzlebigen Emotionen zu opfern.91 Die vermeintlich restaurative Spitze wird allerdings abgemildert, wenn man sich vor Augen führt, dass immer noch Bezug auf die 1818 eingeführten „Institutions liberales“ genommen wurde. 2. AUF DEM WEG ZU EINER EUROPÄISCHEN FRIEDENSARCHITEKTUR Die Konstellation der drei Staaten Preußen, Österreich und Russland sollte vier Monate später der Ausgangspunkt für das Projekt der Heiligen Allianz werden. Preußen und Österreich waren dabei nicht zufällig die ersten Unterzeichner. Die Auswahl dieser beiden Staaten entsprach einer funktionalen Notwendigkeit: Nur durch die Zusammenarbeit der beiden Staaten konnte die Mitte Europas dauerhaft friedlich gehalten werden. Darüber hinaus setzte sich der Zar dafür ein, dass die Bourbonen die revolutionäre Charte constitutionnelle annehmen. Zudem drängte er auf die Einrichtung einer unabhängigen und neutralen helvetischen Konföderation, zu der auch die Kantone der Republik Genf, des Fürstentums Neuchâtel und des Valois zählen sollten. Auf Initiative Castlereaghs erneuerten die Alliierten im November 1815 die zwei Jahre zuvor geschlossene Quadrupelallianz, um im Falle einer erneuten Rückkehr Napoleons die entsprechenden Mittel zur Hand zu haben. Allerdings wurde der Vertrag, der in Chaumont am 20. November 1815 unterzeichnet wurde, um ein Element der aktiven Gestaltung der europäischen Politik erweitert. Aus einem ehemals reinen Abwehrinstrument wurde somit ein Mittel, in Friedenszeiten aktive Prävention im Sinne des europäischen Friedens zu betreiben und gegebenenfalls Mittel einzusetzen, die in moderner Terminologie als „friedenssichernde Maßnahmen“ bezeichnet werden können.92 Mit dem Vertrag von Chaumont beschlossen die Alliierten Pour assurer et faciliter l’éxecution du présent traité et consolider les rapports intimes qui unissent aujourd’hui les quatre souverains pour le bonheur du monde, les hautes parties contractantes sont convenues de renouveler, à des époques déterminées, soit sous les auspices immédiats des souverains, soit par leurs ministres respectifs, des réunions consacrées aux grands intérêts communs et à l’examen de mesures qui, dans chacune de ces époques, seront jugées les plus salutaires pour le repos et la prosperité des peuples et pour le maintien de la paix de l’Europe.93

In regelmäßigen Abständen sollten Vertreter der vier alliierten Mächte zusammenkommen, um gemeinsam über die drängenden Fragen der europäischen Politik zu beraten. Doch ging dies dem Zaren noch nicht weit genug. Er versuchte, die Gelegenheit zu nutzen, um ein neues europäisches System der internationalen

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Die Rede ist abgedruckt Angeberg, Pologne, 741–745, Zitat 744. Vgl. auch Webster, Castlereagh, I, 86 f. „Traité d’alliance [..]“, in: Näf (Bearb.), Europapolitik, 21; Herv. PhM. Vgl. auch Markert, Politik, 56 f. sowie Griewank, Kongreß, 46.

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Beziehungen zu etablieren, das auf moralischen Säulen ruhen sollte und damit letztbegründet und sakrosankt wäre. Als Rechtfertigung und Bezugspunkt führte Alexander immer wieder „Europa“ an.94 Unmittelbar vor Napoleons Flucht von der Insel Elba resümierte Nesselrode den Stand der Verhandlungen in Wien. Dabei fasste er die ursprünglichen Ideen des Zaren zusammen und rechtfertigte die durch den Gang der Verhandlungen erforderlich gewordenen Änderungen. Das ursprüngliche Vorhaben, die Nationen proportional zu ihrem im Krieg gegen Napoleon geleisteten Einsatz an der Konferenz zu beteiligen, hätte automatisch dem Kreis der Großmächte die Führungsrolle gesichert.95 Aus dieser Konstellation – so die russische Haltung – würde ein dauerhafter Frieden entstehen, da die Großmächte zu gerechten Teilen in die Herstellung der europäischen Architektur eingebunden wären. Allerdings hätten Fehlverhalten, Eifersüchteleien und umtriebige Aktivitäten einzelner Staaten – vor allem Österreichs, Englands und Frankreichs, – dazu geführt, dass die Statik des Unternehmens neu vermessen werden musste, indem der Konflikt um Sachsen und das Großherzogtum Warschau als Sonderfall behandelt wurde. Tatsächlich hatte Napoleons Rückkehr eine starke Rückwirkung auch auf das politische Europa-Konzept des Zaren. Fortan sollte nicht mehr nur das Gremium der Großmächte treuhänderisch über die Geschicke des Kontinents wachen. Vielmehr sollten alle Staaten eingebunden in die Herstellung eines allgemeinen Friedens eingebunden werden.96 Der Begriff der „grande alliance“ war seit Ende April fest im politischen Vokabular der russischen Politik verankert. Damit war ein völlig neues System der politischen Ordnung gemeint, das alle europäischen Staaten umfassen sollte. Die Grundlagen für dieses neue System seien durch die bereits existenten Verträge gelegt worden, es gelte nun nur noch, ein Amalgam herzustellen, um das System zu vervollständigen.97 Fortan ergingen eine Reihe von Schreiben an die Botschafter Russlands, in denen die Botschafter darauf eingeschworen wurden, eine Sprache zu sprechen: „une ligne de conduite uniforme“.98 Die Erfahrung der Krisenzeit 1812 hatte Alexander religiöse Problemlösungen plausibel erscheinen lassen für innerweltliche Probleme. Daran anknüpfend 94

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Vgl. u.a. Alexander an Lieven, 15./27.10.1814, in: VPR I/8, 139–144. Auch das Engagement für die Serben wurde auf diesen argumentativen Fluchtpunkt hin ausgerichtet. Vgl. Lawrence P. Meriage, The First Serbian Uprising (1804–1813) and the Nineteenth-Century Origins of the Eastern Question, in: Slavic Review 37, 1978, 421–439. Vgl. auch das Memorandum Nesselrodes, 20.1./1.2.1815, in: ebd., 180–182; Memorandum 28.1./9.2.1815, in: ebd., 185– 188; Projekt für eine gemeinsame Note mit Bezug auf Serbien, 3./15.2.1815, in: ebd., 193– 195; Zirkularnote Razumovskijs an die Teilnehmer des Wiener Kongresses, 3./15.2.1815, in: ebd., 197–199. Memorandum Nesselrodes, 20.2./4.3.1815, in: ebd., 207–209. Entsprechend der Allianzvertrag Russland-England 13./25.3., in: VPR I/8, 240–243, bes. Art. 7, 242.; vgl. auch Nesselrode an Lieven (geheim), 21.4./3.5.1815, in: ebd., 297 f. Vgl. Nesselrode an Stuchtelen (geheim), 30.4./12.5.1815, in: ebd., 317 f.; Alexander an BalkPolev, Mai 1815, in: ebd., 362 f. Nesselorde an Theilien, 10./22.5.1815, in: AVPRI, f. 190 („Posol’stvo v Rime“), op. 524, d. 4, 52–55. Instruktionen an Stackelberg, 13./25.5.1815, in: VPR I/8., 344–346.

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lag es gewissermaßen in der Logik der Entwicklung, dass er nun auch für die Bindung des Internationalen Systems nach einem religiösen Mittel suchte. 3. DIE HEILIGE ALLIANZ Noch über das Ende des 19. Jahrhunderts hinaus galt es als sicher, dass der Vertrag der Heiligen Allianz in Séancen der Mystikerin Juliane von Krüdener in Paris entstanden sei. In ihrer Wohnung in der Rue Saint-Honoré, unweit der Unterkunft des Zaren, habe sie Alexander in täglichen Sitzungen nicht nur die Ideen zu dem Vertrag eingegeben, sondern ihm diesen im Grunde in die Feder diktiert. Seinen Ursprung hat diese Geschichte in Krüdeners Selbstdarstellung und ist von dort aus in die Literatur übernommen worden.99 Der Zar und die Mystikerin korrespondierten seit 1814 und lernten sich im darauf folgenden Jahr persönlich in Heilbronn kennen, als Alexander auf dem Rückweg aus England Station in Bruchsal machte. Kurz vor dem Treffen schrieb Alexander seiner Schwester in exaltierter Weise von seiner Verehrung für Juliane von Krüdener und sprach sogar von seinem „culte pour elle“.100 Ihr einsiedlerhaftes und der Welt abgewandtes Auftreten muss auf den Zaren zu dieser Zeit einen großen Eindruck gemacht haben.101 Aus dieser Nähe lässt sich allerdings nicht ableiten, dass Krüdener die Inspirationsquelle oder gar die treibende Kraft hinter der Heiligen Allianz gewesen sein könnte. Zumal eine solche Sichtweise die Entstehung auf einen einzigen genialen Moment verkürzen würde, in dem ein göttlicher Funke Großes in die Welt gesetzt hat. Darüber hinaus gibt es in der Korrespondenz Krüdeners keinen Beleg, der über das rein Geistige hinausgeht und auf die Sphäre des Politischen übergreift.102 Dass der Entwurf des Zaren tatsächlich von seiner Hand stammt, kann als erwiesen angesehen werden. Alexander selbst gab an, dass er mit der Heiligen Allianz ursprünglich den Wiener Kongress habe beschließen wollen, was angesichts der Äußerungen Ende 1814 und Anfang 1815 durchaus glaubwürdig scheint.103 Zu99

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Vgl. zur Entstehung des Dokuments Knapton, Origins; Eugène Muhlenbeck, Études sur les origines de la Saint-Alliance. Paris 1887; Franz Büchler, Die geistigen Wurzeln der Heiligen Allianz. Freiburg 1929; Markert, Politik, 81–84. Selbst Rey, Alexandre, 372 f. hängt den Einfluss Juliane von Krüdeners deutlich zu hoch. Sie war gleichwohl eine der ersten, die die Bezeichnung „Sainte Alliance“ benutzt in einem Tagebucheintrag vom 4.4.1816, abgedr. bei Ley, Sainte-Alliance, 188–191. Alexander an seine Schwester, 22.05./3.6.1815, in: Michailovič (Hrsg.), Correspondance, 194 f. Vgl. die Beschreibungen bei Boigne, Mémoires, 491–494. Krüdener stand zudem in engem Kontakt zur Bibelgesellschaft in Russland. Vgl. das Tagebuch Krüdeners, Eintrag vom 23.7.1814, in: GARF, f. 967, op. 1, d. 9, 10. Abgedruckt: Charles Eynard, Vie de Madame de Krudener. 2 Bde. Paris 1849. Vgl. den Brief Alexanders an Golicyn, nach Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 226 f.; Note des kaiserlich-russischen Bevollmächtigten, Grafen von Nesselrode, an die kaiserlich-österreichischen, königlich-großbritannischen und preußischen ersten Herren Bevollmächtigten,

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dem lassen sich semantische Traditionslinien erkennen. Die Formulierung der „europäischen Familie“, die in der Heiligen Allianz verwendet wurde, benutzte der Zar bereits in einem Gespräch mit dem Freiherren vom Stein im Frühjahr 1815. Und sein „Privatsekretär“ Alexander Stourdza berichtete, dass er der erste gewesen sei, der den Entwurf, der von Alexander mit Bleistift geschrieben worden sei, kopiert habe.104 Das deckt sich mit der Erinnerung von Kapodistrias, derzufolge er den Bleistiftentwurf in Paris mit der Aufforderung zur Redaktion erhalten habe.105 Zudem hatte Alexander 1822 auch gegenüber Golcyn geäußert, dass er vorgehabt habe, mit der Heiligen Allianz den Wiener Kongress zu beschließen: Das Dokument habe die dortige Arbeit krönen sollen. Dies sei dann durch Napoleons Rückkehr und die „Hundert Tage“ vereitelt worden.106 Offensichtlich gibt es eine feine Textur, in der verschiedene geistige Fäden ausgemacht werden können, die in der Heiligen Allianz zu einem Stück verwoben wurden. Hierzu ist es sinnvoll, die politische Seite zunächst analytisch von ihrem geistigen und religiösen Gehalt zu trennen, um sie anschließend wieder zusammenzuführen. Bereits im Januar 1814 hatte Alexander Kapodistrias über seinen Plan informiert, eine umfassende Allianz zu gründen, die einen dauerhaften und sicheren Frieden in Europa gewährleisten könne. Der politische Gehalt des Projektes ähnelt dem bereits in Alexanders frühe Regierungszeit zu datierenden Projekt britischrussischer Verhandlungen von 1804. So sollte die territoriale Unversehrtheit jeder Nation garantiert werden – für Europa sollte Frieden dadurch hergestellt werden, dass eine große Allianz über ihn wache. Im Februar 1815 schlug Alexander zum Abschluss des Wiener Kongresses eine Art kollektiven Sicherheitsmechanismus vor, der die territoriale Integrität der einzelnen Staaten zum Schlüsselelement des europäischen Friedens erhob.107 Die hier formulierten Ziele waren Ausdruck ge-

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mit beigefügtem Entwurf verschiedener Artikel, enthaltend Grundzüge zu Bestimmung der wechselseitigen Verhältnisse ihrer Staaten, 31.12.1814, in: Johann Ludwig Klüber (Hrsg.): Acten des Wiener Kongresses in den Jahren 1814 und 1815, Bd. 7, Osnabrück 1966 (Nachdruck d. Ausg. von 1817), 69–77; Hartley, Alexander, 133; Henri Louis Empeytaz, Notice sur Alexandre, Empereur de Russie. Paris 21840 [1Genf 1828]. Vgl. Stella Ghervas, Réinventer la Tradition. Alexandre Stourdza et l’Europe de la SainteAlliance. Paris 2008, 184. Vgl. Alexander Stourdza, Vospominanija o žizni i dejanija Grafa I. A. Kapodistrii, Pravitelja Grecii, in: Čtenia v imperatorskom obščestve istorii i drevnostej rossijskich, 2, 1864, 1–192, hier 69 f. sowie Valloton, Alexandre, 340. Der Entwurf der Heiligen Allianz ist verschollen und existiert wahrscheinlich nicht mehr. Zum Gespräch mit vom Stein: Tagebucheintrag 8.5., in Botzenhart (Hrsg.), Stein, V, 236 f.: „er sähe Europa als eine große Familie an [...].“ (ebd., 237). Vgl. Jean Capodistria, Aperçu de ma carrière publique depuis 1798 jusqu’à 1822. Paris 1999, 61 f. Vgl. Cresson, Holy Alliance, 29. Vgl. das Projet d’une Déclaration finale des huit Puissances qui auraient signé l’acte final du Congrès de Vienne, Febr. 1815, in: Angeberg (Hrsg.), Congrès, I, 864–866. Vgl. auch Henry A. Kissinger, Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. Berlin 1994, 90. Zur Etablierung eines kollektiven Sicherheitssystems als Epochenmerkmal der Zeit nach

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nereller Überlegungen und somit tatsächlich von programmatischem Charakter. Dies gilt für die „Ideen von 1804“ ebenso wie für die in der Heiligen Allianz festgeschriebenen Grundsätze. Auch diese Ideen hatten einen über-politischen Bezugspunkt insofern, als sie nicht rein politischen Erwägungen folgten, sondern eine starke ideologische „Schlagseite“ aufwiesen. Die Ausfertigung des Vertrages wurde auch über die diplomatischen Kanäle vorbereitet. Anlässlich der Beratungen über die Modalitäten des endgültigen Friedensschlusses mit Frankreich, hatte der Zar Metternich gegenüber von einem „großen Unternehmen“ gesprochen, über das er sich einzig mit dem Kaiser beraten könne, da es sich um eines von jenen „Dinge[n]“ handle, „über welche das Gefühl entscheiden“ müsse.108 Auch gegenüber Kapodistrias erklärte er, dass er ein Schriftstück mit umfassendem Inhalt den verbündeten Monarchen zur Unterschrift vorzulegen gedenke.109 Bereits Ende Dezember 1814 erinnerte eine russische Note die Gesandten Österreichs, Preußens und Großbritanniens an die christlichen Werte, die ihren jeweiligen Souveränen als Grundlage des Handelns dienen sollten. Gegenüber Gneisenau legte der Zar nach den „Hundert Tagen“ Napoleons dar: „Il est temps, sans contredit, que la morale rentre dans les rapports politiques des Etats.“110 Die russischen Vertreter Razumovskij und Kapodistrias legten einen Vertragsentwurf vor, der die Verhandlungen in Wien neu ausrichten sollte. In einer begleitenden Note klangen ganz neue Töne an, Töne, die das Miteinander im Mächtekonzert ganz grundsätzlich betrafen. Als „quelques idées fondamentales“ schlug Alexander vor, dass sich die Monarchen auf Grundlage der christlichen Religion eng miteinander verbinden sollten, um als eine Art Exekutivorgan Europas die Geschicke des Kontinents zu leiten: Pénétrés également des principes immuables de la religion chrétienne commune à tous, c’est sur cette base unique de l’ordre politique comme de l’ordre social, que les souverains, fraternisant entre eux, épureront leurs maximes d’État et garantiront les rapports entre les peuples que la Providence leur a confiés.111

Die einzige Grundlage des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens war in dieser Deutung der christliche Glaube. In einer Zirkularnote an die Botschafter vom 25. Mai 1815 tauchten bereits Formulierungen auf, die eine deutliche Nähe zu den Wendungen der Heiligen

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1815 vgl. Pyta, Konzert, v. a. 161–173; Aperçu des relations politiques de la Russie pour servir d’instruction aux missions de Sa Majesté Impériale à l’étranger, 2./14.6.1817, in: SIRIO 119, 1904, 239–248, hier 242. Metternich, Nachgelassene Papiere, I, 214. Herv. i.O. Vgl. Capodistria, Aperçu, 61 f. Dies deckt sich inhaltlich auch mit der wohl exaltierten Schilderung des Sekretärs von Juliane von Krüdener; Henri Louis Empeytaz, Notice sur Alexandre, Empereur de Russie. Genf/Paris 21840, 37. Alexander an Gneisenau, 24.8./5.9., in: VPR I/8, 479–484, hier 479, Herv. i.O.. Note Nesselrodes mit dem Vertragsentwurf, 31.12.1814, in: Angeberg (Hrsg.), Congrès, I, 579–585, hier 579 f.

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Allianz zeigen.112 Dieses Dokument ist eine explizite Anweisung, wie sich die Botschafter politisch zu verhalten haben. Dabei werden Grundregeln aufgestellt, die für alle Botschafter gleichermaßen gelten sollten. Bezugspunkt hierfür ist der „Ist-Zustand“ des europäischen Systems, das definiert wird als Geflecht der Beziehungen der europäischen Staaten, wie es sich vor allem in der Folge der napoleonischen Kriege entwickelt hatte. Daher konstituiere das System sich insbesondere aus den strukturellen Gründen, die zum Krieg 1812/13 geführt hatten, aus den Ereignissen nach dem Pariser Frieden, dem Wiener Kongress und den ihm zugrunde liegenden Prinzipien und schließlich den Entwicklungen seit den „Hundert Tagen“ Napoleons.113 Zur Verbesserung des Miteinanders müsse jeglichem staatlichem Egoismus eine Absage erteilt werden, indem die Interessen der Staaten harmonisiert und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet würden: die Erhaltung des Friedens in Europa. Diese Instruktionen enthalten die Ideen der neuen Politik des Zaren in nuce. Das Ensemble der Ereignisse deckt zeitlich die Krisensituation ab, in der der Zar seine Konversion durchlebte, und wird hier als „cette mémorable période“ gekennzeichnet. Als Grundübel der gegenwärtigen Zeit wird in diesem Zirkular die Revolution angeführt. Gemeint ist die Revolution in Frankreich, allerdings klingt bereits an, dass Revolutionen per se als Störungen eines friedlichen Miteinanders anzusehen seien. Besonders bedeutsam ist, dass sich in diesem Dokument eine religiöse Komponente findet. Dies wurde in einer Zirkularnote an die Botschafter erläutert: Ce qui a soutenu, ce qui soutiendra constamment la persévérance de Sa Majesté dans a ligne de conduite qu’elle s’est tracée, c’est la conviction profonde que les décrets de l’Eternel président seuls aux destinées des empires, et que les grandes combinaisons qui changent la face de l’univers, loin d’être produits par les conseils humains et les calculs des cabinets, dérivent au contraire de l’enchainement des causes générales.114

Das Transzendente, in diesem Fall als „l’Eternel“ bezeichnet, ist an dieser Stelle weitaus mehr als eine Variation der durchaus geläufigen invocatio Dei. Vielmehr wird hier das göttliche Wirken als direkte Ursache und letzte Begründung zwischenstaatlichen Handelns verstanden. Bemerkenswert ist zudem, dass dieser Satz nicht in privater Korrespondenz zu finden ist, sondern in einer Anweisung an die Botschafter, die diese Aussage als Handlungsmaxime verinnerlichen sollten. Eingebettet ist der Satz in den Passus zum Wiener Kongress, als dessen wichtigstes Merkmal die Unverletzlichkeit der erreichten Vereinbarungen sowie die Anerkennung kollektiver Strafsanktionen herausgestellt werden.115 Das Staatensystem

112 Projet d’instructions générale pour les missions de Sa Majesté Impériale, in: Šil’der Imperator, Bd. 3, 540–548. 113 Vgl. ebd, 540. 114 Ebd, 544. 115 In dieselbe Richtung argumentiert ein Papier des britischen Außenministers Castlereagh, das eine allgemeine Erklärung der Signatarmächte vorsah. Dieses Schriftstück ist von Friedrich von Gentz entworfen worden, wurde allerdings nicht unterzeichnet. Dessen ungeachtet hatte

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wird als „famille européenne“ bezeichnet. In der von Metternich überarbeiteten Version der Heiligen Allianz wurde die ursprüngliche Formulierung „trois provinces de cette même nation“ ersetzt durch „trois branches d’une même famille“.116 Dass die drei Partner „Provinzen“ oder „Abteilungen“ genannt werden, ist kein Zufall. Sie entsprechen den drei Konfessionen des Christentums – das für den Zaren jenseits aller konfessionellen Trennlinien eins war. Waren die Ideen von 1804 schon systematisch strukturiert, so sind sie in den folgenden Jahren, vor allem in der Zeit der napoleonischen Kriege, weiter ausgebaut worden. Sie sind vor allem christlich umgedeutet worden nach der religiösen Erfahrung des Zaren. Christliche Nächstenliebe wurde als Prinzip des Miteinanders eingeführt, und den drei Monarchen als Oberhäuptern christlicher Staaten musste dieses Prinzip ohnehin handlungsleitend sein, wenn sie als Christen auf dem Thron saßen – zumindest war dies die Gedankenwelt des Zaren. Damit erhielt der vernunftgeleitete Entwurf von 1804 eine Letztbegründung, aus der gleichzeitig die entsprechenden praktischen Konsequenzen abgeleitet werden konnten.117 Auch die Transformation des „Vernunftgottes“, des Être suprême, in einen handelnden und lenkenden Schöpfergott ließ sich bruchlos in das neue System einfügen. Die ursprüngliche Definition des Être suprême als „un être éternel, infini, intelligent, qui gouverne le monde avec ordre et avec sagesse, la verité et la sainteté par essence“118 konnte ohne Weiteres der Vernunftreligion entlehnt und einer pietistischen Gottesbeschreibung angeheftet werden. Die erkannten Prinzipien wurden nicht mehr in Frage gestellt und behielten eine unhintergehbare Richtigkeit, eben weil sie der Einsicht in die Wahrheit an sich entsprangen. Ein solcher Entwurf spiegelt darüber hinaus einen weiteren Lernprozess wider: Um den revolutionären Geist aus Europa zu vertreiben, so lautet die Quintessenz nun, reiche es nicht aus, Napoleon den Weg auf den Thron unmöglich zu machen. Vielmehr müssten die politischen Einstellungen in Frankreich verändert werden.119 Damit zeigt sich, dass die außenpolitischen Überlegungen des Zaren zumindest in bestimmten Fällen Rücksicht auf die öffentliche Meinungen nahmen. Die Präambel des Vertrages rekurriert auf die Ereignisse der vergangenen Jahre, beschränkt sich dabei allerdings auf die Zeit nach 1812, stellt also die positiven Ereignisse deutlich in den Vordergrund:

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Alexander den Entwurf gelesen. Diese Deklaration hatte Alexander tief beeindruckt und sei ihm während der Fahrt von Paris nach Wien nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Vgl. hierzu auch Ernest J, Knapton, Lady of the Holy Alliance, New York 1939, 162. Zu der Überarbeitung siehe auch Metternich, Mémoires, Bd. I, 209–212. Auch im Persönlichen gab es entsprechende Verhalten, zu denken wäre hier etwa an das Versöhnungsangebot des Zaren an Metternich: „Wir sind Christen und unser heiliges Gesetz befiehlt uns, Beleidigungen zu vergeben. Umarmen wir uns und alles sei vergessen“, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, I, 329. Art. ‚Déistes’, in: Encyclopédie. Projet d’instructions, 546.

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LL.MM. l’empereur d’Autriche, le roi de Prusse et l’empereur de toutes les Russies, par suite des grands événements qui ont signalé en Europe le cours des trois dernières années, et principlament des bienfaits qu’il a plu à la divine Providence de répandre sur les États dont les gouvernements ont place leur confiance et leur espoir en elle seule, ayant acquis la conviction intime qu’il est néccessaire d’asseoir la marche à adopter par les puissances dans leurs rapports mutuels sur les verities sublimes que nous enseigne l’éternelle religion du Dieu sauveur, Déclarent solennellement que le present acte n’a pour objet que de manifester à la face de l’Univers leur determination inébranlable de ne prendre pour règle de leur conduit, soit dans l’Administration de leurs États respectifs, soit dans leurs relations politiques avec toute autre gouvernement, que les precepts de cette religion sainte, precepts de justice, de charité et de paix qui, loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire influer directement sur les résolutions des princes et guides toutes leurs demarches, comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines et de remédier à leurs imperfections.120

Verglichen mit allen anderen Verträgen aus dem Umfeld des Wiener Kongresses ist die Präambel nicht nur außergewöhnlich umfangreich, sie ist zudem in ungewöhnlicher Weise sinnstiftend. Waren die anderen Verträge auf ein bestimmtes Ziel hin, aus einem konkreten Anlass geschlossene Bündnisse, so stellte der Vertrag, ausweislich seiner Präambel, auch in dieser Hinsicht eine Besonderheit dar. Was durch ihn erklärt wurde, war, die „felsenfeste Absicht“ (détermination inébranlable), in Zukunft die Regeln der christlichen Religion, die gleichzeitig die Regeln der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und des Friedens waren, zur Grundlage der Politik zu machen. Da dieser Vertrag zwischen drei Monarchen geschlossen wurde, erklärt sich die Verwendung der Bezeichnung „princes“ für die Staatsoberhäupter. Es wird zwischen zwei Gültigkeitsbereichen der Religion unterschieden: in der res privata seien die Gebote der Religion nicht zwangsläufig gültig, hingegen sollen sie aber umso mehr Gültigkeit für die res publica beanspruchen. Dies scheint auf den ersten Blick der Haltung und den Vorstellungen des Zaren zu widersprechen. Tatsächlich handelt es sich hierbei um den ersten nicht stilistischen Feinheiten gewidmeten Eingriff Metternichs, dem der Text zur Redaktion vorlag.121 Dass der Zar die starken redaktionellen Eingriffe des österreichischen Ministers hinnahm, ist vor allem dadurch zu erklären, dass Metternich den wesentlichen Kern des Aktes nicht erfasste oder besser gesagt mit seinen Änderungen nicht berührte.122 Diese Änderungen betrafen hauptsächlich praktische Bestimmungen und ideologische Ausdeutungen, berührten den gedanklichen Kern allerdings nicht. Sie hatten gleichwohl gravierende Auswirkungen auf die Rezeption der Heiligen Allianz. In seiner unveröffentlicht gebliebenen Habilitationsschrift zur Heiligen Allianz hat bereits Werner Markert darauf hingewiesen, dass die Metternich’sche Umformulierung der „Familienväter“ – „pères de famille“ – zu keiner Zeit in das politische Vokabular und die politischen Konzeptionen des 120 Die Heilige Allianz ist vielfach abgedruckt. Siehe VPN I/8, Nr. 225, 502–504; CTS 65, 199– 202; benutzt wurde Näf, Europapolitik, 5 f. 121 Die Änderungen sind sowohl in der Ausgabe der VPR gekennzeichnet, als auch bei Näf, Europapolitik, 7–10, nicht allerdings in der Ausgabe der CTS. Zu den Veränderungen siehe Näf, Europapolitik, 34–36. und Markert, Politik, 89–95. 122 Vgl. auch Alexander an Kaiser Franz, 13./25.9.1815, in: Näf, Europapolitik, 38.

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Zaren gehörten, dass es aber gerade diese Worte waren, die der Heiligen Allianz den Ruf der Reaktion einbrachten.123 Laut Bericht Metternichs über die Entstehung der Heiligen Allianz hätten Franz I. und Metternich vom Vorschlag Alexanders, von dem sie überrumpelt worden seien, nur angenommen, um den Zaren nicht zu beleidigen.124 Auch Castlereagh habe zusammen mit Metternich nach Auswegen gesucht, dieses Ansinnen Alexanders nicht zu unterschreiben, allerdings Franz I. habe nicht gewagt, sich dem zu widersetzen.125 Artikel 1 der Heiligen Allianz nimmt direkten Bezug zur Bibel und schreibt eine brüderliche Verbindung der drei Monarchen, gegenseitigen Beistand und Hilfe unter allen Umständen fest. In diesem Artikel findet sich auch die Formulierung, die dazu angetan war, das Dokument als Ausgangspunkt für restaurative Bestrebungen zu sehen: [ils] se regardent envers leurs sujets et armées comme pères de famille, ils les dirigeront dans le même esprit de fraternité, dont ils sont animés pour protéger la religion, la paix et la justice.126

Tatsächlich war auch diese Wendung eine Folge der redaktionellen Umarbeitung durch den österreichischen Kanzler. In der ursprünglichen Fassung waren die Subjekte des Vertragstextes nicht auf die Staatsoberhäupter beschränkt, sondern sie hatte die Untertanen der Unterzeichner eingeschlossen. Somit sollten die „liens d’une véritable fraternité“ keine Abmachung der Monarchen sein, sondern eine Verbundenheit der Völker konstituieren. Dies sollte soweit gehen, dass auch die Armeen als Teil einer einheitlichen Armee gelten sollten, deren Zweck der Schutz von Religion, Frieden und Gerechtigkeit sei.127 Artikel 2 behandelt die Frage der Herkunft und Legitimität von Macht und verlässt damit die Bahnen eines herkömmlichen Staatsvertrages in Richtung eines Traktats. Das Selbstverständnis der Monarchen wurde charakterisiert comme délégués par la providence pour gouverneur trois branches d’une même famille, [...], confessant ainsi que la nation chrétienne [...] n’a réellement d’autre souverain que celui à qui seul appartient en propriété la puissance, parce qu’en lui seul se trouvent tous les trésor de

123 Vgl. Markert, Politik, 92. 124 Mémoires, documents et écrits divers laissés par le Prince de Metternich… Paris 1880–1884, Bd. 1, 210–212. 125 Bericht Castlereaghs vom 28.Sept. 1815, in: Supplementary Despatches, Correspondence, and Memoranda of Field Marshal Arthur Duke of Wellington, Bd. XI, 175. Vgl. Guillaume de Bertier de Sauvigny, Sainte-Alliance et Alliance dans les conceptions de Metternich, in: Revue Historique 223, 1960, 249–274, hier 249 f. 126 Näf, Europapolitik, 5. Zur Besetzung des eigentlich jakobinischen Begriffs der „fraternité“ durch die Monarchen vgl. Wolfgang Schieder, Brüderlichkeit, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 1, 552–581, hier 571 f. 127 Näf, Europapolitik, 8 f.

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l’amour, de la science et de la sagesse infinie, c’est-à-dire Dieu, notre divin Sauveur JésusChrist, le Verbe du Très-Haut, la Parole de vie.128

Wiederum war die Version des Zaren entschärft worden. Anstelle der Formulierung „trois branches d’une même famille“ stand ursprünglich „trois provinces de cette même nation“, womit die vorher schon beschriebene christliche Nation beschrieben war. In der endgültigen Fassung ließ sich aus diesem Absatz leicht eine Apologie des Gottesgnadentums ablesen. Doch war das weit von den ursprünglichen Intentionen des Zaren entfernt. So erklärt sich, dass nicht die von Metternich redigierte und schließlich unterzeichnete Variante, sondern die von Alexander ursprünglich entworfene Fassung in allen Kirchen Russlands verlesen werden sollte.129 So ist unter anderem die Passage erhalten geblieben, die von einer neuen Basis der Politik spricht. Interessant ist an dem Vertrag vor allem die Letztbegründung der Politik. In der Tat hätte Russland auch aus machtpolitischen Erwägungen oder aus Gründen der eigenen Sicherheit ein großes Interesse an einem friedlichen und ruhigen Europa gehabt. Doch werden diese Aspekte hier nicht einmal angedeutet. Stattdessen werden der gegenwärtige Zustand und die zukünftige Entwicklung Europas in einen göttlichen Heilsplan eingebunden. Dieses Interpretationsmuster findet sich in dem vom Zar zur Bekanntmachung der Heiligen Allianz veröffentlichtem Manifest, das zum Jahresbeginn 1816 in Russland sowie Anfang Februar in Deutschland und Frankreich veröffentlicht wurde.130 Die Monarchen hatten ursprünglich verabredet, die Heilige Allianz nicht bekannt zu machen, aus Furcht vor einem „gewaltig bösen“ Eindruck, den das Dokument in Konstantinopel hervorrufen könne. Nicht von ungefähr zeigte man sich in Wien „un peu frappé et embarassé“ über diesen Schritt Alexanders.131 Das Manifest verdeutlicht indes die Interpretationsmuster des Zaren für die vergangenen Ereignisse geradezu exemplarisch. Die Allianz wird konsequent aus dem Abwehrkampf gegen das Böse schlechthin abgeleitet – dem „monstre“, verkörpert durch einen Usurpator auf dem französischen Thron, der gewaltsam die Weltherrschaft habe an sich reißen wollen.132 Durch sein Handeln sei das Chaos wieder auf die Erde gekommen: Les peuples furent condamnées à n’avoir plus de lois, de langage à eux, de renoncer à leur liberté, leurs propriétés, leur commerce, leurs mœurs, leurs usages, leurs vertus.133

In düsteren Farben wird hier die Barbarisierung und Entmenschlichung geschildert, die Napoleon über Europa gebracht hatte. Letztverantwortlich für all das Unglück war allerdings nicht Napoleon persönlich, sondern etwas anderes: 128 129 130 131

Ebd, 6. Manifest o svjaščennogo sojuze, in: GARF f. 728, op. 1, d. 1001. Ediert bei Ley, Sainte-Alliance, 168–174. Vgl. Gentz an Wessenberg, 15.2.1816, in: August Fournier (Hrsg.), Gentz und Wessenberg. Briefe des Ersten an den Zweiten. Wien/Leipzig 1907, 104 f.; Zitat „frappé“: Gentz an Nesselrode, 8.2.1816, in: Nesselrode, Lettres et Papiers, Bd. 5, 246–249, hier 249. 132 Ley, Sainte-Alliance., 169 f. 133 Ebd., 170.

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„L’oubli de Dieu, la décadence de la religion produisirent cette guerre, ce monstre furieux engraissé du sang des victimes qu’il immolait sans cesse [...].“134 In der Version, die im Ausland verbreitet werden sollte, wurde explizit Bezug auf die Heilige Allianz als Mittel zur Bekämpfung des Bösen genommen: Par cette alliance nous nous engageons mutuellement à adopter dans nos relations, soit entre nous, soit pour nos sujets, comme le seul moyen propre à la consolider, le principe puisé dans la parole et la doctrine de notre sauveur J.C., qui a enseigné aux hommes qu’ils devoient vivre comme frères, non dans des dispositions d’inimitié et de vengeance, mais dans un esprit de paix et de charité.135

In dem bereits zitierten Gespräch Alexanders mit Eylert äußerte sich der Zar über die Wahrnehmung der Heiligen Allianz dahingehend: […] die wenigsten Menschen haben von diesem Bunde eine wahre und richtige, Viele eine ganz irrige Vorstellung, Manche sogar eine böse Ansicht und lassen nicht undeutlich merken, dass in ihr eine Absicht vulgärer Klugheit liege.136

Entsprechend deutliche Worte wurden in den Anweisungen an die Botschafter gewählt, die in der Folge die neue russische Politik bekannt machen mussten und gleichzeitig umzusetzen hatten. Eine prägnante Sprachregelung war als notwendig erkannt worden, gerade weil Russland unter „Dauerverdacht“ stehe, seine eigene Machtposition ausbauen zu wollen – eine Anschuldigung, die als „injuste et inconsidéré“ zurückgewiesen wird, schließlich habe sich Russland in der jüngsten Vergangenheit stets als Team Player gezeigt, der zudem in territorialer Hinsicht saturiert sei. Einziges Interesse könne daher nur das Wohl Europas sein. Aus diesem Grund habe alle Politik nur im Verbund zu geschehen; hier wird PartikularAllianzen eine deutliche Absage erteilt.137 Auch wenn eine Einladung an alle europäischen Staaten verabredet worden war: Die Monarchen Österreichs und Preußens standen dem Dokument zunächst eher reserviert gegenüber.138 Alle Staaten Europas sollten der Konzeption gemäß diesem Bund beitreten, auch wenn die Initiative von den Großmächten ausgegangen war. An seinen Schwager, Erzherzog Joseph Anton, den Palatin von Ungarn, schrieb der Zar Anfang 1816, dass nur auf diese Art und Weise eine neue europäische Ordnung etabliert werden könne, die „calme et solide“ sein werde: Si vous avez lu l’acte que nous avons signé à Paris, je crois que vous reconaitrez exactement les idées dont je vous ai souvent entretenu. C’est ancore la Providance Divine qui a permis que cet acte se conclut et terminat ainsi la grande Oeuvre de délivrance de l’Europe. Mais ne pensez vous pas en même tems, que les principes que nous énoncons et que nous confessons aussi solemnellement à la face de l’Univers entière dans cet acte ne soit un acheminement à

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Ebd., 172. Abgedruckt bei Martens, Nouveau Recueil, Bd. VI, 658. Eylert, Charakter-Züge, II/2, 248. Vgl. Projet d’instructions générale pour les missions de Sa Majesté Impériale, in: Šil’der, Imperator, Bd. 3, 540–548, 547 f. 138 Hierzu der Bericht Castlereaghs an Liverpool, 28.9.1815 in Webster (Hrsg.), British Diplomacy, 382–384 und Metternich, Nachgelassene Papiere, I, 215.

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une autre oeuvre bien plus essentielle encore, celle de notre amélioration spirituelle à tous et de ce Rêgne de notre Sauveur, que l’Evangile nous annonce comme devant [...]139

Eine dauerhafte Sicherung des Friedens in Europa – so lautet wohl die politische Ausdeutung der Zeilen zur bevorstehenden Ankunft Gottes – könne nur dann gewährleistet werden, wenn sie nicht ausschließlich unter den ersten Mächten ausgehandelt werde. Vielmehr bedürfe es eines Grundkonsenses, der alle europäischen Staaten umfasse, und als kleinsten gemeinsamen Nenner hatte Alexander das für alle Staaten vermeintlich verbindliche Christentum identifiziert. Auch wenn die Heilige Allianz aus einer geradezu mythisch überhöhten Vereinigung der drei Konfessionen entstanden war, symbolisiert durch die drei Unterschriften der Monarchen, so folgte daraus jedoch keineswegs, dass nicht-christliche Staaten anders behandelt werden sollten: „Une acte de cette nature ne saurait renfermer en soi aucune vue hostile à l’égard des peuples qui n’ont point le bonheur d’être chrétiens.“140 Der Zar hatte noch darauf gedrängt, dass die drei Monarchen den Vertrag in Paris unterschrieben. Durch den ganz und gar unüblichen Akt der physischen Präsenz aller drei Monarchen wurde das Schriftstück herausgehoben aus dem Gros der diplomatischen Akte. Die körperliche Präsenz der unterzeichnenden Monarchen verlieh ihm den Charakter einer persönlichen Verpflichtung, die sie stellvertretend für ihre Staaten auf sich nahmen. Die drei Monarchen bildeten den Kern der Allianz, die den Sieg über Napoleon errungen hatte.141 Gleichzeitig konnte mit der Zahl drei an christliche Symbolik angeknüpft werden, an die Auferstehung Christi am dritten Tag beispielsweise, vor allem aber an die göttliche Trinität. Nachdem die ersten Unterschriften geleistet waren, blieb es die Aufgabe von Kapodistrias, die anderen europäischen Souveräne dazu zu bewegen, dem Vertrag ebenfalls beizutreten.142 Dabei hatte er zunächst keinen großen Erfolg: ausgerechnet aus London, dem letzten Glied in der Kette der Sieger über Napoleon, blieb die erhoffte Reaktion aus. Der Hof von St. James fand sich zwar durchaus zu Sympathiebekundungen bereit, der Prinzregent zögerte jedoch mit der Unterschrift.143 Im Einladungsschreiben an George wurde noch einmal ausdrücklich auf den physischen Akt der Unterzeichnung hingewiesen und gleichzeitig dem Bedauern Ausdruck verliehen, dass der britische Prinzregent nicht anwesend war 139 Alexander an Joseph Anton, 1./13.1.1816, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 1003, 1r–2r, Zitat 2r. 140 Alexander an Pozzo di Borgo, 18./30.3.1816, in: Guillaume de Bertier de Sauvigny, La Sainte-Alliance. Paris 1972, 78–81 141 Vgl. Aperçu, 219=206r–222=207v: die drei Monarchen hätten bereits 1813 „l’équilibre de l’Europe sur une base solide“ gestellt. Ebd., 219=206r. 142 Vgl. Capodistria, Aperçu, 62. 143 Dies geschah unter Berufung auf die britische Verfassung, die dem Prinzregenten als Geschäftsführer der britischen Politik einen solchen Akt nicht gestattet habe. Einen Beitritt allein des Prinzregenten – ohne ministerielle Gegenzeichnung – war zwar von Castlereagh vorgeschlagen worden, scheiterte dann aber am Einspruch Liverpools. Vgl. Liverpool an Castlereagh, 28.9.1815, in: Webster, British Diplomacy, 385; Wellington, Supplementary Despatches, XI, 183–185.

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„dans le grand moment où nous avons conclu cette transaction“.144 Alexander hatte besondere Hoffnungen in die Beziehungen zu Großbritannien gesetzt: Les deux nations sont faites pour ne jamais séparer leurs intérêts politiques, et les succès de leurs efforts dirigés conjointement vers le déliverance du Continent, donnent la mesure des résultats que l’Europe était un droit d’espérer de l’identité de leurs vues politiques pour le retablissement d’un système uniforme entre les Etats.145

In London saß in der Person Lievens einer von Alexanders engsten Vertrauten und gleichzeitig einer der fähigsten Diplomaten in russischen Diensten. Kaum ein anderer Botschafter hatte derart detaillierte Anweisungen erhalten mit so intimen Einblicken in die Konzeption der russischen Politik. Lieven sollte in London offensichtlich aus innerer Überzeugung agieren können und nicht, weil er von seinem Herrn einen entsprechenden Auftrag erhalten hatte. In Großbritannien fand man indes einen besonderen Modus, mit der Anfrage umzugehen. Als Staatsoberhaupt von Hannover hat der spätere Georg IV. dann den Vertrag im Juni 1817 unterzeichnet.146 Dabei hatten sowohl Castlereagh als auch Metternich ihre Chancen gewittert. Denn die Heilige Allianz konnte auch als Mittel verwendet werden, um eventuellen russischen Expansionsbestrebungen auf diplomatischem Weg einen Riegel vorzuschieben.147 Mit dem Herzogtum Toskana trat schließlich am 27. Januar 1818 der 45. Staat der Heiligen Allianz bei.148 Jedoch kann man aus der reinen Anzahl der beigetretenen Staaten nicht fundiert Rückschlüsse auf Reichweite und Wirksamkeit ziehen. Noch bevor der Vertrag im Druck erschien, wurde er wenig freundlich diskutiert. In Sankt Petersburg fanden bereits Lesungen am Hof der Zarenmutter statt, die skeptische Reaktionen hervorriefen.149 Am Vorabend der Unterzeichnung des zweiten Pariser Friedens wurde der französische König eingeladen, der Heiligen Allianz beizutreten, ohne dass hierüber allerdings eine Absprache mit den beiden anderen Vertragspartnern erfolgt wäre.150 Kapodistrias und Razumovskij wurden Anfang November damit beauftragt, die Modalitäten mit den Höfen in Berlin und Wien abzustimmen und gleichzeitig eine erste Einladung nach Paris zu senden: puisqu’il est particulièrement important pour la tranquillité générale de faire accréditer en France l’opinion que les Souverains alliés dans leur politique et leurs engagements ne conser-

144 Alexander I., Friedrich Wilhelm III. und Franz I an den Prinzregenten George, 14./26.9.1815, in: VPR I/8, 518 f. 145 Alexander an Lieven, 15./27.10.1814, in: VPR I/8, 139–144, hier 139. 146 Beitrittserklärung 5./17.6.1817, in: PSZ, 33, 281. 147 Vgl. Schaeder, Koalition, 85–93. 148 Die Chronologie der Beitritte ist abgedruckt bei Ludwig Bittner, Chronologisches Verzeichnis der Österreichischen Staatsverträge, Bd. II. Die österreichischen Staatsverträge von 1763 bis 1847. Wien 1903, 177. 149 Vgl. den Brief de Maistres, Oktober 1815, in: Lettres et Opuscules inédits du Comte J. de Maistre, Bd. I, Paris 51869, Nr. 106, 360–364. 150 Vgl. die Dokumente bei Näf, Geschichte, 42; Pozzo di Borgo an Nesselrode, 29.4./10.5.1815, in: Pozzo di Borgo (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, 361–363.

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vent aucune arrière-pensée et ne sont animés que des sentiments grands et nobles, que ce traité tend a consacrer dans toute leur pureté.151

Frankreich wurde insofern eine Sonderstellung zugedacht, als der russische Gesandte in Paris dem französischen König das handgeschriebene Original des Vertragstextes mit den drei Unterschriften vorlegte.152 Dieser Akt verdient einige Aufmerksamkeit, denn mit der bevorzugten Behandlung des ehemaligen Kriegsgegners gab der Zar die Richtung für weitere Schritte vor. Es bedeutete, dass von russischer Seite aus Frankreich im Grunde in den Kreis der Großmächte zu rechnen sei und darüber hinaus ist die Einladung als Geste der Vergebung zu sehen. Auf einer abstrakteren Ebene bedeutete es allerdings noch mehr: Die Nation, die den Rest Europas provoziert hatte, sollte nun ein Zeichen setzen „par les liens d’un échange réciproque du confiance et d’amitie.“153 Auf diese Weise sollte sie sich daran beteiligen, den europäischen Frieden auf die unerschütterlichen Grundfeste von Moral und Religion zu stellen. Damit wurde die Heilige Allianz zu einem grundlegenderen Ordnungselement der internationalen Politik, die den kurzfristigen politischen Handlungen zur Regelung und Steuerung übergeordnet war. Die Heilige Allianz sollte die moralische und religiöse Grundierung des Systems bereitstellen und eine höhere Ordnung stiften, als es die Quadrupelallianz konnte.154 Dass die Hohe Pforte nicht eingeladen wurde, der Heiligen Allianz beizutreten, erklärt sich aus der christlichen Ausrichtung des Vertrags und ist nicht als aggressive Spitze zu verstehen. Denn bereits im April 1815 ließ Alexander hatte osmanische Regierung eingeladen, sich an dem System kollektiver Sicherheiten in Europa zu beteiligen. In dem Einladungsschreiben war von einer „association des intérêts entre les membres de la famille européenne“ die Rede gewesen, eine Formulierung, die im Übrigen eine deutliche Verwandtschaft zur Wortwahl der Heiligen Allianz aufweist.155 Expliziter deutete der russische Botschafter bei der Pforte, Italinskij, seine Anweisungen, indem er gegenüber der Hohen Pforte deutlich machte, dass das Osmanische Reich nicht anders behandelt werden solle als andere Staaten, sofern es an einer „bonne harmonie“ zwischen den Staaten interessiert sei und Teil des Systems wechselseitiger Garantien werden wolle. Ein möglicher Beitritt der Hohen Pforte zu diesem System sollte die noch offenen Fragen, etwa die Grenzziehung in Asien oder strittige Teile des Vertrags von Bukarest, wie die Schutzfunktion über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich, allerdings nicht berühren.156

151 Nesselrode an Razumovskij und Kapodistrias, 1./13.11.1815, in in: VPR I/8, 593 f. 152 Vgl. Pozzo an Nesselrode, 11./23.11.1815, in: Pozzo di Borgo (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, 244 f. 153 Note [Razumovskijs und Kapodistrias] an Richelieu, 20.10./1.11.–7./19.11.1815, in: VPR I/8, 596 f. 154 Vgl. auch Markert, Politik, 100. 155 Nesselrode an Italinskij, 14./26.4.1815, in: VPR I/8, 282–284. 156 Italinskij an die türkische Regierung, 7./19.5.1815, in: ebd., 335–338. Dass Alexander das Osmanische Reich wie die europäischen Staaten behandelt hatte, geht auch aus den Memoiren Alexander Stourdzas hervor: Souvenirs du règne de l’empereur Alexandre, in: Alexandre

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Papst Pius VII. wurde ebenfalls früh eingeladen: Noch im September warb Alexander um den Beitritt des Heiligen Stuhls, ohne jedoch erfolgreich zu sein.157 In der Ablehnung wurde ausgeführt, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche einem Bündnis mit einer so prononciert überkonfessionellen Ausrichtung nicht beitreten könne, so sehr es auch die allgemeinpolitische Ausrichtung für richtig hielte.158 Umfangreich ging Alexander in einem Memorandum für Italinskij auf die Weigerung des Papstes ein. Hierbei betonte er die Einzigartigkeit der Heiligen Allianz in „essence“ und „forme“ in der Geschichte der Staatenbeziehungen, um sodann darauf hinzuweisen, dass sie „la base immuable“ der Beziehungen Europas sei.159 Zwar sei der Vertrag in einer ereignisgebundenen Situation entstanden, doch wurzele er in dem lang empfundenen Bedürfnis der europäischen Monarchen nach einem religiös begründeten Bund. Damit habe er eine Notwendigkeit umgesetzt, was sich bereits daran zeige, dass der französische König und der englische Prinzregent der Allianz schnell beigetreten seien. Wenn der Heilige Vater nun eine Beteiligung ablehne, so brüskiere er auch die beigetretenen katholischen Monarchen Europas. Daher schlug ihm Alexander einen ähnlichen Modus vor, wie er im britischen Fall praktiziert worden war. Pius solle nur in seiner Funktion als Staatsoberhaupt, nicht aber als Oberhaupt der Kirche beitreten.160 Ausführlich rekurriert das Memorandum auf die christlichen Inhalte des Vertrages und seine Herleitung aus den Evangelien, um deutlich zu machen, dass Pius sich über seine Religion stelle, wenn er auf seinem Standpunkt beharre. Trotz der Enttäuschung in Sankt Petersburg über die Haltung des Heiligen Stuhls wurde allerdings noch auf der Konferenz von Troppau 1820 darüber beraten, ob man den Papst nicht als Mediator für den Konflikt in Süditalien gewinnen könne.161 Der Inhalt des Vertrags wurde in Europa schnell bekannt. Bereits Anfang Februar erschienen Meldungen in der „Frankfurter Zeitung“, dem „Journal des Débats“ und den „Berliner Blättern“. Ebenfalls Anfang Februar fand im britischen Unterhaus eine lebhafte Debatte statt, in der auch die Heilige Allianz zur Sprache kam.162 Wohl auch aus diesem Grund sah sich der Zar veranlasst, einige Präzisierungen mit Blick auf die Heilige Allianz vorzunehmen. Offenbar war der Inhalt des Dokuments weniger selbsterklärend, als es der religiös erweckte Monarch annahm. Hinter den Missverständnissen witterte Alexander ein erneutes Auftreten des „genie du mal“, daher gelte es nun, entschieden aufzutreten und sämtliche

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de Stourdza, Œuvres posthumes religieuses, historiques, philosophiques et littéraires. Paris 1859, 75–124. Alexander an Pius VII., 15./27.9.1815, in: ebd., 522. Vgl. auch Martens, Politik, 259–264. Vgl. Michailovič, Alexandre, Bd 3, 213; sowie das ablehnende Schreiben von Kardinal Consalvi an Tuyll, 23.8.1816, in: Bertier de Sauvigny, Sainte-Alliance, 98–100. Instruktion an Italinksij, 15./27.1.1817, in: VPR II/1, 401–405. Ebd., 402. Dies war ein Vorschlag Metternichs, dem Alexander zustimmte. Vgl. die Aufzeichnungen in AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287, 212v, 232r. Vgl. Cresson, Holy Alliance, 41–44.

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Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.163 Da Frieden und Eintracht als direkte Ableitungen der christlichen Religion zu lange auf die Sphäre des Privaten und Zwischenmenschlichen beschränkt gewesen seien, war es nun an der Zeit, sie auf die Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen zu transponieren. Telle étant l’intention qui a suggéré cet Acte, le but unique et exclusif des s’Alliance ne peut être que le maintien de la paix, et le ralliement de tous les intérêts moraux des peuples, que la divine Providence s’est plue à rénur sous la bannière de la Croix.164

Weitere Erklärungen folgten: Der Vertrag sei nicht gegen Staaten mit anderen religiösen Bekenntnissen gerichtet und ziele insgesamt darauf ab, dass aus einer auf ewig gestellten Freundschaft zwischen den Monarchen (deren Kitt der christliche Glauben sein sollte) eine Friedenszeit für die Völker wachsen werde. In der Wahrnehmung der Zeitgenossen war die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongress eine von Kriegen dominierte Epoche.165 Die Kriege nach 1792 zeigten ein bisher unbekanntes Ausmaß an Gewalt und hoben sich qualitativ von früheren Kriegen ab. Insofern stellten sie eine besondere Herausforderung für ihre sinnhafte Verarbeitung dar, nicht zuletzt, weil in den Revolutionskriegen zum ersten Mal ein Feldzug gegen die christliche Religion selbst geführt wurde. Ein Indiz für die vermehrte Hinwendung zu religiösen Deutungskategorien ist die Identifizierung Napoleons mit dem Antichristen.166 Dies führte dazu, dass die Gegenwart nicht selten als Endzeit interpretiert wurde.167 Zudem wirkte in weiten Teilen Europas auch das Feindbild der „gottlosen Franzosen“ nach, das in der Frühen Neuzeit schon eine beachtliche Karriere vorgelegt hatte und nun auch in Russland verbreitet wurde.168 Das Beispiel des russischen Zaren ist nun in vielerlei Hinsicht ein besonderes. Er hatte 1812 ein Erweckungserlebnis und fand damit erst zum Glauben. Auch wenn der Ausgangspunkt ein anderer war – keine vorhandene Frömmigkeit, die durch Grenzerfahrung gesteigert wurde –, so war das Resultat ähnlich und in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit Erweckungserlebnissen, die sich in protestantisch geprägten Umfeldern ereigneten, denn Alexander lebte fortan in gesteigerter Frömmigkeit. In der Folge seiner Erweckung zeigt sich in besonderem Maße die

Vgl. Alexander an Lieven, 18.3.1816, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 284, 1r–3v, hier 1v. Ebd., 2v. Vgl. Fehrenbach, Ancien Régime, 15. Vgl. Pelzer, Wiedergeburt. Vgl. hierzu Thomas Klingebiel, Apokalyptik, Prodigienglaube und Prophetismus im Alten Reich. Einführung, in: Lehmann Hartmut/Trepp, Ann-Charlott (Hrsg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999, 17–32. 168 Vgl. Winfried Schulze, Die Entstehung des nationalen Vorurteils. Zur Kultur der Wahrnehmung fremder Nationen in der europäischen Frühen Neuzeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46, 1995, 642–665. Die Verbreitung in Russland passierte insbesondere durch die Propaganda von Rostopčin. Die Propaganda-Blätter in: Suvorin, A. (Hrsg.), Rostopčinskija afiši. St. Petersburg 1889 und Kartavov, P. A. (Hrsg.), Letučie listki 1812 goda: Rostopčinskiia afiši. St. Petersburg 1904.

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Relevanz des Religiösen.169 Aus den nach der Erweckung vorherrschenden eschatologischen Deutungsmustern folgte in der Regel gerade nicht die Hinwendung zu Quietismus oder Resignation. Vielmehr konnten sich Fromme in ihrem Glauben bestärkt fühlen angesichts der Beobachtung, dass in der Gegenwart Sünde und Unglaube vorherrsche. Individualpsychologisch gewendet: Endzeitangst und Endzeithoffnung wurden handlungsleitend für eine gesteigerte persönliche Frömmigkeit.170 Es ist daher kaum verwunderlich, dass das Osterfest 1813, das Alexander in Dresden beging, die Endzeiterwartung dahingehend manifest werden ließ, dass die Auferstehung Christi als unmittelbar wahrgenommen wurde: […] C’est du fond de mon cœur que je vous réponds: En vérité Il est ressucité! et plût à Dieu que cela ne soit pas une vaine expression. C’est samedi 12, après la messe, que nous avons fait notre entrée à Dresde, et à minuit nous avons chanté sur les bords de l’Elbe l’hymne pascal. Il me serait difficile de vous render l’émotion don’t je me sentais pénétré en repassant tout ce qui s’était passé depuis un an et où la Providence Divine nous avait conduits. À coté cependant de ces sensations de plaisir et de gratitude envers notre Sauveur, nous nous préparons avec soumission à une épreuve difficile.171

„Il s’agit à cette époque de lutter contre le Rêgne de Satan“, so erschien Alexander seine Situation 1812.172 Das in der Zeit der napoleonischen Kriege Erlebte sprengte Alexanders Erfahrungshorizont. Auf der Suche nach Weltdeutungen war der russische Zar ohnehin anfällig für die Deutung von Zeichen, die in die Zukunft wiesen. Es war daher kein Zufall, der Alexander auf den Weg der Erweckungsbewegung und des Pietismus führte. Denn dem in dieser Umbruchzeit besonders ausgeprägten Bedürfnis nach Verarbeitung und Deutung konnte der stark ritualisierte und formalisierte orthodoxe Glaube nicht gerecht werden. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert hatte sich der russische Adel vermehrt vom orthodoxen Glauben abgewandt, der ihm immer weniger eine geistige Heimat bieten konnte.173 Etwa seit den 1780er Jahren hatten sich die Logen im Zuge des steigenden Einflusses rosenkreuzerischen Gedankenguts mehr und mehr mystizistischen Gedanken geöffnet, so dass Denker wie Jakob Böhme, Karl von Eckartshausen, Emanuel Swedenborg oder Louis Claude de Saint-Martin in diesen Kreisen verbreitete Lektüre waren.174 Freimaurerlogen boten hier nicht nur die Möglichkeit, 169 D. A. Snow/R. Machalek, The Sociology of Conversion, in: Annual Review of Sociology 10, 1984, 167–190 und Volker Krech, Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Zur gegenwärtigen Lage der Konversionsforschung, in: Spirita 8, 1994, 24–41. 170 Vgl. Carl: „Der Anfang vom Ende“, 101 f. 171 Alexander an Golicyn, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 509. 172 Alexander an Czartoryski, 1812, o.D. In: GARF, Fond 728, Opis’ 1, Delo 831, 1–2. 173 Vgl. Martin, Defenders, 350–352. 174 Vgl. Zdenek V. David, The influence of Jacob Boehme on Russian Religious Thought, in: Slavic Review 21, 1962, 43–64 und Raffaella Faggionato, From a Society of the Enlightened to the Enlightenment of Society. The Russian Bible Society and Rosicrucianism in the Age of Alexander I, in: Slavonic and East European Review 79, 2001, 459–487; auch Knapton, Origins, 137 f.

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einen sozialen Raum zu schaffen, in dem Begegnungen stattfinden konnten, sondern haben einen Rahmen für die Antworten auf metaphysische Fragen geboten – zu denken wäre etwa an den Einfluss des bereits erwähnten Mystikers Labzin. Im Gegensatz dazu hatte sich die Orthodoxie auf eine Weise von der herrschenden Schicht entfremdet, dass sie keinerlei Orientierung in Krisenzeiten mehr bieten konnte. In seiner wichtigen Arbeit „Aufklärung und Erweckung“ hat der Basler Kirchenhistoriker Max Geiger vier grundlegende Elemente der Verbindung zwischen der Heiligen Allianz und dem Gedankengut der Erweckung herausgearbeitet. Diese waren – erstens – der Gedanke der Ökumene, der motiviert war durch den Wunsch, die Spaltung des Christentums zu überwinden, gewissermaßen zu heilen. Zweitens war es der Gedanke, dass die gesamte Menschheit für die Sünden der Revolution die Verantwortung übernehmen und folglich auch büßen beziehungsweise für eine Erlösung im Diesseits entsprechend arbeiten müsse. Drittens greift die Heilige Allianz den egalitären Grundgedanken der christlichen Solidargemeinschaft auf. Viertens sind die Gedanken einer institutionalisierten christlichen Weltordnung und die konsequente Umsetzung der Bergpredigt zu konstatieren, was sich an dem Umgang mit dem besiegten Frankreich und dem konsequenten Racheverzicht in den Jahren 1814/15 ablesen lässt.175 Anhand der Personen Eckartshausens, Baaders und Jung-Stillings lässt sich exemplarisch nachvollziehen, wie sich die Gedankenwelt des Zaren etabliert und verfestigt hatte.176 Dass es sich hierbei um deutsche Denker handelt, liegt darin begründet, dass der Kulturtransfer von hier in Richtung Russland seit mehr als hundert Jahren gut funktionierte.177 Für den Zaren bezeichnet das annus horribilis 1812 den entscheidenden Einschnitt. Mit der Schlacht von Borodino hatten sich die französischen Truppen den Weg nach Moskau erkämpft, das am 2. September erreicht wurde.178 In der Stadt herrschte Chaos. Diebstahl, Raub und Überfälle waren an der Tagesordnung. Der Brand der Stadt, die als „Drittes Rom“ heilsgeschichtlich von hoher symbolischer

175 Vgl. Max Geiger, Aufklärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie. Zürich 1963, 384–408. 176 Zu Jung-Stilling und seinem Einfluss auf Alexander und die Heilige Allianz: ebd., sowie Erich Mertens, Die Heilige Allianz von 1815 und Johann Heinrich Jung-Stilling, in: ders. (Hrsg.), Auf den Spuren von Jung-Stilling. Studien zu Johann Heinrich Jung-Stilling (1740– 1817). Siegen 1998, 67–91; Zu Eckartshausen ist die Literaturlage sehr spärlich – siehe Wolfgang Albrecht, Vom Illuminatenorden zur „Lichtgemeinde Gottes“. Karl von Eckartshausen als exponierter Repräsentant katholisch-theologischer Gegenaufklärung, in: Weiß, Christoph (Hrsg.), Von „Obscuranten“ und „Eudämonisten“. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert. St. Ingbert 1997, 127– 153. Grundlegend Antoine Faivre, Eckartshausen et la théosophie chrétienne. Paris 1969. Die Schriften von beiden sind von Aleksandr Fedorovich Labzin ins Russische übersetzt worden. 177 Vgl. Raeff, Les Slaves, Flynn, University Reform, 71–75. Ein Überblick bei Martin, Romantics. 178 Zu den Ereignissen nach Borodino: LeDonne, Grand Strategy, 164 f. Zur Schlacht: Zamoyski, Moscow, 265–295.

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Bedeutung war,179 fiel zusammen mit einem Tiefpunkt in Alexanders persönlicher Entwicklung.180 Den häufig behaupteten Einfluss des mystisch-theokratischen Denkers Franz von Baader wird man eher gering veranschlagen müssen, jedenfalls deutlich geringer, als dies Hans Mertens in seiner Freiburger Dissertation aus dem Jahr 1928 getan hat, der einen beinahe wörtlichen Zusammenhang zwischen Baaders Schrift „Über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfnis einer neuen und innigen Verbindung der Religion mit der Politik“ und der Heiligen Allianz konstatierte.181 Baader hatte im Sommer 1814 ein erstes Memorandum an die Herrscher Russlands, Preußens und Österreichs gesandt, in der er sich für ein einheitliches christliches Europa stark machte. Auch wenn dieses und ein zweites Schreiben vom Frühjahr 1815 nicht mehr vorliegen, so findet sich die Quintessenz in der gerade erwähnten Schrift. Aus der älteren Forschung ist die Behauptung des unmittelbaren Einflusses Baaders häufig unreflektiert bis in die neueste Zeit übernommen worden und ist somit heute in zahlreichen Überblicksdarstellungen und Standardwerken zu finden.182 Baader hatte sich in München in der philhellenischen Bewegung engagiert und stand daher in Austausch mit Kapodistrias. Wahrscheinlich ist jedoch, dass der Zar in den Gedanken Baaders nurmehr eine Bestätigung seiner eigenen Konzeption fand.183 Als Baader 1822, mittlerweile „Correspondant du Ministère des Cultes et de l’Instruction publique“, versuchte, nach Sankt Petersburg zu reisen, wurde ihm die Einreise durch den Minister Golicyn verweigert, nachdem dieser sich bei Alexander rückversichert hatte. Auch ein Einspruch des Deutschen beim Zaren persönlich half nichts: Er durfte nicht über Riga hinausreisen184 179 Vgl. auch Peter Nitsche, Moskau – Das Dritte Rom?, in: Geschichte und Gesellschaft 42, 1991, 341–354. 180 Ein Zeichen war, dass er im September 1812 für einen öffentlichen Auftritt auf dem Nevskij Prospekt das Pferd gegen einen Wagen eintauschte. Vgl. Edling, Mémoires, 79–81. 181 Franz von Baader, Über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfniss einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik (Nürnberg 1815), in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 6, Leipzig 1854. Die Behauptung bei Hans Mertens, Untersuchungen zu Franz Baaders historisch-politischem Arbeitsgebiet. Köln 1929, zugl. phil. Diss. Freiburg 1928, 56. 182 Für die ältere Forschung vgl. Franz Büchler, Die geistigen Wurzeln der Heiligen Allianz. Freiburg 1929, 50–71, sowie Schaeder, Koalition, 65–70. Für die jüngere Literatur siehe beispielsweise Jan Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit. Bd. I. Tübingen 1997, 427: „Baader, der mit seiner Denkschrift [..] ja zu den Initiatoren der Heiligen Allianz gehört [..].“ Oder Klaus v. Beyme, Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien 1789 – 1945. Wiesbaden 2002, 419: „In der Restaurationszeit wurde Baader neben Jung-Stilling und der Baronin Krüdener zum Initiator der Heiligen Allianz.“ Vgl. auch Ernst Benz, Franz von Baader und Kotzebue. Das Russlandbild der Restaurationszeit. Wiesbaden 1957, 3–41; HansRüdiger Schwab, Baader, Franz von, in: Lutz, Bernd (Hrsg.), Metzler Philosphen-Lexikon, Stuttgart u.a. 21995, 65–67; Wilhelm Schmidt-Biggemann, Politische Theologie der Gegenaufklärung. Saint-Martin, De Maistre, Kleuker, Baader. Berlin 2004, 136–140. 183 Vgl. Markert, Politik, 70–72. 184 Vgl. Golicyn an Alexander, 17.11.1822 (AS), in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 417, 1; Baader an Golicyn, 21.11.1822 (NS), in: ebd., 2; Baader an Alexander, 21.11.1822, in: ebd., 3.

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4. THEORETIKER UND SPHINX – DIE GESCHWISTER ROXANDRA UND ALEXANDER STOURDZA Weitaus wichtiger scheint hingegen die Rolle der Geschwister Roxandra und Alexander Stourdza gewesen zu sein, die beide im engsten Umfeld des Zaren gewirkt haben.185 Die Geschwister sind nicht erst in jüngerer Zeit in den Fokus der Forschung gerückt, jedoch leiden die älteren Darstellungen zumeist an einer Einseitigkeit der benutzten Materialien, so dass ein engerer Zusammenhang zur Heiligen Allianz vielfach vermutet wurde.186 Im Licht der verfügbaren Quellen muss diese Vermutung allerdings revidiert werden. Roxandra Stourdza war das entscheidende „Bindeglied zwischen der deutschen Erweckungsbewegung und dem russischen Hof“, da sie eng vertraut mit Alexander und seinen engsten Freunden Košelev und Golicyn war.187 Ihr Bruder Alexander galt als der entscheidende „Theoretiker“ der Heiligen Allianz, dessen Konzeption auf eine liberale Vorstellung von Gesellschaft und Politik bei staatlicher Dominanz in kirchlichen Fragen abzielte. Roxandra kam an den Hof der Zarengattin und lernte auf diesem Wege Joseph de Maistre kennen. Beide teilten die Überzeugung, dass Alexander eine herausragende Rolle im göttlichen Heilsplan zukomme und dass seine Aufgabe darin bestehe, die gottlosen Franzosen zu besiegen.188 Im Krisenjahr 1812 schließlich begann eine enge Freundschaft zwischen ihr und dem Zaren.189 Dies war die Voraussetzung für die besondere Vermittlerrolle, die sie zwischen dem deutschen Pietismus und Alexander einnehmen sollte, als sie mit der Zarin im Herbst 1813 nach Baden reiste und dort Juliane von Krüdener kennenlernte.190 Nur wenige 185 Vgl. Alexander M. Martin, Die Suche nach dem Juste Milieu. Der Gedanke der Heiligen Allianz bei den Geschwistern Sturdza in Russland und Deutschland im napoleonischen Zeitalter, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 54, 1998, 81–126. 186 So bei Ley, Sainte-Alliance. Ältere Literatur: Carl Brinkmann, Die Entstehung von Sturdzas „Etat actuel de l’Allemagne“. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, in: HZ 120, 1919, 80–102; A. Markovič, Žosef de Mestr i Sent-Bëv v pismach k R. Sturdze-Ėdling, in: Literaturnoe nasledstvo 33–34, 1939, 379–456; Eugen von Paunel, Das Geschwisterpaar Alexander und Roxandra Sturdza, verehelichte Gräfin Edling, in Deutschland und Russland zur Zeit der Restauration, in: Südostforschungen 9, 1944, 81–125; Max Geiger, Roxandra Scarlatovna von Stourdza (1786–1844). Zur Erweckungsbewegung der Freiheitskriege, in: Theologische Zeitschrift Basel 12, 1956, 393–408; Hans Petri, Alexander und Ruxandra Stourdza. Zwei Randfiguren europäischer Geschichte, in: Südostforschungen 22, 1963, 401–436, ders., R. de Stourdza und der Reichsfreiherr vom Stein, in: Südostforschungen 28, 1969, 280–283; Vladen G. Sirotkin, Velikaja franzuzskaja buržuasnaja revoljucija, Napoleon i samoderžavnaja Rossija, in: Istorija SSSR 1981, 39–56; Theophilus C. Prousis, Aleksandr Sturdza. A Russian Conservative Response to the Greek Revolution, in: East European Quaterly 26, 1992, 309–344; Alexander M. Martin, A. Sturdza i „Svjaščennyj sojuz“ (1815–1823 gg.), in: Voprosy istorii 11, 1994, 145–151. 187 Martin, Juste Milieu, S.83. 188 Vgl. Edling, Mémoires, 18–24 und 48 f. 189 Vgl. ebd, 29–32 und 63–66. 190 Vgl. ebd, 132 f; Francis Ley, Madame de Krüdener et son temps 1764–1842. Paris 1961, 407.

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Wochen später wurde sie dort ebenfalls mit dem Freund Krüdeners, Johann Heinrich Jung-Stilling bekannt gemacht, der zu einer prägenden Gestalt ihrer weiteren geistigen Entwicklung werden sollte.191 Wenn sie auch mit der mystischen Welt Juliane von Krüdeners zunehmend weniger anfangen konnte, so verband sie zu Franz von Baader, den sie im Frühjahr 1815 kennenlernte, ein ähnlich inniges Verhältnis wie zu Jung-Stilling. Sie las Jung-Stillings „Heimweh“, empfahl es ihrem Bruder, der zwar inhaltlich kaum Zugang zu der Welt der Erweckung fand, aber das Buch ebenso wie Baaders Schriften las.192 Nach und nach erweiterte sie den Kreis derjenigen, die mit Baader und Jung-Stilling in Kontakt kamen. Nachdem Sie Kapodistrias in den Kreis eingeführt hatte war sie dafür verantwortlich, dass Baaders Schrift „Über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfnis einer neuen und innigen Verbindung der Religion mit der Politik und der Heiligen Allianz“ an Golicyn gesandt wurde, der sie Alexander weiterzureichen versprach.193 Als Alexander schließlich im Juli 1814 nach Bruchsal kam, war sie es, die ihn mit der Baronin Krüdener und schließlich auch mit JungStilling zusammenbrachte.194 In ihren Erinnerungen berichtet sie über das Gespräch mit Alexander, dieser habe von dem „lien d’amour et de charité“ zwischen Roxandra und Jung-Stilling gesprochen, dem er beizutreten hoffte.195 Der Wunsch des Zaren, Baronin von Krüdener kennenzulernen, entstand, als ihm Roxandra während des Wiener Kongresses einen Brief mit einer Prophezeiung der Mystikerin zuspielte, in dem sie eine Wiederkehr Napoleons voraussagte.196 Roxandra Stourdza blieb ihrer Wirkungsstätte Deutschland treu, nachdem sie Albert Cajetan Graf von Edling heiratete, der ab 1813 Oberhofmarschall und von 1815-1819 Staatsminister in Sachsen-Weimar war, für zwei Jahre sogar Goethes Nachfolger als Intendant des Hoftheaters in Weimar. Auch in dieser Zeit blieb sie in engem Kontakt mit Baader und Jung-Stilling und berichtete regelmäßig nach Sankt Petersburg an Golicyn.197 Wie gesagt pflegte Roxandra Stourdza enge Verbindungen mit Joseph de Maistre, Johann Heinrich Jung-Stilling, Juliane von Krüdener und Franz von Baader. Obwohl sie weiterhin dem orthodoxen Glauben treu blieb, weisen sie diese Verbindungen als offen für andere Konfessionen aus – ein Charakterzug, der ihrem Bruder gänzlich fehlte. Sie hatte in ihrer Jugend – nachdem die Familie aus dem Fürstentum Moldau nach Russland gezogen waren, um den Osmanen zu entgehen – eine religiöse Krise durchlebt, die durch die Lektüre aufklärerischer Schriften verstärkt wurde.198 Ihr Bruder Alexander stellte sich während des Krieges gegen Napoleon einer ähnlich fundamentalen Krise, die ihn seine französische 191 192 193 194 195 196 197 198

Hierzu Geiger, Stourdza. Vgl. Martin, Juste Milieu, 90 f. Ebd. Vgl. Edling, Mémoires, 132, 217 f.; Empaytaz, Notice, 12–15. Vgl. ebd., 146–151, Zitat 151. Vgl. Geiger, Stourdza, 399 f.; Edling, Mémoires, 217 f. Vgl. Edling, Mémoires, 189. Vgl. Ebd., 5 f.

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Erziehung verdammen und die „russische Seele“ für sich entdecken ließ, was mit einer Verstärkung seiner religiösen Gefühle einherging.199 Er trat 1809 in die Dienste des Außenministeriums, machte dort schnell Karriere und bald auch die Bekanntschaft von Kapodistrias.200 Den Krieg erlebte er bis 1812 in der DonauArmee Admiral Čičagovs, bei der er aufgrund seiner Herkunft diplomatische Aufgaben im Fürstentum Moldau erfüllte.201 Im Mai 1814 brach er nach Wien auf, wohin er sich hatte versetzen lassen, um an den Vorbereitungen zum Kongress teilzunehmen. Hier war er Kapodistrias unterstellt und arbeitete an der Lösung der schweizerischen, der polnischen und der orientalischen Frage mit. 1815 folgte Stourdza Kapodistrias nach Paris, das er als kulturlos und heruntergekommen empfand. Schlimmstes Charakteristikum der Stadt sei es allerdings, dass sie religionslos und damit politisch abgestumpft sei. Entsprechend deutet er die Revolution als Auswuchs mangelnder moralischer Grundierung von Politik, der man mit entsprechenden Mitteln begegnen müsse: „Cépendant à l’exception de la Russie, le reste de l’Europe livré aux écarts d’une civilisation qui n’a plus la religion pour guide, semble être en souffrance […].”202 Diese Mittel waren in erster Linie von einem kirchlich-orthodoxen Standpunkt aus gedacht. In der „Revue de l’année 1819“, einem unveröffentlicht gebliebenen Aufsatz, vertrat Stourdza die Position, dass nur die Kirche – in diesem Text, entgegen seinen anderen Schriften, nicht ausschließlich die orthodoxe Kirche – dauerhafte Orientierung garantieren könne. Revolution war ein geradezu krankhafter Auswuchs der Aufklärung. Im Unterschied zum Zaren entwickelte Stourdza in seinen Schriften eine sozialkonservative Doktrin, die Idee eines Ständestaats mit einer adeligen Führungsschicht und einem absoluten Monarchen an der Spitze.203 Das musste indes nicht ubiquitär gelten: Die jeweilige politische Ordnung eines Landes solle sich gemäß den sozialen und historischen Gegebenheiten entwickeln – in diesem Punkt ähnelten sich Positionen Stourdzas und des Zaren wieder.204 Die größte Gefahr für das russische Herrschaftsgebiet, das man schon ‚panlawistisch‘ nennen könnte, da es ein idealisiertes Griechenland einschloss, sah Stourdza im Osmanischen Reich.205 Doch stand der Hauptfeind gewissermaßen im Westen. Die Gefahr der Aufklärung als Grundübel der Säkularisierung war mit dem Sieg über Napoleon keinesfalls gebannt. Insofern erklären sich die Hoffnungen, die Alexander Stourdza in die Heilige Allianz setzte, Europa zu retten.

199 Quellengrundlage für die Selbst-Einschätzung Alexander Stourdzas ist „L’Histoire de mon enfance et de ma première jeunesse, écrite pour ma soeur. 3 cahiers. 1809“, in: AIRLI, f. 288, op. 1, d. 2. Hierauf verweist Martin, Juste Mileu, 85. 200 Vgl. G. L. Arš, Ioann Kapodistrija v Rossii, in: Voprosy Istorii 5, 1976, 49–65. 201 Pavel V. Čičagov, Mémoires de l’amiral Tchitchagoff (1767–1842). D’après des documents authentiques. Leipzig 1869, 120 f. 202 „Année de 1819“, in: RGADA, f. 3, op. 1, d. 47, 24r . Vgl. auch Martin, Juste Milieu, 94, der aus einem Brief von August 1815 zitiert. 203 Vgl. Martin, Juste Milieu, 96–98. 204 Dies das Kernargument einer Denkschrift o.D, in: AVPRI, f. 133, op. 168, d. 7713, 3r–6v. 205 Vgl. Martin, Juste Milieu, 98–100.

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Stourdza bekam den Entwurf der Heiligen Allianz als Dritter in die Hände, nachdem Alexander in Paris Kapodistrias beauftragt hatte, aus seinem Entwurf einen Vertragstext zu formulieren.206 In diesem Entwurf fand Stourdza einen Geist, der mit seinen Vorstellungen gesellschaftlichen und staatlichen Miteinanders völlig konform zu sein schien. Beide, Stourdza und sein Vorgesetzter Kapodistrias, machten sich an die zunächst kaum lösbar erscheinende Aufgabe, aus der „sainte théorie“ einen unterschriftsfähigen Text zu machen.207 Hier kam Stourdza seine Erfahrung als Leiter der Kanzlei im Außenministerium zur Hilfe, denn dort war er für die Ausfertigung der diplomatischen Schriftstücke verantwortlich. Stourdzas Buch „Considérations sur la Doctrine et l’Esprit de l’église orthodoxe“ weist daher nicht zufällig eine große sprachliche Nähe zu den Formulierungen der Heiligen Allianz auf. Bei den „Considérations“ handelt es sich sowohl um eine Verteidigungsschrift des orthodoxen Glaubens im Westen als auch um einen propagandistischen Text, der die Ideen der Heiligen Allianz in einem überkonfessionellen Kontext verbreiten sollte. Auch hier findet sich die anthropomorphe Sicht auf Staaten als intelligente und gefühlsbegabte Entitäten, deren wichtigste Aufgabe es sei, die Harmonie im internationalen System herzustellen und zu sichern, um als Ziel ein „lien d’une fraternité véritable“ zu etablieren.208 In dieser Verteidigungsschrift betont Stourdza weniger die Unterschiede zwischen den Konfessionen, sondern präpariert die gemeinsamen Grundlagen von Erkenntnis und Liebe heraus. Erkenntnis sei in die Welt gekommen durch die Manifestation Gottes in der Natur, Liebe durch Christus vermittelt worden. Als Gegenpart zur Haltung der göttlichen Liebe und Einsicht stellte er den Egoismus dar, der politisch gewendet das herausragende Signum der „vieille politique“ war. Auch in weiteren Schlüsselpositionen des geistigen Lebens, etwa der Aufsicht über die Schule und die Zensur war Stourdza vertreten.209 Vor allem aber spielte er eine bedeutende Rolle dabei, propagandistisch im Westen für die russische Politik zu werben. Kapodistrias hatte die Anregung Kotzebues aufgegriffen und stellte literarische Agenten ein, die – ohne ihre Verbindungen mit Russland zu erkennen zu geben – gezielt pro-russische Stellungnahmen veröffentlichen sollten.210 Darüber hinaus wurde Stourdza zu einer Art „Theoretiker“ des neuen außenpolitischen Systems von Zar Alexander.211 Diese Rolle begann sich jedoch bereits nach einem guten Jahr abzuschwächen, nachdem ihm die „Abwertung“ der

206 Vgl. Capodistria, Aperçu, 61. 207 Ebd, 104. 208 Stourdza, Considérations, 3–6, Zitat 6. Weitere Übereinstimmungen sind das „être suprême“ (12) und die besondere Bedeutung der „Providence“ (ebd.). 209 Vgl. A. I. Georgievskij, K istorii učenago komiteta ministerstva narodnogo prosveščenija. Sankt Petersburg 1902, 2–7. 210 Vgl. Sirotkin, Revoljucija, 47–49. 211 Alexander Martin sieht die Rolle Stourdzas vor allem darin, „der verschwommenen Ideologie der Heiligen Allianz einen klaren, systematischen Ausdruck zu geben“, wobei er den Anteil des Zaren an der Ideenfindung und Ausgesaltung zu niedrig veranschlagt. Vgl. Martin, Juste Milieu, 107.

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russisch-orthodoxen Kirche im Doppelministerium für geistliche Angelegenheiten und Volksaufklärung in ihrem ganzen Ausmaß bewusst wurde. Das Wartburgfest 1817 wurde für Stourdza zu einem einschneidenden Moment. Hier wurden Schriften seines Freundes Kotzebue von den Studenten verbrannt. Er begann wohl umgehend an der Arbeit einer Denkschrift, die er Kapodistrias bereits am Tag seiner Ankunft in Aachen am 10. Oktober überreichte. Ihr Kerngedanke war ein Aufruf an die deutschen Fürsten, die Politik gegenüber den Universitäten und der Presse künftig so zu gestalten, dass Staat und Religion geschützt werden.212 Diese Denkschrift wurde dem Zaren vorgelegt, der offenbar mit den grundsätzlichen Inhalten einverstanden war, aber entschieden mahnte, den Tonfall vor einer Publikation zu mäßigen.213 Das aus der Überarbeitung der Denkschrift entstandene „Mémoire sur l’état actuel de l’Allemagne“ wurde veröffentlicht, ohne dass der Zar das Manuskript noch einmal gelesen hätte. Stourdza hatte sich hier ganz auf die Fürsprache Kapodistrias’ und des Freiherrn vom Stein verlassen. Es verursachte schließlich eine derartige Woge antirussischer Stimmung, dass auch Stourdza seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte.214 Umso erstaunlicher ist seine Stellungnahme zu den Karlsbader Beschlüssen. In einer Denkschrift riet er, diese Beschlüsse nicht anzunehmen, sondern einen moderateren Weg einzuschlagen. Er nahm Bezug auf Artikel 13 der Bundesakte und regte an, dass in den deutschen Territorien repräsentative Verfassungen eingerichtet werden müssten. Grundübel der gegenwärtigen Krise sei der überall zu bemerkende Religionsverfall, dem entschieden entgegengetreten werden solle, vor allem durch bildungspolitische Maßnahmen.215 Die Karlsbader Beschlüsse seien hingegen nichts als ein Herumdoktern an den Symptomen der Krise, ohne dabei die Ursachen zu bekämpfen. Diese Gegenwartsdiagnose zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften Stourdzas – und er wandte sie ebenfalls auf die Revolutionen in Spanien und Neapel 1820 an. Auch hier erkannte er einen Abfall von der Religion als Ursache der Unruhen. Diese Analyse deckte sich mit den Einsichten des Zaren, so dass Stourdza weiterhin als Ratgeber gefragt war. Das Urteil Alexander Martins, dass seine Denkschriften wichtig gewesen seien, „weil Alexander I. in ihnen klar und logisch beschrieben vorfand, was er selber nur verschwommen fühlte“, wird man dennoch als übertrieben werten müssen. Es ist zudem einem Bild des Zaren geschuldet, nach dem er zu keiner systematischen Denkleistung imstande gewesen

212 Vgl. ebd, 110 f. 213 Schreiben Alexanders vom 26.02.1819, in: AVPRI, f. 288, op. 468, d. 10083. Beide Außenminister, Nesselrode und Kapodistrias, vertraten die Position, dass die Schrift eine Auftragsarbeit war, die letzten Endes auf den Zaren zurückging. Lediglich der aggressive Stil dieser Schrift sei der Stein des Anstoßes gewesen. 214 Dass die Schrift schließlich in die Hände der Presse gelangen konnte, war angesichts der 50 Privatkopien, die in Aachen zirkulierten, kein Wunder. Vgl. Brinkmann, Entstehung, 86. Zum „État actuel“ vgl. Martin, Defenders, 449–470. 215 Denkschrift Stourdzas, 04.02.1820, in: RGADA, f. 3, op. 1, d. 78, 106–127.

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sei.216 Es spricht allerdings auch ein institutionelles Argument gegen diese Sichtweise: Stourdza ist nicht weiter in der Hierarchie des Außenministeriums aufgestiegen oder auf andere Art und Weise in den Inner Circle der politischen Entscheidungsfindung in Sankt Petersburg vorgestoßen. Vielmehr verfasste er einen Großteil seiner Denkschriften von seinem von Moskau und Sankt Petersburg weit entfernten Gut Ust’e aus. Gleichwohl lieferten seine Denkschriften wichtige argumentative Bausteine und Hilfen für den Zaren. Es war daher nur folgerichtig, dass er von Kapodistrias gebeten wurde, für den Kongress in Troppau eine Art Tischvorlage zu erstellen, in der er eine kohärente Politik im Sinne der Heiligen Allianz entwarf.217 Die schiere Geschwindigkeit, mit der Stourdza diesem Auftrag nachkam – am 9. Oktober erhielt er das Schreiben Kapodistrias’ und bereits am 12. Oktober konnte er die Denkschrift versenden – legt nahe, dass er auf bereits systematisch entfaltete Überlegungen zurückgreifen konnte. Im Ergebnis zeigen sich einige Elemente, die eine deutliche Nähe zu den Gedanken des Zaren aufweisen, allerdings auch einige trennende Merkmale, wie etwa die unterschiedliche Beurteilung Frankreichs und Englands.218 Grundsätzlich stimmten beide in dem Gedanken überein, dass einzig eine wieder erstarkte Religiosität ein Heilmittel gegen die Übel der Zeit sein könne.219 Allerdings leitete Stourdza aus dieser grundsätzlichen Überlegung die Notwendigkeit ab, das geistige und moralische Leben fortan einer Staatskirche zu unterstellen, die losgelöst von staatlicher Kontrolle sein müsse, zugleich aber unter staatlichem Schutz stehe. Er schlug eine konstitutionelle Erbmonarchie vor, die die Bürgerrechte garantieren und schützen und in der es ein beratendes Parlament geben solle – Gedanken, um die die Reformüberlegungen Alexanders seit seiner Inthronisation kreisten. Auch für den Bereich der internationalen Beziehungen dachte er ähnlich. Hier votierte er für einen Staatenbund mit der Kompetenz, bei Verstößen gegen seine Prinzipien kollektive Sanktionen zu verhängen, zunächst in der Form von Mediationen und im Falle eines Scheiterns – und nur dann – in Form militärischer Sanktionen. Als Kollektivorgan war der Staatenbund für die Überwachung des Friedens zuständig; die einzelnen Mitgliedsstaaten sollten sich jeweils gegenseitig territoriale Unverletztlichkeit garantieren. Diese Denkschrift entsprach so sehr den Vorstellungen des Zaren, dass er Kapodistrias beauftragte, ihren Verfasser nach Troppau einzuladen, was Stourdza allerdings aus gesundheitlichen Gründen ablehnte.220 Diese Absage hatte gewissermaßen prophetischen Charakter, denn nach Troppau ist kein Fall mehr bekannt, in dem Alexander Stourdza zur Entscheidungsfindung hinzugezogen hätte.221 216 217 218 219 220 221

Martin, Juste Milieu, 118. Vgl. Kapodistrias an Stourdza, 5./17.10.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 10159, 47r–47v. Vgl. dazu Martin, Defenders, 441–445. Vgl. ebd. Vgl. Kapodistrias an Alexander, 02.10./21.11. [sic!], in: RGADA f. 3, op. 1, d. 78, 55. Im Fall der griechischen Unabhängigkeitsbewegung verhallte seine Stimme, die dazu aufrief, den Glaubensbrüdern mit Waffen zur Hilfe zu eilen, gänzlich ungehört. Vgl. Martin, Defenders, 539–542.

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Der Einfluss der Geschwister auf die Entstehung der Heiligen Allianz ist in erster Linie im personellen Umfeld von Roxandra Stourdza zu suchen, durch die Alexander in persönlichen Kontakt mit Mystikern und der Erweckungsbewegung gekommen war. Ein direkter Einfluss ihres Bruders kann hingegen nicht festgestellt werden, auch wenn er von Anfang an eng mit der Geschichte der Heiligen Allianz verbunden war. Seine Tätigkeiten waren ausführender, später theoretisierender Natur, ohne allerdings Auswirkungen auf die konzeptionellen Überlegungen des Zaren zu haben. 5. ALLIANCE GÉNÉRALE Im Spätsommer und Herbst 1815 tagte in Paris weiterhin das Gremium, das zusammengekommen war, um über den Umgang mit dem besiegten Frankreich zu beraten: die Botschafterkonferenz.222 Dieses Mittel der zwischenstaatlichen Kommunikation und Verhandlung wurde auch in den folgenden Jahren eingesetzt, um über zentrale Probleme zu beraten, etwa Anfang 1818 in London über die Frage des Sklavenhandels und den Umgang mit Piraten im Mittelmeer.223 Zentrales inhaltliches Ziel der russischen Diplomatie war es, den Status Frankreichs weitestgehend zu erhalten, um das Land so als integralen Faktor im europäischen Miteinander zu bewahren, auch wenn das nicht die einhellige Meinung im Kreis der Alliierten war.224 In dieser formativen Phase des europäischen Mächtekonzerts zeigen die Instuktionen für die Botschafter eine besondere Betonung der Ziele beziehungsweise der grundlegenden Wertvorstellungen der russischen Außenpolitik. An erster Stelle wird immer wieder „paix générale“ oder in andere Formulierung „tranquillité générale“ genannt.225 In diesen Rahmen wurden partikulare Ziele und Probleme, wie territoriale Streitigkeiten der deutschen Länder oder der Umgang mit Spanien, eingepasst.226 Zur Absicherung des Erreichten wies Alexander seine beiden Verhandlungsführer in Paris, Razumovskij und Kapodistrias, an, einen Vertrag mit den alliierten Mächten zu schließen, der in Fortsetzung des Vertrages von Chaumont entsprechende Garantien beinhalten solle.227 Dieser Vertrag sollte in russischer Deutung eine praktische Basis für einen stärkeren Zusammenhalt zwischen den Mächten schaffen.228 Ce n’est que de l’union intime de ces cabinets, ce n’est de leur irrévocable résolution d’asseoir le repos du monde sur les principes de la justice et de la morale la plus pure, que les

222 Alexander an M.Voroncov, 12./24.9.1815, in: VPR I/8, 512 f. 223 Hierzu gibt es einen eigenen Bestand im Archiv des russischen Außenministeriums: AVPRI f. 133, op. 468, d. 12580. 224 Vgl. Pozzo di Borgo an Nesselrode, 8./20.9.1815, in: VPR I/8, 498 f. 225 Vgl. beispielsweise Alexander an Anstett, 12./24.9.1815, in: ebd., 509–511. 226 Vgl. ebd; Notiz Kapodistrias, 5./17.10.1815, in: ebd, 551–555. 227 Instruktionen Alexanders an Razumovskij und Kapodistrias, 12./24.09.1815, in: ebd, 505– 507. 228 Vgl. Zirkularnote Nesselrodes, 14./26.9.1815, in: ebd, 519–521.

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Si vis pacem, para pacem nations peuvent espérer la fin de la période révolutionnaire et le commencement d’une époque plus heureuse.229

Die durch den „acte du 14 (26) septembre“230 dargelegten Grundsätze der Staatenbeziehungen waren für Alexander mehr als nur eine Absichtserklärung. Er betrachtete sie als Leitlinie für das außenpolitische Handeln der Signatarmächte, was an vorderster Stelle die eigene Außenpolitik verpflichtete.231 Die Verträge sollten einander keinesfalls ablösen oder ersetzen. Vielmehr war aus der Summe der Verträge der Keim eines neuen politischen Ordnungssystems erwachsen. Kernelement waren das Arrangement kollektiver Sicherheit, die Aufsichtsfunktion der Großmächte sowie die religiöse Absicherung und Fundierung des Systems durch die Heilige Allianz.232 Referenzpunkt des neuen Systems war Europa. Und da Alexander der Welt nach seiner Konversion nicht den Rücken gekehrt hatte, musste er davon ausgehen, dass seine hohen Ziele nicht ohne Schwierigkeiten, wenn überhaupt, von den anderen Staaten angenommen werden würden. Insbesondere Großbritannien und Österreich waren es, die hinter dem proklamierten Neuanfang der Staatenbeziehungen eigenmächtige machiavellistische Absichten des Zaren witterten. Dass der russische Außenminister Nesselrode diese Unterstellungen in seiner Korrespondenz mit den jeweiligen Botschaftern nicht unterschlägt, sondern deutlich anspricht, deutet darauf hin, dass es ernsthafte Versuche des Zaren waren, die Regeln des Miteinanders zu ändern: Les principes de moralité chrétienne d’après lesquels l’empereur règle ses relations avec toutes les puissances, sont considérés comme des moyens dont il se sert pour accaparer les suffrages de l’opinion et pour fonder sur cette base la réussité de projets plus vastes.233

Es ging ihm darum, den Vorwurf zu entkräften, dass sich hinter seinen Plänen ein anderes System verberge: Les cabinets européens cherchent avec impatience à découvrir le secret de notre système. Nous devons leur prouver que notre secret est celui de n’en avoir aucun.234

Offenheit und damit verbunden Vertrauen von Seiten der anderen Mächte waren erklärte Ziele der russischen Außenpolitik.235 Diese Ziele waren freilich nicht zu

229 Ebd, 520. 230 Dies ist bis mindestens 1820 in der offiziellen russischen Sprache die gebräuchliche Bezeichnung für die Heilige Allianz. Der Begriff der „Sainte (-) Alliance“ ist zumindest unüblich. 231 Dazu die Anweisung Alexanders an seine Botschafter, 22.3./3.4.1816, in: VPR II/1, 113–115. 232 Vgl. auch Projet d’une Déclaration finale des huits Puissances aui auraient signé l’acte final du Congrès de Vienne, in: Angeberg, Congrès, I, 864–866. 233 Nesselrode an Tadiščev, 31.1./12.2.1817, in: VPR II/1, 441–444, hier 443. Vgl auch Nesselrode an Stackelberg, 31.1./12.2.1817, ebd., 450–452, Aufzeichnungen des russischen Außenministeriums zum Kongreß von Aachen, 24.6./6.7.1818, in: VPR II/2, 411. 234 „Aperçu des relations politiques de la Russie, pour servir d’instruction aux missions de Sa Majesté Impériale à l’étranger“, 2./14.6.1817, in: SIRIO 119, 1904, 239–248, hier 246 f. Vgl. auch Schaeder, Koalition, 135–138.

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erreichen, indem sie von den politischen Spitzen postuliert wurden. Hierzu war es vielmehr notwendig, dass das „Fußvolk“, die Botschafter, entsprechend deutlich und glaubwürdig auftrat. Das wiederum bedeutete, dass sie bereits bei leisen Anzeichen, sie könnten in den alten machtpolitischen Dimensionen denken und handeln, mit Konsequenzen rechnen mussten. Ein Beispiel hierfür ist die Ermahnung des russischen Botschafters in Paris, des Korsen Pozzo di Borgo, durch Kapodistrias. Pozzo di Borgo hatte den Gedanken ins Spiel gebracht, dass Russland in Frankreich eigene Interessen verfolgen solle, ohne Rücksicht auf die Alliierten zu nehmen. In der Begründung seiner Rüge rekurrierte Kapodistrias ausdrücklich auf die Heilige Allianz, den „acte du 14 (26) septembre“, von der sich Pozzo mit seinen Plänen weit entfernt habe. Deutlich betonte Kapodistrias, dass Russlands Botschafter beherzt die neue Politik mittragen sollten: „Sa Majesté désire plus: elle désire que vous la professiez de conviction.“236 Die Ermahnung Pozzo di Borgos geschah nicht ohne Grund. Der russische Gesandte genoss in Frankreich eine exponierte Stellung – die Regierung in Paris pflegte wichtige politische Entscheidungen mit ihm abzustimmen –, was gerade in England die Ressentiments gegen die Politik des Zaren nährte. Es war wieder Kapodistrias, der Pozzo nunmehr deutlich ermahnte, sein Verhalten zu ändern. Alexander, so berichtet Kapodistrias, habe sich Pozzos Depeschen vorgenommen und gelesen. Von der Reaktion des Zaren berichtete der Minister nach Paris: „Écoutezle, mon Général, comme nous avons eu le bonheur de l’écouter“.237 Der Zar sprach hier eine deutliche Sprache: Pozzo sent différemment. Lizez ses dépêches. Elles parlent le langage d’un serviteur animé du zèle le plus ardent, qui embrasse l’avenir dans toutes ses chances, et qui devance par conséquent les événements.238

Mehrfach ermahnte er den Korsen zur Mäßigung seines Auftretens.239 Diese Ermahnungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Richelieu, sein „ancien ami“,240 kehrte 1820 in das Amt des Ministerpräsidenten zurück und aus diesem Anlass erinnerte man Pozzo noch einmal deutlich an die Anweisungen des Jahres 1818: Il vous est donc très particulièrement recommandé de vous tenir à une certain distance des affaires et des agents publics, et de ne reprendre plus avec M. le duc de Richelieu les rapports d’intimité qui existaient entre vous et lui, durant les trois années de l’occupation militaire.241

Er dürfe sich zwar weiterhin mit Richelieu treffen, aber das solle strikt auf persönlicher Ebene geschehen.242 235 Vgl. Rapport à Sa Majesté l’Empereur sur l’Entrevue d’Aix-la-Chapelle, in: AVPRI f. 133, op. 468, d. 124, 29r–44v. 236 Kapodistrias an Pozzo di Borgo, 18./30.12.1816, in: SIRIO 112, 1901, 737. Dazu auch Schwarz, Heilige Allianz, 117 f. und Pirenne, Sainte-Alliance, Bd. 2, 175. 237 Kapodistrias an Pozzo di Borgo, 10./22.7.1818, in: SIRIO 119, 1904, 772–777, hier 772. 238 Ebd., 773, Herv. i. O. 239 Ebd., 775 f.; Nesselrode an Pozzo di Borgo, 19.4./1.5.1820, in: ebd., 369–372. 240 Kapodistrias an Pozzo di Borgo, 5./17.3.1820, in: SIRIO 127, 1908, 349–351, hier 349. 241 Ebd., 350.

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Sowohl für Richelieu als auch für Pozzo und andere russische Diplomaten schien der Weg einer französisch-russischen Sonderallianz verlockend, doch konnte ein solcher Vorschlag beim Zaren nur auf wenig Sympathie stoßen. Das russische Interesse lag nicht darin, einen Juniorpartner zu gewinnen, um mit seiner Hilfe Europa zu dominieren. Vielmehr sollte Frankreich wieder in das Konzert der europäischen Mächte eingebunden werden. Es wäre im Sinne der „alten“ Gleichgewichtspolitik gewesen, im Alleingang über das Schicksal Frankreichs zu entscheiden – gerade das sollte aber nicht passieren. Im Gegenteil: Eine kollektive Einigung der europäischen Mächte war das proklamierte Ziel Russlands. Ce but est toujours le même: persévérer dans l’intention de sauver la France par la France et pour la France, comme membre de l’association européenne, et non comme alliée de tel ou tel autre État, encore moins comme alliée de la Russie.243

Russland „verspielte“ also, wenn man den Maßstab alter Allianzpolitik zugrunde legt, mit seiner Frankreichpolitik eine eindeutige Chance, seine Machtposition in Europa zu stärken und opferte diesen Vorteil zugunsten seiner gesamteuropäischen Konzeption. Ein zentrales Element dieses neuartigen Systems war die vollständige Interessenkonvergenz der europäischen Staaten. Das bedeutete auch, dass die russische Politik sich nicht das Verdienst zuschreiben konnte, dieses System ins Leben gerufen zu haben oder die Position eines spiritus rector einnehmen zu können. Denn seit dem Moment der Verbrüderung der Monarchen und der daraus folgenden rechtlichen Gleichstellung der Staaten gab es keine Sonderpositionen mehr. Folglich war eine der vordringlicheren Aufgaben, die eigenen diplomatischen Vertreter auf eine solche Regelung einzuschwören.244 Es passte in die Deutung der Ereignisse nach der Konversion des Zaren, dass er auch in den Hintergrundinformationen, die den Missionen im Ausland zugingen, sich nicht als Urheber des neuen Systems bezeichnete, sondern Wert darauf legte, das System sei aus dem Geist der Verträge entstanden. Dennoch komme Russland eine herausragende Rolle zu. Im Gegensatz zu den anderen Staaten befinde es sich noch in seiner Jugend – deutlich erkennt man hier den Einfluss der Gibbon-Lektüre in der Jugend des Zaren – und daher sei die Verpflichtung auf eine Friedenspolitik freiwillig und nicht Gründen der „Altersschwäche“ geschuldet, wie bei den anderen europäischen Großmächten.245 Allein die Existenz der Verträge könne daher keine Änderungen hervorbringen, sondern es bedürfe einer peniblen Einhaltung: „En suivant cette marche

242 Ebd. 351. 243 Kapodistrias an Pozzo di Borgo, 13./25.12.1818, in: SIRIO, 119, 866–870, hier 868 (Herv. PhM); vgl. auch „Dépêche pour servir d’instruction aux ministres de l’Empereuer, accrédités auprès des Cours directement intéressées à l’affaire des liquidations à la charge de la France“, 27.10./8.11.1817, in: ebd., 438–443, hier 440 f. 244 Vgl. zum Beispiel Alexander an Lieven, 9./12.11.1818, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 284, 11r– 12v. 245 Vgl. Aperçu des relations politiques de la Russie pour servir d’instruction aux missions de Sa Majesté Impériale à l’étranger, 2./14.6.1817, in: SIRIO 119, 1904, 239–248.

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vis-à-vis des puissances signataires des actes de Vienne et de Paris, l’Empereur a rempli religieusement ses engagements.“246 6. AACHEN Der erste größere Kongress nach Wien fand vom 29. September bis zum 21. November 1818 in Aachen statt.247 Alexander reiste in Begleitung seiner beiden Außenminister, Nesselrode und Kapodistrias, an. Seine Botschafter in Paris und London, Pozzo und Lieven, sollten ihm folgen. Auch der österreichische Kaiser kam mit großem Gefolge, in Begleitung von Metternich, seinem Botschafter in Sankt Petersburg, Lebzeltern, seinem Botschafter in Berlin, Zichy, und mit Friedrich von Gentz, dem Protokollanten von Wien, der auch in Aachen diese Rolle übernehmen sollte.248 Aus Preußen erschienen Friedrich Wilhelm III. und sein Sohn Carl, begleitet von Wittgenstein, Bernstorf und einer ganzen Reihe von Beamten und Generalen. England wurde von Castlereagh repräsentiert, und im Vergleich zu seinen Kollegen reiste er nur mit Handgepäck. Seine Delegation war die zahlenmäßig schwächste, nur sein Halbbruder Stewart, der Botschafter in Wien war, und einige Beamten des Foreign Office begleiteten ihn. Frankreichs Interessen wurden von Richelieu vertreten, dem der französische Botschafter in Wien, Caraman, zur Seite stand. Auch er hatte einige wertvolle Helfer an seiner Seite: ein Vertreter des Außenministeriums und ein Mitarbeiter aus dem Finanzministerium taten im Hintergrund ihren Dienst. Das soll freilich nicht bedeuten, dass die Monarchen in Abgeschiedenheit tagten. Eine Reihe bekannter Gesichter waren in Aachen ebenfalls anwesend. Bankiers wie Baring oder Labouchère waren für den Gang der Verhandlungen unabkömmlich, schließlich sollte die über Finanzsituation Frankreichs verhandelt werden. Darüber hinaus konnte der Zaungast weitere bekannte Gesichter erblicken: Robert Owen etwa, der dem Zaren seine sozialen Theorien erläuterte, und Thomas Clarkson, das Sprachrohr der Abolitionistenbewegung. Der berühmte Maler Sir Thomas Lawrence wurde vom britischen Prinzregenten beauftragt, die Monarchen und Staatsmänner zu portraitieren. Der Ort wurde angesichts der zu besprechenden Themen – hier sollte der Status von Frankreich diskutiert werden – so gewählt, dass er zwar außerhalb Frankreichs lag, aber dennoch in Reichweite von Paris. Mehrere Vorschläge wurden zu diesem Zweck lanciert: Düsseldorf, Mannheim, die Niederlande und die Schweiz, die von Kapodistrias vorgeschlagen wurde. Aachen war dann wohl der kleinste 246 Ebd., 240. 247 Grundlegend: Bourquin, Sainte-Alliance, 217–246; Schroeder, Transformation, 592–599; Stern, Geschichte Europas, 460–480. Die Bezeichnung „Kongreß“ oder „Konferenz“ wird hier synonym verwendet. In der zeitgenössischen Korrespondenz ist gleichwohl nie die Rede von einer „Conference“ oder einem „Congrès“ – vielmehr wird Aachen als „réunion“ bezeichnet. In der Historiographie hat sich allerdings die Bezeichnung „Kongreß“ durchgesetzt. 248 Pozzo di Borgo hatte sich in der Kampagne 1813 als Alexanders rechte Hand im Lager Bernadottes seine Sporen verdient.

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gemeinsame Nenner.249 Artikel 6 des Vertrags vom 20. November 1815 eröffnete die Möglichkeit, sich in Fragen des europäischen Interesses zusammenzufinden. In der britischen Regierung hatte man die Tragweite dieses Artikels wohl unterschätzt.250 Die Großmächte standen vor großen Herausforderungen: Frankreichs Status als Großmacht galt es neu zu definieren und gleichzeitig sollte damit das Ende der Besatzung Frankreichs festgesetzt werden.251 Wichtigster Verhandlungspunkt zwischen Russland und Frankreich war die Frage der Finanzen und Reparationszahlungen, und sie zogen sich über die ersten Monate des Jahres 1817 hin.252 In dieser Hinsicht wurde Aachen als eine Fortsetzung von Paris betrachtet, mit allen Konsequenzen. Vom 29. September bis zum 22. November tagte der Kongress in insgesamt 47 Sitzungen.253 Es waren dort die jeweiligen Außenminister der Staaten anwesend, und nicht die Botschafter, Castlereagh sollte den Vorsitz übernehmen, getagt wurde in der preußischen Botschaft. Zu jeder einzelnen Sitzung gab es ein Protokoll.254 In den ersten Sitzungen wurde die Reihenfolge der zu diskutierenden Dinge festgelegt und ebenso die Fragen, die den Monarchen zur Entscheidung vorgelegt werden sollten.255 Und hier zeigte sich die Reichweite von eben jenem Artikel 6 der Quadrupelallianz, die zum argumentativen Angelpunkt des Kongresses werden sollte.256 Für Alexander war Aachen der erste große Testfall. Unmittelbar vor Beginn der Konferenz definierte er in einem vertraulichen Memorandum für die Vertreter Österreichs, Preußens und Großbritanniens mit Blick auf Europa die beiden wichtigsten Themen und Herausforderungen: die Rückkehr von Revolutionen müsse 249 Vgl. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 122 f. 250 Vgl. Doering-Manteuffel, Kongress, 40–45. Hier auch die Vermutung, dass Alexander den Kongreß von Aachen nutzen wollte, um Großbritannien dadurch als weltpolitischen Gegner auszuschalten, dass er den Inselstaat einband. Vgl. dazu auch Webster, Foreign Policy, Bd. 2, 88–100 und Bourquin, Sainte-Alliance, 181–215. Tatsächlich zeigen die russischen Archivalien ein anderes Bild: außereuropäische Gebiete wurden nur im Rahmen des Umgangs mit den spanischen Kolonien behandelt – und dann auch ohne Bezug zu Großbritannien. Es wurde allerdings sehr genau auf die Argumente Castlereaghs eingegangen in europäischen Fraugen. Vgl. die Berichte Kapodistrias an Alexander, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 125, 69r– 219v, sowie in AVPRI, f. 133, op. 468, d. 127, 63r–71r. 251 Dass Frankreich weiterhin – auch nach Napoleon – zu den Großmächten gezählt werden sollte, war konsensual unter den anderen Großmächten. Vgl. Marcowitz, Kongreßdiplomatie, 2; 5 f. Die quasi-formelle Wiederaufnahme in den inneren Kreis des europäischen Systems war von Alexander seit dem Ende des Wiener Kongresses betrieben worden. Vgl. Kapodistrias an Pozzo di Borgo, 9./21.7.1816, in: Pozzo di Borgo (Hrsg.), Correspondance, Bd. 1, 398–400; ders. an dens., 9./21.7.1816, in: ebd., 400–402. 252 Dies findet sich in beinahe allen Verhandlungen des ersten Vierteljahres. Siehe beispielsweise Richelieu an Noailles, 13.1.1817, in: SIRIO 119, 1904, 2–5; Noailles an Richelieu, 4.2.1817, in: ebd., 22–27; Protokoll der Verhandlungen vom 7.–9.2.1817, in: ebd., 30 f. 253 Die ersten neun Konferenzsitzungen behandelten das Thema „Frankreich“, ab Mitte Oktober wurde über den Sklavenhandel diskutiert. Eine Auflistung in AVPRI f. 133, op. 468, d. 129. 254 AVPRI, f. 133, op. 468, d 125. 255 Vgl. das „Agendum“ vom 17./29.9.1818, in: ebd., 9r–10v. 256 Der Vertragstext der Quadrupel-Allianz bei Näf, Europapolitik,19–22, Zitat 21.

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verhindert und das zwischenstaatliche Miteinander auf neue Säulen gestellt werden, die das Recht des Stärkeren als Mittel der Politik gänzlich verhinderten.257 Prinzipiell sei dieses miteinander verschränkte Problem bereits 1815 gelöst worden, als sich Europa zusammengefunden hatte, um das „génie révolutionnaire“ zu vertreiben. Zu diesem Zweck sei die grande alliance, aus der Allianz der Großmächte erwachsen, übereingekommen, in Frankreich wieder die rechtmäßige Regierung einzusetzen. Hier sollte sich nun also zeigen, ob durch äußere Intervention innere Stabilität hervorgestellt werden könne.258 Alexander hatte im Vorfeld genaue Vorstellungen der zu behandelnden Themen fixiert. Hierbei ging es in erster Linie um den Umgang mit Frankreich. Auf die rhetorische Frage, ob Frankreich ohne jegliche Vorsichtsmaßnahme in die Gemeinschaft der europäischen Staaten wiederaufgenommen werden könne, folgt in dem handschriftlichen Entwurf eine interessante Begründung. Frankreich sei ein „kranker“ Staat, der in höchstem Maßen ansteckend wirke. Und gegen die Ansteckung könnten sich die Staaten nur schützen, indem sie zum einen enger zusammenarbeiteten und zum anderen begrenzt invasiv eingriffen.259 Die gesellschaftspolitische Stoßrichtung erklärt sich aus Alexanders Revolutionsverständnis. Jede Revolution sei eine verbrecherische Auflehnung gegen die legitime Ordnung, die nicht zwangsläufig monarchisch sein musste, und zöge zwangsläufig das Miteinander der Staaten in Mitleidenschaft, da sich die angestauten zerstörerischen Energien im Inneren immer nach außen entladen würden.260 Das habe sich deutlich in den Revolutionskriegen nach 1789 gezeigt. Damit stellt jede Revolution für Alexander zugleich einen Kriegsherd dar.261 In seinen Augen war Revolution mit Krieg gleichzusetzen. Verhindert man das erste, so verhindert man das zweite.262 Daher fügt sich die gesellschaftspolitische Ausrichtung wie von selbst in die Friedensarchitektur der alliance générale.263 Denn das doppelte Problem Frankreich hatte nicht nur auf einer grundsätzlichen Ebene durch die internationalen Verträge der Jahre nach 1815 gelöst werden können: „L’observation religieuse de la lettre et de l’esprit de ces Traités pendant 3 années l’a resolu non moins heureusement en application.“264 Aus der Keimzelle der Allianz der großen Staaten sei auf vertraglichem

257 Vgl. Mémoire confidentiel du cabinet de Russie, 26.9./8.10.1818, in: SIRIO 119, 1904, 832– 844, dort auch die folgenden Zitate. 258 Vgl. Alexander I. an Hardenberg, 22.4./4.5.1816, in VPR II/1, 152–155. 259 Sur les objets à traiter à Aix la Chapelle, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 3r–4r. 260 Vgl. Mémoire confidentielle du Cabinet de Russie, 25.9./7.10.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 9r–24r. 261 Vgl. die russische Denkschrift für den Aachener Kongreß, 24.6./6.7.1818, in: VPR II/2, 409– 423, hier 419 f. 262 Vgl. das russische Memorandum auf dem Kongreß von Aachen 26.9./8.10. 1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 8r f. 263 Vgl. Pyta, Idee und Wirklichkeit, 338. 264 Mémoire confidentielle, 25.9./7.10.1818, 9v.

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Wege eine ganz neuartige Form des europäischen Miteinanders erwachsen.265 Das, was Alexander als alliance générale bezeichnete, meint ein alle Staaten umfassendes umfangreiches Garantiesystem. Als höhere Garantie, die den „combinaisons incertaines“ der Politik ihre Schlagkraft nehmen sollte, sei die Heilige Allianz geschlossen worden.266 Damit sei eine neue Ära in der Geschichte des europäischen Miteinanders angebrochen, in der alle Entscheidungen in Europa auf der Grundlage der bestehenden Verträge geschlossen werden sollten. Zusammenfassend wurden hohe Ziele an das neue europäische System gestellt: L’Europe est donc en Paix. Son Système est une association générale qui a pour bases le Recès de Vienne et les Actes de Paris de l’année 1815; pour principe conservateur l’union fraternelle des Puissances alliées; pour but la garantie de tous les droits reconnus.267

Die alliance générale musste also nicht erst gegründet werden, sie war bereits entstanden und fand sich in den Verträgen von Wien und Paris wieder, mit Ausnahme der Quadrupelallianz.268 Sie war entstanden durch sukzessive Beitritte der europäischen Staaten zu diesen Verträgen, deren wichtigstes Prinzip die Einhaltung des geltenden Völkerrechts war.269 Daher mussten die konstituierenden und strukturierenden Verträge sakrosankt sein und jeglicher Bruch der Bestimmungen als Angriff auf Europa gewertet werden – zudem war Vertragsbrüchigkeit als eines der Hauptmerkmale der revolutionären Politik Napoleons identifiziert worden und galt daher als Signum jeder Revolution.270 So, wie Gesetze im Inneren der Staaten das Miteinander regelten, so waren es die internationalen Verträge, deren Einhaltung garantierte, dass der Urzustand, in dem das Recht des Stärkeren vorherrsche, überwunden werden könne.271 Der moralische Kitt, der das System zusammenhalten sollte, war die Heilige Allianz, die damit einen zentralen Stellenwert zugewiesen bekam, ohne indes diplomatische oder politische Relevanz im tagespolitischen Sinn zugeschrieben zu bekommen.272 Sie entsprechend zu deuten, verkennt den eigentlichen Sinn des Dokuments. Sollte nun ein Staat aus der politischen Ordnung herausfallen, so gefährdete dies die gesamte europäische Architektur. Das war der logische Hebel, um die vollständige Aufnahme Frankreichs zu verfolgen, denn Frankreich durfte nur als Fremdkörper unter Beobachtung stehen und zum Objekt einer Defensivallianz – mithin eines partikularen Bündnisses – werden, solange seine Regierungsform 265 Vgl. das undatierte Memorandum, wahrscheinlich Juli 1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 120r–127r. 266 Mémoire confidentielle, 10r. 267 Ebd., 10v f., Herv. i.O. 268 Ebd., 13v. 269 Vgl. Addition au mémoire confidentielle du Cabinet de Russie, 25.9./7.10.1818, in: ebd., 25r– 28v. 270 Vgl. Mémoire confidentielle, 25.9./7.10.1818, 9v–10v. 271 Vgl. Mémoire du Ministère de Russie, 19./31.12.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 126, 1r– 17v, hier 2v f. 272 Vgl. De l’alliance générale d’après les principes du 14/26 Septembre, o.D., in: AVPRI f. 133, op. 468, d. 124, 48r–65v.

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revolutionär war. Es blieb das Problem, die Quadrupelallianz – immerhin gegen einen spezifischen Gegner gerichtet und hochexklusiv – in das neue europäische System einzupassen, doch mit einigen argumentativen Klimmzügen war auch das zu erreichen. Die Quadrupelallianz, so lautete die bemühte Erklärung, sei ein bedarfsorientiertes Instrument gewesen, um revolutionären Aufwallungen entgegenzusteuern, außerdem frei von jeder Möglichkeit, sie zu beenden. Mit dem Beitritt Frankreichs zum europäischen Bündnissystem verliere die Quadrupelallianz ihre Exklusivität, da laut geltender Meinung im Völkerrecht keine Verträge gültig seien, die dem zu unterzeichnenden Vertrag entgegen stünden.273 Weiterhin wurde betont, dass die Prinzipien, mithin der Geist des Vertrages, seit 1815 allgemein akzeptiert worden waren und im Einklang mit den Gründungsverträgen der alliance générale standen. Die nicht in eine solche Deutung des Vertrages passenden Paragraphen konnten kurzerhand als zeitgebunden-erforderliche Zugeständnisse gedeutet und damit für die gegenwärtige Situation als nicht mehr relevant angesehen werden.274 Dabei war die russische Diplomatie keineswegs so weltfremd, dass sie annahm, jeder europäische Staat müsse nun zwangsläufig in jedem Politikfeld die gleichen Ansichten vertreten und die gleichen Interessen verfolgen. Das entscheidende Moment war die Festlegung auf ein gemeinsames höchstes Gut, das darin bestand, den Frieden in Europa zu erhalten.275 Um das zu erreichen, müssten alle Staaten die geschlossenen Verträge unbedingt einhalten.276 Mehr noch: „Nous émettons conséquemment le vote le plus analogue à la religion des traités, et à l’esprit de concorde et d’union fraternelle qui les caracterisent.“277 Inspiriert, wenigstens bestärkt in seiner Ansicht, auch die innere Ordnung unter internationale Aufsicht zu stellen, wurde Alexander wohl durch eine Denkschrift des Geheimen Rats im preußischen Außenministerium, Johann Peter Friedrich Ancillon. Dieser hatte eingeräumt, dass es gute Gründe gebe, europaeinheitliche Vorsichtsmaßnahmen gegen Frankreich zu ergreifen. In einem Schreiben an den preußischen Kanzler Hardenberg stimmte Alexander den von Ancillon geäußerten Ansichten überschwänglich zu.278 273 Hierzu berief man sich in Aachen auf die Schriften von Grotius, Wolff, Vattel und Reyneval. Vgl. Questions relatives à l’entrevue d’Aix-la-Chapelle examinées d’après les principes du droit public, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 125, 18r–29v, sowie Autorités tirées du Droit du Gens et du Droit public pour servir à l’lexamen ultérieur des questions précédentes, in: ebd., 30r–32r. 274 Vgl. Rapport à Sa Majesté l’Empereur sur l’Entrevue d’Aix-la-Chapelle, in: ebd., 29r–44v, hier 33r; Remarques génerales sur le Traité de Chaumont du 1 Mars 1814, in: ebd., 120r–127r. 275 „Mais chacun doit la vouloir par des motifs différens.“ Mémoire du Ministère de Russie, 19./31.12.1818, 2v–3v. 276 Vgl. Alexander an Nesselrode, 10./22.7.1818, in: Bertier de Sauvigny, Sainte-Alliance, 137– 139. 277 Canevas d’un Mémoire à être présente à la Conférence d’Aix la Chapelle, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 66r–88v, hier 66v. 278 Vgl. Alexander an Hardenberg, 22.4./4.5.1816, in: VPR II/1, Nr. 50, 152–155; Werner Markert, Preußisch-russische Verhandlungen um einen europäischen Sicherheitspakt im Zeichen der Heiligen Allianz. Zu einer unveröffentlichten Denkschrift Ancillons aus dem Winter

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Alexander präsentierte auf dem Kongress von Aachen sein Konzept der doppelten Sicherung – der Sicherung der Herrschaftsverhältnisse im Inneren und der territorialen Integrität der europäischen Staaten nach Außen. Unter der Sicherung der Verhältnisse im Inneren war keinesfalls eine Festlegung auf die monarchische Regierungsform zu verstehen, sondern eine Sicherung der legalen Grundstruktur gegen gewaltsame Über- und Eingriffe.279 Dieses Konzept konnte in England, einem konstitutionellen Staat, der einen Wandel seines politischen Systems einer Revolution zu verdanken hatte, kaum auf fruchtbaren Boden fallen. Entsprechend misstrauisch war Whitehall gegenüber Alexanders Initiative eingestellt.280 Schon im Vorfeld zeigte sich, dass die Mächte den Kongress jeweils unterschiedlich bewerteten. Auf russischer Seite ging man davon aus, dass in Aachen gewissermaßen eine Fortsetzung des Wiener Kongresses stattfinden werde.281 Die Quadrupelallianz sei zusammen mit den Beschlüssen des Wiener Kongresses und der Heiligen Allianz in einem allgemeinen Bündnis, der alliance générale, aufgegangen. Diese Einschätzung wurde jedoch weder in Wien noch in London geteilt.282 Einig waren sich die Vertreter der Mächte lediglich in der Einschätzung, dass man Frankreich zwar wieder in den Status einer Großmacht versetzen wolle, aber aus der Quadrupelallianz keinen Fünferbund machen werde.283 Die Positionen der teilnehmenden Mächte wurden in Denkschriften festgehalten, die auf Anfang Oktober 1818 datieren. Das österreichische Memorandum ging wohl in erster Linie an die Adresse Russlands: Man trat für den Fortbestand der Quadrupelallianz ein, die auf 20 Jahre geschlossen sei, und wandte sich zugleich dagegen, Frankreich in diese Allianz aufzunehmen. Als Argument wurde angeführt, dass Frankreich auf keinen Fall Teil des Bündnisses werden könne, das seine Verfassung garantiere. In London hatte man sich für diesen Standpunkt der Unterstützung seitens Österreichs und Preußens versichert. Lediglich Russland blieb ein unsicherer Kantonist. Es gab sogar Gerüchte, dass Pozzo di Borgo, Russlands Mann in Paris, und Tatiščev, sein Kollege in Spanien, ein „Bourbonen-Projekt“

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1815/16, in: Markert, Werner (Hrsg.), Osteuropa und die abendländische Welt. Aufsätze und Vorträge. Göttingen 1966, 145–158 vermutet ein nicht datiertes Schreiben Ancillons an Alexander „in den Archiven“. Das Schreiben findet sich im AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 81r– 97r und ist von Alexander gründlicher als viele andere Schriftstücke bearbeitet und mit Anmerkungen und Unterstreichungen versehen worden. Vgl. Circulaire adressée aux ministres de l’Empereur de Russie à l’étranger, 3./15.1.1820, in: SIRIO 127, 1908, 287–290, hier 290. Vgl. Webster, Castlereagh, 149–152; Schwarz, Heilige Allianz, 136 f. Der Kongreß von Aachen war deutlich kleiner. Hier versammelten sich 2 Kaiser, 1 König und 15 Diplomaten, während es in Wien nicht weniger als 2 Kaiser, 6 Könige, über hundert Fürsten und zweihundert Diplomaten waren. Vgl. Tobias C. Bringmann, Handbuch der Diplomatie 1815–1963. Auswärtige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis Adenauer. München 2001, XXIX. Vgl. Markert, Metternich und Alexander, 122–144 und 205–208 sowie Molden, passim. Dies ist vor allem von England vorgebracht worden. Vgl. Projet Anglais, sowie Notes au projet de déclaration proposée par le Ministère Britannique o.D. (wahrscheinlich um den 20.9.), in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 98r–103v und 104r–107v.

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vorantrieben, nämlich neben Frankreich ebenfalls Spanien zu diesem Kongress einzuladen.284 Diese Gerüchte besaßen einen wahren Kern. Alexander versuchte tatsächlich, Spanien als weiteren Verhandlungspartner nach Aachen einzuladen. Angesichts des britischen Gegenwindes verlief dieser Vorstoß allerdings rasch im Sande.285 Der Zar stellte sich mit seinem Memorandum vom 20. April 1818 – eine Antwort auf ein Memorandum Castlereaghs vom 27. März – ohne Einschränkung auf die Seite Englands mit der Begründung, es gebe einen Handlungsplan für Spanien, der allerdings bislang abgelehnt worden sei, ohne dass es einen nennenswerten Gegenvorschlag gegeben habe.286 Die Verhandlungen verliefen angesichts der Ausgangslage überraschend gut. Am 27. September begann das Spektakel. Schon in den ersten Tagen konnte man sich auf das Ende der Besatzungszeit und einen Modus zur Regelung der noch fälligen Kontributionen Frankreichs einigen.287 Dazu mussten nur geringe Modifikationen an den mit den Bankiers getroffenen Vereinbarungen gemacht werden, da sie unter der Annahme zustande gekommen waren, Frankreich werde fünf Jahre besetzt bleiben.288 Bereits am 30. November sollten die alliierten Truppen das französische Territorium räumen,289 und Frankreich sollte 165 Millionen Francs bar zahlen und weitere 100 Millionen als Einlagen.290 Am 4. November wurde Frankreich durch eine förmliche Einladung an Ludwig XVIII., an den Beratungen teilzunehmen, wieder in Kreis der Großmächte aufgenommen.291 Wenn das alles gewesen wäre, worüber zu beraten war, dann wäre eine bemerkenswerte Anzahl von gekrönten Häuptern – von den ersten Staatsmännern Europas einmal zu schweigen – mobilisiert worden, um etwas zu regeln, was ebenso gut auf Botschafterbasis hätte geregelt werden können. Doch öffnete Artikel 6 eben weitere und weiter reichende Optionen. Vielerlei Dinge wurden verhandelt: Zunächst

284 Hinweise auf das Projekt: Bourquin, Sainte-Alliance, 219. Castlereagh beharrte auf dem Standpunkt, im Konflikt zwischen Spanien und seinen Kolonien strikte Neutralität zu wahren und keinen Vertreter Spaniens nach Aachen einzuladen. 285 Vgl. Nesselrode an Tatiščev, 15./27.5.1817, in: VPR II/1, 553–556; Tatiščev an Pisarro, 6./18.6.1817, in: ebd., 580 f.; Nesselrode an Lieven, 10./22.6.1817, in: ebd., 591–594 und Nesselrode an Tatiščev, 30.8./11.9.1817, in: ebd., 661–663. 286 Vgl. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 126–128. 287 Vgl. Resumé de la première Conférence confidentielle, 18/30.9.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 125, 4r–11r sowie Convention entre M. le Roi de France d’une Part et chacun des quatre Cours d’Autriche, de la Grande-Brétagne, de Prusse et de Russie d’autre part conlue à Aix la Chapelle le 9 Oct. 1818, in: Martens (Hrsg.), Nouveau Recueil, Bd. 4, Nr. 52, 549– 552, hier 549. 288 Vgl. Bourquin, Sainte-Alliance, 221; Vgl. Résumé des discussions sur la médiation entre l’Espagne et ses Colonies und die Berichte über die Sitzungen zu Spanien, in: AVPRI f. 133, op. 468, d. 127, 59r–71r. 289 Art. 1 der Convention in de Martens (Hrsg.), Nouveau Recueil , Bd. IV, Nr. 52, hier 550. 290 Art. 4 und 5, ebd, 551. 291 Vgl. Resumé de la première Conférence, 18./30.9.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 125, 4r–11r. Diese Einladung an Richelieu bei: Angeberg, Le Congrès de Vienne et les traités de 1815, 1756–1758.

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einmal wurde das in Wien begonnene „Regelwerk“ der Diplomatie ergänzt um einen weiteren Rang. Zwischen dem Gesandten und dem Geschäftsträger gab es fortan den Rang des Ministerresidenten. Im Unterschied zum Geschäftsträger sollte der Ministerresident auch beim jeweiligen Staatsoberhaupt akkreditiert werden, somit bestand der einzige Unterschied in Fragen des Protokolls. Weitere Themen, die den Kongress beschäftigten, waren die Entwicklungen im Deutschen Bund, Schweden und Dänemark, Spanien und Portugal, Napoleons Exil auf St. Helena und die Abschaffung des Sklavenhandels. Einen weiteren Beratungsgegenstand bildeten die spanischen Kolonien in Amerika.292 Alexander nutzte die Gunst der Stunde und wagte einen neuerlichen Vorstoß. Europa solle die Gestalt eines Staatenbundes erhalten, und gleichzeitig erklärte er sich bereit, seine Armee für die Sicherung des in Wien Erreichten einzusetzen. In der Tat musste sich das russische Verständnis einer europäischen Rechtsordnung, sie sei ein Gewebe von Verträgen zwischen den Mächten, logisch ausnehmen.293 Schließlich fand sich auch in den Protokollen von Aachen der Hinweis auf die Verträge von Paris und Wien.294 Im Protokoll vom 15. November, mit dem Frankreichs Rückkehr in den Kreis der Großmächte geregelt wurde, findet sich ebenfalls der Hinweis auf die Aufgabe der Staatenunion: Sie dürfe keine andere Aufgabe haben, als dem generellen Frieden zu dienen, der auf religiösen Grundlagen beruhe.295 In Artikel 2 des Protokolls finden also Formulierungen der Heiligen Allianz Einzug in das Vertragswerk von Aachen. Damit war zumindest in russischer Interpretation die Rechtsgrundlage der alliance générale erweitert worden, und die Staaten hatten sich mit ihrer Unterschrift auf diese Grundlage verpflichtet. Daher enthielt dieses Protokoll folgerichtig auch die Regelung, bei Fragen, die das allgemeine Interesse in Europa berührten, sich zu einer Konferenz zusammenzufinden. Eine solche Konferenz sollte diplomatisch vorbereitet werden und von dem Staat ausgerichtet werden, der direkt betroffen war.296 Während die Reaktion Metternichs als eher verhalten-ablehnend einzuschätzen ist, blies dem Zaren aus England ein scharfer Wind ins Gesicht.297 Da beide Mächte sich nicht mit dem Vorstoß des Zaren anfreunden konnten, blieb das Protokoll vom 15. November letztlich hinter den Erwartungen Alexanders zurück.

292 Weiter dazu: Bourquin, Sainte-Alliance, Kap. XVIII. 293 Vgl. Aperçu, 1r f. sowie das Mémoire von Kapodistrias vom 8. Oktober 1818, in: Wellington, Supplementary Despatches, Bd. XII, 743–751. 294 Vgl. Protocole signé à Aix la Chapelle le 15 Novembre 1818 par les plénipotentaires des cours d’Autriche, de France, de la Grande-Brétagne, de Prusse et de Russe, Aachen, 15. November 1818, in: Martens, Nouveau Recueil, Bd. IV, 54, 554 f., hier 554. 295 Vgl. Art. 2, ebd, 555. Es ist der Interpretation von Friedmann/ Krautheim daher zu widersprechen, dass sich in dem Protokoll kein Hinweis auf ein allgemeines Bündnis finden würde. Friedmann/Krautheim, Wiener Kongress, 1011. 296 Art. 4 des Protokolls vom 15. November 1818, in: Martens, Recueil, Bd. 4, Bd. IV, 554 f., hier 555. 297 Vgl. das Memorandum Castleraghs vom Oktober 1818, in: Temperley/Penson (Hrsg.), Foundations, 39–46 sowie Molden, Gegensatz, 133.

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Eine explizite Verpflichtung auf die Prinzipien war kaum festzuschreiben, allerdings war sie in russischer Lesart auch gar nicht erforderlich gewesen, war Vertragstreue doch als grundlegendes Prinzip der europäischen Beziehungen verankert geworden. Die anderen europäischen Staaten konnten Aachen auch so verstehen: Im Grunde blieb man formal auf dem Stand der Quadrupelallianz – es wurden eher lockere diplomatische Absprachen vereinbart, wenn auch erweitert um Frankreich. Artikel 4 erlaubte zudem eine Ausweitung der Absprachen über das Feld der Außenpolitik hinaus. So wurde aus der Quadrupelallianz durch die Aufnahme Frankreichs eine Art Direktorium der Großmächte.298 Großbritannien und Österreich hatten zugesichert, dass in allen Fragen, die die vitalen Interessen von kleineren und mittleren Mächten berühren, diese zu den Mächtekonferenzen hinzugezogen werden sollten.299 Damit war das Direktorium der fünf Großmächte in der Sankt Petersburger Lesart nichts anderes als der Kern, das Exekutivorgan der alliance générale: que l’union de cinq puissances signataires des actes d’Aix-la-Chapelle n’est rien autre chose qu’un moyen de concentration par rapport à l’alliance générale.300

Wichtig in russischer Deutung war ebenfalls, dass Aachen in anderer Hinsicht einen Fortschritt gebracht hatte, denn hier hatten sich die Staaten auf einen Verhaltenskodex in den internationalen Beziehungen festgelegt: La Grande Alliance a donc gagné sous un double rapport. Elle a soutenu avec succès une nouvelle épreuve. Et les Cabinets en méditant de bonne foi les faits qui characterisent cette épreuve, peuvent se tracer les règles de conduite qu’ils ont à suivre et pour le présent, et pour l’avenir, à l’effet d’atteindre constamment le même but: le maintien de la paix et l’union la plus intime entre tous les Puissances alliées.301

Dass strittige Fragen, etwa die deutschen territorialen Probleme betreffend, entweder konsensual gelöst werden konnten, oder auf eine Spezialkonferenz in Frankfurt am Main vertagt wurden, zeigte, dass das System von 1815 funktionierte und fähig war, zu wachsen. Komplexe Fragen, die von den beteiligten Parteien als vital eingeschätzt wurden, konnten friedlich beigelegt werden. Kompromisse wurden ausgehandelt und von den Großmächten durchgesetzt. Mit der Verteidigung der territorialen Integrität Badens gegenüber bayerischen dynastischen Forderungen konnte sogar das Menetekel des 18. Jahrhunderts – der Erbfolgekrieg – gebannt werden. Hier konnte das Konzert den Konflikt angehen und lösen.302 Mit dem Beispiel Frankreichs vor Augen stellten sich die Großmächte ebenfalls die Frage, ob sie als Garanten des Deutschen Bundes direkt in dessen innere Angelegenheiten eingreifen dürften. Die Lösung wurde so gestaltet, dass sowohl 298 Vgl. Pirenne, Sainte-Alliance, Bd. 2, 370–379. 299 Punkt 4 des „protocole réservé“, Abgedr. Bei Molden, Gegensatz, 182 f. 300 Instruction générale et circulaire du ministère impérial russe à toutes les missions, 3./15.11.1818, in: SIRIO 119, 1904, 844–850, hier 849. 301 Vgl. Mémoire du Ministère de Russie, 19./31.12.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 126, 1r– 17r, hier 1r. 302 Vgl. Schroeder, Transformation, 598 f.

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die Rolle der Großmächte als auch die Autonomie des Deutschen Bundes erhalten blieb. Die direkte Führung wurde von den Großmächten Preußen und Österreich übertragen, aber es gab provisorische Instruktionen für deren Delegierte in Frankfurt für den Fall, dass der Bund von internen Rivalitäten gelähmt würde. Das in Wien bereits im englischen Windschatten verfolgte Thema der Abschaffung des Sklavenhandels wurde auch in Aachen verhandelt.303 Diesmal allerdings erfolgte keine Beschränkung auf die Ächtung des Handels, sondern es wurden konkrete Schritte beschlossen, den Handel aktiv zu unterbinden, wie etwa ein Handelsembargo – zunächst nur nördlich des Äquators, später für ganz Europa – und die Möglichkeit, Schiffe bei Verdacht zu durchsuchen.304 Auch wenn Russland sich hier wieder ganz im Fahrwasser Großbritanniens bewegte, so geschah das nicht aus realpolitischen Erwägungen. Vielmehr war das Engagement aus Überzeugung. La Traite des Nègres est la plus horrible souillure qui ait jamais flétri l’humanité. Il ne peut y avoir de paix entre le Ciel et la terre aussi longtems que des moeurs pires celles des anthropophages se sont tolérés au sein de la civilisation. D’une telle force dans les motifs doit naître une Puissance réelle en faveur de celui qui en sera saintement pénêtré, et les fera valoir sans mélange d’intentions perverses.305

Eine Botschafterkonferenz an der auch Vertreter der spanischen und portugiesischen Regierungen teilnehmen würden, sollte in London die Details der Bekämpfung des Sklavenhandels regeln.306 Mit dem Kongress von Aachen war in den Augen des Zaren die Transformation der Grundlagen des europäischen Miteinanders abgeschlossen und somit seine eigene ‚Aufgabe‘ erfüllt, nun seien die Jüngeren an der Reihe. Zumindest wurde das im Kreis der Familie und potenziellen Thronfolger im Jahr 1819 laut ausgesprochen.307 Alles in allem war Aachen für den Zaren ein Meilenstein der europäischen Entwicklung:

303 Vgl. Fladeland, Pressures, 367 f. 304 Hierzu Rapport du Ministère soumis à l’Empereur le 21.10./2.11.1818 sur la Conférence d’Aix-la-Chapelle au sujet de la Traite des Nègres, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 127, 6r–45r. 305 Mémoire sur la question de la Traite, ebd., 34r–45r. 306 Die Teilnahme der beiden Staaten war ebenfalls eine russische Initiative. Vgl. Rapport à Sa Majesté l’Empereur sur l’Entrevue d’Aix-la-Chapelle, undatiert, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 124, 29r–44v, hier 33v. Vgl. auch Rapport du Ministère soumis à l’empereur le 21.10./2.11.1818 sur la Conférence d’Aix la Chapelle au sujet de la Traite des Nègres, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 125, 6r–45v. Zunächst wurde in London allerdings die drängendere Frage der Piraterie und der Barbaresken behandelt, vgl. Lieven an Nesselrode, 18./30.1.1818, in: AVPRI, d. 133, op. 468, d. 12580, 1r–6r. Über den weiteren Fortgang der Konferenz unterrichtete Lieven in regelmäßigen Abständen. 307 Vgl. Imperatrica Aleksandra Fedorovna v svoich vospominanijach, in: Russkaja Starina 88, 1896, 5–60, hier 53 f. Alexander hatte sich 1823 auf die Thronfolge durch seinen jüngeren Bruder Nikolaus festgelegt. Siehe das Manifest zur Thronfolge in: GARF, f. 679, op. 1, d. 68, Nr. 1.

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La réunion d’Aix la Chapelle dont les travaux viennent de finir, est une époque décisive pour la durée et la stabilité du système Européen. Les résultats qu’elle a produits caractérisent le second période [sic!] de cette grande ère politique, commencé dès l’instant où les Souverains sont devenus frères pour la cause de la religion et du bon ordre de la justice et de la humanité.308

Nach dem Wiener Kongress wurden die Versuchsfelder für diejenigen Reformen, die dem Zaren besonders am Herzen lagen, um ein weiteres ergänzt. Auch im Baltikum konnten Reformüberlegungen an bereits vorhandene Traditionen anknüpfen. Diesmal allerdings berührten sie einen besonders sensiblen Bereich: die Frage der Leibeigenschaft. 1816 beziehungsweise 1819 wurde in den baltischen Provinzen eine Strukturreform per Ukaz verordnet, die den Bauern in Estland beziehungsweise Livland die persönliche Freiheit brachte.309 Das Engagement für die Abschaffung des Sklavenhandels während des Wiener Kongresses ist demnach mehr als nur ein politisches Ränkespiel, um sich – eingedenk der Streitigkeiten um Sachsen und Polen – das britische Wohlwollen zu sichern.310 Mit dem Kongress von Aachen war für den Zaren die europäische Architektur abgeschlossen. Jedoch zeigten die Beispiele Tatiščevs und Pozzo di Borgos, dass nicht in jedem Fall mit einer vollständigen Verinnerlichung der Politik gerechnet werden konnte. Zwei Jahre nach dem Abschluss des Kongresses wurden daher die Botschafter noch einmal instruiert. Wichtigste Charakteristika der Politik der europäischen Kabinette sei – der Logik des Systems gehorchend – die vollständige Einheit und enge Verbundenheit der in der alliance générale zusammengefassten Staaten. Diese Allianz sei daher ein „fait incontestable“. Das neue politische System diene keinesfalls dazu, irgendwelche Machtambitionen zu verschleiern: parce que les engagements de solidarité qui en résultent, et que toutes les puissances sont nécessairement intéressées à respecter et à faire respecter, obligent l’Europe à s’armer contre celui des États qui porterait atteinte à l’inviolabilité des droits sur lesquels repose la paix du monde.311

Die union, also das Bündnis der vier Großmächte, stehe in keiner Weise neben dieser Struktur, sondern bilde einen essentiellen Teil von ihr.

308 Alexander an Lieven, 9./21.11.1818, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 284, 11r–12v. 309 Vgl. Konrad Maier, Die Bauernfrage in Estland. Die wirtschaftliche und soziale Lage des Landvolks am Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Bauernbefreiung 1816/1819, in: Elias, OttoHeinrich (Hrsg.), Zwischen Aufklärung und Baltischem Biedermeier. Lüneburg 2007, 257– 284. Für einen Überblick vg. auch Jean-Pierre Minaudier, Histoire de l’Estonie et de la nation estonienne, Paris, 2007, 145–157. 310 Das lässt sich auch daran ablesen, dass Alexander auch nach dem Wiener Kongress intensiv die Verhandlung Lievens während der Botschafterkonferenzen, vor allem mit Blick auf den Sklavenhandel, verfolgte. Vgl. Alexander an Lieven, 6.3.1817, in RGADA, f. 15, op. 1, d. 284, 9r–10v. 311 Circulaire adressée aux ministres de l’Empereur de Russie à l’étranger, 3./15.1.1820, in: SIRIO 127, 1908, 287–290, hier 289 f. Rundschreiben dieser Art hatte es bereits kurz nach Aachen gegeben.

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Aachen war somit aus der Perspektive des Zaren tatsächlich mit Recht als Meilenstein betrachtet worden. Hier war die Entwicklung des europäischen Systems, das aus der Kombination der bestehenden Verträge entstanden war, in eine definitive Form gegossen worden. Seine Feuertaufe stand indes noch aus.

VII. KONGRESSDIPLOMATIE. DIE FRAGE DER REVOLUTIONEN IN EUROPA (1819–1825) Unter den Konflikten, die in Europa nach 1818 gelöst werden mussten, war es der beginnende griechische Unabhängigkeitskampf, der russische Interessen unmittelbar berührte. Er spielte sich direkt vor der russischen Haustür im Südosten ab, betraf in territorialpolitischer Hinsicht ausgerechnet die sensiblen Gebiete der Donaufürstentümer Moldau und Walachei, und noch dazu verstand sich das russische Reich traditionell als Schutzmacht der orthodoxen Christen in Griechenland. Es ist daher umso erklärungsbedürftiger, warum es nicht zu einem gewaltsamen Eingreifen Russlands gekommen ist.1 Dabei kulminierten in der Zeit um 1820 Entwicklungen, die die Haltung des Zaren auf eine harte Probe stellten, denn beinahe überall in Europa schienen sich Revolutionen auszubreiten. Selbst das Innere Europas blieb nicht verschont. Im März 1819 wurde August von Kotzebue ermordet. Alexander hatte die Arbeiten des in russischen Diensten stehenden Schriftstellers bewundert – und Metternich nutzte die Gelegenheit, um mit den Karlsbader Dekreten der „Subversion“ an den deutschen Universitäten Herr zu werden.2 Kaum mehr als ein halbes Jahr später brachen Revolutionen auf der iberischen und der italienischen Halbinsel aus. Im März 1820 wurde König Ferdinand VII. von Spanien gezwungen, die liberale Verfassung der Cortes von 1812 wieder anzunehmen. Im Juli brach eine Revolte in Neapel aus. Dieser Aufstand brachte das gesamte Gefüge auf der italienischen Halbinsel in Gefahr und bedrohte dabei vor allem die österreichische Position. Daher wandte sich Metternich an Alexander, um dessen Zustimmung zu einem einseitigen österreichischen Vorgehen zu erhalten. Dazu musste er den Zaren überzeugen, dass konstitutionelle Bewegungen, allen voran natürlich die in Neapel, eine eminente Gefahr für das europäische Staatensystem darstellten. Angesichts der Revolutionsangst des Zaren und des Schocks durch die Nachricht der Ermordung Kotzebues war dies keine allzu schwere Aufgabe. 1

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Einführend Jelavich, Russian Foreign Policy, 64–68. Ausführlich Anton Frhr. von ProkeschOsten, Geschichte des Abfalls der Griechen vom türkischen Reiche im Jahre 1821 und der Gründung des Hellenischen Königreiches, 6 Bde, Wien 1867. Bände 3–6 bilden den Dokumentenanhang. Zu Prokesch-Osten s. Muhammad as-Sayyid Omar, Anton Prokesch-Osten. Ein österreichischer Diplomat im Orient, Frankfurt/Main u.a. 1993, zugl. phil. Diss. Wien 1989, und Daniel Bertsch, Anton Prokesch von Osten (1795–1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts. München 2005, zugl. phil. Diss. Münster 2002. Zur russischen Haltung zu den Karlsbader Beschlüssen und der Reaktion auf die Ermordung Kotzebues vgl. Markert, Politik, 204–212.

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Die Anlässe und Gründe für die Revolutionen auf den beiden Halbinseln waren unterschiedlich, hingen jedoch zusammen. In Spanien waren eindeutig Spätfolgen der Napoleonischen Besatzung für den Ausbruch verantwortlich.3 Nach dem Verlust der Kolonien gab es so gut wie keinen funktionierenden Außenhandel mehr, und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes konnte bestenfalls als stagnierend bezeichnet werden, nachdem die wenigen industriellen Zentren zerstört worden waren und auch die Landwirtschaft brach lag. Auch die soziale Situation stellte sich als wenig entspannt dar: Ein tiefer Bruch ging durch die spanische Nachkriegsgesellschaft, das Militär – vor allem in Gestalt der Offiziere – etablierte sich als vermeintlich wahrer Träger des nationalen Willens.4 Der wiedereingesetzte König Ferdinand VII. verhielt sich zudem nicht besonders geschickt. Er räumte den notwendigen Reformen in seinem Land wenig Raum ein und versuchte statt dessen, die verlorenen Kolonien in Südamerika zurück zu erobern. Langfristig sollte dies erhebliche Konsequenzen für das europäische System haben – kurzfristig führte es zu einer Revolte der in Cádiz stationierten Soldaten und Matrosen, die nach Südamerika auslaufen sollten. Aus einer ursprünglich lokal begrenzten Meuterei wurde schnell eine veritable Revolution, die Ferdinand zwang, die Verfassung von 1812 anzuerkennen, und mit den Cortes eine gewählte Körperschaft als eigenen Souverän etablierte.5 Zunächst hatte diese Revolte kaum Widerhall in der europäischen Großmachtpolitik gefunden. Dass sie von Alexander aufgegriffen wurde und zu einer europäischen Frage erhoben wurde, lag an den vergleichsweise engen Beziehungen beider Länder.6 Diese waren allerdings erst entstanden, als Russland in den Napoleonischen Kriegen zur Macht im Mittelmeerraum aufstieg und Spanien als wichtiger Baustein einer potenziellen antinapoleonischen Bündnisstruktur relevant wurde.7 Die russische Politik arbeitet also auf eine enge Verbindung zum Hof von Madrid hin – und auch aus Spanien kamen Treueschwüre:

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Siehe grundlegend Ulrike Schmieder, Preußen und der Kongreß von Verona – Eine Studie zur Politik der Heiligen Allianz in der spanischen Frage. phil. Diss. Leipzig 1992. Vgl. Charles J. Esdaile, The Spanish Army in the Peninsular War. Manchester 1988, 199 f. Zur Situation in Spanien nach den Napoleonischen Kriegen: ders., Spain in the Liberal Age. From Constitution to Civil War, 1808–1939. Oxford 2000, 42–62; Walther Bernecker/Horst Pietschmann, Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart u.a. 42005, 199–213. Vgl. Schroeder, Transformation, 606–608; Košelev an Alexander, 3.5.1812, in: RGADA f.15, op. 1, d. 268, 138r f. Vgl. einführend M. A. Dodolev, Russia and the Spanish Revolution of 1820–1823, in: Istorija SSSR 1, 1969, 113–122; ders., Rossija i Ispanija 1808–1823 gg. Vojna i revoljucija v ispanii i russko-ispanskie otnošenija. Moskau 1984; Markert, Politik, 130 f.; Dexter Perkins, Russia and the Spanish Colonies, 1817–1818, in: American Historical Review 28, 1923, 656–672. V. a. Schop Soler, Siglo. Vgl. auch Kraehe, Relationship. Vgl. Alexander an Stroganov, 12./24.5.1805, in: VPR I/2, 416–429. Vgl. auch den Schriftverkehr des katalanischen Geschäftsmanns und Konsuls in Sankt Petersburg, Antonio de Colombi y Payet, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 263.

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jamais elle ne fera paix, arrangement, ni trêve avec ce Monstre tant qu’il ne retrieva pas ses troupes de la péninsule et qu’il ne restituera pas à notre Roi Ferdinand 7me la Couronne qu’il a arraché de son front, et que même dans ce cas elle n’entrera au négociations qu’après s’être mis d’accord avec ses alliés, ne concluera la paix sans leur consentement.8

Aus Spanien kam sogar der Vorschlag, dass der exilierte König Ferdinand VII. die Schwester des Zaren, Anna, heiraten könne. Und in Russland genossen die spanischen Gesandten Colombi y Payet und Zea Bermudez die Protektion des Alexander-Vertrauten Košelev, der ihnen im Laufe des Jahres 1811 immer wieder auch kurzfristige Audienzen bei Alexander ermöglichte.9 Damit hatte sich bereits eine Annäherung zwischen beiden Staaten manifestiert, die im Juli 1812 auch vertraglich abgesichtert wurde. Auf der Suche nach Verbündeten wurde am 20. Juli in Velikie Luki ein Defensivbündnis zwischen Spanien und Russland geschlossen. Die große Kröte, die Alexander hierbei schlucken musste, war die Anerkennung der Cortes.10 Doch wurde daraufhin kein Gesandter nach Madrid geschickt. Auch als Ferdinand 1814 wieder an die Macht kam und die Hochzeitspläne erneut vorbrachte, änderte sich wenig. Es blieb auf der anderen Seite allerdings ein Protest aus, als Ferdinand mit dem Staatsstreich gegen den Vertrag von Velikie Luki verstoßen hatte. Dieses Schweigen, obwohl ein Vertrag verletzt worden war, ist ein deutliches Indiz, dass das Zugeständnis von 1812 aus der Not heraus geboren worden war. Erst Mitte des Jahres wurde mit Tatiščev ein äußerst fähiger Diplomat nach Spanien entsandt, der innerhalb kürzester Zeit zur Kamarilla um Ferdinand zählte.11 Tatiščev zeichnete sich allerdings durch zu große Eigenmächtigkeit aus. So soll er zu Beginn in Spanien das Blaue vom Himmel versprochen haben, etwa eine russische Unterstützung bei der Rückgewinnung von Parma und Piacenza, vor allem aber bei dem Plan, Portugal zu erobern, eine Eigenmächtigkeit, die ihm Anfang des Jahres 1815 eine harte Rüge aus Sankt Petersburg einbrachte.12 Zwischen Spanien und Portugal war es 1817 zu einer Auseinandersetzung um die Banda Oriental in Südamerika gekommen, einem Gebiet das weitestgehend deckungsgleich mit dem heutigen Uruguay ist.13 Tatiščev hatte hier ohne Abspra-

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Zea Bermudez an Košelev, 20.12.1810, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 269, 4r. Vgl. die Briefe in ebd., passim. Colombi starb 1811. Abgedruckt in CTS 62, 72 f. Vgl. Alexander an Ferdinand VII., 30.6./12.7.1814, in: VPR I/8, 62. Der Botschafter „geisterte als politisches und moralisches enfant terrible“ durch alle Berichte aus Madrid, die nach Wien gingen. Vgl. Kossok, Legitimität, 67 f. zur Rolle Tatiščevs, Zitat 67. Vgl. Kraehe, Relationship, 70 f. Alexander blieb in der Frage der toskanischen Herzogtümer bei seiner Linie und seinem Versprechen Marie Louise gegenüber, allen anderslautenden Beteuerungen Tatiščevs in Madrid zum Trotz. Dieses Angebot ist ein Beleg dafür, dass Tatiščev sein Angebot der Unterstützung bei einer Eroberung Portugals eigenmächtig unterbreitet hatte. Vgl. für einen Literaturüberblick zu den Unabhängigkeitskriegen in Südamerika O. Rodriguez/E. Jaime, The Independence of Spanish America. Cambridge 1998; John Lynch, Spanish American Independence in Recent Historiography, in: McFarlane, Anthony/Carbó, Eduardo Posado (Hrsg.), Independence and Revolution in Spanish America. Perspectives and Problems. London 1999, 13–42; David Bushnell, The independence of Spanish South America, in: Bethell, Leslie (Hrsg.), The

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chen mit Alexander versucht, vermittelnd einzugreifen, jedoch war dieses Unterfangen ohne Erfolgsaussichten, da Alexander an einer kollektiven Lösung dieses Konfliktes festhielt.14 Daher wurde er abermals scharf aus Sankt Petersburg gerügt.15 Gleichzeitig kam aus Russland ein konkretes Hilfsangebot für die Rückeroberung der verloren gegangenen Kolonien. Dieser engen Beziehung zwischen Spanien und Russland ist auch das Mediationsangebot Russlands im Konflikt um die Banda Oriental zu verdanken.16 Allerdings waren diese Probleme mit den europäischen verquickt und der Zar gab in Aachen der Schaffung der alliance générale eindeutigen Vorrang.17 Spanien konnte einen Teil der russischen Flotte kaufen, um mit ihr Soldaten nach Südamerika zu verschiffen.18 Ein fataler Entschluss, denn ausgerechnet dieser Verkauf schuf die Bedingungen für die Situation, die sich in Cádiz 1820 revolutionär entlud.19 Aus der Überlegung, die abtrünnigen südamerikanischen Kolonien durch einen militärischen Eingriff zu befrieden und damit wieder an Spanien anzubinden, veranlasste die spanische Regie-

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Cambridge History of Latin America. Bd. 3. From Independence to c. 1870, Cambridge u.a. 1985, 95–156. Es liegt eine Dokumentensammlung für die britische Seite vor. Webster, C.[harles] K.[ingsley] (Hrsg.), Britain and the Independnce of Latin America 1812–1830. Bd. 2. Communications with European States and the United States. Oxford u.a. 1938. Siehe auch ders., Castlereagh and the Spanish Colonies, in: English Historical Review 27, 1912, 78–95 und 30, 1915, 631–645. Die Protokolle der Botschafterkonferenz sind ediert: Protocols of Conferences of Representatives of the Allied Powers respecting Spanish America, 1824– 1825, in: American Historical Review 22, 1917, 595–616. Die russische Politik außerhalb Europas ist nur insofern Teil der vorliegenden Untersuchung, als sie die Europapolitik beeinflusst. Zur russischen Politik gegenüber Südamerika vgl. Russell H. Bartley, Imperial Russia and the Struggle for Latin American Independence, 1808–1823. Austin 1987; Völkl, Lateinamerika; L. Ju. Slëzkin, Rossija i vojna na nezavizimost’ v Ispanskoi Amerike. Moskau 1964. Die russische Haltung: Pozzo di Borgo an Nesselrode, 20.1./1.2.1818, in: SIRIO 119, 1904, 577; ders. an dens., 3./15.2.1818, in: ebd., 590–595 sowie ders. an dens., 13./25.3.1818, in: ebd., 620–624. Vgl. Pyta, Konzert, 158 f. Vgl. Nesselode an Tatiščev, Juli 1817, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 12750, 80v–83r. Ebd., 62–64. Kossok zeichnet den Aktionsplan Metternichs nach, an dessen Ende ein zweigeteilter Kontinent gestanden hätte. Die Nordhälfte unter US-Vorherrschaft wäre ein föderatives System geworden, die Südhälfte eine portugiesisch dominierte konstitutionelle Monarchie. Vgl. VPR II/1; W. C. Ford, John Quincy Adams and the Monroe Doctrine, in: American Historical Review, 7, 1902, 676–696 und 8, 1902/1903, 28–52, hier 30–32; David W. McFadden, John Quincy Adams, American Commercial Diplomacy, and Russia, 1809–1825, in: The New England Quarterly 66, 1993, 613–629; Manfred Kossok, Legitimität gegen Revolution. Berlin 1987, 54–57. Schroeder, Transformation, 630 beschreibt das Unterfangen als „financially a swindle, militarily something of a joke, and politically a futile gesture“. Diesem Urteil kann nicht zugestimmt werden, auch wenn es weit verbreitet ist. Zum Hintergrund der Unabhängigkeitsbewegung in Südamerika vgl. Stefan Rinke, Revolutionen in Lateinamerika. Wege in die Unabhängigkeit 1760–1830. München 2010, 193–217; Michael P. Costeloe, Response to Revolution. Imperial Spain and the Spanish American Revolutions, 1810–1840. Cambridge u.a. 1986, 52–96. Dabei war man in Russland durch Tatiščev darüber informiert, dass die Stimmung in Spanien zu kippen drohte. Vgl. Dodolev, Spanish Revolution, 256.

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rung den Kauf von Schiffen, um die Kolonien zurückzuerobern, denn ohne die Kolonien hielt sie einen Wiederaufbau der Flotte für nicht möglich.20 Im Juli erfolgte die weitestgehende Zustimmung aus Sankt Petersburg, allerdings unter einer zentralen Bedingung. Der Kauf durfte in Europa nicht bekannt werden, damit keine Unruhe bei den europäischen Staaten ausgelöst werde.21 Genau das Gegenteil passierte freilich, als die Schiffe im Februar 1818 Cádiz erreichten. Die spanische Regierung hatte die Ankunft lautstark angekündigt, sie nicht zuletzt auch als Wunderwaffe im Kampf gegen die Piraterie angepriesen, und sofort machten wilde Gerüchte die Runde, Russland habe als Gegenleistung die Insel Menorca erhalten und verfüge nunmehr über einen Marinestützpunkt im Mittelmeer.22 Auch wenn die gesamte Aktion seltsam erscheint: Sie war keine Provinzposse. Das politische Kalkül des Zaren lässt sich allerdings nicht durch Quellen belegen, sondern kann nur mit Hilfe von Indizien rekonstruiert werden. Dennoch steht zu vermuten, dass das von Tatiščev übermittelte Argument Ferdinands VII., die Schiffe zur Rückeroberung der Kolonien zu nutzen, durch den Verkauf selbst konterkariert wurde. Denn angesichts der begrenzten Anzahl der Schiffe – gerade einmal fünf Schiffe wurden geordert und geliefert – lässt sich vermuten, dass hinter der Transaktion andere Gründe standen. Nur wenn Spanien überhaupt über Schiffe verfügte, konnte das Land einer europäisch vermittelten Lösung des Problems zustimmen und auf unilaterale Sanktionen verzichten. Mit dem Kauf wäre Spanien also wenigsten zum Schein eine Verhandlungsmasse zugestanden geworden.23 Der Vorrang Europas kann auch erklären, warum Alexander 1821 strikte Vorschriften für den Handel mit anderen Mächten im russisch-amerikanischen Einflussgebiet in Kraft setzte. Dies brachte die USA auf den Plan, die als Reaktion fünf südamerikanische Regierungen anerkannte und schließlich die Monroe-Doktrin formulierte.24 Mit der Revolution, die unter den in Cádiz versammelten Soldaten ausbrach, hatte sich die Frage einer Intervention in Südamerika ohnehin erledigt. Argumentativ bemühte der Zar in einer Zirkularnote Anfang Mai 1820 die Gefahr einer Revolution, die sich wie ein Virus auch von Spanien nach Europa ausbreiten könne. Daher müsse auf einem Kongress über den Umgang mit der neuen Situation, konkret: über die Frage einer Intervention, beraten werden.25 Mit diesem Vorschlag scheiterte er jedoch. Im State Paper vom 5. Mai 1820 lehnte Castlere20

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Vgl. Tatiščev an Alexander, 13./25.3.1817, in: VPR II/1, 492–494; Alexander an Ferdinand VII., 23.5./4.6.1817, in: ebd., 560–563; Nesselrode an Tatiščev, 31.5./12.6.1817, in: ebd., 569–571; Tatiščev an Pisarro, 6./18.6.1817, in: ebd., 580 f. Vgl. auch B. N. Komissarov, Ob otnošenii Rossii k vojne Ispanskoj Ameriki na nezavisimost’ (po materialam archiva V. M. Miroševskogo), in: Vestnik Leningradskogo Universiteta 8, 1964, 60–70. Vgl. Kraehe, Relationship, 72–75, auch für das Folgende. Metternich hatte diesem Gerücht Glauben geschenkt und war entsprechend alarmiert, erst Recht, da er ein militärisches Zusammengehen von Russland und Spanien fürchtete. Vgl. Kossok, Legitimität, 68. Der Flotten-Deal hatte Tatiščevs ohnehin schon starke Stellung in Madrid noch weiter ausgebaut. Der Kaufvertrag vom 30.7./11.8.1817: VPR II/4, 626–628. Vgl. Bourquin, Sainte-Alliance, 427–446. Vgl. Zirkularnote vom 19.4./2.5.1820, in: VPR II/3, 351–353.

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agh jegliche europäische Intervention in Spanien mit dem Hinweis, sie widerspreche den existierenden Verträgen, ab. Metternich ging davon aus, dass es sich um eine rein innerspanische Angelegenheit handelte, ein Eingreifen der europäischen Mächte daher nicht erforderlich und zudem gefährlich sei, da es die revolutionären Kräfte bestärke.26 Ein Irrglauben, denn schon wenige Wochen später sprang der revolutionäre Funken tatsächlich auf Italien über. In Neapel verbündete sich die Geheimgesellschaft der Carbonari mit einigen Offizieren und ihr Erfolg ist in erster Linie auf die zögerliche Haltung des Monarchen Ferdinand I. zurückzuführen. Die Verschwörer übernahmen aus Spanien die Verfassung, auch wenn sie kaum auf das Königreich beider Sizilien anzuwenden war, und zwangen den festgesetzten König, einen Eid auf die Konstitution zu leisten.27 Während Metternich nun in Europa um Unterstützung für eine Intervention in Neapel warb, schien für Frankreich die Stunde gekommen, in Italien den alten Einfluss wenigstens zu einem Teil wiederherzustellen. Daher ging von Richelieu die Initiative aus, einen Kongress einzuberufen, der sich mit der Frage der Revolution in Neapel beschäftigen sollte. Unterstützt wurde er dabei von Kapodistrias, der in dem Aufstand auch „liberale“ Ideen am Werk sah. Auf einem Kongress, so das russische Kalkül, könne man die österreichische Politik besser kontrollieren. Es sollte genau anders herum kommen, auch weil – kaum dass der Kongress eröffnet worden war – wurde, die Nachricht in Troppau eintraf, dass das Lieblingsregiment des Zaren gemeutert hatte.28 In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1820 revoltierte das Semenovskij-Regiment gegen einen Offizier, Colonel Schwartz – ein Ereignis, das nicht politisch motiviert war, sondern sich ausschließlich gegen das brutale und repressive Auftreten des Colonels richtete.29 Alexander hingegen vermutete, dass sich die Meuterei ereignet hatte, weil das Regiment von revolutionären Agenten unterwandert worden war. Ziel dieser Truppe sei es, wie er Metternich anvertraute, die russische Armee zu infiltrieren, um so seine eigene Herrschaft zu stören, und damit auch den Frieden in Europa.30 Durch einen Zufall erfuhr der Zar am Jahrestag der Heiligen Allianz von dem Vorfall und bat seinen Bruder Nikolaus in einer Kurzschlussreaktion, unverzüglich nach Troppau aufzubrechen. Doch schon nach wenigen Tagen beruhigte sich

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Vgl. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 226–246; Schop Soler, Siglo, 269–272; Bertier de Sauvigny, Metternich et la France, Bd. 2, 309–311. Für die Revolution liegt eine gut edierte Quellensammlung vor: Alberti, Annibale (Hrsg), Atti del Parlamento delle Due Sicilie, 1820–1821, 6 Bde., Bologna 1926–1941. Vgl. auch Schroeder, Metternich’s Diplomacy, 30–41 sowie den Bericht Ferdinands über die Situation: Ferdinand an Fürst Ruffo, 16.9.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287, 63r–67r. Vgl. die Erinnerungen Benckendorfs, in: GARF, f. 553, op. 1, d. 60, v.a. 614 f. Das war in Sankt Petersburg hinlänglich bekannt. Vgl. auch Kočubej an Alexander, 22.10.1820, in: Šil’der, Imperator, Bd. 3, 540 f. Vgl. den Tagebucheintrag Metternich vom 15.11.1820, in: Metternich, Mémoires, II/3, Nr. 455, 377 f. Zum Aufstand: Joseph L. Wieczynski, The Mutinity of the Semenovsky Regiment in 1820, in: Russian Review 29, 1970, 167–180.

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die Stimmung wieder und Alexander nahm die Aufforderung zurück.31 Dass dabei ausgerechnet das Semenovskij-Regiment der Hort der Unruhe war, traf den Zaren besonders hart, da er diesem Regiment eng verbunden war. Es war eines der Vorzeigeregimenter, gegründet von Peter dem Großen, und sein Offizierskorps setzte sich aus den vornehmsten Familien Russlands zusammen. Der Zar kannte jeden Offizier persönlich, und es war ein Ausdruck besonderer Wertschätzung, dass das Regiment beim Einzug in Paris an der Spitze der Armee ritt.32 Als Folge seiner immer größeren Angst, ein Opfer von Verschwörungen zu werden, hatte der Zar bereits 1812 den Offiziersklub schließen lassen. Und tatsächlich wurde dem Regiment ein Großteil seiner Privilegien genommen, als der Bruder Alexanders, Michael, im Juli 1819 den Befehl über die erste Infanteriebrigade der Wachen übernahm und damit auch den Oberbefehl über das Semenovskij-Regiment erhielt. Michael drängte darauf, der Empfehlung Arakčeevs zu folgen und Colonel Schwartz als neuen Kommandanten einzusetzen, um somit vermeintlich gesunkene Disziplin des Regimentes wiederherzustellen. Der neue Kommandant installierte ein überaus drakonisches Regime. Auch für die geringsten Vergehen wurden körperliche Strafen angeordnet, selbst für solche Soldaten, die als Träger des Georgs-Kreuzes von dieser Bestrafung ausgenommen waren.33 Am 17. Oktober beschlossen die Soldaten der ersten Kompanie, sich der Diktatur Schwartz’ nicht länger zu beugen, und verlangten Wiedergutmachung. Als Schwartz das zu Ohren kam, floh er. Daraufhin wurde zunächst die erste Kompanie und im Laufe des folgenden Tages der Rest des Regimentes ohne Gegenwehr inhaftiert. Diese unblutige Meuterei der Soldaten war also eindeutig innermilitärisch und psychologisch motiviert und hatte keinerlei politische Implikationen.34 Alexander reagierte dennoch hart. Jeder Soldat des Regiments sollte mit 6.000 Hieben bestraft werden und wer das überlebte, wurde zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Da die meisten Soldaten durch den Zaren, wie gesagt, von körperlichen Strafen befreit worden waren, traf sie diese Strafe nun in doppelter Hinsicht hart.35 Das Regiment wurde aufgelöst. Die Meuterei fiel in einen denkbar ungünstigen Augenblick, denn in Troppau wurde gerade darüber verhandelt, wie größerer Schaden von Eu-

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Vgl. Alexander an Nikolaus, 15./26.9.1820, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 1068, 23r–24v und ders. an dens., 21.4./3.5.1820, in: ebd., 26r–27v. Vgl. V. I. Račinskij, K istorii leib-gvardii Semenovskago polka, in: Russkij Archiv 40, 1902, 410–423; M. Bogdanovič, Bezporiadki v Semenovskom polku 1820 g, in: Vestnik Evropy 11, 1870, 55–84. Weitere Vergehen schlossen sich an. Schwartz soll Soldaten ins Gesicht gespuckt haben, sowie in mehrfacher Hinsicht gegen die Statuten der Armee verstoßen haben, indem er etwa Drill-Übungen ohne die dafür erforderlichen Offiziere abhalten, oder die Soldaten Reparaturen von Materialien aus dem eigenen Sold bezahlen ließ. Vgl. Bogdanovič, Bezporiadki, 58. Es wurden im Gefolge dieser Meuterei angeblich revolutionäre Zettel ausgetauscht zwischen den Mitgliedern verschiedener Regimenter, die von einem Unbekannten mit „jüdischem“ Aussehen“ verbreitet worden sein sollen. Vgl. S. Ja. Streich, Vosstanie semenovskogo polka v 1820 godu. Sankt Petersburg 1920, 42. Vgl. Michailovič, Aleksandr, Bd. 1, 253–258.

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ropa ferngehalten werden konnte, nachdem der Carbonari-Aufstand stattgefunden hatte.36 Tatsächlich ist Alexander in der Folge mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es sich bei der Meuterei in seinem Lieblingsregiment um eine lokal begrenzte Aktion gehandelt habe und Schwartz der Vergehen schuldig gewesen sei, die ihm zur Last gelegt wurden. Doch seine Reaktion hat dies nicht mehr ändern können.37 So beauftragte er wenig später General Panlucci damit, den vermeintlichen Carbonari-Zellen in den Freimaurerlogen in Riga den Garaus zu machen.38 Für Metternich war das der ersehnte Anlass, um den Zaren von seinen Ideen zu „heilen“. Auf russisches Drängen hin wurde ein Kongress nach Troppau einberufen.39 Troppau war als Ort gut gewählt: Hier konnte Metternich seinen Heimvorteil nutzen und nicht erwünschte Teilnehmer vom Geschehen ausschließen. Anders als Wien war Troppau ein reiner Arbeitskongress. Bälle gab es so gut wie nicht.40 Aus Frankreich und Großbritannien wurden jeweils nur Beobachter entsandt, so dass de facto kein europäischer Kongress stattfand. Das wichtigstes Ziel der Metternichschen Politik bestand darin, jede Art von Mediation in Neapel zu verhindern.41 Tatsächlich hatte sich Alexander schnell überzeugen lassen, dass jegliche Mediation nur den Revolutionären in die Hände spielen würde.42 Die

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Vgl. Šil’der, Imperator, Bd. 4, 4 u. 198; Michailovič, Aleksandr, Bd. 1, 251 berichtet, dass Alexander dank des langsamen Reisens des Gesandten Čaadaev erst von Metternich von diesem Aufstand unterrichtet worden war, und dass dieser dem Zaren die Idee eingeimpft hatte, dass die Ereignisse um die Carbonari und das Semenovskij-Regiment eng miteinander verbunden seien. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg. Metternich berichtet in seinem Tagebuch, dass er von Alexander informiert worden war: Metternich, Mémoires, 284 f. Tatsächlich dürfte Čaadaev bereits einen Tag nach dem Kurier Vasil’čikov am 11.11. eingetroffen sein. Čaadaev kommt in den älteren Darstellungen nicht besonders gut weg, als eitel und bequem charakterisiert, stand ihm wohl 1820 noch eine glänzende Aussicht als aide de camp des Zaren bevor. Dass er 1820/21 aus der Armee trat und später im Umfeld der Dezembristen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatte, wird diese Geschichte „von hinten“ motiviert haben. Zur Rolle Čaadaevs in der Affäre vgl. Richard Tempest, The secrets of Troppau. Chaadaev and Alexander I, in: Studies in Soviet Thought 32, 1986, 303–320, v. a. 303–310. Belege bei Wieczynski, Mutinity, 176 f. Vgl. Alexander an Panlucci, 15./27.11.1820, in: GARF, f. 1717, op. 1, d. 133, 69r–70v. Vgl. Schroeder, Transformation, 609–611; Eich, Russland, 314 f. Eine Beschreibung des Kolorits bietet Mira Miladinović Zalaznik, Heinrich Costas Tagebuch: Der Laibacher Kongreß 1821, in: Segebrecht, Wulf (Hrsg.), Europavisionen im 19. Jahrhundert. Vorstellungen von Europa in Literatur und Kunst, Geschichte und Philosophie. Würzburg 1999, 235–243. Es habe nur zwei Bälle in der Woche gegeben, wird Metternich zitiert, mit nur einer Frau unter 35 Männern – und die habe auch noch geschlafen. Ottmar Hegemann, Aus den Tagen des Laibacher Kongresses. Laibach 1914, 26. Details bei Schroeder, Metternich’s Diplomacy, 52–80. Vgl. auch Metternich an General Vincent, 26.10.1820, in: Guillaume de Bertier de Sauvigny, Metternich et la France après le Congrès de Vienne. 3 Bde. Paris 1968–1971. Hier Bd. 2. Les grands congrès 1820–1824. Paris 1970, 368 f. Zur Rolle Frankreichs außerdem Marcowitz, Kongreßdiplomatie 8–10. Vgl. Dietrich Beyrau, Militär und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln/Wien 1984, 186–197.

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Verhandlungen in Troppau besaßen eher einen bilateralen Charakter.43 Alexanders wich dabei nicht von der Haltung ab, dass die Verträge seit 1814 die unumstößliche Grundlage allen Handelns bleiben müssten. Eine Intervention sei allein dadurch zu rechtfertigen, dass sich die Revolution bereits ausgebreitet habe.44 Sie sei ein „Mal qui, en menaçant l’Europe tout entière, peut tôt ou tard, atteindre chacun des Etats qui la composent.“45 Dieses Übergreifen auf andere Staaten ereigne sich deswegen, weil auch in Neapel eine okkulte Sekte am Werk sei, die – zentral gesteuert – nichts weiter als eine Filiale der europäischen Verschwörungsund Revolutionszentrale in Paris sei.46 Durch bilaterale Verhandlungen mit der revolutionären Regierung in Neapel werde die Ansteckungsgefahr nur wachsen.47 Am Ende dieser Diskussion stand das „Interventionsprotokoll von Troppau“, das eine österreichische Intervention in Neapel rechtfertigte, indem es auf das Prinzip Bezug nahm, dass eine Intervention dann legitim sei, wenn sie den legitimen Herrscher vor einer Revolution schütze.48 Die Haltung Alexanders gibt ein Bericht Nesselrodes wieder, in dem er schreibt: Il considère comme un devoir sacré le devoir d’opposer une digne au torrents des révolutions, d’arrêter et d’anéantir dans leur source, celles qui menacent d’autre pays d’un débordement funeste, de déployer une action morale et collective partout où cette action peut produire d’utiles résultats; d’avoir même recours à la force des armes, partout où l’emploi de cette force peut faire atteindre plus rapidement aux Puissances alliés, l’objet de leurs désirs et de leurs obligations.49

Alexander war durch das Phantom der Revolution geschickt in die Bahnen Metternichs gelenkt worden und stimmte ab der dritten Sitzung der Konferenz von Troppau Anfang November 1820 rückhaltlos der österreichischen Position zu.50 Wichtig war ihm, dass sich alle Maßnahmen, die gegen die revolutionäre Regierung in Neapel ergriffen werden sollten, im Einklang mit den Verträgen befanden, die seit 1815 das öffentliche Recht in den internationalen Beziehungen Europas definiert hatten – somit sollten sie auf dem Boden der alliance générale stehen. Das wirksamste exekutive Mittel dieser Allianz sei jedoch die enge politische Zusammenarbeit der Großmächte, die union intime, der sich keiner der Staaten ver-

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Entsprechend wurde die Konferenz in „Journalen“ protokolliert und nicht als Wortprotokoll, wie es von Kapodistrias favorisiert worden war. Vg. Journal Nr. 1, 21.10.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287 (Troppau), 4r–7r, hier 5v. Vgl. bases d’une transaction, Troppau, 2./14.11.1820, in: VPR II/3, 585 f. Mémoire du Cabinet Autrichien, 23.10.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287, 11r–27r, hier 11v. Ebd., 14r–16r. Vgl. Journal des Conférences, 17./29.10., in: ebd., 87r–108v, hier 88v und Note Nesselrodes vom 26.10./7.11.1820, in: ebd., 114r–117r. Abgedruckt in Näf, Europapolitik, 43–46; VPR II/3, 589–591. Nesselrode an die alliierten Vertreter, 17./29.10.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287, 108r f. Vgl. Alexander an Nesselrode, 26.10./7.11.1820, in: ebd., 122r–123v.

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weigern dürfe.51 Sie habe bereits einmal die Mutter aller Revolutionen besiegt und sei daher das probate Mittel gegen die Revolution in Süditalien, zumal die Ereignisse der jüngsten Zeit eindeutig belegt hätten, dass nicht nur Italien, sondern ganz Europa bedroht sei.52 Das Beispiel Spaniens hatte dem Zaren indes deutlich gezeigt, dass eine europäische Allianz das einzig wirksame Mittel gegen diesen Virus war.53 Die Grundlage aller Handlungen in Europa blieb in Alexanders Augen die Heilige Allianz, die als moralisches Fundament der alliance générale die Leitlinien der Politik vorgebe und gleichzeitig die Garantie bilde für eine friedlichere Zukunft. Dies wird geradezu zu einer religiösen Erkenntnis erhoben: [...] certes, si le monde avait conservé la persuasion que l’Acte chrétien et solennel, consacré par l’assentiment de tous les monarques, établissait entre eux une solidarité constante, une invariable communauté de principes, il ne s’agirait peut-être pas aujourd’hui de déliberer sur les mesures à prendre dans ce nouveau moment de crise; ces mesures seraient déjà executées par les Puissances garantes de la paix, de la concorde et de tous les bonheurs qui en découlent. Mais, il faut l’avouer la conscience des obligations composées par cet acte qui renfermait le salut de l’Europe, n’a dirigé que la conduite des fondateurs de l’alliance générale, et non celle de plusieurs Gouvernemens relevés sur les ruins de la révolution! Il ne suffit donc pas de se dire aujourd’hui que l’union existe et qu’elle est plus intime qu’à aucune autre époque: Il faut que cette vérité frappe le monde. Le monde en doutait, et il est en peril, – qu’il n’en doute plus, et il sera sauvé.54

Aus dem Vergleich der Situation in Neapel mit der in Frankreich im März 1815 folgte für Alexander, dass jegliche Intervention gerechtfertigt sei als quasimedizinischer Eingriff gegen den Keim der Revolution. Auch wenn es Unterschiede gebe, so bedrohten doch beide Revolutionen die Existenz der europäischen Verträge, da sich die Revolutionäre nicht an sie gebunden fühlten. Damit aber werde die Axt an die Wurzel des europäischen Friedens gelegt: „Les Traités sur les quels se fonde la paix générale pouvant aussi être violés et invalidés [...].“ Da die revolutionäre Regierung in Europa nicht anerkannt sei, befände sie sich außerhalb des europäischen Sicherheitssystems der alliance générale, womit die Intervention mit den bestehenden Verträgen in Einklang stehe.55 Die Argumentation des Zaren in Fragen der Revolution ist in diesem Antwortschreiben exemplarisch dargelegt: Revolutionen sind das Grundübel des Jahrhunderts. Um die schlimmste aller Revolutionen zu bekämpfen, sei es nötig gewesen, dass sich 1814 ein enger Zusammenschluss der europäischen Staaten gebildet habe. Er bilde zugleich den Präzedenzfall für den Umgang mit Revolutionen überhaupt. Das oberste Ziel, dem alle politischen Mittel untergeordnet seien, müsse der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit in Europa 51 52 53 54 55

Vgl. auch Kapodistrias an Alopeus 24.8./5.9., in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 2117, 62r–67r. Vgl. Kapodistrias an Nesselrode, 11.8.1820 (AS), in: ebd., 6r–7v. Vgl. Kapodistrias an Alopeus, 21.8.1820 (AS), in: ebd., 59r–61r. Russische Antwort auf österreichisches und preußisches Schreiben vom 11./23. und 17./29.10., in: ebd., 124r–145v, hier 125v–127r. Vgl. ebd., 128v–137v, Zitat 132r. Vgl. auch zur Einschätzung der Gefahr aus Neapel: Opinion du Cabinet de Russie, 24.11./6.12.1820, in: ebd., 231r–238r.

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sein, die durch Revolutionen direkt und unmittelbar gefährdet seien.56 Staaten, die von einer Revolution erschüttert werden, seien aus der Staatengemeinschaft Europas ausgeschlossen, gewissermaßen – in der russischen Metaphorik – unter Quarantäne gestellt, so dass die entsprechenden Heilmittel Anwendung finden können: Elles [die Alliierten, PhM] regardent comme exclu de alliance Européenne tout Etat qui aura subi une altération violente dans la forme de Son régime intérieur, une altération operée par la révolte et dont les suites seront menaçantes pour d’autres Gouvernements.57

Die Maßnahmen müssten dann in Form einer kollektiven Intervention, moralischer und materieller Art, gefunden werden, damit die Staaten anschließend wieder in die europäische Familie integriert werden könnten.58 Entsprechend seien anschließend Maßnahmen zu ergreifen, um den nationalen Willen der betroffenen Staaten wiederherzustellen.59 Auch hier ist die Analogie zur Behandlung des nachrevolutionären Frankreich deutlich erkennbar. Troppau war insofern ein Meilenstein in der Entwicklung der alliance générale, als hier wiederum die Monarchen direkt miteinander sprechen und gemeinsam handeln konnten. Die drei anwesenden Monarchen verstand Alexander dabei gewissermaßen als Exekutivorgan der großen Allianz.60 Somit hatte Troppau den nächsten Schritt vollzogen: Die Allianz war in Wien und Paris im Kern entstanden, hatte sich in Aachen eine Form gegeben und nun in Troppau ihre Handlungsfähigkeit im Angesicht einer eminent bedrohlichen Situation unter Beweis gestellt.61 Die Verträge, die die Allianz konstituierten, waren als allgemeingültig angesehen worden, die konkreten Anwendungsfälle, wie die Revolutionen in Neapel oder Spanien, waren Konkretisierungen der Prinzipien.62 Somit ist das Protokoll vom 19. November 1820 in seiner Gesamtheit als ein Mittel gegen Revoluti56

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Kapodistrias ging das nicht weit genug. Er schrieb Benckendorf mit der Bitte um strengste Vertraulichkeit, dass es Alexander lediglich darum gehe, die Macht der Aufstände zu eliminieren, nicht aber die Wurzeln zu bekämpfen, nämlich die vermeintlich verantwortlichen Institutionen. Vgl. Kapodistrias an Benckendorf, 4./16.5.1821, in: GARF, f. 1126, op. 1, d. 384, 8. Vgl. Papiers qui indiquent plus particulièrement la marche des négociations de Troppau, in: ebd., 315r–341v, hier 325r f. Vgl. ergänzend das Aperçu sommaire au sujet de la Réponse du Cabinet de Russie, 21.10./2.11.1820, in: ebd., 167r–170v, Eclaircissements supplémentaires du Cabinet de Russie à Sa réponse au mémoire du Cabinet Autrichien et aux Communications du Cabinet Prussien, in: ebd., 171r–174v, sowie Declaration du Cabinet de Russie sur les propositions faites par le Cabinet d’Autriche, 26.10./7.11.1820, in: ebd., 178r f. Vgl. Aperçu sommaire, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11287, hier 170v. Vgl. Kapodistrias an Nesselrode, 11.8.1820, 7r; ders. an dens., 24.8.1820, in: ebd., 9r–10r. Vgl. den russischen Entwurf: Projet de lettre de Cabinet au Roi des Deux-Siciles signée par les trois Monarques à Troppau, 8./20.11.1820, in: ebd., 195r–196r. Der Entwurf liegt in drei Varianten vor: ebd., 201r–206r. Vgl. auch Kapodistrias an Nesselrode, 29.8./10.9.1820, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 2117, 44r–46r. Dies wird unterstrichen durch den Verweis auf die Verträge von 1814, 1815 und 1818 in dem Entwurf an Ferdinand. Ebd., 195r.

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onen zu verstehen. Es werden diejenigen Staaten aus der europäischen Allianz, mithin dem europäischen Sicherheitsverbund, herausdefiniert, deren soziale und politische Ordnung auf revolutionärem Weg geändert wurde. Dies beinhaltete sowohl die Anerkennung der Regierungen als auch die Entsendung diplomatischer Vertreter (Art. 1 und 2). Für den Fall, dass von einem revolutionären Staat eine Gefahr für einen der Nachbarstaaten ausgehe, wurde in Art. 3 die Anwendung von Gewalt legitimiert. Die in den ersten drei Artikeln definierten Prinzipien wurden sodann in den Artikeln 4 bis 7 für den Fall Neapels exemplifiziert und die österreichische Armee damit beauftragt, als Besatzungsarmee die Revolution in Neapel zu beenden. In den Zusatzartikeln wurden Frankreich und Großbritannien dazu aufgefordert, Stellung zu dem Protokoll zu beziehen.63 In seiner Antwort vom 21. Januar 1821 bemühte Castlereagh erneut die Argumente, die im StatePaper vom Mai 1820 dargelegt worden waren und erteilte damit jeder Intervention, auch einer kollektiven, eine klare Absage.64 Die russische Interpretation dieses Protokolls offenbart ein deutlich artikuliertes Sendungsbewusstsein. Die französische Revolution habe gewissermaßen als Urkatastrophe des Jahrhunderts pervertierend auf manche Menschen gewirkt, die nun von Frankreich aus den europäischen Frieden mit allen Mitteln zu torpedieren suchten. Einzig Russland sei von den revolutionären Umtrieben nicht direkt betroffen und könne daher gemäß seiner europäischen Verpflichtungen agieren. Alle anderen Länder seien entweder in ihren territorialen Interessen beeinträchtigt oder hätten sich aus dem Kreis der aktiven Mitglieder der europäischen Gemeinschaft zurückgezogen.65 Die in den ersten drei Artikeln des Protokolls von Troppau festgeschriebenen Prinzipien waren allerdings derart unpräzise formuliert, dass sich für beinahe jeden Fall ein Interventionsgrund finden lassen konnte – und da es überdies nur von den drei Mächten der „schwarzen Adler“ unterzeichnet wurde, liegt hierin einer der wesentlichen Gründe für den schlechten Ruf, den die Heilige Allianz lange Zeit genoss. Auf der Sitzung vom 24. Dezember 1820 wurde beschlossen, den Kongress nach Laibach zu verlegen, dorthin wurde Ferdinand I. eingeladen. Der unter Arrest stehende König erhielt von der revolutionären Regierung die Erlaubnis, Neapel zu verlassen, nachdem er noch einmal einen feierlichen Eid auf die Verfassung geleistet und geschworen hatte, sie auch weiterhin zu achten. Kaum hatte er jedoch Laibach erreicht, fühlte er sich an diese Schwüre nicht mehr gebunden. Er akzeptierte das Troppauer Protokoll und damit die Intervention, die seine Herrschaft wiederherstellen sollte. Jedoch irrte er sich in seiner Einschätzung der Konditionen. Metternich schwebte nämlich nicht vor, das Rad der Zeit einfach zurückzudrehen und Ferdinand ohne jegliche Verpflichtung zu restituieren. Statt dessen wollte er die Möglichkeit nutzen, um im Königreich der beiden Sizilien 63 64 65

Zusatzartikel 2, ebd., 46. Vgl. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 294–305. Mémoire sur les Conferences de Troppau, 19.11./1.12.1820, in: VPR II/3, 619–624.

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eine Reihe von Reformen einzuführen, die anschließend in ganz Italien umgesetzt werden sollten.66 Insgesamt war der Kongress von Laibach eine seltsame Veranstaltung. Friedrich von Gentz hatte auf Weisung Metternichs Protokolle zu sechs Sitzungen bereits im Vorfeld geschrieben und Ferdinand bekam ein regelrechtes Drehbuch mit genauen Anweisungen, was er wann zu sagen hatte.67 Mit der Konferenz von Troppau hatte sich Alexander von Metternich einspannen lassen. Dieser hatte erkannt, dass zu den grundlegenden Maximen der zaristischen Außenpolitik gehörte, die Verpflichtung zu gemeinsamen Handeln ernst zu nehmen: L’empereur ne parlera et ne marchera pas dans de pareilles questions (=questions d’un intérêt général, PhM) jamais seul; il n’admet pas dans semblable cas l’expression de la majorité c’est a unanimitié qu’il agira constamment. S. M. I. est tellement prononcée dans ce principe, elle le regard tellement sacré, qu’elle préférait toujours courir le risque des événements plutôt que de souscrire à la détermination isolée, quelque utile, quelque nécessaire qu’elle puisse peutêtre lui paraître.68

Im besten Glauben, den europäischen Frieden zu sichern, indem die legitime Herrschaft eines Landes geschützt werde, hatte er sich in den diplomatischen Fallstricken verfangen, die Metternich in einer dichten Folge von Briefen an den Zaren ausgelegt hatte.69 Auch in Troppau finden sich freilich Belege für die Frömmigkeit des Zaren und seine Absicht, die Politik an christlichen Leitlinien auszurichten. So schrieb er am Vorabend der Abreise nach Laibach an Golicyn, dass die Spaziergänge mit seiner Schwester Anna die einzigen Ablenkungen seien, die er sich erlaube – neben der Arbeit und der spirituellen Lektüre.70 Aus Laibach selbst folgte eine außerordentlich umfangreiche und detaillierte Rechtfertigung seiner Politik. Chaotische Kräfte seien am Werk, sie hätten nicht nur die legitime Herrschaft zum Feind erklärt, sondern sich gegen die christliche Religion selbst gewandt. In der Bekämpfung dieser Kräfte habe sich der österreichische Kaiser besonders hervorgetan. Als herausragendes rechtfertigendes Element dient hier das Motiv der „Wahrheit“, der sich in der Bibel offenbarende Gott sei ein „Dieu de 66

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Die Rolle und Politik Metternichs während der Konferenzen ist detailliert herausgearbeitet worden von Bertier de Sauvigny, Metternich et la France, Bd. 2, 347–473. Vgl. auch ders., Metternich. Staatsmann und Diplomat im Zeitalter der Restauration. München 1996, 357– 373. Vgl. Bertier, Staatsmann, 371. Entwürfe der Protokolle im AVPRI, f. 133, op. 468, d. 5938. Das russische Außenministerium hatte als einziger Teilnehmer in der ersten Sitzung noch Protokollfragen diskutiert. Ebd., 5r–7v. Metternich an Lebzeltern, 23. Februar 1819, zit. n. Bertier de Sauvigny, Sainte-Alliance et Metternich, 263. Diese Briefe sind bislang nicht ediert. GARF, f. 679, op. 1, d. 103. Alexander an Golicyn, 2./14.12.1820, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 518 f. Aus Laibach folgten weitere Briefe mit spirituellen Inhalten an Golicyn. Vgl. ebd., 519 f. und Ley, SainteAlliance, 249 f. In Laibach war Alexander mit einer französischen Mystikerin mit dem Namen Madame Bouche zusammengetroffen, die in engem Austausch mit Juliane von Krüdener gestanden hatte. Zu ihr gibt es lediglich eine einzige Miszelle: Guillaume de Bertier de Sauvigny, Une Marseillaise à la cour du Tsar, in: Le Figaro littéraire, 10.12.1960.

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vérité“. Wieder einmal – wie auch schon während des Erweckungserlebnisses – hatte sich dieser Gott der Wahrheit durch die Schrift offenbart. Dies vollzog sich in doppelter Hinsicht: Zum einen las Alexander gerade das Buch Judit, als er von Troppau in Richtung Laibach aufbrach. Diese Geschichte, in der das Volk Israel durch die gänzlich auf Gott vertrauende Judith gerettet wurde, wirkte entsprechend auf ihn: „le secours qu’il accorde à ceux qui mettent uniquement leur confiance en Lui seul.“ Das Vertrauen auf Gott fand hier seine biblische Bestätigung. Im Vertrauen auf den „Gott der Wahrheit“ konnte Alexander gar nicht anders, als den Worten Metternichs Glauben zu schenken. Immerhin hatte dieser feierlich erklärt, dass er keinerlei Hintergedanken verfolge. Und noch dazu legte er die vermeintlich geheime Korrespondenz Ferdinands von Neapel mit Franz offen.71 Noch deutlicher formulierte es der Zar eine Woche später: Tout cela me prouve, cher ami, qu’en me laissant aller avec un entier abandon à la volonté Divine et au sentiment intérieur qu’Il place Lui-même dans mon cœur, je crois suivre la route la plus sûre, et qui m’a préservé déjà de bien des faux-pas. Que Sa volonté seule soit faite en tout! Voilà mon refrain perpétuel.72

Aus den gesamten religiös grundierten Äußerungen des Zaren liest man die pietistische Inspirationslehre heraus. Ob die selbst gesteckten Prinzipien tatsächlich eingehalten wurden, lässt sich am ehesten an einem Beispiel ablesen, bei dem die russische Politik autonom agieren konnte. Dieses Beispiel fand sich 1821 in dem Aufstand, der in den Donaufürstentümern Moldau und Walachei stattfand. Er spitzte die „orientalische Frage“ zu und machte sie zur größten Krise Europas nach 1815. 1. GRIECHENLAND Insbesondere der russische Umgang mit der „orientalischen Frage“ lässt sich nicht mit Hilfe von Balance of Power-Kategorien erklären. Der griechische Aufstand von 1821 ist wohl der erste richtige Test, den die – in der Heiligen Allianz niedergelegten – russischen Prinzipien bestehen mussten.73 Seit mehr als fünfzig Jahren war das Gebiet im Südosten des russischen Reiches zumindest in den Interessenhorizont Russlands gerückt, so dass sich hier Konflikte mit der Hohen Pforte unvermeidlich abzeichneten. Strategische Interessen, wie die Sicherung der Grenzen im Süden, spielten ebenso eine Rolle wie Handelsinteressen.74 Daneben ist das vermeintliche Sendungsbewusstsein Moskaus als „Drittes Rom“ angeführt wor-

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Der Brief, der am 8.2. begonnen und am 15.2.1821 fertiggestellt wurde ist abgedruckt Ley, Sainte-Alliance, 251–258. Herv. i.O. Alexander an Golicyn, 24.2.1821, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 533 f. Einführend Matthew Anderson, Russia and the Eastern Question, 1821–48, in: Sked, (Hrsg.), Balance of Power, 79–97. Vgl. Friedmann/Krautheim, Wiener Kongress, 994–1020.

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den.75 Die „orientalische Frage“ bezeichnet dabei den Problemkomplex, der sich aus der kontinuierlichen Bewegung des osmanischen Herrschaftsgebietes aus Europa heraus ergab. Dieser Komplex bestand aus den Problemen, die sich durch den Wandel der Herrschaftssysteme ergaben und die sich mit Problemen der aufkommenden Nationalitätenpolitik vermischten. Verstärkt wurden diese Tendenzen durch das Eingreifen europäischer Staaten.76 Weitere Ursachen für das Aufkommen der griechischen Revolution sind in der wirtschaftlichen Entwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu suchen. Die lang anhaltende Rezession hatte den Export vom griechischen Festland und den Inseln weitestgehend lahm gelegt, den Rest hatte die zunehmende Piraterie besorgt. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit, gerade bei den Berufen, die von der Schiffahrt abhängig waren.77 Im 18. Jahrhundert hatte das russische Reich sich beachtlich in den südöstlichen Raum ausdehnen können. 1783 wurde die Halbinsel Krim dem russischen Gebiet einverleibt, und Georgien wurde russisches Protektorat. Im Frieden von Bukarest 1812, geschlossen nach einem sechsjährigem Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, erhielt Russland Bessarabien, den östlichen Teil Moldawiens.78 Damit war die russische Grenze bis an den Pruth vorgeschoben, und damit waren die beiden Fürstentümer Moldau und Walachei fortan im Visier Sankt Petersburgs.79 Zu Zeiten Peters des Großen befanden sich die beiden Donaufürstentümer Moldau und Walachei in einem Zustand der Souzeränität zum Osmanischen Reich. Der Kampf um die Vorherrschaft in den Donaufürstentümern beherrschte das Verhältnis Russlands und des Osmanischen Reiches im Verlauf des 18. Jahrhunderts, was sich in fünf Kriegen niederschlug, die fast alle in dieser Region ausgetragen wurden.80 Obwohl Souzeränität bedeutete, dass die Herrscher – lokale Fürsten – weitgehend autonom regieren konnten, suchten sie jede sich bietende

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Vgl. Henry R. Huttenbach, The Origins of Russian Imperialism, in: Hunczak, Taras (Hrsg.), Russian Imperialism from Peter the Great. New Brunswick 1974, 18–44. Vgl. auch Edgar Hösch, Byzanz und die Byzanzidee in der russischen Geschichte, in: Saeculum 20, 1969, 6– 17. Einführend zur Geschichte des Osmanischen Reiches Klaus Kreiser, Der Osmanische Staat 1300–1922. München 2001; Martin Sicker, The Islamic World in Decline. From the Treaty of Karlowitz to the Disintegration of the Ottoman Empire. Westport/London 2001; Winfried Baumgart, Die „Orientalische Frage“ – redivivus? Große Mächte und kleine Nationalitäten 1820–1923, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 28, 1999, 33–55. Zuletzt und auf der Höhe der Forschung: Schulz, Sieg, 135–199. Vgl. Gunnar Hering, Zum Problem der Ursache revolutionärer Erhebungen am Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Choliolčev, Christo/Mack, Karlheinz/Suppan, Arnold (Hrsg.), Nationalrevolutionäre Bewegungen in Südosteuropa im 19. Jahrhundert. Wien u.a. 1992, 17—30. Der Text des Friedens in VPR I/6, 406–417. Zur Annexion Bessarabiens vgl. George F. Jewsbury, The Russian Annexation of Bessarabia, 1774–1828. A Study of Imperial Expansion. New York/Guildford 1976. Vgl. Barbara Jelavich, Russia and the Formation of the Romanian National State 1821–1878. Cambridge u.a. 1984, 1–15. Vgl. dies., Russia’s Balkan Entanglements 1806–1914. Cambridge 1991, 3.

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Gelegenheit, sich vom Osmanischen Zugriff zu lösen. Diese Politik war für Zar Peter ein willkommener Anlass. Im April 1711 schloss er mit dem moldawischen Fürsten eine Übereinkunft, in der er diesem russische Unterstützung zusicherte. Doch schon im Juli desselben Jahres erlitt er eine Niederlage, und beide Fürstentümer bekamen den starken Griff der Pforte zu spüren. Herrscher wurden fortan aus den griechischen Familien rekrutiert, die aus dem Stadtteil Phanar in Konstantinopel stammten: den Phanarioten. Der Stadtteil lag in unmittelbarer Nähe zum Sitz des orthodoxen Patriarchen und die dort ansässigen Familien bekleideten die Ämter der offiziellen Dolmetscher, der Dragomanen.81 Das orthodoxe Patriarchat nahm eine herausragende Stellung innerhalb des Nationalitätengefüges des osmanischen Reiches ein.82 Zudem konnten griechische Kaufleute sich im Außenhandel eine bedeutende Rolle sichern, die sogar im Frieden von Küçük Kaynarca 1774 festgeschrieben wurde.83 Bedingt durch den sozialen Aufstieg entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert ein griechischer Nationalismus, der als einen Fixpunkt seiner Ausrichtung die orthodoxe Kirche betrachtete.84 Auch die Epoche unter Katharina der Großen zeigt sich wenig friedfertig. Während des russisch-osmanischen Krieges 1768–1774 hatte Katharina gezielt einen Aufstand der orthodoxen Bevölkerung in Griechenland gegen die osmanische Herrschaft unterstützt.85 Einschneidend war die Unterzeichnung des bereits erwähnten Friedens von Küçük Kaynarca 1774 – einschneidend vor allem deswegen, weil er in gewisser Hinsicht „Normal Null“ der russisch-osmanischen Beziehungen definierte: Alle bisherigen Übereinkünfte wurden aufgehoben.86 Mit diesem Frieden erhielt Russland freie Durchfahrt durch die Meerengen Bosporus und 81

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Vgl. Gerhard Grimm, Phanarioten, in: Hösch, Edgar/Nehring, Karl/Sundhausen, Holm (Hrsg.), Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien u.a. 2004, 544 f.; Ekkehard Völkl, Die griechische Kultur in der Moldau während der Phanariotenzeit (1711–1821), in: Südost-Forschungen 26, 1967, 102–139. Der Begriff des „Griechen“ ist im 18. und 19. Jahrhundert allerdings religiös zu verstehen, als orthodoxer Christ im Osmanischen Reich. Viele der Bewohner Phanars entstammten aus nicht-griechischen Ethnien. Vgl. Charles Frazee, The Orthodox Church and Independent Greece, 1821–1852. Cambridge 1969; Steven Runciman, Das Patriarchat von Konstantinopel. München 1970, 371–390. Philip Sherrard, Church, State and the Greek War of Independence, in: Clogg, Richard (Hrsg.), The Struggle for Greek Independence. London 1973, 182–199. Vgl. Schulz, Sieg, 147–150. Hinzu kam der – direkte und indirekte – Kontakt mit den Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution. Vgl. Christopher M. Woodhouse, A short History of Modern Greece. New York 1969, 125 f. Zu den Besonderheiten des griechischen Nationalismus auch Peter Alter, Nationalismus. Frankfurt/Main 1985, 29–31. Vgl. Ariadna Camariano-Cioran, La guerre russo-turque de 1768–1774 et les Grecs, in: Revue des Etudes sud-est-européennes 3, 1965, 513–547. Zum Frieden von Küçük Kainarca vgl. Roderic H. Davison, Russian Skill and Turkish imbecility. The Treaty of Kuchuk Kainardji reconsidered, in: Slavic Review 35, 1976, 463–483; E. I. Družinina, 200-letie Kjučuk-Kajnardžijskogo mira, in: Etudes balkaniques 11, 1975, 83–96. Der Text des Friedens vom 10./21.7.1774 ist abgedruckt in CTS 45, 368–385. Vgl. auch Aperçu des principales transactions politiques sous le règne de Imperatrice Catherine II, in: RGADA, f. 15, op. 1, d. 119, 85r–88r.

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Dardanellen. Dies war deshalb von immenser Bedeutung, weil alle russischen Handelsschiffe, die den russischen Seehafen Odessa verlassen wollten, die Meerengen passieren mussten. Hier wird deutlich: Wenn die russische Politik den griechischen Unabhängigkeitskampf unterstützen würde, so liefe sie in Gefahr, die wichtige Passage durch die Meerengen zu verlieren. Wichtig für die griechische Frage sollte Artikel VII des Vertrages werden, der Sankt Petersburg eine wenn auch vage formuliertes Protektoratsrolle über die orthodoxen Christen zusprach. Durch den Einfluss auf die orthodoxen Balkanvölker konnten auf indirektem Weg die Grenzen im Süden abgesichert werden.87 Zahlreiche Denkschriften aus dem politischen Umfeld des Zaren belegen, dass der Plan, durch Intensivierung des russischen Schwarzmeerhandels den Einfluß in der Region auszubauen, in Sankt Petersburg in manchen Köpfen herumspukte.88 Eine solche Politik würde zuallererst der britischen Politik in der östlichen Mittelmeerregion zuwider laufen. Denn nach 1815 war die britische Wirtschaft angesichts der katastrophalen Lage in Europa mehr denn je darauf angewiesen, neue Märkte und neue Rohstoffquellen zu erschließen.89 Hinzu kam, dass das Osmanische Reich seit den Napoleonischen Kriegen auch zum Objekt britischer und französischer Interessen und politischer Handlungen wurde. Damit wurde das östliche Mittelmeer zu einem sensiblen Territorium, in dem sich die Interessen der europäischen Großmächte berührten.90 Zudem war das Reich nicht in die Garantien der Verträge von Wien 1815 eingeschlossen worden. Zwar hatte sich Zar Alexander mehrfach dafür ausgesprochen, dass das Osmanische Reich die gleichen Garantien genießen sollte wie die anderen – christlichen – Staaten, doch blieb Konstantinopel in einer wichtigen Hinsicht vor der europäischen Tür: Die in Paris und Wien ausgehandelte territoriale Bestandsgarantie galt nicht für das Osmanische Reich.91 Die Einhaltung des Friedens von Bukarest gestaltete sich nicht ohne Schwierigkeiten, insbesondere war es die Frage der Grenzziehung in Kleinasien, über die kein Konsens erzielt werden konnte. Artikel VI des Vertrages sah eine Rückgabe aller seit dem Kriegsausbruch 1806 von Russland besetzten Gebiete vor, eine wei87 88

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Vgl. I. S. Dostjan, Rossija i balkanskij Vopros, Moskau 1972, 199. Siehe vor allem die Denkschriften des Marineministers Nikolaj Semenovič Mordvinov. Vgl. O. V. Orlik, Admiral N. S. Mordvinov i sozdanie Černomorskogo flota, in: Novaja i novejšaja istoria 1999, 169–186. Die sowjetische Historiographie hat nicht zuletzt auf Grundlage dieser Denkschriften den ökonomischen Faktor in der russischen Politik in dieser Region überbewertet. Siehe bspw. A. V. Fadeev, Rossija i vostočnyj krizis 20-ch godov XIX veka. Moskau 1958. Vgl. Friedmann/Krautheim, Wiener Kongreß, 996 f. Sensible Punkte waren die Gebiete der unteren Donau und der Südküste des Schwarzen Meere. Vgl. Paul Cernovodeanu, British Economic Interests in the Lower Danube and the Balkan Shore of the Black Sea between 1803 and 1829, in: Journal of European Economic History 5, 1976, 105–120. Die französischen Einflussversuche konzentrierten sich vor allem auf Ägypten, wo Mohammed Ali versuchte, sich von der Herrschaft aus Konstantinopel zu befreien. Vgl. Edgar Hösch, Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 31995, 117.

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tere Modifizierung in Form eines geheimen Zusatzabkommens kam jedoch nicht zustande, da die Hohe Pforte die Ratifizierung des Abkommens verweigerte und Alexander sich mit der Ratifizierung des Friedens von Bukarest abfinden musste – Napoleons Druck auf Russland wuchs.92 Und dies, obwohl Kapodistrias nachdrücklich dafür eintrat, den Bukarester Vertrag nicht zu akzeptieren und stattdessen unter dem Vorwand, das Osmanische Reich habe Napoleon unterstützt, einen neuen Vertrag aushandeln wollte. Mit Säbelrasseln an den Grenzen sollten die Neuverhandlungen beschleunigt werden.93 Während des Wiener Kongresses hatte die Hohe Pforte Befestigungsarbeiten an der Donau durchführen lassen und mit Truppenbewegungen in die Region begonnen. Das – so warnte Nesselrode – wäre nicht veranlasst worden, wenn nicht wenigstens eine gewisse Aussicht auf Erfolgt vorhanden sei.94 Alexander lehnte ein solches Vorgehen ab und blieb dabei, den Frieden von Bukarest – so ungünstig er für Russland auch war – als Grundlage der osmanisch-russischen Beziehungen zu akzeptieren: „Bonne ou mauvaise, la transaction de Boucarest doit être maintenue“.95 Der inhaltliche Kernpunkt dieses Vertrages war für den Zaren die Schutzfunktion über die christlichen Untertanen im Osmanischen Reich. Auf dieser Grundlage hat der Zar dann auf dem Aachener Kongress versucht, die Mächte zu kollektiven Maßnahmen gegen die Hohe Pforte zu bewegen: „L’Empereur est le protecteur naturel des Chrétiens du rit Grec oriental placés sous la domination Ottomane [...].“96 Für die russische Politik im Geist der Heiligen Allianz war der Umgang mit dem Osmanischen Reich gewissermaßen die Probe aufs Exempel, gerade weil sie vom Moment der Entstehung an als gegen das Osmanische Reich gerichtet gedeutet wurde. Friedrich von Gentz spannte sogar den Bogen bis zu den Kreuzzügen.97 Wenn die Aussagen, dass das Osmanische Reich grundsätzlich nicht anders behandelt werden sollte, als die christlichen Staaten Europas, gültig sein sollte, dann galt es, von russischer Seite Vertragstreue zu dokumentieren. Den Anweisungen an den russischen Botschafter in Konstantinopel, Stroganov, sollte daher die Anerkennung des Bukarester Vertrags zugrunde liegen.98 Auch in einer erneuten Weisung an Stroganov vom Juni 1817: 92 93 94 95

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Das (nicht ratifizierte) Zusatzabkommen ist abgedruckt: VPR I/6. 6, 418 f.; vgl. auch Schütz, Allianzpolitik, 25. Vgl. ebd., 25 f. Vgl. Nesselrode an Alexander, 12.11.1814 (AS), in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 60r– 65r. Zapiska Grafa Joanna Kapodistria, in: SIRIO 3, 1868, 163–296, hier 213; als „la base invariable“ wird in fast jeder Anweisung an den Verhandlungsführer Stroganov dieser Vertrag bezeichnet. Vgl. Sommaire des négociations principales de Mr le Bon de Stroganoff à Constantinople et analyse de ses instructions sucessives 1816–1821, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 12960, 252r–281v. Considerations sur la Note à remettre au Congrès par le Premier Plenipotentiaire de Russie relativement à la Servie, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11686, 79r–81v, hier 79r f. Gentz an Karadja, 15.1.1816, in: Gentz, Dépêches, I, 219-241, hier 219. Vgl. Charles Wiman Crawley, John Capodistrias and the Greeks before 1821, in: Cambridge Historical Journal 13, 1957, 162–182, hier 174.

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Elle [=Sa Majesté, PhM] subordonnait le succès de la négociation de Constaninople au bien général de l’alliance européenne et voulait devoir les avantages qu’elles jugeait d’une utilité réciproque pour les deux Empires à l’ascendant de la verité et non à celui de force.99

Ein eindeutiges Votum: Die russischen Verhandlungsziele wurden den europapolitischen Konzeptionen Alexanders untergeordnet. In der Zeit des Aachener Kongresses kamen die Verhandlungen zum Stillstand. Doch unmittelbar anschließend wandte sich Alexander mit einem persönlichen Schreiben an Sultan Mahmud II., in dem er beteuerte, die Beziehungen zum Osmanischen Reich so zu gestalten wie die zu den europäischen Staaten.100 Auf dieser Grundlage sollten die strittigen Grenzfragen erneut verhandelt werden. Doch auch diese Offensive zeitigte keinen Erfolg. Im Antwortschreiben betonte Mahmud, dass die osmanische Seite, im Gegensatz zur russischen, alle Bedingungen des Bukarester Friedens erfüllt habe und damit keine Verpflichtungen mehr bestünden. Nach einer Räumung der Gebiete, die nach Artikel VI des Friedens dem Osmanischen Reich zustünden, sei man indes bereit, den Zusatzvertrag zu ratifizieren.101 Mit dem Misserfolg dieser Aktion wurden die Bemühungen um eine vertragliche Einigung für beinahe ein Jahr unterbrochen. Erst im Januar 1820 antwortete Alexander auf das Schreiben Mahmuds und bot darin erneut an, die Verhandlungen noch einmal zu verschieben. Dass er dabei seine Marschrichtung grundsätzlich nicht ändern wollte, belegt ein Memorandum des Außenministerium für die Botschafter der Grenzgebiete vom 4. Januar, die mit den Worten beginnt: „Le même principe qui règle les relations de la Russie avec les puissances européennes, règle également celle que nous entretenons avec la Perse et la Turquie“.102 Noch einmal wird deutlich betont, dass die Friedenserhaltung das oberste Ziel der diplomatischen Tätigkeit bilde, weiterhin wird die strikte Einhaltung des Friedens von Bukarest festgeschrieben, auch wenn sich auf dem Verhandlungsweg keine Besserung der Situation abzeichnete: „[...] nous sommes aujurd’hui dans nos relations avec les Turcs là, où nous en étions durant les années de crise générale [...]“.103 Auch als die Hohe Pforte 1820 neuerliche Verhandlungsbereitschaft erkennen ließ, konnten keine großen Fortschritte erzielt werden. Der Ausbruch des griechischen Aufstandes führte zum Scheitern der Verhandlungen und damit zum endgültigen Bruch der Beziehungen der beiden Reiche. Die sowjetische Historiographie hat wiederholt darauf hingewiesen, dass in der Griechischen Frage vor allem wirtschaftliche Interessen dominierten.104 Tatsächlich war der russische Handel, der vom Schwarzen Meer ausging, massiv 99 100 101 102 103 104

Grégoire Yakschitch, La Russie et la Porte Ottomane de 1812 à 1826, in: Revue Historique 91, 1906, 281–306, hier 288. Alexander I. an Mahmud II., 3./15.11.1818, in: VPR II/2 2, 567–568. Vgl. auch Yakschitch: La Russie, in: Revue Historique 91, 292. Vgl. ebd., 293. Memorandum des Außenministeriums, 23.12./4.1.1820, in: VPR II/3, 211–213, hier 211. Ebd., 213. Vgl. neben den bereits genannten Studien: Alan Fisher, A Precarious Balance. Conflict, Trade, and Diplomacy on the Russian-Ottoman Frontier. Istanbul 1999.

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durch osmanische Störmanöver beeinträchtigt worden. Der neue Gesandte bei der Hohen Pforte, Grigorij A. Stroganov, war mit detaillierten Anweisungen ausgestattet worden, die Beziehungen zum Osmanischen Reich so gut wie möglich zu halten und unbedingt die Einhaltung der Verträge zu achten.105 Alexander gab dem Gesandten noch ein persönliches Schreiben mit auf den Weg, in dem er die wichtigen Themen absteckte: die Donaufürstentümer und die orthodoxen Christen wurden hier als zentral benannt. Von Handels- oder Wirtschaftsinteressen findet sich keine Spur. Mit Blick auf die Behandlung der beiden Punkte ist die Sprache bereits 1816 deutlicher geworden: Mes intentions envers la Porte sont pacifiques et elles demeureront invariables aussi longtemps qu’elle voudra ou pourra de son propre mouvement entretenir des rapports de bon voisinage et de l’amitié véritable avec la Russie.106

Stroganov wurde auf seinem Posten dennoch zu einem engagierten Vertreter der russischen Handelsinteressen. Wiederholt prangerte er in Schreiben an die Hohe Pforte repressive Maßnahmen gegenüber russischen Handelsschiffen an. Dabei scheute er sich nicht, drastisch die Dimensionen zu benennen: Exakt wurden die aufgebrachten Schiffe, ihre Tonnage, Ladung und Besatzung registriert und der osmanischen Regierung die Vorfälle zur Last gelegt.107 Symbolisch für die Politik des Osmanischen Reiches sollte der „Leonidas“-Zwischenfall werden. Das Handelsschiff „Leonidas“, das unter russischer Flagge segelte, wurde von Osmanen geentert, während es im Hafen von Konstantinopel lag. Die Besatzung des Schiffes brachte sich auf umliegenden Booten in Sicherheit, während die Eindringlinge die Ladung demolierten, die russische Flagge zerrissen und mit den Überbleibseln der Fahne in die Innenstadt abzogen. Da es genügend Augenzeugen gab, konnte Stroganov einen detaillierten Bericht an die Hohe Pforte leiten, den er mit nachdrücklichen Forderungen nach Aufklärung und Bestrafung verband.108 Angesichts der Haltung der Hohen Pforte, den Zwischenfall zu verleugnen und seine Aufklärung zu verweigern, wuchs bei Stroganov die Sorge, was in entlegeneren Teilen des Osmanischen Reiches passieren könne, wenn solche Vorkommnisse sogar unter den Augen der Regierung in Konstantinopel stattfanden.109 Hintergrund der Aktion und der ausgebliebenen Reaktion war die Vermutung, dass die russische Regierung ihre Schutzfunktion gegenüber den Christen im Osmanischen Reich dahingehend missbrauche, dass sie christliche Händler und Seefahrer unberechtigterweise mit russischen Papieren versorge und sie somit der osmanischer Gerichtsbarkeit enziehe. Die politische Lage konnte sich nach 1816 nicht entspannen, schließlich wurde das russische Konsulat in Konstantinopel, das sich vorwiegend um die Belange des Handels und die Rechtssicherheit der Handeltreibenden

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Instruktionen für Stroganov, 20.5./2.6.1816, in: VPR II/1, 168–172. Alexander an Stroganov, 30.6./12.7.1816, in: VPR II/1, 207–210, hier 207. Vgl. Stroganov an die Osmanische Regierung, 2./14.2.1816, in: VPR II/1, 323–331. Stroganov an die Osmanische Regierung, 1./13.12.1818, in: VPR II/2, 594 f. Darüber berichtete Stroganov nach Sankt Petersburg. Vgl. Stroganov an Nesselrode, 2./14.1. 1819, in: VPR II/2, 626–628.

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gekümmert hatte, aufgelöst. Dieser Schritt machte die Arbeit Stroganovs nicht einfacher, er zeigt aber, dass für den Zaren die Lösung der „orientalischen Frage“ nicht unter ökonomischen Vorzeichen stand.110 In den Verhandlungen über die Neugestaltung Europas war die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis zum Osmanischen Reich ausgeklammert worden. Die rechtliche Grundlage hierfür bildete die Tatsache, dass das Osmanische Reich keine christliche Macht war und im Verständnis Alexanders daher nicht in die vertraglichen Grundlagen der europäischen Ordnung eingebunden werden musste. Dass die Frage dennoch eine europäische Dimension besaß, zeigt sich daran, dass sie vertraulich im Zusammenhang mit der Friedenssicherung der Quadrupelallianz diskutiert wurde.111 Die Situation im Osmanischen Reich wurde für Russland durch eine spezielle Form der Auflösungserscheinungen besonders virulent. Bereits 1814 wurde in Odessa eine Geheimgesellschaft gegründet, die Filiki Etaria (Gesellschaft der Freunde). Ihr Ziel bestand explizit darin, einen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft auszulösen, um so die Gründung eines unabhängigen griechischen Staates zu erzwingen.112 Diese Gesellschaft konnte auf die Unterstützung des russischen Gouverneurs von Odessa, Langeron, setzen. Dieser stellte Pässe und Einreiseerlaubnisse aus, und bot später dem Anführer des Unabhängigkeitskampfes, Alexander Ypsilantis, Unterschlupf.113 Alexander hielt sich gerade auf dem Kongress in Laibach auf, als ihn die Nachricht erreichte, dass ein griechischer Aufstand in den Donaufürstentümern Moldau und Walachei ausgebrochen war.114 In Laibach wurde über den Umgang Europas mit den Revolutionen in Südeuropa diskutiert, als diese Nachricht eintraf.115 Waren während der Konferenzen die Fragen der Revolutionen unter dem Blickwinkel der Legitimität betrachtet worden, so verfing diese Perspektive in der Griechischen Frage nicht. Legitimität hätte bedeutet, den osmanischen Sultan als

110 Vgl. zu den wirtschaftlichen Beziehungen Theophilus C. Prousis, Storm Warning in the Straits. Russian-Ottoman Trade Issues, in: Balkanistica 21, 2008, 109–124, hier 112–114. 111 Vgl. Dostjan, Balkanskij Vopros, 114–116. 112 Siehe immer noch G. L. Arš, Tajnoe obščestvo „Filiki Ėtarija“. Moskau 1965; außerdem P. M. Pjatigorskij, De l’histoire de l’activité de la Philiki Etaria à Odessa dans les années 1814– 1821, in: Les relations entres les peuples de l’URSS et les Grecs. Fin du XVIIIème – debut du XXème siècle. Thessaloniki 1992, 115–139. 113 Vgl. zu Langeron und der Bedeutung Odessas für den griechischen Unabhängigkeitskampf: George F. Jewsbury, The Greek Question. The View from Odessa, in: Cahiers du Monde Russe et Soviétique 40, 1999, 751–762. 114 Zur öffentlichen Wahrnehmung vgl. Regine Quack-Eustathiades, Der deutsche Philhellenismus während des griechischen Freiheitskampfes 1821–1827. München 1984, 243– 248. Zusammenfassend auch Schulz, Sieg, 190–194. Die Literaturlage zum europäischen Philhellenismus ist nicht mehr zu überblicken. Das Philhellenismus-Archiv in Würzburg verzeichnet derzeit rund 13.000 Titel. 115 Vgl. Erbe, Erschütterung, 363 f.; Schroeder, Transformation, 583–621. Vgl. auch Loyal Cowles, The Failure to Restrain Russia. Canning, Nesselrode, and the Greek Question 1825– 1827, in: International History Review 12, 1990, 688–720.

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gerechten Herrscher anzuerkennen und ihn konsequenterweise zu unterstützen.116 Von mindestens der gleichen Bedeutung waren die Befürchtungen der Kabinette, dass das russische Reich hier ohne größeren Gegenwind territorial expandieren könnte. Das argumentative Mittel, das die größte Wirksamkeit versprach, bestand darin, die Revolutionen, die gerade in Europa ausgebrochen waren, mit dem griechischen Unabhängigkeitskampf in Verbindung zu bringen. Da keine personale Übereinstimmung oder ein Austausch der Träger der Revolutionen festzumachen war, konnte lediglich der gemeinsame Geist herausgestellt werden. Dabei folgte die preußische Diplomatie der metternichschen Deutung eins zu eins.117 Der russische Gesandte Močenigo spielte dem noch in die Hände, da er einen informellen Austausch zwischen den Anführern der jeweiligen Revolutionen zumindest für möglich hielt.118 Die aus diesen separatistischen Bestrebungen erwachsenen Kampfhandlungen hatten osmanische Truppen gebunden und sollten noch bis weit in das Jahr 1822 andauern. Anfang März 1821 traf die Nachricht von einem Aufstand in der Walachei unter Tudor Vladimirescu ein, am 19. März erfuhr man vom Einfall Alexander Ypsilantis’ in das Fürstentum Moldau.119 Die Aktion von Ypsilantis barg besonderen Sprengstoff für die russisch-osmanischen Beziehungen in sich. War der Aufstand von Vladimirescu eine Angelegenheit, von der sich beide Mächte bedroht fühlten und gegen die sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen wollten,120 so wurde diese Einigkeit durch das Eintreffen der Nachricht vom Aufstand Ypsilantis’ zerstört. Ypsilantis setzte sich durch seine Vita nicht zu Unrecht dem osmanischen Verdacht aus, eng mit Russland verbunden zu sein. Er stammte aus einer Phanariotenfamilie und stand ehemals in russischen Diensten als Generalmajor. Im März 1821 überschritt er mit einer Gruppe Bewaffneter den Fluss Pruth und damit die Grenze zwischen dem Fürstentum Moldau und der russischen Provinz Bessarabien. Im moldauischen Iaşi angekommen, rief er zum Aufstand gegen die osmanische Herrschaft auf. Die beiden Donaufürstentümer standen, wie erwähnt, unter phanariotischer Herrschaft und die Filiki Etaria konnte darauf hoffen, dass sich 116 Oliver Schulz hat in seiner Dissertation nachgewiesen, wie sehr Fremdheitsbilder die Entscheidungsfindung der europäischen Mächte gegenüber dem Sultan bestimmten. Vgl. Schulz, Sieg, 184 f. Vgl. auch Jelavich, Entanglements, 87. 117 Vgl. Metternich an Rechberg, 25.3.1821, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, I, 458–463; Zu Preußen: Müller, Widerstreit, Bd. 1, 74. Metternich hatte auch auf den Heiligen Stuhl eingewirkt, um einen Solidarisierungseffekt zu vermeiden. Vgl. Alan J. Reinerman, Metternich, the Papacy, and the Greek Revolution, in: East European Quaterly 12, 1978, 177–188; auch: ders., Metternich, Alexander I, and the Russian Challenge in Italy, in: Journal of Modern History 46, 1974, 262–276 118 Mocenigo an Nesselrode, 3./15.9.1821, in: VPR II/4, 283 f. 119 Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 36. Zum Hintergrund des Aufstandes und der Geheimgesellschaft der Philiki Etairia vgl. Jelavich, Balkan Entanglements, 51 f. 120 Stroganov an Nesselrode, 19.2./3.3.1821, in: VPR, II/4, 23–28; vgl. Dostjan, Balkanskij Vopros, 380–383. Zur Reaktion auf den Vladimirescu-Aufstand vgl. Jelavich, Romanian National State, 16–31.

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die rumänische Bevölkerung, vor allem die Grundbesitzer und der orthodoxe Klerus, einem Kampf gegen die osmanische Herrschaft anschließen würde. Hinzu kam, dass Ypsilantis seine Hoffnungen auf einen zweiten Aufstand in der Region, den Aufstand Tudor Vladimirescus, setzte. Zwar wurde dieser hauptsächlich von Bauern getragen, doch gehörte auch Vladimirescu der Filiki Etaria an. Doch während Ypsilantis’ Truppen sich aus dem Umfeld der Phanarioten rekrutierten, war der Aufstand unter Vladimirescu in erster Linie sozial motiviert. Er hatte die Unzufriedenen um sich versammelt, die unter der Herrschaft der Phanarioten in der Vergangenheit gelitten hatten. Dass sich beide Gruppen dauerhaft zusammenfinden würden, war mehr als unwahrscheinlich. Und tatsächlich kam es zwischen beiden Gruppen zur bewaffneten Auseinandersetzung, in deren Verlauf Vladimirescu getötet wurde. Auch der Aufstand des Phanarioten Ypsilantis hatte keinen bleibenden Erfolg. Schon im Juni 1821 wurden seine Truppen von einer osmanischen Armee geschlagen. Er selbst wurde verhaftet und starb 1828 in Gefangenschaft.121 Da allerdings gleichzeitig ein weiterer Aufstand ausbrach, und zwar im Kerngebiet Griechenlands, auf dem Peloponnes, war die Angelegenheit noch nicht ausgestanden. Und im Gegensatz zu dem Aufstand in den Donaufürstentümern hatte diese soziale Erhebung deutlich mehr Erfolg. Dem griechischen Aufstand kamen Auflösungserscheinungen innerhalb des Osmanischen Reiches entgegen. Ali Pascha arbeitete daran, sein Herrschaftsgebiet, Epirus, von Konstantinopel loszulösen.122 Der Aufstand und seine Folgen können als Testfall der russischen Selbstverpflichtungspolitik angesehen werden, denn hier kamen mehrere Faktoren zusammen, die ein Eingreifen im Stile der „alten Politik“ gerechtfertigt hätten: Russische Interessen waren unmittelbar bedroht, es gab keine externen Restriktionen in Form von möglichen Gegenmachtbildungen und schließlich bot sich die Möglichkeit einer beinahe gefahrlosen territorialen Expansion. Doch blieb die russische Politik dabei, dass das Osmanische Reich nicht anders zu behandeln sei als die Mitglieder der europäischen Staatengemeinschaft, auch wenn es die konstituierenden Verträge des europäischen Systems nicht unterzeichnet hatte. Der 1818 in der Nachlese des Kongresses von Aachen formulierte Grundsatz „[l]a politique de l’Empereur est pure. Elle est Chrétienne même envers les Turcs [...]“ blieb als Selbstverpflichtung auch drei Jahre später unverändert bestehen.123 Insofern rannte Metternich mit seiner Politik der Nichtintervention – die er schon aus Angst vor einem „Export“ der Idee eines Unabhängigkeitskriegs in das Vielvölkerreich Österreich verfolgte – bei Alexand-

121 Vgl. Seton-Watson, Empire, 179. 122 Er war als ehemaliger Offizier in Diensten der Hohen Pforte von dieser mit dem Sancak von Ioannina belehnt worden, wo er seit Ende des 18. Jahrhunderts versuchte, sich von der Oberherrschaft aus Konstantinopel zu befreien. Zwar war er 1820 abgesetzt worden, doch weigerte er sich, seinen Posten zu räumen, weshalb aus Konstantinopel reguläre Truppen in den Epirus gesandt werden mussten. Vgl. zu Ali Pascha: K. E. Flemming, The Muslim Bonaparte. Diplomacy and Orientalism in Ali Pasha’s Greece. Princeton 1999. 123 Mémoire du Ministère de Russie du 19./31.12.1818, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 126, 17r.

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er offene Türen ein.124 Von britischer Seite war diese Politik ebenfalls unterstützt worden. In London fürchtete man zum einen, dass die russische Regierung destabilisiert werden könnte, wenn dieser Kurs nicht eingehalten würde, und zum anderen regierte die Sorge um die Ionischen Inseln, die in den Strudel der Unabhängigkeitsbestrebung des griechischen Festlands gezogen werden könnten.125 Offensichtlich fest davon überzeugt, dass das russische Reich helfend eingreifen werde, appellierte Ypsilantis in einem Schreiben an Alexander vom 24. Februar an dessen Funktion als Beschützer der Christen: 126 Ne dédaignez pas, Sire, les prières de dix millions de Chrétiens qui fidèles à notre Divin Rédempteur excitent par la même la haine de leurs Tyrans. Sauvez nous, Sire, sauvez la réligion de ses persécuteurs, rendez-nous nos temples et nos autels d’où la lumière divine de l’Evangile vint éclairer la grande nation que vous gouvernez.127

Stroganov beeilte sich zu retten, was noch zu retten war, indem er am 16. März 1821 beim Reis-Effendi128 in einer Audienz jegliche Beteiligung Russlands an Ypsilantis’ Aufstand bestritt und versicherte, der Zar werde jedes Hilfeersuchen des Offiziers abweisen.129 Entsprechend schroff fiel auch die Absage Stroganovs an Ypsilantis aus.130 Der hatte gehofft, den Zar durch ein fait accompli zum Eingreifen zu zwingen. Ein solches Eingreifen hätte aber im Widerspruch zu den Prinzipien der Außenpolitik Alexanders gestanden. Alexander ließ Kapodistrias die Anfrage Ypsilantis daher mit einer deutlichen Absage beantworten und wies noch am selben Tag (durch Nesselrode) Stroganov an, der Pforte zu versichern, dass sich an den Beziehungen zum Osmanischen Reich nichts ändern werde.131 Zuvor verständigte sich der russische Zar mit dem österreichischen Außenminister Metternich darauf, Ypsilantis nicht zu unterstützen, wobei der Zar den YpsilantisAufstand mit den Aufstandsbewegungen in Piemont und Süditalien gleichsetzte. Tatsächlich machte der zeitliche Zusammenfall der Aufstände in Südeuropa dem Umgang der Mächte mit dem Problem nicht leichter. Der Aufstand der Griechen

124 Vgl. Nesselrode an Stroganov, 23.2./7.3.1821, in: VPR II/4, 36–38; Metternich an Alexander I., 6.3.1821, in: Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 1, 472–479. 125 Vgl. Schulz, Sieg, 186 f.; Zur englischen Perspektive außerdem: Theophilus C. Prousis, British Embassy Reports on the Greek Uprising in 1821–1822. War of Independence or War of Religion, in: Archivum Ottomanicum 28, 2011, 171–122 und ders., Eastern Orthodoxy under Siege in the Ottoman Levant. A view from Constantinople, in: Modern Greek Yearbook 24/26, 2008/2009, 39–72. 126 Aufruf Ypsilantis’ an das griechische Volk, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 55–58, hier 56: „Setzt euch also in Bewegung, Freunde, und alsbald werdet ihr eine grosse Macht als Schützer unserer Rechte auftreten sehen.“ 127 Ebd., 61 f.; Zitat 62. 128 Die Stellung des Reis-Effendis entspricht etwa der eines Kanzlers. 129 Vgl. Stroganov an Nesselrode, 6./18.3.1821, in: VPR II/4, 50 f. 130 Abgedruckt: Stroganov an Ypsilantis, in: ebd., 50, und bei Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 70. 131 Vgl. Kapodistrias an Ypsilantis, 14./26.3.1821, in: VPR II/4, 68; Nesselrode an Stroganov, 14./26.3.1821, ebd.

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sei nicht aus den besonderen Verhältnissen im Osmanischen Reich zu erklären.132 Im April griff der Aufstand den Peloponnes über, worauf die Pforte repressive Maßnahmen ergriff: Am 22. April wurde der Patriarch von Konstantinopel öffentlich hingerichtet und seine Leiche anschließend ins Wasser geworfen. Stroganov rettete die sterblichen Überreste und brachte sie nach Odessa, wo sie auf Anweisung des Zaren feierlich beigesetzt werden konnten. In der Trauerrede, deren Übersetzung in Europa noch 1821 verbreitet wurde, wurde das Argument der russischen Schutzfunktion für die orthodoxen Griechen noch einmal betont.133 Auch im unmittelbaren Umfeld des Zaren war die Verbindung des Monarchen zur griechischen Orthodoxie immer wieder akzentuiert worden. Roxandra Stourdza hatte Alexander 1814 in Wien – gegen den ausdrücklichen Widerstand der österreichischen Regierung – in eine orthodoxe Kirche begleitet. Dieser Besuch ist von den griechisch-orthodoxen Mitgliedern der Gemeinde als Zeichen der Protektion gewertet worden.134 Auch die Anfälligkeit des Zaren für alte Prophezeiungen spielte hier eine Rolle. Glaubt man den Erinnerungen des Schwiegersohnes von Juliane von Krüdener, dem badischen Minister Karl Christian von Berckheim, so habe er Alexander in Paris eine alte Prophezeiung vorgetragen, derzufolge ein gläubiger Herrscher eines Landes im Norden andere ihm im Glauben ähnliche Menschen um sich versammeln würde, um dann der Führer einer universellen Monarchie zu werden, deren Sitz Konstantinopel sei.135 Bei den sogenannten „Türkengreueln von Chios“ – eindrucksvoll in Delacroix’ Werk „Les massacres de Scio“ (1824) festgehalten – wurde zudem ein Großteil der christlichen Bevölkerung der Insel Chios von osmanischen Truppen ermordet. Stroganovs Protest wurde abgewiesen, die Hohe Pforte kündigte die militärische Besatzung der Donaufürstentümer an, obwohl sich Ypsilantis bereits zurückgezogen hatte.136 Das musste die russische Regierung vor eine besondere Herausforderung stellen, sah sie sich doch als Schutzmacht der Orthodoxie. In einer (von Kapodistrias formulierten) Note an die Pforte wurde daher diese Schutzfunktion betont und mit spezifischen Forderungen verbunden. Stroganov protestierte umgehend und mehrfach gegen diese Maßnahmen, sein Protest blieb aber ohne Folgen.137

132 Vgl. Schütz: Allianzpolitik, 39. 133 Vgl. [Oikonomos, Konstantinos], Discours prononcé en grec, à Odessa, le 29 juin 1821, pour les funérailles du patriarche Grégoire, par Constantin, prêtre grec, économe et prédicateur de la maison du Patriarche. Paris 1821. Dass es auch zu Massakern an der muslimischen Bevölkerung gekommen war, ist in Europa kaum bekannt geworden. Vgl. dazu Schulz, Sieg, 174 f. 134 Vgl. Edling, Mémoires, 170–172. 135 Dies findet sich in der hochinteressanten unpublizierten Monographie von A. N. Šebunin, Vokrug Svjaščennogo sojuza, 110–120. Das Manuskript befindet sich in der Manuskriptsammlung (Otdel’ rukopisi Rossijskoj natsional’noi biblioteki/OR RNB), in der Russischen Nationalbibliothek Moskau (Rossijskaja natsional’naja biblioteka/RNB), f. 849. 136 Vgl. ebd., 41. 137 Unter anderem die Note Stroganovs an die türkische Regierung, in: VPR, II/4, 203–207.

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Nicht nur die vertraglich zugesicherten Rechte Russlands wurden unter anderem dadurch verletzt, dass die osmanischen Truppen nicht den Hospodaren unterstellt werden sollten. Vielmehr wurden auch russische Handelsinteressen massiv beeinträchtigt: Mit der Begründung, die Versorgung Konstantinopels sichern zu müssen, beschlagnahmte die Pforte alle aus dem Schwarzen Meer kommenden russischen Getreideschiffe auf unbegrenzte Zeit. Erneut protestierte Stroganov, was dazu führte, dass fortan keine russischen Schiffe mehr die Meerengen passieren durften.138 Damit spätestens war eine friedliche Lösung ausgeschlossen. In weiten Teilen Russlands wurde nun ein Kriegszug gegen das Osmanische Reich geradezu als religiöse und menschliche Verpflichtung Alexanders gesehen.139 Alexander beauftragte Kapodistrias mit der Ausarbeitung einer Weisung an Stroganov, die jener zusammen mit einer an die Hohe Pforte gerichteten Note im Juni 1821 erhielt.140 Im Kern beinhaltete die russische Politik als oberste Richtlinie, dass abgeschlossene Verträge eingehalten werden, denn die Nicht-Einhaltung, die Verletzung von Verträgen war als eines der Grundübel der vieille politique identifiziert worden, wie sie in Napoleon kumuliert war. Daher wurde die Hohe Pforte aufgefordert, ihrerseits ebenfalls die Verträge zu achten. Insbesondere der Friedensschluss von Küçük Kainarca war in den Augen der russischen Regierung eklatant verletzt worden. Der russische Gesandte Stroganov fand harte Worte: Sollte sich die Hohe Pforte nicht an die Verträge halten, so werde sich auch die russische Regierung in der Folge nicht mehr an ihre vertraglichen Verpflichtungen gebunden fühlen.141 Bestand Alexanders erste Reaktion auf die Nachrichten in der Versicherung, dass er nichts ohne ein europäisches Mandat unternehmen werde,142 so folgten, als es zu Ausschreitungen gegen griechische Christen kam und russische Seefahrtsrechte verletzt wurden, die russische Mobilmachung und ein Ultimatum an die Hohe Pforte. Dies passierte, ohne dass Alexander sein Vorgehen mit den anderen europäischen Herrschern koordiniert hätte.143 Jedoch informierte er sie immerhin im Nachhinein über seine Aktivitäten. Er ließ Anfang Juli die Weisung an Stroga-

138 Note Stroganovs vom 12./24.5.1821, in: VPR, II/4, 156; vgl. auch Communications au sujet des affairs de Turquie, in: AVPRI f. 133, op. 468, d. 12960, 2r–6v. 139 Bericht Gabriacs 1./13.6.1821, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 356–360, hier 356. 140 Zapiska Grafa Joanna Kapodistria, in: SIRIO 3, 1868, 266. 141 Note Stroganovs an die osmanische Regiergung, 6./18.7.1821, in: VPR II/4, 203–207. Es handelte sich hierbei um Behinderungen des russischen Schwarzmeerhandels. Zu den Behinderungen durch die osmanische Politik siehe „Ob otkaze Turetskogo pravitel’stva v firmane dvum sudam, prinadležaščim Odesskomu žitelju Iosifu Verani“, in: AVPRI, f. 161, „Sant-Peterburgskij Glavnyj Archiv“, II-3. Op. 34 (1783–1869), 1823, d. 1, 1s. 142 Vgl. auch Grégoire Yakschitch, La Russie et la Porte Ottomane de 1812 à 1826, in: Revue Historique 93, 1907, 74–89, hier 74 FN 3. 143 Bericht Lebzelterns an Metternich, 3./15.6.1821, in: Michailovič, Nicolas (Hrsg.), Les Rapports de Lebzeltern, Ministre d’Autriche à la Cour de Russie (1816–1826), St. Petersburg 1913, 76–81, hier S. 78.

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nov und die an die Pforte gerichtete Note an die Mächte der Pentarchie senden.144 Sollte sich die Hohe Pforte nicht kooperationswillig zeigen, so habe sie ihre Existenzberechtigung verwirkt.145 Kurzfristig, im Sommer 1821, schien Alexander sogar über eine Entente mit Frankreich nachzudenken, ließ diesen Plan aber spätestens im Herbst desselben Jahres fallen.146 Sogar aus den eigenen Reihen und in Gestalt seines Außenministers drängte man Alexander zur Tat:147 Kapodistrias versuchte den Zaren dazu zu bringen, die Donaufürstentümer zu besetzen oder dies zumindest anzudrohen.148 Unterstützung fand er in Kreisen des diplomatischen Corps; die Botschafter in Wien, London und Konstantinopel sprachen sich für einen militärischen Schlag aus. Pozzo di Borgo ging sogar noch einen Schritt weiter: Er schlug vor, aus Konstantinopel eine Freie Stadt unter russischem Protektorat zu machen und eine neue Romanov-Sekundogenitur einzurichten.149 Dagegen schienen die Stimmen der Kritiker unilateralen Eingreifens leise zu sein. Unter ihnen befanden sich immerhin Kapodistrias’ Amtskollege Nesselrode und Tatiščev.150 Und in der Tat schien Alexander eine Zeit geschwankt zu haben, ehe er sich im Frühjahr 1821 zu weiteren Verhandlungen mit den Alliierten entschloss.151 Mitte Juli richtete Alexander ein Gesuch um Konsultation an Berlin.152 Doch noch ehe dieses eintraf, erhielt Alexander von dort eine inoffizielle Stellungnahme. Ende Juni hatte der Leiter der politischen Abteilung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Ancillon, ein Memorandum verfasst, das er dem russischen Gesandten Alopeus vorlegte. Eine Abschrift dieses Memorandums

144 Alexander I. an Franz I, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 124–127; Nesselrode an Alopeus, Nikolai, Pozzo di Borgo, 17./29.7.1821, in: VPR, Serie II/4, 227 f.; Copie d’une dépêche de Mr. le Comte de Nesselrode à Mr. le Comte de Golowkin, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 86–88; vgl. Yakschitsch, La Russie, in: Revue Historique 92, 77 f.; Jelavich, Entanglements, 53–59; Schütz, Allianzpolitik, 39-47; Webster, Foreign Policy of Castlereagh. Bd. 2. 1815–1822. Britain and the European Alliance. London 1926, 337 f. 145 Vgl. Copie d’une dépêche à S. E. Mr. le Comte Golowkin, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 101–104, hier 102. 146 Vgl. Schütz Allianzpolitik, 57–65; Pozzo di Borgo hatte in dieser Hinsicht in Paris schon sondiert. Vgl. Pozzo an Nesselrode, 26.7./7.8.1821, in: VPR II/4, 239–240; ders. an dens., 7./19.8.1821, in: GARF, f. 728, op. 121, d. 938, 60–63; ders. an dens., 26.9./8.10.1821, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 12960, 21r–36v. 147 Vgl. ebd., 67 f. 148 Kapodistrias an Alexander, Memorandum „Second Agenda sur les affairs d’Orient“, in: VPR II/4, 256–261. 149 Vgl. Matthew Rendall, Russia, the Concert of Europe, and Greece, 1821–1829. A Test of Hypotheses about the Vienna System, in: Security Studies 9, 2000, 52–90, hier 60. 150 Letzterer wird von Grimstead, Foreign Ministers, 283 in seiner Haltung als unentschlosen charakterisiert. Vgl. auch den Bericht von La Feronnay vom 18.7. 1821, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 354–373. 151 Vgl. Webster, Foreign Policy, Bd. 2, 383–388. 152 Note de Mr. le Comte de Bernstorff à Mr. le Comte Alopeus en date Berlin 27. Juillet 1821, in Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 347–351.

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fügte Ancillon seinem Bericht vom 9. Juli 1821 bei.153 In diesem Memorandum wurde eine Intervention der Allianz gefordert. Ancillon leitete das Recht zur Intervention aus den inneren Verhältnissen und der Staatsform des Osmanischen Reiches ab: Le despotisme des Turcs n’est pas un gouvernement, mais l’absence de tout gouvernement, à moins qu’on ne veuille appeler de ce nom de toute force qui en écrase d’autres. Ce despotisme qui ne reconnait pas des droits, n’impose et ne peut imposer aucun devoir à ceux, qui sont ses victimes.154

In den Augen Ancillons richtete sich der Aufstand gegen eine illegitime Ordnung, die zu verteidigen nicht Aufgabe der Allianz sein musste. Allein die Hinrichtung des Patriarchen hätte ein Eingreifen gerechtfertigt, ein Eingreifen, das überdies unter Leitung Russlands stehen solle, nicht zuletzt, weil Sankt Petersburg sein vertraglich geschütztes Protektionsrecht verletzt sah.155 Alexander ließ die Schrift an die anderen Monarchen übermitteln. Dies zeigt: der Krieg wurde in Europa erwartet. In der Antwort auf das russische Konsultationsgesuch vom 27. Juli äußerte sich Bernstorff deutlich abweichend.156 Zwar betonte er, dass jegliche Reaktion im Rahmen des „Concerts“ geschehen müsse, sprach sich aber dezidiert gegen eine kollektive militärische Intervention aus.157 Zudem scheiterte eine von Österreich und Russland geplante alliierte Konferenz in Sankt Petersburg, auf der die osmanische Frage gelöst werden sollte.158 Zu der Konferenz war kein britischer Vertreter entsandt worden, was dazu führte, dass Russland in dieser Angelegenheit nicht weiter mit Großbritannien verhandelte. Anstelle einer Beratung in Sankt Petersburg, trafen sich Vertreter Österreichs und Großbritanniens in Hannover.159 Castlereagh und Metternich luden auch Bernstorff und Alexander selbst ein, doch dieser empfand das als Zurückweisung, denn schließlich war damit seine Einladung umgangen worden. In der Folge behinderte dieses Verhalten die Konferenz.160 Sein Abgesandter, der russische Botschafter in London, Lieven, traf erst nach dem Ende der eigentlichen Verhandlungen in Hannover ein. Metternich und Castlereagh einigten sich in der Zwischenzeit darauf, die Hohe Pforte zur Einhaltung der Verträge mit dem russischen Reich zu veranlassen, um so eine Beilegung des Konfliktes auf diplomatischem Weg zu erreichen. Damit war eine gemeinsame Festlegung des Kurses erreicht:

153 154 155 156 157 158 159 160

Abgedruckt ebd., 336–346. Ebd., 342. Ebd., 343 f. Note de Mr. le Comte de Bernstorff à Mr. le Comte Alopeus en date Berlin 28. Juillet 1821, in: ebd., 347–351. Ebd., 352. Vgl. Zapiska, in: SIRIO, 3, 1868, 276. Vgl. Jelavich, Balkan Entanglements, 60 f. Vgl. Bericht Le Ferronays, 18.11.1821, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 396–398, hier 397 f.

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Die Krise war in den Augen der beiden Staatsmänner eine innere Krise des Osmanischen Reiches.161 Legt man die grundsätzliche Bereitschaft Russlands zugrunde, die Orientkrise auf dem Verhandlungswege zu lösen und dabei auf jegliche militärische Intervention zu verzichten, so war damit im Grunde der Boden bereitet für eine friedliche Lösung im Rahmen der Allianz.162 Alexander unterbreitete dann auch einen Vorschlag zur Lösung und drängte auf eine vertragliche Fixierung.163 Gefordert wurde die Räumung der Donaufürstentümer von türkischen Truppen. Damit verbunden sollte die Hohe Pforte ihr Einverständnis zu Verhandlungen erklären, die von den Allianzpartnern gemeinsam geführt werden sollte.164 Sollte die Pforte ablehnend reagieren, so sah die Vorlage vor, dass die Mächte die diplomatischen Beziehungen abbrechen würden, schlimmstenfalls sollten sie Russland zur militärischen Intervention ermächtigen.165 Frankreich und Preußen stimmten zu, England hingegen lehnte eine Selbstverpflichtung in dieser Form ab – sollte es zu einer russisch-osmanischen Auseinandersetzung kommen, so würde sich Großbritannien neutral verhalten.166 Zweifellos gab es für den Zaren genügend argumentativen Wind, mit dem er hätte segeln können, wenn er eine militärische Intervention hätte vorantreiben wollen. Von verschiedener Seite wurde er mit Argumenten versorgt, die es ihm leicht gemacht hätten, eine eigene Orient-Politik zu betreiben, die nicht mit der Allianzpolitik im westlichen Europa in Verbindung hätte stehen müssen; am eindrucksvollsten wirkte hier wohl das Ancillon-Memorandum, das Alexander, wie erwähnt, an seine Allianz-Partner verteilen ließ. Dennoch stellte er im Gespräch mit dem österreichischen Gesandten Ludwig Graf Lebzeltern klar, dass die Orientpolitik seiner europäischen Allianzpolitik untergeordnet bleibe.167 Dadurch brach er mit den Traditionen russischer Orientpolitik. Einzig im Verbund mit den Allianzpartnern, nur mit einem Mandat der Allianz also, könne eine Intervention erfolgen. In einem Bericht an Metternich fasste Lebzeltern die Haltung Alexanders wie folgt zusammen: 1. L’Empereur tient fermement aux mêmes principes dans lesquels nous nous sommes felicités de le voir agir a Laybach; 2. Il n’a aucun projet contre la Porte, qu’il veuille suivre isolément; 3. Il est même disposé à subordonner ses interêts directs es ses justes ressentiments à l’interêt de la grande course en faveur de laquelle les Monarques combattent aujurd’hui ouvertement;

161 Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 84. 162 Vgl. Alexander an Tatiščev, 5./17.2.1822, in: VPR II/4, 426–428. 163 Vgl. Instruktion an die Gesandten in Wien, Berlin und London, 6./18.2.1822, in: ebd., 430– 438. 164 Projet de Protocole à signer, présenté confidentiellement au Prince de Metternich par Mrs. de Tatischeff et de Golowkin, le 12 Avril 1822, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 331–334 165 Ebd., 332 f. 166 Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 87. 167 Vgl. auch Mémoire du Cabinet de Russie sur la pacification de la Grèce, 90r–99v, hier 90r f.

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Kongressdiplomatie 4. Il ne veut pas la guerre et désire l’éviter, qu’il ne veut occuper aucune partie du territoire ottoman, à moins que ce ne fût une suite des concerts pris avec ses alliés et sauf le cas d’agression de la part des Turcs; 5. Il n’a peut-être pas senti toutes les conséquences que l’on tirerait de la manière dont les questions ont été placés et representées dans la pièce russes du 16 juin, dont le sens était de nature a l’entrainer plus loin qu’il n’en avait eu la pensée.168

2. VERHANDLUNGEN IN WIEN UND DER KONGRESS VON VERONA Die Antwort der Hohen Pforte auf das Ultimatum ließ nicht lange auf sich warten und bot die Gelegenheit, die Sanktionen tatsächlich zu vollstrecken.169 Doch letzten Endes blieb Kapodistrias, der mit allen Mitteln versucht hatte, Alexander zu einer Intervention zu bewegen, erfolglos.170 Er hatte schon zuvor versucht, Frankreich zu einem Einschwenken auf seinen Kurs zu bewegen und scheiterte jetzt endgültig damit, Alexander zu überzeugen.171 Dabei kam ihm eigentlich entgegen, dass die letzten „Tauben“ am Hof, gemeint ist die Gruppe von Politikern, die strikt gegen einen Kriegskurs waren, ihre Posten verließen oder räumen mussten. Unter anderem verlor Nesselrodes Schwiegervater, Finanzminister Gur’ev, seine Position und Nesselrode selbst spürte, dass seine Position nicht unangreifbar war.172 Kapodistrias, der den Zaren nach wie vor auf einen Krieg einschwören wollte, schien nun der einzige Mann am Hof zu sein, auf den Alexander hören würde.173 Doch auch und gerade in der Griechischen Frage zeigte sich eine große Diskrepanz zwischen dem Zaren, seinen Ministern und Bevollmächtigten, sowie den Generalen an den Grenzen.174 Erst zwei Monate später, am 25. September 1821, erfolgte die diplomatische Antwort auf das Schreiben aus Konstantinopel.175 Die diplomatischen Beziehungen waren bereits abgebrochen, und dennoch hoffte Alexander darauf, die Krise auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Ein diplomatisches Einschalten der Allianzpartner im Sinne einer médiation aber lehnte er ab. Vielmehr sollten sich die Mächte beteiligen, in dem sie bons offices leisten würden. Die Lösung der Griechischen Frage wurde abhängig gemacht von der Klärung der Situation der Donaufürstentümer. Erst wenn deren Autonomie wiederhergestellt sei, durch Ernennung der Hospodaren und Abzug der Truppen, könne über die griechische Frage 168 169 170 171 172

Bericht Lebzelterns von 15.7.1821, in: Michailovič (Hrsg.), Rapports de Lebzeltern, 80. Die Antwort bei Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 131–140. Zapiska, in: SIRIO, 3, 1868, 268–270. Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 68–70. Vgl. Gritzbach, Nesselrode, Bd. 1, 310–316. Zu den Fraktionen der „Tauben“ und „Falken“ in Sankt Petersburg siehe Rendall, Cosmopolitanism, v. a. 238–242. 173 Zu Kapodistrias’ Position in der Griechischen Frage vgl. Grimsted, Foreign Ministers, 253– 267. 174 Vgl. Nichols, Eastern Question, 61. 175 Note du Ministère Impérial de Russie au Grand-Visir, in: Prokesch-Osten: Geschichte, Bd. 3, 175–177.

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verhandelt werden.176 Tatiščev wurde nach Wien entsandt, um die Orientpolitik der Mächte zu koordinieren. Dabei hatte Alexander offenbar seine Lehren aus der Erfahrung des Kongresses von Troppau gezogen. Ihm war völlig klar, dass Metternich diese Mission nutzen würde, um Alexander in seinem eigenen Netz von Prinzipien zu fangen, weshalb er in seinen Instruktionen keinen Zweifel aufkommen ließ: Tatiščev sollte in Wien die österreichische Unterstützung zumindest für den Fall sicherstellen, dass das Osmanische Reich weiterhin Verhandlungen verweigere und ein Waffengang unvermeidbar werde. Sein Bericht über ein Gespräch mit Metternich ist besonders aufschlussreich. Es war die Initiative Alexanders, die Mächte der Pentarchie mit in die Lösung der osmanischen Frage einzubeziehen.177 Das bedeutete, dass Alexander die Lösung der Frage auf dem nächsten Kongress der europäischen Mächte auf die Tagesordnung setzen wollte.178 Allerdings war es Metternich in den Verhandlungen mit Tatiščev gelungen, das Problem in zwei Teilbereiche aufzuspalten. Er musste zwar einräumen, dass das Osmanische Reich Verträge gebrochen hatte und damit nicht nur einen Anlass, sondern auch einen Grund für eine Kriegserklärung durch Russland provoziert hatte. Aber diesen Aspekt kaschierte er geschickt mit dem zweiten Komplex der humanitären Seite. Aus der humanitären Komponente ließ sich kein legitimer Kriegsgrund ableiten, denn der Umgang mit den Griechen war eine innere Angelegenheit des Osmanischen Reiches. Mit diesem erneuten diplomatischen Vorstoß in Wien war die Position von Kapodistrias gefährdet. Tatiščev hatte Metternich versichert, dass Kapodistrias mit der von ihm vertretenen Interventionsstrategie in der russischen Spitze isoliert sei.179 Zum Bruch zwischen dem Zaren und seinem Außenminister kam es, als dieser Alexander aufforderte, die Ergebnisse der Wiener Verhandlungen abzulehnen. Vielmehr solle umgehend mobil gemacht und die volle Handlungsfreiheit gegenüber den Alliierten erreichen werden.180 In völliger Verkennung der Lage nannte Kapodistrias das Ergebnis der neuen Verhandlungen, kollektiv diploma-

176 Vgl. Nesselrode an Golovkion, 13.9.1821, in: ebd., 182–188, hier 187. Schulz, Sieg, 188 f. deutet die Frage der Donaufürstentümer hauptsächlich unter geostrategischen Aspekten, wobei er der zeitgenössischen britischen Interpretation folgt. Vgl. etwa Radu Florescu, Lord Strangford and the problem of the Danubian Principalities, 1821–1824, in: Slavonic and East European Review 39, 1961, 472–488. 177 Résumé de l’entretien de Mr. le Prince de Metternich avec Mr. de Tatischeff. Le 8 Mars 1822, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3., 303–310. 178 Auch Schroeder, Transformation, 619 f. sieht im Zaren den Hauptverantwortlichen für das Ausbleiben einer russischen Intervention. 179 Vgl. Metternich an Lebzeltern, 22.4.1822, in: ebd., 364–367, hier 366. Tatiščev selbst hatte die Metternichsche Politik vollständig unterstützt, weshalb er 1825 von Nesselrode wegen zu großer Nähe zu dem österreichischen Staatsmann gerügt wurde. Vgl. Tatiščev an Nesselrode, 10./22.3.1822, in: Schiemann, Geschichte, Bd. 1, 573 f.; Tatiščev an Nesselrode, 28.2./12.3.1822, vertraulich, in: VPR II/4, 447–451, hier 449; vgl. auch Schütz, Allianzpolitik, 122. 180 Vgl. Zapiska, in: SIRIO, 3, 1868, 281 f.

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tisch zu intervenieren, ein „système autrichien“.181 Eine Mitwirkung an diesem System lehnte er ab, woraufhin seine Demission erfolgte. Durch das Verhandlungsgeschick Metternichs war eine Situation entstanden, die beiden Seiten diente: Sollte die Hohe Pforte weiterhin ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen, so würde Österreich einen russischen Krieg moralisch unterstützen.182 Damit war die unmittelbare Kriegsgefahr erst einmal abgewandt, denn für Alexander war diese Zusage ein Teilerfolg, da Russland – sollte es zu einem Krieg kommen – nicht ohne Rückendeckung aus Europa bliebe. Dass es zunächst nicht zur gewaltsamen Eruption des Konflikts kam, grenzt an ein Wunder. Ein Wunder freilich, das durch hohen diplomatischen Einsatz erkauft wurde. Denn dass es nicht zu einem Krieg kam, sondern sich stattdessen eine weitere Konferenz des Konfliktes annahm, ist darauf zurückzuführen, dass die höchste Präferenz außenpolitischer Prinzipien in der Erhaltung des europäischen Systems lag.183 Daraufhin beauftragte Alexander nun Tadiščev, auf einer Konferenz in Wien die russische Seite zu vertreten.184 Diese Konferenz war keinesfalls eine rein vorbereitende Konferenz für das Großereignis von Verona, von dem noch die Rede sein wird. Sie fand vielmehr statt, um hier die Dinge zu besprechen, die nicht im Zusammenhang mit den Vorgängen auf der iberischen Halbinsel standen. Die Präliminarien für beide Konferenzen sollten vorab in Wien geklärt werden.185 An der seit dem 22. Juni 1822 tagenden Konferenz nahm auch ein Vertreter Großbritanniens teil.186 Hier wurde vereinbart, dass das russische Reich wieder direkte Beziehungen zur Hohen Pforte aufnehmen sollte: La dernière Conférence des Plénipotentiaires réunis à Vienne dans le but de discuter les mesures à prendre, pour engager la Porte à faire droit aux demandes de la Russie, avait eu pour résultat un heureux et complet accord sur tous les points indiqués par Mr. le Prince de Metternich dans sa communication en date du 31 Juillet, comme devant servir de bâses au rétablissement des relations diplomatiques entre le Cabinet de St. Petersbourg et le Divan.187

Die hier beschriebene Übereinstimmung kennzeichnete auch die SchwesterKonferenz von Verona. Dort sollten eigentlich die Probleme Italiens diskutiert und gelöst werden, vor allem aber war sie als Überwachungs- und Kontrollinstrument gedacht, die die Implementierungen der Metternichschen Lösungen

181 182 183 184

Ebd., 285. Vgl. Tatiščev an Nesselrode, 10./22.3.1822, in: VPR II/4, 454–456. Vgl. Schroeder, Transformation, 620 f.; ders., Metternich’s Diplomacy, 185–194. Zur Konferenz siehe Irby C. Nichols, The Eastern Question and the Vienna Conference, September 1822, in: Journal of Central European Affairs 21, 1961, 53–66. 185 Vgl. ebd. 58 f.; Crawley, Greek Independence, 26–35; Tatiščev an Alexander, 9./21.6.1822, in: VPR II/4, 526 f.; Nesselrode an Pini, 4./16.8.1822, in: ebd., 565 f.; Nesselrode an Metternich, Montmorency, Wellington und Bernstorff, 14./26.9.1822, in: ebd., 581–583. 186 Grundsätzlich zum Kongress: Alan Reinerman, Metternich, Italy and the Congress of Verona, 1821–1822, in: Historical Journal 14, 1971, 263–287. 187 Précis de la Conférence tenue à Vérone le 9 Novembre 1822, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 3, 437–441, hier 438.

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für Italien sicherstellen sollte.188 Jedoch nahm die gesamte Angelegenheit mit Castlereaghs Suizid und der Berufung seines Rivalen George Canning zum Nachfolger eine andere Richtung.189 Der von Canning beauftragte Wellington erreichte Wien erst Ende September, und bis dahin machte die Konferenz in Wien kaum Fortschritte.190 In Verona wiederum sollte schnell zu Tage treten, dass mit der Revolution in Spanien das nächste große europäische Problem auf der Tagesordnung stand. Ferdinand VII. hatte im April 1822 um europäische Hilfe nachgesucht. Und hier sah Alexander dringenden Handlungsbedarf, eine europäische Armee zu schicken, die die Ordnung in Spanien wiederherstellen sollte. Dabei war die Interessenlage mehr als gemischt, schon die französische Position stellte sich uneinheitlich dar. Ludwig XVIII. und Premierminister Villèle zweifelten am Sinn einer militärischen Mission, während von anderer Seite der Ruf nach Entsendung von Truppen laut wurde – ob mit europäischem Mandat, wie von Außenminister Montmorency bevorzugt, oder ohne.191 In dieser Situation hatte Villèle seinen verhandlungsführenden Außenminister damit beauftragt, dafür zu Sorgen, dass Frankreich alle Handlungsoptionen behielt, selbst für den Fall eines französischen Alleingangs und der drohenden Behinderung durch England verhindert.192 Montmorency verhielt sich allerdings nicht sonderlich geschickt und fragte die Vertreter der Mächte direkt, wie sie im Falle einer französischen Mission reagieren würden. Genau dieses eher plumpe Verhalten spielte Metternich in die Hände, indem es ihm die Gelegenheit gab, mit Alexanders Furcht vor einem instabilen Frankreich zu spielen, das einer aus Spanien herüberschwappenden Revolution beinahe hilflos ausgesetzt wäre.193 Die vier Mächte konnten sich schließlich auf einen Mittelweg zwischen einem unilateralen französischen Vorgehen und der britischen laissez-faire-Haltung einigen, die konzertierten diplomatischen Druck bedeutete, aber zunächst keine Waffengewalt. Für den Fall, dass von Spanien Aggressionen nach Frankreich ausgehen sollten, oder aber die spanische Königsfamilie zur Zielscheibe von Gewalt 188 Vgl. Metternich an Alexander, 7.5.1822, in: GARF f. 679, op. 1, d. 103, Nr. 7. 1r f. 189 Zur Außenpolitik Cannings Harold Temperley, The Foreign policy of Canning: 1822–1827. England the Neo-Holy Alliance and the New World. London 1925. 190 Es gelang Strangford nicht, die Hohe Pforte dazu zu bringen, Gesandte nach Wien zu schicken, um direkt zwischen den beiden Konfliktparteien zu verhandeln. Vgl. Irby C. Nichols, The European Pentarchy and the Congress of Verona, 1822. Den Haag 1971, 48–53. In Russland war man über die Vorgänge in Norditalien deutlich besser, als über die süditalienischen Entwicklungen. Vg. die Berichte des russischen Legationssekretärs in Turin, Paul Wilhelm Friedrich von Moltke, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 11313. 191 Zu den französischen Differenzen siehe Marcowitz, Kongreßdiplomatie, 16 f.; Bertier de Sauvigny, Metternich et la France, Bd. 2, 633 f. 192 Dies wurde in Russland genau beobachtet – auch Villèles Abneigung gegenüber einer kollektiven Politik. Vgl. Pozzo di Borgo an Nesselrode, 14./26.3.1821, in: GARF, f. 728, op. 121, d. 938, 32r–34v. 193 Vgl. ders. an dens., 13./25.9.1821, in: ebd., 85–90; ders. an dens., 14./16.12.1821, in: ebd., 91–94; Schroeder, Metternich’s Diplomacy, 211–221.

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werde, wären Preußen, Russland und Österreich bereit, militärischen Beistand zu leisten.194 Erst einmal aber sollten die Mächte simultan die Beziehungen zu Spanien abbrechen. Wellington war nicht bereit, diese Konditionen mitzutragen, er war davon ausgegangen, dass der Kongress den Beschluss fassen würde, unter keinen Umständen militärisch einzugreifen und reiste daher ab. Der in Verona getroffene Interventionsbeschluss wurde daher ohne britische Unterschrift gefasst.195 Auch ein anderer Teilnehmer der Konferenz hielt sich nicht an den Beschluss. Premierminister Villèle lehnte es ab, die Beziehungen zu Spanien auf der Grundlage einer europäischen Weisung abzubrechen, da er sich jegliche Einmischung in die französische Politik verbat.196 Alexander bestand jedoch weiterhin darauf, den Beschluss von Verona umzusetzen. Villèles Starrhalsigkeit führte dazu, dass Montmorency seinen Rücktritt einreichte, woraufhin ihm ausgerechnet der Gegenspieler des Premierministers, Chateaubriand, im Amt folgte.197 Dieser nutzte die Situation der internationalen Spannung um Großbritannien geschickt aus, um den Zaren hinter sich zu bringen, indem er die Drohung Cannings, als ultima ratio selbst eine militärische Intervention gegen Frankreich zu erwägen, nach Russland trug. Innerhalb kürzester Zeit erging dann ein französisches Ultimatum an Spanien und bereits im März 1823 überquerten französische Truppen die Grenze. Im Mai konnten sie in Madrid einmarschieren und im Oktober Ferdinand VII. in Cádiz befreien.198 Auch wenn es zu einem Bruch zwischen Großbritannien und den drei Mächten der Heiligen Allianz gekommen war, läutete das nicht das Ende der Kooperation zwischen den Mächten ein, dazu waren die Verbindungen zu fest und die Pfade bereits zu gut ausgebaut. Die Zeiten der vieille politique waren zumindest in einem Punkt vorbei: Obwohl Frankreich bis 1827 in Spanien präsent bleiben sollte, zog es keinerlei territorialen Zugewinne aus der Situation. Alexander proklamierte auf dem Kongress von Verona abschließend, dass er den eingeschlagenen Weg in jedem Fall fortsetzen wolle.199 Er kam den Forde194 Bis einschließlich zum Kongreß von Verona hatte sich die preußische Außenpolitik sehr eng an die Linie Metternichs angeschlossen. Vgl. Mieck, Preußen, 158–160. 195 Die Korrespondenz von Wellington in der spanischen Frage findet sich in Wellington, Despatches, Bd. 1, 319–611. Vgl. auch den Bericht des französischen Gesandten in Verona: François-René de Chateaubriand, Congrès de Vérone. Guerre d’Espagne, Négociations, Colonies. 2 Bde. Paris 1838, hier Bd. 1, 176 f.; 211–227. Vgl. auch Nichols, Pentarchy, 84– 136. 196 Vgl. Pozzo di Borgo an Nesselrode, 5./17.1.1823, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 938, 1r–7v. 197 Vgl. auch Metternich an Alexander, 1.1.1823, in: GARF f. 679, op. 1, d. 103, 1r–2v. 198 Vgl. ebd., 286–315; Bertier de Sauvigny, Metternich et la France, Bd. 2, 743–803. Grundsätzlich Geoffrey de Grandmaison, L’expédition française d’Espagne en 1823. Paris 1928. Alexander hatte ebenfalls angeboten, mit einem europäischen Mandat eine beachtliche Anzahl von Soldaten zu schicken. Dies wurde allerdings abgewiesen, da es einen Aufmarsch in Frankreich bedeutet hätte. Vgl. Michailovič, Alexandre. Bd. 2, 414–416. 199 Déclaration du Plénipotentiaire de Russie au Protocôle [sic!] de la Conférence du 22 Novembre 1822, in: ebd., 446 f.; Vgl. auch O. B. Šparo, Rol’ Rossii v bor’be Grecii za nezavisimost’, in: Voprosy Istorii 1949, 52–73.

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rungen aus Wien und London sogar soweit entgegen, dass er die beiden russischen Konsuln der Donaufürstentümer abberief, weil diese zu sehr mit der griechischen Sache sympathisiert hatten. An ihrer Stelle wurde Matvei Minčaki mit den weiteren Verhandlungen beauftragt – und das, obwohl die Hohe Pforte weiterhin starr auf Konfrontationskurs blieb und der russische Schwarzmeerhandel massiv beeinträchtigt war.200 Zudem wurde die zur conditio sine qua non erhobene Forderung, die Donaufürstentümer zu räumen, erst im Mai 1822 umgesetzt, noch dazu äußerst zögerlich. Die daraufhin in Konstantinopel einsetzenden Verhandlungen verliefen alles andere als erfolgreich, was an der Unnachgiebigkeit der Pforte in der Griechischen Frage lag.201 Ein Vorschlag Metternichs, diese Frage aus dem Prozess der Wiederherstellung der Beziehungen vorerst auszuklammern und die Verhandlungen auf die Fragen der Durchfahrt durch die Meerengen und die Zukunft der Donaufürstentümer zu beschränken, fand daher schnell die Zustimmung des Zaren.202 Eine gemeinsame Initiative der Allianz sollte das Verhältnis der beiden Staaten neu regeln.203 Abermals sollte eine Konferenz der Vertreter der Mächte in Sankt Petersburg einen Plan zur kollektiven Intervention ausarbeiten, wobei Alexander mit der Einladung zur Konferenz gleichzeitig einen Lösungsvorschlag ankündigte.204 Diesen Vorschlag unterbreitete er im Januar 1824.205 Den Sultan hielt er nach drei konfliktreichen Jahren nicht mehr für fähig, die Probleme eigenständig zu lösen.206 Vielmehr sei es beinahe zur existenziellen Bedrohung eines christlichen Volkes gekommen und daher müsse eine europäische Intervention, auch im Konflikt zwischen dem Osmanischen Reich und den Griechen, als wahrscheinlich gelten.207 Für Griechenland sah der Plan eine besondere Behandlung vor: Es sollte von türkischen Truppen befreit und nach dem Vorbild der Donaufürstentümer in drei Fürstentümer aufgeteilt werden, die ebenfalls den Status der Souzeränität

200 Vgl. O preprovoždenii v Departamente Vnešnej Torgovli vedomostei o sostojanij Rossijskogo moreplavanija v Konstantinopole v tečenie v 1820 g, in AVPRI, f. 161, 1821, d. 2, 1–3; ebenso État de la navigation depuis le 1 juillet au 31 décembre 1824, in: ebd., 6–23. Zu den Wiener Konferenzen von 1822 vgl. Irby C. Nichols, The Eastern Question and the Vienna Conference, September, 1822, in: Journal of Central European Affairs, 1961, 53–66; Nesselrode an Metternich, Montmorency-Laval, Wellington und Bernstorff, 14./26.9.1822, in: VPR II/4, 581–583. Eine Deutung, dass Alexander in jedem Fall moralisch gehandelt habe und die Allianz Europas an vorderster Stelle sah, bei Schroeder, Transformation, 621 und Rendall, Russia, 71. Vgl. auch den Bericht Gur’evs, 22.5./3.6.1823, in: VPR II/5, 118–122 201 Vgl. Mémoire du Cabinet de Russie sur la pacification de la Grèce, 90r–99v. 202 Vgl. Yakschitch, La Russie, in: Revue Historique 93, 86. 203 Vgl. Lebzeltern an Metternich, in: Michailovič (Hrsg.), Rapports de Lebzeltern, 119 f. 204 Bericht von La Ferronnays, 28.11.1823, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 494–506, hier 505 f. 205 „Mémoire sur la pacification de la Grèce“, 9./21.1.1824, in: VPR II/5, 308–314. 206 Vgl. Russische Regierung an die Regierungen Österreichs. Großbritanniens, Preußens und Frankreichs, 9./21.1.1824, in: VPR I/5, 308–314, 207 Vgl. Nesselrode an Pozzo di Borgo, 16.8.1824, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 12960, 100r102v.

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genießen sollten, also nach innen weitgehend autonom wären, aber Tribute an die Pforte zu leisten hätten.208 Dieser Status sollte von den Allianzmächten gemeinsam garantiert werden.209 Metternich betonte in seiner Antwort vom 17. April 1824, dass die Voraussetzung für eine Kollektivintervention die Wiederaufnahme direkter Beziehungen zwischen Sankt Petersburg und Konstantinopel sein müsste. Das aber sei ein langwieriger Prozess.210 Damit hatte er zweifellos Recht, denn die Hohe Pforte tat nach wie vor wenig, um die Situation zu entspannen, sondern pochte darauf, dass die Aufstände rein innere Angelegenheiten des Osmanischen Reiches seien.211 Damit wurde deutlich, dass Metternich nicht an einer schnellen Lösung des Problems gelegen war.212 Die Konferenz von Sankt Petersburg begann am 17. Juni.213 Es ist angesichts der Vorgeschichte wohl mehr als bloße Rhethorik, wenn das russische Statement bei der Eröffnung der ersten Sitzung lautete, die Regierung habe die Initiative zu einer Konferenz über die griechische Frage im allgemeinen Interesse Europas und der Menschlichkeit ergriffen.214 Die wichtigste Voraussetzung für den russischen Vorschlag war ein einstimmiges Votum der in Sankt Petersburg vertretenen Alliierten.215 Und genau in diesem Punkt torpedierten der österreichische und der britische Gesandte die russische Initiative. Mit Hilfe von Grundsatzfragen und dem Hinweis auf fehlende Instruktionen wurde die Verhandlung in die Länge gezogen. Damit war das Vorhaben, wortidentische Depeschen der fünf Großmächte an die Hohe Pforte zu senden, vorerst auf Eis gelegt.216 Obwohl auf britischer und österreichischer Seite Widerstände bestanden, hielt Alexander an einer kollektiven Lösung fest. Ende 1824 sabotierte Großbritannien endgültig das russische Vorgehen und stellte sich auf die Seite der aufständischen Griechen. Zwar lehnte der britische Außenminister Canning eine aktive Unterstüt-

208 Vgl. Russische Regierung an die Regierungen Österreichs. Großbritanniens, Preußens und Frankreichs, 9./21.1.1824, in: VPR I/5, 308–314, hier 310 f. 209 Vgl. Ebd., 311. Für die ionischen Inseln sollte der Vorschlag adäquat gelten. Vgl. ProkeschOsten, Geschichte, Bd. 4, 63–72. 210 Dépêche à S. E. Mr. le Comte de Lebzeltern à St. Petersbourg. Vienne le 17 Avril 1824 (Réponse au Mémoire sur la pacification des Grecs), in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 4, 73–81, hier 75. 211 Vgl. Das Protokoll des Gesprächs zwischen Minčaki und dem Reiss-Effendi, 1./13.10.1825, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 12960, 141r–158v. 212 Vgl. auch Bericht Lebzelterns, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 4, 81–84, hier 82 f. 213 Zur Konferenz siehe Schiemann, Alexander, 334–339. Es liegt keine neuere Darstellung der Konferenz vor. 214 Vgl. das Protokoll der Konferenz, in: AVPRI, f. 133, op. 468, T. 4, d. 11346, Turquie, Conférence à St Pétersbourg [sic!] , Première Conférence, 5./17.6.1824, 3r–9v. 215 Ebd., 4v. 216 Vgl. ebd., 8v, sowie das Protokoll der Konferenz vom 5./17.6.1824, in: ebd., 10r–16v, hier 16r. In dem folgenden Jahr war auch der preußische Gesandte Schoeler davon überzeugt, dass eine weitere Verzögerung der Konferenz keine Ergebnisse produzieren werde. Ebd., 18r. Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 106–110 und Bericht Lebzelterns, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 512–514.

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zung der Aufständischen ab, doch sicherte er der provisorischen griechischen Regierung Neutralität zu.217 Die unmittelbare Absage, an der Allianzlösung mitzuarbeiten, erfolgte Anfang Dezember 1824. Unter Berufung auf den griechischen Protest lehnte Canning jegliche weitere Teilnahme an der Konferenz ab – und das, obwohl Russland die von Großbritannien erhobene Forderung der Wiederaufnahme direkter diplomatischer Beziehungen mittlerweile erfüllt hatte.218 Alexander stellte sich der neuen Situation. Anstatt jetzt den wohl bequemeren Weg zu wählen und militärisch zu intervenieren, verfolgte er weiterhin den eingeschlagenen Pfad – allerdings mit einer verkleinerten Mannschaft: Cependant, il ne faut pas en désespérer: dans tous les cas, s’en occuper franchement et avec bonne foi ne peut avoir aucun inconvénient, et aura l’avantage de donner une nouvelle preuve de cet accord, de cette intelligence qui unissent les Souverains et forment, pour ainsi dire, cette voûte sur laquelle nous avons établi la paix de l’Europe et contre laquelle viendront se briser les efforts de la malveillance et, je l’éspère bien aussi, le machiavélisme de l’édroite et singulière politique de Mr. Canning.219

Nachdem der russische Botschafter bei der Pforte wieder akkreditiert war, bestritt die Regierung des Osmanischen Reichs plötzlich ihre Verpflichtungen, den status quo ante wiederherzustellen und die Truppen aus den Donaufürstentümern abzuziehen. Vielmehr suchte sie um Unterstützung in Ägypten nach. Die osmanische Armee war nicht in der Lage gewesen, die griechischen Aufständischen zu besiegen, was vor allem an der schlecht ausgerüsteten Flotte lag. Daher hatte der Sultan beim Khediven Mohammed Ali um Unterstützung gebeten und ägyptische Truppen trafen dann auch im Februar 1825 auf der Peloponnes ein, was die gesamte Situation veränderte. Die Truppen, die unter dem Kommando von Mohammed Alis Sohn Ibrahim standen, konnten den Aufstand auf Kreta beenden und 1825 auf das griechische Festland übersetzen. Auch hier stellten sich schnell Erfolge der gut trainierten und ausgerüsteten Truppen ein.220 Die neue Lage veränderte sowohl Ziele als auch Mittel der europäischen Staaten im Umgang mit der Griechischen Frage. Denn nun war abzusehen, dass der Sultan kaum mehr auf eine

217 Vgl. Réponse de Mr. Canning au Gouvernement provisoire de la Grèce, 1.12.1824, in: Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 4, 130–132, hier 131 f. Außenminister Canning hatte sich bereits 1823 dazu entschieden, den aufständischen Griechen den Status einer kriegführenden Partei zu geben. Damit wären die Griechen eigenständige Ansprechpartner geworden und formal aus britischer Sicht keine osmanischen Untertanen mehr. Vgl. dazu Allan Cunningham, The Philhellenes, Canning, and Greek Independence, in: Middle Western Studies 14, 1978, 151–181. 218 Vgl. Nesselrode an Tadiščev, 21.11/3.12.1824, in VPR, II/5, 637 f., hier 638. 219 Bericht von La Ferronnays, 12./24.2.1825, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 522–525, hier 523. Michailovič datiert den Bericht fälschlicherweise auf den 24.2.1824. – Zu La Ferronays vgl. Wolfgang Baumeister, Russland nach dem Wiener Kongreß im Urteil diplomatischer Vertretungen in St. Petersburg 1815–1825, phil. Diss. Tübingen 1970, 12 f. 220 Vgl. Afaf Lutfi Al-Syyid Marsot, Egypt in the Reign of Muhammad Ali. Cambridge 1984, 208–210; Bericht Lebzeltern 19./31.12.1824, in: Michailovič (Hrsg.), Rapports de Lebzeltern, 175–177.

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diplomatische Lösung festzulegen sein würde. Dabei barg der Einsatz ägyptischer Truppen noch erhebliche Sprengkraft für das Osmanische Reich. Vom 24. Februar bis zum 8. April nahm auch die Konferenz in Sankt Petersburg wieder ihre Arbeit auf. Der britische Gesandte Stratford-Canning blieb die ganze Zeit vor Ort, ohne je an der Konferenz teilzunehmen. Seine Instruktion erlaubte lediglich eine bilaterale Verhandlung mit Russland, eine Option, die für Alexander ausschied. Auch diese Konferenzrunde war für Alexander kein Sieg auf ganzer Linie – diesmal lag es an der Uneinigkeit der Mächte in der Frage hinsichtlich der genauen Interventionsmodalitäten. Der Zar schwenkte auf den Vorschlag Metternichs ein, um die Konferenz und damit seine Pläne nicht völlig scheitern zu lassen. Zunächst sollte ein viermonatiger Waffenstillstand zwischen beiden Parteien erwirkt werden. In dieser Zeit sollten Verhandlungen zwischen den Griechen und der Hohen Pforte unter Federführung der Allianzmächte geführt werden. Sollte die provisorische griechische Regierung sich weigern, so sah der Plan vor, umgehend die diplomatischen Vertreter abzuberufen und fortan kein Interesse mehr an der griechischen Lage zu zeigen. Im Falle einer Weigerung seitens der Pforte wurde der erneute Abbruch aller diplomatischen Beziehungen in Erwägung gezogen.221 Am 13. März wurde ein erstes Protokoll verabschiedet, das fast unverändert im Abschlussprotokoll vom 8. April aufging.222 Die Pforte verweigerte jedoch die Annahme des Protokolls. Als es nun zum Schwur kommen sollte, stellte sich Metternich quer. Er lehnte es ab, die Beschlüsse auszuführen und militärisch einzugreifen.223 Hinter der von Alexander betriebenen Politik vermutete der österreichische Minister das eigentliche Ziel des Zaren, nämlich einen Krieg gegen das Osmanische Reich zu führen, um so eigene territorialpolitische Ziele im östlichen Mittelmeerraum zu verfolgen. Die Allianzpolitik habe lediglich dessen diplomatischer Vorbereitung gedient.224 Alexander ließ daher noch einmal die englische Haltung durch seinen Gesandten Lieven sondieren, der ihm berichtete, dass die Möglichkeit einer Verständigung noch immer gegeben sei.225 Doch schon wenige Wochen später brach Alexander alle Verhandlungen mit seinen Allianzpartnern ab – allerdings war der Verhandlungstisch nur noch spärlich besetzt, nachdem mit Großbritannien und Österreich die beiden Mächte, die mehr oder weniger direkt von der osmanischen Frage betroffen waren, die Konferenz verlassen hatten, blieben nur noch Frankreich und Preußen übrig.226 221 Vgl. Prokesch-Osten, Geschichte, Bd. 1, 333 f. 222 Protokol konferenzii upolnomočennych Rossii, Avstrii, Prussii i Franzii, St. Petersburg, 1./13.3.1825, in: VPR, Serie II/6, 82 f. und Protocole du 7 Avril (27 Mars) 1825, in: Prokesch-Osten, Bd. 4, 161 f. Prokesch-Osten ist hier ein Fehler bei der Datierung unterlaufen. 223 Observation sur la pièce transmise à Mr. de Tatischeff relativement aux négociations à éntâmer à Constaninople. Milan 20 Mai, in: ebd., 172–175, hier 172 f. 224 Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 120. 225 Lieven an Nesselrode, 1./13.7.1825, in: VPR, II/6, 214 f. 226 Nesselrode an Tadiščev, Alopeus, Pozzo di Borgo, 6./18.8.1825, in: ebd., 229–234.

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Alexander musste sich nun mit dem Scheitern seiner Bemühungen auseinandersetzen. Einen Ausweg hätte eventuell eine Annäherung an Großbritannien eröffnet. Welchen Weg er einschlagen wollte, wird sich nicht mehr klären lassen. Sein plötzlicher Tod ließ diese Frage unbeantwortet. Insofern ist wohl kaum definitiv zu entscheiden, ob die Verhandlungslösung für Alexander völlig obsolet war. Ein Indiz, das gegen eine solche These spricht, ist, dass Alexander nicht den Empfehlungen jenes Teiles seiner diplomatischen Mannschaft folgte, der sich offen für einen Krieg gegen das Osmanische Reich aussprach, sondern zumindest jede Möglichkeit einer friedlichen Regelung unter Einbeziehung aller europäischen Mächte ausloten wollte. Russland war 1815 auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, es besaß die bei weitem schlagkräftigste Armee, und gleichzeitig befand sich das Osmanische Reich in einem Zustand der Schwäche. Warum nun Russland diese Situation nicht ausnutzte, um expansionistisch vorzugehen, kann – legt man die Balance of Power als Interpretament zugrunde – nur erklärt werden, wenn man annimmt, dass sich die anderen europäischen Mächte bereit gefunden hätten, einen Gegenblock zu bilden und dass dieses Szenario in Russland antizipiert und gefürchtet worden wäre. Doch davon konnte keine Rede sein. Die einzige Macht, die sich ernsthaft gegen Russland hätte stellen können, Großbritannien, versicherte dem Zaren vielmehr ihre moralische Unterstützung, wenn Russland – durch die Vertragsverletzungen des osmanischen Reiches herausgefordert – militärisch aktiv werden sollte.227 Und von den anderen europäischen Mächten war keine Gegenwehr zu erwarten, was Alexander durchaus bewusst war.228 Auch in Russland erwartete man im Falle eines Krieges einen schnellen und einfachen Sieg. Alexander selbst schrieb an Tatiščev im Februar 1822, das ein Kriegszug gegen die Hohe Pforte zu schnellen und zufriedenstellenden Lösungen führen würde, wenn er geführt werden müsste.229 Eine Balance of Power-Erklärung würde also externe Restriktionen suchen (Gegenblockbildung oder Gegenwehr des Osmanischen Reiches), um Zurückhaltungen zu erklären und greift damit im vorliegenden Fall zu kurz. Wie oben gezeigt wurde, sind es besondere interne russische Momente, durch die Alexander seine Handlungsspielräume gewissermaßen freiwillig einschränkte. Aus den Quellen geht nicht hervor, dass Alexander ein Eingreifen der anderen europäischen Mächte befürchtete und aus diesem Grund keinen expansionistischen Kurs steuerte. Im Gegenteil: Auch in diesem Fall berief er sich auf die Heilige Allianz und erteilte der vieille politique dezidiert eine Absage. Er beauftragte Tadiščev, sich der osmanischen Frage anzunehmen:

227 Vgl. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 393 f.. Zu den Beratungen in London vgl. Lieven an Nesselrode, 19. 4/1.5.1822, in: VPR II/4, 482–490. 228 Explizit: Tatiščev an Alexander, 28.3./9.4.1822, in: ebd., 470. 229 Alexander an Tadiščev, 5./17. Februar 1822, in: VPR II/4, 426–428, hier 428.

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Kongressdiplomatie Il s’agit de sauver ces intérêts, mais de les sauver par l’alliance générale et non par les combinaisons de l’ancienne politique, par des combinaisons exclusives.230

Auch greift der Verweis auf das Concert européen zu kurz, um Alexanders Verhalten zu erklären. Gemäß dieser Interpretation wäre Russland durch Abstimmung mit anderen europäischen Mächten Zurückhaltung in seiner Politik gleichsam auferlegt worden. Aber auch das war nicht der Fall. Alexander wollte eine kriegerische Lösung schlichtweg vermeiden: „Je ne veux pas la guerre. Je l’ai prouvé. Je le prouve encore par votre mission et par les ordres que je fais adresser à mes représentants près les cours de Londres, de Paris et de Berlin.“231 Einen deutlicheren Quellenbeleg wird man nicht finden können. Es war der russische Zar selbst, von dem die Friedensinitiative ausging. Das Verhalten Alexanders kann dann erklärt werden, wenn man sich vor Augen hält, wie stark Alexander in gesamteuropäischen und vor allem systemischen Kategorien dachte.232 Jegliche Aggression Russlands konnte ein Fanal bedeuten und die auf wackligen Füßen stehende friedliche Ordnung Europas gefährden. Davon zeugt ein Gespräch des Zaren mit dem französischen Botschafter La Ferronays, von dem dieser berichtete: J’ai eu constamment et uniquement en vue le bien général, l’intérêt commun, c’est à eux que j’ai sacrifié sans balances toute espèce d’intérêts particuliers et de considérations personnelles. [...] [...] j’ai toujours dû avoir en vue l’idée que le premier mouvement armé que ferait la Russie serait un signal d’effroi pour l’Europe, éveillerait à la fois toutes les inquiétudes et les jalousies, enfin ajouterait aux causes de malaise que renferme déjà cette pauvre Europe un principe de plus de désordre et d’agitation.233

Auch solche Gedankengänge konnten Kapodistrias indes nicht vom Versuch abhalten, Alexander umzustimmen: Eine Intervention würde die Allianz schließlich nicht gefährden.234 So wie Alexander hinter jeder Revolution die finsteren Machenschaften einer geheimen Revolutionszentrale in Paris sah, so schien er allerdings auch zu glauben, dass der griechische Aufstand ausgeheckt worden war, um die europäische Allianz zu zerstören: Mais il n’y a pas de doute que l’impulsion à ce mouvement insurrectionnel n’eût été donnée par le même comité central directeur de Paris, dans l’intention de faire une diversion en fa-

230 Ebd. 426. 231 Ebd., 427. 232 Dostjan, Rossija, 163, spricht sogar von einer „faktischen Ausdehnung“ des Allianzgedankens in Bezug auf das Osmanische Reich. Russlands friedliches Verhalten wird auf reine Kosten-Nutzen Kalkulation zurückgeführt bei Kagan, Myth, 28. 233 Bericht von Le Ferronnay, 12./24. Februar 1824, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 522–525, hier 523. Dass Alexander und Nesselrode Ausnahmen waren, indem sie in systemischen Kategorien dachten, betont nachdrücklich Rendall, Russia, 64. 234 Vgl. Schütz, Allianzpolitik, 71.

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veur de Naples et empêcher que nous ne détruisions une ces synagogues de Satan, établies uniquement pour propager et répandre sa doctrine anti-chrétienne.235

Dahinter steckte Metternich, der vor Troppau den Boden bereitet und die Revolutionsfurcht Alexanders geschickt mit Warnungen vor Geheim- und Verschwörungsgesellschaften genährt hatte.236 Bereits 1819 war es in der russischen Diplomatie offensichtlich Gewissheit, dass es ein Verschwörerhauptquartier, das genannte comité directeur in Paris gebe.237 Verschiedene Dokumente wurden präsentiert, die eine eindeutige Urheberschaft der Unruhen belegen sollten und ihre Wirkung nicht verfehlten. Alexander hatte die ihm vorgelegten Papiere ganz offensichtlich für authentisch gehalten, so dass er an seine Botschafter eindeutige Warnungen sandte.238 Metternichs Nachrichten von einem vermeintlichen Verschwörerzentrum in Paris konnten auch aus einem anderen Grund beim Zaren auf offene Ohren stoßen. Sie bedienten einen gegenaufklärerischen Reflex, mit dem Alexander auf mehrfache Weise in Berührung gekommen sein dürfte. Sehr wahrscheinlich hatte Eckartshausens „Ueber die Gefahr, die den Thronen, den Staaten und dem Christenthum den gänzlichen Verfall drohet“ gelesen, denn um 1812 zählte der deutsche Mystiker zu den am häufigsten gelesenen Autoren des Zaren.239 Ihren Ausgang nahm diese Verschwörungshypothese in der Zeit der Französischen Revolution, vor allem seit 1791, als die Revolution zunehmend gewaltsam wurde.240 In dem Maße, in dem die Französische Revolution in Gestalt der „Assemblée nationale“ die Forderungen nach Anteilnahme und Öffentlichkeit

235 Zitat: Alexander an Golicyn, 10.3.1821, Michailovič, Alexandre, Bd. 1, 535–537, hier 536 hier (Herv. i.O.); vgl. auch Précis de la conversation du 14 août entre S. M. I. l’Empereur de Russie et M. le comte de la Ferronnays, ambassadeur de France, in: Michailovič, Alexandre, Bd. 2, 413–417, hier 415 – Zur Revolutionsangst Alexanders s. Grimstead: Foreign Ministers, 252 f., 260, 264. Dieter Groh hat herausgearbeitet, dass Menschen insbesondere in Krisenzeiten anfällig für verschwörungstheoretische Versuchungen sind. Dieter Groh, Die verschwörungstheoretische Versuchung oder: Why do bad things happen to good people, in: ders. (Hrsg.), Anthropologische Dimensionen der Geschichte. Frankfurt a. M. 1992, 267–304. 236 Vgl. Metternich, Mémoires, III, 440–445; Hartley, Alexander, 150 f. 237 So sei diese Gruppe auch für die Ermordung Kotzebues und die Unruhen in Deutschland verantwortlich gewesen. Vgl. das „Tableau“ Meyendorfs über die revolutionären Ereignisse in Deutschland, in: GARF, f. 573, op. 1, d. 488 (Meyendorf), 39r–42v, hier 41r. 238 Kapodistrias an Nesselrode, 30.8./11.9.1820, geheim, in: AVPRI, f. 133, op. 468, d. 2117, 82r–83r, hier 82r: „L’ensemble de ces pièces explique les évènemens de l’Espagne; ceux de Naples et de Sicile et ramène encore les soupçons vers le foyer qui les a naguèrer exclusivement entretenus.“ 239 Karl von Eckartshausen, Ueber die Gefahr, die den Thronen, den Staaten und dem Christenthum den gänzlichen Verfall drohet, durch das falsche Sistem der Aufklärung, und die kecken Anmassungen sogenannter Philosophen, geheimen Gesellschaften und den Sekten. An den Grossen der Welt von einem Freunde der Fürsten und der wahren Aufklärung. Mit Datis und Urkunden belegt aus dem Archiv unseres Jahrhunderts. München 1791. 240 Zur Terminologie der Verschwörungshypothese vgl. Armin Pfahl-Traughber, „Bausteine“ zu einer Theorie über „Verschwörungstheorien“. Definitionen, Erscheinungsformen, Funktionen und Ursachen, in: Reinalter, Helmut (Hrsg.), Verschwörungstheorien. Theorie-GeschichteWirkung. Innsbruck 2002, 30–44.

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aufgriff, erstarkten auf der gegenaufklärerischen Seite entsprechende Reflexe: Auch diese Warnungen vor einer Verschwörergruppe, die die Geschicke des Staates bestimme, waren an eine breite, gar europäische, Öffentlichkeit gerichtet.241 Metternich goss also im Grunde noch Öl ins Feuer, wenn er dem Zaren schrieb: „C’est à Paris, Sire, qu’éxiste le grand foyer; c’est là que sectionne celui de la conspiration la plus vaste qui jamais a menacée la Société entière.“242 Auch in Griechenland sei eine Abteilung der Pariser Verschwörer am Werk: Ypsilanti, dans la lettre qu’il m’adresse, me dit ouvertement qu’il appartient à une societé secrète, formée dans le but de la délivrance et de la régénération de la Grèce. Or toutes ces sociétés secrètes ont leur aboutissant au comité central de Paris. [...] C’est l’établissement d’un foyer de plus pour prêcher cette même doctrine et l’espoir par là de paralyser les résultats des principes chrétiens professés par la Sainte Alliance.243

Diese Gruppe aus Paris sei verantwortlich für alle Revolutionen, die über Europa hereingebrochen waren, somit auch für den Aufstand der Carbonari in Italien, die kurzerhand Weise gleich zu einer Untergruppe der Freimaurer erklärt wurden. Ihr Ziel sei die Abschaffung der Religion und die totale Umwälzung der sozialen Verhältnisse – in Italien ebenso wie in Griechenland.244 Alexander war spätestens in Laibach fest davon überzeugt, dass die Umstürze alle miteinander zusammenhingen und wenigstens abgesprochen, wenn nicht sogar zentral gelenkt waren.245 Als der Zar aus Laibach heimgereist war, hatte er dem britischen Botschafter Bagot versichert, dass er die Griechen nicht unterstützen könne, da sie aus Paris gelenkt seien.246 Auch dies hätte ein Grund sein können, vielleicht sogar mit Gewalt einzugreifen, um diesem revolutionären Treiben ein Ende zu setzen. Dennoch ließ sich der russische Zar lange Zeit nicht beirren. Erst als alle Mittel ausgeschöpft waren, ließ Alexander im September 1825 seine Truppen an den Grenzen zu den Donaufürstentümern aufmarschieren. Am 13. September brach Alexander zu einer Reise nach Taganrog am Schwarzen Meer auf, wo er zwölf Tage später ankam. Hier weilte seine Frau zur Kur, wegen des milden Klimas und der Nähe zu Alexanders Armee. Vor Ort erkrankte Alexander im Verlaufe des Novembers und starb im Dezember 1825. Die Entscheidungen über das weitere Vorgehen in der osmanischen Frage blieben seinem Nachfolger Nikolaus überlassen. Das Schicksal der Heiligen Allianz war damit besiegelt. Es fehlte der Partner, der über genügend Macht verfügte, die anderen europäischen Staaten auf das Ein-

241 Vgl. Pierre-André Bois, Vom „Jesuitendolch und -gift“ zum „Jakobiner-“ bzw. „Aristokratenkomplott“. Das Verschwörungsmotiv als Strukturelement eines neuen politischen Diskurses, in: Reinalter (Hrsg.), Verschwörungstheorien, 121–132. 242 Metternich an Alexander, 24.6.1821, in: GARF f. 679, op. 1, d. 103, Nr. 3, 6 v f. 243 Alexander an Golicyn, 10.3.1821, in: Michailovič, Alexandre Bd. 1, 536. 244 Vgl. ders. an dens., 23.8. und 30.11.1821, in: ebd., Nr. 4 und 5, 1r–2v und 1r–3r; Pozzo di Borgo an Nesselrode, 9./21.3.1821, in: GARF f. 728, op. 121, d. 938, 5–24. 245 Vgl. Alexander an Golicyn, 8.–15.2.1821, in: Ley, Sainte-Alliance, hier 254. 246 Vgl. Bagot an Castlereagh, 20.6.1821, zit. n. Webster, Castlereagh, Bd. 2, 358 f.

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halten des Vertrags festzulegen.247 Mit Nikolaus bestieg ein Zar den Thron, der die Erfahrungen seines Bruders nicht teilte – er hatte das Erlebte anders verarbeitet und räumte daher Europa nicht die oberste Priorität seines außenpolitischen Handelns ein. Wichtiger noch: Er teilte die Religiosität seines Bruders nicht und damit war die Heilige Allianz für ihn nicht mehr als ein Vertrag unter vielen.

247 Vgl. auch Kronenbitter, Denkbarer Frieden, 458.

VIII. FAZIT „Kaum mehr als deklamatorische Bedeutung“ hatte der Historiker Ilja Mieck der Heiligen Allianz zugesprochen.1 Ulrike Eich weist ihr in ihrer Dissertation zu Russland und Europa noch einige Relevanz für die unmittelbare Zeit nach 1815 zu, anschließend allerdings seien die hehren Ziele des Zaren dem Druck der Bündnispartner und eigenen machtpolitischen Interessen geopfert worden.2 Die Ursachen für eine solche Deutung der Heiligen Allianz liegen hauptsächlich darin, dass sie als ein Vertrag unter anderen im Geflecht der internationalen Ordnung gesehen wird – und nicht als Vertrag sui generis. Ihre Wirkungs- und Deutungsgeschichte ist eng mit der Einschätzung Zar Alexanders I. verbunden, selbst strukturgeschichtlich orientierte Darstellungen kommen ohne einen Rekurs auf seine Persönlichkeit nicht aus, und sei es, dass dies durch die Brille der Zeitgenossen geschieht. Die Perspektive auf den Zaren bietet Chancen jenseits einer psychologisierenden Betrachtungsweise. Indem die Fragen nach handlungsleitenden Sinnkonfigurationen aufgeworfen und beantwortet werden, kann man sich durch eine kulturgeschichtliche Herangehensweise dem Kern der Heiligen Allianz nähern. Diese Sinnkonfigurationen sind insofern handlungleitend, da der ihnen hinterlegte Sinn als Handlungsentwurf in die Zukunft projiziert wird. Der in der Heiligen Allianz formulierte Handlungsentwurf ist evidenterweise auch auf andere Akteure im internationalen System bezogen und definiert die Erwartungen angemessenen Handelns, mithin Normen. Somit kann auch in einer vermeintlich klassischen Phase der Macht- und Interessenpolitik die Relevanz von Normen in den internationalen Beziehungen aufgezeigt werden. Eines der signifikanten Merkmale der verschiedenen Darstellungen, die die Heilige Allianz thematisieren, ist, dass den Beratern des Zaren in der Regel ein großer Einfluss auf die außenpolitische Gestaltung zugesprochen wird. Dies ist allerdings zu relativieren. Zwar war der Zar einerseits offen für beratende Stimmen, andererseits aber war er letztentscheidend in der Durchführung. Dieses Spannungsverhältnis hat sowohl Konsequenzen für die Untersuchung als auch für die zeitgenössische und historiographische Wahrnehmung der zaristischen Außenpolitik. Am Beispiel der Geschwister Stourdza lässt sich verfolgen, wie leicht man der Verführung erliegen kann, aus einem Einfluss einer Hinsicht auch einen Einfluss in anderer abzuleiten. Eine direkte Einflussnahme auf die Politik im Rahmen der Heiligen Allianz lässt sich jedoch nicht feststellen, obwohl sowohl Alexander als auch Roxandra Stourdza nicht unerheblichen Anteil an der Genese des Dokuments hatten. Aus demselben Kurzschluss heraus erklärt sich auch die 1 2

Mieck, Preußen, 81. Vgl. Eich, Russland, 330.

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notorische Überschätzung der Rolle Juliane von Krüdeners oder Franz von Baaders. Für die konzeptionelle Ausarbeitung von Ideen hat der Zar durchaus in hohem Maße von seinem Umfeld profitiert. Allerdings war dessen Einfluss wiederum dort begrenzt, wo es um die Ausdeutung und Durchführung der entwickelten Konzeptionen ging. Beispielsweise lieferte der Außenminister Adam Czartoryski im Verbund mit seinem Lehrer Scipione Piattoli wichtige Bausteine für das Europa-Konzept des Zaren. Aber weder er noch andere Personen aus dem politischen Zentrum Sankt Petersburgs konnten nachhaltigen Einfluss auf die Umsetzung ihrer Ideen nehmen. Dies lässt sich exemplarisch am Schicksal des Außenministers Kapodistrias ablesen, der sich in der Griechischen Frage mit seinem Standpunkt nicht durchzusetzen vermochte und in der Folge resignierte und seinen Posten räumte. Alexanders Ideen und Konzepte für Europa kreisen persistent um das Thema Frieden. Hierbei lassen sich drei wichtige Einflussgruppen identifizieren, die letzten Endes in einem Konzept zur Sicherung Europas zusammenflossen. Dabei werden „Einflüsse“ in dieser Arbeit dezidiert nicht in einem eher vagen Sinn verstanden, wie es zuletzt in der Studie von Marie-Pierre Rey erfolgte. Vielmehr sind mit dem Begriff die sozialen Objektivationen gemeint, die die Lebenswelt des Zaren strukturiert haben. Die erste Gruppe ist in der geistigen Umwelt zu suchen, hierunter fallen vor allem philosophische Konzepte, die der Zar durch Lektüre oder Vermittlung kennengelernt hat, ebenso wie der Kontakt zu entsprechenden Personen. Die Lektüre von Gibbons „Fall and Decline“ hat sein Verständnis von „Lebenszyklen“ eines Staates beeinflusst. Während seiner Erziehung – hier sind die unterschiedlichen Einflüsse La Harpes oder Samborskijs zu nennen – hat er sich ebenso mit den Schriften von Aufklärern auseinandergesetzt wie mit den utopischen Friedenskonzeptionen des Abbé de Saint-Pierre. Die zweite Gruppe umfasst politische Einflüsse im engeren Sinn, wie Speranskij oder Adam Czartoryski und mit ihm die anderen Mitglieder des Geheimen Komitees. Hier wurden im engeren Sinn politische Konzepte entworfen, beispielsweise die Strukturpläne für das Russische Reich oder die auf geopolitischen und strategischen Überlegungen aufbauenden Überlegungen für ein sicheres Europa. In der dritten Gruppe finden sich die religiösen Einflüsse. In der für die weitere Entwicklung fundamental bedeutsamen Phase um 1812 fand die Konversion des Zaren statt. 1812 markiert gleichsam den Höhepunkt und den Abschluss einer Entwicklung, in der Alexander kaum Handlungsspielräume hatte, da er auf äußere Ereignisse reagieren musste, nachdem Napoleon den Kontinent mit Krieg überzogen hatte. Die Klimax dieser Phase beginnt mit dem Angriff der Grande Armée auf Russland und ist erreicht mit dem Brand von Smolensk und schließlich von Moskau. Die politische Krise, die umfassender war als die rein militärische Komponente und auf beiden Seiten einer Katastrophe glich, überlagerte und verstärkte sich mit einer persönlichen Krise. 1812 fürchtete Alexander um sein Leben.

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Fazit

Im Zentrum der Untersuchung dieses Konversionserlebnisses steht eine Analyse der Verbalisierungsstrategie des Nicht-Sagbaren – die Konversionserzählung. Analog zu dieser Erzählung lässt sich auch die russische Europapolitik in drei Phasen gliedern – eine „Zeit davor“, den „Wendepunkt“ und die „Zeit danach“. Für die „Zeit davor“ lassen sich folgende generalisierte Aussagen treffen: Das kontinuierlich formulierte Ziel der russischen Politik sollte die Herstellung eines Zustands allgemeinen Friedens sein. Bedingt durch die Auseinandersetzung mit Frankreich galten die konzeptionellen Anstrengungen des Zaren der Frage, wie man Revolutionen in Europa verhindern könne, da er in ihnen die Hauptgefahr für einen stabilen europäischen Friedenszustand erkannte. Der „Mensch auf dem Thron“ schätzte die Bedeutung ‚vernünftiger‘ (der immer wieder fallende Begriff ist ‚sage‘) Verfassungen derart groß ein, dass er in ihnen ein probates Mittel zur Ursachenbekämpfung von Revolutionen sah. Auch in der Zukunft sollte sich diese Einschätzung nicht wesentlich wandeln. Dass es dem Zaren durchaus ernst war mit der Einführung von Verfassungen, belegen die Beispiele der Arbeit des Leiters der Gesetzgebungskommission für Russland, Rosenkampf, und die Verfassungsentwürfe des Vizekönigs der Ionischen Inseln, Mocenigo, ebenso wie die Verfassungen in Finnland und Kongresspolen. Eine weitere Konstante im politischen Denken des Zaren war noch grundsätzlicher. Für den Ausbruch von Kriegen in Europa waren in Alexanders Augen strukturelle Gründe maßgeblich, die im Fehlen eines verbindlichen Rechtsrahmens in den internationalen Beziehungen zu suchen waren. Solange die Grenzen von Staaten verhandelbar waren und damit in letzter Konsequenz ihre Existenz zur Disposition stehen konnte, konnte das internationale System selbst jederzeit zu einer Quelle von Kriegen werden. Hier setzten Überlegungen an, die mit der London-Mission des Sondergesandten Novosil’cev konkretisiert wurden: Territoriale Integrität sollte zur notwendigen Bedingung einer stabilen europäischen Ordnung werden. Der „Wendepunkt“ ist in der analogen Betrachtung viel eher eine WendePhase, die mit der Niederlage bei Austerlitz ihren Anfang nahm und sich symbolisch in Tilsit verdichtete, da sich nun gezeigt hatte, dass mit Napoleon kein bilateraler Frieden möglich war, geschweige denn ein stabiler gesamteuropäischer Frieden. In der Folge war diese Phase gänzlich durch den Konflikt mit Napoleon gezeichnet. Nach dem Ende der Krisenzeit, das mit dem Sieg über die napoleonische Armee an der Grenze Russlands eingeleitet wurde, begann eine Phase der aktiven außenpolitischen Gestaltung, gewissermaßen die „Zeit danach“. In dieser Epoche der erneuten Umwälzungen von vermeintlich nicht hinterfragbaren Gewissheiten haben sich die drei Einflussgruppen amalgamiert zu einer religiös motivierten und fundierten Europa-Konzeption. Leitmotiv blieb hier, wie auch in den anderen Phasen, die Ausrichtung auf Frieden – die „tranquillité générale“ – als oberstes Gut in Europa. Hier hat sich die Idee der territorialen Bestandsgarantie aller Staaten, entwickelt bereits 1804, mit einem politischen Organisationsplan verbunden, wie er im Umfeld der europäischen Neuordnung von Paris und Wien 1814/15 entworfen worden war.

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Die Heilige Allianz fügt sich in dieses Konstrukt als elementarer Baustein der europäischen Friedensordnung ein. Sie bündelt gewissermaßen die Richtlinien und die Fluchtpunkte der russischen Politik. Alexander I. hat ein erstaunlich kohärentes Europa-Konzept vor Augen gehabt und seit seiner Inthronisation verfolgt. Grundzüge dieses Konzeptes, das als Fundament seiner Politik zu sehen ist, sind bereits in der Frühphase seiner Regierungszeit entwickelt worden und haben sich in der Londoner Mission Novosil’cevs 1804 manifestiert. Aachen schließlich vollendete das europäische Friedensgebäude des Zaren. Als Fundament von Religion und Moral war die Heilige Allianz geschlossen worden, auf diesem Fundament stand das Gebäude aus Wiener Schlussakte und der Quadrupelallianz. Aachen setzte nun das allegorische Dach auf diese Mauern.3 Dieses Gebäude sollte sich aus den verbindlichen Verträgen zusammensetzen. Die „Alliance générale“ als alle Staaten umfassende Vereinigung zur Sicherung des Friedens in Europa war damit konstituiert. Ihre grundlegende Struktur bestand aus dem Ensemble der Verträge von 1814/15 und 1818. Die Heilige Allianz nahm als Vertrag in diesem Ensemble eine Sonderstellung ein. Aus ihr folgten keine konkreten Ordnungsprinzipien, sie regelte das staatliche Miteinander in Europa nicht. Aber sie sollte das Bindemittel sein, das Europa auf eine friedliche Politik festlegte. Was in den Entwürfen für eine erneuerte Ordnung Europas, zu der an zentraler Stelle die Heilige Allianz gehört, festgehalten wurde, markiert in der Terminologie des Soziologen Alfred Schütz den Entwurf, an dem das Handeln als zielgerichtetes Verhalten orientiert werden sollte. Aus der Erkenntnis, dass Staaten die grundlegenden Einheiten Europas waren, folgte: Das politische Kernelement der europäischen Architektur war ein kollektives Sicherheitssystem, das die territoriale Unversehrtheit der Staaten garantieren sollte. Um dies aufrecht zu erhalten, mussten die strukturierenden Verträge einen sakrosankten Charakter zugeschrieben bekommen. Dieses System war in der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und ihrem gewaltsamen Export entstanden. Es sollte sich in der Nachkriegsära zeigen, dass auch andere Revolutionen sich nicht an staatliche Grenzen hielten, sondern auf andere Staaten übergriffen, so wie es 1820 zu beobachten war. Die lokal auf Cádiz begrenzte Meuterei wuchs sich zu einer Revolution aus, die ihren Weg bis in das südliche Italien fand. Gleichzeitig kam es zu revolutionären Aufständen in Griechenland. Revolutionen hatten für den Zaren daher immer eine aggressive Komponente. Sie mussten sich zwangsläufig nach außen wenden und bildeten somit die Hauptgefahr für den europäischen Frieden. Gerade die Griechische Frage erwies sich als die Probe aufs Exempel für die propagierte Selbstverpflichtung des Zaren. An ihr lässt sich nachweisen, wie ernst Alexander seine eigenen Aussagen genommen hat. Hier waren russische „Interessen“ im Kern durch massive Beeinträchtigungen des Handels betroffen, gleichzeitig befand sich Sankt Petersburg in der vertraglich definierten Rolle einer Schutzmacht für die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich. Und nicht zu3

Vgl. Nesselrode an Pozzo di Borgo, 25.1./6.2.1819, in: SIRIO 127, 1908, 25 f.

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Fazit

letzt schien der Augenblick günstig, territorial zu expandieren. Dennoch ist Alexander in geradezu erstaunlichem Umfang dem Prinzip treu geblieben, kollektiven Maßnahmen den absoluten Vorrang vor einem interventionistischen Alleingang einzuräumen. Erst kurz vor seinem Tod 1825 ließ er Armeen mobilisieren und an den Grenzen zum Osmanischen Reich aufmarschieren. Alexanders Religiosität wurde in der Zeit nach 1812 nicht nur für sein Privatleben handlungsleitend, vielmehr übertrug er den Kern der Glaubensinhalte auf das Feld der internationalen Beziehungen. Eine solche Übertragung ist in politikund religionswissenschaftlichen Studien mit Blick auf gegenwärtige Phänomene durch den Begriff des religiösen Fundamentalismus eingefangen worden. Man kann im Falle des Zaren mit einiger Berechtigung von einer Art religiösem Fundamentalismus sprechen, der insofern vergleichbar mit aktuellen Fundamentalismen ist, als er einen Reflex auf Modernisierungsprozesse – hier auf die Aufklärung – darstellt und Abwehrstrategien gegen bestimmte Aspekte der Moderne bereitstellt. Ähnlich den aktuellen Fundamentalismen werden hier religiöse Inhalte zu einer Ideologie transformiert, die sodann handlungsleitend für nicht-religiöse Bereiche wird. Auch die Ausrichtung auf Endzeiterwartungen und der propagierte Ausweg durch Festlegen auf religiöse Praktiken, sind vergleichbare Züge.4 Wie moderne Fundamentalisten hatte Alexander seine Religiosität nicht mit der Muttermilch aufgenommen. Seine Erziehung und die früheren Jahre weisen ihn eher als glaubensfern aus. Daher ist es erklärungsbedürftig, wie und warum er während der Krisenzeit, für die 1812 gleichsam als Chiffre steht, zu einem ausgeprägten pietistisch orientierten Glauben finden konnte. Hier hat das in Anlehnung an Alfred Schütz und Thomas Luckmann entwickelte konstruktivistische Konzept der „Erfahrung“ den Horizont für Einflussfaktoren und ihre Verarbeitung eröffnet und es erlaubt, sich dem Glaubenswechsel des Zaren auch aus religionssoziologischer Perspektive zu nähern. Die französische Invasion und ihr Höhepunkt „1812“ haben den lebensweltlichen Wissensvorrat des Zaren derart durchbrochen, dass Alexander hier eine „Erfahrung großer Transzendenz“ erlebte, die die Strukturen seiner Lebenswelt ad profundum erschütterten. Die hieraus resultierende Orientierungslosigkeit, in der die eingeübten Verhaltensmuster wirkungslos waren und die auch als interpersonelle Krise – als Krise im Gefüge von Bezugsgruppen – wahrgenommen wurde, konnte erst durch die Konversion verarbeitet werden. Das vertraute Sozialgefüge war zusammengebrochen und Alexander war als „Suchender“ offen für neue Interpretationsangebote und Gruppen von signifikanten Anderen. Da er in dieser Zeit in engen Kontakt mit Personen wie dem Schriftsteller JungStillung und der Mystikerin Juliane von Krüdener kam, die einer mystizistischen Erweckungstheologie zugerechnet werden können, und seine Lektüre um ähnlich

4

Dies sind die Kernelemente bei Martin Riesebrodt, Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung. Amerikanische Protestanten (1910–1928) und iranische Schiiten (1961– 1979) im Vergleich. Tübingen 1990 und Stolz, Fritz/Merten, Victor (Hrsg.), Zukunftsperspektiven des Fundamentalismus. Freiburg i.Ü. 1991. Vgl. auch Günter Hole, Fanatismus. Freiburg i. Br. 1995, 32–68.

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orientierte Autoren, beispielsweise den Gegenaufklärer Karl von Eckartshausen, kreiste, war es nur ein kleiner Schritt hin zur Aufnahme in diese Gruppe. Dort fand Alexander zum einen einen Kreis, der ihn als Person aufnahm. Der intensive Austausch innerhalb dieser neuen Bezugsgruppe generierte und garantierte zum anderen die Echtheit der religiösen Erfahrung und trug somit zum Aufbau eines neuen und abermals stabilen Wissensvorrats bei. Vor diesem Hintergrund erfährt die Heilige Allianz als zentrale Objektivation der europabezogenen Handlungsentwürfe eine herausragende Relevanz. Gleichzeitig konnte durch den Beitritt der europäischen Staaten der Schritt vollzogen werden, der als „Kongruenz der Relevanzsysteme“ dafür sorgte, dass Handlungen und Begründungen als vergleichbar bedeutsam angesehen werden. Mit diesem Vertrag war auch in der Welt der internationalen Beziehungen gewissermaßen die Innenperspektive verlassen worden. Auf dieser Ebene ist das Dokument der Heiligen Allianz das systematische Äquivalent zur Konversionserzählung. Zum anderen bot die neue Gruppe einen Vorrat an Weltdeutungsmustern, die im Anschluss an die erfolgte Konversion das Erleben des Krieges in einen heilsgeschichtlichen Kontext einbetteten. Aus der Erwartung der Endzeit wurde – ganz in pietistischer Tradition – eine Pflicht zur diesseitigen Arbeit an der ewigen jenseitigen Glückseligkeit abgeleitet. Die Apokalypse hatte sich am Horizont gezeigt, der Leibhaftige selber war als „genie du mal“ in der Welt zu beobachten. Mit Revolutionen, die Staaten wie Krankheiten befielen, arbeitete er auf den Untergang hin, verkörpert im Exponenten der Revolutionen: Napoleon. Dass nach dessen Verbannung noch keine Ruhe in Europa eingekehrt war und nur wenige Jahre später bereits weitere Revolutionen ausbrachen, zeigten dem Zaren, dass das „genie du mal“ weiterhin in der Welt als reale und amorphe Gefahr existierte, die jederzeit wieder Gestalt annehmen konnte. Insofern waren die beiden leitenden russischen Maximen, Vertragstreue und kollektives Handeln, in einem doppelten Sinne begründet. Sie stammten einerseits aus der Einsicht, dass es funktional notwendig war, das System der europäischen Politik entsprechend zu verändern. Andererseits ließen sich beide Elemente auch aus der religiösen Einsicht generieren. Insofern ist 1812 tatsächlich das Bindeglied zwischen diesen beiden Strängen. Die religiöse Weltsicht fand ihre Entsprechung in der politischen Ordnungsvorstellung des Zaren. Eines der signifikanten Mittel der napoleonischen Politik war die konsequente Nichtbeachtung von geschlossenen Verträgen. Entsprechend musste das neue System auf die Unverletzlichkeit von Verträgen bauen. Normen, verstanden als Erwartungen angemessenen Verhaltens, sind somit ein Derivat von Erfahrungen. Durch Aufladen mit Sinn werden Ereignisse zu Erlebnissen. Deren Auslegung und Verarbeitung ist „Erfahrung“. Mit der Erfahrung passieren zwei Dinge: Sie wird – erstens – zu Wissen und wirkt dadurch – zweitens – handlungsleitend, indem der ihr hinterlegte Sinn als Handlungsentwurf auf die Zukunft gerichtet ist. Und da Erfahrung sich eben nicht ausschließlich im Inneren eines Akteurs abspielt, sondern eine gesellschaftliche Komponente hat, verbürgt die Kommunikation der Deutungen, dass der Sinn intersubjektiv verstanden werden kann. Werden die entstandenen Entwürfe auf andere Akteure bezogen und

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Fazit

schließen diese mit ein, so spricht Thomas Luckmann von „soziale[m] Handeln in konkreter Intersubjektivität“.5 Und das bezeichnet nichts anderes als eine Norm. Nicht ohne Ambivalenzen bleibt die Antwort auf die Frage nach dem Erfolg und der Wirkmächtigkeit der Heiligen Allianz. Als elementarer Bestandteil der neuen politischen Ordnung Europas, die der Zar im Sinn hatte, war sie von eminenter Bedeutung, da sich in ihr die Leitlinien der Politik und ihre Begründung trafen. Und immerhin war die Zeit nach 1815 bis zum Tod Alexanders ohne kriegerische Auseinandersetzungen zwischen europäischen Staaten ausgekommen. Die Heilige Allianz stieß dennoch an Grenzen: Aus der Tatsache, dass alle Herrscher Europas nominell christlich waren – und entsprechende Bezeichnungen trugen –, folgte entgegen der Annahmen Alexanders nicht, dass sie notwendigerweise zu den gleichen Einsichten kommen müssten. Die Heilige Allianz war von konstitutiver Bedeutung für das europäische Mächtekonzert, solange Alexander als ihr Motor fungieren konnte. Gleichzeitig wies sie in ihrem Anspruch weit über das Konzert hinaus. Für den Zaren jedoch bedeutete sie die religiöse Garantie des neuen europäischen Systems – „la garantie religieuse du noveau système européen“.6

5

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Thomas Luckmann, Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation, in: ders.: Lebenswelt und Gesellschaft. Grundstrukturen und geschichtliche Wahrnehmung. Paderborn u. a. 1980, 93–121, hier 106. Aperçu, in: GARF, f. 728, op. 1, d. 685, 15=11r.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. UNGEDRUCKTE QUELLEN Archiv Vnešnej Politiki Rossii, Moskau (AVPRI) f. 133 f. 161 f. 190 f. 288 Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, Moskau (GARF) f. 553 f. 573 f. 663 f. 679 f. 728 f. 729 f. 768 f. 967 f. 1126 f. 1717 Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Drevnich Aktov, Moskau (RGADA) f. 1 f. 3 f. 15 Unitätsarchiv Herrnhut, R.7.D.I.b.3.a. Diarum der Gemeinde Gnadenfrei

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beihefte

Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben e. V. herausgegeben von Jürgen Elvert. Wissenschaftlicher Beirat: Winfried Baumgart, Michael Kißener, Ulrich Lappenküper, Ursula Lehmkuhl, Bea Lundt, Christoph Marx, Jutta Nowosadtko, Johannes Paulmann, ­Wolfram Pyta, Wolfgang Schmale, Reinhard Zöllner.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0939–5385

16. Jürgen Elvert (Hg.) Der Balkan Eine Europäische Krisenregion in Geschichte und Gegenwart 1997. 367 S., kt. ISBN 978-3-515-07016-4 17. Jens Hohensee Der erste Ölpreisschock 1973/74 Die politischen und gesellschaftlichen ­Auswirkungen der arabischen Erdöl­politik auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa 1996. 324 S., 13 Tab., kt. ISBN 978-3-515-06859-8 18. Jürgen von Ungern-Sternberg / Wolfgang von Ungern-Sternberg Der Aufruf „An die Kulturwelt!“ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg 1996. 247 S. mit 13 Abb., kt. ISBN 978-3-515-06890-1 19. Armin Heinen Saarjahre Politik und Wirtschaft im Saarland ­ 1945–1955 1996. 603 S. mit zahlr. Abb., geb. ISBN 978-3-515-06843-7 20. Arnd Bauerkämper (Hg.) „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und ­Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone 1996. 230 S., kt. ISBN 978-3-515-06994-6 21. Stephan Lippert Felix Fürst Schwarzenberg Eine politische Biographie 1998. 446 S., geb. ISBN 978-3-515-06923-6 22. Martin Kerkhoff Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Saarfrage 1945 ­ bis 1954 1996. 251 S., kt.

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moderne. Festschrift für Thomas StammKuhlmann 2013. 372 S. mit 12 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10423-4 85. Ralph L. Dietl Equal Security Europe and the SALT Process, 1969–1976 2013. 251 S., kt. ISBN 978-3-515-10453-1 86. Matthias Stickler (Hg.) Jenseits von Aufrechnung und Verdrängung Neue Forschungen zu Flucht, Vertreibung und Vertriebenenintegration 2014. 204 S., kt. ISBN 978-3-515-10749-5

Die „Heilige Allianz“ ist ein Unikat in der Geschichte der internationalen Beziehungen: Sie sollte das Verhältnis der europäischen Mächte auf der Grundlage christlicher Werte neu regeln. Dieses stark religiös geprägte Dokument ist integraler Bestandteil der in Wien und Paris 1814/15 ausgehandelten Nachkriegsordnung für Europa und keinesfalls nur ein Instrument zur Unterdrückung liberaler Tendenzen, wie es häufig heißt. In der Heiligen Allianz finden sich die Richtlinien einer künftigen Friedenspolitik Zar Alexanders, die auch für alle anderen Monarchen Europas gelten sollten. In dieser Studie untersucht Philipp Menger neben der Genese der Allianz und ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund auch das persönliche Umfeld und die verschiedenen Einflüsse auf den Zaren. Dem Jahr 1812 kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. Erstmalig wird das Konversionserlebnis des Zaren systematisch in kulturgeschichtlicher Herangehensweise betrachtet und seine herausragende Bedeutung für die Außenpolitik Alexanders I. herausgearbeitet. Somit gewinnt Religion als Analysekategorie für die Geschichte der Internationalen Beziehungen an Bedeutung. Der Autor nimmt hiermit eine grundlegende Neubewertung der Heiligen Allianz vor.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10811-9