Die große Unmöglichkeit: Karl Barths Abweisung der Judenmission [1 ed.] 9783788734787, 9783788734763


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Die große Unmöglichkeit: Karl Barths Abweisung der Judenmission [1 ed.]
 9783788734787, 9783788734763

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Stefanie Sippel

FORSCHUNGEN ZUR REFORMIERTEN THEOLOGIE

10 Die große Unmöglichkeit KARL BARTHS ABWEISUNG DER JUDENMISSION

Forschungen zur Reformierten Theologie

Herausgegeben von Marco Hofheinz, Michael Weinrich und Georg Plasger Band 10

Stefanie Sippel

Die große Unmöglichkeit Karl Barths Abweisung der Judenmission

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9287 ISBN 978-3-7887-3478-7

Für Hannah und Jesaja

Vorwort Eine Haltung wie diese erlebte ich in Universität und Kirche als die Mehrheitsmeinung: „Lassen wir die Juden mit der Mission, die uns ohnehin nicht liegt, in Ruhe und versuchen wir, ihnen die Hand zu reichen, um Frieden zu schließen.“ Wenngleich mich das emotional überzeugte, empfand ich es als Theologin stets unbefriedigend, das christlich-jüdische Verhältnis mit Sympathien und Schuldgefühlen zu bauen. Ohne überzeugende theologische Argumente gegen die Judenmission wollte ich nicht dauerhaft auskommen müssen. Für mich wurde schließlich die Bearbeitung von Barths Auseinandersetzung mit der Judenmission der Durchbruch in meinem Ringen um diese Frage. Barths Ablehnung der Judenmission ist begründet in seiner Überzeugung, dass sie aus theologischen Gründen unmöglich ist. Da eine einzelne Aussage bei Barth nicht losgelöst von seiner gesamten Theologie bleibt, sondern in ihr wurzelt und sich ihrerseits auf jene auswirkt, hat sich auch meine ganze Theologie im Laufe der Jahre völlig verändert. Mit Karl Barths Überlegungen zu der Frage liegt eine theologische Argumentation vor, mit der die Missionierung von Menschen jüdischen Glaubens endgültig aufgegeben werden kann. Jetzt wünsche ich mir eine Kirche, die dem Verhältnis zum Judentum einen noch höheren Stellenwert einräumt. Ich danke Prof. em. Dr. Dr. h.c. Michael Weinrich und Prof. Dr. Georg Plasger für die umfangreiche und sehr interessierte und unterstützende Betreuung meiner Arbeit als Gutachter. Es war für mich von unschätzbarem Wert, von zwei führenden Barthforschern Feedback zu meinen Überlegungen zu bekommen und mir auf diese Weise im Verlauf der Gesprächsgänge einen verlässlichen Eindruck von Barths Denken zu verschaffen. Ebenfalls in dankbarer Erinnerung habe ich meine Lehrer*innen am Christian-vonDohm-Gymnasium in Goslar, die in welchem Fach auch immer die Zeit des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung zum Thema machten. Dieses Lernen nach Auschwitz hat mir eine Perspektive auf das Leben gegeben hat, die ich nicht missen möchte. Das vorliegende Buch entspricht meiner Dissertationsschrift mit demselben Titel, die im Juli 2019 von der Universität Siegen angenommen wurde. Ich danke Miriam Espenhain vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die aufmerksame und verbindliche Zusammenarbeit. Die Veröffentlichung dieses Buches wurde unterstützt durch großzügige Druckkostenzuschüsse der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Karl-Barth-Gesellschaft.

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Vorwort

Gewidmet ist dieses Buch meinen Kindern Hannah und Jesaja, verbunden mit der Hoffnung, dass sie meine Leidenschaft für die Theologie teilen werden. Berlin, in der Osterzeit 2020

Stefanie Sippel

Inhalt

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Forschungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Judenmission am Beginn des 21. Jahrhunderts . . . . . . . 1.4 Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth . . . . . . . . 1.5 Hinweise zur Verwendung zentraler Begriffe . . . . . . . .

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2 Karl Barths Missionsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Lehre von der Heidenmission . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Mission im Rahmen der Schöpfungslehre: §55 Freiheit zum Leben, 3. Das tätige Leben (in Auszügen) . . . . . 2.1.3 Mission im Rahmen der Versöhnungslehre: §72 Der Heilige Geist und die Sendung der christlichen Gemeinde, 4. Der Dienst der Gemeinde (in Auszügen) . 2.1.4 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Barth und die Judenmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Exkurs zur Judenmission . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Barths Äußerungen zur Judenmission außerhalb des Judenmissionsexkurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Die Rezeption des Judenmissionsexkurses in der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre 3.1 Das Evangelium und der Gott des Evangeliums . . . . . . . 3.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Erwählung ist die Summe des Evangeliums . . 3.1.3 Die Definition des Evangeliums . . . . . . . . . . . 3.1.4 Der erwählende Gott ist der Gott des Evangeliums . 3.1.5 Das Verhältnis von Erwählungslehre und Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Das Kreuz ist ein notwendiger Bestandteil der Erwählungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.7 Gott sagt zum Menschen nur Ja . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Das Verhältnis von Ja und Nein in der Gnadenwahl . . . Die Erwählung des Menschen in der Person Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.10 Gottes Anspruch in seiner Wahl . . . . . . . . . . . . . . 3.1.11 Keine Aufhebung der jüdischen Erwählung . . . . . . . . 3.1.12 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche . . . . . . . . 3.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Gott erwählt die Gemeinde aus Israel und Kirche zur Darstellung seines Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Das Zeugnis Israels und der Kirche . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Das Verhältnis des Zeugnisses des Gerichts zur jüdischen Ablehnung von Jesus Christus . . . . . . . . . 3.2.5 Die spezifisch jüdische und die spezifisch christliche Sünde gegen die Erwählung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Die Verstockung als Erklärung des jüdischen Unglaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7 Der gemeinsame Auftrag zum Zeugnis erfordert das christliche Bekenntnis zur Einheit der Gemeinde . . . . . 3.2.8 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Erwählung der Juden und Christen in die Gemeinde . . . . 3.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die besondere Erwählung der Juden . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die Stellung der Juden als Vermittelnde der Erwählung und die Erwählung der Christen . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Die Erwählung von Juden und Christen erklärt anhand des Gleichnisses vom Ölbaum . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Juden und Christen stehen in dem einen Bund zwischen Gott und den Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Israel und Kirche: Israel als Synagoge und Kirche . . . . 3.3.7 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.8 3.1.9

4 Karl Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Den Juden wird das ganze Evangelium offenbart . . . . . . . 4.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Das Evangelium im Alten und im Neuen Testament . 4.1.3 Evangelium und Gesetz im Alten Testament . . . . . 4.1.4 Der Immanuel als der Gott des Evangeliums . . . . . 4.1.5 Evangelium und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Die Offenbarung als ein Geschehen in Jesus Christus 4.1.7 Der Name ist Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8 Offenbarung setzt Fleischwerdung voraus . . . . . . . 4.1.9 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.2 Der Antisemitismus als die spezifisch christliche Sünde . . . . 4.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Barths Antisemitismusbegriff . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Barths Verwendung ähnlicher Begriffe: Aversionen, Philosemitismus, christlicher Antisemitismus, Eifer, Antijudaismus und jüdischer Antisemitismus . . . . . 4.2.4 Antisemitismus und Nationalsozialismus . . . . . . . . 4.2.5 Antisemitismus und Ökumene . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche 4.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Juden als Gottes Eigentum . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Juden als Offenbarung des göttlichen Heils . . . . . 4.3.4 Barths Haltung zum Staat Israel . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Über das Taufen von Juden . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Jüdische Teilnahme am Abendmahl . . . . . . . . . . . 4.3.7 Messianisches Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.8 Kapitelschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Fazit: Die Kirche ist konfrontiert mit einem neuen Verständnis von Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6 Literatur . . . . . . . 6.1 Primärliteratur . 6.2 Sekundärliteratur 6.3 Internetquellen .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

1 Einleitung 1.1 Das Forschungsvorhaben Diese Arbeit untersucht die Haltung des Theologen Karl Barth zur Judenmission. Dabei stellt sich die Frage, ob es ergiebig ist, sich in einer systematisch-theologischen Arbeit erneut mit Barths Israeltheologie auseinanderzusetzen, weil Barth bereits zu seinem Verhältnis zum Judentum, zu seiner Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel und sogar zu seiner Haltung zur Judenmission untersucht worden ist.1 Die jüdisch-christlichen Beziehungen und das christliche Selbstverständnis gegenüber den Juden haben sich seit der Wirkungszeit Barths, der schon vor und während Auschwitz geschrieben hat, verändert.2 Seine Schriften sind unbeeinflusst von den späteren Entwicklungen in der evangelischen Theologie durch die Erfahrungen mit dem jüdisch-christlichen Dialog. Nach Michael Weinrichs Verständnis der ,Theologie nach Auschwitz‘ kann Barth schon vor Auschwitz eine Theologie nach Auschwitz gelehrt haben, weil es um die Haltung geht, aus der Theologie getrieben wird. Weinrich erklärt dazu: „Es geht nicht um eine Funktionalisierung oder gar Theologisierung von Auschwitz, wohl aber um die kategorische Mahnung, dass die Theologie ihre Bezogenheit auf Israel und somit die Juden nicht wieder aus den Augen verlieren darf.“3 1 Der Begriff ,Israeltheologie‘ bietet sich aufgrund seiner Kürze an, erweckt aber im Falle Barths den falschen Eindruck, als gebe es einen regulären Ort in der Theologie, an dem Israel gebündelt behandelt wird. Barth hat vielmehr Israel stets mitbedacht, so dass höchstens seine Theologie als Ganze Israeltheologie zu nennen wäre. Deshalb verwende ich Umschreibungen wie ,Theologie, insofern sie nach Israel fragt‘. 2 In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte sich in der jüdischen und christlichen Theologie das Bewusstsein, dass der Genozid an den Juden die Theologie derart erschüttert hat, dass sie sich im Lichte der Shoah einer Selbstprüfung zu unterziehen habe. Dabei stand die Frage nach der Theodizee, also nach der Möglichkeit des Glaubens an einen allmächtigen Gott angesichts des unermesslichen menschlichen Leides, im Vordergrund. In der christlichen Theologie stellt sich zusätzlich die Frage nach Neuorientierung für eine Theologie, die das Aufkommen des Antisemitismus ermöglicht hat. Insofern ist die Theologie nach Auschwitz bzw. die Holocaust-Theologie, wie sie auch genannt wird, weniger zeitlich als inhaltlich zu verstehen als eine Theologie, die sich auseinandersetzt mit den Folgen der Shoah, wie sie im Konzentrationslager Auschwitz und an anderen Orten stattgefunden hat. Vgl. Moltmann, Jürgen: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. 9. Aufl. Gütersloh: 2007 und Metz, Johann Baptist: Kirche nach Auschwitz. Hamburg: 1993. 3 S. Weinrich, Michael: „Dogmatik und christlich-jüdisches Gespräch“. In: Lernen auf Zukunft hin. Einsichten des christlich-jüdischen Gesprächs – 25 Jahre „Studium in Israel“. Im Auftrag des Arbeitskreises von „Studium in Israel e. V.“ herausg. von Katja Kriener und Bernd Schröder in Verbindung mit Ernst Michael Dörrfuß. Neukirchen-Vluyn: 2004. 102.

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Einleitung

In der Forschung überwiegt die Kritik an Barths Äußerungen über die Juden, und es herrscht scheinbar eine Einigkeit darin, dass Barths Lehre aufgrund wesentlicher Defizite einer erheblichen Ergänzung und Korrektur bedürfe.4 Auch die gängigen knappen, beiläufigen Kommentare ohne Belege oder Argumente zu Barths Rolle in der innerkirchlichen Auseinandersetzung während der Nazi-Diktatur und zu seiner Haltung zum Thema Israel erwecken den Eindruck, es gäbe in der Forschung einen Konsens darüber, dass Barth antijüdisch gewesen ist.5 Dennoch vertritt Weinrich die Auffassung, dass Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, – vor allem in der Erwählungslehre und in der Bundestheologie – erst zu einem Teil wahrgenommen worden ist.6 Dafür spricht die Tatsache, dass die Beschäftigung mit dem Thema ,Israel bei Barth‘ nicht abreißt.7 Es stellt sich außerdem die Frage, wie es möglich sein kann, dass trotz 4 Friedrich-Wilhelm Marquardt, Bertold Klappert, Katherine Sonderegger, Mark Lindsay und Robert Brandau haben Monographien zum Thema vorgelegt, in denen sich die Überzeugung finden lässt, dass Barth weitestgehend kritisch eingestellt gewesen ist sowohl gegenüber der Judenmission als auch dem Antisemitismus, während seine Christologie sich aus heutiger Sicht als israelvergessen darstellt. Marquardt kritisiert insbesondere Barths beleidigenden Umgang mit jüdischen Zeitgenossen und Lindsay bedauert dessen Versäumnis, sich theologisch vom Zeitgeschehen prägen zu lassen. Klappert, Sonderegger und Brandau gehen einen Schritt weiter und greifen Barths vermeintlich antijudaistische Christologie an. Vgl. Marquardt, FriedrichWilhelm: Die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie. Israel im Denken Karl Barths. ACJD 1. München: 1967; Klappert, Bertold: Israel und die Kirche. Erwägungen zur Israellehre Karl Barths. TEH 207. München: 1980; Sonderegger, Katherine: That Jesus Christ Was Born A Jew. Karl Barth’s „Doctrine of Israel“. Pennsylvania: 1992; Lindsay, Mark R.: Covenanted solidarity. The theological basis of Karl Barth’s opposition to Nazi antisemitism and the Holocaust. Issues in Systematic Theology 9. New York: 2001 und Brandau, Robert: Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission. Die Judenmission als theologisches Problem. Neukirchen-Vluyn: 2006. Vgl. für einen weiteren Überblick über den Stand der Forschung 1.4. 5 Vgl. z. B. Wengst, Klaus: Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels. Stuttgart: 2014. 70 ff. 6 Vgl. Weinrich, Michael: „Immer noch Karl Barth? Eine hinführende Rechenschaft“. In: ders.: Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie. FSÖTh 139. Göttingen: 2013. 34. Sie sei „teilweise in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt“. S. Weinrich, Michael: „Karl Barths politische und ökumenische Zeitgenossenschaft“. In: ders.: Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie. FSÖTh 139. Göttingen: 2013. 327. Diese Haltung bekräftigt er in Karl Barth. Leben – Werk – Wirkung. Göttingen: 2019. 456–459. 7 Das Themenheft „Das Heil ist aus den Juden. Israel und die Kirche bei Karl Barth“ in der Zeitschrift für Dialektische Theologie fasst die Vorträge einer Tagung in De Glind im Jahr 2016 zusammen. Reeling Brouwer verspricht in seiner Einleitung indirekt Fortschritte, indem er eine Verlagerung der Besprechung Barths auf ein höheres Niveau ankündigt. Vgl. Reeling Brouwer, Rinse H.: „Einleitung“. In: ZDT 33 (2017). 10. Aber keiner der Vortragenden löst sich von den bekannten Urteilen. Veen resümiert: „Karl Barth versuchte den Antisemitismus zu bekämpfen, aber er wurde dabei durch eine antijüdische Christologie gehindert. […] Glücklicherweise hat er Schüler gehabt, die das schärfer und besser gesehen haben als er selbst.“ S. Veen, Wilken: „Der historische und politische Kontext von Barths Israelparagraph in KD II/2“. In: ZDT 33 (2017). 30. Und ten Boom bleibt nach dem Lesen der Erwählungslehre bzw. des §34 „als ein etwas entfremdeter Mann zurück wegen der völligen Souveränität, mit der Barth Israel und die Synagoge

Das Forschungsvorhaben

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allem einzelne Theologen wie Eberhard Busch, Alois Baier und Michael Weinrich zu Israel bei Barth gearbeitet haben und Barths Theologie dennoch als Ganzes akzeptiert haben. Es bleibt schließlich ein Widerspruch zwischen der verbreiteten, massiven Kritik an Barths Darstellung von Israel und der Tatsache, dass Barth als erster innerhalb einer christlichen Dogmatik die Judenmission explizit und ausführlich thematisiert und dabei vehement abgelehnt hat.8 Diese Spannung soll aufgelöst werden, indem die deutliche Positionierung Barths zur Judenmission zum Ausgangspunkt und Maßstab des Fragens erklärt und aus dieser Perspektive die Kirchliche Dogmatik untersucht wird. Die zur Judenmission vorliegenden Ausführungen erscheinen mir so radikal, als wären sie ein Zugang zu Barths Haltung zu Israel im Allgemeinen bzw. als hinge seine theologische Glaubwürdigkeit geradezu davon ab, ob er diese Haltung im Ganzen durchzuhalten vermag.9 Robert Raphael Geis hat einmal formuliert, dass die Frage nach der Judenmission als die Testfrage an die christliche Theologie verstanden werden könne, weil die beste Israeltheologie ungenügend sei, wenn sie schließlich die Judenmission befürworte.10 Für Geis impliziert die Erwählung eine Vollständigkeit und Endgültigkeit von Gottes Heilshandeln am Menschen, so dass er von christlichen Theologen, die über die bleibende Erwählung Israels schreiben, erwartet, dass sie die Bekehrung von Juden zu Jesus Christus nicht zur Bedingung für Gottes Barmherzigkeit erklären. Die Judenmission basiert auf der Überzeugung, die Offenbarung von Gottes Erlösungshandeln auf den Moment des Lebens und Sterbens Jesu Christi beschränken und den menschlichen Anteil an der Erlösung zur Bedingung setzen zu müssen. In diesem Sinne ist es für mich nicht vorstellbar, dass Barth seine Äußerungen zur Judenmission isoliert von anderen Überzeugungen getroffen hat. Ich habe vor, umgekehrt zu fragen, ob nicht die Theologie eines Menschen, der sich dezidiert gegen die Judenmission ausgesprochen hat, gar nicht so antijüdisch sein kann, wie sie auf eine Mehrheit wirkt. Die Hypothese dieser Arbeit ist, dass Barth schon früh und bis zum Schluss in seiner Kirchlichen Dogmatik (=KD)11 und darüber hinaus in seiner theo-

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ins Dunkel, die Kirche aber ins Licht zu stellen vermag.“ S. Boom, Wessel ten: „Israel: Barths Gegenstimme im liberalen Diskurs“. In: ZDT 33 (2017). 85. Busch bleibt hier der einzige, der um das rechte Verständnis der einen Gemeinde bei Barth wirbt. Vgl. Busch, Eberhard: „Kein Volk außer Israel ist Gottes Volk. Karl Barths Auslegung von Römer 9 bis 11 im Jahr 1940/41“. In: ZDT 33 (2017). 31–47. Dieses wird in Kapitel 2 ausgeführt. Liest man einmal die gesamte Kirchliche Dogmatik aufmerksam zur Frage nach einer möglichen Aufgeschlossenheit Barths zur Judenmission, fällt auf, welche große Rolle Israel spielt. Vgl. Mangina, Joseph L.: Karl Barth. Theologian of Christian Witness. Aldershot: 2004. Mangina nimmt sich für seine systematische Darstellung der Theologie Barths ebenfalls das Gesamtwerk vor und stößt darin häufig auf die Beschäftigung mit Israel. Vgl. Weinrich, Michael: „Jüdisch-christlicher Dialog. A. Aus evangelischer Sicht.“ In: NHThG Neuausg., Bd. 2. München: 2005. 307. Vgl. Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik. Bd. I/1–IV/4. Zürich. 1932–1967. Die Verweise auf

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Einleitung

logischen Arbeit, eine schlüssige und konsistente theologische Ablehnung der Judenmission vertreten hat und die Thesen seines Exkurses seine gesamte Theologie auf glaubwürdige Weise geformt haben. Gefragt wird nach den ursächlichen Grundannahmen für Barths Abweisung der Judenmission, die sich aus der Betrachtung seines Gesamtwerkes erschließen. Mein Gegenstand sind seine sämtlichen Schriften, wobei die KD die wichtigste Quelle darstellt. Hinzu kommen zahlreiche kleinere theologische Dokumente sowie Briefe und Interviews bzw. Gesprächsprotokolle. Diese Arbeit ist kein direkter Beitrag zum Dialog, weil sie nicht über das Judentum nachdenkt und das Verhältnis von Juden und Christen nur am Rande bestimmt. Sie bleibt eine innerevangelische, wissenschaftliche Reflexion zugunsten der Entwicklung des aktuellen deutschen evangelisch-landeskirchlichen Selbstverständnisses. Aus diesem Grund finden sich zwar Beiträge nicht-evangelischer und vor allem jüdischer Theologen, die aber nicht zur generellen Klärung der Position der jeweiligen Konfession bzw. Religion dienen. Nach Barths Auffassung kann es christliche Theologie nur als kohärente Israel zugewandte Haltung geben. In diesem Zusammenhang entwickelt er ein eigenes Konzept der Erwählung und völlig neue Haltungen zu Antisemitismus und Israelkritik, zu Ökumene und Dialog und zu Kirche und Israel als Bundesund Gottesvolk. Das Ziel ist es, Barth so darzustellen, dass seine theologische Haltung gegenüber der Erwählung des Judentums erkennbar wird. Die evangelische Theologie, die diesen Ansatz Barths ernst nähme, würde in ihren Grundfesten erschüttert. Barth wird in der Literatur mit immer denselben Zitaten belegt und für Positionen verurteilt, die Barths Theologie in Gänze nicht reflektieren. Infolgedessen entstehen Missverständnisse, die sich durch eine ausgedehntere Lektüre des Kontextes ausräumen ließen. Die Kritik bleibt häufig hinter seinen eigenen Aussagen zurück. Um dieses zu vermeiden, sind längere Zitate und Literaturreferate vorgesehen. Zur Klärung der Frage nach Brüchen und Entwicklungen bei Barth ist es unumgänglich, sich einen Gesamteindruck zu verschaffen und alle seine Schriften zu untersuchen.12 Der daraus entstehende Nachteil ist es, nicht an jedem Punkt – das betrifft besonders das vierte Kapitel – die mögliche Differenzierung erreichen zu können.

zitierte und wiedergegebene Texte in der KD erfolgen der Übersichtlichkeit halber unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl im laufenden Text. 12 Alle Schriften Barths auf Israel hin zu betrachten hat bislang nur Willem Lambertus Dekker – mit einer anderen Fragestellung – unternommen. Vgl. Dekker, Willem Lambertus: Getuige Israel. Dogmatische en bijbels-theologische studie over de plaats van Israel in het denken van Karl Barth, met name in zijn Kirchliche Dogmatik. Wageningen: 1974.

Der Aufbau der Arbeit

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1.2 Der Aufbau der Arbeit Diese Arbeit umfasst fünf Kapitel, von denen drei den Hauptteil bilden. Nach der Einleitung stellt das zweite Kapitel Barths Missionsverständnis dar. Im ersten Teil dieses Kapitels wird sein Missionsverständnis im Allgemeinen betrachtet. Um zu bewerten, welchen Stellenwert Barths Ablehnung der Judenmission hat, ist es wichtig, herauszufinden, ob er der Mission im Allgemeinen ablehnend gegenüber stand. So kann beurteilt werden, ob die Mission an Juden die Ausnahme einer Regel bildet. Außerdem untersuche ich Barths Missionsbegriff. Wenn klar ist, welche Absicht er darin verfolgt, lässt sich ermessen, welche Motive er für eine potentielle Judenmission haben könnte. Zugleich wird erkennbar, welche Interessen er nicht mit der Mission verbindet und welche insofern für ihn im Rahmen der Frage nach der Judenmission irrelevant sind. Das mag zu Beginn einer solchen Arbeit mühsam sein, einer ausführlichen Darstellung Barths zu einem allgemeinen Thema zu folgen. Es ist jedoch wichtig, weil wesentliche Missverständnisse der Barthkritik in der Ignoranz seines Missionsverständnisses liegen. Im zweiten Teil erörtere ich Barths explizite Äußerungen zur Judenmission. Das dritte Kapitel beschäftigt sich ausschließlich mit der Erwählungslehre in §34 (II/2, 215–336).13 Als das Fundament seiner Theologie, insofern sie nach Israel fragt, wird sie von den meisten diskutiert. Hier wird nach den Konsequenzen der begründeten Ablehnung der Judenmission für Barths Theologie gefragt. §34 ist von seiner Struktur her so angelegt, dass der Eindruck entsteht, Juden würden negativer dargestellt als Christen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Paragraph chronologisch vorgeht und ihm so der Eindruck eines heilsgeschichtlichen Fortschrittsdenkens anhaftet. Barths Argumentation lässt sich nur recht verstehen, wenn man die Choreographie des Paragraphen als einen theoretischen Gedankengang ansieht, bei dem es nicht um Individuen, sondern um Konstrukte geht.14 Ich halte diesen Paragraphen für eine Konstruktion, die sich an Römer 9–11 anlehnt, wo Paulus ausführt, dass Israel nicht verworfen ist, weil es eine Aufgabe hat. In §34 versucht Barth – wie Paulus – Israel eine heilsgeschichtliche Aufgabe und damit eine bleibende 13 Allerdings befasse ich mich nicht mit früheren Varianten der Erwählungslehre bei Barth. Vgl. dazu Gockel, Matthias: Barth and Schleiermacher on the Doctrine of Election. A SystematicTheological Comparison. Oxford: 2006. Takeda Takehisa untersucht zur Erwählungslehre zusätzlich Barths Römerbriefauslegungen und Predigt von 1933 zu Römer 15,5–13. Vgl. Takehisa, Takeda: Israel und die Völker. Die Israel-Lehre des Völkerapostels Paulus in ihrer Bedeutung für uns gojim/ethne-Christen. Ein Weg zur Rezeption Israels als ein Weg zur biblischen Theologie. Berlin: 1981. 98–118. 14 Reinhard Hütter bezeichnet diese spielerische Denkweise passend als die „Zeugnis- und die Darstellungslogik“. S. Hütter, Reinhard: Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis. Interpretationen zu Schlüsselfragen theologischer Ethik in der Gegenwart. Evangelium und Ethik 1. Neukirchen-Vluyn: 1993. 41.

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Einleitung

Bedeutung und Gültigkeit zuzusprechen. Dabei wird Israel schon bei Paulus und dann auch bei Barth so dargestellt, dass in beiden Fällen vordergründig die Kritik steht daran, dass die Rechtfertigung durch Jesus Christus von Juden nicht geglaubt wird. Die komplementäre Anlage, die wohl die Zusammengehörigkeit von Kirche und Israel ausdrücken soll, lässt den falschen Eindruck entstehen, die jüdische Seite würde durch Barth benachteiligt dargestellt. Doch wird sich zeigen, dass die gründliche Lektüre von §34 ausreicht, um einzusehen, dass Barth Israel konsequent in sein theologisches Denken integriert und es in Zuspruch und Anspruch würdigt. Als Binnengliederung wähle ich die Struktur: Evangelium Gottes, Anspruch Gottes und schließlich Zuspruch Gottes.15 In 3.1 wird nach dem jüdischen Zugang zum Inhalt der Mission, dem Evangelium, gefragt. Zwei weitere Punkte behandeln die Frage nach der Rolle der Beteiligten – Gott, Christ und Jude – im Prozess der Entwicklung der Sache. Dabei steht der Anspruch in 3.2 voran, der sich an Juden wie Christen gleichermaßen richtet. Es folgt in 3.3 der Zuspruch, in dem die Juden einen Vorzug vor den Christen genießen. Mein Anliegen ist es, im vierten Kapitel in der Struktur des dritten Kapitels bleibend dieselben Themen erneut aufzugreifen, diese jedoch frei mit Gedankengängen Barths aus anderen Schriften zu betrachten.

1.3 Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Judenmission am Beginn des 21. Jahrhunderts Diese Arbeit untersucht Barths Schriften nach einer fundierten Begründung seiner Ablehnung der Judenmission. Es ist schwer einzuschätzen, wie verbreitet die Judenmission in Deutschland im 21. Jahrhundert ist, weil darüber keine empirische Untersuchung vorliegt, genauso wenig wie ganz allgemein über das Bild des Judentums unter Kirchenmitgliedern. Die gründliche Studie zur Judenfeindschaft von Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz widmet sich nicht explizit den Äußerungen von Menschen innerhalb der evangelischen Kirche.16 Die Selbstverpflichtung der EKD zur Ablehnung der Judenmission entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Juden sind in der gesamten Geschichte der Kirche selbstverständlich missioniert worden. Gemeint ist die bewusste Verkündigung des Evangeliums durch Christen unter 15 Die Aufschlüsselung und Reihenfolge der Begrifflichkeiten in dieser Struktur dienen allein der Argumentation dieser Arbeit, bilden jedoch in diesem Dreischritt nicht Barths Verständnis von Zuspruch und Anspruch im Evangelium ab. 16 Vgl. Schwarz-Friesel, Monika/Reinharz, Jehuda: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Europäisch-Jüdische Studien. Beiträge 7. Berlin: 2013.

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nichtchristlichen Menschen mit dem Ziel, diese in die Kirche zu taufen.17 Das Evangelium steht im Zentrum der Mission, so dass dessen Definition entscheidend für das Missionsverständnis ist. Die Verkündigung des Evangeliums ist die Verheißung der dauerhaften Zuwendung Gottes zum Menschen in Jesus Christus. Judenmission heißt also Nichtanerkennung der Erwählung des Judentums mit dem Ziel, Juden den Glauben an das Evangelium zuzutragen, ihnen die Taufe nahezulegen und sie so zu Mitgliedern der Kirche zu machen. Zentrales Argument für eine Mission unter Juden ist die Betonung des Missionsbefehls als biblischem Auftrag, alle Menschen zu missionieren und dabei die Juden als die Protagonisten des neutestamentlichen Zeugnisses nicht auszuschließen. Für die Ablehnung der Judenmission ist zwischen mehreren Gründen zu unterscheiden, zu denen sowohl der Wunsch nach Toleranz gegenüber anderen Religionen als auch die Betonung der gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen und die Anerkennung der besonderen Erwählung der Juden durch denselben Gott zählen. Neben dieser theologischen Begründung gibt es die historische in Form der Scham über das Versagen der Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus. Auch rassistische Motive können zur Abweisung einer Bekehrung von Juden führen. Die Judenmission wurde während des Nationalsozialismus aus rassistischen Motiven von einigen evangelischen Theologen abgelehnt, weil sie eine Vermischung der vermeintlichen Rassen befürchteten.18 Die Deutschen Christen schlossen sich dem Arierparagraphen an und lehnten in ihren Richtlinien ab 1932 die Judenmission aus demselben Grund ab.19 Während der Jahre des Nationalsozialismus konnte die Taufe eines Juden also verstanden werden als der Versuch, dessen Ermordung zu verhindern oder hinauszuzögern. Diese Form des Verzichts auf die Judenmission darf nicht verwechselt werden mit der gegenwärtigen, die keiner Rassenideologie mehr folgt. Die Missionierung von Juden durch Christen war im 20. Jahrhundert fortwährend Thema zwischen Juden und Christen. Die Mission von Christen an Juden hat insgesamt eine lange Tradition und eine weite Verbreitung erfahren, deren Darstellung in dieser Arbeit nur begrenzt möglich ist.20 Nach 17 S. Ström, ke V.: „Mission. I. Religionsgeschichte“. In: TRE 23. 1994: „Mission (lat. missio, Sendung) ist ursprünglich ein seit dem 16. Jh. üblich gewordener christlicher Begriff, der die Bemühungen an den Gewinn Ungetaufter für das Christentum bezeichnet.“ 18. 18 Aufgrund seiner Nähe zu völkischem Denken arbeitet der Theologe Wilhelm Stapel selbst an einer christlich-theologischen Rechtfertigung der Desolidarisierung mit den Juden. Vgl. die Darstellung der Theologie Stapels bei Weinrich, Michael: „Karl Barths theologischer Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus“. In: ders.: Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie. FSÖTh 139. Göttingen: 2013. 401–405. Darin schreibt Weinrich: „Es ging nicht mehr um die Missionierung der Juden, sondern um die möglichst konsequente Trennung des deutschen Volkes von den Juden, so dass Stapel 1933 auch den Arierparagraphen begrüßte“. 405. 19 Vgl. Brandau, Dialog, 50 f. 20 Vgl. dazu die in jüngerer Zeit erschienene Dissertation von Robert Brandau, die in hilfreicher

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1945 begann ein Umdenken, das – wenngleich der Weg mühsam war – innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer stabilen Skepsis gegenüber der Judenmission seitens der Evangelischen Kirche in Deutschland (=EKD) führte. Auf internationaler Ebene wurde durch den Weltrat der Kirchen 1948 in seiner ersten Vollversammlung in Amsterdam das Verhältnis zum Judentum neu bestimmt mit dem Ziel der Evangelisation aus Solidarität.21 In Deutschland nahmen die Vereine für Judenmission nach der Unterbrechung ihre Arbeit selbstverständlich wieder auf.22 Auf die Stuttgarter Schulderklärung, in der die Schuld gegenüber den Juden noch unerwähnt geblieben war, folgte drei Jahre später, 1948, das Darmstädter Wort des Bruderrates der EKD.23 Doch bestand trotz des Verzichts auf den Antisemitimus das missionarische Zugehen auf Juden bis zum Purimstreit innerhalb der Arbeitsgemeinschaft (=AG) Christen und Juden beim Kirchentag (=DEKT) von 1964, der den Weg zu einem Umdenken ebnete. Fortan wurden Juden in der AG als Dialogpartner derart gewürdigt, dass die Frage nach der Judenmission nicht mehr zur Disposition gestellt wurde.24 Zu den prominenten kirchlichen Gruppen, die eine Judenmission früh ablehnten, gehören der Deutsche Koordinierungsrat und die AG Christen und Juden beim DEKT. Die 1999 verabschiedete Resolution „Ja zur Partnerschaft und zum innerbiblischen Dialog. Nein zur Judenmission!“ der AG Christen und Juden spricht sich gegen die Judenmission aus aufgrund des bleibenden Bundes bzw. der Gültigkeit der Erwählung des jüdischen Volkes zum Zeugnis. Ein wichtiger Satz der Resolution ist die Aussage, es sei „falsch, Jüdinnen und Juden nach ihrer Stellung zu Jesus als dem Messias zu beurteilen.“25 1975 kam es zur ersten „Christen und Juden“-Studie der EKD.26 Die zuletzt zu diesem Thema veröffentlichte Studie „Christen und Juden III“ ist angesichts der Häufigkeit, in der sie zitiert wird, in der Wahrnehmung zu dem einflussreichsten Dokument für die gegenwärtige Haltung der EKD geworden: „Judenmission – sofern man darunter eine planmäßig durchgeführte, personell und institutionell organisierte Aktivität von Christen mit dem Ziel der Verbreitung

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Weise all das darstellt. Brandau, Dialog. Vgl. auch die Zusammenfassung von Gräbe, Uwe: „Christliches Zeugnis unter den Bedingungen gegenwärtiger Begegnungen mit Juden und Muslimen. Problemanzeigen und Querverweise“. In: Feldtkeller, Andreas/Nothnagle, Almut (Hg.): Mission im Konfliktfeld von Islam, Judentum und Christentum. Eine Bestandsaufnahme zum 150-jährigen Jubiläum des Jerusalemvereins. Beih. der Zeitschrift für Mission 2. Frankfurt/ Main: 2003. 140–143. Vgl. Brandau, Dialog, 171 ff. Vgl. Brandau, Dialog, 214 ff. Vgl. Brandau, Dialog, 220 ff. Vgl. Brandau, Dialog, 357 ff. S. „Ja zur Partnerschaft und zum innerbiblischen Dialog. Nein zur Judenmission!“. Resolution der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. In: V. Bonin, Konrad/Gidion, Anne (Hg.): DEKT 1999. Dokumente. Gütersloh: 1999. 539. Brandau, Dialog, 227 ff.

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christlichen Glaubens unter jüdischen Menschen versteht – gehört heute nicht mehr zu den von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihren Gliedkirchen betriebenen oder gar geförderten Arbeitsfeldern. Seit langem stehen stattdessen die Begegnung von Christen und Juden sowie der offene Dialog zwischen ihnen auf der Tagesordnung der Kirchen. […] Gott hat Israels Bund zu keinem Zeitpunkt gekündigt. Israel bleibt Gottes erwähltes Volk, obwohl es den Glauben an Jesus als seinen Messias nicht angenommen hat. »Gott hat sein Volk nicht verstoßen« (Röm 11,1). Diese Einsicht lässt uns – mit dem Apostel Paulus – darauf vertrauen, Gott werde sein Volk die Vollendung seines Heils schauen lassen. Er bedarf dazu unseres missionarischen Wirkens nicht.“27

Das Besondere ist, dass die Verfasser klar die eigene christologische Haltung benennen, dann aber einräumen, dass es Defizite in der theologischen Begründung sowie Befürworter der Judenmission in der Kirche gebe.28 Die Verfasser der Resolution der AG Christen und Juden und die von Christen und Juden III vertreten beide die Auffassung, dass Gott Juden und Christen auf unterschiedliche Weise anspricht und unterschiedliche Erwartungen an sie stellt.29 In unregelmäßigen Abständen distanzieren sich leitende evangelische Kirchenmitarbeiter von judenmissionarischen Aktivitäten. Sie unterstützen durch Grußworte die Arbeit von Initiativen jüdisch-christlicher Zusammenarbeit, die alle dezidiert gegen die Judenmission sind. Klare Worte findet Nikolaus Schneider: „Juden missionieren zu wollen, wäre ebenso absurd wie, wenn Protestanten Katholiken missionieren wollten.”30 Schneider geht davon aus, dass zu seiner Zeit als Ratsvorsitzender der EKD das Nein zur Judenmission nur dann konsensfähig gewesen sei, wenn es sich um eine aggressive Form der Missionierung gehandelt habe.31 Es gibt aber auch Ausnahmen wie 27 S. Christen und Juden III. Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum. Eine Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Güterloh: 2000. 47. 60. Daneben gibt es wissenschaftliche Beiträge, vor allem von Missionswissenschaftlern. Vgl. Witte, Markus/Pilger, Tanja (Hg.): Mazel tov. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Festschrift anlässlich des 50. Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum. SKI.NF 1. Leipzig: 2012. 28 Vgl. Christen und Juden III, 47 ff. 29 S. zur Zwei-Wege-Lehre Weinrichs Definition: „Die Zwei-Wege-Lehre besagt – in kaum zu verantwortender Vergröberung gesprochen -, daß für Israel die Tora und für die Völker Christus der Weg zu diesem Gott sei“ in Weinrich, Michael: „Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels. Theologische Annäherungen an eine Israel-bezogene Ekklesiologie“. In: Weinrich, Michael: Kirche glauben. Evangelische Annäherungen an eine ökumenische Ekklesiologie. Wuppertal, 1998. 206. S. auch Jens Schröter in einer Publikation der VELKD: „Zugleich bleibt jedoch festzuhalten, dass Gott mit Israel einen eigenen, von den übrigen Völkern unterschiedenen Weg zur endzeitlichen Rettung geht.“ In: Zur Verhältnisbestimmung von „Kirche – Judentum“. Dokumentation von Verfassungstexten und -diskussionen evangelischer Landeskirchen. Texte aus der VELKD 161. Hannover: 2012. 32. 30 S. Evangelisch.de: „Scheidender Präses Schneider warnt vor christlicher Judenmission“. URL: https://www.evangelisch.de/inhalte/79497/01–03–2013/scheidender-praeses-schneider-warntvor-christlicher-judenmission [Stand: 10. Dezember 2018]. 31 Vgl. Schneider, Nikolaus: „Absage an die Judenmission. Rabbiner-Brandt-Vorlesung 2009“.

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Hans Christian Knuth, der sich als leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zur Judenmission hält. Er stellt sich der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden, die gegen die Judenmission ist, in einem Vortrag zum Thema Judenmission als ein „Abweichler“32 in dieser Frage vor und fügt hinzu, dass er sich damit als Vertreter der Mehrheitsposition innerhalb der christlichen Kirche sieht. Er fasst seine Ausführungen folgendermaßen zusammen: „niemandem auf der Welt dürfen wir Christen das Christuszeugnis verweigern“33. Die Synode der EKD hat sich im November 2016 in Magdeburg gegen die Judenmission ausgesprochen und damit diese Position zum ersten Mal offiziell als Kirche vertreten. Sie hat damit den Weg geebnet für die Weiterentwicklung einer theologischen Argumentation und für Veränderungen im Kirchenrecht der einzelnen Landeskirchen.34 In kirchenrechtlichen Zusammenhängen kommen weder Judenmission noch Antisemitismus vor.35 Allerdings hat sich die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) schon 1980 in einer Selbstverpflichtung explizit gegen die Judenmission ausgesprochen und diesen Beschluss 2008 bestätigt. Unter der Prämisse des Festhaltens an der Abweisung der Judenmission setzt sich die Kirche auch weiterhin mit dem Thema auseinander.36 Auf europäischer Ebene hat die 5. Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft 2001 in Belfast den Lehrtext „Kirche und

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URL: http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/dkr-texte-rabbiner-brandt-vorlesung-absage-an-die-judenmission-2009 [Stand: 10. Dezember 2018]. S. Knuth, Hans-Christian: Zum Thema Judenmission. Vortrag in der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag am 14. Juni 2001 in Frankfurt am Main. Texte aus der VELKD 105. Hannover: 2001. 1. S. ebd., 8. Vgl. EKD: „Kundgebung der 12. Synode der EKD auf ihrer 3. Tagung. ,…der Treue hält ewiglich.‘ Psalm 146,6. Eine Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“. URL: http:// www.ekd.de/synode2016/beschluesse/s16_05_6_kundgebung_erklaerung_zu_christen_und_juden.html [Stand: 10. Dezember 2018]. Vgl. Volltextsuche auf www.kirchenrecht-ekd.de. Die Grundordnung der EKD bringt weder die Judenmission noch das besondere Verhältnis zum Judentum zur Sprache. Vgl. EKD: „Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vom 13. Juli 1948 in der Bekanntmachung der Neufassung vom 1. Januar 2020“. URL: http://www.kirchenrecht-ekd.de/document/3435 [Stand: 10. Dezember 2018]. Das sieht bei landeskirchlichen Grundordnungen anders aus. Vgl. etwa die Grundordnung der EKBO, die sich der Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und der Erinnerung an die Judenverfolgung verpflichtet: EKBO: „Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Vom 21./24. November 2003, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 14. April 2018“. URL: http://www.kirchenrecht-ekbo.de/ document/361 [Stand: 10. Dezember 2018]. Abschnitt I,12. Auch die Lebensordnung verzichtet auf die gesonderte Behandlung des christlichen Verhältnisses zu den Juden. Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR): „Absage an Begriff und Sache christlicher Judenmission. Beschluss der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 12./ 13. 12. 2008“. URL: http://www.ekir.de/www/downloads/ekir2008absage_judenmission.pdf [Stand: 10. Dezember 2018] sowie Alle reden von Mission … »Was bedeutet unser Nein zur Judenmission für den Umgang mit dem Islam?« – Ev. Akademie im Rheinland, 16./17. 3. 2012. EpdD 27. Frankfurt am Main: 2012.

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Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden“ beschlossen, der vor allem auf der Grundlage der Bejahung des einen ungekündigten Bundes argumentiert und im Hinblick auf die Judenmission formuliert: „Christen und Juden legen voreinander Zeugnis ab von ihrem Glauben. Dabei berücksichtigt die Artikulation der christlichen Glaubensüberzeugung die unheilvolle Geschichte christlicher Versuche, Juden für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Das angemessene christliche Zeugnis gegenüber Israel vermeidet deshalb insbesondere alle Formen, die es in den Verdacht geraten lassen könnten, bestehende Zwangslagen ausnutzen zu wollen.“37

Dieses Zitat zeigt exemplarisch, wie schwer es zu bestimmen ist, was einen Verzicht auf die Judenmission ausmacht und wie weitreichend er ist. Ein Hinweis darauf ist das Ringen um den Begriff des Zeugnisses, wie er auch im Lehrtext verwendet wird. In seiner Definition für die RGG schreibt Christoph Rymatzki, es gehe bei der Frage nach der Haltung zur Judenmission um Befürwortung oder Ablehnung des „explizit christl. Zeugnisses gegenüber den Juden“38. Demnach ist das implizit christliche Zeugnis offenkundig eine mildere, akzeptablere Ausprägung des Missionsbestrebens, welches an sich nicht infra gegestellt ist. Eine mögliche Spannung entsteht, wenn dieser Zeugnisbegriff in Dokumenten verwendet wird, die prinzipiell die Ablehnung der Judenmission bekunden sollen. Die vorliegenden Dokumente stehen explizit oder implizit eher für die eingangs vorgestellte Position der Trennung, nach der es zwei separate Wege zu Gott gibt. Sie beschränken sich auf die Bundes- bzw. Erwählungsvorstellung und lassen ergänzende Konzepte der Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel wie den Gottesvolkbegriff außer Acht. In der Folge ist es möglich, Bund und Erwählung in den jüdischen Teil der Heilsgeschichte zu verlegen, Jesus Christus dagegen in den christlichen Teil. Das würde nicht passieren, hielte man den Gottesvolkbegriff für zentral, nach dem es nur ein Gottesvolk geben kann und bei dem die Vorstellung eines Ursprungsvolkes mit Öffnung und Erweiterung näherliegt als im Bundeskonzept, das zwei Bünde denkbar sein lässt. Die Rede vom Gottesvolk könnte schlüssiger sein als die von Bund und Erwählung.39 Eine alternative Möglichkeit wäre es, zu sagen, dass der Zugang 37 S. Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden. Im Auftrag des Exekutivausschusses für die Leuenberger Kirchengemeinschaft herausgegeben von Helmut Schwier. Leuenberger Texte 6. Frankfurt am Main: 2001. 78. 38 S. Rymatzki, Christoph: „Judenmission“. In: RGG4 4. 2001. 610. 39 Weinrich gibt zu bedenken, der Bund sei wahrscheinlich weder neutestamentlich noch jüdisch gesehen so zentral, wie er es im Konzept des ungekündigten Bundes ist. Vgl. Weinrich, Kirche glauben, 209. Weiter sagt Weinrich, die theologische Rede vom Volk Gottes komme aus der ökumenischen Bewegung und sei erst im 20. Jh. unreflektiert in die Ekklesiologien eingedrungen. Da Israel zuerst und bleibend das Gottesvolk ist, deckt sich der Begriff ,Gottesvolk‘

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zu Israel nur über die Gotteslehre und damit die Offenbarungslehre und damit wiederum über die Trinitätslehre bzw. die Christologie und die Pneumatologie erreichbar sei.40 Denn die Einheit Gottes zwingt zur Suche nach der Einheit vor Gott und betrifft den Kern dessen, was die Trennung verursacht hat, nämlich die unterschiedliche Wahrnehmung von Jesus Christus. Dass es trotz des EKD-Beschlusses Klärungsbedarf gibt, verdeutlicht zuletzt die Dokumentation einer EKD-Tagung in Vorbereitung der Herbstsynode 2016 mit ernüchterndem Ergebnis.41 Die Auseinandersetzungen werden dominiert von Verhandlungen über Grenzen der Mission gegenüber Juden, die dahinterliegende eigentliche Wünsche oder zumindest unterdrückte Pflichtgefühle offenbaren. Ein endgültig plausibler Grund gegen die Mission ist nicht gefunden worden. Der nachfolgende Beschluss kann deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nicht auf einer Selbstverständlichkeit und tiefen theologischen Überzeugung beruht. Überraschend ist, wie viel freundliche Aufmerksamkeit der Befürworter der Judenmission, Steffen Kern, erhält, der für seine polemische Sprache und falschen Unterstellungen nur zaghaften Widerspruch erntet. Dieser stilisiert Judenmissionare zu Opfern eines vermeintlichen von Juden verhängten Schweigegebotes sowie zu Geschädigten, die „zurückstecken“42 müssten und ihren Glauben bzw. ihre „Christusidentität“43 teilweise leugnen müssten unter dem Druck der omnipräsenten Tabuisierung der Judenmission. Noch bedauerlicher sind die Ratlosigkeit und die Scheu vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung gegenüber

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nicht mit der Kirche. 191 ff. Mit dem Gottesvolkbegriff lassen sich drei verschiedene Größen festmachen: Juden/Judenchristen/Heidenchristen. 211. Es ist nicht so, dass alle Heiden zum Gottesvolk dazugehören, sondern nur die Heidenchristen. Die Heiden gehören weiterhin zu den Völkern. Auch das kann im Bund nicht ausgedrückt werden, weil der Bund allen Menschen gilt. 212. Barth selbst hat den Gottesvolkbegriff nicht besonders stark gemacht. Christof Bäumler favorisiert den Begriff ,Gottesvolk‘ im Blick auf Barths Ekklesiologie. Er kritisiert, Barth habe den gnostischen Begriff des Leibes zu stark rezipiert, wohingegen der alttestamentliche Gottesvolkbegriff für Barths Ekklesiologie treffender gewesen sei. Er erklärt, bei Barth sei die Kirche in der Erwählung Jesu Christi begründet und existiere in der Doppelgestalt aus Israel und Kirche, was zu stark von der ursprünglichen Vorstellung vom Leib abwiche. Vgl. Bäumler, Christof: Die Lehre von der Kirche in der Theologie Karl Barths. TEH 118. München: 1964. 25. So sieht es Willem Dekker, der Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, anhand der Dogmatik rückwärts darstellt und zum Schluss der Besprechung der Dogmatik bei der Gotteslehre und der Offenbarung ankommt. Er schreibt: „Barths Israel-Theologie in der KD versucht, von dem zentralen Platz der Christologie aus, die ganze Wirklichkeit von Israel zu durchdenken, in allen Beziehungen und Repräsentationen.“ S. Dekker, Getuige, 166. Die Geschichte Israels ist dann „die Entfaltung des schon gekannten Evangeliums“. 168. Vgl. »Der Herr lässt sein Heil kundwerden« (aus Psalm 98,2). Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes – zur theologischen Frage der Judenmission. Studientag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, 16. April 2016. EpdD 22. Frankfurt am Main: 2016. S. ebd., 47. S. ebd., 47.

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messianischem Judentum, die in der Podiumsdiskussion als scheinbar nebensächlich abgebrochen worden ist.44 Die kirchlich beschlossene Absicht ist ebenso wenig getragen von einem Konsens in der Wissenschaft. Michael Volkmann schließt seine knappe Überblicksdarstellung der Entwicklung evangelischer Haltungen zur Judenmission seit 1945 bis 2009 mit der Einschätzung, dass die Ablehnung zwar nicht einheitlich aber zunehmend befürwortet werde: „Die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen machen sich mehr und mehr nicht nur die historischen, sondern auch die theologischen Begründungen für ein Nein zur Judenmission zu eigen.“45

Aber Brandau weist mit seiner akribischen und umfangreichen Analyse der Dokumente aus der jüngeren Geschichte der Judenmission nach, dass sich die „unterschiedlichen Positionen zur Judenmission unüberbrückbar gegenüber stehen“46, obwohl es eine Vielzahl von offiziellen Dokumenten gibt, die eindeutig sind.47 Es ist offensichtlich, dass beim Thema Judenmission eine besonders starke Bereitschaft besteht, von der offiziellen Haltung der eigenen Kirche abzuweichen. Seiner Auffassung nach liegt das daran, dass die Beziehung zwischen Juden und Christen systematisch zu wenig ausgeleuchtet wird. Das führt dazu, dass überwiegend diejenigen auf Judenmission verzichten, die ohnehin in einem distanzierten Verhältnis zur Mission stehen. Das Problem zeigt sich laut Brandau in der Gleichsetzung der Dialogbemühungen zwischen Christentum und Judentum mit dem Dialog zum Islam, die das besondere Verhältnis zu den Juden in Vergessenheit geraten lassen: „Wer diesen zu einem ,Trialog‘ zwischen Juden, Christen und Muslimen umfunktioniert, stellt leichtfertig die besondere, theologisch begründete Beziehung zum Judentum aufs Spiel und befördert das Anliegen der ,Judenmission‘.“48

Er ist überzeugt, dass umgekehrt viele Theologen den Verzicht auf die Judenmission als Beschränkung der Mission im Allgemeinen erleben: „Nicht nur die evangelikale ,Mission‘ und weite Kreise der akademischen Theologie 44 Das ist nachträglich seitens der EKD revidiert worden mit dem Positionspapier des Gemeinsamen Ausschusses Kirche und Judentum, in dem es heißt, man wolle ohne Bewertung Gespräche führen, sofern das eigene Nein zur Judenmission von den messianischen Gemeinden respektiert würde und das Maß an Gesprächen aus Respekt gegenüber den jüdischen Gemeinden begrenzt bliebe. Vgl. EKD: „Judenchristen – jüdische Christen – »messianische Juden«. Eine Postitionsbestimmung des Gemeinsamen Ausschusses »Kirche und Judentum« im Auftrag des Rates der EKD. 2017“. URL: https://www.ekd.de/messianische-juden-30357.htm [Stand: 10. Dezember 2018]. 45 S. Volkmann, Michael: „Weichenstellungen in evangelischen Positionen“. In: Frankemölle, Hubert/Wohlmuth, Josef (Hg.): Das Heil der Anderen. Problemfeld »Judenmission«. QD 238. Freiburg im Breisgau: 2010. 49. 46 S. Brandau, Dialog, 1. 47 Vgl. ebd., 396–423. 48 S. Brandau, Robert: „Das theologische Problem der Judenmission“. In: JK 69 (2008). 53.

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sehen das so, sondern auch und gerade die ökumenische Missions- und Dialogtheologie.“49 Brandau hält in diesem Zusammenhang z. B. Eberhard Jüngel für einen Befürworter der Judenmission.50 Laut Peter von der Osten-Sacken ist die Judenmission in Deutschland ein „Randphänomen“51, jedoch als Thema nicht zu vernachlässigen. Er stellt fest, dass sie ernsthaft unter Theologen diskutiert wird, um an der theoretischen Möglichkeit und Notwendigkeit der Judenmission festzuhalten: „Den christlichen Theologinnen und Theologen, die prinzipiell für die Judenmission eintreten, ohne doch selbst irgendwie in sie involviert zu sein, geht es schwerlich in erster Linie um die zeitgenössischen Juden welcher Herkunft auch immer. Entscheidend ist für sie allem Anschein nach vielmehr die dogmatische Treue bzw. der – ihrer Auffassung nach für die Wahrung christlicher Identität unerlässliche – Absolutheits- oder Wahrheitsanspruch des Evangeliums.“52 Nach Osten-Sackens Auffassung muss sich folglich eine theologische Ablehnung der Judenmission „mit der soteriologisch orientierten Christologie des Neuen Testaments“53 auseinandersetzen. Osten-Sacken hat in diesem Zusammenhang Zweifel, ob der Rheinische Synodalbeschluss von 2008 und die seiner Meinung nach „missionslose Christianisierung des Judentums“54 von Brandau ausreichend hilfreich sind. Er schließt mit dem Appell, das Judentum als separate Religion anzuerkennen und mit der Aufforderung zur Klarheit gegenüber messianischen-christlichen Gruppierungen. Auch im jüngsten RGG-Artikel heißt es, es gebe weiter eine Diskussion.55 Im Bereich der wissenschaftlichen Theologie ist Andreas Feldtkeller ein Befürworter der Judenmission, der sich als Vertreter einer Arbeitsgruppe zum Thema positioniert. Mission bedeutet für ihn, Gottes Mission zugunsten der Gewinnung von Menschen für das Gottesreich, in der Juden als die ersten eine besondere Stellung einnehmen. Er ist gegen die Missionierung der Juden durch Christen, sofern sie „menschliche Würde, Integrität oder Selbstbestimmung verletzt“56. Seiner Auffassung nach bestünde jedoch bei einem generellen Verzicht auf die Judenmission „die Gefahr einer neuen subtilen 49 S. ebd., 50. 50 Vgl. Brandau, Dialog, 139. 51 S. Osten-Sacken, Peter von der: „Ein Empfehlungsbrief Christi? Zur Debatte um Judenmission, Judenchristen und messianische Juden“. In: Frankemölle, Hubert/Wohlmuth, Josef (Hg.): Das Heil der Anderen. Problemfeld »Judenmission«. QD 238. Freiburg im Breisgau: 2010. 77. 52 S. ebd., 80. 53 S. ebd., 102. 54 S. ebd., 103. 55 Vgl. Rymatzki, Judenmission, 610. 56 S. Feldtkeller, Andreas: „Zeugen Gottes voreinander – Judenmission?“. In: Kreuzer, Siegfried/ Ueberschaer, Frank (Hg.): Gemeinsame Bibel – Gemeinsame Sendung. 25 Jahre Rheinischer Synodalbeschluss zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden. Veröffentlichungen der Kirchlichen Hochschule Wuppertal Neue Folge 9. Neukirchen-Vluyn: 2006. 118–120. 120.

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Form von Anti-Judaismus, wenn man das Judentum grundsätzlich davon ausschließen wollte, anstatt seine besondere Ehrenstellung darin zu bedenken.“57 Nicht jeder der genannten wird sich selbst als Verfechter einer Judenmission verstehen. Die ausführliche Darstellung von Einzelstimmen hat gezeigt, wie vielfältig die Wahrnehmung derer ist, die den Juden ein Defizit unterstellen, und wie häufig dieses vorkommt. Nach dem EKD-Synodenbeschluss gegen die Judenmission ist es jedenfalls erforderlich, dass sich alle Beteiligten dafür engagieren, jede mögliche Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern der Judenmission als solche anzuerkennen und zu überwinden. Es muss dabei um die Plausibilität der kirchenleitenden Haltung gerungen werden, ohne Konformitätsdruck aufzubauen, wie ihn Matthias Kreiser unterstellt: „Seit einiger Zeit trauen sich viele kirchliche Würdenträger und andere Christen nicht mehr, etwas Positives über die Judenmission zu sagen.“58 Dazu gehört es, als EKD auf messianische Gruppierungen zuzugehen und sich eine Haltung zu ihnen zu erarbeiten, die über Abwehr und Ignoranz hinausgeht. Einen Schritt in diese Richtung unternimmt der von Ulrich Laepple herausgegebene Sammelband „Messianische Juden – eine Provokation“59, in dem überwiegend evangelische Pfarrer ohne Mitgliedschaft in einer messianischen Bewegung zur Sprache kommen. Die umfangreichen Analysen zeigen auf, dass nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob ein messianischer Jude das Judentum als defizitär ansehen und Mission betreiben wird. Die gängigen Versuche der theologischen Begründung der Ablehnung der Judenmission, wie sie sich auch in den Ausführungen zum EKD-Beschluss finden, sind zu wenig eingestellt auf das gegenwärtige Hauptmotiv für die Judenmission, das in der zugewandten Haltung der Nächstenliebe liegt. Es ist wohl gerade die Nähe zwischen Juden und Christen, die bei manchen Christen das Bedürfnis nach der Mission weckt, was Weinrich folgendermaßen deutet: „Das christliche Selbstbewusstsein ist offenkundig eher bereit, seinen Exklusivitätsanspruch anderen Religionen gegenüber zu relativieren als ausgerechnet dem Judentum gegenüber, mit dem es in so fundamentaler Weise verbunden ist.“60

Es ist in Anbetracht der scheinbaren Annäherung in der Argumentation schwerer geworden, die Grenze zwischen Befürwortern und Gegnern zu ziehen, denn auch die Befürworter der Judenmission halten Jesus Christus für den jüdischen Messias und gehen davon aus, dass der christliche Glaube in der jüdischen Tradition wurzelt. Sie verstehen sich als diejenigen, die Juden die 57 S. ebd., 120. 58 S. Krieser, Matthias: „Ist Judenmission geboten oder böse?“. In: Lutherische Beiträge 22 (2017). 49. 59 Vgl. Laepple, Ulrich (Hg.): Messianische Juden – eine Provokation. Mit Beiträgen von Richard Harvey, Peter Hirschberg, Ulrich Laepple, Hanna Rucks, Swen Schönheit, Hans-Joachim und Rita Scholz. Göttingen: 2016. 60 S. Weinrich, Dogmatik, 107.

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Augen öffnen für etwas, was sie an sich längst sehen sollten. Die Theologin Stefanie Pfister gibt in ihrer Dissertation zu messianischen Gemeinden in Deutschland einen Überblick über die gegenüber der Judenmission aufgeschlossenen evangelikalen Werke und deren Motive. Darin heißt es mehrfach sinngemäß, die Juden sollen das Evangelium aufgrund ihres besonderen Bezuges zu Gott als erstes hören dürfen.61 Folker Siegert, der im Namen seines Instituts schreibt, ist ein Gegner der Judenmission. Das Institutum Judaicum Delitzschianum beantworte „die immer noch kommenden Anfragen nach Zusammenarbeit mit solchen – heute fast durchweg englischsprachigen – Organisationen, die Judenmission betreiben, negativ.“62 Siegert wirbt aber für eine nüchterne Behandlung der Frage der Judenmission seitens der evangelischen Theologen.63 Er hält die Ablehnung der Judenmission für richtig, empfindet nur deren Sprecher in ihrer Argumentation als zu wenig gründlich und empfiehlt eine bessere exegetische Fundierung. Er gibt gegen eine polemische und einseitige Abgrenzung der neueren Theologie gegenüber der Tradition zu Bedenken, dass die „Motive, die damals die Judenmission trugen, heute das christlich-jüdische Gespräch begründen“64. Die „Mischung aus Glaube, Irrtum und gutem Willen“65, die Menschen in diesem Diskurs beschäftigt habe, lasse sich nicht insgesamt ablehnen oder befürworten. Der Wille zur Mission sieht sich demnach nicht mehr als die Alternative zum Dialog, sondern als dessen Ergänzung im Rahmen eines partnerschaftlichen Verhältnisses, das auch die Erinnerung an die Verbrechen der Vorfahren und die Schuldübernahme einschließt. Der bereits genannte Steffen Kern, Pfarrer und Mitglied der EKD-Synode, formuliert im Zeitzeichen-Magazin sein Plädoyer für das selbstbewusste christliche Zeugnis gegenüber Juden.66 Er bekennt sich darin zunächst zur bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes und zum Existenzrecht Israels, zur Absage an Antijudaismus und Antisemitismus und zur Bereitschaft der Schuldaufarbeitung und zum respektvollen, lernfähigen Dialog. Anschließend beschwert er sich über die 61 Vgl. Pfister, Stefanie: Messianische Juden in Deutschland. Eine historische und religionssoziologische Untersuchung. Dortmunder Beiträge zu Theologie und Religionspädagogik 3. Berlin: 2008. 118–124. 62 S. Siegert, Folker: „Abschied von der Judenmission. Das Institutum Judaicum Delitzschianum heute“. In: Witte, Markus/Pilger, Tanja (Hg.): Mazel tov. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Festschrift anlässlich des 50. Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum. SKI.NF 1. Leipzig: 2012. 299. 63 Vgl. Siegert, Folker: „Einleitung: Von der Judenmission zum christlich-jüdischen Gespräch. Eine Revision der Prämissen“. In: De Vos, J. Cornelis/Siegert, Folker (Hg.): Interesse am Judentum. Die Franz-Delitzsch-Vorlesungen 1989–2008. Münsteraner Judaistische Studien. Wissenschaftliche Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung 23. Berlin: 2008. 8 f. 64 S. ebd., 8. 65 S. ebd., 8. 66 Vgl. Kern, Steffen: „Weg zum Vater. Das Christuszeugnis gegenüber Juden ist keine Judenmission“. In: Zeitzeichen 17/3 (2016). 25–27.

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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Distanzierung des Kirchentags gegenüber messianischen Christen. Aus seiner Sicht gebe es „keinen belastbaren theologischen Grund“67 dagegen, Juden allen voran „die gute Nachricht von der Rettung, Erlösung und Befreiung durch Jesus Christus“68 zu bezeugen.

1.4 Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth Wenn an dieser Stelle ein ausführlicher Forschungsbericht erfolgt, liegt das daran, dass diese Arbeit Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit den großen Entwürfen zum Thema ist und sich infolgedessen erheblich von diesen absetzt. Dabei geht es zunächst ganz allgemein um Barths theologische Haltung zu den Juden. Das Thema ,Judenmission‘ wird an dieser Stelle nur angerissen und erst im folgenden Kapitel besprochen. Die Wahrnehmung der in der Verhältnisbestimmung relevanten Themen wie Erwählung und Bund sowie Judenmission bei Barth ist zu vielschichtig und widersprüchlich, um sie kurz zusammenzufassen. Eberhard Busch und Bertold Klappert heben z. B. – wie im Folgenden besprochen werden wird – die Bundestheologie Barths als die große Wegweisung hervor. Rudolf Ahlers, der etliche Bundestheologien vorstellt und systematisiert, klammert Barth dagegen aus.69 Es gab zu jeder Zeit Menschen, die Barth in Bezug auf die Frage der Judenmission überzeugend fanden, auch wenn sie sich nicht eingehend mit der Erörterung des Konzepts beschäftigt haben.70 Während die einen Barth für einen großen Wegbereiter in der Frage der Judenmission halten, erwähnt Heinz Kremers, der 1979 die erste Monographie zum Thema Judenmission vorgelegt hat, Barth nicht einmal.71 Paul Gerhard Aring benennt in einer seiner Untersuchungen zur Judenmission von 1980 Barth beiläufig als den Theolo67 S. ebd., 27. 68 S. ebd., 27. 69 Vgl. Ahlers, Rudolf: Der „Bund Gottes“ mit den Menschen. Zum Verhältnis von Christen und Juden. Theologische Texte und Studien 11. Hildesheim: 2004. 70 Vgl. z. B. P.J.R.: „Antisemitismus – zutiefst unchristlich. Zum 100. Geburtstag des Theologen Karl Barth“. In: Tribüne 25 (1986). 51 f. (Die Zeitschrift nennt nur die Initialen des Verfassers.) P.J.R. fasst in einer zweiseitigen Geburtstagsgratulation Barth mit vielen Originaltönen zusammen. Es ist eine zugleich sehr wohlwollende und auch komplexe Zustimmung zu Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, in der Barth unter anderem als Gegner von Judenmission und Antisemitismus vorgestellt wird. Lapide hält Barth trotz Kritik an Formulierungen und einigen Rückfällen in altes Denken für einen durch und durch israelfreundlichen Vertreter einer Minderheit und Vorreiter in Fragen des Dialogs und für einen Theologen, der eindeutig gegen die Judenmission gewesen ist. Vgl. Lapide, Pinchas: Jeder kommt zum Vater. Barmen und die Folgen. Neukirchen-Vluyn: 1984. 37 und 57 ff. Auch Jochen Denker ist überzeugt von Barths Ablehnung der Judenmission. Vgl. Denker, Jochen: Das Wort wurde messianischer Mensch. Die Theologie Karl Barths und die Theologie des Johannesprologs. Neukirchen-Vluyn: 2002. 70 f. 71 Vgl. Kremers, Heinz: Judenmission heute? Von der Judenmission zur brüderlichen Solidarität und zum ökumenischen Dialog. Neukirchen-Vluyn: 1979.

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gen, dem nach dem Nationalsozialismus das Ende der Judenmission zu verdanken gewesen sei.72 Ulrike Zander würdigt Barths hervorragende Leistung zur Zeit des Nationalsozialismus und seine israelfreundliche Theologie in ihren Ansätzen, lehnt aber die vermeintlichen antijüdischen Stereotype darin ab und hält ihm die fehlende Erwähnung der Juden im Barmer Bekenntnis und seine Schuldbekenntnisse gegenüber Bethge belastend vor.73 Horst Hoffmann äußert sich dagegen durchgängig zustimmend zur Behandlung genau dieser Themen.74 Ebenfalls kurz, aber kritisch äußert sich Andreas Pangritz, wenn er über Barths Erwählungslehre und dann genauer über sein Interesse an Israel urteilt: „Zwar vermeidet es Barth bewußt, mit der theologischen Tradition von der Verwerfung Israels zu reden; dennoch setzt sich hinterrücks das primär an einer Ablösung Israels durch die Kirche interessierte Schema von ,Gesetz und Evangelium‘ wieder durch, wenn er sich im Abschnitt über die ,Bestimmung des Verworfenen‘ zu einem Satz hinreißen läßt, in dem das Existenzrecht Israels bestritten wird.“75

Dieses relativiert er im Folgenden als nicht allgemein der Haltung Barths entsprechend und ergänzt: „Gleichwohl bleibt unverkennbar, daß Barth im Rahmen seiner ,Erwählungslehre‘ große Mühe hatte, jüdische Existenz post Christum crucifixum theologisch ernstzunehmen“76. Etwas aktueller und rundum zustimmend zu dessen israelfreundlicher Haltung verweist John Johnson auf Barth in einem Aufsatz, in dem er nach Gründen für die jüdische Ablehnung Jesu als Messias im Neuen Testament fragen will.77 Er hält Barth für eine der judenfreundlichen Stimmen unter den Exegeten des Neuen Testaments, die lediglich darin verliere, dass der Weg der Juden laut Barth allein durch Gott und ohne Beitrag der Juden zu ihrer Erlösung beschritten werde. Er vermutet, dass Israel bei Barth voreschatologisch zum Glauben an Jesus Christus kommt. Diese Auswahl von Stimmen gibt einen Einblick in die Diversität und Komplexität bis hin zur Widersprüchlichkeit der Kritiken, was es unmöglich macht, die kürzeren Wortbeiträge zu sortieren und zu gewichten. Die Veröf72 Vgl. Aring, Paul Gerhard: Christliche Judenmission. Ihre Geschichte und Problematik dargestellt und untersucht am Beispiel des evangelischen Rheinlandes. Forschungen zum jüdisch-christlichen Dialog 4. Neukirchen-Vluyn: 1980. 247. 73 Vgl. Zander, Ulrike: Philosemitismus im deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Begriffliche Dilemmata und auszuhaltende Diskurse am Beispiel der Evangelischen Kirche im Rheinland und in Westfalen. Historia profana et ecclesiastica. Berlin: 2007. 326–330. Zum Nationalsozialismus: 15.85 f. Zu Barmen: 76. Zur Theologie: 118. 74 Vgl. Hoffmann, Horst: Kirche im Kontext. Zur Zeitbezogenheit der Ekklesiologie Karl Barths. Waltrop: 2007. 154–157. 75 S. Pangritz, Andreas: Karl Barth in der Theologie Dietrich Bonhoeffers. Eine notwendige Klarstellung. Dahlemer Hefte 9. Berlin: 1989. 115 f. 76 S. ebd., 116. Vgl. auch 115–122. 77 Vgl. Johnson, John J.: „A New Testament Understanding of the Jewish Rejection of Jesus: Four Theologians on the Salvation of Israel“. In: JETS 43 (2000). 238.

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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fentlichung ambivalenter Stellungnahmen dauert an. Auf die Spitze getrieben wird das in den beiden jüngsten Erscheinungen aus den USA, mit denen der Herausgeber George Hunsinger die Diskussion um Barths Verhältnis zum Judentum fördert.78 Einerseits erweist er dem Anliegen höchste Ehre, indem es ihm gelingt, namhafte jüdische und christliche Autoren, auch aus Deutschland und Australien, zusammen zu bringen. Der intensive Austausch zwischen Eberhard Busch und David Novak ist sicher ein Höhepunkt.79 Doch andererseits durchzieht beide Sammelbände genau die Ambivalenz, die er eingangs selbst ankündigt und in gewisser Weise als normal rechtfertigt.80 Die Untersuchung der wichtigsten Monographien zum Thema – dazu gehören Busch, Marquardt, Klappert und Brandau für den deutschsprachigen Raum und Sonderegger und Lindsay für den englischsprachigen Raum – ergeben zum einen ein andauerndes Interesse an Barths Beitrag zu Israel, zum anderen haben alle – ausgenommen von Busch – gemeinsam, dass sie Barths Christologie kritisieren.81 Es beschäftigen sich nur die jüngeren Entwürfe von Brandau und Lindsay eingehender mit Barths Äußerungen zur Judenmission mit der Folge, dass sie eine ambivalente Haltung einnehmen. Als wesentliches Werk zu nennen ist auch Klaus Alois Baier, der in seiner Monographie zur Einheit der Kirche in Barths Theologie nach der Ursache für deren starke Wirkung auf die Ökumene forscht. Auch wenn er Israel nicht häufig direkt in den Blick nimmt, ist dieses Werk zum Verständnis der Ekklesiologie Barths ausgesprochen hilfreich. Laut Baier ist für Barth Israel ein gleichberechtigter Zeuge in der Gemeinde aus Kirche und Israel, wobei er die Darstellung des Gerichts nicht negativ deutet.82 Im Folgenden sollen die Monographien vorgestellt werden, die zu Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Marquardt veröffentlichte als erster und schon zu Barths Lebzeiten 1967 „Die Entdeckung des Judentums“83, auf das 1982 mit „Die

78 Hunsinger fasst Vorträge, die 2014 bei einer Konferenz gehalten worden sind, zusammen in einem nach eigenen Angaben eher historisch und einem theologisch angelegten Band: Hunsinger, George (Hg.): Karl Barth: Post-Holocaust Theologian? London: 2018 und Hunsinger, George (Hg.): Karl Barth, the Jews, and Judaism. Grand Rapids, Michigan: 2018. Vgl. Vorwort des letzteren, vii. 79 Vgl. Hunsinger, George: „A Dialogue between David Novak and Eberhard Busch“. In: Hunsinger, Jews and Judaism, 37–59. 80 „It is widely recognized that Karl Barth’s attitude toward the Jews and Judaism was mixed.“ S. Hunsinger, Post-Holocaust, ix. Die Ambivalenz wird z. B. deutlich spürbar in den Beiträgen von Woodard-Lehman, Derek Alan: „Saying ‘Yes‘ to Israel’s ‘No‘. Barth’s Dialectical Supersessionism and the Witness of Carnal Israel“. In: Hunsinger, Post-Holocaust, 85–100 und Charry, Ellen T.: „Toward Ending Enmity“. In: Hunsinger, Jews and Judaism, 147–171. 81 Eine weitere Ausnahme bildet die Rezeption durch Kornelis Heiko Miskotte. Vgl. Kapitel 4.1.2. 82 Vgl. Baier, Klaus Alois: Unitas ex auditu. Die Einheit der Kirche im Rahmen der Theologie Karl Barths. BSHST 35. Bern: 1978. Für die explizite Betrachtung Israels vgl. 132 ff. 83 Vgl. Marquardt, Entdeckung.

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Gegenwart des Auferstandenen“84 eine weitere Studie folgte. Laut Marquardt war Barth in dieser Hinsicht ein Pionier und Ideengeber für das Nachdenken über das christlich-jüdische Verhältnis. Eine vollständige Darstellung von Barths Theologie aus dem Interesse an Israel heraus hat Marquardt nicht angestrebt. Er hat sich ausgehend von seinen Vorüberlegungen zu den Bedingungen der dogmatischen Rede von Israel und den anschließenden Verortungen mit den Konsequenzen dieser Entdeckung für sein eigenes theologisches Arbeiten auseinandergesetzt. Marquardt beschäftigt sich im ersten Teil seines ersten Buches mit hermeneutischen Fragen und erörtert im zweiten Teil anhand der Erwählungslehre Barths Integration von Israel in seine Theologie. Die Erwählung sei keine Eigenschaft an sich, sondern gebunden an den, der erwählt. Israel sei damit „ekklesiologische Größe“85 und in einen Dienst gestellt. Es sei bei Barth erstmals „aus den bloß eschatologischen Erörterungen gelöst“86 und „kein historisches Verhältnis der Christen zu Israel und zum Alten Testament, sondern nur ein theologisches“87. Er hebt hervor, dass Israel für Barth nicht bloß eine andere Religion gewesen sei, sondern dass er Israel in seine Theologie aufgenommen und die Einheit zwischen Juden und Christen in Christus betont habe: „Aber sowohl der Grund wie die Geschichte der Erwählung gliedern Israels Erwählung in die Zusammenhänge des christlichen Kerygma ein und legen den Ton aller Aussagen über Israels Erwählung auf die Mit-Erwählung der Völker. Die Erwählung Israels ist Predigt-Inhalt.“88

Marquardt meidet den Vorwurf des Antisemitismus oder Antijudaismus. Er sieht bei Barth gerade keine endgültige Verwerfung Israels und keine heilsgeschichtliche Ersetzung von Israel durch die Kirche: „auch Israels Verwerfung ist unmöglich von seiner Erwählung zu trennen. Indem Christus beider Substanz ist, ist dafür gesorgt, daß sowenig wie Israels Erwählung, genausowenig seine Verwerfung abstrakt gedacht und behauptet werden kann. […] Hier halten wir fest, daß gerade die Lehre von Christus als Substanz der Erwählung die abstrakte Vorstellung von einem an sich verworfenen Israel unmöglich macht.“89 84 Vgl. Marquardt, Friedrich-Wilhelm: Die Gegenwart des Auferstandenen bei seinem Volk Israel. Ein dogmatisches Experiment. ACJD 15. München: 1983. Dieses Buch erscheint zwar erst 16 Jahre später, ist aber zur gleichen Zeit verfasst worden wie die Dissertation. Beiden ging ein Aufsatz zum selben Thema voraus, den Marquardt in seiner Dissertation verarbeitet, und der seine Haltung vielleicht am besten zusammenfasst: Marquardt, Friedrich-Wilhelm: „Wendungen im Verständnis Israels“. In: Busch, Eberhard/Fangmeier, Jürgen/Geiger, Max (Hg.): Parrhesia. Karl Barth zum achtzigsten Geburtstag am 10. Mai 1966. Zürich: 1966. 617–638. 85 S. Marquardt, Entdeckung, 151. 86 S. ebd., 104. 87 S. ebd., 105. 88 S. ebd., 94. 89 S. ebd., 139.

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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Seine Kritik an Barth konzentriert sich auf dessen vermeintlich mangelhaftes Interesse an jüdischem Selbstverständnis und seine despektierliche Rede über die Juden und die Synagoge sowie die Rolle, die er Israel in der Erwählungslehre zuweist. Marquardt kritisiert in seinem Vorwort: „Karl Barth selbst hat sich – in seinen Büchern – nicht viel um jüdische Mitsprache gekümmert, besonders nicht um ,jüdisches Selbstverständnis‘.“90 Den Dialog mit dem Judentum habe er „unverhohlen“91 skeptisch gesehen. Zur Sprache urteilt Marquardt, er habe die Juden „mit einer Bitterkeit ohnegleichen und in fast ungezügelter Sprache beschrieben“92. Als Zeuge des Gekreuzigten habe Israel keinen Anteil an der Auferstehung Jesu Christi und deren Wirkungen. Diese Haltung Barths habe sich auch später nicht verändert. Er bemängelt, „daß die Israel-Lehre Barths in der Versöhnungslehre keinerlei neue Gesichtspunkte erhält, also die nähere Darstellung des Versöhnungswerkes von Tod und Auferstehung Christi Israel nicht ,zugute‘ kommt.“93

Israel verliere mit der Inkarnation Jesu Christi an Bedeutung: „So könnte es scheinen, als erschöpfe sich die nach vorwärts gerichtete Dynamik der Geschichte Israels in ihrem Weg bis zu Christus hin, als hätte sie post Christum nur noch statische, funktionale, relationale Bedeutung: Darstellen, Spiegeln.“94

Sein Zeugendienst sei nicht mehr gefragt, und es sei nur noch Zeichen. Er zieht schließlich in Betracht, dass Auschwitz von Barth als Strafe Gottes an den Juden angenommen wird.95 Marquardt räumt ein, anfangs habe ihm der Mut gefehlt, den zweiten Band zu veröffentlichen. Das ist wohl der Tatsache geschuldet, dass dieselbe Kritik an Barth dort klarer formuliert ist. Marquardt unterstreicht, dass Israel bei Barth eine dritte vermittelnde und insofern relevante Größe neben Kirche und Welt gewesen sei. Doch sei diese Rolle zu negativ gefüllt, weil das Judentum ausschließlich vom Gekreuzigten her verstanden worden sei und diesen allein bezeugen solle. Er vermisst bei Barth ein positives Verhältnis des Auferstandenen zu den Juden, die nicht an ihn glauben: „In der jüdischen Geburt Jesu »erfüllt« sich für ihn sowohl die Geschichte wie der Dienst und also auch der Sinn eines völkisch existierenden Israel. […] Aber entsprechend seiner, oben schon genannten, Einschätzung des Judentums als eines nur 90 91 92 93 94 95

S. ebd., 7. S. ebd., 345. S. ebd., 334. S. ebd., 103. Mehr Kritik dazu auf S. 128. S. ebd., 345. Vgl. auch 320–334. S. ebd., 304: „Weil unser Tod der Tod unseres Unglaubens ist, nichts anderes, darum ist Auschwitz nicht (gegen den Reichsbruderrat, gegen M. Wittenberg – auch gegen K. Barth?) Strafe der Sünde, nicht Gleichnis des Todes Christi, sondern von der Christenheit schwer mitzuverantwortende Tötung der ihrem Judentum im Martyrium und Zeugnis treuen Juden.“

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»halbbiblischen Phänomens hat Barth von dem Judentum dann auch nur quasi halbchristologische Aussagen gewagt.“96

Er fasst seinen Versuch der Durchführung dieser christologischen Konsequenz folgendermaßen zusammen: „Jesus Christus, der Auferstandene, läßt Juden und Christen einander zur Predigt vom Gesetz und Evangelium werden und predigt durch sie der übrigen Welt.“97 Bei Marquardt bleibt unerwähnt, dass gerade Barth in dem Auferstandenen den für die Juden zuerst und vor allem Auferstandenen sieht. Das Zeugnis des Gerichts ist mindestens gleichwertig mit dem Zeugnis des Erbarmens. Hier erschließt sich der Sinn der Kritik nicht, denn es würde umgekehrt niemand fragen, ob die Christen die Kreuzigung nicht haben, weil sie nur den Auferstandenen bezeugen dürfen. Erstens bleibt das Zeugnis der Kreuzigung ganz offenbar auch nach der Auferstehung relevant. Zweitens leuchtet nicht ein, warum Marquardt das Zeugnis der Auferstehung abtrennt und höher bewertet als das der Kreuzigung. Er will im Prinzip etwas nachweisen, das längst bei Barth geklärt ist, nämlich dass Israel und die Kirche zu gleichen Teilen in dem einen Gnadenbund stehen. Nichtsdestotrotz versteht Marquardt seine Kritik tatsächlich als eine Ergänzung, mit der er Barths Grundlegung unterstützen möchte. Es ist zu großen Teilen sein Verdienst, dass Barth als Pionier in der Annäherung an die Juden wahrgenommen worden ist. Den Gesamtentwurf, speziell Barths Versöhnungslehre, ist er jedoch nicht angegangen, so dass sein Werk selbst nicht mehr als eine Grundlage in der Erforschung von Israel bei Barth bleibt. Klappert hat sich in seinem Buch „Israel und die Kirche“98 aus dem Jahr 1980 und in zahlreichen Aufsätzen zu Barths von ihm so genannter Israellehre geäußert, wobei er nicht zur Judenmission schreibt, sondern sich vorwiegend mit der Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel und dementsprechend mit der Erwählungslehre auseinandersetzt.99 Er beurteilt Barth aus der Sicht 96 97 98 99

S. Marquardt, Gegenwart, 132. S. ebd., 184. Vgl. Klappert, Israel. Vgl. Klappert, Bertold: „Barmen I und die Juden“. In: Moltmann, Jürgen (Hg.): Bekennende Kirche wagen. Barmen 1934–1984. München: 1984. 59–125. Ders.: „Die Trinitätslehre als Auslegung des NAMENs des Gottes Israel. Die Bedeutung des Alten Testaments und des Judentums für die Trinitätslehre“. In: EvTh 62 (2002). 54–72. Ders.: „Daß Jesus ein geborener Jude ist. Das Judesein Jesu und die Israelwerdung Gottes nach Karl Barth“. In: Ehrlich, Ernst Ludwig/ Klappert, Bertold in Zusammenarbeit mit Ursula Ast: „Wie gut sind deine Zelte, Jaakow…“. Festschrift zum 60. Geburtstag von Reinhold Mayer. Gerlingen: 1986. 221–252. Ders.: „Dialog mit Israel und Mission unter den Völkern. Der Ort der Kirche innerhalb der Sendung Israels“. In: Klappert, Bertold: Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog. NBST 25. Neukirchen-Vluyn: 2000. 407–430. Ders.: „Geheiligt werde Dein NAME! Erwägungen zu einer gesamtbiblischen Trinitätslehre in israeltheologischer Perspektive“. In: Kriener, Katja/ Schmidt, Johann Michael (Hg.): »… um Seines NAMENs willen«. Christen und Juden vor dem Einen Gott Israels – 25 Jahre Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland »Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden«. Neukirchen: 2005. 118–134.

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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der Theologie nach Auschwitz und würdigt Barths Lehre von Israel zwar als einen großen Beitrag zur Theologiegeschichte, sieht darin aber keinen Neuanfang. Er entwirft Modelle der Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel, die sich jedoch nicht als tragfähig erweisen, weil sich zeigt, dass Barth mehreren Modellen zuzuordnen wäre, so dass kein eindeutiges Bild entsteht. Er sei ein Anhänger des Integrationsmodells insofern, als bei ihm die Synagoge eschatologisch in der Kirche aufgehe.100 Er sei Anhänger des Typologiemodells insofern, als bei Barth Christi Prophetie auf die alttestamentliche Prophetie folge.101 Er sei Anhänger des Illustrationsmodells, in dem Israel die Negativfolie der Kirche ist, insofern, als auf das negative Bild von Israel als unter dem Gesetz und dem Gericht, das positive Bild der Kirche unter Evangelium und Gnade folge.102 Er sei Anhänger des schismatischen Komplementärmodells, in dem es unterschiedlich definierte Nebeneinander gebe, insofern als Kirche und Israel als zwei verschiedene Größen nebeneinander stünden.103 Er sei Anhänger des christologisch-eschatologischen Partizipationsmodells, in dem Christen durch Christus an der jüdischen Geschichte teilhaben.104 Letzteres sei überwiegend Barths Intention gewesen, doch durch seine schematische Einteilung von negativ und positiv sei es am Ende bei Barth faktisch so, dass Israel in der Kirche aufgehe.105 Klappert unterstellt Barth also entweder inkonsequent oder unlogisch zu sein. Er ist selbst nicht konsequent, weil er einerseits durchgängig betont, dass Barths Israellehre nur in Ansätzen annehmbar gewesen sei, und andererseits Barths Weiterentwicklung lobt. 1942 sei Israel Zeuge des Gerichts gewesen, 1948 Zeuge der Berufung und 1966 ein Teil der Ökumene.106 Barth habe sich nur allmählich von der schematischen Aufteilung von Israel und Kirche in Gericht und Gnade entfernt und habe den Gedanken einer ökumenischen Einheit entwickelt. Zugleich bleibt es dabei, dass für Klappert die Synagoge „uneigentlicher Dialogpartner“107 im Sinne des mangelnden Existenzrechtes außerhalb der Kirche ist. Nachdem Barth zunächst gemeint habe, die Landverheißung sei mit Christus hinfällig geworden, habe er zu einem späteren Zeitpunkt den Staat Israel befürwortet und ihn als ein Zeichen der Treue Gottes zu Israel gesehen.108 Klappert bezweifelt, dass Barth den Ansprüchen nach Auschwitz gerecht werde.109 Er hat sich für seine 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. Klappert, Israel, 17 f. Vgl. ebd., 19 f. Vgl. ebd., 20 ff. Vgl. Klappert, Israel, 26–30. Vgl. ebd., 32–37. Vgl. ebd., 38–52. In diesem Kapitel führt er aus, dass Barth überwiegend dem Integrationsmodell mit einer Tendenz zum Partizipationsmodell zuzuordnen ist. Vgl. ebd., 8. Mit dem Bezug auf Barths Verhältnis zur Ökumene mit Israel endet Klapperts Buch. 76. S. ebd., 48. Vgl. ebd., 8. 68. 74. Vgl. ebd., 9. 29. 55 f. 59. 64. Nach Klappert hat Barth sich in seiner Theologie von antisemi-

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Haltung zum Thema ,Israel bei Barth‘ jedoch kaum mit den Schriften außerhalb der Erwählungslehre beschäftigt, die seine Wahrnehmung hätten relativieren können.110 Besonders fällt auf, dass Klappert sich in einem Aufsatz intensiv mit der Frage der Judenmission auseinandersetzt und dabei nicht erwähnt, dass es bei Barth dazu einen Exkurs gibt.111 Nach seiner Monographie hat Klappert sich noch zweimal im Rahmen von Aufsätzen intensiver mit Barths Israellehre befasst. Da ist zum einen ein Aufsatz von 1986, der 2000 unverändert erneut gedruckt wurde, und der eine Zusammenfassung des Buches ist.112 Zudem gibt es einen Aufsatz zu Barmen I, in dem Klappert seine in der Monographie vorgebrachte Kritik auf die Barmer Theologische Erklärung anwendet.113 Er beschäftigt sich mit der Frage, ob Barmen I antijüdisch ist und kommt zu dem Ergebnis, dass, während es das nicht ist, ein expliziter Hinweis auf die Juden wohl fehle. Barmen I sei „inklusiv offen“114 gegenüber dem Judentum, d. h. es erkläre keine exklusive, sondern eine inklusive Christologie. Das liegt im doppelten Zeugnis des Alten und Neuen Testaments begründet. Das alttestamentliche „Eigenzeugnis des Judentums“115 werde berücksichtigt. Barmen II betrachtet Klappert kritischer, indem er moniert, dass durch die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz einmal mehr zum Ausdruck gebracht werde, dass das Judentum auf eine Gesetzlichkeit reduziert werden soll.116 Klapperts Kritik ist von vielen wahrgenommen worden, so dass eine beträchtliche Anzahl von kurzen Beiträgen zur Erwählungslehre existiert, die Klapperts Kritik bekräftigen und weiterentwickeln.117

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tischen Einstellungen leiten lassen, auf die er spätestens durch das Umdenken nach der Shoah hätte aufmerksam werden müssen, was nicht geschehen ist. Eine Ausnahme bildet ein ausführlicher Aufsatz über einen zehnseitigen Exkurs in der Versöhnungslehre (IV 1, 181–192). Hierin äußert sich Klappert sechs Jahre nach seinem Hauptwerk noch einmal kritisch zur Zeugenfunktion der Juden, wobei nun im Fokus der Untersuchung der bleibende, in Christi Versöhnung erfüllte Israelbund steht. Vgl. Klappert, Daß Jesus. Vgl. Klappert, Mission. Vgl. Klappert, Daß Jesus und Klappert, Mission. Vgl. Klappert, Barmen. S. ebd., 90. S. ebd., 69. 92. Vgl. ebd., 93. Kim würdigt Barths Berücksichtigung Israels, hält sie jedoch für defizitär. Israel stehe im Sinne des Integrationsmodells im Dienst der Kirche (223): „Israels Zukunft wird von der Zukunft der Kirche gleichsam absorbiert. Ihm bleibt entweder die Rolle eines nur negativen Zeugen Christi, oder seine Geschichte ist dazu bestimmt, in die Geschichte der Kirche über- und in ihr aufzugehen. In beiden Fällen wird seine theologische Eigenständigkeit negiert.“ 229. Vgl. ausführlicher 201–211. Chung referiert Klapperts Modelle ausführlich und kommt zu dem Schluss, dass Israel zwar christologisch integriert, aber ekklesiologisch vereinnahmt sei. 20–23 „Barth tended to confuse […] a christological embrace of the Jews with an ecclesiological integration of them.“ S. Chung, God’s Word, 379. Die zu begrüßende Kontinuität von Israel und Kirche gehe auf Kosten der Juden, und Israel sei lediglich Zeuge des Gerichts und werde von Gott verstockt. 381. Barths Versöhnungslehre (408–418) stehe Israel aufgeschlossener gegenüber als seine Erwählungs- und Vorsehungslehre insofern, als ein umgekehrtes Partizipieren

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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Die englischsprachige und die deutschsprachige Rezeption Barths zu diesen Themen haben sich parallel zueinander entwickelt, wie z. B. an Literaturverzeichnissen und Quellenangaben zu erkennen ist. Ein Grund könnten mangelnde Sprachkenntnisse sein. Es ist zumindest seit längerem möglich, als englischsprachiger Muttersprachler ohne Deutschkenntnisse ein Barthkenner zu sein, weil die wesentlichen Schriften übersetzt worden sind.118 Die einschlägige Sekundärliteratur wurde dagegen selten übersetzt.119 Die US-Amerikanerin Sonderegger wirft Barth einen entschiedenen, auf seiner Christologie basierenden Antijudaismus vor, den sie mit ihrer Arbeit „That Jesus Christ was born a Jew“120 aus dem Jahr 1992 belegen will, in der sie Barths Römerbrief und die KD, darin vor allem die Erwählungslehre, untersucht. Barth sei kein Antisemit, aber er stehe in Luthers Nachfolge, was seine antijüdische Theologie betrifft: „Much of Luther’s medieval world lives on in Barth – the drama of Christian supersession of the Jews, the vigorous claim of ownership over the scriptures, the overarching form of prophecy and fulfillment, and, not least, the blindfolded Synagogue of medieval iconography.“121

Ihre Absicht besteht darin, Marquardts Arbeit über Barth, die sie prinzipiell schätzt, weiterzuentwickeln, indem sie seine Kritik aufnimmt und verschärft: „The cost to Christian understanding and interpretation of Judaism is high, far higher than students like Marquardt wish to acknowledge“122. Barth akzeptiere die Existenz der jüdischen Religion eigentlich nicht: „The solidarity between

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der Kirche an Israels Weg unter dem Bogen des Bundes gemeint sei und Israel damit eine größere Wertschätzung erfahre. 377–418. Vgl. Barth, Karl: Church Dogmatics vol. I/1-IV/4. Hg. und übers. von Thomas F. Torrance und Geoffrey W. Bromiley. Edinburgh: 1956–75. Buschs Biographie erschien schon früh auf Englisch. Vgl. Busch, Eberhard: Karl Barth. His life from letters and autobiographical texts. Translated by John Bowden. London: 1976. Dagegen ist die Einführung in seine Theologie erst auf Englisch erschienen, nachdem ein großer Teil der englischsprachigen Beiträge zum Thema ,Barth und die Juden‘ schon erschienen waren. Vgl. Busch, Eberhard: The Great Passion. An Introduction to Karl Barth’s Theology. Translated by Geoffrey W. Bromiley. Grand Rapids, Michigan: 2010. ,Unter dem Bogen‘ wurde nicht übersetzt. Zuvor hatte Busch allerdings einzelne Artikel zum Thema auf Englisch veröffentlicht. Vgl. Busch, Eberhard: „The Covenant of Grace fulfilled in Christ as the Foundation of the Indissoluble Solidarity of the Church with Israel. Barth’s Position on the Jews during the Hitler Era“. In: SJTh 52 (1999). 476–503. Sonderegger fasst die Thesen ihrer Arbeit in ihrem Vorwort zusammen. Vgl. Sonderegger, That Jesus, viif. Dort heißt es: „No easy companion in life, in theology Karl Barth was even more demanding. His is a fully dogmatic understanding of the people Israel, drawing Judaism into the compass of Christology and refashioning the doctrines of election and reprobation into the form of a covenant people ,passing away‘ and rising to life in Christ. This stern anti-Judaism, however, does not stand alone. Barth was a life-long opponent of anti-Semitism, a leader in the Confessing Church, and, at the end of his life, a strong supporter of the state of Israel.“ vii. S. ebd., 65. S. ebd., 174.

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Christian and Jew that Barth so vigorously advocates is based upon the quiet assumption that Judaism does not exist.“123 Sein Denken stamme aus einer Zeit, in der es die friedliche Koexistenz von Judentum und Christentum noch nicht gegeben habe: „Reaching behind the Enlightenment, a gesture so dear to him, Barth rejects the eighteenth-century compromise that allowed Judaism to take its place among the religions of reason or revelation in Europe.“124

Ihr größter Vorwurf ist der des konsequenten typologischen Denkens und der Sukzessionstheorie bei Barth:125 „On occasion, Barth will use the language of supersession: the Church is the new or true Israel.“126 Sonderegger betont, dass Israel bei Barth allein zur Verwerfung geschaffen worden ist, wohingegen sie ihre Kritik nicht daran festmacht, dass Israel in der Erwählungslehre zum Zeugen des göttlichen Gerichts erklärt wird.127 Um seine Mangelhaftigkeit zu untermauern, argumentiert sie damit, dass Barth die Rechtfertigungslehre ablehne: „There can be no question that Barth rejects the doctrine of justification by faith alone as it was repristinated and elevated by the Lutheran and Reformed traditions“.128 Dennoch habe er eine Theologie des Judentums entworfen und damit ein gewisses Interesse am Judentum bekundet, und er sei lebenslang aktiv im Kampf gegen den Antisemitismus gewesen, habe sich in der Bekennenden Kirche engagiert129 und die Gründung des Staates Israel befürwortet130. Das Freundlichste, was Sonderegger über Barths Theologie zum Ausdruck bringt, ist das Zugeständnis, dass er sich entwickelt habe: „Despite my arguments for continuity in Barth’s thought, I recognize that a strong case can be built for the position that Barth altered and developed his understanding of Judaism over the major phases of his theological career.“131

Im Prinzip will sie Barth nicht lesen, um seine Ansätze weiterzuentwickeln, sondern es geht ihr lediglich darum, ihn in diesem Punkt anzuklagen. Ihr alternatives Konzept ist es, zwei parallele Zugänge zu Gott anzunehmen.132 Sie wirft ihm vor, dem rabbinischen Judentum nicht gerecht zu werden, indem Barth allein das biblische Judentum berücksichtige.133 Sondereggers Beitrag 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133

S. ebd., 142. S. ebd., 141. Zur Typologie vgl. ebd., 72–78. Siehe auch die Ausführungen zu den Typen Saul und Judas. S. ebd., 103. Vgl. ebd., 126. Dort heißt es: „Israel is elected for rejection.“ Das Zeugnis des Gerichts wird im dritten Kapitel ausführlich Gegenstand sein. Für viele ist es das entscheidende Argument für die These, dass gemäß Barths Auffassung Israel grundsätzlich verworfen ist. S. ebd., 168. Vgl auch 173. Vgl. ebd., 12. Vgl. ebd., 135–140. S. ebd., 162. Vgl. ebd., 177 ff. Vgl. Sonderegger, Katherine: „Response to Indissoluble Unity: Barth’s Position on the Jews

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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ist zwar relativ alt und weder umfassend noch besonders gründlich, aber sie gilt den Rekursen auf sie zu urteilen als die amerikanische Expertin zum Thema. An dieser Stelle betrachte ich das Werk von Barths letztem Assistenten Eberhard Busch, der lebenslang zu Barth publiziert hat und durch seine Nähe zu Barth und die Komplexität seiner Beiträge eher eine Sonderstellung einnimmt. Er fügt sich jedoch insofern in die chronologische Darstellung ein, als er seine beiden wesentlichen Schriften über das Verhältnis zum Judentum in den Neunzigern verfasst hat. Er hat in seinen Büchern zweimal ausführlich und eng an Originaltexten sein Engagement während der Nazi-Herrschaft einschließlich seines Eintretens für die Juden dargestellt. In seiner Biographie „Karl Barths Lebenslauf“134 dokumentiert er chronologisch das gesamte Leben und damit auch die Zeit des Nationalsozialismus. In „Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933–1945“135 weist Busch nach, dass die Entwicklungen in Barths Theologie während der Nazidiktatur nicht im Besonderen von der zu anderen Zeiten abweichen, wie das bei einem radikalen Umdenken der Fall gewesen wäre. Busch räumt ein, dass Barth als junger Mensch – wie er selber von sich gesagt habe – antijudaistisch war, also eine schematische Beurteilung des Judentums gehabt habe, dass er aber schon 1910/11 den Antisemitismus abgelehnt habe.136 Sein Weg einer israelfreundlichen Theologie sei eine langjährige selbständige Entwicklung gewesen, die 1916 mit dem ersten Römerbrief begonnen habe.137 Barth selbst sei der Ansicht gewesen, er habe sich zu dieser Zeit nicht gravierend in seinen Haltungen verändert.138 Busch sieht in Barmen die Grundlage für Barths Widerstand zugunsten der Juden. Er will zeigen, dass Barths „Ringen um eine Erneuerung der Kirche, wie sie die Barmer Theologische Erklärung vom Mai 1934 anzeigte, mit der Abzielung auf deren Bewährung im Verhältnis zu den Juden intim verknüpft war.“139

Für Barth ist der politische Widerstand ein Kampf mit theologischen Mitteln gewesen.140 Busch stellt umfassend dar, wie Barth sich in den entscheidenden Jahren verhalten hat. Er hat sofort nach der Wahl der Nationalsozialisten und deren

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during the Hitler Era“. In: Hunsinger, George (Hg.): For the Sake of the World. Karl Barth and the Future of Ecclesial Theology. Grand Rapids, Michigan: 2004. 84. Vgl. Busch, Eberhard: Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiografischen Texten. Unveränderte Neuaufl. Zürich: 2005 (1975). Vgl. Busch, Eberhard: Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933–1945. Neukirchen-Vluyn: 1996. Vgl. ebd., 13. Diese Entwicklung zeichnet Busch in seinem zweiten Kapitel detailliert nach. Vgl. ebd., 11–36. Vgl. ebd., VI. S. ebd., VI. Das wird gut erklärt bei ebd., 150–154.

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erstem Wirken mit Protesten begonnen.141 Er wurde in Köln von einem Gericht verurteilt für seine Kritik an der staatlichen Judenfeindschaft.142 Er wurde des Landes verwiesen,143 und seine Schriften wurden im Oktober 1938 verboten.144 Er hat sich für die Versorgung jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz engagiert145, und Juden sieht er als an erster Stelle zu nennende Opfer des Krieges.146 Er habe drei Wochen nach der Reichspogromnacht erklärt, wer Judenfeind sei, der sei auch ein Christusfeind. Im selben Jahr bezeichnet er den Antisemitismus als die Sünde wider den Heiligen Geist.147 Das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 hat Barth als zu wenig bußfertig empfunden.148 Busch relativiert Barths Selbstkritik149 durch konträre, teilweise unveröffentlichte Aussagen Barths150 und durch ein Aufzeigen anderslautender Wahrnehmungen von Zeitgenossen.151 Er wertet Barths Verhalten zur Zeit des Nationalsozialismus als von Anfang an durchdacht und solidarisch gegenüber Juden, doch kritisiert er Barth dafür, sein Vorgehen und seine Haltung nicht unmissverständlich artikuliert zu haben.152 141 Er schreibt z. B. in seinen Prolegomena von 1934, also kurz nach der Sportpalastkundgebung, über die Zusammengehörigkeit von Altem und Neuem Testament und predigt zur gleichen Zeit über den Juden Jesus. „Jesus Christus war ein Jude.“ 10.12.34. S. Busch, Lebenslauf, 247. 142 Vgl. Busch, Eberhard: Die große Leidenschaft. Einführung in die Theologie Karl Barths. Gütersloh: 1998, 40. 143 Vgl. Busch, Lebenslauf, 279. 144 Vgl. ebd., 303. 145 Vgl. ebd., 304. 332. 146 Vgl. ebd., 419. 147 Vgl. ebd., 304. 148 Vgl. ebd., 343 und 354. 149 Busch bestreitet die Ernsthaftigkeit aller Schuldeingeständnisse Barths. Vgl. seine informativen Ausführungen zu Barths Verständnis von Umkehr in ebd., 523–37, die Barths pädagogisches Interesse als Begründung seiner öffentlichen Buße andeuten, und konkrete Hinweise zu Barths Schuldeingeständnis gegenüber Bethge. Vgl. ebd., 12. Barth habe in Bezug auf Barmen bedauert, „was er von den Juden nicht sagt, aber nicht das, was er von Jesus Christus sagt.“ S. ebd., 222. Zum Brief an Bethge vgl. Barth, Karl: „An Rektor D. Eberhard Bethge, Rengstorf bei Neuwied. 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 403–406. 150 Barth sagt zu Busch, er wolle sich selbst mit der Großmutter des Teufels gegen den Antisemitismus verbünden. Vgl. Busch, Bogen, 35. Er habe den Nationalsozialismus und seinen Antisemitismus von Anfang an und vollkommen abgelehnt. Vgl. ebd., 37. 49. 156. 151 So hielt nach Busch Adorno Barth für den einzigen christlichen Theologen des 20. Jahrhunderts, der Kritik am Antisemitismus geübt hat. Vgl. ebd., V. Bischof Theophil Wurm hielt ihn für den ersten, der schon 1933 den Nationalsozialismus durchschaute. Vgl. ebd., 37. Zwar geht er mit drei befreundeten Judenchristen im theologischen Streit auseinander, doch zeigt deren Auseinandersetzung, dass hier kein Antijudaismus das Problem gewesen ist. Vgl. Busch, Eberhard: „Barth und die Juden 1933–1935“. In: Beintker, Michael/Link, Christian/Trowitzsch, Michael (Hg.): Karl Barth in Deutschland (1921–1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2003 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2005. 445 ff. 152 Vgl. Busch, Bogen, 9 f.

Der Forschungsstand zu Israel bei Karl Barth

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Er untersucht die zur Zeit des Nationalsozialismus entstandene Erwählungslehre (II/2) und referiert unmittelbare theologische Reaktionen auf deren Erscheinen, aus denen hervorgeht, dass Barth damals noch durchgehend als aufgeschlossen gegenüber Israel und damit als seiner Zeit voraus verstanden worden ist.153 „Die große Leidenschaft“154 ist eine allgemeine Einführung in Barths Theologie zu den großen systematischen Themen und bietet auch zur Erwählungslehre eine Ergänzung, die über die Zeit des Nationalsozialismus hinausreicht. Busch weist überzeugend nach, dass Barth schon vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus weder antisemitisch noch antijudaistisch gewesen ist. Er gewährt umfassend Einblick in biographisch und kontextuell bedingte Beweggründe von Barths Arbeiten,155 so dass es zukünftig nicht mehr erforderlich sein wird, Barths Begegnungen und Aktivitäten zu analysieren. Busch hat nur wenig über Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, geschrieben156 und sich des Themas Judenmission bei Barth nicht ausführlich angenommen.157 Er erwähnt lediglich, dass die Ablehnung der Judenmission durch Barth darauf basiert, dass die Juden Zeugen sind.158 Seine Schriften sind motiviert vom Widerspruch gegenüber Kritikern. Aus diesem Grund geht Busch vorwiegend auf die bleibende Erwählung der Juden und die Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche ein. Er bespricht wiederholt die Zeit des Nationalsozialismus, die Bedeutung von Barmen sowie Barths Kontakte zum Judentum.159 Andere Forscher sind zu anderen Ergebnissen gekommen als 153 Vgl. Busch, Bogen, 438. 154 Vgl. Busch, Leidenschaft. 155 Vgl. zur Rolle der eigenen Biographie für das Theologietreiben auch Busch, Eberhard: „Theologie und Biographie. Das Problem des Verhältnisses der beiden Größen in Karl Barths ,Theologie‘“ In: EvTh 46 (1986), 325–339. Bei der Lektüre meine ich verstanden zu haben, was Barth meint, wenn er gerade in einer schlimmen Zeit Theologie treiben will: Die Shoah sagt nichts aus über Gott, sondern nur über den Menschen, also z. B. Adolf Hitler. Angesichts der Shoah ist es wichtig, dass der Mensch sein Gottesbild nicht verändert, weil das hieße, Hitler zum Gestalter des eigenen Gottesbildes zu machen. Er würde dem Menschen dadurch am Ende nicht nur sein Leben, sondern auch noch seinen Glauben nehmen. 156 Vgl. Busch, Barth und die Juden, 452–456, um eine Zusammenfassung von Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, aus Sicht Buschs zu lesen. Alles, was er dort schreibt, deckt sich mit den Ergebnissen dieser Arbeit. Vgl. auch Busch, Bogen, 401–491. Er referiert die Erwählungslehre bei Barth, allerdings unter einer anderen Fragestellung. Busch will nachweisen, dass die Christologie Juden und Christen verbindet. 157 Vgl. Busch, Bogen, 425. Er referiert Barths Ablehnung der Judenmission. 158 Vgl. Busch, Eberhard: „Indissoluble Unity. Barth’s Position on the Jews during the Hitler Era“. In: Hunsinger, George (Hg.): For the Sake of the World. Karl Barth and the Future of Ecclesial Theology. Grand Rapids, Michigan: 2004. 68. Auch in Busch, Leidenschaft, 263 wird die Thematik aufgegriffen. 159 Ein Grund für Buschs Beschäftigung mit Barmen ist die massive Konzentration der Kritiker auf Barths vermeintlichen Antijudaismus in Barmen. Die Sekundärliteratur hat sich ausführlich mit der vermeintlich fehlenden Barmer These zu den Juden beschäftigt. In diesem Zusammenhang wird Barths Schuldeingeständnis gegenüber Eberhard Bethge angeführt. Vgl. Bethge, Eberhard: „Barmen und die Juden – eine nicht geschriebene These?“. In: Stephan, Hans-Ulrich

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Busch.160 Barth hat sich zwischen 1933 und 1945 weiterentwickelt, nur hat er schon vom ersten Tag an reflektiert und kontextbezogen theologisch Widerstand geleistet – so stellt es Busch überzeugend dar.161 Der Australier Lindsay orientiert sich in seinen drei Monographien an den Arbeiten Buschs und verzichtet weitestgehend auf negative Kritik an Barth. Für ihn ist Barths Christologie grundsätzlich gar nicht antijüdisch, insofern der jüdische Jesus Christus die Hauptoffenbarung und der Grund der Erwählung des jüdischen Volkes ist. Lindsay hat 2001 seine Dissertation „Covenanted Solidarity“162 verfasst, in der er Barths Rolle im Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft auf seine theologische Begründung hin untersucht. Dazu befasst er sich auch mit Barths Werdegang und theologischen Schriften vor 1945.163 Er unterscheidet sich in seinen Fragestellungen kaum von denen Buschs.164 Die Konzepte ,Erwählung‘ und ,Offenbarung‘ seien laut Lindsay von den Nazis pervertiert worden. Barth habe seine eigene, christologische Deutung dagegengesetzt und habe deshalb den Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus abgelehnt, wie an Barmen gut erkennbar sei.165 Lindsay stellt entgegen aller gängigen Kritik an Barmen fest: „our study has shown that if revelation was the predominant theme of the 1934 Declaration, this necessarily entailed, at least for Barth, a fundamental solidarity with the Jews.“166

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(Hg. im Auftrag der evangelischen Kirche im Rheinland): Das eine Wort für alle. Barmen 1934–1984. Eine Dokumentation. Neukirchen-Vluyn: 2006. 121 und Huber, Wolfgang: Folgen christlicher Freiheit. Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung. NBST 4. Neukirchen-Vluyn: 1983. 71. Vgl. Gerlach, Wolfgang: Als die Zeugen schwiegen. Bekennende Kirche und die Juden. Mit einem Vorwort von Eberhard Bethge. 2., bearb. und ergänzte Ausgabe. SKI 10. Berlin: 1993 (1987). Dieser bewertet Barths Verhalten zur Zeit des Nationalsozialismus und seine Theologie, insofern sie nach Israel fragt, konsequent negativ (besonders 403–416 und 437–449) und unterstellt ihm, Judenmissionar gewesen zu sein. 408. 410. 420. Vgl. Busch, Lebenslauf, 229–334. Busch verwebt die historischen Ereignisse mit Hinweisen auf Barths theologische Arbeit zur selben Zeit, so dass nachvollziehbar wird, wie die Zeit des Nationalsozialismus auf Barths Entwicklung seiner Haltung zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium gewirkt hat. 279. 297. 315. 318. Vgl. allerdings auch den Aufsatz von Van Norden, der die Motive für Barths Handeln zur Zeit des Nationalsozialismus in einer differenzierten und tiefgründigen Weise beleuchtet: Norden, Günther van: „Karl Barth 1933/34 – der homo politicus im Jahr der neuen Koalition“. In: Denker, Jochen/Marquardt, Jonas/Winkler-Rohlfing, Borgi (Hg.): Hören und Lernen in der Schule des NAMENS. Mit der Tradition zum Aufbruch. Festschrift für Bertold Klappert zum 60. Geburtstag. Neukirchen-Vluyn: 1999. 254–268. Vgl. Lindsay, Solidarity. Mit Ausnahme von §49.3, der später verfasst wurde. So auch in seinem zweiten Werk. Vgl. Lindsay, Mark R.: Barth, Israel, and Jesus. Karl Barth’s Theology of Israel. Barth Studies. Hampshire: 2007. xixf. Vgl. zur religiösen Deutung des Nationalsozialismus durch Lindsay Solidarity, 128–137, 164–169. 199–200, für eine gute Zusammenfassung von Barths Haltung zu Barmen 176–181. S. ebd., 191.

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Weil Jesus Christus ein Jude gewesen sei und weil Gott die Juden in diesem einen erwählt habe, sei Barths Christologie gegen die Nazi-Ideologie gewesen.167 Über die Rolle der Juden in der Erwählung schreibt Lindsay, sie sei ambivalent: „It cannot be denied that Barth’s portrayal of unbelieving Israel’s history and involuntary service is gloomy in the extreme. He shows no reserve in accusing Israel of sinfulness and infidelity. […] Because the electing God (Jesus Christ), who is eternally faithful to His election, is the basis of Barth’s treatment of Israel, Barth is able to affirm a great ‘Nevertheless‘, according to which faith, hope and life are posited as Israel’s future, in contrast to its present misery and suffering.“168

Lindsay bespricht die zentralen Themen Evangelium und Gesetz169, die Erwählungslehre mit dem Zeugnis des Gerichts,170 das Judesein Jesu,171 den Bund,172 die Definition dessen, was das Judesein ausmacht,173 und die Definition des Antisemitismus nach §49.3.174 Er widerspricht Sonderegger und weist ihren Vorwurf der Sukzession sowie negative Urteile zu Barths angeblichem Antijudaismus in der Erwählungslehre zurück: „According to Sonderegger, Barth’s final word to Israel is No. They are elected solely for rejection.“175 Die Erwählungslehre sei ein Teil der Gotteslehre, so dass es auf das Verhalten Gottes ankomme. Der Vorwurf des Ungehorsams gelte außerdem allen Menschen. Er hält jedoch wie sie die Formulierungen für problematisch und kritisiert den unfreiwilligen Zeugendienst des ungläubigen Israel. Er schreibt: „the harsh language which sometimes emerges in the Dogmatics in relation to the Jews, while regrettable and unacceptable in a post-Holocaust age, can only rightly be understood in the context of the basically sympathetic theology of Jewish-Christian solidarity in which it appears.“176

Lindsay fasst seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „The Jewishness of Jesus, the Israelitic medium of revelation (both ante and post Christus) and the solidarity of the Church with Israel as the inseparable objects of divine election, informed his response to the Nazi persecution and then genocide of the Jews.”177 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177

Vgl. ebd., 199. S. ebd., 219. Vgl. ebd., 188–191. Vgl. ebd., 213–229. Vgl. ebd., 212. Vgl. ebd., 217. 249 f. Vgl. ebd., 300–306. Vgl. ebd., 303–306. S. ebd., 296. Vgl. auch 222. 284. 299. S. ebd., 306. S. ebd., 314.

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Auch wenn er es nicht näher bestimmt, ist interessant, dass er die Offenbarung in Jesus Christus an dessen Judesein festmacht und bereits im Alten Testament verortet. Ihm geht es nicht um die Theologie, sondern darum, für eine Solidarität der Christen mit den Juden zu werben, wie uns sein Titel verrät. Dafür bedarf es nicht einer tiefgründigen Analyse, sondern allein des Nachweises, dass Barth nicht antijüdisch ist, weil bei ihm Juden und Christen durch Offenbarung und Erwählung miteinander verbunden sind. 2007 folgt mit „Barth, Israel, and Jesus“ eine Betrachtung zur Zeit nach 1945 – genauer nach 1948 und vor allem zu KD III und IV – und zu Barths Lehre in den theologischen Bedingungen dieser Zeit, die zu dem Ergebnis kommt, dass Barth sich angesichts seiner Begeisterung für die Gründung des Staates Israel einer natürlichen Theologie geöffnet habe.178 Das habe Einfluss auf seine Versöhnungslehre gehabt, die eindeutiger Israel berücksichtige als die Erwählungslehre.179 Auf seine Lehre vom Bösen habe der Holocaust keinen Einfluss gehabt, auf seine Sicht des Staates Israel dagegen sehr: „if Barth had moderated his stance on natural theology in relation to the creation of Israel, why did he not incorporate the theological lessons of the Holocaust into his discussion of evil which, after all, occurs in a later section of the same volume as his discussion of providence?“180

In seinem dritten Buch „Reading Auschwitz with Barth“181 von 2014 erklärt er, die Shoah hätte ausführlich Bestandteil der KD werden müssen, weil sie das Judentum und dessen theologische Lehren ebenfalls massiv geprägt habe, was zu einem Ungleichgewicht zwischen Judentum und Christentum geführt habe. Wie er die Gründung des Staates Israel theologisch gedeutet hat, so hätte er laut Lindsay die Shoah im Ganzen theologisch deuten sollen. Während er prinzipiell Barths Ablehnung der natürlichen Theologie akzeptiert, hätte er sich für die Shoah andere Maßstäbe gewünscht, weil sie nicht als ein rein menschliches Ereignis anzusehen sei: „the Shoah is of such impact that it must be regarded as a witness to revelation; it cannot be regarded as a witness to revelation because of Barth’s rejection of natural theology“182. Lindsay argumentiert u. a. anhand von zwei Paragraphen – der Besprechung des Nichtigen in §50 und der Lichterlehre in §69.183 Lindsay ist wie Busch kirchengeschichtlich orientiert und steht seinem Selbstverständnis nach Busch nahe, wobei er anders als dieser in Barth einen 178 Vgl. Lindsay, Barth, 59–85. 108 f. Natürliche Theologie ist der Ausdruck für die Vorstellung, dass in der Natur als einem Zeugnis der Offenbarung Gottes verlässliches Wissen über Gott gefunden werden kann. 179 Vgl. ebd., 87–105. 180 S. ebd., 109. Vgl. auch 55. 74. 181 Vgl. Lindsay, Mark R.: Reading Auschwitz with Barth. The Holocaust as Problem and Promise for Barthian Theology. Princeton Theological Monograph Series 202. Eugene, Oregon: 2014. 182 S. ebd., 8. 183 Vgl. ebd., 90 f. 102 f.

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unbewussten Vertreter der natürlichen Theologie sieht.184 Lindsay bescheinigt Barth zudem eine stetige Weiterentwicklung zum Guten: „there is no doubt that Barth’s late dogmatic theology attributes to Israel a far more prominent and positive role than we see in the (pre-Holocaust) first half of the Church Dogmatics.“185 Er ist unter denen, die ausführlich zu Israel bei Barth gearbeitet haben, neben Busch der einzige, der zu dem Schluss kommt, dass Barth nicht antijüdisch gewesen ist. Lindsay würdigt Barths theologische Haltung des einen gemeinsamen Weges von Israel und Kirche. Wie die meisten kritisiert er jedoch Barths vermeintliches Desinteresse am Judentum, was er mit Barths Schuldbekenntnis begründet.186 Insgesamt vermag Lindsays Entwurf nicht zu überzeugen. Barths Definition des Judentums und des Antisemitismus bleiben außen vor. Die Frage nach dem Einfluss der Jahre 1933–45 auf Barth sind von Busch sorgfältiger besprochen worden. Der Nachweis der natürlichen Theologie bei Barth geht an dem vorbei, was Barth darunter verstanden hat und wozu er sie abgelehnt hat. Barth geht es nicht darum zu leugnen, dass historische Gegebenheiten zur theologischen Meinungsbildung beitragen. Er verweigert sich lediglich dem Anspruch, diese Ereignisse zum Maßstab der Theologie zu erklären. (I/1,194–261)187 Der Klappertschüler Brandau ist der Verfasser der aktuellsten Monographie, die sich ausführlich zum Thema ,Barth und die Juden‘ beschäftigt. Er ist zugleich thematisch am dichtesten an der speziellen Frage nach der Judenmission mit seiner im Jahr 2006 erschienenen Dissertation „Innerbiblischer Dialog und dialogische Mission“188, die er 2008 in einem Artikel in der Jungen Kirche zusammengefasst hat.189 Brandau dokumentiert in seiner Dissertation die Geschichte der protestantischen Judenmission bis in die Gegenwart und setzt sich inhaltlich mit ihr auseinander in der Absicht, deren Ablehnung besser begründen zu können. Barths Theologie stellt dafür seine Grundlage dar.190 Brandau hält die Erwählungslehre für die Grundlegung von Barths bei ihm so genannter Israellehre und diese Tatsache wiederum für einen Beleg dafür, dass die Israellehre bei Barth ein zentrales, weil christologisch und ekklesiologisch relevantes Thema sei: „Die Israelfrage gehört für Barth somit zum Evangelium von Jesus Christus. Sie ist […] Kernfrage christlicher Theolo184 185 186 187

Vgl. Lindsay, Barth, 16. S. ebd., 110. Vgl. dazu vor allem das zweite Kapitel in ebd., 15–35. Vgl. Weinrich, Michael: „Theologischer Ansatz und Perspektive der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths“. In: Weinrich, Michael: Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie. FSÖTh 139. Göttingen: 2013. 54–63. Die Rolle der natürlichen Theologie wird erneut aufgegriffen in den Kapiteln 2.1.3 und 4.1.8. 188 Vgl. Brandau, Dialog. 189 Vgl. Brandau, Problem. 190 Vgl. Brandau, Dialog, 487 für eine gute Zusammenfassung der Forschungsabsicht Brandaus. Er stellt Barth in einem Grundlagenkapitel dar (71–110), und greift ihn in seiner abschließenden Diskussion erneut auf. 424–476.

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gie.“191 Hilfreich ist sein Hinweis auf Barths Umdeutung der Wendung von der doppelten Prädestination. Anstelle der Zuordnung zu erwählten und verworfenen Menschen ordnet Barth alle Menschen zu Jesus Christus als dem zugleich Erwählten und Verworfenen. Brandau, der sich grundsätzlich für die Mission ausspricht, weist die Judenmission ab. Er bekräftigt die ökumenische Nähe zwischen Judentum und Christentum auf einem gemeinsamen jüdischen Weg zum Gott Israels.192 Doch obwohl er Barth nahesteht und ihn als Gegner der Judenmission einführt, zieht er dessen Themen schließlich bei der Entwicklung seiner eigenen Thesen nicht heran.193 Denn Brandau stört sich an Barths Christologie, die wie in Barmen I so auch in der Dogmatik: „eine exklusive Christologie“ sei, die „christologisch vereinnahmt“194. Er greife „auf das klassische »Typologiemodell« zurück, demzufolge Israel lediglich die Vorausdarstellung der Kirche als seiner überlegenden Entsprechung ist und Israel eschatologisch in die Kirche integriert werden wird.“195 Echte Ideen zum besseren Verständnis von Barth kommen von Brandau nicht, weil er einen zu kleinen Ausschnitt von Barths Dogmatik zu oberflächlich angesehen hat. Er vermutet, dass Barth Israel allein unter das Gesetz stellt.196 Brandau unterscheidet nicht zwischen dem Sein unter dem Gericht und dem Zeugnis des Gerichts und missversteht infolgedessen Barths Definition des Gerichts: „Der Weg des Sohnes Gottes in die Fremde ist ausschließlich der Weg der Übernahme des Gerichtsleidens Israels.“197 Weder den Zeugnisbegriff noch die Frage nach dem Evangelium der Juden greift Brandau auf. Er lässt den Bereich des Antisemitismus und damit die Frage, wie das Judesein zu definieren sei, außen vor. Es stellt sich angesichts von Brandaus Darstellung schließlich die Frage, wozu er ihn zur Grundlage seiner Dissertation gemacht hat.

1.5 Hinweise zur Verwendung zentraler Begriffe Barth verwendet Begriffe nicht konsequent, was seine Skepsis gegenüber der Festlegung auf Prinzipien anstelle von Personen unterstreicht. Ernstpeter Maurer vermag das auf den Punkt zu bringen: Barth verdächtige die Begriffe, 191 S. ebd., 72. 192 „Barth denkt, vom Christusgeschehen herkommend, die Einheit des erwählenden Gottes und des erwählten Menschen zusammen mit der Einheit der Gemeinde (in zweierlei Gestalt als Israel und Kirche).“ S. ebd., 427. Vgl. auch S. 3. 193 Vgl. ebd., 477–488. 194 S. ebd., 427. 195 S. ebd., 426. Indem er Klapperts Typologiemodell als klassisch einstuft, erweist er sich einmal mehr als Klappertschüler. 196 Vgl. ebd., 76. 197 S. ebd., 438. Vgl. auch 436 ff.

Hinweise zur Verwendung zentraler Begriffe

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„die einzigartige Begegnung mit Jesus Christus durch allgemeine Denkmuster zu verstellen.“198 Einige Charakteristika der Sprache Barths können Missverständnisse fördern oder Ablehnungen auslösen. Barth differenziert begrifflich nicht innerhalb von Menschengruppen, sondern spricht pauschal von Juden, Heiden und Christen – und das ausschließlich in der männlichen Form. Ihm wird von Kritikern vorgeworfen, dass er rabbinische Schriften und nachbiblische jüdische Theologie und Religion ignoriert. Sonderegger behauptet etwa, dass Barth das von ihr so genannte rabbinische Judentum, das er Synagoge nenne, zwar wahrnehme, es aber ablehne und nur das von ihr so genannte biblische Judentum akzeptiere.199 Das ist nicht nachvollziehbar, denn Barth verwendet die Begriffe ,Juden‘ und ,Synagoge‘ weitestgehend synonym, ebenso wie er von den Christen und der Gemeinde spricht, als handele es sich um eine homogene, die Zeiten überdauernde und darin gleichbleibende Größe. Wie er Christen nicht in Konfessionen einteilt, nimmt er bewusst keine Differenzierung zwischen dem Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels und dem späteren Judentum bis ins 20. Jahrhundert vor, weil er die universellen Definitionen bevorzugt. Diese sind für ihn kontextuell mit konkreten Menschen zu füllende, aber zunächst notwendigerweise universell gemeinte Überbegriffe bzw. Konstrukte. Besonders wichtig wird es sein darauf hinzuweisen, wo gängige Begriffe eine vom Gewohnten abweichende Definition erfahren haben. Barth benutzt Begriffe, die inzwischen als anstößig gelten, wie z. B. ,Heiden‘ oder ,Judenfrage‘. Andere existierten zu Barths Zeit noch nicht oder waren kaum verbreitet, wie z. B. ,Holocaust‘. Barth verzichtet üblicherweise auf Definitionen, so dass sich die individuelle Bedeutung der verwendeten Begriffe erst aus dem Kontext erschließt. Eine vollständige Übersetzung in aktuelle Ausdrücke nehme ich nicht vor, sondern ich übernehme Barths Sprache, sofern es möglich erscheint, um mich seinem Denken anzunähern. Die Verwendung der männlichen Formen übernehme ich der Lesbarkeit halber. Die generalisierenden Gruppenbezeichnungen verwende ich in dem Bewusstsein, dass es innerhalb der Zuschreibung ,Jude‘ oder ,Christ‘ ein weites Spektrum von Menschen und Anschauungen gibt. Barth wählt nach 1945 scheinbar bewusst theologische Begriffe, die durch Nationalsozialisten instrumentalisiert wurden, um sie zu reklamieren. Ursprünglich diskutierten christliche Theologen die Lösung der Judenfrage, wenn sie das Verhältnis von Israel und Kirche besprachen. Im Nationalsozialismus wechselte die Bedeutung und bezeichnete das Vorhaben des Ge198 S. Maurer, Ernstpeter: „Sprache bei Barth“. In: Beintker, Michael (Hg.): Barth Handbuch. Tübingen: 2016. 166. 199 Vgl. Sonderegger, Indissoluble, 84. Diesen Punkt hatte sie in ihrer Monographie auch schon drin, in der sie behauptet, dass Barth wirklich kein einziges Mal die Synagoge als etwas Positives erwähnt habe. Hier versucht sie, die Begriffe Synagoge, Juden und Israeliten zu unterscheiden. Vgl. Sonderegger, That Jesus, 82.

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Einleitung

nozids. Barths Bereitschaft, dieser von ihm erlebten Entwicklung entgegenzutreten, indem er auf seinen Begriffen beharrt, ist nachvollziehbar, doch funktioniert sie in einem extremen Fall wie diesem wahrscheinlich nicht und wird in dieser Arbeit vermieden. Weil Barth dieselben Begriffe in unterschiedlicher Bedeutung verwendet, kann der – unzutreffende – Eindruck entstehen, er habe seine Definitionen oder seine Theologie im Laufe der Zeit verändert. Barth bevorzugt den Begriff Gemeinde, auch wenn er gelegentlich in synonymer Weise vom Leib Christi oder vom Volk Gottes spricht. Zu dieser Gemeinde unter dem Bogen des Bundes gehört das Volk Israel zu allen Zeiten. Außerhalb der Gemeinde kommt Israel dagegen nicht vor. Zusätzlich zu Israel gibt es in der Gemeinde die Kirche, die wiederum aus an Jesus Christus glaubenden Juden und Heiden besteht. Diese Juden bezeichnet Barth ebenfalls als Israel. Selten nennt er auch die Kirche das wahre Israel, weil sie zu Israel hätte werden können, wäre es nicht aus vielen Gründen anders gekommen. Wenn Barth gelegentlich die Gemeinde nicht mit benennt, sondern von der Kirche aus Israel und Heiden spricht, dann beschränkt er sich auf einen Teil der Gemeinde. Wenn er von dem Leib Christi spricht, sind alle außer den Heiden gemeint, auch die Juden, die den Bundesgott und Jesus Christus ablehnen. Die Schwierigkeit besteht darin, jeweils zu verstehen, was er mit Israel meint, weil es für Israel zwei Definitionen gibt. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass er gelegentlich Kirche und Gemeinde fälschlicherweise synonym verwendet. In der Erwählungslehre ist mit der Gemeinde immer die gesamte Gemeinde gemeint, während er in der Missionslehre überwiegend von der Gemeinde als der christlichen Gemeinde, also der Kirche, spricht. In dem Exkurs zur Judenmission wechselt er zwischen dem Begriff Kirche und christlicher Gemeinde, so dass es keine scharfe Trennung mehr gibt zu den Stellen, an denen mit Gemeinde alle Christen und Juden gemeint sind. Eine Vertiefung der Begriffsklärung mit Belegen findet sich in Kapitel 3.3.6.

2 Karl Barths Missionsverständnis 2.1 Die Lehre von der Heidenmission 2.1.1 Einleitung Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Barths Missionsverständnis im Allgemeinen. Dieser Teil wird ausführliche Literaturreferate enthalten, die eine kaum wahrgenommene Seite Barths als Missionstheologe aufzeigen sollen. Barth stellt sein Missionskonzept im dritten Teil der Versöhnungslehre von 1959 vor, in dem es um die Berufung und die Sendung der Kirche geht.1 Es gibt jedoch eine weitere, ausführlichere Besprechung in der Schöpfungsethik von 1951 im Rahmen von Ausarbeitungen zum tätigen Leben. Des Weiteren existiert ein Vortrag zum Thema „Die Theologie und die Mission in der Gegenwart“2 von 1932, der sich aber vorrangig mit dem Verhältnis von Theologie und Mission und weniger mit der Mission an sich beschäftigt. Was darin zur Mission vorkommt, wird in der KD ausführlicher behandelt, so dass dieser Vortrag nicht gesondert vorgestellt wird. Daneben gibt es weitere erwähnenswerte Formulierungen in der „Dogmatik im Grundriß“3 von 1947 und einige aufschlussreiche Gesprächsprotokolle aus den späten Jahren. Barth wurde offenbar selten als Vertreter einer missionarischen Ekklesiologie gelesen, zumindest gibt es hierzu nur einzelne Monographien wie die von Dieter Manecke und John G. Flett.4 Die im Folgenden zur Mission zitierten Stellungnahmen aus der Sekundärliteratur zu Barth stammen aus Werken, die sich mit anderen Fragestellungen beschäftigen. In der Literatur wurde Barth 1 Der Begriff ,Kirche‘ wird von Barth im Rahmen der Missionslehre gemieden. Stattdessen verwendet er den Begriff ,Gemeinde‘ im Sinne der christlichen Gemeinde für das, was üblicherweise unter dem Kirchenbegriff gefasst wird. 2 Vgl. Barth, Karl: „Die Theologie und die Mission in der Gegenwart“. In: Ders.: Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge 3. Zürich: 19862. 100–126. 3 Vgl. Dogmatik im Grundriß. 9. Aufl. (1947). Zürich: 2006. 4 Vgl. die sorgfältige Einführung in Barths Lehre von der Mission, die jedoch keine Behandlung der Judenmission beinhaltet, von Dieter Manecke: Mission als Zeugendienst. Karl Barths theologische Begründung der Mission im Gegenüber zu den Entwürfen von Walter Holsten, Walter Freytag und Joh. Christiaan Hoeckendijk. Wuppertal: 1972 und Flett, John G.: The Witness of God. The Trinity, Missio Dei, Karl Barth, and the Nature of Christian Community. Grand Rapids, Michigan: 2010. Dagegen ist Bentleys Titel irreführend, weil der Verfasser die Missionslehre nur streift und eigentlich die Ekklesiologie behandelt. Er untersucht das Verhältnis der Kirche zu Gott, anderen Konfessionen, Religionen und der Gesellschaft, ergänzt diese mit Erkenntnissen aus seiner Barthlektüre und stellt daraufhin dar, welches Kirchenverständnis für die lokale – in seinem Fall südafrikanische Kirche – geboten ist: Bentley, Wessel: The Notion of Mission in Karl Barth’s Ecclesiology. Newcastle upon Tyne: 2010.

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vorwiegend für das gewürdigt, was später die Missio Dei-Theologie genannt wurde, was zeigt, dass seine Lehre anschlussfähig ist an gängige Modelle.5 Der Begriff Missio Dei wurde bezugnehmend auf Willingen benutzt von Karl Hartenstein und geprägt von Georg F. Vicedom mit einem Buchtitel im Jahr 1960 und meint die Betonung der Mission als der kirchlichen Anteilnahme an der Sendung des Sohnes. Sie erhält ihre Kraft durch die Besinnung auf die Trinitätslehre.6 David Bosch sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Barth und der später so genannten Missio Dei-Theologie der Weltmissionskonferenz in Willingen 1952, die davon überzeugt gewesen ist, dass die Kirche sich von Gott in der Mission gebrauchen lässt.7 Er greift diesen biblischen bzw. christozentrischen Ansatz auf und plädiert in Distanz zu Barth für die stärkere Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Kontexte, was mehr an einen Theologen wie Dietrich Bonhoeffer erinnert, der die geschwisterliche, friedensstiftende Kirche für die Völkerwelt hervorhob.8 John Flett bestreitet den direkten Zusammenhang zwischen Barth und der Missio Dei, der es an der trinitarischen Durchdringung der Kluft zwischen Gott und der Welt mangele, weshalb sie schöpfungstheologisch bleibe.9 Er erklärt, warum das bei Barth anders sei. Der trinitarische Gott bezeugt sich selbst, und die Gemeinde, die ihm dient, dient automatisch der Welt. Flett bietet mit seiner ausführlichen Diskussion der Frage nach Barths Bereitschaft zur Mission dennoch eine gründliche Behandlung der Missionstheologie Barths als zumindest einer Art Missio Dei-Theologie. Die Diskussion zeigt, wie weitreichend Barths Lehre die Missiologie des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat. Weinrich formuliert auf der Basis der Ekklesiologie Barths fünf Thesen zur 5 Vgl. Guder, Darrell Likens: „From Mission and Theology to Missional Theology“. In: PSB 24 (2003). 36–54 und Guder, Darrell Likens: „Barths Missionsverständnis“. In: Beintker, Michael/ Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968) Vertiefung – Öffnung – Hoffnung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2014 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2016. 349–361 sowie Holmes, Stephen R.: „Trinitarian Missiology. Towards a Theology of God as Missionary“. In: International Journal of Systematic Theology 8 (2006). 72–90. Genauso und auch unter Nennung des Begriffes Missio Dei sieht es Manecke. Vgl. Manecke, Mission, 170. 6 Vgl. Vicedom, Georg F.: Missio Dei – Actio Dei. Neu hg. von Klaus W. Müller mit Beiträgen von Bernd Brandl und Herwig Wagner. Edition afem mission classics 5. Nürnberg: 2002 und Grünschloß, Andreas: „Missio Dei“. In: RGG4 5. 2002. 1271–1272. 7 Vgl. Bosch, David Jacobus: Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Mission. The American Society of Missiology Series 16. New York: 1991. 389 f. 493 f. 8 In Anlehnung an Bonhoeffers ,Kirche für andere‘ schreibt Bosch von der ,Kirche mit anderen‘. Vgl. Ahonen, Tiina: Transformation through Compassionate Mission. David J. Bosch’s Theology of Contextualization. SLAG 55. Helsinki: 2003. 119. Vgl. zur Barthkritik 200–201. 9 Vgl. Flett, Witness, 11–18. 173–195. S. darin auch folgende Äußerungen: „With Barth’s austere rejection of ‘points of connection‘ [Anknüpfungspunkte, St. S.] long sanctioned by missionary experience, he failed to provide an alternative basis for the missionary act.“ 92, und: „Barth’s rejection of human mediation, however, is a derivative consequence of his rejection of the beingand-act dichotomy within divine ontology.“ 165 f.

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kirchlichen Mission.10 Die Kirche verkündigt etwas, das zuvor und unabhängig von ihr in Geltung gewesen ist. Ihre Aufgabe besteht darin, den Wissensvorsprung der Kirche gegenüber der Welt zu überbrücken. Dieses Wissen gibt sie weiter, ohne etwas Eigenes zu geben. Das Heil ist nur insofern in ihr zu erlangen, als dass Jesus Christus ihr Herr ist, der in ihr wirkt. Zur Mission gehört die befreiungstheologische, lebenspraktische Seite. Laut Barth seien die Religion und die Spiritualität nie das Primäre, sondern als menschliche bzw. weltliche Reaktion auf das zuerst göttliche Handeln stets sekundär.11 Barth sei wie wenige andere Theologen „nüchtern und ohne einen fehlgeleiteten Eifer von einer weitreichenden, auch in die Kirche hineinreichenden Säkularisierung“12 ausgegangen. Das liegt an der folgenden Grundhaltung: „Im Entscheidenden treten nicht wir für Gott ein, sondern Gott tritt für uns ein – das gilt auch für die Mission und beschreibt im Sinne Barths das, was wir heute gewohnt sind, mit Missio Dei zu bezeichnen.“13

In den protokollierten Gesprächen der späten Jahre wurde Barth zwar häufig zu seinem Missionsverständnis befragt, jedoch überwiegend mit dem Interesse an seinem Heilsbegriff bzw. der Allversöhnung. Im Folgenden werden zwei Passagen der KD vorgestellt, in denen es Barth um die Kirche als das Subjekt der Mission und um das Evangelium als den Inhalt der Mission geht. In der ersten wird erkennbar, was die Mission leisten kann, während die zweite sich darauf konzentriert, was Mission dann auch wirklich leisten sollte. Es lohnt sich, an dieser Stelle weiter auszuholen, weil sich zeigt, dass Barths massive Erwartungen eben nicht aus der potentiellen Infragestellung des Gegenübers herrühren. Im Prinzip ist die gründliche Lektüre des Missionsverständnisses bereits ausreichend, um Vorwürfe auszuräumen, in denen Barth unterstellt wird, dass er Bedingungen stellt, die zur Voraussetzung für die Existenz vor Gott werden, z. B. die Verwerfung der Juden aufgrund ihrer Ablehnung von Jesus Christus. 2.1.2 Mission im Rahmen der Schöpfungslehre: §55 Freiheit zum Leben, 3. Das tätige Leben (in Auszügen) Innerhalb der Besprechung des tätigen Lebens der christlichen Gemeinde wendet sich Barth der Mission zu, (III/4, 574–592) und damit genauer der Frage nach der Aufgabe der Gemeinde in der Welt. Er stellt sofort fest, dass sie sich der Welt mit ihren ihr entgegengesetzten Maßstäben nicht entziehen darf. 10 Vgl. Weinrich, Michael: „Missio Dei und die Sendung der Kirche“. In: ders.: Die bescheidene Kompromisslosigkeit der Theologie Karl Barths. Bleibende Impulse zur Erneuerung der Theologie. FSÖTh 139. Göttingen: 2013. 192–204. 11 Vgl. ebd., 195 f. 12 S. ebd., 193 f. 13 S. ebd., 200.

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Weder in distanzierter noch überheblicher Weise und in dem Wissen, dass kein Mensch dem an ihn gestellten Anspruch genügen kann, soll sie sich öffnen. Jeder Christ möge sich bewusst sein darüber, dass er selbst „nicht nur in der Gemeinde, sondern ganz und gar auch in der Welt und also auch in der Fremde, im Dunkel, im Bereich des Anderen und Entgegengesetzten“ (III/ 4,575) lebt. Der missionierende Christ ist also von dem, was er in der Mission bezeugt, gleichbleibend mit und zuerst angesprochen. „Daß der Christ, indem er bei diesem Zeugendienst der Gemeinde mitwirkt, der Welt zuerst und vor allem in sich selbst begegnet, bedeutet die gewaltige Erschwerung seines Tuns, ist aber auch eine Garantie seiner Echtheit. So gewiß er selber dessen bedarf, daß ihm das Reich Gottes bezeugt wird, so gewiß ist eben das auch das tiefste Bedürfnis der ihn umgebenden Welt.“ (III/4,575)

Im Folgenden entwickelt Barth in vier Punkten seine Position zum Dienst der Gemeinde in der Welt. Sie soll zuerst Gottes Liebe für die Welt imitieren und darstellen, dann nach ihren menschlichen Möglichkeiten lieben und ganz für die Welt eintreten. „Ihre Parteinahme für Gott kann, weil Gott die Welt geliebt hat, weil sein Reich das Licht der Welt ist, nur als Parteinahme für die Welt und nicht in Form einer Frontbildung und eines Kreuzzuges gegen sie ins Werk werden.“ (III/4,574)14

Sie soll sich dabei bewusst sein darüber, dass sie selbst die Welt nicht verbessern oder erlösen wird. „Was die Menschen eigentlich brauchen, ist die Freiheit des Geistes. Die kann sie ihnen nicht geben. Die kann sie ihnen nur bezeugen in der Hoffnung, daß ihr Zeugnis nicht umsonst sein, daß Gott sich seiner bedienen möchte, das von ihr Bezeugte auch ihnen sichtbar und auch für sie wirksam werden zu lassen.“ (III/4,576)

Ihr liebendes Zeugnis in Wort und Tat kann und soll sie geben. Sie soll der Welt begegnen mit „einem solchen Tun und Lassen, Reden und Schweigen, Eingreifen und Dulden, das dem Anderen schlicht als Mensch Luft und Raum schafft, Mut und Freude macht.“ (III/4,577) Im Prinzip geht es Barth hier nicht an sich um die Liebe, sondern vor allem auch um die Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses. „Würde dieser Nächste von jenem Kreis her Gegnerschaft, Haß, Verachtung, oder auch nur Gleichgültigkeit erfahren, würde er von dorther bekämpft, wäre es ein anderer Wind als der echter menschlicher Freiheit, der ihn von dorther anwehte, wie könnte er dann überhaupt aufmerksam werden und hinhören auf das Zeugnis von der Freiheit des Geistes, des Reiches der Gnade, das ihm von dorther angeblich nahegebracht werden soll?“ (III/4,576) 14 Die im Original gesperrt gedruckten Wörter erscheinen bei allen Barthzitaten in Kursivschrift.

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Barth bekräftigt diesen Punkt, indem er erneut infrage stellt, ob die Gemeinde es schafft, Gottes Liebe für alle Menschen erkennbar zu machen. Die Gemeinde, die um Gottes Liebe zu ihr weiß, soll sich auch wirklich in ihrer Mangelhaftigkeit von Gott geliebt wissen. Nur so kann sie nach Barths Auffassung die Liebe Gottes auch den anderen zugestehen. Erst unter dieser Voraussetzung, dass sie selbst an die Liebe Gottes für sich und damit für die Welt glaubt, kann sie laut Barth ein glaubwürdiges Zeugnis abgeben. Der zweite Abschnitt wendet sich dem Missionsbegriff zu, der hier zunächst in seinem „äußeren Sinn“ (III/4,577) betrachtet werden soll und in diesem bedeutet, dass „Nichtchristen zur Erkenntnis ihrer Berufung und also zum Glauben, zum Gehorsam, auch sie zur Mitwirkung am Dienst der Gemeinde“ (III/4,577) gerufen werden. Barth legt hier einige Rahmenbedingungen in der Mission fest. Er wiederholt, dass die Gemeinde sich nicht von der Welt abspalten soll, weil sie zum Zeugendienst existiert. Dies ist nach Barths Auffassung ein Dienst, in dem die Möglichkeiten zwar beschränkt, aber wichtig sind. Insofern kann die Gemeinde keinen Glauben erwecken. Während die Gemeinde an die Versöhnung aller in Jesus Christus glauben und auch in jedem Menschen einen potentiellen Christen sehen soll, kann sie nicht erwarten, dass alle oder auch nur viele diesen Glauben annehmen werden. Barth rechnet eher mit massivem Mitgliederrückgang als mit Wachstum, wertet diesen aber nicht als ein Scheitern der Mission, sondern als Gottes freien Willen. „Sie [die Kirche St. S.] hat keine Verheißung, daß irgendeinmal alle Menschen oder auch nur ihre Majorität Christen sein werden.“ (III/4,577) Darüber hat sie sich nicht zu sorgen, sondern sie soll sich nur um das Zeugnis kümmern: „Die Gemeinde ist als solche auch Missionsgemeinde oder sie ist nicht christliche Gemeinde.“ (III/4,578) Es ist „jeder Christ ein Missionar, ein Werber neuer Zeugen“ (III/4,579).15 Im dritten Abschnitt wendet er sich der Verkündigung des Evangeliums als dem Sinn der Mission zu. Unter dem Evangelium versteht er: „daß Gott sich ihrer angenommen, daß Gott ihr geholfen, daß sie keine sich selbst überlassene, sondern die von Gott geliebte, gerettete, bewahrte, regierte und ihrem Heil entgegengeführte Welt ist und daß Alles, was in ihr geschieht, das ganze menschliche Leben in aller seiner Verwirrung und Bedrängnis, Sünde, Schuld und Not, ja, das ganze kreatürliche Leben in seiner Gebundenheit der Offenbarung dieses von Gott schon zu seinen Gunsten Vollbrachten entgegeneilt.“ (III/4,579)

Er beleuchtet vergangenes, gegenwärtiges und zukünftig relevantes Geschehen. Barth wertet die Welt positiv: „Sie hat wahrgenommen, wie die Zeit und alles, was in der Zeit ist, von dorther liebend, geduldig, barmherzig, hilfreich umfaßt ist.“ (III/4,579 f.) Nachdem Barth sich ausdrücklich für das Ja zur Welt 15 Zu vertiefenden Gedanken zum Verhältnis von Kirche und Welt und die Gefahren, die hier von innen oder außen bei einer Störung des Gleichgewichts drohen vgl. §67.3 (IV/2, 747–765).

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ausgesprochen hat, differenziert er dieses im Folgenden. Lieben heißt nicht, nichts Anderes als ja zu sagen. Es gibt in diesem Ja auch ein Nein, das die christliche Gemeinde kennt und weitergeben soll. „Sie kann den Weg und die Wege der Welt nicht gutheißen und mitgehen wollen.“ (III/4,580) Der Weg besteht darin, dass die Welt ohne Evangelium und ohne Gott sein und sich selbst helfen will. Indem die Gemeinde auf den anderen Weg hinweist, bleibt sie Zeugin. Es ist nicht ihr eigenes Nein zur Welt. Sie ist durch das Nein mit angesprochen. Deshalb kann sie nach Barth auch nicht Vorbild oder Ratgeber für die Welt sein. „Sie hat aber den Menschen entscheidend nicht etwa diesen Einwand, diese Kritik und Negation entgegenzuhalten, aber nun eben auch kein Programm, keinen Plan, kein Gesetz, in dessen Ausführung die Menschen jenen großen Versuch, ohne Gott zu leben, aufzugeben, ihn durch den entgegengesetzten Versuch, sich ihm aufs Neue zuzuwenden, gutzumachen und dann mit Gottes Hilfe Alles anders und besser zu machen hätten.“ (III/4,580)

Es geht Barth vielmehr darum, dass Gott handelt, indem er sich bereits mit ihnen versöhnt hat, und sein Handeln an ihnen zum Ende bringen wird. Die Gemeinde soll das göttliche Ja bezeugen. „Sie hat ihnen weder das göttliche Nein noch auch ein neues christlich verbessertes menschliches Ja, sondern das göttliche Ja zu bezeugen, das dann allerdings auch ein Nein, auch das göttliche Gericht in sich schließt und allerdings auch ein neues menschliches Ja hervorruft und nach sich zieht, das aber vor und über allem anderen sein eigenes, in sich selbst weises und mächtiges Ja ist, das er zu seinem Geschöpf gesprochen hat und endlich und zuletzt durchführen und offenbar machen wird.“ (III/4,581)

Ein vierter Schritt ist das prophetische Zeugnis. Hier ist gemeint, dass das ewige Wort in der Wendung der Gemeinde an die Welt zum kontextbezogenen Wort wird. (III/4,583–592) Dieses Kapitel könnte den Anschein erwecken, als ob die Mission unwichtig sei, weil Barth mehrfach erklärt, dass die Gemeinde vor Gott nicht besser bestehen kann als die Welt. Seine Betonung auf geringe Erfolgsaussichten in der Mission und auf die schlichte Liebe der Gemeinde zur Welt unterstreicht das. Weder der Glaube des Christen noch die Erweckung des Glaubens beim Heiden werden besonders gewürdigt. Er konzentriert sich darauf, was die Kirche in der Mission nicht auszurichten vermag. Dennoch ist das nicht alles, sondern er wiederholt, was es mit dem göttlichen Ja auf sich hat, und dass das Ausrichten des göttlichen Neins dazu gehört. Die folgenden Ausführungen über den Stellenwert des Glaubens im Heilsgeschehen bei Barth und über Barths Verständnis von Versöhnung sollen die Intention seiner Ausführungen zum tätigen Leben erklären. Der Mensch kann seinen Status vor Gott durch seinen Glauben nicht verbessern. Barth formuliert in einem Gespräch mit Methodisten folgendermaßen:

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„Unsere zeitliche und ewige Zukunft hängt nicht von unserer Entscheidung ab, sondern von dem, was auf Golgatha geschehen ist, und unsere Glaubensentscheidung ist unsere Stellungnahme dazu. Aber nun darf man unsere Stellungnahme zu diesem Geschehen nicht zur Bedingung dafür machen, daß das Heil für uns wirklich wird.“16

Es stellt sich die Frage, inwiefern überhaupt noch von einer Aufgabe in der Mission gesprochen werden kann. Die Missionierenden sollen nichts aus sich selbst heraus erreichen wollen. Sie sollen sich nicht über Gott und sein Evangelium erheben, indem sie sich über die Welt stellen, selbst den Glauben erwecken oder das Evangelium verständlich machen und auf das Ja reduzieren wollen. Sie sollen aber die Menschen in der Welt auf das Evangelium hinweisen. Die Welt soll absichtslos geliebt werden, und dann soll das Evangelium wirklich verkündigt und zur Nachfolge aufgerufen werden. Es ist nicht so, dass die Bedeutung des Glaubens geschmälert wird, sondern dass die menschlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten im Versöhnungsgeschehen und im Glauben daran infrage gestellt werden. Etwas deutlicher wird es, wenn man die Argumentation der Schöpfungslehre danach befragt, was in ihr über das Evangelium zu erfahren ist. Dann wird klar, dass das Evangelium für den Menschen nicht verfügbar ist und folglich nicht durch den Menschen vereinnahmt werden kann. Es erhöht nicht den einen Menschen über den anderen, weil es allen gleichmäßig gilt. Und es kann nicht vermittelt, sondern nur bezeugt werden.17 Das Evangelium lässt sich nicht abstrahieren oder systematisieren. Es ist immer mehr als eine Lehre und ein Wissen um etwas. Es bleibt immer das Evangelium des lebendigen Gottes, der am Menschen handelt, der fortwährend Ja und Nein sagt und auf die menschliche Antwort wartet. Laut Barth sei die Verkündigung des Evangeliums „die Anzeige des Reiches Gottes“ (III/4,579). Gott regiert laut Barth den Menschen. Insofern kann nach ihm das Evangelium nicht als Lehre begriffen werden, weil es sich hier um ein Beziehungshandeln zwischen Gott und dem Menschen handelt. Wer von dem Evangelium spricht, muss nach Barths Auffassung sofort auch von dem Gott des Evangeliums sprechen und von den Menschen, denen Gottes Handeln gilt. Das Evangelium ist für Barth nichts Starres, sondern vergangenes, gegenwärtiges und ewiges Handeln Gottes und als solches dynamisch. Es geht um das ein für alle Mal überwundene Gericht und das göttliche Ja, aber auch darum, dass bis heute beide zusammenstehen und als solche beachtet werden sollen. Gott handelt noch immer am Menschen. Außerdem ist es nicht nur ein unmissverständliches Ja, sondern auch ein Nein, dessen Bedrohung genom16 S. Barth, Karl: „Gespräch mit Methodistenpredigern (16. 5. 1961)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 189. 17 Der Begriff ,Vermittlung‘ wird von Barth sowohl für die Stellvertretung, die nur Jesus Christus gebührt, als auch für die einfache menschliche Vermittlung in Form des mitteilenden Zeugnisses verwendet. In dieser Arbeit ist stets letzteres gemeint, sofern es nicht deutlich anders gekennzeichnet ist.

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men ist, aber als überwundenes Nein dennoch ein Nein bleibt und als dieses verstanden werden will, und nur im Evangelium verstanden werden kann. Es gibt die Notwendigkeit, mit Gottes Hilfe auf dieses Nein zu reagieren. Dem Evangelium zu folgen, heißt einen anderen Weg einzuschlagen. (III/4,580)18 Der Mensch, der glauben darf, kann nun nachfolgen und mit Gott sein, ohne dass Glaube und Mission zur Voraussetzung für den Empfang der göttlichen Versöhnung werden.19 Wie unkonventionell Barths Definition ist, wird deutlich im Vergleich zu den konventionellen. Zum Evangelium und zur Mission heißt es in der aktuellen evangelischen Lebensordnung der Evangelischen Kirche der Union (EKU): „Das Evangelium von Jesus Christus ist eine Botschaft, die sich an alle Menschen richtet. Die Christen haben den Auftrag, das Evangelium weiterzugeben und sich auch öffentlich zum Evangelium zu bekennen.“20

Explizit konzentriert auf Jesu Leben, definiert Helmut Koester in der RGG das Evangelium: „Terminus technicus für die mündlich verkündigte Botschaft von Leiden, Tod und Auferstehung Christi als eschatologischem Ereignis.“21 Etwas allgemeiner auf Christus bezogen schreibt Michael Beintker ebenfalls in der RGG, Evangelium sei: „Inbegriff der rettenden und erlösenden Heilsbotschaft von Jesus Christus, der vollmächtigen Heilsansage und befreienden Heilszusage.“22 Die EKD-Kammer für Theologie definiert 2003 Evangelium als „Offenbarung des lebendigen, von der Sünde errettenden Gottes in Jesus Christus, der durch das Wirken des Heiligen Geistes den freimachenden Glauben schafft“23. Hunsinger hat die Befürchtung, dass Barths Haltung die Mission zur Option degradiert, was er zurückweist: „a long and historic tradition exists of motivating evangelism out of concern for those who are in danger of being eternally lost. If this motivation is undermined, it can seem as if evangelism has forfeited its rationale.“24 18 Hier geht es noch nicht um eine ausführliche Definition von Evangelium, die im zweiten Kapitel erfolgen soll. 19 Vgl. zu Barths Glaubensbegriff im Detail Gallus, Petr: Der Mensch zwischen Himmel und Erde. Der Glaubensbegriff bei Paul Tillich und Karl Barth. Leipzig: 2007. 20 S. Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union. Im Auftrag des Rates herausg. von der Kirchenkanzlei der Union. 3. Aufl. Berlin: 2012. 19. 21 S. Koester, Helmut: „Evangelium. I. Begriff“. In: RGG4 2. 1999. 1736. 22 S. Beintker, Michael: „Evangelium. III. Dogmatisch“. In: RGG4 2. 1999. 1741. 23 S. Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien. Ein Beitrag der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hg. vom Kirchenamt der EKD. EKD-Texte 77. Hannover: 2003. 14. 24 S. Hunsinger, George: Disruptive Grace. Studies in the Theology of Karl Barth. Grand Rapids, Michigan: 2000. 12. Hunsinger verwendet hier den Begriff Evangelisation offenbar synonym zu Mission, wie aus dem Zusammenhang ersichtlich wird. Denn ihm geht es um diejenigen, die die individuellen Bedingungen für die Erlösung nicht erfüllen und diese Sorge gilt wohl vor allem

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In seinem Buch „How to read Karl Barth“25 widmet sich Hunsinger ausführlich der Frage nach dem Heil. Insgesamt ist es Hunsingers Hauptanliegen, das Heilsgeschehen als eines, das ,extra nos‘ geschieht, verständlich zu machen: „It has already occurred decisively for our sakes in Jesus Christ.”26 Das verstehe sich nicht nur ohne uns als „soteriological objectivism“27, sondern auch für alle als „universal scope of salvation“28 ohne göttliche Selektion und unabhängig von Leistungen „regardless of our faith (or lack of faith), of our love (or lack of love), and of our hope (or lack of hope)“29. Dawn DeVries behauptet, in Barths Theologie leiste der Glaube keinen Beitrag zum Heilsgeschehen: „Now comes Barth with the claim that salvation has happened already completely outside of the human being, and this in such a way that there is no difference with regard to salvation between those who have faith and those who do not. The only difference between them has to do with their awareness of the reality of the reconciliation of humanity with God that has occurred in Jesus Christ.”30

Diese Haltung verurteilt sie: “Barth, I think, did us no favor in seeing faith as nothing more than a response to the salvation that has already occurred outside us.”31 Dass es einen großen Unterschied macht, ob jemand sich von der Aussicht auf Versöhnung getröstet weiß oder nicht, nimmt sie nicht wahr, und den Stellenwert der Nachfolge bei Barth übersieht sie.32 Minho Kim vertritt die Auffassung, dass Barth die Allversöhnung lehre. Die Frage nach der Judenmission stellt sich für ihn dann nicht mehr.33 Paul Chung sieht in Barth ebenfalls einen Befürworter der Allversöhnungslehre, und er scheint davon auszugehen, dass damit jede Mission obsolet geworden ist. Er kritisiert, dass Barth so angeblich keine Offenheit für Nichtglaubende (Juden)

25

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denjenigen, die gar nicht durch Mission erreicht sind. Barth unterscheidet dagegen zwischen diesen zu missionierenden Nichtchristen und den getauften Christen, die der Evangelisation bedürfen. S. dazu den Exkurs in 2.1.3. Vgl. Hunsinger, George: How to Read Karl Barth. The Shape of His Theology. New York: 1991. Ein ganzes Kapitel zum Verständnis von „Salvation“. 103–151. Darin ein eigener Bereich zum Universalismus. 128–135. Dieses Buch gibt es auch in der deutschen Übersetzung: Hunsinger, George: Karl Barth lesen. Eine Einführung in sein theologisches Denken. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marianne Mühlenberg. Neukirchen-Vluyn: 2009. Um näher an Hunsingers eigenen Aussagen zu sein, zitiere ich das englische Werk. S. Hunsinger, How, 130. S. ebd., 129. S. ebd., 129. S. ebd., 136. S. DeVries, Dawn: „Does Faith Save? Calvin, Schleiermacher and Barth on the Nature of Faith“. In: McCormack, Bruce/Neven, Gerrit (Hg.): The Reality of Faith in Theology. Studies on Karl Barth. Princeton-Kampen Consultation 2005. Bern: 2007. 189. S. ebd., 190. Vgl. ebd., 165–172.187–190. Vgl. Kim, Minho: Die umstrittene Prädestinationslehre. Luther – Calvin – Barth. NeukirchenVluyn: 2013. 216–221. 229.

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gehabt habe.34 Dagegen existiert ein Aufsatz von Colin Gunton zu Barths Heilsbegriff, in dem er gar nicht auf die Allversöhnung oder die Rolle des Menschen im Heilsgeschehen schaut.35 Es kommt in allem auf Gottes Wirken am Menschen an. Georg Plasger erklärt die Selbstbezeugung Gottes und das angenommene Glaubensbekenntnis im Inneren des Menschen zur Voraussetzung für das Bekenntnis.36 Der Heilige Geist ist subjektive Wirklichkeit und Möglichkeit der Offenbarung, wohingehen Jesus Christus die objektive ist. Jesus Christus teilt sich durch den Heiligen Geist mit und ermöglicht so die Erkenntnis Gottes bei dem Menschen. Dabei bleibt der Geist unverfügbar, weil er weder zur geschaffenen Natur des Menschen gehört noch in den Besitz des Christen oder der Kirche übergegangen ist. Er wirkt den Glauben im Menschen, und der menschliche Intellekt nimmt diesen zur Kenntnis und anerkennt den Glauben. Dazu gehört die Kenntnis des Offenbarungszeugnisses der Heiligen Schrift. Das ist die Schwierigkeit, dass der Glaube sich nicht gegenüber der Schrift verselbständigen sollte, weil er dann unklar wird. Deshalb misst Barth laut Plasger dem Glauben eine geringere Bedeutung bei als dem Wirken Gottes im Menschen. Beintker gelingt es, die Spannung zwischen dem solus Christus und dem sola fide bei Barth überzeugend darzustellen, indem er einerseits auf die strenge Vorordnung der Christologie vor die Rechtfertigung verweist und indem er andererseits die Relevanz der Heiligung und Berufung herausarbeitet, die den Christen zu nichts weniger als einem „Zeichen für die Gegenwart Jesu Christi in unserer Welt“37 erklären. Während der Mensch gar keinen

34 Vgl. Chung, Paul S.: Karl Barth. God’s Word in Action. Cambridge: 2008. Überhaupt sei durch die Betonung auf Gott kein Spielraum gegeben für Israel im Sinne eines positiven Offenhaltens der Frage nach den Juden. Das sei bei Bonhoeffer anders, bei dem der Unglaube Israels nicht durch Gottes Gnade verdeckt würde, sondern ein offenes Ärgernis bleibe. 405 f. Chung hält zudem Bonhoeffer für einen Anhänger der Allversöhnungslehre und einen Gegner der Judenmission. – Diese Haltung präzisiert er in seinem späteren Aufsatz. Vgl. Chung, Paul S.: „Karl Barth, Israel, and Religious Pluralism“. In: ChFe 9 (2008–2009). 103–127. Barth sei Judenmissionsgegner. 109.118.122. Das Nein der Juden habe er akzeptiert und könne deshalb das Nein aller anderen Andersglaubenden auch akzeptieren. 118. Er versteht nicht, dass für Barth Juden und Glaubende aus weiteren Religionen nicht dasselbe sind. „Barth’s particular commitment to Jesus Christ as a Jew does not block his radical openness for the ways of religious others in light of God’s reconciliation.“ 119. Er hebt insbesondere Barths Offenheit für den Buddhismus hervor. 112 ff. 35 Vgl. Gunton, Colin: „Salvation“. In: Webster, John: The Cambridge Companion to Karl Barth. Cambridge: 2002. 143–158. 36 Vgl. im Folgenden Plasger, Georg: Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth. Neukirchen-Vluyn: 2000. 21–29. 37 S. Beintker, Michael: „Rechtfertigung – Heiligung – Berufung“. In: Beintker, Michael/Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968) Vertiefung – Öffnung – Hoffnung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2014 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2016. 103.

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Anteil an seiner Erlösung haben kann, reicht ein Lippenbekenntnis nicht aus, um seiner Berufung gerecht zu werden.

Exkurs: Barths Haltung zur Apokatastasis Busch erklärt, die Ablehnung der Allversöhnung sei Barth ein ernsthaftes Anliegen gewesen, ohne dass er damit die in der Versöhnungslehre zugesprochene Hoffnung auf Gottes Handeln für alle und an allen inhaltlich zurückgenommen habe.38 Es ging Barth laut Busch weniger um die Infragestellung des Inhaltes – der Versöhnung für alle -, als um die Formulierung dieses Inhaltes in einer abstrakten Lehre. Eine in ein menschliches Gesetzesdenken gepresste Zusicherung von Versöhnung, die sich von dem Ernst der Sünde und des Gerichts nicht mehr beeindrucken lässt, widerspricht der Freiheit der göttlichen Gnade, wie Barth sie gelehrt hat. Die Aufgabe des Menschen ist es, zu hoffen und zu beten, wobei die Frage des Ausgangs nicht wirklich offengehalten wird. Der Mensch habe nur weder das Recht auf die Festlegung noch auf die Infragestellung des göttlichen Heilshandelns. Konkret sagt Barth in der Versöhnungslehre über die Allversöhnung, es sei uns verboten, „damit zu rechnen, als ob wir einen Anspruch darauf hätten, als ob das nicht in seiner letzten höchsten Gestalt das Werk Gottes wäre, auf das der Mensch keinen Anspruch hat noch erheben kann, so gebietet sie uns doch wohl noch bestimmter, eben darauf – wie wir es ja schon diesseits dieser letzten Möglichkeit mit Grund tun dürfen – zu hoffen, darum zu beten“. (IV/ 3,550) Barth wollte die Banalisierung der Sünde und die Trennung der Versöhnung von Jesus Christus vermeiden. So schreibt Barth, er glaube nicht an die Allversöhnung, wohl aber an den Allversöhner.39 Das will heißen, der Glaube an die Allversöhnung ohne ständigen Bezug auf Jesus Christus und das Geschehen am Kreuz könnte zu einer Verharmlosung in der Wahrnehmung des Neins im Ja führen. Gottes Nein gegenüber dem Menschen soll dieser weiterhin ernst nehmen. Nur ist dieses Nein in Christus überwunden, weshalb die Versöhnung davon nicht beeinträchtigt ist. Mit der Überwindung ist das Nein innerhalb des Jas nicht aufgehoben. Es bleibt die Notwendigkeit, um dieses Nein zu wissen und sich von ihm abzuwenden. Die Menschen sind und bleiben Sünder und als solche von Gott Angeklagte. Nur weil Christus längst der Sieger über das gefahrvolle Nichtige ist, gibt es Gericht und Urteil nicht weniger. Von seiner Sünde muss sich der Mensch immer neu befreien lassen. Es geht auch nach dem Sieg über die Sünde darum, sich von dieser abzuwenden durch die sich erneuernde Wendung. 38 Vgl. Busch, Leidenschaft, 226 f. 39 Vgl. Busch, Lebenslauf, 409.

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Auf die Frage nach der Existenz der Hölle antwortet Barth den Methodisten, es gebe wohl eine, denn sämtliche finstere Gewalten deuteten darauf hin.40 Die Hölle sei jedoch uninteressant, weil sie durch Jesus Christus überwunden und für den Menschen verschlossen sei. Er rate deshalb, die Frage nach der Hölle schlicht nicht zu stellen, sondern sich stattdessen rufen zu lassen und antwortend sein Gesicht in Richtung Jerusalem zu wenden. In einem Interview erklärt Barth auf eine Nachfrage hin sein theologisches Verständnis der Hölle: „Soll die Belehrung über die Hölle Teil der Evangeliums-Verkündigung sein? Nein, nein, nein! Die Verkündigung des Evangeliums heißt doch die Verkündigung, daß Christus die Hölle erlitten hat an unserer Statt und daß es uns erlaubt ist, mit ihm zu leben und so die Hölle hinter uns zu haben. Es »gibt« sie – aber hinter uns!“41

Zweitens ist es Barth wichtig, die göttliche Freiheit nicht zu beschneiden. Über die Allversöhnung befragt, erklärt Barth, dass er wegen der freien Gnade Gottes weder von Versöhnung aller noch von Verdammnis einiger sprechen mag, denn Christus habe „die Freiheit zu entscheiden, wem er die Wohltat seines Sieges über die Hölle gewähren wird.“42 Er bevorzugt die kontinuierliche Wendung des Glaubenden in die richtige Richtung. „Es ist insofern ein Ausschauen nach der Versöhnung Aller, ohne zu verkünden: «Alle sollen und werden gerettet werden». Denn es ist immer Gottes freie Gnade und über allem Gottes Gnade, wenn ich gerettet werde, nicht zu reden von der ganzen Menschheit.“43

Gerrit Berkouwer hat sich 1957 als einer der ersten mit dem Widerspruch in Barths Haltung zu den Grenzen der Gnade auseinandergesetzt.44 Gerhard Sauter kommt zu dem Schluss, dass Barth nicht pauschal für die Allversöhnung gewesen sei. So dürften wir etwas erwarten, doch gleich wie unterm Tannenbaum wüssten wir noch nicht, was es ist. Weder sei alles bereits geschehen noch stehe etwas Entscheidendes noch aus:

40 Vgl. Barth, Methodistenprediger, 191. 41 S. Barth, Karl: „Fragebeantwortung bei der Konferenz des «Weltbundes christlicher Studenten» in Straßburg (19. 7. 1960)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 111. 42 S. Barth, ebd., 112 f. 43 S. Barth, Karl: „Gespräch in Princeton I (2. 5. 1962)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 300. 44 Vgl. Berkouwer, Gerrit Cornelis: Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths. Neukirchen Kreis Moers: 1957. 98–108 und die Antwort Barths in IV/3,198–206, in der er einerseits bekräftigt, dass das Böse ontologisch unmöglich ist, andererseits sich aber gegen die Gnade als Prinzip stellt.

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„the ‘already‘ is valid for God’s promise, the ‘not yet‘ is valid for our understanding. […] We look up to God’s promise; it is not as if we look back on it. What God has promised remains before us and precedes us, and it is never within our reach.“45

Auch wenn sich Barth selbst in seiner ambivalenten Haltung treu geblieben ist, hat er seine Kritiker nicht überzeugen können. Barth ist bei denen, die zur Eschatologie gearbeitet haben, als Vertreter der Lehre von der Allversöhnung wahrgenommen worden, wenngleich er sich dagegen verwahrt hat.46 Rosenau erläutert ausführlich die für Barth typische christologische Argumentation in der Frage der Allversöhnung und setzt sich kritisch mit seiner Erwählungslehre auseinander, die für ihn im Widerspruch steht zu Barths Vorbehalten gegenüber dem Gedanken der Versöhnung für alle. Jesu Christi Repräsentation des Menschen vor Gott in der doppelten Wahl sei zu einseitig und damit werde die Erwählungslehre ebenso abstrakt wie die Allversöhnungslehre.47 Er wirft ihm vor, inkonsistent zu sein und kommt zu dem Schluss, er lehre die Allversöhnung, nur eben nicht im Sinne von: „metaphysischen oder logischen Notwendigkeiten“.48 2.1.3 Mission im Rahmen der Versöhnungslehre: §72 Der Heilige Geist und die Sendung der christlichen Gemeinde, 4. Der Dienst der Gemeinde (in Auszügen) Die Versöhnungslehre widmet sich demselben Inhalt mit dem Schwerpunkt auf der Relevanz des Zeugnisses für die christliche Existenz und damit für die Kirche. Für Manecke ist der entscheidende systematische Ort der Missionslehre die Versöhnungslehre, und so stellt er fast ausschließlich deren Kapitel vor. Er teilt es treffend in vier Bereiche ein: da ist erstens der Horizont der Mission in dem „im Versöhnungsereignis selbst manifestierten Willen Gottes 45 S. Sauter, Gerhard: „Why is Karl Barth‘s Church Dogmatics not a ‘Theology of Hope‘? Some Observations on Barth’s Understanding of Eschatology“. In: SJTh 52 (1999). 426. 46 Vgl. die Grundlagenwerke zur Allversöhnung von Rosenau, Hartmut: Allversöhnung. Ein transzendentaltheologischer Grundlegungsversuch. TBT 57. Berlin: 1993 und Janowski, Johanna Christine: Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie. NBST 23. Neukirchen-Vluyn: 2000 sowie zwei Werke zum Gericht Gottes von Etzelmüller, Gregor: »… zu richten die Lebendigen und die Toten«: Zur Rede vom Jüngsten Gericht im Anschluß an Karl Barth. Neukirchen-Vluyn: 2001 und Zeindler, Matthias: Gott der Richter. Zu einem unverzichtbaren Aspekt des christlichen Glaubens. 2. Aufl. (2004). Zürich: 2005. Vgl. auch Zeindlers Ausführungen zur Allversöhnung bei Barth: Zeindler, Matthias: „Die Universalität der Gnade. Auch ein Beitrag zur theologischen Freiheitslehre“. In: Beintker, Michael/Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968) Vertiefung – Öffnung – Hoffnung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2014 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2016. 310–329. 47 Vgl. Rosenau, Allversöhnung, 216. 48 S. Rosenau, Allversöhnung, 433. Vgl. auch die ausführliche Zusammenfassung der Diskussion über Barth und die Allversöhnung 191–221.

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zur Gemeinschaft mit dem Menschen“49, zweitens Jesus Christus als Inhalt und Grund der Mission, drittens der Zeugendienst als das Wesen der Mission und viertens die Verkündigung als die Funktion der Mission.50 Die Passage befindet sich im dritten Teil der Versöhnungslehre von Jesus Christus als dem wahrhaftigen Zeugen (IV/3). Auf die Besprechung der Herrlichkeit des Mittlers (§69), der Lüge und der Verdammnis des Menschen (§70) und der Berufung (§71) folgen die der Sendung der Gemeinde (§72) und der christlichen Hoffnung (§73). Mission ist einer von zwölf Punkten, in denen die Gemeinde nach Barths Auffassung spricht und handelt. Weitere sind u. a. das Gotteslob, die Predigt, der Unterricht, die Evangelisation und die Theologie. Von allen Punkten ist die Mission der einzige, der das Reden der Kirche in der Welt betrifft. Eingangs definiert Barth die Mission als die „Aussendung in die Völkerwelt zur Bezeugung des Evangeliums“ (IV/3,1002). Das Evangelium sei Gottes Wort vom Gnadenbund, das auch den Völkern in Christus ergehe: „auch an sie“ (IV/ 3,1002). Diese Botschaft wird der Welt als neue, fremde zugetragen. Der Auftrag zur Mission gründet in der Berufung der Gemeinde: „Die die Gemeinde konstituierende Berufung ist unmittelbar der Befehl, dieser Menschheit, den Völkern, den «Heiden» diese Botschaft zuzutragen. Indem sie diesem Befehl gehorsam ist, treibt sie «Heidenmission».“ (IV/3,1002) Schon in dieser Einleitung wird deutlich, dass es ihm vorrangig um die Bedeutung der Mission für die Kirche als Subjekt der Mission geht, wohingegen die Botschaft selbst und die sie erfahrende Welt in den Hintergrund treten. Es folgt eine Zusammenfassung des von Barth in sieben Gliederungspunkten aufgeführten Gedankenganges: Die Grundannahme, in der erstens Mission betrieben werden soll, ist die, dass „was zum Heil aller, und so auch dieser, irgendeinem falschen Glauben an irgendwelche falschen Götter verfallenen Menschen geschehen müßte, geschehen ist, daß Jesus Christus auch für diese «Heiden» gestorben und auferstanden ist.“ (IV/3,1002)

Die Mission unterliegt keinem Erfolgsdruck, weil sie nach dem Versöhnungshandeln geschieht. Dieser erste Punkt ähnelt noch stark der Perspektive der Schöpfungslehre mit seiner offensichtlichen Eingrenzung der menschlichen Möglichkeiten. Der zweite Punkt setzt bereits neue Akzente, wenn es heißt: „Die Gemeinde selbst und als solche ist handelndes Subjekt auch von Heidenmission – oder sie ist nicht christliche Gemeinde.“ (IV/3,1003) Zwar können aus ihr stammende, missionarisch handelnde Personen oder Werke stellvertretend beauftragt werden, aber das gilt weder ausschließlich noch ohne Beteiligung der Gemeinde. Barth bezeichnet die Gemeinde als Missionsgemeinde mit Missi49 S. Manecke, Mission, 178. 50 Vgl. ebd., 178 f.

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onspflicht.51 Das soll verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Aufforderung zum Zeugendienst an alle ernst zu nehmen. Wer kein Zeuge ist, der ist gar kein Christ. Dieser Punkt wird durch Hinzuziehung anderer Aussagen verständlicher. In der Dogmatik im Grundriss sagt er etwas expliziter über die Existenzberechtigung der Kirche: „Nein, die Kirche lebt von ihrem Heroldsauftrag, sie ist la compagnie de Dieu! Wo Kirche lebt, muss sie sich fragen lassen, ob sie diesem Auftrag dient oder ob sie Selbstzweck ist? […] Es ist eine ganz und gar «weltliche» Sache: offen zur Menschheit hin: «Gehet hin in alle Welt und verkündigt das Evangelium aller Kreatur!»52

Das Erkennen und das Verkündigen Jesu Christi gehören nach Barths Auffassung zusammen. Die Gemeinde hat der Welt gemäß dem Neuen Testament Jesus Christus als den einen Herrn der Welt zu verkündigen und von sich weg auf ihn zu verweisen. Solange sie selbst helfen und vermitteln will, ist sie für ihn nicht Gemeinde Jesu Christi: „Indem sie das tut, […] erhebt sie also keinen falschen Anspruch für sich selber, für ihren Glauben und ihr Wissen: Nein, Jesus Christus ist der Herr!“53 Der christliche Glaube soll Menschen nach Barths Auffassung verbinden und nicht isolieren oder erhöhen. Es geht darum, „dass die Christen den Nicht-Christen in Wort und Werk nicht etwa ein Bild des Herrn, nicht eine Idee von Christus vor Augen malen, sondern dass es ihnen gelingt mit ihren menschlichen Worten und Vorstellungen hinzuweisen auf Christus selber.“54

Barth erklärt, Paulus sei unmittelbar nach seiner Bekehrung Missionar geworden. Er sei nicht erst ein guter Christ mit Glaubensleben geworden, „sondern im selben Augenblick, als er umgekehrt (converted) war, war er berufen, ein Apostel zu sein; und Apostel heißt Missionar. Sofort! Und das ist unsere Situation.“55 Die Jünger haben zwar Jesu Werk nicht fortgeführt, aber sie haben im Missionsbefehl eine Sendung für die Endzeit bekommen, die die Zeit der Kirche ist. Weitere Synonyme für die Endzeit sind: „die Zeit der grossen Gelegenheit, der Aufgabe der Kirche der Welt gegenüber, die Zeit der Mission“56. Es sei „der Sinn dieser letzten Zeit, dass sie ausgefüllt wird durch die

51 Vgl. zu diesem Abschnitt Holmes, der sich gestützt auf eine Untersuchung u. a. von Barth gegen die Möglichkeit ausspricht, als Kirche auf Mission zu verzichten. Trinitarian, 89 f. 52 S. Barth, Dogmatik im Grundriß, 172. 53 S. ebd., 109. 54 S. ebd., 110. 55 S. Barth, Fragebeantwortung, 117. 56 S. Barth, Dogmatik im Grundriß, 149.

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Botschaft des Evangeliums und dass die Welt dieses Angebot hat, diese Botschaft zu hören.“57 In diesem Punkt wird so stark auf die Bedeutung der Mission der Gemeinde abgehoben, um diese vor einer Selbstüberschätzung in Form einer Selbstgenügsamkeit zu bewahren. Weil die Versöhnung alle angeht, will sie auch allen mitgeteilt werden. Während für Barth beim Glauben das Glaubendürfen im Vordergrund steht, handelt es sich beim Missionieren wirklich um eine Pflicht. Für ihn ist das eine Informationspflicht derjenigen, die um etwas wissen, das für alle relevant ist. Barth vergegenwärtigt sich die Situation der Jünger, denen der Auferstandene sich zeigt: „Jesu Auferstehung ist kein ihnen bereitetes Privatvergnügen! […] auf ihre persönliche Errettung und Veränderung zum Besseren war es in diesem Geschehen zwar auch, aber offenbar nur beiläufig und vorläufig abgesehen. Die Gestalt, in der es sie anging, war vielmehr der zunächst ohne Rücksicht auf das, was es bei ihnen persönlich ausrichten möchte, an sie ergehende Missionsbefehl: Gehet aus in alle Welt! Dazu ist ihnen der Auferstandene erschienen.“ (IV/3,350)

und: „Es fällt also das gewiß nicht genug zu schätzende Erstgeburtsrecht dieses Schärleins zusammen mit der ihm eben in und mit seiner Bevorzugung auferlegten Erstgeburtspflicht, die eben seine Missionspflicht ist.“ (IV/3,350)

Der Auferstandene erscheint eigens, um die Jünger zur Mission anzuhalten. Man kann den Missionsbefehl seiner Auffassung nach also gar nicht unterschätzen. Drittens soll die Gemeinde das Evangelium nicht nur weder instrumentalisieren noch verfälschen, sie soll auch keine weiteren, dem Evangelium fremden, eigenen Interessen einbringen. Die Bekanntmachung des Evangeliums soll laut Barth allein der „Ehre Gottes“ (IV/3,1003) und dem „Heil der Menschen“ (IV/3,1003) dienen. Im vierten Abschnitt ruft Barth die Christen dazu auf, das Evangelium den Menschen mit „dem falschen Glauben an die falschen Götter“ (IV/3,1003) zu verkündigen. Gemeint sind Angehörige von Religionen, die nicht an das Evangelium glauben. Da er sich in seiner Rede beschränkt auf „Religionen, aus deren Bereich die Völker“ (IV/3,1003) herausgerufen werden sollen, kann man folgern, dass religionslose Menschen in Barths Denken nicht vorkommen.58 Überhaupt verwendet er das Wort Heide ohne Bewertung des Glaubens als das Gegenteil von Jude und insofern synonym mit dem Wort Nichtjude. Barths Äußerungen über den Islam verdeutlichen, welchen Ton er angeschlagen hat, wenn er über eine Religion gesprochen hat, die er tatsächlich kritisch gesehen hat. Darin bezeichnet er den Islam als den falschen Glauben 57 S. ebd., 149. 58 Vgl. die Erläuterungen zu Barths Religionsbegriff am Ende dieses Unterabschnittes.

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an die falschen Götter, wobei er ihm eine höhere Bedeutung beimisst als anderen Religionen: Imposant seien sie in ihren „«primitiven» Gestalten, um von den «höheren» und insbesondere vom Islam nicht zu reden“ (IV/3,1003). Das zeigt auch, dass sich Barths Haltung zu den Juden nicht aus einer grundsätzlichen von Höflichkeit geprägten Zurückhaltung gegenüber nichtchristlichen Religionen speist.59 Die Beobachtung, dass er wiederholt explizit von der Heidenmission spricht, und dass er Juden bei der Besprechung der Mission nicht erwähnt, deutet darauf hin, dass Juden bei ihm nicht zu den Adressaten der Mission zählen.60 Zwar verurteilt Barth, wenn eine Religion das Evangelium als den Glauben an den einen Gott nicht kennt oder ablehnt, doch relativiert er diese theologische Haltung, wenn es um die zwischenmenschliche Ebene geht, auf der er Respekt und Dialogbereitschaft erwartet: „Mission setzt voraus, daß die Gemeinde sie gleichzeitig, von allem blöden Hochmut des weißen Mannes ganz frei, als solche zu schätzen und ernst zu nehmen und ihnen das Evangelium (ohne sich von ihnen auch nur im Geringsten imponieren zu lassen!) kompromißlos (ohne alles Spiel mit Anknüpfungspunkten und dergleichen) in seiner radikalen Eigenart und Neuheit gegenüber zu stellen weiß.“ (IV/3,1003)

Er würdigt die anderen Religionen als „in ihrer Weise psychologisch, soziologisch, ästhetisch, auch ethisch, überhaupt menschlich nicht nur interessante, sondern imposante Gebilde“ (IV/3,1003). In den ersten drei Punkten ging es um die Korrektur einer selbstgefälligen Haltung der Kirche. Noch stärker handelte die eingangs dargestellte Argumentation davon, dass die Kirche sich selbst immer zuerst als vom Evangelium angesprochene, als Welt, als die den falschen Göttern und sich selbst vertrauende, verstehen soll. Wichtig ist, zu betonen, dass Barth das Christentum 59 Für Barth ist es entschieden nicht so, dass Judentum und Islam ähnlich weit entfernt vom Christentum auf einer Stufe von diesem aus gesehen stehen. Glenn Chestnutt attestiert Barth ein negatives Islambild, beschäftigt sich aber dennoch damit, wie Barths Theologie fruchtbar sein kann für den innereuropäischen christlichen Dialog mit dem Islam. Vgl. Chestnutt, Glenn A.: Challenging the Stereotype. The Theology of Karl Barth as a Resource for Inter-religious Encounter in a European Context. Religions and Discourse 48. Bern: 2010. 4. Er behandelt Judentum und Islam als abrahamitische Religionen in seiner Barthrezeption und fordert von den Barthforschern eine gleichrangige Behandlung. „For Barth the Christian God is different from the God of Judaism and Islam.“ 57 Chestnutt sieht die größere Nähe zwischen Judentum und Islam, die nichtchristlich sind und beide in Barths Kritik stehen. Wenn Barth dann dennoch zum Judentum steht, so seine Argumentation, müsse er auch irgendwie zum Islam gestanden haben. Die Kirche sei bei Barth von der Synagoge abhängig. Chestnutt wünscht sich, dass es mit dem Islam ebenso sei: „But this view should also be extended to include a mutual dependence between the Mosque and the Church.“ 85. Für eine Zusammenfassung von Barths Haltung zum Islam vgl. 41–78. 60 Vgl. zu dieser Fragestellung den Aufsatz von Klappert, in dem er unterscheidet zwischen dem Dialog der Christen mit Israel und dem Hinzukommen der Christen zur jüdischen Sendung in die Welt. Christen und Juden haben laut Klappert als einzige ein besonderes Verhältnis zueinander, das vor dem Bezug zu allen anderen steht. Vgl. Klappert, Dialog.

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ebenso und vor allem in der Gefahr sieht, falschen Göttern nachzujagen. So durchbricht er feste Kategorien eines Innen und Außen der Gemeinde: „Wenn einer sich schon als Atheist erklärt, so ist mir das noch fast lieber, als wenn einer sagt: «Ich bin ein Christ» und faktisch atheistisch denkt und handelt. Das ist gerade so etwas wie mit diesem Atheismus. Man sollte viel mehr Humor aufbringen diesen Leuten gegenüber, nicht so viel Ernst; sie können nicht wider die Wahrheit.“61

Bei aller Intoleranz will er nicht spalten, sondern verbinden. Er zeigt sich nicht zu einem negativen Urteil über andere Religionen genötigt, sondern zum Zeugnis Jesu Christi, weil letztendlich keine – auch nicht die christliche Religion – das Heil bringt. Er blickt in die andere Richtung und hält die eschatologische Frage bewusst offen: „Und wenn einer diese Freiheit hat, zu Gott zu kommen, dann wird er ganz und gar «tolerant» gegenüber solchen, die diesen anderen Religionen anhängen wie dem Islam oder dem Buddhismus oder dem Kommunismus, der auch eine Art Religion ist. Doch glaube ich, daß Christus auch für all diese Leute gestorben ist, und sage darum nicht mehr, daß jede Religion das Heil bringe – keine Rede davon! -, sondern ich bezeuge ihnen meinen Glauben. Dann werden wir sehen, was da passiert.“62

Respekt und Respektlosigkeit aufgrund einer festen dogmatischen Gewissheit stehen in einer nicht aufzulösenden Spannung nebeneinander. Das Verhältnis der christlichen Religion zu den anderen Religionen lässt sich am besten verstehen durch die Betrachtung des Religionsbegriffes und des Verhältnisses von Offenbarung und Religion, wie Barth sie in §17 behandelt, und dieser vierte Unterpunkt erscheint wie eine kurze Zusammenfassung von dessen Grundgedanken. Da der eben wiedergegebene Absatz in seiner Kürze missverständlich bleibt, möchte ich erläuternd einige Aussagen aus §17 vorstellen. Das Christentum, das in seiner Menschlichkeit ebenso Unglaube ist wie alle anderen Religionen, ist laut Barth nicht aus eigener Kraft, sondern nur in seinem Bezug auf das Evangelium die wahre Religion. Zur Religion ist erstens zu sagen, dass Barth nicht pauschal zur Abkehr von der Religion oder dem Religiösen aufruft. Als die menschliche Reaktion auf Gottes Offenbarung (I/2,305 f.) soll sie ausgeschöpft, aber nicht missbraucht werden. Zweitens hält er das Christentum wie jede Religion für Unglaube (Vgl. §17.2 in I/2,324–356), indem es ständig versucht, Gott durch das Eigene zu ersetzen in der Rebellion gegen die Offenbarung.63 Im Vergleich zu anderen Religionen 61 S. Barth, Karl: „Gespräch mit einer «Barth-Arbeitsgemeinschaft» (7. 6. 1966)“. In: ders.: Gespräche 1964–1968. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.28. Zürich: 1996. 279. 62 S. Barth, Fragebeantwortung, 114. 63 In §17 spricht er immer von Offenbarung, was aber im Prinzip dasselbe meint wie die Rede vom Evangelium in §72.

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ist das Christentum in seiner von Menschen geprägten Form eine Religion unter vielen, diese als „Parallelen und Analogien in menschlichen Wirklichkeiten und Möglichkeiten“ (I/2,307). Das Christentum ist zugleich Unglaube und wahre Religion, (Vgl. nun §17.3 in I/2,356–397, insbesondere zum Freispruch 358) in der das „göttlich Einzigartige in einem menschlich bloß Eigenartigen“ (I/2,307) verborgen ist. Die Wahrheit kommt allein von Gott: „Man wird ja die Wahrheit der christlichen Religion nicht streng genug in Beziehung setzen können zu der Gnade der Offenbarung. […] Ist dem aber so, dann wird sie sich ihres ,Wesens’ bzw. der Vollkommenheit, in der gerade sie das ,Wesen’ der Religion erfüllt, so wenig rühmen, wie sie das anderen Religionen zugestehen kann.“ (I/2,325)

Barths Theologie ist aufgeschlossen gegenüber dem Dialog,64 und ebenso der Mission: „Und wie sie sich dieses Licht und diese Ehre nicht genommen hat, so kann sie ihr auch von niemand genommen werden, so hat sie und nur sie den Auftrag und die Vollmacht zu Mission, d. h. dazu, sich der Welt aller Religionen als die eine wahre Religion gegenüberzustellen, sie mit unbedingtem Selbstvertrauen zur Umkehr von ihren Wegen, zum Einlenken auf den christlichen Weg einzuladen und aufzufordern.“ (I/2,392)

Nach einigen von Barths Kritikern ist ein positives Verhältnis zur natürlichen Theologie im Hinblick auf den Dialog mit anderen Religionen förderlich. Pangritz verfasst zu dieser Frage dagegen einen Aufsatz, in dem er genau die gegenteilige These vertritt, dass Barth als ein Gegner der natürlichen Theologie mit seinem festen Standpunkt besonders offen für den Dialog gewesen sei.65 Ob Mission und Dialog gelingen, hängt davon ab, inwiefern sich der Christ von seinen menschlichen Ansprüchen auf die Offenbarung befreien kann. Es bleibt zu fragen, wie genau die Begegnung in der Spannung von Respekt und Wahrheitsanspruch gestaltet werden kann. Im fünften Unterpunkt zur Mission heißt es bei Barth, zur Verkündigung können nach Bedarf und während einer Übergangsphase weitere Aufgaben wie der Unterhalt von Schulen und medizinischen Einrichtungen hinzukommen. Das begründet er damit, dass „es sich auch in der Mission bei aller Einseitigkeit ihrer besonderen Aufgabe um die Verrichtung des ganzen kirchlichen Dienstes handelt“ (IV/3,1004), d. h. Predigt, Evangelisation, Unterricht und Diakonie. 64 Die Aufsätze von DiNoia und Thompson leisten ein Nachdenken über die Möglichkeiten von interreligiösem Dialog ausgehend vom Religionsbegriff bei Barth. Ihnen geht es vor allem darum, bei Barth eine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Dialog aufzuweisen. DiNoia, J. A.: „Religion and the religions“. In: Webster, John: The Cambridge Companion to Karl Barth. Cambridge: 2002. 243–257. Thompson, Geoff: „Religious Diversity, Christian Doctrine and Karl Barth“. In: International Journal of Systematic Theology 8 (2006). 3–24. 65 Vgl. Pangritz, Andreas: „,Natürliche Theologie‘ als Grundlage für den interreligiösen Dialog heute?“. In: ZDT 26 (2010). 88–111.

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Mit ihrer Mission soll die Gemeinde sechstens nicht eine Bekehrung des Menschen vollbringen wollen. Gott selbst ist derjenige, der Menschen zum Glauben beruft. Die Gemeinde hat auf Gottes Wirken am Menschen zu vertrauen. Die Gemeinde soll ihr Zeugnis schließlich siebtens als ein selbstloses Dienen an den Heiden bzw. der zur selbstständigen Bestimmung zu gründenden Gemeinde verstehen. Das Ziel ihrer Mission soll es sein, nur temporär zu handeln, und ihre Anleitung im Laufe der Zeit überflüssig zu machen. „Sie hat die Heiden dazu anzuleiten, durch Gottes erweckenden Ruf selber Zeugen, selber Gemeinde zu werden: Gemeinde, der sie, die Mission, wenn jene, durch Gottes Ruf geschaffen, Existenz und Konsistenz bekommt, sich nicht überzuordnen, sondern beratend und helfend auf Grund ihrer älteren Erfahrung ein- und unterzuordnen hat.“ (IV/3,1004)

Zusammenfassend lässt sich sagen, es droht zur einen Seite die Selbstüberschätzung der Kirche und zur anderen die Unterschätzung der Bedeutung des Glaubens an das Evangelium durch die Kirche selbst. Hier kommt zum Tragen, was in der Einleitung zu diesem Kapitel als Thesen Weinrichs vorgestellt worden ist. Barth betont, dass die Kirche das Heil, das sie verkündigt, weder hervorgebracht hat noch verwalten kann, weil es außerhalb ihrer liegt. Da es aber das Heil für alle Menschen ist, muss es auch wirklich allen verkündigt werden zum Ausgleich des Wissensvorsprungs der Kirche gegenüber der Welt.

Exkurs: Barths Verständnis von Evangelisation Es ist notwendig, nach dem Blick auf Barths Missionsbegriff auch auf sein Verständnis von Evangelisation zu schauen, die bei ihm die Verkündigung des Evangeliums „in der näheren Umgebung der Gemeinde“ (IV/3, 1000) ist. Wenn er hier von der Gemeinde spricht, meint er Kirchenmitglieder. Er bezieht sich nicht auf die aktiven Glieder, auch wenn für ihn feststeht, dass diese Menschen ebenfalls immer wieder neu das Evangelium hören müssen und zu wenig glauben und danach handeln. An diese richten sich andere kirchliche Dienste wie Predigt und Unterricht, die speziell hierzu beauftragt sind. Die Evangelisation widmet sich denen, die formal zur Gemeinde gehören, bei denen jedoch fraglich ist, inwiefern sie jemals das Evangelium gehört und geglaubt haben. Dass er über sie eigens schreibt, offenbart seine Befürchtung, diese könnten durch den Blick nach außen vergessen werden. Es geht um Menschen, die nicht infolge ihrer Bekehrung und einer anschließenden freien Entscheidung zur Gemeinde kamen, sondern durch den Willen ihrer Eltern oder aus anderen gesellschaftlichen Gründen wie der Vorstellung, die eigene Kultur sei christlich geprägt, und eine Kirchenmitgliedschaft sei deshalb üblich. Diese Zielgruppe

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„besteht, von der ernstlich so zu nennenden Gemeinde selbst nur in fließender Grenze, eigentlich nur von Fall zu Fall zu unterscheiden, in der Vielzahl derjenigen Menschen, die auf Grund der seltsamen Vorstellung von einem die Kirche und die Welt in sich schließenden corpus christianum und auf Grund der noch seltsameren Sitte der Kindertaufe ebenfalls zur Gemeinde zu gehören scheinen und nun doch insofern nicht zu ihr gehören, als sie an ihrer Erkenntnis und darum auch an ihrem Dienst keinen bemerkbaren Anteil nehmen.“ (IV/3,1000)

Das Besondere an der Gruppe der „nominellen Christen“ (IV/3,1001) ist, dass sie der Gemeinde am nächsten stehen und leicht zu einer aktiven Beteiligung an der Gemeinde motiviert werden können. Auch hier steht im Vordergrund, das Glaubendürfen anzuzeigen. Die Frage nach der Evangelisation der Juden stellt sich nicht, weil Barth in diesem Abschnitt ausschließlich Mitglieder einer christlichen Kirche benennt.

Exkurs: Barths Lehre von der Berufung Bei Barth neu und einzigartig ist die Berufung, die im Folgenden in einem eigenen Exkurs behandelt wird, weil aus der Beschäftigung mit ihr nachvollziehbar wird, dass Barth die Bedeutung des institutionalisierten Christseins relativiert. Die Kirche ist Versammlung all derer, die einen gemeinsamen Ruf gehört haben.66 Die Mission basiert laut Barth auf der Berufung des Menschen und so wird die Lehre von der Mission innerhalb des Teiles der Versöhnungslehre verhandelt, in dem sich Barth mit der Berufung beschäftigt. Es gibt in Barths Versöhnungslehre drei Dimensionen des göttlichen Handelns am Menschen: die der Rechtfertigung, die der Heiligung und die der Berufung.67 Barth vollzieht einen Dreischritt, in dem an dritter Stelle Jesus Christus die Person des wahrhaftigen Zeugen ist, der im prophetischen Amt der herrliche Mittler ist, der Erniedrigung und Erhöhung miteinander verbindet. Mit dieser Ergänzung entfernt sich Barth erheblich von der Tradition. Jüngel erklärt: „Daß Jesu Christi Gottsein sich in seiner Erniedrigung, sein Menschsein sich in seiner Erhöhung und die Einheit des Gottmenschen sich in der […] Selbstkundgabe des Mittlers erweisen soll, ist die Pointe dieser Christologie und zugleich das Strukturprinzip für die Sündenlehre, Soteriologie und Ekklesiologie“68. 66 Vgl. Barth, Karl: Christus und wir Christen. Nachdruck der Erstausgabe von 1948. Gladbeck: 1975. 21. Die kurze Schrift bringt es auf den Punkt, was nach Barth einen Menschen zu einem Christen macht. 67 Vgl. die schematische Darstellung der Gliederung der Versöhnungslehre bei Jüngel, Eberhard: „Einführung in Leben und Werk Karl Barths“. In: ders.: Barth-Studien. ÖTh 9. Zürich: 1982. 55. 68 S. ebd., 54.

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Rechtfertigung und Heiligung umfassen die „doppelte Entfaltung des sachlichen Gehaltes der Lehre von der Versöhnung“ (IV/3,1). Sachlich wird in der Lehre von der Berufung nichts hinzugefügt, sondern Gottes Tat als Versöhner ist damit für Barth vollständig beschrieben. Die Berufung betrifft aus Barths Sicht das formale Problem der Versöhnungslehre, (IV/3,7) ohne dessen Behandlung diese defizitär bliebe. (IV/3,5) Anders ausgedrückt beschreibt Barth deren Verhältnis so: „Des Menschen Rechtfertigung und Heiligung schließt in sich des Menschen Berufung“ (IV/3,9). Die Berufung ist nichts Neues, aber als ein anderer Blick auf dasselbe durchaus etwas Selbständiges. Sie ist: „das Ereignis, in welchem der Mensch in die faktische Gemeinschaft mit Jesus Christus, nämlich in den Dienst seiner Prophetie: in das ministerium verbi divini, des Wortes von der Versöhnung und so in den Dienst Gottes und seiner Mitmenschen versetzt und eingesetzt wird.“ (IV/3,554)

Diese Definition ist jedoch unvollständig, will man den Leitsatz zu seinem Paragraphen ernst nehmen, in der die Berufung sowohl die „Erkenntnis der Wahrheit“ (IV/3,553) als auch die Einsetzung in den Zeugendienst ist. Die Berufung basiert auf der Erwählung, die vor der Zeit stattgefunden hat, und betrifft ebenso alle Menschen. „Nicht in sich und von sich aus, aber in Jesus Christus als dem ewigen Anfang aller Wege und Werke Gottes ist kein Mensch verworfen, sind alle Menschen erwählt zu ihrer Rechtfertigung, zu ihrer Heiligung und so auch zu ihrer Berufung.“ (IV/3,556)

In der Geschichte vollzogen wurde die Berufung laut Barth am Kreuz: „Wie seine Rechtfertigung und Heiligung, so geschah auch seine Berufung, bevor sie in seinem Leben Ereignis wurde, entscheidend für seine Situation, Existenz und Geschichte in dem dem ewigen Ratschluß in der Zeit folgenden und entsprechenden Werk seiner ihm zugewendeten freien Gnade, in seiner ohne des Menschen Zutun und Dabeisein einfach für ihn, einfach in der einen in Jesus Christus vollbrachten Versöhnungstat.“ (IV/3,559)

Die Berufung gilt allen Menschen und wird ihnen zugesprochen. Weder kann einer sich selbst noch andere berufen. Denn in Wirklichkeit ist dem Christen nichts gegeben, und er ist ebensowenig zu etwas geworden. Am Christen vollzieht sich unaufhörlich ein Geschehen, das von Gottes Wort ausgeht: „Wir sind Christen, indem es geschieht, daß Christus uns dazu beruft, Christen zu sein.“69 Wer sich zu Jesus Christus bekennt, unterscheidet sich allein durch sein Wissen um Gottes Zuwendung von dem, der das nicht tut: „Wir dürfen den anderen darin voran sein, daß wir besser als sie wissen, daß sie und wir allein durch Gottes Erbarmen leben dürfen.“70 Das heißt dann aber auch, dass eigentlich jeder Mensch aufgrund des Zu69 S. Barth, Wir Christen, 9. 70 S. Barth, Wir Christen, 9.

Die Lehre von der Heidenmission

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spruchs von Geburt ein Christ genannt werden kann, unabhängig davon ob er es nachträglich bestätigt oder abweist. Er ist in Christus: „für das auch an ihm zu vollziehende Werk des Heiligen Geistes vorgesehen und also zum Hörer des Wortes Gottes – zwar noch nicht gemacht, wohl aber präordiniert und prädisponiert“. (IV/3,565)

Es ist dann ein durch den Heiligen Geist gewirktes zeitliches Geschehen, wenn der Mensch tatsächlich erleuchtet wird. (IV/3,584) Der Unterschied ist, dass Jesus Christus ihm nun ein „bekanntes und bewusstes Element“ (IV/3,584) wird. Es handelt sich bei der Erleuchtung oder „Erweckung“ (IV/3,589) um eine die gesamte Existenz verändernde Erkenntnis. (IV/3,586) Neben der Freude und der Freiheit, die sich aus dem Wissen ergeben, ist dem Christen ein Dienst aufgetragen. Im Folgenden wendet Barth sich der Frage nach dem Zweck der Berufung des Menschen zu, und zwar die „gottförmige, d. h. durch Gottes besonderes Tatwort besonders bestimmte und gestaltete, aber eine menschliche Existenzform“ (IV/3,610). Zunächst ist der Mensch in die Gemeinschaft und Nachfolge Jesu Christi hineingerufen. Denn christliche Existenz ist kein Status, sondern Beziehung und Ausrichtung auf den einen hin. (IV/3,615) Aufgabe des Christen ist das Zeugnis, das weder über- noch unterschätzt werden darf. Der eigentliche Zeuge ist Jesus Christus, in dessen Dienst sich der menschliche Zeuge begibt. Dazu ist er aber dann wirklich aufgefordert: „Nicht in einer Gleichung mit Christus, aber im Gleichnis unserer menschlichen Worte und Taten. Das ist der Sinn des Gesetzes und aller Gebote, daß wir, indem wir Christen sind und heißen, aufgerufen sind, Gleichnis zu werden mit allem, was wir sind und tun.“71 Indem Christen berufen sind, sind sie zu Zeugen gemacht, die anderen eine Botschaft auszurichten haben. Erstens gehört dieser Zeugendienst zum Wesen der Berufung und zweitens ist das Zeugnis mehr als die Präsenz. Über die Botschaft sagt Barth konkreter, sie sei nicht beliebig. Eine abstrakte Rede von Gott sei nicht erwünscht, sondern es gehe hier um Gott in seinem Handeln bei und an den Menschen und in der Zeit, als ,Gott mit uns‘ und als Immanuel. (IV/3,660) Der Begriff ,Zeugnis‘ beinhaltet für Barth, dass zwischen Gott und Mensch wahrhaftig eine Begegnung stattgefunden hat, in der der Mensch ganz ergriffen worden ist und nach der er noch weiterhin verändert wird. (IV/3,661) In der Lehre von der Berufung zeigt sich, wie handlungs- und gemeinschaftsorientiert Barths Theologie ist. Zwar gilt auch für die Berufung, dass sie von Gott gegeben ist, aber gerade in der Berufung geht es um das menschliche Zeugnis als Antwort auf das göttliche Zeugnis. Die Mission ist das auf die Berufung begründete Zeugnis der Kirche in der Welt. De facto eignet sich der Mensch kaum zum Zeugendienst, sondern er bleibt angewiesen darauf, dass 71 S. Barth, Wir Christen, 19.

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Karl Barths Missionsverständnis

Jesus Christus als Erwählter der Zeuge ist und ihn als neuen Menschen in den Zeugendienst hineinnimmt. Der Exkurs hat die Nähe zwischen dem Christen und dem Nichtchristen verdeutlicht, die beide als von Gott Berufene die Vorbedingungen für das Christsein erfüllen. Der Unterschied zwischen ihnen ist, dass der Nichtchrist kein Bewusstsein für seine Situation vor Gott hat, weil Gott bei ihm den Glauben nicht erweckt hat. Für den Christen gilt, dass er den Nichtchristen als Erwählten und Berufenen zu behandeln hat, der zu einem späteren Zeitpunkt das christliche Glaubenswissen für wahr halten könnte. Der Christ hat die Aufgabe, ihm nach seinen Möglichkeiten beizustehen, anstatt das Evangelium für sich allein zu beanspruchen.

2.1.4 Kapitelschluss Die ausführliche Behandlung des Missionsverständnisses hat Aufgabe und Grenzen der Mission abgesteckt, denen sich prinzipiell auch die Judenmission unterwerfen müsste, und die insofern zum Maßstab der Ablehnung der Judenmission werden. Das Verständnis der Berufung führt etwa zu einem Kern von Barths Theologie. Die Beschäftigung mit Barths Missionsverständnis hat gezeigt, dass der Mission ein hoher Stellenwert zukommt insofern, als er sie im Sinne der Wissensmitteilung uneingeschränkt bejaht. Zugleich unterliegt das Resultat der Missionierung keinem Erfolgsdruck, weil das Ja des Menschen in das Ja Gottes perspektivisch schon eingeordnet ist. Barths Definition der Mission entspricht der Bereitschaft des Christen, einer Person außerhalb der Kirche das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen, um sie dadurch zu befähigen, in der Nachfolge und Zeugenschaft Jesu Christi der eigenen Berufung gerecht zu werden. Mission als eine besondere Form des Zeugendienstes soll nach Barth dem Gegenüber ermöglichen, seine Situation vor Gott zu erkennen und mit Gott in eine Beziehung zu treten. Barth bleibt seiner eigenen, insgesamt konventionellen Definition treu. Allein die Betonung des Zeugendienstes sowie der Berufung zur einen und die Neigung zur Apokatastasislehre zur anderen Seite sind Besonderheiten, die aber gerade nicht einschränkend auf seine Überzeugung von der Relevanz der Mission wirken. Darin ist er stets missverstanden worden als einer, der angeblich seine Schwierigkeiten mit dem Judentum hat, aus einem allgemeinen Desinteresse an der Mission aber keine Judenmission einfordert. Im Folgenden geht es um die Frage nach Barths expliziter Haltung zur Missionierung der Juden bzw. um die Frage, ob die jüdische Bundespartnerschaft mit dem Gott Israels als eine dem Evangelium angemessene Nachfolge verstanden werden kann.

Barth und die Judenmission

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2.2 Barth und die Judenmission 2.2.1 Einleitung Barth thematisiert die Judenmission im Zusammenhang mit der Ekklesiologie in der Versöhnungslehre. (IV/3,1005 ff.) Dabei handelt es sich um einen Exkurs, der an die Besprechung der Mission in KD IV/3 (vgl. 2.1.3) anschließt. Barth fasst darin komplexe Gedankengänge seiner Theologie, vor allem aus §34, so prägnant zusammen, dass dessen Lektüre vorausgesetzt werden muss. Die Aufgabe dieser Einführung in seine Haltung zur Judenmission wird es sein, die Hintergründe und Zusammenhänge dieser konzisen Aussagen aufzuzeigen. Es gibt in der Sekundärliteratur zu Barth kleinere Beiträge zum Thema Judenmission. Eine bloße Erwähnung des Exkurses als Hinweis auf Barths abweisende Haltung gegenüber der Judenmission findet sich bei Michael Albus und Michael Landwehr.72 Landwehr zitiert ausführliche Passagen des Exkurses in der Eröffnungsrede einer Tagung der Karl Barth-Gesellschaft mit dem Thema der Bedeutung von Israel für die Ökumene. Otto Weber hält Barth für einen Gegner der Judenmission.73 Peter Scherle referiert ihn knapp in seiner Dissertation zur Ekklesiologie.74 Mangina erklärt, Barth lehne die Judenmission aufgrund der Erwählung ab.75 Laut Pangritz lehne Barth die Judenmission ab, weil das Judentum nicht als fremde Religion verstanden wird.76 Stegemann übt Kritik an Barths Römerbriefexegese, die er als antijüdisch einstuft, doch hält er Barth als Exegeten von Röm 9–11 weitestgehend für einen Gegner der Judenmission.77 Auch laut Hunsinger sei Barth gegen die Judenmission gewesen.78 Ernst Ludwig Ehrlich stellt seinem Aufsatz „Ab-

72 Vgl. Albus, Michael: „Karl Barth und die Juden.“ In: Landwehr, Michael: Ökumenische Bewegung „unter der Abwesenheit Israels“? Karl Barth (1886–1968). Karl Barth-Gesellschaft e. V. 10. Bünde: 2005. 15–20 und Landwehr, Michael: „Ökumenische Bewegung ,unter der Abwesenheit Israels‘? Karl Barth (1886–1968)“. In: Landwehr, Michael: Ökumenische Bewegung „unter der Abwesenheit Israels“? Karl Barth (1886–1968). Karl Barth-Gesellschaft e. V. 10. Bünde: 2005. 9–14. 73 Vgl. Weber, Otto: Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Ein einführender Bericht zu den Bänden I,1 bis IV,3,2. Mit einem Nachtrag von Hans-Joachim Kraus zu Band. IV/4. 12. Aufl. NeukirchenVluyn: 2002. 325. 74 Vgl. Scherle, Peter: Fragliche Kirche. Ökumenik und Liturgik – Karl Barths ungehörte Anfrage an eine ökumenische Kirchentheorie. Studien zur systematischen Theologie und Ethik 15. Münster: 1998. 220 f. 75 Vgl. Mangina, Witness, 80 f. 76 Vgl. Pangritz, Karl Barth, 98 f. 77 Vgl. Stegemann, Ekkehard W.: „Israel in Barths Erwählungslehre. Zur Auslegung von Römer 9–11 in KD II/2, §34“. In: ZDT 20 (2004). 167 f. 78 Vgl. Hunsinger, After Barth, 337.

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Karl Barths Missionsverständnis

schied von der Judenmission. Antwort an Arnulf Baumann“79 über die Ablehnung der Judenmission ein kirchenkritisches Barthzitat voran, so dass anzunehmen ist, dass er Barth als Gegner der Judenmission gesehen hat. Busch gibt in einem Kontext, der nichts mit der Judenmission zu tun hat, Barths Position folgendermaßen wieder: „Mission to the Jews is thereby excluded as making no sense, since both together are already witnesses to the electing God.“80 Weil Juden Jesus Christus bezeugen, bedürfen sie der Mission nicht. Krumwiede versteht Barths Exkurs als eine Absage an die Judenmission, die auf den Erfahrungen der Judenverfolgung basiert, aber keine theologische Begründung erfährt.81 Die Mehrheit der Verfasser, die sich am Rande mit Barth beschäftigen, hält diesen somit für einen Gegner der Judenmission. Jedoch stellt sich das anders dar, befragt man die Theologen, die ausführlich zu ,Israel bei Barth‘ geforscht haben.82 Klappert hält Barth für einen Unterstützer der Judenmission, wobei er diese Position nicht explizit vertritt. Dafür spricht eine Andeutung in einem Aufsatz, in dem Klappert behauptet, Barmen VI sei eine Aufforderung zur Judenmission. Damit unterstellt er Barth als dem Verfasser der Thesen implizit die Aufgeschlossenheit für die Judenmission.83 Es bleibt insgesamt nicht nachvollziehbar, weshalb Klappert den Exkurs in keiner seiner Argumentationen einfließen lässt. Wenig überzeugt von der Eindeutigkeit der Haltung Barths zeigt sich auch Sonderegger, die Barths Ablehnung der Judenmission nicht traut.84 Barths Nein zur Judenmission und zum Antisemitismus wirken auf sie wie Solidaritätsbekundungen der Nachkriegszeit. Aus ihrer Sicht hat Barth das Judentum nicht als eine legitime Religion anerkannt, so dass er der Judenmission hätte aufgeschlossen begegnen müssen. Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass ihre Verfasser selbst Kritiker der Judenmission sind. Gabriel Fakre ist der einzige Barthforscher, der als Befürworter der Judenmission auftritt und als solcher Barths vermeintliche Offenheit für diese anerkennt.85 Schließlich ist Marquardt zu erwähnen, der in der Frage der Judenmission zwar zu dem zutreffenden Schluss kommt, dass Barth sie ablehnt, bei dem aber

79 Vgl. Ehrlich, Ernst-Ludwig: „Abschied von der Judenmission. Antwort an Arnulf Baumann“. In: Jud. 38 (1982). 14. 80 S. Busch, Indissoluble, 68. 81 Vgl. Krumwiede, Hans-Walter: „Göttinger Theologie im Hitler-Staat. Kurt Meier (Leipzig) zum 60. Geburtstag am 18. 06. 1987“. In: JGNKG 85 (1987). 162. „Nach dem Holocaust hat sich Barths Stellung zu den Juden verändert.“ 82 Vgl. zusätzlich die Ausführungen zu Brandau und Lindsay in 2.2.4. 83 Vgl. Klappert, Mission, 425. Im Widerspruch dazu steht, dass Ulrike Zander sich an eine mündliche Aussage von Klappert erinnert, in der er offenbar Barth ein klares theologisches Nein zur Judenmission zugestanden hat. Vgl. Zander, Philosemitismus, 328. 84 Vgl. im Folgenden Sonderegger, That Jesus, 140 ff. 101. 85 Vgl. Fackre, Gabriel: „The Place of Israel in Christian Faith“. In: Bockmühl, Markus/Burkhardt, Helmut (Hg.): Gott lieben und seine Gebote halten. In memoriam Klaus Bockmühl. Gießen: 1991. 21–38.

Barth und die Judenmission

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die Begründungen nicht mit denen Barths übereinstimmen.86 Marquardt vertritt die Ansicht, Barth lehre eine pauschale Allversöhnung, die die Bedeutung der Mission schmälert, so dass er nicht mehr ernsthaft auf Barths Argumentation im Exkurs eingeht. Marquardt erklärt zunächst beiläufig, Barth habe die Judenmission abgelehnt, weil Christen als die Hinzukommenden nicht in der Position dazu sind: „Dabei übersehen wir nicht, daß Barth jene umgekehrte biblische Richtung, laut derer,wir aus den Völkern berufenen Christen … zu ihnen hinzugekommenen‘, ,Gast im Hause Israel‘ geworden sind, in einem allerdings immens wichtigen Zusammenhang berücksichtigt: mit Hinweis darauf lehnt er die Judenmission ab“87.

Marquardt wiederholt sich am Schluss seines Buches, stellt über alle genannten Gründe aber die eine, dass die Judenmission von Barth abgelehnt worden sei „mit der vorgängigen Begründung aller Mission an allen Völkern im auferstandenen Kyrios selbst.“88 Jesus Christus sei im Sinne einer Missio Dei das eigentliche Subjekt von Mission: „Der Auferstandene setzt sich selbst zur Gegenwart aller Zeiten und vermittelt so durch sich selbst einen Direkt-Bezug, eine aktuelle Unmittelbarkeit zwischen sich und allen Menschen, die allen menschlichen Vergegenständlichungen und Vermittlungen seines Wortes vorausgeht, um sie durch seine Überlegenheit stützen und wirksam machen zu können.“89

Marquardt relativiert das menschliche Engagement in der Mission, indem er es auf ein rein passives reduziert: „,Judenmission‘, oder wie besser zu sagen wäre: Lautwerden der Selbstbezeugung des Auferstandenen auch für das Judentum vollzieht sich in der Existenz der Kirche an sich.“90 Jesus Christus, der Allversöhner, verstellt laut Marquardt den Weg der Judenmission: „So ist Jesus Christus als dieser ,Weg‘ auch zugleich die Offenheit des Verhältnisses zwischen beiden [Israel und Kirche St. S.]. Er führt nach wie vor den Weg, der er selbst ist. Und eben darin ist Barths Verhältnis zur Apokatastasis begründet. […] Darum gibt es auch keine Judenmission – sie ist keine ,Möglichkeit‘.“91

Diese Darstellung vermittelt erneut den Eindruck, dass Barth mit seinen Schriften stets ein ganzes Spektrum von Reaktionen hervorgerufen hat. Um Klarheit zu gewinnen, ist es erforderlich, immer wieder zu seinen eigenen Äußerungen zurückzugehen und sie zu gewichten. Im Folgenden sollen deshalb sämtliche verfügbaren Äußerungen Barths zum Thema chronologisch und ausführlich dargestellt werden, um Barths Gedankengänge mit ihrem Für 86 87 88 89 90 91

Vgl. im Folgenden Marquardt, Entdeckung, 128, 357–360. S. ebd., 128. S. ebd., 357. S. ebd., 357. S. ebd., 358. S. ebd., 153.

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Karl Barths Missionsverständnis

und Wider nachvollziehbar zu machen und die Gelegenheit zu geben, schwierige Äußerungen einordnen zu können.

2.2.2 Der Exkurs zur Judenmission In vier Absätzen präsentiert Barth seine Ablehnung der Judenmission und sein Plädoyer für das Zeugnis als die angemessene Haltung, mit der Christen Juden als den eigentlichen Adressaten des Evangeliums gegenübertreten sollen. Der erste Absatz spricht von der Notwendigkeit des Zeugnisses gegenüber Israel. Barth erklärt eingangs: „Selbstverständlich ist sie ihr Zeugnis auch diesem zugleich so verheißungsreichen und unheimlichen, ihr so nahen und doch so fernen Bereich ihrer menschlichen Umwelt schuldig.“ (IV/3,1005)

Das begründet er damit, dass das christliche Zeugnis von Jesus Christus eigentlich jüdisch ist, weil Christus in und für Israel Mensch geworden ist. Folglich versteht er Israel als den eigentlichen Adressaten der Botschaft. Die Vorstellung, dass Juden sich zu Jesus Christus bekennen, ist Barth nicht unangenehm, sondern er wünscht sich sogar offen das jüdische Bekenntnis zu Jesus Christus. Er hat keine prinzipiellen Vorbehalte gegen die selbständige Bekehrung und Konversion von Juden zum Christentum. Auf diesen ersten Ansatz folgt die Einschränkung: „Das Wesen gerade dieses besonderen Adressaten, auch der Rückblick auf jene Anfänge der Begegnung der Gemeinde gerade mit ihm und schließlich das Verhältnis der Gemeinde gerade zu ihm, wie es sich von beiden Seiten gestaltet hat, nötigen nun aber zu der Feststellung, daß ihr Zeugnis in dieser Richtung jedenfalls nur ein schlechthin singuläres sein kann.“ (IV/3,1005)

Dieser Satz nimmt zusammenfassend den Inhalt der anschließenden drei Paragraphen vorweg. Was Barth mit dem singulären Zeugnis meint, erklärt er nicht, aber auf jeden Fall bringt diese Wendung zum Ausdruck, dass das Zeugnis in seiner Funktion gegenüber Israel anders ist. Bliebe es bei dieser Aussage, wäre Barths Erklärung äußerst unbefriedigend. Es wird zu wenig deutlich, in welcher Form dem Zeugnis Grenzen gesetzt sind. Besser verständlich wird es, wenn man die nun folgende Denkbewegung bei Barth mitvollzieht, die das Zeugnis deutlich von der Mission abgrenzt: „Wir schließen, was dazu zu sagen ist, nur darum gerade an das über die missionarische Aufgabe der Kirche Ausgeführte an, um sofort antithetisch hervorzuheben; um «Mission», um ein Zutragen des Evangeliums kann es sich für sie im Verhältnis zur Synagoge nicht handeln. […] «Mission» ist gerade nicht das Zeugnis, das sie Israel schuldig ist. Wollte Paulus «den Juden ein Jude sein», so war das etwas nicht nur

Barth und die Judenmission

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formal, sondern sachlich toto coelo anderes, als wenn er den Hellenen ein Hellene sein wollte.“ (IV/3,1005)

Diese Wendung vom sachlich vollkommen Verschiedenen ist der Höhepunkt der Differenzierung von Mission und Zeugnis. Das Zeugnis gegenüber Juden ist offenbar verschieden von anderen Formen des Zeugnisses unter Christen oder gegenüber Nichtchristen. Vor allem ist es kein missionarisches Zeugnis. Unterstrichen wird Barths Argumentation mit seiner Abneigung gegen den Begriff ,Judenmission‘, die er folgendermaßen formuliert: „Der Begriff «Judenmission» ist ein unglücklicher Begriff. Der seines Judentums bewußte und also ernst zu nehmende Jude wird sich schon mit diesem Wort nur eben mißverstanden und beleidigt finden. Und die Gemeinde muß einsehen, daß er damit sachlich im Recht ist.“ (IV/3,1005)

Inwiefern ist das Zeugnis den Juden gegenüber ein anderes, und warum soll ihnen das Evangelium nicht zugetragen werden? Diese Fragen beantwortet der zweite Absatz. Barth geht dort näher darauf ein, in welcher Weise der Inhalt des Zeugnisses die Juden betrifft. Er verwendet ,Kirche‘ und ,Gemeinde‘ abwechselnd und synonym. Im zweiten Absatz wird beschrieben, wie Gott sich den Juden gnädig erwiesen hat. Der sich den Juden offenbarende Gott ist für Barth der wahre Gott und derselbe wie der, den die Christen kennen. Christen wurzeln im Glauben Israels und beten folglich laut Barth mit den Juden den Gott Israels an und zeugen von ihm. Es folgt ein Bekenntnis zu all dem, zu dem die Juden von Gott berufen sind: sie sind seine Kinder, erleben seine Gegenwart, stehen mit ihm im Bund, empfangen seine Gnade, und sie dienen ihm. Schließlich ist Jesus Christus der als Jude geborene Messias der Juden. Diese Aspekte sind zusammengefasst in dem wichtigsten Satz: „Sie sind Gottes von ihm in freier Gnade geliebtes und zu seinem Dienst erwähltes und berufenes – ursprünglich sie sind das von ihm in die Welt gesendete Volk seiner Zeugen.“ (IV/3,1005) Die Juden haben den Christen also voraus, dass sie die eigentlich Glaubenden und Bezeugenden sind. Es erfolgt ergänzend ein Hinweis darauf, dass diese besondere Stellung der Juden vor Gott auch ontologisch zu verstehen ist. Der Jude als Mensch, ob gläubig oder nicht, ist schon Zeugnis von Gott. Zeichen dafür ist dessen Bewahrung durch die gesamte Geschichte hindurch. Er ist „als solcher bis auf diesen Tag das natürlich-geschichtliche Monument der Liebe und Treue Gottes, in konkreter Gestalt der Inbegriff des frei erwählten und begnadeten Menschen, als lebendiger Kommentar zum Alten Testament der einzige, dafür schlagende außerbiblische Gottesbeweis“ (IV/3,1005 f.).

Eine größere Würdigung eines Menschen als die Aussage, er sei in seiner Existenz Beweis für Gottes Existenz, ist wohl nicht denkbar.

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Karl Barths Missionsverständnis

Da der Zweck dieses Absatzes aber darin besteht, Näheres über die richtige Einstellung der Christen zu den Juden zu vermitteln, erklärt Barth auch noch das Verhältnis von Christen und Juden. „Das Heil stammt von den Juden“, zitiert er Joh 4, 22. (IV/3,1005) Dieser jüdische Status sei „unwiderruflich und unwiderrufen“ (IV/3,1005). Die Christen seien deshalb „zu ihnen hinzugekommen“ (IV/3,1005), „diesem edlen Ölbaum eingepfropft“ (IV/3,1005), „Gast im Hause Israels“ (IV/3,1005) und „aufgenommen in seine Erwählung und Berufung“ (IV/3,1005). Deshalb bleibt Barth nur, zu fragen: „Wie könnte sie da Israel «missionieren» wollen? […] Was hätten wir ihn [den Juden St. S.] zu lehren, was er nicht schon wüßte, was wir nicht vielmehr bei ihm zu lernen hätten?“ (IV/3,1005 f.) Zwar besteht eine sichtbare Trennung zwischen Juden und Christen, aber Barth vertritt die Auffassung, dass es zwischen ihnen eine unsichtbare Zusammengehörigkeit wie auf einem einzigen Weg gibt. So versteht er das Evangelium als jüdisches Evangelium, an dem Christen teilhaben und Mission als jüdische Mission unter Christen und Heiden. Zur Verdeutlichung kann er gelegentlich explizit von jüdischer Mission und Christenmission sprechen, womit er nicht sagen will, dass hier Juden Christen missionieren. Er meint damit, dass die üblicherweise von Christen betriebene Mission den Gott Israels und damit jüdische Lehre bekannt machen will. Offenbar ist mit dem zweiten Absatz das Erforderliche zur Begründung des Verzichts auf die Judenmission umfassend gesagt. Jüdische Verkündigung steht der christlichen in nichts nach. Bliebe es bei diesem Absatz, könnte Barths Position jedoch falsch verstanden werden. Die Aufzählung all dessen, was die Juden haben und sind, erweckt fälschlicherweise den Eindruck, als ob Barth nach Gemeinsamkeiten und Parallelen oder nach einem anerkennungswürdigen Äquivalent zu den eigenen Lehren suche. Doch betont Barth damit vielmehr, dass der Wunsch eines Christen nach dem christlichen Bekenntnis eines Juden Fragen nach dem christlichen Selbstverständnis aufwirft und so gesehen unmöglich ist. Ganz nachvollziehbar wird diese Position aber nicht sein, solange das jüdische Verhältnis zu Jesus Christus nicht besprochen worden ist, der nach christlichem Verständnis der jüdische Messias ist. Es muss geklärt werden, weshalb Barth sich dagegen sperrt, das Fürwahrhalten christlichen Glaubenswissens durch die Juden als die Voraussetzung der bleibenden Zusage Gottes an die Juden zu betrachten und warum Barth die Judenmission so vehement ablehnt. Bliebe es bei der Begründung, dass Gott mit den Juden in eine Beziehung tritt und dass sie ihn als den wahren Gott erkennen, würde das die Verkündigung von Jesus Christus nicht ausschließen, sondern nahelegen. Es fehlt also bislang die Erklärung, warum die Mission nicht nur unnötig, sondern obendrein ungewollt oder unmöglich ist. Diesem Vorhaben wendet Barth sich im Folgenden zu. Im dritten Absatz fährt Barth mit seinen Ausführungen in einem zweiten Gesichtspunkt fort. Für das richtige Verständnis kommt es darauf an, diesen

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zweiten Punkt dem ersten nachgeordnet zu verstehen. Hier reißt Barth verschiedene Unterthemen an, ohne sie zu verbinden oder zu entwickeln. Zum einen ist das nicht notwendig, weil es nicht der richtige Ort dafür ist. Zum anderen mag diese Offenheit gewollt sein, weil sie auf das Mysterium hinweist, das er hier vermitteln möchte. Das Verhältnis von Israel und Kirche war bereits bei Paulus im Römerbrief schwer verständlich. Im Laufe der Geschichte wurde von Christen immer wieder angestrebt, durch gewaltsame Missionierung oder durch die eigene Abspaltung von den jüdischen Wurzeln zu einer Klärung zu gelangen. Damit sind Christen der Versuchung erlegen, eine unklärbare Situation entgegen dem biblischen Zeugnis selbst in die Hand nehmen zu wollen, und hat dem Leib bzw. dem Ölbaum Schaden zugefügt. Barth befasst sich vertiefend mit der jüdischen Ablehnung von Jesus Christus. Dabei geht es ihm nicht um eine Verurteilung, sondern um den Ausdruck seines Erstaunens über den Unglauben, dessen Ursache er sich nicht erklären kann. Es fällt auf, dass er im zweiten Absatz – und damit in seinem ersten Gesichtspunkt – nur kurz auf Jesus Christus eingeht. Erst jetzt, im dritten Gesichtspunkt, kommt er auf die Bedeutung von Jesus Christus für die Juden aus christlicher Sicht zu sprechen. Er sei „die Fülle und das Ziel seiner Geschichte“ (IV/3,1006), „Trost“ (IV/3,1006) und „Ereignis“ (IV/3,1006) des sich erfüllenden Wortes Gottes, der jüdische „Messias“ (IV/3,1006). Das Kommen Jesu Christi sei für die Juden der „entscheidende(n) Augenblick“ (IV/3,1006), „als die Stunde schlug“ (IV/3,1006), gewesen. Während also für Barth feststeht, dass Juden an Jesus Christus als ihren Messias glauben sollten, meint er, sei die jüdische Reaktion gewesen, zu leugnen, sich nicht gefallen zu lassen, nicht wahrhaben zu wollen, und dann „nicht zufällig, nicht beiläufig, sondern prinzipiell, a priori und also, menschlich gesehen ohne Aussicht auf Revision“ (IV/3,1006) abzulehnen. Da Juden das Wort Gottes als nicht erfüllt ansehen, seien sie bis heute die „ungetrösteten“ (IV/3,1006) Juden und gäben deshalb „das Bild einer […] gnadenlosen Existenz“ (IV/3,1006) ab, wobei er die Juden nicht anklagt, sondern aufgrund des ihnen fehlenden Trostes bedauert. Barth schließt diesen Absatz mit der Frage, ob „eine wirkliche Bekehrung eines wirklichen Juden nicht immer ein höchst außerordentliches Ereignis“ (IV/3,1006) ist, und mit der Feststellung, dass „Informationsgespräche“ (IV/ 3,1006) relativ aussichtslos sind. Es entsteht der Eindruck, als wolle er sich auf die negativen Erfahrungen von erfolglosen Bekehrungsversuchen in der Missionsgeschichte stützen und sie zum Anlass nehmen, Kosten und Nutzen so abzuwägen, dass die Judenmission am Ende als nicht lohnend empfunden wird. Geht es Barth um die Resignation in der Mission und um die Entschuldigung des Unterlassens der Mission aufgrund von zu erwartender Aussichtslosigkeit im Hinblick auf die Bekehrung der Juden? Das kann wohl nicht gemeint sein, weil utilitaristische Denkweisen Barth fremd sind. Es geht ihm in diesem dritten Absatz um das Bekenntnis zu der Bereitschaft, diese Situation

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der faktischen Unmöglichkeit der Judenmission als ein Rätsel anzuerkennen, in dem die Erklärung ins Eschatologische verschoben wird, und in dem es ein Gottvertrauen gibt, dass es damit seine Richtigkeit hat, weil Bekehrung nur „auf Grund eines unmittelbaren Eingreifens Gottes selbst“ (IV/3,1006) stattfinden könnte.92 Im vierten und letzten Abschnitt kommt Barth auf die Frage des Zeugnisses zurück, indem er es schließlich folgendermaßen definiert: „Es kann, es könnte aber als solcher nur Eines in Frage kommen: es müßte ihr nach dem von Paulus Röm. 11, 11.14 gebrauchten Ausdruck gegeben sein, die Synagoge «eifersüchtig» zu machen (paqafgk_sai): Sie müßte sie in ihrer eigenen Existenz als Gemeinde des ihr als Retter der Welt offenbar gewordenen Judenkönigs vor das Faktum des Ereignis gewordenen Trostes des erfüllten Wortes Gottes stellen, sie ihrerseits mit dem Monument der freien, nun aber nicht verschmähten, sondern dankbar bejahten und ergriffenen Erwählung, Berufung und Gnade Gottes konfrontieren. Sie müßte ihr damit den, den sie verworfen hat, lieb, begehrenswert, einleuchtend zu machen, ihn als ihren wirklich gekommenen Messias einleuchtend vor Augen zu stellen wissen. Sie müßte sie damit aufrufen, sich mit ihr als seinem Volk und so mit ihm zu vereinigen. Keine besondere Funktion könnte – das vor den Augen auch der Juden authentisch gelebte Leben der Gemeinde in seiner Ganzheit müßte dieser Ruf sein!“ (IV/3,1006)

Nun überrascht Barth, indem er sofort anschließt: „Es braucht kaum gesagt zu werden: das Leben der Gemeinde war und ist gerade im Ganzen nicht dieser Ruf.“ (IV/3,1006) Er scheint sagen zu wollen, dass sie das einzige, was Christen den Juden gegenüber tun könnten – die überzeugend gelebte Existenz -, nicht getan haben, nicht tun und erwartungsgemäß in der Zukunft nicht tun werden. Barth sucht nicht nach Möglichkeiten des Einflusses auf Juden, um einen Handlungsspielraum zu gewinnen. Er will wohl eher zum Ausdruck bringen, dass Christen sehr weit davon entfernt sind, sich christlich zu verhalten, und deshalb gar nicht annähernd das Potential haben, andere eifersüchtig machen zu können. Folglich brauchen die Christen sich faktisch keine Sorgen um ihr Zeugnis machen, weil sie ganz andere Defizite haben, die sie zuerst angehen müssen. Konkret wirft er der Kirche vor: „Sie hat mit ihnen diskutiert. Sie hat sie bald geduldet, bald selber verfolgt, bald, ohne zu protestieren, ihren Verfolgern überlassen. Sie hat ihnen, was das Schlimmste war: 92 Barth geht hier nicht wie in §34 auf die Verstockung ein. Es liegt nahe, dass er Gottes verborgenes Handeln an den Juden in Form der Verstockung einschließt. Die Verstockung ist jedoch kein Grund zum Verzicht auf das Zeugnis gegenüber den Juden, denn das Eifersüchtigmachen ist ja bei Paulus trotzdem gefordert. Sie ist bei Barth streng biblisch begründet und hat nichts mit der verbreiteten polemischen Vorstellung von der selbstverschuldeten Verstockung im Sinne einer Verbohrtheit zu tun. Die Verstockung hat nichts mit Strafe zu tun, sondern mit dem Dienst des dialogischen Zeugnisses.

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Taufscheine als Eintrittskarten in die gute abendländische Gesellschaft ausgestellt. Sie hat dann wohl auch Einzelne von ihnen ernstlich zu «bekehren» versucht.“ (IV/ 3,1007)

Das sind für ihn vollkommen unzulässige Umgangsformen und Ausdruck für eine selbstzerstörerische Haltung. Insofern macht Barth durch die heute befremdlich klingende Rede vom Eifersüchtigmachen nicht mehr als eine Aufforderung zur Reflektion der eigenen Haltung zu den Juden. Das Zeugnis – würde es richtig verstanden – könnte im positiven Sinne dazu dienen, dass der Christ sich den Juden zuwendet, es könnte ein Schutz sein vor Tendenzen zur Vereinnahmung oder Verachtung.

Exkurs: Ergänzendes zu Barths unkonventionellem Zeugnisbegriff Unter dem Eindruck des ersten Lesens scheint es, als sei Barth in der Frage nach der Judenmission hin- und hergerissen, weil er trotz klarer Absage an die Mission immer wieder vom Zeugnis spricht. Es könnte unterstellt werden, dass er zunächst nur eine freundlichere Definition sucht und den einen Begriff durch den anderen ersetzt. Es könnte wirken, als ob es Barth deshalb mit seiner Ablehnung der Judenmission darum geht, sich eines strittigen Begriffs zu entledigen, sich damit einer scharfen Aussage zu entziehen und diese gegen einen diffuseren Begriff zu tauschen. Die Schwäche des Exkurses liegt darin, dass er den Zeugnisbegriff als aus dem Vorangegangenen bekannt voraussetzt und deshalb nicht erneut definiert.93 Nach Barths eigener Abgrenzung von Zeugnis und Mission ist es undenkbar anzunehmen, dass er mit dem Zeugnis eine diskretere Gestalt der Mission bei gleichbleibendem inhaltlichem Anspruch meint. Es geht in der Berufung mehr denn je um eine menschliche Antwort, und so ist der Zeugnisbegriff zu fassen. Das Zeugnis ist immer tätiges Zeugnis.94 Wenn Barth also Zeugnis und nicht Mission an Juden will, heißt das nicht, dass er auf das Wirken des unausgesprochenen Zeugnisses baut, während er auf das ausgesprochene, missionarische Zeugnis verzichtet. Das würde bedeuten, dass beide Male, ob aktiv oder passiv, die Haltung eingenommen wird, dass hier ein Überbringen vonnöten sei. Barth dagegen unterscheidet diese Begriffe ganz anders. Beides, Zeugnis und Mission, sind bei ihm gezielte Aktionen des Menschen. Der Unterschied ist, dass sich Mission immer so versteht, dass das Gegenüber im Unglauben lebt, während bei dem Zeugnis an eine innere Mission zu denken ist. Juden und Christen bezeugen sich gegenseitig Jesus Christus, der wiederum ihnen den Vater bezeugt. 93 Vgl. 2.1.3 in dieser Arbeit. 94 Eine eindeutige Definition von Zeugnis ist schwer zu formulieren, aber vgl. diese Ausführungen zum Wesen des Zeugnisses, um festzustellen, dass Zeugnis immer das ausgesprochene und damit tätige Zeugnis ist: IV/3, 967–979.

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Wie in der Besprechung der Mission aufgezeigt wurde, hat das Zeugnis bei Barth sowohl in seinem Bekenntnis- als auch in seinem Aufforderungscharakter nicht die Funktion der Mitteilung, sondern die der Umkehr zu dem, was man glaubt. Wenn Barth davon ausgeht, dass Christen den Juden ein Zeugnis abgeben, erwartet er folglich, dass sie sie infolgedessen darin unterstützen, im Sinne einer Umkehr mit ihrem eigenen Glauben neu anzufangen. So ließe sich auch der Unterschied zwischen Zeugnis und Evangelisation festmachen, und es würde verständlich, dass er die Evangelisation in diesem Zusammenhang nicht thematisiert.95 Schon 1934 hält Barth den Vortrag „Der Christ als Zeuge“96 über den Zeugnisbegriff, in dem er Wesentliches erklärt. Es kommt mehr auf die Haltung der Dankbarkeit an darüber, etwas zu bezeugen zu haben, als auf das Überbringen des Zeugnisses. Einerseits würdigt Barth die menschlichen Zeugen Gottes als von Gott Befähigte und Autorisierte, andererseits relativiert er die menschlichen Notwendigkeiten, indem er einschränkend betont, dass die Macht des Zeugnisses in Gott selbst liegt, der sich Menschen zu Zeugen bestimmt und durch sie wirkt. Gott ist sein eigentlicher und ursprünglicher Zeuge selbst: „Gott ist sein eigener Zeuge, Gott kann mein Zeugnis nicht brauchen.“97 In der KD verwendet er hierfür den Begriff des sekundären Zeugen. Während Gott sich selbst durch Jesus Christus primär bezeugt, ist der Mensch „nur als unselbständiger, nicht als primärer, sondern nur als sekundärer Zeuge zu verstehen.“ (II/1,116)

Exkurs: Zur Frage nach einer ethischen Begründung der Ablehnung der Judenmission Es stellt sich die Frage, ob es einen Hinweis darauf gibt, dass Barth die Judenmission aus einer historisch begründeten ethischen Argumentation heraus für unangemessen hielt. Barth kritisiert innerhalb seines Exkurses zur Judenmission die in der Geschichte und zu seiner Zeit üblichen christlichen Umgangsformen mit den Juden, als sei es seine Absicht gewesen, die Unangemessenheit der Judenmission zu begründen. Dagegen spricht jedoch, dass seine Verurteilung des christlichen Verhaltens unverbunden bleibt mit der ausdrücklichen Begründung seiner Ablehnung der Judenmission. Es gibt einen Beleg, der diese Vermutung stützt. In einem Brief an Barth wirft ihm der Pfarrer Henry H. Poms vor, er wolle aufgrund der Shoah keine Judenmission befürworten. Er schreibt: „Ich verstehe Ihr Entsetzen über die Ermordung von 6 Millionen Juden gut […] Aber soll die Buße der Christenheit 95 Vgl. den Exkurs zur Evangelisation in 2.1. 96 Vgl. „Der Christ als Zeuge“. In: ders.: Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge 3. Zürich: 19862. 185–196. 97 S. ebd., 187.

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nun darin bestehen, daß sie von Christus schweigt?“98 Barth bestätigt weder, solches gesagt oder gemeint zu haben, noch weist er es zurück. Er geht in seinem Antwortbrief gar nicht auf historisch-ethische Argumente ein,99 so dass diese nicht entscheidend für ihn gewesen sein können. Dieser Briefwechsel belegt jedoch, dass Barth sich damit zumindest am Rande auseinandergesetzt hat. Barth hat sich zu Judenverfolgungen bis hin zur Shoah geäußert, und zweifellos ist seine Klage über christliches Fehlverhalten auch auf die Shoah bezogen. Es überrascht aber, dass er sich in der Benennung seiner Haltung zu Judenmission nicht radikaler dazu positioniert hat. Warum gibt es keinen Hinweis auf die Schuld der Christen an dem Versuch, das jüdische Volk auszurotten? Warum erwähnt er hier nicht das nationalsozialistische Verbot der Judenmission mit seinen völlig entgegengesetzten Absichten? Die Judenmission lässt sich nach Barth nicht mit dem Vorwurf des Antisemitismus abweisen, und er hat die Schuld der Kirche an ihrem eigenen Antisemitismus nicht als ein Argument für den Verzicht auf Judenmission gelten lassen. Es sind für ihn zwei voneinander zu unterscheidende Dinge.

Exkurs: Barths Verständnis der Ökumene von Christen und Juden In den letzten Sätzen seines Exkurses behandelt Barth das sichtbare Verhältnis von Christen und Juden und geht damit einen Schritt über die Verhältnisbestimmung des zweiten Absatzes hinaus. Barth verurteilt christliches Fehlverhalten gegenüber Juden als Auslöser für „vielleicht die schwerste von all den Wunden am Leibe Christi“ (IV/3,1007). Die Kirche solle Israel ansehen als ihre „Wurzel, aus der sie selbst hervorgegangen ist“ (IV/3,1007). Barth wählt auf der abstrakten Ebene der Verhältnisbestimmung das klassische, paulinische Ölbaumbild, das für die lebendige Beziehung und das präsentische Entspringen des Heils aus Israel zugunsten der Christen steht. Daneben verwendet er das Bild des Leibes Christi zur Verdeutlichung der Gemeinschaft. Seiner Auffassung nach besteht keine gesunde Einheit im Leib Christi, solange es kein angemessenes Verhalten gegenüber den Juden gibt. Gemeint ist auch die sichtbare, institutionalisierte ökumenische Begegnung. Barth kritisiert die Genfer Ökumene für ihre Israelvergessenheit und bringt zugleich zum Ausdruck, dass das Verhältnis der Christen zu Israel wichtiger ist als das der christlichen Konfessionen untereinander: „Auch die ökumenische Bewegung von heute leidet schwerer unter der Abwesenheit Israels, als unter der Roms und Moskaus!“ (IV/3,1007) Er zeigt sich enttäuscht, 98 S. Barth, Karl: „An Pfarrer Henry H. Poms, Basel, 1961“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 34. 99 Vgl. ebd., 34 f.

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als die Hälfte der Teilnehmer der Konferenz in Evanston seine Eingabe ablehnten, die Rolle der Juden an der christlichen Hoffnung zu berücksichtigen.100 Sogleich stellt Barth jedoch fest, dass er damit nicht eine Veränderung in den sichtbaren Organisationsformen der christlichen und jüdischen Religionen und des Weltrates zu fordern beabsichtigt. Er formuliert: „Die Kirche muß mit der Synagoge leben: nicht, wie die Toren in ihrem Herzen sagen, als mit einer andern Religion oder Konfession, sondern […]“. (IV/3,1007) Weder die Bezeichnung interreligiöser noch ökumenischer Dialog scheint er treffend zu finden. Aus seinen Aussagen geht hervor, dass er einerseits das christlichjüdische Gespräch und die Einbeziehung der Juden in innerchristliche Gespräche für wichtig hält, andererseits aber ablehnt, Israel in seiner Sonderstellung in bestehende Schemata von Konfession und Religion einzugliedern. Er setzt eine innere Einheit voraus, die unabhängig von äußeren Trennungen besteht. Rückblickend auf die Argumentation des Exkurses liegt der Schluss nahe, dass das Verhältnis von Kirche und Israel als ein ökumenisches gewertet werden kann, weil die Bedingungen dafür erfüllt sind. Zwar basiert die Ökumene auf dem gemeinsamen Bekenntnis zu Jesus Christus, doch gibt es zwischen Juden und Christen eine vergleichbare gemeinsame Ebene, die in der Zuwendung Gottes zu sowohl den Juden als auch den Christen begründet ist. Formal berufen sich die Kirchen im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) auf das gemeinsame Bekenntnis zu Jesus Christus, das die Juden nicht teilen, so dass sie sich nicht einfach in den ÖRK integrieren könnten. Ein bloßer Dialog zwischen den Religionen trifft aber Barths Verständnis von dem jüdisch-christlichen Verhältnis auch nicht, weil mit dem gemeinsamen Evangelium und dem gemeinsamen Glauben an den Gott Israels mehr miteinander geteilt wird als mit anderen Religionen. Ein weiterer Aspekt ist, dass bildlich gesprochen auch bei Barth das Verhältnis sowohl gleichberechtigt ist gemäß dem Bild vom Leib Christi, als auch hierarchisch gemäß dem der Wurzel des Ölbaums. Es gibt eben doch eine nicht aufzuhebende Hierarchie, nach der Christen auf Juden angewiesen bleiben. Das Hauptanliegen besteht für ihn wohl auch nicht in der Begegnung und Zusammenarbeit, sondern in der Korrektur des kirchlichen Selbstverständnisses. Barth klagt: „Über den bohrenden Schmerz dieser Wunde dürfte sie sich, auch wenn sie in allen Stücken ihres Dienstes noch so treulich am Werk wäre, nicht hinwegtrösten wollen. Die immer wieder aufbrechende Judenfrage ist die durch keinen ihrer Dienste beantwortete und zu beantwortende Christenfrage und Kirchenfrage. Sie steht als ungelöstes Problem und so als Schatten auch hinter und über ihrer Tätigkeit in der Heidenmission.“ (IV/3,1007) 100 Vgl. Busch, Lebenslauf, 417.

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Barth möchte mit seiner kritischen Aussage zum Verhältnis von Juden und Christen als zwei Religionen dem Dialog gerade keine Absage erteilen. Er akzeptiert das Judentum in seiner Existenzform als die vom Christentum getrennte Religionsgemeinschaft. Barth hat sich selbst im jüdisch-christlichen Dialog engagiert, auch wenn er oder andere das damals nicht so genannt haben. Seine schriftlichen und mündlichen Begegnungen mit jüdischen Theologen, seine Hilfe für jüdische Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland, seine Mitwirkung an zahlreichen Bekenntnissen und Schuldbekenntnissen zur Zeit der Judenverfolgung und danach sind nichts Anderes als das. Die zuvorkommende Sprache der Gespräche zeugen davon, dass Barth an einem respektvollen und harmonischen Umgang zwischen sich und den Juden gelegen war. Eine Vertiefung des Verständnisses der Ökumene mit Israel bei Barth kann an dieser Stelle nicht erfolgen, weil es dazu einer besseren Kenntnis des Verhältnisses von Kirche und Israel und der Hinzuziehung weiterer Teile der KD bedarf. Das wird im vierten Kapitel im Rahmen der Diskussion des Antisemitismus nachgeholt. Um auf den Kontext zurückzukommen, ist Barths Absicht mit der Rede vom Zeugnis in diesem Zusammenhang wohl die, der Kirche zu helfen, in der Begegnung mit Israel zu sich selbst zu finden. Denn ein glaubwürdiges Zeugnis gibt nur die Gemeinde ab, die sich ihrer notwendigen Verbundenheit mit Israel bewusst ist. Die erneute Erwähnung des Zeugenbegriffs ist in diesem Zusammenhang wichtig, um zu verstehen, dass der Verzicht auf Mission kein Wert an sich ist, sondern einem dementsprechenden Verständnis von Kirche als Einheit mit Israel entspringt. Weinrich schreibt über Barths große Ökumene, ihm „ging es nicht um eine Vereinnahmung Israels, sondern um eine Neuorientierung des Ökumeneverständnisses, das sich bisher der eigentlichen Herausforderung noch gar nicht gestellt habe, weil es sich nur mit den Einheitsbedürfnissen der Kirche beschäftigt, aber nicht nach der in Gott begründeten Einheit fragt.“101

Er nennt sie die eigentliche ökumenische Frage, weil es in der Ökumene eigentlich um die Einheit in Gott geht.102 Klaus Hoffmann geht nicht auf die Frage ein, wie die Ökumene mit Israel nach Barth aussehen könnte, wäre sich die Kirche der Wunde dieses Verlustes bewusst. Er versteht zunächst erstmal Barths Abgrenzung vom christlichen Antijudaismus – etwa durch seine Bundestheologie, wie er sie in der Erwählungs- und Versöhnungslehre neu bestimme – als wesentliches ökumenisches 101 S. Weinrich, Michael: „Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott? Systematisch-theologische Annäherungen an eine unzugängliche Frage“. In: EvTh 67 (2007). 256 f. 102 Vgl. Weinrich, Michael: Ökumene am Ende? Plädoyer für einen neuen Realismus. NeukirchenVluyn: 1995. 152.

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Handeln.103 Seine Ausführungen dazu münden im Verweis auf den Judenmissionsexkurs, in denen er erklärt, dass Barths theologische Auseinandersetzung mit Israel zu dessen Ablehnung der Judenmission geführt habe. So sei Judenmission wegen des jüdischen Erbes für Christen abwegig.104 Ein anderes Wort für Ökumene mit Israel wäre laut Hoffmann „notwendige Israelbezogenheit“105. Er verweist auf die Lehre von Taufe und Herrenmahl.106 Thomas Herwig versteht seine Dissertation als Anschluss an Visser ‘t Hoofts Aufsatz mit demselben Titel.107 Es beansprucht eine vollständige Darstellung von Barths Ökumeneverständnis, wobei Herwig überwiegend historisch und anhand von Briefen untersucht, also Kontakte betrachtet und Entwicklungen aufzeigt. In Bezug auf Barths Verständnis der Ökumene mit Israel kommt er zu dem Schluss, dass Barth erst spät eine Haltung dazu entwickelt hat: „Zum ersten Mal kommt es im Rahmen des Ergänzungsvorschlags für Evanston zu der dezidierten Feststellung bei Barth, daß das inner- bzw. zwischenkirchliche ökumenische Problem allererst aus der Perspektive der Wahrnehmung des Verhältnisses der christlichen Gemeinde zu Israel sachgerecht in Angriff genommen werden könne.“108

Herwig stellt die Thesen dieses Ergänzungsvorschlags unter dem Titel „Die Hoffnung Israels“ vor. Er hält sie zwar nicht für von Barth verfasst, aber für von diesem redigiert und veröffentlicht und damit vollständig akzeptiert. Er führt näher aus, was die Haltung Barths zu Israel gewesen sei, die er mit den Thesen korrigiert habe. Die Thesen geben im Prinzip die Argumentation des Judenmissionsexkurses wieder, wobei der Exkurs zur Judenmission keine Erwähnung findet.109 Die Rede von der großen ökumenischen Frage wird aber aus einer anderen Quelle angeführt. Barth sei dann allerdings laut Herwig auch damit nicht gehört worden, so dass sein Einfluss auf die verfasste Ökumene in diesem Punkt dann wiederum auch nur marginal gewesen sei:

103 Vgl. Hoffmann, Klaus: Die große ökumenische Wegweisung. Die Bedeutung der Versöhnungsethik Karl Barths für die ökumenische Bewegung im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung heute. Frankfurt am Main: 2004. 206. Vgl. auch 200–212. 104 Vgl. ebd., 211. 105 S. ebd., 243. 106 Vgl. ebd., 243–254. Hier bleibt er allgemein. 107 Vgl. Herwig, Thomas: Karl Barth und die Ökumenische Bewegung. Das Gespräch zwischen Karl Barth und Willem Adolf Visser ’t Hooft auf Grundlage ihres Briefwechsels 1930–1968. Neukirchen-Vluyn: 1998 und Visser ’t Hooft, Willem Adolf: „Karl Barth und die Ökumenische Bewegung“. In: EvTh 40 (1980). 2–24. 108 S. Herwig, Bewegung, 220. 109 Vgl. ebd., 220 f.

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„Der von Barth aufgestellte Grundsatz, daß die Einigung der Kirchen ihr Zentrum in der Begegnung der Kirchen mit Israel habe, setzte sich in Evanston nicht durch. Er spielt bis heute im Kontext der organisierten Ökumene keine Rolle.“110

Michael Welker stellt Barth in einem Aufsatz als Ökumeniker vor und widmet sich darin knapp Barths Israelbezug.111 Wie Herwig misst er dem Abschnitt „Die Hoffnung Israels“ mehr Bedeutung bei als dem Exkurs über die Judenmission und hält diese Haltung insofern für eine späte bzw. behauptet sogar, Barth habe gar keine reflektierte Haltung zu diesem Thema: „Vieles spricht dafür, dass Barth hier nicht zu einer konsolidierten Position gelangt ist.“112 Was dran ist an der großen ökumenischen Frage und wie weit sie eingreifen könnte ins ökumenische Geschehen, bleibt am Ende unbeantwortet von denen, die sich eingehender mit Barths Ökumeneverständnis auseinandergesetzt haben. 2.2.3 Barths Äußerungen zur Judenmission außerhalb des Judenmissionsexkurses Nach der Besprechung des Exkurses sollen sämtliche weitere Äußerungen Barths zur Judenmission vorgestellt und eingeordnet werden. Sie stammen überwiegend aus den späten Jahren und lesen sich wie eine Vertiefung des bereits Bekannten. Die Ausführungen zur Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche nehmen einen großen Raum ein in Barths Exkurs zur Judenmission. Es ist wichtig, zu verstehen, dass Barth mit seinen Äußerungen darauf abzielt, dieses Verhältnis in den Blick zu nehmen. Jedoch ist es nicht so, dass er mit seiner Ablehnung der Judenmission das jüdisch-christliche Verhältnis verbessern wollte. Der Grund für seine Ablehnung der Judenmission ist die Überzeugung, dass Christen aufgrund ihrer nachgeordneten Position in der heilsgeschichtlichen Hierarchie von den Juden abhängen. Diese Überzeugungen führen zu der Annahme, dass die Judenmission bis hinein ins Begriffliche unmöglich ist. So hat er die Ablehnung der Judenmission mit der wegen der bestehenden Hierarchie gebotenen Passivität begründet, wenn er in seinen Fragebeantwortungen zu einer kurzen Antwort gezwungen war. In der Basler Titusgemeinde vertritt er die folgende Auffassung: „Die Juden sind das ursprüngliche Volk Gottes. Wir, die Christen, sind nur nachträglich dazugekommen. Wir können heilfroh sein, wenn wir ihre Brüder und Schwestern sind. Das Ärgernis, daß Synagoge und Kirche nebeneinander sind, ist 110 S. ebd., 225. 111 Vgl. Welker, Michael: „Karl Barth. Vom Kämpfer gegen die ,römische Häresie‘ zum Vordenker für die Ökumene“. In: Möller, Christian et al.: Wegbereiter der Ökumene im 20. Jahrhundert. Göttingen: 2005. 156–177. 112 S. ebd., 164.

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noch größer und ärger als das der Trennung von Katholiken und Protestanten. Und nun ja nicht etwa Judenmission treiben! Treiben wir lieber Christenmission!“113

Hier liegt die Betonung deutlich auf einer demütigen Neubesinnung im Auftreten gegenüber Juden. In einem Gespräch mit Kunstgewerbeschülern ist er noch einen Schritt weiter gegangen, indem er vorgeschlagen hat, dass Christen die jüdische Mission solidarisch stärken sollten: „Es ist heute vor allem wichtig, daß wir begreifen: Wir stammen alle von den Juden ab. Christus war ein Jude sowie auch alle jene Leute, die das Neue Testament geschrieben haben. Unser Christentum ist nicht aus dem Judentum, aber doch aus dem jüdischen Volk herausgewachsen. Das jüdische Volk machte ganz besondere Erfahrungen mit Gott. Die Bibel zeigt uns, daß diese Erfahrungen der Juden für die ganze Welt von großer Wichtigkeit sind. Wir dürfen die jüdische Religion nicht als irgendeine hinnehmen. Sie hat eine ganz besondere Stellung. Aus diesem Grunde bin ich auch gegen die Judenmission. Wir müssen die Juden nicht zum protestantischen Glauben zu «bekehren» versuchen, sondern ihnen sagen, welch wichtige Stellung sie in der Welt einnehmen. Sie sind auch das Volk Jesu.“114

In einem Gespräch mit Zürcher Pfarrern spielt er gemäß Röm 9,4–5 darauf an, dass Christen nur das verkündigen können, was sie durch die Juden empfangen haben, den Gott Israels. Im Hinblick auf den erhofften jüdischen Glauben an Jesus Christus verweist er auf das Zukünftige. Auf die Frage nach dem rechten Verhalten gegenüber Juden mahnt er zur Geduld angesichts der erst eschatologisch zu erwartenden Aufhebung der Trennung von Kirche und Israel und zur Wahrnehmung der bis dahin wichtigen Verkündigung.115 Nur in dem im Folgenden zitierten, etwas ausführlicheren Gespräch mit einer Barth-Arbeitsgemeinschaft räumt Barth ein, dass er sich den Glauben der Juden an Jesus Christus wünscht. Er erläutert sein Prinzip, passiv zu bleiben und dennoch Eifersucht bei den Juden hervorzurufen.116 Vor die Wahl gestellt, ob er Mission oder Dialog mit den Juden will, bekräftigt Barth ohne Zögern seine Bereitschaft zum Dialog mit Israel, was er mit der Überlegenheit der Juden begründet:117 „Wenn schon von Mission die Rede sein soll, so würde ich sagen: die Juden haben die Aufgabe der Christenmission, um uns zu erinnern, wie wir eigentlich alle dran sind [… und wie wir als] dieses wandernde Gottesvolk – «wir haben hier keine bleibende 113 S. Barth, Karl: „Gespräch in der Basler Titusgemeinde (21. 6. 1966)“. In: ders.: Gespräche 1964–1968. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.28. Zürich: 1996. 306. 114 S. Barth, Karl: „Gespräch mit Kunstgewerbeschülern (1. 2. 1966)“. In: ders.: Gespräche 1964–1968. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.28. Zürich: 1996. 207 f. 115 Vgl. Barth, Karl: „Gespräch mit Zürcher Pfarrern (21. 8. 1961)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 206 f. 116 Vgl. Barth, Barth-Arbeitsgemeinschaft, 264–94. 117 Vgl. ebd., 274.

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Stätte, sondern die zukünftige suchen wir» [ Hebr. 13, 12] – uns zu verhalten hätten, im Denken und Reden und Verhalten [?].“118

Mit dem Begriff der ,jüdischen Christenmission‘ knüpft er an die Vorstellung an, das Heil käme von den Juden, und überträgt diese Hierarchie auf den Zeugendienst. Anstatt zu missionieren, will er lieber die Juden auf ihr Eigenes eifersüchtig machen, indem er überzeugend die Kirche vertritt. „Das heißt, daß ihnen in der Kirche nun wirklich das Bild, mehr als das Bild: die Herrlichkeit, die d|na ihres eigenen Messias entgegentreten wird.“119 Um ganz sicher zu sein, dass es sich hierbei auch sicher nicht um eine Aktivität in Richtung der Juden handelt, erfolgt die Bekräftigung: „Schildmann: Soll sich die Kirche also in der Judenmission beschränken auf eine Aktivierung des eigenen Lebens? Barth: Würde ich eigentlich sagen.“120 Dennoch will er wiederum nicht leugnen, dass er sich wünscht, dass die Juden um Jesus Christus wissen und an ihn glauben. Diese Mitteilung soll nur eben passiv im Rahmen des Dialogs geschehen. Je mehr die Kontinuität des jüdischen Glaubens im Christlichen ersichtlich wird, desto mehr kann es laut Barth geschehen, „daß die Existenz der Kirche ein Ruf wird auch an Israel, daß sie dann kommen. Nicht, daß wir sie holen, [sondern] daß sie kommen, daß sie es begreifen.“121 Barth lehnt in diesem Gespräch also die Judenmission wegen der Stellung der Juden ab. Sein Anliegen ist es dabei nicht, eine höfliche Distanz zwischen Juden und Christen zu schaffen. Denn da für Barth feststeht, dass Juden an den wahren Gott glauben, hätte er die Frage der Mission nicht so prominent aufgreifen müssen, sondern sie als Selbstverständlichkeit ansehen können. Ihn beschäftigt die Frage nach dem jüdisch-christlichen Verhältnis aus der Perspektive der Kirche. Es ist ihm wichtiger, zu sagen, dass Jesus Christus Juden und Christen miteinander verbindet, als zu sagen, dass beide an den Gott Israels glauben. Der Blick auf die Kirche steht vor dem Blick auf die Synagoge. Die Frage der Judenmission wird von Barth also vor allem als ein ekklesiologisches Problem verstanden. Es fällt auf, dass Barth, der sich sonst mit Kritik an der Synagoge nicht zurückgehalten hat, im Zusammenhang mit der Frage der Judenmission nie negativ urteilt. Für Barth ist die Judenmission nur als ekklesiologisches Problem relevant. Barth legt großen Wert auf die in Jesus Christus gegebene Nähe von Juden und Christen zugunsten eines besseren Selbstverständnisses der Kirche. In §34 gibt es die vielzitierte Äußerung zur Judenmission: „Es ist darum nicht an dem, daß der Apostel oder daß die Kirche der Synagoge gegenüber irgend etwas erzwingen und durchdrücken, daß sie hier überhaupt direkt 118 119 120 121

S. ebd., 275. S. ebd., 276. S. ebd., 276. S. ebd., 277.

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etwas «machen» oder «erreichen» könnten […] die Heidenmission und die Existenz der Kirche aus Juden und Heiden als solche ist die wahre Judenmission.“ (II/2,312)

Sie bleibt für sich genommen missverständlich. Einerseits scheint Barth der Kirche aufzutragen, sich nicht um die Juden, sondern um ihre eigenen Angelegenheiten zu sorgen und insofern von Mission abzusehen. Andererseits scheint er sagen zu wollen, dass Mission gegenüber Juden nicht nur nicht negativ ist, sondern durch die bloße christliche Existenz unweigerlich geschieht. Eindeutig ist nur, dass die Passivität der Christen gefordert wird, nicht aber in welchem Sinne Christen passiv auftreten sollen. Aus dem Zusammenhang wird ersichtlich, dass es hier um die Explikation des Eifersüchtigmachens in Römer 11 geht. Dazu gehören zwei Gesichtspunkte. Erstens wird die Haltung vertreten, dass Jesus Christus zweifellos als jüdischer Messias von den Juden anerkannt werden soll. Zweitens soll die Kirche dies aber nur indirekt durch ihr Vorbild zum Ausdruck bringen. Der Sinn dieser passiven, hoffenden Haltung ist nicht eine Strategie gegenüber Israel, sondern die Sorge um ein fehlerhaftes, christliches Selbstverständnis. Der Absatz ist deshalb nicht von der Perspektive auf Israel, sondern nur von der Betrachtung der Kirche geprägt: „Nicht die Kirche, sondern Gott im Akt jener Hinzunahme und Hineinnahme, Jesus Christus in der Herrlichkeit seiner Wiederkunft wird die Synagoge bekehren, wie ja auch er allein die Toten auferwecken wird. Die Kirche kann auch in dieser Hinsicht nur Kirche sein und eben damit jenes paqafgk_sai der Juden bewirken.“ (II/2,312)

Es ist eine Passivität, die auf Gottes Wege vertraut und insofern von allen Zwängen frei sein darf. Jedoch soll sie sich darum bemühen, das rechte Kirchesein dann auch wirklich in Angriff zu nehmen. Diese Passivität ist offenbar nicht so einfach zu realisieren. Denn es besteht die Gefahr, dass die Kirche ihr Kirchesein verfehlt und es damit verpasst, Eifersucht zu erzeugen. Ein Verfehlen würde dann vorliegen, wenn die Kirche sich nicht mehr dazu bekennt, dass Jesus Christus Jude und jüdischer Messias ist. Denkbar wäre es auch, dass die Kirche ihr Kirchesein verfehlt, indem sie ihren Christus bis zur Unkenntlichkeit verchristlicht, so dass der Bezug zum Jüdischen nicht mehr herstellbar ist. Barth ergänzt: „Würde sie jenes paqafgk_sai etwa nicht bewirken, würde für sie die Hinzunahme und Hineinnahme der Synagoge etwa eine fremdartige, halb oder ganz vergessene, eine von ihr gar nicht mehr zu bedenkende Sache werden, würde sie mit diesem Gotteswunder gar nicht mehr rechnen, dann wäre das ein fatales, aber sicheres Anzeichen dafür, daß sie auch gar nicht wirklich auf die Wiederkunft ihres Herrn, auf sein Gericht über Lebende und Tote wartet, d. h. aber daß ihr Glaube der Hoffnung entkleidet und darum (nicht kräftig in der Liebe!) leer geworden wäre. Die Hoffnung auf die Offenbarung Jesu Christi, in der der Glaube lebendig ist, steht und fällt nach unserer Stelle mit der Hoffnung für Israel.“ (II/2,312 f.)

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Eine Passage aus §62 weist eine ähnliche Argumentationsstruktur auf. Auch hier – innerhalb von Ausführungen zur Einheit der Kirche – wendet Barth sich kritisch an die Kirche, die Israel fehlinterpretiert, und erklärt in diesem Zusammenhang seine Haltung zur Judenmission. Barths Eingangssatz lautet: „Eben darum sind (3) nun auch das Volk Israel in seiner ganzen Geschichte ante et post Christum natum und die am Pfingsttag in die Erscheinung getretene christliche Kirche in zwei Gestalten und unter zwei Aspekten gesehen (KD II, 2 §34, 1!) untrennbar die eine Gemeinde, in der Jesus Christus seine irdisch-geschichtliche Existenzform hat, durch die er der ganzen Welt bezeugt wird, durch die die ganze Welt zum Glauben an ihn aufgerufen wird!“ (IV/1,747 f.)

In diesem einen Satz ist die gesamte Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche zusammengefasst. Israel und Kirche sind zwei verschiedene Teile der einen Gemeinde Jesu Christi. Innerhalb des Exkurses hat Barths Verwendung des Gemeindebegriffs sich verändert und meint jetzt nicht mehr nur die Kirche. Israel wird hier explizit auch als nach Christi Geburt weiterbestehende Größe gewürdigt. Das Volk Israel, das Christus nicht anerkannte, ist Teil der Gemeinde, die er definiert als irdisch-geschichtliche Existenzform Jesu Christi und als Zeuge Christi in der Welt. Es folgt die Begründung: „Denn was die christliche Kirche ist, das war und ist vor ihr schon Israel: sein Eigentum (Joh.1,11), sein Leib. Er selbst ist ja in einer Person der gekreuzigte Messias Israels, der doch als solcher schon der heimliche Herr der Kirche ist, aber auch der auferstandene Herr der Kirche, der doch als solcher kein Anderer ist als der geoffenbarte Messias Israels.“ (IV/1,748)

Die Verbundenheit besteht in Jesus Christus. Israel ist vor der Kirche der Leib Christi. Christus verbindet Israel und Kirche, indem er die Kirche hinzuberuft. Später konkretisiert Barth: „Unterschiede sind und bleiben unübersehbar: es geht schon um zwei Aspekte, zwei Gestalten, zwei «Ökonomien» der einen Gnade. Es ist aber eine Geschichte, die dort anhebt, in Jesus Christus ihre Mitte hat und hier ihrem Ziel entgegeneilt. Es ist der Bogen des einen Bundes, der sich über dieses Ganze spannt. Es war darum der Kirche von Anfang an und es wird ihr zu jeder Zeit wesentlich sein, in sich selbst diese Einheit darzustellen, in ihr zu existieren. Sie las darum das Alte Testament von jeher mit dem Neuen zusammen – und jenes sogar vor diesem – als Bezeugung des einen Werkes und der einen Offenbarung des einen Gottes.“ (IV/1,749)

Eine Gnade, eine Geschichte, ein Bund, eine Heilige Schrift, ein Werk, eine Offenbarung, ein Gott verbinden Israel und Kirche, ohne ihre Verschiedenheit aufzuheben. Barth verlangt nicht, dass Juden zum Christentum konvertieren. Er spricht von einer unsichtbaren Einheit, die auch ohne die menschliche Bestätigung gültig ist. Auf der Basis dieser Überzeugung von der gegebenen Einheit von Israel und

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Karl Barths Missionsverständnis

Kirche formuliert er in einem anschließenden Exkurs seine kirchenkritische Haltung. Er wirft der Kirche (und nicht der Synagoge!) vor, die Einheit zu stören mit ihrer Indifferenz gegenüber Israels Leugnung von Jesus Christus. Barth meint: „Die entscheidende Frage lautet nicht: was kann die jüdische Synagoge ohne ihn sein? sondern: was ist die Kirche, solange ihr ein ihr fremdes und entgegengesetztes Israel gegenübersteht?“ (IV/1,749) Die Kirche nimmt die Wunde an ihrem Leib nicht einmal wahr! Das ist das Problem. Barth fügt hinzu: „«Judenmission» ist wirklich gar kein Wort für den Ruf nach Aufhebung dieser Trennung, der von der Kirche aus eigentlich ununterbrochen an diese Brüder ergehen müßte, die ihre – nicht erst herzustellende, sondern ontologisch feststehende – Einheit mit ihr noch und noch nicht erkennen, noch und noch nicht zu dem, was sie doch sind und lange vor «uns armen Heiden» waren, stehen wollen.“ (IV/1,749)

Diese Erklärung bleibt schwer verständlich. Barth wirft der Kirche vor, durch ihr Fehlverhalten Juden von Jesus Christus fernzuhalten, will sie aber zugleich von der Judenmission abhalten. Wie genau er sich den Ruf der Christen und den Zugang der Juden zu Jesus Christus vorstellt, führt er nicht aus. Fest steht, dass er vor allem anderen Christen zu einer Klärung ihres Selbstverständnisses ermahnt. Diesen Abschnitt könnte man als die Fortsetzung von §34 lesen. Denn während es in jenem darum ging, den gemeinsamen Messias hervorzuheben, liegt hier die Betonung auf der Einheit der einen Gemeinde in ihrem Messias. Anders erklärt verfehlt die Kirche ihre Aufgabe, Eifersucht zu erzeugen, weil sie sich ihrer Verbundenheit zu Israel aufgrund ihres jüdischen Messias nicht genug bewusst ist. Beide Kapitel knüpfen deutlich an den Exkurs an, wobei das erste es mit dem Gedanken der Eifersucht und das letzte es mit dem der ökumenischen Verbundenheit tut. Einer gesonderten Besprechung bedarf der bereits erwähnte Brief an Pfarrer Henry H. Poms, weil er auf den ersten Blick verwirrend oder sogar widersprüchlich wirken kann.122 Barth zeigt sich in seinem Brief an einen über Barths Haltung empörten Judenmissionar versöhnlich. Allerdings gibt er doch nur vor, dass ein Konsens zwischen ihm und diesem Mann in greifbarer Nähe ist. Denn die Bedingung, unter der Barth sich zur Befürwortung der Mission von Juden bereit erklärt, ist die, die Judenmission auf Juden, sprich Judenchristen, als Missionierende zu reduzieren. Diese Haltung verfolgt also die Linie seiner bisherigen Argumentation, weil die rechte Richtung eingehalten wird. Nichtsdestotrotz fehlt hier zugunsten der Klarheit die konkrete Wiederholung seiner Überzeugung, dass die Judenchristen den Juden mit dem Evangelium von Jesus Christus nichts zu berichten haben, was sie nicht schon wissen. Insgesamt könnte der Eindruck entstehen, er wolle die Frage der 122 Vgl. Barth, Poms.

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Judenmission zu einer innerjüdischen Angelegenheit machen, was nicht der Fall ist. Sie ist für ihn die ekklesiologische Frage schlechthin. Die Stärke dieses Briefes liegt in seinen indirekteren Äußerungen zur Unmöglichkeit der Mission. Da ist zunächst die unkommentierte Bemerkung, dass der Begriff ,Judenmission‘ „theologisch unmöglich“123 ist, die mit einer Anspielung auf den jüdischen Besitz im Schlusssatz von Barth aufgegriffen wird: „Mir liegt Alles daran, daß (Röm. 9, 4–5) Israel als Israel endlich als Ausgangspunkt aller Überlegungen, was Israel gegenüber zu tun und zu lassen sei, ganz ernst genommen werde.“124

2.2.4 Die Rezeption des Judenmissionsexkurses in der Sekundärliteratur Stephan Vasel125, Brandau und Lindsay sind die einzigen, die sich in ihren Veröffentlichungen über Zitate und Randbemerkungen hinaus mit dem Exkurs zur Judenmission auseinandergesetzt haben, wobei sie sich gegenseitig nicht wahrgenommen haben. Vasel vertritt die Auffassung, dass Barth nur vorgibt, gegen die Judenmission zu sein, um seine Leser zu besänftigen: „Meiner Lektüre zufolge hat Karl Barth weder ein einheitliches noch ein durchgängig positives Verhältnis zum Judentum gefunden. So stehen neben Aussagen von 1942, in denen er sich hinreißen ließ, Israel als Negativfolie seiner Ekklesiologie zu benutzen, Aussagen von 1959, in denen der christlichen Judenmission eine – zumindest auf den ersten Blick – klare Absage erteilt wird.“126

Etwas kritischer ergänzt er später: „Wirkliches Judentum nach Barth ist letztlich in die christliche Gemeinde integriert. Implizit wird damit m. E. die später abgelehnte Judenmission vertreten.“127 Vasel interpretiert das Konzept der einen Gemeinde, wie Barth es in §34 vorstellt, als eine Vereinnahmung der Synagoge, also als die Leugnung der Existenzberechtigung Israels in Form einer separaten Religion. Unter dieser Voraussetzung erscheint ihm die offensichtliche Ablehnung der Judenmission durch Barth widersprüchlich. Den von Barth beschriebenen gegenseitigen Zeugendienst von Israel und Kirche innerhalb der Gemeinde legt Vasel vielmehr als einen Appell zur Judenmission aus, weil er Zeugnis und Mission gleichsetzt: „So plädiert Barth im selben Band implizit für die Judenmission, die er als Teil der Völkermission als 123 S. ebd., 34. 124 S. ebd., 35. 125 Vgl. Vasel, Stephan: Philosophisch verantwortete Christologie und christlich-jüdischer Dialog. Schritte zu einer doppelt apologetischen Christologie in Auseinandersetzung mit den Entwürfen von H.-J. Kraus, F.-W. Marquardt, P. M. van Buren, P. Tillich, W. Pannenberg und W. Härle. Gütersloh, 2001. 191–198. 126 S. ebd., 191. 127 S. ebd., 193.

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Karl Barths Missionsverständnis

»Dienst der Kirche« bestimmt (KD II/2,261).“128 An diesem Zitat ist interessant, dass Vasel Barth falsch wiedergibt. Barth spricht vom Dienst der Gemeinde und meint in diesem Zusammenhang die gesamte Gemeinde. Dieses Argument benutzt Vasel als Beleg dafür, dass Barth entgegen dem ersten Eindruck ein Antisemit gewesen sei. Vasel erklärt: „Judenmission bedeutet aber nichts anderes, als dass ein Jude als Jude nicht sein darf.“129 Zur Besprechung des Exkurses kommend wiederholt Vasel zunächst die Feststellung, Barth habe sich hier gegen die Judenmission positionieren wollen. Seine Erörterung des Exkurses lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass er diese Stellungnahme für einen Täuschungsversuch hält. Vasel nennt daraufhin Beispiele, die ihm zufolge auf Barths tarsächliche Haltung hindeuten. Er wirft Barth vor, den Begriff ,Judenmission‘ lediglich durch das Synonym ,Zeugnis‘ ersetzen zu wollen und referiert die Passagen, in denen Barth sich für das Zeugnis gegenüber Israel ausspricht, z. B. die des Erzeugens von Eifersucht. Barths Bemerkung, dass Gespräche mit Juden hinsichtlich einer Bekehrung aussichtslos sind, versteht Vasel als eine prinzipielle Ablehnung von jüdisch-christlichen Dialogen. Barths positive Charakterisierung des jüdischen Menschen kann Vasel aufgrund von Barths vermeintlich früherer negativer Haltung zum Judentum nur als einen Wandel ohne ein Bewusstsein für „Scham oder Selbstkritik“130 werten. Insgesamt hält Vasel Barth für grundsätzlich antijüdisch und interpretiert den Exkurs ebenso. Brandau referiert den Exkurs zur Judenmission als den letzten Teil seiner Vorstellung der „Israellehre Karl Barths“131. Dieser Umstand ist nicht einer inhaltlichen Systematik, sondern der Tatsache geschuldet, dass Brandau seine Themen nach dem chronologischen Vorkommen in der KD gliedert. So ergibt es sich, dass der Abschnitt zur Judenmission nicht der Höhepunkt seiner Darstellung, sondern ein am Schluss erfolgender, unverbundener und relativ kraftloser Teil ist. Brandau lässt keinen Zweifel daran, dass Barth die Frage nach der Judenmission „mit einem eindeutigen Nein“132 beantwortet habe. Barths Zeugnisbegriff sei „sprachlich und dann auch inhaltlich“133 etwas anderes als der Missionsbegriff. In der Besprechung des ersten Gesichtspunktes stellt Brandau in Erinnerung an den Maßstab der Missionstheologie Barths die Betonung auf den wahren Gott heraus und schreibt: „Barth begründet seine Ablehnung der Judenmission somit positiv von der Selbigkeit des Gottes Israels her.“134 Brandau vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass laut Barth die Kirche zwar an Gottes Zuwendung zu Israel teilnimmt, aber dabei dauerhaft in einem 128 129 130 131 132 133 134

S. ebd., 194. S. ebd., 194. S. ebd., 196. S. Brandau, Dialog. Das ist sein zweites Kapitel, darin die Seiten 105–110. S. ebd., 105. S. ebd., 105. S. ebd., 107.

Barth und die Judenmission

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Gaststatus als zu Israel Hinzukommende verweilt. Er ist überzeugt: „Barth bestreitet damit jeder Subsumtionstheorie ihr Recht.“135 Brandau behauptet, für Barth sei das wichtigste Argument gegen die Judenmission die Feststellung, dass die christliche Mission eigentlich die jüdische Mission, nämlich eine „Gastmission im Hause Israels“136 sei. Der Gedanke, dass Christen nur das weitergeben können, was sie von den Juden empfangen haben, entspricht zwar Barths Überzeugungen. Aber es ist fraglich, ob man die Aussage über die Gastmission zu Recht zur wichtigsten Aussage des Exkurses erklären darf, weil es bei Barth keinen Hinweis darauf gibt. Über den zweiten Gesichtspunkt urteilt Brandau, Barth stelle hier dem ersten positiven „eine sog. »negative« Begründung zur Seite, die in der Zuordnung Israels zum Zeugen des Gerichts […] begründet ist und faktisch die zuvor genannten positiven Begründungen zur Bestreitung der »Judenmission« konterkarieren.“137

Er ist der Auffassung, dass nach Barth die Juden mit ihrem Verhalten gegenüber Jesus von Nazareth ihren Status vor Gott verspielt haben und seitdem ohne göttliche Gnade leben müssen: „Barths »negative« Begründung der Ablehnung der Judenmission resultiert somit aus der Verwerfung Jesu durch Israel. Diese Verwerfung zieht das Gericht Gottes nach sich. Barth erneuert hier seine negative theologische These von der Existenz Israels als Spiegel des Gerichts und einer gnadenlosen Existenz.“138

Laut Brandaus Barthinterpretation sind die Juden nicht nur „Spiegel des Gerichts“139, sondern es steht ihnen tatsächlich Gottes Gericht bevor. Es klingt, als könne Brandau sich vorstellen, dass nach Barth die göttliche Erlösung des Menschen widerruflich und von dem Glauben und den Taten des Menschen abhängig ist. Brandau fährt fort, dass das Verharren in diesem Zustand gottgewollt sei, und dass die Judenmission deshalb gegen Gottes Willen rebelliere: „Die Macht des Heiligen, des Gottes Israels und seines Messias, ist vonnöten, um dieses eine »Nein« a priori zu überwinden. Diese Überwindung des »Neins« Israels ist demzufolge nicht in den Kategorien der »Bekehrung« zu fassen.“140

Abschließend wendet sich Brandau noch einmal der Überlegung zu, was die Christen im positiven Sinne gegenüber den Juden tun können. In diesem Zusammenhang sucht er nach einer Definition des Zeugnisbegriffs bei Barth: 135 136 137 138 139 140

S. ebd., 107. S. ebd., 86. 106. S. ebd., 107. S. ebd., 108. S. ebd., 108. S. ebd., 108.

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Karl Barths Missionsverständnis

„Dieses Zeugnis ist im Unterschied zur missionarischen Verkündigung primär das Lebenszeugnis des Christentums. Das der (heiden)christlichen Gemeinde gebotene »Zeugnis« gegenüber Israel im Unterschied zur »Mission« liegt im messianischen Lebensstil der Gemeinde, im »Eifersüchtig-machen« Israels.“141

Hier wird nicht näher darauf eingegangen, worin ein Lebenszeugnis oder ein messianischer Lebensstil bestehen könnten. Jedenfalls passen diese Begriffe nicht zu Barths Definition des Zeugnisses, weil das Zeugnis bei ihm immer auch ein tätiges Zeugnis ist. Schließlich lässt sich auf diese Weise keine klare Trennlinie zwischen Mission und Zeugnis ziehen, so wie Barth das tut. Ob es sich bei einem christlichen Dasein um ein bezeugendes oder ein missionarisches handelt, darüber bestimmt nach Barth nicht das Ausmaß an Aktivität, sondern die verborgene Einstellung der Menschen zu dem Gegenüber. Auf Barths Äußerungen zum Verhältnis von Kirche und Israel geht Brandau nicht ein. Er erwähnt nur, dass er es als vereinnahmend empfindet, Israel als einen Teil der Ökumene anzusehen: „Israel als grundlegende ökumenische Frage in den Blick zu nehmen, rechtfertigt es jedoch nicht, die Beziehung zwischen Israel und ökumenischer Völkerkirche als ,Ökumene‘ zu bezeichnen. Dies käme einer Vereinnahmung Israels gleich.“142

Er versteht nicht, dass Barth mit dem Leib Christi die Gemeinde aus Israel und Kirche meint. Deshalb hält er die von Barth erwähnte Wunde im Leib Christi nicht für ein Bild für die Israelvergessenheit der Kirche, sondern für eine Anspielung auf die Shoah. Da überrascht es nicht, wenn er schließlich Barths Umdeutung der Frage nach dem Verhältnis zu den Juden zur Frage nach der Kirche lediglich für einen „kirchenkritischen Ausblick“143 und nicht für das zentrale Anliegen des Exkurses hält. Diese Analyse des Exkurses wirft viele Fragen auf, denn ein derart widersprüchliches Ergebnis ist mehr als eine „für Barth typische Spannung“144. Es fragt sich, wie es möglich sein soll, dass einerseits die Kirche ihr Heil fortwährend aus Israel empfängt, und andererseits dasselbe den Juden mit der Verwerfung von Christus genommen worden ist, um es den Christen zu übertragen. Brandaus Sorge vor der Vereinnahmung von Israel durch die Kirche verstellt ihm den Blick auf die Einheit dieser beiden in der Gemeinde unter dem Bogen des Bundes, auf die es Barth ankommt. Brandau würdigt den Exkurs formal durch die ausführliche Besprechung. Inhaltlich zeigt er jedoch seine Missbilligung durch seine Kritik und indem Barths Thesen und Argumente nicht in seine Weiterentwicklung einfließen. Lindsay fasst in seiner Analyse des Exkurses zunächst den Inhalt des ersten Absatzes zusammen und gibt sich dann erstaunt über das Ergebnis, 141 142 143 144

S. ebd., 109. S. ebd., 109. S. ebd., 109. S. ebd., 107.

Barth und die Judenmission

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dass Barth sich hier positiv und zweifellos gegen die Judenmission ausgesprochen habe: „In spite of all those statements we have considered earlier, in which Barth betrays a somewhat condescending attitude toward Judaism, we see here an astonishingly more positive appraisal.“145

Lindsay erinnert daran, dass in der Lehre von der Mission das Kriterium für oder gegen Mission der Glaube an den wahren oder falschen Gott gewesen ist. Daraufhin hebt er sowohl hervor, dass Juden an den wahren Gott glauben, als auch, dass er „in a qualitatively different and uniquely special way”146 ihr Gott ist, und nur als dieser im präsentischen Sinne auch der Gott der anderen wird: „To Jews, the Christian community can never presume to be proclaiming the true God in place of an idol. On the contrary, the God whom the Church must proclaim and from whom it has its own being ‘was the God of Israel before the community itself ever came forth, and [in fact] to this day He can only be the God of Israel’ […] With this perspective, Barth effectively rejects any and all supersessionisms.”147

Lindsay ergänzt: “Clearly, Barth regards the Church’s debt to Israel not as something restricted to antiquity but rather as a continuing legacy.”148 Den zweiten Teil des Exkurses betrachtet Lindsay erheblich kritischer, indem er sich dazu äußert, dass das Judentum negativ dargestellt wird und Gespräche mit Juden aufgrund von deren prinzipieller Ablehnung Jesu Christi für aussichtslos gehalten werden. Er betont aber, dass es nicht Barths Anliegen gewesen sei, die Juden zu kritisieren, sondern sich einer eingehenden Kirchenkritik zuzuwenden. Er betont im Besonderen Barths Bekenntnis zu Missbräuchen und Versäumnissen der Kirche gegenüber Israel. Diese Darstellung mag korrekt sein, doch trifft sie nicht den Punkt, um den es Barth geht. Lindsay versteht es als einen Makel in Barths Theologie, dass Barth sich den jüdischen Glauben an Jesus Christus wünscht. Stets sucht er bei Barth nach Anzeichen für eine Freisprechung der Juden vom christlichen Glauben. Er zeigt sich enttäuscht darüber, dass es Barth nicht vollständig gelungen ist. Deshalb äußert er Verständnis für Sondereggers Vorwurf, Barth könne Israel nur als einen Teil der Kirche anerkennen: „Katherine Sonderegger’s criticism, that in this excursus Barth fails to accord postbiblical Judaism – the ,Synagoge’ – religious significance independent of the Church has not been annulled. It would seem that indeed, on this issue, she has a point.”149

145 146 147 148 149

S. Lindsay, Barth, 102. S. ebd., 103. S. ebd., 102. S. ebd., 103. S. ebd., 105.

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Karl Barths Missionsverständnis

Lindsay schwächt diese Aussage damit ab, dass umgekehrt die Kirche nicht ohne die Synagoge existieren könne und dementsprechend eine gegenseitige Abhängigkeit bestehe. Er versteht nicht, dass die Überzeugung der Verbundenheit in Jesus Christus für Barth das verbindende Element zwischen Juden und Christen ist. Barth kommt es im Exkurs darauf an, die Kirche auf die Gemeinschaft von Juden und Christen durch Jesus Christus hinzuweisen. Diese ist für ihn einerseits der Grund, warum er möchte, dass Juden an Jesus Christus glauben. Sie ist andererseits der Grund, warum er Mission ablehnt. Jesus Christus ist jüdischer und nicht heidnischer Messias, und Christen können ihn insofern nur durch die Juden empfangen. Lindsay misst Barths entscheidendem Argument gegen die Judenmission keine spezielle Bedeutung bei. Auf die Passage des Exkurses zu der ökumenischen Verbundenheit von Israel und Kirche geht er infolgedessen nicht mehr ein. Lindsays anfängliche Überraschung über Barths dezidiert israelfreundliche Haltung zur Judenmission unterstreicht diesen Eindruck: „In spite of all those statements we have considered earlier, in which Barth betrays a somewhat condescending attitude toward Judaism, we see here an astonishingly more positive appraisal.“150

Er versteht Barths Stellungnahme zur Judenmission nur als eine von der übrigen Theologie unabhängige Äußerung.151 Tatsächlich ist Barths Haltung jedoch tief verwurzelt in seinem Verständnis von dem besonderen Verhältnis von Israel und Kirche. 2.2.5 Kapitelschluss Kapitel 2.2 hat Barths Äußerungen zur Judenmission untersucht. Als Hauptargumente gegen die Judenmission führt Barth an, dass Juden den wahren Glauben an den wahren Gott haben und ihnen vom Evangelium nichts Neues berichtet werden kann. Augenscheinlich lehnt Barth die Judenmission ab, will sich dann jedoch noch einigen Gesichtspunkten zuwenden, die auf den offenen Charakter des Verhältnisses von Israel und Kirche hinweisen. Der Exkurs wirkt wie der Versuch, die lebendige Beziehung zwischen Juden und Christen zu systematisieren. Er verwendet einen unkonventionellen Zeugnisbegriff, der den Eindruck erweckt, er spreche in relativierter Weise doch von der Mission. Offensichtlich bleibt der Widerspruch, dass Barth sich eindeutig gegen die Judenmission positioniert und sich anschließend dennoch wünscht, dass Juden an Jesus Christus glauben. 150 S. ebd., 102. 151 Das schließe ich daraus, dass er den Exkurs am Ende seines zweiten Buches direkt vor der abschließenden Zusammenfassung über vier Seiten lang wiedergibt, ohne erkennbare Schlüsse daraus zu ziehen. Vgl. ebd., 102–105.

Barth und die Judenmission

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So eindeutig Barth hier vertreten hat, dass Juden in der Wirklichkeit des Evangeliums leben, so wenig wurde deutlich, was er im Einzelnen darunter versteht. Es blieb offen, wie das Wissen um das Evangelium mit der Zurückweisung Jesu Christi zusammenpasst. Man könnte kritisch nachfragen, ob Barth letzteres herunterspielt, um den Juden den Glauben an das Evangelium bescheinigen zu können oder ob er die Bedeutung der Rede vom Evangelium in etwas Nichtssagendes auflöst. Um diese Frage zu beantworten, wird es erforderlich sein, zu untersuchen, wie Barth das Evangelium definiert, welche Verbindung es bei ihm zwischen Evangelium und Jesus Christus gibt, und woran er den Bezug der Juden zum Evangelium festmacht. Eine dauerhafte Absicherung der Ablehnung der Judenmission setzt ein Modell voraus, in dem zugleich Christen Jesus Christus als Sohn Gottes ansehen und in dem Juden seine Messianität bestreiten können.152 Barth hat das versucht, ohne dabei von zwei getrennten Wegen auszugehen, indem er die Erwählung Israels mit der Frage nach Jesus Christus verknüpft hat.153 Laut Barth gelangen auch Juden über Jesus Christus zu einem gnädigen Gott. Aus jüdischer Sicht kann es gewiss nur so sein, dass Christen einen anderen Weg gehen als Juden. Für Christen ist aber gerade der Messias Jesus das Verbindende, und so kann die evangelische Theologie nicht dauerhaft an Jesus Christus vorbei die Einheit mit Israel anstreben. Sie kann sich dann allein wider besseres Wissen gegen die Judenmission entscheiden.154 152 Stephen Haynes, der sich in seiner Dissertation mit Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, beschäftigt, kritisiert ihn am Ende dafür, dass er christologisch vorgeht. Vgl. Haynes, Stephen R.: Prospects for post-Holocaust Theology. “Israel“ in the theologies of Karl Barth, Jürgen Moltmann, and Paul van Buren. American Academy of Religion academy series 70. Atlanta, Georgia: 1991. 221. 153 Christian Link zeigt, dass Barths Theologie nicht ex nihilo entstanden ist, sondern ihre Basis bei Calvin hatte. Er untersucht Barths Calvinrezeption und stellt fest, dass Barth in Bezug auf Israel viel von ihm übernommen hat, wenngleich er sich von der Verwerfung ganzer Personen als doppelter Prädestination distanziert. Schon bei Calvin finden sich die gesamtbiblische Theologie, Gott als handelndes Subjekt, der eine Bund und schließlich die Überzeugung, dass Juden die Erkenntnis der Wahrheit Christi schon haben. Calvin kennt auch die Neudeutung von Evangelium und Gesetz als parallel auftretende Phänomene. Vgl. Link, Christian: „Karl Barth und Calvin. Ein spannungsreiches Verhältnis“. In: ZDT 25 (2009). 21 ff. 154 So referiert Busch Barths Haltung zum Dialog. Vgl. Busch, Bogen, 461 f., und er kommt zu dem Schluss: „Daß die Einheit der doppelgestaltigen »einen Gemeinde« nur in der Kirche erkannt werden kann, bedeutet, dass sie diese Erkenntnis zu bewähren hat, ohne sie einem nichtkirchlichen Israel aufnötigen zu können, aber auch ohne sich in die These dieses Israels von »zwei verschiedenen Heilswegen«, einen für Juden, einen anderen für Heiden, zu fügen.“ 461. Es geht nicht anders, als dass Christen das Judentum irgendwie vereinnahmen und beerben. Aber die Frage ist, wie es geschieht. Hunsinger räumt ein: „I am going to argue that the inner logic of the Christian faith cannot dispense with supersessionism in some form.“ S. Hunsinger, George: „After Barth: A Christian Appreciation of Jews and Judaism“. In: Hofheinz, Marco/ Plasger, Georg/Schilling, Annegreth (Hg.): Verbindlich werden. Reformierte Existenz in ökumenischer Begegnung. Forschungen zur Reformierten Theologie 4. Neukirchen-Vluyn: 2015. 333. Hunsinger ergänzt: „Soft supersessionism is unavoidable, because there is only one covenant and only one people of God.“ 335. Und: „It is not anti-Judaic because it eschews every

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Karl Barths Missionsverständnis

Mit vergleichbaren Aussagen zur Judenmission aus anderen Argumentationen lassen sich Barths Thesen besser gewichten. Einzelne Aspekte, die Barth im Exkurs zusammenfasst, vertieft er in anderen Teilen der Dogmatik. Über die Bedeutung Jesu Christi für die Juden soll im Folgenden weiter nachgedacht werden, um nach und nach Barths Haltung aufzudecken.

form of religious coercion, and because it respects the indispensability of a Torah-observant Judaism.“ 341.

3 Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre 3.1 Das Evangelium und der Gott des Evangeliums 3.1.1 Einleitung Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Barths Erwählungslehre (KD II/2).1 Sie ist der Teil seiner Dogmatik, der im Hinblick auf Barths Theologie, insofern sie nach Israel fragt, am häufigsten untersucht worden ist, wobei die Darstellung der Juden in der Erwählungslehre mit überwiegend negativer Kritik aufgenommen worden ist. Da die Erwählungslehre als wesentlich angesehen wird in der Rezeption derer, die zu Barths Haltung zum Judentum geforscht haben, sind die größeren Beiträge zur Rolle Israels in der Erwählungslehre schon im Forschungsstand angeklungen.2 Nur wenige sehen in der Erwählungslehre ein

1 Man könnte Israel in Barths Erwählungslehre mit einem Satz zusammenfassen und sagen: „Auch das Christus verneinende Israel bleibt in spezifischer Weise Zeuge des lebendigen Gottes.“ S. Weinrich, Zeitgenossenschaft, 326. Vgl. zur allgemeinen Einführung Kreck, Walter: Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik. Zur Diskussion seines Verständnisses von Offenbarung und Erwählung. Neukirchener Studienbücher 11. Neukirchen-Vluyn: 1978. 188–283 und Balthasar, Hans Urs von: Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie. 4. unveränderte Aufl. Einsiedeln: 1976. 186–201. Er beschäftigt sich vor allem mit der Doppelgestalt und macht die Notwendigkeit der Gleichzeitigkeit der doppelten Wahl nachvollziehbar. Erwählung und Verwerfung der Menschen seien „Nachbildung und Darstellung der Doppelseitigkeit der Erwählung“ 190, wie sie in Jesus Christus als gute, eindeutige Erwählung stattgefunden habe. Er beschreibt brilliant das Verhältnis von Erwählten und Verworfenen in der Wahl. Es gebe einen notwendigen Rollentausch, der dazu führe, dass beide, Juden und Christen, mal Erwählte und mal Verworfene seien, und das eben, weil auch Christus der Erwählte und Verworfene zugleich sei. „Immer ist die Erwählung des Einen die Nichterwählung des Anderen. Aber immer ist der Erwählte auch um des Nichterwählten willen erwählt und hat dessen Nichterwählung in seinem Schicksal stellvertretend zu tragen, so daß in Wahrheit der Nichterwählte der Erwählte, und der Erwählte um des Anderen willen der Verworfene ist.“ 191. Sie stünden „nebeneinander und füreinander“ 194. Es „überkreuzen sich vielmehr die Rollen“ 195. Nur Jesus Christus ist der wirklich Verworfene, und insofern würde es sein Werk schmälern, ginge man davon aus, dass die Juden Verworfene sind. 193. Es gehe gerade um die Solidarität und deshalb stünde die Erwählung der Gemeinde zwischen der Jesu Christi und der des einzelnen. 196. Kim stellt Barths im Hinblick auf die christologische Begründung und die doppelte Prädestination gegenüber Luther und Calvin veränderte Erwählungslehre dar. Dabei arbeitet er das Verhältnis von allgemeiner und individueller Erwählung und die Rolle der Trinität in der Gotteslehre zugunsten einer hilfreichen, allgemeinen Einführung in die Erwählungslehre heraus. Vgl. Kim, Prädestinationslehre, 160–225. 2 Vgl. 1.4.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Zeugnis, das Israel überhaupt auf Augenhöhe behandelt.3 Es ist möglich, die Erwählungslehre anders zu lesen, wie dieses Kapitel zeigen wird. Im Folgenden soll der Feststellung der Unmöglichkeit der Judenmission weiter nachgegangen werden. Dazu wird zunächst der Bereich der Möglichkeiten abgesteckt bzw. nach Inhalt und Ziel des rechten Glaubens gefragt. Es war in Kapitel 2 häufig die Rede von dem Evangelium, ohne dass Barths spezifische Definition beleuchtet worden ist. In 3.1 soll zunächst Barths Evangeliumsbegriff in §34 untersucht werden mit der Frage, von welchem Evangeliumsbegriff er ausgeht, vor dem Hintergrund, dass er diesen Begriff im Hinblick auf Juden und Christen verwendet.4 3.2 beschäftigt sich mit der Ethik der Erwählungslehre, die am häufigsten zu kritischen Rückfragen wegen des Zeugnisses des Gerichts geführt hat. Schließlich erfolgt in einem dritten Schritt eine erneute Betrachtung des Zuspruchs unter der Frage, wodurch Gottes Evangelium in Bezug auf die Juden konkret und erkennbar wird. 3.1.2 Die Erwählung ist die Summe des Evangeliums Beim Lesen von §34 fällt auf, dass Barth die Begriffe ,Erwählung‘ und ,Evangelium‘ offenbar synonym verwendet. Die Erwählungslehre klärt umfassend, was Barth unter Evangelium versteht, und er nennt sie die Summe des Evangeliums. Gleich im Leitsatz von §32 schreibt Barth: „Die Erwählungslehre ist die Summe des Evangeliums, weil dies das Beste ist, was je gesagt und gehört werden kann: daß Gott den Menschen wählt und also auch für ihn der in Freiheit Liebende ist.“ (II/2,1)

Diese Definition gilt zugleich für Erwählung und Evangelium. Folglich könnte eine Kurzdefinition von Evangelium lauten: Gott ist für den Menschen da. Jesus Christus kommt in dieser Definition gar nicht vor. Das wird jedoch nachgeholt, wenn Barth schreibt: „Die Lehre von Gottes Gnadenwahl ist die 3 Vgl. Zachman, Randall C.: Reconsidering John Calvin. Current Issues in Theology. Cambridge: 2012. 76–90. Dieser vergleicht Barths und Calvins Erwählungslehre im Hinblick auf die Rolle Israels und kommt zu der Überzeugung, dass Barth aufgrund seiner Erwählungslehre gegen die Judenmission gewesen ist. Allerdings bleibt ihm Barths Zugang zum Judentum unverständlich. 4 Wenn es im Folgenden immer wieder darum geht, zum Ausdruck zu bringen, dass Juden in der Wirklichkeit des Evangeliums leben, verstehe ich darunter die von Gott zugesprochene Beziehung in Zuspruch und Anspruch zwischen ihm und den Menschen. Auch wenn das im Christentum bisweilen so klingen mag, als sei es möglich mit dem Glaubensbekenntnis Ansprüche auf das Evangelium zu erwerben, kann dieses laut Barth weder von Juden noch von Christen losgelöst von der Gottesbeziehung in Anspruch genommen oder gar besessen werden. Busch betont, dass Barths Evangeliumsbegriff ein Beziehungsbegriff ist: „Diese Sätze stehen quer zu einem Christentum, das sich vom Judentum als einer Religion des Gesetzes trennte, weil es sich selbst als Besitzer des Evangeliums sah.“ S. Busch, Leidenschaft, 161.

Das Evangelium und der Gott des Evangeliums

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Summe des Evangeliums. Sie ist Inbegriff der frohen Botschaft, die Jesus Christus heißt.“ (II/2,9) Es handelt sich in der Erwählung nicht nur teilweise um das Evangelium: „Die Gnadenwahl ist die Summe des Evangeliums – so scharf zugespitzt muß hier geredet werden. M. a. W.: Die Gnadenwahl ist das ganze Evangelium, das Evangelium in nuce. Sie ist der Inbegriff aller guten Nachricht.“ (II/2,13)

3.1.3 Die Definition des Evangeliums Erwählung oder Gnadenwahl – und insofern dann auch Evangelium – heißt bei Barth, dass Gott frei ist in seinem Handeln und sich in dieser Freiheit für die Liebe zum Menschen entscheidet, an den er sich fortan bindet. Barth schreibt über die Gnadenwahl, sie sei zuerst und vor allem die Gnade (II/2,8). „Daß Gott jene Zuwendung vollzieht, diese Bundesstiftung, seine Urentscheidung «in Jesus Christus», die der Grund und das Ziel aller seiner Werke ist, das ist Gnade. Das ist, allgemein gesagt, der Erweis, das Überströmen der Liebe, die Gottes Wesen ist, daß er, der doch an sich selber genug hat, der auch in sich selber an keiner Einsamkeit zu leiden hat, gerade in seiner ganzen göttlichen Herrlichkeit mit einem Anderen zusammen sein, ihn zum Zeugen seiner Herrlichkeit haben will. Diese Liebe Gottes ist seine Gnade. […] Sie ist wirklich überströmende, freie und nicht genötigte, nicht bedingte Liebe.“ (II/2,8)

In der Erwählung trifft Gott eine Entscheidung, die Konsequenzen für den Menschen hat. Die Wahl ist „göttliche Wohltat“ (II/2,9). Sie ist die gute Tat und die frohe Nachricht davon, denn sie ist „nicht nur gut, sondern gütig, Gutes vermittelnd und mitteilend“ (II/2,9), und als solche ist sie Summe des Evangeliums. Zuerst verändert Gott seine eigene Situation grundlegend, während die Folgen für den Menschen zweitrangig sind. Gott wählt nicht einfach eine verbesserte Lebenssituation für den Menschen. Er will dem Menschen in dieser Hinsicht keine Garantien geben, erklärt Barth. „Er tut, was er tut, aber da besteht kein Anspruch, daß er es oder daß er es gerade so und so tun müßte. Ihm gegenüber wächst auch kein Anspruch.“ (II/2,10) Gottes Liebe kommt nach Barths Auffassung darin zum Ausdruck, dass er nicht nur den Menschen, sondern vor allem sich selbst bindet. Die Wahl ist eine folgenreiche Entscheidung für ihn, denn in ihr macht Gott sich zum Stifter und Herrn des Bundes. (II/2,8) Sie ist die verbindliche Wahl, insofern Gott hier eine Wahl über sich selbst trifft. „Gott wählt in seiner Liebe ein Anderes zur Gemeinschaft mit sich selbst. […] Gott gibt sich selbst die Bestimmung, sich nicht genügen zu lassen an sich selbst, obwohl er sich selbst genügen könnte.“ (II/2,9)

104

Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Gott wählt die Gebundenheit an den anderen in seiner Freiheit und ohne Zwang. Er entscheidet sich laut Barth, für den anderen da zu sein und ihm zuliebe Einschränkungen auf sich zu nehmen. Barth modifiziert den Begriff ,Evangelium‘ zu einem allgemeineren und umfassenderen Begriff als dem üblichen, indem er Erwählung und Evangelium miteinander identifiziert. Die Offenbarung des Evangeliums geschieht nach Barths Auffassung erkennbar im Leben, Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi, ist aber in der Ewigkeit beschlossen. Zwar legt Barth den Schwerpunkt seiner Theologie auf die Christologie bzw. auf Christi Tat, zugleich bleibt diese aber nicht isoliert, sondern prägt die Wahrnehmung von Gottes Handeln zu jeder Zeit und alles Weitere kann nur von dort her verständlich werden. Christi Tat kann zu keiner Zeit noch nicht oder nicht mehr relevant gewesen sein.5 Es bleibt richtig, dass Gott in seinem Handeln an dem Menschen und insofern entscheidend am Kreuz erkannt wird, und dass sein Handeln wichtig ist für die Überwindung der trennenden Sünde zwischen Mensch und Gott. Doch das Heil aus dem Evangelium bindet sich weniger an das Wissen um die Tat als an die Tat selbst. Die Botschaft des Evangeliums ist folglich, dass Gott den Entschluss fällt zur Gemeinschaft mit dem Menschen, weshalb er der Gott des Evangeliums ist und es auch schon gewesen ist, bevor Christus in die Welt gekommen ist. Zu Recht betont Holmes, dass das Evangelium bei Barth schon vor dem zu erwartenden systematischen Ort in der Versöhnungslehre in der Gotteslehre – und genauer in die Erwählungslehre – behandelt wird. Es umfasse auch die Verwerfung Jesu Christi.6 Barths Erwählungslehre hat ihm die Kritik eingebracht, in seinen Aussagen nicht ausreichend biblisch fundiert zu sein.7 Frank Crüsemann untersucht die Erwählungslehre auf ihren Bezug zum Alten Testament hin und stellt fest, dass Barth kaum alttestamentliche Zitate anführt. Er hält Barth zwar für einen biblisch fundierten Theologen, aber er gibt zu bedenken, dass bei Barth weder Erwählungsszenarien aus dem Alten Testament noch die alttestamentliche Darstellung der Erwählung als ein Prozessgeschehen vorkommen.8 Er weist 5 Mit dieser Sichtweise beginnt das heilbringende Geschehen in der Präexistenz mit der Absicht Gottes, Jesus Christus einzusetzen zum Heil der Welt. Die Juden sind in das Heilsgeschehen eingeschlossen, weshalb einige sagen, das Volk Israel werde vereinnahmt und enterbt. Das ist nicht nachvollziehbar, weil die jüdische Heilsgeschichte daraufhin erst beginnt, und weil die Juden schon allein durch den früheren Beginn der eigenen Geschichte mit Gott frei sind von christlichen Bedingungen. Es findet eine eigene und vorgelagerte Heilsgeschichte statt, die mit dem Aufkommen der Christen nicht infrage gestellt ist. Für Fackre ist es so, dass die Gnadenwahl als ewige Wahl einzuordnen ist in jene Theorien, die vereinnahmend sind. Vgl. Fackre, Place, 25. 6 Vgl. Holmes, Trinitarian, 84 f. 7 Vgl. Bueß, Eduard: Zur Prädestinationslehre Karl Barths. ThST(B) 43. Zollikon-Zürich: 1955. 55. Eduard Bueß sieht eine Spannung zwischen Exegese und Systematik. Letztere erscheint ihm allzu oft nachträglich exegetisch untermauert. 8 Vgl. Crüsemann, Frank: „Karl Barths Erwählungslehre und das Alte Testament“. In: ZDT 20 (2004). 156 ff. 160 f.

Das Evangelium und der Gott des Evangeliums

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Fälle von Typologie und Allegorisierung nach.9 Die zentralen Bibelstellen zur Erwählung und der dortige Erwählungsbegriff bleiben nach Crüsemann ungenannt. Ihm erscheint die Erwählung Israels, die der Jesu Christi nachgelagert ist, nicht biblisch.10 Crüsemann beklagt: „Bevor von Jesus Christus als der zentralen Größe gesprochen wird, in der Gott den sündigen Menschen erwählt, wird Israel gewissermaßen zugunsten dieser Größe zum Verschwinden gebracht.“11

Unbestritten dürfte sein, dass Barth die ganze Bibel inklusive des Alten Testaments in einer Weise von Christus her gelesen hat, wie sie die spätere historisch-kritische Auslegung infrage gestellt hat. 3.1.4 Der erwählende Gott ist der Gott des Evangeliums Wenn Barth von Evangelium redet, macht er vor allem eine Aussage über Gott. Umgekehrt wäre es für ihn nicht denkbar, von Gott zu reden, und dabei das Evangelium außer Acht zu lassen. Die das Evangelium definierende Erwählungslehre ist bei Barth nicht zufällig Bestandteil der Gotteslehre. Barth begründet die Platzierung der Gnadenwahl innerhalb der Gotteslehre und vor der Schöpfungslehre mit der Zusammengehörigkeit von Gott und Evangelium. Er erklärt: „Sie [die Gotteslehre, St. S.] muß als christliche Gotteslehre die Bezeichnung und Erklärung des Subjektes Gott damit fortsetzen und zu Ende führen, daß sie dieses Subjekt (über das hinaus, was von seiner Erkenntnis und Wirklichkeit als solcher zu sagen ist) kenntlich macht als solches, das kraft seines innersten Wesens, Wollens und Seins nicht ohne Beziehung ist, sondern in einer bestimmten Beziehung nach außen, zu einem Anderen steht.“ (II/2,4)

Die Gnadenwahl „gehört zu seiner [Gottes St. S.] Wirklichkeit, die nicht ohne, sondern nur in dieser Entscheidung seine Wirklichkeit ist.“ (II/2,5) Wenn dagegen zwischen Gotteslehre und Schöpfungslehre nichts steht, wäre das nach Barth eine „verhängnisvolle Lücke“ (II/2,3). In der Gotteslehre muss thematisiert werden, dass es zu Gottes Person gehört, mit dem Menschen zusammen zu sein, so dass folglich das Evangelium zu seinem Gottsein gehört. Barth drückt das folgendermaßen aus: „Konnten wir schon von Gott in seinem Fürsichsein, wie es uns bis dahin beschäftigt hat, nicht recht reden, ohne ihn beständig in diesem seinem Verhalten zu betrachten, ohne uns durch dieses sein Verhalten unsere Fragen und Antworten zugleich vor9 Vgl. ebd., 151 f. 10 Vgl. ebd., 156. 11 S. ebd., 157.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

schreiben zu lassen, so werden wir erst recht von Gottes Werk nicht richtig, nicht auf festem Grund uns bewegend reden können, wenn uns nicht zuvor deutlich geworden ist, daß das Verhalten, das Gott dabei einnimmt und durch das sein Werk bestimmt ist, zu ihm selbst gehört, von ihm selbst in keiner Weise zu lösen ist. Eben darum muß das Problem dieses göttlichen Verhaltens im Rahmen der Gotteslehre selbst besonders und selbständig aufgenommen werden.“ (II/2,5)

Damit hat sich bei Barth der dogmatische Ort des Evangeliums nach vorne hin ausgedehnt. Denn das Evangelium wird zur Voraussetzung für Schöpfung und Bewahrung bzw. für die Geschichte von Gott und Mensch. Mit Gottes radikaler Selbstbindung kann das Evangelium keine isolierte Angelegenheit mehr sein, sondern es ist in allen Bereichen relevant und in allem zu finden. Die Erwählung ist die Grundkategorie aller Theologie: „Kein Satz christlicher Lehre, der nicht nach Form und Inhalt auch dieses göttliche Wählen reflektieren müßte, wenn er ein christlicher Satz sein soll: das ewige Wählen, in dem und kraft dessen Gott nicht ohne seinen Menschen, nicht ohne das Volk seiner Menschen Gott sein will und ist!“ (II/2,82)

Damit soll nach Barth nicht gesagt werden, dass Gott nicht ohne den Menschen hätte sein können: „er wäre nicht weniger die Liebe auch ohne jene Beziehung“ (II/2,4). Er wäre ohne den Menschen vollkommen gewesen. Der andere ist und bleibt – so Barth – der andere bzw. der Mensch, der Gegenstand oder das Objekt: „Nicht als ob der Gegenstand dieser Beziehung, dieses Andere außer Gott einen Teil seiner Wirklichkeit bildete oder sonstwie seinesgleichen wäre.“ (II/2,4) Gott hatte nach Barths Auffassung dem Menschen gegenüber ursprünglich keinerlei Verpflichtungen. Allein die Liebe Gottes hat den Willen zu dieser Bindung geweckt, allein die Freiheit hat deren Wahl ermöglicht. (II/2,4) Da es sich so zugetragen hat, dass Gott sich gebunden hat, ist es heute unmöglich, die Gotteslehre ohne die Beziehung zu referieren: „Er ist aber tatsächlich, er ist in der freien Entscheidung seiner Liebe darin und so Gott, daß er es in dieser Beziehung, in einem bestimmten Verhältnis zu diesem Anderen ist. Wir können hinter diese seine Entscheidung nicht zurückgehen, wenn wir Gott erkennen und wenn wir von Gott recht reden wollen.“ (II/2,4)

Diese Entscheidung ist sowohl ganz bewusst und frei, als auch verbindlich in alle Ewigkeit gefallen. Gott kommt zu einer Entscheidung, „außerhalb derer er, nachdem er das getan hat, nicht mehr Gott sein will und also auch nicht mehr Gott ist, innerhalb derer er also auch allein als Gott geehrt werden kann“ (II/ 2,5). Diese Aussage ist nicht nur Aussage über Gott, sondern auch Aussage über den Menschen. Der Mensch ist damit ebenfalls radikal an das Evangelium gebunden. Er kann die im Evangelium von Gott gegebene Gemeinschaft zwar faktisch leugnen und stören, aber er kann sie nicht aufheben. Mit dieser radikalen, ewigen und endgültigen Bindung verstellt Gott sich und dem

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Menschen ein für alle Mal die Möglichkeit, sich dieser zu entziehen. Umgekehrt kann der Mensch nichts beitragen. Gott bindet sich nicht an die potentielle Zustimmung des Menschen. Er bindet sich an sein eigenes Ja für den Menschen, das das Nein des Menschen umschließt. Nach Barths Auffassung basiert die Gotteslehre auf der Bedeutung von Jesus Christus als demjenigen, der das Evangelium ermöglicht und das Wissen darum vermittelt. In ihm beschließt, vollzieht und offenbart Gott sein Evangelium für den Menschen. Nach Barth ist eine ausschließlich abstrakte Betrachtung des Vaters nicht möglich, weil Jesus Christus derjenige ist, der auf den Vater weist. Barth schreibt: „Wir kommen her von der Lehre von der Erkenntnis Gottes und von Gottes Wirklichkeit.“ (II/2,1) und er ergänzt: „In der christlichen Gotteslehre geht es um die Bezeichnung und Erklärung des Subjektes alles dessen, was in der christlichen Kirche zu hören und zu sagen ist. Wenn es nun wahr ist, daß uns dieses Subjekt schlechterdings in dem Namen Jesus Christus erschlossen, ja daß es ganz und gar in ihm beschlossen ist, dann ist es nicht möglich, dabei stehen zu bleiben, dieses Subjekt für sich und als solches zu bezeichnen und zu erklären.“ (II/2,3)

3.1.5 Das Verhältnis von Erwählungslehre und Versöhnungslehre Barths Evangeliumsbegriff beschreibt kein Geschehen vor und außerhalb des Kreuzes. Das Kreuz und die Auferstehung werden in dem anfänglichen und ewigen Beschluss vorausgesetzt. Erwählungs- und Versöhnungslehre sind auf diese Weise eng miteinander verbunden.12 Die Erwählung geschieht nicht vor Jesus Christus, an Jesus Christus vorbei und außerhalb von ihm, sondern sie ist die Wahl Jesu Christi und in ihm die Wahl des Menschen. Gerade in der Erwählung ist der entscheidende Ort, an dem die Bedeutung von Jesus Christus für die Geschichte Gottes mit dem Menschen entschieden und plausibel begründet ist. Indem das Kreuz als die Voraussetzung des anfänglichen und ewigen Beschlusses Gottes betrachtet wird, wird seine Bedeutung für das Evangelium nicht ignoriert oder gemindert, sondern sogar unterstrichen.13 Das Gericht hat sich nicht erst im Laufe der Geschichte als notwendig erwiesen, und in sein Erbarmen hat Gott nicht erst in Anbetracht der menschlichen Sündhaftigkeit eingewilligt. Die Bereit12 Weber hält Barth für einen Verfechter des Supralapsarismus, also für jemand, der an die Erwählung schon vor dem Fall glaubt. Barth könne sich damit nicht ganz identifizieren, aber mehr als mit dem Infralapsarismus. Vgl. Weber, Kirchliche Dogmatik, 71. 13 Etwas ganz anderes ist es, Jesu Verhältnis zu Israel danach zu bemessen, wie er sich als menschlicher Jesus von Nazareth gegenüber dem jüdischen Volk verhalten hat. Für Bakker gehört das zur Klärung, ob Jesus Christus für die Juden gestorben bzw. ob er den Juden in der Heilsgeschichte von Nutzen ist. Vgl. Bakker, L.A.R.: „Jesus als Stellvertreter für unsere Sünden und sein Verhältnis zu Israel bei Karl Barth.“ In: ZDT 2 (1986). 39–59.

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schaft zur Versöhnung steht vor der ersten trennenden Sünde, und das Kreuz ist schon in der Erwählung vorweggenommen. Wiederum ist die Erwählung eine besonders weitreichende, weil in ihr das Gericht schon mitbedacht ist. In der Erwählungslehre wird beschlossen, was für die Versöhnungslehre noch gilt, die eher den Vollzugs- und Offenbarungscharakter hat. Das lässt sich veranschaulichen mit der für Barth typischen Wendung „Offenbarung und Versöhnung“ (II/2,106.190 f.), die das Werk bezeichnet, das Gott in Jesus Christus für den Menschen vollbracht hat. Darin wird die Bedeutung des Kreuzes gewürdigt. Dieses ist über die Offenbarung hinaus ein Geschehen, das verändert. Es ist das Werk und der Moment der tatsächlichen, ein für alle Mal vollbrachten Versöhnung. Der Begriff ,Versöhnung‘ deutet auf den Vollzug der Beziehung hin. Nur weil der Wille zu einer Beziehung und deren Partner schon bestimmt und bekannt sind, kann sinnvoll von Versöhnung gesprochen werden. Dass die Offenbarung an erster Stelle steht, zeigt ebenfalls die Verbundenheit und Kontinuität zur Erwählung an. Das Kreuz ist die Offenbarung der Erwählung als Entscheidung. Wie sehr das Kreuz im Dienst der Erwählung steht, drückt Barth aus, wenn er das Werk Jesu Christi „das explizierte Evangelium“ (II/2,13) nennt. 3.1.6 Das Kreuz ist ein notwendiger Bestandteil der Erwählungslehre Das Kreuz ist ein elementarer Bestandteil der Erwählungslehre. An dieser Stelle sei gesagt, dass das Kreuz allein Auskunft gibt über die Situation des Menschen vor Gott. Eine abstrakte Sündenerkenntnis losgelöst von der Versöhnung in Schöpfung und Fall oder sogar losgelöst vom biblischen Zeugnis in einem phänomenologischen Zugang lehnt Barth ab. Denn das hieße, die Versöhnung zu einem willkommenen Plus zu degradieren. Damit wäre die Vorstellung eines alternativen Bereiches jenseits von Gottes Einflussmöglichkeiten akzeptiert. Wahre Erkenntnis gibt es nur im Reich Christi, weswegen die Erwählung am Anfang steht. In ihr finden sich die Erkenntnis der Versöhnung bzw. der Sünde. (II/2,96 f.) Der Tod Jesu Christi am Kreuz ist nach Barths Auffassung die notwendige Voraussetzung der göttlichen Gnadenwahl des Menschen.14 Im Kreuz voll14 Für Bruce McCormack ist dies das entscheidend Neue der Erwählungslehre: Es gibt in Jesus Christus keinen großen Unterschied zwischen dem Sein und dem Akt. Der präexistente Jesus Christus ist kein fleischferner logos asarkos, sondern er ist von Ewigkeit her der Gottmensch Jesus Christus als der erwählende Gott und der erwählte Mensch. Vgl. McCormack, Bruce: „Grace and being. The role of God’s gracious election in Karl Barth’s theological ontology“. In: Webster, John: The Cambridge Companion to Karl Barth. Cambridge: 2000. 93. Er schreibt: „What Barth is suggesting is that election is the event in God’s life in which he assigns to himself the being he will have for all eternity“ 98. Die Konsequenz daraus lautet, Inkarnation als historisches Ereignis ist erforderlich, aber nie zu denken ohne die ewige Wahl Gottes, Inkarnierter zu sein: „Incarnation is constitutive of the divine being […] there is no Logos asarkos in

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streckt Gott sein Gericht über den Menschen stellvertretend an sich selbst. Diese Handlung versteht Barth als die Voraussetzung dafür, dass Gott den sündigen Menschen von der ihm gebührenden Strafe verschonen und sich mit ihm versöhnen konnte. Hier lässt sich entnehmen, dass die Verwerfung Jesu Christi ihren Sinn hat darin, dass zum einen der Mensch sündig ist und zum anderen Gott eine Beziehung zum Menschen schafft. Der einzige Ausweg ist es, dass Gott die Verwerfung des Menschen auf sich nimmt. Indem Gott sich für die Gemeinschaft mit dem Menschen entscheidet, nimmt er notwendigerweise die Entscheidung zum Gericht über Jesus Christus in Kauf. Beides gehört zusammen.15 Busch schreibt: „Gottes Gericht ist ein Akt seines Rechts, das als solches nicht Gegensatz zur Gnade Gottes, sondern die Gestalt der Gnade ist, in der sie mit dem Unrecht des Menschen unvereinbar ist.“16

Es gibt eine Einheit dieser beiden Teilwahrheiten der Erwählungslehre. Erkennbar wird sie im Leitsatz von §33: „Die Gnadenwahl ist der ewige Anfang aller Wege und Werke Gottes in Jesus Christus, in welchem Gott in freier Gnade sich selbst für den sündigen Menschen und den sündigen Menschen für sich bestimmt und also die Verwerfung des Menschen mit allen ihren Folgen auf sich selber nimmt und den Menschen erwählt zur Teilnahme an seiner eigenen Herrlichkeit.“ (II/2,101)

Die Verwerfung ist gewichtig, denn der Mensch – ob Jude oder Heide – ist von sich aus dem Bösen unterlegen: „Der Mensch […] ist vom Bösen nicht nur angerührt, sondern überwältigt. Er ist der vom Bösen Verführte und des Bösen Schuldige, er ist der das Böse vollbringende und allen Konsequenzen des Bösen verfallene Mensch.“ (II/2,178)

Der Mensch ist de facto ein Sünder, der in seiner Selbstsucht Gott bekämpft, der ihn wiederum erwählt. Als solcher hat sich der böse Mensch immer wieder aufs Neue erwiesen: „Es ist der Partner seines ewigen Bundes der Mensch, der nicht nur in Gefahr steht sondern der ihr schon erlegen ist: der Mensch, in welchem das Unmögliche möglich, das Unwirkliche wirklich geworden, das Vollbringen des Bösen Ereignis geworden ist.“ (II/2,178 f.)

Indem Barth diesen Aspekt ausführlich und anschaulich behandelt, verhindert er jede Möglichkeit, das Skandalöse dieser Wahl zu vergessen oder herthe absolute sense of a mode of existence in the second ‘person‘ of the Trinity which is independent of the determination for incarnation“. 99 f. 15 Vgl. zu Barths Neuformulierung des Gerichtsbegriffs und zum Verständnis der Zusammengehörigkeit von Gericht und Gnadenbund Busch, Bogen, 448–451 und Leidenschaft, 218 f. 16 S. Busch, Leidenschaft, 219.

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unterzuspielen. Die Ernsthaftigkeit, in der Barth über die Verwerfung Jesu Christi spricht, lässt sich erahnen, wie schwerwiegend die Sünde des Menschen ist und dementsprechend wie notwendig das Kreuz wird. Barth bezeichnet allein den Willen Gottes, sich mit dem Sünder einzulassen, als geradezu ehrenrührig und riskant: „In welche Gefährdung brachte Gott sich selber, indem er auch nur des von ihm geschaffenen Menschen in seiner ursprünglichen Reinheit sich in der Weise annehmen wollte, daß er sich zu seinem Gott, daß er sich zur Solidarität mit ihm bestimmte!“ (II/2,178)

Die Rechtfertigung des Menschen und die Vergebung der Sünde sind notwendig. (II/2,182) Die Sünde definiert Barth in diesem Zusammenhang nicht, jedoch wiederholt Barth die Notwendigkeit der Verwerfung: Strafe sei notwendig (II/2,181), es gäbe eine notwendige Rache (II/2,182), eine notwendige Unheilsfolge (II/2,182), einen „notwendig zu verwerfenden, notwendig der Verdammnis und dem Tode verfallenen Menschen“ (II/2,182), notwendige Folgen (II/2,182) und eine notwendige göttliche Zornesoffenbarung (II/ 2,183). Auch Wendungen wie „Gottes Zorn und die Verwerfung des Satans“ (II/2,134), Zorngericht, Tod, Hölle und Verdammnis (II/2,179) zeigen die besondere Schwere der Sünde an. So sehr Barth dieses ausbreitet, macht er dem Menschen keinen Vorwurf, denn die Verführung erfolgt durch den Satan. Es liegt dagegen außerhalb der Macht der menschlichen Freiheit, zu widerstehen: „Von seiner (allein in der Kraft der göttlichen Negation, aber insofern wirklich im Ratschluß und Willen Gottes begründeten) Existenz, Macht und Wirksamkeit zeugt des Menschen Sündenfall, in welchem sich dieser eben das satanische Begehren zu eigen macht. Der Mensch an sich und als solcher, konfrontiert mit dem Satan und seinem Reich, hat nun einmal in seiner geschöpflichen Freiheit die Macht nicht, seinerseits zu verwerfen, was Gott in seiner göttlichen Freiheit verwirft und also der Versuchung gegenüber die Güte seiner Schöpfung und seiner Bestimmung zum Bilde Gottes zu behaupten. Der erwählte Mensch Jesus tut es (Matth. 4, 1–11). Der Mensch an sich und als solcher aber wird immer tun, was nach Gen. 3 Adam tat.“ (II/2,131)

Dennoch stellt Barth klar, dass der Mensch sich des mangelhaften Strebens schuldig macht, indem er sie beispielsweise als die Ungehorsamen (II/2,132) oder als die Untreuen und Unzuverlässigen (II/2,181) bezeichnet. Er müsste betroffen sein: „weil der Mensch schon in seiner Unzuverlässigkeit als Geschöpf und erst recht in seiner bewiesenen Untreue als sündiges Geschöpf für Gott unbrauchbar ist, das Vertrauen nicht verdient, sondern verwirkt hat, Gottes Bundesgenosse zu sein, das ist klar.“ (II/2,181)

Wenn Gott den Menschen nicht zur Rechenschaft zieht, liegt das somit nicht daran, dass er das Geschehene begrüßt. Der Mensch ist verworfen – in Jesus:

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„So muß und will Gott den Menschen an sich und als solchen verwerfen. Und er tut es. Er tut es aber in der Person des erwählten Menschen Jesus.“ (II/2,133) Es ist nicht nur notwendig, dass die Sünde Konsequenzen hat, sondern auch, dass er sie auf sich nimmt. Würde er sie am Menschen vollstrecken, wäre das für diesen tödlich und Gott könnte keine Gemeinschaft mehr mit ihm haben. Gottes Zorn würde „vernichten und auslöschen“ (II/2,182). „Sie [die Rechtfertigung und die Sündenvergebung St. S.] bedeutet nicht, daß Gott sie [die Sünde St. S.] nicht ernst nimmt oder daß er den Menschen als ihren Täter nicht zur Verantwortung zieht. […] Sie bedeutet nicht, daß Gott verzeiht. Sie bedeutet aber, daß Gott die Qual, die das Unverzeihliche nach sich ziehen mußte, seine eigene Qual sein läßt.“ (II/2,182)

Es bleibt beides wahr, die Ernsthaftigkeit, die ein Handeln erfordert und die Radikalität, in der Gott den Menschen vor den Folgen bewahrt. Gott erweist sich laut Barth darin als gerecht und barmherzig zugleich: „Gerecht war er darin, daß Gott das Böse wohl als solches ernst nehmen und also als solches richten und verurteilen und also seinen Täter verwerfen, verdammen und dem Tode überliefern wollte. Er war aber barmherzig darin, daß er diesen Täter des Bösen in sein eigenes Herz schloß und also dessen Verwerfung, Verdammnis und Tod sich selber zur Verwerfung, zur Verdammnis und zum Tode werden lassen wollte.“ (II,2/182)

Wenn Barth vorrangig über die Erwählung Jesu Christi (Titel von §33) spricht, meint er damit also eigentlich und sofort dessen Verwerfung. Jesus Christus ist erwählt, um der für den Menschen Verworfene zu sein. Die Wahl Jesu Christi bestätigt die Notwendigkeit der Verwerfung des Menschen. Gott hat Jesus Christus nur erwählt, um die Verwerfung des Menschen auf sich selbst zu nehmen. Für Barth ist Gottes Wahl eine Wahl zum Leiden aus „Güte und Herablassung“ (II/2,130) sowie die „Selbsthingabe“ (II/2,130). Das eine bedingt das andere: „Wollen wir wissen, was Gott für sich selbst wählte, indem er die Gemeinschaft mit dem Menschen erwählte, dann können wir nur antworten, er wählte unsere Verwerfung. Er machte sie zu der seinigen. Er trug und ertrug sie in allen, in ihren bittersten Konsequenzen.“ (II/2,179)

Etwas konkreter und heilsgeschichtlicher formuliert er: „Die «in ihm» dem Geschöpf zugewendete freie Gnade Gottes hat zum vornherein (von Ewigkeit her!) diese Gestalt. Es ist der Gehorsam zum Tode, ja zum Tode am Kreuze, zu dem der seiner göttlichen Seinsart sich entäußernde Sohn Gottes sich nach Phil. 2, 6 f. entschließt und eben dieser Entschluß ist der Inhalt des göttlichen Beschlusses im Anfang aller Dinge. «Das Wort ward Fleisch» ( Joh. 1, 14). Diese Formulierung der Weihnachtsbotschaft schließt die vom Karfreitag schon in sich.“ (II/2,130 f.)

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Dass Jesus Christus und insofern Gott selbst stellvertretend für den Menschen das Gericht auf sich nimmt, heißt wiederum nicht, dass damit die Findung und Vollstreckung des Urteils milder ausfällt. „Gott muß und will Gerechtigkeit walten lassen: die Ehre seiner Schöpfung, die Ehre des für ihn geschaffenen und bestimmten Menschen und so seine eigene Ehre verteidigen gegen den Übergriff der von ihm verneinten, nur durch die Kraft seiner Verneinung existierenden Schattenwelt des Satans.“ (II/2,133)

Gott quält sich mit seinem für ihn nachteiligen Willen: „Das ist sicher, daß es für Gott die schwerste Kompromittierung bedeutet, daß Gott sich damit nicht nur in Gefahr und Bedrohung begibt, sondern sich dem tatsächlichen Angriff und Zugriff des Bösen aussetzt.“ (II/2,179)

Für den Menschen ist Gottes Entschluss ein Gewinn: „Eben das ist aber der Inhalt, der doppelte Inhalt der ewigen göttlichen Vorherbestimmung, weil diese mit der Erwählung Jesu Christi identisch ist: Gott will verlieren, damit der Mensch gewinne. Sicheres Heil für den Menschen, sichere Gefahr für Gott selber!“ (II/2,177)

Die Stellvertretung Jesu Christi bedeutet für den Menschen wiederum auf radikale Weise Anteil zu haben an der Fülle der göttlichen Gnade. In Christus: „ist er selbst als Sünder gestorben und also radikal geheiligt, ausgesondert, gereinigt zur Teilnahme an der geschöpflichen Eigenständigkeit, mehr noch: an der Gotteskindschaft des Geschöpfes.“ (II/2,134)

Exkurs: Verwerfung und Gericht Barth verwendet die Begriffe ,Gericht‘ und ,Verwerfung‘, um die stellvertretende Vermittlung Jesu Christi für den Menschen zu benennen. Er sagt von Jesus Christus sowohl, dass er der Verworfene ist als auch, dass er derjenige ist, der das Gericht erleidet. Es ist schwer, für Barth eine Hierarchie unter diesen Begriffen oder eine diese Begriffe differenzierende Definition auszumachen. Deshalb werden die Begriffe in dieser Arbeit synonym verwendet. Einige vertiefende Hinweise seien jedoch gegeben. Albert Dahm verfasst ein ganzes Buch über Barths Gerichtsbegriff, wobei er sich auf das Gericht in der Versöhnungslehre beschränkt und Israel keine Erwähnung findet.17 Das Gericht ist bei Dahm ein positiv besetzter Begriff. Es ist „die Gestalt, in der dem Sünder als solchem die Gnade Gottes erhalten bleibt“18, und „der Gott des 17 Vgl. Dahm, Albert: Der Gerichtsgedanke in der Versöhnungslehre Karl Barths. KKTS 47. Paderborn: 1983. 18 S. ebd., 92 f.

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Gerichts ist kein anderer als der Gott der verzehrenden Liebe.“19 Das Gericht ist tendenziell der konkretere Begriff, der sich eher auf ein einmaliges Geschehen bezieht. Barth verwendet ihn zum Beispiel zusammen mit den Begriffen ,Zorn‘ (II/2,133), ,Strafe‘ (II/2,133), ,Anklage‘ (II/2,154) und ,Rechtfertigung‘ (II/2,189), die einen abgeschlossenen Charakter haben. Jesus Christus erleidet als Verworfener ein für alle Mal das Gericht Gottes über den Menschen. Der Begriff ,Gericht‘ dient dazu, das Geschehen in der Kreuzigung im Besonderen anzusprechen. Die Juden werden zu Zeugen des Gerichts, jedoch nicht zu Zeugen der Verwerfung bestimmt.20 Andererseits muss hier bedacht werden, dass die Erwählung (und folglich die Verwerfung als deren Bestandteil) Jesu Christi nicht an das Kreuz allein gebunden ist. Die Selbsthingabe beschränkt sich offenbar nicht auf das Kreuz, sondern auf die gesamte Person Jesu Christi als wahrer Gott und wahrer Mensch. Die Vermittlung liegt so etwa schon in der Fleischwerdung Jesu Christi. (II/2,176 f.) Insofern ist der Begriff ,Verwerfung‘ umfassender als ein zeitloser Sachverhalt, der an kein bestimmtes Ereignis geknüpft ist. Die Verwerfung Jesu Christi gilt ewig, während sie einmalig im Gericht vollzogen worden ist. Der Begriff ,Verwerfung‘ bleibt unkonkret, weil er in unterschiedlichen Bedeutungen innerhalb und außerhalb der Erwählung vorkommt. Gewiss ist er der Begriff, der negativer konnotiert wird und der vom Menschen vehementer abgewiesen wird. Laut Dieter Schellong ist es ein Zeichen von zu viel bürgerlichem Selbstbewusstsein, wenn es uns nicht behagt, von Gott verworfen zu werden. „Hier kann man den Abstand Barths zum bürgerlichen Selbstbewußtsein erkennen; denn daß Gott verwirft, daß er zu fürchten sei, daß er unser Richter ist, das alles gilt dem neuzeitlichen Bürger als unbegreiflich, als unzumutbar und abwegig.“21

3.1.7 Gott sagt zum Menschen nur Ja

Über Jesus Christus wurde gesagt, dass Gott ihn erwählt, um ihn zu verwerfen. Umgekehrt verwirft er ihn, um den Menschen zu erwählen. Einen Selbstzweck hat das Nein nicht. Der eigentliche Sinn des göttlichen Neins zu Jesus Christus ist sein Ja zum Menschen. Das ist auch daran erkennbar, dass Gott schließlich zu Jesus Christus in der auf das Kreuz folgenden Auferstehung wieder Ja sagt. Über die Bedeutung des Kreuzes für die Beziehung zwischen Gott Vater und Jesus Christus schreibt Barth: 19 S. ebd., 96. 20 Das wird wichtig, wenn es im späteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder um das Zeugnis des Gerichts geht. 21 S. Schellong, Dieter: „Barth lesen“. In: Marquardt, Friedrich-Wilhelm/Schellong, Dieter/ Weinrich, Michael (Hg.): Karl Barth: Der Störenfried? Einwürfe 3. München: 1986. 52.

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„Es handelt sich von beiden Seiten um ein Beharren: Von Gott her um das Beharren der Gnade in dem Gericht, dem er eben seinen Erwählten unterwirft, der Liebe im Feuer des ihn verzehrenden Zornes, der Erwählung inmitten der ihn treffenden Verwerfung. Und vom Menschen her um das Beharren im Gehorsam gegen Gott, im Schreien nach ihm allein, in der Zuversicht auf die Gerechtigkeit seines Willens.“ (II/ 2,134)

In der Auferweckung zeigt Gott natürlich vor allem sein Ja zu Jesus Christus. Hier bricht sein Reich an, und es geschieht Gnade, die den Tod überwindet. Gott erbarmt sich, nachdem er gerichtet hat: „Das Wort des göttlichen Beharrens ist die Auferweckung Jesu von den Toten, seine Erhöhung, sein Sitzen zur Rechten des Vaters; denn damit bestätigt Gott seinen erwählten Menschen als seinen eigenen S o h n, der den Tod wohl erleiden, aber vom Tod nicht gehalten werden kann, der mit seinem Tode den Tod töten muß.“ (II/ 2,134 f.)

Während Gott Vater zu Jesus Christus Nein und Ja sagt, sagt er zum Menschen nur Ja. Der eigentliche Zweck der Gnadenwahl ist die Liebe zum Menschen: „So sehr ist seine Wahl Gnadenwahl, Liebeswahl, Wahl sich selbst hinzugeben, sich seiner selbst zugunsten des von ihm Gewählten zu entäußern und zu erniedrigen. […] Also, in der Weise, hat Gott die Welt geliebt! Also, in der Weise war seine Liebe von Ewigkeit her selbstlose und gerade so wirkliche Liebe.“ (II/2,179 f.)

Häufig verwendet Barth das Wort ,Herrlichkeit‘ (II/2,184). Der Mensch ist erwählt zu einem ewigen „Leben als Zeuge der überströmenden Herrlichkeit Gottes“ (II/2,185). Die Wahl, das ist „des Menschen Gewinn, Heil und Herrlichkeit in der Lebensgemeinschaft dieses Bundes“ (II/2,184). Es gibt demnach für den Sünder keinen Grund, sich angesichts des Gerichts zu ängstigen oder etwas zu verdrängen: „Die erkannte Gerechtigkeit der göttlichen Gnadenwahl bedeutet für das Geschöpf den Blick in den Abgrund, in den es sich selbst hat fallen lassen und dem es jedenfalls nicht durch sich selbst entrissen ist.“ (II/2,34)

Dieses Gericht ist Wiederherstellung der Gnade, die der Mensch nicht einmal vermisst hat, weil er nicht um seine Situation wusste. „Wir können aber nicht in diesen Abgrund starren, als wäre auch er noch immer unser eigener Ort neben dem, daß unser Ort im Himmel ist, da Christus sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns. Wir können das, daß Adam gefallen ist, daß David gesündigt, Petrus verleugnet und Judas verraten hat, nicht in die eine Wagschale legen und die Auferstehung Jesu Christi in die andere.“ (II/2,190)

Dass die Bedeutung von Jesus Christus als dem Erwählten herausgestellt worden ist, darf nicht zu dem Schluss führen, er sei vorrangig oder ausschließlich der erwählte Mensch. Jesus Christus ist zugleich der erwählte

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Mensch und der erwählende Gott. Als erwählender Gott wählt er selbst diesen Weg.22 3.1.8 Das Verhältnis von Ja und Nein in der Gnadenwahl Zu der Erwählung gehört auch die Verwerfung, wenngleich die beiden nicht gleichberechtigt sind. Deshalb wurde die Erwählung in der Theologiegeschichte die doppelte Prädestination genannt. Barth übernimmt diesen Terminus nur zögerlich. Er führt ihn erst recht spät ein in §33.2, einem Abschnitt, der eher einen wiederholenden Charakter hat, indem er schreibt: „Wir haben zunächst grundsätzlich zu verstehen, daß und inwiefern dieser Wille, wie es in der Geschichte der Prädestinationslehre immer wieder erkannt und ausgesprochen worden ist, ein zweifacher ist, daß und inwiefern er ein Ja und ein Nein enthält, daß und inwiefern also die ewige göttliche Vorherbestimmung eine doppelte, eine praedestinatio gemina ist.“ (II/2,176)

Barth illustriert, wie weit er sich mit seiner Neudeutung der doppelten Prädestination von der Tradition distanziert: „Es ist die die überlieferte Praedestinationslehre so belastende Vorstellung von der Ebenmäßigkeit, von dem Gleichgewicht, in welchem Gott wie zur Rechten Seligkeit, so zur Linken Verdammnis beschließen und aussprechen würde, der wir uns von hier aus mit allem Nachdruck widersetzen müssen.“ (II/2,187)

Für Barth stehen das Ja und das Nein in einer Hierarchie zugunsten des endgültigen Jas. Selbst wenn Gott Nein zum Menschen sagt, stellt er damit das Ja nicht mehr infrage. Gott sagt sein Nein nicht aus eigener Initiative heraus, sondern von außen dazu herausgefordert, muss er es sagen. Es soll den Menschen erfreuen, wenn die Erwählung nicht ohne die Verwerfung auskommt: „Im Gehorsam und in der Dankbarkeit werden wir uns der doppelten göttlichen Praedestination nur freuen können.“ (II/2,191) Die Erwählung ist laut Barth „in ihrer Substanz, im Ursprung und im Skopus ihrer Aussage“ (II/2,13) die „gute Nachricht, erfreuliche, aufrichtende, tröstende, hilfreiche Botschaft“ (II/2,11). Die Nachdrücklichkeit des Ja erklärt er in dessen Verhältnis zum Nein. Das Ja ist zuerst da und größer als das Nein. Es scheint einerseits nicht verbunden zu sein mit dem Nein, andererseits steht es diesem auch nicht gleichgültig distanziert gegenüber. Das Ja ist „kein Gemisch von Freudens- und Schreckens-, von Heils- und Unheilsbotschaft“ (II/ 2,12), sondern es ist „undialektisch“ (II/2,12) und parteiisch in seiner Abwehr des Neins. Nun entsteht der Eindruck, als sei die Lehre im eigentlichen Sinne nur das Ja, als käme das Nein nur von außen. Das stimmt so auch wieder nicht. Schon in der Wahl selbst muss offenbar das Nein enthalten sein, weil Gott selbst das 22 Vgl. die Ergänzung zu Jesus Christus als dem erwählenden Gott in 3.1.9.

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Nein ausspricht. Und als dieses göttliche Nein darf es nicht verkannt und unterschätzt werden: „Ihr Ja könnte nicht gehört werden, wo nicht auch ihr Nein gehört wird. Sie sagt aber ihr Nein um des Ja und nicht um seiner selbst willen. Sie sagt also in ihrer Substanz, in ihrem ersten und letzten Wort Ja und nicht Nein.“ (II/2,12)

Als göttliches Nein verlangt es Respekt, nur kann es nicht „letztes Wort“ (II/ 2,12) der Erwählungslehre sein, kann es auch nicht „im gleichen Atemzug“ (II/ 2,12) mit dem Ja stehen. Bildlich gesprochen sei die Erwählungslehre Licht, das Schatten wirft, ohne selbst die Dunkelheit zu sein. (II/2,12) Das Licht selbst ist nicht getrübt: „Weil in Gott keine Finsternis ist, darum kann auch das, was er wählt und will, nicht Finsternis und auch nicht ein Mittleres, ein Neutrales zwischen Licht und Finsternis sein, sondern in seinem Ziel und in seiner Absicht nur Licht, ungebrochenes Licht.“ (II/2,184)

Das Licht behält die Oberhand über der Dunkelheit. Über das Trennende sagt er: „Gott will es eben nur als weichenden, fliehenden Schatten: darum, weil er das Leuchten des einen, einzigen Lichtes, seines eigenen Lichtes will, weil er dieses Licht offenbaren und mitteilen will.“ (II,2/186)

Barth teilt die Doppelheit von Ja und Nein dabei durchaus auf die Objekte der Erwählung hin auf. Er vertritt die Auffassung, dass die Erwählung den Menschen gilt und die Verwerfung Jesus Christus. Denn: „in der Erwählung Jesu Christi, die der ewige Wille Gottes ist, hat Gott dem Menschen das Erste, die Erwählung, die Seligkeit und das Leben, sich selber aber das Zweite, die Verwerfung, die Verdammnis und den Tod zugedacht.“ (II/2,177)

Diese Aufteilung gibt bereits zu erkennen, dass er sich abwendet von der traditionellen Einteilung der Menschheit in Erwählte und Verworfene. Die Erwählung ist in ihrer Doppelheit zuerst eine Angelegenheit Gottes unabhängig vom Menschen. Die „zwei Worte“ (II/2,176) der Prädestination beziehen sich vor allem auf die Doppelheit innerhalb der Erwählung Jesu Christi. „Gott wählte, Gott entschied und bestimmte ja vor allem über sich selbst. […] Bei ihm selbst ist jener Anfang, in welchem der Sohn dem Vater gehorsam wurde.“ (II/2,176) Jesus Christus ist also der erste, er ist der erwählte Mensch im eigentlichen Sinne. In Gott zuerst verwirklicht sich die doppelte Erwählung. „In Gott selbst kam es zu jener Gestalt und Konkretion seines Willens, zu jenem Beschluß seines ganzen Wesens.“ (II/2,176) Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch repräsentiert diese Aufteilung: „Zu diesem Dekret, zu der Erwählung Jesu Christi, gehört ja nicht nur der erwählende Gott, sondern auch der erwählte Mensch.“ (II/2,176) Er verkörpert sie: „So ist er, weil er mit der Praedestination identisch ist, von Hause aus und in sich

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selbst doppelte Praedestination.“ (II/2,176) Jesus Christus ist doppelte Prädestination „in seinem Ursprung“ (II/2,176) und „von Ewigkeit her“ (II/ 2,176). Barth gibt die vorherrschende Vorstellung von doppelter Vorsehung für je verschiedene Menschengruppen, wie sie die klassische Erwählungslehre lehrt, zugunsten einer ebenfalls doppelten Prädestination auf, in der beides, Verwerfung und Erwählung, als Paar in demselben Ereignis liegen.23

3.1.9 Die Erwählung des Menschen in der Person Jesus Christus Im Vorangegangenen ist bislang zu kurz gekommen, dass Jesus Christus zugleich Erwählter und Erwählender ist und als solcher zum Stellvertreter des Menschen wird. Die Erwählung Jesu Christi und die des Menschen gehören zusammen, weil die Erwählung des Menschen ohne Jesus Christus unmöglich wäre. Das liegt aber nicht nur daran, dass er wie sie erwählt ist, sondern dass er zugleich der Erwählende ist. Die Erwählung Jesu Christi und die der Menschen gehören als Bestandteil einer einzigen Wahl zusammen. Gott erwählt die Menschen nicht neben und aufgrund der Erwählung Jesu Christi, sondern er erwählt sie nur in der Erwählung der Person Jesu Christi, die als die notwendigerweise vermittelnde Instanz angesehen wird: „Zwischen Gott und dem Menschen steht, selber Gott und selber Mensch, und so zwischen beiden vermittelnd, die Person Jesus Christus.“ (II/2,101) Die Wahl des Menschen in der Erwählung Jesu Christi ist dahingehend umfassend, dass sie alle Menschen betrifft. Die Bedingungen für die Erwählung haben sich nicht erst mit der Inkarnation Jesu Christi geändert, Jesus Christus war von Anfang an die Voraussetzung der menschlichen Erwählung. Niemand ist davon ausgeschlossen oder kann sich ihr entziehen: „Und es ist nichts, was ist, das nicht von ihm her, durch ihn und zu ihm hin wäre.“ (II/ 2,101) Die Wahl Jesu Christi ist für Jesus Christus mehr als ein von außen gegebener Beschluss. Jesus Christus, der Schlüssel zur Erkenntnis der Wahl Gottes, ist dieses auch als derjenige, der die Wahl selbst ermöglicht und trifft. „Jesus Christus ist also nicht nur manifestatio und speculum nostrae praedestinationis. Er ist es nicht etwa in der Weise, daß uns unsere eigene Erwählung – mit der seinigen und wie die seinige durch einen anderen verborgenen Willen Gottes vollzogen (aber vielleicht auch nicht vollzogen!) – durch die seinige nur bekannt gemacht und veranschaulicht wurde. Sondern er offenbart uns unsere Erwählung als die durch ihn, durch seinen Willen als den Willen Gottes vollzogene.“ (II/2,124) 23 Vgl. Busch, Lebenslauf, 291.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Die Erwählung ist bereits ein Geschehen in Jesus Christus und als solches mehr als die Vorsehung von etwas Zukünftigem. Das ist gemeint, wenn Barth von der Gnadenwahl als einem decretum concretum, nicht einem decretum absolutum spricht. (II/2,107 f.) Sie ist der „Anfang aller Wege und Werke Gottes in Jesus Christus“ (II/2,101). Gott vollzieht in der Wahl der Person Jesus Christus die Zuwendung zum Menschen: „Jesus Christus ist die Entscheidung Gottes für dieses Verhalten. Er ist selber dieses göttliche Verhalten.“ (II/2,6) Jesus Christus ist als Person nicht zu trennen von dem Beschluss, sondern er ist dieser Beschluss, er ist „Gottes Wort, in dessen Wahrheit Alles beschlossen ist, dessen Wahrheit durch kein anderes Wort überboten oder begrenzt werden kann. Er ist Gottes Beschluß, hinter und über dem es keinen früheren und keinen höheren und neben dem es keinen anderen gibt, sofern alle anderen Beschlüsse nur der Ausführung dieses einen dienen können.“ (II/2,101)

Diesen ersten Teil zusammenfassend schreibt Barth: „Das Praedestinationsdogma besteht also in seiner einfachsten und umfassendsten Form in dem Satz: die göttliche Praedestination ist die Erwählung Jesu Christi.“ (II/2,110) Die Vermittlung, die in Jesus Christus geschieht, bezieht sich sowohl auf die Erkenntnis des göttlichen Willens und Handelns am Menschen als auch auf die Ermöglichung der Beziehung von der Entscheidung für die Gemeinschaft bis zum Vollzug der Versöhnung. In Jesus Christus „offenbart sich Gott dem Menschen. In ihm erkennt der Mensch Gott.“ (II/2,101) Darüber hinaus verbindet er wirklich: „In ihm steht Gott vor dem Menschen und steht der Mensch vor Gott, wie es Gottes ewiger Wille und wie es des Menschen ewige, dem Willen Gottes entsprechende Bestimmung ist.“ (II/2,101) Und konkreter gesprochen heißt es: „In ihm ist Gottes Plan mit dem Menschen aufgestellt, Gottes Gericht über den Menschen vollzogen, Gottes Errettung des Menschen vollbracht, Gottes Gabe an den Menschen in ihrer Fülle gegenwärtig, Gottes Anspruch und Gottes Verheißung über den Menschen ausgesprochen. In ihm hat Gott sich dem Menschen verbunden.“ (II/ 2,101)

Zum Verständnis dieser Wahl gehört wesentlich hinzu, Jesus Christus als den wahren Gott und den wahren Menschen zu erkennen. Nur weil Jesus Christus nicht nur wahrer Gott, sondern auch wahrer Mensch ist, kann Gott sich in ihm an den Menschen binden. Als solcher kann er zugleich erwählen und erwählt werden zum Vermittler zwischen Gott und Mensch. Barth formuliert: „Der Begriff der Erwählung redet aber von einem Doppelten: von einem Erwählenden und von einem Erwählten. Und so schließt ja auch der Name Jesus Christus ein Doppeltes in sich: daß der, der so heißt, wahrer Gott und daß er zugleich wahrer Mensch ist.“ (II/2,110)

Das Evangelium und der Gott des Evangeliums

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Sein Erwählen ist „primär“ (II/2,111) ein Hinweis auf seine göttliche Seite. Jesus Christus ist Subjekt der eigentlichen Wahl, stellvertretend für alle. In ihm haben schon alle Menschen Gott erwählt, auch wenn sie das noch nicht subjektiv vollzogen haben. Das Erwähltwerden dagegen ist Ausdruck der menschlichen Seite der Erwählung Jesu Christi. Gewiss ist Jesus Christus auch als wahrer Gott der Erwählte, indem er als der Sohn vom Vater erwählt wird. Doch entspricht dieser Vorgang des Erwähltwerdens noch mehr seiner menschlichen Seite als wahrer Mensch. (II/2,110 f.) Als der erwählende Gott ist Jesus Christus das aktive Subjekt der Erwählung. Das kann nicht klar genug vorangestellt werden. „Das ist der Satz, mit dem wir beginnen müssen, weil er nach seinem Inhalt den Charakter und die Würde des Grundsatzes hat“ (II/2,111). Und ergänzend hebt Barth hervor: „Er ist nicht nur Maßnahme und Instrument der göttlichen Freiheit, sondern er ist zuerst und eigentlich die göttliche Freiheit selber, sofern diese nach «außen» in Kraft tritt.“ (II/2,112) Weil Jesus Christus selbst der Erwählende ist, wird Gott überhaupt als Erwählender erkannt. So wird die Wahl zu der Wahl des für seine Wahl bekannten Gottes. „Er im Besonderen verdrängt und ersetzt die Vorstellung vom decretum absolutum.“ (II/2,111) Wenn Jesus Christus nicht selbst der Erwählende wäre, wüssten wir nichts Gewisses über den Erwählenden: „Wir wären dann allerdings darauf angewiesen, über ein decretum absolutum zu spekulieren, statt in Gottes Erwählen die offenbare Gnade Gottes zu ergreifen und zu bejahen.“ (II/2,113) Die Tatsache, dass Jesus Christus selbst erwählt, heißt nicht, dass Gott Vater nicht oder anders oder weniger erwählt. Gott wählt als der Dreieinige. Er erwählt als Jesus Christus „in Gemeinschaft mit dem Wählen des Vaters und des Heiligen Geistes“ (II/2,112). Jedoch steigert die selbstbestimmte Wahl Jesu Christi seine Bedeutung als der Erwählte. Barth vertritt erstens die Auffassung, dass die Erwählung dem Menschen nur erkennbar ist, weil Jesus Christus selbst der Erwählende ist. Zweitens ist es laut Barth so, dass Jesus Christus als Erwählter nur der Erwählte für die anderen werden kann, weil er als der erwählende Gott erwählt ist. „In diesem Frieden des dreieinigen Gottes ist er nicht weniger ursprüngliches Subjekt jener Wahl als er ihr ursprüngliches Objekt ist. Und nur in diesem Frieden Gottes kann er dann auch ihr Objekt sein, d. h. ganz und gar nicht seinen, sondern des Vaters Willen vollstrecken, wird er als Mensch wählend die Wahl Gottes bestätigen und gewissermaßen wiederholen.“ (II/2,112)

Jesus Christus ist dann auch ein passiv erwählter Mensch, jedoch als „der Herr und das Haupt“ (II/2,124) aller Erwählten. Für ihn bedarf es keiner Wahl: „Sicher ist er auch als Gott erwählt: der Erwählte seines Vaters. Aber dazu muß – weil er als Sohn des Vaters einer besonderen Wahl nicht bedürftig ist – sofort hinzugefügt

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

werden: der in seiner Einheit mit dem Menschen, der zum Vollzug des Bundes Gottes mit dem Menschen erwählte Gottessohn.“ (II/2,110 f.)

Er steht über den anderen Erwählten: „Dieser Mensch in dieser Funktion ist der Gegenstand der ewigen göttlichen Erwählung und Vorherbestimmung. Jesus Christus ist also nicht nur ein Erwählter, sondern der Erwählte Gottes. Er steht als Erwählter zum vornherein (von Ewigkeit her!) nicht neben den anderen Erwählten, sondern als der ursprünglich und eigentlich Erwählte vor und über ihnen.“ (II/2,125)

Der Unterschied zwischen dem Erwähltsein des Menschen und dem Jesu Christi ist, „daß in und mit seinem Erwähltsein auch die Anderen erwählt sind.“ (II/2,125) „«In ihm» heißt nicht nur: mit ihm, in Gemeinschaft mit ihm, in seiner Gesellschaft. «In ihm» heißt auch nicht nur: durch ihn, mittelst dessen, was er als Erwählter für sie sein und tun kann. «In ihm» heißt: in seiner Person, in seinem Willen, in seinem eigenen göttlichen Erwählen, in der Grundentscheidung Gottes, die er jedem Menschen gegenüber zur Vollstreckung bringt.“ (II/2,125)

Weil Gott es will, ist die Wahl Jesu Christi zugleich die Wahl des Menschen. „Eben so, wie er Christus wurde, werden wir Christen. Eben so, wie er zu unserem Haupt wurde, werden wir zu seinem Leib und zu seinen Gliedern. […] Denn zugleich mit dem, was Gott über diesen Menschen beschloß, hat er auch dies beschlossen: daß eben dieser Mensch die Ursache, das Werkzeug unserer eigenen Erhebung sein solle.“ (II/2,127)

Hier zeigt sich, dass nur derjenige einen Zugang zu Barths Erwählungslehre bekommen wird, der seiner Grundüberzeugung zustimmen kann, nach der das Alte Testament von Jesus Christus her zu lesen ist und nach der Jesus Christus die einzige verlässliche Quelle der Offenbarung Gottes ist.24 24 An diesem Punkt setzt Brunners Kritik an. Vgl. Brunner, Emil: Die christliche Lehre von Gott. Dogmatik Bd. 1. 3. Aufl. Zürich: 1960. 353–357. Brunner hält die gesteigerte Rolle Jesu Christi für das Skandalöse an Barths Lehre von der Gnadenwahl. Zwar könne er noch nachvollziehen, dass die Rede von der Wahl über die Erkenntnis der Offenbarung in Jesus Christus geführt werde, doch gehe Barth zu weit. Was er lehre, entspreche einer natürlichen Theologie auf der Grundlage einer ursprünglich biblischen Botschaft, die aber verfremdet sei. In Jesus Christus den Allversöhner zu sehen sei vereinnahmender und damit skandalöser als die Allversöhnung als Prinzip auszurufen. Zudem schmälere die Vorstellung, dass Jesus selbst als Gottmensch präexistent gewesen sei, die Inkarnation. „Die Idee von der präexistenten Gottmenschheit ist eine ad-hoc-Konstruktion des theologischen Denkers, der nur mit Hilfe dieser Theorie seine These durchführen kann, daß der Mensch Jesus der einzig Erwählte sei.“ 354. Dieser Vorwurf ist vor der größeren Auseinandersetzung zwischen Brunner und Barth zu verstehen, in der zum einen Brunner Barth generell vorwirft, die Inkarnation bzw. die Offenbarung in Jesus Christus über andere Erkenntnisweisen Gottes zu stellen. Barth wiederum lehnt Brunners natürliche Theologie ab, nach der Gott u. a. auch in der Schöpfungsordnung zu erkennen sei.

Das Evangelium und der Gott des Evangeliums

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3.1.10 Gottes Anspruch in seiner Wahl Wie bereits besprochen verwendet Barth die Wörter ,Ja‘ und ,Nein‘, um auszudrücken, wie Gott sich zum Menschen stellt. Diese sind nicht zu verwechseln mit den Begriffen ,Zuspruch‘ und ,Anspruch‘. Der Anspruch gehört als die natürliche Folge des Zuspruchs wie das Nein zur Wahl, zum Evangelium und zum Zuspruch dazu. Er bleibt jedoch getrennt vom göttlichen Nein und impliziert keine Infragestellung des göttlichen Ja gegenüber dem Menschen. Die menschliche Antwort kann weder etwas verdienen, noch etwas verwirken, weil Gott mit dem Anspruch keine Bedingungen darüber aufstellt zu dem, was er im Zuspruch zugesichert hat. Es gibt nach Barths Auffassung einen göttlichen Anspruch an den Menschen als Partner. Der Zweck dieses Anspruchs ist es, den Menschen dazu aufzufordern, sich bewusst in die von Gott gesetzte Beziehung zu begeben und sie aktiv zu gestalten. Insofern ist der Anspruch ein Synonym für das, was üblicherweise als Gesetz bezeichnet wird und dem Evangelium gegenübergestellt wird. (II/2,10 f.) Die Gemeinschaft mit Gott hat Auswirkungen auf den Menschen, die u. a. in der Aufforderung zu einem verantwortlichen Lebenswandel liegen. Gott wird dem Menschen „zum Kriterium, zum Maß, zur Frage nach dem Guten oder Bösen, nach dem Recht oder Unrecht seines eigenen Seins und Tuns“ (II/2,11). Nachdem Barth die Gnadenwahl die Summe des Evangeliums genannt hat, ergänzt er sofort, dass das Evangelium auch das Gesetz beinhaltet und beinhalten muss. Die Besprechung des Gesetzes ist ein Bestandteil der Besprechung des Evangeliums, wenngleich der Anspruch nie gleichberechtigt neben dem Zuspruch steht: „Es gibt keine Gnade ohne Herrschaft und Anspruch der Gnade. Es gibt keine Dogmatik, die nicht alsbald auch zur Ethik werden müßte.“ (II/2,11) Es gibt einen Anspruch des Herrn an sein Geschöpf: „Indem Gott in seiner freien Gnade handelt, will, erwartet und fordert er etwas von dem Partner seines Bundes.“ (II/2,10) Diese Ergänzung versteht Barth nicht als Schmälerung des Stellenwertes des Evangeliums, sondern als die Kontinuität von Zuspruch und Anspruch, so wie die zweite Barmer These zum Anspruch auf die erste zum Zuspruch folgt. Auch die Ethik beschäftigt sich seiner Auffassung nach mit nichts Anderem als mit der Gnadenwahl bzw. dem Evangelium: „Wir haben es also auch hier mit dem Evangelium zu tun. Aber nun mit dem Evangelium, sofern es immer auch die Form des Gesetzes hat.“ (II/2,11) Es gibt einen konkreten, ernsthaften Anspruch, dessen Erfüllung jedoch keine Bedingung für Gottes Gnade ist: „Der Majestät seines durch keinen Anspruch bedingten Tuns entspricht die Unbedingtheit des bestimmten Anspruchs, den er seinerseits zu erheben hat.“ (II/2,10) Barth kommt in § 34 ohne eine vertiefende Besprechung des Anspruchs aus, die erst in der Ethik erfolgt (§§36–39).

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

3.1.11 Keine Aufhebung der jüdischen Erwählung Erwählung ist – einmal entschieden – endgültig. Die ewige Überordnung der Erwählung über die Verwerfung gilt für alle. Die Auffassung, das jüdische Volk sei nach seiner Erwählung mit dem Kommen Jesu Christi wieder verworfen worden, kann Barth aufgrund seiner Erwählungslehre deshalb nur ausschließen. Zu Beginn seiner Ausführungen zur Erwählung weist Barth darauf hin, dass nichts – auch nichts von dem, was er später Kritisches zu Sünde, Verstockung und Verwerfung schreiben wird – die jüdische Erwählung beschränken kann. Es ist vielmehr so, dass die Erwählung der Juden andauert, wie Paulus es in Röm 9–11 erklärt: „Was auch in diesen Kapiteln an scheinbar aufhaltenden und widerstrebenden Elementen zu berücksichtigen und zu würdigen ist: man wird nicht überhören dürfen, daß auch sie und gerade sie in der Bezeugung des göttlichen Ja zu Israel (zu dem Israel, das Christus gekreuzigt hat!) ihr letztes Wort haben. Man versteht sie nur recht, wenn man sie von diesem ihrem letzten Worte her versteht.“ (II/2,14 f.)

In dem Zusammenhang ist zu wiederholen, dass Erwählung und Verwerfung sich eben nicht im Laufe der Geschichte abwechseln, hinzukommen oder aufgehoben werden können, weil sie Bestandteil der Gnadenwahl sind. Für Juden gilt wie für Christen, was über den Stellenwert des Anspruchs als untergeordnete Größe in der Evangeliumsbeziehung gesagt worden ist. 3.1.12 Kapitelschluss Juden und Christen streben nach demselben Gott. Deshalb gibt es nach Barths Auffassung nur einen Weg, auf dem Juden und Christen zu diesem Gott gelangen können. Nichts kann einen Menschen, der zu diesem Gott gehört, wieder von diesem entfernen. Bereits dieser Gedanke widerspricht der Vorstellung von heilgeschichtlichem Fortschritt und Sukzession ein für alle Mal. Dieser Gedanke macht Barths Theologie in diesem Punkt so hilfreich, weil er konsequent zu Ende gedacht wird und nicht Halt macht an unangenehmen Schlussfolgerungen, wie etwa der Annahme eines Zeugnisses des Gerichts oder dem jüdischen Anteil an der Kreuzigung Jesu Christi. Juden sind Erwählte Gottes, und insofern stehen sie in der Evangeliumsbeziehung Gottes mit dem Menschen, auch wenn sie nicht an die Auferstehung Christi und an Jesus Christus als den jüdischen Messias glauben. Die Selbigkeit des jüdischen und christlichen Gottes wird in der Erwählungslehre nicht für sich erörtert. Aber es gibt auch hier eine Aussage, die diese grundsätzliche Haltung explizit bestätigt: Gott sei laut Barth der, „der die Erzväter und den Mose, der die Propheten und nachher die Apostel in der

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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ersten Person Singularis angeredet“ hat. (II/2,56) Damit bringt er zum Ausdruck, dass seiner Auffassung nach Gott im Alten und im Neuen Testament derselbe ist. Gott kann zwar den Glauben verdecken, aber wo Menschen sich zu ihm bekennen, handelt es sich um ein Bekenntnis zum Evangelium: „Da ist keine Höhe oder Tiefe, in der er nun doch noch oder doch wieder ein Anderer wäre.“ (II/2,83) Der Denkfehler der christlichen Tradition besteht darin, zwar Jesu Judesein der Herkunft nach zu betonen, sein Leben und sein Evangelium dagegen für genuin christlich zu halten. In Jesu Werk und Botschaft wendet sich jedoch ein Jude seinem Volk zu. Das Evangelium wird nicht christianisiert dadurch, dass Juden es nicht für wahr halten. Christen können keine eigene Offenbarung für sich in Anspruch nehmen, sie dürfen aber zum Glauben an Gott und zum Leben in der Gemeinde hinzukommen.

3.2 Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche 3.2.1 Einleitung Das folgende Kapitel untersucht Barths Erwählungslehre mit der Frage nach der Bestimmung bzw. dem Anspruch, mit dem Gott in seiner Erwählung an die Gemeinde aus Israel und Kirche herantritt. Dabei wird auch zu untersuchen sein, wie Barth die erfolgte Erfüllung dieses Anspruchs durch die Juden bewertet. Es gilt, erneut zu prüfen, inwiefern bei ihm die Erwartung besteht, dass Juden an Jesus Christus glauben.

3.2.2 Gott erwählt die Gemeinde aus Israel und Kirche zur Darstellung seines Evangeliums Der konkrete Anspruch Gottes an den Menschen besteht im menschlichen Zeugnis von Gottes Handeln. Der Stellenwert des Zeugnisses zeigt sich in Aussagen, in denen das Zeugnis noch vor dem Glauben genannt wird: „Zeugnis von Jesus Christus und […] Aufruf zum Glauben“ (II/2,227). Diese Darstellung und Vermittlung des Glaubenswissens geschieht nicht direkt von Gott zum einzelnen Menschen und von Mensch zu Mensch, sondern ist das Zeugnis der Gemeinde als die Versammlung derjenigen, die zum Glauben berufen worden sind, und die daraufhin gemeinsam ein Zeugnis abgeben. Barth misst dem Zeugendienst im Rahmen der Beziehung zwischen Mensch und Gott eine hohe Bedeutung bei. Neben der Rechtfertigung und der Heiligung steht an dritter Stelle die „Berufung des Menschen zum Zeugen der

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Versöhnung Gottes“25. Die Gemeinde ist der Kreis derer, die erwählt und berufen sind zum Zeugnis der Erwählung. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie im Glauben einen Wissensvorsprung haben vor den Heiden, die außerhalb der Gemeinde bleiben. Zwar sind laut Barth auch die Heiden erwählt, aber sie glauben nicht und werden deshalb nicht zu einem Teil der Gemeinde. Die Gemeinde besteht aus zwei Gestalten: das sind Israel26 und Kirche bzw. Juden und Christen.27 Offenbar hat Barth den Begriff ,Gemeinde‘ gewählt, weil er ihn als einen möglichst offenen, neutralen Überbegriff verstanden hat: „Wir wählen zur Bezeichnung des Gegenstandes dieser «anderen» Erwählung den Begriff der Gemeinde, weil durch ihn sowohl die Wirklichkeit Israels, wie die der Kirche erreicht und gedeckt wird.“ (II/2,216) Die Gemeinde ist innerhalb der Gnadenwahl „eine mittlere und vermittelnde Erwählung“. (II/2,216) Hier meint er tatsächlich zwei verschiedene Aspekte. Die mittlere Position ist durchaus räumlich zu verstehen. Die Gemeinde steht zwischen Jesus Christus und dem Menschen. Hier stehend vermittelt sie dann die Beziehung zwischen Jesus Christus und dem Menschen. (II/2,216) Diese besondere Nähe der Gemeinde zu Jesus Christus vor allen nichtglaubenden Menschen stellt Barth sich vor wie Kreise um ein Zentrum. Die Gemeinde umgibt Jesus Christus als den inneren Ring, den „inneren Kreis“ (II/2,216), als „natürliche und geschichtliche Umgebung des Menschen Jesus“ (II/2,216). Sie ist einerseits besonders, also etwas Ausgesondertes, weil sie einen exklusiven Auftrag hat. Andererseits ist sie auch nur vorläufig, weil es ja darum geht, mit ihrem Zeugnis die Grenzen der Gemeinde, den inneren Kreis, zu erweitern zugunsten der Gemeinschaft aller Menschen. (II/2,216) Die Besonderheit steht aber auch für die Überzeugung, dass es Gottes Entscheidung ist, wenn er jemand in die Gemeinde beruft. Die Vorläufigkeit steht für die Unbegrenztheit der Liebe, mit der er es tut. „Sie spiegelt in ihrer Besonderheit der Welt gegenüber ebenso die Freiheit wie in ihrem Dienst an der Welt (und also in der Vorläufigkeit ihrer Besonderheit!) die Liebe des erwählenden Gottes.“ (II/2,217)

Die Gemeinde soll ihre Position weder über- noch unterschätzen. Sie ist hier wirklich wichtig, weil sie „alle in Jesus Christus geschehene und geschehende Erwählung vermittelt, bedingt und begrenzt“ (II/2,217) Niemand sonst könnte der Welt Gottes Liebe bezeugen außer die Gemeinde: „Extra ecclesiam nulla 25 S. Busch, Leidenschaft, 58. 218. 26 Zu der einen Gemeinde gehören Israel und Kirche, und das heißt, Juden per se und unabhängig von der Kirche, und Christen. Gemeint sind mit Israel dagegen nicht Judenchristen, die sich zum christlichen Glauben bekehrt haben, wie Jochen Denker das missversteht. Vgl. Denker, Wort, 100–105. 27 Die genaue Verhältnisbestimmung ist sehr kompliziert und wird eigens in 3.3 behandelt werden, aufbauend auf den Erkenntnissen des nun Folgenden. Vorläufig werde ich von Israel als den Juden und von der Kirche als den Christen sprechen. Zur Klärung der Aufgabe der Gemeinde reicht es, diese holzschnittartig zu definieren.

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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salus! Der Satz gehört schon in die Praedestinations-, schon in die Gotteslehre.“ (II/2,217) Hier meint er eigentlich: extra Gemeinde aus Kirche und Israel nulla salus. Die Gemeinde darf andererseits nicht mehr sein wollen als dieser Dienst. Sie darf sich auch nicht von ihrem Dienst für die Welt freimachen. „Wo die Gemeinde mehr sein wollte als seine Umgebung, wo sie mehr als vermitteln wollte, da würde sie gerade ihre Erwählung bestimmt vergessen und verwirkt haben. […] Sie würde ihre Erwählung vergessen und verwirkt haben, wo sie für sich existieren und diesen Dienst unterlassen, wo sie nicht wirklich vermitteln würde.“ (II/ 2,216 f.)

Und nochmal bildlich formuliert Barth: „Der innere Kreis ist nichts außer der Beziehung zum äußeren Kreis der in Jesus Christus geschehenen (und geschehenden) Erwählung.“ (II/2,217) Die Gemeinde soll engagiert bezeugen, aber sie bezeugt nicht ihr eigenes, sondern nur Jesus Christus. „Es kann der Ruhm ihrer Erwählung immer nur der Ruhm Jesu Christi, der selbstlose Ruhm des Zeugnisses von ihm sein.“ (II/ 2,216) Sie kann nur Spiegel seiner Liebe sein. „Nur kraft dieser Spiegelung kommt es zum Zeugnis von Jesus Christus, zum Aufruf zum Glauben an ihn und also zum Glauben der einzelnen Erwählten.“ (II/2,217) Die Gemeinde ist als solche keine weitere heilbringende Instanz zwischen Gott und Mensch neben Jesus Christus, auch wenn es so wirken könnte, weil Barth die Paragraphen seiner Erwählungslehre aufteilt in die Erwählung Jesu Christi (§33), der Gemeinde (§34) und des Einzelnen (§35). Die eigentliche Vermittlung geschieht ausschließlich in Jesus Christus. Er als der wahre Gott und der wahre Mensch steht wirklich stellvertretend zwischen Gott und Mensch, während die Gemeinde lediglich den Zeugendienst Jesu Christi ihrerseits bezeugt. Die eigentliche Erwählung ist die Erwählung Jesu Christi. Nur in seiner Erwählung kann überhaupt von der Erwählung des Menschen gesprochen werden. „Erwählen heißt «in ihm» erwählen. Und Erwähltsein heißt «in ihm» erwählt sein.“ (II/2,215) Die Erwählung des Menschen ist die andere Erwählung, die in der von Jesus Christus eingeschlossen ist, „nicht neben, nicht außer, aber eingeschlossen“ (II/2,215) Sie gehören so zusammen, dass von beiden an sich nicht gesprochen werden kann. Von der Erwählung Jesu Christi kann an sich nicht gesprochen werden, weil sie nur Sinn macht, indem sie auf die Erwählung des Menschen ausgerichtet ist. Gott will sich mit dieser Erwählung dem Menschen bekannt machen. In Jesus Christus sollen die Menschen Gottes Liebe und Zuwendung erkennen und glauben. „Der Weg des erwählenden Gottes ist der Weg des Zeugnisses von Jesus, der Weg des Glaubens an ihn.“ (II/2,215) Von der Erwählung des Menschen kann nicht an sich gesprochen werden, weil es sie ohne Jesus Christus nicht gibt.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

„Es gilt ja die in ihr beschlossene Selbsthingabe Gottes, indem sie, materiell gesehen, dem Menschen Jesus gilt, teleologisch gesehen, dem von Gott geschaffenen und von Gott abgefallenen Menschen an sich und als solchem.“ (II/2,215)

Jesus Christus vermittelt nicht nur zwischen Gott und den Menschen, sondern auch zwischen den Menschen innerhalb der Gemeinde. Jesus Christus verbindet die Gemeinschaft der Gemeinde, die aus Israel und Kirche besteht, indem er jeweils dem einen und dem anderen etwas Anderes ist. „Wir finden schon hier die Einheit und die Unterscheidung: Er ist der verheißene Sohn Abrahams und Davids, der Messias Israels. Und er ist zugleich das Haupt und der Herr der aus Juden und Heiden berufenen und versammelten Kirche. Er ist als Beides unauflöslich Einer. Und er ist als der Eine unaufhebbar Beides. Eben als der Herr der Kirche ist er ja der Messias Israels und eben als der Messias Israels ist er ja der Herr der Kirche.“ (II/2,218)

Die Gemeinde ist eigentlich verschieden und existiert auch in einer bleibenden Doppelheit. Sie ist nur darum eines, weil Jesus Christus sie verbindet, dem beide gehören. Die Gemeinde ist dann aber wirklich Eines. „Auch die Gemeinde ist als Israel und als Kirche unauflösbar Eine. Auch sie ist als die Eine unaufhebbar Beides: Israel und Kirche. Eben als Kirche ist sie Israel und eben als Israel ist sie Kirche.“ (II/2,218 f.)

Relevant ist hier, dass eben beide ein Zeugnis abgeben.28 Wolf Krötke fasst zusammen, wie das Zeugnis der christlichen Gemeinde in der einen ökumenischen Gemeinde auszusehen hat: „die einzige Möglichkeit, die die christliche Gemeinde hat, auf die Trennung von Israel zu reagieren, ist die Intensivierung ihres Daseins als in Christus versöhnter Menschenwelt. […] Zugleich damit ist aber in dieser Hinsicht die Nötigung zu einer eindeutigen ökumenischen Existenz gegeben.“29

28 Vgl. Schelhas, der behauptet, das Besondere an Israel sei nunmehr die Sendung der Juden durch Jesus Christus an die Völker, die allein Israel übertragen ist und ihnen eine den Christen vorgeordnete Position verschafft. Schelhas, Johannes: „Die Bedeutung Israels im christlichen Verständnis. Karl Barths Israel(ein)sicht von 1946“. In: ZKTh 130 (2008). 206 ff. Er schreibt: „Barth transformiert die Bundeskategorie in die Kategorie der Sendung. Damit wird der Gedanke der Sendung zum bestimmenden Aspekt der Deutung Israels post Christum crucifixum.“ 217. 29 S. Krötke, Wolf: „Die Erwählung der einen Gemeinde. Zum Ort des Ökumene-Problems in der Erwählungslehre Karl Barths“. In: Lux, Rüdiger: »…und Friede auf Erden«. Beiträge zur Friedensverantwortung von Kirche und Israel. Festschrift für Christoph Hinz zum 60. Geburtstag. Berlin: 1988. 75.

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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3.2.3 Das Zeugnis Israels und der Kirche Der Anspruch Gottes gilt zwar zuerst der Gemeinde als Einheit, innerhalb der Gemeinde gibt es aber zwei verschiedene Dienste. Das liegt nicht nur daran, dass es zwei verschiedene Gestalten der Gemeinde gibt, sondern auch daran, dass das Zeugnis Jesu Christi selbst, also die Gnadenwahl an sich, doppelt ist. Weil das Zeugnis Jesu Christi als der gekreuzigte Messias und als der auferstandene Herr der Kirche ein doppeltes ist, ist auch das der Gemeinde ein doppeltes. (II/2,218) Jesus Christus bezeugt in seinem Kreuz das Gericht und in seiner Auferstehung das Erbarmen. Die Gemeinde bezeugt das, was Jesus Christus in seinem Selbstzeugnis bezeugt hat. „Dieser Einheit und Doppelgestalt Jesu Christi selbst entspricht nun die der Gemeinde Gottes und ihrer Erwählung. […] Eben in dieser ihrer doppelten […] Existenzform spiegelt und wiederholt sich jene doppelte Bestimmung Jesu Christi selber.“ (II/2,218)

Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch bezeugt die Doppelheit in einer Person. Für das Zeugnis der Gemeinde gibt es die Unterteilung in das Zeugnis Israels und das Zeugnis der Kirche. In der Gemeinde bezeugt Israel das Gericht, und die Kirche bezeugt das Erbarmen. „Der besondere Dienst, zu dem Israel innerhalb des Ganzen der erwählten Gemeinde bestimmt ist, besteht darin, der Spiegel des Gerichts zu sein, dem Gott den Menschen entrissen hat und das er in der Person des einen Jesus von Nazareth selber erleiden will.“ (II/2,227) Die Kirche ist beauftragt, „Spiegel des Erbarmens zu sein, in welchem Gott seine Herrlichkeit dem Menschen zuwendet“ (II/2,231). Israel bezeugt das Kreuz Jesu Christi und damit den Vollzug des Gerichts oder auch das Nein Gottes zum Menschen, das in Jesus Christus vollstreckt wird. Barth teilt das Zeugnis Israels auf in drei Aspekte – in das Zeugnis des Gerichts, das Zeugnis von dem Hören der Verheißung und das Zeugnis des vergehenden Menschen, ohne deren Zusammenhang zu erklären. (II/2,217) Ich werde, so wie er es handhabt, diese drei zusammenfassen in den Terminus ,Zeugnis des Gerichts‘. Es ist auch hier wieder schwer, Barths Definition klar einzugrenzen, weil er nur indirekt definiert. Israel lehnt sich gegen die Verheißung auf (II/2,259) und präsentiert sich so als der Mensch, der vergehen muss. (II/2,286) Es zeigt als Sünder – als das „sich widersetzende Volk der Juden“ (II/2,219) und als das sündige Volk (II/ 2,227 f.) – die Notwendigkeit des Gerichtes an. Insofern ist es „Zeugnis von des Menschen Elend“ (II/2,227). Dass Israel auch leidet, scheint ein Teil der ewigen Wahl zu sein. (II/2,293) Barth schreibt:

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

„Im Schicksal dieses Volkes, in seiner von seinem Leiden in Ägypten bis zum letzten Untergang Jerusalems und darüber hinaus bis auf diesen Tag immer neu wiederholten Preisgabe, Ausrottung und Zerstörung, in der Ohnmacht, Plage und Krankheit dieses Hiob, dieses seltsamsten Gottesknechtes unter den Völkern – es hat nicht wenig dafür zu bezahlen, Gottes erwähltes Volk zu sein! – spiegelt sich der Radikalismus, in welchem Gott selbst sein Erbarmen mit dem Menschen wahr macht, die Rätselhaftigkeit seiner Selbsthingabe.“ (II/2,287)

Man könnte wohl sagen, dass die Juden mit ihrem Leiden widerspiegeln, was Jesus Christus für die Menschen erleidet. Ein Spiegel nimmt ein Bild auf, das er selbst nicht ist, sondern nur vorübergehend darstellt. Israel erleidet das Gericht nicht, aber es hat in seiner langen Geschichte erfahrungsgemäß gelitten wie ein Knecht Gottes, nicht zuletzt unter dem Antisemitismus, so dass es glaubwürdig Zeugnis des Leidens abgeben kann. Barth verabscheut jede Gewalt gegenüber Juden, und dennoch vertritt er die Auffassung, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Leiden der Juden, das Gott zulässt, und zwischen der Liebe Gottes für die Juden, die ihnen eine große Aufgabe anvertraut. Nicht gemeint ist damit, dass Juden größere Sünder sind als Nichtjuden bzw., dass sie dergleichen verdient hätten.30 Barth spricht davon, dass Israel schon mit seiner Existenz in den Zeugendienst eintritt. (II/ 2,215 f.228 ff.257) Die Kirche bezeugt ein das Nein umschließendes Ja in ihrem Zeugnis der Auferstehung. „Die Kirche ist der Träger der positiven Botschaft Gottes an die Welt, in die die negative eingeschlossen – notwendig, aber doch nur untergeordnet eingeschlossen ist.“ (II/2,233) Ihr Zeugnis ist das Zeugnis des Erbarmens, der Glaube an die Verheißung und die kommende Gestalt des Menschen. (II/2,219) Sie bezeugt also nicht etwas ganz anderes, sondern ebenfalls das Gericht, nur in dem Sinne, dass die Absicht und der Nutzen des Gerichts in ihrem Zeugnis erkennbar werden. Sie bezeugt „den göttlichen Sinn des im Tode Jesu über den Menschen ergangenen Gerichtes“ (II/2,231). Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Sichtbarmachen des Erbarmens. „Sie macht sichtbar, daß auch Gottes Gericht getragen und umschlossen ist von Gottes Erbarmen, auch seine Strenge von seiner Güte, auch sein Zorn von seiner Liebe.“ (II/2,232) Da die Kirche glaubt, ist sie die vollkommene Gestalt der Gemeinde: „In der vollkommenen Gestalt der einen erwählten Gemeinde Gottes besteht nun der Dienst der Kirche unabhängig von Israels Stellungnahme darin, der gehörten Ver30 Das Bild vom Spiegel soll jüdisches Leiden begründen, aber nicht verherrlichen oder legitimieren. Willis unterstellt Barth zu Unrecht, für ihn sei das jüdische Leiden von Gott gewollt und verstehe sich als dessen Strafe: „Barth is able to assert […] that Jewish suffering is a sign of divine punishment for the rejection of Jesus“. S. Willis, Robert E.: „Bonhoeffer and Barth on Jewish Suffering. Reflections on the Relationship between Theology and Moral Sensibility“. In: JES 24 (1987). 615.

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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heißung dadurch Nachachtung zu verschaffen, daß sie ihr Glauben schenkt.“ (II/ 2,261)

Es wird klar, dass die Kirche nur das glauben kann, was Israel verheißen worden ist. „Unabhängig von Israels Wahl und Weg besteht der Dienst der Kirche als der vollkommenen Gestalt der einen Gemeinde Gottes darin, im Glauben an das gehörte Wort, im Ergreifen des göttlichen Erbarmens das kommende Reich Gottes als das Ende aller menschlichen Not, den kommenden neuen Menschen und sein ewiges Leben zu bezeugen.“ (II/2,291)

Die Kirche hat den Vorteil des „besonderen Hilfsdienstes“ (II/2,261) Israels. Ja, eigentlich bekommt die Kirche nur einen „heilsamen Anteil am Dienst der Gemeinde“ (II/2,262). Es entspricht einer Konstruktion zur Veranschaulichung der Vielschichtigkeit der Gemeinde Gottes, wenn man die Gemeinde in zwei verschiedene Gestalten mit zwei verschiedenen Diensten einteilt. So sind Juden und Christen zwar zu zweierlei Dienst berufen, aber im eigentlichen Sinne lassen sich beide Zeugnisse nicht trennen. Mit dieser Doppelheit ist nicht gemeint, dass es zwei voneinander unabhängig existierende für sich gültige Formen des Zeugnisses gibt. Es gibt weder zwei verschiedene Wege noch zwei verschiedene Botschaften, sondern zweifach das eine Zeugnis von dem einen Gott. Die Doppelheit kann auch nicht als ein ablösendes Nacheinander verstanden werden. Man kann nicht sagen, dass das Zeugnis des Erbarmens das eigentlich substantielle, positive Zeugnis ist, während das Zeugnis des Gerichts nur als Abschreckung dient, ohne einen gewichtigen Inhalt zu vermitteln. Solch ein Zeugnis wäre gar kein Zeugnis, sondern nur die Negativfolie eines Zeugnisses, das Nicht-Zeugnis. Die Kreuzigung ist erlitten worden durch Jesus Christus, so dass der Gedanke an das Gericht keine Bedrohung mehr darstellen kann. Das Zeugnis des Gerichts ist dagegen kein überkommenes Zeugnis vergangener Tage ante Christum natum und kein überwundenes Geschehen, sondern ein bleibendes Ereignis. Das Zeugnis des Gerichts meint das aktuelle Zeugnis der jüdischen Gemeinde. Die parallele Doppelheit der Zeugnisse versteht sich als Notwendigkeit. Doppelt heißt auch nicht wechselseitig in dem Sinne, dass das Zeugnis zwischen der Kirche und dem Israel außerhalb der Kirche auf gegenseitiger Basis stattfinden soll. Israel kennt das von den Christen bezeugte Erbarmen eigentlich besser als diese. Es geht auch nicht darum, sich gegenseitig ergänzend gemeinsam an die Welt zu wenden. Nein, doppelt heißt laut Barth offenbar, dass das Zeugnis des Gerichts den Christen bezeugt wird und diese daraufhin das Zeugnis des Erbarmens mit dem Wissen um das Gericht an die Welt bezeugen. Dieses Zeugnis kann laut Barth von der Kirche aber nicht übernommen werden, sondern von ihr nur im Bewusstsein ihrer Angewie-

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

senheit auf Israel bzw. im Bewusstsein ihres eigenen Jüdischseins – sie ist Kirche aus an Jesus Christus glaubenden Juden und Heiden – vollzogen werden.31 Die Begriffe ,Gericht‘ und ,Erbarmen‘ erzeugen Missverständnisse, weil sie gegensätzlich wirken. Sie bilden jedoch, wie Kreuz und Auferstehung, eine Einheit. Beide Zeugnisse sind Zeugnisse Jesu Christi und als solche Zeugnisse des Evangeliums. (II/2,235) Gewiss wirkt das Zeugnis des Gerichts als das Zeugnis des Neins weniger attraktiv. Doch der Eindruck täuscht, weil zuerst Jesus Christus selbst das Gericht bezeugt und weil ausschließlich er in der Kreuzigung dieses Gericht erleidet. Es muss zwischen Gericht und dem Zeugnis des Gerichts unterschieden werden. Die Juden bezeugen das Nein Jesu Christi, dennoch sind sie natürlich auch nur und nicht weniger als die Christen die Empfänger des Jas. Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, nimmt Jesus Christus das Nein auf sich, um zum Menschen ganz Ja sagen zu können. Dieses Ja gilt beiden Gestalten der Gemeinde – Israel und Kirche. Obwohl das Nein keinen Menschen trifft, soll es nachträglich bezeugt werden, damit die vergangene Macht des Neins dem Menschen bewusst wird. Der Glaube an Jesus Christus ist ausschlaggebend bei der Trennung der Zeugnisse. Es ginge jedoch zu weit, zu meinen, dass das Zeugnis mehr sei als eine kollektive Zuschreibung, und dass Gott sich abhängig mache vom individuellen, veränderbaren Zeugnis. In diese Richtung geht Hunsingers Kritik an der strikten Trennung der Zeugnisse. Er hätte sich von Barth einen schwächeren Kontrast zwischen den beiden Zeugnissen gewünscht. Seiner Meinung nach wäre das im Rahmen der Dialektik Barths möglich gewesen, dass beide Gestalten der Gemeinde einmal das eine und einmal das andere Zeugnis auf sich nehmen: „Arguably, however, Barth becomes insufficiently dialectical whenever his typology flattens out into a simple contrast between ‘judgment‘ (Israel) and ‘grace‘ (the church).“32 3.2.4 Das Verhältnis des Zeugnisses des Gerichts zur jüdischen Ablehnung von Jesus Christus Die Juden bezeugen die Sünde33, indem sie das wegen der Sünde notwendige Gericht bezeugen. (II/2,287) Ihr Zeugnis ist Zeugnis von der das Kreuz notwendig machenden Sünde und von der im Kreuz ein für alle Mal entmachteten 31 Diese Argumentation lässt sich schwer belegen, weil sie eher aus einem Gesamteindruck von Barth entstanden ist als aus einzelnen Sätzen oder Abschnitten. 32 S. Hunsinger, George: „Introduction“. In: Hunsinger, George (Hg.): For the Sake of the World. Karl Barth and the Future of Ecclesial Theology. Grand Rapids, Michigan: 2004. 6. 33 Im Folgenden werde ich synonym von Unglaube, Rebellion gegen die Erwählung, Sünde und Ablehnung Jesu Christi sprechen, weil Barth das auch so handhabt.

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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Sünde. Aber das Zeugnis von der Sünde ist das Hinweisen auf diese Sünde, das nicht notwendigerweise im Sündigen selbst liegen muss, sondern auch im Erinnern an die Sünde bestehen kann. Das Kreuz richtet sich ja gerade gegen die Sünde, und so kann das Zeugnis des Gerichts nicht die Sünde verherrlichen, indem es die Zeugen im Besonderen zu Sündern macht. Die Sünde soll rückblickend auf diese bezeugt werden. Es ist also insofern kein Hinweis auf einen Nachteil oder ein negatives Urteil über die Juden, wenn sie das Zeugnis des Gerichts bezeugen. Israel ist dazu bestimmt, das Zeugnis des Gerichts abzugeben, nicht aber dazu, nicht zu glauben. Dass Israel nicht an Jesus Christus glaubt, ist keine Voraussetzung für das Zeugnis des Gerichts. Im Gegenteil kann und soll Israel nach Barths Auffassung glauben und das ihm aufgetragene Zeugnis des Gerichts auch innerhalb der Kirche und des Bekenntnisses zu Jesus Christus geben. Barth betont, dass Gott den Glauben der Juden in seiner Gnadenwahl vorsieht. Die Juden sollen eigentlich aufgrund ihres Glaubens und nicht aufgrund ihres Sünderseins das Gericht bezeugen. Barth schreibt: „Und nun zielt Gott darauf, daß Israel seiner Erwählung gehorsam werde, daß es in die Kirche eingehe, in der Kirche diesen besonderen Dienst tue und daß so die Unterschiedenheit der Gemeinde ihre Einheit bestätige.“ (II/2,228)

Er ergänzt: „Daß Israel zum Glauben und in die Kirche komme und in der Kirche diesen besonderen Dienst tue, das ist Gottes Absicht mit ihm, die ihm mit seiner Erwählung gegebene Verheißung.“ (II/2,288)

Das Israel, das zum Glauben gekommen ist, bezeugt dasselbe wie das ungläubige Israel, nur aus einer anderen Perspektive. Es bezeugt bewusst, mit „Wissen“ (II/2,227) und „Erkenntnis“ (II/2,227). Sein Zeugnis wird in diesem Fall umso mehr zur „Erinnerung an den geschlichteten Streit, an die zerrissene Anklage, an die vergebene Sünde“ (II/2,229). Es ist dann Bericht von „dem überwundenen Leid, von dem getöteten Tod, von dem in und nach allem Vergehen bleibenden Leben“ (II/2,288). Israel könnte auch innerhalb der Kirche bewusst die Wichtigkeit des Hörens auf die Verheißung vertreten. Sein Zeugnis wäre Ausdruck „der schlichten Bereitschaft zur Entgegennahme des von Gott gesprochenen Wortes, der demütigen Aufmerksamkeit dafür, daß es dem Menschen gesagt ist, der genauen Aufmerksamkeit für das, was ihm gesagt ist – im Unterschied und Gegensatz zu Allem, was der Mensch sich selber sagen kann und sagen möchte – immer wieder Raum zu geben.“ (II/2,257)

Israel hat die Verheißungen gehört und hat insofern die Autorität, an diese zu erinnern:

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

„Es wäre und bliebe dann seine besondere Ehre, die Kirche immer wieder zu warnen und zu bestärken durch die Erinnerung an den die Gemeinde Gottes begründenden und erhaltenden göttlichen Zuspruch. Es wäre dann gerade Israel (das «jüdische» Element) in der Kirche, das mit seinem besonderen Beitrag dafür sorgen würde, daß die Kirche die Kirche bleibt.“ (II/2,259)

Wenn Israel faktisch unter einer als nachteilig empfundenen Situation lebt, liegt das laut Barth nicht an seinem Zeugnis des Gerichts, sondern an seinem Unglauben. Der führt dazu, dass seine Gesamtsituation, die auch Zeugnissituation ist, negativer wird als nötig. Zwar gehört das Leiden zum Zeugnis des Gerichts in jeden Fall dazu, aber wenn Israel sündigt und insofern mehr leidet als notwendig, ist die Ursache dafür nicht die Erwählung, sondern der Ungehorsam. (II/2,260) Über den Unglauben urteilt Barth nüchtern: „Israel kann sich selbst wohl verdammen, belasten und betrüben; es kann aber nichts daran ändern, daß auch ihm ein Erlöser lebt. Es kann wohl leiden, was es auf Grund seiner eigenen Wahl leiden muß; aber es kann nicht grenzenlos leiden.“ (II/2,290 f.)

Der Unglaube der Juden ist aus Barths Perspektive eine schwere Sünde, die aber neben dem Leiden unter dem Mangel an Erkenntnis und damit dem Mangel an Trost keine Konsequenzen hat. „Den Bund des Erbarmens, den Gott zwischen sich und dem Menschen aufgerichtet, kann Israel mit keinem Bundesbruch aufheben, Gottes Treue durch seine Untreue nicht ebenfalls in ihr Gegenteil verkehren, die ewige Wohltat, die ihm durch Gottes Wort zugewendet ist: seine Glaubwürdigkeit, seinen Trost, seine Mahnung, seine Hoffnung nicht zunichte machen.“ (II/2,260)

Die Sünde hebt den Anspruch Gottes nicht auf und hat deshalb einen relativ geringen Stellenwert innerhalb der Erwählungslehre. Der jüdische Glaube ist erwünscht, ohne für das Zeugnis notwendig zu sein: „Gott wartet aber mit der Indienststellung Israels nicht darauf, daß Israel gehorsam werde.“ (II/ 2,228 f.) „Sie können die in und mit ihrer eigenen Erwählung erwählte Kirche anfechten, aber nicht stürzen, ihre Berufung und Sammlung aus ihrer eigenen Mitte und aus den Heiden nicht aufhalten, ihre Botschaft (deren Gegenstand ihr eigener Messias und so ihr eigenes Heil ist) nicht vergeblich, nicht unwahr machen. Sie können nicht hindern, daß das Zeugnis von Gottes Erbarmen in Jesus Christus auch an sie ergeht und objektiv auch für sie gültig ist. Sie können ja nichts daran ändern, daß Jesus Christus, von ihnen ausgeliefert, auch für sie gekreuzigt ist.“ (II/2,231)

Barth behauptet dann auch, dass Juden noch über den Tod hinaus Zeugen des Evangeliums sind, weil es ihnen verheißen worden ist und dass sie darin das christliche Zeugnis in jedem Falle übertreffen:

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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„Wo sollte die Welt und die Kirche lernen, von wem und für wen Jesus Christus gekreuzigt wurde, warum er gekreuzigt werden mußte, wenn nicht – es wäre denn von dem Auferstandenen selber – von der das Wort Gottes hörenden und bei und in allem Hören immer noch glaubenslosen Synagoge? Enthält etwa nicht noch der jüdische Starrsinn und Trübsinn, noch die jüdische Schrulle und Phantasterei, noch der Judenfriedhof von Prag – weil das Alles mit dem sterilen Hören, aber mit dem Hören des Wortes Gottes zusammenhängt – objektiv und faktisch mehr echtes Evangelium als alle ungläubige Gojim-Weisheit miteinander und ein gutes Teil angeblich christlich-gläubiger Theorie und Praxis dazu? Wird dieses Zeugnis nicht bemerkt, so ist das schlimm für die Welt und für die Kirche, aber kein Beweis dagegen, daß hier Zeugnis – Zeugnis von Jesus Christus – abgelegt wird.“ (II/2,260)

Die Juden haben das Zeugnis des Gerichts nicht etwa durch ihre Mithilfe an der Auslieferung Jesu Christi zur Kreuzigung aufgetragen bekommen. Die Erwählung und das Zeugnis davon wurden den Juden zugesprochen. Es war eine passive Entscheidung vor der Zeit. Barth vertritt unabhängig davon auch die Auffassung, dass Juden in gewisser Weise schuld sind an der Kreuzigung: „Indem Israel seinen Messias Jesus den Heiden ausliefert zur Kreuzigung, bezeugt es die Gerechtigkeit des von Gott selbst getragenen göttlichen Gerichtes über den Menschen.“ (II/ 2,219). Gewiss ist auch die Kreuzigung Zeichen der Rebellion gegen die Erwählung des Menschen in Jesus Christus. Sie ist es sogar in besonders konzentrierter und eindeutiger Weise. Doch kann die Sünde nicht auf dieses Ereignis reduziert werden. Gesündigt wird zu jeder Zeit. Wichtiger ist schließlich, dass Barth nicht im Besonderen die Juden für diese Tat verurteilt, sondern alle diejenigen angreift, die in Israels Auslieferung schwerwiegende Konsequenzen für Israel erkennen und damit ihre Ablehnung von Israel rechtfertigen. Laut Barth sei es antisemitisch zu behaupten, dass Israel durch die Auslieferung Jesu zur Kreuzigung von Gott verworfen worden sei. (II/ 2,296, wiederholt in 319) Die Macht, über die Kreuzigung des Gottessohnes und die Verwerfung der Juden zu entscheiden, liegt zuerst und vor allem bei Gott. Der Tod am Kreuz ist ein von Gott gewolltes, geplantes und vollbrachtes Werk. Nur weil es von Gott selbst erwählt ist, kann das Kreuz die Erfüllung der Verheißungen sein. Natürlich gibt es auch eine menschliche Schuld an der Kreuzigung. Aber der Mensch hätte Jesus Christus nicht kreuzigen können, wenn es nicht von Gott vorgesehen gewesen wäre. Die Menschen bestätigen mit ihrem Tun nur das, was Gott vorausgesehen und beabsichtigt hat. Schließlich lässt sich zusammenfassen, dass Juden die Kreuzigung sowohl bezeugen als auch einen Anteil an ihr haben, wobei dieser Umstand nicht das Zeugnis des Gerichts ausmacht oder einen Einfluss auf den Status in der Erwählung im Allgemeinen hat. Dass ausschließlich Juden dieses Zeugnis abliefern, hat nichts damit zu tun, dass sie die Kreuzigung verursachen, sondern damit, dass es ihr Messias ist, der gekreuzigt wird. Um nicht den

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Anschein zu erwecken, als seien überhaupt nur Juden Sünder gegen die Erwählung, muss nun geklärt werden, warum die christliche Sünde hier nicht behandelt wird.34

3.2.5 Die spezifisch jüdische und die spezifisch christliche Sünde gegen die Erwählung Um zu verstehen, weshalb die jüdische Sünde bei Barth einen so hohen Stellenwert einnimmt, bedarf es des gründlichen Verständnisses der Relevanz des jüdischen Glaubens. Selbst wenn man die Juden nur innerhalb der Erwählung der Gemeinde betrachtet, sind sie für Barth nicht vordergründig die Ungläubigen. Denn sie sind nicht an sich als die Nichtglaubenden die Zeugen des Gerichts, sondern weil sie als Empfänger und Hörer der Verheißungen die eigentlich Glaubenden sind und dann erst die, die nicht an Jesus Christus glauben. Diese Feststellung kann aber aufgrund von Barths Darstellung in Vergessenheit geraten. Das wird besser nachvollziehbar, wenn man sich den dritten Exkurs seiner Römerbriefauslegung vornimmt, wo Barth sich zur spezifisch jüdischen Sünde äußert. Einleitend schreibt er: „Das Andere (v 31 f.) ist nun freilich dies, daß Israel […] zwar dem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagte, d. h. in seinem ganzen Wollen und Laufen ausgerichtet war auf die Aufrechterhaltung und Erfüllung der Ordnung eines Lebens unter der Verheißung, auf Thora und Tempel, auf die Reinheit und Heiligkeit des Daseins des erwählten Volkes, auf die Bewahrung, Pflege und Fortbildung seiner Überlieferung – und nun doch nicht nur die Gerechtigkeit Gottes, nicht nur den barmherzigen Willen Gottes selbst, den dieses Gesetz meinte, sondern mit diesem seinem Sinn und Inhalt auch dieses Gesetz selbst verfehlte und faktisch brach, den Tempel schändete, die Reinheit und Heiligkeit Israels zerstörte, die Überlieferung verleugnete.“ (II/2,265)

Der Begriff ,Gesetz‘ umfasst hier offensichtlich den ganzen Bereich von Offenbarung und Leben mit Gott in einer Weise, wie es sonst das Evangelium tut. Und dann fällt auf, dass Barth Israel weder abspricht, das Gesetz zu kennen, noch es befolgen zu wollen. Aus seiner Sicht geht Israels Bemühen fehl, dass es 34 Die Art und Weise, in der Barth sich auf die jüdische Sünde festlegt, ist der Grund weshalb Wyschogrod heftige Kritik an Barth übt. Er schreibt, in diesem Punkt sei er besonders überrascht über Barths Haltung, den er sonst als israelfreundlich wahrgenommen hat: „The discovery of Israel’s sinfulness is one thing when it comes from a Christian theologian who believes that Israel has been superseded by the church and that Israel’s sorrows are the result of its obstinacy. It is something entirely different when it comes from a Christian theologian with roots in Judaism as deep as those of Barth.“ S. Wyschogrod, Michael: „A Jewish Perspective on Karl Barth“. In: McKim, Donald K. (Hg.): How Karl Barth Changed My Mind. Eugene: 1986. 159.

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den Sinn und Inhalt des Gesetzes nicht erkennt. Sinn und Inhalt sind nach diesem Zitat die Gerechtigkeit Gottes und der barmherzige Wille. Israel bricht laut Barth das Gesetz, weil es das Gesetz in der Form, in der Jesus Christus Gesetz war, als dessen Erfüllung, d. h. als dessen endgültige Erklärung (nicht aufhebend, sondern bestätigend erklärend), nicht erkennt. Jesus Christus ist Sinn und Ziel aller Werke Gottes. Der Einwand von Barth liegt nun darin, dass die Juden Jesus Christus nicht für sich als den Erfüller des Gesetzes annehmen wollen, sondern so weitermachen wollen, als hätte es ihn nicht gegeben. Dies bedeutet, dass sie weiterhin aus eigener Kraft die Gesetze zu erfüllen versuchen, anstatt sich von ihm den Sinn und die Erfüllung aller ihrer Werke geben zu lassen. „Es [Israel, St. S.] hat in seinem Verhalten zu Jesus Christus bewiesen, daß es sich an sich selbst halten, daß es mit seinem eigenen Wollen und Laufen zur Erfüllung der Verheißung vorstoßen wollte.“ (II/2,266) Barth erinnert, dass es sich hier nicht um eine Argumentation gegen, sondern für das Gesetz Israels handelt, das für ihn mit Jesus Christus gerade nicht „antiquiert, überholt, beseitigt, abgeschafft“ (II/2,269) ist. Barth fragt: „Wo in diesen ganzen Kapiteln (aber auch in der übrigen paulinischen Theologie) findet man auch nur eine Spur davon, daß der Apostel der Kirche das Gesetz Israels als eine durch Christus rückgängig gemachte und hinfällig gewordene Gabe Gottes angesehen hätte?“ (II/2,269)

Und er antwortet: „Nicht dem Gesetz, sondern einer nach v 2–3 erkenntnislosen Aufnahme und Anwendung des Gesetzes, seiner Entweihung und seinem Mißbrauch durch den Unglauben hat Paulus die Gerechtigkeit des Glaubens entgegengestellt.“ (II/2,269)

Er lehnt es ab, das Gesetz selbst erfüllen zu wollen und es ohne den Blick auf Jesus Christus halten zu wollen. Wieder kommt er auf den Sinn des Gesetzes zu sprechen, als er versucht, das Verhältnis Jesu Christi zum Gesetz zu erklären. Er ist eben weder Ende und Ersatz noch die Ergänzung des Gesetzes: „so bleibt nichts übrig, als t]kor m|lou in Analogie (vielleicht sogar in Übersetzung) zu dem rabbinischen Begriff des kelal zu verstehen als zusammenfassende Formel für den vielfältigen Inhalt des Gesetzes, als Bezeichnung des Generalnenners, der Summe aller seiner Forderungen, oder ontisch: als die Substanz, das Eine und Ganze des Gesetzes, oder praktisch: als seinen Sinn, kraft dessen es als Gesetz Autorität hat und der auch unmittelbar der Weg zu seiner Erfüllung ist.“ (II/2,269) Jesus Christus ist laut Barth der, „um deswillen er Israel unter dieses sein Gesetz gestellt hat, welcher verborgen von jeher der Sinn, die Erfüllung, die Autorität des Gesetzes gewesen und der als das Alles nun offenbar geworden ist: der Messias Israels.“ (II/2,270)

Sinn und Erfüllung sind dasselbe, und Erfüllung kann eben immer nur etwas Göttliches sein wie Verheißung oder Offenbarung. Sie ist nichts, was der

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Mensch sich selbst geben kann. So will Barth es verstanden wissen von Anfang an, so habe es schon Mose gemeint: „Wer Mose liest, kann nicht anders als von dem Gegenstand seiner Weissagung, von diesem einen Erfüller des Gesetzes her die lebendige Stimme hören, die ihn (nicht gegen das Gesetz, sondern in Zusammenfassung und also in Bestätigung des ganzen Gesetzes) zu sich ruft, damit er in ihm, im Glauben an ihn, an seiner Erfüllung des Gesetzes Anteil bekomme, damit durch den Glauben auch er ein vor Gott Gerechter und durch Gott Gerechtfertigter werde und sei.“ (II/2,270)

Barth zeigt sich enttäuscht darüber, dass Juden nicht an Jesus Christus glauben, doch hält er jüdische Gesetzesobservanz deshalb nicht für wertlos. „Alle wirkliche Forderung an die Erwählten, aber auch jenes Verbot, unter das gerade sie gestellt sind, kann nur daraus abgeleitet werden, daß das Wort Gottes ihnen nahe, ihnen auf die Lippen gelegt ist, sodaß als ihr eigenes Tun nur das Nachträgliche übrig bleibt, es als ihr Bekenntnis auszusprechen – ihnen ins Herz gegeben, so daß, was von ihnen erwartet ist, wieder nur das Nachträgliche ist, daß sie ihm Glauben schenken sollen.“ (II/2,271)

Sein Kritikpunkt gegenüber den Juden liegt darin, dass sie eigentlich am ehesten den Glauben verstehen müssten, es aber nicht tun. Dass Israel das Gesetz nicht erkennt, liegt nicht an nachteiligen Bedingungen. Barth betont ausdrücklich, dass Israel durch seine Geschichte einen Vorsprung gegenüber den Heiden hat. „Es fehlte diesem v 31 f. beschriebenen Israel im Unterschied zu den v 30 genannten Heiden nicht an der Voraussetzung, nicht an der Vorbereitung, nicht an der Vorgeschichte seines Heils und auch nicht an dem dem allem entsprechenden Wollen und Laufen.“ (II/2,265)

Diese drei Worte „Voraussetzung, Vorbereitung und Vorgeschichte seines Heils“ wiederholen sich formelhaft: (II/2,266). Ausgerechnet sie, die Erwählten, die die lange exklusive Geschichte mit Gott und alle Verheißungen hatten, die so oft Bewahrten, sie glauben nicht an ihren Messias. Es ist besonders enttäuschend und ärgerlich, dass Juden als die, denen alles zuerst gilt, und die es wirklich besser wissen müssten, hier alles falsch machen: „Er [der messianistische Aktivismus St. S.] ist die typische Sünde gerade der Erwählten. Er [der messianistische Aktivismus St. S.] ist die Haltung, derer gerade sie sich nicht schuldig machen dürften. Denn er streitet gerade gegen die Erwählung als solche. Er bedeutet, daß die Erwählten über ihrem Erwähltsein den erwählenden Gott vergessen und damit auch ihr Erwähltsein in Frage stellen.“ (II/2,271)

Schließlich gibt es keine Hinweise darauf, dass Barth die Juden als besonders sündig oder defizitär einstuft angesichts ihres vermeintlich negativen Zeugnisses. In seinen Ausführungen zur Sünde der Juden wird erkennbar, dass Barth den jüdischen Glauben nicht für defizitär hält. Es ist also nur insofern

Das Zeugnis der Gemeinde aus Israel und Kirche

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die Rede von spezifisch jüdischer Sünde, als es darum geht, dass die, die es am besten wüssten, und die, die am meisten haben, alles ablehnen. Spezifisch jüdische Sünde heißt nicht, dass Juden spezifisch weit weg sind von dem Erbarmen, sondern es hebt die Nähe hervor. Für Barth spielt es dabei keine Rolle, dass der Glaube an Jesus Christus für ihn als Christen das Wichtigste ist, und er sich diesen auch für die Juden wünscht. Barths Ärger besteht darin, den Nichtglauben an Jesus Christus als die Verwerfung des Messias durch die Erwählten zu deuten. Weil die Juden die Protagonisten dieser Geschichte sind, findet er ihre Rebellion gegen die Erwählung so problematisch. Und das scheint wohl auch der Grund zu sein, warum Barth hier nicht explizit von der Sünde der Christen spricht. Barth äußert sich jedoch zum Antisemitismus so, als sei er eine spezifisch christliche Sünde.35 Ich greife diesen Gedanken auf und nenne den Antisemitismus im Folgenden die spezifisch christliche Sünde, um zu verdeutlichen, dass sich Barths Urteil über die Sündhaftigkeit von Christen und Juden die Waage hält. Barth hält ihn für eine Rebellion gegen die Erwählung, was seiner Definition von Sünde gleichkommt. Er definiert den Antisemitismus als die Behauptung, dass Israel von Gott verstoßen ist. Diese Haltung ist seiner Auffassung nach Unglaube, weil sie nicht an die „Beständigkeit Gottes in der Erwählung dieses Volkes“ glaube. (II/2,301) Wenn Israel seine Erwählung leugnet, so ist das unverzeihliche Sünde wider den Heiligen Geist, erklärt Barth. Aber das ist noch kein Grund für die Christen, Israel selbst als verworfen zu bestimmen. Das ist seiner Meinung nach wirklich nicht die Aufgabe der Christen. Sie dürfen wohl eifern, aber sie sollen Israel nicht abstempeln. Unter Eifern versteht er ein nicht näher bestimmtes Verhalten, das auf der Basis der Annahme der bleibenden Erwählung der Juden stattfindet:36 „Es ist aber handgreiflich, daß dieser Eifer nicht aus-, sondern einschließt, nicht verstößt, sondern sucht, nicht haßt, sondern liebt.“ (II/2,225) „Es könnte also ein die Erwählung Israels von außen verkennender und bestreitender Antisemitismus mit diesem Eifer (dem ja diese Verkennung und Bestreitung wesensfremd ist!) nichts zu tun haben; es könnte nur die heidnische Wiederholung derselben unvergebbaren Sünde sein, der Israel selbst um jeden Preis entrissen werden muß.“ (II/2,225 f.) Der Unterschied zwischen Eifer und Antisemitismus ist die Haltung zur Erwählung der Juden. Es geht nicht darum, positiv oder negativ über Israel zu reden, sondern darum, ob jemand es im Rahmen der Erwählung oder außerhalb dieser tut. 35 Barth bezeichnet später in der Sündenlehre die Lüge als die für Christen typische Sünde. Vgl. IV/ 3,432.500. David Demson reflektiert ausgelöst durch Barths Exegese von Röm 9–11 über mehrere Seiten den Antisemitismus als christliche Sünde. Vgl. Demson, David E.: „Israel as the paradigm of divine judgement. An examination of a theme in the theology of Karl Barth“. In: JES 26 (1989). 611–627. 36 Vgl. 4.2.3.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

3.2.6 Die Verstockung als Erklärung des jüdischen Unglaubens Barth erklärt die jüdische Ablehnung Jesu Christi mit der Verstockung.37 Gott verstockt die Juden und erzeugt damit bei ihnen den Unglauben, um die Heiden als Glaubende an seine Verheißung zu gewinnen. (II/2,303–313) Die Verstockung ist eine göttliche Tat (II/2,303) aufgrund einer göttlichen Entscheidung, d. h. Juden verstocken sich nicht selbst. Barth verwendet das Bild vom „Tiefschlaf“ (II/2,306). Die Verstockung der Juden durch Gott ist wiederum keine Reaktion auf das Verhalten einiger oder aller Juden, sondern ein von ihnen und ihrem Verhalten unabhängiger Entschluss Gottes ohne menschliche Ursache. Die Verstockung trifft nicht pauschal alle Juden, sondern nur die so genannten „Übrigen“ (II/2,303). Die an Christus Glaubenden nennt Barth den „Rest“ Israels. (II/2,303) Das beste Beispiel dafür ist Paulus und die Geschichte seiner wunderbaren Bekehrung. (II/2,295 f.) Für Barth zeigen diese Hinweise, dass die Verstockung keine Verstoßung der Juden ist. Die Verstockung ist dadurch beschränkt, dass sie nur vorläufig eingesetzt ist und nur partiell besteht. Sie bezieht sich beispielsweise nicht auf den Glauben an den Gott Israels und seine Gebote, sondern ausschließlich auf die Anerkennung Jesu von Nazareth als Messias. Die Juden sind erst ab der Mitte der Zeit verstockt gewesen. Während der Zeit der Erwartung haben sie den Christus erwartet und bezeugt, sie haben das Wort Gottes empfangen und erkannt. Das tun sie laut Barth bis heute. Es mangelt ihnen nicht an Offenbarung, an dem Wort und dem Evangelium. Es fehlen ihnen die Erkenntnis, dass sich Gott in Jesus Christus zeigt, und der Glaube daran, dass sich das, was sie als Evangelium verstanden haben, in Jesus von Nazareth erfüllt hat. Verstockung bedeutet, dass den Juden die Erkenntnis vorenthalten wird, die sie eigentlich haben müssten. Das Ende der Verstockung erwartet Barth zur Parusie Jesu Christi. (II/2,311 f.) Die Verstockung führt zur Sünde, die sich insbesondere in der Kreuzigung niederschlägt. Aufgrund dieser Sünde erkennen Heiden Jesus Christus als ihren Heiland an. Nachdem die Juden Jesus Christus nicht für sich reklamieren, können sich die Heiden für ihn öffnen und ihn als ihren Messias anerkennen. Durch den Glauben der Christen sollen Juden dazu gebracht werden, sich ihrerseits ihrem eigenen Messias zuzuwenden. „Was Gottes Plan und Absicht bei jenem Verstocken und dessen notwendiger Folge in Wirklichkeit war, gibt Paulus nun in doppelter Dialektik an: Es sollte durch den Fehltritt jener Überzahl der Verstockten das Heil zu den Heiden kommen und es sollte wiederum dieses Geschehen selbst sie, diese Überzahl der Verstockten in Israel, zur Eifersucht reizen.“ (II/2,307) 37 Barths Interpretation der paulinischen Verstockung hat in der Sekundärliteratur zu Barth wenig Beachtung gefunden. Vgl. jedoch Busch, Bogen, 407–13 und Marquardt, Entdeckung, 309 f.

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Näheres dazu, warum der Unglaube der Juden so besonders reizvoll für die Heiden sein soll und warum sie sich mit ihrer Sünde solidarisch zeigen und die Tür aufstoßen, (II/2,307) erläutert Barth nicht. Die Verstockung ist nicht nur nachträgliche Erklärung, sondern ein absichtlicher Dienst, hat also von Anfang an einen Zweck: „Der von den Juden nicht ausgelieferte Jesus wäre eben nicht der Heiland der Heiden und es wäre auch der von den Juden nicht abgewiesene Paulus nicht der Völkerapostel geworden. Gott brauchte die Juden gerade zugunsten der Heiden. Er brauchte ihren Fehltritt und damit es zu diesem Fehltritt komme, hat er sie verstockt. Darum gehört ihre Verstockung in einer gerade für die Heidenchristen entscheidenden Weise hinein in die Heilsgeschichte.“ (II/2,307)

Die Verstockung erklärt die Sünde, ohne sie zu entschuldigen. Israel verantwortet die Sünde selbst, „es hat die Folge dieses Tuns zu tragen, indem es nun an der Erfüllung der ihm gegebenen Verheißung zunächst keinen Anteil hat und steht da als Feind des Gottes, der es zu seinem Eigentum erwählt hat“ (II/2,310).

Die Verstockung ist also zwar göttliches Instrument, aber Gott will zugleich, dass der Mensch es überwindet. Der Mensch ist, anders als bei der Erwählung, nicht auf die Verstockung festgelegt. Die Verstockung stellt umgekehrt die grundsätzliche Erwählung zu keinem Zeitpunkt infrage, auch wenn Barth sie gelegentlich Verwerfung nennt. „Gerade das hat nicht stattgefunden, daß der Gott, der so hart mit diesen Übrigen umgeht, etwa aufgehört hätte, jedenfalls mit ihnen umzugehen!“ (II/2,305) Und er ergänzt: „In seiner Hand sind auch sie und auch sie bleiben es.“ (II/ 2,305) Und noch einmal versichert er: „Aber man übersehe zunächst nicht, daß dabei immer noch vorausgesetzt wird, […] daß das Wort Gottes objektiv auch unter ihnen gesprochen und zu hören und daß der «Tisch» als Inbegriff aller göttlichen Wohltaten auch in ihrer Mitte aufgerichtet ist und bleibt.“ (II/2,305)

Gott erweist seine Gnade sowohl in der Gabe als auch in der Verweigerung der Erkenntnis, sowohl in der Erwählung als auch in der Verwerfung Einzelner. Alles Handeln steht jedoch im größeren Zusammenhang der Erwählung des Volkes als Ganzes. Ein Anspruch erwächst nicht aus der Gnadenwahl so, wie es auch keinen Verdienst ihr gegenüber geltend zu machen gibt. Es ist ein Zeichen von Gnade, wenn jemand zum Glauben erweckt wird, aber es ist nicht ein Zeichen von mangelnder Gnade, sondern von Gottes Freiheit, wenn jemand nicht zum Glauben gerufen wird. „Daß Israel keinen Verdienst hat hinsichtlich seiner Erwählung, daß es Gottes Erbarmen allein ist, welches die Existenz jenes Restes möglich und notwendig macht, das wird daran deutlich, daß Gott die Menschen in Israel auch verwerfen, d. h. in

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derselben Freiheit, in der er hier Teilnahme an der Verwirklichung der Erwählung Israels gibt, sie dort auch verweigern, daß er den Zutritt zur Kirche auch verschließen kann und daß eben dies der Mehrheit dieser israelitischen Menschen tatsächlich widerfahren ist.“ (II/2,303)

Die Verstockung ist etwas anderes als das Zeugnis des Gerichts. Die Gemeinsamkeiten liegen darin, dass beide von Gott initiiert sind, eine Vermittlung darstellen und eine Nähe zur Sünde aufweisen. Das Zeugnis des Gerichts ist ein ordnungsgemäßer Teil der Erwählung und insofern ewig gültig. Die Verstockung ist nur ein vorläufiges Instrument außerhalb des Anspruchs der Erwählung. Im Unterschied zum Zeugnis des Gerichtes, das alle Juden bezeugen müssen, betrifft die Verstockung nur einen Teil der Juden. Von daher hat das Zeugnis des Gerichtes eine ganz andere Verbindlichkeit und einen viel höheren Stellenwert. Die Verstockung hat darüber hinaus den engeren Bezug zur Sünde als das Zeugnis des Gerichts. Sie ist ja als Resultat eigentlich nichts anderes als die menschliche Sünde. Sie ist im Falle des Glaubens sofort aufgehoben. Dagegen will das Zeugnis des Gerichts wohl der Sünde gedenken und ist faktisch mit ihr verbunden, strebt aber eigentlich etwas viel Höheres an, nämlich die Einheit der Gemeinde. Die Verstockung erklärt, warum anstelle der Juden die Christen an den Messias Jesus Christus glauben. Das geschieht, indem die Verstockung der Sünde einen Verursacher und einen höheren Zweck bescheinigt. Sie rechtfertigt die Sünde damit aber nicht, weil auch sie auf die Verantwortung des Menschen zurückfällt, diese zu überwinden. Die Verstockung ist deshalb grundsätzlich kein Argument gegen die Judenmission, weil Unglaube trotz der Verstockung Sünde ist und die Menschen selbst für die Sünde verantwortlich bleiben. Die Verstockung bleibt in Barths Exkurs zur Judenmission dann auch vollkommen unerwähnt. Barth spricht zwar von dem Rätsel der Leugnung des jüdischen Messias durch die Juden und von dem Wunder, das jede einzelne Bekehrung bedeutet, er lässt aber die Verstockung aus. Sich mit der Verstockung auseinanderzusetzen, führt dazu, auch in den Dingen, die einem unverständlich sind, einen höheren Sinn nicht auszuschließen, und weniger Anspruch an das Gelingen des Zeugnisses zu stellen. Nicht einmal der Glaube ist eine menschliche Leistung oder liegt gar in der Hand des Menschen, sondern er unterliegt Gottes Wahl und Verfügung. So wird Barths Befürchtung nachvollziehbar, dass Christen die Bedeutung der Juden mit ihrem Zeugnis verkennen. Barth unterstreicht das jüdische Zeugnis, weist hin auf die christliche Abhängigkeit von den Juden und betont die Einheit: „Die Verse haben in ihrer Gesamtheit den Grund genannt, warum die Heidenchristen nicht denken und sagen sollen, daß die Verstockung der Überzahl in Israel dies bedeute, daß Gott sie fallen gelassen habe. Der Grund, der sie daran hindern muß, ist die Tatsache, daß die Kirche eben durch Israels Fehltritt alles empfangen hat, was sie als Kirche begründet und daß sie eben mit Israels Umkehr alles zu erwarten hat, was

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sie als Kirche vollenden wird. Die Kirche kann ihren eigenen Ursprung und ihr eigenes Ziel nur verstehen, wenn sie ihre Einheit mit Israel versteht. Sie muß gerade in ihren heidenchristlichen Gliedern einsehen, daß sie selbst von Gott fallen gelassen wäre, wenn Gott wirklich Israel fallen gelassen hätte.“ (II/2,313)

3.2.7 Der gemeinsame Auftrag zum Zeugnis erfordert das christliche Bekenntnis zur Einheit der Gemeinde Die Kirche ist auf Israels Zeugnis angewiesen. Dreimal wiederholt Barth zu den nun folgenden Gesichtspunkten: „Die Kirche bedarf dieses Beitrages.“ (II/ 2,227.257.286) Barth verteidigt den Unglauben der Juden nun wiederum. Er guckt dann wirklich nur noch auf die Kirche und formuliert umgehend radikal die Konsequenzen, die der israelvergessenen Kirche drohen. Die Kirche verzichtet auf das Zeugnis des Gerichts, wenn sie ihren Ursprung ignoriert, weil sie sich das Zeugnis nicht selbst geben und bewahren kann. Dieser Bedeutungsverlust hat verheerende Folgen bis hin zum eigenen kirchlichen Zeugnis in der Welt, das so nicht mehr wahrgenommen werden kann. (II/2,227) „Ihr Charakter und Auftrag als Kirche droht ihr dann verloren zu gehen; ihr Name «Kirche» könnte dann im Begriff stehen, Schall und Rauch zu werden.“ (II/ 2,227) Die israelvergessene Kirche verfehlt nicht nur ihren Auftrag, sondern sie ist keine Kirche. Es ist innerhalb des Zeugnisses des Gerichts vor allem das Hören, was ihr hier wohl fehlen würde. „Eben darum muß aber das israelitische (das «jüdische»!) Achthaben auf Satz, Wort und Buchstaben in der Kirche weitergehen, darf es sich auf keinen Fall in freie Spekulation verwandeln und verlieren.“ (II/2,257)

Sie verliert mehr als ein Zeugnis, nämlich ihren eigenen Glauben. Die Kirche „würde selbst nicht an das Evangelium glauben, wenn sie ihren Glauben in dem jener Bewahrten und Geretteten in Israel nicht wiedererkennen, wenn sie nicht sehen würde, daß eben die Hoffnung, die jene getragen hat, auch ihre eigene ist.“ (II/2,294)

Er formuliert es noch klarer: „Eine antisemitisch oder auch nur asemitisch gewordene Kirche würde ihres Glaubens früher oder später dadurch verlustig gehen, daß er gegenstandslos würde. […] Sie würde in dem Maß, als sie eigenmächtig und eigenwillig würde, als Kirche dahin sein.“ (II/2,257)

Eine Kirche muss die Vorrangstellung Israels zu ihrer Grundkategorie machen, um Kirche zu sein. Es gibt also keine Kirche ohne das Bekenntnis zur fundamentalen Bedeutung der Erwählung der Juden für die eigene Geschichte. Anders ausgedrückt ist Kirche nur dann Kirche, wenn sie sich gegen Gleichgültigkeit gegenüber Juden, Antisemitismus und falsch verstandener Toleranz gegenüber Judenfeindschaft wehrt. Vor der Thematisierung der Differenzen

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

steht das Bekenntnis zur Einheit. Die Kirche hofft darauf und glaubt daran, dass die jüdische Erwählung den Juden gegenwärtig und nicht erst zukünftig gilt, nachdem sie zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Deshalb kann und darf sie die Beschäftigung mit der Verhältnisbestimmung nicht an das Ende der Zeiten aufschieben. Das „Abschieben der Judenfrage in die Eschatologie“ (II/2,335) ist laut Barth antisemitisch.38 Über der Angewiesenheit steht die Einheit der Gemeinde, die Barth häufig anspricht. Die Einheit ist seiner Auffassung nach von Gott gegeben und nicht vom Menschen gewählt. Sie basiert offenbar darauf, gemeinsam erwählt zu sein als die Gemeinde, unabhängig von der eigenen Haltung dazu. „Israel ist das seiner Erwählung sich widersetzende Volk der Juden; die Kirche ist die auf Grund ihrer Erwählung berufene Versammlung aus Juden und Heiden. So haben wir formuliert und so oder ähnlich muß formuliert werden, wenn die Einheit der Erwählung der Gemeinde (begründet in der Erwählung des einen Jesus Christus) sichtbar werden und bleiben soll.“ (II/2,219)

Die Einheit der Gemeinde ist dauerhaft eine Einheit in Verschiedenheit. Barth verwendet synonym „unaufhebbare Unterschiedenheit“ und „unauflösliche Einheit“ (II/2,220). Die Andersheit ist sogar gewollt und drückt sich aus in der Verschiedenheit des doppelten Zeugnisses Jesu Christi. (II/2,220) Zugleich ist natürlich in Jesus Christus vor allem die Ähnlichkeit zu finden und begründet. „Wie nun der erwählende Gott Einer und der erwählte Mensch Einer ist: Jesus, so ist auch die Gemeinde als primärer Gegenstand der in Jesus Christus geschehenen und geschehenden Erwählung Eine. Es wird Alles, was gerade im Lichte der göttlichen Praedestination von ihr zu sagen ist, auf die Hervorhebung dieser ihrer Einheit hinauslaufen müssen.“ (II/2,217)

Barth räumt ein, dass diese Position nur die Haltung der Kirche widerspiegeln kann. „Es liegt nun in der Natur der Sache, daß sowohl die Unterschiedenheit wie die Einheit der erwählten Gemeinde nur in der Erkenntnis Jesu Christi und seiner Erwählung, d. h. aber im Glauben der Kirche erkennbar ist und tatsächlich erkannt wird. Der Bogen des Bundes über beiden ist kein neutraler Ort und Beobachtungsstandpunkt zwischen beiden, sondern die zwischen Israel und der Kirche geschehende Geschichte. Der Weg dieser Geschichte ist aber der Weg der Erkenntnis Jesu Christi: er führt von Israel zur Kirche. Er kann also nur in dieser Bewegung, d. h. aber praktisch: nur von der Kirche her als der Lebensweg der einen erwählten Gemeinde Gottes eingesehen, beschrieben und verstanden werden.“ (II/2,221)

Wie wichtig ihm die Einheit ist, zeigt sich auch daran, dass er seine Abschnitte 2–4 jeweils mit einem Bekenntnis zur Einheit beendet. 38 Vgl. Kapitel 4.2.2.

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„Wartet sie auf Israels Umkehr, so kann und wird sie doch nicht zögern, Israel voranzugehen mit dem Bekenntnis zur Einheit der Gemeinde Gottes, zur Einheit des nach dem Willen des göttlichen Erbarmens vergehenden und kommenden Menschen in der Person dessen, der den Tod für Alle erlitten und das Leben für Alle ans Licht gebracht hat.“ (II/2,294, vgl. auch 235.264)

3.2.8 Kapitelschluss Die Frage nach Barths Zeugnisbegriff ist in der Literatur am kritischsten betrachtet und schließlich als unplausibel abgewiesen und nicht weiterverwendet worden. Das hat damit zu tun, dass Barths Zeugnisbegriff nicht als ein in der Nachfolge relevanter Begriff ernst genommen worden ist. Die intensive Auseinandersetzung mit Barths Erwählungslehre hat erwiesen, dass gerade im Zeugnisbegriff eine Würdigung und sinngebende Bestätigung Israels bzw. der Doppelheit der einen Gemeinde liegt, die zur Bejahung einer dauerhaften, freundschaftlichen Koexistenz als aufeinander Angewiesene führen muss. Barth lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Gemeinde aus Israel und Kirche sich als in ihrem Zeugnis gleichberechtigt verstehen darf. Offenbar war ihm nicht klar, dass die Namensgebung Zeugnis des Gerichts seine Leser in die Irre führen würde. Wieder erweist sich, dass die Barthkritik deutlich hinter Barths eigenem Nachdenken zurückbleibt, nicht zuletzt, weil er schwierige Themen bis ins Detail ausführt, wie etwa seine Ausführungen zur Verstockung zeigen. Kirche und Israel haben für ihn ganz selbstverständlich Anteil an denselben göttlichen Gaben und Anforderungen – ,hier wie dort‘: „In Jesus Christus erwählt (sein «Leib»!) ist die Gemeinde, die die doppelte Gestalt Israels und der Kirche hat. Die Ehre der Erwählung, die Liebe Gottes zum Menschen als Grund der Erwählung, der Bogen des Bundes, den Gott in seiner Liebe zum Menschen von Ewigkeit her beschlossen und geschlossen hat – sie alle sind hier wie dort dieselben, so gewiß hier wie dort ursprünglich und eigentlich Jesus Christus der Erwählende und Erwählte ist, so gewiß wir uns hier wie dort in seiner Umgebung befinden.“ (II/2,220)

Busch sagt es noch expliziter, indem er über Barths Zeugnisbegriff schreibt: „Beide Zeugnisse bezeugen, je aus einem besonderen Blickwinkel, diese Botschaft, die ein und dieselbe ist.“39 Diese Botschaft ist das Evangelium Jesu Christi.

39 S. Busch, Bogen, 474.

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3.3 Die Erwählung der Juden und Christen in die Gemeinde 3.3.1 Einleitung Gott sagt in der Erwählung Jesu Christi Ja zu allen Menschen, unabhängig von ihrem Wollen und Tun, weil er die Gemeinschaft mit dem Menschen für sich erwählt hat. Diese Wahl gilt für Juden, Christen und Heiden gleichermaßen und in Ewigkeit. Diese Zueignung des Evangeliums bleibt auch im Falle der Zurückweisung Jesu Christi bestehen. Busch erklärt diese Vorbedingung treffend: „Es gibt nur dann eine unlösliche Verbundenheit der Kirche mit Israel, wenn sie im Zentrum des christlichen Glaubens an Jesus Christus begründet ist.“40 Dieses Unterkapitel beschäftigt sich mit dem Zuspruch Gottes in seiner Gnadenwahl. In 3.2 wurden Juden als diejenigen vorgestellt, die die Verheißungen hören und die Gesetze halten. Sie waren diejenigen, die durch die Vorgeschichte eine besondere Nähe zu dem Geschehen in Jesus Christus haben, und sie waren diejenigen, deren Messias Jesus Christus ist. Nachdem sich gezeigt hat, dass die jüdische Erwählung gültig bleibt, stellt sich zur anderen Seite hin die Frage, ob gar in besonderer Weise von einem Zuspruch zu den Juden gesprochen werden kann, die über das hinausgeht, was über die Wahl des Menschen im Allgemeinen gesagt worden ist. Im ersten und zweiten Abschnitt wurde – abgesehen von dem Erwählten Jesus Christus – nur von dem erwählten Menschen im Allgemeinen gesprochen. Es wurde kein Unterschied gemacht zwischen Juden, Christen und Heiden. Das war einerseits nicht falsch, weil das Gesagte sich durchaus auf den Menschen im Allgemeinen beziehen ließ. Es war andererseits nicht ganz korrekt, weil Barth auf dieser Basis Unterschiede macht.

3.3.2 Die besondere Erwählung der Juden Im Leitvers zum ersten Paragraphen der Erwählungslehre (§32) spricht Barth allgemein von der Erwählung des Menschen im Singular (II/2,1). Schnell wird klar, dass damit nicht alle Menschen in gleicher Weise gemeint sind. Das Gegenüber ist „nicht einfach und direkt die geschaffene Welt als solche“ (II/ 2,6). Es gibt eine Urgeschichte von Gott und Mensch innerhalb der Weltgeschichte, und das ist die von Jesus Christus und seinem Volk. Ur- und Weltgeschichte bedingen sich gegenseitig. Die Weltgeschichte „ist der Raum, in welchem sich diese Urgeschichte abspielt. Sie kommt zu ihrem Ziel, indem diese Urgeschichte zu ihrem Ziele kommt.“ (II/2,6) Die Zuordnung dieses 40 S. Busch, Eberhard: „Barth und die Juden“. In: Beintker, Michael (Hg.): Barth Handbuch. Tübingen: 2016. 150.

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Bereiches zu dem Rest der Welt definiert Barth im Vergleich als „Plan“, „Vorzeichen“, „Anfang“ und „Ziel“, „Urbild, Modell oder System“ (II/2,7). Sie weist auf einen notwendigen Zusammenhang zwischen beiden Geschichten hin. Er überträgt diese Interdependenz auf das Verhältnis der Juden zur Welt: „Jener nicht mehr wegzudenkende Partner Gottes ist weder der «Mensch» als Idee, noch die «Menschheit», noch die Summe irgend welcher vielen oder wenigen Einzelmenschen, sondern der eine Mensch Jesus und das in ihm repräsentierte Menschenvolk und dann, um seinetwillen, der «Mensch» und die «Menschheit» und der ganze übrige Kosmos.“ (II/2,6)

Die Erwählung des Menschen im Allgemeinen geschieht also nur indirekt, nur „dann“ (II/2,6) und „um seinetwillen“ (II/2,6). Zuerst und eigentlich erwählt sind nur Jesus von Nazareth und die Juden. Der Mensch mit seiner Natur und in seiner Geschichte hat keinen „selbständigen Sinn“ (II/2,6). Er existiert um dieser besonderen Menschen willen. „Dieses Besondere ist das nicht mehr wegzudenkende Gegenüber Gottes, ist das Andere außer Gott, dem Gott sich zugewendet hat in jenem Verhalten, das nun seiner eigenen Wirklichkeit so zugeordnet ist, daß wir das Wort «Gott» nicht mehr aussprechen können und dürfen, ohne sofort auch daran zu denken. Wir haben also sofort auch an Jesus von Nazareth und an sein Menschenvolk zu denken.“ (II/2,6 f.)

Nicht nur darf Gott nicht als abstrakter Gott ohne Jesus Christus betrachtet werden, gleiches gilt für den Menschen. „Die Erwählungslehre ist also dann richtig begründet, wenn sie hinsichtlich des erwählten Menschen wie hinsichtlich des erwählenden Gottes gerade nicht auf ein Allgemeines, gerade nicht auf ein menschliches oder göttliches Abstraktum blickt, sondern auf das Besondere“ (II/2,55).

Barth schreibt, Jesus Christus und die Juden sind erwählt. Es entsteht der Eindruck, sie seien es nebeneinander und gleichrangig. Man könnte denken, sie haben denselben Status und folglich dieselben Aufgaben in der Vermittlung, weil sie besonders und irgendwie unmittelbarer erwählt sind. Aber Juden sind dennoch nicht neben Jesus Christus erwählt. Es gibt laut Barth keine direkte Erwählung der Juden an Jesus Christus vorbei. Auch sie sind in ihm erwählt. „Aber nicht Alle, die «aus Israel» sind, sind es in der Weise, wie das […] von Jesus von Nazareth zu sagen ist. Streng genommen er ganz allein ist es – und nur in ihm, als seine Propheten, Zeugen und Vorläufer, dann auch andere, in ihm, mit ihm und um seinetwillen besondere Erwählte. Keiner ist es von Natur, Keiner vermöge seines jüdischen Blutes, Keiner in selbstverständlicher Konsequenz seiner Zugehörigkeit zu diesem Volke, Jeder eben nur auf Grund besonderer Erwählung, in der die Erwählung Israels als solchen wiederholt und bestätigt wird.“ (II/2,236)

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Zu dieser Seite hin kann man sagen, dass Jesus Christus den Juden Vermittler bzw. Stellvertreter ist, d. h. er steht an ihrer Stelle für etwas, was sie nicht sind: das Göttliche. Er vollstreckt als Messias ihren Bund. Er muss nicht für sie – wie für die Heiden – jüdisch sein, weil sie es selbst sind. Aber was sein Menschsein betrifft, ist Jesus Stellvertreter der Juden. Er vermittelt als Haupt der Erwählten, und er repräsentiert als König seines Volkes. Er ist der sie repräsentierende wahre Mensch Jesus von Nazareth.41 Barth schreibt, Jesus Christus sei Gott „in seiner Zuwendung zu dem in dem einen Menschen Jesus von Nazareth repräsentierten Volk der Menschen, in seinem Bunde mit diesem Volk“ (II/2,5). Was über die Wahl gesagt worden ist, lässt sich auf den Bundesgedanken übertragen. Als Mensch Jesus – als der eine Jude – repräsentiert Jesus Christus alle Juden im Gottesbund. Durch Jesus Christus als Gott wird der Bund für die Juden ermöglicht. Eine Abwesenheit der Juden in diesem Bund ist unmöglich, weil sie mit Jesus Christus gemeinsam haben, dass sie Juden sind, und insofern sind sie die einzigen Menschen, mit denen der Bund geschlossen werden kann. Barth schreibt dazu: „Daß wir Gott nur in Jesus Christus erkennen und haben, das bedeutet auch dies: daß wir ihn nur zusammen mit dem Menschen Jesus von Nazareth und mit dem in ihm vertretenen Menschenvolk erkennen und haben können.“ (II/2,6)

Gott hat sich an dieses Volk – und nur an dieses – gebunden. (II/2,7) Dies geschieht in einer Absicht, die der ganzen Welt nützen soll. „Es geschah dies, daß Gott selbst unter jenem Namen das besondere Volk, das diesen Namen trägt, zum Licht der Heiden, zur Hoffnung, zur Verheißung, zur Einladung, zum Ruf an alles Volk, damit freilich auch zur Frage und Aufforderung und zum Gericht über die ganze Menschheit und jeden einzelnen Menschen eingesetzt und ausgerüstet hat.“ (II/2,57)

Die Erwählung der Juden soll niemanden ausschließen, sie ist vielmehr die Voraussetzung für die Erwählung aller Menschen: „Denn es geht in der Erwählung wohl final um die ganze Menschheit und also um jeden einzelnen Menschen, material aber zunächst und ausschließlich um einen Menschen und dann um sehr bestimmte Glieder des zu ihm gehörigen, von ihm berufenen und um ihn versammelten Menschenvolkes“. (II/2,54)

Die Besonderheit der Juden wirkt ontologisch. Barth verwendet für die Beschreibung der Beziehung zwischen Gott und den Juden Wörter, die eine materielle Verbindung unterstreichen – sowohl als natürliche Beziehung innerhalb einer Familie als auch als gegenständliche Zugehörigkeit. Ein Beispiel für ersteres ist die fleischliche Verwandtschaft zu Jesus Christus. Juden sind in 41 Barth verwendet häufig die Wendung ,dieser Mensch und das in ihm repräsentierte Menschenvolk’ oder vergleichbare. Vgl. II/2,5–8. 10 f. 13 f. 25 f.

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besonderer Weise die Kinder Gottes, indem sie die Geschwister Jesu sind. Ein Beispiel für letzteres sind die immer wieder verwendeten Begriffe Eigentum und Besitz. „Er ist der Vater Jesu Christi und also nicht nur der ewige Vater seines ewigen Sohnes, sondern als solcher der ewige Vater dieses zeitlichen Menschen und so der ewige Vater, der Eigentümer, der Herr und Heiland des Volkes, das in diesem Menschen als in seinem König und Haupt vertreten ist.“ (II/2,7)

Die Juden wiederum haben in ihrer besonderen Position so einiges „zum Eigentum empfangen“ (II/2,223). Sie haben das, wovon die Kirche lebt. Die Kirche aber hat es nicht. „Sie lebt also ganz und gar von dem, was Israel in und mit seiner Bestimmung zum Gottesstreiter empfangen hat.“ (II/2,224) Dieses sind dann die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesschlüsse, die Gesetzgebung, die Anbetung, die Verheißungen, die Väter, der Christus nach dem Fleische. (II/2,224 f.) Barth vertritt mit Vehemenz seine Auffassung, dass Jesus Christus Israel gehört. Er ist „ein Israelite aus Israel! […] Nicht aus Griechenland, nicht aus Rom, nicht aus Germanien, sondern aus Israel!“ (II/2,225) Es fällt deutlich auf, dass alle diese Besitztümer beziehungsorientiert sind und damit an die Definition des Evangeliums erinnern. Herrlichkeit ist ein Synonym für die Gegenwart, und Gegenwart ist nichts Anderes als Beziehung. Gesetz ist eine Form des Evangeliums, das Beziehung ist. Anbetung ist Beziehung. Offenbarung der Verheißungen ist der Beginn einer Beziehung. Alles, was Christen ,haben‘, kommt von den Juden: Die Kirche „bekennt sich, indem sie sich zu Jesus Christus bekennt, zur Erfüllung alles dessen, was Israel als Verheißung zugesprochen ist, zu der Substanz aller Hoffnung der Väter, aller Mahnungen und Drohungen des Mose und der Propheten, aller Opfer in der Stiftshütte und im Tempel, jedes Buchstabens in den heiligen Büchern Israels.“ (II/ 2,225)

In diesem Kontext zitiert er Joh 4, 22: Das Heil kommt von den Juden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Barth tatsächlich eine analogia entis Gottes und der Juden vertritt. Sie sind keine göttlichen Wesen: „dieser Mensch und das in ihm repräsentierte Menschenvolk sind Geschöpfe und nicht Gott“ (II/2,6). Wenn Barth die bloße Existenz der Juden für einen Gottesbeweis hält, (II/2,230) wird nicht ein göttliches Sein der Juden behauptet, sondern es geht dann um das göttliche Tun an den Juden, weil sie Juden sind. Sie sind nicht aufgrund ihres Menschseins, sondern aufgrund ihrer biologischen Zugehörigkeit zum Gottesvolk und aufgrund der Verheißungen, die den Angehörigen dieses Volkes vermacht wurden, besonders prädestiniert. Laut Baier versteht „Barth unter ontologisch kein statisches Sein, sondern eine Teilhabe an der Geschichte Jesu Christi“42. Juden sind exemplarisch erwählt, um als Teil der 42 S. Baier, Unitas, 125.

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Urgeschichte den Menschen der Weltgeschichte das Zeugnis des Gerichts ablegen zu können. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Juden eigentlich und ursprünglich das Evangelium als die Erwählten in Jesus Christus empfangen haben und in seiner Wirklichkeit leben. Gott beschließt, dass die Juden das Evangelium in die Welt bringen als Jesus Christus und sein Volk, so dass sie nicht anders können als daran Anteil zu nehmen. 3.3.3 Die Stellung der Juden als Vermittelnde der Erwählung und die Erwählung der Christen Die Juden vermitteln keine Versöhnung zwischen Gott und Mensch im Sinne einer Stellvertretung. Den Juden zuliebe bekommen Christen das Evangelium, und an ihnen erkennen sie es. „Er tut alles Allgemeine um jenes Besonderen willen und umgekehrt: durch jenes Besondere, ja in und mit ihm selber alles Allgemeine.“ (II/2,56) ,Das Heil kommt von den Juden‘ will heißen, dass sie die Empfangenden und Weitergebenden von guten Gaben und damit von Offenbarung sind, aber sie ermöglichen keine Versöhnung aus eigener Kraft. Da sie nicht an Christus vorbei erwählt sind, können sie auch keine Heilsmittler sein. Juden stehen nicht auf einer Stufe mit Jesus Christus, sind weder wahrer Gott noch leisten sie etwas Göttliches. Nicht durch sie, sondern durch Christus wird das Heil empfangen. Sie stehen also nicht zwischen Jesus Christus und den Heiden. Sie können auch nicht ergänzen, was Jesus Christus getan hat. Sie haben ein anderes Zeugnis Jesu Christi als die Heiden, das nicht nur anders ist, weil sie nicht glauben, sondern auch weil sie einen besonderen Status haben. Barth erklärt: „Sie [die erwählte Gemeinde Gottes St. S.] erfüllt ihre in ihrer Erwählung begründete Bestimmung, indem sie wie den von Gott vom Menschen weggenommenen Tod, so auch das dem Menschen von Gott geschenkte Leben leibhaft darstellt und der Welt bezeugt.“ (II/2,286)

In ihrer bloßen Existenz sind sie sichtbarer Leib Christi und darin ein Sakrament für die Völker: „Es ist Gottes Wahl, dass er dieses Volk, diesen besonderen Leib um seines Hauptes willen, das jenen Namen trägt, als Zeichen des Segens und des Gerichts, als Werkzeug seiner Liebe, als Sakrament seiner Zuwendung zum Menschen überhaupt und als solchem, zu jedem Menschen, geschaffen und eingesetzt hat und in dieser Absicht mit ihm handelt zu allen seinen Zeiten.“ (II/2,58)

Wie kann man sich nun die Erwählung der Christen in Anbetracht der besonderen jüdischen Erwählung und Vermittlung vorstellen? Mit der Erwählung der Menschen ist zunächst die Erwählung der Juden gemeint. Christen erfahren die Erwählung auf eine andere Weise. Sie werden nie der Abstam-

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mung nach Juden sein, aber sie werden in die Geschichte Gottes mit dem Menschen aufgenommen durch Jesus Christus als stellvertretendem Juden im Bund. Christen sind Hinzukommende in das Volk Gottes und die nach den Juden in einem zweiten Schritt adoptierten Kinder und Verwandte Gottes. Die Stellvertretung hat einen dauerhaften Charakter, weil Christen de facto keine Juden werden. Christen kommen trotzdem vollständig zum Gottesvolk dazu, das fortan eine Einheit bildet. Die Trennung besteht dann vielmehr im zweifachen Zeugnis des Gerichts und des Erbarmens.

3.3.4 Die Erwählung von Juden und Christen erklärt anhand des Gleichnisses vom Ölbaum Barth legt seinen Schwerpunkt in der Erwählungslehre auf die Betrachtung der Erwählung der Gemeinde aus Israel und Kirche als schon bestehende Einheit mit einem bestimmten Auftrag und nicht auf die Überlegung, wie die verschiedenen Glieder der Gemeinde hinzugefügt werden. Deshalb lässt sich die unterschiedliche Erwählung von Juden, Christen und Heiden nur unbefriedigend anhand des dogmatischen Teils erkennen und belegen. In seinen Exkursen legt Barth Paulus’ Gleichnis vom Ölbaum ausführlich aus. Hierin erschließt sich unmissverständlich, welches die Unterschiede in der Erwählung von Juden, Christen und Heiden sind. Hier zum Abschluss und am inhaltlichen Höhepunkt seiner Römerbriefexegese äußert er sich klar und umfassend zu dem Gedanken der Sukzession oder Substitution, von ihm die Frage nach der Verstoßung Israels genannt, was der biblischen Formulierung entspricht. (II/2,313–336) Zumindest die Exegese dieses Gleichnisses hätte diejenigen überzeugen müssen, die Barth das Vertreten einer Sukzessionslehre unterstellen, wie Klappert und Brandau. Besonders Sondereggers Vorwürfe, dass Barth sich erst spät ein wenig vom lutherischen Antijudaismus gelöst habe, kann damit als unberechtigt zurückgewiesen werden, weil Barth schon in der Erwählunglehre die Juden dauerhaft an die erste Stelle setzt.43 Das Gleichnis vom Ölbaum setzt sich vor allem damit auseinander, was aus der jüdischen Ablehnung von Jesus Christus für Christen zu folgern ist. Mit der ausdrücklichen Erklärung, dass dieser Nichtglaube eine absolut untergeordnete Rolle gegenüber dem jüdischen Status einnimmt, fasst Barth seine Auslegungen eingangs zusammen: „Israel ist, wie es auch mit jener Verstockung einer Überzahl aus Israel, wie es auch mit seinem Fehltritt (mit dem sich die Verse 11–15 im besonderen beschäftigt hatten) stehe, Gottes Eigentum und Werk und als solches die Voraussetzung, ohne die die Kirche nicht wäre, ohne die es keine Heidenchristen gäbe.“ (II/2,313) 43 Vgl. die Ausführungen zu Klappert, Barndau und Sonderegger in 1.4.

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Hiermit bekennt sich Barth zu der Überzeugung, dass das Heil der Heiden heute und zu jeder Zeit und unabhängig von deren Verdienst von den Juden kommt, weil Gott die Juden mehr liebt als alle anderen Menschen und sie sich zu seinen Mitarbeitern gemacht hat. Folglich werden Christen, die an die Verstoßung der Juden glauben, ihre eigene Hoffnung aufgeben, weil sie von den Juden abhängen: „Die Folgerung auch aus dieser Einsicht wird die sein, daß die Kirche gerade in ihren heidenchristlichen Gliedern sich selbst für von Gott fallengelassen halten müßte, wenn sie das von Israel oder auch nur von jenen Verstockten in Israel denken und sagen wollte.“ (II/2,313)

Barth erklärt eingangs das Bild von der Wurzel. Sie symbolisiert nicht einige Erwählte aus Israel, sie steht für den einen Erwählten aus Israel, Jesus Christus. Jesus Christus und nicht die besonders Erwählten aus Israel sind die Wurzel: „War gewiß die ganze Kirche von einer besonderen Würde der Patriarchen und auch jener 7000 ohne weiteres überzeugt, so konnte es ihr doch jedenfalls in ihren nichtjüdischen Gliedern nicht selbstverständlich sein, diese geradezu als die heilige Wurzel, durch die alle Zweige geheiligt und von der sie selbst alle getragen seien, bezeichnet zu hören.“ (II/2,314)

Jesus Christus ist nach Barths Auslegung Wurzel, Same und Erstlingsbrot. Damit distanziert Barth sich von der Deutung, die die Juden als die Wurzel und die Christen als die Zweige ansieht. Jesus Christus ist die Wurzel, insofern er „allen Zweigen des aus ihr wachsenden Stammes ihre Eigenschaft mitteilt“ (II/ 2,314). Er ist Erstlingsbrot, „dessen Eigenschaft als Opfergabe allen derselben Masse entnommenen Broten zugute kommt“ (II/2,314). Er ist dem Abraham verheißener Same, „durch den alle Völker gesegnet werden sollen und die Erfüllung dieser Verheißung“ (II/2,314). Jesus Christus ist der einzige, der andere heilig zu machen vermag. Kein jüdischer Patriarch kann sein Volk auf diese Weise segnen. „Daraus, daß die Patriarchen oder die 7000 heilig sind, würde durchaus nicht folgen, daß unterschiedslos die ganze Masse, die sämtlichen Zweige, Israel als solches heilig sind. Neben Isaak steht ja Ismael, neben Jakob Esau, neben den 7000 stehen die koipo_.“ (II/2,315)

Diese Deutung ist aus zwei Gründen eine Alternative zu den klassischen Auslegungen. Erstens bringt Barth zum Ausdruck, dass Juden mehr sind als nur die Wurzel der Zweige. Sie selbst sind die Zweige. Auf diese Weise weist das Bild weniger auf eine Sukzession hin. Für Barth ist es die Kernaussage, dass es in Form der Juden heilige Zweige gibt, und dass es diese weiterhin geben muss. Hieraus ergibt sich zweitens, dass alle Juden heilig sind, weil Jesus Christus als die heilige Wurzel alle Juden repräsentiert. Folglich ist auch ein abgehauener Zweig nach wie vor heilig. Der abgehauene Zweig neben dem Baum ist heiliger als der eingepfropfte fremde.

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Die Juden sind die natürlichen Zweige am Ölbaum. Sie sind Jesus Christus gegenüber „Vorfahren oder doch Verwandte“ (II/2,314). Juden sind durch Geburt die Verwandten Jesu und so die Heiligen und insofern immer anders erwählt als die Heiden: „Geheiligt durch ihn, geheiligt als Vorfahren und Verwandte des einen Heiligen in Israel sind dort von Natur alle in einem Sinn, wie es von Natur kein Heide ist, auch nicht der Beste unter den Heiden, und wie es auch die Heidenchristen, auch die Besten unter ihnen, trotz ihrer Zugehörigkeit zur Kirche so nicht sind“ (II/2,315 f.)

Hier kommt immer wieder das Wort Natur vor. Barth will damit jedoch nicht sagen, dass Juden von Natur aus anders sind. Es geht ihm darum, dass sie anders sind, weil sie diejenigen sind, die aufgrund ihrer Natur (des Geborenwerdens in dieses Gottesvolk) Gnade empfangen haben. Für die Christen bedeutet das, dass sie, egal was sie leisten, immer den Juden nachgeordnet sind, weil sie nicht von Natur aus heilig sind. (II/2,318) Sie kommen in der Hierarchie auch noch nach Judas Ischarioth. „Welches Glied des Volkes Israel in Vergangenheit oder Zukunft das auch sein mag und wenn es Judas Ischarioth hieße!“ (II/2,315) Christen sind auch heilig und auch Israel geworden. (II/2,316) Aber sie müssen eben erst Israel werden, um zu Gott zu kommen: „Und weil des Menschen Heil darin liegt, an dem menschgewordenen Sohn Gottes Anteil zu haben, sein jüngerer Bruder zu sein, in und mit ihm Gegenstand der göttlichen Erwählung, darum kann kein Mensch außer Israel zum Heil, zur Gemeinschaft mit dem ewigen lebendigen Gott bestimmt sein.“ (II/2,325 f.)

Nur Israel ist das Gottes- und Bundesvolk: „Kein Volk als solches außer Israel ist Gottes Volk. Denn aus keinem Volk außer Israel ist Gottes Sohn als Mensch hervorgegangen. Keines war dazu bestimmt und keines kann nachträglich dazu bestimmt werden.“ (II/2,325)

Nur Juden stehen hier im Bund. „Darum ist das Heil im Bunde mit Gott den Juden und nur den Juden bestimmt.“ (II/2,326) Als eingepfropfte Zweige profitieren Christen dann aber auch wirklich von der Heiligkeit Jesu Christi. Sie sind fest eingepflanzt, und in dieser im Glauben empfangenen Heiligkeit besteht dann der Unterschied zwischen ihnen und den Heiden. Mit der Tatsache, dass in diesem Gleichnis vorrangig Christen die Zweige am Baum ausmachen, geht Barth sehr offensiv um. Er lehnt die Vorstellung ab, dass die Zweige abgehauen wurden, um Platz zu machen für die Heiden. Heiden ersetzen die Juden nicht, sondern sind nur ihre Platzhalter: „So sind die Heidenchristen gewissermaßen die Platzhalter für die Ausgefallenen: sie wohnen jetzt in deren Häusern, benützen jetzt deren Geräte, sie verwalten jetzt ihre Güter. Aber sie sind doch nur ihre Platzhalter; sie sind doch nur Fremdlinge, die jetzt dahin verpflanzt sind.“ (II/2,317)

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Ein Nacheinander wäre nichts Anderes als Antisemitismus. (II/2,319) „Er ist in der Tat das Argument des christlichen Antisemitismus bis auf diesen Tag: Die Juden haben Jesus Christus gekreuzigt. Damit hat dieses Volk aufgehört, das erwählte, das heilige Volk Gottes zu sein. An seine Stelle ist nun das Volk der Christen aus Juden und Heiden getreten. Die Kirche ist die geschichtliche Ablösung Israels. Israel als solches ist mit der Begründung und Existenz der Kirche zur vergangenen Größe geworden. Und von jenen Widerspenstigen, die in Vergangenheit und Gegenwart Israels Mehrheit bilden, ist nur noch dies zu sagen, daß sie draußen, daß sie von Gott verlassen sind.“ (II/2,319 f.)

Dieses gilt es zu behalten, wenn er negativ über die abgehauenen Zweige – die Synagoge und alle anderen nicht an Jesus Christus glaubenden Juden (II/ 2,323) – spricht. Über diese Zweige sagt er: „Das ist das ungehorsame, götzendienerische Israel aller Zeiten; das sind seine falschen Propheten und seine gottlosen Könige, das sind die Pharisäer und Schriftgelehrten, das ist der Hohepriester Kaiphas zur Zeit Jesu, das ist mitten unter den zwölf Aposteln Judas Ischarioth.“ (II/2,316)

Er bezeichnet sie als „unbrauchbar“ (II/2,316) und als „Schattenseite der Geschichte“ (II/2,316). Barth betont immerhin, dass es auch heilige Zweige gibt, die an der Wurzel weiterwachsen. (II/2,316) Barths Äußerungen zu dem ungläubigen Israel sind negativ. Sie stellen keine Verurteilung dar, sondern sind Ausdruck seiner Verwunderung angesichts der unerwarteten, verkehrten Situation. (II/2,317) Der Grund dafür ist ihm Rätsel, Mysterium und Ärgernis. Doch darf das seiner Meinung nach nicht zu dem Versuch führen, das Rätsel anzutasten: „Mit diesem Rätsel hat Paulus sich in diesen Kapiteln auseinandergesetzt: er selber aufs tiefste beunruhigt und betroffen von dem Widerspruch dieser Situation, er selber von Satz zu Satz in einem Ringkampf mit deren harter Gegebenheit, aber nun auch aus allen Kräften bemüht, die Kirche von einer eigenmächtigen Beseitigung dieses Rätsels abzuhalten“. (II/2,328)

Christen sollen sich auf das Eindeutige konzentrieren, wie auf den Glauben, dass Juden sich zu Jesus Christus bekennen und zur Kirche kommen werden. Barth erklärt: „Das «Geheimnis» besteht nicht etwa in der dereinst zu erwartenden Veränderung hinsichtlich Israels, in dem der Natur Israels entsprechenden, seine Erwählung bestätigenden Wiedereingepfropftwerden der jetzt abgehauenen Zweige, in dem künftigen Aufgehen der Synagoge in der Kirche. Dies wird ja eben das der Natur entsprechende und durch die Berufung und Bekehrung der Heiden bereits angezeigte und vorbereitete, das mit ihr in doppelter Hinsicht bestimmt zu erwartende Ereignis sein. Das Geheimnis dagegen besteht in der Verborgenheit des Sinnes der Tatsache,

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daß dieses Ereignis bis jetzt noch nicht eingetreten ist, daß Paulus und mit ihm die ganze Kirche immer noch mit jenem Rätsel zu ringen hat.“ (II/2,328 f.)

Christen sollen mit Demut und Dankbarkeit reagieren, (II/2,318) und sich auf ihr eigenes Bekenntnis konzentrieren. „Sie sollen ohne nach links noch rechts zu sehen, dafür dankbar ein. Sie sollen einfach glauben. In und mit dem Glauben stehen sie ja (v 20) in der Kirche und so als die Hinzugekommenen in Israel. Ohne den Glauben würden sie nur fallen können.“ (II/ 2,322)

Christen blicken auf das eigene, ohne Israel zu vergessen. Die Akzeptanz der Existenz dieses Rätsels bedeutet für Barth nicht die Möglichkeit, sich von Israel abzuwenden: „Es ist (wer Ohren hat, zu hören, der höre!) das Abschieben der Judenfrage in die Eschatologie, das dem christlichen Antisemitismus gerade durch dieses auffallende zweite mOm unmöglich gemacht wird. Daß Israels Hoffnung wirklich seine und der Kirche Hoffnung und also Zukunft ist, ändert nichts daran, daß die Verantwortung der selber von Gottes Erbarmen lebenden Kirche Israel gegenüber schon volle Gegenwart ist.“ (II/2,335)

Israel kann den Christen nicht gleichgültig sein, auch wenn Christen nichts dazu beitragen können und sollen, dass Juden glauben. Sich nicht für Israel zu interessieren und sich nicht mit ihm zu solidarisieren, ist für Barth dasselbe wie an seine Verstoßung zu glauben.

3.3.5 Juden und Christen stehen in dem einen Bund zwischen Gott und den Juden Im Vorangegangenen wurde das Entscheidende zur Stellung von Juden und Christen im Bund im Prinzip bereits gesagt, weil das, was über die Erwählung gesagt worden ist, auch auf den Bundesbegriff übertragbar ist. Der Bund ist bei Barth ein Synonym für die Erwählung und hat keine eigenständige theologische Bedeutung über diese hinaus. Er ist in der Erwählungslehre omnipräsent, aber immer nur in aller Selbstverständlichkeit als Ausdrucksform der Erwählung als Beziehung. (II/2,1–13) Schließlich ist die Gnadenwahl der Gnadenbund und insofern das Evangelium. „Es geschieht Alles, was von Gott her geschieht, «in Jesus Christus», d. h. aber in der Bestätigung des Bundes, den Gott in der Einheit seines Sohnes mit dem Menschen Jesus von Nazareth zwischen sich und seinem Volk, dem Volk seiner – der in jenem Einen die Seinigen gewordenen – Menschen gestiftet hat, erhält und regiert.“ (II/2,7)

Als diejenigen, die den Bund haben, haben die Juden zuerst Jesus Christus und das Evangelium.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Auch wenn hier nichts zu ergänzen ist, möchte ich diesen Abschnitt von Barths Erwählungslehre noch einmal als Bundestheologie formulieren. Dies wird erforderlich, weil der Bund in der zeitgenössischen Theologie als das Hauptthema in der Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche verstanden wird und dementsprechend auch in der Barthkritik eine entscheidende Rolle spielt. Für Barths Ein-Bund-Bundestheologie gilt, dass Jesus Christus den jüdischen Bund erfüllt, dass Juden die einzigen natürlichen Bundespartner sind und das Bundesgeschehen als eines zu verstehen ist, das für sie und mit ihnen stattfindet. Der Bund ist dann als jüdischer Bund vollständig. Nach Barth ist der eine ewige Bund besonders stark in der Erwählung vor der Zeit verankert, und so sind von Anfang an Offenbarung und Versöhnung darin enthalten. Der Bund war bereits in der göttlichen Entscheidung der Christusbund und erfährt in der Erfüllung durch Jesus Christus nur die Bestätigung der Verheißung an Israel. Es gibt außerdem keine Erweiterung des Bundes für die Christen. Auch wenn Christen ebenfalls zu Bundespartnern werden, bleiben sie adoptierte, ungleiche Partner. Nur die Juden haben diesen Weg und Bund von Natur aus. Trotz ihres Glaubens an Jesus Christus sind es nicht die Christen, die mehr vom Bund haben. Das sind die Juden als die eigentlichen Bundespartner. Die Hierarchie im Bund bevorzugt bei Barth nicht die, die in der Heilsgeschichte zuletzt erscheinen und die aktuellste Offenbarung erfahren.44 Eine Hierarchie gibt es in Bezug auf die Gruppen von Menschen. Jesus Christus und die Juden stehen vor und über den Heiden.45 44 Es ist dennoch möglich, Barth in diesem Punkt vollkommen anders zu verstehen. R. Kedall Soulen behauptet, dass Barth Jesus Christus als Vollender des Bundes und zwar am Ende in der Versöhnung und ohne Berücksichtigung der Juden als Juden ansieht. Er meint, Christus ersetze alles, was vor ihm war, wenn auch ohne zu verwerfen. Soulen interpretiert Barths Bundeskonzept fehl und degradiert ihn zum Verfechter einer Sukzessionslehre. Für ihn ist der Bund erst mit der Schöpfung, dann mit Israel, dann mit den Heiden in Jesus Christus der Bund. Er schreibt: „Covenant history becomes a reality that exists extrinsically to human history in Jesus Christ alone. In the end, covenant history seems to collapse and disappear into the figure of Jesus Christ.“ S. Soulen, R. Kendall: The God of Israel and Christian Theology. Minneapolis: 1996. 94. 45 Damit unterscheidet Barth sich von Bundeskonzeptionen, in denen die heilsgeschichtliche Entfaltung des Bundeswillens Gottes mit dem Menschen stark betont wird. Diese nehmen an, dass Gott sich offenbart, indem er zunächst den Bund stiftet, dessen Erfüllung verheißt, ihn erneuert und schließlich in Form einer endgültigen Offenbarung als Versöhnung ein für alle Mal erfüllt. Diese Konzeptionen behaupten, dass jeder an diesem Bund Beteiligte, egal ob in der Form der Verheißung oder der Erfüllung, sich der bleibenden Zuwendung Gottes sicher sein kann. Selbst wenn man die Haltung vertritt, dass Juden als Bundesgenossen vom treuen Bundesgott keinesfalls verworfen werden, dass sie, egal wie die Geschichte ausgeht und egal was sie glauben, als Empfangende der Verheißung vollständig im Bund stehen. Es bleibt faktisch so, dass man – solange man glaubt, dass der Bund erst mit Christi Geburt der Christusbund und das Evangelium ist – unvermeidlich an der Gültigkeit oder zumindest Vollständigkeit des jüdischen Glaubens zweifelt. Solange Jesus Christus nur als ein Charakter des Neuen Testamentes und nur als der Versöhner und Erfüller betrachtet wird, bleibt er der Spalter des Bundesvolkes. Wie Juden und Christen in diesem einen Bund gemeinsame Wege gehen sollen, bleibt fragwürdig. Barth

Die Erwählung der Juden und Christen in die Gemeinde

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3.3.6 Israel und Kirche: Israel als Synagoge und Kirche Dieses Unterkapitel betrachtet die besondere Erwählung der Juden. Barths Äußerungen über die Synagoge wirken im Vergleich zu denen über die Kirche abwertend. Der Gesamteindruck passt nicht zu dem, was Barth über die Erwählung ausgeführt hat. Jetzt bleibt zu klären, wie Barths kritisches Urteil über die Synagoge und sein Lob auf die Kirche zu verstehen sind. Zunächst ist es zur Vorbeugung von Missverständnissen erforderlich, in Erinnerung zu rufen, wie Barth die Begriffe ,Israel‘ und ,Kirche‘ verwendet. Barth definiert Israel nur knapp als das „Volk Israel (in der ganzen Ausdehnung seiner Geschichte in Vergangenheit und Zukunft, ante und post Christum natum!)“ (II/2,218) und die Kirche als die „Kirche aus Juden und Heiden (von ihrer Offenbarung an Pfingsten bis zu ihrer Vollendung durch die Wiederkunft Christi)“ (II/2,218). Das bedeutet, dass der Begriff ,Israel‘ ein zeit- und ortsungebundener Begriff ist. Israel ist da, wo es Juden gibt. ,Israel‘ ist bei Barth ein Begriff, der unabhängig vom Glauben ist, weil er sich nur auf die leibliche Zugehörigkeit zum Gottesvolk bezieht. Insofern gilt, dass Juden niemals aufhören, Juden bzw. Israel zu sein. Sie sind es auch noch als Mitglieder der Kirche. Wenn ein Jude an Jesus Christus glaubt, ist er für Barth ein Kirchenmitglied und zugleich Israel und Kirche. Nach Barth müssen und können Juden sich nicht zwischen dem einen und dem anderen entscheiden. Damit wird klar, dass es eine klare Abgrenzung und Gegenüberstellung von Israel und Kirche gar nicht geben kann. Diese Charakterisierungen sind also Kategorien, die mehrfach zugeordnet werden können. Die Unterscheidung von Israel und Kirche vollzieht sich nicht gemäß Personengruppen, Institutionen oder Religionen, sondern allein gemäß der Haltung zu Jesus Christus. Sie entspricht keiner räumlich-sichtbaren oder personalen Verhältnisbestimmung, sondern ist rein abstrakt gemeint. Wenn Juden an Jesus Christus glauben, sind sie Israel und Kirche, wenn sie an den Gott Israels glauben, sind sie Israel und Synagoge. Was die Zugehörigkeit zur Gemeinde betrifft, bedeutet Barths Definition von Israel, dass Juden ausschließlich in der Gemeinde sein können, weil Barth Israel grundsätzlich zum erwählten Mitglied der Gemeinde erklärt. Alle Juden zu allen Zeiten sind immer in der Gemeinde, qua Geburt und unabhängig vom Glauben in die Gemeinde gerufen. (II/2,236) Selbst wenn Juden gar nicht an Gott glauben und keine Mitglieder einer jüdischen Gemeinde sind, sind sie deshalb laut Barth Israel in der erwählten Gemeinde. Was die Heiden betrifft, gibt es diejenigen, die nicht an Jesus Christus glauben, und die deshalb kein unterscheidet sich ebenfalls von den Bundeskonzeptionen, die von einer Gleichberechtigung von Juden und Christen im Bund ausgehen. Man rechnet mit einer Erweiterung des Bundes, in der Juden und Christen nicht nur gleichberechtigt, sondern auch gleiche Partner sind. Die Kombination aus beiden führt unweigerlich dazu, dass Juden minderwertig wirken.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Teil der Gemeinde sind. Dann gibt es Heiden, die glauben und dadurch als Kirche zu einem Teil der Gemeinde werden. Heiden können von Natur aus keine Juden oder kein Israel werden. Nun fällt aber bei der Lektüre des dogmatischen Teils von §34 auf, dass Barth, wenn er über die Juden spricht, die Begriffe Israel und Synagoge wie Synonyme verwendet. Hier setzt er Israel mit dem ,im Glauben nicht glaubenden‘, also mit dem Israel gleich, das nicht an Jesus Christus glaubt. Er hält sich hier nicht an seine eigene Definition, was wohl der Intention dieses Paragraphen geschuldet ist, die darin liegt, die Trennung erstmal plakativ darzustellen, um schließlich herauszufinden, dass es eine notwendige durch Asymmetrie geprägte Beziehung und Einheit der Gemeinde gibt. Also zur Veranschaulichung betont er hier eine Trennlinie zwischen Israel und Kirche, die nur konstruiert ist, weil eben die Grenzen fließend sind. Das Konstrukt ,Gemeinde aus Israel und Kirche‘ soll hier helfen, die Einheit trotz dieser komplexen Bedingungen zu erkennen und anzuerkennen. Barth spricht bei der Rede von Israel und Kirche eigentlich von dem Verhältnis des ungläubigen Israels zum gläubigen Israel. Denn die Kirche ist seiner Meinung nach das wahre Israel, weil ihr Herr der jüdische Messias ist. Die Kirche ist zuerst jüdisch. Hier muss zunächst besonders die Besprechung der Präexistenz der Kirche in Israel behandelt werden, weil sie bei Barth einen großen Raum einnimmt. Immer wieder kommt Barth darauf zu sprechen, dass es eine Kontinuität zwischen Israel und Kirche gibt, die darin besteht, dass die Kirche in Israel präexistent sei, (II/2,234) dass Israel „der heimliche Ursprung der Kirche“ (II/ 2,219) sei. Über die Präexistenz heißt es konkreter, die Kirche „wird hier offenbar, nachdem sie dort verborgen schon in Israel gelebt hat. Sie ist das Ziel und also der Grund der Erwählung schon des Volkes Israel.“ (II/2,233) Das bestätigt er später: „Die Kirche des Evangeliums ist in der Tat die erste und letzte Bestimmung schon Israels und es ist dementsprechend schon in seiner Mitte von Anfang an der Trost und der Segen und die rettende Kraft des Wortes und Willens Gottes lebendig gewesen und auf Grund besonderer Erleuchtung und Leitung inmitten aller Gerichte und Heimsuchungen von vielen Einzelnen erkannt und geschmeckt worden.“ (II/2,293)

Und er ergänzt: „Sofern sich innerhalb der Geschichte Israels auch diese Vor-Geschichte abspielt, hat Israel mit der Kirche Anteil an der vollkommenen Gestalt der Gemeinde, des Leibes Christi, hat auch es diese universale Sendung.“ (II/2,293)

Vor der Tatsache, dass aufgrund von Barths vorläufig sehr plakativer Redeweise der Eindruck hergestellt wird, es handele sich hier um abgrenzbare Gegensätze, muss die Rede von der Präexistenz als extrem negativ empfunden werden. Es klingt aber nur dann überhöhend, wenn man der Auffassung ist, dass die Kirche eine reine Heidenkirche ist. Richtig verständlich und nicht

Die Erwählung der Juden und Christen in die Gemeinde

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abwertend wirkt sie erst mit dem Wissen darum, dass es Barth damit um das Beharren auf die Kontinuität der Geschichte Gottes mit Israel geht, in der Heiden zwar hinzukommen, aber bleibend die Nebenrolle spielen. Immerhin wird unterstrichen, dass Israels Geschichte weitergeführt wird. In dem Terminus ,Präexistenz‘ liegt die Betonung stark auf der Kirche, was irreführend ist. Unmissverständlicher wäre es, die Kontinuität dadurch zu verdeutlichen, dass die Kirche das wahre Israel ist, was wohl von Barth eigentlich damit gesagt werden soll. Barth betont häufig, dass zur Kirche nicht nur und nicht zuerst die Heiden gehören. Kirche ist laut Barth immer „Versammlung aus Juden und Heiden“ (II/2,219) oder noch deutlicher ausgedrückt „Israel aus Juden und Heiden“ (II/2,233). Jesus Christus, der jüdische Messias, wird nach seiner Auferstehung zum Herrn der Kirche. (II/2,320) Die Gründung der Kirche versteht Barth deshalb nicht als Bruch in oder gar Abbruch der jüdischen Geschichte mit Gott, sondern als einen Teil und sogar als das Ziel der Erwählung. Wenn Barth schreibt, Israel habe die alttestamentliche, die Kirche die neutestamentliche Existenzform, (II/2,218) bezieht sich das nicht auf die Zeit ihrer Daseinsberechtigung. Er sagt dann noch, Israel sei das Gottesvolk des Alten Testamentes und die Kirche das des Neuen Testamentes. (II/2,89) Das Volk Gottes ist im Alten Testament ante Christum natum Israel und dasselbe ist im Neuen Testament post Christum natum die Kirche, auch wenn es sich de facto nie der Kirche anschließt, nur qua Ernennung und Zuspruch. Es bezieht sich darauf, dass es Israel eigentlich nach der Kirche nicht mehr geben kann, während es de facto natürlich weiterbesteht. „Israel als Israel ist mit der Kreuzigung Jesu Christi insofern eine vergangene Größe geworden, als das erwählte, das heilige Volk jetzt schlechterdings in der Kirche weiterlebt. Aber wie ist das Mysterium gerade der Kirche da verkannt, wo dieses Argument als Beweis dafür verwendet wird, daß Gott sein Volk Israel verstoßen, daß er auch nur an der ungläubigen Mehrheit dieses Volkes dazu so gehandelt habe, wie er es getan hat, um sie fallen zu lassen, weil er nicht mehr ihr Gott wäre, weil sie nicht mehr sein Volk sein sollten!“ (II/2,320)

Barth bemerkt über das Volk Gottes, es sei Israel und Kirche als „doppeltes und identisches Volk“ (II/2,89). Das Gottesvolk ist identisch, egal ob es Israel oder Kirche genannt wird. Alles Gute, was die Kirche hat, hat sie aus und aufgrund von Israel. Es gibt keinen Ruhm der Kirche neben Israel. Die Kirche gründet sich auf der besonderen Erwählung Israels und bestätigt diese. An der Kirche soll also die besondere Erwählung Israels erkannt werden. „Die in Israel präexistierende und schließlich aus seiner Mitte hervorgehende Kirche des Glaubens an Gottes Verheißung ist die positive Bestätigung seiner Erwählung.“ (II/2,263) Die Kirche, die sich als präexistent in Israel bzw. die sich als Israel post Christum natum versteht, kann dann nicht israelvergessen sein. Die Kirche ist eigentlich gar nicht christlich, sondern jüdisch oder sie ist

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

nur insofern christlich, als sie jüdisch ist. Sie ist jüdisch, weil ihr Haupt Jesus Christus, der König des jüdischen Volkes ist und weil er das den Juden in ihrer Erwählung zuliebe ist. Israel wird mit dem Erscheinen Jesu Christi als Messias zur Kirche, die es selbst als erstes ist und die also eigentlich durch Juden verwaltet werden müsste, während Heiden in die Kirche der Juden hinzukommen dürfen. Israel nimmt Heiden in die Gemeinschaft seiner Kirche auf und selbst, wenn kein einziger Christ sich mehr seiner jüdischen Wurzeln bewusst wäre, wäre es ja Jesus Christus, der es verunmöglicht, dass aus der Kirche jemals eine Heidenkirche werden könnte. Natürlich ist die Kirche auch die Kirche der Heiden. Und natürlich geht es de facto um das Verhältnis der Juden und Christen, weil die Kirche vor allem aus christlichen Heiden besteht. Die Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche ist eigentlich eine innerjüdische Angelegenheit. In dem Sinne, dass Israel ohne Wechsel des Bekenntnisses zur Kirche wird, kann man von einer Sukzession sprechen. Aber es ist keine Sukzession, in der Israel irgendetwas verloren geht oder sich die Bedingungen in der Beziehung zu Gott verändern. Ein Abbruch der Geschichte mit Israel ist das letzte, woran dabei zu denken ist, weil dies der vollständige Abbruch mit der Geschichte aller Menschen inklusive der Kirche wäre. Wie wenig Barth auf eine über Israel triumphierende Kirche der Christen aus ist, schlägt sich in seinem Sprachgebrauch nieder. Das Wort ,Christ‘ kommt im regulären Textteil nur zweimal vor und dann zur Bezeichnung von Judenchristen (II/2,264) bzw. in der Wendung „Christen aus den Juden“ (II/ 2,294). Barth spricht also immer nur von Heiden, wenn er von Christen spricht, was deren Unterordnung betont. Statt von Christen redet er von der Kirche aus Juden und Heiden, was wiederum ein deutlicher Hinweis auf Zusammengehörigkeit sein soll. Für das Verständnis von Barths Kirchenbegriff ist die Erkenntnis des Jüdischseins der Kirche wichtig. Das zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass Barth Juden zwar auch Judenchristen, aber nie jüdische Christen nennt, sondern in Betonung dessen, dass sie zuerst und vor allem Juden sind, nennt er sie „christliche Israeliten“ (II/2,235) und „christliche Juden“ (II/2,251). Israel befindet sich immer vor allem in der Synagoge. Barth hält das für ein Rätsel (II/2,226.254.329) und für den Inbegriff von Rebellion gegen die Erwählung, denn „Israel bildet und behauptet (trotz der Bestätigung des Abschlusses seiner Geschichte durch den Untergang Jerusalems!) die Synagoge. Als ob es noch eine besondere Bestimmung und Zukunft neben und außerhalb der Kirche hätte!“ (II/2,229)

Das Rätsel besteht wohl darin, dass de facto Realität wird, was de iure nicht geht. Die Rebellion besteht darin, dass Israel eigentlich nach Jesus Christus und dem Untergang Jerusalems nur noch Kirche sein dürfte, aber dieses nicht glaubt. Er ergänzt:

Die Erwählung der Juden und Christen in die Gemeinde

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„Aber daran kann Israels Unglaube nichts ändern: daß es objektiv und faktisch auch in dieser sinnwidrigen Stellung neben und außer der Kirche das Volk seines gekommenen und gekreuzigten Messias und also des heimlichen (ihm immer noch verborgenen) Herrn der Kirche ist.“ (II/2,230)

Die Existenz der Synagoge wundert Barth zwar, aber er stellt ihre Existenzberechtigung keinesfalls in Frage: „Gott duldet sie nicht nur, er wartet nicht nur auf ihre Buße, sondern indem er das tut, will er sie: als Zeichen seines Zornes und seiner Freiheit, das doch auch das bleibende Zeichen von Gottes Erbarmen ist.“ (II/2,249)

Es gibt über die Synagoge viele negative Äußerungen wie diese: sie verkörpert „die hochmütige Lüge, den nationalistisch-gesetzlichen Messiastraum der Synagoge“ (II/2,225). Jedenfalls wird seine Hauptkritik an der Synagoge in diesen plakativen Äußerungen nicht nachvollziehbar. Das ist die Kritik am Unglauben im Glauben. Eine separate Besprechung der Synagoge ist trotz dieses Einblicks an dieser Stelle nicht notwendig, weil seine Kritik an der Synagoge identisch ist mit der an Israel.46 Im Prinzip benutzt Barth trotz seiner differenzierten Definition den Begriff ,Israel‘ hauptsächlich für das Israel, das seine Erwählung ablehnt oder ungehorsam ist, wie er es typischerweise formuliert. Alles, was über das Zeugnis, die Einheit der Gemeinde, die unmögliche Rebellion, die Vorrangstellung vor den Christen, die Rätselhaftigkeit des Unglaubens, die Sünde und Verdeckung gesagt wurde, gilt für die Synagoge. Barth hält sie für einen Teil der Gemeinde. Das zeigt, die Gemeinde ist mehr als die christliche Gemeinde und kein Synonym zur Kirche. Die Synagoge steht nach allem, was in 3.2 über Israel gesagt wurde, offenbar gleichberechtigt neben der Kirche, wird aber kritisch betrachtet. Insofern betrifft die Kritik weder die Existenzberechtigung noch die Lehre der Synagoge. Sie richtet sich wohl eher gegen das, was Barth als Missbrauch der jüdischen Lehre empfindet. Juden sind dazu erwählt, zur Kirche zu gehören, egal ob sie es in der Welt jemals tun werden. Es ist sozusagen ihr gutes Recht: „Christologisch und eschatologisch verstanden ist ja die Kirche tatsächlich je ganz Israel: die 7000 und die Überzahl der Verstockten – und die ganze Heidenwelt: die schon gläubig geworden sind und die es erst werden sollen.“ (II/2,308)

Christologisch gesehen, also in ihrem Bezug zu Jesus Christus, sind sie zusammen die Kirche, indem sie beide von ihm herkommen und in ihm verbunden sind. Sie erwarten für das Ende die Einheit, die jetzt nicht sichtbar ist. Dieser Standpunkt vereinnahmt niemanden. Keiner muss die Überzeugung aufgeben, dass Jesus Christus der Messias der Juden ist. Gefragt wird nach der angemessenen Art und Weise, diese Haltung zu vertreten. Es ist eine diskrete 46 Die Synagoge ist für Barth das ungläubige Israel. Vgl. II/2,230.260.290.

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Karl Barths Haltung zur Judenmission in der Erwählungslehre

Form der Hoffnung, zu glauben, dass alle Juden in der Eschatologie zur Kirche gehören werden. Diese Haltung nimmt sich Zeit und vertraut darauf, dass aus dem Unglauben für die Eschatologie gesprochen keine negativen Konsequenzen zu befürchten sind. 3.3.7 Kapitelschluss Es wurde im dritten Kapitel Schritt für Schritt nachgewiesen, dass die Erwählung vor allem anderen Ausdruck der evangeliumsgemäßen Zuwendung des einen Gottes zu allen jüdischen und nichtjüdischen Menschen ist, indem Tod und Auferstehung Jesu Christi die Basis der Erwählung darstellen. Angesichts der konsequenten christologischen Konzentration der Lehre von der Gnadenwahl entsteht der Anschein, als sei der Glaube der Juden unvollständig. Es entsteht geradezu der Eindruck, als bestünde das jüdische Zeugnis ausschließlich in der Zurückweisung Jesu, so als hätten Juden darüber hinaus keinen Glauben. Wie sehr dieser Eindruck täuscht, wurde im Vergleich des christlichen und jüdischen Zeugnisses in 3.2. angesprochen und konnte besonders in 3.3 in der Auseinandersetzung mit der hervorgehobenen Stellung der Juden in Gottes Zuspruch gezeigt werden. Barth wagt sich an die Schwierigkeit der Verhältnisbestimmung, die er in einer unkonventionellen Deutung des Ölbaumgleichnisses vorträgt. Weil ihm die Judenchristen so wichtig sind, fällt es schwer, bei ihm das Verhältnis aus Juden und Christen in der Gemeinde eindeutig darzustellen.

4 Karl Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen 4.1 Den Juden wird das ganze Evangelium offenbart 4.1.1 Einleitung Kapitel 4.1 fragt erneut, inwiefern die Juden aus der Perspektive der Theologie Barths in den Schriften des Alten Testaments schon das ganze Evangelium offenbart bekommen haben, und wie zu belegen ist, dass im Alten Testament das Evangelium vorhanden ist, und zwar nicht anders oder verborgener als im Neuen, sondern bezeugt als Offenbarung Gottes. Das dritte Kapitel hat Barths Erwählungslehre in drei Schritten (Evangelium, Anspruch und Zuspruch) untersucht, um festzustellen, ob Judenmission eine Option ist, weil sich die jüdische Glaubensbeziehung möglicherweise in Zuspruch und Anspruch als defizitär erweist. Dieser Struktur und ihren Fragen folgt auch das vierte Kapitel, so dass sich 4.1 wie eine Vertiefung von 3.1 unter Zuhilfenahme anderer Quellen versteht. Dasselbe gilt für 4.2 und 4.3 im Verhältnis zu 3.2 und 3.3. Was im dritten Kapitel erklärt worden ist, soll im vierten Kapitel auf einer breiteren Basis aus der KD sowie aus Aufsätzen, Briefen und Interviews außerhalb der Erwählungslehre bzw. der Gotteslehre belegt werden. Es lohnt sich, erneut anzusetzen, obwohl die Frage der Arbeit bereits beantwortet ist, und es ist sinnvoll, die Ergebnisse des vierten Kapitels nicht in das dritte Kapitel einzuarbeiten. Denn so zeigt sich, dass sich jenseits der Gebundenheit an einen Begründungszusammenhang wie der Erwählungslehre dieselbe klare theologische Haltung zu den Juden finden lässt. Dabei geht es um mehr als um das interessierte Einsammeln von Aspekten zu einem Thema. Es entsteht ein Gesamtbild, das sich ergänzende Aussagen im Laufe der Zeit wahrnimmt und so verlässlicher ist. Im Prinzip klärt erst das vierte Kapitel, welche Überzeugungen zu den Grundentscheidungen der Erwählungslehre geführt haben und umgekehrt welche Tragweite diese hatten. Dieses Spektrum hat nicht mehr dieselbe Belastbarkeit wie die Untersuchung der Erwählungslehre. Der Nachteil an dieser Vorgehensweise ist, dass einzelne Gesichtspunkte aus tieferen Begründungszusammenhängen genommen und nur angerissen werden können. Das Anliegen dieses Kapitels ist es jedoch, mehrere Facetten des Themas aufzuzeigen anstatt einen Aspekt tiefer zu analysieren. Es geht darum, mit dem Parallelisieren den Nachweis zu erbringen, dass Barth in der Erwählungslehre einen Ausschnitt aus einem

162 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen schon entworfenen größeren Gesamtzusammenhang dargestellt hat bzw. wie er im Kleinen die größere Denkbewegung immer mit vollzieht.1 Das Verhältnis zu den Juden ist für Barth kein kontextuell angewandter ethischer Gesichtspunkt, sondern ein omnipräsenter Bestandteil seiner regulären Dogmatik sowie der Prüfstein seines theologischen Denkens. Dieses Kapitel geht deshalb trotz der Breite der Darstellung einen Schritt weiter im Sinne einer zugleich ergänzenden und prüfenden Auseinandersetzung mit Barths Haltung zum Judentum. Zur Herausforderung werden dabei die fehlenden Definitionen, die synonyme Verwendung unterschiedlicher Begriffe sowie die fehlenden Sortierungen und Gewichtungen der Themengebiete durch Barth. Wie sich in 4.1 mehr als in jedem anderen Kapitel zeigt, ist es außerdem schwer, Barth zu systematisieren, weil jeder Teilaspekt alle anderen voraussetzt. Vorweg soll nochmals erläutert werden, warum als Untersuchungsgegen1 Nicht mehr explizit berücksichtigt werden Texte, die sich ebenfalls mit der Erwählung oder zumindest mit Römer 9–11 auseinandersetzen, die aber die Argumentation nicht bereichern. Dazu gehören die beiden Römerbriefe von 1919 und 1922 sowie die „Kurze Erklärung des Römerbriefes“ von 1940/41 und ein Vortrag zur Gnadenwahl von 1936. Vgl. Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919. Hg. v. Hermann Schmidt. Karl Barth Gesamtausgabe II.16. Zürich: 1985; Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922. Hg. v. Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja. Karl Barth Gesamtausgabe II.47. Zürich: 2010; Kurze Erklärung des Römerbriefes. 3. Aufl. München: 1956; Gottes Gnadenwahl. TEH 47. München: 1936. Der Aufsatz zur Gnadenwahl konzentriert sich auf die Neudeutung des Begriffes Prädestination, schließt aber die Entwicklung zur besonderen Rolle der Juden in der Erwählung zugleich nicht aus. Die ersten beiden Römerbriefe behandeln noch nicht Israel und Kirche, sondern das Gegenüber Kirche und Welt. Interessanterweise werden von Barth Israel und Kirche gleichgesetzt, was aber in einem ganz anderen Sinne gemeint ist als in KD II. Er fasst Kirche und Israel als zwei glaubende Größen zusammen unter dem Begriff ,Kirche‘, um sie gemeinsam der nicht glaubenden Welt gegenüber zu stellen. Sein Fokus liegt auf dem Atheismus der Kirche, nicht auf deren Asemitismus oder Antisemitismus. Eine den Juden gegenüber feindliche Aussage ist nicht erkennbar, und da es nicht spezifisch um Juden und Christen geht, spielen Judenmission und Antisemitismus im ersten Römerbrief keine Rolle. In beiden Römerbriefen betont Barth, dass es keine Verwerfung Israels gibt, ohne die Erwählung Israels aufzugreifen. Eine Betrachtung von Israel und Kirche fehlt ebenso wie die spätere untypische Deutung des Ölbaumbildes oder die Erwähnung der Synagoge. (Vgl. vor allem 409 f.) Wenn er „jüdisch, katholisch, lutherisch oder reformiert“ (410, ursprüngliche Paginierung 376) als eine Reihe von Konfessionen aufzählt und vor Konversion warnt, wird deutlich, dass er das Verhältnis von Kirche und Israel zu diesem Zeitpunkt trotz allem bereits reflektiert hat. Die „Kurze Erklärung des Römerbriefes“, die etwa parallel zur Erwählungslehre entstanden ist, liest sich wie eine Zusammenfassung der Passagen zum Römerbrief in der Erwählungslehre in KD II. Die synonyme Verwendung von Evangelium anstelle von Erwählung lässt die Kurze Erklärung vertrauter und judenfreundlicher klingen. Während Barth in der KD von Rebellion und Sünde gegen die Erwählung spricht, wählt er in der Kurzen Erklärung in denselben Passagen die präzisere und neutralere Wendung ,Ungehorsam gegenüber dem Evangelium‘, die den jüdischen Glauben weniger in Frage stellt: „Eben dieses dem Evangelium ungehorsame Volk ist Gottes erwähltes, zur Hervorbringung Jesu Christi, des Herrn über alle und alles, bestimmtes Volk.“ 131 Ebenfalls zugespitzter klingt seine Ablehnung des Antisemitismus als „die Sünde gegen den Heiligen Geist“ 142 und die Ablehnung der Judenmission (132). Sein Argument ist hier, dass Juden das Evangelium in der Erwählung zwar gehört haben, sich aber in ihrem Ungehorsam ihm Gegenüber verschlossen haben.

Den Juden wird das ganze Evangelium offenbart

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stand ausschließlich das Alte Testament in der Form, die die christliche Kirche anerkennt, verwendet wird. Eine Absage an die Judenmission kann nur überzeugend sein, wenn sie gemäß den eigenen Maßstäben geschieht. Damit Christen deren Gültigkeit anerkennen können, ist es erforderlich, das Alte Testament zu Rate zu ziehen, während alle anderen jüdischen Schriften aus christlicher Sicht Gottes Wort nicht verlässlich bezeugen. Es geht nicht darum, Aussagen zu finden, die so ähnlich klingen wie das Evangelium, sondern das Evangelium selbst soll gefunden werden.

4.1.2 Das Evangelium im Alten und im Neuen Testament Barth äußert sich im Rahmen seiner Religionskritik zur Notwendigkeit, konkret – d. h. von Jesus Christus her – die Offenbarung Gottes zu verstehen und insofern das Zeugnis davon zu verkündigen. In diesem Sinne übt er Kritik auch an jüdischer, abstrakter Lektüre des Alten Testamentes, indem er fragt: „Ist ein unendliches Warten, wie es das Ergebnis eines abstrakt alttestamentlichen Glaubens sein muß, ein wirkliches Warten und nicht vielmehr eine ewige Unruhe?“ (I/2,111)

Barths Ringen mit der Synagoge und ihrer Hermeneutik hat nicht das letzte Wort. Zunächst ist das Verhältnis von Altem zu Neuem Testament zu bedenken unter der Hypothese, dass das Evangelium im Alten identisch ist mit dem Evangelium im Neuen Testament. Einerseits befindet sich das Neue Testament in einer Abhängigkeit zum Alten als dessen Wiederholung, andererseits nimmt es eine andere Perspektive ein, und bringt insofern doch etwas Neues, Eigenes. Zwischen den Testamenten gibt es laut Bächli bei Barth keine „Verwischung der Grenzen und Vermischung des Inhalts“2. Das Alte Testament ist für sich „Zeugnis der revelatio Gottes“3 und als biblische Quelle und Richtschnur in der KD omnipräsent, wobei es in der Exegese weder durch das Neue Testament überboten noch durch christliche Erwartungen vereinnahmt wird.4 Allerdings existieren die beiden Testamente nicht unabhängig voneinander, sondern sie sind durch Jesus Christus miteinander verknüpft. Das Alte Testament bezeugt die Zeit der Erwartung Jesu Christi ,ante Christum natum‘. Miskotte rezipierte diesen christologischen Ansatz Barths in seiner Mono2 S. Bächli, Otto: Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth. NeukirchenVluyn: 1987. 326. 3 S. ebd., 329. 4 Zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament bzw. dem Christuszeugnis des Alten Testamentes bei Barth vgl. neben ebd., auch Kraus, Hans-Joachim: Rückkehr zu Israel. Beiträge zum christlich-jüdischen Dialog. Neukirchen-Vluyn: 1991 und Bergner, Gerhard: Um der Sache willen. Karl Barths Schriftauslegung in der Kirchlichen Dogmatik. FSÖTh 148. Göttingen: 2015. 139–150 sowie Barth selbst in KD I/2,77–111.

164 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen graphie „Wenn die Götter schweigen“5, die sich vertiefend und ergänzend damit auseinandersetzt, dass und wie nach Barths Ausführungen Jesus Christus als Inhalt des Alten Testaments und damit als die Einheit der Heiligen Schrift zu verstehen ist.6 Dabei sucht Miskotte den Dialog mit dem Judentum als Subjekt der Fragestellung und fordert auf, Gottes eigene Zeit gegenüber der von ihr verschiedenen menschlichen Zeit bei der Bildung des Offenbarungsbegriffs zu berücksichtigen und so den einen Zeitpunkt der Offenbarung in Jesus Christus angemessen zu deuten – im „Unterschied der Zeiten relativiert und auf Gott bezogen“7: Gottes Offenbarung in Jesus Christus ist von „allem, was im Lauf der Zeiten den Menschen in ihrer Entfremdung widerfahren ist und noch widerfahren wird, in gleichem Maße nahe.“8 Unter der Offenbarung versteht Barth ausschließlich das Geschehen in Jesus Christus, weshalb nicht einmal das Neue Testament die Offenbarung ist, sondern deren Zeugnis, das Richtschnur ist für die kirchliche Verkündigung. Die Bibel steht somit zwischen Gottes Offenbarung und der Kirche. Ihr Menschenwort wird durch den Heiligen Geist zum Gotteswort.9 Das Wort Gottes teilt Barth ein in eine dreifache Gestalt aus verkündigtem, bezeugtem und geoffenbartem Wort. (I/1,89–128) So gesehen hat das Judentum als Rezipient des Zeugnisses, das Gottes Wort wird, Anteil an der Verkündigung, die zum Wort Gottes wird. Das macht die Nähe aus zu Jesus Christus, der das Wort Gottes ist.10 Das Alte Testament ist das Zeugnis der Offenbarung, und insofern ist Jesus Christus in ihm wirklich gegenwärtig: „Echte Erwartung der Offenbarung ist ja selber nicht ohne diese: als erwartete ist ihr die Offenbarung auch gegenwärtig“ (I/2,77). Dasselbe gilt für das Neue Testament, das auch nicht mehr und nicht weniger als ein erinnertes Zeugnis der Offenbarung ist. In der Person Jesu Christi kann von einer gegenwärtigen Offenbarung in den Testamenten gesprochen werden: „Ist der Satz wahr, dann ist er es darum, weil Jesus Christus als der Erwartete tatsächlich auch im Alten Testament offenbar ist.“ (I/2,79) Innerhalb seiner Offenbarungslehre, als es um die Fleischwerdung des Wortes geht, in seinem Unterkapitel zur Zeit der Erwartung übt Barth heftige Kritik an der Synagoge, die das Alte ohne das Neue Testament liest.11 Er fügt hinzu, dass das Alte Testament so eben nicht die Offenbarung 5 Vgl. Miskotte, Kornelis Heiko: Wenn die Götter schweigen. Vom Sinn des Alten Testaments. München: 1963. 6 Vgl. zu Barth und Miskotte auch das erhellende Kapitel im Barth Handbuch: Hailer, Martin: „Barth und Miskotte“. In: Beintker, Michael (Hg.): Barth Handbuch. Tübingen: 2016. 122–126. 7 S. ebd., 119. 8 S. ebd., 119. 9 Vgl. Plasger, Autorität, 39. 10 Vgl. Plasger, Autorität, 41. 11 Vgl. I/2,102. Das Unterkapitel mit dem Titel „Die Zeit der Erwartung“ gehört zum zweiten Abschnitt der Lehre von der Offenbarung, in dem es um die Fleischwerdung des Wortes geht. Vgl. I/2,77–111.

Den Juden wird das ganze Evangelium offenbart

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sein könne. Das klingt, als nehme er zurück, was er zuvor gesagt hat. Er will zum Ausdruck bringen, dass eine isolierte Verwendung eines Testaments für ihn nicht möglich ist. Diese Kritik steht auf einer Stufe mit der Kritik an Christen, das Neue Testament für sich zu lesen. Sie kann in der Form nicht infrage stellen, was er über 34 Seiten darzustellen versucht: dass das Alte Testament Zeugnis der Offenbarung ist. Hier setzt der verborgene Gott den Bund, im Neuen Testament erfüllt sich der Bund im Kreuz, während Gott wirklich und endgültig verborgen bleibt. Jesus Christus ist im Alten Testament ebenso zu finden wie im Neuen, denn ein Testament, das kein Christuszeugnis ist, wäre gar kein Testament. Eine Offenbarung Gottes jenseits der Offenbarung in Jesus Christus hätte Barth als natürliche Theologie bezeichnet und abgelehnt. Der neutestamentliche Mensch hat denselben Trost wie der alttestamentliche. (III/2,713) Es sind solche einzelnen Bemerkungen zum Alten Testament, in denen diese Grundhaltung feststellbar wird: „Ohne Einschränkung und Abzug den Christus erwarten, wie es hier geschah, heißt Christus haben, und zwar ganz haben. Die Väter hatten Christus, den ganzen Christus. Wohlverstanden, auch hier: nicht eine Christusidee, sondern das fleischgewordene Wort, den geschichtlichen Christus.“ (I/2,102)

Die Verbindung von Altem und Neuem Testament bringt Barth mit Analogien und Typologien zum Ausdruck, die das Alte Testament jedoch weder abwerten noch vereinnahmen, weil sie unter der Voraussetzung der Einheit in Jesus Christus formuliert sind. Die Vereinnahmung und Ablösung des jüdischen Erbes mittels Typologien hatte Sonderegger Barth zu Unrecht vorgeworfen.12 Im Gegenteil kommt darin die Angewiesenheit des neutestamentlichen Zeugnisses auf das alttestamentliche zum Ausdruck. Das Neue Testament kann nur das aufgreifen und erinnern, was das Alte Testament zuvor eingeführt hat. Umgekehrt kommt die Verheißung nicht ohne die Erfüllung aus. Dabei hat der heilsgeschichtliche Fortschritt keinerlei Bedeutung, wenn es unabhängig vom Zeitpunkt immer der Christus ist, der sich offenbart. Sämtliche scheinbar ungleichen Wortpaare wie ,Verheißung und Erfüllung‘ haben gemeinsam, dass sie sich messen an der Mitte Jesus Christus und insofern gleichrangig sind. Die Erfüllung käme zwar nicht ohne die Verheißung aus, sie ist jedoch nicht vollständiger durch die Verheißung, sondern weil Jesus Christus die Bedeutung sowohl der Verheißung als auch der Erfüllung erschließt. Bächli ergänzt: „Das Schema »Verheißung/Weissagung – Erfüllung« wird zwar nicht aufgehoben, aber Verheißung/Weissagung hat nicht mehr den nur präparativ-pädagogischen Charakter, der dem Alten Testament zumeist zugestanden wurde.“13 12 Vgl. die Ausführungen zu Sonderegger in 1.4. 13 S. Bächli, Testament, 329.

166 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Barth hat Wortpaare gebildet und in kurzen Abständen wiederholt, in denen ein Begriff dem Alten und der andere dem Neuen Testament zugeordnet werden kann, wie bei ,Gesetz und Evangelium‘ oder ,Propheten und Apostel‘. Diese Dualismen haben einen ergänzenden Charakter und betonen so eine Einheit aus zwei Teilen, wie bei Propheten und Aposteln. Beide Personen bezeugen den Gott Israels auf gleiche Weise, wobei der Prophet immer einer ist, der etwas erwartet, und der Apostel einer, der etwas erinnert. Anstelle des lutherischen ,Gott der Herr‘ kreiert Barth den Jahve-Kyrios, wenn er das alttestamentliche Tetragramm oder den neutestamentlichen Kyrios übersetzt. Die stets wiederkehrende Wendung Jahve-Kyrios als Name des Gottes Israels zeugt davon, dass der Gott des Alten Testaments für Barth identisch gewesen ist mit dem des Neuen.14 Bei Barth entwickelt sich die Offenbarung nicht aus der Geschichte Gottes mit dem Menschen heraus, sondern steht ihr voran. Jesus Christus begibt sich als Offenbarung in die Geschichte. Wenn Gott und nicht die Geschichte die Offenbarung hervorbringt, kann die Geschichte nicht auf zweierlei Weise beurteilt werden, als würde sie erst wichtig mit der Geburt Jesu Christi. Gott selbst bestimmt über die Offenbarung Gottes als Subjekt der Geschichten, die in der Konsequenz gleichrangig sind, weil Gott in Altem und Neuem Testament derselbe ist.15 Jesus Christus verwirklicht den Offenbarungscharakter des Alten Testaments. Die Gültigkeit des Alten Testaments hängt an der christologischen Begründung von dessen Offenbarung. Jesus Christus ist Inhalt und Form des ersten Gebotes, das so zugleich Evangelium und Gesetz ist. (I/2,454) Immer wenn Barth das erste Gebot zitiert, geht es ihm eigentlich um das Evangelium, wenngleich er es vermeidet, das explizit zu benennen, um einer begrifflichen Vereinnahmung vorzubeugen. Das erste Gebot handelt von der Bundesbeziehung zwischen Gott und den Juden, die nichts Anderes ist als das Evangelium. In Ex 20 wird folglich berichtet, wie innerhalb der Heilsgeschichte eine Evangeliumsbeziehung begründet wird.16 Dasselbe gilt ebenso für die anderen Gebote wie das Sabbatgebot: „Im Gebot des Feiertages geht es tatsächlich um das menschliche Tun, das gerade als Ruhe vom eigenen Werk – […] – in der Bereitschaft für das Evangelium besteht. Der Sinn der heiligen Schrift ist aber gerade auch da, wo sie gebietet, das Evangelium.“ (III/4,55)

Aber auch das Gesetz selbst ist Wort Gottes und damit dem Inhalt nach Evangelium. Paulus‘ Kritik an der Gesetzlichkeit der Juden kritisiert die fehlende Wahrnehmung des Gesetzes als Zuspruch Gottes. Paulus erkennt die 14 So auch Brandau, Dialog, 86: „Jesus, der Christus, der Kyrios, ist identisch mit dem »Jahve« des Alten Testaments.“ 15 Vgl. Kraus, Rückkehr, 279 und KD I/2,102. 16 Vgl. Kraus, Rückkehr, 277 f.

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jüdische Gesetzestreue an sich an, weil sie das Wort Gottes in den Blick nimmt. Doch bemängelt er eine Gesetzlichkeit, die inhaltsleer geworden ist, die also eine Form erfüllen möchte, ohne die Gottesbeziehung zu stärken. (I/2,299) Umgekehrt ist das Neue Testament nicht weniger auf diese Weise gesetzlich als das Alte, sondern „auf der ganzen Linie das Gesetz“ (I/2,341), indem es den Glauben an Jesus Christus als den Herrn thematisiert und so dem Evangelium eine Form verleiht.

4.1.3 Evangelium und Gesetz im Alten Testament Hartenstein beschäftigt sich schon 1928 in einem Aufsatz zum Thema Mission mit Barths Theologie, also zu einem Zeitpunkt, zu dem weder die Stellungnahmen zur Mission noch der Judenmissionsexkurs verfasst waren. Mission versteht er ganz regulär als die „Verkündigung der Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn“17. Doch Hartenstein definiert Evangelium bei Barth ganz unkonventionell als „die Offenbarung der verborgenen Wirklichkeit des in Gericht und Gnade souveränen Gottes“18, und zuvor heißt es bei ihm, Evangelium bedeutet, „daß Gott Mensch wurde“19. Was wie eine Zusammenfassung einmal der Erwählungslehre und einmal der Versöhnungslehre klingt, ist deutlich früher als diese geschrieben worden. Das zeigt zum einen, dass Barths Evangeliumsbegriff tatsächlich außergewöhnlich gewesen ist, und zum anderen, dass er eine Konstante seiner Theologie gewesen ist und durchaus auch schon vor der Entstehung der KD verständlich für jemand, der sich nicht ausführlich damit beschäftigt hat. Was das Evangelium für Barth genau gewesen ist, soll in diesem Kapitel bedacht werden. Wo Barth das Evangelium thematisiert, wird klar, er spricht davon, dass Gott in Jesus Christus mit dem Menschen in Beziehung tritt als einer, der gegenwärtig ist: Die Jünger „erinnerten sich daran, daß das «Gott ist gegenwärtig» einmal vor ihren Augen und Ohren […] Faktum gewesen war und daß sie eben damit den Auftrag empfangen hatten, das Evangelium allen Völkern zu verkündigen. Und nun lebten sie von dieser Erinnerung.“ (III/2,539)

Barths Definition meint auch die frohe Botschaft von Jesu Leben und Werk, und auch er ist davon überzeugt, dass mit Jesus von Nazareth eine neue Zeit in der Heilsgeschichte angebrochen ist. Aber die Verwendung des Begriffs ,Evangelium‘ ist bei ihm ausgeweitet auf die Ereignisse vor Christi Geburt. In einem Exkurs definiert Barth Evangelium als etwas, was im Alten Tes17 S. Hartenstein, Karl: „Was hat die Theologie Karl Barths der Mission zu sagen?“ München: 1928. 22. 18 S. ebd., 20. 19 S. ebd., 9.

168 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen tament „gute, Freude bringende Nachricht“ (IV/2,218) gewesen sei. Es habe im Judentum eine Veränderung der Wortbedeutung gegeben, weg vom Gegenstand der Freude und der Nachricht darüber hin zu der Person, die sie ausrichtet. Diese Verschiebung sei in den Evangelien auf Jesus übertragen worden: „Das Ereignis, von dem er redet, und sein Reden davon gehen im tiefsten darin auf, daß er als jener eine selbst das Gute, Freude erregende ist.“ (IV/ 2,218) Das Evangelium ist geschichtlich betrachtet schon seit der ewigen Erwählung und schon am ersten Tag der Schöpfung in der Welt gewesen – das war das Ergebnis der Untersuchung der Gotteslehre in 3.1. Ausführungen zum Gesetz finden sich vor allem in der Ethik der Gotteslehre. (II/2, §§36–39) Barth greift inhaltlich zurück auf einen grundlegenden, sieben Jahre zuvor verfassten Aufsatz mit dem Titel „Evangelium und Gesetz“ in der Schriftenreihe der Theologischen Existenz heute von 1935.20 Das Evangelium wird im Zusammenhang mit dem Gesetz thematisiert, wobei Barth die Reihenfolge Gesetz und Evangelium in beiden Fällen umkehrt und das Evangelium voranstellt.21 Bei Barth gehören Evangelium und Gesetz erstens untrennbar zusammen, so dass es das Gesetz zu keinem Zeitpunkt isoliert gegeben hat und im Alten Testament mit dem Evangelium gerechnet werden muss. Das Evangelium ist zweitens dem Gesetz vorgeordnet. Barth war nicht der erste, der in diese Richtung gedacht hat. Calvin hatte die Vorstellung von nur einem Bund, aus dem die Tora nicht rausgelöst werden sollte.22 Was sich außerdem schon in der ersten Frage des Heidelberger Katechismus und in der ersten Barmer These abzeichnete, entwickelte Barth weiter, indem er konsequent das Evangelium vor das Gesetz rückte. Das Evangelium wird drittens nicht getrennt vom dreieinigen Gott als historische Begebenheit oder als Nachricht verstanden. Die Bindung an Jesus Christus bzw. den Gott des Evangeliums gehört zum Wesen von beiden, Evangelium und Gesetz. Es folgt eine kurze Darstellung der systematischen Voraussetzungen zum Verständnis der Ethik Barths. Barth möchte sicher sein, dass es sich bei der Rede von dem Gesetz um das Gesetz des Gottes des Evangeliums und nicht um 20 Vgl. Barth, Karl: Evangelium und Gesetz. TEH 35. München: 1935 (Neudruck 1956). Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den Barth am 7. Oktober 1935 in Barmen – in Anwesenheit der Staatspolizei, die ihn danach zur Grenze zurückbrachte – wegen seines Redeverbotes verlesen ließ. Es war das letzte Mal, dass er im nationalsozialistischen Deutschland war. Vgl. Busch, Lebenslauf, 279. 21 Jüngel weist darauf hin, dass zwar in der KD von Evangelium und Gesetz in ihrem Verhältnis nicht eigens die Rede ist, (187) aber die Gliederung der KD verweist auf die Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz: „Barth bringt den Locus de peccato in drei Gestalten innerhalb der Versöhnungslehre und dort jeweils erst nach der Christologie zur Verhandlung.“ S. Jüngel, Evangelium, 191. 22 Für die geschichtliche Einbettung, für eine fundierte Kritik und für einen breiteren Überblick des Vorkommens von Gesetz und Evangelium in der KD vgl. Peters, Albrecht: Gesetz und Evangelium. HST 2. Gütersloh: 1981.

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das einer anderen Gottheit handelt. Das wahre Gesetz kann erst als solches erkannt werden, wenn es im Lichte des Evangeliums gesehen wird – im Evangelium „geborgen und verschlossen“23. Die Erkenntnis geschieht also nie vom Gesetz her, sondern immer vom Evangelium her, weshalb das Evangelium dem Gesetz vorzuordnen ist: „Das Evangelium ist nicht Gesetz, wie das Gesetz nicht Evangelium ist; aber weil das Gesetz im Evangelium, vom Evangelium her und auf das Evangelium hin ist, darum müssen wir, um zu wissen, was Gesetz ist, allererst um das Evangelium wissen und nicht umgekehrt.“24

Eine Überlegenheit oder gar Unabhängigkeit des Evangeliums lässt sich daraus nicht ableiten. Auch das Evangelium kann nicht für sich stehen, sondern ist „nur dann das Evangelium, wenn das Gesetz, das ,zwischenhineingekommene‘ (Röm. 5, 20) in ihm“25 ist. Folglich kann das Evangelium das Gesetz genauso wenig ablösen wie das Gesetz dem Evangelium nicht unabhängig vorangehen kann. Damit distanziert Barth sich von der Möglichkeit einer heilsgeschichtlichen Abfolge von Gesetz im Alten und Evangelium im Neuen Testament. Es gibt eine klassische Aufteilung, nach der das Alte Testament für die Verheißung Gottes steht und das Neue Testament für die Erfüllung, wobei die Verheißung mit dem Gesetz und die Erfüllung mit dem Evangelium identifiziert werden. Barth geht dazu deutlich auf Distanz, indem er zwar die Einteilung ,Verheißung und Erfüllung‘ beibehält, aber Evangelium und Gesetz gemeinsam jeweils beiden zu gleichen Teilen zuordnet. Am Beispiel der Bundeslade illustriert Barth diesen Zusammenhang. Sie ist Verheißung und Erfüllung in einem, wobei die Lade das Evangelium ist, das die Gesetztafeln in sich enthält. Barth spielt in diesem Rahmen alles noch mal durch mit anderen vertrauten Begriffen wie ,das Wort‘ oder ,Gericht und Gnade‘. Evangelium und Gesetz sind beide Gottes Gnadenwort und als solches eins. Zunächst betont er die Einheit des Wortes Gottes in diesen beiden Teilen Evangelium und Gesetz. „Aber größer als ihre Zweiheit und ihr Streit ist ihr Frieden in dem einen Wort dieses Vaters.“26 Sofort unterstreicht er, dass die Einheit des Wortes immer nur von der Gnade aus recht zu verstehen ist. Das Wort Gottes ist nicht nur in seiner bloßen Existenz, sondern auch in seinen Aussagen immer nur Gnade. Wenn es auch nicht immer etwas Positives, Wohltuendes zu sagen hat, ist es „eigentlich und letztlich Gnade“27, d. h. es ist eine Gnade, die „auch Gesetz sein,

23 24 25 26 27

S. Barth, Evangelium, 3. S. ebd., 3. S. ebd., 3. S. ebd., 4. S. ebd., 4.

170 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen die auch Gericht, Tod und Hölle bedeuten kann, aber Gnade und nichts sonst.“28 Die Gnade umschließt das Gericht als einen Teil der Gnade. „Eben weil nun das Evangelium die Gnade zu seinem besonderen direkten Inhalt hat, der dann auch den Inhalt des Gesetzes in sich schließt, erzwingt es sich die Priorität vor dem Gesetz, das doch, eingeschlossen ins Evangelium und relativ zu ihm nicht minder Gottes Wort ist.“29

Das Wort Gottes ist Evangelium und Gesetz, aber es ist zuerst und wichtiger Evangelium, weil es Gnade ist und von Gnade redet. Nun gibt Barth dieser Gnade einen Namen, den Namen Jesus Christus. Von der Gnade sagt er, sie „heißt und ist Jesus Christus“30. Das begründet er damit, dass Gott sich darin als gnädig erweist, dass er als Gott Mensch wird, während er zugleich Gott bleibt. Das geschieht „zu seinem Gottsein hinzu und in sich auf zu unauflöslicher, aber auch unvermischter Einheit mit sich selber“31. Es ist Gnade oder eben Evangelium und keine bereichernde Ergänzung für Gott, wenn er das gefallene Menschsein annimmt. Dies ist das Menschsein im Fleisch, das Menschsein des Menschen, der eigenmächtig vor der Gnade flieht und der daraufhin sterben muss. Er nimmt also das Menschsein an als das „in seiner durch die Sünde verfinsterten und zerstörten Gestalt“32, was heißen soll, in seiner Vergänglichkeit. Es geht Barth um die Erkennbarkeit des Evangeliums in der Fleischwerdung und im Gesetz. Er fährt fort zu erklären: „Gnade heißt, wenn sie offenbar, wenn sie bezeugt und verkündigt wird, Forderung und Anspruch an den Menschen.“33 Hier beschreibt er das Gesetz als die Form des Evangeliums mit Beispielen (10 Gebote) und Synonymen („Reinigung, Heiligung, Erneuerung“34). Das Gesetz ist laut Barth „die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist“35. Mit weiteren Argumenten untermauert Barth die Wichtigkeit des Gesetzes. Es war nicht nur der vorläufige Platzhalter des Alten Testaments, es bleibt auch im Neuen Testament die Form des Evangeliums und der Ort der Erkennbarkeit Gottes. Barth versichert: „Es bricht also der Lobpreis des Gesetzes, wie er der Christusbotschaft des Alten Testamentes eigentümlich ist, wahrlich auch in der des Neuen Testamentes keineswegs ab.“36 Er stellt klar, „daß der Inhalt des Evangeliums auch eine Form hat, das ist nicht nur auch ein Gotteswerk, sondern nun gerade das Gotteswerk, das dem Evangelium Raum gibt in 28 29 30 31 32 33 34 35 36

S. ebd., 4. S. ebd., 5. S. ebd., 5. S. ebd., 6. S. ebd., 5. S. ebd., 11. S. ebd., 11. S. ebd., 11. S. ebd., 12.

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unserem menschlichen Raum und uns Menschen im Raum des Evangeliums. […] Wir würden, obwohl das Gesetz nicht das Evangelium ist, ohne das Gesetz tatsächlich auch das Evangelium nicht haben.“37

Evangelium und Gesetz unterscheiden sich nicht in dem Zeitpunkt der Geschichte, zu dem sie eingeführt werden oder vorkommen. Der Unterschied ist auch nicht die Hierarchie, die das Evangelium über das Gesetz stellt. Es ist nicht die Bindung an Gott, an den beide gebunden sind. Das Gesetz wird hier gerade nicht wie dort abgewertet. Der wirkliche Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium ist, dass Gesetz Form und Evangelium Inhalt oder anders ausgedrückt Gesetz Anspruch und Evangelium Zuspruch ist. Das Gebet ist für Barth die Grundlage der Ethik und die Erfüllung des Gesetzes. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es kein abstraktes und absolutes Gesetz geben kann. Ein Gesetz wird nur dann erhört werden, wenn der Angebetete bekannt und präsent gewesen ist, wenn es also zu einer Beziehung zwischen Beter und Angebetem gekommen ist. Barths unkonventionelles Konzept der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz nimmt trotz der erheblichen Konsequenzen für seine Theologie in der KD wenig Raum ein, gemessen an der Häufigkeit, in der er sich dazu äußert bzw. deren Verwendung an zentralen Stellen wie Überschriften. Darin erweist sich Barth als zu voraussetzungsvoll, indem er bestimmte Dinge nicht in Erinnerung ruft, die er schon dargelegt hat. Andr Demut und Albrecht Peters halten Barths Vorordnung des Evangeliums für zu optimistisch angesichts der menschlichen Trägheit und unterstellen, dass er sie nicht durchgehalten habe.38 Trotz seiner Zweifel bleibt Demut bei der These, dass Evangelium und Gesetz bei Barth eine unauflösliche Einheit bei Vorordnung des Evangeliums bilden.39 Demut untersucht Barths Predigten, die anders als wissenschaftliche Erörterungen nicht explizit und vorrangig das Verhältnis von Evangelium und Gesetz besprechen. Aufgrund der breiten Untersuchung von Predigten aus früherer und späterer Zeit weist er jedoch nach, dass die barthspezifische Evangeliumsdefinition sich durch Barths gesamte Schaffenszeit hindurchzieht. Er markiert zwar eine reformatorische Wende ab 1930 zu weniger gesetzlichen, mehr rein promissionalen Predigten, aber diese Beobachtung ist vor dem Gesamteindruck zu vernachlässigen. Nach Peters Auffassung ist Barth mehrfach inkonsequent, z. B. in der Rede vom Zeugnis der Juden als den vergehenden Menschen verfalle er in das alte Schema zurück:

37 S. ebd., 12. 38 Vgl. Demut, Andr : Evangelium und Gesetz. Eine systematisch-theologische Reflexion zu Karl Barths Predigtwerk. TBT 145. Berlin: 2008. 39 Vgl. ebd., 49 f.

172 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen „dann jedoch macht sich die saugende Kraft des Negativen bemerkbar; der Erwählung korrespondiert die Nicht-Erwählung, das Evangelium droht vom Gericht des Gesetzes verschlungen zu werden. Deshalb arbeitet Barth in einem weiteren Argumentationsgang die indirekte Christuszeugenschaft der Verworfenen heraus“40.

Peters bedenkt nicht, dass das Gericht sich nicht wirklich wiederholt, sondern nur bezeugt wird. Weil Juden und Christen parallel leben und bezeugen, gibt es auch kein Nacheinander der Zeugnisse. Evangelium und Gesetz sind Zuspruch und Anspruch Gottes. Im ersten Gebot findet sich die Verbindung von beiden mit ihrer Zusammengehörigkeit und Vorordnung, aus der die Nachordnung folgt – alles bezogen auf Gott. Paraphrasiert klingt das Gebot folgendermaßen: Mit der Bekanntgabe meines Namens gebe ich dir Zuspruch; du sollst meinem Anspruch entsprechen, indem du keinem anderen Namen dienst. Das erste Gebot ist unbestritten genuin jüdisch und enthält Evangelium und Gesetz. Busch betont, dass das eine Wort, wie es in Barmen_I vorkommt, nichts anderes ist als das erste Gebot.41 4.1.4 Der Immanuel als der Gott des Evangeliums John Webster hat auf die Relevanz des Immanuel bei Barth hingewiesen.42 Die Versöhnungslehre sei die Geschichte des Immanuel und damit Bundesgeschichte. Der Immanuel sei der Name Jesus Christus, und der wiederum sei ,Gott mit uns‘, und umgekehrt seien ,wir mit ihm‘.43 Der biblische Gottesname Immanuel kommt zwar nicht häufig, doch an einem entscheidenden Ort der Argumentation gleich zu Beginn der Versöhnungslehre vor und kann als unverzichtbar und prägend für Barths Theologie angesehen werden.44 Durch die Verwendung des Immanuels unterstreicht Barth sein relationales Verständnis von Evangelium. Barth verwendet auch die Übersetzung ,Gott mit uns‘ als Gottesnamen. Der ,Gott mit uns‘ ist die Zusammenfassung der Evangeliumsdefinition Barths, wobei die Gesetzesdimension nicht explizit vorkommt: „«Versöhnung» meint und bedeutet also: Immanuel! «Gott mit uns!» – nämlich Gott in seinem von ihm geschaffenen Frieden mit uns, aber Gott auch in unserem von ihm geschaffenen Frieden mit ihm.“ (IV/3,2) 40 S. Peters, Gesetz, 120. 41 Vgl. Busch, Eberhard: Karl Barth. Einblicke in seine Theologie. Göttingen: 2008. 28 f. Zu Gesetz und Evangelium schreibt Busch in Einblicke, 81–87. 42 Vgl. Webster, John: Barth. London: 2000. 118 f. 43 S. ebd., 119. 44 Busch findet sogar, dass Barths gesamte Theologie genauer zu bezeichnen sei als Theo-anthropologie und dann noch genauer als Lehre vom Immanuel. Vgl. ebd., 33.

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Es handelt sich beim Immanuel um einen biblischen Namen.45 Barth wählt mit dem ,Gott mit uns‘ ein genuin alttestamentliches Motiv. Der Gemeinschaftsgedanke des Immanuel ist so allgemein, dass sich alttestamentliche Inhalte wie die Bezüge auf den Bund darin wiederfinden können. Gemeint ist der Name, wie er im Jesajabuch vorkommt und im Matthäusevangelium aufgegriffen wird. Der Gedanke, dass Gott sich zum Mitsein mit dem Menschen bekennt, entspricht auch dem Inhalt des Jeremiabundes. Barth hält es für das Alleinstellungsmerkmal des Gottes Israel, dass er nicht für sich Gott sein will: „Gott, der sich als der wahre von allen Abgöttern dadurch unterscheidet, daß er nicht nur in und an und für sich Gott ist, sondern Immanuel, «Gott mit uns»“ (IV/ 2,432). Immanuel ist Mitte und Kern der christlichen Botschaft: „Immanuel ist der Inbegriff der Erkenntnis, in der der Gott Israels sich in allen seinen Taten und Anordnungen offenbar macht: er ist der Gott, der nicht ohne sein Volk, sondern als sein Gott und darum als seine Hoffnung mit ihm ist, wirkt und handelt.“ (IV/1,4)

Am Anfang seiner Versöhnungslehre reflektiert Barth, was die Mitte der christlichen Botschaft sein könnte. Dabei verwendet er wiederholt den Begriff ,Botschaft‘ mit dem Hinweis, dass ,Gott mit uns‘ bzw. dass der Immanuel die Botschaft sei. (IV/1,2 f.) Menschlichkeit Gottes, Bund oder Immanuel sind laut Busch dasselbe, nämlich Jesus Christus: „Wird Jesus »der Immanuel« genannt, so hebt das hervor, daß jene Erkenntnis der »Inbegriff« nicht einer Idee, sondern in einem Namen inbegriffen ist, in dem das »Gott mit uns« für Israel und für alle Völker verkörpert ist.“46

Das Evangelium ist weder eine abstrakte Botschaft noch ein Prinzip, sondern findet in einem Ereignis (IV/1,4 ff.) bzw. in der Person Jesus Christus seine Erfüllung.47 Er zählt eine Reihe relevanter Begriffe auf, die alle nur von ihrem Träger Jesus Christus aus zu verstehen sind und nur von ihm aus gesehen ihre Bedeutung haben, weil er kein Prinzip ist, sondern „als Wirklichkeit gegenwärtig, sein eigener Zeuge“ (IV/1,17). Das ist die Summe: „Er, Jesus Christus, ist Immanuel, der «Gott mit uns»“ (IV/1,18). Im Immanuel bezeugen die Juden Jesus Christus selbst: 45 Laut Pangritz führt die Übersetzbarkeit oder Umschreibbarkeit zu dem falschen Eindruck, es handele sich um ein offenes, systematisches Gotteskonzept, obwohl es konkret und biblisch ist. Vgl. Pangritz, Natürliche Theologie, 99–104. 46 S. Busch, Leidenschaft, 90. 47 Busch paraphrasiert Barth: „Das Heil liegt vielmehr in einer Person, in der, die »hier«, die damals und dort erschienen ist.“ Vgl. Busch, Eberhard: Glaubensheiterkeit: Karl Barth, Erfahrungen und Begegnungen. Erzählt von Eberhard Busch. Neukirchen-Vluyn: 1986. 49. Vgl. auch Busch, Lebenslauf, 514.

174 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen „Sie sind Zeugen des Gottes, der in diesen seinen Taten war, der er war – ist, der er ist – sein wird, der er sein wird, Zeugen des Gottes, der in diesen seinen Taten und also als Gott mit seiner Schöpfung, als Gott mit der Welt, als Gott mit allen Menschen, als «Gott mit uns», als Immanuel war, ist und sein wird.“ (IV/3,660)

Der Immanuel teilt sich von Ewigkeit her selbst mit ohne Bindung an die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen, sondern gebunden an den Menschen selbst.48 Barth vollzieht mit der Betonung der Inkarnation als dem Kristallisationspunkt der göttlichen Zuwendung zum Menschen eine Erweiterung der Definition des Evangeliums, wobei die Konzentration doch, aber nun ganz anders auf Jesus Christus liegt.49 Busch gibt wieder, wie Barth mit der Engführung der Theologie auf die Rechtfertigungslehre gerungen hat.50 Chung geht von einem Paradigmenwechsel bei Barth aus: „In superordering the election of Israel over the justification of the ungodly in a systematically dogmatic way, Barth paved the way for the paradigm shift from the Reformation principle of justification toward Israel’s election.“51

Anstelle der klassischen Evangeliumsbotschaft im Rahmen der theologia crucis setzt Barth eine beziehungsorientierte theologia incarnationis. Die gute Nachricht des Evangeliums verkündigt Gott als ewig präsenten. Durch die Notwendigkeit eines Gegenübers ist das Evangelium an den Bundesbegriff gebunden. Es ist da, wo Gott und jüdisches Gegenüber im Bund sind. Weil Gott ein Gott in Beziehung ist, kann es keine zwei Wege zu Gott geben:52 „Barth geht es nicht bloß darum, daß Juden auch als Mitmenschen zu achten sind, sondern darum, daß ohne die Erkenntnis der Beziehung »Jahve und Israel« nicht unerschütterlich erkannt werden kann, daß der Mensch ohne Mitmensch unmenschlich ist.“53

Der Immanuel ist bei den Geschöpfen gegenwärtig und herrscht über sie, was für sie erkennbar wird, wenn sie im Gnadenbund stehen: „Das Geschöpf hat in ihm nicht irgend einen Begleiter, sondern Gott ist mit ihm. Man kann dieses «Immanuel», dessen Sinn und Spitze freilich erst in der Geschichte des Gnadenbundes sichtbar wird, schon zum Verständnis des allgemeinen Waltens der 48 Vgl. Busch, Leidenschaft, 96 f. 49 So kann Barth Gott zugleich ganz abstrakt den „Gott des Evangeliums“ nennen (35) und dann sagen, zu seiner Geburt komme Jesus Christus zu uns und halte es fest mit uns (84 f.). Vgl. Busch, Glaubensheiterkeit. 50 Vgl. Busch, Einblicke, 96 f. 51 Vgl. Chung, Word in Action, 392. 52 Vgl. Busch, Bogen, 508. 53 S. ebd., 513.

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göttlichen Vorsehung nicht ernst genug nehmen: daß «Gott mit uns» ist – auch schon mit uns Geschöpfen als solchen.“ (III/3,149)

4.1.5 Evangelium und Bund Die Beziehung zwischen Gott und Mensch gestaltet sich im Rahmen des Bundes, so ist es in der Bundesformel ,Gott mit uns‘ angeklungen. Der Bundesschluss folgt auf die göttliche Bereitschaft, mit den Menschen zu sein, und der Bund ist sichtbares Zeichen der Gemeinschaft. Was über das Evangelium zu sagen ist, lässt sich auch mit dem Bundesbegriff ausdrücken. Diesen fand Barth so bedeutend, dass er seine Versöhnungslehre ursprünglich die Lehre vom Bund nennen wollte. Es ist jedoch unmöglich, die Implikationen des Bundes in Kürze zu erfassen. Sie werden hier dennoch angedeutet, weil der Bund das alles verbindende Element ist.54 Der Bund wird vor der Schöpfung beschlossen, und ist ihr innerer Grund. Die Schöpfung wiederum ist der äußere Grund des Bundes. Schöpfung und Bund gehören untrennbar zusammen, denn es gibt keinen Bund ohne die Realisierung mit dem Bundespartner. Die Schöpfung wurde durch den Entschluss zum Bund möglich, und der Bund konnte nach der Schöpfung mit den Geschöpfen geschlossen werden. Sollte der Bund ursprünglich mit allen Menschen geschlossen werden, wurden durch den Sündenfall die Juden zu Bundespartnern Gottes: „Alle Kraft der Wahrheit und Gültigkeit des in diesem Bericht allgemein Gesagten hängt daran, daß es zunächst so ganz im Besonderen, im Blick auf Gott und Israel gesagt ist. In diesem Bund und durch das Mittel dieses Bundes verwirklicht sich nach dem Tenor des ganzen Alten Testamentes der Bund, den Gott in der Person des Adam und dann wieder des Noah mit allem Fleisch auf Erden geschlossen hat.“ (III/1,311)

Barth erklärt, Gott erweitere und öffne den alttestamentlichen Bund für alle Menschen. (IV/1,26) Der Bund oder die Bundesformel, die er damit gleichsetzt, sind die Voraussetzung der Versöhnung. (IV/1,22 ff.) Das Versöhnungsgeschehen findet im Bund statt, in dem Gott der Immanuel ist, der sich in Jesus Christus bindet. Jesus Christus ist Grund und Sinn des Bundes. (IV/ 1,47 f.) Zum Bund gehören nicht nur das Geschehen im jüdischen Menschen Jesus Christus, sondern das Bundesgeschehen im Alten Testament, das im Namen und durch den göttlichen, präexistenten Jesus Christus geschieht. Die Verheißung und Einsetzung des Bundes sind bedeutsam. Barth verwendet die theologischen Begriffe Rechtfertigung und Heiligung, um den Bund zu beschreiben und um zu verdeutlichen, dass die Soteriologie in das Alte Testament gehört. „«Ich will euer Gott sein»: das ist des Menschen Rechtfertigung. 54 Vgl. Busch, Leidenschaft, 57. Vgl. auch die Zusammenfassung von Barths Bundestheologie bei Busch, Einblicke, 60–71.

176 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen «Ihr sollt mein Volk sein»: das ist seine Heiligung.“ (IV/2,565) Christi Inkarnation und Werk, wie sie im Neuen Testament bezeugt sind, sind die sichtbare Offenbarung und Öffnung dieses Bundesgeschehens. (I/2,77 ff.) In der „Einführung in die Evangelische Theologie“55 erfährt der Leser konzise, wie sich bei Barth die Sache mit dem Bund im Blick auf die gesamte Heilsgeschichte verhält und ins rechte Verhältnis setzt. Die Darstellung betont erkennbar, dass Gott mit dem Menschen sein will, während sie weniger hervorhebt, dass er das in Jesus Christus realisiert. „Evangelische Theologie hat es mit dem Immanuel, Gott mit uns! zu tun.“56 Barth nennt Gott immer wieder den Gott des Evangeliums oder den Immanuel und Gottes Geschichte mit dem Menschen die Immanuelsgeschichte. Gottes Absicht, mit dem Menschen zu sein, realisiert er im Wort und teilt er mit im Bund, der nicht selbst das Evangelium ist, sondern Ausdruck oder Werk des Evangeliums. Das Wort Gottes ist das Evangelium, das im Bund Gestalt annimmt.57 Jesus Christus, die Offenbarung und das Wort sind jeweils Synonyme für Evangelium, der Bund und das Kreuz sind deren Gestaltwerdung. Es kann mehrere Werke oder Gestalten geben, aber nur einen Bund und keine von der Bundesgeschichte isolierte neutestamentliche Jesusgeschichte.58 Der eine Immanuel ist Jesus Christus.59 Jesus Christus ist die Offenbarung – egal ob voroder nachösterlich.60 Im Alten Testament findet sich eine Gegenständlichkeit oder Geschichtlichkeit des Bundes, die im Neuen Testament die des Menschen Jesus Christus ist.61 Wenn das Geschehen in Jesus Christus als jüdischem Fleisch und Blut sehr plakativ ist, ist es das im Alten Testament nicht weniger. Dem Bund wird mir der Beschneidung ein äußeres Zeichen gegeben. Das Volk Israel selbst wird zum Zeichen des Bundes: „die Erwählung Israels und damit seine Existenz als Jahves Volk war sicht- und greifbares geschichtliches Ereignis.“ (IV/ 1,470) So wichtig wie die Geschichtlichkeit ist, so wenig zählt der Zeitpunkt, zu dem jemand Anteil am Bund gehabt hat. Baier schreibt:

Vgl. Barth, Karl: Einführung in die Evangelische Theologie. 6. Aufl. (1962). Zürich: 2006. S. ebd., 18. Vgl. ebd., 27. Vgl. ebd., 32 f. Vgl. ebd., 41. Vgl. ebd., 38. Douglas Milne rollt die reformierte Tradition bezüglich der Bundeskonzeption auf. Er zeigt, wie Barth einerseits in die Tradition passt, und wie neu und anders Barths Bundeskonzeption andererseits aufgrund der Bedingungslosigkeit gewesen ist. Vgl. Milne, Douglas J. W.: „A Barthian Stricture on Reformed Theology – The Unconditionality of the Covenant of Grace“. In: The Reformed Theological Review 55 (1996). 121–133. 61 Vgl. zur Bedeutung der Gegenständlichkeit Baier, Unitas, 108–113.

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„Mit dem Begriff der ,Gegenständlichkeit Gottes‘ will Barth einmal sagen, dass Gottes Geschichte vor und unabhängig von der Zeit geschieht, sich nicht in sie hinein auflöst oder mit ihr zusammenfällt“62.

Der Bund ist auch ein hilfreicher Begriff, um die Kontinuität der Zuwendung Gottes auszudrücken. Gottes Mitsein mit dem Menschen ist ein Prozess, zu dem die Bundesgeschichte des Alten Testamentes genauso gehört wie die Vollendung im Neuen Testament. Relevant ist, in irgendeiner Form Anteil zu haben am Bund unabhängig davon, wie weit Gottes Handeln ist, und wie viel der Mensch davon versteht. Ante und post Christum natum sind gleichrangig, weil zu jeder Zeit die Beziehung besteht. Laut Busch sei für Barth das Gebet der „bezeichnende Akt, in dem ein Mensch sich als Bundesgenosse betätigt“63. Demnach erweist sich jeder betende Jude als Bundesgenosse.

4.1.6 Die Offenbarung als ein Geschehen in Jesus Christus Nachdem Kapitel 4.1.2 mehr auf die Gleichrangigkeit von Altem und Neuem Testament als Zeugnis der Offenbarung eingegangen ist, soll nun der Fokus darauf liegen, Offenbarung im Alten Testament genauer zu untersuchen. Barth macht Beispiele, wie das der Aufzählung der Gottesmänner. (I/2,91) Gott kommt als Engel zu Abraham, und er redet durch Mose und die Propheten. (I/ 1,314) Laut Barth redet Jes 61,1 f. vom dreieinigen Gott. Gelegentlich erklärt Barth direkt, Jesus Christus offenbare sich im Alten Testament. Er spielt dann mit Synonymen und sucht Begriffe, die Jesu Gestaltwerdung zum Ausdruck bringen wie die Stiftshütte, die er Jesus Christus nennt.64 Jesus Christus ist nichts anderes als das Wort, von dem im Schma Israel die Rede ist: „Darum endigt die Jesus-Offenbarung mit der Kreuzigung Jesu durch diese Frömmsten ihrer Zeit, die, das Immanuel! täglich auf den Lippen und im Herzen, gerade dieses Immanuel! in seinem nun unbedingt gewordenen Vollzug nicht wollten. Aber eben weil das Immanuel nun, in Jesus, unbedingt vollzogen war, mußte die Kreuzigung Jesu etwas Anderes bedeuten als die Steinigung auch des größten Propheten, nämlich: das Ende der Geschichte Israels als des besonderen Volkes der Offenbarung, den Abbruch des steinernen Hauses als der Wohnung des Namens des Herrn, den freien Ausgang – nicht eines neuen, sondern des einen alten Evangeliums nun zu Juden und Heiden.“ (I/1,337) 62 S. ebd., 113. 63 S. Busch, Einblicke, 86. 64 Vgl. Barth, Karl: „Johannes 1,1–18“. In: ders.: Erklärung des Johannesevangeliums: Vorlesung Münster, Wintersemester 1925/1926, wiederholt in Bonn, Sommersemester 1930. Hg. v. Walther Fürst. Karl Barth Gesamtausgabe II.9. Zürich: 1999. 75 und 116 f. sowie in der KD IV/3,701.

178 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Das Alte Testament bezeugt Gottes Offenbarung im Bundesgeschehen, das sich mit Hilfe des Bundespartners Jesus Christus vollzieht. Gott offenbart sich in Jesus Christus, und das Evangelium des Alten Testaments ist die Gegenwart Jesu Christi im Bund. Barth hat eine immanente Trinitätsvorstellung, in der der Vater zu keiner Zeit ohne den Sohn und den Heiligen Geist gewesen ist. Insofern identifiziert Barth nicht nur Gott Vater oder Schöpfer, sondern den gesamten dreieinigen Gott mit dem Gott Israels. Mangina, der einen Schwerpunkt auf die Untersuchung der Trinität bei Barth gelegt hat, hält diese Identifikation für eines der Vermächtnisse Barths überhaupt: „Barth’s identification of the triune God with the God of Israel, is among his most important legacies for contemporary Christian theology.“65 Die beiden sind nicht nur identisch, es gibt eben Gott nicht außerhalb der Geschichte Gottes als Gott Israels, auch nicht als Sohn oder Geist: „Barth simply finds it impossible to narrate God’s identity apart from that of Israel.“66 Er fasst das folgendermaßen zusammen: „Willing nothing other than to be God with us, God wills us to share in his eternal joy – the joy of the Father’s Yes to the Son in the koinonia of the Spirit.“67 Wie Mangina sieht es auch Goebel, nach dem Barth in seiner Erwählungslehre die immanente Trinität voraussetzt. Er selbst wirbt für eine Stärkung der immanenten Trinitätslehre im Rahmen einer dem Judentum begegnenden Theologie, und er führt dazu an, dass Barth die ökonomische und die immanente Trinitätslehre als zwei Ausprägungen derselben Lehre und eben nicht als Konkurrenz verstanden habe.68 Barth erklärt: „Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ist nach biblischer Gotteserkenntnis in seinem inneren Sein wie in seiner Gegenwart, Aktion und Offenbarung in der Welt und für uns konkret Einer. […] Und der eine Gott, sein eines Werk und Wort heißt – ob das den Menschen in den verschiedenen Zeiten und Räumen bekannt ist oder nicht – Jesus Christus.“ (IV/1,401)

Der eine Gott ist immer Gott als Jesus Christus: „er, der Sohn des Vaters (in der Einheit des Heiligen Geistes) Gottes Angesicht, Gottes Name, Gottes Gestalt, außerhalb derer er nicht Gott ist – er der Anfang und das Ziel aller Wege Gottes: auch in seinem Walten und Tun als Schöpfer und Weltregent […] Gottes Aufteilung in einen Gott in und außer Christus ist nicht durchführbar.“ (IV/ 1,401)

Für die Christozentrik reduziert sich das Wesentliche nicht auf die 30 Jahre Lebenszeit oder die drei Tage bis Ostern. Vielmehr wird die Menschheitsge65 66 67 68

S. Mangina, Witness, 59. S. ebd., 77 f. S. ebd., 193. Vgl. Goebel, Hans Theodor: „Den Namen anrufen – von der Trinität erzählen“. In: EvTh 67 (2007). 50 ff.

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schichte als Geschichte Jesu Christi betrachtet, in der der Gott Israels zu jeder Zeit der Dreieine ist, und Jesus Christus überall die Offenbarung ist: „Die ganze Bibel redet vorbildlich, weissagend von ihm, von Jesus Christus, wenn sie von der Schöpfung, vom Schöpfer und vom Geschöpf redet. […] der ganze Umkreis des Schriftinhaltes und so auch die Wahrheit und Wirklichkeit der Schöpfung der Welt durch Gott nur von dieser Mitte her.“ (III/1,24)

Es gibt hier eine in Christus begründete Einheit: „Weil von Gott aus, in der Epiphanie des Christus als Wirklichkeit erwiesen, diese Möglichkeit seiner Offenbarung besteht, darum kann seine Offenbarung, kann das «heilige Evangelium» in seinem Vollgehalt schon «im Paradeis», «ab initio mundi» verkündigt und geglaubt werden. Man darf dieses «Weil» nur nicht historisch verstehen, als müsse zwischen der Epiphanie, der Urgeschichte, und der von ihr zeugenden Weissagungsgeschichte ein genetischer Zusammenhang bestehen. Nochmals: auch in der Ära post Christum natum ist dieser Zusammenhang ein direkter, nicht der der historischen Nachwirkung und Übermittlung. Es handelt sich nachher wie vorher um eine prinzipielle Begründung bei diesem «Weil». Weil von Gott aus, in Christus verwirklicht, die objektive Möglichkeit seiner Offenbarung besteht, darum glauben und bezeugen die Propheten diesen Gott, rufen sie ihn aus, mitten unter einem verkehrten Geschlecht [vgl. Phil. 2, 15], als den Bundesgott ihres Volkes, der doch der eine Gott aller Völker, der Herr der Welt ist. Er, dieser Gott, hat wirklich «seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun» (Ps. 103, 7). Ein «Israelite ohne Falsch» mußte (Joh. 1, 47 ff.) in Christus nicht eine neue Religion, sondern ohne weiteres den messianischen «König von Israel», seinen Gott wiedererkennen. Der Kyrios-Jahve-Name, mit dem die Gemeinde Jesus ehrte, war keine zufällige Hyperbel, sondern der notwendige Ausdruck der Erkenntnis dieser Einheit.“69

Der Mensch Jesus Christus vollendet das im Alten Testament Offenbarte. Da er schon der Offenbarer des Alten Testaments gewesen ist, ist diese Vollendung keine Überbietung des Gewesenen, sondern eine Vervollständigung in sich. Das Fleisch werdende Wort ist erwartet worden und kann deshalb vollendet werden: „Indem das Wort Fleisch ward: k|cor sumtek_m, vollendet an den Tag bringend, was die Offenbarung im Alten Testament immer erst als Anzeige an den Tag gebracht hatte, mußte es auch werden k|cor sumt]lmym, Aufhebung dieser Offenbarung und ihres schriftlichen Zeugnisses – nicht Widerlegung, nicht Abschaffung, nicht Zerstörung, aber Aufhebung in sich selber, wie eben die Morgendämmerung aufgeht in der Helligkeit der aufgehenden Sonne selber ( Röm. 9, 28): Christus das t]kor des Gesetzes ( Röm. 10, 4).“ (I/1,337) 69 S. Barth, Karl: „Weissagung und Erfüllung“. In: ders.: Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1. Band: Die Lehre vom Worte Gottes, Prolegomena zur christlichen Dogmatik, 1927. Hg. v. Gerhard Sauter. Karl Barth Gesamtausgabe II.14. Zürich: 1982. 327 f.

180 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Neben der Offenbarung, die objektiv für jeden in Jesus Christus geschieht, steht die Offenbarung, die subjektiv im Heiligen Geist vom einzelnen angeeignet wird. Barth spricht von zwei Akten in derselben Offenbarung – illic et tunc und hic et nunc. De iure offenbart er sich für alle in Christus, de facto im Heiligen Geist für einige. Er tut es objektiv und subjektiv. (I/2,260) Das gilt für Juden und Nichtjuden gleichermaßen. Anhand von zwei Beispielen lässt sich illustrieren, wie weit die Erwartung an die Offenbarung Jesu Christi reichen kann. Mark Gignilliats These ist, dass Barth das Jesajabuch wie ein fünftes Evangelium behandelt, weil er hier so viele Parallelen zu den Evangelien zieht.70 Annelore Siller beschäftigt sich im Rahmen einer Arbeit zum prophetischen Amt Jesu Christi bei Barth mit der Frage nach der Gültigkeit alttestamentlicher Offenbarung. Sie unterscheidet zwischen dem einfachen und dem dreifachen Amt. Propheten, Priester und Könige im Alten Testament seien Gesalbte, die als jüdisches Fleisch Gott offenbaren. Diese fleischgewordene Offenbarung sei post Christum natum zuende, aber zugleich sei sie mehr als Geschichte. In ihr sei „die Geschichte Gottes gegenwärtig“71, sie seien weiterhin Zeugnis. Jesus Christus übersteige alles davor Gewesene, weil er alle drei Ämter in sich vereine und dadurch größer sei. Es folgen vier weitere Formen der Erweiterung der Offenbarung in Jesus Christus – erstens die Berufung und Ausübung der Prophetie zugleich, zweitens die Erweiterung des angesprochenen Personenkreises auf alle Menschen, drittens nicht neben dem Zeugnis des Bundes auch dessen Erfüllung, viertens ist Israel Zwischenglied zwischen Gott und Menschen, aber Jesus Christus der wahre Mittler des Bundes. Als Typus haben die Ämter des Alten Testaments nach Sillers Auffassung einen eigenen Wert. Deshalb unterstellt sie weder die Vereinnahmung Israels durch die Kirche noch die Judenmission, über deren Bedeutung bei Barth sie über mehrere Seiten reflektiert. Es wirkt, als ob sie von dem Alten Testament als christologisch relevant, aber nicht christologisch gedeutet spricht. Offenbar meint sie, dass das Alte Testament lediglich Anteil hat an der Offenbarung Gottes.72 Sie und Gignilliat verkennen, dass es nicht der entscheidende Punkt ist, Jesus Christus im Alten Testament zu finden, sondern dass er die Offenbarung ist, von der das Alte Testament zeugt. (I/2,78) Ähnlich argumentiert Capetz, für den die Bibel bei Barth menschliches Zeugnis der Selbstoffenbarung Gottes ist. Gott hat sich entschieden, sich nur in Jesus Christus zu offenbaren. Die Exegese höher zu hängen hieße, die

70 S. Gignilliat, Mark S.: Karl Barth and the Fifth Gospel. Barth’s Theological Exegesis of Isaiah. Barth Studies. Surrey: 2009. 139. 71 S. Siller, Annelore: Kirche für die Welt. Karl Barths Lehre vom prophetischen Amt Jesu Christi in ihrer Bedeutung für das Verhältnis von Kirche und Welt unter den Bedingungen der Moderne. Zürich: 2009. 191. 72 Vgl. ebd., 190–198.

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Dogmatik wichtiger zu nehmen als Gott.73 Barth gehöre zu denen, die mit ihrer christlichen Lesart das Alte Testament zum Zeugnis von Jesus Christus machen wollten. „In continuity with the premodern exegetical tradition, he affirmed that the Old Testament’s real meaning lies in its witness to Jesus Christ as God’s unique self-revelation.“74 Trotzdem habe er historisch-kritisches Arbeiten nicht abgelehnt. Er kommt zu dem Schluss, dass Barths Kompromiss akzeptabel ist, wenn auch wirklich die historisch-kritische Forschung nicht vernachlässigt wird, und wenn dem Judentum seine eigene Sichtweise beizubehalten eingeräumt wird.75 Diese Kritik trifft den entscheidenden Punkt nicht, denn es geht nicht um die Frage der Würdigung der Exegese. Barths Haltung zur Offenbarung Gottes ist zu trennen von seiner Aufgeschlossenheit für die historisch-kritische Forschung und schließt sie nicht aus. Barth liest dennoch das Alte Testament von Christus her, weil es für ihn keine Offenbarung außerhalb dessen gibt. Nur weil Gott trinitarisch ist, kann er sich dem Menschen offenbaren. Für Barth stellt es keinen Widerspruch dar, einerseits der Überzeugung zu sein, dass das Alte Testament vollständige Offenbarung Gottes ist und andererseits dieses von Christus her zu lesen. Die Vollständigkeit wird für ihn nicht durch die Ausführungen der Evangelienbücher hergestellt, sondern durch die Überzeugung, dass Gott als der dreieine sich hier offenbart. Das Evangelium beginnt nicht mit der Inkarnation Jesu Christi, sondern in dem Moment, in dem Gott nicht absolut sein will. So erschließt sich sein ,und das Wort war bei Gott‘. D. h. der Beginn der Offenbarung in Jesus Christus ist nicht identisch mit Jesu Geburt, sondern zu jeder Zeit ist Jesus fleischgewordenes Wort Gottes. Dass Jesus Christus auferweckt wird, ist Teil dieses Evangeliums als eine Konsequenz aus diesem Willen Gottes. Jesus ist nicht nur zu Lebzeiten, sondern davor und danach fleischgewordenes Wort. Jede Offenbarung ist für Barth immer nur die Offenbarung durch dieses eine Wort Gottes, außerhalb dessen es keine Offenbarung gibt. Jesus Christus ist umfassend in Anspruch genommen als Offenbarung und als erwählter Bundespartner. Busch schreibt, Gegenstand der Theologie seien die synonym anzusehenden Begriffe ,Wort‘, ,Offenbarung‘ und ,Jesus Christus‘, genauer die ,Offenbarung des dreieinigen Gottes in der Fleischwerdung des Gotteswortes‘. Er richte nicht etwas aus, sondern offenbare, dass er der die Menschen annehmende Gott ist und der Mensch, der von ihm angenommene Mensch.76 Die trinitarischen Begriffe Vater, Sohn und Heiliger Geist sind gleichzusetzen mit der Übersetzung Offenbarer, Offenbarung und Offenbarsein oder Subjekt, Akt 73 Vgl. Capetz, Paul E.: „The Old Testament as a Witness to Jesus Christ: Historical Criticism and Theological Exegesis of the Bible according to Karl Barth“. In: JR 90 (2010). 481. 74 S. ebd., 477. 75 Vgl. ebd., 500. 76 Vgl. Busch, Leidenschaft, 37.

182 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen und Ziel.77 Eine Offenbarung außerhalb von Jesus Christus gibt es also nicht, ebenso wenig wie ein Offenbarsein ohne den Heiligen Geist. Gott braucht Gott für die Offenbarung. Es gibt die Trinitätslehre, um die Offenbarung erklärbar zu machen, und aus diesem Grund muss sie schon in den Prolegomena behandelt werden, die sich mit der Gotteserkenntnis befassen. (I/2,329) Jesus Christus ermöglicht es Gott, in Beziehung zu treten, weil er wahrer Gott und wahrer Mensch ist, und weil er Gott noch einmal anders ist. Weinrich fasst zusammen: „Gott ist der, der Gestalt annimmt (der Sohn), Gott ist der, der sich uns zur Erkenntnis dieser Gestalt und zur Antwort auf sein Inerscheinungtreten befähigt (der Geist), und er ist zugleich der, der keine Gestalt annimmt (der Vater).“78

4.1.7 Der Name ist Jesus Christus Das Ziel des Kapitels 4.1, das Evangelium als den Gegenstand des alttestamentlichen Zeugnisses nachzuweisen, ist an diesem Punkt schon erreicht. Es gibt jedoch einen noch nicht besprochenen Begriff, der bei Barth häufig vorkommt: der Name. Der Name Gottes steht für ein altes theologisches Konzept, das bei Barth identifiziert wird mit dem Wort, dem Immanuel und mit Jesus Christus. Der Name ist der Eigenname Gottes, der anders als ein Titel oder eine Gattungsbezeichnung Gott eindeutig abgrenzt von anderen Göttern oder Götzen. Diesen Gedanken greift Barth auf, weicht dennoch ab von der gängigen jüdischen Deutung, die den Namen nicht mit Jesus Christus gleichsetzen würde.79 Der Name ist von Anfang an und ungebrochen ein Thema in Barths Theologie gewesen. So hat Barth 1921 über den Namen Gottes gepredigt.80 In der Predigt heißt es, Gott offenbart sich den Geschöpfen in der Geschichte, wobei der entscheidende Akt seine Selbstvorstellung im Dornbusch ist, in der er seinen Namen nennt (Ex 3). Unter diesem Namen bleibt er die Geschichte hindurch bekannt und als derselbe wiedererkennbar. Nach Barth ist die Aufgabe der Theologie schlechthin die Deutung des biblischen Gottesnamens oder „eine möglichst pünktliche Entfaltung der Tragweite dieses ,Namens‘“81. Der Name ist der rote Faden in der Bibel. „Im Namen Jahves läuft Alles zusammen, was er in seinem Verhältnis zu seinem Volk bzw. zu den Frommen ist, und vom Namen Jahves geht irgendwie Alles aus, was das 77 Vgl. ebd., 49. Vgl. bei Barth I/1,310. 78 S. Weinrich, Theologischer Ansatz, 52. Vgl. auch 49–54. 79 Vgl. Miller, Michael T.: The name of God in Jewish Thought. A philosophical analysis of mystical traditions from apocalyptic to Kabbalah. London: 2016. 80 Vgl. Barth, Karl: „Der Name des Herrn, Sprüche 18,10 (1922)“. In: ders.: Predigten 1921–1935. Hg. v. Holger Finze-Michaelsen. Karl Barth Gesamtausgabe I.31. Zürich: 1998. 24–38. 81 S. Busch, Lebenslauf, 395.

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Volk oder was die Frommen in diesem Verhältnis zu ihm stehend von ihm zu erwarten haben.“ (I/1,334)

Immer wenn Barth den Namen erwähnt, will er ausdrücken, dass Gott gegenwärtig ist. Diese Gegenwart ist dabei nichts anderes als die Offenbarung, die Bundesbeziehung oder das Versprechen von Nähe und Gemeinschaft, wie es im Immanuel formuliert ist. Der Name ist Offenbarung: „Denn dieser ,noch einmal ganz anders‘ seiende Jahve, der Name Jahves, ist die Gestalt, in der Jahve Israel angeht, an ihm handelt, ihm offenbar ist. Darum ist der entscheidende Akt der Offenbarung, durch die Israel als Israel erwählt, zum Volk dieses Gottes wird, eben die Offenbarung des Namens Gottes.“ (I/1,335)

Der Name wirkt im Bund bzw. in der Bundesformel: „Im Bunde mit diesem Volk – ,Ich will ihr Gott, sie sollen mein Volk sein‘, Jer. 31, 33 – realisiert sich der Name Gottes: innerhalb des Bundes mit seiner göttlichen Zusage und Beanspruchung, mit seiner im Gesetz niedergelegten Urkunde geschieht ja Alles, was durch den Namen Jahves geschieht.“ (I/1,335)

Die Erkenntnis des Namens führt zur bewussten Teilhabe am Bund: „Erkenntnis des Namens Jahves und insofern Erkenntnis Jahves selber haben und also an seiner Offenbarung teilnehmen, heißt eben Genosse des von ihm gestifteten Bundes sein. Jahve ist so und darin ,anders noch einmal‘ Gott, daß er ein Volk erwählt, zu seinem Volke macht und als sein Volk regiert.“ (I/1,335)

Mit dem Namen wird der Aspekt der Gegenwart Gottes besonders betont. Hintergrund dafür sind die alttestamentlichen Autoren, die mit dem Namen die Gegenwart verbinden, wie z. B. die Einwohnung im Tempel. „Der «Name» Gottes ist eben der heilige Gott selbst, der als solcher in seinem Heiligtum, seinem Volk als Herr gegenwärtig ist, um es und damit sich selbst zu heiligen.“ (IV/2,567) Wo Gott seinen Namen wohnen lässt, da ist er gegenwärtig. Der Name stützt Barths Trinitätslehre von dem dreieinigen Gott, der sich in seiner Trinität erkennbar machen kann. Wenn Offenbarung immer nur in Jesus Christus geschieht, kann der Name nur Jesus Christus selbst sein. Laut Barth offenbare das Neue Testament mit der Gestaltwerdung durch die Existenz Jesus‘ von Nazareth als dem real mit seinen Jüngern wohnenden Namen Jahves viel direkter. Diese Offenbarung ist nicht die erste, aber die eindeutige Enthüllung Gottes. Der Name ist Offenbarung Gottes, die nicht identisch ist mit Gott Vater, wohl aber mit Jesus Christus. Der Name ist eigentlich kein Name, sondern ein personales Wesen. (I/1,335) Der Name kann nicht Jesus von Nazareth sein, aber er kann die Gottheit des Sohnes als präexistentes Wort sein. Der Name manifestiert sich nicht als Mensch, aber schon als das Wort. Der Name Jesus Christus „ist das Erste und sogleich Entscheidende und alles Umfassende, in

184 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen dem die Menschen die Offenbarung begreifen sollen und können.“ (I/2,11) Und er fügt hinzu: „Genau so wie im Alten Testament der Name Jahves die Offenbarung Jahves, das Erste und Letzte zwischen ihm und seinem Volke ist.“ (I/2,11) Busch betont ebenfalls, dass der Name im Alten und im Neuen Testament derselbe ist, und dass der Name insofern die Trinität stützt.82 Es ließe sich fragen, ob der Name wirklich die von Jahve ausgehende Offenbarung ist, oder ob der Name nicht doch auch Jahve selbst ist, weil Barth einerseits Jesus Christus den Namen nennt, und den Namen andererseits mit Jahve gleichsetzt. Die Aussage, Gott offenbare sich im Namen Jahve-Kyrios, ist nicht eindeutig. (I/1,368) Mit Kyrios wird üblicherweise der Herr Jesus Christus bezeichnet, mit Jahve aber der Gott Israels selbst. Sie stehen nur insofern auf einer Ebene, als Luther beide mit dem Herrn übersetzt hat. Barth argumentiert schon in die Richtung einer Identifizierung von Jahve und Kyrios, als sei das, was Jahve im Alten Testament ist, im Neuen Testament Jesus: „Genau an die Stelle – nicht des Jahve auf dem Sinai oder im Himmel, wohl aber des zuletzt in Jerusalem in einem steinernen Haus real wohnenden Namens des Herrn – tritt nun die Existenz des Menschen Jesus von Nazareth.“ (I/1,336)

Dann gibt es eine Äußerung, in der es so wirkt, als setze Barth Jesus Christus gleich mit Gott Vater, dem Gott Abrahams: „Darum geht es ja gerade bei Jesus. Nicht um etwas Neues, sondern um das Uralte und Erste, um den Gott, der ,anders noch einmal‘ Gott und als Gott erkannt sein will: als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott, der in seinem Namen offenbar und in seinem Namen geheiligt sein will.“ (I/1,336)

Bei Barth heißt es, die Trinitätslehre ist nichts anderes als die Erklärung des Namens Jahve-Kyrios, der Altes und Neues Testament verbindet. (I/1,400) Soulen hält den Gott Israels und den Gott der Trinität bei Barth für denselben: „Karl Barth, the father of the modern trinitarian revival […] argue (s) that God’s identity as YHWH, the God of Israel, is not an item that can be treated as peripheral or optional for trinitarian theology […] God’s identity as YHWH is central and indispensable for the whole of trinitarian reflection“.83

Klappert zitiert Barth mehrfach in einem Aufsatz, in dem er den alttestamentlichen Namen Gottes mit der Trinitätslehre verknüpft, und bringt damit indirekt zum Ausdruck, dass er deren Zusammengehörigkeit in Barths Theologie durchaus wahrgenommen hat.84 In einem älteren Artikel behandelt er dieses Thema ausführlicher.85 Er führt Barths Trinitätslehre als Beispiel für die Verknüpfung der Trinitätslehre mit der alttestamentlichen Wurzel an. Er 82 83 84 85

Vgl. Busch, Einblicke, 59. S. Soulen, R. Kendall: „YHWH the Triune God“. In: MoTh 15 (1999). 35. Vgl. insg. 36–41. Vgl. Klappert, Name, 118. 125 f. Vgl. Klappert, Trinitätslehre, 64 f.

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würdigt, dass Barth seine Trinitätslehre aus der Bundes- und Versöhnungsgeschichte entwickelt, kritisiert aber, dass er damit zum einen nicht an den Namen, sondern an den Wohnort, den Tempel, anknüpft („Jesus tritt an die Stelle des Tempels“86), und zum anderen, dass er das Vorkommen des Namens im Neuen Testament ignoriert. Konkret ist die Offenbarung, insofern eine konkrete Beziehung zu konkreten Menschen geschieht. (I/1,343) Es zählt dabei nicht, dass die Beziehung oder Gott richtig verstanden werden, sondern dass diese Beziehung geschieht. (I/1,344) Insofern ist der Name das, was Beziehung herstellen kann, damit Gott kein abstrakter Bundesgott ist. Der Name bekommt im Neuen Testament erneut einen Namen. Die Juden kennen das Evangelium, weil sie Gott in der Namensoffenbarung erkennen, weil sie den Immanuel im Schma Israel anbeten, und weil sie sich als in der Bundesbeziehung stehende verstehen. 4.1.8 Offenbarung setzt Fleischwerdung voraus Immer da, wo sich der Name offenbart, findet Fleischwerdung statt, denn Offenbarung setzt Fleischwerdung voraus. (I/2,48) Die Berücksichtigung der Fleischwerdung bzw. Jesu Christi, des Fleischgewordenen, ist unumgänglich zum rechten Verständnis der Offenbarung: „Er selbst ist das Evangelium. Er selbst ist ja der Beschluß und die Ausführung des wesentlichen Willens, in welchem Gott sich selbst uns schenken wollte. Das ist die Gnade Gottes – des Gottes, an den wir glauben dürfen: daß in Jesus Christus das ewige Wort Fleisch ward.“ (II/2,619)

Barth verwendet vorzugsweise diesen Begriff und benennt die Fleischwerdung schon in einer der ersten Überschriften in den Prolegomena. Die Inkarnation betont das Geborensein, die Menschwerdung und das Menschsein Jesu, die Fleischwerdung jedoch verweist darauf, dass der fleischwerdende Jesus schon zuvor ein Mensch und ein Jude gewesen ist, und dass hier zuvor etwas oder jemand, z. B. ein Mensch, schon da gewesen ist, der nun geschichtlich-konkretsichtbar geworden ist. Die Verwendung des Begriffes Fleischwerdung steht vor den anderen zur Soteriologie gehörenden Begriffen wie Versöhnung, Rechtfertigung, Stellvertretung und Sühne. Die Fleischwerdung betont mehr als die anderen die Gegenwart Gottes. Fleischwerdung ist mehr als Jesus von Nazareth zu werden. Es heißt, zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte konkret, erkennbar und gegenwärtig werden. (I/2,167) Das Heil Gottes für den Menschen liegt in der Gegenwart Gottes, weshalb Offenbarung und Versöhnung zusammengehören. (I/ 1,430) Das drückt der Begriff ,Fleischwerdung‘ besonders gut aus. Jesus Christus ist für einen begrenzten Zeitraum Mensch gewesen. Die Rede vom Fleisch betont diese Menschlichkeit, weil das Fleisch etwas Physisches ist. 86 S. ebd., 64.

186 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Es ist deshalb erklärungsbedürftig, warum in einer Christologie, die viel Wert legt auf die Präexistenz, der Fleischwerdung einen hohen Stellenwert beigemessen wird, weil der Begriff nahelegt, dass etwas da ist, bevor es physisch erkennbar ist. Gott kann nur in Jesus Christus, und dieser wiederum nur aufgrund seiner Fleischwerdung, erkannt werden: „Er ist Gott im Fleische: ihm gegenüber alle von Menschen entworfenen und gestalteten Abgötter als solche schon dadurch gekennzeichnet, daß sie eben nicht Gott im Fleische, sondern die Produkte menschlicher Phantasien über eine nackte Gottheit, k|coi %saqjoi sind.“ (IV/2,111)

Der Logos asarkos ist Barth ebenso fern wie der deus absconditus gegenüber dem deus revelatus.87 Es gibt keinen abstrakten Sohn Gottes an sich, keinen Logos asarkos, sondern nur den konkreten fleischgewordenen. (IV/2,54 f.) Die Fleischwerdung ist nicht identisch mit der Geburt Jesu, sondern mit der Wortwerdung. Es gab eine Zeit, in der das Wort nicht Fleisch war, aber es war nie von der Fleischwerdung isolierter logos asarkos. Es war von Anfang an der Logos ensarkos, und damit war es konkret. Im Alten Testament, der Zeit der Erwartung der Fleischwerdung, ist Jesus Christus „als Logos incarnandus bei den Vätern“ (I/1,181). Der Fleischwerdung geht voraus, dass es vor der Fleischwerdung das sich im Begriff der Inkarnation befindliche Wort gegeben hat. Wenn es Offenbarung nur in der Fleischwerdung Jesu Christi gibt bzw. im Osterereignis, ist sie dennoch in der gesamten Heiligen Schrift präsent.88 Aus dem Vorangegangenen folgt, dass das Judentum nicht zu den Lichtern in Barths so genannter Lichterlehre gehört, wie von einigen Theologen angenommen wird. Die Lichterlehre ist zu komplex, um sie an dieser Stelle angemessen zu besprechen. In ihr geht es auch darum, dass Jesus Christus das eine Wort Gottes ist, und so heißt es in Anspielung auf Barmen_I, „daß Jesus Christus das eine, einzige Wort Gottes, daß er allein Gottes Licht, Gottes Offenbarung ist“ (IV/3,108) trotz aller anderen zugestandenen Lichter. (IV/ 3,113 f.) Er setzt Barmen_I mit dem ersten Gebot gleich, will also sagen, dass im ersten Gebot dasselbe gemeint ist wie in Barmen_I. Das Wort ist: „Wort, Offenbarung, Kerygma“ (IV/3,118). Es sagt uns, es „werde und sei für uns (pro nobis), für dich und mich (pro te et me) gelebt, es sei in diesem Leben Gott mit uns (Immanuel, Dominus nobiscum), mit Jedem von uns.“ (IV/3,118) Die Geschichte Israels ist die „Geschichte des Wortes Gottes im Fleisch“ (IV/3,58). Einige Theologen verstehen die Lichterlehre als eine späte Öffnung Barths für die natürliche Theologie. Für Novak ist Barths Lichterlehre Grundlage für den Dialog. 87 Vgl. Jüngel, Eberhard: „…keine Menschenlosigkeit Gottes … Zur Theologie Karl Barths zwischen Theismus und Atheismus“. In: ders.: Barth-Studien. ÖTh 9. Zürich: 1982. 338. 88 Vgl. in diesem Absatz Busch, Leidenschaft, 75 ff.

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„We have seen that Barth’s discussions of the cardinal sins strongly suggest that he, too, had to accept certain basic normative preconditions for revelation, even though he opposed natural theology and natural law, at least in its usual Thomistic or secularist versions.“89

Novak erklärt, hätte Barth mehr Philosophie zugelassen, hätte er mehr natürliche Theologie betrieben.90 Er will nachweisen, dass Barth andere Quellen der Offenbarung kannte als Jesus Christus, und daran ist bemerkenswert, dass er als Jude Barth in diesem Punkt verteidigt. Laut Pangritz war die Lichterlehre eine gemeinsame Erfindung Barths und Thurneysens schon von spätestens 1917.91 Sie war also keine späte Erfindung, die die Erwählungslehre korrigiert hat, sondern ging der Dogmatik voraus. Die Lichterlehre ist jedoch kein Widerspruch zu Barths Offenbarungslehre und keine Öffnung für die natürliche Theologie, weil Barth auch hier klarstellt, dass Offenbarung allein in Jesus Christus geschieht. Link erklärt, es gibt in der Lichterlehre keine natürliche Theologie, sondern nur „Helligkeiten rein immanenter Art“92. Überzeugend wäre dieser Verweis nur dann, wenn ein separater Bund oder eine jenseits von Christus geschehende Offenbarung gegenüber einem Menschen behauptet würde. Zweck der Lichterlehre ist es – wie schon im Falle der Apokatastasis – eher, Gott nicht prinzipiell auf eine dogmatische Struktur festzulegen, sondern ihm zuzugestehen, in seiner Freiheit anders zu sein, als der Mensch es erwartet. Die Lichterlehre darf nicht dazu instrumentalisiert werden, Barth gegen Barth auszuspielen. Der Versuch, Barth eine Öffnung zur natürlichen Theologie nachzuweisen, entspricht der Suche nach einer Öffnung bei Barth für etwas neben Jesus Christus in der Annahme, dass Christus zwischen Christen und anderen steht. Das entspricht schon von der Grundannahme nicht der Herangehensweise bei Barth, der in Christus eine Verbindung und keine Trennung zwischen Menschen bzw. zwischen Gott und Mensch gesehen hat. Die Lichterlehre wird insofern überbewertet, während die Christologie missverstanden wird. Gerade in ihr liegt die Wurzel der Dialogbereitschaft.

4.1.9 Kapitelschluss Die Schriften des Alten Testamentes bezeugen Gottes Evangelium in Jesus Christus: dass der Immanuel – oder der Name – sich an das jüdische Volk gebunden hat und sich in diesem und durch dieses Volk offenbart. Barth verwendet ,Jesus Christus‘, ,Immanuel‘ und den ,Namen Gottes‘ synonym. Die 89 S. Novak, David: „Before Revelation: The Rabbies, Paul, and Karl Barth“. In: JR 71 (1991). 62. 90 Vgl. Novak, David: „Karl Barth on Divine Command. A Jewish Response“. In: SJTh 54 (2001). 463–483. 91 Vgl. Pangritz, Natürliche Theologie, 104. 92 S. Link, Calvin, 35.

188 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Juden selbst nehmen Anteil an dieser Offenbarung als Wort Gottes im Fleische. Letzteres wird hier nur angedeutet und mit der Frage nach der Relevanz und Funktion jüdischer leiblicher Existenz in Kapitel 4.3 erneut aufgegriffen. Dieses Unterkapitel ist vielleicht das wichtigste der gesamten Arbeit, weil es aus der Perspektive der Fragestellung wesentliche Grundbegriffe bei Barth – Offenbarung, Trinität, Gottesnamen, Heilige Schrift – behandelt und damit Barths eigenwillige christologisch motivierte Abweisung der Judenmission in einem größeren Zusammenhang verständlich macht. In der Erwählungslehre war es für Barth erforderlich gewesen, Juden und Christen als Gegenüber darzustellen, um den Juden eine bleibende Rolle in der Heilsgeschichte zuweisen zu können. In diesem Kapitel war es möglich, anhand von Barth selbst diesen Eindruck zu korrigieren. Kraus fragt mit Blick auf die Erwählungslehre kritisch, „ob »Israel und die Juden« sich derart dogmatisch und gestalttypisch festlegen und in die Schablone von »Darstellungstypen« einordnen lassen.“93 In Bezug auf die Erwählungslehre mag seine Anfrage berechtigt sein, doch auf die gesamte Theologie gesehen erweist sie sich als unbegründet, weil sich die Gegenüberstellung dort relativiert. Diese schematische Behandlung war wichtig für das Anliegen der Erwählungslehre, dass beide, Israel und Kirche, als letztendlich zusammengehörig zeigen wollte. Das Kapitel hat nachgewiesen, dass eine christologische Perspektive zwar gewiss fern von jüdischem Denken sein wird, aber diesem dennoch nicht distanziert gegenüberstehen muss. Der jüdische Theologe Michael Wyschogrod beklagt, dass christliche Theologen kein Gespür dafür haben, wie wichtig einem Juden die Ablehnung der Göttlichkeit Jesu Christi ist, wobei die Lehre von der Inkarnation Jesu Christi für ihn noch ferner liegt als die Trinitätslehre im Allgemeinen.94 Anhand einer Darstellung der jüdischen Inkarnationsvorstellung, die es seiner Auffassung nach durchaus gibt, zeigt er die Unterschiede auf zur christlichen. Aus jüdischer Sicht versteht sich die Inkarnation eher als Vergegenwärtigung Gottes, die sich auf Räume wie die Stiftshütte, den Tempel oder das Heilige Land bezieht. Der Unterschied zum Christlichen ist für ihn, dass Christen so weit gehen, den menschlichen Körper als Ort der Inkarnation zu verstehen. Hier wird sichtbar, wie nah beieinander Nähe und Distanz liegen können. Barth setzt den jüdischen, menschlichen Messias gleich mit dem göttlichen Christus, sieht in ihm den jüdischen Gottessohn und göttlichen Offenbarer und Vollender des Bundes und könnte in dieser Weise einerseits nicht entfernter sein vom jüdischen Denken. Andererseits zeigt sich die große Nähe Barths zum jüdischen Denken, weil er mehr als andere die göttliche Gegenwart, die „Schekhina“95 Gottes, im jüdischen Volk gesehen und anerkannt hat. Gottes Gegenwart im Volk und in dessen 93 S. Kraus, Rückkehr, 283. 94 Vgl. Wyschogrod, Michael: „Inkarnation aus jüdischer Sicht“. In: EvTh 55 (1995). 13–28. 95 S. ebd., 27.

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religiösen Orten und Räumen als Quelle jüdischer Offenbarung hebt Barth besonders hervor. Dabei zeigt er wenig Sensibilität in der Frage nach dem Messias, der aus jüdischer Sicht nicht automatisch göttlich ist, für Barth jedoch schon. Das Ziel ist aber jeweils dasselbe, nämlich die Offenbarung. Gott kann sich nach christlichem Verständnis verlässlich nur in der Inkarnation zeigen, weil Gott durch Gott erkannt wird. Nach Wyschogrod ist das undenkbar, weil nur Gott göttlich sein darf. Während für Barth die Inkarnation wesentlich beiträgt zu seiner Auffassung, dass Juden alles vom Evangelium verstanden haben (ihr Messias ist der inkarnierte Gott, weil Gott in der Inkarnation seinen ewigen Bund mit dem Volk Israel bestätigt), ist für Juden genau diese Vorstellung der größte Bruch im Verhältnis zum Christentum. Barth setzt Jesus Christus gerne mit der Stiftshütte oder dem Tempel gleich, und bringt dadurch zum Ausdruck, dass da, wo Juden die Stiftshütte als Gegenwart Gottes verstehen, er Jesus Christus in ebensolcher Weise als Gottes Gegenwart verstehen kann. Wyschogrods Sätze klingen wie die von Barth, sind nur eben ganz anders gemeint: „Die Kirche erkannte Gott in diesem jüdischen Fleisch. Vielleicht war das deshalb möglich, weil Gott in allem jüdischen Fleisch ist, weil es das Fleisch des Bundes ist, das Fleisch des Volkes, mit dem Gott selbst sich verbunden hat, unter dessen Namen er in der Welt bekannt ist als der Gott Israels.“96

Auch der jüdische Theologe Novak vertritt die Auffassung, dass Barths Offenbarungstheologie eine Nähe zu jüdischem Denken aufweist. Laut Novak war Barth trotz seiner Unkenntnis des nachbiblischen Judentums näher dran an jüdischem Denken und dem Verständnis von Paulus als andere im Dialog engagierte christliche Theologen.97

4.2 Der Antisemitismus als die spezifisch christliche Sünde 4.2.1 Einleitung Diese Arbeit hat es vermieden, näher zu bestimmen, wie häufig Barth Kontakte zu welchen Juden hatte, und welche jüdischen Autoren er gelesen und zitiert hat.98 Zweifellos bestanden zahlreiche Kontakte.99 Der tatsächliche 96 S. ebd., 26. 97 Vgl. Novak, Revelation. 98 Diesen Weg geht Manuel Goldmann. Vgl. Goldmann, Manuel: »Die große ökumenische Frage…«. Zur Strukturverschiedenheit christlicher und jüdischer Tradition mit ihrer Relevanz für die Begegnung der Kirche mit Israel. NBST 22. Neukirchen-Vluyn: 1997. Goldmann führt in größerem Umfang aus, welche Kontakte es zwischen Barth und jüdischen Zeitgenossen gegeben hat. 110–124. Goldmann ist der erste, der die häufig gelesene Forderung nach mehr Kontakten und mehr Kenntnis des Judentums einmal durchgespielt hat, um zu ergründen, was aus Barths

190 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Einfluss jüdischer Lehre auf Barths Theologie lässt sich jedoch nur schwer ermitteln. Wenn er relativ selten jüdische Autoren bespricht, kann das auch als Zustimmung zu deren Theologie verstanden werden. An Barths häufiger Nennung der Nationalsozialisten z. B. zeigt sich, dass er gerade dann zitiert Dogmatik geworden wäre, hätte er es selbst getan. Laut Goldmann besteht Barths Leistung darin, „daß er als erster in der neueren Theologiegeschichte die grundlegende theologische Bedeutung Israels (unter Einschluß des Judentums nach Christus) in einem dogmatischen Gesamtentwurf systematisch zur Geltung zu bringen versucht hat“. 5. Aber Überheblichkeit, Klischeedenken und Vereinnahmung charakterisierten seine Lehre, was er auf seine grobe Unkenntnis des Judentums zurückführt. 1–12. Goldmann stellt daraufhin grundlegende jüdische Glaubensinhalte vor, um zu zeigen, wie sie sich von den christlichen unterscheiden, und dass Israel deshalb nicht ohne weiteres und schon gar nicht mit christologischer Brille in die Dogmatik integriert werden darf, wie es bei Barth geschieht. Es stellt sich die Frage, warum Goldmann, der selbst kein Jude ist, die jüdische Position erklären können sollte, und ob das nicht die viel gröbere Anmaßung ist gegenüber Barths zurückhaltenderem Versuch, das Judentum aus christlicher Sicht zu deuten und sich zu ihm ins Verhältnis zu setzen. Die Judenmission wird von Goldmann jedoch nicht behandelt, er beschäftigt sich überwiegend mit den frühen Schriften und mit §34, denn es geht ihm darum darzustellen, wohin es führt, Israel aus christologischer Perspektive zu betrachten. 23–127. Goldmann wählt mit seinem religionswissenschaftlichen Vergleich einen ganz neuen Ansatz und lässt jüdische Theologie in die christliche Dogmatik einfließen. In seinem Fazit tritt dieses Vorhaben hinter die ausführliche Barthkritik zurück. 375–399. 99 Vgl. Busch, Einblicke, 15: Er lernt Franz Rosenzweig kennen. Vgl. Busch, Barth und die Juden, 452: Er hatte Kontakt mit Emil Bernhard Cohn. Vgl. Busch, Lebenslauf: Martin Buber ist Barth und Eduard Thurneysen gegenüber wohlgesinnt. 157 und 285. Ebenso hatte Barth Kontakt zu Adorno. 440. Barth hat Herrmann Cohen gelesen. 68. 81. Vgl. Busch, Bogen, 144: Er ist HansJoachim Schoeps in einem Kreis von Juden und Christen in Berlin begegnet. 1944 sucht der Rabbiner Zwi Taubes Barth mit der Bitte um Hilfe auf, weil er für ihn „der prominente Schweizer Fürsprecher für die Juden“ ist. S. Busch, Bogen, 515. Im Winter 1943/44 setzt Barth sich intensiv mit Martin Buber auseinander. Vgl. ebd., 511 ff. Barth wurde aber auch von Juden angeschrieben, denen es weniger um den theologischen Austausch ging, sondern die in ihm einen integeren Fürsprecher für das Judentum in dunklen Zeiten sahen. Das ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass Barth bekannt war für seine pröjüdische Haltung. Vgl. Koch, Werner: „Karl Barths erste Auseinandersetzungen mit dem Dritten Reich (mit besonderer Erlaubnis der Nachlaßkommission dargestellt an Hand seiner Briefe 1933–1935)“. In: Baudis, Andreas et al. (Hg.): Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Helmut Gollwitzer zum 70. Geburtstag. München: 1979. 509 ff. Ein Briefwechsel mit Geis zeigt, wie einfühlsam Barth schreiben konnte, und wie gut sein Ruf unter den damaligen Juden gewesen sein muss. Vgl. Goldschmidt, Dietrich (Hg.): Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906–1972. Briefe, Reden, Aufsätze. In Zusammenarbeit mit Ingrid Ueberschär. München: 1984. 103–107. Geis, der Gollwitzer für seine Befürwortung der Judenmission scharf kritisiert, verteidigt Barth in einer Purimbetrachtung als „bedeutendsten christlichen Theologen der Neuzeit“ (243) und in einem Brief an Ehrlich zum Thema Judenmission, was einer impliziten Anerkennung von Barths Ablehnung der Judenmission entspricht. Vgl. ebd., 242–247 und 262 f. Ein langjähriger Briefwechsel mit Hans-Joachim Schoeps zeigt Barths Bereitschaft zur theologischen Auseinandersetzung mit einem Juden und führte schließlich dahin, dass Barth Schoeps zu einer Professorenstelle verhelfen konnte. Vgl. Lease, Gary: „Der Briefwechsel zwischen Karl Barth und HansJoachim Schoeps (1929–1946)“. In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1991. Im Auftrag des »Salomon Ludwig Steinheim-Institutes für deutsch-jüdische Geschichte«. Hg. von Julius H. Schoeps in Verbindung mit Arno Herzig und Hans Otto Horch. München: 1991. 105–137.

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oder referiert hat, wenn er mit einem Sachverhalt oder mit einer Meinung nicht einverstanden gewesen ist. Barth hat bedauert, nicht mehr Kontakte zu Juden gehabt zu haben, wobei er damit kein theologisches Defizit eingeräumt hat, weil er mit der Verbesserung des Verhältnisses der Christen zu den Juden allein in „einem besseren Hören auf die Heilige Schrift“100 gerechnet hat. Die Frage nach Barths Kontakt zu Juden gehört nicht in die Argumentation dieser Arbeit, wurde aber an dieser Stelle erwähnt, weil der Kontakt in der Sekundärliteratur zu einem Aspekt in der Frage nach Barths Haltung zur Judenmission gemacht worden ist. Es gibt Positionen, die Barth des Antisemitismus bezichtigen.101 Davon behauptet die Mehrheit, Barth sei zumindest ambivalent gewesen.102 Die einen sagen, er habe sich Israel zuwenden wollen, habe aber de facto das Gegenteil getan.103 Die anderen sind überzeugt, er habe sich in die eine oder andere Richtung entwickelt, so dass er entweder zunehmend pro- oder antijüdisch geworden sei.104 Grundsätzlich halten nur sehr wenige Barth für antisemitisch. 100 S. Busch, Bogen, 154. 101 S. Goldhagen, Daniel Jonah: Hitler’s Willing Executioners. Ordinary Germans and the Holocaust. 4. Aufl. New York: 1996. 113: „Karl Barth, the great theologian, leader of the Protestant Confessing Church, and bitter opponent of Nazism, was also an antisemite“. 102 Wyshgorod (hierbei handelt es sich um dieselbe Person, die in anderen Schriften Wyschogrod heißt) hält Barth für jemand, der in zweifacher Weise antisemitisch sei. Den einen nennt er „den traditionellen Antisemitismus des europäischen Christentums“ (233), den anderen den der christlichen Theologie. Dabei beruft er sich auf Barths Äußerungen zur Synagoge. (232 f.) Allerdings sei Barth ambivalent gewesen. Denn ebenso ist Barth für den jüdischen Theologen Wyshgorod derjenige, der aus der Masse christlicher Theologen heraussticht als Israel zugewandt. Über Barths Warnung vor einer antisemitischen oder asemitischen Kirche schreibt er: „Es mag eine Übertreibung sein, zu behaupten, daß Ausführungen wie diese in den Schriften keines anderen zeitgenössischen Theologen gefunden werden können. Aber wenn sie existieren, können sie nicht so leicht aufgefunden werden und sind wahrscheinlich in jedem Fall nicht so klar wie die von Barth.“ (232) Wyshgorod, Michael: „Warum war und ist Karl Barths Theologie für einen jüdischen Theologen von Interesse?“. In: EvTh 34 (1974). 232 f. 103 Dieter Kraft hält Barth für einen der Wegbereiter des Philosemitismus in der Nachkriegszeit (59) und aufgrund seiner Theologie für einen Philosemiten (60). Zugleich wirft er ihm vor, Beförderer des Antisemitismus gewesen zu sein aufgrund vor allem seiner späten Schriften: „Man wird Barth hier kaum den Vorwurf ersparen können, gegen seinen Willen mit seiner Interpretation des Antisemitismus mehr zu dessen Verewigung beigetragen zu haben als zu seiner Überwindung.“ S. Kraft, Dieter: „Israel in der Theologie Karl Barths“. In: Communio Viatorum 27 (1984). 70. Knut Berner erkennt bei Barth einen in seinem Denken und in seiner Sprache verwurzelten faktischen, aber von diesem nicht intendierten Antisemitismus: „Das Böse zeigt sich nicht erst im Antisemitismus, sondern in dem ihm zugrundeliegenden antithetischen Schematismus, der bis heute wirkmächtig tradiert wird und ein Signum des SichEntziehens des Bösen darstellt. Barth hat als dezidierter Gegner des Antisemitismus Denkmittel bereitgestellt, diesen Anschein von Normalität zu dekonstruieren. Die Gemeinheit des Bösen manifestiert sich jedoch darin, dass er zur Brandmarkung des Antisemitismus eben die Denkfigur bemüht, die auch für diesen charakteristisch ist.“ S. Berner, Knut: Theorie des Bösen. Zur Hermeneutik destruktiver Verknüpfungen. Neukirchen-Vluyn: 2004. 206. 104 Jansen erklärt, Barths Dogmatik sei immer antisemitischer geworden, trotzdem er in der Wahrnehmung als zunehmend philosemitisch gegolten habe. Vgl. Jansen, Hans: „Anti-Semi-

192 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen An diesem Punkt der Argumentation geht es vielmehr um Barths theologische Deutung des Antisemitismus.105 Wenn im Folgenden über den Antisemitismus geschrieben wird, geht es nicht darum, nachzuweisen, dass Barth kein Antisemit gewesen ist, weil dieses ohnehin vorausgesetzt wird, zumindest was die Fremdzuschreibung betrifft. Barth selbst hätte sich als Antisemit bezeichnet, weil er den Menschen per se für einen Antisemiten gehalten hat, wie im Folgenden deutlich werden wird. Barth hat erlebt, dass die Kirche es versäumt hat, den Antisemitismus zu ihrem eigenen Problem zu machen. Sie hatte dem Antisemitismus der Nationalsozialisten nichts entgegenzusetzen. Barth trifft die Entscheidung, den Antisemitismus im Rahmen der KD zu behandeln und ihn als spezifisch christliche Sünde in die evangelische Lehre aufzunehmen. Weil Barth einen eigenen Zugang zum Antisemitismus genommen hat, soll dieser hier in einem eigenen Kapitel besprochen werden. Es soll zum einen gezeigt werden, dass und wie Barth den Antisemitismus in den ersten drei Bänden der KD als ein theologisches Thema aufgegriffen hat. Barth hat sich, wie sich zeigen wird, in kürzeren Veröffentlichungen regelmäßig und mit zunehmender Vehemenz dieses Themas angenommen. Keiner der großen Barthforscher hat Barth für einen Antisemiten gehalten, aber auch keiner von ihnen hat Barths theologische Deutung des Antisemitismus untersucht.106 Exemplarisch sei verwiesen auf Sonderegger, die sich eingehend mit Barths Position zu Israel beschäftigt hat und dennoch seiner Definition des Antisemitismus nicht folgen kann, sondern ihn an ihren eigenen Maßstäben misst und ihn daraufhin als antijudaistisch, wenngleich nicht antisemitisch charakterisiert. Sonderegger zitiert Barths Äußerungen zu seinen Aversionen gegenüber Juden gleich zu Beginn. Barth habe wenige Kontakte zum Judentum gehabt und sei von Aversionen Juden gegenüber geplagt gewesen. Er sei Antijudaist gewesen, der die Existenz der Synagoge faktisch nicht ertragen habe: „Barth’s harsh and unreconciled criticism of the Synagoge, then, does not reflect the scholar’s rejection of Judaic systematic thought. Rather, Barth reveals in his own magisterial way the Christian obsession with Judaism, marked, as all obsessions are,

tism in the Amiable Guise of Theological Philo-Semitism in Karl Barth’s Israel Theology before and after Auschwitz“. In: Bauer, Yehuda et al. (Hg.): Remembering for the Future. Working Papers and Addenda. Volume I Jews and Christians During and After the Holocaust. Oxford: 1989. 72–79. 105 Für eine interessante, aber nur knappe Besprechung der Relevanz von Barths Antisemitismusdeutung vgl. Gorringe, Timothy: Karl Barth. Against hegemony. Oxford: 1999. 147–160 und 190–196. Timothy Gorringe hält Barth nicht nur für einen Gegner des Antisemitismus, sondern er unterstellt ihm wohl zu Recht, seine Erwählungslehre sei der Versuch, dem Antisemitismus des Nationalsozialismus beizukommen. 106 Vgl. den Forschungsstand in 1.2. Eine Ausnahme bildet die Darstellung von Barths Antisemitismusbegriff bei Busch. Vgl. Busch, Bogen, 288–294.

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by the controlling ambivalence of deep hostility and deep, unshakeable attachment. It would be a lifelong affair.“107

Sonderegger nimmt Barths theologische Deutung des Antisemitismus innerhalb seiner Dogmatik wahr und unterstellt ihm trotzdem, er habe einen völkischen und dogmatischen Antisemitismus: „Though Barth offers no comfort to racial hatred, he allows a form of volkist and dogmatic anti-Judaism full expression.“108 Doch das wird nicht überzeugend belegt. Kapitel 3.2 hat sich abschließend mit spezifisch jüdischer Sünde beschäftigt. Alles, was Barth zum Anspruch Gottes an die Juden zu sagen hat, ist damit formuliert, weil er in keinem anderen Zusammenhang in einer anderen Weise über die jüdische Sünde schreibt. Kapitel 4.2 widmet sich zur Ergänzung verstärkt dem von Christen verfehlten Anspruch Gottes bzw. der christlichen Sünde. Der Antisemitismus war nach Barths Auffassung eine Form der spezifisch christlichen Sünde, die jedoch in der Erwählungslehre nicht ihren theologischen Ort hatte. Laut Barth ist der Antisemitismus eines der Phänomene, mit dem sich unter den Christen die Verfehlung des Anspruchs Gottes ausdrückt. Für Barth ist der Antisemitismus – wie sich im Folgenden zeigen soll – eine wissenschaftlich zu behandelnde, irrationale und zugleich grundsätzlich menschliche Form der Sünde.109 Es ist die Sünde, die im Besonderen unter Christen zu finden ist. Aus diesem Grund unternimmt Barth in seiner Dogmatik eine ausführliche Besprechung des Antisemitismus. Gemeint ist hier nicht der so genannte Antijudaismus, d. h. die Judenfeindschaft im Rahmen der Theologie, sondern die Judenfeindschaft im Allgemeinen, die Barth theologisch interpretiert. Üblicherweise wird der Antisemitismus als ein soziologischer Begriff verstanden und findet eher Aufnahme in eine kirchliche Denkschrift als in ein theologisches Lehrwerk.110 107 S. Sonderegger, That Jesus, 3. 108 S. ebd., 146. 109 Mit dieser Definition unterscheidet sich Barth – abgesehen von der Behauptung der Irrationalität – erheblich von den üblichen soziologischen Definitionen. Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz bezeichnet den Antisemitismus als „Oberbegriff für jede Art von Judenfeindschaft, […] pseudowissenschaftlich und nicht religiös, sondern mit Rasseneigenschaften und -merkmalen argumentierende Form des antijüdischen Vorbehalts“. S. Benz, Wolfgang: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments. Schwalbach: 20162. 14. Die aktuelle Studie von Schwarz-Friesel definiert weder den Antisemitismus noch die Juden, sondern beginnt unmittelbar mit der Rede von der Judenfeindschaft (1) und erforscht die Auswirkungen des Phänomens empirisch. Vgl. Schwarz-Friesel, Judenfeindschaft. Zu der Zeit, als der Begriff entstand, galt er als wissenschaftlich fundierte Weltanschauung. Vgl. Bergmann, Werner: Geschichte des Antisemitismus. 3., durchgesehene Aufl. (2002). München: 2006. 6. Ich benutze die Definition von de Lange und Thoma: „Er ist eine pauschale Feindschaft gegen Juden als solche, insofern sie Juden sind.“ S. Lange, Nicholas R. M. de/Thoma, Clemens: „Antisemitismus“. In: TRE 3. 1978. 113–119.114. Diese Definition ist sehr offen. Hier geht es weder darum festzulegen, wer die Juden sind, noch zu fragen, inwiefern der Antisemitismus physische und psychische Gewalt beinhaltet. 110 In einer Handreichung der EKBO wird der Antisemitismus als eine unter mehreren rassisti-

194 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Die eine und die andere Sünde sind gleichermaßen schwerwiegend. Sünde ist nach Barth die Rebellion gegen Gottes Anspruch an den Menschen, und insofern sind jüdische und christliche Sünde ihrem Wesen nach dasselbe, auch wenn sie aufgrund des anderen Standortes und Blickwinkels in der Geschichte Gottes mit dem Menschen eine andere Form annehmen. Barth erwähnt den Antisemitismus in der Erwählungslehre viermal im Sinne einer Verurteilung christlicher Einstellungen. Zu diesem Zeitpunkt war seine Haltung zum Antisemitismus als christlicher Sünde demnach schon vorhanden. Systematisch erörtert Barth den Antisemitismus erst Jahre später in der Schöpfungslehre, in der er sich mit der Sündenlehre beschäftigt. Einerseits passt dieses Vorgehen in die Struktur dieser Arbeit, die für dieses Teilkapitel die Frage nach Gottes besonderem Anspruch an Christen und Juden stellt. Andererseits wird deutlich werden, dass das Wissen um den Stellenwert des Antisemitismus bei Barth wenig austrägt für die Frage nach seiner Haltung zu der Judenmission. Für Barth kann die Judenmission nicht spezifisch antisemitisch genannt werden, weil aus seiner Sicht der konvertierte Jude weiterhin Jude ist. Busch referiert: „Weit entfernt davon, daß sie mit ihrem Christusglauben von einer in eine andere Religion übertreten, sind sie damit Juden und Christen zugleich und sind so den Heidenchristen Zeugen ihrer Verbundenheit mit allen Juden.“111

4.2.2 Barths Antisemitismusbegriff Barth verwendet den Begriff ,Antisemitismus‘ und synonym dazu ,Judenhass‘. Im Jahr 1937 erklärt Barth in den Gifford Lectures noch recht allgemein: „die Kirche hat keine Zeit und keinen Raum, antisemitisch zu denken und zu reden.“112 Ein Jahr darauf schreibt er in dem Aufsatz „Die Kirche und die politische Frage von heute. 1938“, der Antisemitismus sei die Sünde wider den Heiligen Geist: „Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im übrigen ein Engel des Lichtes wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antiseschen Ideologien behandelt, um sein Vorkommen innerhalb von Kirchengemeinden zu untersuchen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Ihre Ablehnung begründen die Verfasser mit dem Widerspruch zur biblischen Anthropologie. Der Antisemitismus ist demnach ein unter dem Dach der Kirche gewachsenes, gesellschaftliches Phänomen. Vgl. Hinsehen – Wahrnehmen – Ansprechen. Handreichung für Gemeinden zum Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Herausg. v. EKBO. Berlin: 2008. 9–12. 27 f. 57. 111 S. Busch, Barth und die Juden, 455. 112 S. Barth, Karl: „Vorlesung: Gottes Offenbarung in Jesus Christus“. In: ders.: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre: 20 Vorlesungen (Gifford-Lectures) über das Schottische Bekenntnis von 1560, gehalten an der Universität Aberdeen im Frühjahr 1937 und 1938. Zollikon-Zürich: 1938. 87.

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mitismus ist Sünde gegen den Heiligen Geist. Denn Antisemitismus heißt Verwerfung der Gnade Gottes.“113

Die Sünde wider den Heiligen Geist ist die Sünde, für die es keine Vergebung gibt. Laut Busch ist der Antisemitismus für Barth deshalb unentschuldbar, weil er die Gnade, die ihm vergeben könnte, bestreitet: „Er war also ein Versuch zur Bestreitung genau der Gnade, ohne die die Christenheit in ihrer Schuld an den Juden keinen Freispruch und keinen Neuanfang haben könnte.“114 Es wird hier also jedem Versuch, den Antisemitismus mit dem christlichen Glauben begründen zu wollen, ein Riegel vorgeschoben. Barth begegnet dem Antisemitismus seiner Zeit mit größtmöglicher Radikalität, indem er ihn verknüpft mit dem Kern des christlichen Glaubens, der in der Gnade Gottes liegt. In einem selbstkritischen Ton und mit einer emotionaleren Sprache bekennt Barth erneut in seinem Weihnachtsbrief an die Schweizer Juden von 1942: „Die christlichen Völker haben durch die Jahrhunderte hindurch das alte Bundesvolk Israel nicht in der Geduld Christi ertragen, und darum haben sie es auch in erschütterndem Maße daran fehlen lassen, ihm durch Taten der Gerechtigkeit und Menschlichkeit wirklich glaubhaft zu bezeugen, daß der von den Juden verworfene Jesus aus Nazareth der wahrhaftige Sohn Gottes ist, der große Erbarmer und einzige Seligmacher auch für sein eigenes Volk. So ist unsere Schuld noch größer als die Schuld der Juden. Denn uns war die Binde von den Augen genommen: «Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» – und wir haben uns doch stets wieder als Blinde und an Liebe Arme erwiesen. Das ist uns von Herzen leid. Wir denken mit Schamröte daran, was seit je in «christlichen» Völkern an Israel verbrochen wurde.“115

Er erläutert den christlichen Hang zum Antisemitismus, der dazu geführt hat, dass Christen Juden im nationalsozialistischen Deutschland nicht ausreichend unterstützt haben. Darüber hinaus übt er Kritik an anderen Formen von politischem Antisemitismus, der von den Kirchen toleriert worden ist. Im Jahr 1949 diskutiert Barth den Antisemitismus in dem Aufsatz „Die Judenfrage und ihre christliche Beantwortung. 1949“.116 Er beginnt mit einem Absatz, in dem er sich freundlich gegenüber den Juden äußert, die mit anderen Völkern auf Augenhöhe stehen. Die Juden sind laut Barth Mitbürger, denen mit Nächstenliebe zu begegnen ist wegen „der bürgerlichen und menschlichen 113 S. Barth, Karl: „Die Kirche und die politische Frage von heute. 1938“. In: Eine Schweizer Stimme: 1938–1945. Berlin: 1945. 90. 114 S. Busch, Bogen, 532 f. 115 S. Barth, Karl: „Anhang B. Weihnachtsbrief an unsere Juden. 1942“. In: ders.: Offene Briefe 1935–1942. Hg. v. Koch, Diether. Karl Barth Gesamtausgabe V. 36. Zürich: 2001. 426. 116 Vgl. Barth, Karl: „Die Judenfrage und ihre christliche Beantwortung. 1949“. In: Kupisch, Karl: „Der Götze wackelt“: Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960. Berlin: 1961. 144–149.

196 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Gleichheit“117. Barth verurteilt den Antisemitismus aufs Schärftste. Er versichert, der Christ: „beklagt und verurteilt darum den Antisemitismus in jeder Form als eine barbarische Beleidigung unserer vom Christentum mitgeformten Kultur und Zivilisation als einen wüsten, weil antihumanen religiösen Rückfall.“118

Er verspricht uneingeschränkte Unterstützung der Opfer: „Er wird für die Opfer des Antisemitismus sein Möglichstes tun.“119 Barth sagt Solidarität mit Israel und Begegnung mit dem Judentum vor Ort zu: „Er [Der Christ St. S.] begrüßt den heute in Palästina gemachten Versuch jüdischer Selbsthilfe. Er erhofft und fordert für die Zukunft einen vertieften Austausch und eine neue kameradschaftliche Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden.“120

Gründlicher erläutert Barth in vier Punkten. Die Juden sind erstens „faktisch als die Juden doch immer erkennbar da gewesen.“121 Sie blieben es auch nach der Shoah und verstärkt durch die Staatengründung in Israel. Ihre Existenz ist in ihrer Aufgabe begründet. Gott will ihr Gott sein, und sie sollen mit ihrer Existenz Zeichen der Liebe Gottes sein, aufgrund derer er seinen Sohn sandte: „Ihre rätselhafte Fortexistenz ist dann das unübersehbare Zeichen dessen, was der eine Gott in diesem einen jüdischen Menschen für alle und ein für allemal getan hat.“122 Zweitens sind sie Gottes erwähltes Volk. Drittens kommt er auf den Antisemitismus zu sprechen. Er hält sich nicht lange damit auf, ihn zu beschreiben und zu definieren. Er urteilt stattdessen: „Daß er in allen seinen Erscheinungen stupid, böse, ein Werk völliger menschlicher Blindheit ist, bedarf keiner Worte.“123 Auf die rigorose Ablehnung folgt die Analyse: „Der Jude ist nicht schlimmer als alle anderen Menschen.“124 Er ist den Nichtjuden Spiegel ihrer selbst, den sie zerschmettern wollen, um sich selbst nicht zu sehen: „Aber eben dieses törichte Umkehren und Zerschmettern ist jedenfalls der eine Sinn im großen Unsinn des Antisemitismus.“125 Klar fasst er den Schmerz zusammen, der den Christen zum Antisemiten macht: „Sehr schlicht: weil man sich das nicht gerne sagen läßt, daß die Sonne der freien Gnade, in der man allein leben kann, nicht hier, nicht über uns, sondern dort, über jenen leuchtet, daß der Erwählte nicht der Deutsche, nicht der Franzose, nicht der Schweizer, sondern eben der Jude ist, und daß man, um selbst erwählt zu sein, wohl oder übel entweder selbst Jude sein oder aber in höchster Solidarität gerade zum 117 118 119 120 121 122 123 124 125

S. ebd., 144. S. ebd., 144. S. ebd., 144. S. ebd., 144. S. ebd., 145. S. ebd., 145. S. ebd., 147. S. ebd., 147. S. ebd., 147.

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Juden gehören müßte. ,Das Heil kommt von den Juden.‘ In ihrer Existenz stoßen wir Nicht-Juden auf den Felsen der göttlichen Erwählung, die zunächst an uns vorbei ganz und gar die Erwählung eines anderen ist, die uns nur angehen kann, indem sie zuerst ihn und erst dann – nur in ihm und durch ihn – auch uns angeht.“126

In einem vierten Punkt wiederholt Barth seine Kritik am Liberalismus, der die Ernsthaftigkeit der Frage nach der Verhältnisbestimmung von Christen und Juden leugnet und so das Verhältnis zu den Juden gefährdet: „Die Judenfrage reißt einen Abgrund auf, der tiefer ist, als daß er durch ein bißchen humane Vernunft und Moral überbrückt werden könnte. Und wir Christen sind den Juden tiefer verbunden und verpflichtet, als daß wir sie mit ein paar Beteuerungen unseres guten Willens und mit einer Ablehnung des Antisemitismus auf dieser Basis abspeisen könnten.“127

Die Gemeinsamkeit zwischen Antisemiten und Christen ist ihr Ärger über die Überlegenheit der Juden. Während die Nationalsozialisten sich an ihrer fortdauernden Existenz gestört haben, reagieren die Christen abwehrend gegenüber ihrer heilsgeschichtlichen Bevorzugung. Dass Barth in einer Zeit gelebt hat, in der der Antisemitismus eine so große Rolle gespielt hat, erklärt sein anhaltendes Interesse am Thema. Der Antisemitismus war für ihn jedoch mehr als die Reaktion auf die Nationalsozialisten, weil er Defizite im kirchlichen Denken aufgezeigt hat. Auf die Verurteilung des Antisemitismus im Allgemeinen und bei anderen muss notwendigerweise eine Selbstbefragung stattfinden, ohne die die Verharmlosung des Antisemitismus droht. Wird der Antisemitismus wie eine Sünde oder die Diagnose einer Krankheit betrachtet, kann eine bewusste Bekämpfung des Übels die Folge sein. Das ist der Punkt, an dem Barths Position missverstanden wird. Bei ihm liegt die Ablehnung des Antisemitismus nicht in der pathologisierenden Abwehr dieses unmenschlichen Phänomens. Seine Ablehnung basiert darauf, dass er den Antisemitismus im Gegenteil für zutiefst menschlich hält, was darin gipfelt, dass dieser schließlich sogar die Juden selbst ergreift. So ist der letzte Absatz zu verstehen, in dem er Juden, Christen und Antisemiten allesamt dafür verurteilt, nicht genügend an die Gnade und das Evangelium zu glauben. 1966 zählt er in einem Interview die Bekämpfung des Antisemitismus zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche.128 In dem schon im Rahmen der Suche nach Barths Äußerungen zur Judenmission zitierten Gespräch mit einer

126 S. ebd., 148. 127 S. ebd., 149. 128 Vgl. Barth, Karl: „Interview von M. Linz. Norddeutscher Rundfunk (23. 3. 1966)“. In: ders.: Gespräche 1964–1968. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.28. Zürich: 1996. 219.

198 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Barth-Arbeitsgemeinschaft im Jahr 1966 erklärt Barth: „Der natürliche Mensch ist immer Antisemit.“129

Äußerungen zum Antisemitismus in der Lehre vom Wort Gottes Während das Anliegen Barths klar wird, erschließt sich das Wesen dessen, was er Antisemitismus nennt, allein aus den kleineren Schriften noch nicht. Der Antisemitismus ist bei Barth vielmehr ein Thema der Dogmatik, das erst im Rahmen der theologischen Auseinandersetzung reflektiert und nachvollziehbar wird. Er greift das Thema schon zu einem frühen Zeitpunkt im ersten Band im Rahmen der Prolegomena auf. In §19 charakterisiert Barth die Bibel als die Heilige Schrift, die von jüdischen Autoren verfasst worden ist: „Die Bibel als Zeugnis von Gottes Offenbarung ist in ihrer Menschlichkeit zugleich ein Erzeugnis des israelitischen oder sagen wir es gleich deutlicher: des jüdischen Geistes. Der Mensch, der in diesen Schriften gesagt hat, quod potuit, ist der homo Judaeus. Es gilt das wirklich – da helfen keine Künste, denn das hängt zu genau mit ihrem Inhalt zusammen – von der ganzen, auch von der ganzen neutestamentlichen Bibel. Es ist nun einmal so, daß der Inhalt dieser Schriften die Geschichte der göttlichen Erwählung, Berufung und Regierung Israels, die Geschichte und die Botschaft von dem Messias Israels, die Geschichte von der Begründung der Kirche als des wahren Israel ist.“ (I/2,566)

In den Schriften des Alten und Neuen Testamentes hat sich gezeigt, dass ausschließlich Juden Gottes Offenbarung bezeugen: „Und es sind Israeliten – und weil, wie wir hörten, die Zeugen der Offenbarung zur Offenbarung selbst gehören, ist es sogar notwendig so, daß es gerade Israeliten sind – die uns in diesen Schriften das alles bezeugen. Wollten wir es anders haben, so müßten wir nicht nur das Alte Testament, sondern auch das ganze Neue Testament streichen und durch irgend etwas Anderes, das dann eben nicht mehr das Zeugnis von Gottes Offenbarung wäre, ersetzen.“ (I/2,566)

Das versetzt nach Barths Auffassung alle Nichtjuden in eine Position der Abhängigkeit gegenüber den Juden, die ihnen eine Akzeptanz und Offenheit abverlangt: „Das heute so gewaltig ertönende Jammergeschrei hat sachlich ganz recht: hier wird uns, hier wird den Menschen aller Völker durch Juden zugemutet, nicht nur sich auf jüdische Dinge einzulassen, sondern in einem gewissen, aber letztlich geradezu entscheidenden Sinn selbst Juden zu werden.“ (I/2,566)

Die jüdischen Autoren der Bibel bieten den Christen mit ihrem Zeugnis an, sich auf das einzulassen, wovon sie ihnen verkünden, d. h. an ihren jüdischen Gott zu glauben und ihre Denkungsart anzunehmen. Die Nichtjuden können deshalb nur durch die Juden zu Gottes Zeugnis kommen. Sie sind angewiesen 129 S. Barth, Barth-Arbeitsgemeinschaft, 275.

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auf deren Schrift, Offenbarungszeugnis und Erwählung zum Gottesvolk. Hinter dem, was Barth Jammergeschrei nennt, stehen konkrete antisemitische Äußerungen oder der allgemeine Ruf danach, sich des Jüdischen in der Bibel zu entledigen, in jedem Fall aber das christliche Bedürfnis, sich unabhängig von den Juden zu machen. Barth suggeriert mit seiner Formulierung ein gewisses Verständnis. Barth räumt ein, dass das jüdische Volk dargestellt wird als ein „böses, halsstarriges, weil ein seinem, dem lebendigen Gott widerstehendes Volk“ (I/ 2,566). Die Bibel ist laut Barth voller Beispiele davon, wie zumeist jüdische Menschen voreinander und vor Gott sich überheben und versagen. Der nichtjüdische Leser möchte sich nach Barths Einschätzung nicht mit dem jüdischen Volk identifizieren, weil er dessen Verhalten gegenüber Gott kritisch beurteilen muss. Das jüdische Volk erweist sich – so Barth – im Zeugnis der Schrift als sündig: „Sie charakterisiert es auf ihrem Höhepunkt als das Volk, das mit seinem eigenen Messias zugleich den Heiland der Welt verworfen und gekreuzigt, das sich also der Offenbarung Gottes endgültig verweigert hat. Gerade so ist also die Bibel ein jüdisches, das jüdische Buch.“ (I/2,566)

Über die negative biblische Darstellung der Juden als Sünder kommt Barth zu seiner ersten Stellungnahme zum Antisemitismus in der KD, indem er zunächst zwei Fragen stellt. „Was hat denn aller spätere Antisemitismus noch zu sagen neben der Anklage, die hier gegen die Juden erhoben wird? Und was kann er gegen sie ausrichten neben dem Gericht, unter das sie, nach dem was hier gesagt wird, längst von Gott selber hergestellt sind?“ (I/2,566)

Die jüdischen Verfasser der Bibel liefern selbst den Antisemiten die besten Argumente, indem sie die Juden negativ darstellen, will wohl die erste Frage sagen. Der Antisemitismus kann keinen größeren Schaden unter den Juden anrichten als das Gericht Gottes, scheint die zweite Frage nahezulegen. Diese Fragen lassen den Leser denken, Barth legitimiere und verharmlose den Antisemitismus. Das ändert sich beim Lesen des anschließenden Satzes, der zeigt, dass Antisemitismus nicht durch jüdisches Verhalten provoziert und deshalb nicht durch Anpassung einzudämmen ist. Barth wirft den so genannten Liberalen vor, die Schwere des Antisemitismus zu verkennen. Er klagt an, dass für sie der Antisemitismus ein regulierbares Phänomen ohne inhärente Bosheit ist. „Aber eben der Antisemitismus in seiner ganzen Torheit und Bosheit, er, der so alt ist wie das jüdische Volk selbst, beruht nun doch nicht, wie seine liberalen Kritiker meinen, auf einer bloßen, seltsamerweise nicht ganz zu überwindenden, sondern immer wieder auftauchenden Laune und Willkür, die durch ein bißchen Ermahnung zur Humanität jeweilen auch wieder in ihre Schranken zu weisen wäre.“ (I/2,566)

200 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Judenfeindschaft kann aber nicht erst mit dem Bekanntwerden der Juden durch die Heilige Schrift entstanden sein, weil es den Antisemitismus nach Barths Überzeugung vielmehr gegeben hat, seit der erste Jude geboren worden ist. Juden mögen aufgrund der biblischen Darstellung prominente Sünder und Selbstkritiker sein. Doch wenn es nach Barth geht, dürfen Christen sich bezüglich ihres Judenhasses nicht rausreden mit ihrem Ärger darüber, dass sie auf sündige Juden angewiesen sind. Denn der Ursprung des Hasses ist woanders zu suchen. Der Antisemitismus ist laut Barth viel weitreichender als die Liberalen es annehmen. Er bringt in der Zeit des Nationalsozialismus Wissenschaft und Staatswesen hervor und ist in gewisser Weise klüger als der Liberalismus, weil er mehr sieht: „Der Antisemitismus – stark genug, daß er heute eine ganze, feierlich als Wissenschaft sich gebende und doch schließlich ganz naiv nur auf die Juden zugespitzte Rassentheorie aus dem Boden stampfen und sogar ein ganzes Staatswesen auf diesen Boden, einen schließlich doch nur antijüdischen Boden stellen konnte – dieser Antisemitismus sieht und meint schon etwas ganz Reales, das der ganze Liberalismus tatsächlich nicht gesehen hat.“ (I/2,566)

Der Antisemitismus sieht etwas Reales, das Barth so definiert: „Das Reale selbst ist aber der in der Existenz des jüdischen Volkes in der Mitte aller anderen Völker von Gott geführte einzige natürliche Gottesbeweis.“ (I/2,566 f.)

Für Barth sind die Juden selbst das Ärgernis der Antisemiten, weil sie mit ihrem bloßen Dasein Gott beweisen. Damit unterstellt Barth den Antisemiten, dass sich ihr Hass eigentlich gegen Gott richtet. Anders als die Liberalen, die die Brisanz, die in der Existenz der Juden liegt, verkennen, hat der Antisemitismus – und das macht ihn so gefährlich – etwas Richtiges erkannt: Die Juden sind natürlicher Gottesbeweis. Auch wenn der Antisemit in seiner atheistischen Denkweise von Blut und Rasse sprechen mag, meint er genau dieses. Barth erwähnt an dieser Stelle, dass er den Kampf gegen den Antisemitismus für aussichtslos hält. Was niemand sich bewusst macht, hält Barth für wahr: Juden zeigen Nichtjuden den Weg zu Gott. Die Nationalsozialisten bestätigen mit ihrem Hass laut Barth die Besonderheit der Juden. Die letzten Worte zeigen, es geht nicht um die Juden an sich, es geht um ihre besondere Geschichte mit Gott und ihren Status als Gottesvolk, die bei der Kirche und der Welt nur Neid hervorrufen können. „Hier zeugt tatsächlich ein Stück Weltgeschichte aufs direkteste, wenn auch von Antisemiten und Liberalen gleich wenig gesehen, für das biblische Offenbarungszeugnis und damit für den Gott, der in der Bibel bezeugt wird: Israel ist eben bis auf diesen Tag noch vor unseren Augen das Gottes-Volk, das Gott verworfen hat. Israel führt uns als Volk bis auf diesen Tag vor Augen, daß Gott nur im Gericht Gnade übt

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und daß es sein freies Ermessen ist, wenn er im Gericht Gnade übt. Israel erinnert die Welt daran, daß sie Welt ist, und es erinnert die Kirche daran, woher auch sie genommen ist. Darum, weil es dieses Volk ist, müssen sich die Völker immer wieder vor seiner Existenz entsetzen, sich gegen sie auflehnen, sie wegwünschen aus ihrer Mitte. Darum regt sich etwas von Befremden in jedem Nichtjuden gegenüber ausnahmslos jedem, auch dem besten, dem feinsten, dem edelsten Juden.“ (I/2,567)

Nach Barth hasst der Antisemit die Juden insgeheim stellvertretend für Gott, und er verlagert seinen Hass in andere Bereiche, die mit diesem eigentlich gar nichts zu tun haben. Barths Ärger über die mangelnde Selbstreflexion der Antisemiten und die fehlende Transparenz des Antisemitismus drückt sich in seiner Wortwahl aus. „Vor Gottes Strenge und Güte also müßte er befremdet sein durch die Existenz des Juden, und es bedeutet eine geradezu dämonische Verrücktheit, wenn er sich an Stelle dessen einem biologischen und moralischen Befremden hingibt und sein so pervertiertes Befremden damit abreagiert – wie alle Perversionen abreagiert werden müssen – daß er gegen den Juden um seiner Volksfremdheit willen eifert und losschlägt.“ (I/2,567)

Der Liberale versteht es gar nicht, der Antisemit versteht es bloß intuitiv, der Antisemitismus muss aber exakt verstanden werden, weil er eben keine Schwäche ist. Als Hass auf Gott ist der Antisemitismus für Barth die Sünde. Der Antisemit „beharrt damit in seinem eigenen Abfall. Er gebärdet sich, als ob er in der Lage wäre, sich selber seine Sünde zu vergeben. Er verwirft Gott, indem er den Juden verwirft.“ (I/2,567) Im Folgenden stellt Barth erneut den Unterschied heraus zwischen der Abneigung gegenüber einem Volk und dessen Eigenschaften, wie sie im Fall der Juden in der Bibel dargestellt ist, und dem ewigen Hass der Nichtjuden auf Gottes Gottesvolk. Barths Intention ist es, die Liberalen wachzurütteln und dazu zu bringen, den Antisemitismus theologisch zu deuten, um ihn als reale, sie betreffende Gefahr einzustufen. Barth vertritt außerdem die Haltung, dass die vorhandene Abneigung gegenüber Juden eingestanden und konstruktiv bearbeitet werden sollte. Diese frühen Gedanken entsprechen in nuce Barths späterer Haltung und dienen als ein Beleg für die Überzeugung, dass Barth nicht erst aus Auschwitz gelernt hat. Barths Äußerungen zum Antisemitismus in der Lehre von Gott Zum zweiten Mal innerhalb der KD erwähnt Barth den Antisemitismus in der Erwählungslehre in §34 im Jahr 1942. Darin definiert Barth den Antisemitismus nicht mehr, weil er möglicherweise voraussetzt, dass der Leser den oben vorgestellten §19 der Gotteslehre kennt. Barths Äußerungen lesen sich zumindest wie eine Fortführung. Einmal erklärt er, der Antisemitismus leugne Israels Erwählung und könne deshalb nur heidnisch sein. (II/2,225) Denn da die Kirche auf Israel basiert, kann sie nicht antisemitisch sein, ohne sich selbst

202 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen zu verleugnen. In der zweiten Erwähnung geht er dennoch auf ein Phänomen ein, das er den christlichen Antisemitismus nennt. Dieser habe im Wesentlichen zwei Argumente. Erstens ist nach Barths Auffassung für die christlichen Antisemiten die Kreuzigung der Bruch zwischen Gott und den Juden, weil die Juden sich aufgrund ihrer Mitschuld an der Kreuzigung gegen ihren eigenen Messias und damit gegen Gott wenden. Zweitens verleugneten christliche Antisemiten die jüdischen Wurzeln der Kirche. Es verwundert, dass Barth nach dem, was er früher gesagt hatte, nun doch diese Art zu argumentieren, christlich antisemitisch nennen kann. Denn bislang hatte er eine Grenze gezogen zwischen Antisemitismus und Christentum. Der christliche Antisemit argumentiert also entgegen der eigenen Möglichkeit. Barth wiederholt jedoch seine Überzeugung, dass Kirche nur Israel zugewandt sein kann oder aufhört, Kirche zu sein. (II/2,257) Das Kappen der Verbindung und die Sukzession lehnt er damit endgültig ab. (II/2,319) Die Frage nach den Juden ignorieren – und sei es aus Toleranz – und damit Gott und der Eschatologie überlassen zu wollen, sei christlich antisemitisch und unverantwortlich gegenüber Israel. (II/2,335) Barths Äußerungen zum Antisemitismus in der Lehre von der Schöpfung Im Jahr 1950 folgt – verglichen mit dem Rest der KD – die ausführlichste Erörterung, denn die Schöpfungslehre in §49 (III/3,238–256) ist der entscheidende Begründungszusammenhang für das Phänomen Antisemitismus. Sie entsteht in der Zeit, in der das Darmstädter Wort und das Stuttgarter Schuldbekenntnis veröffentlicht worden sind, in der aber eine weitreichende, gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus noch nicht stattgefunden hat. Es handelt sich dabei um eine Wiederholung und Zuspitzung der Gedanken aus den Prolegomena in §19. Er stellt seinen Gedanken eine ausführliche Definition des jüdischen Volkes voran. Barth schreibt über die Anfänge: „Die eigentliche Geschichte der Juden beginnt, nachdem in merkwürdiger Bedeutsamkeit rund 40 Jahre – wie eine letzte Gnadenfrist, wie eine letzte Gelegenheit zur Umkehr – seit dem Tode Jesu vergangen waren, im Jahre 70 mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch Titus, die nun doch die letzte gewesen ist.“ (III/ 3,239)

Genauer heißt es dann: „von diesem Doppelereignis an gibt es einerseits keine weitere Fortsetzung der Bundesgeschichte als Geschichte zwischen Gott und diesem einen Volk unter Ausschluß der Anderen, gibt es aber andererseits inmitten der Weltgeschichte die besondere, nun nicht mehr vorläufige, sondern nach allen Symptomen endgültig charakterisierte Geschichte der Juden.“ (III/3,239)

Es stellt sich die Frage, warum Barth dieses späte Datum wählt, obwohl er weiß, dass es die Juden schon viel länger gegeben hat, und dass gerade die sehr

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lange jüdische Geschichte vor 70 bedeutungsvoll gewesen ist. Das Besondere an den Juden könnte sein, dass sie nicht aufgehen im Allgemeinen, als dieses hinzukommt. Sie bleiben mit dem Ende der vorläufigen Besonderheit, das Jesus und Titus bringen, das Besondere. Erst als das Allgemeine – d. h. die Geschichte Gottes mit allen Menschen – beginnt, wird die Besonderheit der Juden zur Besonderheit, die in der Erwählung liegt. Die Erwählung macht die Juden zu Juden. Barth fährt fort mit der Feststellung, wie ungewöhnlich es ist, dass es das kleine Volk trotz aller Widrigkeiten noch gibt, was er erstaunlich findet, weil Juden viele mächtigere Völker überdauert haben. Die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes ist für ihn der Beleg für ihre göttliche Erwählung, die also erst später erkennbar wird, als die Geschichte des Volkes es nahelegt. „Die Juden aber sind aller Zerstreuung, aller Verfolgung und vor allem aller Assimilation, aller Verbindung und Vermischung mit anderen Völkern zum Trotz immer noch, immer wieder da gewesen.“ (III/3,239 f.)

Die Juden haben sogar die Shoah überlebt: „Da sind sie wieder, da sind sie noch: sie, dieser merkwürdige, repräsentierende Rest von Israel. Es sollte nicht so sein, es war offenbar im Jahre 70, in jenem dem Tode Jesu so unheimlich entsprechenden Untergang des alten Israel so nicht gemeint, daß die Juden als Juden nicht mehr da sein oder doch nicht mehr sichtbar sein sollten. Sie waren es immer. Sie sind es noch heute und nun also heute, unmittelbar nach der scheinbar furchtbarsten, scheinbar dem äußeren Umfang nach alles Frühere in Schatten stellenden Katastrophe ihrer Geschichte erst recht.“ (III/3,240)

Das ist für Barth die einzige umfassende, positive Definition des jüdischen Volkes. Die Juden sind seiner Meinung nach keine Rasse, weil es Rassen gar nicht gibt, und weil der Umstand, dass sie als Rasse wie ihre Feinde, die Araber, zu den Semiten gehören würden, nicht überzeugend ist: „Der Begriff des «jüdischen Blutes» ist ein reines Phantasieprodukt.“ (III/3,241) Die Juden sind zweitens nicht über eine gemeinsame Sprache verbunden, weil nicht alle Juden Hebräisch sprechen. Zwar hat sich das vielleicht im 20. Jahrhundert verändert, es gilt aber zumindest rückblickend für die Juden in den vergangenen Jahrhunderten. Es gibt drittens keine typisch jüdische Kultur, sondern die Juden nehmen Anteil an der Kultur ihres Heimatlandes. Was Israel betrifft, so schreibt Barth im Jahr 1950, es sei dort noch nicht erkennbar zu einer eigenen Kulturschöpfung gekommen. (III/3,242) Barth fährt fort, dass die Juden sich auch nicht als Zugehörige zu einer Religion definieren lassen, weil es auch nichtreligiöse Juden gibt: „Nicht zu reden davon, daß man als Jude ja auch Pantheist oder Atheist oder Skeptiker und schließlich auch ein guter oder schlechter Christ und nun dennoch ein Jude sein und bleiben kann.“ (III/3,242)

204 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Selbst die gemeinsame Geschichte vermag die Juden schließlich nicht zusammenhalten. (III/3,242 f.) Er fasst zusammen, dass man die Juden deshalb nur als ein in eigentümlicher Weise existierendes Nicht-Volk beschreiben kann. (III/3,243) Der Grund für die Fortexistenz der Juden liegt für Barth in deren Erwählung in den Bund, weil sie das eint und definiert: „Indem die Erwählung und der Bund – in Jesus Christus nicht aufgehoben, sondern erfüllt! – bestehen, bestehen auch die Juden in der Weltgeschichte. Das ist das Geheimnis ihrer Fortexistenz, das doch im Lichte der Botschaft des Alten und des Neuen Testamentes durchaus nicht irgendein historisches Rätsel und auch nicht irgend ein zufälliges Wunder, sondern das offenbare Geheimnis Gottes ist: das Geheimnis seiner Treue und Gnade, der Beständigkeit seines Willens und Ratschlusses.“ (III/3,247)

Anders ausgedrückt sind die Juden das Volk, das „die Geschichte des Menschen mit Gott“ (III/3,247) ist oder hat. Barth versteht den Antisemitismus als die Abneigung gegenüber Juden durch die nichtjüdische Menschheit, die verschiedene Formen annimmt, die ewig und überall existiert, (III/3,249) und die bewusst oder unbewusst ist. (III/ 3,253) Der Antisemitismus beschränkt sich nach Barths Auffassung als Phänomen nicht auf Deutschland und den Zeitraum vor 1945. Barth definiert es als umfassendes Gefühl, das von seinen Eigenschaften her irrational, (III/ 3,250) unpersönlich und unüberwindbar ist. Barth erklärt, die Juden spiegeln als erwähltes Gottesvolk mit ihrer Existenz den Nichtjuden deren Sünde und deren Gnade. Die Juden sind als Gottesvolk allen anderen Menschen überlegen, was den Nichtjuden verärgert: „Ist das nur der jüdische Mensch? Von ferne nicht! Eben das ist jeder Mensch, der Mensch schlechthin. Aber eben, was jeder Mensch, der Mensch schlechthin vor Gott und als der Gegenstand seiner Barmherzigkeit ist – eben das kommt im jüdischen als dem erwählten Menschen in einer Weise an den Tag, wie es sonst nicht an den Tag kommt.“ (III/3,250)

Die Juden hören zweitens nicht auf zu existieren trotz des Lebens in der Diaspora. Sie führen „eine Existenz gegen alle innere und äußere Wahrscheinlichkeit!“ (III/3,253) Das erzeugt laut Barth im Nichtjuden das Gefühl der Unterlegenheit: „Die Juden fallen mit der Beharrlichkeit ihres Daseins aus allen Regeln heraus; sie übertreffen uns damit ganz offenkundig.“ (III/3,253) Dieses wiederum ruft Neid hervor: „Ist es etwas Anderes als der blasse Neid, was gerade allen Nationalismus zu allen Zeiten ausgerechnet gegen die Juden, dieses ohnmächtige Nicht-Volk, so schrecklich in Harnisch gebracht hat?“ (III/3,255)

Als Synonyme für den Antisemitismus wählt Barth die Krankheit (III/3,249), den Krieg (III/3,251), das Verbrechen (III/3,252), die Sünde (III/3,251), den blinden Groll (III/3,255), die Pest (III/3,249), die Illusion negativer Eigenschaften der Juden (III/3,249), das Leiden (III/3,249) und den Neid (III/3,255).

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Das Gegenmittel gegen den Antisemitismus ist nach Barths Auffassung der Glaube an das Evangelium sowie das Zeichen und Zeugnis der Gemeinde. (III/ 3,252) Das Problem ist zuerst, dass den Menschen die Tragweite des Antisemitismus nicht klar ist, und sie deshalb nicht sinnvoll dagegen angehen können. „Darum erfindet man die unsinnige Theorie von einer jüdischen Rasse und stattet diese mit allen erdenkbaren peinlichen Eigenschaften aus. Darum schreibt man den Juden als solchen alle möglichen Verbrechen zu.“ (III/3,251)

Nichtjuden sehen sich zum Judenhass berechtigt, weil Juden minderwertig und hassenswert sind: „Man müßte ja allererst wissen, daß es das überhaupt gibt: Feindschaft gegen Gottes Gnade und also Menschenfeindschaft und also Sünde. Dazu müßte der Mensch sich selber ja erst kennen. Die Völker aber und die Menschen der Völker kennen sich doch nicht; sie wissen doch nicht, was Sünde ist.“ (III/3,251)

Dabei verkennen sie laut Barth, dass sie eigentlich gar nicht die Juden, sondern sich selbst und Gott hassen. Die Juden werden deshalb gehasst, weil sie „die Erwählten Gottes sind, deren Menschlichkeit nun einmal, ohne daß sie als solche anders, besser oder schlechter wäre als die anderer Menschen, in einem anderen, besonderen, helleren Licht steht als die anderer Menschen.“ (III/3,250)

Die Erwählung Gottes geht an den Nichtjuden zunächst vorüber: „wir stoßen in der Existenz der Juden auf den Felsen der göttlichen Erwählung als einer partikularen, und zwar als einer in ihrer Partikularität an uns selbst zunächst ganz vorbeigehenden göttlichen Erwählung.“ (III/3,255)

Es schmerzt die Christen, dass sie zunächst werden müssen wie sie: „Sich sagen zu lassen, daß man, um seinerseits erwählt zu sein, wohl oder übel entweder selbst Jude sein oder aber zu diesem Juden gehören müßte!“ (III/ 3,255) Barth bewertet Blut, Rasse und andere Zuschreibungen als offizielle, aber falsche, vorgeschobene Gründe. Gelten lässt er nur die Rebellion der Nichtjuden gegen Gottes Plan.130 Barth hält die Juden für das erwählte Volk und den Antisemitismus für die bewusste oder unbewusste Leugnung dieser Tatsache. Er unterstellt Christen wie Nichtchristen, den Juden ihre größere Nähe zu Gott nicht gönnen zu wollen. Die Antisemiten beneiden die Juden um ihren Status vor Gott, den sie ohne ihr Zutun oder Werben darum ungefragt verliehen bekommen haben. Es sei ein dem nichtjüdischen Menschen per se anhaftendes Gefühl, das bewusst oder unbewusst vorhanden ist. Anstatt psychologische Deutungen zu negie130 Zwei weitere Erwähnungen des Antisemitismus in der KD tragen nichts Neues aus: einmal im Jahr 1951 in §54 (III/4,347) und einmal im Jahr 1953 in §59 (IV/1,187).

206 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen ren, schließt Barth diese ein, wenn er den Antisemitismus theologisch deutet. Für ihn ist diese Deutung eine erweiterte grundsätzlichere und damit radikalere Deutung. Barth argumentiert ähnlich wie die soziologische Forschung zum Antisemitismus mit Schuldabwehr, indem auch er ihn auf das vom Antisemiten empfundene eigene Defizit zurückführt. Weitere Parallelen sind die Wahrnehmung einer Irrationalität und unbegründeten Missgunst beim Antisemiten, die durch Aufklärung und rationale Auseinandersetzung bekämpft werden sollen. 4.2.3 Barths Verwendung ähnlicher Begriffe: Aversionen, Philosemitismus, christlicher Antisemitismus, Eifer, Antijudaismus und jüdischer Antisemitismus Wenngleich die Begriffe Antisemitismus und Judenhass eindeutig und regelmäßig verwendet werden, existieren weitere verwandte Begriffe, für die gleichfalls gilt, dass Barth sie neu definiert. Um das Spektrum aufzuzeigen, in dem Barth sich bewegt, und um Verwechslungen vorzubeugen, ist es erforderlich, diese dazu gehörenden Begriffe mit ihren abweichenden Bedeutungen kurz zu skizzieren: die ,Aversionen‘, den ,Philosemitismus‘, den ,christlichen Antisemitismus‘, den ,Eifer‘ und den ,jüdischen Antisemitismus‘. Der ,Antijudaismus‘ kommt nicht in Barths Sprachgebrauch vor, spielt jedoch in der Sekundärliteratur eine entscheidende Rolle, so dass er ebenfalls aufgenommen und zu Barths Antisemitismusbegriff ins Verhältnis gesetzt wird. Die Darstellung des Antisemitismusbegriffs bei Barth hat auf die Entschiedenheit und große Sorge Barths hingewiesen, die in der Wortwahl und in der durchgängigen Radikalität der Auseinandersetzung erkennbar geworden sind. Dass es möglich ist, Barths Ansatz zum Antisemitismus bis in verwandte Begrifflichkeiten abzugrenzen, zeigt, wie gründlich er sich zudem damit beschäftigt hat. Aversionen und Philosemitismus Der Philosemitismus ist die idealisierte Liebe oder Verehrung der Juden.131 Seine Gefahr liegt in der Enttäuschung der falschen Annahmen, auf denen er basiert. Für Barth wäre die Verehrung der Juden nicht infrage gekommen, weil sie dem ersten Gebot widerspricht. Zwar äußert Barth sich nicht negativ zum Philosemitismus, aber um dessen Abweisung geht es ihm eigentlich, wenn er in einem Brief an Marquardt über Aversionen spricht. Sachlich ist es für Barth von Bedeutung sicherzugehen, dass er nicht in der Gefahr steht, sich seines Antisemitismus nicht bewusst, zu sein bzw. so wahrgenommen zu werden. Da 131 „Er beschreibt eine bestimmte Haltung von Nichtjuden gegenüber Juden, die in der Regel als positiv verstanden wird, jedoch auch im negativen Sinne als »umgekehrter Antisemitismus« interpretiert werden kann.“ S. Brenner, Michael: „Philosemitismus“. In: RGG4 6. 2003. 1289.

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ein solcher Philosemit in Gegenwart eines Juden keine Aversionen empfindet, behauptet er von sich, er hätte welche, ohne die Konsequenzen zu ahnen: „Ich bin insofern entschieden kein «Philosemit», als ich in der persönlichen Begegnung mit dem lebendigen Juden (auch Judenchristen!), solange ich denken kann, immer so etwas wie eine völlig irrationale Aversion herunterzuschlucken hatte – natürlich von allen meinen Voraussetzungen her sofort herunterzuschlucken und in meinen Äußerungen gänzlich zu verdecken wußte, aber eben doch herunterzuschlucken und zu verdecken hatte. Pfui! kann ich zu diesem meinem gewissermaßen allergischen Reagieren nur sagen. Aber es war und ist nun einmal so. Ein Glück, daß dieser verwerfliche Instinkt meinen Söhnen und anderen besseren Menschen als ich (wie z. B. Sie) ganz fremd ist. Aber eben: es möchte sein, daß auch er sich in meiner Israellehre retardierend ausgewirkt hat.“132

Die Aversionen, die Barth beschreibt, sind irrational, physisch wahrnehmbar und unangenehm wir eine Allergie, die andere Prozesse blockiert. Sie sind ihrem Wesen nach ein Instinkt, der sich automatisch einstellt, aber der zu unterdrücken ist. Barth bekennt sich einerseits dazu, solche Aversionen zu verspüren, und lehnt sie andererseits von Anfang an entschieden ab. Barths Zeilen an Marquardt gehören zu denen, die am stärksten zur Urteilsbildung in der Literatur beigetragen haben, und Barths Ruf als Antisemit wesentlich mitbegründet haben. Das ist nicht nachvollziehbar in Anbetracht der Tatsache, dass Barth nur dieses eine Mal über Aversionen gegenüber Juden gesprochen hat. Überhaupt basiert der größte Teil der Kritik an Barths Haltung zu den Juden auf der Wahrnehmung seiner Briefe und Gespräche, wobei nicht einmal alle übel klingenden Passagen von seinen Kritikern wahrgenommen worden sind.133 Der Eindruck durch das Lesen der Briefe und Gesprächsprotokolle sollte in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden zum Studium der Dogmatik. In Briefen und Gesprächsrunden deutet Barth einen theologischen Sachverhalt oft nur an, als setze er beim Gegenüber die Vertrautheit mit seiner Theologie voraus. Dabei unterschätzt Barth die kommunikativen Hürden, die sich selbst beim vertrauten Leser einstellen.134 Im Verhältnis zu seinen reflektierten wissenschaftlichen Texten betrachtet kann es sich in der Passage an Marquardt nur um Stilisierungen handeln. So schätzt

132 S. Barth, Karl: „An Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Berlin, 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 420 f. 133 „Was fuchst uns denn eigentlich bei den Juden? […] Diese Kerle sind anders als wir.“ S. Barth, Barth-Arbeitsgemeinschaft, 275. 134 In einem Gespräch äußert er sich unvermittelt so: „Der Hitler hat eigentlich etwas Richtiges gerochen mit seiner Wut gegen die Juden.“ S. Barth, Barth-Arbeitsgemeinschaft, 276. Man denkt hier, er sei der Auffassung, Hitler habe Juden zurecht diskriminiert, dabei meint Barth genau das Gegenteil. Hitler habe intuitiv neidisch reagiert auf die Angewiesenheit der Nichtjuden auf die Juden. So wie Barth formuliert, dürften die Schüler ihn missverstanden haben.

208 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen es auch sein ehemaliger Assistent Busch ein im Blick auf den Gesamteindruck, den er von Barth gewinnen konnte.135 Busch hat anhand von Barths Brief an Bethge und unter Berücksichtigung des Briefes an Marquardt erklärt, wie Barths Stil zu verstehen ist.136 Barth hatte ausgiebige gut funktionierende Briefwechsel mit Anhängern und Kontrahenten. Er war demnach ein geübter Briefeschreiber, der allerdings in seinen Briefen defensiv und zuvorkommend wirkt. Selbst in seinen Schreiben an Kontrahenten bleibt Barth beherrscht und wahrt die Form, als sei seine Absicht wohlwollend. Es ist immer dieselbe Höflichkeit und Würdigung des Adressaten, ob dieser ein Judenmissionar ist oder ein Kollege wie Marquardt.137 Nach Busch macht Barth in solchen Situationen Geständnisse, die seiner eigentlichen inhaltlichen Position widersprechen. Deshalb nimmt Busch Barth in seinem Eingeständnis der Entstehung von Aversionen nicht ernst, sondern versichert, er selbst habe bei Barth nicht im Geringsten Aversionen feststellen können.138 Es wirkt wie eine ein wenig trotzig daherkommende versteckte Kritik an dem geschätzten Kollegen Marquardt, der ihn mit seiner Beurteilung enttäuscht haben muss, wenn Barth sich so vehement auf seine Aversionen festlegt, als wolle er eben die Deutungshoheit über seine Haltung zu den Dingen behalten. Dafür spricht auch seine Nennung von Schriften, die Marquardt übersehen hat. Nicht zuletzt spricht sich Barth hier erneut gegen den Antisemitismus aus! Es bleibt zu fragen, wie jemand, der die Existenz spezifisch jüdischer entweder physischer oder psychischer Wesensmerkmale negiert, aufgrund der physischen Nähe Aversionen hätte verspüren sollen. Marquardt hält Barth gewiss nicht für einen Antisemiten, aber er bemängelt an seiner Kritik an der Synagoge seine Radikalität bis hin zu antisemitischen Tendenzen.139 Barths radikale Bemerkung gegenüber Marquardt reagiert auf die allgemeine Wahrnehmung seiner Person und richtet sich weniger an seinen ihm gut bekannten Schüler als an eine allgemeinere breite Leserschaft. Er nutzt die 135 136 137 138

Vgl. Busch, Bogen, 40. Vgl. Kapitel 1.2. Vgl. etwa den Brief an den Judenmissionar Henry Poms und den an Marquardt. Vgl. Busch, Bogen, 12 f. In der Literatur bezweifeln die wenigsten den Wahrheitsgehalt von Barths Aussagen. Vgl. aber auch Lindsay, der zwar Barths Sprache bemängelt, ihm die Aversionen aber nicht abnimmt. Solidarity, 306. 139 Vgl. Marquardt, Entdeckung, 334 f. Marquardt kritisiert, er habe die Juden „mit einer Bitterkeit ohnegleichen und in fast ungezügelter Sprache beschrieben, offenbar ohne Gedanken daran, daß er hier von lebendigen Menschen spricht.“ 334. Er bringt seine Sorge vor den allzu dunklen Seiten der Erwählungslehre zum Ausdruck: „Es besteht Gefahr, daß angesichts der traditionellen Grundform der Barthschen Judenlehre seine vorwärtsführenden Intentionen hier, in der Lehre von der Verwerfung, ganz verdeckt und überlagert werden. […] eben deswegen aber wachen wir eifersüchtig darüber, daß die Relation des Mit-Seins der Juden mit Christus und den Christen nicht unter der Hand zu einer Bestreitung der Existenz der Juden, zu einer theologischen Aberkennung ihres Daseinsrechtes, das Mit-Sein nicht zum Nicht-sein verfälscht und damit die theologische ,Endlösung‘ etabliert wird.“ 303.

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Gelegenheit, um das zu seiner Zeit gängige Klischee von ihm als Philosemiten einmal eindeutig auszuräumen, das er als die Fehlinterpretation seiner Antisemitismusdefinition – Antisemitismus als die Sünde, die auch den größten Judenfreund betrifft – verstehen musste. Jahrzehnte später gibt es nur noch wenige Forscher, die zu diesem Urteil gelangen, unter ihnen Hunsinger. Der bezeichnet sich selbst als Philosemit aufgrund seiner Nähe zu Barth. Er erklärt, Gottes Liebe zu Israel sei ein Grund für „philo-semitism or Judaeophilia“140. Er hält Barth für unausgesprochen philosemitisch, etwa habe er sich „if not a robust union in love, at least a corresponding union in suffering“141 gewünscht. Christlicher Antisemitismus Grundsätzlich weigert sich Barth, den Antisemitismus in Kategorien wie christlich und atheistisch zu unterteilen. Er deutet ihn ausschließlich theologisch und versteht ihn zugleich immer als unchristlich. Für Barth geht mit der Verwerfung der Juden die Verwerfung Jesu einher. Wer Juden ablehnt, lehnt – und das kann auch unbewusst geschehen – Jesus ab, und ist insofern ein Atheist. Dennoch verwendet Barth wiederholt die Wendung ,christlicher Antisemitismus‘ und verbindet mit diesem dann doch mehr als den Neid auf die jüdische Erwählung, nämlich den Vorwurf der Schuld an der Kreuzigung. Eine Form von spezifisch christlichem Antisemitismus ist für ihn „das Abschieben der Judenfrage in die Eschatologie“ (II/2,335) Christen neigen dazu, sich nicht mit den Juden auseinandersetzen zu wollen. Sie leugnen oder ignorieren ihre Existenz und akzeptieren als Konsequenz eine judenvergessene oder antisemitische Theologie. Die heilsgeschichtliche Rolle Israels zu leugnen und Israel als selbstverschuldeten Verlierer der Geschichte Gottes mit dem Menschen darzustellen, hält Barth für die typische Haltung von Antisemiten, die sich als Christen bezeichnen würden. In §34 definiert er den christlichen Antisemitismus als die Frage, ob „mit der Kreuzigung Christi nicht darüber entschieden sei, daß die Juden nur noch als das von Gott verfluchte Volk anzusehen und zu behandeln seien?“ (II/ 2,296) Im Folgenden ergänzt er die gängige Antisemitismusdefinition. Hier bedarf es einer Erläuterung. Auch Barth selbst erhebt den klassischen Vorwurf an der jüdischen Mitschuld an der Kreuzigung, deutet ihn gar aktueller, indem er die Kreuzigung zum fortlaufenden Geschehen deklariert: Die Synagoge kreuzige Jesus Christus bis heute mit ihrer Ablehnung. (I/2,102) Die Kreuzigung fungiert als Synonym für das Sündigen im Allgemeinen und wird insofern von Barth für andere Menschengruppen verwendet. Was Heiden den Juden in der Shoah angetan haben, setzt er gleich mit dem Leiden Jesu Christi am Kreuz. Die Shoah ist die erneute Kreuzigung Jesu Christi. (II/1,445) Zusammenfassend kann man sagen, dass Barth Juden zwar die Kreuzigung 140 S. Hunsinger, After Barth, 343. 141 S. ebd., 345.

210 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen vorhält, sie aber anteilig daran dieselbe Schuld trifft wie alle anderen Menschen. (I/2,121) Im Brief an Louis Glatt spricht er einmal zur selben Zeit über die Schuld der Juden und die der Heiden: „Und so wird denn auch tatsächlich die Kreuzigung Jesu erzählt: daß da, indem Jesus sein Werk für die Menschen vollendet hat, zugleich auch die Schuld der Juden, aber auch (in Gestalt des Pilatus und seiner Leute) die der Heiden, denen die Juden Jesus überliefert hatten, zutage getreten ist. […]Beide, die Juden und die Heiden in ihren damals dort handelnden Vertretern, konnten mit ihrer Sünde das Werk Gottes nun aber auch nicht aufhalten, sie konnten – beide in ihrer Weise – faktisch nur eben ihre Bosheit bestätigen und damit doch nicht auslöschen und dem entrinnen, daß Gott nun gerade ihnen, den Sündern, freundlich und gnädig ist. Wenn man die Sache so versteht, weiß ich nicht, wie man es vermeiden kann, von der «Schuld» der Juden und Heiden an der Kreuzigung Jesu zu sprechen“.142

Eifer Als Eifer bezeichnet Barth die konstruktive christliche Kritik an den Juden und vor allem an deren vermeintlichem Unglauben, von der er selbst häufig Gebrauch macht. Die typische Haltung des Eifernden lautet folgendermaßen: „Es ist zu wenig Israel! Es will seine eigene Erwählung nicht damit bestätigen, daß es mit der Kirche zusammen und also unter Preisgabe seiner Selbstbehauptung ihr gegenüber in das Bekenntnis zu Jesus als seinem eigenen und verheißenen Messias ausbricht.“ (II/2,225)

Hier formuliert Barth seinen Ärger über die Trennung zwischen Christen und Juden im Glauben an Jesus Christus. Wichtig am Eifer ist, dass er auf der Basis der Anerkennung der Erwählung und der Existenzberechtigung Israels als Gottes- und Bundesvolk – „unter dem beide überspannenden Bogen des Bundes“ (II/2,225) – geschieht. Er versteht das als geschwisterlichen Dienst, der mit Antisemitismus gar nichts zu tun hat: „Es könnte also ein die Erwählung Israels von außen verkennender und bestreitender Antisemitismus mit diesem Eifer (dem ja diese Verkennung und Bestreitung wesensfremd ist!) nichts zu tun haben“ (II/2,225).

Antijudaismus Die verbreitete, begriffliche Unterscheidung zwischen einem religiös motivierten Hass auf die jüdische Religion (= Antijudaismus) und einem rassistisch motivierten Hass auf die jüdische Existenz (= Antisemitismus) entstand erst nach Barth. Sie passt nicht zu Barths Argumentation, weil er jeden Hass auf Juden als insgeheim religiös motiviert deutet und weil für ihn die jüdische 142 S. Barth, Karl: „An Dr. Louis Glatt, Genf, 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 431 f.

Der Antisemitismus als die spezifisch christliche Sünde

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Religion nicht von der säkularen Existenz zu trennen ist. Die Aufteilung führt dagegen – so ließe sich ergänzen – zu einer Hierarchisierung des Judenhasses, in der der Antijudaismus entschuldbarer wirkt, weil er sich auf die Anfeindung des Glaubens beschränkt und die Juden nicht persönlich angreift. Die Verwendung des Begriffes ,Antijudaismus‘ wirkt wie der – wenn auch unbewusste – Versuch der Verbannung des Antisemitismus aus der Theologie und deren Zuständigkeit, weshalb er im Folgenden vermieden wird.143 Jüdischer Antisemitismus Barth neigt dazu, dieselben Begriffe für verschiedene Dinge zu verwenden. Zum Beispiel spricht er von jüdischem Unglauben, wenn er den Ungehorsam im Rahmen eines prinzipiell vorhandenen Glaubens meint. Wenn Barth über den Ungehorsam der Juden gegenüber ihrer Erwählung spricht, fällt auch das Wort ,Antisemitismus‘. Es handelt sich um einen jüdischen Antisemitismus, der wie eine Selbstkritik zu verstehen ist. Über den Antisemitismus des Alten und Neuen Testaments sagt er: „Was hat denn aller spätere Antisemitismus noch zu sagen neben der Anklage, die hier gegen die Juden erhoben wird?“ (I/ 2,566) 4.2.4 Antisemitismus und Nationalsozialismus Als totale Diktatur beansprucht der Nationalsozialismus Zugriff auf alle Bereiche des menschlichen Lebens. Er will seine Untertanen vollkommen und allein beherrschen. Der Nationalsozialismus setzt nach Barths Auffassung alles daran, dass er „dem Menschen, allen Menschen, Alles für Leib und Seele, Leben und Sterben, Zeit und Ewigkeit Nötige zu sein und zu geben vermöge.“144 Er erklärt sich zum „Mythus“145. Damit betrachtet Barth den Nationalsozialismus als religiöse Ideologie und Konkurrenz zur Kirche. Indem er ihn im Folgenden selbst als Kirche und seine Anhänger als Glaubende bezeichnet, bringt er zum Ausdruck, wie wenig eine parallele Mitgliedschaft in beiden möglich ist. Auf dieser Basis argumentiert er mit den Vertretern der Kirche, die dem Nationalsozialismus gegenüber aufgeschlossen sind, wie etwa den Anhängern der Deutschen Christen. Er rechtfertigt, warum er selbst nicht neutral bleiben kann: „Der Nationalsozialismus ist eine regelrechte, sehr säkulare, aber in ihrem ganzen Inventar deutlich als solche zu erkennende Kirche, deren eigentliche, ernstliche Bejahung (mit oder ohne die Rosenbergsche Doktrin) nur in Form des Glaubens, der Mystik, des Fanatismus möglich ist.“146 143 Vgl. zur Erläuterung auch Weinrich, Michael: „Antisemitismus“. In: NHThG Neuausg., Bd. 1. München: 2005. 35. 144 S. Barth, Politische Frage, 85 f. 145 S. ebd., 85 f. 146 S. ebd., 86 f.

212 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Für Barth ist es unter anderen Umständen hinnehmbar, in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen Religionen oder religiösen Strukturen zu stehen, ohne diese zu bekämpfen. Barth hält den Kommunismus ebenfalls für sündhaft und für religiös, aber er bekämpft ihn nicht annähernd so vehement wie den Nationalsozialismus, weil er ihn nicht für antisemitisch hält147: „Ein solcher besonderer christlicher «Widerstand» war dem Nationalsozialismus (seiner Weltanschauung und damit auch seiner Politik) gegenüber geboten, weil sein nihilistischer und – entscheidend nicht in seiner Haltung zur Kirche, sondern in seinem Antisemitismus zutage tretender – antichristlicher Charakter weltanschaulich und politisch eindeutig war, und vor allem: weil er der Kirche in Millionen von ihren Gliedern eine reale Versuchung bedeutete. Kommunismus ist jedenfalls nicht Nihilismus; er ist auch nicht antisemitisch, und er ist nicht einmal systematisch und konsequent kirchenfeindlich.“148

Der Nationalsozialismus ist laut Barth antisemitisch und damit antichristlich149: „Der Nationalsozialismus aber lebt und webt eben im Antisemitismus.“150 Seine Ideologie ist ein Angriff auf die Christen: „der Nationalsozialismus ist die grundsätzlich antichristliche Gegenkirche.“151 Als antichristliche Gegenreligion ist der Nationalsozialismus nochmal schlimmer als der individuelle Antisemitismus. Mit seinem Widerspruch gegen das erste Gebot und Adolf Hitler als einem Nebengott macht sich der Nationalsozialismus nach Barths Auffassung mindestens zum Götzendienst.152 Darüber hinaus erhält er von Barth den Status einer eigenen – götzendienerischen – Religion aufgrund seines selbst kreierten Gottes bzw. seiner Ideologie der Selbstvergottung in der Person Hitlers, weil es Hitler nicht gereicht hat, Nebengott zu sein. Das Streben nach der Anerkennung als dem einzigen Gott, hat Hitler zum Antisemiten bzw. zum Verfolger der Repräsentanten des Gottes Israels auf Erden gemacht. Hitler hat laut Barth Jesus Christus abgelehnt, sich selbst an seine Stelle gesetzt und das deutsche Volk zum Gottesvolk erklärt. (II/2,341–344) Für Barth war das Ver147 Vgl. Busch, Lebenslauf, 369. 148 S. Barth, Karl: „An den Nachrichtendienst der Pressestelle der Evangelischen Kirche der Rheinprovinz (Vikarin Irmgard Rehmann), Bonn. 1946“. In: ders.: Offene Briefe 1945–1968. Hg. v. Koch, Diether. Karl Barth Gesamtausgabe V.15. Zürich: 1984. 105. 149 Barth verwendet diesen Begriff sonst nicht. Er nennt den Papst zwar auch einmal den Antichristen, aber das passiert eher in einer unpersönlichen formelhaften Wendung. Vgl. Busch, Lebenslauf, 502.228. 150 S. Barth, Politische Frage, 90. 151 S. ebd., 88. 152 Barths Auffassung basiert auf der Lektüre von „Mein Kampf“. Gleich von Anfang an verweigert er deshalb den Treueeid. Vgl. Busch, Lebenslauf, 236. 255. 268 ff. Es ist kein Zufall, sondern ein Signal, wenn Barth schon 1933 einen Aufsatz über das erste Gebot verfasst. Hierin greift er den nationalsozialistischen Staat jedoch noch nicht wie in der Erwählungslehre von 1942 explizit an. Vgl. Barth, Karl: „Das erste Gebot als theologisches Axiom“. In: Ders.: Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge 3. Zürich: 19862. 127–143.

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fassen der Erwählungslehre seine Form der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie, wie er im Vorwort erläutert. In §35 setzt Barth sich auseinander mit dem allgemein menschlichen Versuch, sich als Einzelner an Jesus Christus vorbei auserwählt zu fühlen. Darin verwendet er beispielhaft Hitlers Behauptung, der Auserwählte für die Menschen zu sein. Hitler wird zum selbst ernannten Wort, dem selbst ernannten Christus.153 Um an die Stelle Gottes treten zu können, tötete Hitler die Juden, die als die tatsächlich Auserwählten in einem Konkurrenzverhältnis zu ihm standen. Gewiss lässt sich grundsätzlich der Antisemitismusbegriff eines Theologen ohne seine Prägung durch den Nationalsozialismus oder seine Einstellung zu diesem nachvollziehen, weil der Antisemitismus sich als ein Phänomen erwiesen hat, das auch unabhängig von der damaligen politischen Ideologie und von der Erfahrung mit dieser vorkommt.154 Die Besprechung des Antisemitismus dagegen muss Barths Einschätzung des antisemitischen Nationalsozialismus berücksichtigen, weil er in den Jahren 1933–45 den größten Teil seiner KD verfasste. Als die große politische Frage seiner Zeit hat der Nationalsozialismus seine Theologie und damit seinen Antisemitismusbegriff beeinflusst. Weil der Nationalsozialismus Barth zum entscheidenden Beispiel für den Antisemitismus wurde, hat er sich besonders außerhalb der KD häufiger zum Nationalsozialismus geäußert, während er sich in der KD vor allem mit dem Antisemitismus als dem zeitlosen allgemeinen Phänomen dahinter beschäftigt hat.155 Dabei ist eine Entwicklung festzustellen von der zu Beginn noch häufigeren Thematisierung des Nationalsozialismus hin zur späteren Konzentration auf den Antisemitismus.

Exkurs: Barths Deutung der Shoah Barth verwendet eine drastische Sprache, wenn er über die Shoah spricht, und dennoch entsteht der Eindruck, als ringe er bei diesem Thema um Worte. Seine Aufzählung von Verbrechen zeigt seine Kenntnisse um die Ereignisse der Shoah, und seine Schlussfolgerung offenbart seine Wertung dieser Ereignisse als bewussten Angriff auf die Kirche: „Wenn das geschieht, was in dieser Sache in Deutschland jetzt offenkundig beschlossen und schon ins Werk gesetzt ist: die „physische Ausrottung” gerade des Volkes Israel, der Verbrennung gerade der Synagogen und Thorarollen, die Perhorreszierung gerade des „Judengottes” und der „Judenbibel” als des Inbegriffs alles dessen, was dem deutschen Menschen ein Greuel sein soll – dann ist eben damit, 153 Vgl. zu Barths Führerbegriff II/2,341–344. 154 Dass der Antisemitismus weiterhin verbreitet ist, zeigen aktuelle Studien wie die von SchwarzFriesel, Judenfeindschaft. 155 Das ergibt die Zahl der Treffer für „Antisemitismus“ und „Nationalsozialismus“ in den entsprechenden Publikationen.

214 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen allein schon damit darüber entschieden: da wird die christliche Kirche in ihrer Wurzel angegriffen und abzutöten versucht.“156

Die Shoah bezeichnet er als den Akt der Verfolgung und Vernichtung der Juden und als „unsagbaren Jammer“157, oft spricht er von der „schlimmsten Katastrophe ihrer Geschichte“158 zu einem Zeitpunkt, als der Begriff ,Shoah‘, der aus dem Hebräischen übersetzt auch ,Katastrophe‘ heißt, in seinen Kreisen noch nicht geläufig war.159 Barth scheint also zufällig denselben Begriff zu wählen. Wenngleich es treffend erscheint, wenn er von der Shoah als der Katastrophe spricht, ist diese Feststellung relativiert zu sehen, weil er den Begriff ,Katastrophe‘ auch für den Nationalsozialismus verwendet hat, und weil er darüber hinaus ein bei Barth gehäuft vorkommender Begriff gewesen ist. Lindsay beklagt Barths mangelhafte Auseinandersetzung mit der Shoah innerhalb der KD.160 Barth kommt es nicht darauf an, die Shoah zu untersuchen, sondern er will den Antisemitismus als deren Wurzel aufdecken. Lindsays Versäumnis besteht darin, sich nicht eingehend mit Barths Antisemitismusbegriff auseinandergesetzt zu haben und so zu verkennen, dass Barth mit §49 die Auseinandersetzung mit der Shoah in die KD eingebracht hat.161 Laut Busch war für Barth die Shoah eine Analogie zu Golgatha, in der die Juden wie Jesus gelitten haben.162 Er stellt hier einen Vergleich zwischen dem Holocaust und dem Mord an Jesus Christus her, indem er dahinter ein wiederkehrendes Prinzip ausmacht. So erklärt er die Shoah de facto zur Aktualisierung von Golgatha. Nach dieser Vorstellung trifft die getöteten Juden der Hass der Nationalsozialisten, weil sie geeignete Opfer sind. Sie sind bspw. 156 S. Barth, Politische Frage, 90. 157 S. ebd., 90. 158 S. Barth, Judenfrage, 145. So berichtet es auch Fackenheim, Emil L.: To Mend the World. Foundations of Future Jewish Thought. New York: 1982. 133. 192. Wobei Fackenheim Barth für einen typischen Theologen vor Auschwitz hält, in dessen Theologie die Shoah schon im Vorhinein überwunden ist, und für den überdies die Shoah jüdische, nicht christliche Katastrophe ist. 133. 159 Die Begriffe ,Holocaust‘ und ,Shoa(h)‘ kommen bei Barth verständlicherweise nicht vor. Der Begriff ,Holocaust‘ entwickelt sich erst viel später, die Wendung ,Shoa(h)‘ gab es bereits seit den Vierzigern, sie wurde aber noch nicht von deutschen Theologen benutzt. 160 Das ist eine der wesentlichen Thesen seines zweiten Bandes. Allein die Tatsache, dass Barth die Shoah nicht als Kriterium für seine Lehre vom Nichtigen verwendet, lässt Lindsay seine Haltung zur Shoah in Frage stellen. Er bemängelt, dass seine Lehre nicht explizit eine Lehre nach Auschwitz ist. Vgl. Lindsay, Barth, 37. 161 Lindsay hält Barth weder für antisemitisch noch für antijudaistisch, wobei er Barths Definition von Antisemitismus offenbar erst spät oder nur beiläufig wahrnimmt (Lindsay, Solidarity, 303, Barth, 80–83, Auschwitz, 163). Es entsteht der Eindruck, er nehme Barths spezifische Definition nicht zur Kenntnis. Lindsay erklärt weder Barths Definition der Juden als Volk Gottes noch dessen Ablehnung der in Kategorien von Rasse denkenden Definition. Lindsay übersieht vielmehr trotz seiner sorgfältigen Relektüre von KD III im zweiten Buch, dass Barths keinen rassistischen Antisemitismus lehrt. 162 Busch, Bogen, 519.

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gering an der Zahl oder haben einen schlechten Stand in der Gesellschaft. Wie Jesu Peiniger, haben die Nationalsozialisten ihren Frust über eigene Misserfolge und Probleme an einem schwächeren Glied ausgelassen, auf das sie ihren Hass nur projiziert haben. Damit macht Barth die Juden austauschbar. Für ihn ist dieses Phänomen allgemein menschlich. Der Mensch, der es nicht erträgt, dass jemand größer ist als er, beabsichtigt, diesen Zustand zu beenden, indem er diese Person tötet. Vielmehr will er Gott töten, um an seine Stelle zu treten. Barth unterstellt dabei den Nationalsozialisten, den Juden unbewusst eine größtmögliche Nähe zu Gott zuzusprechen, was sie dazu bringt, die Juden an Gottes Statt zu ermorden. Diese Denkweise der Stellvertretung Gottes in der Offenbarung bis hinein ins Leiden teilt Barth, wobei er in deren Reflexion die mahnende Funktion sieht, der Sünde, Gott töten zu wollen, mit aller Macht zu widerstehen. Die Shoah verstand er als Nachbildung des Gerichts zu Golgatha und als Vorabbild dessen, was im Endgericht geschieht. In ihr hat sich gezeigt, dass es Gottes Wille ist, dass das jüdische Volk auch nach der schlimmsten Katastrophe weiterhin unausrottbar das jüdische Volk ist. (II/1,445) Es ist ein Tabu, die Shoah in ihrer einzigartigen Grausamkeit durch einen Vergleich zu relativieren. Selbst wenn es sich dabei um den Tod des Gottessohnes handelt, wirkt Barths Vorgehensweise an dieser Stelle irritierend. 4.2.5 Antisemitismus und Ökumene Barths Vision von Israel als einem Teil der Ökumene wurde im zweiten Kapitel behandelt. Diese Darstellung wird hier ergänzt mit Belegen außerhalb des Exkurses zur Judenmission und mit den Erkenntnissen zum Antisemitismus. Für Barth ist das Judentum nicht nur ein Teil der weltweiten Ökumene, sondern Antisemitismus und Ökumene sind zwei miteinander verbundene Phänomene. Der Antisemitismus behindert ein positives Verhältnis zwischen Juden und Christen mindestens genauso wie der so genannte Antijudaismus oder die Judenmission. Alle Juden und Christen bilden eine Einheit als Gemeinde bzw. als Leib Christi. Sie sind „das Volk Israel in seiner ganzen Geschichte ante et post Christum natum und die am Pfingsttag in die Erscheinung getretene christliche Kirche in zwei Gestalten und unter zwei Aspekten gesehen (KD II, 2 §34, 1!) untrennbar die eine Gemeinde, in der Jesus Christus seine irdisch-geschichtliche Existenzform hat […] Denn was die christliche Kirche ist, das war und ist vor ihr schon Israel: sein Eigentum ( Joh. 1, 11), sein Leib.“ (IV/1,747 f.)

Das Bekenntnis zur ökumenischen Beziehung von Christen und Juden ist für Barth das Gegenteil des Antisemitismus der Christen. Das äußert er zwar nicht explizit, aber es geht aus seinen Definitionen hervor. Antisemitismus bedeutet, den Juden ihre Erwählung abzusprechen, und Ökumene heißt, sie anzu-

216 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen erkennen. Barth bekräftigt in seinem Abschnitt zur Einheit von Juden und Christen seine Ablehnung der Judenmission: „«Judenmission» ist wirklich gar kein Wort für den Ruf nach Aufhebung dieser Trennung“ (IV/1,749), aber er benutzt die Forderung nach Einheit nicht als Argument gegen die Mission, sondern umgekehrt sagt er, dass die Einheit gegeben ist, und ihre Anerkennung die „Christenfrage“ (IV/1,749) ist. Juden und Christen aller Zeiten bilden den Leib Christi, bezeugen Jesus Christus und sind darin die eine Gemeinde. Barth schreibt: „Unterschiede sind und bleiben unübersehbar: es geht schon um zwei Aspekte, zwei Gestalten, zwei «Ökonomien» der einen Gnade. Es ist aber eine Geschichte, die dort anhebt, in Jesus Christus ihre Mitte hat und hier ihrem Ziel entgegeneilt.“ (IV/1,749)

So wie zwei verfasste Kirchen sich als eine verstehen können, ohne ihre bleibende Existenz als zwei verschiedene infrage zu stellen, stehen Kirche und Synagoge bleibend getrennt nebeneinander, aber sind unsichtbar eins. Genau genommen erwartet Barth nicht einmal eine Dialogbeziehung, sondern die christliche Anerkennung der Juden als Teil des Leibes, weil in dieser Konzeption die alleinige Aktivität von den Christen ausgeht. Die Christen sollen aktiv sein gegen Antisemitismus, sich damit in ihrer Haltung den Juden annähern, und sie im Blick behalten um ihrer selbst willen. Barth beklagt die von Christen als normal empfundene Existenz des Judentums und des Christentums als zwei Religionen als „eine ontologische Unmöglichkeit, eine Wunde, ja eine Lücke im Leib Christi selber“ (IV/1,749) und als „dunkelste Dunkelheit“ (IV/1,749). Das Problem besteht für ihn in der Haltung der Christen, die sich mit dieser getrennten Existenz abfinden: „Die entscheidende Frage lautet nicht: was kann die jüdische Synagoge ohne ihn sein? sondern: was ist die Kirche, solange ihr ein ihr fremdes und entgegengesetztes Israel gegenübersteht?“ (IV/1,749)

Ihm geht es um christliches Selbstverständnis, das gestört ist, wenn Christen ihre Kirche ohne das Judentum für vollständig ansehen. Die Aufgabe der Kirche ist die Suche nach der Einheit mit Israel. Die Kirche: „hat sich darum von Anfang an als Kirche aus Juden und Heiden und insofern als den «Israel Gottes» (Gal. 6, 16), als das «ganze Israel» (Röm. 11, 26) verstanden. Man müßte Jesus Christus selbst leugnen, wenn man gerade diese Einheit seiner Gemeinde leugnen wollte.“ (IV/1,749)

Barth praktiziert eine innere Haltung der Zusammengehörigkeit, ohne die institutionelle Nähe einzufordern. De iure kann er es nicht akzeptieren, dass es zwei Religionen gibt, aber de facto steht er dazu.163 Das zur Ökumene Aus163 Barths erweiterte Definition von Ökumene, die Israel einschließt, wurde in der Literatur von einigen wahrgenommen. Weinrich weist darauf hin, dass Barth hier etwas angestoßen hat, was es weiter zu bedenken gilt. Vgl. Weinrich, Ökumene, 150 und Zeitgenossenschaft, 327. Hier

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geführte erhält noch mehr Gewicht durch Buschs Hinweis darauf, dass Barth all seine Theologie als Ökumenische Theologie verstanden hat.164

4.2.6 Kapitelschluss Der Antisemitismus als der neidische Hass auf Gottes Erwählung der Juden ist ein für Barth genuin theologisches Thema, das in seiner Dogmatik Gewicht hat und das dauerhafter Bestandteil der christlichen Verkündigung ist. In dessen Bekämpfung sieht Barth die Hauptaufgabe christlicher Annäherung an jüdische Glaubensgeschwister. Jede Solidarität mit den Juden, die sich mit Judenhass konfrontiert sehen, begrüßt Barth. Wo immer sie nicht im Verständnis des Antisemitismus als Sünde begründet ist, setzt sie für ihn falsch an und geht so nicht weit genug. Sie hat dann nicht zur Folge, dass der Christ sich nicht selbst bedroht fühlt und den Impuls zu handeln verspürt. Mit seinem zeitlosen Ansatz widerspricht Barth der Haltung, sich des Themas nur dann anzunehmen, wenn es wieder zu einem gesellschaftlichen Thema geworden ist. Das macht ihn interessant für die Kirche in Deutschland, die sich erneut mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen muss. Barths Deutung des Antisemitismus und daraufhin der Shoah und der Ökumene mögen in ihrer vertrauten Art, Kritik zu üben, vereinnahmend wirken, was jedoch lediglich Ausdruck seiner tief empfundenen Verbundenheit ist. Die Kritik eines Juden versteht er als interne, geschwisterliche Auseinandersetzung zugunsten einer Reformchance, so wie die Bibel selbst das praktiziert. Barths Nicht-Definition des Juden wirkt beeindruckend aktuell in einer Zeit, in der Rassentheorien aufgegeben worden sind und in der Judenerklärt er, dass das Streben nach der Einheit der Kirche die Wahrnehmung von Israel behindert. Anders sei es laut Weinrich, würden die Kirchen nach der Einheit in dem einen Gott suchen, und genau das habe Karl Barth mit der Rede von der großen ökumenischen Frage gemeint. Vgl. Weinrich, Ökumene, 160. Stöhr äußert sich in seinem Artikel nicht direkt zu Barth, sondern er schreibt über seine eigenen Erfahrungen mit dem Judentum. Um dem Ganzen dann die Legitimation zu verleihen, nimmt er Barths vielzitiertes Zitat von der großen Ökumene als Titel. Es bleibt unklar, ob der Verfasser im Sinne von Barths Haltung ganz dahinter steht. Stöhr, Martin: „»…nur eine tatsächlich große ökumenische Frage …: unsere Beziehungen zum Judentum« (Karl Barth)“. In: Haarmann, Michael/von Lüpke, Johannes/ Menn, Antje (Hg.): Momente der Begegnung. Impulse für das christlich-jüdische Gespräch. Bertold Klappert zum 65. Geburtstag. Neukirchen-Vluyn: 2004. 264–268. Die Steigerung dessen ist Goldmann, der das Barthzitat verwendet für ein Buch, in dem er Barth genau die gegenteilige Haltung nachweisen will, nämlich eine Sukzession Israels. Dass dieses Zitat so häufig verwendet wird, erweckt den falschen Eindruck, Barths erweiterte Ökumene sei auf große Resonanz gestoßen. Vgl. Goldmann, Strukturverschiedenheit. 164 Vgl. Busch, Einblicke, 37 f. und Leidenschaft, 262 f. Hier erklärt Busch auch, dass Juden und Christen nur ohne Spaltung ihren Dienst tun können. Der Dienst setzt Einheit voraus, und dazu gehören die Juden maßgeblich dazu. Antisemitismus ist Sünde, weil er die Einheit verhindert, die über allem steht.

218 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen feindschaft immer noch befeuert wird durch die fälschliche Gleichsetzung von Juden und Israelis. Barth bespricht den Antisemitismus und die Judenmission separat und ohne entsprechende gegenseitige Verweise. Während er die Frage nach der Judenmission in seiner Versöhnungslehre im Paragraphen über die Sendung der Kirche behandelt, schreibt er über den Antisemitismus in seiner Schöpfungslehre anlässlich seiner Überlegungen zum Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf. Nirgends diskutiert er über einen Zusammenhang. Sowohl der Judenmissionar als auch der Antisemit schaden sich selbst am meisten, doch unterscheidet sich der Stellenwert der Phänomene bei ihm erheblich. Die Judenmission wird von Barth schlicht als ein absurdes Phänomen abgetan und als solches nicht besonders scharf kritisiert. Dagegen erklärt er es zur genuinen Aufgabe der Kirche, den Antisemitismus als die Gegenkraft zum Evangelium zu bekämpfen.

4.3 Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche 4.3.1 Einleitung Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Konsequenzen für das Verhältnis von Christen und Juden und das Verhalten von Christen gegenüber Juden, die aus der besonderen Stellung der Juden vor Gott bzw. aus Gottes Zuspruch an die Juden, erwachsen. Kapitel 3.3 hat ein Konzept vorgelegt dahingehend, welchen Vorsprung Juden vor den Christen haben. Kapitel 4.3 führt dazu weitere Belege außerhalb der Erwählungslehre an und beschäftigt sich davon ausgehend mit Barths Tauf- und Abendmahlslehre. Busch schreibt, dass laut Barth das Christusbekenntnis das tätige Bekenntnis zu den Juden voraussetzt.165 Barth radikalisiert laut Busch „die Ablehnung einer Substitution Israels durch die Kirche zum Gedanken einer prinzipiellen Unersetzlichkeit der Juden, zur Rede von ihrer göttlich notwendigen Existenz.“166 Er erklärt, dass Gott laut Barth nicht Gott sein will, ohne dass es die Juden gibt.167 Immer wieder äußert Barth die Überzeugung, dass die vollständige Auslöschung jüdischer Existenz unmöglich ist, weil Juden eine notwendigerweise bleibende Aufgabe in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen haben. Diese Besonderheit der Juden im physischen Sinne führt Barth selbst nicht aus, aber er weist häufig darauf hin unter Verwendung unterschiedlicher Begriffe und Bilder. Weitere Themen dieses Ka165 Vgl. Busch, Bogen, 520. 166 S. ebd., 534. 167 Vgl. ebd., 535.

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pitels sind die theologische Deutung des Staates Israel und die Frage, ob nach Barths Auffassung die Taufe von Juden abzulehnen ist.

4.3.2 Die Juden als Gottes Eigentum Diese Arbeit hat Juden definiert als Menschen, die von Gott erwählt worden sind. Dennoch verwendet Barth Titel oder Beschreibungen, die auf die Physis der Juden abzielen. Es handelt sich dabei um Metaphern, so dass eine tatsächliche physische Zuschreibung ausgeschlossen werden kann. Nichtsdestotrotz spielt die leibliche Präsenz der Juden eine Rolle in der Heilsgeschichte, die zusammenhängt mit der Erwählung, über die Barth die Juden definiert hat. Juden verkörpern die Erwählung nicht als Menschen, die physisch anders sind, sondern sie verweisen durch ihre Präsenz auf die Erwählung und damit auf das Evangelium. Als solche physischen Verweise sind sie nicht austauschbar. Immer wieder klingt in Barths Äußerungen durch, dass Gott sich in einer Weise an die Juden gebunden hat, die ihre physische Existenz unverzichtbar macht. Die Juden wirken geradezu wie Gegenstände, wenn von ihnen als dem Eigentum Gottes gesprochen wird. (II/2,304.313) Sie sind heilige Wurzel und heiliges Erstlingsbrot (II/2,314). Sie sind – wie auch immer das zu verstehen ist – der Augapfel Gottes, der unauslöschlich ist. (III/3,247) „Indem und weil sie diese sind, sind die Juden immer noch da mit ihrer besonderen Geschichte mitten in der Weltgeschichte: ein Volk, das kein Volk und gerade so das Volk, das Volk Gottes ist, mit einer Geschichte, die keine Geschichte und gerade so, gerade in ihrer weltgeschichtlichen Problematik die wirklich menschliche Geschichte, die Geschichte des Menschen mit Gott ist. Indem die Juden diese sind, gilt von ihnen bis auf diesen Tag: «Wer euch antastet, tastet meinen Augapfel an» (Sach. 2, 8). Gottes Augapfel kann aber niemand antasten. Und so kann man auch die Juden zwar verachten und hassen, unterdrücken und verfolgen oder auch assimilieren, aber nicht wirklich antasten, nicht beseitigen, nicht auslöschen. Sie sind das einzige Volk, das fortexistieren muß, so gewiß Gott Gott ist, so gewiß das, was er laut der Botschaft der Bibel gewollt, gesagt und getan hat, keine Laune und kein Scherz, sondern ewiger Ernst war, das Thema alles kreatürlichen Geschehens zu allen Zeiten. Die Geschichte der Juden ist die Verkörperung dieses Themas der Weltgeschichte.“ (III/3,247)

Selbst die sterblichen Überreste eines Juden bezeugen das Evangelium: „Enthält etwa nicht noch der jüdische Starrsinn und Trübsinn, noch die jüdische Schrulle und Phantasterei, noch der Judenfriedhof von Prag – weil das Alles mit dem sterilen Hören, aber mit dem Hören des Wortes Gottes zusammenhängt – objektiv und faktisch mehr echtes Evangelium als alle ungläubige Gojim-Weisheit miteinander und ein gutes Teil angeblich christlich-gläubiger Theorie und Praxis dazu?“ (II/ 2,260)

220 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Sie sind exemplarisch physisch herausgehoben aufgrund ihrer Erwählung als dieses konkrete Volk. Die Juden sind Gottesknechte und heiliges Restisrael: „Sie sind eben nicht umsonst das erwählte, das zum Träger des Lichtes und des Heils für alle Völker bestimmte Volk, nicht umsonst das heilige Rest-Israel, nicht umsonst als Volk der menschliche Knecht Gottes, nicht umsonst das Volk des auf Golgatha, beladen mit seiner Sünde und mit der ganzen Welt, gestorbenen Juden Jesus von Nazareth, nicht umsonst gerade durch diesen Einen repräsentiert.“ (III/3,248)

Am besten verständlich wird die hier ausgedrückte Besonderheit mit den Metaphern von Licht und Dunkelheit. Sie zeigt deren Nachteile auf, die etwa im neidvollen Hass der Mitmenschen liegen gemäß dem Spruch ,Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.‘ Das Licht kommt nicht aus ihnen selbst, sondern hat seine Quelle in Gott, der ihnen besonders nahe ist. Barth schreibt über die Juden: „Der Jude ist in diesem Sinne der Menschlichste von allen Menschen.“ (III/3,251) Er ist der, dessen „Menschlichkeit nun einmal, ohne daß sie als solche anders, besser oder schlechter wäre als die anderer Menschen, in einem anderen, besonderen, helleren Licht steht als die anderer Menschen.“ (III/3,250)

Gott erwählt keine Individuen, sondern ein ganzes, ausgesondertes Volk durch den Heiligen Geist. Die Heiligkeit der Juden ist zurückzuführen auf Gottes Entscheidung und wird ermöglicht durch die Wahl Jesu Christi, der sich als jüdischer Mensch und Bruder inkarniert.168

4.3.3 Die Juden als Offenbarung des göttlichen Heils Die Aufgabe, die sich mit der leiblichen Präsenz des jüdischen Volkes verbindet, liegt in ihrem Anteil an der Offenbarung. Juden bezeugen nicht nur die Offenbarung, sondern sie sind ein Teil der Offenbarung. Juden zeugen nicht nur von Gott, sie sind selbst zwar nur exemplarisch, dann aber auch wirklich vermittelnd – stellvertretend mittlerisch (IV/3,69) – wie eine Art physischer Gottesbeweis. Barth sieht in den Juden nichts weniger als einen physischen Gottesbeweis: „das natürlich-geschichtliche Monument der Liebe und Treue Gottes, in konkreter Gestalt der Inbegriff des frei erwählten und begnadeten Menschen, als lebendiger Kommentar zum Alten Testament der einzige, dafür schlagende außerbiblische Gottesbeweis.“ (IV/3,1005 f.)169 168 Vgl. Busch, Leidenschaft, 244. 169 Schon in den Prolegomena bezeichnet Barth Juden als Gottesbeweis. Es handelt sich demnach um eine andauernde Überzeugung. Vgl. I/2,566 f.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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Der Begriff ,Gottesbeweis‘ ist kirchengeschichtlich vorgeprägt, von Barth jedoch anders verstanden als als bloßer Hinweis oder als Zeichen. Wichtig ist einzig die Abstufung zum regulären Zeugnis der Christen. Juden haben einen Anteil an der göttlichen Offenbarung durch ihre physische Präsenz. Wo Gott sich offenbart, ist er zugleich präsent und heilbringend. Insofern bringen die Juden das Heil in die Welt. (I/2,245 ff.) Sie vollziehen das allerdings als menschliche Mittlerschaft, die der von Jesus Christus nachsteht. Sie stehen auf einer Stufe zwischen Jesus Christus und den Heiden. Die Juden sind für die Heiden „Zeuge und Zeichen“, aber keine Mittler, denn innerhalb des Gnadenbundes gibt es keine Mittlerschaft. (III/3,75) Gott bleibt „das Subjekt dieser Rede und dieses Handelns“ (I/2,245), nur braucht er Mittel: „Gottes Offenbarung kommt aber mittelbar zum Menschen, insofern sie tatsächlich nie ohne kreatürliche Mittler und Mittel kommt, sofern sie tatsächlich immer in einem in seinen Grundzügen festbestimmten und sich gleichbleibenden kreatürlichen Raum und Rahmen geschieht.“ (I/2,245)

Ein Zeichen ist bei Barth gegenwärtige Verkündigung bzw. Gottes Wort, das sich im Heiligen Geist offenbart. Im Zeichen wird das durch Gottes „Geist wirkende freie Handeln Gottes in Jesus Christus“ sichtbar gemacht.170 Unter den Zeichen nennt Barth die Erwählung Israels das „sichtbarste und in gewissem Sinn alle übrigen umfassende Zeichen“ (I/2,245). Ein anderes Wort für die Heilsoffenbarung der Juden durch ihre Existenz ist das Wort Instrument: „daß die besondere Existenz Israels das Instrument ist, durch dessen Dienst Gott endlich und zuletzt allen Völkern sein Heil zeigen und schaffen wird.“ (IV/1,32) Die Juden stehen soteriologisch über den Heiden, weil sie eine Aufgabe in der Offenbarung haben. Das aber ist keine geschichtliche Hierarchie, sondern eine soteriologische, die sich auswirkt auf die Heilsgeschichte, wo Juden zuerst von Gott angesprochen sind (ab Gen 12). Offenbarung Gottes gegenüber den Menschen ist auf jeden Fall immer nur jüdische Geschichte Gottes mit dem Menschen. Allein Juden bringen Gottes Offenbarung in die Welt, weshalb die Juden bleiben müssen.171 Das Wort wurde nicht irgendein Fleisch, sondern jüdisches Fleisch, um exemplarisch Fleisch zu werden in dem dazu erwählten Volk. Juden sind „offenbar […] im jüdischen Fleisch“ (IV/1,187); „exemplarisch und manifest“ (IV/1,187) sind sie das erwählte Volk. Juden sind menschliche Ermöglicher, wie Jesus Christus der göttliche ist. Weil sie im Bund stehen, kann er ihren Bund erfüllen. Ge170 S. Weinrich, Michael: „Karl Barths Sakramentsverständnis. Ein Thema und seine Variationen“. In: Beintker, Michael/Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968) Vertiefung – Öffnung – Hoffnung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2014 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2016. 473. 171 Vgl. Busch, Bogen, 444.

222 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen meint ist hier wieder die Fleischwerdung und damit Sichtbarwerdung. Erwählung ist ein physisches Konzept. Das Wort musste Fleisch werden, um sich zu offenbaren, und so muss es auch ein leibhaftiges Volk geben, das zum Empfang und zum Zeichen ausgewählt wurde. Laut Chung wird sowohl für Juden als auch für Christen eine Verbindung zwischen beiden Religionen besonders deutlich in dem Jüdischsein der Mutter Jesu.172 Die Offenbarung Gottes an den Menschen ist noch differenzierter hierarchisch strukturiert. Gott gibt sich zuerst den Propheten, dann dem jüdischen Volk und erst der Gemeinde und dann der Welt zu erkennen. „Offenbarung ist in der Bibel immer eine Geschichte zwischen Gott und bestimmten Menschen. Da wird einer ausgesondert und in die Fremde geführt wie Abraham, da wird einer zum Propheten, einer zum Priester, einer zum König berufen und gesalbt, da wird ein ganzes Volk erwählt, geführt, regiert, gesegnet, gezüchtigt, verworfen und wieder angenommen, da wird Glauben und Gehorsam erweckt oder auch Verstockung vollzogen. Da wird im Licht dieses ganzen Geschehens eine Kirche versammelt, Kerygma und Sakrament eingesetzt als Zeichen der Erinnerung und der Erwartung, weil der Mensch jetzt, „in Christus”, eine Zukunft bekommen hat und eben damit eine Gegenwart zwischen den Zeiten.“ (I/1,314)

Einzelne Juden wie Mose und die Propheten bezeichnet Barth als Repräsentanten Gottes: „Gilt das schon im Alten Testament etwa im Blick auf die Tatsache, daß hier die Figuren des Mose und der Propheten es sind, um die sich der berichtete Vorgang der Offenbarung zusammendrängt (sie sind wirklich nicht nur Instrumente in Gottes Hand, sondern als solche zugleich seine Vertreter, nicht nur Zeugen offenbarter Wahrheiten, sondern Repräsentanten des sich offenbarenden Gottes) muß man schon im Alten Testament auf die merkwürdige Figur des an gewissen Stellen als mit Jahve identisch in Aktion tretenden Engels Jahves hinweisen – so noch vielmehr im Neuen Testament, wo die Offenbarung geradezu zusammenfällt mit der Erscheinung Jesu Christi. Also im Geschehen der Offenbarung selbst haben wir jetzt den Offenbarer zu suchen und zu erkennen.“ (I/1,314)

Ein Repräsentant ist mehr als ein Zeuge, weil er den anderen vertritt. Zugleich ist er weniger als ein Stellvertreter, weil letzterer vermittelnd zum Ausgleich eines Defizits an die Stelle des anderen tritt. Die Repräsentanz des jüdischen Volkes funktioniert auch umgekehrt, indem die Juden die Völker vor Gott repräsentieren. (III/4,361)

172 Maria sei ein Beispiel für die jüdische Umgebung: „The Jewish mother is the representative of Israel, and Israel, in its culmination of history, takes part in the event of salvation and election in a natural way.“ S. Chung, Word in Action, 399.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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4.3.4 Barths Haltung zum Staat Israel Wenn Barth über das Land oder den Staat Israel schreibt, geht es ihm nie um sein eigenes Interesse an einem Anteil am Heiligen Land als dem Ort der erwarteten Parusie, sondern der Staat Israel gilt bei Barth ebenfalls als Gotteshinweis.173 Den Unabhängigkeitstag des Staates Israel am 14. Mai 1948 erlebte Barth im Alter von 62 Jahren. Die Existenz des israelischen Staates war für ihn folglich keine politische Selbstverständlichkeit und schon gar keine theologische Notwendigkeit, wie die Erwählung der Juden zum Gottesvolk, sondern der Staat Israel war für ihn eine Überraschung oder ein Wunder: „Zu Petuchowskis Frage: Wenn ich die Schaffung des modernen Staates Israel im Zusammenhang der Erfüllung des Alten Testaments betrachte, so ist eine mögliche Erklärung die, daß das ein weiteres und neues Zeichen für die erwählende und vorsehend regierende Gnade und Treue Gottes gegenüber diesem Samen Abrahams ist – ein sehr sichtbares Zeichen, sichtbar für jeden Zeitungsleser, für die ganze Welt, ein Zeichen, das nicht übersehen werden kann. Nach den Schrecknissen der Hitlerzeit kann das heutige Wiedererscheinen Israels als Nation im politischen Bereich, ja als Staat, wohl ein Wunder genannt werden – für alle, die Augen haben, dieses Augenscheinliche zu sehen [vgl. Mt. 11, 15], und ein Ärgernis für alle, die keine Augen haben zu sehen.“174

Der Staat Israel wird ihm nach dem Holocaust sogleich zu einem ebensolchen Gotteshinweis wie die Existenz der Juden. „Erinnern Sie sich der gestern erwähnten Antwort, die Friedrich dem Großen gegeben wurde: «Der Beweis für Gottes Existenz, Eure Majestät, sind die Juden»! Und heute könnten wir hinzufügen: «Eure Majestät, der Staat Israel». Die Juden haben ihre Existenz stets allein der Macht Gottes und nicht ihrer eigenen Stärke oder der Kraft ihrer Geschichte verdankt. Und hier haben wir einen weiteren Fall dieser Art von Israels Existenz. Gott allein kann ihnen helfen zu existieren, und es hat den Anschein, daß er es will.“175

Barth hielt den gerade erst gegründeten Staat Israel für unauslöschlich, und die Staatsgründung für ein Zeichen Gottes so, wie er das in Bezug auf die Existenz der Juden getan hat. Er sah in Israel weniger den Schutzraum für die Verbreitung und Bewahrung jüdischen Lebens als die Erfüllung der göttlichen Landverheißungen. 173 (Nur) in diesem Unterkapitel wird unter Israel der Staat verstanden. 174 S. Barth, Karl: „Podiumsdiskussion in Chicago (25./26. 4. 1962)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 271. 175 S. Barth, ebd., 271 f.

224 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen „Ja, die Existenz dieses Staates als solche ist von [theologischer] Bedeutung. Israel [war] nicht nur im Alten Testament da, sondern [ist auch] in der Gegenwart [da]. Man hat schon gesagt, die Existenz der Juden sei der einzige Beweis für die Existenz Gottes. Das Alte Testament regt sich [in unserer Gegenwart] wieder in kurioser Weise, z. B. [in einer neuen] «Landnahme» usw. [Das Leben dieses Volkes] ist tatsächlich ein Stück Selbstbeweis des Gottes der Bibel.“176

Er unterscheidet zwischen der exklusiven Geschichte der Juden, die mit der Tempelzerstörung endgültig endet, und zwischen der besonderen Geschichte Gottes mit den Juden auf der Grundlage der Verheißungen, die nicht geendet hat, und die mit der Staatsgründung sichtbar geworden ist. Dennoch bleibt er dabei, die Juden über den Gottesvolkbegriff zu definieren. Selbst wenn alle Juden im Staat Israel lebten, wären Juden immer etwas Anderes als Israelis, die als Bürger eines Landes den Bürgern anderer Nationen gleichgestellt sind. Die Festlegung der Grenzen des Staates und die Diskussion um die Frage, ob ein Jude besser in Israel oder in der Diaspora lebt, interessieren Barth nicht. Biblisch gesehen ist für ihn die Staatsgründung ein Geschehen analog zur Landnahme unter Josua. Obwohl er den Staat theologisch deutet, plädiert er nicht für eine theokratische Staatsführung, sondern spricht sich für einen demokratischen Staat Israel aus. Barth hat sich politisch gesehen für Israel interessiert, war mit ihm solidarisch und hat es auch kritisiert. Busch beschreibt Barths Verhalten im Juni 1967: „Er las nachher ausgiebig die Zeitung, besonders mit nicht erloschenem Interesse am Nahost-Krieg. Die Hetze gegen Israel und die Entschlusslosigkeit im Sicherheitsrat missfiel ihm. […] Aber er sah nunmehr das Problem der palästinensischen Flüchtlinge als höchst brennend an. Israel müsse da eine großzügige Hilfe gewähren.“177

Dabei unterschied er zwischen der politisch und der biblisch motivierten Sicht.178 Nach Busch war Barth im Krieg Israels gegen die Araber auf der Seite Israels.179 Busch berichtet von einer Begegebenheit im Juni 1967, bei der er eine Frau seiner Wohnung verwiesen hat, nachdem diese sich gegen Israel ausgesprochen hatte. Er hat gemäß der Empfehlung der Schweizerischen Pfarrschaft zehn Prozent Gehalt an die Stiftung ,Pro Israel‘ gezahlt.180 Marquardt zitiert Barth in einem Aufsatz zum christlichen Verhältnis zum Zionismus und bringt darin zum Ausdruck, dass Barth verstanden habe, dass die Christen

176 S. Barth, Karl: „Gespräch mit dem Schaffhauser Pfarrkonvent (30. 8. 1962)“. In: ders.: Gespräche 1959–1962. Hg. v. Eberhard Busch. Karl Barth Gesamtausgabe IV.25. Zürich: 1995. 392. 177 S. Busch, Eberhard: Meine Zeit mit Karl Barth. Tagebuch 1965–1968. Göttingen: 2011. 353. Vgl. auch 341. 178 Vgl. Busch, Lebenslauf, 510. 179 Vgl. Busch, Eberhard: „Einleitung in die Tauflehre Karl Barths und in ihre Entstehungsgeschichte“. In: ZDT 21 (2005). 170. Vgl. auch Busch, Tagebuch, 315+331. 180 Vgl. ebd., 358.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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durch Jesus Christus mitverantwortlich und verbunden seien mit dem Staat Israel und seiner Politik.181 Laut Moseleys Monographie zu Barths Konzepten von Nation und Nationalismus hat Barth von Pfingsten aus international und sozialistisch gedacht in der Hoffnung, dass sich alle Nationen im Heiligen Geist versöhnen. Moseley vermutet, dass Barth Israel als Staat befürwortet habe, weil es sozialistisch zu sein versprach, und weil es die Menschenrechte anerkannt hat.182 Prinzipiell habe Barth befürwortet, dass mehrere Nationen in einem Staat leben, wobei er bei Israel eine Ausnahme gemacht habe, was ihrer Vermutung nach am Antisemitismus der anderen Nationen lag.183 Beides lässt sich nicht aus Barth heraus begründen oder belegen. Laut Lindsay war Barth in seiner Ablehnung der natürlichen Theologie auch in Bezug auf die Gründung des Staates Israel inkonsequent. Dem ist zu widersprechen, weil die Staatsgründung keine neue Offenbarung von etwas Nichtbiblischem gewesen ist. Wenn Barth in seiner Umgebung Belege für die Richtigkeit des biblischen Zeugnisses zu finden meint, hat das nichts mit natürlicher Theologie zu tun.184 Es ist entscheidend, die Relevanz der Staatsgründung nicht zu überschätzen, was auch Stefan Kläs passiert, der denkt, Barth sei interessiert an dem Bestehen des Staates Israel als Hinweis auf die bleibende Aktivität des Bundesgottes. Es geht um das Aktuelle und den dynamischen Zeugnischarakter, der in dem Hinweis auf den handelnden Gott als „Zeichen der göttlichen Weltregierung“185 liegt. Kläs stellt es so dar, als sei die israelische Staatsbürgerschaft die neu geschaffene Möglichkeit der Juden, Zeugnis zu geben, nachdem ihr Zeugnis des Gerichts mit der Tempelzerstörung nichtig geworden ist.186 Ganz gewiss entspricht das nicht des Haltung Barths, denn das hieße, Gott wolle sein Bundesversprechen auflösen. Das Zeugnis des Gerichts ist als Teil der Gnadenwahl nicht abschaffbar durch den Menschen. Vielmehr wäre es unlogisch, anzunehmen, dass das Zeugnis des Gerichts der Juden nach Barths Auffassung seit der Tempelzerstörung unterbrochen worden ist bis zur Wiederaufnahme mit dem Staat Israel, weil die Erwählungslehre, die das Zeugnis des Gerichts einführt, einige Jahre vor der Staatsgründung erschienen ist. Das Konzept des erwählten Gottesvolkes ist das für Barth relevante, dem die Existenz des Staates Israel deutlich untergeordnet ist. Barths Deutung ist 181 Vgl. Marquardt, Friedrich-Wilhelm: „Christentum und Zionismus. Helmut Gollwitzer zum 60. Geburtstag am 29. Dez. 1968“. In: EvTh 12 (1968). 653 f. 182 Vgl. Moseley, Carys: Nations and Nationalism in the Theology of Karl Barth. Oxford: 2013. 173. 183 Vgl. ebd., 201. 184 Vgl. Lindsay, Barth, zur natürlichen Theologie in Bezug auf die Staatsgründung, Auschwitz und die Shoah. 185 S. Kläs, Stefan: „Der ,Staat Israel‘ im Spannungsfeld von Politik und Religion. Theologische Wahrnehmungsübungen bei Karl Barth und Friedrich-Wilhelm Marquardt“. In: Pontzen, Alexandra/Stähler, Axel: Das Gelobte Land. Erez Israel von der Antike bis zur Gegenwart. Quellen und Darstellungen. Reinbek: 2003. 315. 186 Vgl. ebd., 312.

226 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen

äußerst hilfreich, weil sie einerseits das Existenzrecht des Staates jenseits der Israelkritik aus theologischen Gründen verteidigt und weil sie andererseits den Nahostkonflikt nicht durch christlich definierte Ansprüche verkompliziert. 4.3.5 Über das Taufen von Juden Die christliche Taufe wird möglich durch all das, was dem jüdischen Volk von Gott offenbart und gegeben wird: „Es geht um seine ewige Erwählung und Berufung, wenn in der christlichen Taufe die Erwählung und Berufung Israels und der Heiden sichtbar wird.“ (IV/4,99) Juden, die den christlichen Glauben annehmen und zur Kirche gehören möchten, werden wie alle anderen Nichtchristen getauft. Doch was kann die Taufe verändern oder ergänzen, wenn zwischen Juden und Christen zwar die Glaubensauffassungen differieren, das Wesentliche – die ewige Erwählung und Berufung – aber den Juden (zuerst) von Gott versprochen worden ist? Diese kirchliche Praxis steht deshalb scheinbar im Widerspruch zu der Auffassung, dass Juden bereits Glieder der Gemeinde sind. Dieser Schritt, die Taufe entweder als seelsorgerliche Möglichkeit anheim zu stellen oder sie gar zur Wiedertaufe zu erklären und sie zu unterbinden, wäre radikal, und er widerspricht sowohl der biblischen als auch der kirchlichen Praxis. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Barth konsequenterweise dafür plädieren müsste, auf die Taufe von Juden zu verzichten bzw. sie ungetauft in die konkrete Gemeinschaft einer Kirchengemeinde aufzunehmen. Barth hat diesen Gedanken nicht formuliert und zumindest einmal ein jüdisches Mädchen auf dessen Initiative hin getauft.187 Dieses Kapitel fragt danach, ob die soeben skizzierte Haltung für Barth eine Option gewesen ist. Eine Folge daraus, die Barth ebenfalls nicht selbst formuliert hat, ist die Zulassung der Juden zum Abendmahl. Juden müssten nach evangelischem Verständnis auf ihren eigenen Wunsch hin ohne Taufe am Abendmahl teilnehmen können, weil die Taufe eines Juden nicht notwendig ist, um zur Gemeinde zu gehören. Zunächst war Barth Befürworter der calvinischen Lehre von der Taufe als „Anhang (appendix) zum Wort als Siegel und Zeichen des Bundes Gottes“188. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich Barths späte Tauflehre herangezogen. Um Barth richtig zu verstehen, ist es wichtig, sich zunächst zu lösen von allen Vorstellungen, die den Taufakt als ein heilsnotwendiges Gnadenmittel sehen. Die Taufe mit dem Heiligen Geist entspricht der Berufung. Das sind die eigentliche Taufe und der Beginn des christlichen Lebens. Folglich heißt die Überschrift auch Begründung des christlichen Lebens, und deshalb liegt die Lehre in der Ethik und in der Pneumatologie. Während die Geisttaufe so eine 187 Vgl. Busch, Tagebuch, 605. 188 S. Schellong, Dieter: „Der Ort der Tauflehre in der Theologie Karl Barths“. In: Schellong, Dieter (Hg.): Warum Christen ihre Kinder nicht mehr taufen lassen. Frankfurt am Main: 1969. 109.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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Art Zuspruch ist, ist die Wassertaufe der Anspruch, der aktiv vom Menschen in Angriff genommen wird. Er ist nicht weniger wichtig, und deshalb stört sich Barth an der Kindertaufe und dem Verständnis der Wassertaufe als Sakrament. Die Wassertaufe ist nichts weniger als die Einsetzung in den Zeugendienst oder die Ordination.189 Eine gründliche Betrachtung der Tauflehre ist an dieser Stelle nicht zu leisten, so dass es bei diesen zur Fragestellung hinführenden Gedanken bleiben muss.190 Schellong hebt hervor, dass in dem Werk Jesu Christi für den Sünder schon vor langer Zeit das Sakramentale liegt, das Barth mit seiner Tauflehre keineswegs aufgegeben hat.191 Nach dem Werk liegt die Auferstehung als zweite Voraussetzung der Geisttaufe.192 Wenn der Mensch die Versöhnung, die Gott für ihn getan hat, erkennt, dann geschieht Realpräsenz, und insofern ist der Glaube bedeutend. Im Glauben „gibt sich der Zueignende, das heißt Jesus Christus selbst, so zu erkennen, daß Aneignung seines Heilswirkens stattfindet“193. Es folgen die Verkündigung oder der Zeugendienst, d. h. die Aufforderung zur Bereitschaft zur Geisttaufe und zur Durchführung der Wassertaufe.194 Die Taufe ist Ausdruck des Glaubens des Täuflings und Bekenntnis zu seinem Zeugnis.195 Die Geisttaufe kann nach und nach geschehen und ist der Prozess der glaubenden Erkenntnis dessen, was dem Menschen widerfahren ist. Wenn Gott sich dem Einzelnen durch den Geist zu erkennen gibt, geschieht Realpräsenz. Weil es in der Begegnung mit dem Geist den Zugang zum Evangelium bereits gibt, wird die Taufe mit Wasser nicht mehr als ein Gnadenmittel verstanden. Schellong erklärt, zum Evangelium gehört nicht nur, dass die Versöhnung geschieht und dadurch wirklich wird, sondern auch, sie dem Menschen so nahe zu bringen, dass sie für ihn wahr wird. Was in Jesus Christus geschehen ist, wird durch ihn im Menschen wahrgemacht, sofern er es will.196 „Eben dies Hineinragen des Werkes Christi durch Christi eigene Prophetie in das menschliche Leben nennt Barth »Erkenntnis« – Erkenntnis Christi, Erkenntnis der durch ihn vollbrachten Versöhnung.“197 189 Vgl. Busch, Tauflehre, 166. 190 Zur Auseinandersetzung mit der Lehre von der Taufe bei Barth vgl. Jüngel, Eberhard: „Karl Barths Lehre von der Taufe. Ein Hinweis auf ihre Probleme“. In: ders.: Barth-Studien. ÖTh 9. Zürich: 1982. 246–290; Busch, Tauflehre und Leidenschaft, 60 und Lienemann, Wolfgang: „Taufe und Kirchenzugehörigkeit in der »Kirchlichen Dogmatik« Karl Barths“. In: LienemannPerrin, Christine (Hg.): Taufe und Kirchenzugehörigkeit. Studien zur Bedeutung der Taufe für Verkündigung, Gestalt und Ordnung der Kirche. FBESG 39. München: 1983. 246–276. 191 Vgl. Schellong, Tauflehre, 115–118. 192 Vgl. ebd., 119 ff. 193 S. ebd., 125. 194 Vgl. ebd., 128 ff. 195 Vgl. ebd., 133. 196 Vgl. ebd., 119 f. 197 S. ebd., 122.

228 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Laut Schellong lasse sich die Versöhnungslehre zusammenfassen in dem Wort Immanuel.198 Durch den Immanuel haben Juden also die sakramentale Realpräsenz. Traditionell liegen Geist- und Wassertaufe ineinander. Für Barth sei die Taufe mit Wasser die Antwort auf die Taufe mit dem Geist, und deshalb sei sie zwar verbunden mit dem Sakrament, aber nicht selbst das Sakrament. Taufe sei Beauftragung zur Heidenmission!199 So sieht es auch Plasger, der darüber hinaus den Bekenntnisakt der Taufe in der Lehre Barths betont. Plasger erklärt: „Daß Menschen zu Christen befreit werden, ist Werk des Heiligen Geistes, Ergebnis der Geisttaufe.“200 Bei Barth gibt es die Taufe mit dem Geist und die mit Wasser, und die Wassertaufe ist die menschliche Antwort auf die Geisttaufe und ein Bekenntnis, weshalb er sich ausschließlich für die Erwachsenentaufe ausgesprochen hat.201 Die Taufe ist bei Barth also kein Sakrament im Sinne einer Heilsgabe: „Die Taufe hat ja keine Würde aus sich selber heraus, kann sie gar nicht haben, weil sie kein Heilsereignis ist.“202 Das Taufbegehren ist Ausdruck des Willens zu dieser Geschichte dazuzugehören im Sinne einer Vergegenwärtigung und einer Gedächtnisfeier: „Täufling und Gemeinde bekennen in der Taufe also, daß die Geschichte Jesu Christi zu ihrer eigenen Geschichte geworden ist.“203 In diesem Sinne kommt es im Taufakt dann eben doch zur einzigartigen, sakramentalen Situation: „Täufling und Gemeinde bekennen sich in der Taufe zum Herrn der Geschichte, der sich selber vermittelt und real präsent ist.“204 Ähnliches gilt laut Plasger für das Abendmahl, wobei Barth darüber nicht mehr schreiben konnte.205 In der Tauflehre zeigt sich Barths Nähe zum jüdischen Denken, etwa zum jüdischen Zachar, dem Bekennen als Vergegenwärtigung, wie es bei jüdischen Festen und im christlichen Gottesdienst geschieht.206 Plasger schreibt: „Indem der Mensch Gottes Geschichte gedenkt, wird er zugleich unter einen hohen Anspruch gestellt, mit seinem Leben und Handeln dem Bekenntnis zu entsprechen.“207 Das rückt Barth noch näher an das Judentum. Laut Barth ist ein weiterer Aspekt der Taufe die Eingliederung der Heiden in die Gemeinde. Zur Erläuterung soll im Folgenden Barths Tauflehre nochmals zu Wort kommen. Die Taufe ist für den Heiden der Übergang zu etwas Neuem. Barth versteht unter der Taufe ganz allgemein die „Begründung des christlichen Lebens“ (IV/ 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207

Vgl. ebd., 119. Vgl. Busch, Tauflehre, 166. S. Plasger, Autorität, 255. Vgl. ebd., 251 f. S. ebd., 257. Siehe auch 252. S. ebd., 256. Siehe auch 258. S. ebd., 257. Vgl. ebd., 251. Vgl. Plasger, Autorität, 269–276. S. ebd., 273.

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4) – so die Überschrift seines Kapitels. Die Taufe ist Antwort auf Gottes Tun, sie ist Widerstand gegen die Sünde und Begründung des christlichen Lebens. Sie bedeutet das Hinzutreten zum Volk Jesu Christi (IV/4,56) oder zum Volk Israel (IV/4,221). Er schreibt: „Ein Mensch tritt in seiner Taufe als tätiges Glied hinein in das heilige Volk Israel, das nach Jes. 42, 6 zum «Bundesmittler unter den Völkern» bestellt ist.“ (IV/4,221) Dieser Mensch kann nur der Nichtjude sein, denn der Jude kann nicht zum Volk Israel hinzutreten. Der Eindruck wird bestätigt durch die wiederkehrende Wendung, dass der Missionsbefehl den Heiden gilt. (IV/4,56.105.110). Er bezeichnet die Taufe als die Heidentaufe. (IV/4,105) Barth erwähnt niemals getaufte Juden oder Judenchristen, während er häufig von getauften oder hinzukommenden Heiden oder Heidenchristen spricht. Nur einmal spricht Barth von der Taufe von Juden und Heiden (IV/ 4,109). Horst Hoffmann schreibt, die Taufe ist bei Barth der Eintritt in den Bund Gottes mit Israel bzw. die Eingliederung in das Gottesvolk aus Kirche und Israel. Sie ist „Ja zur Einheit mit Israel“208, wer sich also taufen lässt, lässt sich in das Gottesvolk taufen und nicht in die Kirche. Barth definiert die Taufe als die: „Zugehörigkeit zu Gottes neuem Volk aus Juden und Heiden“ (IV/4,96) D. h. in der Taufe wird der Christ Teil der Gemeinschaft, zu der die Juden bereits gehören. Deshalb ist die Taufe Heidentaufe. Die Heidentaufe auf den Namen des dreieinigen Gottes öffnet die Möglichkeit zum Hinzukommen zum Gottesvolk auch für die Heiden: „Die christliche Taufe nach Pfingsten ist im Unterschied zur Johannestaufe die Taufe auf den Namen dessen, der der Messias Israels und der Soter der Welt ist und also die Taufe auf den «einen Leib», der die Kirche aus den Juden und aus den Heiden ist. Die Welt, die Heiden sind in der Predigt und Taufe des Johannes zwar von weitem, aber doch nur von weitem, sichtbar.“ (IV/4,92)

Busch referiert seine eigenen Tagebucheinträge.209 Barth habe zuletzt eingewilligt in das Fragment, das er noch umformuliert hatte. Busch erinnert sich: „Eindrücklich und überraschend – und denkwürdig gerade am heutigen Tage der letzte Satz der Einfügung, den Barth spontan noch anfügte, als er mit dem Diktat fertig war und der auf den ersten Blick nicht zu dem Übrigen zu passen scheint: ein Mensch tritt in seiner Taufe hinein in das heilige Volk Israel, das nach Jes. 42,6 zum ,Bundesmittler unter den Völkern bestellt ist‘. Vielleicht ist dieser Satz praktisch das Letzte, was Barth für die Kirchliche Dogmatik geschrieben hat.“210

Busch fährt fort, es sei der 7. Juni 1967 gewesen, der dritte Tag des Blitzkriegs Israels gegen die Araber, als Barth morgens zur Bank gegangen sei und Geld für die israelische Armee überwiesen habe. Er habe nachts von seinem Dienst in der israelischen Armee geträumt und stündlich Radio gehört. 208 S. Horst Hoffmann, Kontext, 223. 209 Vgl. im Folgenden ebd., 168 ff. 210 S. ebd., 170. Dieser Satz steht, wie bereits in diesem Kapitel weiter oben zitiert, in IV/4,221.

230 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Juden können sich zwar zu Jesus Christus bekennen und Mitglied der Kirche werden, aber sie können nicht in den Bund bzw. das Volk Gottes eingegliedert werden, weil sie schon drin sind. Diesen Gedanken in allen Konsequenzen auszuformulieren, dazu blieb Barth nicht mehr die Zeit, nachdem er seine Tauflehre ein letztes Mal als Fragment entworfen hat. Deshalb ist es interessant, die Frage nach der Relevanz der Taufe für den an Jesus Christus glaubenden Juden zu stellen. Juden sind Teil der Gemeinde unter der Gnade Gottes. Insofern zur Definition der Geisttaufe dazugehört, dass der Geist den Glauben an Jesus Christus erweckt, kann davon gesprochen werden, dass Juden die Geisttaufe nicht empfangen haben, die Gnade jedoch haben sie zuerst. Versteht man die Wassertaufe vorrangig als einen Akt der bekennenden Vergegenwärtigung, so stünde einer Taufe von Juden nichts im Wege, weil sie die logische Folge des neu gefassten individuellen Bekenntnisses zu Jesus Christus wäre und damit in der Tat einen Übergang zu etwas Neuem charakterisieren würde. Versteht man Taufe im Sinne der Einsetzung in die Zeugenschaft, so wäre sie einerseits nicht erforderlich, weil Juden Zeugen sind. Da sie jedoch keine Zeugen des Erbarmens sind, würde sich ihre Zeugenschaft dahingehend verändern, und auch das wäre Anlass, diesen Abschnitt mit der Taufe zu würdigen.211 Auch wenn einiges dafür spricht, gemäß Barths eigener Prämissen für den Verzicht der Taufe zu plädieren, ist zu bezweifeln, dass Barth selbst diesen Schluss gezogen hätte. Er hat es schlicht nicht getan, und das liegt gewiss nicht an mangelnder Zeit. Wäre das Unterlassen der Taufe zu seiner theologischen Überzeugung geworden, hätte er sie schon lange vor dem Verfassen der Tauflehre erworben und schon früher thematisiert. Wenn Juden bedingungslos Teil der Gemeinde sind und Heiden durch die Taufe in die Gemeinde dazu kommen, stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Beschneidung. Die zum Gott Israels gehörenden Menschen wären dann möglicherweise beschnittene Juden, beschnittene und getaufte Judenchristen und getaufte Christen. Es würde bedeuten, dass Nichtchristen, die zum Judentum konvertieren, aus Sicht des Christen getauft werden müssen, um ein Teil der Gemeinde zu werden. Diese Fragestellung hat Barth nicht reflektiert. Dazu ist zu sagen, dass Barth die Beschneidung nicht mit der Taufe gleichsetzt, sondern dass er sie für ein optionales Erkennungszeichen oder für einen sichtbaren Verweis auf die Erwählung der Juden hält. Es ist insofern nicht die Beschneidung, die die Taufe des Juden infrage stellt, sondern der durch die Zugehörigkeit zum Gottesvolk bereits vorhandene Status. (IV/ 4,195 f.) Die Beschneidung der Juden gilt für Barth als ein göttlich eingesetztes Zeichen. 211 Zur Vermeidung von Missverständnissen im Gottesdienstgeschehen wäre eine Auseinandersetzung über die Entwicklung einer eigenen für die Taufe von Juden entwickelten Liturgie innerhalb der Taufagende denkbar, die den Bekenntnischarakter stärkt und die mangelnde Notwendigkeit und die Unmöglichkeit eines neuerlichen Hinzukommens und Annehmens der Gotteskindschaft zum Ausdruck bringt.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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„Und so steht es nun auch mit den anderen hier in Betracht kommenden Elementen des biblischen Zeugnisses. Was hat es an sich mit Christus zu tun, daß jenes Volk durch das Zeichen der Beschneidung von den anderen Völkern ausgesondert und unterschieden wird? Es bedeutet nur Klärung des Verständnisses, daß wir heute wissen: andere vorderasiatische Völker haben dieselbe Zeremonie auch gekannt. Es liegt an sich nichts an der Zeremonie; aber es liegt alles an ihrer Stiftung und Einsetzung. Es liegt alles an dem Herrn des Bundes, der unter diesem Volk durch das Mittel dieser Zeremonie das in Christus zu vollziehende Gericht, seine in Christus kommende Gnade verheißt. Und darum, um des Herrn des Bundes willen, der es so gewollt und getan hat, liegt nun allerdings auch wieder alles an dieser Zeremonie. Sie ist echtes Zeichen, nicht weil sie diese Zeremonie, aber weil sie göttliches Befehls- und Verheißungszeichen ist.“ (I/2,246)

4.3.6 Jüdische Teilnahme am Abendmahl Es stellt sich die Frage nach der Zulassung von ungetauften Juden zum Abendmahl. Hier wäre die logische Folge aus der Anerkennung der Mitgliedschaft in der Gemeinde die automatische Zulassung zum Abendmahl. Markus Barth, der am christlichen Verhältnis zum Judentum und an der Neudefinition von Taufe und Abendmahl selbst interessiert ist, wurde maßgeblich von seinem Vater geprägt, und hat dessen Ansatz fortgeführt bzw. was die Tauflehre betrifft, diesen zurück befruchtet.212 Er schreibt über Barths Wandlungen in seinem Sakramentsverständnis: „Besonders die Taufe und das Abendmahl sind daher, gerade weil sie von Jesus Christus selbst eingesetzt sind, nicht als konkurrierende oder ergänzende Heilsvermittlungsinstitutionen neben den einen Mittler zu stellen und mit ihm zusammen, oder gar an seiner Stelle, als Mysterium der Kirche zu verehren.“213

Die Realpräsenz Christi liegt nach Karl Barth – so Markus Barth – in der Gemeinde und nicht im Brot.214 Michael Haarmann versucht, mithilfe Barths eine große Übereinstimmung zwischen jüdischem Passamahl und christlichem Abendmahl in der Gegenwart Jesu Christi nachzuweisen. Er bedauert: „Leider hat Barth die grundlegende Übereinstimmung zwischen Judentum und Christentum an dieser 212 Vgl. Barth, Markus: Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Israel, mit Christus und unter den Gästen. Neukirchen-Vluyn: 1987 und Barth, Markus: Israel and the Church. Contribution To A Dialogue Vital for Peace. Eugene, Oregon: 1969. Auch ein anderer Sohn Barths, Christoph Barth, scheint durch den Vater geprägt den Buchtitel seiner Einführung in das Alte Testament gewählt zu haben: ,Gott mit uns‘. Vgl. Barth, Christoph: God with Us. A Theological Introduction to the Old Testament. Hggeben von Geoffrey W. Bromiley. Grand Rapids, Michigan: 1991. 213 S. Markus Barth, Mahl des Herrn, 2. 214 Vgl. ebd., 58.

232 Barths Haltung zur Judenmission in anderen theologischen Zusammenhängen Stelle, zwischen Passamahl und Abendmahl, nicht gesehen.“215 Zugleich bescheinigt er Barth, dass er unbewusst in seiner Darstellung diese große Nähe aufgezeigt hat. Das sei bei seinem Sohn Markus dann eben anders gewesen, der als ein Befürworter der Interkommunion zu den Gemeinsamkeiten gearbeitet habe, um das christliche Selbstverständnis neu zu definieren. Beide Positionen lassen sich jedoch mit Barth nicht belegen. Im Hinblick auf Taufe und Abendmahl bleibt Barth seine vorherige Klarheit im Umgang mit dem Judentum schuldig. 4.3.7 Messianisches Judentum Barths Offenheit für die Konversion von Juden und seine Bestärkung des Judenchristentums, die herrühren aus der Überzeugung des gemeinsamen Weges, stehen in einer Spannung zu dem, was im jüdisch-christlichen Dialog selbstverständlich geworden ist. Die dort vertretene Separierung der Zugänge zu Gott entlang der religiösen Grenzen sowie die uneingeschränkte Abweisung der Judenmission lösen noch nicht die Schwierigkeiten mit denen, die auf der Grenze der Religionen existieren. Barths vermittelnde Position zum Judenchristentum eignet sich in idealer Weise, um als evangelische Kirche eine Haltung gegenüber messianischen Gemeinden zu entwickeln. Barth liefert einen Maßstab für den Dialog mit messianischen Gemeinden, der die Grenze zwischen Versöhnung und Abgrenzung bestimmbar macht. Barth steht messianischem Christentum nahe, indem er die durch Juden betriebene Judenmission nicht ablehnt, und indem für ihn ein Jude, der an Jesus Christus als den Messias glaubt, sich nicht entscheiden muss, sondern weiterhin zuerst ein Jude und dann erst ein Christ ist. Er bezeichnet diesen als christlichen Juden, um darauf hinzuweisen, dass er ein Jude ist. Barth scheut sich nicht vor der Uneindeutigkeit in der religiösen Identität von Menschen, die sich als Juden Jesus Christus annähern, weil nach seiner Auffassung ohnehin alle in Christus verbunden sind. Barth hebt sich trotz vieler Gemeinsamkeiten von der Argumentation der messianischen Juden ab und wäre ein entschiedener Kritiker der Theologie der messianischen Gemeinden gewesen, insofern diese den jüdischen Glauben als defizitär ansehen und Juden von dem rettenden Glauben an Tod und Auferstehung Jesu Christi überzeugen wollen. In diesem Punkt stimme ich nicht mit Hunsinger überein, der offenbar ein Befürworter messianischen Christentums ist und Barth pauschal für einen ebensolchen hält.216 Zwar wünscht sich Barth idealerweise eine Ausdehnung des Judenchristentums, nicht zuletzt, weil die Judenchristen der Kirche zeigen, dass die Treue Gottes 215 S. Haarmann, Michael: »Dies tut zu meinem Gedenken!« Gedenken beim Passa- und Abendmahl. Ein Beitrag zur Theologie des Abendmahls im Rahmen des jüdisch-christlichen Dialogs. Neukirchen-Vluyn: 2004. 243. 216 Vgl. Hunsinger, After Barth, 340 f.

Physische jüdische Existenz und ihre Bedeutung für die Kirche

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auch den Christen gilt. Doch versteht er die Konversion eines Juden nicht als Bruch mit der Tradition, sondern als ein Aufbrechen und Umkehren zu dem Bekannten, um von derselben Offenbarung noch einmal mehr zu erfahren. Die jüdische Judenmission kann sich also nur in einer unaufdringlichen Gelassenheit und Absichtslosigkeit auf Augenhöhe vollziehen. Eine Mission durch Nichtjuden, die Teil einer messianischen Gemeinde geworden sind, und eine aggressive, durch Fundraising gezielt geförderte Missionstätigkeit durch messianische Gemeinden zugunsten des Zutragens der evangelischen Botschaft als einer vermeintlich unbekannten hätte Barth grundsätzlich für alle Christen als eine Unmöglichkeit angesehen. 4.3.8 Kapitelschluss Juden sind mehr als Gottes bekennende Zeugen, denn sie gehören zu Gott wie ein gegenständliches Stück Eigentum als ein fleischgewordener Anteil an Gottes Heilsoffenbarung. Eine solche Aussage klingt gewöhnungsbedürftig und ist riskant, weil sie leicht verwechselt werden kann mit einer rassistischen Definition des Antisemitismus. Zwar ergibt sich diese Haltung aus der Erwählungslehre, doch hat gerade sie Missverständnisse bezüglich Barths vermeintlicher Aversionen und seiner Annäherung an die natürliche Theologie hervorgerufen. Weil es in seiner Dogmatik ein Detail ist, das für ihn untergeordnet gewesen ist, hätte er dieses im Nachhinein betrachtet auch unausgesprochen lassen können, um Missverständnisse zu vermeiden. Wesentlich ist die Vorstellung der physischen Besonderheit aufgrund der Erwählung, nicht aber aufgrund der Biologie. In ihrer Gesamtheit als Volk sind Juden Zeichen Gottes, und als einzelne sind sie Repräsentanten Gottes. Der Staat Israel ist für Barth ein Indiz dafür, dass es Gott und seine Bereitschaft zur Präsenz unter den Menschen gibt.

5 Fazit: Die Kirche ist konfrontiert mit einem neuen Verständnis von Evangelium Jüngel hat einmal formuliert: „Barth hat Kirche und Welt mit dem Evangelium angegriffen.“1 Gemeint hat er Barths konsequente Infragestellung des Zeitgeschehens und der kirchlichen Tradition durch seinen Maßstab Evangelium, was unweigerlich als Angriff wahrgenommen worden ist. Dabei geht es Barth von Anfang bis Ende darum, den Gott des Evangeliums, den ,Gott mit uns‘, durch das Zeugnis von seiner Offenbarung besser zu verstehen. Er bringt zuerst sein eigenes und dann das Denken anderer wie bei einem Angriff ins Wanken. Dieser Angriff wurde teilweise von Barths Kritikern vorschnell abgewiesen, wie diese Arbeit nachweisen konnte. Seine Schriften mahnen noch heute zur Korrektur des christlichen und kirchlichen Selbstverständnisses im Licht dieses Evangeliums. Das liegt auch daran, dass Barth die radikalen Veränderungen gegenüber der traditionellen Lehre manchmal so selbstverständlich eingeführt hat, dass sie übersehen werden konnten. Das betrifft seine Konzeption der einen Gemeinde und ihres Zeugendienstes und seine Erwählungslehre. Barths Theologie hat in ihrem Kern – der gemeinsamen christologischen Grundlegung für Juden und Christen – weder Marquardt noch Klappert, weder Sonderegger noch Lindsay noch Brandau überzeugt, die alle genau diesen Punkt bemängelt haben. Das ist besonders im Fall von Marquardt und Brandau erstaunlich, weil beide für die Entdeckung der Christologie im Rahmen von Kirche und Israel plädierten. Das hier Erarbeitete fordert zu einer innerchristlichen Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen auf – besonders mit dem Begriff Evangelium. Die Ergebnisse können darüber hinaus hilfreich sein für den jüdisch-christlichen Dialog, insofern klassische Dialogthemen wie Erwählung und Bund reflektiert und eine veränderte Perspektive auf das Werk Jesu Christi und damit auf Gott Vater eingebracht worden sind. Diese Arbeit hat sich zunächst mit dem Stellenwert von Glaube und Mission in Barths Theologie auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass Barth zwar den individuellen Glauben nicht als eine Voraussetzung für Gottes Hinwendung zum Menschen ansieht, dass er aber durchaus ein Befürworter der christlichen Heidenmission gewesen ist. Barths Ablehnung der Judenmission basiert in erster Linie auf der Unmöglichkeit der Judenmission, die die radikalste, weil endgültige Form der Absage ist. In seiner Abweisung der Judenmission wird Barth seinen eigenen Kriterien der Heidenmission gerecht, 1 S. Jüngel, Eberhard: „Karl Barth“. In: ders.: Barth-Studien. ÖTh 9. Zürich: 1982. 19.

Die Kirche ist konfrontiert mit einem neuen Verständnis von Evangelium 235

indem er jüdischen Glauben danach beurteilt, ob in ihm das Evangelium im Zentrum steht. Ebenfalls fand das Missionsziel – Aufruf in den Zeugendienst – Beachtung darin, dass festgestellt worden ist, dass Juden auf den Gott Israels hinweisen. Barth hielt Judenmission für sachlich unmöglich und wertete deshalb ihr faktisches Auftreten als einen Indikator für ein Defizit in der Selbstwahrnehmung der Kirche. Drei weitere Gründe gegen die Judenmission wurden von Barth erwähnt: deren mangelnde Notwendigkeit, deren Aussichtslosigkeit und deren Unangemessenheit. Diese bringt er aufgrund seiner Überzeugung von der Unmöglichkeit nicht mehr argumentativ ins Spiel. Es ist vor allem die veränderte Definition von Evangelium, die dazu führt, dass Barths gesamte Theologie einer Abweisung der Judenmission gleichkommt. Das Evangelium ist dem Gesetz vorgeordnet und von Anbeginn der Zeit untrennbar mit ihm verbunden. Es ist ein personaler Begriff, der sich mit dem Immanuel umschreiben lässt. Im ,Gott mit uns‘ liegt die Initiative zu Erkenntnis und Beziehung. Diese sucht er über Jesus Christus zuerst und endgültig mit den Juden im Bund, daraufhin mit allen Heiden, die sich zu Jesus Christus bekennen. Der Weg des fleischgewordenen Wortes verweist auf den immer selben Gott im Alten und Neuen Testament, der mit dem Menschen sein will und dieses offenbart. Juden und Christen bilden eine Gemeinde aus Israel und Kirche unter dem Bogen des einen Bundes. Sie bezeugen Jesus Christus einander und der Welt. Wo sie darin versagen, die jüdische Erwählung und die besondere Stellung der Juden vor Gott anzuerkennen, entsteht Antisemitismus. Dieser ist selbstzerstörerisch und blasphemisch und deshalb eine Sünde wider den Heiligen Geist. Er reißt eine Wunde in den Leib Christi. Gott zeigt sich den Nichtjuden durch die Juden. Es ist die Aufgabe von Christen, Juden als Hinweise auf Gott zu sehen und sie vor Gewalt zu schützen. Äußern Juden den Wunsch, Mitglied der Kirche zu werden oder am Abendmahl teilzunehmen, ist ihnen das möglicherweise auch ohne Taufe zu gewähren. Die Situation in der evangelischen Kirche zeigt, dass der Versuch gescheitert ist, die Initiative von Befürwortern der Judenmission langfristig zu unterbinden, indem man Juden und Christen in ihrem Weg zu Gott gedanklich voneinander trennt. Barth verleiht dem Rätsel der Trennung innerhalb der Gemeinde einen eigenen Sinn mit Hilfe der verteilten Rollen und Aufgaben. Mit Barth gibt es eine Erklärung, wie Jesus Christus Basis der Erwählung und Erfüllung der Verheißung sein kann. Barth hat es als einziger geschafft, einen Entwurf vorzulegen, der die Einheit Gottes ernst nimmt und einen durch und durch plausiblen Weg findet, die getrennte Existenz von Juden und Christen verständlich zu machen. Das besondere Verdienst von Barths Argumentation ist es, dass sie es schafft, die Gleichberechtigung von Juden und Christen in aller Verschiedenheit aufzuzeigen. Er betrachtet den jüdischen Glauben aus einer Perspektive, die ihn nicht als defizitär erscheinen lässt, sondern der die heiklen Fragen wie die nach der Rolle Jesu Christi befriedigend beantwortet. Er ver-

236 Die Kirche ist konfrontiert mit einem neuen Verständnis von Evangelium zichtet dabei auf eine philosemitische Sichtweise, die über die jüdische Ablehnung von Jesus Christus hinwegsieht, zugunsten eines ausgewogenen Konzeptes, das Juden nicht erhöht. Barth sieht im Juden wie im Christen den Sünder, der mit seinem Leben Gott nicht gerecht werden kann. Nach diesem Konzept haben beide, Juden und Christen, einen Mangel: Die Juden glauben nicht an Jesus Christus, und die Christen sind nicht das erwählte Bundesvolk. Die Fragestellung nach der Judenmission hat gezeigt, dass sich Barth genau aus dieser Kraft des Evangeliums heraus auf einem Niveau mit der christlichen Perspektive auf den jüdischen Glauben auseinandergesetzt hat, das bis heute seinesgleichen sucht. Er hat die auf dem Evangelium basierende Nähe zum Judentum so verinnerlicht, dass seine Theologie zu keinem Zeitpunkt judenvergessen argumentiert. Barths KD ist die erste, deren Prämisse es ist, dass Juden in der Wirklichkeit des Evangeliums leben, und in der eine Reflexion des Antisemitismus zum integralen Bestandteil evangelischer Lehre geworden ist. Barth hat schließlich erstmals einen überzeugenden theologischen Entwurf gegen die Praxis der Judenmission vorgelegt. Er sieht die Kirche nicht nur in der Verantwortung bei der Bekämpfung des Antijudaismus, sondern auch des Antisemitismus. Barth fordert dazu heraus, sich als Christ durch beide bedroht und für deren Ausbreitung verantwortlich zu fühlen, und er macht so den Kampf gegen den Antijudaismus und den Antisemitismus zur Kernaufgabe der Kirche. Zur Verkündigung des Evangeliums gehört es wesentlich dazu, unbefristet öffentlich daran zu erinnern, dass christliche Kirchen eine antijüdische Theologie verbreitet haben, um die Zukunft gestalten zu können.2 An seinem letzten Lebenstag, am 9. Dezember 1968, schreibt Barth über das ständige Aufbrechen und Umkehren der Kirche: „Wenn die Kirche ihr wichtiges Nein sagt zum Bisherigen, dann ist es ein klares, aber freundliches und fröhliches Nein.“3 Es ist der evangelischen Kirche zu wünschen, dass sie ihr Streben nach der Abweisung der Judenmission als einen befreienden Aufbruch und als Umkehr hin zu Jesus Christus erlebt.

2 Vgl. weiterführend zur Frage nach dem Einfluss des Protestantismus auf den Antisemitismus: Wendebourg, Dorothea/Stegmann, Andreas/Ohst, Martin (Hg.): Protestantismus, Antijudaismus, Antisemitismus. Konvergenzen und Konfrontationen in ihren Kontexten. Tübingen: 2017. Die Autoren dieses Sammelbandes fragen, ob die Lutherrezeption über die Jahrhunderte die Entwicklung des Antisemitismus befördert habe. 3 S. Barth, Karl: „Aufbrechen – Umkehren – Bekennen“. In: Letzte Zeugnisse. Zürich: 1969. 65.

6 Literatur Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen sind entnommen aus Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4. Herausg. von der Redaktion der RGG4. Tübingen: 2007.

6.1 Primärliteratur Die im Folgenden angegebenen Werke stammen von Karl Barth: Die Kirchliche Dogmatik. Bd. I/1–IV/4. Zollikon-Zürich/Zürich: 1932–1970. Evangelium und Gesetz. TEH 35. München: 1935 (Neudruck 1956). Gottes Gnadenwahl. TEH 47. München: 1936. „Vorlesung: Gottes Offenbarung in Jesus Christus“. In: ders.: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre: 20 Vorlesungen (Gifford-Lectures) über das Schottische Bekenntnis von 1560, gehalten an der Universität Aberdeen im Frühjahr 1937 und 1938. Zollikon-Zürich: 1938. 84–94. „Die Kirche und die politische Frage von heute. 1938“. In: ders.: Eine Schweizer Stimme: 1938–1945. Berlin: 1945. 69–107. Church Dogmatics Vol. I/1-IV/4. Hg. und übers. von Thomas F. Torrance und Geoffrey W. Bromiley. Edinburgh: 1956–75. Kurze Erklärung des Römerbriefes. 3. Aufl. München: 1956. „Die Judenfrage und ihre christliche Beantwortung. 1949“. In: Kupisch, Karl: „Der Götze wackelt“: Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960. Berlin: 1961. 144–149. „Aufbrechen – Umkehren – Bekennen“. In: Letzte Zeugnisse. Zürich: 1969. 61–71. Christus und wir Christen. Nachdruck der Erstausgabe von 1948. Gladbeck: 1975. „An Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Berlin, 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 419–422. „An Dr. Louis Glatt, Genf, 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/ Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 430–432. „An Pfarrer Henry H. Poms, Basel, 1961“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 34–35. „An Rektor D. Eberhard Bethge, Rengstorf bei Neuwied. 1967“. In: ders.: Briefe 1961–1968. Hg. v. Fangmeier, Jürgen/Stoevesandt, Hinrich. Karl Barth Gesamtausgabe V.6. Zürich: 1979. 403–406.

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Literatur

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Sekundärliteratur

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6.2 Sekundärliteratur Ahlers, Rudolf: Der „Bund Gottes“ mit den Menschen. Zum Verhältnis von Christen und Juden. Theologische Texte und Studien 11. Hildesheim: 2004. Ahonen, Tiina: Transformation through Compassionate Mission. David J. Bosch’s Theology of Contextualization. SLAG 55. Helsinki: 2003. Albus, Michael: „Karl Barth und die Juden.“ In: Landwehr, Michael: Ökumenische Bewegung „unter der Abwesenheit Israels“? Karl Barth (1886–1968). Karl Barth – Gesellschaft e. V. 10. Bünde: 2005. 15–20. Alle reden von Mission … »Was bedeutet unser Nein zur Judenmission für den Umgang mit dem Islam?« – Ev. Akademie im Rheinland, 16./17. 3. 2012. EpdD 27. Frankfurt am Main: 2012. Aring, Paul Gerhard: Christliche Judenmission. Ihre Geschichte und Problematik dargestellt und untersucht am Beispiel des evangelischen Rheinlandes. Forschungen zum jüdisch-christlichen Dialog 4. Neukirchen-Vluyn: 1980. Bächli, Otto: Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth. NeukirchenVluyn: 1987. Baier, Klaus Alois: Unitas ex auditu. Die Einheit der Kirche im Rahmen der Theologie Karl Barths. BSHST 35. Bern: 1978. Bakker, L.A.R.: „Jesus als Stellvertreter für unsere Sünden und sein Verhältnis zu Israel bei Karl Barth.“ In: ZDT 2 (1986). 39–59. Balthasar, Hans Urs von: Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie. 4. unveränderte Aufl. Einsiedeln: 1976. Barth, Christoph: God with Us. A Theological Introduction to the Old Testament. Hg. von Geoffrey W. Bromiley. Grand Rapids, Michigan: 1991. Barth, Markus: Israel and the Church. Contribution To A Dialogue Vital for Peace. Eugene, Oregon: 1969. Barth, Markus: Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Israel, mit Christus und unter den Gästen. Neukirchen-Vluyn: 1987. Bäumler, Christof: Die Lehre von der Kirche in der Theologie Karl Barths. TEH 118. München: 1964. Beintker, Michael: „Evangelium. III. Dogmatisch“. In: RGG4 2. 1999. 1741–1742. Beintker, Michael: „Rechtfertigung – Heiligung – Berufung“. In: Beintker, Michael/Plasger, Georg/Trowitzsch, Michael: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968) Vertiefung – Öffnung – Hoffnung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2014 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Zürich: 2016. 97–116. Bentley, Wessel: The Notion of Mission in Karl Barth’s Ecclesiology. Newcastle upon Tyne: 2010. Benz, Wolfgang: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments. Schwalbach: 20162.

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Sachregister

Abendmahl 226, 228, 231 f., 235 Allversöhnung 51, 57–61, 75, 120 Altes Testament 32, 44, 77, 104 f., 120, 157, 161, 163–168, 170, 175–180, 186 f., 220, 222–224 Anspruch Gottes 18, 123, 127, 132, 172, 193 Antijudaismus 28, 32, 37, 40 f., 43, 85, 149, 193, 206, 210 f., 215, 236 Antisemitismus, christlich 152 f., 202, 206, 209 Antisemitismus 13 f., 16, 22, 28 f., 32, 38–40, 42 f., 45 f., 74, 83, 85, 128, 137, 141, 152, 162, 189, 191–202, 204–206, 208–218, 225, 233, 235 f. Antisemitismus, jüdisch 206, 211 Aversionen 192, 206–208, 233 Barmer Theologische Erklärung 36, 39, 42 Berufung 35, 49, 53, 58 f., 62, 69–72, 78, 80 f., 123, 132, 152, 180, 198, 226 Bibel 26, 88, 105, 164, 179 f., 182, 198–201, 217, 219, 222, 224 Bund 14, 16, 20 f., 23 f., 29, 37, 39, 43, 48, 77, 85, 91, 96, 99, 103, 109, 114, 120 f., 132, 142 f., 146, 149, 151, 153–155, 165, 168, 173–178, 180, 183, 185, 187–189, 204, 210, 221, 224, 226, 229–231, 234 f. Eifer 51, 137, 206, 210 Eigentum Gottes 91, 139, 149, 215, 219, 233 Erwählung 15 f., 19 f., 23 f., 28 f., 32, 36, 41–44, 70, 73, 78, 80, 85, 99, 101–108, 111–120, 122–127, 130–134, 136 f., 139–146, 148 f., 151–160, 162, 168, 172, 176, 197–199, 201, 203–205,

209–211, 215, 217, 219–223, 226, 230, 233–235 Erwählungslehre/§34 14, 17 f., 30, 32–34, 36–38, 41, 43–45, 48, 61, 73, 80, 101 f., 104 f., 108 f., 116 f., 120, 122 f., 125 f., 132, 143–145, 149, 153 f., 156, 161 f., 167, 178, 187 f., 190, 192–194, 201, 208 f., 212 f., 215 Evangelisation 20, 56 f., 62, 67–69, 82 Evangelium 14, 17–19, 24, 26, 28, 30, 34–36, 42 f., 45 f., 51, 53–56, 60, 62–66, 68, 72, 76–78, 84, 92, 98 f., 101–108, 121, 123, 130, 132–134, 138, 141, 143 f., 147 f., 153 f., 156, 161–163, 166–182, 185, 187, 189, 197, 205, 218 f., 227, 234–236 Fleischwerdung 113, 164, 170, 181, 185 f., 222 Gesetz 30, 34–36, 42 f., 46, 54, 71, 99, 102, 121, 134–136, 144, 147, 166–172, 179, 183, 235 Glaube 19, 21, 23 f., 27 f., 30, 33, 41, 53–59, 62–66, 68, 72, 77, 79, 82, 84 f., 88–91, 95, 97–99, 122–125, 128–132, 134, 136–142, 148, 150–156, 159 f., 162, 167, 179, 185, 195, 197 f., 205, 210, 222, 226 f., 230, 232, 234–236 Immanuel 71, 172–177, 182 f., 185–187, 228, 235 Judenmission 7, 13–31, 34, 36, 41, 45 f., 48 f., 57 f., 72–83, 86–95, 97–102, 140, 161–163, 180, 188, 190 f., 194, 197, 215 f., 218, 232–236 Judenmissionsexkurs 86 f., 93, 167

Sachregister Kreuz 13, 26, 59, 70, 104, 107 f., 110 f., 113, 127, 130 f., 133, 165, 176, 209 Kreuzigung 34, 113, 122, 129 f., 133, 138, 157, 177, 202, 209 f. Leib Christi 48, 83 f., 91, 96, 148, 156, 215 f., 235 Lichterlehre 44, 186 f. Messianisches Judentum 25–28, 232 f. Messias 20 f., 27, 30, 77–80, 89–92, 95, 98 f., 122, 126 f., 132 f., 135–138, 140, 144, 146, 156–159, 188 f., 198 f., 202, 210, 229, 232 Mission 7, 14, 17–20, 22, 24–28, 34, 36, 45 f., 49–57, 61–65, 67–69, 71–79, 81 f., 85, 88–90, 92 f., 95–98, 167, 216, 233 f. Name Gottes 166, 172, 175, 177–179, 182–185, 187 f., 229 Nationalsozialismus 7, 19, 30, 39–42, 47, 192, 200, 211–214 Natürliche Theologie 44 f., 67, 120, 165, 173, 186 f., 225, 233 Offenbarung 15, 24, 42, 44, 53, 56, 58, 66 f., 90 f., 101, 104, 108, 120, 123, 134 f., 138, 147 f., 154 f., 161, 163–167, 176–189, 194, 198 f., 215, 220–222, 225, 233 f. Ökumene 16, 31, 35, 73, 83–87, 96, 126, 215–217 Ölbaumgleichnis 78 f., 83 f., 149, 151, 160, 162 Philosemitismus 30, 74, 191, 206, 209, 236 Prädestination 46, 99, 101, 115–117, 162 Röm 9–11 17, 73, 79, 93, 122, 137, 162, 179, 216 Schöpfung 86, 106, 108, 110, 112, 154, 168, 174 f., 179, 202 Shoah 13, 36, 41, 44, 82 f., 96, 196, 203, 209, 213–215, 217, 225

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Staat Israel 35, 38, 44, 219, 223–225, 233 Sukzessionslehre 43, 122, 149 f., 154, 158, 202, 217 Sünde, christlich 134, 137, 189, 192–194 Sünde 33, 40, 53, 56, 59, 104, 107–112, 114, 122, 127 f., 130–134, 136–140, 159, 162, 170, 193–195, 197, 199–201, 204 f., 209 f., 215, 217, 220, 227, 229, 235 f. Sünde, jüdisch 134, 137, 193 Taufe 19, 86, 219, 226–232, 235 Theologia incarnationis 108, 117, 120, 174, 176, 181, 185 f., 188 f. Trennung 19, 23 f., 48, 59, 78, 84, 88, 92, 126, 130, 149, 156, 187, 210, 216, 235 Trinität 50, 101, 119, 168, 177 f., 181, 183 f., 188, 229 Unmöglichkeit 7, 78, 80, 87, 93, 102, 117, 146, 216, 218, 230, 233–235 Verheißung und Erfüllung 165, 169 Versöhnung 36, 50, 53 f., 56–61, 64, 70, 108, 118, 124, 148, 154, 172, 175, 185, 221, 227, 232 Verstockung 80, 122, 138–140, 143, 149, 222 Volk Gottes 16, 21, 23 f., 48, 87 f., 147, 149, 151 f., 155, 157, 199–201, 204, 212, 214, 219, 223, 229 f. Wort Gottes 71, 79 f., 118, 132 f., 136, 138 f., 164, 166 f., 169 f., 176, 179, 181, 186, 188, 198, 219, 221 Zeugnis 17, 20, 23, 28, 33 f., 36, 44, 52–54, 66, 68, 71, 76 f., 79–82, 85, 93 f., 96, 102, 108, 123–133, 140 f., 143, 148, 159 f., 163–165, 171, 177, 180 f., 198 f., 205, 221, 225, 227, 234 Zeugnis des Erbarmens 34, 127–130, 132 Zeugnis des Gerichts 34, 38, 43, 46, 113, 127–133, 140 f., 143, 148 f., 225 Zuspruch Gottes 18, 102, 121, 132, 144, 157, 160 f., 166, 171 f., 218, 227