Um der Sache willen: Karl Barths Schriftauslegung in der Kirchlichen Dogmatik 9783666564451, 9783525564455


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German Pages [386] Year 2015

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Um der Sache willen: Karl Barths Schriftauslegung in der Kirchlichen Dogmatik
 9783666564451, 9783525564455

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie

Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Christiane Tietz Band 148

Vandenhoeck & Ruprecht

Gerhard Bergner

Um der Sache willen Karl Barths Schriftauslegung in der Kirchlichen Dogmatik

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56445-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de o 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: g Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung ins Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Arbeiten zu Barths Schriftauslegung mit hermeneutischem Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Arbeiten zu Barths Schriftauslegung mit dogmatischem Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Falsche Exegese“ und „richtige Exegese“ . . . . . . . . . . . . . . 5. Charlotte von Kirschbaum als Autorin der exegetischen Exkurse?.

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A: Karl Barths Schriftlehre nach KD I/2 Vorbemerkung: Zur Darstellung von Barths Schriftlehre . . . . . . . 1. Die Aufgabe der Schriftlehre: Die Bestimmung des Verhältnisses von Bibel, Offenbarung und Wort Gottes . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zum Aufbau von KD I: Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes als Rahmentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Leitmotiv : Die Schrift als Zeugnis der Offenbarung . . . 1.3 Rückblick und Ausblick (I): Von den „drei Anreden“ Gottes zur „dreifachen Gestalt des Wortes Gottes“ in der „Lichterlehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Rückblick und Ausblick (II): Abgrenzung vom „Biblizismus“ 2. Der Sachbezug als hermeneutische Grundregel . . . . . . . . . . . 2.1 Gottes Offenbarung als Inhalt und Wirkung der Schrift . . . 2.2 Wer die Sache nicht versteht, kann auch die Texte nicht verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Rückblick und Ausblick: Worin besteht die Sache der Schrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zur Einheit von Altem und Neuem Testament . . . . . . . . . 3. Die Frage nach dem Subjekt im hermeneutischen Prozess . . . . . 3.1 Rückblick: Der Subjektwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Ereignis der Offenbarung im Hören auf das Zeugnis der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der biblische Kanon imponiert sich selbst . . . . . . . . . . 3.4 Die dreifache Inspiration der Schrift . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.5 Die Bedeutung der Schriftlichkeit: Die Schrift als Gegenüber der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Ein „erkenntnistheoretischer Fehlgriff“? . . . . . . . . . . . . 4. Konsequenzen für die Schriftauslegung . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Schriftauslegung als Akt der Freiheit unter dem Wort . . . . 4.2 Schriftauslegung und Schrifterklärung . . . . . . . . . . . . . 5. Nachkritische Schriftlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Keine natürliche Theologie und keine Metaphysik . . . . . . 5.2 Die Kritik am Historismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Die dynamische Einheit der Schrift . . . . . . . . . . . . . .

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B: Karl Barths Schriftauslegung in der KD Vorbemerkung: Zur Fragestellung und zur Auswahl der exegetischen Exkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B 1: Exegetische Begriffsentfaltungen in der Gotteslehre (KD II/1): Die Auslegung zur Geduld Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thematische Hinführung: Die Rede von Gottes Geduld . . . . . . 1.1 Der werkgeschichtliche Kontext: Die Lehre von Gottes Vollkommenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Biblische Schlaglichter auf die Rede von Gottes Geduld . . . 1.3 Gottes Geduld in den Dogmatik-Entwürfen vor KD II/1 . . . 1.4 Sachliche Probleme der Rede von Gottes Geduld . . . . . . . 2. Barths Auslegungen zur Geduld Gottes (KD II/1) . . . . . . . . . 2.1 Zur Aufnahme der Geduld unter die zu behandelnden göttlichen Vollkommenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Erste Definition, dogmengeschichtlicher Exkurs und Etymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der exegetische Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Gottes Geduld im Spiegel alttestamentlicher Erzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Der Sprung ins Neue Testament: Gottes Geduld ist in seinem Wort begründet . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Auswirkungen der Schriftlehre: Leidenschaftliche Exegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Der theologische Ertrag des exegetischen Exkurses zu Gottes Geduld für die Gotteslehre in KD II/1 . . . . . . . . . . . . 3.1 Gottes Geduld – Konkretion seiner leidenschaftlichen Liebe . 3.2 Gottes Geduld – im Christusgeschehen gültig zugesprochen .

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Inhalt

B 2: Die Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2) . . . . . . 1. Thematische Hinführung: Gottes Erwählung . . . . . . . . . . . . 1.1 Biblische Schlaglichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Die Erwählung Israels im Alten Testament . . . . . . . 1.1.2 Die Erwählung durch und in Christus im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Positionen der reformierten Dogmengeschichte . . . . . . . 1.2.1 Johannes Calvin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher . . . . . . . . . 1.3 Sachliche Probleme der Erwählungslehre . . . . . . . . . . . 2. Barths Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2) . . . . 2.1 Tabellarischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Erwählung Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Erwählung Jesu Christi als Gottes „Wahl im Anfang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Jesus Christus als Subjekt und Objekt der Erwählung . 2.2.3 Die Erwählung Jesu Christi und seine Verwerfung . . . 2.2.4 Allversöhnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Erwählung der Verworfenen: Das „Christuszeugnis des Alten Testaments“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Ein Durchgang durch das Alte Testament . . . . . . . . 2.3.2 Saul und David . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament . . . 2.4 Die Freiheit der Erwählten: Das „Christuszeugnis des Neuen Testaments“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die theonome Autonomie des erwählten Menschen . . 2.4.2 Die Bestimmung des Erwählten: Der Apostolat . . . . 2.4.3 Die Freiheit für andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Vierfacher Antidualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thematische Hinführung: Barths Schöpfungslehre im Kontext . 1.1 Dogmengeschichtliche Einordnung: Christliche Schöpfungslehre zwischen Natur und Geschichte . . . . . . 1.2 Sozialgeschichtliche Einordnung: Zur Geschichte der Frauenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Anfänge der modernen Frauenbewegungen . . . 1.2.2 Die Entwicklung nach 1945: „Neue Frauenbewegung“ und Gender Mainstreaming . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Tabellarischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 162 . 162 . 163 . 167 . 167 . 170 . 173 . 173

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Inhalt

2.2 Die Unabhängigkeit der theologischen Auslegung . . . . . . 2.2.1 Zur Frage der Gattung: Die Schöpfungserzählungen als Sagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der religionsgeschichtliche Vergleich: Gen 1 – 2 und die Schöpfungsmythen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Schöpfung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das Doppelverhältnis zwischen Schöpfung und Bund . 2.3.2 Die Schöpfung als Hausbau in der ersten Sage . . . . . 2.3.3 Die Verwendung des Jahwe-Namens in der zweiten Sage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Die unterschiedliche Dynamik der beiden Auslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Erschaffung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen . . . . . . . . . 2.4.2 Der Mensch als Mann und Frau . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Das Verhältnis des Menschen zur nichtmenschlichen Kreatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Christus und die Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Die christologische bzw. trinitarische Grundlegung der Schöpfungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Querverbindungen zwischen Genesis 1 – 2 und dem Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Schöpfung als Wohltat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2) . . . . . 1. Thematische Hinführung: Barths Sündenlehre als Teil der Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Christologie und Hamartiologie: Die Sünde als Zwischenfall . 1.2 Konkrete Hamartiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Nacherzählungen in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2) . . 2.1 Tabellarischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zu Barths Auswahl der biblischen Erzählungen . . . . . . . . 2.3 Die Eroberung Jerusalems nach dem Jeremia-Buch – Der Mensch, der sein eigener Helfer sein will . . . . . . . . . . . 2.3.1 Vorbemerkung: Schriftauslegung im Stil der Nacherzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Einleitung: Informationen zum politischen Hintergrund und theologische Deutung . . . . . . . . . 2.3.3 Die Haupthandlung (I): Die Ereignisse vor dem Fall Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Die Haupthandlung (II): Die Ereignisse nach dem Fall Jerusalems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Die theologische Vertiefung: Das Trostwort an Baruch .

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Inhalt

2.3.6 Narrative Theologie in der Auslegung des Jeremia-Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Geschichte von David, Abigail und Nabal: Sünde als Dummheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Das Vorwort: Torheit und Weisheit in den alttestamentlichen Weisheitsbüchern . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Einleitung: Vorstellung der Figuren und räumlich-zeitliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Haupthandlung in fünf Akten . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Narrative Theologie in der Auslegung von 1 Samuel 25 2.5 Barths Narratologie im Spiegel der modernen Erzählforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Vorbemerkung: Perspektiven der amerikanischen und englischen Barth-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Zur Fragestellung: Barth als Narrator und als Narratologe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Barths Nacherzählungen als narratologisch sensibilisierte und theologisch interessierte Paraphrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Analyseaspekte der modernen Erzählforschung in Barths Nacherzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Ergebnis: Barth als Vorläufer moderner Narratologie . 3. Fazit: Narrative Vergegenwärtigung der Sünde als konkretem Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes (Römer 7) in der Rechtfertigungslehre (KD IV/1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1 1.1 Christologie und Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . 1.2 Rechtfertigung als Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth … 1.2.2 … und unsere Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Anhebende Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Existenzielle Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1 . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Ort und Thema des exegetischen Exkurses . . . . . . . . . 2.2 Rechtfertigung als Drama: Narrative Auslegung eines Brieftextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Paulus im Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Gefängniszelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Der Sprung des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Metaphysischer Dualismus? . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Exegetische Einordnung und Argumentation . . . . . . . . 2.3.1 Der sachliche und der literarische Kontext . . . . . .

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Inhalt

2.3.2 Die Ich-Rede in Römer 7 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ein Vergleich mit den frühen Römerbrief-Auslegungen . . 2.4.1 Römerbrief I: Die Irrwege der Romantik und des Pietismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Römerbrief II: Gnade versus Religion . . . . . . . . . 2.4.3 Ein neues Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Ein neuer Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Sachliche Übereinstimmungen . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Rechtfertigung als konkretes Kommunikationsgeschehen

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C: Karl Barths Schriftauslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Krise des protestantischen Schriftprinzips . . . . . . . . . 1.1 Das protestantische Schriftprinzip . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Begründungskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Verlust der Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Unüberbrückbare Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Das hermeneutische Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Einordnung von Barths Schriftauslegung . . . . . . . . . 2.1 Vorkritisch, nachkritisch, nebenkritisch, metakritisch, unkritisch … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Barths Exegese im Spiegel seiner Ausleger . . . . . 2.1.2 Der historische Abstand in Barths Schriftauslegung 2.2 … oder doch kritisch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Anwendung historisch-kritischer Methodenschritte 2.2.2 Schrift versus Tradition . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Theologische Sachkritik . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Auswirkungen der Schriftlehre in KD I auf die Schriftauslegung innerhalb der weiteren Bände der KD . 2.3.1 Exegetische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Sachorientierte Exegese . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Gesamtbiblische Exegese . . . . . . . . . . . . . . . 3. Barths Schriftauslegung in der KD als Beitrag zur Krisenbewältigung? Eine kritische Würdigung . . . . . . . 3.1 Zum theologischen Ertrag von Barths Schriftauslegung . 3.2 Die Begegnung mit dem fremden Text . . . . . . . . . . . 3.3 Exegese und Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Um der Sache willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Schriften von Karl Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2. Sonstige Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schriften von Karl Barth (chronologisch geordnet) . . . . . . 1.1 Die Kirchliche Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Sonstige Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aufsätze, Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitgenössische sowie von Barth benutzte (ältere) exegetische Literatur (alphabetisch geordnet) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Literatur (alphabetisch geordnet) . . . . . . . . . . . .

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Bibelstellenregister . . . . Altes Testament . . . . . Pseudepigraphen des AT Neues Testament . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Vorwort Die vorliegende Studie ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Januar 2014 vom Promotionsausschuss der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz angenommen wurde. Mein erster Dank gilt meiner Betreuerin Prof. Dr. Christiane Tietz, nicht nur für ihre intensive und stets freundliche Betreuung, sondern auch für die Selbstverständlichkeit, mit der sie von Beginn an vom Gelingen des Projekts überzeugt zu sein schien. Ebenso danke ich Prof. Dr. Walter Dietz für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für hilfreiche Hinweise und interessante Einblicke in das Karl-Barth-Archiv in Basel danke ich Dr. Hans-Anton Drewes und Dr. Peter Zocher, für Informationen aus der Barth-Sammlung am Special Collections Department des Princeton Theological Seminary dem dortigen Assistenten Daved A. Schmidt. Im Laufe der Entstehung dieser Studie hatte ich mehrfach Gelegenheit, einzelne Teile in verschiedenen Doktorandenkolloquien vorzustellen. Für die wertvollen Anregungen, die ich bei jeder Projektvorstellung erhielt, danke ich stellvertretend den verantwortlichen Personen, neben meiner Betreuerin sind dies Prof. Dr. Christoph Schwöbel, Dr. Rolf Hille, Prof. Dr. Wilfried Härle, Prof. Dr. Reinhard Feldmeier und Prof. Dr. Florian Wilk. Viele Freunde und theologische Weggefährten haben an der Entstehung dieser Studie Anteil genommen. Der wichtigste von ihnen ist mein Zwillingsbruder Ingolf Stromberger. Meine Freude an der systematischen Theologie ist entscheidend durch Prof. Dr. Oswald Bayer geweckt und gefördert worden, auch ihm danke ich sehr herzlich. Ich danke dem Evangelischen Studienwerk Villigst e.V. für die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Union Evangelischer Kirchen (UEK), die sich an den Druckkosten beteiligt haben. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht verlief sehr angenehm, dafür danke ich stellvertretend dem zuständigen Lektor Moritz Reissing. Für die Aufnahme der Studie in die Reihe der Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie danke ich den Herausgebern Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar, Prof. Dr. Christiane Tietz sowie Prof. Dr. Gunther Wenz. Ich danke den Freundinnen und Freunden, die zu verschiedenen Phasen einzelne Teile Korrektur gelesen haben: Sebastian Weigert, Dr. Sönke Finnern, Aleena Toplak, Christiane Schweitzer, Martin Wenzel und besonders Raphaela

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Vorwort

Meyer zu Hörste-Bührer, die das Manuskript am Ende einmal komplett durchgelesen hat. Bei der Formatierung hat mir Susanne Patock geholfen, auch ihr danke ich herzlich. Schließlich danke ich meinen Eltern Reinhard und Heidi Stromberger, die mir mein Studium ermöglicht haben und meinen Bildungsweg in jeder Hinsicht gefördert haben. Ich widme diese Studie meiner Ehefrau Caroline. Herzberg a. Harz, im August 2014

Gerhard Bergner

Einleitung 1. Einführung ins Thema „If I understand what I am trying to do in the Church Dogmatics, it is to listen to what Scripture is saying and tell you what I hear.“1 Mit diesem Satz hat Karl Barth einst die Frage nach der „theologischen Methode“2 beantwortet, die seinem Hauptwerk, der Kirchlichen Dogmatik, zugrunde liegt. In denkbar einfachen Worten kommt darin die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Exegese biblischer Texte für den Entstehungsprozess der KD von fundamentaler Bedeutung ist. Diese Selbsteinschätzung Barths, die sich auch an anderer Stelle belegen lässt,3 führt unmittelbar zur zentralen Fragestellung der vorliegenden Studie: Es soll geprüft werden, welchen Beitrag die exegetische Arbeit Barths – die sich vor allem in zahlreichen Exkursen niedergeschlagen hat – zur Entwicklung der dogmatischen Leitlinien in der KD leistet. Die Ausgangsthese lautet, dass die Genese bestimmter dogmatischer Entscheidungen in der KD nur dann angemessen verstanden und nachvollzogen werden kann, wenn die exegetischen Exkurse nicht – wie es ihr äußeres Erscheinungsbild im Kleindruck nahelegen könnte4 – übergangen werden, sondern in der Interpretation der KD mit besonderer Sorgfalt berücksichtigt werden. Dass die exegetischen Exkurse rein quantitativ keinen geringen Teil der Ausführungen innerhalb der KD ausmachen, ist hinlänglich bekannt. Allerdings lässt sich aus dem beachtlichen Umfang der ca. 15000 expliziten bibli1 Dieses Zitat wird überliefert in Johnson, The Legacy of Karl Barth, 4. Die Schilderung seines Anlasses durch Johnson spricht dafür, dass Barth diesen Satz während einer Sitzung des englischsprachigen Kolloquiums äußerte, welches er seit dem Sommersemester 1951 zweiwöchentlich anbot, vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 402, sowie Godsey, Karl Barth’s Table Talk. Für hilfreiche Hinweise diesbezüglich danke ich Prof. em. Eberhard Busch, Dr. Hans-Anton Drewes sowie Daved A. Schmidt, Assistent im Special Collections Department des Princeton Theological Seminary. 2 Vgl. Johnson, a. a. O., 4. 3 Vgl. etwa aus dem Vorwort zu KD II/2, VII: „Ich wäre in der Praedestinationslehre an sich viel lieber bei Calvin geblieben, statt mich nun so weit von ihm zu entfernen. Und ich würde mich auch in der Grundlegung der Ethik gerne auf gewohnteren Bahnen bewegt haben. Aber es ging und geht nicht. Die Neuerung setzte sich bei mir, je länger ich die Bibel über diese Dinge zu mir reden ließ und was ich zu hören meine, bedachte, umso unwiderstehlicher durch.“ 4 Nur am Rande sei erwähnt, dass dieser Umstand zwar dem Schriftbild der publizierten KD-Bände entspricht, nicht aber dem Manuskript, das Barth für seine Vorlesungen verwendete. Hier werden die exegetischen wie auch die dogmengeschichtlichen Exkurse vom „Haupttext“ dadurch unterschieden, dass sie in roter Farbe gedruckt sind.

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Einleitung

schen Bezüge und 2000 biblischen Exkurse5 noch nicht folgern, welche inhaltliche Relevanz und Bedeutung der exegetischen Arbeit innerhalb der dogmatischen Argumentation zukommt. Eben diese inhaltliche Bedeutung zu umreißen, stellt das Hauptanliegen der vorliegenden Studie dar. Anhand ausgewählter Beispiele soll aufgezeigt werden, wie Barth exegetische Erkenntnisse für die dogmatische Theoriebildung fruchtbar macht, mit anderen Worten: wie die Funktion seiner Schriftauslegung innerhalb der dogmatischen Arbeit präzise bestimmt werden kann. Wird die Funktion der Schriftauslegung für Barths dogmatische Arbeit als eine grundlegende betrachtet, so stellt sich natürlich neben der Frage nach dem inhaltlichen Ertrag der Exegese auch die Frage nach ihrer Methodik bzw. nach Barths exegetischer Vorgehensweise. Wie ist jenes „Hören darauf, was die Schrift sagt“, welches in den eingangs zitierten Worten so pointiert hervorgehoben wird, genauer zu beschreiben? Und wie kommt es vom Hören zur Mitteilung des Gehörten? Zwar wurde die Rede von einer „exegetischen Methode“ Barths in der Vergangenheit mit Recht kritisiert,6 gleichwohl führt eine erhöhte Aufmerksamkeit auf Barths Exegese zwangsläufig zu der Frage, wie Barth sich den biblischen Texten nähert und welche Fragen er an die Texte stellt. Es wird sich zeigen, dass hierbei zwei Phänomene von besonderer Bedeutung sind, nämlich zum einen die beständige Frage nach dem Verhältnis des jeweils auszulegenden Textabschnitts zur Sache des gesamten biblischen Kanons, was die Aufgabe einer (gegebenenfalls neuen) Definition dieser Sache unter Berücksichtigung des konkreten Textes mit einschließt, und zum anderen die Betonung der narrativen Struktur biblischer Texte, welche von Barth immer wieder in eigenen Nacherzählungen herausgearbeitet wird. Die Dringlichkeit der Frage nach Barths exegetischer Vorgehensweise wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass diese trotz zahlreicher Untersuchungen nach wie vor zu den ungeklärten Aufgaben innerhalb der BarthForschung zählt. M. Trowitzsch hat diesen Umstand auf dem Abschlusspodium des Internationalen Symposions „Karl Barth in Deutschland (1921 – 1935)“ im Jahr 2003 pointiert zum Ausdruck gebracht: Die Schwierigkeit liegt, wenn ich recht sehe, nicht zuletzt darin, daß die Schriftauslegung von Karl Barth immer noch unverstanden ist. Wir wissen nicht, was eigentlich vorgeht: wie Barth Texte auslegt. Wir können es nicht zureichend beschreiben, wie eigentlich das Verfahren zu bestimmen ist, demgemäß er sich den biblischen Texten nähert.7

Es mag vorläufig dahingestellt bleiben, ob dieses Urteil dem Stand der Forschung gerecht wird. Dass zu Barths exegetischer Vorgehensweise viele Fragen offen sind und auch nach dieser Studie bleiben werden, ist jedoch unbestritten 5 Vgl. den Registerband zur KD, 24, sowie Wharton, Karl Barth as Exegete, 6. 6 Vgl. Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung, 99. 7 Beintker u. a., Karl Barth in Deutschland, 471.

Einführung ins Thema

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und liegt nicht zuletzt daran, dass Barth selbst zur Erhellung seiner exegetischen Arbeitsweise verhältnismäßig wenig beigetragen hat. Wie jenes „Hören auf die Schrift“ vor sich geht, wird in der Regel nicht eigens thematisiert. Ähnlich unvermittelt wie in den eingangs zitierten Worten das Hören auf die Schrift durch ein schlichtes „and“ mit dem Mitteilen des Gehörten verbunden wird, so werden auch die Ausführungen in den exegetischen Exkursen der KD ohne einleitende Bemerkungen – etwa zur Auswahl der ausgelegten Bibeltexte oder zur exegetischen Methodik – eher unvermittelt neben die im Haupttext erläuterten dogmatischen Aussagen gestellt. Diese Vorgehensweise entspricht wiederum der Tatsache, dass Barth sich mehrfach pointiert gegen eine eigenständige Bearbeitung der hermeneutischen Fragen ausgesprochen hat. Er war der Meinung, daß Hermeneutik kein selbständiger Gesprächsgegenstand sein, daß ihr Problem nur in unzähligen hermeneutischen Akten – alle sich gegenseitig korrigierend und ergänzend, aber vor Allem: alle auf den Inhalt der Texte bezogen – angegriffen und beantwortet werden kann.8

Noch einen Schritt weiter geht Barth an anderer Stelle, indem er das hermeneutische „Problem Lessings“ – Barth meint hier die durch den historischen Abstand zwischen Bibeltext und Bibelleser aufgeworfenen Verstehenshindernisse9 – dem „Problem des Petrus“ – nämlich der Verzweiflung angesichts der Aufdeckung der eigenen Sünde in der Konfrontation mit dem „Christus pro nobis praesens“ – gegenüberstellt.10 Die hermeneutische Frage wird hier als eine „Fluchtbewegung“11 beschrieben, durch die sich der Mensch jener Konfrontation mit Christus und der Aufdeckung seiner Sünde entziehe. Diese letztlich heilsame Konfrontation ist nach Barths Ansicht nicht durch abstrakte hermeneutische Debatten, sondern nur durch die Beschäftigung mit den biblischen Texten selbst herbeizuführen.12 Die vorliegende Arbeit folgt dieser Auffassung nur teilweise. Sie vertritt den Standpunkt, dass die theologische Reflexion sich einer eigenständigen Diskussion um die Fragen der Schrifthermeneutik nicht entziehen kann. Sie ist darin „unbarthianisch“, dass sie diese Diskussion führen und vertiefen 8 Brief an Hermann Diem vom 27. 11. 1949, zitiert nach Busch, Karl Barths Lebenslauf, 362. 9 Lessing selbst spricht bekanntlich vom „garstig breiten Graben“, der es ihm unmöglich mache, „zufällige Geschichtswahrheiten“ als „Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten“ zu betrachten. Ders., Über den Beweis des Geistes und der Kraft, 12 f. 10 Vgl. die von Barth gewählte Überschrift „Das Problem Lessings und das Problem des Petrus“ für den Vorabdruck von KD IV/1, 311 – 323, in Schneemelcher/Steck, Ecclesia semper reformanda, 4 – 17. Die Rede vom „Christus pro nobis praesens“ findet sich a. a. O., 13, bzw. KD IV/1, 321. 11 Ebd. 12 Ein weiteres sehr anschauliches Beispiel hierfür findet sich innerhalb der Engellehre in KD III/3, 466 f. Barth beschreibt an dieser Stelle die Suche nach einem „hermeneutischen Leitfaden“ als Ausweichbewegung vor der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem „Zeugnis der heiligen Schrift“.

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möchte. Hermeneutik und Exegese gegeneinander auszuspielen, wie Barth es nicht nur an der erwähnten Stelle tut,13 hieße letztlich, die dem christlichen Glauben wesensgemäße Reflexion und Explikation von Glaubensaussagen als Aufgabe der Theologie zumindest teilweise in Frage zu stellen.14 Gleichwohl nimmt die vorliegende Studie Barths Mahnung ernst, die hermeneutische Diskussion nicht losgelöst von der Auslegung bestimmter biblischer Texte zu führen. Dies hat zur Konsequenz, dass sie den Fokus auf die Praxis von Barths Schriftauslegung richtet und damit die hermeneutische Frage nach der exegetischen Methodik in einen engen Zusammenhang mit der Frage nach dem theologischen Ertrag bzw. der dogmatischen Funktion von Barths Exegese stellt.15 Eine Untersuchung von Barths Schriftauslegung in der KD, die sowohl nach deren Ertrag als auch nach der exegetischen Vorgehensweise fragt, darf schließlich nicht übersehen, dass der wichtigste zusammenhängende Beitrag Barths zu einer Schrifthermeneutik im Sinne einer Theorie der Schriftauslegung innerhalb der „Lehre von der Heiligen Schrift“ in KD I/2 zu finden ist. Zwar sind die darin behandelten Fragen nach dem Wesen der Schrift und ihrer Funktion im Raum der Kirche zu unterscheiden von der hermeneutischen Frage nach dem Verstehen der Schrift.16 Indem Barth jedoch in seiner Schriftlehre immer wieder nach Bedingung und Möglichkeit eines sachgemäßen Verstehens der Schrift fragt, werden hier zweifellos Weichenstellungen für die Auslegungspraxis in den weiteren Bänden vorgenommen. Es ist von daher nicht verwunderlich, dass ab KD II/1, dem Folgeband des die Schriftlehre enthaltenden Bandes KD I/2, eine deutliche Weiterentwicklung von Barths exegetischer Praxis innerhalb der Dogmatik festzustellen ist, welche sich vor allem in Umfang und Stellenwert der exegetischen Exkurse bemerkbar macht.17 Für die Frage nach Barths exegetischer Vorgehensweise 13 Vgl. auch die Äußerung in einem Brief aus dem Jahr 1942. Barth schreibt hier, dass „die Frage nach der rechten Hermeneutik sich nicht in der Diskussion über die exegetische Methode, sondern nur in der Exegese selbst entscheiden kann.“ Zitiert nach Busch, Karl Barths Lebenslauf, 404. 14 Vgl. hierzu Schwçbel, Doing Systematic Theology, 4 f, sowie die pointierte Beschreibung des Verhältnisses von Theologie und Doxologie bei D. Ritschl, Theologie ist explikativ, 23: „Theologie ist durch und durch reflektierend, prüfend, erklärend, argumentierend, analysierend, konstruierend, auch wenn sie zur Doxologie, zum Gebet und zur Predigt hinführt.“ Ähnlich konnte sich freilich auch Barth selbst äußern, vgl. ders., Das Schriftprinzip der reformierten Kirche, 502 f. 15 Zur Begründung dieses Zusammenhangs vgl. Abschnitt 4 dieser Einleitung. 16 R. Bernhardt unterscheidet dementsprechend zwischen der Frage nach dem „Verständnis“ der Schrift als Aufgabe der Schriftlehre einerseits sowie der Frage nach dem „Verstehen“ der Schrift als Aufgabe der biblischen Hermeneutik andererseits, vgl. ders., Die Krise des protestantischen Schriftprinzips, 213. 17 Zwar finden sich auch in den beiden Teilbänden von KD I unzählige biblische Exkurse, dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um kurze Belege, in denen Barth in aller Regel Bibelverse zitiert und sie bisweilen mit einer kurzen Erläuterung versieht, ohne jedoch ausführlich auf die einzelnen Stellen einzugehen. Der längste exegetische Exkurs in KD I umfasst dementsprechend

Zum Aufbau der Arbeit

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bedeutet dies, dass die Leitlinien seiner Schriftlehre in der Betrachtung der exegetischen Exkurse stets mit zu bedenken sind.

2. Zum Aufbau der Arbeit Aus dem soeben umrissenen Aufgabenfeld ergibt sich folgender Aufbau der vorliegenden Studie: Innerhalb der Einleitung gilt es zunächst, einen Überblick über die Forschungsgeschichte zu Barths Schriftauslegung in der KD zu gewinnen. Anschließend sind die Kriterien zur Beurteilung von Barths Exegese zu klären und im Zusammenhang damit das für die Studie maßgebliche Verständnis des Begriffs „Exegese“ darzulegen. Schließlich wird der oft geäußerten Vermutung nachgegangen, dass nicht Barth selbst, sondern Charlotte von Kirschbaum die Verfasserin der exegetischen Exkurse in der KD sei. Entsprechend dem Aufbau der Kirchlichen Dogmatik selbst, aber auch mit Blick auf den sachlichen Zusammenhang zwischen Schriftlehre und Schriftauslegung wird dann im ersten kürzeren Hauptteil A Barths Schriftlehre überblicksartig dargestellt. Dabei wird der Fokus vor allem auf KD I/2, §§ 19 – 21 gerichtet. Im Zentrum des Interesses wird hier Barths Charakterisierung der Schrift als Zeugnis der Offenbarung und die damit ausgedrückte Verhältnisbestimmung zwischen Bibel und Offenbarung stehen. Es wird sich zeigen, dass diese in engem Zusammenhang mit der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes zu verstehen ist. Davon ausgehend wird Barths hermeneutische Grundregel, nämlich die Forderung nach einer sachorientierten Schriftauslegung untersucht, um im Anschluss daran die für Barths Schriftlehre und Schrifthermeneutik zentrale Frage nach dem Subjekt des hermeneutischen Prozesses zu stellen. Abgerundet wird die Darstellung von Barths Schriftlehre zum einen durch ein kurzes Kapitel zu den unmittelbaren Konsequenzen, die in Barths Schriftlehre für den Vorgang der Schriftauslegung gezogen werden, zum anderen durch erste Überlegungen zu der Frage, wie sich Barths Theologie, in diesem Fall seine Schriftlehre als nachkritische Schriftlehre, innerhalb der neuzeitlichen Theologie verorten lässt. In Hauptteil B, der quantitativ den Schwerpunkt dieser Studie ausmacht, wird anschließend die Auslegungspraxis Barths in fünf Kapiteln untersucht. Dabei werden Exkurse aus der Gotteslehre (KD II/1), der Erwählungslehre (KD II/2), der Schöpfungslehre (KD III/1), der Sündenlehre (KD IV/1 – 3) und lediglich 4 Seiten (KD I/2, 331 – 335). In KD II/1 ist dagegen bereits eine deutliche Intensivierung zu beobachten, vgl. etwa die exegetischen Exkurse zur Frage einer natürlichen Gottesoffenbarung (KD II/1, 125 – 138), vor allem aber die Exkurse in der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten. Diese Entwicklung setzt sich fort in den bis zu über 60 Seiten langen Exkursen in der Erwählungslehre in KD II/2 und in der 270 Seiten umfassenden Einzelversauslegung von Gen 1 – 2 in KD III/1. Dass diesen langen Exkursen eine größere methodische Vielfalt eignet als den Exkursen in KD I, liegt auf der Hand.

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der Rechtfertigungslehre (KD IV/1) besprochen, mithin der Versuch unternommen, Barths Schriftauslegung in einer großen werkgeschichtlichen und thematischen Breite unter die Lupe zu nehmen. Wie bereits erläutert, steht dabei die Frage nach der inhaltlichen Bedeutung der Exegese für die dogmatische Arbeit im Mittelpunkt des Interesses, weshalb sie innerhalb der einzelnen Kapitel als strukturierendes Element fungiert. Dies schlägt sich darin nieder, dass die einzelnen Kapitel jeweils durch eine kurze thematische Hinführung eingeleitet werden, in der geklärt wird, welche Fragen und Probleme für Barth in der Behandlung des jeweiligen dogmatischen Themas zentral sind und in welchem Kontext seine Ausführungen zu verstehen sind. In diesem Rahmen werden – je nach Art und Umfang des dogmatischen Themas und je nach Ort der betreffenden Paragraphen innerhalb der KD – exegetische, theologiegeschichtliche, sozialgeschichtliche und werkgeschichtliche Überlegungen eine Rolle spielen.18 Anschließend werden die jeweiligen exegetischen Exkurse vorgestellt, nach ihren inhaltlichen Schlüsselaussagen, ihrer Methodik und ihren Bezügen zur Schriftlehre befragt, bevor in einem Fazit am Ende jeweils der dogmatische Gewinn gebündelt dargestellt wird, den Barth aus seinen exegetischen Überlegungen zieht. Als ein immer wiederkehrendes Phänomen wird dabei, wie bereits erwähnt, insbesondere Barths narrative Schriftauslegung sowohl hinsichtlich ihrer Methodik als auch hinsichtlich ihrer theologischen Funktion eingehend beleuchtet. Es wird sich zeigen, dass Barth, indem er einerseits die narrative Struktur biblischer Texte besonders hervorhebt und andererseits für seine Auslegungen selbst immer wieder eine narrative Sprachform wählt, die Konkretheit und die Kontingenz des in der Bibel bezeugten göttlichen und menschlichen Handelns eindrücklich zur Geltung zu bringen vermag. Darüber hinaus wird (insbesondere in den Kapiteln zur Erwählungslehre, zur Sündenlehre und zur Rechtfertigungslehre) die spezifisch antidualistische Ausrichtung jener dogmatischen Topoi herausgearbeitet, die sich ebenfalls als ein wesentlicher inhaltlicher Ertrag, den Barth aus seiner Schriftauslegung gewinnt, beschreiben lässt. Barths Antidualismus lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die prinzipielle Unterscheidung zwischen Erwählten und Nicht-Erwählten bzw. Sündern und Gerechten in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt wird. Den Abschluss der Arbeit stellt die kritische Würdigung von Barths Schriftauslegung in Teil C dar. Hier wird die Frage leitend sein, welchen Beitrag Barths Schriftauslegung angesichts der „Krise des protestantischen 18 Mit der sachlich bedingten Pluralität jener Frageaspekte wird einem der „Kriterien einer angemessenen Deutung der Theologie Karl Barths“ Rechnung getragen, welche S. Holtmann am Ende seiner Studie Karl Barth als Theologe der Neuzeit aufstellt. Holtmann fordert hier u. a. einen „methodischen Pluralismus“, in dessen Rahmen „sowohl die Berücksichtigung gesellschaftlicher Zusammenhänge (sozialgeschichtliche Perspektive) aber auch der ideengeschichtlichen Zusammenhänge, innerhalb derer [sic!] sich Menschen über Epochengrenzen hinweg bewegen“, zu leisten ist. Holtmann, a. a. O., 426.

Forschungsgeschichtlicher Überblick

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Schriftprinzips“19 zu leisten vermag. Diese Krise, deren Bearbeitung zu den unabgegoltenen Aufgaben evangelischer Theologie in der Gegenwart zählt, gilt es in diesem Zusammenhang zunächst als eine notwendige Krise zu verstehen, durch welche die Gefahr der Vereinnahmung biblischer Texte durch den Ausleger unübersehbar ans Licht gebracht wird. Da die Entstehung dieser Krise eng mit dem Aufkommen der historischkritischen Exegese zusammenhängt, bietet es sich an, im Rahmen des Schlussteils auch die in der Forschungsgeschichte virulente Frage nach dem Verhältnis zwischen Barths Schriftauslegung und der historisch-kritischen Exegese in einem kurzen systematischen Überblick zu beantworten. Vor allem aber ist zu fragen, welche Impulse von Barths Auslegungspraxis gegen die im Zuge der Krise des Schriftprinzips drohende Entfremdung von den biblischen Texten ausgehen, worin also – allgemein gesprochen – Barths Beitrag im gegenwärtigen Diskurs zu Fragen der Schrifthermeneutik zu sehen ist und wo die Probleme bezüglich ihrer Anschlussfähigkeit liegen.

3. Forschungsgeschichtlicher Überblick Die vorliegende Studie über Karl Barths Schriftauslegung in der Kirchlichen Dogmatik vor dem Hintergrund der in KD I/2 entfalteten Schriftlehre knüpft an eine umfangreiche Forschungsgeschichte an. Dies betrifft sowohl Barths Schriftauslegung als auch seine Schriftlehre. Auch fehlt es nicht an Monographien, die sich der Kirchlichen Dogmatik bzw. einzelnen Teilen daraus widmen. Dem Schwerpunkt der Studie entsprechend konzentriert sich der folgende Überblick auf jene Beiträge, die den Fokus in besonderem Maße auf die exegetischen Exkurse in der KD richten.20 Hierbei ist zu unterscheiden zwischen solchen Arbeiten, in denen die hermeneutische Frage nach Barths exegetischer Vorgehensweise dominiert, und solchen, die stärker nach den dogmatischen Konsequenzen von Barths Schriftauslegung fragen. 19 Vgl. hierzu Pannenberg, Die Krise des Schriftprinzips, sowie die in der Einleitung zu Teil C genannte Literatur. 20 Lediglich hingewiesen sei auf folgende Werke, die sich ausschließlich mit den frühen exegetischen Werken Barths beschäftigen: Burnett, Karl Barth’s Theological Exegesis; Henry, The Early Development of the Hermeneutic of Karl Barth; Kraege, L’Ecriture seule; Webster, Barth’s earlier theology, v. a. 67 – 90, sowie als jüngsten Beitrag: MRtzlitz, Gottes Wort als Wirklichkeit. Ebenfalls nur hingewiesen sei auf folgende Werke, in denen Barths Schriftlehre bzw. Schrifthermeneutik ohne nähere Berücksichtigung der konkreten Auslegungspraxis untersucht wird: Runia, Karl Barth’s Doctrine of Holy Scripture; Schlichting, Biblische Denkform in der Dogmatik; Lindemann, Karl Barth und die kritische Schriftauslegung; Kirschstein, Der souveräne Gott; BRttner, Das Alte Testament als erster Teil der christlichen Bibel; Bourgine, L’hermxneutique thxologique de Karl Barth; Wood, Barth’s Theology of Interpretation; Schelhas, Christozentrische Schriftauslegung.

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Einleitung

3.1 Arbeiten zu Barths Schriftauslegung mit hermeneutischem Schwerpunkt Die Erforschung von Barths Schriftauslegung in der KD wurde maßgeblich durch die Beiträge von R. Smend geprägt, deren erster noch zu Barths Lebzeiten entstand, als Beitrag eines Symposiums zu Barths achtzigstem Geburtstag. Die Pointe dieses frühen Aufsatzes lässt sich der Titelformulierung Nachkritische Schriftauslegung entnehmen.21 Smend stellt die These auf, dass Barth „mit der historisch-kritischen Exegese die Voraussetzung der vollen Menschlichkeit der Schrift“ teile.22 Folglich lehne er auch die „Forderung, daß man die Bibel historisch lesen, verstehen und auslegen müsse“, um sie gegen dogmatische Vereinnahmung zu schützen, keineswegs ab.23 Als „legitimer Nachfolger“ W.M.L. de Wettes knüpfe Barth jedoch nicht nur an die „radikalste Bibelwissenschaft“ und deren Dekonstruktion der Bibel als einer historischen Quelle an,24 sondern verwirkliche zugleich die mit der Dekonstruktion eröffnete Möglichkeit einer erneuerten – und insofern nachkritischen – Exegese der biblischen Texte.25 Barths „theologische Exegese“ zeichne sich dadurch aus, dass in ihr die biblischen Texte „nicht mit einer ihnen fremden, sondern mit ihrer eigenen Sache und auf sie hin gehört, verstanden und ausgelegt“ würden.26 War diese Charakterisierung zunächst als eine Verteidigung Barths gegen den Vorwurf der antikritischen Exegese gedacht,27 so sah sich Smend nicht zuletzt infolge der kritischen Reaktion Barths während des genannten Symposiums28 zu einer Modifizierung genötigt. In dem etwa zwanzig Jahre später erschienen Aufsatz Karl Barth als Ausleger der Heiligen Schrift erklärt Smend, Barths Verhältnis zur historisch-kritischen Schriftauslegung habe „auch ein antikritisches, und zwar durchaus unsachlich antikritisches Element“, und zwar gerade in der Kompromisslosigkeit, mit der Barth die Forderung nach einer sachbezogenen Exegese erhebe.29 Interessant im Kontext der vorliegenden Studie ist die zweifache Warnung Smends vor einer Vernachlässigung der exegetischen Exkurse in der KD. Zu Beginn wird diese Warnung an all jene

21 Aufnahmen dieser Formel finden sich u. a. bei Ford, Barth and God’s Story, 50; Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung, 73; Reventlow, Epochen der Bibelauslegung IV, 379. Eine durch zusätzliche Barth-Zitate angereicherte ausführliche Paraphrase zu Smends Aufsatz hat kürzlich G. Hunsinger vorgelegt, vgl. ders., Postcritical Scriptural Interpretation. 22 Smend, Nachkritische Schriftauslegung, 216. 23 Ebd. 24 Smend, a. a. O., 221. 25 Smend, a. a. O., 220. 26 Ebd. 27 Vgl. Smend, Karl Barth als Ausleger, 243. 28 Vgl. ebd. 29 Ebd.

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gerichtet, denen es um ein Verstehen der KD geht,30 am Ende wird sie in Hinblick auf die Ausleger der biblischen Texte formuliert: Es kann nur dringend davor gewarnt werden, Barths Einzelauslegungen von vornherein nicht ernstzunehmen. Auch für ,Historisch-Kritische‘ gibt es bei diesem nachkritischen, aber auch kritischen und gelegentlich antikritischen Exegeten genug und übergenug zu entdecken und zu lernen.31

Festzuhalten bleibt, dass Smends Untersuchungen nur in sehr schmalem Rahmen auf konkrete Beispiele von Barths Auslegungspraxis Bezug nehmen,32 was im zweiten Aufsatz mit dem Hinweis auf eine in der Zwischenzeit entstandene „nahezu erschöpfende Untersuchung“ von Barths alttestamentlichen Auslegungen begründet wird.33 In der Tat ist O. Bächlis Dissertation Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, auf welche Smend im zuletzt genannten Zitat anspielt, das bisher umfassendste Werk zu Barths Auslegungspraxis in der KD. Es bietet nicht nur eine biographische Verortung, in welcher wichtige Lehrer, Gesprächspartner und Schüler, aber auch die zeitgeschichtlichen Umstände von Barths alttestamentlicher Exegese vorgestellt werden,34 sondern zeichnet sich darüber hinaus durch eine sehr detaillierte Analyse zahlreicher exegetischer Passagen innerhalb der KD aus. Nahezu alle wichtigen alttestamentlichen Auslegungen kommen zu Wort,35 wobei Bächli bezüglich der Auslegungsgattung zwischen „thematische[r] Exegese“ und „Exegese als theologische[m] Kommentar“ differenziert.36 Zur thematischen Exegese gehören nach Bächli Barths alttestamentliche Auslegungen in der Erwählungslehre und in der Sündenlehre,37 während die fortlaufende Auslegung zu Gen 1 – 2 in KD III/ 1 unter die Gattung „Theologischer Kommentar“ fällt und die Auslegung des Hiob-Buches in KD IV/3 bezüglich ihrer Gattung eine Zwischenposition einnimmt.38 Neben Bächlis Beschränkung auf Barths alttestamentliche Exegese besteht der wichtigste Unterschied zur vorliegenden Studie darin, dass sich Bächli auf 30 Vgl. Smend, a. a. O., 223 f. 31 Smend, a. a. O., 246. 32 Eine Art Ausgleich bietet der ebenfalls von Smend herausgegebene und kommentierte Briefwechsel Barths mit dem Basler Alttestamentler W. Baumgartner, in dem sich u. a. Baumgartners zunehmend wohlwollende Kommentare zu den alttestamentlichen Exkursen in KD II/2, KD III/ 3, KD IV/2 sowie KD IV/3 finden, vgl. Smend, Der Exeget und der Dogmatiker, bes. 63 – 67, 70 – 72, sowie BwBB, bes. 264, 268 – 271. 33 Vgl. Smend, Karl Barth als Ausleger, 233. 34 Vgl. BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 24 – 80. 35 Eine Ausnahme bilden die exegetischen Begriffsentfaltungen in Barths Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten (KD II/1). 36 BQchli, a. a. O., IX. 37 Vgl. hierzu in der vorliegenden Studie die tabellarischen Übersichten in den Kapiteln B 2 und B 4. 38 Vgl. BQchli, a. a. O., 210.

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die Frage der exegetischen Vorgehensweise Barths konzentriert. Ausführlich werden Barths Auslegungen nachgezeichnet, einzelne exegetische Entscheidungen Barths diskutiert und zum Teil mit zeitgenössischen Auslegungen verglichen. Die systematisch-theologischen Konsequenzen jener Entscheidungen werden in der Regel jedoch nicht diskutiert. In der Analyse der als „Theologische Kommentare“ bezeichneten Auslegungen von Gen 1 – 2 sowie des Hiob-Buches werden „Exegetische Schwerpunkte“ und „Theologische Schwerpunkte“ nicht nur getrennt voneinander besprochen, sondern es wird der Zusammenhang zwischen Exegese und Dogmatik weitgehend außer Acht gelassen.39 Die Untersuchung der „thematischen Exegesen“ wiederum beschränkt sich fast ausschließlich auf die Rekonstruktion von Barths Auslegungen.40 Wo dies nicht der Fall ist, diskutiert Bächli vor allem die mehrfach variierte Frage, „ob Barths Exegese dem Text gerecht wird.“41 Die Frage nach der Funktion der alttestamentlichen Exkurse im Zusammenhang des jeweiligen dogmatischen Topos bleibt damit ungeklärt. Sind die Arbeiten von Smend und Bächli um eine möglichst weite Perspektive auf das Gesamtwerk der KD bemüht, so beschränkt sich ein Großteil der Interpreten von vornherein auf einen bestimmten Band oder Paragraphen von Barths Dogmatik. Auch dieses Kapitel der Rezeptionsgeschichte beginnt bereits zu Barths Lebzeiten, namentlich mit den Beiträgen von J.J. Stamm, Die Imago-Lehre von Karl Barth und die alttestamentliche Wissenschaft, J.-F. Konrad, Abbild und Ziel der Schöpfung. Untersuchungen zur Exegese von Genesis 1 und 2 in Barths Kirchlicher Dogmatik III,1, sowie M. Klopfenstein, 1. Könige 13. Die Aufsätze Stamms und Klopfensteins ähneln sich nicht nur in ihrem Umfang, sondern auch hinsichtlich ihrer Methode, indem sie je einen bestimmten exegetischen Exkurs aus der KD mit den Ergebnissen der zeitgenössischen exegetischen Forschung vergleichen. Dabei tun sich – wenig überraschend – einige Unterschiede im Verständnis der Gottebenbildlichkeit (Stamm) bzw. in der Auslegung der Erzählung vom Gottesmann aus Juda in 1 Kön 13 (Klopfenstein) auf. Beide Autoren gelangen am Ende zu einem gemäßigt positiven Urteil über Barths Exegese, indem sie betonen, dass diese ungeachtet manch anfechtbarer Entscheidungen „dem Fachexegeten höchste Achtung und aufgeschlossene Beachtung […] abnötigt“,42 bzw. dass es „zwischen ihm [Barth] und der alttestamentlichen Wissenschaft nicht nur Differenzen, sondern auch wesentliche Übereinstimmungen gibt“, bisweilen sogar 39 Vgl. BQchli, a. a. O., 213 – 224 (Hiob) bzw. 235 – 265 (Gen 1 – 2). 40 Dies gilt besonders für die Besprechung von Barths Auslegungen im zweiten Teil der Sündenlehre in KD IV/2, vgl. BQchli, a. a. O., 198 – 209. Dass auch eine schlichte Rekonstruktion (nicht nur) im Falle der KD durchaus eine zu würdigende Leistung darstellt, sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt. 41 BQchli, a. a. O., 173. Die Antwort auf diese Frage fällt meistens negativ aus (vgl. BQchli, a. a. O., 173, 175, 188, 197), bisweilen wird aber auch vorsichtig positiv geurteilt (vgl. BQchli, a. a. O., 190 f). 42 Klopfenstein, 1. Könige 13, 639.

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„ein Weiterschreiten Barths über den Standort der alttestamentlichen Wissenschaft hinaus.“43 Im Unterschied zu Stamm und Klopfenstein handelt es sich bei Konrads Studie um eine eigene Monographie, die sich durch ihre innovative Vorgehensweise auszeichnet. Anhand von Barths Christologie entfaltet Konrad zunächst die hermeneutischen Voraussetzungen für Barths alttestamentliche Bibelauslegung, bezieht sich dabei aber nicht nur auf die christologischen Paragraphen in KD IV, sondern mindestens in gleichem Maße auf die Schriftlehre in KD I/2.44 Als zentrale Kategorien stellt Konrad Barths teleologisches bzw. analogisches Verständnis des (im Neuen Testament erfüllten und insofern das Christusgeschehen, in Konrads Worten: die „heilige Sprachgeschichte“ abbildenden) Alten Testaments heraus.45 Anschließend bietet Konrad eine eigene Auslegung zu Gen 1 – 2, in welcher er Barths Interpretation „wie einen Kommentar zu unserer Exegese des Textes“ hinzuzieht.46 Am Ende dieses ausführlichen Durchgangs durch die beiden Schöpfungssagen hält Konrad fest, „wie stark Barths Exegese in der von ihm referierten Hermeneutik gründet“, etwa in dem Anliegen, „vom Zusammenhang [des gesamten biblischen Zeugnisses] her das Einzelzeugnis zu erfassen“.47 Es fehle allerdings, so die kritische Fortsetzung, der Vollzug des umgekehrten Schrittes, nämlich eine Prüfung und Korrektur des Gesamtzusammenhangs vom Einzelzeugnis her, was letztlich auf die Vernachlässigung der historisch-kritischen Exegese zurückzuführen sei. „[D]ie Schwäche der Barthschen Exegese ist die historische Kritik“, so Konrads Urteil,48 und diese Schwäche habe zur Folge, dass die Auslegung nicht mehr durch die „heilige Sprachgeschichte“ selbst bestimmt werde, sondern „unter dem Diktat eines bestimmten Konzeptes“ dieser Sprachgeschichte stehe.49 Indem es sich immerhin um ein Konzept der „heiligen Sprachgeschichte“ handle, komme es bei Barth zwar durchaus „zu exegetisch und theologisch unanfechtbaren Ergebnissen“,50 insgesamt belegt Konrad die in KD III/1 praktizierte Schriftauslegung jedoch mit dem Verdikt einer „von ihrem in einer bestimmten Struktur gesehenen Gegenstand diktierten historisch unkritischen Paraphrasierung des Textes.“51 Ebenfalls auf einen bestimmten Teil der KD, nämlich den umfangreichen Abschnitt § 64,3 („Der königliche Mensch“) in KD IV/2 und dessen exegetische Ausführungen konzentriert sich D. Kelsey im Barth-Kapitel seiner Studie 43 Stamm, Die Imago-Lehre von Karl Barth, 64. Der Kontext belegt, dass das „Weiterschreiten“ durchaus positiv gemeint ist. 44 Vgl. insbes. Konrad, Abbild und Ziel, 37 – 51. 45 Konrad, a. a. O., 84 f. 46 Konrad, a. a. O., 3. 47 Konrad, a. a. O., 259. 48 Ebd. 49 Konrad, a. a. O., 259 f. 50 Konrad, a. a. O., 261. 51 Konrad, a. a. O., 260.

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The Uses of Scripture in Recent Theology. Kelsey unterscheidet in seinem Werk sieben verschiedene Weisen des Umgangs mit den biblischen Texten, wobei die Auslegung Barths sich nach Kelsey dadurch auszeichnet, dass sie – bei aller „inventiveness and variety“52 – besonders auf die biblischen Erzähltexte fokussiert sei und in deren Auslegung Jesus Christus in der Einheit seiner Intentionen und Taten als die Selbstoffenbarung Gottes vorstelle.53 Das Christusereignis werde folglich beschrieben als ein „event in which God reveals himself and ,speaks as I and adresses as thou.‘“54 Indem die solchermaßen ermöglichte Begegnung sich bis heute immer wieder ereigne, wenn die Schrift im Gottesdienst gelesen werde, ist es, so Kelsey, eben jene Methode der christuszentrierten narrativen Auslegung, die nach Barths Verständnis die Autorität der Schrift im Raum der Kirche sichere.55 Gegenüber Anfragen der historischen Kritik sei eine solche Auslegung deshalb immun, weil die in der Kirche im Kontext der Nacherzählung biblischer Texte immer wieder bezeugte Vergegenwärtigung56 des auferstandenen Christus nicht von der Historizität der biblischen Berichte abhängig sei.57 Deutlich von Kelsey beeinflusst ist D. Fords Dissertation Barth and God’s Story. Biblical Narrative and the Theological Method of Karl Barth in the ,Church Dogmatics‘, die sich mit einem Schwerpunkt auf der Erwählungslehre (KD II/2) wiederum verschiedenen exegetischen Exkursen von KD II/1 bis KD IV/3 widmet und dabei wie bereits Kelseys Werk den Fokus auf die Auslegungen biblischer Erzähltexte richtet. Fords These lautet, dass Barths „use of these narratives helps to understand both the unity and the method of his theology.“58 In der Analyse von Barths Nacherzählungen lässt sich Ford vor allem von der Frage leiten, ob diese dem Aussagegehalt der biblischen Texte gerecht werden. Sein Ergebnis lautet, dass dies in vielen Fällen nicht der Fall sei, der biblische Text vielmehr überfrachtet werde mit Deutungen und Begriffen, die Barth aus der Lektüre des gesamten Kanons gewinne, die sich aber in den jeweiligen Erzählungen nicht finden ließen. Dies gelte etwa von den Begriffen der „Sage“ und der „Vorgeschichte“, mit denen Barth das in Gen 1 – 2 erzählte Schöpfungsgeschehen beschreibt.59 Zwar gesteht Ford Barth zu, mit seinem Verständnis der biblischen Erzählungen als „realistic narratives“60 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. Kelsey, The Uses of Scripture, 39. Vgl. Kelsey, a. a. O., 46 f. Kelsey, a. a. O., 47. Vgl. ebd. Kelseys Schlüsselbegriff „rendering an agent“ lässt sich m. E. im Deutschen am besten unter Verwendung des Begriffs „Vergegenwärtigung“ wiedergeben. Vgl. Kelsey, a. a. O., 50. Ford, Barth and God’s Story, 12. Dass dieser Anspruch einer einheitlichen Gesamtsicht auf Barths Theologie an der Methodenvielfalt innerhalb der KD scheitert, ist mit Recht kritisiert worden, vgl. McGlasson, Jesus and Judas, 8. Vgl. Ford, Barth and God’s Story, 114. Im Anschluss an H. Frei sieht Ford hier starke Parallelen zu der von E. Auerbach analysierten Gattung der „Realistic Novel“, vgl. Ford, a. a. O., 49 – 56.

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ihren Charakter im Unterschied zur historischen Geschichtsschreibung sachgemäß erfasst zu haben,61 andererseits bemängelt er mehrfach die radikale Ausklammerung der Ergebnisse der historischen Forschung,62 welche zu der bereits beschriebenen Tendenz zur Eisegese („Reading in“) geführt habe.63 Leider verzichtet Ford in seinem Werk auf eine Auseinandersetzung mit Barths Schriftlehre in KD I/2, in welcher die Diskussion um Barths Weigerung, nach einem Sinn „hinter“ den biblischen Texten zu suchen,64 ihren sachgemäßen Ort gehabt hätte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Fords Arbeit nach der Studie von Bächli den umfassendsten Einblick in Barths exegetische Methodik in der KD gewährt. Wie in jener spielt allerdings die Frage nach der konkreten Funktion der Schriftauslegung im Kontext der jeweiligen dogmatischen Topoi eine wesentlich geringere Rolle als die Frage nach Barths exegetischer Vorgehensweise. Gleiches gilt für P. McGlassons Studie Jesus and Judas. Biblical Exegesis in Barth, die sich wiederum auf Barths Schriftauslegung in einem bestimmten Teil der KD beschränkt, nämlich im Wesentlichen auf die Exkurse in KD II/2. In vier Kapiteln wird je ein „major aspect of Barth’s biblical exegesis“65 vorgestellt und anschließend anhand eines oder mehrerer biblischer Exkurse illustriert. Interessant im Kontext der vorliegenden Studie ist McGlassons Einschätzung in der Einleitung, nach der Barths biblische Exegese in der KD Im Vergleich zu seinen früheren Auslegungen „more mature“, gleichwohl aber „less well known“ sei.66 Indem die von McGlasson besprochenen Exkurse jedoch vorrangig der Explikation bestimmter hermeneutischer Prinzipien dienen, bleibt deren inhaltliche Funktion deutlich unterbestimmt. Dies zeigt sich etwa in der Analyse der alttestamentlichen Exkurse in § 35 der KD („Die Erwählung des Einzelnen“) im ersten Teil des Buches.67 Zwar werden die Exkurse ausführlich vorgestellt und u. a. in ihrer christologischen Zuspitzung diskutiert, ihr spezifischer Beitrag für die antidualistische Stoßrichtung von Barths Erwählungslehre bleibt jedoch unerwähnt. Im dritten Kapitel, in dem sich McGlasson explizit mit dem Verhältnis zwischen Exegese und Dogmatik beschäftigt, wird dagegen in erster Linie nach den Auswirkungen der Dogmatik auf die Exegese gefragt. Ähnlich wie bereits Ford kommt McGlasson zu dem Ergebnis, dass Barths eigene Begriffe die Auslegung in einem Maß beeinflussten, dass der Rahmen einer allein nach den Aussagen der Texte fragenden Exegese gesprengt werde.68 Eine Anknüpfung an McGlassons Buch stellt M. Cunninghams Studie What 61 62 63 64 65 66 67 68

Vgl. Ford, a. a. O., 183. Vgl. Ford, a. a. O., 37, 42, 88. Vgl. Ford, a. a. O., 182, ähnlich a. a. O., 93, 113 f. Vgl. KD I/2, 546. McGlasson, Jesus and Judas, 9. McGlasson, a. a. O., 3. Vgl. McGlasson, a. a. O., 22 – 46. Vgl. McGlasson, a. a. O., 86 bzw. 111.

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is Theological Exegesis? Interpretation and Use of Scripture in Barth’s Doctrine of Election dar. Wie McGlasson konzentriert sich Cunningham auf Barths Erwählungslehre, richtet dabei jedoch ihren Fokus auf die Auslegungen zu Eph 1,4 f und Joh 1,1 f und vergleicht diese mit den Ausführungen R. Bultmanns und E. Käsemanns. Nach Cunningham ist Barths exegetische Arbeit vor allem von zwei „exegetic strategies“ geprägt, nämlich der Nebeneinanderstellung („juxtaposition“) verschiedener biblischer Texte sowie der christologischen Bibelauslegung.69 Anders als Käsemann und Bultmann halte Barth daran fest, „that in our reflection on biblical texts, we must start not from our world and our common-sense pre-suppositions but from the biblical world itself.“70 Zur Aufnahme der historisch-kritischen Forschung stellt Cunningham fest, dass Barth die literarkritischen Bemühungen seiner Kollegen zwar wahrgenommen, aber letztlich nicht als entscheidend für das Verständnis der Texte betrachtet habe.71 Ebenso habe Barth die Bedeutung des religionsgeschichtlichen Kontexts bei seinen exegetischen Kollegen für überbetont gehalten.72 Typisch für Barths Exegese sei dagegen die Kombination verschiedener sinnverwandter Textstellen („clustering texts“), insbesondere solcher, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Passage stehen, die ausgelegt wird.73 Dieser Technik liege Barths Überzeugung zu Grunde, dass sich die Einheit der Bibel daraus ergebe, dass sie als Ganze Zeugnis von Jesus Christus ist.74 Im letzten Kapitel ihres Buches erläutert Cunningham die Konsequenzen für die kirchliche Rede von Gottes Erwählung, indem sie die christologische Ausrichtung von Barths Erwählungslehre als eine Hilfe zu einem angstfreien Umgang mit diesem oftmals umstrittenen Thema würdigt75 und den Reichtum und die Kreativität in Barths Exegese und deren Orientierung auf die kirchliche Predigtpraxis hervorhebt.76 Überwiegend positiv wird Barths Auslegungspraxis auch von K.E. GreeneMcCreight in ihrer Studie Ad Litteram. How Augustine, Calvin, and Barth Read the ,Plain Sense‘ of Genesis 1 – 3 bewertet. Greene-McCreight bezieht sich im Barth-Kapitel ihres Buches auf die Auslegung der Schöpfungssagen in KD III/1. Als „the most significant factors“ jener Auslegung arbeitet GreeneMcCreight interessanterweise Barths „attention to the literary and narrative structure of the text“ heraus.77 Sie verweist auf die zahlreichen Beobachtungen zu Sprache und Struktur der Genesis-Sagen, durch welche Barth das Bild eines komplexen Sinnzusammenhangs zeichne, welcher nicht nur die einzelnen 69 70 71 72 73 74 75 76 77

Vgl. Cunningham, What is theological Exegesis, 31 Cunningham, a. a. O., 43. Vgl. Cunningham, a. a. O., 56 f. Vgl. Cunningham, a. a. O., 57. Vgl. Cunningham, a. a. O., 63. Vgl. Cunningham, a. a. O., 70. Vgl. Cunningham, a. a. O., 78. Vgl. Cunningham, a. a. O., 83 f. Greene-McCreight, Ad Litteram, 190.

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Sagen je für sich, sondern beide Sagen als eine in sich differenzierte Einheit zum Vorschein treten lasse.78 Die Auslegung von Gen 1 – 2 wird damit in den Rahmen von Barths narrativer Exegese eingeordnet, welche in der Forschungsgeschichte bisher vor allem im Anschluss an Barths Erwählungslehre als zentrales Merkmal seiner Exegese benannt wurde. Für eine auf den „plain sense“79 der Schöpfungssagen abzielende Auslegung in Barths Sinn stelle die literarische Analyse, so Greene-McCreights Fazit, freilich nur ein begründendes Element dar, welches durch das der Einzelauslegung („microexegesis“) vorgeordnete Gesamtverständnis („macroexegesis“) der Bibel als Christuszeugnis ergänzt werde.80 Für die deutschsprachige Forschung der letzten Jahre ist schließlich auf drei Aufsätze hinzuweisen, die sich allesamt mit Barths biblischer Exegese in der Erwählungslehre in KD II/2 beschäftigen. Es handelt sich zunächst um die kurze Studie von A.M. Spijkerboer, Karl Barth und seine Exegese von David und Saul, vorgetragen auf der Karl-Barth-Tagung in Driebergen 1997. Nach einer zusammenfassenden Rekonstruktion des exegetischen Exkurses in KD II/2, § 35,2 („Der Erwählte und der Verworfene“) erläutert Spijkerboer unter Aufnahme des in KD I/2 von Barth vorgestellten methodischen Dreischritts aus Beobachtung, Nachdenken und Anwendung81 Barths exegetische Vorgehensweise. Dabei stellt sie zunächst fest, dass Barth in der ersten Phase der Exegese „ganz fleißig sein Wörterbuch, seine Grammatik und seine Syntax“ benutze,82 in der zweiten Phase den biblischen Text „in die Begriffe und Bilder des Lesers“ bringe und schließlich in der dritten Phase „selbständig vom Text her“ dessen Aneignung vollziehe.83 In all diesen Phasen gehe Barth mit großer Freiheit vor, was einen „freien Gebrauch von der historischen Kritik“ mit einschließe.84 Kritisch sieht Spijkerboer die Tendenz bei Barth, „die eigenen mitgebrachten Voraussetzungen“ unbewusst in die Exegese mit einfließen zu lassen.85 Dies geschehe im Exkurs zu David und Saul paradoxerweise gerade deshalb, weil Barth sich durch die explizite Benennung jener eigenen Voraussetzungen von ihnen befreit sehe. Ähnlich stehe es mit Barths Anliegen, das „Neue und Fremde“ der biblischen Texte herauszuarbeiten.86 Gerade indem dieses Anliegen von Barth allzu offensiv postuliert wird, laufe er, so Spijkerboer, Gefahr, doch nur das als neu und fremd zu unterstreichen, 78 Vgl. Greene-McCreight, a. a. O., 195 bzw. 198 f. 79 Die inhaltliche Füllung dieses für Greene-McCreight zentralen Begriffs changiert im Lauf der Studie, in der Analyse von Barths Schriftauslegung dient er vor allem als Gegenbegriff zu einer allegorischen Exegese, vgl. Greene-McCreight, a. a. O., 226. 80 Vgl. ebd. 81 Vgl. hierzu in der vorliegenden Studie Teil A, Abschnitt 4.2. 82 Spijkerboer, Karl Barth und seine Exegese von David und Saul, 34. 83 Spijkerboer, a. a. O., 35. 84 Ebd. 85 Spijkerboer, a. a. O., 37. 86 Spijkerboer, a. a. O., 38.

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was sich in seinem System als das „Neue und Fremde“ integrieren lasse, so dass das tatsächlich Befremdende ignoriert werde. Die beiden weiteren bereits angesprochenen Beiträge zur Schriftauslegung in Barths Erwählungslehre stammen von F. Crüsemann und E. Stegemann und stellen einander ergänzende Referate für die Karl-Barth-Tagung auf dem Leuenberg 2004 zum Thema „,Die Summe des Evangeliums‘. Karls Barths Erwählungslehre (KD II/2)“ dar. Während Crüsemanns Aufgabe auf jener Tagung darin bestand, die alttestamentlichen Exkurse in Barths Erwählungslehre zu analysieren, liefert Stegemann eine kritische Relecture der darin enthaltenen fortlaufenden Exegese zu Röm 9 – 11. Die Hauptkritik von Crüsemanns Studie Karl Barths Erwählungslehre und das Alte Testament zielt darauf, dass Barth die „theologische Eigenständigkeit“ bzw. die „Selbständigkeit und Vorgängigkeit des Alten Testamentes“ verkannt habe: „Barths exegetische Methode liest in der Tat – und manchmal in extremer Weise – das Alte vom Neuen Testament her.“87 Damit werde aber die im Neuen Testament selbst praktizierte Leserichtung gerade umgekehrt.88 Dies habe eine „gigantische Engführung“ zur Folge, was wiederum zu „ein[em] Verlust alttestamentlicher Textwelten“ und „ein[em] massive[n] Verlust der Realität, auf die diese Texte theologisch bezogen sind“, führe.89 Am Ende seines Aufsatzes erkennt Crüsemann zwar an, „dass der Kerngedanke und die Hauptthese Barths [keineswegs] unbiblisch oder auch nur unalttestamentlich“ seien. „Allerdings“, so Crüsemann weiter, „ist die detaillierte Ausgestaltung so weit von der Bibel entfernt, wie ich sie meine lesen zu müssen, dass die Lektüre eher zu einem distanzierten, also historisch-kritischem [Hervorhebung: G.B.] Verstehen führt als zu einer aktuellen Aneignung.“90 Angesichts der weithin üblichen Unterscheidung zwischen Barths Auslegungspraxis einerseits und historisch-kritischer Exegese andererseits91 ist diese Charakterisierung vor allem als eine ironische Zuspitzung zu verstehen. Stegemann beginnt seinen Aufsatz Israel in Barths Erwählungslehre. Zur Auslegung von Römer 9 – 11 in KD II/2, § 34 mit der anerkennenden Feststellung, „dass Barth in einer Zeit monströser Verfolgung und auch christlichtheologisch gehässigster Herabsetzung der Juden als Dogmatiker und Exeget herausragt.“92 Barth sei es, „der mit seiner Exegese die Kapitel Röm. 9 – 11 CrRsemann, Karl Barths Erwählungslehre, 154. Vgl. CrRsemann, a. a. O., 154 f. CrRsemann, a. a. O., 155. CrRsemann, a. a. O., 160. Die Unterscheidung zwischen Barths Auslegungspraxis und der historisch-kritischen Exegese bildet den methodischen Ausgangspunkt in den bereits erwähnten Beiträgen von Stamm, Klopfenstein und Cunningham, ebenso bei Schmithals, Zu Karl Barths Schriftauslegung, sowie Vos, Theologische und historisch-kritische Exegese des Neuen Testaments. Da sich die beiden Letztgenannten nicht auf die exegetischen Ausführungen in der KD beziehen, wird auf eine eingehende Besprechung an dieser Stelle verzichtet. 92 Stegemann, Israel in Barths Erwählungslehre, 163.

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gewissermaßen wieder entdeckt und nicht nur als integralen, sondern theologisch unverzichtbaren Bestandteil des Römerbriefes rehabilitiert hat.“93 Zudem wende sich Barth in seiner Auslegung „zentral gegen ,das Argument des christlichen Antisemitismus‘“.94 Allerdings mache sich Barth, so Stegemann weiter, mehrerer Verzerrungen und Eintragungen schuldig, deren gravierendste darin bestehe, dass „der Exeget Barth in seiner Auslegung den Text kulturgeschichtlich befrachtet“, indem er „den eigentümlichen apokalyptischen Entwurf oder Mythos des Paulus“ von der endzeitlichen Erlösung Israels „sozusagen ,entmythisiert‘ und positiv ,ekklesialisiert‘“.95 Barth trage die Situation der geschichtlichen Größe des Judentums in ihrem Gegenüber zur geschichtlichen Größe der Kirche in den biblischen Text ein und verfalle dadurch ungewollt „gelegentlich in einen polemischen Ton und in eine herabsetzende Begrifflichkeit, die peinlich sind und Anschuldigungsstereotypen repetieren, die natürlich auch als zeitbedingte Klischees zu verstehen, aber doch nur mit Scham heute zu lesen sind.“96 Solche Stereotype sind nach Stegemann die „renitente Synagoge“, das „an Christus schuldig gewordene und sündige Volk der Juden“ sowie die Behauptung, „die Juden übertreten ihr Gesetz, weil sie nicht an Christus glauben“.97 Letztlich, so Stegemanns Fazit, fehle es der Kritik Barths gegen den christlichen Antijudaismus an einer ausreichenden theologischen Reflexion der Erwählung Israels.98 Hält man sich die soeben vorgestellten Beiträge zur Rezeptionsgeschichte von Barths Schriftauslegung in der KD vor Augen, so fällt zunächst das überaus bunte Bild auf, welches im Lauf der Jahrzehnte von Barths Auslegungspraxis gezeichnet wird. Die grundsätzliche Beurteilung oszilliert zwischen scharfer Kritik und lobender Anerkennung, wobei sich in allen zeitlichen Phasen der Barth-Rezeption sowohl überwiegend zustimmende als auch überwiegend ablehnende Beurteilungen finden. Gleiches gilt für die unterschiedlichen theologischen Fachrichtungen der Interpretinnen und Interpreten (Exegetinnen und Exegeten einerseits, Dogmatikerinnen und Dogmatiker andererseits) und deren geographische Herkunft. Die Verschiedenheit der Interpretationen erstreckt sich aber nicht nur auf die grundsätzliche Beurteilung von Barths Exegese, sondern auch auf die Herausstellung ihrer charakteristischen Merkmale. Hier lässt sich immerhin eine gewisse Tendenz dahingehend beobachten, dass im angelsächsischen Raum Barths narrative Exegese mehr Resonanz erfahren hat als in der deutschsprachigen Rezeption. Ansonsten gehen auch in dieser Beziehung die unterschiedlichen Beschreibungen quer durch die verschiedenen Zeiten, Orte und theologischen Disziplinen. 93 94 95 96 97 98

Ebd. Stegemann, a. a. O., 164. Stegemann, a. a. O., 174 f. Stegemann, a. a. O., 175. Stegemann, a. a. O., 175 – 177. Vgl. Stegemann, a. a. O., 178 f.

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Fragt man schließlich, welche Exkurse Barths auf besonderes Interesse gestoßen sind, so stechen insbesondere in den späteren Beiträgen jene aus der Erwählungslehre in KD II/2 deutlich heraus. Insgesamt ist festzuhalten, dass in den bisher besprochenen Studien das Interesse sehr viel stärker der exegetischen Vorgehensweise Barths gilt und weniger der Funktion der Exegese im Kontext des jeweiligen dogmatischen Topos. Dabei zeigt sich als eine Gemeinsamkeit vieler Ausleger, dass das Verhältnis zwischen Barths Schriftauslegung und der historisch-kritischen Exegese als der neuralgische Ort gesehen wird, von dem her ein Gesamturteil über Barths Schriftauslegung gefällt wird. Insofern scheint es nur berechtigt, wenn im abschließenden Teil C der vorliegenden Studie dieses Verhältnis einer systematischen Prüfung unterzogen wird – ohne dass es deshalb zur Leitfrage für die gesamte Untersuchung erhoben würde.99

3.2 Arbeiten zu Barths Schriftauslegung mit dogmatischem Schwerpunkt Sind die soeben vorgestellten Beiträge zur Rezeption von Barths Schriftauslegung in der KD überwiegend an der exegetischen Vorgehensweise Barths und deren impliziten hermeneutischen Prämissen interessiert, so zeichnen sich die im Folgenden zu besprechenden Studien dadurch aus, dass sie Barths Exegese stärker im Kontext jener dogmatischen Leitlinien betrachten, welche in den jeweiligen Paragraphen der KD entfaltet werden und damit den thematischen Rahmen der exegetischen Exkurse vorgeben. Zunächst ist freilich festzustellen, dass in zahlreichen dogmatischen Untersuchungen zur KD – klassische Darstellungen wie die von Küng, v. Balthasar, Berkouwer, Jüngel und Härle eingeschlossen100 – Barths Exegese eine eher marginale Rolle spielt.101 Auch für die sehr frühe Studie von E. Buess, Zur Prädestinationslehre Karl Barths (1955), gilt, dass sie auf die exegetischen Exkurse nicht im Detail eingeht. Erwähnenswert ist sie an dieser Stelle aus dem Grund, dass sie die „exegetischen Nacherzählungen“ für „die eigentliche Mitte und Summe“ von Barths Prädestinationslehre hält.102 Hier, in den exegetischen Abschnitten, habe Barth ernst gemacht mit der grundlegenden Erkenntnis, dass Erwählung sich als eine Geschichte mit Wendungen und Spannungen 99 Vgl. hierzu die Kritik bei Trowitzsch, Karl Barth heute, 177. 100 Vgl. KRng, Rechtfertigung; V. Balthasar, Karl Barth; Berkouwer, Der Triumph der Gnade; JRngel, Gottes Sein ist im Werden; HQrle, Sein und Gnade. 101 Es scheint nicht übertrieben, diese Beobachtung als Ausdruck einer gerade in den Anfangsjahren der Barth-Rezeption weit verbreiteten Geringschätzung von Barths exegetischer Arbeit zu verstehen. B.S. Childs hat diese Geringschätzung sehr pointiert beschrieben und auf die Formel gebracht, Barth habe vielen seiner frühen Rezipienten zwar als ein guter Theologe, aber zugleich als „a terrible exegete“ gegolten. Childs, Barth as Interpreter, 31. 102 Buess, Zur Prädestinationslehre Karl Barths, 45.

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vollzieht,103 wohingegen die systematischen Passagen in KD II/2 nach Buess an einem unsachgemäßen „Zug ins Ungeschichtliche“ leiden.104 Die exegetischen Exkurse werden von Buess somit nicht nur als wesentliche Etappe auf dem Erkenntnisweg von Barths Erwählungslehre, sondern darüber hinaus als vollkommenste Gestalt ihrer Darstellung gewürdigt. Wie Buess widmet sich auch D. Sharps Monographie The Hermeneutics of Election. The Significance of the Doctrine in Barth’s Church Dogmatics der Erwählungslehre und ihren exegetischen Exkursen. Allerdings weitet Sharp den Horizont, indem er von der Erwählungslehre ausgehend das Gesamtwerk der KD In den Blick nimmt. Seine These lautet, dass die Erwählungslehre „the hermeneutical key“, bzw. „the hermeneutical principle“ der gesamten KD darstelle.105 Gottes Erwählung, verstanden als seine konkrete Offenbarung in der Inkarnation des Logos, definiere in Barths Dogmatik den Interpretationsrahmen für alles menschliche Verstehen von Gott.106 Innerhalb der Analyse von Barths Erwählungslehre widmet sich Sharp in einem eigenen Kapitel auf knapp siebzig Seiten den darin enthaltenen biblischen Exkursen.107 Diese seien insofern unverzichtbar, als Barth mit ihrer Hilfe die christologische Grundlegung seiner Erwählungslehre vollziehe und darüber hinaus den Unterschied zwischen der Erwählung einerseits und der stets menschlichen Bezeugung der Erwählung andererseits markiere.108 Barths Exegese in der Erwählungslehre, so Sharps Ergebnis, stelle eine „realistic and legitimate biblical interpretation“ der biblischen Texte dar, welche zugleich die wesentlichen Prinzipien der Erwählungslehre Barths „authentically“ zum Ausdruck bringe.109 Die Bestätigung der werkimmanenten Bedeutung von Barths Exegese in der Erwählungslehre wird hier mit einer grundsätzlichen Würdigung der exegetischen Vorgehensweise verbunden. Stellt für Sharp die Erwählung den Schlüsselbegriff und folglich die Erwählungslehre das Herzstück der KD dar, so erhebt J.J. Kim in seiner Studie Die Universalität der Versöhnung im Gottesbund. Zur biblischen Begründung der Bundestheologie in der kirchlichen [sic!] Dogmatik Karl Barths denselben Anspruch für den Begriff des Bundes bzw. der Bundestheologie.110 In einem Parforce-Ritt durchstreift Kim die gesamte KD und erläutert die je nach 103 104 105 106 107 108 109 110

Vgl. Buess, a. a. O., 42 f. Buess, a. a. O., 147. Sharp, The Hermeneutics of Election, 1 bzw. 3. Vgl. Sharp, a. a. O., 55 f. Vgl. Sharp, a. a. O., 117 – 184. Vgl. Sharp, a. a. O., 183. Sharp, a. a. O., 184. Vgl. Kim, Die Universalität der Versöhnung, 189. Die Antwort auf die Frage, welches Konzept eher im Recht ist, ist an dieser Stelle nicht in letzter Instanz zu beantworten, sie hängt allerdings entscheidend davon ab, ob man sich eher an der Entwicklung der einzelnen Bände oder aber am letzten Stand des (unvollendeten) Gesamtwerks der KD orientiert. Immerhin sei erwähnt, dass Sharp und Kim darin zusammengehen, dass sie um eine starke christologische Verankerung ihrer jeweiligen Schlüsselbegriffe bemüht sind.

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dogmatischem Thema verschiedenartige Auslegung und Anwendung der biblischen Rede vom Bund, wobei er aus sachlichen Gründen zunächst KD IV und erst im Anschluss KD I – III untersucht und dabei jeweils zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Exkursen unterscheidet. So ergeben sich vier Kapitel, in denen der Bundesgedanke bei Barth in einer großen thematischen Vielfalt dargestellt wird, bevor in zwei Schlusskapiteln die systematisch-theologischen Konsequenzen der – exegetisch erarbeiteten – Bundestheologie für Barths Versöhnungslehre und die gesamte KD erläutert werden. Als charakteristisch für Barths Vorgehensweise hebt Kim die Synthetisierung der verschiedenen alttestamentlichen wie auch der neutestamentlichen Bundeskonzepte hervor. Barths Versöhnungslehre könne den Bund im Sinne einer einseitigen Selbstverpflichtung Gottes in Anlehnung an den Noahbund beschreiben, zugleich aber auch als ein wechselseitiges Geschehen inklusive gegenseitiger Verpflichtung entsprechend dem Sinaibund.111 Vom Neuen Testament her werde der Bundesgedanke in der KD schließlich „trinitätstheologisch und sühnetheologisch“ synthetisiert: Als „der ewige und universale Bund“ sei er sowohl „Voraussetzung der Versöhnung“ als auch das „Ziel“ der alttestamentlichen Bundesschlüsse und insofern von jenen zu unterscheiden.112 Ähnlich wie bei Sharp wird die biblische Exegese von Kim als eine entscheidende Etappe des theologischen Erkenntniswegs beschrieben, auf dem Barth zu den zentralen Einsichten seiner Dogmatik gelangt sei. Es bleibt festzuhalten, dass der Anspruch, dem sich die Arbeiten von Sharp und Kim stellen, nämlich einen hermeneutischen Schlüssel für das Gesamtwerk der KD zu finden, deutlich über das hinausgeht, was die vorliegende Studie sich vornimmt. Ihr geht es darum, die methodisch interessantesten Beispiele von Barths Schriftauslegung in der KD nach ihrer jeweiligen inhaltlichen Funktion im Kontext des dogmatischen Gedankengangs zu befragen, dazu die jeweils praktizierte exegetische Vorgehensweise zu analysieren und schließlich das Verhältnis zwischen den schrifthermeneutischen Grundlagen in KD I und der Auslegungspraxis in den weiteren Bänden der KD zu bestimmen. Sind die Studien von Sharp und Kim stärker um eine Gesamtsicht auf die KD bemüht, so konzentriert sich W. Krötke in seinem Aufsatz Die Christologie Karl Barths als Beispiel für den Vollzug seiner Exegese auf die christologischen Paragraphen von Barths Versöhnungslehre und stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung der Exegese für Barths Christologie. Er charakterisiert Letztere als eine „Christologie mit aufgeschlagener Bibel“,113 deren Gestalt sich dem „intensiven Hören auf die Texte

111 Vgl. Kim, a. a. O., 190 f. 112 Kim, a. a. O., 191 f. 113 Krçtke, Die Christologie Karl Barths, 6.

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des Neuen und Alten Testaments“ verdanke.114 Zwar verwende Barth nicht alle biblischen Schriften im gleichen Maß, sondern gestehe der Perspektive der paulinischen und johanneischen Schriften ein relatives Übergewicht zu,115 gleichwohl sei in Barths Christologie „ein Reichtum biblischer Wirklichkeitserfahrung präsent […], wie er von keiner anderen Christologie unseres Jahrhunderts mehr erschlossen werden konnte.“116 Nicht zuletzt auf Barths „gesamtbiblischen Schriftgebrauch“ sei es zurückzuführen, dass in seinem Gefolge „ein neues, intensives Hören der christlichen Theologie auf das Alte Testament“ stattgefunden habe.117 Dabei dürfe die „biblische Denkform“ der Christologie Barths keineswegs als eine „sich von der Welt abkapselnde Denkform“ verstanden werden.118 Vielmehr öffne gerade die auf exegetischem Wege erzielte Darstellung des Christusereignisses als einer „Geschichte der Versöhnung“ den Blick für das emanzipative Potential der Christusbotschaft „in jeder Situation und in jedem ,Kontext‘ der Welt.“119 Interessant im Zusammenhang der vorliegenden Studie ist die – auf der Linie von Kim und Sharp liegende – Einschätzung Krötkes, die exegetischen Exkurse stellten das „Rückgrat“ der KD dar.120 Einen Beitrag eigener Art bietet E. Buschs Analyse von Barths Auslegung zu Röm 9 – 11 innerhalb der voluminösen Studie Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933 – 1945. Wie der Untertitel bereits verrät, ist Buschs Untersuchung wesentlich von einem biographischen Interesse geleitet. Die Auslegung von Röm 9 – 11 innerhalb der Erwählungslehre wird eingeordnet in den größeren Rahmen von Barths Äußerungen zur Judendiskriminierung infolge der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Busch betont, dass Barth sich bewusst dafür entschieden habe, die in diesem Zusammenhang heftig diskutierte Frage nach dem Verhältnis zwischen christlicher Kirche und jüdischem Volk „theologisch zu beantworten, d. h. konkret in Bindung an die Heilige Schrift“, und dabei den von beiden Konfliktparteien in Anspruch genommenen Apostel Paulus als Zeugen aufzurufen.121 Zu Barths Exegese selbst hält Busch fest, dass diese „einen mannigfach gewundenen Weg“ darstelle, „der sich doch wie ein Bergpfad als der angemessenste herausstellt, um ans Ziel zu kommen, den zu gehen – und zu begleiten – indes auch einen langen Atem verlangt.“122 Wer Barths Gedankengang bis zum Ende folge, könne erkennen, „daß der Text, wenn man ihn sich aussprechen lässt, 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Krçtke, a. a. O., 8. Vgl. Krçtke, a. a. O., 10 f. Krçtke, a. a. O., 16. Krçtke, a. a. O., 17. Krçtke, a. a. O., 18, unter Bezugnahme auf Schlichting, Biblische Denkform in der Dogmatik. Krçtke, a. a. O., 18 f. Krçtke, a. a. O., 8. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 402 f. Busch, a. a. O., 404.

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von Gottes ungekündigtem Bund mit Israel und von der unlöslichen Verbindung von Kirche und Israel redet.“123 Busch betont in seiner Analyse die Gegenwartsbezogenheit von Barths Auslegung, welche sich darin zeige, dass Barth sich explizit gegen ein „Abschieben der Judenfrage in die Eschatologie“ wehre und dieses als „eine mögliche Gestalt von ,christlichem Antisemitismus‘“ kennzeichne.124 In einem weiteren Gedankengang erläutert Busch die Einbettung der Kirche-Israel-Thematik in Barths Erwählungslehre. Von diesem Kontext her sei die gesamte Auslegung zu Röm 9 – 11 zu verstehen als eine Würdigung Israels in seiner Funktion als bleibender und deshalb bleibend mit der Kirche verbundener Zeuge von Gottes Gnadenwahl.125 Zweierlei bleibt an dieser Stelle festzuhalten: Zum einen dehnt Busch die Bedeutung von Barths Exegese in der KD über den werkimmanenten Rahmen auf das (kirchen-)politische Wirken Barths aus. Zum anderen stellt er wie bereits Buess die wendungsreiche, eher im narrativen als im systematischen Duktus gehaltene Darstellungsweise in der Auslegung von Röm 9 – 11 als zentrales Merkmal heraus. Eben jene Auslegung in KD II/2 bildet auch den Schwerpunkt in D. Gibsons Monographie Reading the Decree. Exegesis, Election and Christology in Calvin and Barth. Wie der Titel bereits verrät, bietet Gibson eine vergleichende Studie zwischen Calvins Prädestinationslehre und Barths Erwählungslehre. Als entscheidender Vergleichspunkt wird die Art und Weise, wie die jeweilige Christologie die jeweilige Exegese im Kontext der dogmatischen Lehrbildung bestimmt, herangezogen. Die unterschiedliche Vorgehensweise in der Schriftauslegung wird von Gibson als entscheidender Grund für das Abweichen Barths von Calvins Prädestinationslehre benannt.126 Dieser Begründungszusammenhang, der nach Gibsons Meinung in der Rezeption zu wenig berücksichtigt wird,127 wird dahingehend expliziert, dass Calvins Schrifthermeneutik als „christologically extensive“, Barths Hermeneutik dagegen als „christologically intensive“ bezeichnet wird.128 Das Besondere an Barths Schriftauslegung sei, dass hier die zentralen Einsichten der Christologie die exegetische Behandlung aller dogmatischen Loci wesentlich bestimme,129 was Gibson anhand der Auslegung zu Röm 9 – 11 ausführlich darlegt und darüber hinaus mit Barths Schriftlehre und deren Rede von Christus als „object and content of Scripture“ in Beziehung setzt.130 Wie in der Studie Buschs wird auch in Gibsons Untersuchung letztlich eine Ausdehnung der Bedeutung von Barths Schriftauslegung über den werkimmanenten Rahmen hinaus vorge123 124 125 126 127 128 129 130

Busch, a. a. O., 405. Busch, a. a. O., 435. Vgl. Busch, a. a. O., 456 f. Vgl. Gibson, Reading the Decree, 1. Vgl. Gibson, a. a. O., 11, 178, 199. Gibson, a. a. O., 15. Vgl. ebd. Gibson, a. a. O., 200.

Forschungsgeschichtlicher Überblick

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nommen, indem diese in einem dogmengeschichtlichen Vergleich als wesentliches Element für das traditionskritische Potential von Barths Erwählungslehre betrachtet wird. Zum Abschluss dieses Kapitels der Rezeptionsgeschichte von Barths Schriftauslegung in der KD Ist auf zwei jüngere Werke hinzuweisen, die sich insofern durch einen besonderen Zugang auszeichnen, als sie verschiedene Auslegungen Barths zu einem bestimmten biblischen Text bzw. Buch zusammenstellen und in diesem Kontext auch die zugehörigen Exkurse innerhalb der KD behandeln. J. Denkers Studie Das Wort wurde messianischer Mensch. Die Theologie Karl Barths und die Theologie des Johannesprologs geht von der These aus, dass der Prolog des Johannesevangeliums einen Schlüsseltext für die Theologie Barths darstellt. In einem Durchgang entlang der Werkgeschichte beschreibt Denker die verschiedenen Auslegungen des Johannes-Prologs als Wegmarken der theologischen Entwicklung Barths. Hier gewinne Barth, so Denker, entscheidende Erkenntnisse für die Weiterbildung seiner Theologie, etwa die Unterscheidung zwischen Gottes Offenbarung und der Schrift als Zeugnis der Offenbarung131 oder die Beschreibung der „differenzierten Einheit“ zwischen Altem und Neuem Testament als eben jenes Offenbarungszeugnis.132 Von Barths Schöpfungslehre in KD III abgesehen kommen sämtliche Teilbände der KD zu Wort, wobei im Verlauf der Studie besonders die bundestheologische Ausrichtung der Theologie Barths betont wird, welche wiederum mit der Auslegung von Joh 1,14 verknüpft wird: Die Betonung, dass das Wort „jüdisches Fleisch“ wurde,133 resultiere in KD IV in einer neuen Würdigung des Israelbundes als jener „partikulare[n] Erwählung“, durch welche der „universale Heilswille Gottes“ überhaupt nur erkannt werde.134 In einem ähnlichen Verfahren wie Denker widmet sich M. Gignilliat in seiner Studie Karl Barth and the Fifth Gospel. Barth’s Theological Exegesis of Isaiah den exegetischen Exkursen innerhalb der KD zum Jesaja-Buch und entdeckt in ihnen „a wonderfully rich resource of reading Isaiah theologically in differing theological contexts.“135 Vor dem Hintergrund der Infragestellung des AT als Teil des christlichen Kanons in den 1920er und 1930er Jahren erläutert Gignilliat zunächst die zeitgeschichtliche Brisanz von Barths alttestamentlicher Exegese, bevor er in einem eigenen Kapitel auf die in KD I/2 entfaltete theologische Würdigung des AT als Dokument der „Zeit der Erwartung“ eingeht. Auf der Grundlage dieser einleitenden Kapitel untersucht Gignilliat anschließend die Jesaja-Exkurse in der KD, wobei entsprechend der 131 132 133 134 135

Vgl. Denker, Das Wort wurde messianischer Mensch, 29 f. Denker, a. a. O., 60. Denker, a. a. O., 114 – 119. Denker, a. a. O., 118. Gignilliat, Barth and the Fifth Gospel, IX. Ein methodologischer Unterschied zwischen Denker und Gignilliat besteht darin, dass Gignilliat sich auf Barths Schriftauslegung in der KD beschränkt.

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von Barth übernommenen Teilungshypothese136 die Auslegungen zu Jes 1 – 39 und jene zu Jes 40 – 66 getrennt behandelt werden. In den zwölf Fallstudien, die den Kern von Gignilliats Studie bilden, werden Auszüge aus fast allen Teilbänden der KD besprochen, so dass die eingangs gewürdigte Vielfalt der theologischen Kontexte, in denen Barth die Texte des Jesaja-Buches auslegt, sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Insgesamt wird der theologischen Aussagekraft der Jesaja-Exegesen zu so unterschiedlichen Themen wie der Inkarnation Christi,137 der Berufung der Christen138 oder der göttlichen Weisheit139 mehr Aufmerksamkeit gewidmet als etwaigen exegetischen Fehlern oder Unterlassungen, welche zwar ausdrücklich erwähnt, allerdings eher am Rande besprochen werden.140 Zu Barths exegetischer Vorgehensweise hält Gignilliat fest, dass von einer „uniform methodology in his reading of the Old Testament“ keine Rede sein könne.141 Vielmehr sei Barths Exegese als „multilayered and multi-functional“ zu bezeichnen.142 Eben jene Vielschichtigkeit und Multifunktionalität würdigt Gignilliat abschließend als das bleibende Verdienst von Barths Schriftauslegung, entsprächen diese doch der grundlegenden Funktion der biblischen Texte innerhalb der Kirche als einer Stimme, die ihre Botschaft143 in immer neuen Kontexten auf immer neue Weise zu Gehör bringe.144 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sämtliche Beiträge, welche die exegetischen Exkurse innerhalb der KD aus dogmatischer Perspektive untersuchen, der Exegese einen außerordentlich hohen Stellenwert im Gesamtzusammenhang von Barths dogmatischer Argumentation beimessen.145 Allerdings wird dabei der Rahmen des jeweiligen dogmatischen Topos in der Regel nicht ausreichend berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass der Zusammenhang zwischen Barths exegetischen Beobachtungen und seinen dogmatischen Entscheidungen nicht hinreichend präzise zum Vorschein kommt. Indem sich die vorliegende Studie zum Ziel gesetzt hat, insbesondere die inhaltliche Funktion von Barths Schriftauslegung für die dogmatische Theoriebildung näher zu beleuchten, gilt es hier gegenüber den soeben beschriebenen Werken methodisch neue Wege zu beschreiten. Bezüglich der Textauswahl ist schließlich zu bemerken, dass die bisherige Forschungsgeschichte 136 137 138 139 140 141 142 143

Vgl. hierzu Gignilliat, a. a. O., 64. Vgl. Gignilliat, a. a. O., 71. Vgl. Gignilliat, a. a. O., 75 – 77. Vgl. Gignilliat, a. a. O., 105 – 110. Vgl. etwa Gignilliat, a. a. O., 71, 83 f, 85, 99. Gignilliat, a. a. O., 137, mit Verweis auf McGlasson, Jesus and Judas, 53. Gignilliat, a. a. O., 139. Gignilliat spricht vom „subject matter“ der biblischen Schriften und bringt dieses auf die Formel von „God’s triune revelation of himself in Jesus Christ“, vgl. Gignilliat, a. a. O., 150. 144 Vgl. Gignilliat, a. a. O., 150 f. 145 Neben den besprochenen Studien vgl. auch die These, die P.D. Jones seinem Aufsatz über Barths christologische Exegese voranstellt: „Barth’s interpretation of the New Testament plays a pivotal role in his mature christology.“ Jones, The Heart of Matter, 173.

„Falsche Exegese“ und „richtige Exegese“

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klare Schwerpunkte gesetzt hat und sich mit besonderer Gründlichkeit den biblischen Exkursen in der Erwählungslehre und in der Schöpfungslehre zugewendet hat, während andere in Umfang und Wirkung herausragende Exkurse weitgehend vernachlässigt wurden.146

4. „Falsche Exegese“ und „richtige Exegese“ Um im Folgenden zu einer nachvollziehbaren Darstellung und Bewertung von Barths Exegese in der KD zu gelangen, ist es notwendig, darüber Rechenschaft abzulegen, wie der Begriff der Exegese innerhalb der vorliegenden Studie verwendet wird. Auf diesem Weg ist zugleich eine erste Klärung der an Barth angelegten Bewertungskriterien zu erzielen. R. Smend hat in seinem frühesten Beitrag zu Barths Schriftauslegung die These aufgestellt, „daß, wer will, ihm [Barth] soundsoviele unrichtige Einzelexegesen nachweisen kann“.147 Die Forschungen zu Barths Schriftauslegung haben diese These zur Genüge mit Beispielen belegt.148 Vor allem wird Barth vorgeworfen, er habe den historischen Kontext bzw. die Entstehungsbedingungen der biblischen Schriften nicht genügend berücksichtigt,149 die Texte stattdessen mit seinen eigenen Begriffen überfrachtet,150 zudem in seinen exegetischen Begründungen wichtige biblische Texte ausgelassen151 und etwa in den alttestamentlichen Wortuntersuchungen ungenau und fehlerhaft gearbeitet.152 Nun bringt es die (systematisch-theologische) Schwerpunktsetzung der vorliegenden Studie mit sich, dass die Suche nach einzelnen exegetischen Fehlern in Barths Schriftauslegung nicht das Hauptziel dieser Untersuchung bildet. Hinzu kommt, dass die Unterscheidung zwischen „falscher“ und „richtiger“ Exegese im Zuge der rezeptionsästhetischen Infragestellung der einen richtigen Auslegung eine deutliche Relativierung erfahren hat. Wo die „Existenz eines textimmanenten Literalsinns“ zugunsten der „textproduktive 146 Zu diesen zählen insbesondere die in Kapitel B 1 besprochenen Exkurse in der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten, die in Kapitel B 4 besprochenen alttestamentlichen Exkurse in der Sündenlehre sowie der in Kapitel B 5 besprochene Exkurs zu Röm 7 in der Rechtfertigungslehre. 147 Smend, Nachkritische Schriftauslegung, 212. 148 Vgl. insbesondere die oben genannten Werke von Bächli, Klopfenstein, Stamm und Ford, in denen zahlreiche exegetische Ungenauigkeiten oder Fehler herausgearbeitet werden. 149 Vgl. u. a. BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 175; Ford, Barth and God’s Story, 37, 88; Konrad, Abbild und Ziel, 259 f. 150 Vgl. Ford, a. a. O., 114; McGlasson, Jesus and Judas, 86; Stegemann, Israel in Barths Erwählungslehre, 174 f. 151 Vgl. Baxter, Barth – a Truly Biblical Theologian, 6. 152 Vgl. BQchli, a. a. O., 237.

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[n] Funktion des Lesers“ bestritten wird,153 verliert nicht nur der Streit um die – über lange Zeit selbstverständlich mit der Autorintention gleichgesetzte – ursprüngliche Bedeutung eines Textes an Schärfe, sondern auch der Vorwurf, jene Autorintention bzw. den historischen Kontext der biblischen Texte zu vernachlässigen. Freilich kann eine solche Relativierung nicht als ein Freibrief verstanden werden, der dazu berechtigen würde, den biblischen Texten jede beliebige Bedeutung zuzuschreiben. Deshalb bleibt der Vorwurf virulent, Barth habe eine „dogmatisch dirigierte“ Exegese praktiziert.154 Dieser Vorwurf ist jedoch einzuordnen in die Diskussion um die Möglichkeit einer voraussetzungslosen bzw. vorurteilsfreien Exegese, welche durch R. Bultmann in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine wichtige Differenzierung erfahren hat. Nach Bultmann ist eine voraussetzungslose Exegese möglich und einzufordern, „wenn ,voraussetzungslos‘ meint: ohne daß die Ergebnisse der Exegese vorausgesetzt werden.“155 Allerdings, so Bultmann weiter, sei eine voraussetzungslose Exegese in dem Sinne unmöglich, dass „der Exeget keine tabula rasa ist, sondern mit bestimmten Fragen bzw. mit einer bestimmten Fragestellung an den Text herangeht und eine gewisse Vorstellung von der Sache hat, um die es sich im Texte handelt.“156 Diese Unterscheidung trägt der Erkenntnis Rechnung, dass Exegese immer vom Standpunkt eines bestimmten Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses, in Bultmanns Worten: immer von einem bestimmten „Vorverständnis“ aus geschieht.157 Problematisch erscheint freilich die Annahme, es könne sich der Exeget, etwa mit Hilfe der „historischen Methode“,158 im Vollzug der Exegese gänzlich von diesem Vorverständnis lösen, so dass am Ende der Exegese objektive Ergebnisse stünden. Hiergegen ist grundsätzlich einzuwenden, dass eine distanzierte Bezugnahme zum eigenen Vorverständnis ungeachtet der angewendeten exegetischen Methode kaum möglich ist, so dass schon die inhaltliche Ausrichtung des eigenen Vorverständnisses nicht präzise angegeben werden kann.159 Mit anderen Worten: Wer Exegese betreibt, ist sich seiner eigenen Voraussetzungen in geringerem Maße bewusst, als dies von Bultmann angenommen wird, und kann sich daher auch im Verlauf der Exegese niemals völlig von dem jeweils mitgebrachten Selbst-, Welt- und Gottesverständnis lösen. Auch für die historische Forschung gilt, dass sie in einem bestimmten 153 154 155 156 157 158 159

So Kçrtner, Der inspirierte Leser, 95. So z. B. Janowski, Allerlösung, 371. Bultmann, Ist voraussetzungslose Exegese möglich, 258. Ebd. Vgl. Bultmann, a. a. O., 263. So Bultmann, a. a. O., 259 f. Karl Barth hat diesen Umstand mit dem Begriff der „Unanschaulichkeit“ des Menschen sich selbst gegenüber ausgedrückt, vgl. KD III/2, 108, sowie Frei, Scripture as Realistic Narrative, 51 f.

„Falsche Exegese“ und „richtige Exegese“

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Fragehorizont geschieht und schon deshalb immer nur zu „Deutungen vergangener Ereignisse“160, nicht aber zu objektiven Tatsachendarstellungen gelangt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die radikale Verneinung der Möglichkeit voraussetzungsloser Exegese durch A. Spijkerboer an Plausibilität. Nach Spijkerboer besteht die eigentliche Gefahr der Exegese nicht darin, dass sie von einem bestimmten Standpunkt aus geschieht, sondern darin, dass sie sich ihres Verhaftet-Seins mit diesem Standpunkt nicht bewusst ist bzw. sich durch vermeintliche Offenlegung ihres Standpunkts ihrer Perspektivität entledigen zu können meint.161 Für die im Verlauf dieser Studie praktizierte Betrachtung und Bewertung von Barths Schriftauslegung folgt daraus, dass exegetische Entscheidungen zu diskutieren und mögliche Fehldeutungen zu benennen sind, dass jedoch das Pauschalurteil einer „dogmatisch dirigierten Exegese“ durch eine differenziertere Bewertung zu ersetzen ist. Diese setzt zunächst einen weiten Begriff dessen voraus, was unter biblischer Exegese zu verstehen ist.162 Biblische Exegese wird im Folgenden verstanden als der Versuch, vom Standpunkt eines immer schon mitgebrachten Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses Texte zu verstehen, d. h. sie als ein Gegenüber wahrzunehmen und möglichst gründlich mit den zur Verfügung stehenden (sprachlichen, historischen, logischen …) Mitteln nach ihrem je aktuellen und immer wieder neu zu bestimmenden Aussagegehalt zu fragen. Diesen Aussagegehalt gilt es mit dem eigenen Selbst-, Welt- und Gottesverständnis ins Gespräch zu bringen, Konflikte zu benennen und eine begründete Integration der Textaussagen in die eigenen theologischen Vorstellungen zu vollziehen, was die Möglichkeit einer Revision bzw. Korrektur des bisherigen Standpunktes impliziert. Eben jener Integrationsprozess ist es, den es im zweiten Teil dieser Studie am Beispiel von Barths Schriftauslegung zu untersuchen gilt. Ob er jeweils als gelungen betrachtet werden kann, hängt – so viel lässt sich jetzt schon sagen – erstens mit der Frage zusammen, ob die Exegese inhaltliche Aspekte zutage fördert, die einen Beitrag zu einem sachgemäßen Verständnis des christlichen Begriffs von Gottes Geduld, Erwählung etc. leisten.163 Sodann ist zu untersu160 Schnelle, Exegese, 1785. 161 Vgl. Spijkerboer, Karl Barth und seine Exegese von David und Saul, 37. 162 Dieser weite Begriff von Exegese schließt mit ein, dass – anders als nach M. Meyer-Blank – „Predigt- und Unterrichtsentwurf“ nicht lediglich als „[h]erausgehobener Ort der Rezeption exegetischer Ergebnisse“, sondern vielmehr als herausgehobener Ort der Exegese selbst zu verstehen sind, vgl. Meyer-Blank, Exegese, 1795. 163 Es liegt auf der Hand, dass ein solches „sachgemäßes Verständnis“ nicht von vornherein feststeht und auch nicht durch den Rückgriff auf überlieferte Formeln ohne weiteres gewährleistet werden kann. Vielmehr ist immer wieder im konkreten Fall – und selbstverständlich unter Berücksichtigung aktueller Fragen (und Antworten) sowie vergangener Antworten (und den dazu gehörenden Fragen!) – zu erörtern, ob es sich bei der vorliegenden Exegese um einen Beitrag zu einem solchen „sachgemäßen Verständnis“ handelt.

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chen, ob im Verlauf des Integrationsprozesses die eigene, unverwechselbare Stimme des biblischen Textes unterdrückt oder vielmehr stark gemacht wird. Das bedeutet, es muss danach gefragt werden, ob der Exeget die Bereitschaft zur Benennung der bereits angesprochenen Konfliktfälle erkennen lässt. Und schließlich ist zu untersuchen, ob diese Konfliktfälle dazu führen, dass entweder die Korrektur der eigenen Theologie offen gelegt oder die Beibehaltung des dogmatischen Standpunktes auf Kosten der jeweiligen biblischen Aussage plausibel begründet wird.

5. Charlotte von Kirschbaum als Autorin der exegetischen Exkurse? Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, dass einige der Exkurse innerhalb der KD nicht von Karl Barth selbst stammen, sondern von Charlotte v. Kirschbaum, Barths langjähriger Assistentin. Neben der viel diskutierten komplexen Beziehung zwischen Barth und v. Kirschbaum164 haben auch bestimmte Bemerkungen Barths zu solchen Spekulationen Anlass gegeben. Im Vorwort zu KD III/3 schreibt er : Sie [v. Kirschbaum] hat im Dienst der laufenden Entstehung dieses Werkes ihr Leben und ihre Kraft nicht weniger eingesetzt als ich selber. Ohne ihre Mitwirkung könnte es nicht Tag für Tag gefördert werden. (KD III/3, VII)

Immer wieder wird von Barth selbst wie auch von Außenstehenden betont, dass die Arbeit v. Kirschbaums für das Entstehen der KD „in jedem Sinn unentbehrlich“165 bzw. „unersetzlich“166 gewesen sei. Hinzu kommt, dass eine der Haupttätigkeiten v. Kirschbaums seit Beginn ihrer Tätigkeit für Barth darin bestand, theologische Werke aus der Dogmengeschichte wie auch zeitgenössische Werke zu exzerpieren und in diesem Rahmen den „Zeddelkasten“, ein umfangreiches Stichwortregister zu dogmengeschichtlichen und exegetischen Begriffen, das Barth bereits in seinen ersten Jahren als Professor angelegt hatte,167 zu verwalten und zu erweitern.168 Vor diesem Hintergrund schien die Vermutung naheliegend, dass der „unentbehrliche“ Beitrag v. Kirschbaums für die Entstehung der KD auch eigene Texte in Form von dogmengeschichtlichen und exegetischen Exkursen umfasst. Einer gründlichen Prüfung vermag dieser Verdacht allerdings nicht 164 Vgl. hierzu insbesondere die folgenden biographischen Studien: Kçbler, Schattenarbeit; Selinger, Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth. Vgl. ebenfalls den als Band 45 der Gesamtausgabe erschienenen Briefwechsel zwischen Barth und v. Kirschbaum (im Folgenden: BwK). 165 Vgl. KD IV/4, VIII. 166 Vgl. u. a. BwK, XIX, sowie Kupisch, Karl Barth in Selbstzeugnissen, 104. 167 Vgl. Selinger, a. a. O., 66. 168 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 198, sowie Kçbler, Schattenarbeit, 60.

Charlotte von Kirschbaum als Autorin der exegetischen Exkurse?

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standzuhalten. S. Selinger, die die Frage, welche Tätigkeiten v. Kirschbaums Mitarbeit an der KD umfasste, im Rahmen ihrer einschlägigen Studie über die Beziehung zwischen Barth und v. Kirschbaum eingehend untersucht, kommt zu dem Ergebnis: „Karl Barth ist der Verfasser der kleingedruckten Passagen der KD.“169 Selinger erläutert ausführlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Barth und v. Kirschbaum – ähnlich der „Alter Ego-Beziehung“ mit E. Thurneysen in früheren sowie mit E. Busch in späteren Jahren170 – viel enger und umfassender gewesen sei, als dies in einer einfachen Aufgabenteilung zum Ausdruck kommen könnte. Als Koordinatorin, Sekretärin, vor allem aber jederzeit verfügbare Gesprächspartnerin sei v. Kirschbaum – von ihren eigenen theologischen Studien171 ganz abgesehen – mit ganz anderen Aufgaben beschäftigt gewesen als mit der Abfassung einzelner Passagen der KD.172 Auch unterscheide sich der Stil ihrer eigenen Werke deutlich von den Exkursen in der KD.173 Das offenkundigste Argument gegen die Verfasserschaft v. Kirschbaums wird von Selinger dagegen nur kurz gestreift, indem sie einen Hinweis E. Buschs auf die im Karl-Barth-Archiv erhaltenen handschriftlichen Manuskripte der KD zitiert.174 Tatsächlich wirft ein Vergleich jener Manuskripte mit den im Druck erschienenen Bänden ein eindeutiges Licht auf die Frage der Verfasserschaft der exegetischen Exkurse in der KD. Hierzu ist es hilfreich, sich den Entstehungsprozess der KD-Bände in seinen einzelnen Schritten kurz vor Augen zu halten.175 Am Anfang des Verschriftlichungsprozesses stand jeweils ein von Barth verfasstes handschriftliches Manuskript.176 An dessen Vorgeschichte war v. Kirschbaum neben den bereits erwähnten Exzerpten und dem „Zeddelkasten“ vor allem durch den fort169 Selinger, a. a. O., 91. 170 Vgl. Selinger, a. a. O., 55 – 60. 171 Unter diesen sei als wichtigste erwähnt: von Kirschbaum, Die wirkliche Frau (erschienen 1949). 172 Vgl. Selinger, a. a. O., 88. 173 Vgl. Selinger, a. a. O., 90 f. 174 Vgl. Selinger, a. a. O., 90. 175 Hinsichtlich der folgenden Informationen danke ich herzlich dem ehemaligen Archivar des Karl-Barth-Archivs, Dr. Hans-Anton Drewes, für die wiederholte Möglichkeit der Einsichtnahme in die im Karl-Barth-Archiv erhaltenen Manuskripte und die informativen Gespräche bei dieser Gelegenheit. Für die Antwort auf eine weiterführende Nachfrage danke ich dem aktuellen Leiter des Archivs, Dr. Peter Zocher. 176 Leider sind die meisten handschriftlichen Manuskripte nicht erhalten. Diejenigen, die erhalten sind, enthalten Abschnitte aus KD I/2 sowie KD IV/3, was für die hier diskutierte Frage insofern Rückschlüsse auf das Gesamtwerk erlaubt, als es sich erstens um einen der ersten und den allerletzten KD-Band handelt, der unter v. Kirschbaums Mithilfe erschienen ist, und zweitens die Erstellung der erhaltenen Manuskripte für KD I/2 in die Zeit des deutschen Kirchenkampfs fällt, mithin in eine für Barth besonders arbeitsintensive Zeit, in der es am ehesten nahe gelegen hätte, die Anfertigung einzelner Exkurse an v. Kirschbaum zu übertragen.

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währenden Austausch mit Barth intensiv beteiligt.177 Die Manuskripte selbst stammen jedoch eindeutig aus Barths Feder und es ist gänzlich unwahrscheinlich anzunehmen, dass Barth fertige Entwürfe v. Kirschbaums selbst handschriftlich abgeschrieben hat, schließlich diente sein handschriftliches Manuskript als Vorlage für jene maschinenschriftliche Version, welche anschließend von v. Kirschbaum erstellt wurde. Es ist der Erwähnung wert, dass in dieser maschinengeschriebenen Vorlage die Exkurse sich vom Haupttext dadurch unterscheiden, dass sie in roter Farbe geschrieben sind – und nicht, wie im Endtext, durch Kleindruck gegenüber dem restlichen Text als untergeordnet erscheinen. Die Erstellung des Schreibmaschinen-Manuskriptes durch v. Kirschbaum wäre jedenfalls ein möglicher, wenn nicht der einzig mögliche und sinnvolle Ort gewesen, eigene Abschnitte einzufügen, denn diese Version wurde ohnehin von Barth noch einmal Korrektur gelesen und mit handschriftlichen Ergänzungen sowie Unterstreichungen versehen, bevor sie als Vorlage in seiner Dogmatik-Vorlesung diente. Barths Dogmatik-Vorlesung umfasste in der Regel vier Semesterwochenstunden. Nach der Vorlesung, bei der v. Kirschbaum stets mit anwesend war, wurden in das Manuskript weitere Korrekturen und Ergänzungen eingefügt, mit denen es anschließend in den Druck gehen konnte. Vergleicht man die erhaltenen handschriftlichen und maschinenschriftlichen Vorlagen sowie die im Druck erschienenen Fassungen miteinander, so lässt sich feststellen, dass es zwar zu den erwähnten Korrekturen und Ergänzungen kommt, dass diese sich jedoch in einem sehr engen Rahmen halten und an keiner Stelle ein ganzer Exkurs eingefügt wurde. Aus all diesen Beobachtungen lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit schließen, dass die Exkurse in der KD sämtlich von Barth selbst verfasst wurden und somit als originales Werk Barths anzusehen sind. Dass diese Einschätzung dem überragenden Stellenwert der Mitarbeit v. Kirschbaums an der Entstehung der KD keinen Abbruch tut, sollte indes deutlich geworden sein.

177 Selinger legt dar, inwiefern der kontinuierliche Austausch über sein theologisches Werk zeitlebens für Barth von höchster Bedeutung und Notwendigkeit war, vgl. Selinger, a. a. O., 57 f.

A: Karl Barths Schriftlehre nach KD I/2

Vorbemerkung: Zur Darstellung von Barths Schriftlehre

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Vorbemerkung: Zur Darstellung von Barths Schriftlehre Karl Barth hat seine theologische Neuorientierung in den Jahren des Ersten Weltkriegs im Rückblick einmal mit den Worten beschrieben, er habe sich damals „zur Bibel bekehrt“.1 Diese Einschätzung findet ihre biographische Entsprechung in der im Sommer 1916 begonnenen intensiven Beschäftigung mit dem Römerbrief des Paulus.2 Die aus dieser Beschäftigung entstandenen frühen Römerbrief-Kommentare bilden bekanntlich den Auftakt zu mehreren exegetischen Arbeiten Barths in den 1920er und 1930er Jahren.3 Diese werden wiederum flankiert durch zahlreiche Schriften, in denen Barth die Aufgabe der Bibelexegese in grundsätzlicher Weise reflektiert und so seine Position zu Fragen der Schrifthermeneutik und der Schriftlehre4 erläutert und weiterentwickelt.5 Die „Lehre von der Heiligen Schrift“ in KD I/2 bildet den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung6 und stellt zugleich die ausführlichste Darlegung Barths auf diesem Gebiet dar.7 Für die Darstellung von Barths Schrifthermeneutik als theoretischem Rahmen seiner eigenen Auslegungspraxis bietet sie sich deshalb besonders an. Hinzu kommt ein weiteres werkgeschichtliches 1 Vgl. BwTh I, 300. Vgl. hierzu Obst, Veni Creator Spiritus, 167 f, die von einer „Umkehr zur Bibel“ spricht. 2 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 113. 3 Neben den beiden Römerbrief-Kommentaren (erschienen 1919 und 1922) vgl. insbesondere die zeitnah veröffentlichten exegetischen Vorlesungen Die Auferstehung der Toten (1924), Erklärung des Philipperbriefes (1928), dazu die posthum veröffentlichten Erklärungen des Epheser- und des Jakobusbriefes (1919 – 1929, GA II/46) und die ebenfalls posthum gedruckte Erklärung des Johannes-Evangeliums (1925/26, 1933, GA II/9). Hinzu kommen die bisher unveröffentlichten exegetischen Vorlesungen zum 1. Johannesbrief (1923/24), Philipperbrief (1924), Kolosserbrief (1924/25, 1927, 1934/35) und zur Bergpredigt (1925, 1933/34), vgl. BwTh II, 741 f, sowie BwTh III, 981 f. 4 Zur Unterscheidung zwischen Schriftlehre und Schrifthermeneutik vgl. Einleitung, Kapitel 1. 5 Unter diesen sind hervorzuheben: Die neue Welt in der Bibel (1917), Die Vorworte zum Römerbrief, insbesondere das Vorwort zur neu bearbeiteten Fassung (1922), Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke (1920), Not und Verheißung der christlichen Verkündigung (1922), vgl. v. a. 79 – 88, Ein Briefwechsel zwischen Karl Barth und Adolf von Harnack (1923), Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt (1924), vgl. v. a. 441 – 445, Unterricht in der christlichen Religion I. Prolegomena (1924), vgl. v. a. 245 – 320, Das Schriftprinzip der reformierten Kirche (1925), Die christliche Dogmatik im Entwurf (1927), vgl. v. a. 58 – 69 sowie 435 – 630, Gottes Offenbarung nach der Lehre der christlichen Kirche (1927), KD I/1 (1932), vgl. v. a. 89 – 128, sowie KD I/2 (1938), vgl. v. a. 505 – 830. 6 Vgl. Runia, Karl Barth’s Doctrine of Holy Scripture, 3, der in KD I/2 „[t]he maturest results“ jenes intensiven Bemühens Barths um eine eigenständige Position zu den Fragen der Schrifthermeneutik erkennt. 7 U.a. führt Barth in seiner Schriftlehre in KD I/2 nicht nur die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen schrifthermeneutischen Positionen, sondern stellt darüber hinaus immer wieder Querverbindungen zu den entsprechenden dogmengeschichtlichen Entwicklungen her, die er mitunter in langen Exkursen nachzeichnet und einer theologischen Kritik unterzieht. Vgl. u. a. KD I/2, 507 – 509, 527 – 530, 535 – 637, 545 – 648, 573 – 585, 608 – 637, 743 – 749.

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Karl Barths Schriftlehre nach KD I/2

Argument. KD I stellt bekanntlich den dritten Anlauf Barths dar, eine eigene Dogmatik zu beginnen. So viele Übereinstimmungen man auch mit den Entwürfen von 19248 und 19279 feststellen mag,10 so ändert dies doch nichts daran, dass Barth sich im Nachhinein von jenen ersten Entwürfen ausdrücklich distanziert.11 Ob diese Distanzierung eine „Übertreibung“ dar8 „Unterricht“ in der christlichen Religion. Erster Band: Prolegomena (1924). Im Folgenden zitiert als: UCR I. 9 Die Christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik (1927). Im Folgenden zitiert als: CD. 10 Die Entwürfe stimmen vor allem in folgender Grundstruktur überein: Einleitung – Die Lehre von Gottes Offenbarung – Die Lehre von der Heiligen Schrift – Die Lehre von der kirchlichen Verkündigung (UCR I: „Das Wort Gottes als christliche Predigt“). 11 Neben der Distanzierung, die sich in der Entscheidung zu einem Neuansatz ausdrückt, sei auf die folgenden expliziten Distanzierungen hingewiesen: Zum Verhältnis zwischen den ersten beiden Dogmatik-Entwürfen schreibt Barth unter Anspielung auf das Vorwort zur zweiten Auflage des Römer-Briefs (vgl. Römerbrief II, 5: Barth schreibt hier, dass im Vergleich zur ersten Auflage „sozusagen kein Stein auf dem andern geblieben ist“) an E. Thurneysen: „Die Prolegomena erscheinen mit dem bekannten Gerippe in ganz neuer Form. Es bleibt auch hier fast kein Stein auf dem andern“, BwTh II, 436. Zum Verhältnis zwischen CD und KD I schreibt Barth – wiederum in Anspielung auf die Neuauflage des Römerbriefs – im Vorwort zu KD I/1, VI: „Was ich vor zwölf Jahren bei der Neubearbeitung des Römerbriefs erlebt hatte, wiederholte sich: ich konnte und wollte dasselbe sagen wie einst; aber so, wie ich es einst gesagt, konnte ich es jetzt nicht mehr sagen. Was blieb mir übrig, als von vorn anzufangen, und zwar noch einmal dasselbe, aber dasselbe noch einmal ganz anders zu sagen?“ Mit Blick auf die bereits erwähnte parallele Grundstruktur lässt sich diese Aussage dahingehend interpretieren, dass Barth in allen drei Entwürfen „dasselbe sagen“ will, nämlich wie sich Gottes Wort als Offenbarung, als Heilige Schrift und als Verkündigung der Kirche den Menschen kundtut. In der Entfaltung der einzelnen Kapitel sah er sich jedoch zu zahlreichen Veränderungen gezwungen. Sehr kompakt und mit biographischen Erläuterungen versehen wird der Weg von UCR I zu KD I von G. Sauter und H. Stoevesandt im Vorwort zur Neuauflage von CD in der Karl-Barth-Gesamtausgabe nachgezeichnet, vgl. CD, XI – XVIII. Zu den inhaltlichen Veränderungen zwischen CD und KD I vgl. die „allgemeinen Bemerkungen“, die Barth selbst im Vorwort zu KD I/1 macht (KD I/1, VIII – XII), sowie Kirschstein, Der souveräne Gott, 193 – 195. Es würde den Rahmen dieser Vorbemerkung sprengen, ausführlich auf die Diskussion um die Frage nach Entwicklungen in Barths Theologie zwischen UCR und KD I/1 einzugehen. Vgl. hierzu als Vertreter der These von einer zweiten Wende Barths von der Dialektik zur Analogie v. Balthasar, Karl Barth, 93 – 123, sowie grundsätzlich zustimmend JRngel, Barth-Studien, 127 – 179, bes. 129; als Vertreter der Kontinuitätsthese dagegen Kirschstein, Der souveräne Gott, 179 – 181 bzw. 244 f, sowie McCormack, Theologische Dialektik, 313 f bzw. 352 – 373. Eine mittlere Position nimmt Beintker ein, vgl. ders., Die Dialektik der „dialektischen Theologie“ Karl Barths, 245 – 286. In aller Kürze sei lediglich soviel gesagt, dass die Rede von „zwei entscheidende[n] Wendepunkte[n]“ in der Theologie Barths (so v. Balthasar, a. a. O., 101) insofern irreführend ist, als sie die theologische Weiterentwicklung Barths in den 1920er Jahren gleichsetzt mit dem zweifellos radikaleren frühen „Bruch mit der Theologie seiner Lehrer“ (JRngel, a. a. O., 128) während des Ersten Weltkriegs. Die auch von Jüngel betonte „Kontinuität“ (ebd.), welche Barths Weiterentwicklung seit jenem Bruch ungeachtet der späteren Distanzierung von den frühen Dogmatik-Entwürfen kennzeichnet, zeigt sich hinsichtlich der Schrifthermeneutik darin, dass entscheidende Anliegen wie etwa die Forderung nach einer sachorientierten Auslegung oder die Betonung der Frage nach dem Subjekt im hermeneutischen Prozess nahezu unverändert durchgehalten werden.

Vorbemerkung: Zur Darstellung von Barths Schriftlehre

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stellt,12 mag dahingestellt bleiben. Für die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Schrifthermeneutik Barths und seiner Auslegungspraxis in der KD erscheint es jedenfalls ratsam, sich in erster Linie an die Ausführungen in KD I zu halten, von denen Barth sich zeit seines Lebens nicht distanziert, auf die er vielmehr noch in den späten Bänden der KD explizit Bezug nimmt.13 Die primäre Orientierung an KD I/2 schließt allerdings nicht aus, zu gegebenem Anlass – nämlich dort, wo es sich nicht nur aus werkgeschichtlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen anbietet – einen Blick in die früheren und späteren Schriften Barths zu werfen und so die Entstehung und Weiterentwicklung einzelner Erkenntnisse zu erhellen. Innerhalb der „Rückblicke“ auf die früheren Werke wird in besonderer Weise der Aufsatz „Die neue Welt in der Bibel“ im Fokus stehen, der neben seinem Charakter als „erste systematische Erarbeitung der Biblischen Hermeneutik Barths“14 auch wesentliche strukturelle Parallelen mit Barths Schriftlehre in KD I/2 erkennen lässt.15 Für die Darstellung von Barths Schriftlehre auf der Grundlage von KD I/2 bieten sich unterschiedliche Vorgehensweisen an. Ein eher synthetisches Verfahren fragt zunächst nach bestimmten Leitbegriffen und findet diese nicht selten in den bereits erwähnten frühen schrifthermeneutischen Darlegungen Barths. Für diese Leitbegriffe werden dann entsprechende Belegstellen innerhalb von KD I gesucht und miteinander ins Verhältnis gesetzt.16 Die Ergebnisse eines solchen Verfahrens werden in der Regel nicht vollkommen verkehrt sein, gleichwohl ist der Vorwurf des methodischen Eklektizismus – und somit die Gefahr einer einseitigen Darstellung – nicht von der Hand zu weisen.17 In jedem Fall stellt das soeben skizzierte Vorgehen eine selbst auf12 So McCormack, a. a. O., 368. 13 Vgl. etwa KD IV/1, 709; IV/2, 939; IV/3, 127. 14 Kirschstein, Der souveräne Gott, 40. Der programmatische Charakter des Aufsatzes wird auch anhand der Tatsache ersichtlich, dass er auf Barths Vorschlag der ersten gemeinsam mit Thurneysen herausgegebenen Predigtsammlung angefügt wurde (vgl. dies., Suchet Gott, 154 – 174, allerdings nur in der 1. Auflage 1917), und zwar mit dem Ziel der „prinzipiellen Ins-LichtStellung“ (vgl. BwTh I, 207) der darin aufgeführten Thesen. 15 Zur Bedeutung des Aufsatzes Die neue Welt in der Bibel vgl. Wood, Barth’s Theology of Interpretation, 4 – 6. 16 Exemplarisch für ein solches Vorgehen steht die zweifellos sehr detaillierte und zu Recht als grundlegend gewürdigte Darstellung von Kirschstein, Der souveräne Gott und die heilige Schrift. Zur Würdigung von Kirschsteins Studie vgl. Bourgine, L’hermxneutique thxologique de Karl Barth, 3 f. Kirschstein unternimmt in seinem Kapitel über KD I nahezu auf jeder Seite enorme Sprünge, und zwar nicht nur innerhalb der knapp 330 Seiten der Schriftlehre in KD I/2, sondern darüber hinaus in KD I/1 sowie in Barths Anselm-Buch Fides quaerens intellectum von 1931. 17 Der Gefahr der Einseitigkeit entgeht auch Kirschstein nicht, indem er die Titelformulierung seines Buches zur „Grundrelation“ nicht nur von KD I (vgl. Kirschstein, a. a. O., 195, 246), sondern von Barths gesamter Theologie erklärt (vgl. Kirschstein, a. a. O., 199 – 202). Damit wird der Souveränität Gottes bzw. der mit ihr zusammenhängenden – und für Barth zweifellos wichtigen – Unverfügbarkeit des Redens Gottes durch die Schrift allerdings ein zu großes

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erlegte Einschränkung der Wahrnehmung der KD-Texte dar. Es ist nämlich nicht in der Lage, deren Argumentationsstruktur in den Blick zu nehmen. Erst eine Wahrnehmung dieser Struktur in ihrer jeweiligen Dynamik ermöglicht eine differenzierte Beschreibung und vor allem eine sachgemäße Gewichtung der Leitbegriffe Barths. Die folgende Darstellung der Schrifthermeneutik Barths setzt sich zum Ziel, die wesentlichen Elemente von Barths Schriftlehre in KD I/2 in ihrem spezifischen Zusammenhang und ihrer jeweiligen Gewichtung hervortreten zu lassen. Dies bedeutet konkret, dass zunächst der übergeordnete dogmatische Rahmen von Barths Schriftlehre, nämlich die in KD I entwickelte Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes, vorgestellt wird. Diese stellt nicht nur das strukturierende Moment der beiden Teilbände von KD I dar, sondern bildet als solches zugleich die Rahmentheorie von Barths Schrifthermeneutik. Im Anschluss sollen die beiden Hauptaspekte des die Schriftlehre eröffnenden Abschnitts § 19,1 zur Sprache kommen, nämlich die Betonung des Zeugnischarakters der Schrift als schrifthermeneutisches Leitmotiv sowie die Forderung nach einer an der Sache der Schrift orientierten Lektüre als allgemeinhermeneutische Grundregel.18 Die sich an § 19,2 orientierenden Überlegungen zum Ereignis der Offenbarung, zur Kanonfrage, zur Inspiration und zur Bedeutung der Schriftlichkeit werden schließlich als Konsequenzen der Rede von der Schrift bzw. der Offenbarung als Subjekt des hermeneutischen Prozesses entfaltet. Ergänzt wird die Darstellung durch einen Abschnitt über die innerhalb der Schriftlehre explizit getroffenen Aussagen über den Vollzug der Schriftauslegung. Diese Frage wird bereits eine Brücke zum zweiten Hauptteil der Arbeit schlagen, in welchem Barths eigene Praxis der Schriftauslegung innerhalb der weiteren KD-Bände näher untersucht wird. Eine ähnliche Brückenfunktion kommt den abschließenden Überlegungen zu, in denen zu klären ist, ob – und wenn ja inwiefern – Barth in seiner Schriftlehre die Impulse der theologischen Moderne aufgenommen bzw. verarbeitet hat. An der Beantwortung dieser immer wieder umstrittenen Frage,19 die am Ende dieses ersten Hauptteils in Bezug auf Barths Schriftlehre und im Schlussteil C noch einmal in Bezug auf seine Schriftauslegung erörtert wird, entscheidet sich nicht zuletzt, welchen Beitrag Barths Schriftlehre und -auslegung im Kontext gegenwärtiger Herausforderungen zu leisten vermag. Gewicht eingeräumt. Vgl. die entsprechende Kritik an J. Lausters Barth-Interpretation in Abschnitt 2.2. 18 Da sich der Zeugnischarakter der Schrift unmittelbar aus der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes ergibt – die Schrift als zweite Gestalt des Wortes Gottes ist nach Barth das Zeugnis der Offenbarung als erster Gestalt des Wortes Gottes –, werden beide Aspekte in einem zusammenhängenden Abschnitt behandelt, während die Forderung nach einer sachbezogenen Lektüre in einem neuen Abschnitt untersucht wird. 19 Vgl. u. a. Rendtorff, Die Realisierung der Freiheit, sowie die kritische Rezension von Krçtke, ThLZ 105 (1980), 300 – 303.

Die Aufgabe der Schriftlehre

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1. Die Aufgabe der Schriftlehre: Die Bestimmung des Verhältnisses von Bibel, Offenbarung und Wort Gottes 1.1 Zum Aufbau von KD I: Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes als Rahmentheorie Barths Schriftlehre in KD I/2 ist eingebettet in die (die beiden Teilbände von KD I umfassende) „Lehre vom Worte Gottes“. Diese ist in vier Kapitel unterteilt, deren erstes sich als eine Art Prolegomenon der Prolegomena mit dem Wort Gottes als „Kriterium der Dogmatik“ beschäftigt, während die Kapitel zwei bis vier die inhaltliche Ausführung der Wort-Gottes-Lehre bieten. „Die Lehre von der Heiligen Schrift“ bildet das mittlere jener drei Kapitel und wird eingerahmt durch Kapitel zwei („Die Offenbarung“)20 sowie Kapitel vier („Die Verkündigung der Kirche“). Interessanterweise wird der dreiteilige Aufbau der materialen Wort-GottesLehre bereits im ersten Kapitel der Wort-Gottes-Lehre vorgezeichnet, nämlich in § 4 („Das Wort Gottes in seiner dreifachen Gestalt“) – hier allerdings in umgekehrter Reihenfolge, beginnend mit einem Abschnitt über das „verkündigte Wort Gottes“, an den sich die Abschnitte über das „geschriebene Wort Gottes“ und das „offenbarte Wort Gottes“ anschließen. Der Grund dieser Umkehrung ist darin zu erkennen, dass Barth in seiner Wort-Gottes-Lehre die kirchliche Verkündigung zum Ausgangspunkt seiner Dogmatik erklärt. Bereits im Leitsatz von § 1 wird die „Aufgabe der Dogmatik“ als „die wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott“ beschrieben.21 Dem entspricht, dass in § 3 die Verkündigung als „Stoff der Dogmatik“ bezeichnet wird. Dogmatik geschieht also nach Barths Auffassung in einer Situation, in der die kirchliche Verkündigung immer schon als gegeben vorausgesetzt werden muss. Dieser Anordnung gemäß wird in § 4 zunächst das verkündigte, dann das geschriebene und schließlich das geoffenbarte Wort Gottes beschrieben, wobei der den Paragraphen abschließende Abschnitt „Die Einheit des Wortes Gottes“ nicht nur den Zusammenhang der „drei Gestalten des Wortes Gottes“, sondern auch die sachliche Vorordnung des geoffenbarten Wortes Gottes bei gleichzeitiger erkenntnistheoretischer Gebundenheit an die beiden anderen Gestalten zum Ausdruck bringt:

20 Dieses ist wiederum in drei Abschnitte unterteilt, in denen Barth zunächst seine Trinitätslehre entwirft, bevor er sich ausführlich der „Fleischwerdung des Wortes“ und der „Ausgießung des Heiligen Geistes“ zuwendet. 21 Vgl. KD I/1, 1.

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Wohl ist die erste, die Offenbarung, die die beiden anderen begründende Gestalt. Aber gerade sie begegnet uns nie und nirgends abstrakt, gerade sie kennen wir nur indirekt, eben aus der Schrift und in der Verkündigung (I/1, 124)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich nach Barths Verständnis im Verhältnis der drei Gestalten des Wortes Gottes eine sachlich begründete Ordnung (Offenbarung, Schrift, Verkündigung) von einer epistemischen Ordnung (Verkündigung, Schrift, Offenbarung) unterscheiden lässt.

1.2 Das Leitmotiv : Die Schrift als Zeugnis der Offenbarung Die Unterscheidung zwischen den drei Gestalten des Wortes Gottes geht davon aus, dass die Selbstoffenbarung Gottes in der Menschwerdung Jesu Christi und der anschließenden Ausgießung des Heiligen Geistes geschehen ist. Diese Selbstoffenbarung ist das eigentliche Wort Gottes, hier hat Gott den Menschen seine Gnade zugesprochen. Dieses Wort gibt sich allerdings für uns nur zu erkennen in den Gestalten von Schrift und Verkündigung, die in ihrer Funktion als Zeugen des geoffenbarten Wortes Gottes selbst zum Wort Gottes werden und es in ihrem Werden dann auch tatsächlich sind (I/1, 124). Für die Bibel als geschriebenem Wort Gottes ergibt sich in diesem Dreierschema eine zweifache Funktion: Sie ist zum einen Zeugin von Christus als dem geoffenbarten Wort Gottes und zum andern Grundlage der Predigt als dem verkündigten Wort Gottes.22 In einem theologiegeschichtlichen Exkurs beruft sich Barth auf Luther und dessen „Dictata super Psalterium“ als Zeugen für seine Unterscheidung der drei Gestalten des Wortes Gottes.23 Er stellt fest, dass bei Luther „das verbum externum der Predigt“ zwar „noch zu kurz kommt“, gleichwohl aber „die drei Gestalten […] doch sehr genau gesehen und bezeichnet“ (I/1, 125) seien. Anders als bei Luther sei jedoch in der altprotestantischen Orthodoxie „die Einsicht der Reformatoren in die Dynamik des Verhältnisses der drei Gestalten untereinander“ verloren gegangen, die orthodoxe „Inspiriertheitslehre“ habe vielmehr „ein Einfrieren der Beziehung zwischen Schrift und Offenbarung bedeutet“ (I/1, 127) und zur Vernachlässigung der dritten Gestalt des Wortes Gottes, nämlich der Verkündigung, geführt. Barth fällt das harte Urteil, dass hinter dem „Ruhm der Objektivität, mit dem man das Wort Gottes vor allem in seiner biblischen Gestalt umgab“, sich das böse Gewissen versteckt habe, 22 Barth erkennt in dieser Dreiheit eine Analogie zur Trinität Gottes. Das Verhältnis von „Offenbarung, Schrift und Verkündigung“ könne mit den „göttlichen ,Person‘namen Vater, Sohn und Heiliger Geist“ verglichen werden, woraus sich „eine gewisse Unterstützung hinsichtlich der inneren Notwendigkeit und Richtigkeit des hier über das Wort Gottes Ausgeführten“ ergebe (I/ 1, 125). Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes lässt Barth damit als „einziges wirklich zuverlässiges vestigium trinitatis“ gelten, vgl. Pçhlmann, Analogia entis, 43. 23 Vgl. Luther, Dictata super Psalterium, WA 3, 263,13 – 21.

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daß man nicht mehr recht wußte, was man sagte, wenn man ,Wort Gottes‘ sagte, nicht mehr wußte, daß man damit heute sich ereignendes Handeln – nicht des Menschen in seinem Verhältnis zu Gott, sondern Gottes in seinem Verhältnis zum Menschen, und damit eben Kirche sagt. (I/1, 127 f)

Die in KD I/1 vorgezeichnete Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes gibt somit den Rahmen von Barths Schrifthermeneutik vor. Innerhalb dieser Lehre geschieht jene Verhältnisbestimmung zwischen den drei Gestalten des Wortes Gottes, nach der die Bibel als Zeugnis der Offenbarung fungiert, auf welches die Verkündigung zurückgreift. Die notwendige und durch nichts zu ersetzende Funktion der Bibel in der Kirche besteht darin, dass sie je und je Zeugnis gibt von Gottes Offenbarung. Die Bedeutung des Zeugnischarakters der Schrift als Leitmotiv von Barths Schrifthermeneutik wird darin ersichtlich, dass Barth später in seiner Schriftlehre in KD I/2 mit eben jener Beschreibung aufs Neue in die Thematik einsteigt. Barth beginnt seine Schriftlehre mit einem Abschnitt über „Die Schrift als Zeugnis von Gottes Offenbarung“ (§ 19,1). Hier wird die Rede von der Schrift als Zeugnis näher erläutert. Barth knüpft dabei an die vorangehende Darstellung der Offenbarung des dreieinigen Gottes (nämlich in der „Fleischwerdung des Wortes“ und in der „Ausgießung des Geistes“) im zweiten Kapitel der Wort-Gottes-Lehre (§§ 13 – 18) an. Er stellt fest, dass sich die Schrift in dieser Darstellung als Zeugnis bewährt habe, indem sie auf die Frage nach der Offenbarung Antwort gegeben habe: Wir haben diese Antwort nicht frei gesucht und gefunden, sondern wir haben sie der Bibel entnommen […] Und nun hat uns die Bibel Antwort gegeben. Sie hat uns die Herrschaft des dreieinigen Gottes in dem fleischgewordenen Worte durch den Heiligen Geist bezeugt. [Hervorhebung: G.B.] Eben damit hat uns die Bibel nun aber auch, ohne daß zunächst danach gefragt war, eine Antwort hinsichtlich ihrer selbst gegeben. (I/2, 505)

Natürlich könnte man an dieser Stelle fragen, warum die Antwort auf die Frage nach der Offenbarung ausgerechnet im Hören auf die Bibel erwartet werden soll. Nach Barth lässt sich diese Frage jedoch nicht anders beantworten als durch den Hinweis, dass dieses Hören eben diese Antwort erbracht hat. Auf nachträgliche „Begründungen und Rechtfertigungen“ (I/2, 509) dafür, dass in der Kirche ausgerechnet auf die Bibel gehört werden soll, verzichtet Barth. Eine höhere Autorität kann der Bibel offensichtlich nicht zukommen, als dass sie Antwort auf die Frage nach der Offenbarung gegeben hat, dass es gleichsam im Hören auf ihr Zeugnis zur Begegnung mit der Offenbarung selbst gekommen ist. Die inhaltliche Funktion der Rede von der Schrift als Zeugnis der Offenbarung wird von Barth in zweifacher Hinsicht erläutert: Einerseits hält er fest, dass mit dieser Rede „zweifellos eine Einschränkung“ verbunden sei: „wir

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unterscheiden damit die Bibel als solche von der Offenbarung.“ (I/2, 512) Diese Unterscheidung beruht nach Barth darauf, dass die Bibel als solche „zunächst“ nichts anderes als das „Medium“ (ebd.) ist, durch das sich die Offenbarung kundtut. Andererseits betont Barth, dass „der Begriff des Zeugnisses […], gerade wenn wir uns diesen seinen einschränkenden Sinn deutlich vor Augen stellen, auch das höchst Positive“ (ebd.) sage, nämlich dass gerade durch die Bibel als „Zeugnis“ oder „Medium“ der Offenbarung diese selbst „gegenwärtig auf den Plan“ (ebd.) trete. Anders als durch das in der Schrift festgehaltene Zeugnis der ersten Zeugen könnte die Offenbarung von allen nachfolgenden Generationen gar nicht wahrgenommen werden. Im Hören auf die Schrift aber werde die Offenbarung „für uns selbst Gegenwart und Ereignis“ (ebd.). Man kann diese zweite Funktion so umschreiben, dass ein umfassendes Verständnis der Formel „Zeugnis der Offenbarung“ voraussetzt, dass man den Genitiv „Offenbarung“ immer zugleich als Genitivus subjectivus und als Genitivus objectivus versteht. In und durch die Schrift gibt die Offenbarung selbst Zeugnis – von sich selbst.24 Dass dies je und je geschieht, ist nach Barth nicht weniger als die bleibende Existenzgrundlage der christlichen Kirche. Gleichzeitig eignet sich der Begriff des „Zeugnisses“ in besonderer Weise, um der Tatsache Ausdruck zu verleihen, dass die Bibel nicht nur Gottes Wort, sondern auch Menschenwort ist und bleibt.25 Das Zeugnis, das die Offenbarung von sich selbst gibt, geschieht nicht ohne das Zeugnis, welches die menschlichen Schreiber von ihr geben. Durch die Möglichkeit sowohl des reflexiven als auch des transitiven Gebrauchs des Verbums „bezeugen“ vermag der Begriff des „Zeugnisses“ dieser Doppelstruktur gerecht zu werden: In der Bibel bezeugt sich Offenbarung selbst und zugleich wird sie – durch die menschlichen Autoren – bezeugt.

1.3 Rückblick und Ausblick (I): Von den „drei Anreden“ Gottes zur „dreifachen Gestalt des Wortes Gottes“ in der „Lichterlehre“ Vergleicht man die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes, wie sie von Barth in KD I entwickelt wird, mit den entsprechenden Ausführungen in den früheren Dogmatik-Entwürfen von 192426 und 192727, so fällt auf, dass 24 Dieses umfassende Verständnis des Verhältnisses zwischen Schrift und Offenbarung findet seinen Widerhall in der Lehre von der dreifachen Inspiration der Schrift, vgl. unten Abschnitt 3.4. 25 In der Tatsache, dass die Bibel immer Menschenwort und damit an die Bedingungen von Raum und Zeit gebunden bleibt, sieht Barth insofern einen wichtigen Unterschied zur Rede von den zwei Naturen Christi, als die menschliche Natur Christi nur während einer befristeten Zeit jenen Bedingungen unterworfen gewesen sei, vgl. KD I/2, 570. 26 Vgl. UCR I, 18 – 23. 27 Vgl. CD, 58 – 69.

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Barth im Unterricht in der christlichen Religion noch von den „drei Anreden“ des Wortes Gottes spricht,28 drei Jahre später in der Christlichen Dogmatik im Entwurf von den „drei Gestalten des Wortes Gottes“29, aber erst in KD I/1 vom „Wort Gottes in seiner dreifachen Gestalt“30. J. Muis zieht aus dieser Beobachtung die Schlussfolgerung, dass Barth in zunehmendem Maße die Einheit des Wortes Gottes betont habe.31 Diese Schlussfolgerung wird erhärtet durch eine weitere Veränderung, die Barth in KD I/1 gegenüber CD vornimmt. Hieß der den Paragraphen 4 („Die drei Gestalten des Wortes Gottes“) abschließende Abschnitt damals noch „Die Einheit und Dreiheit des Wortes Gottes“ (CD, 68), so lautet die Überschrift des entsprechenden Abschnitts in KD I/1 nur noch „Die Einheit des Wortes Gottes“. Offensichtlich sah sich Barth zu dieser Kürzung genötigt, um noch stärker als bisher dem Missverständnis vorzubeugen, als könne man die drei Gestalten des Wortes Gottes als drei voneinander unabhängige oder gar sich widersprechende Größen verstehen.32 Dass die Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes von Anfang an nicht auf eine qualitative Unterscheidung abzielt, geht freilich aus dem bereits in UCR I aufgestellten Satz hervor, dass die Bibel da, wo Gott durch sie rede, „nicht weniger als die Offenbarung“ Wort Gottes sei.33 Ein Ausblick auf Barths weitere Verwendung der Figur der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes erhellt zunächst – was auf den ersten Blick erstaunen mag –, dass diese in den Prolegomena so zentrale Figur in den späteren Bänden der KD kaum noch explizit auftaucht. Nach einer kurzen Aufnahme im ersten Teil der Pneumatologie34 kommt Barth innerhalb der so genannten „Lichterlehre“35 noch einmal auf die „Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes“ zurück.36 Barth setzt diese für seine Überlegungen, ob es neben Christus, dem „Licht des Lebens“, noch andere wahrhaftige Lichter gebe, als 28 29 30 31 32

33 34 35 36

UCR I, 59. Vgl. die Titelformulierung von CD, § 4. Vgl. wiederum die Titelformulierung von KD I/1, § 4. Vgl. Muis, Spricht Gott in der heiligen Schrift, 142. Muis versäumt allerdings darauf hinzuweisen, dass die Rede von den „drei Gestalten“ auch in KD I noch verwendet wird (vgl. etwa KD I/1, 124), wenn auch nicht mehr in der gleichen Prominenz als Paragraphenüberschrift. Die auf den ersten Blick nahe liegende Vermutung, es könnte die Betonung der Einheit des Wortes Gottes bereits der Frontstellung gegenüber der lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium dienen, scheint aus zwei Gründen eher unzutreffend. Zum einen bricht der literarische Streit um Gesetz und Evangelium erst nach dem Erscheinen von KD I/1 los, vgl. Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium. Zur späteren Diskussion vgl. u. a.: Barth, Evangelium und Gesetz; Elert, Dialektik der Offenbarung; Althaus, Gebot und Gesetz; Iwand, Gesetz und Evangelium. Zum zweiten spricht der unterschiedliche theologische Kontext von Barths Rede von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes und Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gegen einen von Barth intendierten Bezug in dieser Sache. Vgl. JRngel, Barth-Studien, 187. UCR I, 19. Vgl. KD IV/1, 852. Vgl. hierzu die kritische Relecture durch Berkhof, Barths Lichterlehre. KD IV/3, 127.

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selbstverständlich voraus. Die Überlegungen aus KD I dienen ihm jetzt als Argument dafür, dass auf alle Fälle in Hinblick auf die Schrift und die Verkündigung der Kirche, aber auch darüber hinaus die Existenz solcher gleichnishaften Lichter angenommen werden könne und müsse – freilich in bestimmter Weise, nämlich im Sinne von „freien Kundgebungen Jesu Christi im Weltgeschehen“.37 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Rede von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes in den auf KD I folgenden Bänden der KD zwar keine dominierende Rolle mehr spielt, genauso wenig aber von Barth zurückgenommen oder in Frage gestellt wird.

1.4 Rückblick und Ausblick (II): Abgrenzung vom „Biblizismus“ Wie die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes kündigt sich auch die Beschreibung der Bibel als Zeugnis der Offenbarung bereits in frühen Schriften Barths an.38 Anders als im vorigen Abschnitt ist hier jedoch vor allem ein Ausblick auf deren weitere Verwendung von Interesse. Wesentlich häufiger als auf die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes kommt Barth in den Folgebänden der KD auf den Zeugnischarakter der Schrift zu sprechen.39 Es geschieht dies insbesondere zur Abgrenzung gegen einen „Biblizismus“, in welchem die Bibel nicht von ihrem Zentrum her gelesen und verstanden wird, sondern als „von Gott selbst inspirierte Quellenschrift […], durch deren Studium dem aufmerksamen und treuen Leser das Drama der Beziehungen zwischen Gott und Mensch Akt für Akt ebenso durchsichtig und übersichtlich werde wie durch das Studium einer anderen Quellenschrift irgendein anderer Geschichtsbereich“ (IV/1, 59). Diese Kritik richtet sich zunächst gegen die Föderaltheologie des 19. Jahrhunderts mit ihrer immer detaillierteren Beschreibung der in der Bibel geschilderten „Bundesgeschichte“ (IV/1, 58).40 Barth erkennt darin eine Tendenz zur Historisierung von Gottes Offenbarungshandeln. Daß die Bibel von einem Geschehen berichtet, das haben sie [die Föderaltheologen] vortrefflich verstanden, nicht aber, daß dieser Bericht in allen seinen Gestalten den Charakter von Zeugnis, Verkündigung und Botschaft […] hat. (IV/1, 59)

So sei die Föderaltheologie in ihrem Schriftverständnis zum „Ursprung“ dessen geworden, „was man bis heute ,Biblizismus‘ nennt“ (ebd.). An anderer Stelle wendet sich Barth allgemein gegen einen „diffusen, zer37 KD IV/3, 148. 38 So z. B. in jenem offenen Briefwechsel, den Barth 1923 mit seinem ehemaligen Lehrer A. v. Harnack führt, vgl. BwH, 337 f. 39 Vgl. u. a. II/2, 276; III/1, 24 f; IV/1, 59; IV/2, 5; IV/2, 131 – 147; IV/3, 180. 40 Zur Föderaltheologie vgl. Goeters, Föderaltheologie, 246 – 252.

Der Sachbezug als hermeneutische Grundregel

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streuten, peripherischen Biblizismus“, der überall dort vorliege, wo man beim Lesen der Bibel „Jesus Christus [lediglich] für einen der Gegenstände ihres Zeugnisses neben anderen“ hält (III/1, 25, Hervorhebung: G.B.). Dies führe wiederum zu einer Verkennung der „Dreieinigkeit des Gottes, dessen Offenbarung und Werk sie [die Bibel] bezeugt“ (ebd., Hervorhebung: G.B.). Die Abgrenzung vom „Biblizismus“, die Barth in den genannten Passagen vornimmt, verdeutlicht noch einmal, weshalb die Charakterisierung der Schrift als Zeugnis der Offenbarung für Barth unerlässlich ist. Sie bringt zum einen den Unterschied zwischen der Offenbarung selbst und der sie bezeugenden Schrift zum Ausdruck und vermag zugleich die zentrale Funktion der Schrift im Raum der Kirche festzuhalten, welche darin besteht, dass sich die Offenbarung im Hören und Lesen der Kirche auf die Schrift je und je kundtut. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Barths Charakterisierung der Schrift als Zeugnis der Offenbarung sowohl aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz als auch angesichts ihrer häufigen Verwendung als Leitmotiv von Barths Schriftlehre bezeichnen lässt.41 Innerhalb der Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes bestimmt sie außerdem das Verhältnis zwischen den beiden ersten Gestalten des Wortes Gottes. Die Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes bietet also den übergeordneten sachlichen Kontext von Barths Schriftlehre und stellt damit die Rahmentheorie von Barths Schriftlehre dar.

2. Der Sachbezug als hermeneutische Grundregel 2.1 Gottes Offenbarung als Inhalt und Wirkung der Schrift Wird die Schrift als „Zeugnis von Gottes Offenbarung“ (I/2, 506) verstanden, so impliziert dies, jedenfalls nach Barths Verständnis, dass alle Autorität, die der Schrift im Raum der Kirche zukommt, an ihrem Inhalt hängt bzw. an der Wirkung, die von diesem Inhalt ausgeht. Dort, wo der „Inhalt des biblischen Zeugnisses vor Augen steht“, und zwar dergestalt, dass sich darin Gottes Offenbarung selbst kundtut, da hat sich „die Herrschaft des dreieinigen Gottes […] als Tatsache erwiesen“ (ebd.).42 Eine höhere Würde als diese Zeugenfunktion kann der Schrift nicht zukommen, und so plädiert Barth dafür, nach 41 Dem Urteil Körtners, nach welchem die Rede von der Schrift als Zeugnis der Offenbarung „alle späteren Veränderungen der Theologie Barths“ überdauert habe, kann folglich nur zugestimmt werden, vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 111. 42 Ähnlich P. Althaus in der Darstellung der reformatorischen Schriftlehre: „Diese Autorität der Bibel bezeugt sich dem Menschen nach reformatorischer Lehre durch die überführende Macht ihres zentralen Inhaltes (Autopistie)“. Althaus, Grundriss der Dogmatik I, 56.

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weiteren „äußeren und inneren Gründen und Rechtfertigungen“ (ebd.) für die Autorität der Schrift in der Kirche gar nicht erst zu fragen.43 Damit stellt sich freilich die Frage, was genau gemeint ist, wenn die Offenbarung als Inhalt der Schrift bezeichnet wird. Und man wird – erst recht vor dem Hintergrund der von der historisch-kritischen Forschung stark gemachten Frage, was „die [biblischen] Verfasser je für sich sagen wollten“44 – noch weiter gehen müssen: Ist es überhaupt zu rechtfertigen, von dem „Inhalt des biblischen Zeugnisses“ (Hervorhebung: G.B.) zu sprechen? Müsste man nicht, wenn schon nicht zwischen den verschiedenen Entstehungsschichten, so doch wenigstens zwischen dem Inhalt der einzelnen biblischen Bücher oder zumindest zwischen dem Inhalt des Alten Testaments einerseits und dem des Neuen Testaments andererseits unterscheiden? An dieser Stelle erhebt Barth seine Forderung, die gesamte Schrift von ihrem Gegenstand bzw. ihrer Sache her zu lesen. Er setzt damit voraus, dass der Inhalt der Schrift auf eben jenen Gegenstand zugespitzt werden kann. Innerhalb des die Schriftlehre in KD I/2 eröffnenden Abschnitts § 19,1 bildet die Forderung nach einer sachbezogenen Lektüre das Thema des zweiten großen Teilabschnitts (I/2, 513 – 523).

2.2 Wer die Sache nicht versteht, kann auch die Texte nicht verstehen Das Anliegen von Barths Forderung nach einer sachbezogenen Lektüre der Schrift richtet sich zunächst dagegen, die Exegese auf ein historisches Lesen und Verstehen der Schrift zu beschränken. Wo sich die Lektüre darauf beschränkt, Hypothesen über die Entstehung der Texte, über die hinter den Texten liegende historische Wirklichkeit oder über die Umwelt der biblischen Autoren aufzustellen, da ist ein wirkliches Verstehen nach Barth nicht möglich.45 Dabei hält er die historische Lektüre an sich nicht für das Problem. Ein historisches Verstehen der Bibel müsse jedoch einsehen, dass die an der Entstehung der Bibel als einer Textsammlung beteiligten Menschen mit ihren Texten auf eine bestimmte Sache hinweisen wollten. Aber nun werden wir, gerade wenn wir die Menschlichkeit der Bibel ganz ernst nehmen, auch damit ganz ernst machen müssen, daß sie eben als menschliches Wort etwas Bestimmtes sagt, daß sie also als menschliches Wort über sich selbst hinaus43 Dementsprechend kritisiert Barth die im Gefolge Calvins immer wieder unternommene Suche nach solchen „sekundären“ Gründen, mit denen man die Autorität der Schrift unterstreichen wollte – etwa durch den Hinweis auf ihr Alter, „ihre Wunder und Weissagungen“, die „Harmonie ihrer Bestandteile“, „die Majestät und Gewalt ihrer Sprache und ihres Inhalts“ sowie „ihre kritische und siegreiche Rolle in der Kirchengeschichte“ (I/2, 596). 44 So etwa LRdemann, Das Jesusbild des Papstes, 149. 45 So auch bereits im Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs, 12 f.

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weist, daß sie als Wort auf eine Sache, auf einen Gegenstand hinweist. […] Welches menschliche Wort täte das nicht? (I/2, 513)

Vor allem der letzte Satz macht deutlich, dass die Forderung nach einem sachbezogenen Lesen für Barth eine hermeneutische Grundregel darstellt, die nicht nur für die Bibel, sondern grundsätzlich für alle zwischenmenschliche Kommunikation gilt.46 Die Pointe dieser hermeneutischen Grundregel liegt zum einen in der allgemeinen Unterscheidung zwischen geschriebenem Wort und gemeinter Sache,47 zum anderen in der Behauptung, es lasse sich für die biblischen Texte insgesamt eine bestimmte Sache als wesentlicher inhaltlicher Gegenstand definieren. Bevor danach gefragt wird, wie sich die Rede von der einen Sache der Schrift nach Barth rechtfertigen lässt, ist kurz auf die Konsequenzen einzugehen, die Barth aus seiner hermeneutischen Grundregel zieht. Diese zeigen sich vor allem in der Unterscheidung zwischen „Hören“, „Verstehen“ und „Auslegen“ (I/2, 514) als den drei Schritten, die nach Barths Verständnis für den Auslegungsprozess konstitutiv sind. Entscheidend ist, dass der Bezug zur Sache in allen drei Schritten angestrebt werden muss. Aus dem immer auch an der Sache interessierten Hören auf den Text/das Wort erwächst das Verstehen der Sache und dieses drängt wiederum zu einem Auslegen des Textes/des Wortes, bei dem die Sache stets mitbedacht wird. Für die Bibelauslegung bedeutet dies: Hören heißt dann zweifellos: durch das menschliche Wort die Offenbarung zu Gesicht zu bekommen – Verstehen: das menschlich konkrete Wort von der Offenbarung her zu erforschen – Auslegen: das Wort in seiner Beziehung zur Offenbarung erklären. (I/2, 515)

Diese Beschreibung bringt zum Ausdruck, dass die Forderung nach einem sachbezogenen Verstehen der Bibel mehr meint als eine intellektuelle Anstrengung. Die Sache der Schrift zu verstehen setzt nicht weniger voraus, als Gottes Offenbarung zu Gesicht zu bekommen. Dies aber ist nur möglich in dem Ereignis, in dem sich die Offenbarung selbst offenbart. Barth erläutert dies folgendermaßen: Wie jede menschliche Kommunikation sei auch das Verstehen der Bibel stets bedroht durch das „Gemisch von Hören und eigenem Mitreden und Dreinreden“ (I/2, 522) von Seiten des Auslegers bzw. des Empfängers einer Nachricht, so dass es „bei dem Versuch des Redens und Hörens zu jenem Unglücksfall kommen kann“ (I/2, 518), dass eine Botschaft nicht verstanden wird. Hinsichtlich der Bibelauslegung gelte jedoch, dass jenes Gemisch von Gott selbst überwunden wird. Der Ausleger habe es hier mit „Gottes Offenbarung im Menschenwort“ zu tun, und diese Offenbarung 46 Dieser Erweiterung wird ebenfalls betont bei Smend, Karl Barth als Ausleger, 26 f. 47 Vgl. hierzu die (im Vergleich zu Barth um eine Stufe differenziertere) Erläuterung der Unterscheidung zwischen dictum, intentio und res bei Herms, Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft II, 615 – 622.

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zeichne sich dadurch aus, dass ihr „die Majestät eignet“ (I/2, 522), sich im wahrsten Sinne des Wortes sachgemäß zu Gehör zu bringen. Hieraus wird ersichtlich, dass die Rede von Gottes Offenbarung als Sache der Schrift bei Barth nicht nur in einem materialen Sinn zu verstehen ist, nach welchem Gottes Offenbarung das inhaltliche Zentrum der biblischen Schriften bildet, zu dem alle Aussagen der Schrift in Beziehung zu setzen sind. Vielmehr ist die Rede von Gottes Offenbarung als Sache der Schrift auch in einem funktionalen bzw. dynamischen Sinn zu verstehen als das Ziel und die Wirkung der Bibelauslegung. Hierauf wird im Schlussabschnitt von Teil A noch einmal zurückzukommen sein. Des Weiteren ist zu betonen, dass die Einsicht in die Unverfügbarkeit des sachgemäßen Verstehens der Schrift bei Barth nicht etwa zu einer passiven Haltung des Auslegers bzw. der Auslegerin führt, sondern vielmehr zu bestimmten Konsequenzen für den aktiven Vollzug des hermeneutischen Dreischritts aus Hören, Verstehen und Auslegen.48 Barth spricht erstens von einer gesteigerten Aufmerksamkeit und Offenheit im Hören, in der das eigene Reden so weit wie möglich zurücktritt, zweitens von einer „Scheu und Zurückhaltung“ im Verstehen, wohl wissend, dass die Sache, von der aus die Worte erforscht werden, nicht vom Ausleger zu meistern ist (I/2, 520), und drittens davon, dass der Vorgang des Auslegens „in dem üblen Verfügen über den Text (wenn wir es auch in diesem Aeon sowenig loswerden können wie unseren alten Adam überhaupt) mindestens in heilsamster Weise gehemmt“ (I/2, 521) werde. Eine weitere Konsequenz der Forderung nach einem sachbezogenen Lesen der Schrift besteht in der Ablehnung des Anspruchs auf eine voraussetzungslose Auslegung in möglichst großer „Unbefangenheit“, wie sie „einen Augenblick lang, etwa um 1910, in der protestantischen Theologie schon beinahe kanonisch zu werden drohte“ (I/2, 519). Barth bezeichnet das Ansinnen nach einer solchen Bibelauslegung „als geradezu drollig“ (ebd.). Demgegenüber ist er der Meinung, dass der von der Sache der Bibel nicht ergriffene Leser, d. h. der Leser, dem sich durch die Lektüre der Bibel ihre Botschaft nicht erschlossen hat, „als ernstzunehmender Leser und Interpret der Bibel vorläufig […] ausscheidet“ (ebd.). Angesichts dieser harten Formulierung muss sich Barth freilich die kritische Rückfrage gefallen lassen, ob er hier nicht einer theologia regenitorum das Wort spricht? Diese Frage ist differenziert zu beantworten. Einerseits wird man sie nur mit einem klaren Ja beantworten können und dabei auf den programmatischen Titel der Schrift über den ontologischen Gottesbeweis 48 Dieser Aspekt wird in J. Lausters Analyse von Barths Schriftlehre leider vollkommen ignoriert, was zur Folge hat, dass in Lausters Darstellung die Unverfügbarkeit des Wortes Gottes im Ereignis von dessen Selbstauslegung allzu einseitig als absolutes, alle weiteren hermeneutischen Überlegungen unmöglich machendes Prinzip bzw. als Ausdruck der „radikale[n] Autonomie Gottes“ herausgestellt wird. Vgl. Lauster, Prinzip und Methode, 275, im Anschluss an Rendtorff, Theorie des Christentums, 161.

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Anselms von Canterbury verweisen: Fides quaerens intellectum.49 Theologie geschieht nach Barth niemals im luftleeren Raum, sondern im Raum der Kirche. Sie denkt sich ihre Fragen nicht selbst aus und lässt sie sich auch nicht von irgendwoher aufdrängen, sondern ihr Thema ist ihr vorgegeben durch die Geschichte der Beziehung zwischen Gott und Mensch, die in der Erscheinung Jesu Christi ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat und deren Fortsetzung bis in die Gegenwart sie selbst als jener Geschichte nach-denkender Glaube bezeugt. Zugleich verzichtet die Theologie auf den Anspruch, von sich aus wahre Sätze über Gott sagen zu können. Zu solchen Sätzen – mit den Worten von Fides quaerens intellectum: zur Übereinstimmung der „noetischen ratio“ des Theologen mit der göttlichen „ratio veritatis“ – kommt es nur, „wenn und indem die Wahrheit, Gott selbst dies tut“.50 Damit wird ein bestimmtes Verständnis der theologia regenitorum von vornherein abgewehrt. Wo diese Formel im Sinne zweier voneinander abgegrenzter Kreise verstanden wird, deren einer meint von sich behaupten zu können, er allein sei dazu in der Lage, rechte Theologie zu treiben, würde Barth mit Vehemenz widersprechen. Genau dies kann kein Theologe und keine Theologin von sich behaupten, sondern sie können lediglich in der Erinnerung daran, dass ihnen die Offenbarung im Hören auf die Schrift begegnet ist, darauf hoffen und es erwarten, dass sie dies wieder tun wird.51 Erst recht aber wird jede und jeder, der von dieser Begegnung weiß, darauf hoffen, dass sie auch jenem widerfahren wird, der von einer solchen Begegnung noch nichts weiß und sich dennoch mit der Bibel beschäftigt. Sie werden sich hüten 49 Die Frage, ob die damit ausgedrückte theologische Ausrichtung eine Neuentdeckung Barths darstellt, ist in diesem Zusammenhang sekundär. Bekanntlich wird die Bedeutung der 1931 erschienenen Anselmschrift für die nur ein Jahr später in ihrem ersten Teilband veröffentlichte KD von Barth selbst im Nachhinein außerordentlich hoch eingeschätzt: Man habe es bei der Anselmschrift „wenn nicht mit dem, so doch mit einem sehr wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Denkbewegung zu tun“, welche sich in der KD niedergeschlagen habe. So im Vorwort zur zweiten Auflage der Anselmschrift, FQI, 6. Eine ähnliche Aussage findet sich in einer bilanzierenden Rückschau Barths aus dem Jahr 1948, vgl. Parergon, 272. Barth bezeichnet die Anselmschrift hier als das „eigentliche Dokument [des] Abschieds“ von „den letzten Resten einer philosophischen bzw. anthropologischen […] Begründung und Erklärung der christlichen Lehre“. Grundsätzlich bestätigt wird diese Selbsteinschätzung durch M. Beintker, der freilich betont, dass die theologischen „Übergänge“ Barths vor und nach der Anselmschrift „fließend“ gewesen seien, vgl. ders., Parergon, 103. Noch kritischer gegenüber Barths Selbsteinschätzung äußert sich McCormack, Theologische Dialektik, 363 – 368. 50 FQI, 47. 51 Vgl. KD I/2, 557, sowie ausführlich zum Ereignischarakter des Wortes Gottes Abschnitt 3.2. Den Schwebezustand einer Exegese zwischen Erinnerung und Erwartung des Redens Gottes bringt Barth in jenen Jahren sehr pointiert zum Ausdruck in den Vorlesungen über das Apostolicum, vgl. ders., Credo, 153: „Theologische Exegese ist eine Exegese, die geschieht unter einer ganz bestimmten Voraussetzung, nämlich erstens, dass der Leser des Alten und Neuen Testamentes sich daran erinnert, dass in diesem Buch die Kirche bisher Gottes Wort gehört hat und zweitens: dass dieser Leser oder Forscher in diesem Buche liest in der Erwartung, dass auch er selber hier für seine Zeit wiederum Gottes Wort höre.“

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davon auszugehen, dass die Sache der Schrift einem anderen Menschen prinzipiell verschlossen sein könnte.

2.3 Rückblick und Ausblick: Worin besteht die Sache der Schrift? Wer wie Barth darauf insistiert, dass die Schrift immer in Bezug auf ihre Sache gelesen werden muss, ist natürlich gezwungen, eine Antwort zu geben auf die Frage, worin genau diese Sache eigentlich besteht. Dass eine solche Antwort nach Barths Auffassung nicht in einer ein für allemal fixierten Formel bestehen kann, wird deutlich, wenn man sich die verschiedenen Formulierungen vor Augen zu führen, die Barth im Laufe der Jahre als Antwort auf diese Frage gefunden hat.52 In seinem frühen Aufsatz „Die neue Welt in der Bibel“ (1917) setzt Barth mit der Frage ein: „Was steht in der Bibel?“ (18) Zur Beantwortung erzählt er zunächst in aller Kürze einige der alttestamentlichen Berufungsgeschichten nach (18 f) und kommt dann auf die Geschichte Jesu zu sprechen, welcher durch seine Worte „Entsetzen“ erregt, weil er „gewaltig“ redet bis hin zu „jenem Tone vom Ostermorgen“ (19 f), der noch in den Briefen der Apostel als „Echo“ (20) nachhallt. In dem allen lässt sich, so Barth, der eine „Chor der Propheten und Apostel“ hören. Das „Eine, das diese Stimmen offenbar alle sagen wollen“ (ebd.), wird schließlich bezeichnet als „eine neue Welt, die Welt Gottes“ (21). Diese allgemeine Antwort wird jedoch von Barth sogleich präzisiert, indem sie gleichgesetzt wird „mit dem Wort des ersten Märtyrers Stephanus: Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen!“ (Ebd.) In dieser Präzisierung zeigen sich bereits erste Züge einer christologischen Zuspitzung. Dennoch wird man festhalten müssen, dass in der Beantwortung der Frage nach dem „Einen“, das die Bibel sagen will, vor allem das Neue, Überraschende, alle menschlichen Erwartungen Durchkreuzende und Transzendierende betont wird. So hält Barth fest: „[W]enn wir überhaupt dem Inhalt der Bibel näher treten wollen, müssen wir es wagen, weit über uns selbst hinauszugreifen.“ (Ebd.) Noch ausführlicher setzt sich Barth mit der Frage nach der einen Sache der Bibel im Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs auseinander. Die Antwort, die er hier gibt, lautet: ,Gott ist im Himmel und du auf Erden.‘ Die Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem. Die Philosophen nennen diese Krisis 52 Vgl. zum Folgenden Burnett, Karl Barth’s Theological Exegesis, 74 – 78. Burnett beschränkt sich allerdings – dem Fokus seiner Arbeit entsprechend – auch in seiner Frage „What Exactly is the Sache of the Bible?“ (vgl. a. a. O., 74) im Wesentlichen auf die frühen Äußerungen Barths.

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des menschlichen Erkennens den Ursprung. Die Bibel sieht an diesem Kreuzweg Jesus Christus. (Römerbrief II, 17) Setze ich nun vorläufig voraus, Paulus habe im Römerbrief wirklich von Jesus Christus geredet und nicht von irgend etwas anderem, so ist das zunächst eine Annahme so gut oder so schlecht wie irgendeine von den vorläufigen Annahmen der Historiker. (Ebd.)

Es ist deutlich, dass der christologischen Zuspitzung in dieser Formulierung bereits ein größeres Gewicht zukommt. Interessant ist freilich, wie in den beiden einleitenden Sätzen der weite Bogen gespannt wird zwischen „Gott […] im Himmel“ und dem Menschen „auf Erden“.53 Hier kommt die gesamte Geschichte der Beziehung zwischen Gott und Mensch in den Blick, in die selbstverständlich auch die Geschichte(n) des Alten Testaments integriert werden können. Es ist diese gesamte Geschichte, von der das Neue Testament nach Barths Verständnis behauptet, dass sie in der Erscheinung Jesu Christi ihr Ziel wie auch ihren Ermöglichungsgrund hat. Wenn Barth also an anderen Stellen „Jesus Christus“ als Thema der Bibel oder einzelner Bücher bezeichnet, so wird man darin nicht ohne weiteres eine Verengung oder eine neutestamentliche Vereinseitigung der biblischen Botschaft erkennen können, sondern man wird den soeben aufgezeigten universalen Hintergrund beständig mithören müssen. Die Kritik müsste dementsprechend dahingehend präzisiert werden, dass Barth offensichtlich wenig Interesse daran hatte, nach der einen Sache des Alten Testaments als solchem zu fragen. Dass diese Frage jedoch eine andere Frage darstellt als die nach der einen Sache der gesamten Schrift, ist nicht zu bestreiten. Festzuhalten ist schließlich, dass Barth sein Verständnis von der einen Sache der Bibel als eine „vorläufige Annahme“ charakterisiert. Wendet man diese Charakterisierung auf die Erläuterungen aus KD I/2 an, so ergibt sich, dass der oben aufgezeigte Dreischritt vom Hören des Wortes über das Verstehen der Sache zur Auslegung des Wortes in der Folge als ein Kreislauf betrachtet werden muss, in dem die Auslegung des Wortes zu einem erneuerten Verständnis der Sache führt, was wiederum nicht ohne Auswirkungen auf die Auslegung des Wortes bleiben wird. Dieser Gedanke ist von enormer Bedeutung, befreit er doch von der Vorstellung, als sei mit dem Verstehen der Sache eine Art archimedischer Punkt gemeint, von dem aus die Richtung der Auslegung ein für allemal vorgegeben wäre. Auslegung der Schrift wird hier von Barth offensichtlich als ein Prozess verstanden, in dem ein vertieftes Verstehen der Sache zu einem vertieften Verstehen des Wortes führt und umgekehrt. Ein solches Verständnis der Auslegung als Prozess ist wiederum 53 Die hervorgehobenen Demonstrativpronomina des zweiten Satzes beziehen sich eindeutig auf die „Ortsangaben“ des ersten Satzes, so dass mit „diesem Menschen“ nicht etwa schon Christus, sondern vielmehr der grundsätzlich von Gott verschiedene und getrennte „Mensch auf Erden“ gemeint ist.

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die Voraussetzung dafür, dass das Gespräch unter verschiedenen Auslegern möglich und sinnvoll ist.54 Dass Barth bei aller Offenheit für einen solchen Prozess sein Verständnis von der Sache der Schrift durchaus selbstbewusst vertreten konnte, lässt sich bereits im Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs55 und ebenso in KD I/ 2 beobachten, wo Barth die Frage nach der Sache der Schrift wie folgt beantwortet: Und ebenso kann kaum eine Kontroverse darüber bestehen, daß das von ihnen [den biblischen Schriftstellern] Gesagte, daß das, was, jedenfalls von ihnen her gesehen, den Charakter einer Sache, eines Gegenstandes hat, nähere Bestimmung vorbehalten, eben dies ist: Gottes Offenbarung. (I/2, 518)

Man wird hier deutlich unterscheiden müssen, worin nach Barth „kaum eine Kontroverse“ bestehen kann und was er einer „nähere[n] Bestimmung vorbehalten“ möchte. Die Sache der Schrift ist „Gottes Offenbarung“, davon ist auszugehen, denn auf die Frage nach der Offenbarung hat die Schrift Antwort gegeben (I/2, 505, 511). Damit ist aber das Gespräch erst eröffnet über die Frage, was denn gemeint ist, wenn man „Gottes Offenbarung“ sagt. Barths eigener Gesprächsbeitrag umfasst bekanntlich das der Schriftlehre vorausgehende zweite Kapitel von KD I, ca. 700 Seiten, in denen die Trinitätslehre den Auftakt, die „Fleischwerdung des Wortes“ das Zentralstück und die „Ausgießung des Geistes“ den Abschluss bildet. Wiederum ist der Bogen enorm weit gespannt, so dass man in der Antwort „Gottes Offenbarung“ nur schwerlich eine Verkürzung der biblischen Botschaft erblicken kann.56 Die eine Sache der Schrift wird bei Barth vielmehr so umschrieben, dass die vielfältigen biblischen Texte und Textgattungen darin ihren Platz finden als Ausdruck der Überzeugung, dass der dreieinige Gott nicht ohne den Menschen sein will und der Mensch deshalb nicht ohne Gott sein muss.57 Für die 54 Hierzu gehört Barths nicht nur in frühen Jahren immer wieder zu lesende Beschreibung seiner Theologie als „theologia viatorum“, vgl. explizit UCR I, 280 f; Not und Verheißung, 68 f. Barth weiß um die „radikale Ergänzungsbedürftigkeit“ aller Theologie und „das prinzipielle Offenbleiben aller ihrer Sätze“, vgl. Kirche und Theologie, 319. Theologie müsse deshalb „als dialogisches Denken“ stattfinden (vgl. Beintker, Die Dialektik der „dialektischen Theologie“ Karl Barths, 165), „bei dem es grundsätzlich kein letztes Wort gibt“, vgl. CD, 579. Dass Barth auch in späten Jahren noch in der Lage war, die Vorläufigkeit der theologischen Arbeit zu unterstreichen, wird deutlich im Abschnitt über die „Ausgangssituation“ der theologischen Arbeit, vgl. KD IV/2, 319. 55 Vgl. Römerbrief II, 18: „[…,] das heiße dem Paulus Gewalt antun, wenn man ihn scheinbar von Jesus Christus, in Wirklichkeit von einem wahrhaft anthroposophischen Chaos von absoluten Relativitäten und absoluten Absolutheiten reden lässt, gerade von dem Chaos, für das er in allen seinen Briefen nur Ausdrücke des grimmigsten Abscheus übrig gehabt hat.“ 56 Im Hintergrund der christologischen Zuspitzung der „Sache“ der Schrift steht letztlich – mit einer Formulierung von E. Herms gesprochen – „das Ganze der Heilsökonomie als einheitlichem Prozeß, welcher in seiner Einheit die Differenz der Schritte der Heilsökonomie umfasst und bewahrt“, vgl. Herms, Sakrament und Wort, 256. 57 Nur am Rande sei bemerkt, dass Barths Forderung nach einer sachbezogenen Bibelauslegung

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weiteren Bände der KD bleibt festzuhalten, dass Barth bei der Formulierung des Gegenstandes der Schrift im Rahmen der bisherigen Beschreibungen bleibt. So spricht er in KD II/2 wiederum von „Gottes Offenbarung“ als dem „Inhalt“ der Schrift (II/2, 276), während in III/1 einmal „Jesus Christus“ und direkt im Anschluss „die Dreieinigkeit des Gottes, dessen Offenbarung und Werk sie [die Bibel] bezeugt“ als Gegenstand der Schrift bezeichnet werden (III/1, 24 f).58

2.4 Zur Einheit von Altem und Neuem Testament Wurde bereits durch die bisherigen Ausführungen gezeigt, dass Barths Rede von der einen „Sache der Schrift“ nicht als eine Verengung verstanden werden darf, sondern einen weiten Horizont aufreißt, so ist zum Ende des Abschnitts noch einmal die Frage aufzuwerfen, inwiefern Barths Rede von der einen Sache der Schrift der inhaltlichen Vielfalt der biblischen Schriften gerecht zu werden vermag. Diese Frage stellt sich besonders scharf im Blick auf die Zweiteilung des biblischen Kanons aus Altem und Neuen Testament. Hierzu ist vor allem ein Abschnitt zu bedenken, der vor der eigentlichen Schriftlehre zu stehen kommt und in dem Barth die „Zeit des Alten Testamentes“ als „die Zeit des Zeugnisses der Erwartung der Offenbarung“ charakterisiert (I/2, 77).59 Barth nennt in diesem Abschnitt „drei Linien, auf denen mir die Einheit der alttestamentlichen und der neutestamentlichen Offenbarung in der Relation von Erwartung und Erfüllung erkennbar zu werden scheint.“ (I/2, 88) Im Alten wie im Neuen Testament werde die Offenbarung zum einen „entscheidend als ein freies, schlechthin einmaliges, konkretes Handeln Gottes“ (ebd.) verstanden. Zum zweiten bleibe hier wie da Gott in seiner Offenbarung „ein verborgener Gott“ (I/2, 93). Und zum dritten sei das Alte wie auch das Neue Testament „das Zeugnis von der Offenbarung, in der Gott dem Menschen gegenwärtig ist als der kommende Gott.“ (I/2, 103) nur begrenzt im Sinne der innerhalb der Rezeptionsästhetik bekannten Rede von der intentio operis eines Textes verstanden werden kann. Der Versuch, den U. Körtner im Anschluss an U. Eco in dieser Richtung unternimmt (vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 115 f, 123 f), scheitert vor allem daran, dass Barth nicht zwischen der intentio operis und der intentio auctoris unterscheidet, wie dies etwa bei U. Eco, Zwischen Autor und Text, 31, geschieht. Ein besonders schöner Beleg hierfür findet sich in KD I/2, 518, wo Barth innerhalb von nur einer Seite ohne erkennbare Bedeutungsverschiebung die eine Sache der Schrift einmal als „das in der Bibel Gesagte“ und dann wieder als „das von ihnen [den biblischen Schriftstellern] Gesagte“ bezeichnet. 58 Eine explizite Anwendung der Forderung nach einer sachbezogenen Exegese findet sich u. a. in KD II/1, 468, wo Barth auf Christus als „das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses“ in Bezug auf die Rede von Gottes Geduld zu sprechen kommt, vgl. hierzu Kapitel B 1, Abschnitt 2.3.2.2. 59 Vgl. KD I/2, § 14,2 („Die Zeit der Erwartung“).

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Es ist deutlich, dass es sich in diesen drei Linien um Parallelen handelt, durch die das Alte Testament nicht christianisiert werden soll, wohl aber die Entscheidung der Kirche, es in der Einheit mit dem Neuen Testament zu lesen, insofern als eine begründete Entscheidung dargestellt wird, als in beiden Teilen der Bibel von demselben sich seinen Geschöpfen in Freiheit zuwendenden Gott die Rede ist.60 Eine besondere Rolle nimmt freilich der dritte Aspekt ein, indem hier ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Testamenten nach Barth darin besteht, dass das Neue Testament sowohl von dem kommenden als auch von dem gekommenen Gott zu berichten wisse (I/2, 128), während das Alte Testament von einer bereits geschehenen Ankunft des Erwarteten noch nichts sage (I/2, 110 f). Damit ist bereits jene Bestimmung des gegenseitigen Verhältnisses der beiden Testamente vorgezeichnet, die für die Auslegung alttestamentlicher Texte im Fortgang der KD prägend sein wird: die Bestimmung, nach der bei der Lektüre des Alten Testaments immer wieder Fragen offen bleiben, auf die das Neue Testament mögliche Antworten bietet.61

3. Die Frage nach dem Subjekt im hermeneutischen Prozess Die Bibel ist das geschriebene Wort Gottes, indem sie durch das Wirken des heiligen Geistes, welcher die Worte der menschlichen Schreiber genau dazu gebraucht, Zeugnis gibt von Gottes Offenbarung. Dieser Satz bildet, wie bereits erläutert, das Leitmotiv von Barths Schriftlehre in KD I/2. Er enthält zwei Implikationen, deren erste soeben entfaltet wurde in der Frage nach dem Gegenstand, von dem die Schrift Zeugnis gibt. Die zweite Implikation besteht in einem bestimmten Verständnis desjenigen Vorgangs, in dem sich das Verstehen der Schrift ereignet. Darin, dass die Schrift als „Zeugnis der Offenbarung“ bezeichnet wird, drückt sich bereits die Überzeugung aus, dass als Subjekt des hermeneutischen Prozesses weder der einzelne Ausleger noch die Kirche als Auslegungsgemeinschaft in Frage kommen. Verstehen der Schrift ereignet sich vielmehr dort, wo der Ausleger selbst ausgelegt wird, wo das vermeintliche Objekt der Schriftauslegung dem Ausleger „mit einer eigenen Forderung und Frage“ und damit als Subjekt gegenübertritt.62 60 Dementsprechend dient der gesamte Abschnitt nicht zuletzt der argumentativen Auseinandersetzung mit der in den 1930er Jahren in Deutschland wieder laut gewordenen Forderung, das Alte Testament aus der christlichen Bibel auszuscheiden, vgl. I/2, 86 f. Die Feststellung, dass beide Testamente von demselben Gott Zeugnis ablegen, verwehrt es Barth auch, bestimmte Teile des Alten Testaments als aus christlicher Sicht überholt zu betrachten. Vgl. dagegen Althaus, Grundriss der Dogmatik I, 67: „Aber auch unser Ja zu Jesus als dem Erfüller des Alten Testamentes ist ein Nein zu Zügen des Alten Testamentes.“ 61 Vgl. ausführlich Kapitel B 2, Abschnitt 2.3.3, sowie B 3, Abschnitt 2.5.2.3. 62 Vgl. Link, Leuenberg 1999, 106.

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Zur Erläuterung dessen, was Barth mit dem Subjektwechsel im Vorgang des Verstehens der Schrift meint, bietet es sich an, zunächst wieder einen Blick auf die frühen schrifthermeneutischen Aufsätze zu werfen. Hier hat Barth den Subjektwechsel selbst beschrieben, während in den Ausführungen von KD I/2 dessen Konsequenzen für die Schriftlehre und Schrifthermeneutik entfaltet werden.

3.1 Rückblick: Der Subjektwechsel Die anschaulichste Beschreibung des Subjektwechsels im Verstehen der Schrift findet sich in dem bereits erwähnten Aufsatz „Die neue Welt in der Bibel“ von 1917. Barth führt hier exemplarisch vor, wie im Verlauf des Versuchs, die Bibel zu verstehen, ein Rollentausch stattfindet, im Zuge dessen sich der Ausleger selbst durch die Bibel in Frage gestellt sieht. Die Frage: was steht in der Bibel? kehrt sich gerne in beschämender und bedrückender Weise um in die andre Frage: ja was willst denn du? Und wer bist denn du, der sich erlaubt, so zu fragen? (NW, 20 f)63

Wer nach dem Inhalt der Schrift fragt, der wird, so Barth, zunächst von der Schrift danach gefragt und darüber aufgeklärt, was er oder sie sich von seinem Fragen erwartet, mit welchem Vorverständnis dieses Fragen geschieht. Dies ist jedoch nur der erste Schritt, in dem die Bibel als Subjekt beschrieben wird. Noch dramatischer stellt sich nach Barth der Vorgang dar, in dem der zunächst über sich selbst aufgeklärte Ausleger nun über die Bibel und ihren Inhalt aufgeklärt wird. Es ist ein Geist in der Bibel, der läßt es wohl zu, daß wir uns eine Weile bei den Nebensachen aufhalten und damit spielen können, wie es unsre Art ist – dann aber fängt er an, zu drängen und was wir auch einwenden mögen: wir seien ja nur schwache, unvollkommene, höchst durchschnittliche Menschen! er drängt uns auf die Hauptsache hin, ob wir wollen oder nicht. Es ist ein Strom in der Bibel, der trägt uns, wenn wir uns ihm nur einmal anvertraut haben, von selber dem Meere zu. Die heilige Schrift legt sich selber aus, aller unsrer menschlichen Beschränktheit zum Trotz. (NW, 22)

In dieser Beschreibung ist zweierlei zu beachten. Zum einen wird das Verständnis der Bibel als Subjekt dahingehend präzisiert, dass es nicht die Bibel selbst, sondern „ein Geist in der Bibel“ ist, der als eigentliches Subjekt den 63 D. Bonhoeffer scheint diese Frage aufzunehmen, wenn er in seiner Christologie-Vorlesung von 1933 zur Frage des Menschen nach Christus formuliert: „Hier dreht sich seine [des Menschen] Frage um. Die Frage, die er an die Person Christi richtete, ,Wer bist Du?‘ kommt auf ihn zurück: Wer bist denn Du, daß Du so fragst? Bist Du in der Wahrheit, daß Du so fragst?“, vgl. DBW 12, 285 f.

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Prozess des Verstehens in Gang setzt. Dieser Geist zeichnet sich dadurch aus, dass er sowohl den Unwillen als auch die „Beschränktheit“ des menschlichen Auslegers als mögliche Verstehenshindernisse zu überwinden vermag. Dabei wird dem Ausleger – und dies ist der zweite wichtige Aspekt – jede Möglichkeit abgesprochen, in der Position eines distanzierten Beobachters zu verharren. Der spielerische Umgang mit den „Nebensachen“ wird als bloße Vorstufe zu einem wirklichen Verstehen beschrieben. Wo sich aber wirkliches Verstehen der Bibel ereignet, ist der Ausleger in höchstem Maße beteiligt, wenn auch mitunter gegen seinen Willen. Das Ziel dieses Vorgangs wird schließlich von Barth in folgende Worte gefasst:“[D]a geht uns die Bibel recht auf, wo uns in ihr die Gnade Gottes begegnet, leitet, zieht und wachsen läßt.“ (Ebd.) Der dramatische Vorgang, in dem sich wirkliches Verstehen der Schrift ereignet, hat das Ziel der Begegnung mit der Gnade Gottes. Der „Geist in der Bibel“ ist der Geist Gottes, der den Menschen in eine heilvolle Beziehung mit seinem Schöpfer stellen will. Es stellt sich freilich die Frage, wie Barth sich diese Begegnung vorstellt – oder präziser : wie er sich die Rolle des Auslegers in jener Begegnung denkt. Es ist bereits deutlich geworden, dass die Rolle eines distanzierten Zuschauers nicht in Frage kommt. Was aber meint Barth, wenn er schreibt, man müsse sich dem „Strom der Bibel […] nur einmal anvertraut haben“? Wird der Subjektwechsel am Ende durch den Perspektivwechsel des Auslegers ermöglicht oder gar vollzogen? Hier hilft ein Blick auf den Briefwechsel Barths mit A. v. Harnack weiter, in dem Barth dafür eintritt, „die eine Offenbarung Gottes“ als das „Thema der Theologie“ zu betrachten und daraus folgende Konsequenz zieht: „Die ,Wissenschaftlichkeit‘ der Theologie wäre dann ihre Gebundenheit an die Erinnerung, daß ihr Objekt zuvor Subjekt gewesen ist und immer wieder werden muß“. (BwH, 325 f) In dieser Beschreibung fällt nicht nur der wesentlich weniger dramatische Stil auf, sondern vor allem die Betonung der chronologischen Reihenfolge. Die Erkenntnis, dass im Hören auf die Schrift Gott selbst durch seinen Geist als Subjekt aktiv werden muss, damit es zu einem wirklichen Verstehen der Schrift – nämlich zu einer Vergegenwärtigung der Offenbarung – kommt, geschieht auf der Grundlage dessen und nachdem sich dieses wirkliche Verstehen und mithin das Handeln des Geistes durch die Schrift bereits ereignet hat. Es ist also nicht etwa der Ausleger, der durch seine Erkenntnis über die Notwendigkeit des Subjektwechsels diesen ermöglicht oder vollzieht, sondern es ist dieser Subjektwechsel selbst bzw. der ihn vollziehende und damit die Offenbarung vergegenwärtigende Geist Gottes, der bereits die Erkenntnis über seine Notwendigkeit ermöglicht. Dem Ausleger bleibt damit zunächst nichts anderes, als sich daran zu erinnern, es sich also immer wieder gesagt sein zu lassen und selbst damit ernst zu machen, dass ein wirkliches Verstehen der Schrift nicht durch seine Fertigkeiten oder exegetischen Methoden ge-

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schieht, sondern durch den Geist, der sich im Hören auf die Schrift vernehmen lässt.64

3.2 Das Ereignis der Offenbarung im Hören auf das Zeugnis der Schrift Anders als in den früheren Schriften Barths65 findet sich in der Schriftlehre in KD I/2 keine ausführliche Beschreibung des im Prozess des Verstehens der Schrift sich vollziehenden Subjektwechsels. Wohl aber wird die Erkenntnis, dass die in der Schrift bezeugte Offenbarung sich selbst (als handelndes Subjekt!) zu Gehör bringen muss, beständig vorausgesetzt und – insbesondere in § 19,266 – in ihren Konsequenzen entfaltet. Eine dieser Konsequenzen stellt die zentrale Beschreibung des Wortes Gottes als Ereignis dar.67 Die Frage, inwiefern die Bibel als Wort Gottes zu verstehen ist, lässt sich nach Barth nur im Hinblick auf jenes Ereignis positiv beantworten, in dem sich der dreieinige Gott zur Bibel als seinem Wort bekennt. Es handelt sich dabei um eine freie Entscheidung Gottes, der wir nicht dadurch vorgreifen können, daß wir […] nach der Bibel greifen, sondern deren Freiheit wir gerade, wenn wir in der rechten Weise nach der Bibel greifen, werden anerkennen müssen. (KD I/2, 569 f)

Gottes Handeln durch die Schrift, so hatte Barth bereits in KD I/1 formuliert, wird „Ereignis“, und zwar „nicht daraufhin, daß der Mensch nach der Bibel, sondern daraufhin, daß die Bibel nach dem Menschen gegriffen hat.“ (KD I/1, 113) Und er fährt fort: „Die Bibel wird also Gottes Wort in diesem Ereignis und auf ihr Sein in diesem Werden bezieht sich das Wörtlein ,ist‘ in dem Satz, daß die Bibel Gottes Wort ist.“ (Ebd.) Was bedeutet es, dass Barth so großen Wert auf dieses Ereignis legt? Es bedeutet zum einen eine Entmächtigung des Auslegers. Es gibt keine Fähigkeit auf Seiten des Auslegers, die es garantieren könnte, dass sich Gottes Reden in 64 Für Barth bedeutet dies unter anderem, dass das Gebet die menschliche Tat schlechthin im Vollzug der Schriftauslegung darstellt. Die Überzeugung, „daß man die heilige Schrift wirklich nicht ohne Gebet, d. h. ohne Anrufung der Gnade Gottes lesen und verstehen kann“ (KD I/2, 767), findet sich sowohl in den frühen als auch in den späteren schrifthermeneutischen Äußerungen Barths, vgl. u. a. Menschenwort und Gotteswort, 455; UCR I, 156, 350; Die Kirche und die Kultur, 13; Not und Verheißung, 97, sowie KD I/2, 570, 585, 590, 597, 767, 779, 781 f. Kirschstein nimmt diese Stellen zum Anlass, „die Doxologie als erkenntnisleitendes Interesse der Biblischen Hermeneutik Karl Barths“ zu bezeichnen, vgl. ders., Der souveräne Gott, 197. 65 Als weiteres Beispiel neben dem Aufsatz Die neue Welt in der Bibel ist auf die Anselmschrift Fides quaerens intellectum zu verweisen, vgl. besonders FQI, 46 f. 66 Der Titel dieses Abschnitts „Die Bibel als Wort Gottes“ weist bereits darauf hin, dass Barth hier in erster Linie der Frage nachgeht, inwiefern von Gott als dem sich durch die Bibel offenbarenden Subjekt die Rede sein kann. 67 Zur Bedeutung des Ereignis-Begriffs für Barths Schriftlehre und seine Ethik vgl. Lienemann, Das Gebot Gottes, bes. 164 – 170.

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seiner Schriftlektüre ereignet. Die einzige Gewissheit, auf die er sich stützen kann, besteht in der Erinnerung, dass sich dieses Reden ereignet hat. Diese Erinnerung soll wiederum die Erwartung wecken, dass es sich wieder ereignen wird (vgl. KD I/2, 557 bzw. 588 f68). Zum anderen richtet sich Barths Betonung des Ereignischarakters gegen eine allzu statische Vorstellung von der Bibel als Wort Gottes. Dass sie das Wort Gottes genannt wird, geht nicht auf eine bestimmte Eigenschaft der Bibel zurück, sondern allein darauf, dass sie es je und je im Ereignis des Redens Gottes wird.69 Die Betonung dieses Ereignisses hat Barth vor allem von lutherischer Seite immer wieder den Vorwurf eines „aktualistischen“ Schriftverständnisses eingehandelt.70 Hier werde Gott gezwungen „zu einer Freiheit, die er nicht haben will“.71 In der Folge werde „das praktische, alltägliche Leben der Kirche“72 insofern gehemmt, als die Klarheit des äußeren Wortes vernachlässigt, der Subjektivität des Auslegers dagegen Tor und Tür geöffnet werde. Dagegen ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass „der vielbeachtete ,Aktualismus‘ Barths seine Begründung und seinen eigentlichen Ort“ in jenem „personalen Charakter“ des Wortes Gottes hat,73 den festzuhalten ein genuines Anliegen auch der lutherischen Schriftlehre ist.74 Wer mit den Reformatoren für die Autorität der Schrift in der Gegenwart eintritt, wird gerade darin eine der unverzichtbaren Erkenntnisse von Barths Schriftlehre sehen, dass die Kirche von der immer wiederkehrenden Begegnung mit dem Wort Gottes lebt, aber nicht nach dessen Besitz strebt.75 Schließlich muss von der Betonung des Ereignisses des Redens Gottes durch die Schrift noch einmal auf die Rede von der Einheit der Schrift zurückgeblickt werden. Auch deren Erkenntnis geschieht, so Barth, für die Kirche je und je als 68 Barth verwendet in diesem Zusammenhang das Bild von einem Menschen, der an ein Tor klopft und darauf wartet, dass es sich öffnet. Auch wenn wir wüssten, dass „sich das Tor der biblischen Texte nur von innen öffnen“ könne, mache es dennoch einen Unterschied, „ob wir vor diesem Tor verharren oder von ihm weglaufen zu anderen Toren“, „ob wir Einlaß begehrend an dieses Tor anklopfen oder ob wir ihm träge gegenüber sitzen bleiben.“ (I/2, 593, vgl. I/2, 910, 957). 69 Vgl. Herms, Phänomene des Glaubens, 392, der das Anliegen Barths aufnimmt, indem er dafür eintritt, „daß man das Wesen der Heiligen Schrift, das, was sie ist, nur aus ihrer Funktion heraus verstehen kann.“ 70 Vgl. etwa Rothen, Die Klarheit der Schrift II, 128 – 136, sowie Pçhlmann, Analogia entis, 122. 71 Vgl. Rothen, a. a. O., 131. 72 Vgl. Rothen, a. a. O., 132. 73 Vgl. Kirschstein, Der souveräne Gott, 198. 74 Vgl. etwa Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium, 99, der unter Verweis auf Luthers Rede von der „indispositio“ und „rebellio“ von Seiten des Menschen gegenüber dem Wort Gottes (vgl. Luther, Disputatio contra scholasticam theologiam, WA 1, 225,29) bemerkt: „Das persönliche Verhältnis, in dem sich diese Offenbarung vollzieht, kann nie und nimmer in ein sachliches umgewandelt werden“. 75 K. Schwartz macht darauf aufmerksam, dass schon J.J. Rambach gegenüber der „theologia regenitorum in der Hermeneutik“ des hallischen Pietismus dafür eingetreten sei, dass „die Schrift sich dem Ausleger nur in actu öffnen“ lasse, Schwartz, Analogia fidei, 182. Rambach habe somit „die Statik des Pietismus wieder zur Dynamik“ (ebd.) verwandelt.

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unverfügbares „Ereignis“ (I/2, 534) und lässt sich deshalb nicht als „ein verborgenes geschichtliches oder begriffliches System, eine Heilsökonomie oder eine christliche Weltanschauung“ (I/2, 535) durchsichtig machen. 3.3 Der biblische Kanon imponiert sich selbst Eine der anschaulichsten Konsequenzen der Rede von der Schrift bzw. von der in der Schrift sich selbst bezeugenden Offenbarung als Subjekt des hermeneutischen Prozesses findet sich in Barths Verständnis von der Bibel als Kanon. Schon in KD I/1 spricht Barth davon, dass die Bibel „sich selbst zum Kanon“ mache, indem sie sich „als solcher der Kirche imponiert hat und immer wieder imponiert.“76 (I/1, 110) In KD I/2 wird Barth präziser. Wieder betont er, dass „gerade diese Schriften kraft dessen, daß sie kanonisch waren, selbst dafür gesorgt [haben], daß gerade sie später als kanonisch auch anerkannt und proklamiert werden konnten.“ (I/2, 525) Zur eigentlichen Begründung dieser Anerkennung äußert er sich jedoch folgendermaßen: Wir sagen, indem wir den kirchlichen Kanon annehmen: daß nicht die Kirche, sondern die die Kirche begründende und regierende Offenbarung selbst gerade diese Zeugnisse und keine anderen als Offenbarungszeugnisse und also als für die Kirche kanonisch bezeugt. (I/2, 525)

Nicht die Kirche und ihre Synoden und auch nicht die Schrift an sich kraft ihrer Eigenschaften, sondern die in der Kirche durch die Schrift sich selbst bezeugende Offenbarung – und damit Gott selbst – ist für die Entstehung, Auswahl und Bezeugung des Kanons verantwortlich.77 Die Kirche konnte den von Gott eingesetzten Kanon lediglich „als schon geschaffenen und ihr gegebenen Kanon nachträglich […] feststellen“ (I/2, 524).78 Barth unterscheidet damit in der Entstehung des Kanons zwischen der göttlichen Entscheidung und dem menschlichen Urteil der Kirche,79 was zur 76 „Sich Imponieren“ muss in diesem Zusammenhang im Sinne von „sich aufdrängen“ verstanden werden, so dass zum einen die Kirche als Objekt stets mitgedacht wird und zum anderen der dynamische Aspekt mitbedacht wird. Keineswegs handelt es sich um eine ausschließlich reflexive, sich selbst genügende oder um eine einmal geschehene endgültige Aktion des Kanons, wie eine Umschreibung mit „sich einsetzen“ nahelegen könnte. 77 Zum wiederholten Male verwendet Barth das Verb „bezeugen“ in diesem Zusammenhang sowohl reflexiv als auch transitiv, wobei in diesem Fall nicht zwei verschiedene Subjekte für ein Objekt Zeugnis geben, sondern ein Subjekt (die Offenbarung) Zeugnis gibt sowohl für sich selbst als auch für die biblischen Schriften als Kanon. 78 Vgl. die entsprechende Formulierung bei Schlink, Ökumenische Dogmatik, 634: „Die Abgrenzung des biblischen Kanons war somit kein produktiver, sondern ein rezeptiver Akt der Kirche.“ 79 U. Körtners Darstellung der Entwicklung von Barths Kanonverständnis zwischen den frühen

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Folge hat, dass er den in der Kirche geltenden Kanon prinzipiell für offen hält.80 Eine Veränderung des von der Kirche erkannten Kanons sei freilich nicht Sache einzelner Theologinnen und Theologen, sondern wäre „sinnvoll und legitim nur als ein kirchlicher Akt, d. h. in Form einer ordentlichen und verantwortlichen Entschließung eines verhandlungsfähigen Kirchenkörpers“ (I/2, 530).81 Auch ein solcher kirchlicher Akt dürfte jedoch nicht mit jener göttlichen Entscheidung verwechselt werden. Die Kirche habe gegenüber dem Kanon die Stellung „eines Zeugen und Wächters“, aber nicht „die eines Garanten seiner göttlichen Autorität“ (I/2, 532). Sie dürfe sich in ihrem Eintreten für den Kanon auf keinen Fall an die Stelle Gottes setzen, wie dies in der Gleichsetzung der göttlichen Entscheidung mit dem kirchlichen Urteil unweigerlich der Fall wäre und nach Barths Auffassung zur Zeit der nachreformatorischen Orthodoxie tatsächlich der Fall war (vgl. I/2, 531 f).82

Dogmatik-Entwürfen von 1924/1927 und KD I/2 muss in dreierlei Hinsicht in Frage gestellt bzw. präzisiert werden. Zum einen: Körtner betont einseitig, Barth habe in seinen früheren Entwürfen „die Kirche als Subjekt der Kanonbildung“ betrachtet (vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 125). Dagegen ist festzuhalten, dass Barth schon in dem frühen Aufsatz „Das Schriftprinzip der reformierten Kirche“ (1925) eindeutig zwischen der göttlichen Auswahl des Kanons und seiner Anerkennung durch das menschliche Urteil der Kirche unterscheidet: „Der Akt ist göttlich, das Ergebnis als solches menschlich, relativ, wandelbar.“ (A.a.O., 511) Folgerichtig plädiert Barth schon hier dafür, den von der Kirche erkannten Kanon als „grundsätzlich nicht abgeschlossen“ (ebd.) zu betrachten. Entsprechende Belege finden sich auch in den frühen Dogmatik-Entwürfen, vgl. UCR I, 282 – 285 bzw. CD, 439 – 442. Zum zweiten: Barths Behauptung einer formalen Autorität der Schrift aufgrund dessen, dass es sich in ihr um die Schriften der ersten bzw. unmittelbaren Offenbarungszeugen handle, wird in KD I keineswegs, wie Körtner annimmt, fallen gelassen (vgl. Kçrtner, a. a. O., 126), vgl. hierzu KD I/2, 537 – 545. Zum dritten: Wenn Körtner behauptet, dass Barth in KD I „die Schrift selbst als Subjekt [der Kanonentstehung] betrachtet“, die sich „kraft ihres besonderen Inhalts“ als Kanon durchgesetzt habe (Kçrtner, a. a. O., 125 f), so verzichtet er auf die oben angestellte Präzisierung, dass nach Barths Vorstellung nicht die Schrift als solche, sondern der sich in der Schrift bezeugende und dadurch die Schrift als Kanon bezeugende Gott als eigentliches Subjekt die Auswahl des Kanons und dessen Anerkennung in der Kirche verantwortet. 80 Entsprechend erinnert Barth in einem kirchengeschichtlichen Exkurs an die Diskussionen um die Gestalt des Kanons im Zuge der Reformation (I/2, 527 – 530), wobei er besonderen Wert auf die Feststellung legt, dass die „Legitimität“ dieser Diskussionen nicht nur in der lutherischen, sondern auch in der römischen und in der reformierten Kirche ausdrücklich „anerkannt“ worden sei (I/2, 529). Ähnlich wie Barth hält es auch Althaus für „theologisch unmöglich, die von der alten Kirche gezogene Grenze zu dogmatisieren, den Kanon unbedingt zu schließen.“ Althaus, Grundriss der Dogmatik I, 61. Anders als Barth geht Althaus jedoch noch einen Schritt weiter, indem er den „pseudonymen und späten“ Zweiten Petrusbrief als möglichen Kandidaten einer Verkleinerung des Kanons nennt. Vgl. Althaus, a. a. O., 61 f. 81 Zur Frage der Veränderbarkeit des in der Kirche geltenden Kanons vgl. auch KD I/2, 671 f. 82 Ähnlich verheerend fällt wiederum das Urteil von Althaus zur Schriftlehre der Orthodoxie aus: „Die orthodoxe Theorie der Schrift hat damit die reformatorische Lehre in wesentlichen Zügen entstellt und zerstört“, vgl. Althaus, a. a. O., 57.

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3.4 Die dreifache Inspiration der Schrift Die Ausführungen Barths zur Inspiration der Schrift zielen in eine ganz ähnliche Richtung wie die Überlegungen zum Ereignis des Wortes Gottes und zum biblischen Kanon.83 Barth plädiert für ein umfassendes und dynamisches Verständnis der Inspiration. Die Inspiration der Schrift geht auf Gott als alleiniges Subjekt zurück und schließt den Akt des Lesens mit ein. Daraus ergibt sich nach Barth die Notwendigkeit, von einer dreifachen Inspiration der Schrift zu sprechen. Ausgehend von zwei Stellen aus dem Corpus Paulinum, nämlich 2 Kor 3,4 – 18 und 1 Kor 2,6 – 16, erläutert Barth, wie er diese dreifache Inspiration versteht: Mit allen anderen Menschen steht auch der [biblische] Zeuge vor dem Geheimnis Gottes und der Wohltat seiner Offenbarung. Daß dies Geheimnis sich ihm erschließt, das ist das Erste, daß er davon reden kann, das ist das Zweite im Wunder seiner Existenz als Zeuge. Aber noch einmal müßte das Geheimnis Gottes, jetzt als das dem menschlichen Zeugen anvertraute, Geheimnis bleiben, […] wenn seine Selbsterschließung nicht weiter geht, nun auch in seiner Gestalt als menschliches Zeugnis, wenn nicht derselbe Geist, der dieses Zeugnis als solches geschaffen, den Menschen, den Hörern und Lesern Zeugnis gibt von dessen Wahrheit. Diese Selbsterschließung in ihrer Totalität ist die Theopneustie, die Inspiration des Propheten- und Apostelwortes. (I/2, 573)

Barth unterstreicht am Beispiel des Paulus, dass zum einen dessen Bekehrung, sodann dessen (schriftliche wie mündliche) Verkündigung, aber auch drittens die verstehende Lektüre der paulinischen Briefe durch die Gemeinde nicht ohne das Wirken des Heiligen Geistes zu denken ist (ebd.).84 Wiederum den Vertretern der Orthodoxie wirft Barth vor, insbesondere den dritten Vorgang der Inspiration vernachlässigt zu haben (I/2, 580 – 585). Die Inspirationslehre sei, ähnlich wie bereits in der Alten Kirche (I/2, 573 – 577), auf den Vorgang der Abfassung der biblischen Schriften reduziert worden. Nur so habe sich die orthodoxe Inspirationslehre mit ihrer Beschreibung der Inspiration als eines göttlichen Diktats wieder zu jener Lehre von der „Verbalinspiriertheit“ (I/2, 575) der Schrift entwickeln können. Barth entlarvt den scheinbaren Supranaturalismus jener Lehre als einen „Exponent[en] des großen Säkularisierungsprozesses“ (I/2, 580), der dann im Zuge der Aufklärung offen zu Tage getreten sei. Indem die orthodoxe Lehre die Inspiration als eine Sache „natürlicher […] Gotteserkenntnis“ zu erklären versuchte, leugnete sie, so Barth, die sich bis in den Akt des Lesens erstreckende „Souveränität des Wortes 83 Vgl. zum Folgenden den gesamten Abschnitt KD I/2, 571 – 585. 84 U. Körtner sieht in dieser Erweiterung des Inspirationsverständnisses eine weitere Möglichkeit, Barths Schriftlehre mit einer rezeptionsästhetischen Hermeneutik ins Gespräch zu bringen, vgl. ders., Schriftwerdung des Wortes, 119 bzw. 122 f.

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Gottes“ (ebd.). So habe die orthodoxe Inspirationslehre notwendig als ein „theologischer Kinderschreck“ (I/2, 584) enden müssen, was zur Folge gehabt habe, dass die Rede von der Inspiration der Schrift insgesamt in Verruf gekommen sei. Damit sei aber nicht weniger verloren gegangen als „der Ausblick auf den Zusammenhang des Wortes Gottes in der Bibel mit dem Werk Jesu Christi für uns und mit dem Werk des Heiligen Geistes an uns“ (ebd.). 3.5 Die Bedeutung der Schriftlichkeit: Die Schrift als Gegenüber der Kirche Unmittelbar im Zusammenhang mit der Frage nach dem Subjekt im hermeneutischen Prozess stehen auch Barths Überlegungen zur Schriftlichkeit der Bibel. Diese erhalten ihre besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass die theologische Tradition die Schriftlichkeit der Bibel in der Regel als einen Mangel betrachtete.85 Ganz anders Barth, für den gerade mit der Schriftlichkeit des biblischen Kanons zugleich „seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit und also seine freie Macht gegenüber der Kirche“ (I/1, 107) gegeben ist.86 Das Verhältnis zwischen der Bibel als „geschriebenem Wort“ (ebd.) einerseits und der Kirche andererseits, das in dieser Einschätzung bereits anklingt, ist das Thema der Paragraphen 20 – 21, mit denen Barth seine Schriftlehre abschließt. Er zieht hier die Konsequenzen aus dem grundlegenden Paragraph 19, der sich mit der Bibel als solcher bzw. ihrem Verständnis als Wort Gottes beschäftigt. Für Barth ist das Verhältnis zwischen Bibel und Kirche wesentlich davon geprägt, dass der Bibel im Raum der Kirche „unmittelbare, absolute und inhaltliche Autorität“ bzw. „Freiheit“ zukommt, während die Kirche für sich selbst nur eine „mittelbare, relative und formale Autorität“ bzw. „Freiheit“ beansprucht.87 Die unmittelbare Autorität und Freiheit der Schrift hängt nach Barth entscheidend mit der Tatsache zusammen, dass die Schrift als Buch und in der Gestalt von Buchstaben „unveränderlich da ist“ (I/2, 648). Wiederum erklärt er, dass es zwar nicht darum gehe, „das Buch und die Buchstaben, sondern die Stimme der Menschen, die durch das Buch und die Buchstaben vernehmlich 85 In J.G. Hamanns Tagebuch eines Christen wird die negative Sichtweise der Schriftlichkeit der Bibel – trotz der mit ihr einhergehenden kondeszendenztheologischen Würdigung – besonders pointiert zum Ausdruck gebracht, vgl. N I, 9,22 – 25: „Gott offenbaret sich – der Schöpfer der Welt ist ein Schriftsteller – was für ein Schicksal werden seine Bücher erfahren müssen, was für strengen Urtheilen, was für scharfsinnigen Kunstrichtern werden seine Bücher unterworfen seyn?“ Einen kurzen Überblick über die „schriftkritische Tradition im Christentum und auch im Protestantismus“ vermittelt Lauster, Zwischen Entzauberung und Remythisierung, 26 – 30. 86 In dieser positiven Würdigung der Schriftlichkeit des Kanons ist wiederum eine deutliche Parallele zur rezeptionsästhetischen Bibelhermeneutik zu erkennen. Letztere führt den Gedanken der Unabhängigkeit der biblischen Texte freilich weiter, indem sie ihn auf das Verhältnis zwischen Text und Autor anwendet, vgl. Kçrtner, Der inspirierte Leser, 57 f. 87 Vgl. die Leitsätze zu §§ 20 und 21, KD I/2, 598 bzw. 741.

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werden, und in der Stimme dieser Menschen die Stimme dessen, der sie einst reden hieß“ (I/2, 647), zu hören und als Autorität anzuerkennen. Aber dass diese Autorität sich selbst in der Gestalt von Buchstaben „als konkrete Autorität“ (ebd.) zu erkennen gebe, bewahre die „Neuheit, Fremdheit und Überlegenheit“ der Schrift (I/2, 649) – trotz aller Umdeutungen und Missbräuche.88 Das „Faktum der Heiligen Schrift“ (I/2, 644) ist für Barth nicht weniger als die „der Kirche konkret auferlegte Notwendigkeit“ der „Unterscheidung zwischen ihrer [eigenen] Autorität und der Autorität Christi“ (ebd.).89 In der Charakterisierung der Schrift als Gegenüber der Kirche muss ein wesentlicher Grund dafür gesehen werden, dass Barth in seiner Auslegungspraxis vor expliziten und endgültigen Abwertungen bestimmter biblischer Texte bis auf wenige Ausnahmen90 zurückschreckt. 3.6 Ein „erkenntnistheoretischer Fehlgriff“? Der soeben mitsamt seinen wichtigsten Konsequenzen erläuterte Subjektwechsel im Vorgang des Verstehens der Schrift lässt sich als ein Spezialfall jenes grundsätzlichen Subjektwechsels verstehen, welcher als eine der zentralen Forderungen der Vertreter der „Theologie des Wortes Gottes“91 bezeichnet werden kann. Dieser sieht vor, Theologie nicht als eine Selbstreflexion des glaubenden Menschen, sondern als ein Nach-Denken der Selbstmitteilung bzw. der Offenbarung Gottes zu verstehen.92 Gegen diese Forderung wurde kritisch eingewendet, dass jener Subjektwechsel seinerseits durch Menschen vollzogen werde und sich folglich als ein „erkenntnistheoretischer Fehlgriff“ erweise.93 Es ist hier nicht der Raum, diesen Vorwurf in seiner grundsätzlichen Form zu erörtern,94 wohl aber stellt 88 Barth erläutert, dass nicht nur die Reformation des 16. Jahrhunderts, sondern jede Reformation in der Kirche auf jene absolute Autorität und Freiheit der Schrift im Raum der Kirche zurückzuführen sei, vgl. I/2, 648 – 650. Auch in diesem Zusammenhang unterlässt er es freilich nicht zu erwähnen, dass diese Autorität und Freiheit dem diene, dass sich das der Kirche gegenüber „eigene, selbständige Reden Christi durch seine Zeugen“ (I/2, 648) ereigne. 89 U. Körtner bemerkt völlig zu Recht, dass der Schriftlichkeit der Schrift damit über ihre historische Faktizität und Notwendigkeit hinaus eine theologische Relevanz zugesprochen wird. Vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 118 f bzw.124. 90 Vgl. Teil C, Abschnitt 2.2.3. 91 E. Jüngel plädiert mit guten Gründen dafür, die nach dem Ersten Weltkrieg entstehende theologische Bewegung um Barth, E. Thurneysen, F. Gogarten und R. Bultmann als „Theologie des Wortes Gottes“ und nicht etwa als „Dialektische Theologie“ zu bezeichnen, vgl. JRngel, BarthStudien, 127. 92 Vgl. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, bes. 217: „Und eben so genau ist zu bedenken, daß es mit unsrer Aufgabe so steht, daß von Gott nur Gott selber reden kann.“ Vgl. ebenfalls E. Brunner, Die Offenbarung als Grund und Gegenstand, bes. 306 f. 93 Vgl. Wagner, Protestantismus, 49. 94 Immerhin sei festgestellt, dass die Kritik Wagners dem Problembewusstsein, von welchem etwa

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sich die Frage, ob der Subjektwechsel in Barths Schriftlehre durch ihn getroffen wird. Zweifellos gilt, dass die Feststellung, die Offenbarung habe sich im Hören auf die Schrift selbst kundgetan, immer nur von Menschen getroffen werden kann. Allerdings ist daran zu erinnern, dass Barth jene Feststellung allein in der Form der Erinnerung und Erwartung eines sich je neu einstellenden Ereignisses gelten lässt. Es geht ihm nicht darum, mit der Rede von der Selbstmitteilung der Offenbarung eine irgendwie gesicherte Erkenntnisgrundlage zu schaffen, um von dieser aus unbestreitbare theologische Aussagen treffen zu können. Vielmehr besteht das Anliegen des Subjektwechsels in Barths Schriftlehre darin, wahres Verstehen der Schrift als ein Glauben stiftendes Geschehen verständlich zu machen, welches weder durch bestimmte technische Fertigkeiten noch durch eine bestimmte religiöse Haltung herbeigeführt werden kann. Barth folgt damit der grundlegenden reformatorischen Einsicht, dass christlicher Glaube zwar „ein Akt des Menschen“ ist, dieser Akt aber allein durch das „Wollen und Wirken Gottes selbst“ zustande kommt.95

4. Konsequenzen für die Schriftauslegung Im Rahmen der Darlegung des Verhältnisses zwischen Schrift und Kirche in KD I/2, §§ 20 – 21 stellt Barth einige Überlegungen zu den Konsequenzen an, die sich aus seiner Schriftlehre für die in der Kirche zu übende Praxis der Schriftauslegung ergeben. Für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Barths Schriftlehre und seiner Schriftauslegung sind diese natürlich von besonderem Interesse. 4.1 Schriftauslegung als Akt der Freiheit unter dem Wort Zunächst ist zu betonen, dass die Schriftauslegung für Barth zur Freiheit der Kirche unter dem Wort gehört. Indem die Kirche die Schrift auslegt, betätigt sie ihre eigene, mittelbare Freiheit, übernimmt sie selbst Verantwortung dafür, dass und wie sich die unmittelbare Freiheit der Schrift96 in der Kirche ereignet. die frühen Aufsätze Barths zeugen, bei weitem nicht gerecht wird. Die Unmöglichkeit des Menschen, von Gott zu reden, wird ja von Barth vehement betont: „Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden.“ Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 206. 95 Vgl. Herms, Offenbarung und Glaube, VIII: „Als tragender und maßgeblicher Ursprung des christlichen Lebens im Glauben kommt nichts anderes in Betracht als eben jenes Geschehen, daß sich das Wollen und Wirken Gottes selbst dem Glauben präsentiert und sich durch diese Selbstvergegenwärtigung (Selbstpräsenz) dem Hingabeakt des Glaubens als dessen Grund und Gegenstand gewährt.“ (Hervorhebungen im Text) 96 Die Freiheit der Schrift entfaltet Barth in § 21,1 als ihre Macht, die Kirche zu gründen, zu

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Da an der „Freiheit unter dem Wort“ (so der Titel von § 21,2) grundsätzlich alle Menschen in der Kirche partizipieren, ist auch die Aufgabe der Schriftauslegung „allen Gliedern der Kirche und nicht etwa nur einem besonderen Schriftgelehrtenstand auferlegt“ (I/2, 801). Mit dieser Infragestellung exegetischer Exklusivansprüche folgt Barth jenem reformatorischen Anliegen eigenverantworteter Schriftauslegung, welches sich bereits in der Bibelübersetzung Martin Luthers widerspiegelt.97 Es wird sich im Verlauf dieser Studie zeigen, dass jenes emanzipatorische Anliegen, welches die Freiheit zur Schriftauslegung nicht nur einem bestimmten „Schriftgelehrtenstand“ einräumt, ein wichtiges Merkmal von Barths eigener Auslegungspraxis darstellt. Dass die „Freiheit unter dem Wort“ gleichwohl nur eine relative Freiheit ist, unterstreicht Barth, indem er sie definiert als den „frei vollzogenen Akt der Unterordnung aller menschlichen Vorstellungen, Gedanken und Überzeugungen unter das in der Schrift vorliegende Offenbarungszeugnis.“ (I/2, 802) Das emanzipatorische Anliegen in Barths Schriftlehre richtet sich folglich gegen die Gefahr, dass bestimmte kirchliche oder wissenschaftliche Instanzen eine exegetische Monopolstellung für sich in Anspruch nehmen.98 Als absolutes Prinzip oder als eine Relativierung der Schriftautorität wäre es dagegen missverstanden – und würde sich letztlich auch ad absurdum führen. Die Autorität der Schrift in der Kirche ist gemeinsam mit dem Verzicht auf exegetische Exklusivansprüche die Voraussetzung dafür, dass es zu der von Barth beschriebenen Freiheit unter dem Wort kommt.99

erhalten und zu regieren. Dabei stellt er fest: „Wir sagen dasselbe, wenn wir sagen: Jesus Christus regiert die Kirche – wie wenn wir sagen: die heilige Schrift regiert die Kirche.“ (I/2, 776) Es handelt sich also bei der Freiheit der Schrift nicht um eine unabhängige Freiheit, sondern um die Freiheit, in der der dreieinige Gott die Schrift dazu gebraucht, in der Kirche zu wirken. 97 Vgl. Fricke, Dem Volk aufs Maul sehen, 25. Das emanzipatorische Anliegen der Reformation kommt besonders deutlich zum Ausdruck in Luthers Streitschrift Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urtheilen und Lehrer zu berufen, ein und ab zu setzen (WA 11, 408 – 416). Dass jene Abhandlung den Untertitel Grund und Ursach aus der Schrift trägt, ist bezeichnend dafür, welchen Stellenwert Luther der Schriftauslegung für eine emanzipierte christliche Gemeinde beimisst. Vgl. ebenfalls die Auseinandersetzung mit Cajetan 1518 in Augsburg, in der Luther das Auslegungsmonopol des Papstes bestreitet, „cum Papa non super, sed sub verbo dei sit“. WA 2, 11,2 – 4. Zu Luthers Verhör durch Cajetan vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 72 – 74. 98 In eine ähnliche Richtung zielt das Anliegen von Chr. Schramm, der dafür wirbt, die biblische Exegese nicht nur als eine Angelegenheit von „Auslegungsspezialisten“ zu betrachten, vgl. Schramm, Alltagsexegesen, 14. 99 Wer wie F. Wagner den „Autoritätsanspruch“ der biblischen Schriften einseitig gegen das neuzeitliche „Prinzip der theoretisch selbstdenkenden und praktisch autonomen Vernunft“ ausspielt und davon ausgehend die Aufhebung des Schriftprinzips fordert, muss sich darüber im Klaren sein, dass damit auch das emanzipatorische bzw. ideologie- und traditionskritische Potential eigenverantworteter Schriftauslegung aufgegeben wird. Vgl. Wagner, Protestantismus, 68 – 88, bes. 69.

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4.2 Schriftauslegung und Schrifterklärung Im weiteren Verlauf von § 21,2 unterscheidet Barth zwischen drei „praktischen Momenten des Vorgangs der Schrifterklärung“ (I/2, 810), nämlich dem der „Beobachtung“ (ebd.), des „Nachdenkens“ (I/2, 815) sowie der „Aneignung“ (I/2, 825).100 Innerhalb dieser Unterscheidung ist zunächst auffällig, dass der Begriff der „Auslegung“ (I/2, 810) lediglich eine Umschreibung des ersten Moments darstellt. Barth unterscheidet also in diesem Zusammenhang zwischen „Schrifterklärung“ als Oberbegriff und „Schriftauslegung“ als einem Teilaspekt. Die Schriftauslegung ist „noch ganz dem sensus des Schriftwortes als solchem zugewandt“, sie ist „noch ganz explicatio“ (ebd.) und somit eine Vorstufe jener „applicatio“ (I/2, 825), die sich im dritten Schritt der „Aneignung“ vollzieht und im zweiten Schritt des „Nachdenkens“ vorbereitet wird. Barth betont, dass die Unterscheidung dieser Teilaspekte nicht im Sinne einer zeitlichen Reihenfolge oder „abstrakt für sich“ (ebd.) zu vollziehender Akte gemeint sei. Es gehe ihm vielmehr um eine sachliche Unterscheidung der beiden Fragerichtungen nach dem „sensus“ sowie dem „usus“ bestimmter biblischer Texte. Für das „eine Ganze der Schrifterklärung“ (ebd.) hält Barth jedoch alle drei Momente für notwendig. Es gibt keine Aneignung des Wortes Gottes ohne Beobachtung und Nachdenken. Es gibt allerdings auch kein legitimes Beobachten und Nachdenken des uns im Schriftwort Vorgesagten, wenn es nicht, in derselben Linie weitergehend, auch zu dessen Aneignung käme. (Ebd.)

In der Beschreibung des ersten Moments der „Beobachtung“ bzw. „Auslegung“ des Textes wird Barth konkreter. Er gliedert diesen in eine literarische und eine historische Teilaufgabe (I/2, 811 f). Erstere fragt nach der Bedeutung der einzelnen Worte und Wortgruppen, betreibt Quellenkunde sowie grammatikalische, lexikographische, syntaktische und stilistische Studien. Die historische Frage richtet sich dagegen auf das in den biblischen Texten berichtete Geschehen. Dabei ist sie sich darüber im Klaren, dass sie immer nur ein bestimmtes, allerlei subjektiven Bedingungen unterworfenes Bild von diesem Geschehen zeichnen kann. Schon in der „Beobachtung“ der Texte muss ein Ausleger deshalb die doppelte Bereitschaft mitbringen, einerseits „alle uns zur Verfügung stehenden, also alle uns bekannten historischen, universal-historischen und geschichtsphilosophischen Möglichkeiten“ ein100 Körtner vermutet, Barth greife in dieser Dreiteilung „die auf den Pietisten J.J. Rambach (1723) zurückreichende hermeneutische Unterscheidung von subtilitas explicandi, intellgendi und applicandi“ auf (Kçrtner, Schriftwerdung, 108). Er folgt damit einer vielfach rezipierten Bemerkung H.G. Gadamers (vgl. ders, Wahrheit und Methode, 312), die jedoch inzwischen als eine auf einer Verwechslung beruhende irrtümliche Zuschreibung erwiesen wurde, vgl. Kisbali, In Pursuit of a Phantom Quotation, 50 – 56, bes. 53 f, sowie Danneberg, Epistemische Situationen, 206 f.

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zusetzen, sodann aber auch „den Kreis dieser Möglichkeiten gegebenenfalls neu bestimmen, erweitern und eventuell sprengen und erneuern zu lassen.“ (I/ 2, 812) Eine solche Erweiterung hält Barth dann für notwendig, wenn es die „Treue gegenüber dem Gegenstandsbild“ der biblischen Texte – hier umschrieben als „der Name Jesus Christus“ (I/2, 814 f) – erfordert. Gleiches gilt für den Moment des „Nachdenkens“, in welchem ein Exeget seine immer schon mitgebrachte „Philosophie“ einsetzt und sich dabei der „wesentlichen Distanz zwischen dem uns vorangehenden Denken der Schrift und unserem eigenen, durch unsere Philosophie bestimmten nachfolgenden Denken bewusst bleiben“ muss (I/2, 819). Über die „Richtigkeit der Denkweise“ entscheide wiederum „das im Text sichtbare Gegenstandsbild“ (I/2, 823).101 Schließlich wird auch für den dritten Moment der „Aneignung“ festgehalten, dass diese ihre Grundlage darin habe, dass „der Gegenstand“ der Schrift, nämlich Christus, „nicht ohne uns“, sondern „in Gemeinschaft mit uns und in dieser Gemeinschaft für uns sein“ will (I/2, 826). Wer also nach der Bedeutung der Schrift für das eigene Leben fragt, wird letztlich immer bei jenem Gegenstand landen, der „unser Vertrauen als ein völliges Vertrauen“ fordert, so dass es letztlich „der gehorsame Glaube“ ist, in dem „die Betätigung der uns gegebenen Freiheit unter dem Wort“ besteht (I/2, 830). Es ist festzuhalten, dass Barth den Vorgang der Schrifterklärung nicht bloß als eine intellektuelle Tätigkeit versteht, sondern die praktische Anwendung in Bezug auf das eigene Leben in der Frage nach dem usus scripturae für einen integralen Bestandteil der Schrifterklärung hält.102 Es stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Bezeichnung der Schrifterklärung als Gehorsamsakt mit deren Charakterisierung als ein Vollzug christlicher Freiheit verträgt. Hierauf wäre mit Barth zunächst zu antworten, dass eine Freiheit, die nicht als eine freie Bindung an Christus geschieht, jedenfalls im Raum der Kirche keine wirkliche Freiheit sein könnte, sondern lediglich eine – unter Umständen unbewusste – Bindung an andere Herren oder Weltanschauungen. Sodann ist aber an die oben angestellten Überlegungen zum Gegenstandsbezug als hermeneutischer Grundregel zu erinnern, die in den Ausführungen über die praktischen Momente der Schrifterklärung ihren Niederschlag finden. Hier wurde festgestellt, dass Barths Forderung, die Schrift nicht ohne einen solchen Gegenstandsbezug zu lesen, in der Einsicht erhoben wird, dass die Frage, worin der Gegenstand der Schrift besteht, nicht ein für allemal durch die Antwort „Jesus Christus“ oder „Gottes Offenbarung“ erledigt ist. Gerade Jesus Christus als lebendiger Herr der Kirche ist mehr als 101 Barth kritisiert an dieser Stelle die Bezeichnung der Philosophie als „ancilla theologiae“. Er hält dagegen, dass die Theologie selbst nur „ancilla“ sein könne, während als „domina“ allein die Schrift in Frage käme (I/2, 824). 102 Man wird hier wohl eine Parallele zu Luthers Betonung der „tentatio“ im Vollzug der Schriftauslegung erkennen dürfen. Vgl. Luther, Vorrede zum 1. Bande der Wittenberger Ausgabe, WA 50, 660,1 – 16, sowie Bayer, Martin Luthers Theologie, 30 – 34.

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eine feststehende Formel, die jedem weiteren Nachdenken ein Ende setzen würde. Er ist kein Standpunkt, von dem aus die in der Schriftlektüre entstehenden Fragen einer sicheren Antwort zugeführt werden könnten. So kann es im Einzelfall durchaus umstritten sein, welche Antworten eine gegenstandsorientierte Auslegung, erst recht aber eine gegenstandsorientierte Aneignung der Schrift auf jene Fragen finden wird. Es bleibt also bei der „Erklärungsbedürftigkeit der Schrift“, die ihr als „Menschenwort“ (I/2, 800) immer anhaften wird. Abschließend ist zu unterstreichen, dass nach Barths Verständnis weder die Forderung nach einer gegenstandsorientierten Schriftauslegung noch die Einsicht in die Unverfügbarkeit des Verstehens der Schrift gegen die Anwendung der Erkenntnisse sprachlicher und historischer Forschung spricht. Solange der Ausleger sowohl jene Forderung als auch jene Einsicht berücksichtigt und sich darüber hinaus der Vorläufigkeit aller sprachlichen und historischen Erkenntnisse bewusst ist, wird er vielmehr dazu aufgefordert, seine Kenntnisse auf diesen Gebieten möglichst weit zu vertiefen und zur Anwendung zu bringen.103

5. Nachkritische Schriftlehre Wie lässt sich Barths Schriftlehre im Kontext der modernen Exegese, welche maßgeblich durch das Aufkommen der historisch-kritischen Schriftauslegung geprägt ist, einordnen? Dieser Frage soll zum Abschluss des ersten Hauptteils nachgegangen werden, indem Barths Schriftlehre als eine nachkritische Schriftlehre dargelegt wird. Die Bezeichnung der Schriftlehre Barths als einer nachkritischen Schriftlehre, welche die bereits angesprochene Charakterisierung von Barths Schriftauslegung durch R. Smend aufnimmt,104 impliziert zwei verschiedene Thesen. Die erste These richtet sich gegen den Vorwurf, Barth habe mit seiner Schriftlehre einen neo-orthodoxen Standpunkt bezogen, seine Schriftlehre sei letztlich ein Rückschritt hinter die Erkenntnisse der Aufklärung sowie die in ihrem Zusammenhang entstehende kritische Schriftauslegung. Dass dieser Vorwurf zu kurz greift, wird nicht zuletzt deutlich, wenn man sich die Ablehnung der natürlichen Theologie innerhalb von Barths Schriftlehre vor Augen hält. Die zweite These betont den metakritischen Charakter von Barths 103 Vgl. hierzu den Überblick über Barths Anwendung historisch-kritischer Methodenschritte in Teil C, Abschnitt 2.2.1. 104 Vgl. die kurze Besprechung von Smends gleichnamigem Aufsatz innerhalb der Einleitung dieser Studie, Abschnitt 3.1. Vgl. außerdem Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 118, der feststellt, dass Barth als „postkritischer Bibelinterpret gelesen werden kann“.

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Schriftlehre. Sie hat ihren biographischen Ausgangspunkt in den zahlreichen Auseinandersetzungen, die Barth vor allem in den ersten Jahren seiner akademischen Tätigkeit mit den einflussreichsten Theologen seiner Zeit führte.105 Ganz offensichtlich sah sich Barth zur kritischen Stellungnahme genötigt – nicht nur, aber auch gegenüber den Vertretern der historisch-kritischen Bibelauslegung. Inwiefern sich diese Metakritik in der Schriftlehre niedergeschlagen hat, soll exemplarisch anhand der Kritik am Historismus veranschaulicht werden.106 Im Abschnitt über die „dynamische Einheit der Schrift“ ist schließlich zu zeigen, wie sich Barths hermeneutische Grundregel, nämlich die Forderung nach einer sachorientierten Schriftauslegung, im Kontext der neuzeitlichen Infragestellung der Einheit der Schrift fruchtbar machen lässt. 5.1 Keine natürliche Theologie und keine Metaphysik B.L. McCormack plädiert am Ende seines einflussreichen Werks Theologische Dialektik und kritischer Realismus dafür, Barths Theologie als „eine durch und durch moderne Option der Theologie“ zu betrachten.107 Zur Begründung verweist McCormack vor allem auf „den großen Einfluss, den Barth von der durch Kant geprägten philosophischen Tradition empfing“.108 McCormack 105 Als Beispiele seien genannt: A. Jülicher (vgl. ders., Ein moderner Paulusausleger, sodann Barths Erwiderung in Römerbrief II, 8 – 16, schließlich die Kommentierung durch JRngel, Barth-Studien, 83 – 91), A. v. Harnack (vgl. BwH) und F.W. Foerster (vgl. ders., Gegenrede zu dem Aufsatz von Friedrich Wilhelm Foerster). Barth selbst hat in der Festschrift zu Thurneysens 70. Geburtstag rückblickend auf die „ausgesprochene[n] Kampfsituation“ verwiesen, durch welche selbst die Metaphorik der mit Thurneysen gewechselten Briefe zwischen 1921 und 1925 geprägt sei, vgl. Barth, Lebendige Vergangenheit, 12. 106 Es liegt auf der Hand, dass beide Thesen nur exemplarisch ausgeführt werden können. Es würde den Rahmen dieses Abschnitts jedenfalls sprengen, wenn man auf sämtliche neuzeitlichen Einflüsse und sämtliche Ansätze einer Metakritik eingehen wollte. Nur am Rande sei auf den Einfluss F. Overbecks verwiesen, den vor allem N. MacDonald stark macht. Nach MacDonald war Overbecks Analyse einer sich selbst aufgebenden – bzw. sich in Historik, Psychologie etc. auflösenden – Theologie ausschlaggebend für Barths Behauptung einer „historicality sui generis“ innerhalb der biblischen Schriften. Barth habe damit – ganz im Sinne der kantischen Aufklärung – der Stellung der Theologie als einer unabhängigen Disziplin das Wort geredet. Vgl. MacDonald, Karl Barth and the Strange New World, insbes. 15 – 18. Zum Einfluss Overbecks auf die theologische Entwicklung Barths vgl. außerdem JRngel, Barth-Studien, 62 – 73. Ebenfalls nur am Rande sei auf die Analyse M. Trowitzschs verwiesen, für den das metakritische Element von Barths Schriftlehre unter anderem in der Kritik an dem „Prinzip des Methodischen“ besteht, vgl. Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung, 95. Sowohl MacDonald als auch Trowitzsch beziehen sich jedoch nicht auf die Schriftlehre in KD I/2, weshalb eine eingehende Besprechung ihrer Studien an dieser Stelle unterbleibt. 107 McCormack, Theologische Dialektik, 386. 108 Ebd. Barth selbst schreibt im Vorwort zur Neufassung des Römerbriefs, dass „die bessere Belehrung über die eigentliche Orientierung der Gedanken Platos und Kants, die ich den Schriften meines Bruders Heinrich Barth zu verdanken habe“, ein entscheidender Impuls zur

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schreibt: „Nur indem er [Barth] die Gültigkeit der Epistemologie Kants voraussetzte, konnte er die Dialektik von Verhüllung und Enthüllung in Gottes Selbstoffenbarung so konzipieren, wie er es tat.“ (Ebd.) Innerhalb der kantischen Tradition ist nach McCormacks Auffassung vor allem Barths Lehrer W. Herrmann trotz aller späteren Differenzen von bleibender Bedeutung für Barth gewesen, nämlich in seiner „Opposition gegenüber natürlicher Theologie und Apologetik“.109 Eine „Rückkehr zum naiven, metaphysisch begründeten Realismus der mittelalterlichen und nachreformatorischen Theologie“ sei für Barth aufgrund der Prägung durch Herrmann unmöglich gewesen.110 In Barths Schriftlehre zeigt sich dieser Impuls vor allem in der Polemik gegenüber dem Versuch, den göttlichen Ursprung der Schrift auf empirische Weise zu begründen, etwa durch den Hinweis auf eine angebliche Irrtumslosigkeit der Schrift, die Schönheit ihrer Sprache, ihr Alter etc.111 Auch die Betonung des Geheimnisses der Offenbarung, die nur für sich zeugen kann, sowie der Tatsache, dass sich Gottes Wort durch die Schrift immer wieder neu ereignen müsse, nicht aber ohne weiteres mit der bloßen Existenz der Bibel als gegeben betrachtet werden könne, hat ihren Ursprung in der Ablehnung jenes „naiven Realismus“. Noch einmal sei daran erinnert, wie ungeheuer scharf sich Barth gegen die Versuche der altprotestantischen Orthodoxie abgrenzt, Fragen wie die nach der Einheit der Schrift oder nach ihrer Inspiration112 so zu behandeln, als könne es darauf eine von dem Ereignis ihrer Selbstbezeugung durch die Offenbarung unabhängige und insofern allgemein einleuchtende Antwort geben. In Barths Augen läuft ein solchermaßen unkritisches Schriftverständnis darauf hinaus, eine von der Gnade Gottes unabhängige Stellung der Theologie als natürlicher Theologie zu etablieren. Es wurde die Bibel als Gottes Wort unter der Hand gewissermaßen selbst zu einem Element natürlicher, d. h. vom Menschen ohne Gottes freie Gnade, kraft eigenen Vermögens, in direkter Einsicht und Vergewisserung zu vollziehender Gotteserkenntnis. (I/2, 580)

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Neubearbeitung des Römerbrief-Kommentars gewesen sei, vgl. Römerbrief II, 7. Zum Inhalt dieser Belehrung vgl. McCormack, a. a. O., 196 – 203. Ausführlicher setzt sich Barth in der späteren Vorlesung „Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert“ (erschienen 1947) mit Kant auseinander und übt darin scharfe Kritik vor allem an dessen Religionsphilosophie, vgl. a. a. O., 237 – 278, insbesondere 271 – 278. McCormack, a. a. O., 79. McCormack, a. a. O., 127 f. Vgl. u. a. KD I/2, 596. Für Körtner ist gerade Barths Neuformulierung der Inspirationslehre „[k]eineswegs antimodernistisch, sondern ins Zentrum der Krise des protestantischen Schriftprinzips führend“. Er hält Barths Ansatz von der dreifachen Inspiration insofern für wegweisend, als sie „den heutigen Leser in die Inspirationslehre einzubeziehen“ vermag. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 119.

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Es wird deutlich, dass der Widerspruch gegen eine Charakterisierung Barths als eines vor-modernen Theologen geradewegs ins Zentrum von Barths Schriftlehre führt und sich auf deren Leitmotiv berufen kann, nämlich auf die Charakterisierung der Schrift als Zeugnis von Gottes Offenbarung mit ihrer Unterscheidung zwischen Schrift und Offenbarung. Dass diese Unterscheidung nicht einer Abwertung der Schrift das Wort reden will und insofern bereits Ansätze einer Metakritik enthält, wurde bereits erläutert.

5.2 Die Kritik am Historismus Dass Barths Schriftlehre nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit der voraufklärerischen Theologie darstellt, sondern ebenso darum bemüht war, vermeintliche Fehlentwicklungen der modernen Theologie zu überwinden, wird nirgends so deutlich wie in der Kritik an einer falsch verstandenen historischen Interpretation der Bibel. Barth plädiert – wie bereits mehrfach erläutert – für eine sachbezogene Lektüre der Schrift und kritisiert in diesem Zusammenhang das Anliegen einer möglichst unbefangenen und voraussetzungslosen Exegese.113 Die Kritik an der vermeintlichen Voraussetzungslosigkeit der Exegese bezieht sich allerdings nicht nur auf den weltanschaulichen Standpunkt des Auslegers. Sie richtet sich auch gegen den Versuch, sich ein objektives Bild von der Geschichte zu machen.114 Barth weiß um die Relativität aller Geschichtsbilder und warnt davor, eines von ihnen absolut zu setzen.115 Dies wäre zweifellos der Fall, wo ein bestimmtes Geschichtsbild zur Voraussetzung für das Verstehen der biblischen Texte erklärt würde. Dass Barth die historische Forschung deshalb nicht für unnötig hielt, bleibt von dieser Kritik ebenso unberührt wie die biographische Tatsache, dass Barth selbst ein Liebhaber der geschichtlichen Forschung war.116 Ein weiterer Aspekt von Barths Kritik am modernen Historismus besteht darin, dass er die Ausrichtung der Bibelauslegung auf eine historische 113 Vgl. hierzu KD I/2, 519, sowie in dieser Studie Abschnitt 2.2. 114 Wie verbreitet dieser Versuch nach wie vor ist, mag folgendes Zitat belegen: „Bevor der moderne Leser in den tiefen Brunnen der Vergangenheit eintauchen kann, muß er alles abstreifen, was seine Gegenwart ausmacht. In die Geschichte kann man gleichsam nur nackt eindringen; dogmatische oder moralische Einstellungen verstellen und verbauen den Zugang zur geschichtlichen Wirklichkeit.“ Oeming, Biblische Hermeneutik, 31 – 32. 115 Barth äußert sich hierzu in einem kurzen geschichtstheoretischen Exkurs, vgl. KD I/2, 811 f. 116 Vgl. die scherzhafte Bemerkung Barths, er würde „gelegentlich […] erwägen, ob ich mich nicht in einem zweiten Leben ebenso gänzlich der von mir heimlich sehr geliebten Historie zuwenden würde.“ (Br 1961 – 1968, 69) Barths historisches Interesse, z. B. für den amerikanischen Bürgerkrieg, ist jedenfalls hinlänglich belegt, vgl. etwa Busch, Karl Barths Lebenslauf, 476 f; Smend, Karl Barth als Ausleger, 240.

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Wahrheit „hinter den Texten“ scharf ablehnt.117 So hält er etwa die Suche nach einem „historischen Jesus“ für einen Irrweg der Exegese. Die Vorstellung, gegen die wir uns abzugrenzen haben, ist die im Zusammenhang mit dem modernen Historismus in der Theologie weithin heimische gewordene Vorstellung, als könne und müsse es beim Lesen, Verstehen und Auslegen der Bibel darum gehen, über die biblischen Texte hinaus zu den irgendwo hinter den Texten stehenden Tatsachen vorzustoßen, um dann in diesen […] Tatsachen als solchen die Offenbarung zu erkennen. So entdeckte man denn hinter dem kanonischen Alten Testament eine Geschichte Israels und eine Geschichte der alttestamentlichen Religion, hinter den kanonischen Evangelien eine Geschichte des Lebens Jesu und später wohl auch einen Christusmythus, hinter der kanonischen Apostelgeschichte und den kanonischen Briefen eine Geschichte des apostolischen Zeitalters bzw. eine urchristliche Religionsgeschichte. (I/2, 546)118

Wohl verstanden ging es Barth mit dieser Kritik nicht darum, eventuellen kritischen Ergebnisses vorzubeugen.119 Gegenüber diesen hat er sich vielmehr immer wieder mit großer Gelassenheit geäußert.120 Allerdings ging es ihm darum, dem Missverständnis vorzubeugen, als könne das mit den Mitteln der historischen Forschung erzielte Bild von der Geschichte jemals etwas anderes als eine Hypothese sein, als stünde am Ende der historischen Arbeit als eigentliche Offenbarung eine objektive Darstellung dessen, wie es wirklich gewesen ist. Die Offenbarung lässt sich nach Barth auf dem Weg der historischen Forschung ebenso wenig finden wie auf irgendeinem anderen Weg, den ein Bibelausleger von sich aus einschlagen könnte, sie muss sich vielmehr selbst immer wieder finden lassen. Da die Kirche jedoch weiß, dass sie dies durch das Zeugnis der Schrift getan hat, hat sie – und mit ihr auch die ihr zugehörenden wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bibelausleger – sich auch in Zukunft an die biblischen Schriften in ihrer vorliegenden Gestalt zu halten 117 Vgl. hierzu Frei, Scripture as Realistic Narrative, 59. 118 Dass Barth seine Ablehnung der Leben-Jesu-Forschung in späteren Jahren eher noch schärfer formulieren konnte, belegt u. a. KD IV/2, 113 f, wo Barth die Meinung äußert, es könne das Ergebnis einer „Jesus-Biographie […] grundsätzlich nur eine Katastrophe“ sein. 119 In dem bereits erwähnten Briefwechsel mit A. v. Harnack konnte Barth der historisch-kritischen Schriftauslegung eine eigene „theologische Funktion“ zuschreiben, nämlich „klar zu machen, […] daß wir es in der Bibel mit Zeugnissen und immer wieder nur mit Zeugnissen zu tun haben“ (BwH, 340) und eben nicht – so Lindemann in seiner Barth-Interpretation – mit dem Dokument einer „vermeintlich sicheren historischen Grundlage“, vgl. Lindemann, Karl Barth und die kritische Schriftauslegung, 43. 120 Vgl. noch im gleichen Zusammenhang, I/2, 548: „Es ist also […] nicht die Annullierung der bibelwissenschaftlichen Arbeitsergebnisse der letzten Jahrhunderte, es ist auch nicht der Abbruch und die Vernachlässigung der in ihrer Linie liegenden Bemühungen zu fordern“. Dass damit nicht einer exegetischen Beliebigkeit das Wort geredet wird, wird nicht zuletzt daraus ersichtlich, mit welchem Engagement Barth sich für ein differenziertes Verständnis der Auferstehungsberichte eingesetzt hat, das die Auferstehung Jesu nicht einfach als „unhistorisch“ – freilich auch nicht als „historisch“ im Sinne objektiver Beweisbarkeit – bezeichnet. Vgl. KD III/ 2, 535.

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und zu erwarten, dass sich die Offenbarung im Hören auf dieses Zeugnis wieder ereignen wird. Die Kritik Barths gegenüber den Vertretern der historisch-kritischen Schriftauslegung lässt sich somit auf das gleiche Grundanliegen zurückführen wie die Kritik an der altprotestantischen Schriftlehre. Barth bemängelt jeweils die fehlende Einsicht in die Selbstbezeugung der Schrift, die sich durch das Wirken des Geistes immer wieder neu ereignet. Mit diesem Grundanliegen hängt es zusammen, dass Barths Schriftlehre „nicht ,modern‘, aber noch weniger ,praemodern‘ zu nennen“ ist.121

5.3. Die dynamische Einheit der Schrift Das Potential von Barths Schriftlehre für spezifisch neuzeitliche Fragestellungen zeigt sich schließlich, wenn man seine hermeneutische Grundregel, nämlich die Forderung nach einer sachorientierten Schriftauslegung, auf die Frage nach der Einheit der Schrift anwendet. Diese Einheit wurde im Zuge der modernen Bibelforschung gründlich in Frage gestellt. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich eine solche Einheit weder mit dem Verweis auf einen gemeinsamen (göttlichen) Ursprung noch mit dem Verweis auf einen gemeinsamen Inhalt der biblischen Texte stichhaltig begründen lässt.122 Steht die Auflösung des ersten Begründungsmusters im Zusammenhang mit der Destruktion der altprotestantischen Verbalinspirationslehre, so vollzog sich die zweite Auflösung als Konsequenz der Frage danach, was „die Verfasser je für sich sagen wollten“.123 Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass die Neubegründung der Rede von der Einheit der Schrift den Blick auf die spezifische Wirkung richtet, die von den biblischen Schriften „in der Praxis des Glaubens“ ausgeht.124 Zwar ist umstritten, wie in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen der Kirche als Rezeptionsgemeinschaft der biblischen Schriften und dem Kanon als Gegenüber der Kirche präzise zu bestimmen ist.125 Weitgehend einig ist 121 Vgl. Muis, Spricht Gott in der heiligen Schrift, 154. 122 Vgl. Schwienhorst-Schçnberger, Einheit und Vielheit, 225 – 227, sowie Herms, Kirche für die Welt, 150 – 152. 123 Vgl. LRdemann, Das Jesusbild des Papstes, 149. 124 Vgl. Coors, Scriptura, 344. Dass diese Neubegründung in sachgerechter Aufnahme des protestantischen Schriftprinzips geschieht, sei an dieser Stelle lediglich erwähnt, vgl. hierzu ausführlich Teil C, Abschnitt 1.1. 125 Diese Debatte wird vor allem in England und den USA geführt zwischen solchen Theologen, welche die konstitutive Rolle der Kirche als Rezeptionsgemeinschaft für die Begründung der Rede von der Einheit der Bibel als Heiliger Schrift betonen (vgl. u. a. Kelsey, The Uses of Scripture, 90 – 112; Jenson, Hermeneutics and the Life of the Church, 97 f; Williams, On Christian Theology, 55 – 69), und solchen, die um der Wahrung der externen Autorität der Bibel willen eine solche Betonung ablehnen (vgl. u. a. Webster, A Great and Meritorious Act, 95 – 126; Childs, Die Theologie der einen Bibel II, 449).

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man sich jedoch darin, dass das „Wesen“ der biblischen Texte, zu dem auch ihre Einheit gehört, nicht unter Absehung von ihrer „Funktion“ bzw. ihrem Gebrauch als „Kanon des christlichen Lebens“ bestimmt werden kann.126 Indem allerdings gerade die Wirkung der Schrift zum Heil stets als ein Wirken des göttlichen Geistes verstanden wird, liegt es auf der Hand, dass nicht primär die Kirche oder der glaubende Mensch als Subjekt dieses Gebrauchs bzw. dieser Wirkung der Schrift in Betracht kommen kann.127 Folglich wird auch die Einsicht in die Einheit der biblischen Schriften als eine dem Menschen immer wieder neu geschenkte Einsicht beschrieben.128 Hier trifft sich die Neubegründung der Rede von der Einheit der Schrift mit der Schriftlehre Barths und ihrer Betonung, dass Verstehen der Schrift sich dort ereignet, wo sich Gottes Offenbarung selbst offenbart. Was also macht die Einheit des biblischen Kanons aus? Im Anschluss an Barths Forderung einer sachorientierten Schriftlektüre sowie unter Aufnahme der Erkenntnisse der postkritischen Neubegründung der Einheit der Schrift wird man auf diese Frage antworten können: Die Einheit der biblischen Schriften besteht darin, dass diese allesamt immer wieder zum Zeugnis der Offenbarung werden, dass gerade durch ihre Lektüre Menschen zum Glauben finden, den Zuspruch des Evangeliums hören, Klarheit über ihr Dasein vor Gott und in der Welt erlangen und zugleich in die Gemeinschaft der Kirche hineingeführt werden, welche im Bewusstsein jenes Zeugendienstes der Schrift ihrerseits die Bibel als ihren Kanon anerkennt.129 Darüber hinaus lässt sich mit Barths Schriftlehre – und zugleich gegen sie – jedoch auch eine teilweise Neubegründung der materialen Einheit der Schrift versuchen.130 Entscheidend ist dabei, von einem dynamischen Verständnis jener materialen Einheit auszugehen. Nicht ein statischer Begriff kann als einheitstiftende Mitte der Schrift fungieren,131 sondern vielmehr Gottes Of126 Vgl. Herms, Phänomene des Glaubens, 392. 127 Hierin liegt das bleibende Recht der Kritik an einer zu engen funktionalen Bestimmung des Wesens wie auch der Einheit der Schrift, wie sie etwa von Webster geübt wird, vgl. ders., a. a. O., 103 – 107. 128 E. Herms fragt in diesem Zusammenhang, inwiefern die Zusammenstellung der biblischen Texte in der „formalen Synthese“ als Buch „zwischen zwei Buchdeckel[n]“ auf eine „reale Synthese“ zurückgeführt und damit als berechtigt bezeichnet werden könne, vgl. Herms, Kirche für die Welt, 149 f. Seine Antwort lautet, dass diese Synthese „in der eigenen Identität des Gottes [geleistet wird und begründet ist], der durch das Geschehen der Selbstoffenbarung dieser seiner eigenen Identität die geschichtliche Bewegung des Glaubens zur Existenz bringt und synthetisiert.“ Vgl. Herms, a. a. O., 162. 129 Vgl. Coors, Scriptura 359 f, der in diesem Zusammenhang zwischen der „externen“ und der „internen Autorität“ der Bibel unterscheidet. Als „externe Autorität“ ist die Bibel Heilige Schrift, „weil durch sie Gott im Heiligen Geist Glauben wirkt“. Hieraus ergibt sich die „interne Autorität“ der Schrift in ihrer Eigenschaft als von der Kirche anerkanntem Kanon. 130 Barth selbst unterstreicht in KD I/2, darin ganz dem dialektischen Anliegen verpflichtet, dass eine materiale Einheit der Schrift „immer nur uneigentlich, d. h. nur in Form unserer Erinnerung und Erwartung“ definiert werden könne, vgl. KD I/2, 535. 131 So auch Smend, Die Mitte des Alten Testaments, 55.

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fenbarung, verstanden als die im Christusereignis ihren unüberbietbaren Höhepunkt findende Geschichte der immer neuen Begegnungen, in denen sich der Gott Israels als Schöpfer, Versöhner und Vollender seiner Kreatur zu erkennen gibt. Diese Geschichte ist es, die in den biblischen Schriften bezeugt wird. Anders, nämlich mit Blick auf die biblischen Verfasser, wie zahlreich sie auch gewesen sein mögen, formuliert: Die Einheit der Bibel lässt sich als eine inhaltliche Einheit dahingehend beschreiben, dass alle neutestamentlichen Schriften die durch das Auftreten Jesu begründete „Kommunikation des Alten Testamentes“ als wahr erkannt haben.132 Diese Kommunikation bzw. dieses Verständnis der alttestamentlichen Zeugnisse hat aber ihre Pointe darin, im Zeugnis des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu den unüberbietbaren Höhepunkt jener im Alten Testament bezeugten Geschichte der Selbstkundgebungen Gottes zu erkennen. Der Vorteil eines so gefassten Begriffs von der materialen Einheit der Schrift besteht darin, dass dieser einen weiten Raum für die verschiedenen inhaltlichen Aussagen und Schwerpunkte der neutestamentlichen Schriften offen lässt. Als verbindende Elemente fungieren allein der Bezug auf das Christusgeschehen sowie die gemeinsame Überzeugung, dass dieses Geschehen im Zusammenhang der alttestamentlichen Schriften zu verstehen ist. Hinsichtlich der Einheit des Alten Testaments ist dagegen auf die Rezeption zu verweisen, welche Barths offenbarungstheologische bzw. christologische Bestimmung der einen Sache der Schrift innerhalb der alttestamentlichen Forschung erlebt hat.133 In expliziter Anknüpfung an Barths Ausführungen und in Aufnahme von G. v. Rads Feststellung, dass es sich im Alten Testament um eine Geschichte „von verschiedenen und verschiedenartigen Offenbarungsakten“ Jahwes handle,134 wurde die einheitstiftende Mitte des Alten Testaments von R. Smend in zweifacher Weise bestimmt: Jahwe der Gott Israels in seiner Offenbarung, seinen Handlungen und Setzungen; Israel, wie es das Volk Jahwes ist in der Anrufung seines Gottes und im Leben nach seinem Gebot.135

Diese Doppelformulierung wurde ihrerseits von vielen Seiten präzisiert und weiterentwickelt. Eine Bündelung jener Präzisierungsvorschläge nimmt, wiederum in Anknüpfung an Barth, M. Büttner vor, der die „,Mitte‘ des Alten Testaments“ folgendermaßen umschreibt: Jhwh, der Gott Israels, der sich in seinem erwählenden Geschichtshandeln Israel aus Gnaden zugewandt hat als der alleinmächtige und transzendente, von Verheißung zu 132 Vgl. Herms, Phänomene des Glaubens, 397. 133 Vgl. hierzu grundlegend BRttner, Das Alte Testament als erster Teil der christlichen Bibel, besonders 132 – 187. 134 Vgl. von Rad, Theologie des Alten Testaments I, 128. 135 Smend, a. a. O., 80.

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Erfüllung und so in die Freiheit seiner Gegenwart führende Gott. […] Israel, das allein aus Gnaden erwählte Volk Jhwhs, das in seiner Geschichte im Horizont von Jhwhs Gebot von Verheißung zu Erfüllung geführt wird.136

Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Verankerung im Kontext neuzeitlicher Fragestellungen nicht nur dem Selbstverständnis von Barths Schriftlehre entspricht, sondern angesichts der Anschlussfähigkeit an spezifisch neuzeitliche Debatten wie derjenigen nach der Einheit der Schrift auch hinsichtlich ihres Ertrags mit Fug und Recht behauptet werden kann. In der folgenden Untersuchung von Barths Auslegungspraxis wird sich zeigen, dass das offenbarungstheologische bzw. christologische Verständnis der materialen Einheit der biblischen Schriften auch Barths eigene Exegese maßgeblich bestimmt hat.

136 BRttner, a. a. O., 194 f. Zur Frage nach der Mitte der Schrift vgl. außerdem aus alttestamentlicher Perspektive Schwienhorst-Schçnberger, Einheit und Vielheit, sowie aus neutestamentlicher Perspektive Landmesser u. a. (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift, hier insbesondere den Beitrag von Weder, Die Externität der Mitte.

B: Karl Barths Schriftauslegung in der KD

Fragestellung und Auswahl der exegetischen Exkurse

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Vorbemerkung: Zur Fragestellung und zur Auswahl der exegetischen Exkurse Eine Schriftlehre ist keine Schrifthermeneutik im Sinne einer Theorie der Schriftauslegung. Die Frage, inwiefern die biblischen Texte als Wort Gottes zu verstehen sind bzw. was sie zum Kanon der Kirche macht, ist zu unterscheiden von der Frage, wie diese Texte auszulegen sind.1 Dass gleichwohl zwischen beiden Fragen ein Zusammenhang besteht, wurde in der Einleitung dieser Studie bereits erläutert. Wenn im folgenden Teil B Karl Barths Auslegungspraxis in der Kirchlichen Dogmatik anhand ausgewählter Beispiele genauer betrachtet wird, so geschieht dies auch unter der Fragestellung, wie dieser Zusammenhang in Barths Dogmatik beschrieben werden kann, mit anderen Worten: welchen Einfluss Barths Schriftlehre auf seine Auslegungspraxis in der KD ausgeübt hat. Hierbei wird unter anderem die in der Schriftlehre entwickelte Beschreibung des Binnenverhältnisses der beiden Teile des christlichen Kanons, aber auch die Forderung nach einer sachorientierten Exegese wiederholt zur Sprache kommen. Wie bereits in der Einleitung der Arbeit erläutert, wird der Schwerpunkt der folgenden Betrachtungen jedoch ein anderer sein. Es geht darum zu zeigen, welche Rolle die Schriftauslegung für die dogmatische Arbeit Barths spielt. Die grundlegende These lautet, dass diese Rolle als eine tragende zu betrachten ist. Diese These ist freilich nicht im Sinne einer bestimmten chronologischen Abfolge der theologischen Arbeitsschritte zu verstehen. Es geht nicht um die Frage, was zuerst da war, die exegetischen Erkenntnisse oder die dogmatischen Prinzipien. Die Setzung einer solchen Alternative ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie entweder der naiven Vorstellung einer vorurteilsfreien Exegese oder der ebenso naiven Vorstellung einer bibelfreien Dogmatik anhängt. Sinnvoll und sachgemäß ist die Frage nach der Bedeutung der Schriftauslegung für die dogmatische Arbeit dann gestellt, wenn man sich der eben beschriebenen Alternative enthält und stattdessen von einem fortlaufenden Gespräch ausgeht, in dem sich der Dogmatiker immer wieder von den biblischen Texten anregen lässt: in einem Akt eigenen Nachdenkens zu eigenem Nachdenken und doch zugleich im Diskurs mit den biblischen Texten, die nicht nur formal als eigene Größe ein Gegenüber bilden, sondern darüber hinaus – so jedenfalls die Erinnerung und die Erwartung des Dogmatikers aus Barths Perspektive – vom Geist Gottes dazu gebraucht werden, dass dieser sich selbst immer wieder Gehör verschafft und dafür Sorge trägt,

1 Eine Formulierung R. Bernhardts aufnehmend ist zwischen der Frage nach dem „Verständnis“ der Schrift als Aufgabe der Schriftlehre einerseits sowie der Frage nach dem „Verstehen“ der Schrift als Aufgabe der biblischen Hermeneutik andererseits zu unterscheiden, vgl. Bernhardt, Die Krise des protestantischen Schriftprinzips, 213.

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Karl Barths Schriftauslegung in der KD

dass die dogmatische Arbeit mehr ist als ein Kreisen des Dogmatikers um seine eigenen Gedanken.2 Der Umfang der KD stellt für die folgende Untersuchung eine besondere Herausforderung dar. Sie zwingt zu einem exemplarischen Vorgehen und damit zu einer begründeten Auswahl jener Paragraphen und Exkurse, auf die näher eingegangen werden soll. Die in der vorliegenden Arbeit – nach umfassender Sichtung – getroffene Auswahl orientiert sich an folgenden Kriterien bzw. Anliegen: Um trotz der exemplarischen Vorgehensweise ein möglichst weites Spektrum an exegetischen Exkursen abzudecken, besteht das erste Anliegen darin, eine breite Streuung sowohl innerhalb der verschiedenen Bände der KD als auch innerhalb des biblischen Kanons zu erreichen. Dementsprechend werden in den folgenden Kapiteln Auslegungen aus der Gotteslehre (KD II), der Schöpfungslehre (KD III) wie auch der Versöhnungslehre (KD IV) behandelt. Ebenso werden ungefähr zu gleichen Teilen Exkurse über alttestamentliche und neutestamentliche Texte zur Sprache kommen. Sodann erscheint es zweckmäßig, sich auf jene Paragraphen der KD zu konzentrieren, in denen Barth die exegetische Arbeit formal dadurch kenntlich macht, dass er sie durch die Setzung im Kleindruck vom restlichen Text absetzt. Als inhaltliches und letztlich ausschlaggebendes Kriterium ist zu ergänzen, dass im Folgenden schwerpunktmäßig solche Exkurse zur Sprache kommen, die von einer besonders intensiven und ausführlichen Beschäftigung Barths mit bestimmten biblischen Texten zeugen. Die zahlreichen Stellen, an denen Barth „durch summierende Spaziergänge in der Konkordanz“3 seine dogmatischen Sätze untermauert, bleiben dagegen weitgehend unberücksichtig. Man mag beklagen, dass dadurch ein verzerrtes Bild entsteht, auf der anderen Seite bedingt der Wunsch nach einer auch für die eigene theologische Praxis fruchtbaren Beschäftigung, dass ein Autor in erster Linie nach seinen individuellen bzw. eigentümlichen Denkstrukturen befragt wird. Das Eigentümliche an Barths Schriftauslegung wird aber am ehesten in jenen langen Exkursen deutlich, in denen seine Vorgehensweise über die konkordante Aufzählung einzelner Stellen hinausgeht und Barth stattdessen länger bei den jeweils auszulegenden Texten verweilt. Mit einer unkritischen Befragung hat

2 Die durch R. Smend überlieferte Vorgehensweise Barths entspricht dieser Verschränkung von exegetischer und dogmatischer Arbeit. Smend berichtet, wie Barth „in einer Sozietät über seine Erwählungslehre in KD II/2 im Sommer 1955“ erklärte, „er habe die exegetischen Partien zwar nicht als erste niedergeschrieben, aber doch vor der Abfassung des ,Haupttextes‘ bedacht und konzipiert, so daß sie ihm dabei einigermaßen vor Augen gestanden hätten.“ Vgl. Smend, Karl Barth als Ausleger, 224. Vgl. hierzu auch im Schlussteil der vorliegenden Studie Teil C, Abschnitt 3.2. 3 Krçtke, Die Christologie Karl Barths, 8.

Fragestellung und Auswahl der exegetischen Exkurse

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eine solche Prioritätensetzung, wie im Folgenden hoffentlich immer wieder deutlich wird, nichts gemein.4

4 Es ist den genannten Kriterien geschuldet, dass die für die vorliegende Fragestellung zweifellos ebenfalls ergiebigen Exkurse in der dreiteiligen Christologie in KD IV sowie im dritten Teil der Versöhnungslehre KD IV/3 nicht in einem eigenen Kapitel analysiert werden, sondern erst in der bilanzierenden Auswertung von Barths Schriftauslegung vereinzelt zur Sprache kommen.

B 1: Exegetische Begriffsentfaltungen in der Gotteslehre (KD II/1): Die Auslegung zur Geduld Gottes 1. Thematische Hinführung: Die Rede von Gottes Geduld Besteht das Hauptanliegen des zweiten Hauptteils dieser Studie darin, die Bedeutung auszumessen, die den exegetischen Ausführungen für die Entfaltung der inhaltlichen Leitlinien innerhalb der jeweiligen dogmatischen Topoi zukommt, so liegt es auf der Hand, dass vor der Analyse von Barths Exegese geklärt werden muss, um welche inhaltlichen Leitlinien es sich dabei im Einzelnen handelt. Hierzu dient (wie auch in den folgenden Kapiteln) die thematische Hinführung, in der verschiedene Kontexte beleuchtet werden, vor deren Hintergrund Barths Ausführung zu verstehen sind. Im Verlauf der einzelnen Fallstudien wird sich zeigen, dass für eine solche thematische Hinführung in den späteren Bänden der KD In erster Linie der werkgeschichtliche Kontext heranzuziehen ist, während in den frühen Bänden der Blick vor allem auf biblische und dogmengeschichtliche Bezüge als die für Barths dogmatische Arbeit entscheidenden Voraussetzungen zu lenken ist. Hinsichtlich des dogmengeschichtlichen Kontexts hängt dieses Vorgehen schlicht damit zusammen, dass Barth in den frühen Bänden der KD noch deutlich stärker damit beschäftigt ist, sich an den für ihn maßgeblichen Positionen der Dogmengeschichte abzuarbeiten, während in den späteren Bänden, besonders in KD IV, sein eigenes dogmatisches System so weit ausgereift ist, dass etwa die Sündenlehre gar nicht mehr anders als in der am gegebenen Ort zu erläuternden christologischen Ausrichtung entfaltet werden kann. Die Erhellung des biblischen Kontexts wiederum dient vor allem dazu, die Auswahl der von Barth ausgelegten Texte als eine bestimmte Auswahl kenntlich zu machen. Da die im Folgenden zur Debatte stehenden Auslegungen zur göttlichen Geduld nur einen Teil innerhalb der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten in KD II/1 darstellt, bietet es sich freilich an, auch in diesem Kapitel zunächst den (engeren) werkgeschichtlichen Kontext zu erhellen, bevor in einigen Schlaglichtern das Thema der Geduld Gottes in den biblischen Schriften und in den von Barth benutzten dogmatischen Entwürfen näher eingegrenzt wird. Zum Abschluss der thematischen Hinführung gilt es, die sachlichen Probleme gebündelt zu benennen, die mit der Rede von Gottes Geduld verbunden sind.

Thematische Hinführung: Die Rede von Gottes Geduld

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1.1 Der werkgeschichtliche Kontext: Die Lehre von Gottes Vollkommenheiten Barth unterscheidet im ersten Teil seiner Gotteslehre (KD II/1)1 zwischen den „Vollkommenheiten“2 des göttlichen Liebens und denen der göttlichen Freiheit. Liebe und Freiheit, so Barth, dürfen jedoch nicht getrennt voneinander betrachtet werden: Gott ist der in Freiheit Liebende bzw. der, dessen Freiheit sich in der Liebe verwirklicht. Deshalb ordnet Barth in § 30 den Vollkommenheiten der göttlichen Liebe (Gnade, Barmherzigkeit, Geduld) je eine Vollkommenheit zu, die besonders den Aspekt der Freiheit der göttlichen Liebe unterstreicht (Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit). Ebenso verfährt er in § 31, wo er den Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit (Einheit, Beständigkeit, Ewigkeit) wiederum je eine Vollkommenheit zuordnet, die besonders betont, inwiefern sich Gottes Freiheit in der Liebe verwirklicht (Allgegenwart, Allmacht, Herrlichkeit). Somit ergeben sich sechs Paare an göttlichen Vollkommenheiten, die in je eigenen Abschnitten mit weitgehend parallelem Aufbau und gleicher Zielrichtung betrachtet werden. Barth beginnt jeweils mit einer kurzen vorläufigen Begriffsdefinition,3 an die sich eine Auseinandersetzung mit Vertretern aus der Dogmengeschichte anschließt, besonders häufig mit A. Polan und A. Quenstedt.4 Dieser meist kritischen Auseinandersetzung folgt dann – zum Teil schon innerhalb der dogmengeschichtlichen Exkurse – die Darstellung des biblischen Befundes.5 1 Die Seitenzahlen in diesem Kapitel beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf KD II/1. 2 Von Gottes „Vollkommenheiten“ statt von seinen „Eigenschaften“ zu sprechen, hält Barth deshalb für sinnvoll, weil so der Unterschied zwischen dem „Wesen Gottes“ und dem „Wesen anderer Größen“, die ebenfalls bestimmte Eigenschaften haben, zum Ausdruck gebracht wird (362 f). 3 Vgl. z. B. 396: „Gnade ist das Sein und Sichverhalten Gottes, das […]“; 403: „Als heilig ist es [Gottes Lieben] dadurch ausgezeichnet, daß […]“; 415: „Die Barmherzigkeit Gottes ist […]“; 423: „[D]as ist aber ihre [der Liebe Gottes] Auszeichnung und Bestimmung als gerechte und also als Gottes Liebe, daß […]“. Hervorhebungen jeweils G.B. 4 Vgl. die folgenden Abschnitte: Zur Gnade: 397; zur Heiligkeit: 403 f; zur Barmherzigkeit: 415 f; zur Gerechtigkeit: 424 – 430 (hier kommen neben Quenstedt und Polan ausführlich Luther, Anselm v. Canterbury und Bernhard v. Clairvaux zu Wort), 433, 448; zur Geduld: 461 – 463; zur Weisheit: 479 f; zur Einheit: 499 – 503 (hier werden ausnahmsweise weder Polan noch Quenstedt zitiert, dafür jedoch Origenes, Tertullian, Irenäus, Novatian, Augustin, Anselm v. Canterbury, Thomas v. Aquin, J. Calvin, J. Wolleb sowie die Schottische Confession); zur Allgegenwart: 529 f, 548 – 551 (Barth schildert hier die Auseinandersetzung, die im 16. und 17. Jahrhundert um die Ubiquität Christi geführt wurde, und hält sich dabei an die Ausführungen J. Gerhards bzw. wiederum Polans); zur Beständigkeit: 553 – 556 (neben Polan wird hier ausführlich Augustin zitiert), 583 – 587 (als Vertreter der reformierten Tradition werden hier J. Wolleb sowie J. Coccejus angeführt); zur Allmacht: 588 f, 594 – 498 (neben Polan kommt hier ausführlich F. Schleiermacher zu Wort) u.v.a.; zur Ewigkeit: 686, 694 u.v.a.; zur Herrlichkeit: 725 – 728 u.v.a. 5 Der lange Teilabschnitt über die göttliche Allmacht (587 – 685) und der etwas kürzere über die Herrlichkeit Gottes (722 – 764) bilden hier keine Ausnahme. Zwar wechseln sich hier dogmengeschichtliche und biblische Exkurse ab, innerhalb der jeweiligen Unterabschnitte wird jedoch

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Hier arbeitet Barth mit etymologischen Untersuchungen der biblischen Begriffe6 und mit konkordanten Aufzählungen von Bibelstellen,7 er zeichnet Charakterbilder biblischer Gestalten8 und erzählt – vor allem alttestamentliche – Geschichten nach.9 Ebenso stellt er immer wieder mittels traditionsgeschichtlicher Auslegung gesamtbiblische Zusammenhänge her, die ihre Pointe im Christusgeschehen finden.10 In der Erscheinung Jesu von Nazareth, zugespitzt in dessen Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen, zeigt sich Gott als der in Freiheit Liebende, und diese Geschichte unter jeweils verändertem Blickwinkel aufs Neue zu erzählen, wird Barth in der Beschreibung der göttlichen Vollkommenheiten nicht müde. Angesichts des weitgehend parallelen Aufbaus der einzelnen Abschnitte innerhalb der Paragraphen 30 und 31 bietet es sich an, die detaillierte Darstellung und Diskussion exemplarisch an einer der göttlichen Vollkommenheiten durchzuführen. Hierfür ist der Abschnitt über die göttliche Geduld aus zwei Gründen besonders geeignet. Zum einen fällt die dogmengeschichtliche Diskussion in diesem Abschnitt verhältnismäßig kurz, die exegetischen Exkurse aber umso länger aus. Zum anderen ist auffällig, dass Barth der göttlichen Geduld im Vergleich zu den Dogmatiken seiner Zeitgenossen eine sehr große Aufmerksamkeit widmet. Indem diese Aufmerksamkeit exegetisch be-

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auch hier die übliche Reihenfolge eingehalten, nach der die biblischen Exkurse auf die dogmengeschichtliche Darlegung folgen. Vgl. etwa die Ausführungen zur Barmherzigkeit (415), zur Weisheit (480 f) oder zur Herrlichkeit (723 – 725 bzw. 756). So etwa in den Abschnitten zur Gnade (399), zur Gerechtigkeit (432 f), zur Weisheit (494 f) oder zur Einheit (517 f). So etwa zur Hiobfigur als dem „Urbild der geistlich Armen“, der Gottes Gerechtigkeit in Anspruch nimmt (436 f), zu Kain, Noah und Jona als (unfreiwillige) Zeugen der göttlichen Geduld (463 – 466) oder zum König Salomo als Empfänger der göttlichen Weisheit (487 – 489). Vgl. neben den bereits erwähnten Auslegungen der Geschichten von Kain, Noah, Jona (463 – 466) und dem salomonischen Urteil (487 – 489) die summarische Nacherzählung der alttestamentlichen Geschichte nach dem Sündenfall als einer neuen Heilsgeschichte, in der sich, so Barth, die Beständigkeit des Schöpfers zeigt (569 – 576). Vgl. z. B. die Ausführungen zur Gerechtigkeit Gottes. Diese gelte schon im Alten Testament den Armen und Unterdrückten und komme schließlich in Christus zu ihrem Recht (434 – 439). Ähnlich zur Beständigkeit Gottes: Barth betont hier, dass diese schon im Alten Testament nicht im Sinne einer abstrakten Unveränderlichkeit beschrieben werde, sondern vielmehr die Heilsgeschichte als (gegenüber der Schöpfung) neues Werk Gottes impliziere. Die Beständigkeit Gottes habe sich in seinem ständigen Widerspruch gegen den Widerspruch der Menschen verwirklicht und sei letztlich im Christusgeschehen vollendet worden (569 – 576). Hierzu gehören auch die Ausführungen zur Einheit Gottes als seiner Einzigkeit, die nicht nur im Alten Testament als fester Bestandteil des Jahweglaubens bezeugt werde, sondern letztlich im neutestamentlichen (Selbst-)Zeugnis des einen Herrn, Messias und Gottessohnes Jesus Christus in Wort und Tat aufgerichtet worden sei (508 – 514). Schließlich sei auf die Ausführungen zur Weisheit Gottes hingewiesen, in denen Barth nach einer kurzen Betrachtung der alttestamentlichen Weisheitsliteratur und einem Exkurs über den „höchst weisen“ König Salomo (487 – 489) auf das Neue Testament zu sprechen kommt, wo – besonders ausführlich in 1 Kor 1,18 – 2,10 – Jesus Christus als Gottes Weisheit dargestellt werde (490 – 495).

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gründet wird, lassen sich aus ihr interessante Schlüsse ziehen hinsichtlich der Bedeutung, welche der Schriftauslegung innerhalb des Konstruktionsprozesses der KD zukommt. Um Barths Auslegung zur göttlichen Geduld dogmatisch und dogmengeschichtlich einzuordnen, ist es hilfreich, sich zunächst unabhängig von Barths Ausführungen dem Thema der göttlichen Geduld anzunähern. Deshalb soll im Folgenden kurz angedeutet werden, wo die Rede von Gottes Geduld ihren biblischen Ort hat, welche Rolle sie in den Dogmatiken vor KD II/1 spielt und welche inhaltlichen Fragen mit ihr verbunden sind.

1.2 Biblische Schlaglichter auf die Rede von Gottes Geduld Dass der Gott Israels ein geduldiger Gott ist, wird im Alten Testament immer wieder bezeugt, besonders prominent in jenem Bekenntnis aus Joel 2,13 par11, in dem es in einem Atemzug mit Gottes Barmherzigkeit und Gnade genannt wird: „Denn er [Jahwe] ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und es gereut ihn bald die Strafe.“ Auffallend ist, dass die Geduld Gottes in Joel 2,13 und den Parallelstellen nicht mit einem eigenen Begriff belegt ist, sondern vielmehr mit der Formulierung ~ypa dra („langsam zum Zorn“) umschrieben wird.12 Auf diese Weise wird deutlich, was mit der Geduld Gottes inhaltlich gemeint ist, nämlich die „Selbstbeherrschung“ Jahwes gegenüber seinem Volk,13 das aufgrund seiner Untreue längst Jahwes Zornesstrafe verdient hätte. Im Neuen Testament gewinnt die Rede von Gottes Geduld nicht nur an Bedeutung, sie geschieht zugleich vor einem konkreten Erfahrungshorizont. Gottes Geduld gilt nun als Antwort auf jene Frage, vor die sich die christliche Gemeinde spätestens seit ihrer zweiten Generation immer wieder gestellt sah: Wenn Gott, der Schöpfer, in dem Geschick Jesu von Nazareth ein für allemal seinen Schöpferwillen mit der Menschheit offenbart hat, wenn der Gott Israels sich in Jesus Christus als der Gott aller Menschen gezeigt hat, weshalb dreht sich das Rad der Geschichte dann noch weiter, als wäre nichts geschehen? Anders gefragt: Wenn das im Rahmen des „alten Äon“ mit all seinen Verfallserscheinungen sich abspielende Kapitel der Geschichte zwischen Gott und Menschen im Christusgeschehen an sein Ziel gekommen ist, warum ist dieses Kapitel und mit ihm der alte Äon dann noch nicht an sein Ende gekommen? 11 Vgl. ebenfalls Ex 34,6; Num 14,18; Neh 9,17; Ps 86,15; Ps 103,8; Ps 145,8; Jona 4,2. Zur Frage nach dem Ursprung dieses Bekenntnisses vgl. Jeremias, Die Reue Gottes, 94 – 96. Jeremias geht davon aus, dass dieses „wohl erstmalig […] eine Darstellung göttlicher Handlungsweisen rein deskriptiv liefert.“ Vgl. ders., a. a. O., 94. 12 Gleiches gilt für die Formulierung in Neh 9,30, wo die „jahrelange Geduld“ Gottes mit seinem Volk durch die Qal-Form des Verbs $Xm („ziehen“) im Waw-Imperfekt mit der angehängten Präposition l[ umschrieben wird. 13 Vgl. Jeremias, a. a. O., 94.

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Vor diesem Hintergrund wird im Neuen Testament immer wieder auf die Geduld Gottes verwiesen. Gott lässt seine Schöpfung weiter leben. Er gewährt ihr weiterhin Existenz, auch wenn sie sich von ihm abwendet, und er tut dies mit dem Ziel, dass seine menschlichen Geschöpfe zu ihm umkehren. Im Zweiten Petrusbrief, in welchem die Geduld Gottes „das eigentliche Stichwort“ für das den Briefschreiber bewegende „Anliegen“ darstellt,14 steht diese Geduld in unmittelbarem Zusammenhang mit Gottes Heilswillen15 : „Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde.“ (2 Petr 3,9) Gleichzeitig lässt der Zweite Petrusbrief seine Leser nicht im Zweifel darüber, dass dank der Geduld Gottes sein strafendes Endgericht zwar aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben ist. In einer Sprache, die zumindest deutlich an apokalyptische Vorstellungen erinnert,16 lautet die Fortsetzung: Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden. (2 Petr 3,10)

Der doppelte Zusammenhang von Heil und Gericht, in dem die Geduld Gottes im Zweiten Petrusbrief zu stehen kommt, findet eine Entsprechung in den weniger dramatischen Worten im zweiten Kapitel des Römerbriefs, in dem der Apostel Paulus auf die Geduld Gottes zu sprechen kommt. Sie gilt ihm als ein Kennzeichen von Gottes Güte, in der dieser seinen Zorn zurückhält:17 Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. (Röm 2,3 – 5)

Mit der Problematik des gegenseitigen Richtens ist in Röm 2 zwar ein anderer Kontext im Blick als in 2 Petr 3, hier wie dort wird jedoch (wie bereits im Alten Testament) betont, dass Gottes Geduld keine Einschränkung seiner Allmacht 14 Vgl. Horst, lajqohul¸a, 389. 15 Wie universal dieser Heilswille gedacht werden muss, ist in der exegetischen Forschung umstritten. Fornberg, An Early Church, 71, spricht in der Auslegung zu 2 Petr 3,9 von Gottes Heilswillen als einem „general principle“, Lçvestam, Eschatologie und Tradition, 291, betont, dass „Gott die Umkehr und Rettung aller will“. Demgegenüber hält Vçgtle, 2. Petrusbrief, 231 f, die Betonung der „Universalität des göttlichen Heilswillens“ im Anschluss an 2 Petr 3,9 aufgrund des Kontexts für unwahrscheinlich. 16 Vögtle bestreitet die Aufnahme apokalyptischer Vorstellungen im 2. Petrusbrief, sieht sich damit aber wiederum im Widerspruch zur Mehrheit der Ausleger. Vgl. Vçgtle, 2. Petrusbrief, 272 – 278. 17 Vgl. Horst, lajqohul¸a, 385. Wilckens, Römer I, 124 f, verweist als Parallelstelle auf sBar 59,6, wo die Langmut Gottes explizit als ein „Zurückhalten des Zornes“ beschrieben wird.

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bedeutet, als müsste Gott sich gedulden, bis die Voraussetzungen für sein Endgericht gegeben sind. Vielmehr wird die Geduld als Ausdruck seiner alles überblickenden Herrschaft gedeutet, die nicht für sich bleiben will, sondern das Heil der Menschen, welches sich in der Umkehr manifestiert, im Blick hat.

1.3 Gottes Geduld in den Dogmatik-Entwürfen vor KD II/1 Angesichts der epischen Breite, die Barths Kirchliche Dogmatik insgesamt kennzeichnet, mag es nicht verwundern, dass sich in den einschlägigen Dogmatiken bzw. Glaubenslehren des 19. und 20. Jahrhunderts kein Abschnitt von ähnlich großem Ausmaß zur Geduld Gottes findet wie in KD II/1. Gleichwohl ist der rein quantitative Unterschied in diesem Fall besonders deutlich. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Behandlung der Geduld Gottes in den Dogmatik-Entwürfen vor KD II/1 gegeben werden. Da es dabei um die Frage nach möglichen Einflüssen auf Barths Vorgehensweise geht, ist es methodisch nicht nur vertretbar, sondern auch sinnvoll, sich auf jene Werke zu beschränken, auf die sich Barth in seinem dogmengeschichtlichen Überblick (379 – 384) in § 29 („Gottes Vollkommenheiten“) bezieht. Unter diesen lässt sich eine erste Gruppe an Werken identifizieren, in denen zwar eine zum Teil recht umfangreiche Lehre von den Eigenschaften Gottes konzipiert wird. Innerhalb dieser wird jedoch auf eine explizite Erwähnung der Geduld bzw. Langmut Gottes entweder gänzlich verzichtet,18 oder es wird jene lediglich in einem Satz gestreift.19 Daneben steht eine zweite Gruppe an Werken, die der Geduld Gottes immerhin einen ganzen Abschnitt widmen. Unter diesen sind zunächst A. Schweizer und R.A. Lipsius zu nennen, die in der Tradition von Schleiermachers Glaubenslehre stehen, auch wenn sie mit der Aufnahme der Geduld Gottes unter den in der Dogmatik zu behandelnden göttlichen Eigenschaften einen anderen Weg einschlagen als ihr Lehrer. Für Schweizer ist die „langmüthige Barmherzigkeit“ Gottes ein besonderer Ausdruck der „Vaterweisheit Gottes“ und stellt als solche einen „Haupteindruck im frommen Gefühl“ dar.20 Gegenüber Schleiermacher hält Schweizer fest, dass ein Verzicht auf die dogmatische Rede von Gottes Geduld konsequenterweise auch den Verzicht auf die Rede von der „erlösende[n] Liebe“ Gottes nach sich ziehen müsste.21 Lipsius seinerseits zählt die „Langmuth“ Gottes unter die göttlichen „Ge18 Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube2, KGA I/13,1, 300 – 356, 486 – 529; KGA I/13,2, 494 – 413; KQhler, Dogmatische Zeitfragen II, 12 – 50; Troeltsch, Glaubenslehre, 127 – 239; Kirn, Grundriß der Evangelischen Dogmatik, 54 – 64; Elert, Der christliche Glaube, 278 – 298. 19 Vgl. Nitzsch, Lehrbuch der evangelischen Dogmatik, 472; Seeberg, Christliche Dogmatik I, 413; Kaftan, Dogmatik, 204, sowie – als römisch-katholischem Vertreter – Bartmann, Lehrbuch der Dogmatik I, 158. 20 Schweizer, Glaubenslehre I, 362 bzw. 364 f. 21 Schweizer, a. a. O., 364 f.

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müthseigenschaften“, die sich im menschlichen „Gemüthsleben“ offenbaren.22 Die dogmatische Rede von den göttlichen „Gemüthseigenschaften“ wie etwa der „Langmuth“ ist nach Lipsius nicht nur möglich – nämlich als eine Aussage „subjectiv religiöser Erfahrung“ –, sondern auch hilfreich, zeige sie doch, „dass die Aussagen über göttliche Eigenschaften ihre Wurzeln in einer Beziehung unsers Gottesbewusstseins auf unser Selbstbewusstsein haben“.23 Eine christologische Begründung erfährt die Rede von Gottes Geduld schließlich in den in sich sehr verschiedenen Entwürfen von A. Ritschl24 und H. Cremer. Cremers Werk Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes muss an dieser Stelle besonders genannt werden. Zum einen stellt es zur Zeit der Abfassung von KD II/1 die ausführlichste Darstellung auf diesem Gebiet dar, zum anderen bezieht sich Barth besonders häufig und insgesamt positiv auf Cremers Ausführungen.25 Die Nähe zwischen den Ausführungen von Cremer und Barth zeigt sich nicht zuletzt darin, dass beide die Geduld Gottes im Zusammenhang mit dessen Weisheit verstehen. Allerdings unterscheidet sich die Verhältnisbestimmung zwischen Gottes Geduld und seiner Weisheit in beiden Entwürfen merklich: Bestimmt Cremer Gottes Geduld als eine „Erscheinungsweise“ der übergeordneten göttlichen Weisheit,26 so behandelt Barth Geduld und Weisheit gleichrangig – entsprechend des eingangs erläuterten paarweisen Aufbaus der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten. Zur inhaltlichen Ausrichtung von Cremers Beschreibung der Geduld Gottes ist hinzuzufügen, dass er diese versteht als Gottes Reaktion darauf, „daß die Sünde noch geschieht und noch regiert in der Welt“.27 Diese Reaktion ist „nicht folgerichtig, sondern Freitat seiner Liebe“.28 Wie sehr Cremers Ausführungen am Zweiten Petrusbrief orientiert sind, lässt die folgende soteriologische Verankerung der göttlichen Geduld erkennen:

22 Lipsius, Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, 287. 23 Ebd. 24 Ritschl kommt innerhalb des dritten Bandes seiner Dogmatik Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und der Versöhnung nicht etwa im Rahmen der Gotteslehre (vgl. 184 – 309), sondern im Rahmen der Christologie auf die Geduld Gottes zu sprechen. Jesu „Geduld im Leiden“ unterscheidet nach Ritschl dieses Leiden von einem gleichgültigen oder krankhaften Leiden (418 f). Jesus zeige sich hier der Welt überlegen und insofern gilt Ritschl die Geduld als eines der „Merkmale der Gottheit Christi“ (426 – 444, bes. 434 f). In der „Consequenz seiner Treue im Beruf“ (422) habe sich das allen anderen Menschen gegenüber weit überlegene Gottesbewusstsein Jesu bewährt, wodurch seinem Leiden zugleich der Charakter eines ethischen Vorbilds zukomme. Die ausführlichste Beschreibung der Geduld erfolgt konsequenterweise innerhalb des abschließenden Ethik-Kapitels über die „religiösen Functionen aus der Versöhnung mit Gott und die religiöse Ordnung des sittlichen Handelns“ (575 – 634, vgl. bes. 590 – 597). 25 Vgl. KD II/1, 291, wo Barth von Cremers Buch als einer „hervorragend lehrreichen Schrift“ spricht. Vgl. ebenfalls KD II/1, 336, 383, 430, 480. 26 Cremer, Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, 76. 27 Cremer, a. a. O., 73. 28 Ebd.

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Was als Verzug der Verheißung erscheint, ist Geduld Gottes, die er in seiner Weisheit übt, damit alles, was sich begibt im Guten wie im Bösen dem einen Zwecke und Ziele diene, zu retten, die sich retten lassen wollen.29

Der Überblick über die Dogmatik-Entwürfe, die Barth zur Zeit der Abfassung von KD II/1 zur Verfügung standen, kann dahingehend zusammengefasst werden, dass die Geduld Gottes in diesen insgesamt eher ein Schattendasein führt. Dass ihre Behandlung innerhalb der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten in KD II/1 dennoch kein dogmengeschichtliches Novum darstellt, ist (insbesondere mit Blick auf Cremer) ebenfalls deutlich geworden. Wiederum zeigt gerade der Vergleich mit Cremers Werk, dass Barth auch in der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten einen ganz eigenen Weg geht, nicht zuletzt in der Aufnahme und Verwendung der biblischen Schriften.

1.4 Sachliche Probleme der Rede von Gottes Geduld Vor dem Hintergrund der biblischen Aussagen sowie deren Aufnahme in den Dogmatiken des 19. und 20. Jahrhunderts30 lassen sich folgende Aufgaben bzw. Probleme einer christlichen Rede von Gottes Geduld benennen. Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob mit der göttlichen Geduld eine Eigenschaft Gottes oder ein Aspekt des eigenen frommen „Gemüthslebens“ gemeint ist und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.31 Dabei ist festzuhalten, dass dort, wo Gott seinen Geschöpfen in kommunikativer Weise begegnet, es sich immer wieder um eine „neue!“ Erfahrung handelt.32 Folglich kann auch der christliche Glaube und mit ihm die christliche Theologie mit gutem Gewissen die Rede von Gottes Geduld als eine dem wirklichen Sein des 29 Cremer, a. a. O., 74. 30 Nur am Rande sei bemerkt, dass die Entfaltung der Geduld Gottes in den Dogmatik-Entwürfen, die nach KD II/1 erschienen sind, insgesamt wesentlich mehr Raum einnimmt als in den Dogmatik-Entwürfen vor KD II/1. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit sei auf folgende Entwürfe verwiesen: Brunner, Dogmatik, 281; Ebeling, Dogmatik III, 489 f; Pannenberg, Systematische Theologie I, 473 – 477; HQrle, Dogmatik, 263 f. Einen eigenen Weg geht E. Schlink, der die Geduld Gottes zunächst innerhalb der Schöpfungslehre behandelt (vgl. ders., Ökumenische Dogmatik, 187 – 190) und sie in der abschließenden Gotteslehre noch einmal als eine der zahlreichen Eigenschaften des „sich schenkenden Gottes“ aufzählt (a. a. O., 774). Auf eine explizite Behandlung der Geduld Gottes verzichten zum einen die stärker religionsphilosophisch angelegte Systematische Theologie P. Tillichs, zum anderen die Dogmatik W. Joests, in der die Lehre über „Wesen und Eigenschaften Gottes“ ohnehin auf lediglich drei Seiten entfaltet wird, vgl. Joest, Dogmatik I, 127 – 130. Besondere Erwähnung verdient schließlich die kleine Monographie, die E. Jüngel und K. Rahner der Geduld gewidmet haben, wobei in unserem Zusammenhang vor allem der von Jüngel verfasste erste Teil „Gottes Geduld – Geduld der Liebe“ von Interesse ist, vgl. JRngel/Rahner, Über die Geduld, 9 – 35. 31 Vgl. die Kritik Jüngels, dass die Rede von der Geduld Gottes im Gefolge Schleiermachers „als uneigentliche Rede von Gott diskreditier[t]“ worden sei, JRngel/Rahner, a. a. O., 19. 32 Vgl. ebd.

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sich offenbarenden Gottes entsprechende Rede bekennen. Mit E. Jüngel gesprochen: Der unbestreitbare Anthropomorphismus unseres Redens von göttlichen Eigenschaften geht also an Gott selbst nicht vorbei; er bringt vielmehr zum Ausdruck, daß Gott in seinem ewigen Sein voller Bewegung und in dieser seiner inneren Bewegtheit bereits ein ausgesprochen menschlicher Gott ist.33

Sodann besteht die Aufgabe christlicher Rede von Gottes Geduld, wie nicht zuletzt W. Pannenberg deutlich gemacht hat, darin, diese als einen Ausdruck der leidenschaftlichen Liebe – und nicht etwa der Unerschütterlichkeit oder der Schwäche – Gottes verständlich zu machen.34 Wird Gottes Liebe als ein „Beziehungsgeschehen“ verstanden, so ist dieses wesentlich davon bestimmt, „dem Gegenüber Zeit zu geben und Zeit zu gewähren“.35 Folglich sind „Geduld und Langmut […] Weisen, wie sich die Ewigkeit der göttlichen Liebe konkretisiert.“36 Im Blick auf den Zweiten Petrusbrief wird in diesem Zusammenhang eine weitere Aufgabe deutlich, nämlich die Klärung des Verhältnisses zwischen Gottes Geduld (als Ausdruck seiner Liebe) und Gottes Zorn. Ist bereits davon gesprochen worden, dass Gottes Liebe als ein „Beziehungsgeschehen“ zu verstehen ist, das durch die Kommunikation des Schöpfers mit seinen Geschöpfen begründet wird, so ist auch in Bezug auf die Geduld Gottes deutlich zu machen, inwiefern diese sich in der Form sprachlicher Kommunikation ereignet.37 All die genannten Aufgaben hängen schließlich auf das Engste mit der grundlegenden Aufgabe zusammen, Gottes Geduld nicht losgelöst von dem Geschehen zu betrachten, in dem sich Gottes Geduld unüberbietbar gezeigt hat, nämlich in dem geduldigen Leiden Jesu am Kreuz,38 in dem zugleich „das 33 Ebd. 34 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie I, 473: „Wenn es sich dabei nicht um die notgedrungene Geduld des ohnmächtig dem Gang der Dinge Zusehenden handelt, sondern um die Geduld des Mächtigen, der sehr wohl in das Geschehen eingreifen könnte, aber sich zurückhält, und wenn seine Geduld überdies noch den eigenen Geschöpfen gilt, die er gewähren läßt, dann ist solche Geduld selber schon eine Gestalt der Liebe.“ Nach Jüngel ist die göttliche Geduld „der lange Atem der Leidenschaftlichkeit“ Gottes, wobei die Leidenschaft wiederum ein Wesensmerkmal der Liebe Gottes ist, vgl. JRngel/Rahner, a. a. O., 25 – 27. 35 HQrle, Dogmatik, 263. 36 HQrle, a. a. O., 263 f. 37 Nach Jüngel besteht darin der deutlichste „Hinweis“ für die Geduld Gottes in den biblischen Schriften, dass Gott in ihnen als „ein redender Gott“ vorgestellt wird, JRngel/Rahner, a. a. O., 33. 38 Vgl. JRngel/Rahner, a. a. O., 30: „[I]ndem also Gott selbst das Kreuz auf sich nahm, offenbarte er sich als der ganz und gar geduldige Gott.“ W. Härle betont zu Beginn seiner Ausführungen zu „Gottes Wesen und Eigenschaften“, dass diese „verantwortlicherweise“ nur darauf basieren könnten, „daß Gott sich in Jesus Christus zum Heil der Welt erschlossen hat“ (HQrle, Dogmatik, 236). Daraus müsse gefolgert werden, dass auch die Aussagen über Gottes Geduld „aus der Person und dem Werk Jesu Christi gewonnen“ werden (ebd.).

Barths Auslegungen zur Geduld Gottes (KD II/1)

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Ziel offenbar [wurde], um dessen willen Gott Geduld hat.“39 Im Folgenden ist zu zeigen, wie Barth sich dem soeben umrissenen Aufgabenspektrum gestellt hat und welche Rolle dabei seine Schriftauslegung gespielt hat.

2. Barths Auslegungen zur Geduld Gottes (KD II/1) 2.1 Zur Aufnahme der Geduld unter die zu behandelnden göttlichen Vollkommenheiten Wie kommt es, dass Barth im Gegensatz zu den zu seiner Zeit vorliegenden Dogmatik-Entwürfen der Geduld Gottes einen eigenen Abschnitt innerhalb der Lehre von Gottes Vollkommenheiten widmet? Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Auswahl und Zusammenstellung der göttlichen Vollkommenheiten nach Barth „grundsätzlich nur den Charakter eines Versuches und Vorschlages haben“ könne (KD II/1, 396). Denn weder durch die Bibel noch durch die Bekenntnisse würden dem Dogmatiker in dieser Frage verbindliche Vorgaben gemacht. Barth selbst entwickelt die Kriterien für seine Auswahl in Entsprechung zu seiner in KD I entfalteten Wort-Gottes-Lehre. Die Geduld könne nur dann als eine notwendige Eigenschaft Gottes erkannt werden, „wenn wir die faktische konkrete Offenbarung Gottes in Jesus Christus in ihrer faktischen konkreten Bezeugung durch die heilige Schrift für die lautere Quelle und für die notwendige Bedingung unserer Erkenntnis Gottes halten.“ (460) Dass Gott sich in Christus als ein mit seiner Schöpfung geduldiger Gott erwiesen hat, ist also das entscheidende Kriterium dafür, dass die Geduld unter den göttlichen Vollkommenheiten zu stehen kommt. So sehr Barth jedoch an dieser Stelle die Konkretheit der Christus-Offenbarung betont, ist nicht zu leugnen, dass der Hinweis auf Christus alleine nicht ausreicht, um zu erklären, warum gerade die Geduld Gottes, nicht aber zum Beispiel seine Sanftmut oder sein Eifer zu den zu behandelnden Vollkommenheiten gezählt werden soll. Insofern ist es aufschlussreich, dass Barth an anderer Stelle ein weiteres Argument nennt: Es bestehe, so schreibt er, „schon im Blick auf gewisse ausdrückliche Schriftaussagen eine gewisse Notwendigkeit“, neben der Gnade und der Barmherzigkeit Gottes auch dessen Geduld „ins Auge zu fassen“ (458). Barth zählt die entsprechenden Stellen aus dem Alten Testament sogleich auf40 und stellt fest, es würden hier in einer „zur Formel gewordenen Notwendigkeit gerade diese drei: die Gnade, die Barmherzigkeit und die Ge39 JRngel/Rahner, a. a. O., 30. 40 Es handelt sich um Ex 34,6; Joel 2,13; Jona 4,2; Neh 9,17; Ps 86,15; 103,8; 145,8.

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duld (oder die Langmut) Jahves […] als die Wesensmerkmale des in Israel offenbarten und an ihm handelnden Gottes genannt“ (ebd.). Zwar ist die herausragende Bedeutung des Bekenntnisses von Ex 34,6 par im Gesamtkontext des Alten Testaments, wie bereits gezeigt, auch in der alttestamentlichen Fachwissenschaft unbestritten. Gleichwohl ist es aus zweierlei Gründen bemerkenswert, dass Barth sich in der Auswahl der zu behandelnden göttlichen Vollkommenheiten an einem alttestamentlichen Bibelvers (und dessen Parallelstellen) orientiert und sich somit den Aufbau seiner Vollkommenheitslehre von jenem alttestamentlichen Bekenntnis vorgeben lässt. Zum einen wird hierin beispielhaft deutlich, dass die Schriftlektüre und -auslegung für Barth schon im Konstruktionsprozess der KD eine entscheidende Rolle spielen konnte. Die bereits zitierte einschränkende Bemerkung, wonach die Auswahl der biblischen Vollkommenheiten „grundsätzlich nur den Charakter eines Versuches und Vorschlages“ hätten, wie auch die vergleichsweise vorsichtige Formulierung in der Begründung („Es besteht […] eine gewisse Notwendigkeit …“) legen es freilich nahe, dabei nicht an eine systematische Befragung der biblischen Schriften, sondern eher an ein heuristisches Vorgehen zu denken, im Zuge dessen das strukturgebende Potential eben jenes biblischen Bekenntnisses Barth eingeleuchtet zu haben scheint. Zum anderen ist zu betonen, dass es sich dabei um ein alttestamentliches Bekenntnis handelt. Es wurde bereits festgestellt, dass die Entfaltung der Vollkommenheitslehre nach Barths Meinung letztlich im Anschluss an die Christusoffenbarung zu geschehen habe. Dass die christologische Ausrichtung einerseits und die formale Strukturierung anhand eines alttestamentlichen Bekenntnisses andererseits für Barth offensichtlich keinen Widerspruch darstellen, entspricht jener Erkenntnis aus der Schriftlehre in KD I/2, nach welcher der gesamte Kanon als Christuszeugnis zu verstehen ist.41

2.2 Erste Definition, dogmengeschichtlicher Exkurs und Etymologie Barths erste allgemeine Definition zu Beginn des Abschnitts über die Geduld lautet: „Geduld ist da, wo Einer dem Anderen in bestimmter Absicht Zeit und Raum gibt, wo Einer einen Anderen auf ihn wartend gewähren lässt.“ (459) Auf Gott bezogen bedeutet dies: [D]ie Geduld ist sein, in seinem Wesen liegender, sein Sein und Tun konstituierender Wille, einem Anderen um seiner Gnade und Barmherzigkeit willen und in Behauptung seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit Raum und Zeit für seine eigene Existenz […] zu lassen und also seinen Willen an diesem Anderen so zu vollstrecken, daß er es als dieses Andere nicht aufhebt und zerstört, sondern begleitet, erträgt und gewähren lässt. (461) 41 Vgl. in Teil A die Abschnitte 2.3, 2.4.

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In dieser Definition kommt sehr deutlich das Anliegen zum Ausdruck, die Geduld Gottes in einen Zusammenhang zu stellen, zum einen mit den beiden zuvor behandelten Vollkommenheiten der göttlichen Liebe (Gnade und Barmherzigkeit), zum anderen mit den Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit (Heiligkeit, Gerechtigkeit und Weisheit42). Dass Gott geduldig ist, bedeutet keine Einschränkung seiner Freiheit, sondern deren Ausübung. Gott muss nicht geduldig sein, aber er kann es. Bestätigt sieht sich Barth durch einen Blick in die Dogmengeschichte. Sowohl Polan als auch Quenstedt hätten die Geduld Gottes als ein Zurückhalten seines Zorns beschrieben und damit ein Verständnis von Gottes Geduld als Schwäche abgewehrt (461). Eben das, so ergänzt Barth zustimmend, qualifiziere den Zorn Gottes als Gottes Zorn, dass er in der Lage ist, ihn dank seiner Geduld zurückzuhalten (462). Nicht aufgrund eines Zwangs von außen, sondern „um meines Namens willen“ (Jes 48,9) halte Gott seinen Zorn zurück. Barth lässt hier bereits die ursprüngliche Bedeutung der beiden neutestamentlichen Begriffe !mow¶ und lajqohul¸a einfließen. )mow¶ betone das Moment der Zurückhaltung als einer „Machttat“, während durch lajqohul¸a der Wille (hulºr) Gottes als „ein großer, starker, harter und siegreicher Wille“ beschrieben werde. Gottes Geduld sei folglich nicht im Sinne einer zögerlichen „Langmut“ zu verstehen.43

2.3 Der exegetische Exkurs In den soeben dargestellten einleitenden Bemerkungen Barths zur göttlichen Geduld werden bereits einige der wichtigsten Thesen zu diesem Thema angesprochen. Sowohl die Abwehr eines Verständnisses der Geduld als Schwäche als auch die christologische Begründung finden hier ihre Erwähnung und eine erste Begründung, so dass es auf den ersten Blick kein verwegener Gedanke zu sein scheint, dass Barth den Abschnitt über die Geduld auch an dieser Stelle beenden könnte. Dass er es nicht tut, sondern vielmehr zu den fünf Seiten der Einleitung noch einen zwölfseitigen biblischen Exkurs entwirft, durch den die Einleitung erst zur Einleitung wird, legt die Vermutung nahe, dass die ei42 Die explizite Behandlung der göttlichen Weisheit erfolgt erst im Anschluss an den Abschnitt über die Geduld, weshalb in der zitierten Definition lediglich Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit genannt werden. Vgl. 475 – 495. 43 Dass Barth den Begriff „Langmut“ dahingehend kritisiert, es würde durch ihn „die Vorstellung eines Zögerns, einer Weichheit, einer Nachgiebigkeit und Dehnbarkeit des Willens Gottes“ (462) nahe gelegt, geht wohl eher auf ein Geschmacksurteil, als auf eine begründete sprachliche Analyse zurück. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass die Verbindung der Begriffe „lang“ und „Mut“ sowie das mit ihnen verbundene Begriffsfeld (mutig, ermutigen …) von vornherein ungeeignet wären, die Geduld Gottes „als ein Plus und nicht als ein Minus von Gottes Freiheit, Macht und Aktivität“ (ebd.) zu verstehen. Dass der Begriff der „Langmut“ außerdem die genaueste Übersetzung zur griechischen lajqohul¸a darstellt, steht außer Frage.

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gentliche Begründung und Entfaltung der Rede von Gottes Geduld weder in den Ausführungen zur Dogmengeschichte mit ihrer Kritik an der Mystik (460) noch in den Überlegungen zur Etymologie, sondern vielmehr im exegetischen Exkurs44 zu suchen sind. Dieser soll im Folgenden untersucht werden.

2.3.1 Gottes Geduld im Spiegel alttestamentlicher Erzählungen 2.3.1.1 Gottes Geduld mit Kain Barth beginnt seinen biblisch-exegetischen Exkurs mit einer Nacherzählung der Geschichte von Kain und Abel nach Gen 4,1 – 17 (463 f). Dass es sich um eine Nacherzählung handelt, ist formal in dreierlei Hinsicht festzustellen.45 Zum einen folgt Barth dem Handlungsbogen der Genesis-Erzählung Schritt für Schritt, so dass deren Entwicklung und Spannungsbogen auch die Struktur der Auslegung Barths bestimmt. Zum zweiten ist die Kürze der Sätze auffallend, die deutlich im Kontrast zum weithin üblichen Sprachstil der KD mit ihren langen Satzgefügen steht. Schließlich entspricht es dem Stil der Erzählung, dass Barth den Dialog zwischen Jahwe und Kain in direkter Rede wiedergibt (464). Dass Barth die Geschichte von Kain und Abel im Kontext der Geduld Gottes auslegt, ist zunächst insofern erstaunlich, als das Wort „Geduld“ in der biblischen Erzählung nicht explizit verwendet wird. Indem Barth jedoch ihre „Spitze“ darin erkennt, „daß dem Tötenden nicht mit Tod vergolten werden soll“, gilt sie ihm als ein Zeugnis von Gottes Geduld (ebd.). Neben den bereits erwähnten formalen Merkmalen sind zu Barths Erzähltechnik zwei Besonderheiten festzuhalten. Zum einen konzentriert er sich ausschließlich auf die Person des Kain. Adam, Eva und Abel werden lediglich am Anfang kurz genannt, während der Konflikt mit dem Bruder sowie die Aufforderung, aufs Feld zu gehen, unerwähnt bleiben. Wichtig ist für Barth einzig die Person des Kain als Nutznießer der göttlichen Geduld. Bei dessen Charakterisierung – und darin liegt eine zweite Besonderheit – nimmt Barth von vornherein die gesamte Erzählung in den Blick. Die fehlende Information über den Grund der Ablehnung von Kains Opfer in Gen 4,4 f ergänzt er, indem er von Kains späterem Verhalten – der „nachher aufbrechende[n] Eifersucht“, dem „Haß gegen den Bruder“ sowie der „Verantwor44 Das Schriftbild der Seiten 463 – 475 legt durch den Wechsel von Klein- und Normaldruck nahe, von mehreren exegetischen Exkursen zu sprechen. Ein Blick auf den Inhalt zeigt jedoch, dass es sich um einen zusammenhängenden Gedankengang handelt, in dem durchgehend die Bibel ausgelegt wird und mitunter sogar die exegetischen Pointen in den Abschnitten im Normaldruck zu stehen kommen, vgl. etwa 469: „Das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses von Gottes Geduld ist dies […]“ 45 Zur Definition der Erzählgattung vgl. Richardson, Recent Concepts of Narrative, 170, sowie Prince, Narratology, 4, sowie in dieser Studie ausführlicher Kapitel B 4, Abschnitt 2.3.1.

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tungslosigkeit“46 (464) – auf dessen frühere Haltung beim Opfer schließt: „Auch Kain hat [mit seinem Opfer] Gnade gesucht, aber nicht so, wie man Gottes Gnade suchen muß.“ (463) Ein solches Vorgehen ist exegetisch zweifellos anfechtbar und wird in den Kommentaren zur Genesis in der Regel kritisiert.47 Es spiegelt sich darin die Überzeugung wider, dass die Erzählungen des Alten Testaments als literarische Einheit gelesen werden müssen. Wo eine literarkritische Auslegung in der fehlenden Information einen logischen Widerspruch bzw. eine Auslassung feststellt und sich davon ausgehend auf die redaktionsgeschichtliche Untersuchung des (mehrstufigen) Entstehungsprozesses der Erzählung konzentriert,48 geht Barth bewusst einen anderen Weg, ohne dass er die Existenz eines solchen Entstehungsprozesses grundsätzlich bestreiten würde. Ausschlaggebend für seine Auslegung ist jedoch die Erzählung in ihrer heute vorliegenden Version. Diese wird von Barth darauf untersucht, welches Bild sie von ihren Figuren wie etwa der des Kain zeichnet. Das Ergebnis dieser bewusst die gesamte Erzählung in den Blick nehmenden Figurenanalyse49 führt zu dem beschriebenen Rückschluss in Bezug auf das Verhalten des Kain, mit dem Barth der Intention der Erzählung eher gerecht zu werden glaubt als mit einer Rekonstruktion von literarischen Vorstufen. Es ist allerdings kritisch zu fragen, ob Barth mit seinem Rückschluss nicht seinerseits den Bogen überspannt. Der weitere Verlauf der Auslegung verdeutlicht, weshalb Barth diesen Rückschluss überhaupt vornimmt: Indem Barth Kains früheres Verhalten als „Haß gegen die Gnade“ (464) charakterisiert, kann er umso stärker die Wende herausarbeiten, die sich in Kains Antwort auf die göttliche Strafandrohung ausdrückt. Kain bekennt: „Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.“ (Gen 4,13) Barth deutet dieses Bekenntnis so, dass Kain nun erkannt habe, dass er auf Gottes Gnade angewiesen ist, was dazu führe, dass ihm diese Gnade zugesprochen wird. Als ein Gezeichneter der Gnade – im Kainsmal für jeden sichtbar – wird er vor der Vernichtung bewahrt. „Kain der Mörder darf leben“ (464), weil Gottes Geduld es so will. „So triumphiert in Gottes Geduld das allmächtige, gnädige und barmherzige und gerade so heilige und gerechte Gottsein Gottes.“ (Ebd.) Inwiefern ist es die Geduld Gottes, die Kain am Leben hält? Inwiefern ist die 46 Vgl. Kains Frage in Gen 4,9: „Bin ich denn meines Bruders Hüter?“ 47 Vgl. von Rad, Genesis, 76, der hinter der fehlenden Begründung die Absicht des Erzählers vermutet, „die Annahme des Opfers ganz in den freien Willen Gottes hinauszuverlegen.“ Ähnlich Westermann, Genesis I, 403 f, sowie vor KD II/1 bereits Gunkel, Genesis, 43. 48 Dieses Vorgehen lässt sich u. a. im Genesis-Kommentar von Gunkel an zahlreichen Stellen beobachten, exemplarisch zu Gen 4,6, vgl. Gunkel, Genesis, 43. Vgl. auch Procksch, Genesis, 44 – 42. Dass Barth an anderer Stelle literarkritische und redaktionsgeschichtliche Hypothesen durchaus in seine Überlegungen mit einfließen lassen konnte, wird in den weiteren Kapiteln deutlich werden, vgl. hierzu auch Teil C, Abschnitt 2.2.1. 49 Vgl. hierzu Kapitel B 4, Abschnitt 3.4.3.

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Geschichte von Kain eine Geschichte von Gottes Geduld, obwohl von Geduld explizit nicht die Rede ist? Barths Antwort lautet: Weil in dieser Geschichte ein Mensch, der eigentlich den Zorn Gottes verdient hat, dennoch unter Gottes Schutz gestellt wird und deshalb nicht vernichtet wird, sondern weiterleben darf. Indem Barth seinen biblischen Exkurs nicht mit einer Suche nach expliziten Belegstellen für die Geduld Gottes beginnt, ist deutlich, dass er sich den biblischen Texten bereits mit einem bestimmten vorläufigen Konzept von dem, was Gottes Geduld ist, zuwendet, nämlich der bereits zitierten Definition, nach der Gottes Geduld darin besteht, „einem Anderen […] Raum und Zeit für seine eigene Existenz“ (461) zu lassen. Barth unterscheidet sich damit von einem streng biblizistischen Verfahren, in welchem zunächst nach wörtlichen Bezügen gesucht und die exegetische Begriffsklärung aufgrund von expliziten Belegstellen geschieht. Barths Vorgehen ist insofern freier, als es nicht nur nach wörtlichen, sondern vor allem nach sachlichen Bezügen fragt. So kann er auch eine Geschichte wie die von Kain in den Blick nehmen, um an ihr sein Verständnis von Gottes Geduld als Existenzgrundlage geschöpflichen Lebens zu verdeutlichen. 2.3.1.2 Gottes Geduld in der Noah-Geschichte Die zweite Geschichte, die Barth untersucht,50 ist die Geschichte von Noah und seiner Arche (464 f). Wieder findet sich im biblischen Text kein wörtlicher Bezug auf die Geduld Gottes, immerhin kann Barth auf 1 Petr 3,20 verweisen, wo Gottes Handeln „zur Zeit Noahs“ explizit mit seiner „Geduld“ in Verbindung gebracht wird (464). Für Barth ist die Noahgeschichte darin ein Zeugnis für die Geduld Gottes, dass der sein Gericht zunächst in aller Schrecklichkeit ausübende Gott am Ende das Opfer des Noah annimmt und verspricht, dass eine Sintflut wie die von Noah erlebte in Zukunft nie wieder geschehen werde (465).51 Barth betont, dass es wie in der Kains-Geschichte „nur um das Leben“ (ebd.) der Menschheit gehe, das unter Gottes Schutz gestellt wird. Dies bedeutet umgekehrt, dass nicht erst Erfolg oder Gesundheit, sondern bereits das schlichte Überleben auf der Grundlage von Gottes Geduld geschieht. Gott ist „mit dieser Kreatur noch nicht fertig“ (ebd.). Seine Geduld schafft den Raum dafür, dass er weiterhin mit ihr reden und an ihr handeln kann, sie schafft den Raum für die noch kommenden Bundesschlüsse mit Abraham und am Sinai, vor allem aber für deren Erfüllung im Christus-Geschehen (ebd.). Eine weitere Gemeinsamkeit mit der Kains-Geschichte erkennt Barth darin, dass die Zu50 In diesem Falle von einer Nacherzählung zu sprechen, wäre insofern unpräzise, als Barth darauf verzichtet, die einzelnen Abschnitte nachzuzeichnen und sich stattdessen gleich der göttlichen Zusage nach der Flut zuwendet, in welchem er den „Gehalt dieser Geschichte“ (465) erkennt. 51 Diese Auffassung deckt sich mit der Auslegung von Jeremias, der ebenfalls betont, dass Jahwes Reue über seine Schöpfung nach der Sintflut nicht mehr zum Tragen kommen soll. „Jahwe trägt sie [die Schöpfung] in Geduld, ,so lange die Erde steht‘.“ Vgl. Jeremias, Die Reue Gottes, 27.

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sage der göttlichen Geduld wiederum mit einem Zeichen besiegelt wird, dem „Bogen in den Wolken“ (ebd.). 2.3.1.3 Gottes Geduld mit Ninive bzw. Jona Noch eine dritte Geschichte behandelt Barth zur Veranschaulichung dessen, was im Alten Testament unter Gottes Geduld verstanden wird.52 Es ist die vom Propheten Jona (465 f), in der das Handeln Gottes explizit als „geduldig“ beschrieben wird.53 Barth kontrastiert die gnädige Geduld Gottes, die das Leben der Kreatur erhalten will, mit der Ungeduld des Jona, der sich das Gericht über Ninive und schließlich über sich selbst herbeiwünscht. Indem er die Struktur der Erzählung nachzeichnet, erläutert Barth, wie dieser Kontrast auf die Spitze getrieben wird: Ausgerechnet Jona, der im ersten Teil des Buches (Kap. 1 – 2) zunächst für seinen Ungehorsam bestraft, dann aber aus dem Bauch des Fisches errettet und somit selbst zum „Gegenstand der Geduld Gottes“ wird, erweist sich im zweiten Teil (Kap. 3 – 4) „als deren allzu schlechter Interpret“ (466). Zunächst beschwert er sich über Gottes Geduld mit den Einwohnern von Ninive, und als der Schatten spendende Rizinusbaum verdorrt ist, bittet er ungeduldig um die Beendigung seines Lebens. Gerade in der „förmlichen Burleske“ Jona 4,5 f, in der der von der Sonne geplagte Prophet „ein zweites Mal Gelegenheit“ bekommt, „sich den Tod und also einen ungeduldigen Gott zu wünschen“, werde der Leser durch die göttliche Antwort darüber aufgeklärt, dass das „Wort der Geduld Gottes […] das letzte Wort [ist], das in dieser Schrift zu lesen ist.“ (Ebd.) Im Vergleich zu den beiden anderen Geschichten ist eines freilich neu in der Jona-Erzählung, und darauf kommt Barth am Ende seiner Nacherzählung zu sprechen. Hatte Gottes Geduld bisher eine Milderung der Folgen seines Gerichts (für Kain) bzw. die Bewahrung im Gericht (für Noah und seine Familie) bedeutet, so bewirkt sie nun, dass das Gericht (über Ninive) gar nicht erst eintritt (ebd.). Ohne den Gedanken weiter auszuführen, hat Barth damit eine wichtige Erkenntnis gewonnen. Gottes Geduld als das Zurückhalten seines Zornes kann auch bewirken, dass sein bereits beschlossenes Gericht ausbleibt. Wird damit die Geduld letztlich doch zum Ausdruck eines schwachen oder gar ungerechten Gottes? Nach Barth ist gerade das Gegenteil der Fall. Indem sie am Ende die Verschonung der Stadt Ninive berichtet, verbindet die JonaErzählung seiner Meinung nach die Geduld Gottes und seine Allmacht in besonders gelungener Weise.54 Gottes Allmacht umfasst auch die Möglichkeit, ein bereits angekündigtes Strafgericht wieder zurückzunehmen. „Verkündigt sie [die Jona-Erzählung] nicht gerade so, gewaltiger als jede Strafgerichts52 In dieser Auslegung sind wieder alle in Bezug auf die Nacherzählung zu Kain und Abel genannten formalen Merkmale einer Nacherzählung zu beobachten. 53 Vgl. Jona 4,2. 54 Nur am Rande sei erwähnt, dass Barth wiederum auf die in der exegetischen Forschung seiner Zeit gängige Unterscheidung verschiedener Quellenschichten verzichtet, vgl. hierzu Robinson/ Horst, Die zwölf kleinen Propheten, 117 – 126; Sellin, Das Zwölfprophetenbuch, 237 – 253.

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schilderung über die Stadt oder den Propheten es könnte, das allmächtige, heilige und gerechte Gottsein Gottes?“ (Ebd.) 2.3.2 Der Sprung ins Neue Testament: Gottes Geduld ist in seinem Wort begründet 2.3.2.1 Kann Gott geduldig sein? Und ist er es denn wirklich? Dass Gottes Geduld in den drei alttestamentlichen Geschichten kein Zeichen von Schwäche bedeutet, sieht Barth konkret darin belegt, dass sie sich in Hinblick auf die „Buße und Umkehr des Menschen“ (467) vollzieht, die entweder schon geschehen ist oder aber erwartet wird. Barth nennt im Anschluss an seine Nacherzählungen zunächst einige weitere Bibelstellen, in denen er diesen Sachverhalt belegt sieht.55 Was jedoch zunächst wie eine bloße Bestätigung des vorhergehenden Abschnitts erscheint, erweist sich in Wahrheit als die Vorbereitung eines Paradoxes. Der Zusammenhang zwischen Gottes Geduld einerseits und der menschlichen Umkehr andererseits wird von Barth so stark gemacht, um im Anschluss desto schärfer die Frage aufzuwerfen, ob die göttliche Geduld angesichts des weitgehenden Ausbleibens der Buße nicht ad absurdum geführt werde (467). Barth zitiert hierzu Jes 61,1 f, wo das Volk Gottes in seinem ganzen Desinteresse gegenüber der Zuwendung Gottes dargestellt wird. Es ist ein Volk von Menschen, die „nicht nach mir fragten, […] mich nicht suchten […] und meinen Namen nicht anrief[en]“ (ebd.). „Was soll dann aber die Geduld Gottes?“ fragt Barth und geht angesichts der zahlreichen Leiden und Katastrophen in Israel noch einen Schritt weiter mit der Folgefrage: „Wo bleibt faktisch die Geduld Gottes?“ (Ebd.) In einer Reihe von acht Fragen formuliert Barth immer wieder dieses doppelte Problem: „Kann denn Gott geduldig sein? Und ist er es denn wirklich?“ (468) Anders ausgedrückt: Wie ist die „Möglichkeit“ der auf echte menschliche Buße wartenden göttlichen Geduld begründet angesichts des fortlaufenden Ungehorsams seines Volkes? Und wie lässt sich begründet von der „Wirklichkeit“ der göttlichen Geduld sprechen angesichts der Leidensgeschichte dieses Volkes?56 In der geradezu dramatischen Sprache dieses Absatzes zeigt sich eine eigentümliche Haltung Barths nicht nur als Dogmatiker, sondern auch als Bibelleser. Er steht den biblischen Texten nicht distanziert gegenüber, er gibt sich mit den Widersprüchlichkeiten der biblischen Schriften nicht ohne 55 Es sind dies Hes 18,21: „Wenn sich der Gottlose bekehrt, […] so soll er am Leben bleiben“; Röm 2,4: „Weißt du nicht, dass die Güte Gottes dich zur Umkehr leitet?“; Röm 9,22 f; 2 Petr 3,9; 1 Tim 1,16; Ri 2,11 – 22. 56 Barth verwendet die Begriffe der „Möglichkeit“ und „Wirklichkeit“ der göttlichen Geduld erst am Ende des Abschnitts (474), meint damit jedoch nichts anderes als in den bereits erwähnten Fragen, ob Gott geduldig sein „kann“ und ob er es denn wirklich „ist“ (468).

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weiteres zufrieden. Er begnügt sich auch nicht mit dem relativierenden Hinweis, es handle sich in ihnen ohnehin nur um Deutungen unterschiedlichster geschichtlicher Erfahrungen als Taten Jahwes durch die verschiedenen Generationen und theologischen Schulrichtungen im alten Israel. Barth hält es vielmehr für notwendig, die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit von Gottes Geduld in der von den biblischen Schriften vorgegeben Schärfe „allen Ernstes“ (468) zu stellen. 2.3.2.2 Die Antwort durch das „entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses“ Um eine positive Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit von Gottes Geduld zu finden, wendet sich Barth wiederum dem biblischen Zeugnis zu. Dies freilich in ganz bestimmter Weise: Und wenn man sich nun nicht sofort die biblische Antwort geben läßt, wenn man diese Frage selber nun etwa nicht von der biblischen Antwort her stellt (wenn man nämlich nicht beachtet, daß wir das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses bis jetzt noch nicht berührt haben!) dann wird man diese Frage kaum anders als negativ beantworten können. (468)

Das paradoxe Verhältnis zwischen Gottes Geduld und der (faktisch allzu oft ausbleibenden) menschlichen Umkehr löst sich nach Barths Ansicht nur, wenn man auf „das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses“ blickt. Dieses „entscheidende Moment“ ist nichts anderes als das, was Barth in seiner Schriftlehre als die Sache oder den Gegenstand des biblischen Kanons bezeichnet. Es ist Gottes Offenbarung in Jesus Christus als unüberbietbarer Höhepunkt der Geschichte der Beziehung zwischen dem dreieinigen (mithin in sich selbst als Beziehung existierenden) Gott und seinen Geschöpfen. Wie diese gesamte Geschichte im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu ihr Ziel erreicht, so sind auch die Möglichkeit und Wirklichkeit der göttlichen Geduld im Christusgeschehen begründet. In der Entfaltung dieses Gedankens kommt Barth zunächst auf Hebr 1,3 zu sprechen: „Das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses von Gottes Geduld ist dies, daß Gott nach Hebr. 1, 3 durch sein kräftiges Wort alle Dinge trägt.“ (469) Nicht die menschliche Umkehr ist letztlich der Anlass für Gottes Geduld, sondern sein eigenes Wort. Mit dem „kräftigen Wort“, so fährt Barth fort, ist im Hebräerbrief das Wort gemeint, das Gott nach Hebr 1,2 in seinem Sohn gesprochen hat. In diesem Wort, in dieser Anrede kulminieren alle früheren Worte und Anreden Gottes, mit denen er sein Volk zur Umkehr bewegen wollte. Die Bedeutung des Christusgeschehens in Bezug auf die göttliche Geduld wird von Barth in zweifacher Weise beschrieben. Zum einen ist Christus der eigentliche Grund, aus dem Gott seit Beginn der Schöpfung seinen Geschöpfen Zeit und Raum gewährt. Die Schöpfung wird aufbewahrt für das Versöh-

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nungswerk, das sich in der Christusoffenbarung ereignet. Somit ist das Christusgeschehen der Grund für die Wirklichkeit der göttlichen Geduld. Zum anderen ist es aber auch der Grund der Möglichkeit von Gottes Geduld. Dass Gottes Geduld nicht umsonst geschieht, sondern dass sich das Warten auf die menschliche Umkehr lohnt, wird ebenfalls mit Blick auf dieses Geschehen deutlich: Auf die Frage: wo und wann es denn zu den rechtschaffenen Früchten der Buße gekommen sei, auf die hin es sich für Gott lohnte, mit dem Menschen Geduld zu haben, ihm also Raum und Zeit zu geben, werden wir antworten müssen: daß es allerdings nie und nirgends als in Jesus Christus, in ihm aber wirklich und ein für allemal und für uns alle genugsam zu diesen Früchten gekommen ist in dem vollkommenen Gehorsam, den er […] geleistet hat. (470)

Um Christi willen, genauer um seines Gehorsams willen, hat sich die Geduld Gottes gelohnt, die in der „vergangenen Zeit“ nach Röm 3,25 f die „zuvor geschehenen Sünden“ (ebd.) ungestraft ließ. Durch die Verbindung mit dem Christusgeschehen erfährt die Rede von Gottes Geduld bei Barth nicht nur ihre entscheidende Begründung, sondern zugleich zwei weitere Präzisierungen. Die erste bezieht sich auf den Charakter der Geduld Gottes: Es wird nun deutlich: Es ist nicht an dem, daß Gottes Geduld den Menschen sich selbst überlassen würde. Sein Eifer gegenüber der Kreatur und um die Kreatur konnte offenbar nicht gewaltiger entbrennen, als indem sein eigenes Wort Kreatur, Fleisch wurde. (470 f)

Im Christusgeschehen wird deutlich, dass Gottes Geduld Ausdruck seiner leidenschaftlichen Liebe ist. Nicht in einem „indifferenten Abseitsstehen“ (471) kommt Gottes Geduld zum Tragen, sondern indem er sich höchst aktiv und mit ganzem Einsatz für das Wohl seiner Schöpfung einsetzt, indem er um sie eifert. Die zweite Präzisierung ergibt sich mit Blick auf die Umkehr des Menschen, von der die Geduld Gottes, wie nun festgestellt ist, nicht abhängt, auf die sie aber nach wie vor aus ist. Diese Umkehr kann nun genauer bestimmt werden als der Glaube an Christus, in dem Gott seine Geduld mit den Menschen offenbart hat. Es ist also der Aufruf zum Glauben der Sinn der göttlichen Geduld und wir brauchen bloß an den Gegenstand des Glaubens, an den einen Jesus Christus zu denken, […] um einzusehen, daß von irgend einer Indifferenz Gottes gegenüber der Kreatur in dem Warten seiner Geduld gar keine Rede sein kann. (471)

Barth beendet seinen Exkurs über die göttliche Geduld nicht, ohne noch einmal auf die Frage nach der Geduld Gottes angesichts der Leiden Israels sowie der innerhalb der Gemeinde erfahrenen Gerichte und Strafen zu sprechen zu kommen. Nach Barth sind diese Leiden lediglich „zeichenhafte Ge-

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richte und Strafen und gerade nicht das Ausbrechen des wirklichen Zornes und Gerichtes Gottes.“ (472) Das „Aufwallen des Zornes Gottes“ ist „nur die Sache eines Augenblicks“,57 und selbst diesen Augenblick „haben wir nicht durchzumachen und zu erleiden“ (475). Vielmehr habe Christus ihn erlitten, als er am Kreuz hing und „mit lauter Stimme sprach: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“58 (Ebd.)

2.4 Die Auswirkungen der Schriftlehre: Leidenschaftliche Exegese Im Laufe der bisherigen Besprechung wurden bereits einige Bezüge zwischen Barths Schriftlehre und der Auslegung zur Geduld Gottes in KD II/1 genannt. So wurde festgestellt, dass die Forderung nach einer sachorientierten Bibellektüre darin ihren Widerhall findet, dass Barth inmitten des Exkurses auf „das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses“ zu sprechen kommt und daraufhin die christologische Begründung der Rede von Gottes Geduld entfaltet (469). Des Weiteren wurde festgestellt, dass insbesondere die alttestamentliche Auslegung zur Geduld Gottes davon geprägt ist, die Bibel in ihrer Gesamtheit als Zeugnis der Geschichte der Beziehung zwischen Gott und Menschen zu verstehen und nicht etwa als theologisches Stichwortverzeichnis. So lässt sich erklären, dass Barth in seiner exegetischen Entfaltung der Geduld Gottes stärker nach sachlichen Bezügen als nach wörtlichen Belegen fragt. Wichtiger als die Frage nach wörtlichen Belegstellen ist für Barth die Frage, wo von der Geduld Gottes erzählt wird. Auch in dem für Barths Argumentation entscheidenden neutestamentlichen Vers Hebr 1,3 ist von der Geduld Gottes nicht explizit die Rede, sondern lediglich davon, dass er die Welt durch sein Wort trägt. Weiterhin kann die Art und Weise, wie Barth Altes und Neues Testament miteinander ins Gespräch bringt, als eine Entsprechung zu der in der Schriftlehre entwickelten Verhältnisbestimmung betrachtet werden. Die Christusverkündigung des Neuen Testaments wird als eine Antwort auf die im Alten Testament offen gelassene Frage nach dem Verhältnis zwischen Gottes Geduld und der allzu oft mangelhaften menschlichen Umkehrbereitschaft betrachtet. Von den positiven Aussagen des Alten Testaments über Geduld Gottes wird dadurch jedoch nichts zurückgenommen. Schließlich ist festgestellt worden, dass Barth in den Auslegungen der alttestamentlichen Geschichten diese als literarische Einheiten wahrnimmt und sich dabei am biblischen Endtext orientiert. In diesen Einzelbeobachtungen ist freilich ein charakteristisches Merkmal noch nicht erfasst, durch das die gesamte Auslegung Barth entscheidend ge57 Barth verweist auf die entsprechenden Aussagen in Jes 54,8; Ps 30,6. 58 Vgl. Mk 15,34.

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prägt ist und das ebenfalls in unmittelbarem Bezug zu Barths Schriftlehre steht. Die Auslegung zu Gottes Geduld zeugt von einer exegetischen Leidenschaft, die sich, wenn der Begriff nicht schon anderweitig belegt wäre, auch als „engagierte Schriftauslegung“59 bezeichnen ließe.60 Worin zeigt sich diese Leidenschaft und worauf ist sie gerichtet? Sie zeigt sich zunächst darin, dass Barth der exegetischen Entfaltung einen ungeheuren Raum zugesteht. Er nimmt sich Zeit, in die Geschichten von Kain, Noah und Jona hineinzuhorchen. Dabei verweigert er sich konsequent der Position eines distanzierten Betrachters und begibt sich stattdessen in die Geschichten hinein, zeigt seine Sympathie für die Figur des Kain ebenso deutlich wie seine Geringschätzung gegenüber dem Verhalten des Jona. Deutlich ist ihm das Anliegen abzuspüren, die Geschichten dem Leser so lebendig wie möglich vor Augen zu malen. Die Leidenschaft der Exegese Barths zeigt sich aber auch in der Schärfe, mit der er die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit von Gottes Geduld angesichts der mangelnden Umkehrbereitschaft seines Volkes stellt. Die immer wieder eindringlich wiederholte Doppelfrage: „Kann Gott geduldig sein? Und ist er es denn wirklich?“ (468) ist wohl das anschaulichste Beispiel dafür, wie sich die Leidenschaft von Barths Exegese auch in der Sprache widerspiegelt. Die Frage, worauf die Leidenschaft Barths gerichtet ist, ist insofern von Bedeutung, als Leidenschaft an sich wohl kaum einem Exegeten abgesprochen werden kann. Fragt man jedoch, worauf die exegetische Leidenschaft abzielt, so zeigt sich das Eigentümliche, das Barths Auslegung von anderen exegetischen Entwürfen unterscheidet. Barths Leidenschaft ist ganz auf das gerichtet, was er in der Schriftlehre als die Sache oder den Gegenstand der Schrift bezeichnet. Sein exegetischer Eros zielt nicht darauf ab, die Texte als historische 59 „Engagierte“ Schriftauslegung gilt in der Regel als eine alternative Bezeichnung der verschiedenen Spielarten so genannter kontextueller Bibelauslegungen (Feministische Bibelauslegung, Befreiungstheologische Bibelauslegung etc.), vgl. Kosch, Kontextuelle Bibellektüren, 54. Ohne direkten Bezug hierzu hat auch K. Haacker eine Sammlung von hermeneutischen Aufsätzen unter dem Titel Biblische Theologie als engagierte Exegese veröffentlicht. Was Haacker unter „engagierter Exegese“ versteht“, wird allerdings in seinem Buch ebenso wenig erklärt wie in der zu seinen Ehren von V. Lehnert u. a. herausgegebenen Festschrift Logos – Logik – Lyrik. Engagierte exegetische Studien zum biblischen Reden Gottes. 60 Die Bezeichnung von Barths Exegese als leidenschaftlicher Exegese nimmt eine Formulierung von E. Busch auf, der seine Einführung in die Theologie Karl Barths mit dem Titel „Die große Leidenschaft“ versieht. Busch knüpft damit seinerseits an die posthum erschienenen Fragmente von KD IV/4 an, in denen Barth den „Eifer um die Ehre Gottes“ als die „große, unüberwindliche, dauernde und gefährliche Leidenschaft der Christen“ (vgl. Barth, Das christliche Leben, 181) bezeichnet, vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 9. Busch selbst verzichtet darauf, den Begriff der Leidenschaft in einem eigenen Kapitel auf Barths Schriftauslegung zu beziehen. Immerhin erklärt er unter Berufung auf KD III/1, 101, dass eine der wesentlichen Erkenntnisse von Barths Schriftverständnis darin bestanden habe, dass ein Verstehen der biblischen Texte nicht möglich sei, „wo man nicht an dem von ihnen Bezeugten ,beteiligt ist‘, wo man ihren Gott nicht ,als seinen eigenen Gott‘ kennt“. Vgl. Busch, a. a. O., 73 f (Hervorhebung: K.B.).

Der theologische Ertrag des exegetischen Exkurses

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Größen in ihrer Entstehung oder ihrem historischen Umfeld zu verstehen. Vielmehr ist durchgehend das Anliegen zu beobachten, die Geschichte der Beziehung zwischen Gott und Menschen als eine im Christusgeschehen begründete und endgültig verwirklichte und deshalb auch von Gottes Geduld getragene Geschichte zu verstehen. Aus geschichts- wie auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht macht Barth sich dadurch natürlich angreifbar, und es ist, wie auch an derer Stelle, durchaus zu fragen, ob Barth die Perspektivität seiner Auslegung in ausreichendem Maße reflektiert hat.61 Dessen ungeachtet ist festzuhalten, dass eine solche als leidenschaftliche Exegese bezeichnete Art der Auslegung dem in KD I/2 entfalteten Schriftverständnis insofern entspricht, als auch hier der Bibel, wenn sie einmal als Zeugnis von Gottes Offenbarung gehört worden ist, keine höhere und wichtigere Funktion zugesprochen werden kann, als eben dies: dass Menschen durch ihre Lektüre die Anrede hören, durch die der dreieinige Gott sie in seiner Geduld wieder und wieder anspricht und zum Glauben einlädt.

3. Fazit: Der theologische Ertrag des exegetischen Exkurses zu Gottes Geduld für die Gotteslehre in KD II/1 Wenn zum Abschluss des Kapitels über Barths Schriftauslegung zur Geduld Gottes nach dessen theologischem Ertrag gefragt wird, so ist es sinnvoll, zwischen der Auslegung der alttestamentlichen Erzählungen einerseits und deren christologischer Zuspitzung im zweiten Teil des Exkurses andererseits zu unterscheiden. Beide Teile des exegetischen Exkurses tragen je für sich – und gerade so in gegenseitiger Ergänzung – entscheidende Aspekte zu dem in KD II/1 entwickelten Verständnis der Geduld Gottes bei.

3.1 Gottes Geduld – Konkretion seiner leidenschaftlichen Liebe Welche Aspekte sind charakteristisch für Barths alttestamentliche Auslegungen zur Geduld Gottes und worin besteht ihr theologischer Gewinn? Hierzu ist zunächst daran zu erinnern, dass Barth auf die Gattung der Erzählung zurückgreift, um den Begriff der göttlichen Geduld exegetisch darzustellen. Er schafft damit nicht nur eine wichtige Ergänzung zu den abstrakten Begriffsklärungen am Anfang des Paragraphen, in denen die göttlichen Vollkommenheiten dialektisch aufeinander bezogen werden, sondern nimmt zugleich eine exegetische Schwerpunktsetzung vor. Die Geschichten des Alten Testaments haben für Barth bei der Klärung des Verständnisses von 61 Vgl. hierzu die kritische Würdigung in Kapitel C, besonders Abschnitt 3.2.

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Gottes Geduld eine größere Aussagekraft als etwa die Bekenntnisse der Psalmen oder der Propheten.62 Das theologische Anliegen dieser Vorgehensweise ist deutlich: Geduld ist keine abstrakte, sondern eine konkrete Eigenschaft bzw. Vollkommenheit Gottes, die sich in der lebendigen, Zeit brauchenden und gewährenden Beziehung zu seinen Geschöpfen manifestiert und deshalb am besten in Erzählungen beschrieben wird.63 Hier zeigt sich, dass Gottes Geduld kein notwendiges Prinzip darstellt, durch das immer schon klar wäre, wie sich die Geschichten zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen vollziehen. Diese Geschichten sind vielmehr voller Wendungen und Spannungen, welche sich am besten in Erzählungen festhalten lassen. Um die biblischen Erzählungen angemessen auszulegen, ist es wiederum notwendig, sie in ihren Einzelheiten nachzuzeichnen, wodurch sich der narrative Stil erklärt, den Barth selbst in seinen Auslegungen überwiegend verwendet. Auf diese Weise kommt nicht nur das dramaturgische Potential der biblischen Erzählungen sehr eindrücklich zur Geltung, sondern es wird vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass Gottes Geduld als Ausdruck seiner leidenschaftlichen Liebe (und nicht etwa seiner Unerschütterlichkeit!) verstanden werden muss. Gerade in ihrem narrativen Stil entspricht die Auslegung Barths damit einer der wesentlichen Aufgaben, die in der thematischen Hinführung beschrieben wurden.64 Darüber hinaus wird durch den narrativen Stil eine unmittelbare Beziehung zum erzählten Geschehen hergestellt wird. Vor allem die Figuren des Kain und des Jona werden von Barth so anschaulich geschildert, dass eine distanzierte Wahrnehmung auf Seiten des Lesers nur schwer möglich und offensichtlich von Barth nicht intendiert ist. Vielmehr soll der Leser in die Geschichte der Geduld Gottes hineingestellt werden.65 Ein weiterer Gewinn der alttestamentlichen Auslegungen Barths besteht in der grundlegenden Erkenntnis, dass menschliches Leben von Anfang an auf der Grundlage von Gottes Geduld geschieht. Nicht nur der Brudermörder Kain, sondern auch der gerechte Noah lebt davon, dass Gott seinen heiligen Zorn bändigt. Die Frage, ob Gott geduldig ist, ist also nicht erst im Blick auf die Vergebung von Schuld positiv zu beantworten, sondern bereits in der fortdauernden Gabe des Lebens aller Kreatur. Weiterhin ermöglichen die alttestamentlichen Auslegungen, Gottes Geduld als Ausdruck seiner Stärke und seiner Gerechtigkeit zu verstehen. Dies gelingt Barth nicht zuletzt durch den Kontrast, den er in der dritten Erzählung zwi62 Vgl. etwa Ps 86,15 oder Nah 1,3. Zu Barths narrativer Auslegung von alttestamentlichen Erzählungen vgl. ausführlich Kapitel B 4. 63 Ganz ähnlich lautet die Analyse E. Maurers zu Barths Christologie, vgl. ders., Narrative Strukturen, 10: „Barth spielt die Geschichte gegen begriffliche Abstraktionen aus“, um so der „Kontingenz der Ereignisse“, welche durch das „göttliche Subjekt“ in Gang gesetzt werden, gerecht zu werden. 64 Zur „dramatischen Denkform“ in Barths Dogmatik vgl. Pietz, Drama, 99 – 106. 65 Vgl. hierzu ausführlich in Kapitel B 4 die Abschnitte 2.3.6 und 2.4.4.

Der theologische Ertrag des exegetischen Exkurses

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schen Gottes machtvoller Geduld und dem ohnmächtigen, ungeduldigen und angesichts seines eigenen Ungehorsams auch zutiefst ungerechten Jona herstellt. Hier wird verständlich, dass die Verbindung von Gottes Geduld und Gottes Macht nicht bloß ein theoretisches Spiel mit Worten ist, sondern nach alttestamentlicher Vorstellung ein sehr konkreter, sachgemäßer und folgenreicher Ausdruck dessen, wie Gott mit seiner Schöpfung umgeht. Wiederum ist festzuhalten, dass Barth damit einer der eingangs beschriebenen Aufgaben entspricht, nach der die Geduld als eine Eigenschaft Gottes zu beschreiben ist, die nicht einfach in der Selbstreflexion des frommen Individuums aufgeht, sondern immer wieder eine neue und überraschende Erfahrung darstellt. Schließlich ist es ebenfalls die Auslegung der Jona-Erzählung, die einen weiteren theologischen Aspekt zur Geltung bringt, indem sie davor warnt, die Geduld Gottes allzu eng mit der Vorstellung eines bereits stattgefundenen oder in jedem Falle noch stattfindenden Gerichts zu verbinden, so als könne von Gottes Geduld nur im Zusammenhang mit einem solchen tatsächlich stattfindenden Gericht die Rede sein. Gottes Geduld, so hat die Jona-Auslegung gezeigt, kann auch bedeuten, dass es bei der Androhung des Gerichts bleibt, das Gericht selbst aber letztlich ausbleibt.

3.2 Gottes Geduld – im Christusgeschehen gültig zugesprochen Die Besonderheit des zweiten Teils von Barths exegetischem Exkurs zur göttlichen Geduld besteht ohne Zweifel in der Art und Weise, wie Barth die vom Alten Testament aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit von Gottes Geduld angesichts der mangelnden Umkehrbereitschaft des Menschen beantwortet. Indem er sich vom Neuen Testament bzw. dem „entscheidenden Moment“ des biblischen Zeugnisses die Antwort geben lässt, entfaltet Barth seine christologische Begründung der göttlichen Geduld. Die Aussagen des Alten Testaments zur Geduld Gottes werden dadurch nicht aufgehoben, wohl aber wird davon ausgegangen, dass das Alte Testament in seiner Rede von Gottes Geduld offen bleibt für die umfassende Beantwortung der Frage nach dem Grund der Möglichkeit und Wirklichkeit von Gottes Geduld im Christusgeschehen.66 Dass beide Testamente eine gewichtige Rolle in der exegetischen Entfaltung der Rede von Gottes Geduld spielen, kann nicht bestritten werden. Keine der Erkenntnisse aus den Geschichten von Kain, Noah und Jona wird im zweiten Teil des Exkurses zurückgenommen. Man wird sogar umgekehrt behaupten müssen, dass die Auslegung des Neuen Testaments im Vergleich zu den alttestamentlichen Auslegungen vergleichsweise farblos bleibt. Letztlich genügt Barth ein einziger Vers aus dem Hebräerbrief, um seine christologische 66 Dieses Vorgehen entspricht der Verhältnisbestimmung zwischen Altem und Neuem Testament in KD I, vgl. Teil A, Abschnitt 2.4.

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B 1: Exegetische Begriffsentfaltungen in der Gotteslehre (KD II/1)

Auslegung zu entfalten. Der Beitrag des Neuen Testaments besteht darin, die Person vorzustellen, in deren Geschichte Gott seine Geduld verwirklicht hat. Diese Geschichte wird von Barth – jedenfalls an dieser Stelle67 – nicht ausführlich erzählt, sondern eher in ihren Konsequenzen auf die Rede von Gottes Geduld durchsichtig gemacht. Diese Konsequenzen sind freilich enorm. Nicht nur, dass die Geduld in der christologischen Zuspitzung endgültig als eine Eigenschaft der leidenschaftlichen Liebe Gottes zum Vorschein kommt. Das Christusgeschehen ist für Barth, wie bereits mehrfach angesprochen, nicht weniger als der Ermöglichungs- und der Realgrund der göttlichen Geduld. Hinzu kommt, dass sich die Geduld Gottes im Christusgeschehen in unüberbietbarer Deutlichkeit als ein sprachliches Geschehen offenbart. Christus ist das Wort Gottes, in dem der Welt die Geduld Gottes zugesprochen68 und in dem sie zugleich zum Glauben aufgerufen wird.69 Damit lässt sich feststellen, dass Barth der oben genannten Aufgabe, die Geduld Gottes einerseits christologisch zu begründen und andererseits als ein Sprachgeschehen kenntlich zu machen, durchaus gerecht wird. Kritisch zu hinterfragen ist freilich, wie Barth die Geduld Gottes mit jenen Leidenserfahrungen in Verbindung bringt, die „mit Israel wir zu leiden haben“ (472). Indem er diese Leidenserfahrungen im Vergleich zum Karfreitagsgeschehen lediglich als „zeichenhafte Gerichte und Strafen“ versteht, wird er dem von ihm selbst aufgeworfenen Problem der Christen-, aber vor allem der Judenverfolgung – erst recht derjenigen, die während der Entstehung von KD II/1, also in den späten 1930er und beginnenden 1940er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Europa stattfand – mit Sicherheit nicht gerecht. Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang der Versuch, das Leiden des jüdischen Volkes einer dogmatischen Erklärung zuzuführen.70 Hier wäre es eher angebracht gewesen, auf die bleibende Rätselhaftigkeit bestimmter geschichtlicher Phänomene und auf die Schwierigkeit, diesen anders als in der Form der Klage zu begegnen,71 hinzuweisen. Barths Erklärung mit dem abschließenden Zitat von Röm 8,17 f („Leiden wir mit ihm, so werden wir auch

67 Vgl. dagegen u. a. KD II/2, 464 – 498; IV/1, 246 – 150, 286 – 300, 337 – 340; IV/2, 201 – 213, 239 – 242, 250 – 257, 282 – 286, 436 – 438; IV/3, 265 – 271. 68 Vgl. II/1, 473: „[I]ndem wir dieses Wort [nämlich Jesus Christus] hören als das ewige und doch zu uns gesprochene Wort Gottes, hören wir das entscheidende Wort, hören wir die Mitte und die Wahrheit des biblischen Zeugnisses von Gottes Geduld.“ 69 Vgl. II/1, 471: „Es ist also der Aufruf zum Glauben der Sinn der göttlichen Geduld und wir brauchen bloß an den Gegenstand des Glaubens, an den einen Jesus Christus zu denken, an den zu glauben die Vielen durch Gottes Geduld aufgerufen sind, um einzusehen,, daß von irgendeiner Indifferenz Gottes gegenüber der Kreatur in dem Warten seiner Geduld gar keine Rede sein kann“. 70 Vgl. hierzu ausführlich Klappert, Israel und die Kirche, 53 – 65. 71 Vgl. u. a. O. Bayers kurze „Theologie der Klage“, in: Ders., Zugesagte Gegenwart, 61 – 70, sowie die jüngst erschienene Monographie zum Thema: Schmidt, Klage, bes. 107 – 111.

Der theologische Ertrag des exegetischen Exkurses

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mit ihm verherrlicht werden“, 475) wirkt dagegen wie eine Vertröstung, durch welche die Rede von der Geduld Gottes letztlich missbraucht wird. Dieser kritische Einwand ändert freilich nichts an der abschließenden Feststellung, dass die exegetischen Ausführungen zur Geduld Gottes für die inhaltliche Entfaltung dieses Kapitels von Barths Gotteslehre in KD II/1 nicht weniger als unverzichtbar sind.

B 2: Die Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2) 1. Thematische Hinführung: Gottes Erwählung K. Barths Erwählungslehre in KD II/2 wurde nur zwei Jahre nach seiner Gotteslehre in KD II/1 und vier Jahre nach der „Lehre von der Heiligen Schrift“ in KD I/2 veröffentlicht. Dies ist insofern von Bedeutung, als der Umfang der exegetischen Exkurse gegenüber den früheren Bänden (vor allem gegenüber KD I/2) in diesem Band noch einmal deutlich zunimmt. Wie bereits im vorangehenden Kapitel werden in der thematischen Hinführung zunächst die biblischen und dogmengeschichtlichen Voraussetzungen beleuchtet, die für die Entwicklung von Barths Erwählungslehre maßgeblich waren, um davon ausgehend zentrale Aufgaben und Probleme einer christlichen Erwählungslehre zu benennen. 1.1 Biblische Schlaglichter 1.1.1 Die Erwählung Israels im Alten Testament Erwählung ist im Alten Testament einer der Schlüsselbegriffe, auf deren Grundlage das Volk Israel seine Identität und seine Geschichte als Volk Jahwes versteht und bekennt. Die wichtigsten Etappen dieser Geschichte werden auf Gottes Erwählung zurückgeführt, wobei auffällig ist, dass die hebräische Wurzel rxb in den frühen Erzähltexten zwar im Zusammenhang der Erwählung Davids zum König (vgl. u. a. 1 Sam 16,8 – 10; 2 Sam 6,21), nicht aber zur Beschreibung der Beziehung zwischen Jahwe und Israel verwendet wird.1 Dementsprechend geht die alttestamentliche Forschung davon aus, dass der Gedanke der göttlichen Erwählung ursprünglich auf die Erwählung eines Amtsträgers bezogen war, sodann in der Erwählung des einen Kult-Heiligtums „eine erste Ausprägung erfuhr“ und schließlich in dem Bekenntnis zur Erwählung des Volkes Israels durch Jahwe „seine eigentliche Bedeutung erhielt“.2 Sachlich wird durch den Begriff der Erwählung besonders dies zum Ausdruck gebracht, dass Jahwe Israel „in freier Gnade und aus grundloser Zuneigung“3 aus allen anderen Völkern zu seinem Partner erhoben hat. 1 Vgl. Seebass, Erwählung, 186. 2 Seebass, a. a. O., 188. 3 Seybold, Erwählung, 1479.

Thematische Hinführung: Gottes Erwählung

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Die eindrücklichsten Beispiele für die (im Nachhinein erfolgte) Beschreibung zentraler Ereignisse der Bundesgeschichte als Erwählungsakte stellen die Berufung Abrahams (vgl. Gen 12,1 – 3 mit Neh 9,7) sowie vor allem der Auszug aus Ägypten unter Mose dar. Dieser wird zwar erst im Buch Deuteronomium (und nicht etwa im Buch Exodus), hier aber mit Nachdruck als ein Akt der Erwählung verstanden: Denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. (Dtn 7,6 – 8)

In diesem „locus classicus der [alttestamentlichen] Erwählungstheologie“4 ist von besonderer Bedeutung, dass die Erwählung Israels durch Jahwe ausdrücklich nicht an bestimmte Voraussetzungen des Volkes geknüpft wird, sondern im Gegenteil allein auf Gottes „Liebe“ zurückgeführt wird, die sich „das kleinste unter allen Völkern“ zu seinem Eigentum erwählt. Die Erwählung Israels bildet folglich in der Vorstellung der späteren Texte den heilsgeschichtlichen Rahmen, innerhalb dessen man – allerdings nur noch vergleichsweise selten – auch von einer besonderen Erwählung einzelner Personen, am häufigsten des Königs (vgl. etwa 1 Chr 28,6), sprechen konnte. Die Berufung von Propheten wird zwar wiederum ohne Verwendung der Wurzel rxb berichtet, sachlich lassen sich jedoch insbesondere in Bezug auf die „Aussonderung“ des Jeremia (vgl. Jer 1,5: „ehe du von der Mutter geboren wurdest“) eindeutig Züge einer Erwählung feststellen. Schließlich ist festzuhalten, dass der Erwählungsgedanke im Alten Testament eng mit der Verpflichtung verknüpft wird, dieser Erwählung auch gerecht zu werden. Dies gilt besonders für die Erwählung Israels,5 im negativen Sinne aber auch für die Verwerfung Sauls, die an zwei Stellen ausdrücklich mit seinem Ungehorsam erklärt wird (vgl. 1 Sam 13,13 f bzw. 1 Sam 15,23 – 25).6

1.1.2 Die Erwählung durch und in Christus im Neuen Testament Im Neuen Testament wird an der Erwählung Israels festgehalten, zugleich jedoch der Erwählungsgedanke in zweifacher Hinsicht ausgeweitet. Zum einen werden nun auch die in die christliche Gemeinde hinein getauften 4 Ebd. 5 Vgl. wiederum Dtn 7,6 – 8 mit der anschließenden Aufforderung in 7,11: „So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.“ 6 Vgl. Seebass, rxb, 596.

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B 2: Die Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2)

Heiden als Erwählte angesprochen (1 Thess 1,4), zum anderen wird von der Erwählung „1m Wqist`“ als einer Erwählung „pq¹ jatabok/r jºslou“ gesprochen (Eph 1,4). Die Erwählung wird somit nicht nur christologisch verankert, sondern zugleich in die ewige Vorzeit verlegt.7 Besonders ausführlich setzt sich Paulus in Röm 9 – 11 mit der Frage auseinander, ob die Erwählung Israels dadurch aufgehoben sei, dass Israel in seiner Mehrheit den Christusglauben ablehnt. Er verneint diese Frage jedoch (Röm 11,2.28 f) und stellt den „Fall Israels“ (11,11) lediglich als eine „Zurückstellung“8 zugunsten der Heidenchristen dar. Wird bereits im Alten Testament betont, dass die Erwählung Israels dem „kleinsten unter allen Völkern“ (Dtn 7,7) gilt, so erfährt dieser Gedanke im Neuen Testament eine Vertiefung in Hinblick auf die in Christus Erwählten und deren gesellschaftliches Ansehen (vgl. 1 Kor 1,27 – 29). Gleichzeitig wird die Erwählung der Schwachen rechtfertigungstheologisch zugespitzt: „Gottes Ratschluss gemäß seiner Erwählung“ (B jat’ 1jkocµm pqºhesir toO heoO) geschieht nach Röm 9,11 f „nicht aus Werken“, sondern allein aufgrund der Gnade des „Berufenden“. Gleichwohl bleibt es dabei, dass die Erwählung verpflichtet, nämlich zur Verkündigung des Evangeliums (vgl. 1 Petr 1,2; 2,9). Neu ist die Unterscheidung zwischen der „Berufung der Vielen“ und der „Erwählung der Wenigen“, die in Mt 22,14 im Anschluss an das Gleichnis zur königlichen Hochzeit getroffen wird. In der bereits erwähnten Stelle 1 Kor 1,27 – 29 werden dagegen die Begriffe „Berufung“ und „Erwählung“ ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied verwendet. Die Frage, ob der zum Jünger berufene Judas zum Kreis der Erwählten gehört, wird im Johannes-Evangelium, in welchem die Erwählung der Jünger durch Jesus ein festes Motiv ist (vgl. v. a. Joh 15,16), offen gelassen.9 An zwei Stellen wird schließlich Jesus selbst als „Gottes Auserwählter“ bezeichnet, nämlich in Lk 9,35 anlässlich der Taufe sowie in Lk 23,35 im Spott derer, die unter dem Kreuz stehen und auf ihre Weise die Meinung des Evangelisten wiedergeben (vgl. Lk 24,26.46), dass Jesus „der Erwählte nicht nur im Leiden und trotz des Leidens, sondern in seiner Bestimmung für das Leiden“10 ist.

7 Vgl. Eckert, Erwählung, 195. 8 Schrenk, 1jkoc¶´ , 184. 9 In Joh 13,18 scheint die Frage eher verneint zu werden: „Das sage ich nicht von euch allen; Ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden (Ps 41,10): ,Der mein Brot isst, tritt mich mit Füßen.‘“ Vgl. dagegen Joh 6,70: „Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel.“ (Hervorhebung jeweils G.B.) 10 Schrenk, 1jkejtºr, 194.

Thematische Hinführung: Gottes Erwählung

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1.2 Positionen der reformierten Dogmengeschichte 1.2.1 Johannes Calvin Der Theologe, mit dem sich Barth in seiner Erwählungslehre am intensivsten auseinandersetzt, ist zweifellos Johannes Calvin,11 dessen Prädestinationslehre auch abgesehen von Barths Rezeption innerhalb der evangelischen Dogmatik eine große Wirkungsgeschichte erlebt hat. Es ist von daher nur sinnvoll, den dogmengeschichtlichen Abriss mit einer kurzen Darstellung von Calvins Gedankengang zu beginnen.12 Als maßgeblich gelten dabei die Ausführungen in der letzten Auflage der Institutio von 1559.13 Ausgangspunkt von Calvins Überlegungen ist die Beobachtung, dass die Predigt des Evangeliums nicht überall geschieht und dort, wo sie geschieht, nicht immer auf positive Resonanz stößt: Nun wird aber der Bund des Lebens nicht gleichermaßen bei allen Menschen gepredigt, und er findet auch bei denen, die seine Predigt zu hören bekommen, nicht gleichermaßen und fortwährend den gleichen Platz. (Inst. III, 21,1)

Worauf ist diese Verschiedenheit zurückzuführen? Calvins Antwort ist eindeutig, wenn er sogleich betont, dass „es durch Gottes Wink geschieht, wenn den einen das Heil ohne ihr Zutun angeboten wird, den anderen dagegen der Zugang zu diesem Heil verschlossen bleibt“ (ebd.). Es ist die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade und ohne Werke, die im Hintergrund von Calvins Erwählungslehre in Inst. III, 21 – 24 steht. Wer 11 Von den insgesamt 29 Calvin-Verweisen im Namensverzeichnis von KD II/2 beziehen sich 26 auf die (§§ 32 – 35 umfassende) Erwählungslehre, vgl. KD II/2, 890. 12 Calvin hat sich seinerseits vor allem in der Tradition Augustins verortet, vgl. die zahlreichen Bezugnahmen in Inst. III, 21 – 24: III, 21,2; III, 22,1; III, 22,8; III, 23,2; III, 23,5; III, 23,7 f; III, 23,10 f; III, 23,13 f; III, 24,1; III, 24,17. Zu Augustins Erwählungslehre vgl. ChVnV, La thxologie de Saint Augustin, insbesondere 73 – 87. 13 Chr. Link weist darauf hin, dass Calvin „unter zwei verschiedenen Perspektiven, und dementsprechend in zwei unterschiedlichen Formen: einmal im Genus der Lehre […], ein anderes Mal im Genus der Predigt“ von der Erwählung gesprochen habe, Link, Prädestination und Erwählung, 44. Falle in den lehrhaften Ausführungen der Institutio das „Schwergewicht […] auf die verborgene Wahl Gottes“ (Link, a. a. O., 47), so werde in der großen Predigt Von der Erwählung Gottes von 1551 (CStA 4, 92 – 149) „die ,ewige Erwählung Gottes‘ mit dem zeitlichen Erlösungswerk Christi“ verbunden, wodurch ein „veränderte[s] Gefälle“ entstehe: Die „Vorzeitigkeit der Erwählung“ werde hier ebenso wenig gelehrt wie die „doppelte Prädestination zum Leben und zum Tod“ (Link, a. a. O., 50). Trotz dieser bemerkenswerten Unterschiede wird man freilich nicht verkennen dürfen, dass die Auswirkungen der Predigt von 1551 auf die Institutio von 1559 eher marginal sind. Auch die Rede von Christus als dem „Spiegel, in dem wir unsere Erwählung anschauen sollen“ (Inst. III, 24,5), auf die Link zu Recht hinweist (vgl. ders., a. a. O., 48), kommt erst ganz am Ende der Prädestinationslehre zu stehen, ohne deren Struktur entscheidend zu beeinflussen. Einen Überblick über Calvins Schriften zum Thema vermittelt Otten, Prädestination in Calvins theologischer Lehre, 16 – 26.

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diese Lehre konsequent zu Ende denke, müsse von einer vorzeitigen Erwählung der Geretteten und ebenso von einer vorzeitigen Verdammung der Verlorenen ausgehen, um jegliches Mitwirken des Menschen an seinem Heil auszuschließen. Calvin gibt zu, dass sich aus dieser Anschauung „große und schwere Fragen“ ergeben (Inst. III, 21,1), gleichwohl sieht er keine andere Möglichkeit, als die Entscheidung über Heil und Unheil ganz in die Hände Gottes zu legen, was dazu führt, sie als eine Entscheidung zu verstehen, die Gott noch vor der Erschaffung der Welt und damit vor aller menschlichen Existenz oder Aktivität getroffen hat. Folgerichtig spricht Calvin seltener von der Erwählung als vielmehr von der Vorbestimmung (praedestinatio). Was Calvin unter dieser versteht, verdeutlicht der Spitzensatz seiner Prädestinationslehre: Unter Vorbestimmung verstehen wir Gottes ewige Anordnung (decretum), vermöge deren er bei sich beschloß, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so – sagen wir – ist er zum Leben oder zum Tode ,vorbestimmt‘. (Inst. III, 21,5)

Calvin ist in seinen Ausführungen um größtmögliche Klarheit und logische Konsequenz bemüht. Die Möglichkeit einer einfachen Prädestination, nach der lediglich die Erwählung zum Heil auf Gottes ewigen Ratschluss zurückzuführen sei, hält er für „gar zu unverständig und kindisch“ (Inst. III, 23,1), die Unterscheidung zwischen Gottes Vorherwissen und seiner Vorbestimmung für „lästerliche[s] Geschwätz“ (Inst. III, 23,6). Auch die Distinktion zwischen Gottes Willen und seiner Zulassung hält er für eine unerlaubte „Zuflucht“ (Inst. III, 23,8). Schließlich wehrt er sich gegen die Meinung, dass durch die Lehre von der Vorbestimmung „jede Sorge, jeder Eifer um rechtes Tun zu Boden falle.“ (Inst. III, 23,12) Calvin gesteht, dass es „gar viele solcher Säue“ gebe, denen dieser Missbrauch der Lehre vorzuwerfen sei. Dies ändere aber nichts am eigentlichen Sinn der Prädestinationslehre, der darin bestehe, vor Gottes Gericht zu „erzittern“ und „zu seiner Barmherzigkeit emporzuschauen“ (ebd.). Dass in dieser doppelten Bestimmung das Gewicht auf dem zweiten – positiven – Aspekt liegt, wird deutlich im Kontext des zu Beginn der Prädestinationslehre dargelegten „dreifachen Nutzen(s)“ dieser Lehre, der in der Gewissheit des Heils aufgrund der unverdienten Barmherzigkeit Gottes, sowie in der Förderung der „wahren Demut“ und „Dankbarkeit“ als Folgen der Heilsgewissheit bestehe (Inst. III, 21,1, Hervorhebungen: G.B.). Calvins Prädestinationslehre ist im 19. Jahrhundert von A. Schweizer als „Centraldogma“ calvinischer Theologie bezeichnet worden,14 wogegen sich 14 Schweizer, Die protestantischen Centraldogmen I, 16.

Thematische Hinführung: Gottes Erwählung

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im 20. Jahrhundert energischer Protest erhoben hat.15 Hierzu sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass die Anordnung der dogmatischen Topoi in der Institutio, nach der die Prädestinationslehre innerhalb der Soteriologie zu stehen kommt, eindeutig gegen die These vom „Centraldogma“ spricht. Gleichwohl wird man nicht übersehen dürfen, dass die Prädestination von Calvin als vorzeitliches „decretum“ chronologisch und damit auch sachlich dem Christusgeschehen vorgeordnet wird. Damit gewinnt die Prädestinationslehre auf der inhaltlichen Ebene jene zu Recht kritisierte Unabhängigkeit im Verhältnis zur Christologie und Soteriologie. Christus ist bei Calvin lediglich „Mittel, Darstellung und Veranschaulichung unserer Erwählung, nicht aber ihr Anlass und Grund“.16 Diese Unabhängigkeit dürfte nicht zuletzt dafür verantwortlich gewesen sein, dass es überhaupt zur Bezeichnung der Prädestinationslehre als „Centraldogma“ kommen konnte. Kritisch hinterfragt werden muss schließlich die strenge Parallelität, in der Calvin von Gottes Erwählen und Verwerfen spricht. Hier scheint Calvin eher den Ansprüchen einer formalen Logik zu folgen als dem biblischen Zeugnis, in dem Gottes Erwählen einen deutlich breiteren Raum einnimmt als sein Verwerfen.17 Darüber hinaus taucht der Gedanke der vorzeitlichen Bestimmung in den biblischen Schriften vorrangig im Zusammenhang mit der Erwählung, nicht aber mit der Verwerfung auf,18 während Calvins Prädestinationslehre ausdrücklich auch die Verwerfung auf Gottes vorzeitlichen Ratschluss zurückführt. 1.2.2 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Seit der Aufklärung hat kaum ein Theologe so engagiert die Grundzüge der Prädestinationslehre Calvins verteidigt wie F.D.E. Schleiermacher. Besonders ausführlich geschieht dies in der Abhandlung Über die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen,19 15 Vgl. u. a. Niesel, Die Theologie Calvins, 161; Otten, a. a. O., 26. Aus Barths Sicht lief dieser Protest Gefahr, seinerseits die Bedeutung der Prädestinationslehre zu unterschätzen, vgl. KD II/ 2, 92. Zur neueren Diskussion vgl. McCormack, Die Summe des Evangeliums, 542 – 551. 16 Link, Prädestination und Erwählung, 71. 17 E. Schlink spricht mit Blick auf das biblische Zeugnis zu Recht von der „Unvergleichbarkeit von Gottes Erwählen und Verwerfen“, vgl. Schlink, Ökumenische Dogmatik, 798 – 801. Vgl. die Kritik Links, nach der Calvin gerade darin über das biblische Zeugnis hinausgeht, dass er innerhalb der Prädestinationslehre „Aussagen auch über endgültig Verworfene riskiert“, vgl. Link, a. a. O., 40. 18 Exemplarisch sei mit Schlink auf die unterschiedlichen Formulierungen in Mt 25,34 („Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“) bzw. Mt 25,41 („Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“) verwiesen, vgl. Schlink, a. a. O., 799. 19 KGA I/10, 145 – 222. Konkreter Anlass dieser Abhandlung Schleiermachers aus dem Jahr 1819 war die Auseinandersetzung mit den „Aphorismen über die Union der beiden evangelischen

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deren Gedanken in der Glaubenslehre aufgenommen und weitergeführt werden.20 Schleiermacher betont das bleibende Recht der calvinischen Lehre in ihrer „strenge[n] Fassung“21 in dreifacher Hinsicht: Zum einen führt er aus, dass diese Lehre der „Unentbehrlichkeit der göttlichen Gnade bei der Bekehrung des Menschen“ bzw. „zur Heiligung“ desselben entspreche.22 Gegenüber allen Versuchen, eine Mitwirkung des Menschen zu seinem Heil zu postulieren – etwa durch den Verweis auf einen möglichen menschlichen Widerstand gegen die „Einwirkung des göttlichen Geistes“23 –, hält Schleiermacher daran fest, dass allein die „strenge Augustinische Lehre von der Gnadenwahl“24 der evangelischen Rechtfertigungslehre – und zwar sowohl in ihrer reformierten als auch in ihrer lutherischen Gestalt – entspreche. Die in der lutherischen Dogmatik bisweilen vorgenommene Reduzierung von Gottes Vorbestimmung auf sein Vorherwissen25 stehe letztlich, so Schleiermacher, im Widerspruch zu der auch in der lutherischen Dogmatik geltenden Lehre „von der gänzlichen Unfähigkeit des Menschen sich selbst zu bessern“.26 Zum anderen verteidigt Schleiermacher Calvin gegen den von Bretschneider geäußerten Vorwurf, nach welchem die Lehre von der doppelten Prädestination „consequent aufs Leben angewendet, der Moralität schädlich, – sehr schädlich werden kann und werden muß.“27 Bretschneider entfaltet diesen Vorwurf dahingehend, dass die Erwählten zum „Leichtsinn oder Stolze“, die Zweifelnden zur „Muthlosigkeit“ und die Ungläubigen zur „Trostlosigkeit“ veranlasst würden.28 Dabei bedient sich Bretschneider der Sprachform des

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Kirchen in Deutschland“ von K.G. Bretschneider. In dieser Auseinandersetzung kommen nicht nur die inhaltlichen Differenzen bezüglich der Prädestinationslehre zum Ausdruck, sondern sie erhellt auch die unterschiedlichen Wege, auf denen Bretschneider und Schleiermacher die von beiden befürwortete Kirchenunion zwischen Lutheranern und Reformierten verwirklicht sehen wollten. Bretschneider war der Ansicht, die Union sei nicht ohne dogmatische Kompromisse zu haben. Sein Vorschlag sah vor, dass die Lutheraner von der „Theorie von dem mündlichen Genusse der Substanz des Leibes und Blutes Christi im Abendmahle“ abrücken sollten und die Reformierten im Gegenzug von der „Lehre von der unbedingten Gnadenwahl“ (Bretschneider, Aphorismen über die Union, VI). Ein solches Vorgehen war in Schleiermachers Augen jedoch vollkommen ungeeignet. Ihm ging es vielmehr darum, die Unterschiede der jeweiligen Lehrmeinungen möglichst deutlich zur Sprache zu bringen und dogmatisch aufzuarbeiten. Diesem Anliegen diente die Schrift Über die Lehre von der Erwählung, vgl. KGA I/10, 150,16 – 32. Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube1, KGA I/7,2, 164 – 189; Ders., Der christliche Glaube2, KGA I/13,2, 244 – 277. Zur Entwicklung von Schleiermachers Gedankengang vgl. Herms, Freiheit Gottes, 197 f bzw. 227 f. Schleiermacher, Über die Erwählung, KGA I/10, 147,6. Schleiermacher, a. a. O., 151,12 f sowie 151,21. Schleiermacher, a. a. O., 156,17 f. Schleiermacher, a. a. O., 161,23. Schleiermacher verweist hierzu auf die Loci theologici von J. Gerhard, vgl. Schleiermacher, a. a. O., 154,20 – 22. Schleiermacher, a. a. O., 151,6 f. Bretschneider, a. a. O., 98. Bretschneider, a. a. O., 99.

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inneren Monologs, in dem jede der drei Personengruppen für sich die negativen Auswirkungen der calvinischen Lehre zum Ausdruck bringen. Schleiermacher begegnet dem Vorwurf Bretschneiders, indem er dessen Monologe zu Dialogen erweitert und zu den drei Anklagen je eine fiktive Gegenrede Calvins entwirft.29 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die von Bretschneider behaupteten negativen Folgen nur dann unter Umständen auftreten könnten, „wenn man fremdartige Ansichten mit hinein mischte“,30 etwa das Streben nach Heiligung allein „um der Seligkeit willen“31. Schließlich verweist er darauf, dass auch die „pelagianischen Gegner“32 der calvinischen Lehre nicht abstreiten könnten, „daß die augustinischen Christen auch ein praktisches Christenthum haben, und daß sie in diesem auch durch ihre Prädestinationslehre nicht im mindesten gestört werden.“33 Schließlich sieht Schleiermacher die calvinische Prädestinationslehre im Blick auf die Beschreibung des göttlichen Erwählungswillens im Recht. Während die lutherische Erwählungslehre mit ihrer Rede von der einfachen Prädestination gezwungen sei, einerseits den göttlichen Willen zu verdoppeln – nämlich in der Unterscheidung zwischen einem „vorhergehenden“ und einem „nachfolgenden Willen Gottes“34 – und andererseits diesen Willen zu „halbieren“35 – nämlich in der Annahme, „daß die Vorherbestimmung nur auf die Erwählten sich erstreckt, auf die Verworfenen aber gar nicht“36 –, könne die reformierte Erwählungslehre auf solche Unterscheidungen und Einschränkungen verzichten und an der Einheit und Allmacht des göttlichen Willens festhalten. Schleiermacher sieht darin die unverzichtbare „antimanichäische“ Erkenntnis der Prädestinationslehre Calvins, „daß es kein reines und freudiges Gefühl der göttlichen Allmacht giebt, wenn nicht alles auf gleiche Weise in dem Einen und untheilbaren, ewigen und tadellosen Willen und Rathschluß Gottes gegründet ist“.37 Hat sich Schleiermacher bisher als ein treuer Verteidiger des Prädestinationslehre Calvins gezeigt, so tritt am Ende der Abhandlung Über die Erwählung eine gewichtige Abweichung zu Tage, die in der Glaubenslehre noch einmal an Klarheit gewinnt. Es handelt sich um die Frage, ob die ewige Verdammung Einzelner mit der „allgemeinen Liebe Gottes“38 in Einklang gebracht werden kann. Vor die Wahl gestellt, „entweder mit der Ewigkeit und 29 Vgl. Schleiermacher, Über die Erwählung, KGA I/10, 165,11 – 167,9; 168,13 – 25; 168,26 – 169,2. 30 Schleiermacher, a. a. O., 169,7 f. 31 Schleiermacher, a. a. O., 169, 16 f. 32 Schleiermacher, a. a. O., 173,30. 33 Schleiermacher, a. a. O., 174,1 – 3. 34 Schleiermacher, a. a. O., 187,39 – 188,1. 35 Vgl. Schleiermachers Vorwurf, die lutherische Erwählungslehre habe „einen halben Willen Gottes angenommen“, ders., a. a. O., 188,1 f. 36 Schleiermacher, a. a. O., 188, 2 – 4. 37 Schleiermacher, a. a. O., 194, 18 – 21. 38 Schleiermacher, a. a. O., 217,36.

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Unendlichkeit der Höllenstrafen auch die Unbegreiflichkeit der göttlichen Anordnungen anzunehmen“ oder sich „zu der Vorstellung von einer endlichen allgemeinen Versöhnung und Wiederbringung alles Verlorenen“ hinzuwenden, um sich so „zugleich über allen scheinbaren Streit zwischen der göttlichen Gerechtigkeit und der göttlichen Liebe zu erheben“,39 entscheidet sich Schleiermacher für die zweite Möglichkeit,40 ohne jedoch der ersten ihre Berechtigung gänzlich abzusprechen. In der zweiten Auflage der Glaubenslehre wird Schleiermacher deutlicher. Hier erklärt er, dass „das christliche Mitgefühl“ sich unmöglich damit abfinden könne, „wenn wir uns unter Voraussezung einer Fortdauer nach dem Tode einen Theil des menschlichen Geschlechtes von dieser Gemeinschaft [der Erlösung] ausgeschlossen denken sollen.“41 Eine ewige Verlorenheit eines Teils der Menschheit würde zwangsläufig zu einer „sich immer wieder erneuernde[n] Wehmut“ der Erlösten führen, wodurch eine „reine Mittheilung der Seligkeit“ Christi unmöglich sei. Als christologisches Argument fügt Schleiermacher hinzu, dass die stellvertretende „hohepriesterliche Würde Christi“42 als eine umfassende gedacht werden müsse, deren Wirkung sich folglich auf die ganze Menschheit zu erstrecken habe. Es ist deutlich, dass Schleiermachers Befürwortung der Allversöhnung in unmittelbarem Zusammenhang steht mit dem Anliegen, den christlichen Glauben als Explikation des frommen Selbstbewusstseins zu entfalten. Wie immer man diesen Versuch bewerten mag, es kann nicht geleugnet werden, dass die Ablehnung der ewigen Verwerfung aufgrund des „christlichen Mitgefühls“ für sich in Anspruch nehmen kann, einen wichtigen Aspekt der paulinischen Erwählungslehre wiederentdeckt zu haben. Die Kapitel Röm 9 – 11, die bekanntlich mit der Hoffnung enden, dass am Ende „ganz Israel“ – also die Menge der zwischenzeitlich Verworfenen – „gerettet wird“ (Röm 11,26), beginnen nicht zufällig mit den stärksten Ausdrücken des Mitgefühls des Paulus mit seinen jüdischen „Brüdern“.43 Inwiefern die Rede von der Allversöhnung gleichwohl problematisch ist, ist im Folgenden kurz zu erläutern.

39 Schleiermacher, a. a. O., 218, 19 – 25. 40 Dass Schleiermacher es als „ein Zeichen meiner Unpartheilichkeit“ auffasst, „daß ich nicht behaupte, die kalvinische Theorie dränge uns zu derselben [Möglichkeit] stärker hin als die lutherische“ (vgl. ders., a. a. O., 219,4 – 6), wird freilich unter seinen lutherischen Gegnern kaum akzeptiert worden sein. 41 Schleiermacher, Der christliche Glaube2, KGA I/13,2, 249,1 – 7. 42 Schleiermacher, a. a. O., 277,19 f. 43 Vgl. Röm 9,1 – 5, bes. V. 3: „Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch.“

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1.3 Sachliche Probleme der Erwählungslehre Die Rede von Gottes Erwählung hat ihren ursprünglichen Ort in der Reflexion des Volkes Israel bzw. der christlichen Gemeinde (und ihrer einzelnen Glieder) über die eigene Existenz als Volk bzw. Gemeinde (und Kinder) Gottes. Sie entspricht der Erkenntnis, dass diese Existenz und der mit ihr verbundene Weg des Glaubens und der Nachfolge nicht durch eigene Wahl oder Leistung zustande gekommen sind, sondern sich vielmehr ganz der Initiative des sich selbst offenbarenden und so seine Gemeinde gründenden Gottes verdanken. Mit dem Begriff der Erwählung verbindet sich außerdem die Überzeugung, dass die Fortdauer der Existenz in der Gottesgemeinschaft ebenfalls nicht auf eigener Anstrengung beruht, sondern auf der Treue des zu seiner Erwählung stehenden Gottes. Diese Intention der Rede von Gottes Erwählung wird jedoch verfehlt, wenn die Perspektive „des eigenen geschichtlichen Weges“ verlassen und stattdessen aus einer „neutralen, über den Fronten stehenden“ Perspektive über die Erwählung nachgedacht wird.44 Diesen Vorwurf müssen sich sowohl Calvin als auch Schleiermacher gefallen lassen, indem sie die Beobachtung, dass nicht alle Menschen die christliche Verkündigung annehmen (können), zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen.45 Bei Calvin führt der Standpunkt „über den Fronten“ dazu, die göttliche Erwählung als ein vorzeitliches Dekret zu beschreiben, durch das Gott die einen Menschen zum ewigen Heil, die anderen zur ewigen Verdammnis bestimmt. Da über die Gründe des göttlichen Dekrets nach Calvins Ansicht nur geschwiegen werden kann, bekommt das von ihm entworfene Gottesbild eine dunkle, unheimliche – um nicht zu sagen eine grausame Seite, die mit der Beschreibung von Gottes Wesen als Liebe (1 Joh 4,8.16) ebenso schwer in Einklang gebracht werden kann wie mit der Offenbarung dieser Liebe im Christusgeschehen. Bei Schleiermacher wiederum führt der gleiche Standpunkt dazu, am Ende der Vorstellung einer Allversöhnung zu folgen. Zwar argumentiert er dabei, wie bereits erwähnt, mit dem „christlichen Mithgefühl“. Dies ändert aber nichts an dem bereits zu Beginn der Erwählungslehre in § 117 der Glaubenslehre eingenommen Standpunkt des neutralen Betrachters,46 der sich am Ende eben entscheiden müsse, ob er entweder die Vorstellung eines doppelten

44 Link, Erwählung, 1483. 45 Vgl. die bereits zitierte Passage aus Inst. III, 21,1 (s. o. Abschnitt 1.2.1) bzw. Schleiermacher, Der christliche Glaube2, KGA I/13,2, 244,25 – 28: „In das von Christo gestiftete Reich Gottes können zufolge der Geseze der göttlichen Weltregierung, so lange das Menschengeschlecht auf Erden besteht, niemals alle gleichzeitig Lebende gleichmäßig aufgenommen sein.“ 46 Vgl. den in der vorletzten Anmerkung zitierten Eingangssatz: Schleiermacher, a. a. O., 244,25 – 28.

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Ausgangs der Menschheitsgeschichte oder die „Allgemeinheit der Erlösung“47 für glaubwürdiger halte. Wo die Entscheidung zugunsten jener Allgemeinheit ausfalle, müsse, so Schleiermacher, „dann auch die Vorherbestimmung zur Seligkeit ganz allgemein gesezt werden“48 (Hervorhebung: G.B.). Eine der Herausforderungen der christlichen Rede von Gottes Erwählung besteht also einerseits darin, nicht zuviel zu sagen. Versteht sie sich als nachdenkendes Zeugnis der Selbstmitteilung Gottes im Christusgeschehen, so wird sie der Versuchung widerstehen, Aussagen über einen von diesem Geschehen unabhängigen vorzeitigen Ratschluss Gottes zu treffen. Es kann dann nicht darum gehen, einen so oder so ausgefallenen Beschluss Gottes zu behaupten, der unabhängig von seiner Heilstat in Christus geschehen sei.49 Andererseits wird eine vom Christusgeschehen her denkende Erwählungslehre an der Stelle nicht schweigen, an der Calvin dies glaubte tun zu müssen, nämlich auf die Frage nach dem Grund und der Logik der göttlichen Erwählung.50 Eine andere Frage ist damit freilich noch nicht gelöst, nämlich die nach dem Verhältnis zwischen der „Freiheit der Gnade Gottes“ einerseits und der Freiheit der „Entscheidungen der irdisch-menschlichen Geschichte“ andererseits.51 Für Calvin und Schleiermacher war die Feststellung grundlegend, dass alles, was geschieht – und erst recht das Zustandekommen des christlichen Glaubens – „seinen Grund in der göttlichen Weltregierung“52 habe. An dieser Erkenntnis führt auch bei Barth kein Weg vorbei. Allerdings setzt er einen neuen Schwerpunkt, indem er der freien Aktivität der Erwählten eine eingehende Betrachtung und Begründung widmet. Im Folgenden ist zu zeigen, welche Anliegen Barth in seiner Erwählungslehre verfolgt, wo er die Grenze zwischen dem Reden und dem Schweigen über Gottes Erwählung zieht und wie er das Verhältnis von Gottes Erwählen und menschlicher Freiheit bestimmt. Im Mittelpunkt steht freilich auch hier die Frage, welche Rolle die exegetischen Überlegungen innerhalb von Barths dogmatischer Argumentation einnehmen.

47 Schleiermacher, a. a. O., 277,23. 48 Schleiermacher, a. a. O., 277,26 f. 49 Letzteres kann man dem Entwurf Chr. Janowskis nicht vorwerfen, plädiert diese doch für eine Allerlösung, welche „auf die Kraft der endgültig zurechtbringenden, kondeszendent-kreativen Selbstkommunikation Gottes und seines Heiligen Geistes durch den für die völlige Entmachtung der Sünde bedeutsamen Einschnitt von Tod und Auferstehung hindurch setzt, also auf eine ,Herrlichkeit‘ Gottes, die sich dem Angesicht Jesu Christi gemäß […] präzisiert.“ Vgl. Janowski, Allerlösung, 621. 50 Vgl. Inst. III, 23,5: „[I]ch sage mit Paulus, daß man die Ursache dieser göttlichen Vorsehung nicht angeben kann, weil sie in ihrer Größe weit über unser Verstehen hinausgeht.“ Und bereits in Inst. III, 23,4: „[W]ir müssen schließlich immer allein auf das Gutdünken des göttlichen Willens zurückgreifen, dessen Ursache in Gott selber verborgen ist.“ 51 Vgl. Link, a. a. O., 1482. 52 Vgl. Schleiermacher, a. a. O., 246,8 f.

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2. Barths Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2) 2.1 Tabellarischer Überblick Bevor die entscheidenden Thesen von Barths Erwählungslehre mit ihren jeweiligen exegetischen Begründungen vorgestellt werden, soll die folgende Tabelle einen Überblick über die Verteilung der exegetischen Exkurse in KD II/253 geben. Dabei werden mit zwei Ausnahmen nur solche Exkurse verzeichnet, deren Umfang mindestens drei Seiten umfasst.54 § 32: Die Aufgabe rechter Lehre von Gottes Gnadenwahl (1 – 100)

58 – 62: Überblick: Das AT als eine Geschichte fortlaufender Erwählungen

§ 33: Die Erwählung Jesu Christi (101 – 214)

102 – 106: Auslegung zu Joh 1,1 f: Jesus Christus als Gottes Wort und Beschluss im umfassenden Sinn 113 f: Jesus Christus als Subjekt der Erwählung 126: Jesus Christus als Objekt der Erwählung

§ 34: Die Erwählung der Gemeinde (215 – 336)

222 – 226: Röm 9,1 – 5: Israel und die Kirche 235 – 256: Röm 9,6 – 29: Das Gericht und das Erbarmen Gottes 264 – 286: Röm 9,30 – 10,21: Die gehörte und die geglaubte Verheißung Gottes 294 – 336: Röm 11: Der vergehende und der kommende Mensch

§ 35: Die Erwählung des Einzelnen (336 – 563)

391 – 453: Der Erwählte und der Verworfene 391 – 393: Gottes Liebe zu den Verworfenen im AT 393 – 404: Lev 14,4 – 7; 16,5 – 22: Typologische Auslegung des Kultgesetzes 404 – 434: Saul und David 434 – 453: 1 Kön 13: Der Gottesmann aus Juda und der Prophet in Bethel 464 – 498: Die Bestimmung des Erwählten: Der Apostolat 508 – 563: Die Bestimmung des Verworfenen: Judas

53 Die Seitenzahlen im weiteren Verlauf dieses Kapitels beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf KD II/2. 54 Die Aufnahme der beiden kürzeren Exkurse in § 32 erklärt sich durch deren fundamentale Bedeutung im Argumentationsverlauf, vgl. unten Abschnitt 2.2.2.

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Die tabellarische Übersicht verdeutlicht den enormen Umfang der exegetischen Exkurse in KD II/2. Zählt man zu den 238 Seiten der aufgeführten Exkurse noch die kurzen Exkurse hinzu,55 so ergibt sich, dass die Erwählungslehre in KD II/2 beinahe zur Hälfte aus exegetischen Exkursen besteht. Angesichts dieses Umfangs ist in der Besprechung der exegetischen Exkurse eine Schwerpunktsetzung unumgänglich. So wird im Folgenden ein besonderes Augenmerk der christologischen Grundlegung in § 33 sowie den exegetischen Exkursen in § 35 gelten, während die fortlaufende Auslegung von Röm 9 – 11 lediglich an zwei Stellen kurz thematisiert wird. Diese Schwerpunktsetzung ist insofern vertretbar, als die Auslegung von Röm 9 – 11 bereits mehrfach eingehend untersucht wurde.56 Ebenso kann in Bezug auf den in diesem Kapitel ebenfalls nur summarisch behandelten exegetischen Exkurs über Judas auf zwei ausführliche Besprechungen verwiesen werden.57 Viel interessanter als der quantitative Umfang der exegetischen Exkurse ist freilich die inhaltliche Bedeutung, die der Schriftauslegung in der argumentativen Entfaltung zukommt. Diese wird im Folgenden jeweils im Kontext der zentralen Thesen von Barths Erwählungslehre erläutert.

2.2 Die Erwählung Jesu Christi 2.2.1 Die Erwählung Jesu Christi als Gottes „Wahl im Anfang“ Ein wesentlicher Akzent der Erwählungslehre Barths besteht in deren konsequenter christologischer Verankerung. Bevor Barth auf die „Erwählung der Gemeinde“ (KD II/2, § 34) und die „Erwählung des Einzelnen“ (§ 35) zu sprechen kommt, behandelt er in einem eigenen Paragraphen die „Erwählung Jesu Christi“ (§ 33). Die Frage, ob die Erwählungslehre konsequent christologisch verankert wird, entscheidet sich nach Barths Ansicht an der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gottes Vorbestimmung einerseits und Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus andererseits. Hier scheiden sich seiner Meinung nach die Wege zwischen den Vertretern der klassischen Prädestinationslehre und seinem eigenen Ansatz. Zwar hätten auch Augustin, Luther, Melanchthon, Calvin, Bullinger sowie die Verfasser der Konkordienformel gewusst, dass Jesus Christus der „Prototyp und Inbegriff alles göttlichen Erwählens und menschlichen Erwähltwerdens“ (65 f) ist. Gleichwohl müssten sie sich die 55 Vgl. KD II/2, 14 f, 64, 109 f, 113 f, 126, 376 f, 378 – 380. 56 Vgl. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 401 – 435; Marquardt, Die Entdeckung des Judentums, bes. 104 – 128, 250 – 265, 345 – 352; Klappert, Israel und die Kirche, 38 – 52; Krçtke, Die Erwählung der einen Gemeinde, 73 – 75; Gibson, Reading the Decree, 97 – 151. 57 Vgl. Ford, Barth and God’s Story, 84 – 90, sowie McGlasson, Jesus and Judas, 135 – 147.

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kritische Frage gefallen lassen, ob sie wirklich „außer Jesus Christus keinen anderen Grund der Erwählung“ (68) hätten gelten lassen. Wenn „die Person Jesu Christi“ als das „nach allen Seiten in sich vollkommene und unüberbietbare Wort Gottes“ zugleich „den Inhalt des biblischen Offenbarungszeugnisses bildet“ (163), dann könne das Verhältnis zwischen Gottes Erwählung und seiner Selbstoffenbarung in Christus nicht so beschrieben werden, als sei die Prädestination eine unabhängige „ewige Voraussetzung“ (162) von Gottes Offenbarungswerk. Es sei dann vielmehr folgerichtig, „die Praedestinationslehre aus der Christologie zu erklären“ (ebd.). Barth folgt in dieser Grundlegung der Erwählungslehre der hermeneutischen Grundregel seiner Schriftlehre, nach der die Heilige Schrift – wie jedes andere literarische Werk auch – stets in Bezug auf ihren Gegenstand gelesen und verstanden werden muss. Diese Regel wirkt sich in der Erwählungslehre dahingehend aus, dass Barth darauf verzichtet, die biblischen Schriften unabhängig von der Christus-Botschaft nach Aussagen über Gottes Erwählen und Verwerfen zu befragen. Zur Begründung widmet sich Barth in einer „kurzen Exegese“ (102), die immerhin vier Seiten umfasst (102 – 106), den ersten beiden Versen aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums.58 Rein formal ist der Exkurs so aufgebaut, dass Barth zunächst den griechischen Urtext zitiert und diesen im Anschluss Versteil für Versteil analysiert, wobei er auch das Gespräch mit anderen Auslegern sucht.59 Das methodische Spektrum des Exkurses umfasst u. a. eine syntaktische Analyse von V. 1 (102), Überlegungen zur Übersetzung, zum religionsgeschichtlichen Hintergrund und zum weiteren innerbiblischen Gebrauch des Logos-Begriffs (103 f) sowie schließlich eine Aufzählung von insgesamt 20 neutestamentlichen Belegstellen zur Präexistenz Jesu (106). Inhaltlich setzt sich Barth in jenem Exkurs mit der Frage auseinander, weshalb im Johannes-Prolog ausgerechnet der aus der antiken Religionsgeschichte bekannte Logos-Begriff als „Platzhalter“ (103) für Christus Verwendung finde. Barths Erklärung lautet, dass Christus durch diesen Begriff als „das Prinzip, der innergöttliche Grund der Offenbarung, der Selbstmitteilung Gottes an die Menschen“ (104) ausgezeichnet werde. Die religionsgeschichtlichen Spekulationen über die „Quelle“ des Logos-Begriffs hält Barth insofern für sekundär, als der vierte Evangelist ohnehin „nicht etwa Jesus die Ehre antun wollte, ihn mit dem Titel des Logos zu bekleiden, sondern […] diesem 58 Vgl. auch die Besprechungen dieses Exkurses bei Gibson, Reading the Decree, 42 – 49, sowie Jones, The Heart of the Matter, 179 – 185. 59 Es sind dies die Johannes-Kommentare von Th. Zahn und A. Schlatter. In der Frage, worauf das Demonstrativpronomen hutyr in V. 2 verweist, entscheidet sich Barth gegen Zahn (vgl. ders., Johannes, 51) und mit Schlatter (vgl. ders., Johannes, 3) dafür, „das hutyr nicht als zurückweisend, sondern als vorwärtsweisend zu verstehen.“ (105) Dies hat zur Folge, dass Barth V. 2 („Dieser war im Anfang bei Gott“) parallel zu V. 15 („Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich.“) lesen und so als eine direkte Aussage über den inkarnierten Logos, also Christus, verstehen kann.

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Begriff die Ehre antat, ihn einige Zeilen weiter als Prädikat Jesu zu verwenden.“ (103) Das Ergebnis des Exkurses lautet dementsprechend, dass Gott sich in Christus der Menschheit in unüberbietbarer Weise mitgeteilt habe. Indem das Wort in Joh 1,1 als im Anfang bei Gott seiend und darüber hinaus „der göttlichen Art und des göttlichen Wesens selber ganz und gar teilhaftig“ (103) beschrieben werde, sieht Barth seine christologische Grundlegung der Erwählungslehre bestätigt, nach der Jesus Christus Gottes „Beschluß und Wahl im Anfang aller Dinge“ (106) sei. Prägnant formuliert Barth: „Im Anfang bei Gott war dieser Eine, Jesus Christus. Und eben das ist die Praedestination.“ (157) Nicht erst diese Formulierung macht deutlich, dass Barths eigene Einschätzung, in der christologischen Grundlegung der Erwählungslehre einen anderen Weg zu gehen als insbesondere Calvin,60 tatsächlich zutrifft.61

2.2.2 Jesus Christus als Subjekt und Objekt der Erwählung Das zweite wichtige Argument für die grundlegende Bedeutung der Erwählung Jesu Christi gewinnt Barth anhand der Unterscheidung zwischen Jesus Christus als Subjekt bzw. als Objekt der göttlichen Erwählung. Wie auch an anderer Stelle62 spielt Barth in der Titelformulierung von § 33 („Die Erwählung Jesu Christi“) mit der zweifachen Bedeutung der Genitivverbindung, nach welcher der Genitiv „Jesu Christi“ sowohl als Genitivus subjectivus wie auch als Genitivus objectivus verstanden wird. Christus, so führt Barth aus, ist beides: Subjekt und Objekt der Erwählung, er ist „der erwählende Gott“ ebenso wie „der erwählte Mensch“ (110). Zur exegetischen Begründung der Rede von Christus als Subjekt der Erwählung verweist Barth auf die Erwählung der Jünger durch Jesus nach Joh 13,18 bzw. 15,16.19. Diese Erwählung sei „nicht uneigentlich, sondern eigentlich zu verstehen“ (113), nämlich als ein „Souveränitätsakt“, in dem „die Ur- und Grundentscheidung Gottes, die auch die Jesu Christi ist, in besonderer Weise transparent ist.“ (114) Implizite Belege für Jesu erwählendes Handeln entdeckt Barth darüber hinaus sowohl in den Synoptikern63 als auch in den neutestamentlichen Briefen.64 Die Rede von Jesus Christus als Objekt der Erwählung hat ihre Pointe darin, 60 61 62 63

Vgl. insbesondere Barths kritische Auseinandersetzung mit Calvin in II/2, 71 f. Zu diesem Ergebnis kommt auch Gibson, vgl. ders., Reading the Decree, 57 bzw. 80 – 85. Vgl. etwa die Rede von der Schrift als „Zeugnis der Offenbarung“, KD I/2, 512. Barth verweist auf Mt 11,27, wonach „der allein den Vater erkennt, dem der Sohn es offenbaren will.“ (114) 64 Hier dienen jene Verse als Beleg, die von der Selbsthingabe und dem Gehorsam Jesu reden, nämlich Phil 2,7 f; Gal 1,4; 1 Tim 2,6; Gal 2,20; Eph 5,2; Hebr 7,27; 9,14; sowie Phil 2,8; Hebr 5,8 (114).

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dass Christus „nicht nur ein Erwählter, sondern der Erwählte Gottes“ (125) ist. Alle anderen Erwählten seien „,in ihm‘ erwählt“ (124 f). Diese stellvertretende Funktion des „schlechthin einzigartige[n]“ Erwähltseins Jesu sieht Barth wiederum darin begründet, dass Christus „als erwählter Mensch der in seiner eigenen Menschheit sie Alle erwählende Gott selber ist.“ (125) Zu dieser eher allgemeinen Begründung fügt Barth noch eine exegetische Beobachtung an: Werde im Neuen Testament von Jesu Erwähltsein gesprochen, so geschehe dies immer wieder im Kontext seiner Leidensgeschichte (126). Neben den expliziten Belegen in Lk 9,35 und Lk 23,35 führt Barth auch in diesem Exkurs einige implizite Belege an, in denen er Jesu „Erwählung für das Leiden“ bezeugt sieht.65 Dieses Leiden wiederum werde im Neuen Testament – u. a. in Aufnahme der alttestamentlichen Gottesknechtslieder – als ein stellvertretendes Leiden verstanden. Barth unterstreicht dies, indem er Jes 53,9 f und Hebr 2,11 – 14 zitiert (ebd.). Gerade als der zum stellvertretenden Leiden Erwählte ist Jesus, so lässt sich den zitierten Stellen entnehmen, der stellvertretend für alle Menschen Erwählte. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass durch den Hinweis auf die Passion eine Bedeutungsverschiebung hinsichtlich des verwendeten Begriffs der Stellvertretung stattfindet, die von Barth an dieser Stelle nicht thematisiert wird. Wird die stellvertretende (passive) Erwählung des Menschen Jesus von Barth grundsätzlich als „exemplarisch“ (125, 126) bzw. im Sinne einer „Repräsentation“66 verstanden, so lässt sich dies von seinem stellvertretenden Leiden nicht sagen. Vielmehr wird Jesu stellvertretendes Leiden im Neuen Testament im Sinne einer „Substitution“67 verstanden: Durch dieses Leiden wird das Leiden derer, für die Jesus leidet, aufgehoben.68 Dass diese Unterscheidung grundsätzlich auch dem Verständnis Barths entspricht, wird deutlich, wenn man sich eine weitere Pointe der christologischen Grundausrichtung seiner Erwählungslehre vor Augen hält: Den Zusammenhang zwischen der Erwählung Jesu Christi und seiner Verwerfung.

2.2.3 Die Erwählung Jesu Christi und seine Verwerfung Durch die – exegetisch begründete – christologische Grundlegung der Erwählungslehre kommt Gottes Erwählung bei Barth von vornherein in einem anderen Licht zu stehen, als dies in der calvinischen Gestalt der Prädestina65 66 67 68

Es sind dies Joh 17,24; Apg 2,23; 4,27 f; 1 Petr 1,20; Hebr 9,14; Offb 13,8 (126). Vgl. Frettlçh, Das Ja vor jeder Frage, 122. Vgl. ebd. Auch die in ihrer Bedeutung umstrittene Stelle Kol 1,24 („und erstatte an meinem Fleisch, was noch fehlt an den Leiden Christi“) bildet hier keine Ausnahme, geht es doch auch ihr nicht um eine Gleichsetzung, sondern um eine Ergänzung des in V. 1,20 – 22 als einzigartig beschriebenen Leidens Christi.

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tionslehre der Fall ist.69 Es handelt sich in ihr nicht um ein dunkles „decretum absolutum“ (107 f u. a.), sondern Jesus Christus ist Gottes „decretum concretum“ (108). Gott wählt in Christus den Menschen für sich selbst und umgekehrt sich selbst für den Menschen. Die Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen ist das Ziel und der Sinn der Erwählung, Gott wählt „für sich selbst die Gemeinschaft mit dem Menschen“ und „für den Menschen die Gemeinschaft mit sich selber“ (177). In dieser zweifachen Ausrichtung des göttlichen Gemeinschaftswillens sieht Barth die Rede von der doppelten Prädestination begründet, womit er einerseits an Calvins Prädestinationslehre anknüpft, diese aber zugleich deutlich umformt. Bedeute Gottes Wahl für den Menschen „unendlichen Gewinn, unerhörte Erhöhung“, so bedeute sie für Gott selbst „auf alle Fälle eine Kompromittierung“ (ebd.). Eben diese sei in der Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus geschehen: [I]n der Erwählung Jesu Christi, die der ewige Wille Gottes ist, hat Gott dem Menschen das Erste, die Erwählung, die Seligkeit und das Leben, sich selber aber das Zweite, die Verwerfung, die Verdammnis und den Tod zugedacht. (Ebd.)

Was es konkret bedeutet, dass Gott „für sich selbst […] unsere Verwerfung“ (179) wählte, führt Barth aus, indem er auf einzelne Etappen der neutestamentlichen Erzählung von Jesu Leiden verweist:70 Er wählte Judas, der ihn verriet, zu seinem Apostel. Er wählt das Urteil des Pilatus zur Offenbarung seines Gerichtes über die Welt. Er wählt das Kreuz von Golgatha zu seinem Königsthron. Er wählt das Grab in Josephs Garten zur Stätte seines Seins als der lebendige Gott. (180)

Und unmittelbar an diese biblischen Bezüge fügt Barth in Anspielung auf Joh 3,16 an: „Also, in der Weise, hat Gott die Welt geliebt! Also, in der Weise war seine Liebe von Ewigkeit her selbstlose und gerade so wirkliche Liebe.“ (Ebd.) Es bleibt festzuhalten: Barth klammert die Rede von Gottes Verwerfung aus seiner Erwählungslehre nicht aus, er bindet sie jedoch an das Gericht, das Gott selbst in Christus bzw. Christus am Kreuz erleidet. Gott macht „sich selber zum Gegenstand seines Zorngerichtes“, „er wählte unsere Verwerfung“, „indem er die Gemeinschaft mit dem Menschen erwählte“ (179).

69 Die Erwählungslehre ist für Barth gerade keine „pathetische Unmenschlichkeit“ (so das klassische Diktum M. Webers, vgl. ders., Die protestantische Ethik, 93), sondern vielmehr „die Summe des Evangeliums“ bzw. „das Evangelium in nuce“ (II/2, 13). 70 Nur nebenbei sei erwähnt, dass dieses (wie auch das folgende) Zitat ein gutes Beispiel dafür ist, dass exegetische Überlegungen in der KD keineswegs nur in den durch Kleindruck kenntlich gemachten Exkursen zu finden sind.

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2.2.4 Allversöhnung? Im Gegensatz zu Christi Erwählung versteht Barth, wie bereits angedeutet, dessen stellvertretende Verwerfung nicht im Sinne einer „Repräsentation“, sondern im Sinne einer „Substitution“.71 Abgesehen von Christus ist die Verwerfung „nicht des Menschen Teil“ (181).72 Diese und ähnliche Aussagen über die stellvertretende Verwerfung Christi haben zu der Frage geführt, ob Barth „die Apokatastasis, die Allbeseligung“ lehre.73 Ein umfassender Blick in die Ausführungen von KD II/2 ergibt allerdings, dass Barth die Lehre von der Allversöhnung mehrfach explizit ablehnt. Er begründet dies mit der „Freiheit der göttlichen Gnade“ (462).74 Angesichts des „wirklich verlorenen Menschen“ könne der Gedanke einer Allversöhnung immer nur ein „Hoffnungsgedanke“ sein, welcher sich von einer expliziten Allversöhnungslehre dadurch unterscheide, dass mit ihm „weder der Mensch überschätzt noch der Freiheit Gottes zunahe getreten wird.“ (325) Barth führt diesen Gedanken innerhalb der großen Auslegung zu Röm 9 – 1175 aus, genauer in der Besprechung von Röm 9,23 (323 – 325). Paulus verwendet hier das Bild vom Ölbaum und spricht davon, dass Gott die abgefallenen Zweige wieder „einpfropfen“ könne. Barth schließt daraus, dass der menschliche Unglaube letztlich ein „zeitlich-begrenztes Faktum“ (324) sei. Von einer „Verwerfung“ Israels sei demnach nur im Sinne eines vorläufigen Phänomens, nicht aber im Sinne eines endgültigen Urteils zu sprechen.76 Dabei betont er, dass die Hoffnung des Paulus nicht „mit irgendeiner optimistischen Ansicht über die israelitischen Menschen“ begründet werde, „sondern mit dem Verweis auf die Allmacht Gottes.“ (325) Von Gottes Allmacht zu reden bedeute aber, von der „konkreten Allmacht des Gottes, der sich in Jesus Christus des Menschen angenommen hat und für ihn eingetreten ist“ (ebd.), zu reden. Entsprechend unterstreicht Barth in der Besprechung von Röm 11,28 – 36 die „Hoffnung“ darauf, dass „die Aktion des Erbarmens

71 Vgl. Frettlçh, Das Ja vor jeder Frage, 122. 72 Indem Barth die die christologische Fundierung der Erwählungslehre auf die göttliche Verwerfung ausweitet, grenzt er sich bewusst von den Vertretern der klassischen Prädestinationslehre ab, vgl. u. a. den Exkurs über den Streit zwischen Supralapsariern und Infralapsariern im 17. Jahrhundert (136 – 157). Barth wirft beiden Parteien vor, dass Christus in ihren Augen zwar in Hinblick auf die Erwählung „eine bestimmte, unentbehrliche Rolle“ gespielt habe, mit der Verwerfung der Menschen aber „überhaupt nichts zu tun“ habe (143). 73 Vgl. u. a. Brunner, Dogmatik I, 354, der diese Frage verneint. 74 Vgl. außerdem II/2, 325, 467, 529 f. 75 S.o. Abschnitt 1.2.1. 76 Vgl. 250: „Es ist Gottes Verwerfungsurteil über dieses Israel kein letztes, nicht das ganze Wort Gottes, sondern nur ein Vorwort zu Gottes Verheißung seiner künftig über diesem SchattenIsrael zu offenbarenden Herrlichkeit.“

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Gottes“, die schon jetzt77 „heimlich […] im Gang begriffen“ ist (335), sich am Ende auch sichtbar durchsetzen wird. Noch deutlicher wird Barth im Exkurs über den Jesus-Jünger Judas (508 – 563). Zwar werde an der Schwere von dessen Schuld (511) und an der Tragik seines Todes (521) kein Zweifel gelassen, gleichwohl könne von einer endgültigen Verwerfung des Judas nicht mit Sicherheit geredet werden. Schließlich habe auch Judas am letzten Mahl und an der Fußwaschung Jesu teilgenommen, auch er sei Gegenstand der Fürsorge und Liebe Jesu gegenüber „den Seinen bis zuletzt“ (Joh 13,1), auch für ihn habe Jesus nach Lk 23,46 am Kreuz gebetet (527). So gilt also für Barth beides: „Hier Jesus auch für Judas, ja zweifellos gerade für Judas, dort Judas ebenso zweifellos gegen Jesus: gerade gegen den Jesus, der für ihn ist“. (528) Angesichts dieser Spannung sieht Barth sich außerstande, eine Aussage über das endgültige Schicksal des Judas zu treffen. Vielmehr sieht er in dieser Spannung die „offene Situation der Verkündigung“ (528) abgebildet. In dieser offenen Situation soll die Kirche „keine Apokatastasis, sie soll […] aber auch keine ohnmächtige Gnade Jesu Christi und keine übermächtige Bosheit des Menschen ihr gegenüber predigen“ (529).78 Es bleibt festzuhalten – und hierin zeigt sich der Unterschied zu den Positionen von Calvin und Schleiermacher –, dass nach Barths Ansicht mit der Lehre einer ewigen Erwählung Aller zum Heil die Grenze, an der es zu schweigen gilt, ebenso überschritten wird wie mit einer definitiven Aussage über eine bleibende Verwerfung bestimmter Menschen.79 Insgesamt hat sich gezeigt, dass Barth sowohl in der christologischen Grundlegung seiner Erwählungslehre als auch in den Überlegungen zur Allversöhnung wiederholt exegetische Argumente ins Feld führt, mithin seine dogmatischen Aussagen in nicht geringem Ausmaß auf exegetische Beobachtungen stützt. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass der Exegese in §§ 32 – 33 noch nicht jenes überragende Gewicht zukommt wie in §§ 34 – 35, von denen (mit einem Schwerpunkt auf Letzterem) im Folgenden die Rede sein wird.

77 Barth bemerkt hierzu, dass auch das zweite, scheinbar störende mOm in V. 31 „textkritisch gesichert“ (335) sei, was angesichts von dessen Bezeugung sowohl durch den Sinaiticus als auch durch den Vaticanus einleuchtet. Vgl. die entsprechende Revision in der zweiten Auflage des Römerbriefs gegenüber der ersten Auflage, Römerbrief II, 562. 78 Bereits zuvor hatte Barth die Situation der Verkündigung sowie der Seelsorge zum eigentlichen Ort der Rede von Gottes Erwählung bestimmter Menschen erklärt. Die Rede von der Erwählung Einzelner könne letztlich nicht in der dritten Person als Aussage über bestimmte Menschen, sondern nur in der zweiten Person als „Anrede“ (355) an bestimmte Menschen vollzogen werden. In der Verkündigung aber sei jedem Menschen die Verheißung auszurichten: „In Jesus Christus bist auch du nicht verworfen – deine Verwerfung hat er ja getragen! – sondern erwählt.“ (354) 79 Diese doppelte Abgrenzung wird wiederholt in der Einleitung zur Versöhnungslehre, vgl. KD IV/1, 129.

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2.3 Die Erwählung der Verworfenen: Das „Christuszeugnis des Alten Testaments“ Die Frage nach der (endgültigen) Verworfenheit bestimmter Menschen zieht sich durch Barths gesamte Erwählungslehre. Gibt es Menschen, die verworfen sind und verworfen bleiben? Durch die christologische Verankerung der Erwählungslehre mit ihrer Ausweitung auf die stellvertretende Verwerfung Jesu am Kreuz erarbeitet Barth in § 33 zunächst die Grundlage, auf der jeder Mensch als ein von Gott zum Heil Erwählter anzusprechen ist. Diese Erkenntnis wird im folgenden § 34 („Die Erwählung der Gemeinde“) auf die paulinische Frage nach der Verwerfung Israels (Röm 11,1) angewendet. Barth spricht zwar angesichts der weitgehenden Nicht-Annahme des Christusglaubens von einer Verwerfung Israels, gleichzeitig betont er jedoch, dass es sich dabei lediglich um eine vorläufige Verwerfung handle. Am ausführlichsten wird die Frage nach der bleibenden Verworfenheit in § 35 erörtert, in welchem Barth sich mit der „Erwählung des Einzelnen“ auseinandersetzt. Was es für eine Einzelperson heißt, erwählt oder verworfen zu sein, wird in diesem Paragraphen zunächst in einem langen exegetischen Exkurs anhand bestimmter alttestamentlicher Gestalten erörtert. Dieser Exkurs wird im Folgenden in einem kurzen Gesamtüberblick vorgestellt und anschließend exemplarisch im Blick auf Barths Auslegung der Geschichten zu Saul und David detailliert besprochen. 2.3.1 Ein Durchgang durch das Alte Testament Barth beginnt seinen vierteiligen Exkurs über das „Christuszeugnis des Alten Testaments“80 (391) mit einem thematischen Querschnitt, der die vorstaatliche Geschichte Israels, wie sie im Hexateuch beschrieben wird, umfasst. Das Thema des Querschnitts ist die „Liebe Gottes in ihrer Doppelgestalt“ (391), die in unterschiedlicher Weise sowohl den Erwählten als auch den Verworfenen gelte. Am Beispiel von Kain, Ismael, Esau u. a. zeigt Barth, inwiefern auch die scheinbar Verworfenen jeweils von der fürsorgenden Liebe Gottes erhalten werden.81 „[Ü]berall […] ist es deutlich, daß die zunächst Benachteiligten in ihrer Weise auch gesegnet sind und in ihrer Stellung zur Linken ebenfalls eine göttliche Bestimmung erfüllen.“ (392 f) Der zweite Teil des Exkurses widmet sich zwei Texten aus der Kultgesetz80 Mit dieser Formel übernimmt Barth die Titelformulierung von W. Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments. Dass sich in der weiteren Auslegung keine weiteren Verweise auf Vischers Werk finden, lässt sich dadurch erklären, dass dessen zweiter Band mit den Kapiteln über Saul und David erst 1942 erschienen ist, also im gleichen Jahr wie KD II/2. 81 Deutlich sind die Parallelen zur Auslegung der Geschichte von Kain und Abel in KD II/1, 463, vgl. hierzu Kapitel B 1, Abschnitt 3.3.1.

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gebung im Buch Leviticus, nämlich den Vorschriften zur Reinigung von Aussatz in Lev 14 und zum Jom Kippur in Lev 16 (393 – 404).82 In einer typologischen Auslegung werden die unterschiedlichen Bestimmungen über die beiden Tauben bzw. die beiden Böcke – in beiden Fällen wird je eines der Tiere getötet, das andere bleibt am Leben – von Barth auf Erwählung und Verwerfung gedeutet.83 Das Ziel der Auslegung besteht zunächst darin, die mit der jeweiligen Bestimmung verbundene notwendige Funktion jedes der vier Tiere im jeweils behandelten Reinigungsgeschehen zu unterstreichen. Anschließend folgt eine christologische Auslegung, die darauf hinausläuft, dass jedes der vier Tiere ein „Zeuge Jesu Christi“ bzw. ein „Typus“ (402) für Christus sei. Die beiden weiteren Teile des alttestamentlichen Exkurses, welche sich den Geschichten über Saul und David (404 – 434) sowie der Erzählung vom Gottesmann aus Juda und dem Propheten aus Israel nach 1 Kön 13 (434 – 453)84 widmen, folgen dem gleichen Argumentationsmuster wie die Auslegung der levitischen Kultvorschriften. Es wird jeweils das Verhältnis zwischen dem Erwählten (David bzw. Juda) und dem Verworfenen (Saul bzw. Israel) als ein dialektisches Verhältnis dargestellt, wobei sich Barth besondere Mühe gibt, 82 Vgl. hierzu den jüngst veröffentlichten Aufsatz von K.E. Greene-McCreight, AType of the One to Come. Die Verfasserin bietet u. a. einen Vergleich zwischen Barths Exegese und einigen altkirchlichen Auslegungen, was dazu führt, dass sie Barths Vorgehensweise als eine „modest christological interpretation“ charakterisiert, vgl. Greene-McCreight, a. a. O., 75. 83 Dieses Vorgehen ist zuletzt von F. Crüsemann heftig kritisiert worden, vgl. ders., Barths Erwählungslehre und das Alte Testament, 152. In der Darstellung Crüsemanns wird jedoch übergangen, dass Barth zunächst sehr ausführlich auf das im Text dargestellte Geschehen eingeht, bevor er in einer Übertragung auf Erwählung und Verwerfung und anschließend auf die christologische Pointe zu sprechen kommt. Das Opfergeschehen als solches wird keineswegs als unbedeutsam disqualifiziert. Insofern ist der Begriff der „Allegorisierung“ (vgl. CrRsemann, a. a. O., 152) unzutreffend und stattdessen – mit Barth – von einer typologischen Auslegung zu sprechen, vgl. KD II/2, 402 f. Im Blick auf Barths Auslegung von einem „Verlust alttestamentlicher Textwelten“ (vgl. CrRsemann, a. a. O., 155) zu sprechen, ist jedenfalls nicht nur überzogen, sondern sachlich falsch. Für seine dogmatische Argumentation hätte Barth auf die Auslegung der Leviticus-Abschnitte ohne weiteres verzichten können. Dass er stattdessen in einer – wie auch Crüsemann feststellen muss (vgl. ders., a. a. O., 152) – eigenständigen Lektüre und Auslegung die beiden Abschnitte in seiner Erwählungslehre heranzieht, muss als eine Wiederentdeckung dieser – jdf., was Lev 14,4 – 7 betrifft – wenig beachteten Texte gewürdigt werden. Zu dieser Wiederentdeckung gehört auch die Feststellung der inhaltlichen Parallelen zwischen den beiden Bestimmungen in Lev 14 und Lev 16. Diese wird in den Kommentaren von Barths Zeitgenossen entweder übersehen, vgl. Baentsch, Exodus – Leviticus – Numeri, 371 f, 383 – 385, sowie Dillmann, Exodus und Leviticus, 561 – 563, 576 – 580, oder bestenfalls angedeutet, vgl. Heinisch, Leviticus, 65 bzw. 75. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Barths Auslegung sei schließlich angemerkt, dass diese keineswegs nur „auf den Schultern von Wilhelm Vischer“ (vgl. CrRsemann, a. a. O., 152) steht, sondern einen prominenten Vorläufer bereits in Calvins Auslegung des Pentateuchs hat, vgl. u. a. ders., Commentariorum in quinque libros Mosis. Pars II, CR 52, 325,29. Vor diesem Hintergrund scheint es allemal fraglich, ob nicht eine größere Zurückhaltung geboten wäre in Bezug auf Urteile darüber, was „in ernsthafter Wissenschaft […] weiter eine Rolle“ spielen dürfe, und was nicht, vgl. CrRsemann, a. a. O., 153. 84 Eine kritische Würdigung speziell zu diesem Exkurs hat M. Klopfenstein in der Festschrift zu Barths 80. Geburtstag vorgelegt, vgl. Klopfenstein, 1. Könige 13.

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die Nähe zwischen Erwählten und Verworfenen und die positive Rolle der Verworfenen aufzuzeigen. Im Anschluss findet sich jeweils die christologische Zuspitzung, die ebenfalls in allen drei Fällen nach dem gleichen Muster verläuft. Anhand der Auslegung über Saul und David wird Barths Vorgehen im folgenden Abschnitt genauer untersucht. Im Blick auf den gesamten Exkurs bleibt festzuhalten, dass Barth zwar um ein breites Abschreiten des alttestamentlichen Kanons bemüht ist, sich gleichzeitig jedoch mit besonderer Sorgfalt dessen Erzähltexten widmet. Die Ketubim bleiben weitgehend unberücksichtigt, ebenso die Bücher der Schriftpropheten.85 Dieses Vorgehen ist bezeichnend für die Verwendung des Alten Testaments in Barths Dogmatik. Dort, wo berichtet wird, wie sich die übergeordnete Geschichte zwischen Jahwe und Israel in den Lebensgeschichten einzelner Menschen abbildet, hat das Alte Testament für Barth eine besondere theologische Aussagekraft, und eben jenen Berichten gilt folglich sein gesteigertes exegetisches Interesse. Charakteristisch für Barths Nacherzählungen ist, dass er vor allem in der Beschreibung der scheinbar Verworfenen immer wieder die Perspektive des distanzierten Erzählers verlässt und keinen Zweifel lässt, wem seine Sympathien in erster Linie gelten, nämlich den Verworfenen, die doch nicht nur verworfen sind.86

2.3.2 Saul und David 2.3.2.1 Die Nähe zwischen dem Erwählten und dem Verworfenen Die Auslegung zu den Erzählungen von Saul und David ist deutlich von dem Anliegen bestimmt, die Nähe zwischen diesen beiden auf den ersten Blick ungleichen Königen Israels herauszustellen, um so der Vorstellung eines Dualismus zwischen Erwählten und Verworfenen entgegenzuwirken. Bevor dieses Anliegen erläutert wird, ist jedoch zunächst auf eine der insgesamt eher seltenen redaktionsgeschichtlichen Bemerkungen Barths hinzuweisen: Haben die Überlieferungen über beide Gestalten [Saul und David] vermutlich einmal selbständig existiert, so war doch der Sinn beider gerade damit wohl verstanden, daß sie in dem uns heute vorliegenden Text ineinander verwoben und zu einem Ganzen geformt wurden. (411)

An dieser Bemerkung ist zunächst die nach dem Stand der heutigen Forschung87 eher übertrieben kritische Einschätzung zur Einheitlichkeit des ersten Samuelbuches auffallend. Diese belegt, dass Barth die kritischen Urteile 85 Allerdings weist Barth zu Recht darauf hin, dass die Samuelbücher im hebräischen Tanach zu den Nebiim gerechnet werden (428). 86 Zu Barths narrativer Exegese vgl. ausführlich die Kapitel B 4 und B 5. 87 Vgl. Gertz, Grundinformation Altes Testament, 290.

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der zeitgenössischen Exegese weder abgelehnt noch abgemildert hat. Noch interessanter ist freilich die Rede von einem „Sinn“ der Texte, der von den Redaktoren „wohl verstanden“ worden sei. Dieses Lob entspricht der bei Barth üblichen Vorgehensweise, den von der Endredaktion verantworteten kanonischen Text in der Auslegung als maßgeblich zu betrachten. Die Existenz von literarischen Vorstufen wird zwar nicht geleugnet, Grundlage für die weitere Auslegung ist jedoch der „heute vorliegend[e] Text“. Die Rede vom „Sinn“ der Texte knüpft schließlich an Barths Inspirationslehre an, die in ihrer dreifachen Gestalt auch das schriftliche Werk der biblischen Autoren umfasst und mit dem Wirken des Geistes verbindet. Ohne dass Barth von einem wörtlichen Diktat ausgeht, ist er doch der Überzeugung, dass die Entstehung der biblischen Bücher mit einer bestimmten Intention verbunden ist, in deren Dienst die menschlichen Schreiber durch den Geist Gottes gestellt wurden. Die historisch naheliegende Vermutung, dass es sich bei der Entstehung der Samuelbücher um einen langwierigen und mehrstufigen Prozess handelt, wird zwar von Barth geteilt, eine theologische Bedeutung kommt diesem Prozess als solchem jedoch nicht zu; entscheidend ist vielmehr, dass die heute vorliegende Gestalt mit ihrer Zusammenstellung der beiden Überlieferungen deren jeweiligem „Sinn“ entspricht.88 Das erste inhaltliche Anliegen der Auslegung besteht, wie bereits erwähnt, darin, die beiden Könige Saul und David in größtmöglicher Nähe zueinander zu beschreiben. Dies kommt bereits im Aufbau des Exkurses zum Ausdruck:89 In strenger Parallelität wird zuerst Saul von seiner positiven wie von seiner negativen Seite beleuchtet (405 – 407 bzw. 407 – 410), bevor sich dieses Vorgehen mit David wiederholt (411 – 416 bzw. 416 – 424). Schon allein durch diese Anordnung fällt ein besonderes Gewicht auf die beiden Rahmenabschnitte, in denen die positiven Seiten Sauls sowie die negativen Seiten Davids beschrieben werden. Auffällig ist zudem, dass Barth den negativen Seiten des David mit Abstand den meisten Platz einräumt, während die „mikroskopischen Sünden des Saul“ (409) als möglichst harmlos und dementsprechend im Vergleich zur biblischen Darstellung eher knapp dargestellt werden. Zwar wird auch in Barths Auslegung kein Zweifel daran gelassen, dass im gesamten Erzählzusammenhang nicht Saul, sondern David der von Gott erwählte König ist – Barth verweist u. a. auf die Erzählung von Davids Salbung durch Samuel in 1 Sam 16,1 – 13 (411 f) sowie auf die Beschreibung des David als „Spielmann Gottes“90 (413) –, noch mehr Gewicht fällt jedoch auf die 88 Vor diesem Hintergrund erfährt schließlich die in Teil A (vgl. Abschnitt 2.3) kritisierte These Körtners zur positiven Beziehung zwischen Barths Schriftverständnis und der postmodernen Rede von der intentio operis (vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 115 f, 123 f) eine indirekte Bestätigung. 89 Vgl. hierzu auch die detaillierte Darstellung bei Spijkerboer, Karl Barth und seine Exegese von David und Saul, 32 – 34. 90 In diesem Zusammenhang findet sich eine weitere Bemerkung, die für Barths Umgang mit den Hypothesen der historisch-kritischen Forschung aufschlussreich ist. Bezüglich der Autoren-

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Feststellung, dass David wie Saul seinen Aufstieg und seine Macht allein der Gnade Gottes verdanke (416 f) und dass er wie Saul „auch nur Platzhalter und Stellvertreter eines Anderen“ (417) sei. Vor allem aber sei Davids Sünde „blutrot im Verhältnis zu dem, was Saul getan hat“ (421). „David hat eben auch eine Saulsseite“ (416), so lautet das vorweggenommene Fazit Barths, durch welches deutlich unterstrichen wird, dass Barth zwar nicht die Rollen zwischen dem erwählten David und dem verworfenen Saul91 vertauschen, wohl aber deren Nähe zueinander betonen möchte. Saul ist in Barths Augen nicht bloß der Verworfene, sondern er ist immer zugleich der Erwählte, dessen Inthronisation wie die des David durch Gottes Wahl und Wirken zustande kommt (405). Es entspricht Barths Kanonverständnis, dass er die unterschiedliche Bewertung des Königtums im ersten Samuelbuch92 nicht auf die Existenz verschiedener Quellen zurückführt, sondern vielmehr dialektisch miteinander zu verbinden strebt. Die Spannung zwischen der Beurteilung des Wunsches nach einem König als Ungehorsam des Volkes auf der einen Seite und dem Mitwirken Gottes an der Inthronisation des Saul auf der anderen Seite wird von Barth nicht redaktionsgeschichtlich aufgehoben,93 sondern damit erklärt, dass nicht der Königswunsch der Israeliten an sich verkehrt sei, sondern vielmehr dies, „daß sie einen so ganz anderen König begehren als Gott ihn haben will und schon für sie bestimmt hat.“ (407) Einer genauen Prüfung am Text hält diese Erklärung jedoch nicht stand,94

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angaben der Davidspsalmen hält Barth „das Bibliothekarsproblem: mit welchem historischen Recht“ diese Zuschreibungen geschehen seien, letztlich für irrelevant. „Rechnen wir ruhig mit der Wahrscheinlichkeit, daß kaum die Hälfte unserer Psalmen auch nur vorexilisch sein […] dürften und rechnen wir sogar gelassen mit der Möglichkeit, daß wir es vielleicht in keinem auch von diesen mit einem von David selbst verfassten Text zu tun haben, so spricht doch die Tatsache nur umso lauter und ausdrucksvoller : die israelitische Kultgemeinde hat sich von der Zeit Davids an und je weiter man sich von dieser Zeit entfernte, nur umso bewußter und bestimmter gerade dann mit diesem zweiten, dem rechten König Israels, zusammengeschlossen, ja identisch gefunden, wenn sie vor dem Herrn singend und spielend […] die Schönheit Gottes loben und anbeten durfte und wollte.“ (414) Wieder ist es die Endgestalt des biblischen Kanons, der Barth die theologisch relevante Aussage entnimmt, dass David noch in den späteren Generationen als der „Spielmann Gottes“ (ebd.) schlechthin betrachtet wurde. Sauls Verwerfung wird von Barth anhand der Geschichten von Sauls Ungehorsam geschildert, vgl. 1 Sam 13,13 f bzw. 1 Sam 15,23 – 25 (408 – 410). Vgl. hierzu die Übersicht bei Gertz, Grundinformation Altes Testament, 288. Zu den literarkritischen Hypothesen bzgl. der Königserhebung Sauls vgl. Dietrich/Naumann, Samuelbücher, 16 – 26, sowie unter Barths Zeitgenossen Leimbach, Samuel, 4 – 16. Die Einheitlichkeit der entsprechenden Kapitel ist bereits im 18. Jahrhundert von J.G. Eichhorn und besonders vehement im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert von J. Wellhausen u. a. bestritten worden, vgl. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 242 ff. Zu Barths Zeiten sind jedoch – jedenfalls auf katholischer Seite – Stimmen zu hören, die zur Mäßigung der Kritik aufrufen, vgl. Leimbach, a. a. O., 16, bzw. Ketter, Samuelbücher, 2, der seinerseits (im Jahr 1940) die „Hyperkritik der Vorkriegsjahre“ anprangert. Vgl. etwa 1 Sam 8,7: „[…] denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll“.

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und es ist durchaus kritisch zu fragen, ob der bereits erwähnte Respekt Barths gegenüber dem biblischen Kanon in seiner Endgestalt ihn in diesem Fall nicht zu einer vorschnellen Auslegung verleitet hat. Zwar ist zu würdigen, dass Barth die einzelnen Texte nicht explizit gegeneinander ausspielt bzw. die einen zugunsten der anderen für weniger beachtenswert hält. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass es Barth in der Frage der Bewertung des Königtums nicht gelingt, die Spannung zwischen den sich widersprechenden Aussagen einer befriedigenden Erklärung zuzuführen oder notfalls als offene Frage stehen zu lassen. Letzterem wäre zweifellos der Vorzug zu geben gegenüber einer Auslegung, in der, nun aber uneingestanden, im Ergebnis ebenfalls bestimmte Texte übergangen werden. Barth betont weiter, dass die Erwählung des Saul zum König über Israel mit dessen Ungehorsam nicht einfach zu Ende geht. Saul bleibt der Erwählte Gottes, dem David noch nach seinem Tod die entsprechende Ehre zukommen lässt – ebenso wie seinen Nachkommen (406). Ihren Höhepunkt findet die dialektische Beurteilung des Saul darin, dass Barth ihm gerade in seiner Sündhaftigkeit eine notwendige Rolle innerhalb der mit David sich fortsetzenden Bundesgeschichte zwischen Jahwe und Israel einräumt: „Als die Person dieses sündigen, schuldigen und gestraften Königs von Israel ist Saul dem Alten Testament schlechterdings unentbehrlich. Er ist notwendig wegen der Heiligkeit der Gnade Gottes.“ (410) Indem Saul seiner Erwählung untreu wird, veranschaulicht er gewissermaßen negativ, was es heißt, dass Jahwe sich für die Gemeinschaft mit dem Menschen entschieden hat. Wo sich ein Mensch von dieser Gemeinschaft isoliert, kann Gott in seiner Heiligkeit dieser Selbstisolierung gegenüber nur mit einem deutlichen „Nein“ reagieren. Nicht Saul als Person wird damit verworfen, sondern sein Ungehorsam. Aber auch dieses Nein ist umschlossen von dem noch stärkeren „Ja“, das dem Saul nach wie vor gilt und das vor allem dem erwählten Israel nach wie vor gilt, wie sich in der Erwählung des David zeigt (409). 2.3.2.2 Alttestamentliche Fragen und neutestamentliche Antworten Das Bild, das Barth in den beiden Samuelbüchern von Saul wie auch von David gezeichnet sieht, ist höchst ambivalent. Diese Ambivalenz, die in Barths Auslegung so deutlich wie möglich herausgearbeitet wird, veranlasst ihn dazu, im zweiten Teil des Exkurses einige Fragen zu formulieren, die er im Text offen gelassen sieht. Barth folgt an dieser Stelle dem gleichen Argumentationsmuster, welches er bereits in den Auslegungen der levitischen Kultbestimmungen anwendet (399 f), indem er unterscheidet zwischen den Aporien der „Sache“, von der berichtet werde, sowie der Dunkelheit hinsichtlich „der Einheit dieser Sache“ (425). Als offene Fragen bezüglich der „Sache“ bezeichnet Barth den Widerspruch in der Bewertung des Königtums, das einerseits als „Gerichtsakt“, andererseits

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als „Verheißung für die Zukunft“ (ebd.) beschrieben werde.95 Ebenso bleibe in den Texten die Frage offen, wer denn eigentlich der verheißene Nachfolger Davids, der in 2 Sam 7 versprochene ewige König sei (ebd.). Schließlich sei die von Anfang an umstrittene Legitimität eines menschlichen Königs in Israel nach dem Untergang im Jahr 587 erst recht fraglich geworden. Umso schärfer stellt sich damit nach Barth die Frage, wie das „sakrale Interesse“ (426) zu erklären ist, welches die israelitische Gemeinde dazu bewogen habe, gerade die Hoffnung eines verheißenen Königs in ihren Kanon aufzunehmen? Anders denn als „Weissagung“ (ebd.), so Barths Erklärung, seien diese Texte nicht zu verstehen, von einer Erfüllung der Weissagung sagten die Texte selbst jedoch nichts. Neben diesen Unklarheiten bezüglich des Königtums als der Sache, die in den Texten beschrieben wird, tritt nach Barth die Unklarheit bezüglich der Einheit dieser Sache, genauer die Frage, wie sich das ambivalente Bild von Verwerfung und Erwählung im Hinblick auf Saul einerseits sowie David andererseits verstehen lässt (427 f). All die genannten Fragen führt Barth nun einer Antwort zu, indem er sie auf das Christusgeschehen bezieht. Dabei betont er, dass die christologische Auslegung der Geschichten von Saul und David ihren Ursprung bereits im Neuen Testament habe (428 f).96 Dessen Autoren hätten die Antwort der christologischen Auslegung freilich nicht als einen „letzten Triumph jüdischer Schriftgelehrsamkeit“ betrachtet, vielmehr sei ihnen „das Alte Testament (Lk 24,27 f) durch die in der Auferstehung Jesu Christi geschehen Erfüllung geöffnet“ worden (429). Entsprechend sei die christologische Auslegung letztlich identisch mit der „Glaubensfrage“ (ebd.). Indem Barth, ausgehend vom Neuen Testament, Jesus Christus als „letztes Wort“ (430) der Exegese der Geschichten von Saul und David betrachtet, gelangt er zunächst zu einer Erklärung, weshalb das Königtum so widersprüchlich einmal als Gerichts- und dann wieder als Gnadenakt beschrieben wird. Gottes Gnadenakt in Christus habe nun einmal den Charakter des Gerichts, in dem Gott selbst die Sünde des Volkes, dessen Selbstmächtigkeit und Gottvergessenheit auf sich nimmt. Auch die Eschatologisierung des Königtums in Israel ist für Barth mit Blick auf das Neue Testament kein Rätsel mehr, da auch die Königsherrschaft Christi, jedenfalls „so lange die Zeit währt, eine Sache der Verheißung und des Glaubens, ein Gegenstand der Hoffnung ist: verborgen in der sichtbaren Gestalt der Kirche“ (431). Ebenso wird Barth auch die Vergänglichkeit des israelitischen Königtums verständlich, indem er es als „Typus“ (430) oder „Vorbild und Nachbild“ (431) 95 Dass Barth den Widerspruch an dieser Stelle als eine offene Frage bezeichnet, deutet darauf hin, dass er die Grenzen seiner eigenen, soeben kritisierten Deutung dieses Widerspruchs selbst gesehen hat. 96 Barth verweist auf die entsprechenden Auslegungen in den Predigten der Apostel nach Apg 2,25 – 31; 13,21 – 37.

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des Königtums Christi versteht. Auch das Königtum Christi sei schließlich begrenzt bis zum Ende der Zeit, wenn Christus nach 1 Kor 15,28 seine Herrschaft dem Vater zurückgeben werde (ebd.). Das Ineinander und Miteinander von Verwerfung und Erwählung des Saul versteht Barth dahingehend, dass auch Christus dazu erwählt wurde, der Verworfene zu sein, und durch seinen Verbrechertod auf Golgatha als erwählter „König der Gnade“ (431 f) eingesetzt wurde. Nicht zuletzt kann Barth auch die bleibende Erwählung des David trotz dessen Verfehlungen christologisch erklären. Schließlich werde im Christusgeschehen die menschliche Sünde nicht einfach ignoriert, sondern vielmehr durch die göttliche Gnade wirksam überwunden (432 f). Dass das Bild des David in der alttestamentlichen Erzählung nicht ohne Makel gezeichnet wird, ist nach Barth insofern notwendig, als Gottes Gnade nur den Menschen als Sündern begegnet und sie als solche annimmt (433). Barth fasst seine Auslegung dahingehend zusammen, dass er das „Ärgernis“, das die alttestamentliche Geschichtserzählung durch ihre Ambivalenzen bereitet, durch seine christologische Auslegung zwar nicht aufheben wolle, wohl aber danach strebe, es als ein „fruchtbare[s] Ärgernis“ (ebd.) kenntlich zu machen. So könne aus der Irritation über die Rätselhaftigkeit der Texte eine heilsame „Verwunderung“ werden über den Gott, „der so gnädig ist und so zornig, der so lebendig macht und so tötet, der so erwählt und so verwirft“, wie es „in dieser einen Menschengestalt“ (434) Jesus Christus geschehen ist. Das theologische Anliegen, das Barth mit seiner christologischen Auslegung verfolgt, besteht somit in einer Erweiterung des Sinnhorizonts der Geschichten von Saul und David. Es geht in diesen Geschichten, so Barth, nicht nur um das Schicksal zweier Könige in der Geschichte Israels und dessen theologische Deutung durch die Verfasser der Samuelbücher. Vielmehr können diese Geschichten darüber hinaus einen Beitrag dazu leisten, dass Christinnen und Christen ihre Erwählung in Christus erkennen als eine solche, die weder aufgrund eigener Verdienste geschieht noch einen exklusiven Besitz darstellt, der dazu berechtigen würde, sich von jenen abzugrenzen, die ihre Erwählung noch nicht erkannt haben. 2.3.2.3 Eine zweifache Absicherung Dass Barth sich mit seiner christologischen Auslegung angreifbar macht,97 ist ihm bewusst. Deshalb sichert er sich auf eine zweifache Weise gegen den Vorwurf ab, die alttestamentlichen Texte christlich zu vereinnahmen. Methodisch besteht diese Absicherung in der Beteuerung, die Texte zunächst ohne expliziten Christus-Bezug schlicht nacherzählt zu haben,98 und 97 Vgl. exemplarisch die Kritik CrRsemann, Karl Barths Erwählungslehre, 153. 98 Vgl. 430: „Wir haben seinen Namen [gem. ist Jesus von Nazareth] auch bei der Untersuchung dieser Texte bisher nicht ausgesprochen“. Die gleiche Beteuerung findet sich im Anschluss an die Auslegung der levitischen Kultgesetze, wo Barth Wert darauf legt, sich eben darin von der „älteren Exegese“ zu unterscheiden, dass er „den Namen Jesus Christus zunächst zurückgestellt“ habe (401).

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zwar in dem Versuch, sie in ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt „innerhalb der alttestamentlichen Welt und ihrer Möglichkeiten“ (430) zu verstehen. Barth nimmt für sich in Anspruch, den Bezug zur Christus-Botschaft erst in einem zweiten, als solchen eindeutig kenntlich gemachten, weiterführenden Teil am Ende der Auslegung hergestellt zu haben, was rein äußerlich betrachtet auch den Tatsachen entspricht. Dennoch wird man bei genauem Hinsehen konstatieren müssen, dass diese methodische Absicherung mit einigen Schwächen behaftet ist. Nicht nur, dass Barth bei der Frage nach dem ursprünglichen Bedeutungsgehalt mit einem gegenüber den Fachexegeten eingeschränkten Horizont und Methodenspektrum arbeiten muss, es zielt vor allem schon seine Nacherzählung allzu deutlich auf jene Aporien hin, die später christologisch beantwortet werden.99 Dass Christus im ersten Teil der Auslegung nicht explizit genannt wird, ändert nichts daran, dass dieser erste Teil bereits deutlich sichtbar den Boden für die christologische Auslegung bereitet. Umso wichtiger und tragfähiger ist die inhaltliche Absicherung, die Barth vornimmt. Diese besteht darin, dass der Bezug zu Christus nicht direkt, sondern indirekt hergestellt wird. Barth behauptet nicht, dass Christus unmittelbar in den Erzählungen von Saul und David zu finden sei, sondern er beschränkt sich auf die Feststellung, dass diese Erzählungen bestimmte Fragen aufwerfen, auf die das Evangelium von Jesus Christus eine mögliche Antwort bietet.100 Von den alttestamentlichen Texten ausgehend ist diese Antwort des Neuen Testaments keineswegs notwendig. Wer aber von dieser Antwort herkomme, wer also als Christin oder als Christ die Geschichten über Saul und David lese, für den sei das Christusgeschehen als die neue, überraschende und zugleich unüberbietbare Offenbarung von Gottes gnädiger Erwählung eben jene unhintergehbare Antwort, die sie bereits für die Autoren des Neuen Testaments gewesen sei.101 Diese zweite Absicherung stellt eine Selbstbeschränkung dar, die der Vieldeutigkeit der biblischen Texte Rechnung trägt. Von den alttestamentlichen Texten aus gesehen ist Christus keineswegs die einzige Antwortmöglichkeit auf die durch sie gestellten Fragen. Barth würde wahrscheinlich noch einen Schritt weiter gehen und zugestehen, dass auch die Fragen, die er in den 99 Dies gilt noch deutlicher für die Auslegungen zu den levitischen Kultgesetzen und der Erzählung 1 Kön 13. 100 Auch diese Absicherung findet sich bereits in der Auslegung zu den levitischen Kultgesetzen (401). 101 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die etwa bei CrRsemann, a. a. O., 152, heftig kritisierte Bezeichnung Christi als „Gegenstand“ der alttestamentlichen Texte (KD II/2, 432). Diese Bezeichnung ist Teil der christologischen Auslegung, die sich zwar nicht als die von den Texten her einzig mögliche, wohl aber als die vom Christusgeschehen her notwendige Auslegung versteht. Wo die christologische Auslegung als „das letzte Wort der Exegese […] gewagt wird“ (KD II/2, 434), da wird es zweifellos zu anstößigen Ergebnissen kommen. Der darüber zu führende Streit wird sich nach Barths Ansicht jedoch weniger um exegetische Sachfragen, als vielmehr um die jeweilige Christologie drehen, vgl. KD II/2, 429.

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Texten aufgeworfen sieht, nicht die einzigen Fragen sind, die man in diesen finden kann. Der Gewinn einer solchen Sichtweise, in der Barth Erkenntnisse rezeptionsästhetischer Bibelauslegung vorwegnimmt,102 besteht darin, dass sie der Mehrdimensionalität von Texten sowie der Möglichkeit alternativer Auslegungen Rechnung trägt und damit zugleich die christologische Auslegung von dem Verdacht exklusiver Besitzansprüche befreit. Um Barths christologische Auslegung des Alten Testaments angemessen zu beurteilen, gilt es diese Selbstbeschränkung unbedingt wahrzunehmen.103 Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Barths christologischer Auslegung und seiner Schriftlehre in KD I bleibt zweierlei festzuhalten: Zum einen entspricht die soeben beschriebene inhaltliche Absicherung gegen den Vorwurf der Christianisierung alttestamentlicher Texte eben jener Verhältnisbestimmung zwischen Altem und Neuem Testament, die Barth in KD I/2 vornimmt und in den exegetischen Passagen der KD auch an anderen Stellen anwendet.104 Zum anderen ist diese Auslegung maßgeblich von der in KD I entwickelten Forderung nach einer sachbezogenen Lektüre beeinflusst, die davon ausgeht, dass die (zweiteilige) christliche Bibel in ihrer Gesamtheit das Zeugnis ist von der Geschichte der Beziehung zwischen dem Schöpfergott und seinen Geschöpfen, welche in der Lebensgeschichte Jesu von Nazareth ihr Ziel und ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat.

2.3.3 Zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament Der entscheidende Vorwurf, den F. Crüsemann gegen Barths alttestamentliche Auslegungen in der Erwählungslehre erhebt, lautet dahingehend, dass Barth den biblischen Kanon „von hinten nach vorn“ lese.105 Anstatt sich zunächst vom Alten Testament sagen zu lassen, was Erwählung sei und worin vor allem die Erwählung Israels bestehe,106 lasse sich Barth zunächst (in §§ 33 – 34) vom Neuen Testament und dessen Christusbotschaft über diese Fragen belehren, was zu einer eingeschränkten Wahrnehmung der alttestamentlichen Texte 102 Vgl. Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 113 – 117. 103 Eben diese zweite inhaltliche Absicherung veranlasst Spijkerboer zu dem Urteil, dass „Barth hier sehr zurückhaltend ist mit seiner christologischen Deutung“, vgl. dies., Exegese, 37. Ähnlich fällt, wie bereits erwähnt, das Urteil von Greene-McCreight aus, die Barths Auslegungen als eine „modest christological interpretation“ bezeichnet, vgl. dies., A Type of the One, 75. 104 So etwa in den Ausführungen zu Gottes Geduld in KD II/1, 468 – 470. Ein weiteres anschauliches Beispiel findet sich in KD IV/1, 3 f. Hier ist es die Frage „Wer ist ,Immanuel‘?“, die nach Barths Verständnis in Jes 7,14 bzw. Jes 8,8.10 offen bleibt, von Mt 1,21 f jedoch beantwortet wird. Vgl. zum Ganzen Teil C, Abschnitt 2.3.3. 105 Vgl. CrRsemann, a. a. O., 155. 106 CrRsemann vermisst u. a. ein Eingehen auf die „zentralen Erwählungstexte“ in „Dtn 7, Ex 19 usw“. Vgl. ders., a. a. O., 156.

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führe. „[W]ie viel Biblisches fällt dabei unter den Tisch, welch gigantische Engführung entsteht dadurch!“107 Doch nicht nur den Verlust wichtiger Inhalte des Alten Testaments beklagt Crüsemann, sondern er geht noch einen Schritt weiter und wirft Barth vor, die „theologische Eigenständigkeit“108 des Alten Testaments zu vernachlässigen und stattdessen immer schon vom Neuen Testament her zu wissen, „was [im Alten Testament] theologisch relevant ist“.109 Mit dieser Kritik ist zweifellos eine wichtige Gefahr erkannt. Wer in der Auslegung des Alten Testaments dessen Besonderheit als in Israel entstandene und an Israel adressierte Schriftensammlung ignoriert, der wird kaum zu einem angemessenen Verständnis des Alten Testaments gelangen. Ob Barth dieser Gefahr tatsächlich erlegen ist, kann jedoch mit Recht bezweifelt werden. Eine andere Sprache sprechen z. B. die (rezeptionsgeschichtlichen) Bemerkungen über die Entstehungsgeschichte des alttestamentlichen Kanons, die von einem sehr genauen Gespür für den ursprünglichen Leserkreis des Alten Testaments zeugen.110 Gleiches gilt aber auch für Barths Betonung, dass eine christologische Auslegung gegenüber den alttestamentlichen Texten keine Selbstverständlichkeit ist und folglich als ein weiterführender Schritt der Auslegung deutlich zu kennzeichnen ist.111 Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, was mit der „theologischen Eigenständigkeit“ des Alten Testaments – aus christlicher Perspektive – eigentlich gemeint ist und wie weit diese Eigenständigkeit geht. Wenn Crüsemann etwa von Israel als einem neben Christus auf gleicher Ebene 107 108 109 110

CrRsemann, a. a. O., 155. Vgl. CrRsemann, a. a. O., 153. Vgl. CrRsemann, a. a. O., 154. Vgl. die Bemerkung über die israelitische Kultgemeinde und ihre Identifikation mit David, dem „Spielmann Gottes“, die zur Zuschreibung zahlreicher Psalmen an David geführt habe (414), oder die Erörterung der Frage nach dem Grund der Aufnahme der Geschichten von Saul und David in den alttestamentlichen Kanon (426). 111 Nur am Rande sei auf drei weitere Einschätzungen hingewiesen, in denen Crüsemann von einer allzu einseitigen KD-Lektüre fehlgeleitet wird. Zum einen ist es schlicht falsch, dass Barth sich für die „Judenmission“ stark gemacht habe, vgl. CrRsemann, a. a. O., 149. In der angegeben Stelle KD II/2, 225 ist davon nichts zu lesen, vielmehr lehnt Barth die Judenmission ausdrücklich ab, vgl. II/2, 312, sowie die mit derselben biblischen Begründung versehene Parallelstelle in KD IV/3, 1005 – 1007. Zum zweiten ist es mindestens eine Verzerrung, wenn Crüsemann behauptet, Barth habe die „jüdische Exegese als nur negatives Gegenbild christlicher und also sachlich richtiger Exegese“ betrachtet, vgl. CrRsemann, a. a. O., 150. An der angegebenen Stelle KD II/2, 430, wird lediglich gesagt, dass eine jüdische Exegese den letzten Schritt einer christologischen Auslegung nicht gehen könne. Dass sie damit eine sachlich falsche Exegese sei, wird gerade nicht gesagt und kann nach der im vorigen Abschnitt erläuterten inhaltlichen Absicherung auch nicht gesagt werden. Im Übrigen ist auf die breite und überwiegend positive Rezeption des Genesis-Kommentars von B. Jacob in der Auslegung der Schöpfungserzählungen in KD III/1 hinzuweisen. Zum dritten ist es – wie bereits ausführlich erläutert – unzutreffend, Barth ohne weiteres zum Vertreter der Apokatastasis-Lehre zu erklären, so aber CrRsemann, a. a. O., 150.

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stehenden „Heilsmittler für die Menschheit“ spricht112 oder die „Formulierung aus 2 Kor 1,20, wonach Christus das Ja auf alle Verheißungen Gottes ist“ in dem Sinne absolut setzt, dass sich daraus der Anspruch nach einer Aktualisierung der „Landverheißung“ ergibt,113 so stellt sich die Frage, ob hier aus der „Eigenständigkeit“ nicht in Wahrheit eine Unabhängigkeit geworden ist. Jedenfalls bestätigt sich die Vermutung Barths, dass der Kern der Auseinandersetzung um die christologische Auslegung des Alten Testaments im jeweiligen Verständnis des Christusgeschehens zu sehen ist (429).

2.4 Die Freiheit der Erwählten: Das „Christuszeugnis des Neuen Testaments“ Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass Barth weder einer Allversöhnungslehre das Wort reden möchte noch dazu bereit ist, eine dualistische Sichtweise zu übernehmen, in der die zum Heil Erwählten den zur ewigen Verdammnis Verworfenen gegenüberstehen. Befindet er sich in diesen Fragen deutlich im Widerspruch zu den dominierenden Positionen der klassischen reformierten Erwählungslehre,114 so besteht ein weiterer neuer Akzent in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Freiheit des erwählenden Gottes und der Freiheit des erwählten Menschen. Wie bereits zuvor spielen auch in dieser Frage exegetische Überlegungen, nun allerdings zum „Christuszeugnis des Neuen Testaments“ (464), in Barths Argumentation eine entscheidende Rolle. 2.4.1 Die theonome Autonomie des erwählten Menschen Barths Erwählungslehre wird nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Ansätzen der dogmengeschichtlichen Tradition entwickelt, sondern steht ebenso im Kontext der neuzeitlichen Frage nach der „freien Selbstbestimmung des Menschen“.115 Wie verträgt sich die Vorstellung von einem in souveräner Freiheit den Menschen – und sei es zu dessen Heil – erwählenden Gott mit dem Freiheitsstreben des Menschen? Das ist eine der Fragen, vor die sich die christliche Erwählungslehre und mit ihr auch Barth gestellt sieht. Barths Antwort auf diese Frage besteht zunächst in der Kritik an einem 112 Vgl. CrRsemann, a. a. O., 157. 113 Vgl. CrRsemann, a. a. O., 155. Zum Frage der Landverheißung an Israel aus christlich-theologischer Perspektive vgl. die differenzierte Darstellung von Klappert, Israel und die Kirche, 66 – 76, in der ein Mittelweg aufgezeigt wird zwischen dem Modell einer „christologischen Implikation“ der Landverheißung – also der unmittelbaren Bestätigung der Landverheißung aufgrund des Christusgeschehens – (vgl. Klappert, a. a. O., 70 f) und dem Modell einer „theologischen Indifferenz“ (vgl. Klappert, a. a. O., 71 f), nach welchem das Christusgeschehen als Krisis der Landverheißung zu verstehen ist. 114 Vgl. die Abschnitte über Calvin (1.3.1) und Schleiermacher (1.3.2). 115 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 115.

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falsch verstandenen Freiheitsbegriff. Wo Freiheit als Unabhängigkeit verstanden wird, als eine bloß formale Freiheit, die sich durch die vermeintliche Möglichkeit selbständiger Entscheidungen definiert,116 da handelt es sich nach Barth um die Verkehrung der wahren Freiheit in eine Scheinfreiheit, kann doch ein solchermaßen individualisiertes Freiheitsverständnis letztlich nur zum Konkurrenzkampf Aller gegen Alle führen.117 Diesem falsch verstandenen Freiheitsbegriff setzt Barth einen inhaltlich gefüllten Freiheitsbegriff entgegen. Dieser folgt nicht abstrakten Überlegungen zur Freiheit, sondern, wie bereits erläutert,118 der konkreten Freiheit, die Gott in der Erwählung Jesu Christi praktiziert hat. Der sich in Christus offenbarende Gott tritt dem menschlichen Freiheitsstreben entgegen, indem er „für sich selbst die Gemeinschaft mit dem Menschen“ (II/2, 177) und damit seine eigene „Bedingtheit“ (108) bzw. seine „Selbstbegrenzung“119 wählt. Anders als die menschliche Scheinfreiheit strebt die Freiheit Gottes nicht nach einer „potentia absoluta“, sie ist keine „nackte Souveränität“ (II/2, 52), die sich in einem „decretum absolutum“ (107 f u. a.) ausdrückt, sondern sie ist Gottes „Selbstbestimmung zur Koexistenz“120. Indem Gott sich solchermaßen zum Bundespartner des Menschen macht,121 wird der Mensch seinerseits befreit aus der Gefangenschaft von „Selbstverwirklichung, Selbsthabe, Selbstsorge bis hin zur Selbstverzweiflung“.122 Es werden dem Menschen sowohl der Zwang wie auch die Möglichkeit genommen, sich selbst zu konstituieren.123 Gottes Erwählung ist somit ein doppeltes Befreiungsgeschehen. Sie ist zum einen die Befreiung des Menschen aus der Gefangenschaft seiner „Selbstisolation“,124 in der „Autonomie“ als „(vermeintliche!) Autarkie“ verstanden wird.125 Zum anderen ist sie die Befreiung zu einem Leben in der freien Ge116 Vgl. ebd. 117 Dieser Gedanke wird in der Erwählungslehre nur angedeutet, nämlich in der Kritik des Führerbegriffs, an dessen Entstehung der „abendländische Individualismus […] bekanntlich nicht unschuldig“ sei, II/2, 342. Ausgeführt findet er sich u. a. in KD IV/1 im Abschnitt über des Menschen Hochmut, vgl. IV/1, 458 – 531, insbesondere 550 f. Vgl. ebenfalls Busch, Die große Leidenschaft, 115 – 119. 118 S.o. Abschnitt 2.2. 119 Vgl. Gundlach, Selbstbegrenzung Gottes, 234. Gundlach sieht sich durch die Betonung dieser „Selbstbegrenzung“ dazu berechtigt, Barths Erwählungslehre als einen „Modernisierungsschritt innerhalb der protestantischen Theologie“ (vgl. ders., a. a. O., 7) zu bezeichnen. Indem Barth das Bild eines sich selbst begrenzenden, „aufgeklärten Gottes“ (239) zeichne, sei seine Theologie ihrerseits als eine „antitotalitär-aufgeklärt[e]“ Theologie zu verstehen (238). 120 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 119 121 Die Bedeutung des Motivs der Partnerschaft zwischen Gott und Mensch für die Theologie Barths hat W. Krötke in einem Durchgang durch die KD herausgearbeitet, vgl. Krçtke, Gott und Mensch. 122 Vgl. Frettlçh, Das Ja vor jeder Frage, 117. 123 Vgl. Frettlçh, a. a. O., 115. 124 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 125. 125 Vgl. Frettlçh, a. a. O., 115.

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meinschaft mit dem Schöpfer und mit den Geschöpfen. Dass diese Gemeinschaft ausdrücklich die Aktivität des Menschen mit einschließt, damit geht Barth nach E. Busch „über [die reformatorische Gnadenlehre] hinaus“.126 Worin besteht die Aktivität des Menschen in der Gemeinschaft mit Gott? Sie besteht zunächst darin, dass der Mensch auf die freie Wahl Gottes seinerseits antworten kann. Das Ja des Menschen als Antwort auf das göttliche Ja, sein „Dank für Gottes Selbsthingabe“ (457) konstituiert zwar nicht die Gemeinschaft, sie ist aber ein eigenständiger Akt des Menschen, den dieser als freies „Subjekt“ (456) vollzieht. Sodann besteht die Aktivität des Menschen in dem Dienst, „in welchem es zu einer Repräsentierung und Abbildung der Herrlichkeit Gottes selbst und ihres Werkes kommt.“ (457) Der Mensch wird von Gott zu einem Aktanten der Heilsgeschichte ernannt, indem er dazu berufen wird, „Zeuge zu sein“ (ebd.). Als „Apostel der Gnade“ (459) wird der erwählte Mensch aktiv, und zwar vor allem gegenüber jenen Mitmenschen, denen diese Gnade noch unbekannt ist. Ihnen hat er das ihm widerfahrene Gnadengeschehen zu „bekennen“ und ihnen gegenüber hat er „gegen die Lüge, in die sie verstrickt sind […] zu protestieren“ (ebd.). Er hat sie auf ihre Erwählung hin „anzureden“, um sie zu „werben“, „das auch ihnen gemachte Angebot ihnen zu unterbreiten“ und sie zur „Teilnahme an der Hoffnung, von der er selbst leben darf […] einzuladen“ (ebd.). Barth betont zwar, dass in dieser vielgestaltigen Aktivität der „Unterschied zwischen dem erwählenden Gott und dem erwählten Menschen“ (ebd.) deutlich bleiben müsse. Die Zeugen können weder die Erwählung noch die Verwerfung selbständig vollziehen, ihre Aufgabe besteht lediglich darin, auf „Gottes Entscheid hinzuweisen“ (460). Noch mehr Gewicht legt Barth jedoch auf die positive Feststellung, dass im Dienst des befreiten und erwählten Zeugen „der Fortgang des versöhnenden Handelns des lebendigen Gottes in der Welt beschlossen ist und Ereignis wird.“ (461) Die Freiheit des erwählten Menschen geschieht nach Barth in Entsprechung zu dem erwählenden und befreienden Handeln Gottes und vollzieht sich im Dank gegenüber Gott und im Dienst an der Welt. Sie ist deshalb in Abgrenzung zu dem eingangs beschriebenen Streben nach einer Autonomie im Sinne absoluter Unabhängigkeit mit Recht als eine „theonome Autonomie“ bezeichnet worden.127

2.4.2 Die Bestimmung des Erwählten: Der Apostolat Barths inhaltlich stärkste Bestimmung des freien, aktiven Dienstes des erwählten Menschen besteht zweifellos darin, dass er diesen Dienst als einen „Fortgang“ des göttlichen Heilshandelns beschreibt. Interessant ist, dass 126 Vgl. Busch, Die große Leidenschaft, 126. 127 So bereits Honecker, Testimonium conscientiae, 90; Vgl. auch Frettlçh, a. a. O., 129.

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Barth diese These in einem langen neutestamentlichen Exkurs über den Apostolat128 (464 – 498) exegetisch begründet und entfaltet. Hierzu unterscheidet Barth drei Phasen innerhalb der Erzählungen der synoptischen Evangelien, nämlich erstens das Wirken Jesu in Galiläa, zweitens den Weg nach Jerusalem samt Jesu Passion und schließlich drittens die Begegnungen mit dem Auferstandenen.129 In jedem dieser drei Erzählteile sieht Barth nicht nur einen bestimmten Aspekt des munus triplex Christi,130 son128 Hier wie auch im Folgenden wird die von Barth gebrauchte maskuline Form verwendet. 129 Diese Dreiteilung stellt zweifellos eine Vereinfachung gegenüber den Gliederungsentwürfen der einschlägigen Einleitungswerke dar, in denen sowohl zwischen den einzelnen Synoptikern als auch innerhalb der einzelnen Darstellungen stärker differenziert wird (vgl. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 246 f, 267 f, 291; Feldmeier, Die synoptischen Evangelien, 75 f, 99, 110; Pokorny´/ Heckel, Einleitung in das Neue Testament, 368 f, 436 f, 490 f; sowie unter Barths Zeitgenossen JRlicher/Fascher, Einleitung in das Neue Testament, 275 – 279; Knopf/Lietzmann, Einführung in das Neue Testament, 120 – 125). Immerhin wird auch in diesen Werken die Unterscheidung zwischen den Berichten von Jesu Wirken in Galiläa und der Schilderung seines Leidenswegs in aller Regel vollzogen (vgl. Schnelle, a. a. O., 246, 291; Feldmeier, a. a. O., 75 f, 99, 110; Pokorny´/Heckel, a. a. O., 368 f, 490; JRlicher/Fascher, a. a. O., 279; Knopf/Lietzmann, a. a. O., 124). Die Berichte von Jesu Leiden und seiner Auferstehung werden dagegen in den Einleitungswerken überwiegend in einem Abschnitt zusammengefasst (vgl. Schnelle, a. a. O., 247, 268; Feldmeier, a. a. O., 76, 99, 110; Pokorny´/ Heckel, a. a. O., 369, 437, 491; JRlicher/Fascher, a. a. O., 277; Knopf/Lietzmann, a. a. O., 124 f). Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass Barth in der Versöhnungslehre mehrfach mit exakt derselben dreiteiligen Gliederung der synoptischen Evangelien arbeitet, vgl. KD IV/ 1, 246 – 250; IV/2, 147 f. 130 Die Lehre vom mumus triplex Christi, die bekanntlich auch der dreifachen Struktur von Barths Christologie in KD IV zugrunde liegt, hat ihren Ursprung in der „Kirchengeschichte“ des Eusebius v. Caesarea (vgl. ders., Historia ecclesiastica, 72,10 – 24 bzw. 76,4 – 14) und findet sich ausführlich bei J. Calvin, Inst. II, 15,1 – 6. Zur Entwicklung der Lehre vom munus triplex Christi vgl. Persson, Repraesentatio Christi, 167 – 177; Bornkamm, Christus – König und Priester, 3 – 48 sowie 304 – 389; Schwemer, Jesus Christus als Prophet, König und Priester, 170 – 176. Interessant ist, dass die Rede vom dreifachen Amt Christi klassischerweise mit der hebräischen Bedeutung des Messias-Titels und den Gesalbten des Alten Testaments begründet wird (vgl. zu Eusebius: Bornkamm, a. a. O., 12; zu Calvin: Ratschow, Jesus Christus, 48). Entsprechend weist auch Barth auf Jesu „Salbung“ und sein „Messiasamt“ hin (478). Hinzu tritt jedoch der Hinweis auf die Einteilung der synoptischen Evangelien, in deren Dreigliederung Barth das dreifache Amt Christi abgebildet sieht: „Und es springt doch auch das in die Augen, daß wir es bei dieser Verschiedenheit in der Einheit des Apostolates und also auch der Gemeinde mit einer Entsprechung zu dem zu tun haben, was man später das dreifache Amt Christi genannt hat, sofern auf der ersten Stufe (Galiläa) das prophetische, auf der zweiten (Leidensweg) das priesterliche, auf der dritten (Erhöhung) das königliche Amt Jesu Christi selbst in seinen Gesandten seine sekundäre Fortsetzung findet.“ (478) Ein solcher Hinweis findet sich weder bei Eusebius noch bei Calvin noch in einer der genannten Darstellungen der Entwicklung der Lehre vom munus triplex (vgl. insbesondere den Abschnitt zur altprotestantischen Begründung zur Dreizahl der Ämter bei Bornkamm, a. a. O., 338 – 340, sowie deren „exegetische Auflösung“ durch J.A. Ernesti, vgl. Bornkamm, a. a. O., 346 – 348, sowie Ernesti, De officio Christi triplici, 413 – 438). Schwemer sieht die Lehre vom dreifachen Amt „auf breiter Basis im Neuen Testament angelegt“ (vgl. dies., a. a. O., 230), der Gedanke, das dreifache Amt mit einer bestimmten Gliederung der Synoptiker zu verbinden, findet sich

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dern auch eine bestimmte „Stufe“ (478) bezüglich der Sendung der erwählten Apostel besonders betont: Es steht aber zuerst, im Zusammenhang der Darstellung der galiläischen Wirksamkeit Jesu selbst, die Berufung dieser Zwölf im Vordergrund. Es wird dann, im Zusammenhang der Schilderung des letzten Weges Jesu nach Jerusalem ihre eigentümliche Funktion als sichtbare Vertreter des Grundes und der Norm der Jüngerschaft oder Gemeinde Jesu hervorgehoben. Und es kommt endlich, im Zusammenhang der Auferstehungs- bezw. Himmelfahrtsgeschichten ihr Auftrag gegenüber der Welt […] zur Aussprache. (478)131

Ausführlich werden die drei „Stufen“ in der Erwählung der Apostel – allerdings in umgekehrter Reihenfolge132 – von Barth nachgezeichnet, wobei auf systematisch-theologischer Ebene das Anliegen dominiert, die Aktivität der Apostel und ihre Abhängigkeit von Jesus miteinander in Einklang zu bringen, während in exegetischer Hinsicht ein besonderes Bemühen dahingehend zu beobachten ist, die unterschiedlichen Darstellungen der Synoptiker als einander sinnvoll ergänzende Berichte auszulegen. Dass das Verhältnis zwischen Jesus und den Aposteln ein „zwiespältiges“ ist, erläutert Barth bereits im ersten Abschnitt über die „Auferstehungsgeschichte“, in deren Rahmen sich die Beauftragung der Apostel vollzieht (480). Auf dieser – nach der Evangelienchronologie letzten – Stufe der ApostelErwählung ist der Bericht vom „Missionsbefehl“ (Mt 28,18 – 20 par) von besonderem Interesse (479).133 Nicht nur die Reaktion der Jünger auf die Erallerdings auch in ihrer ausführlichen Darstellung der verschiedenen Belege nicht (vgl. Schwemer, a. a. O., 193 – 229). 131 K. Bornkamm macht darauf aufmerksam, dass die „kühne Interpretation des Amtes Christi als der Bevollmächtigung der Glaubenden zur eigenen Wahrnehmung ebendesselben Amtes“ zwar schon von Luther gewagt wird (vgl. insbes. Luther, De libertate christiana, WA 7, 56,35 – 68,3), dann aber „in der altprotestantischen Ämterlehre durchweg verlorengegangen“ sei, vgl. Bornkamm, a. a. O., 334. Bei Schleiermacher werde dagegen wieder die „Teilhabe an dem von Christus ausgehenden Gesamtleben“ und damit auch an den von ihm ausgeübten Ämtern betont, vgl. Bornkamm, a. a. O., 356. 132 Barth begründet dies damit, dass die Dreigliederung des Apostolats in den synoptischen Evangelien ohnehin nicht im Sinne „einer historischen Entwicklung“ zu verstehen sei. Es handle sich in ihr vielmehr um die „sachliche Differenzierung einer und derselben Wirklichkeit.“ (479) 133 In einem synoptischen Vergleich stellt Barth fest, dass Mt den Missionsbefehl in Galiläa, Lukas aber in Jerusalem ergehen lässt. Barth gewinnt freilich beiden Versionen einen Sinn ab. Werde bei Matthäus der Kreis zu Jesu Wirksamkeit in Galiläa und damit auch zur Begründung des Apostolats geschlossen, so öffne die lukanische Version den Blick nach vorne in Richtung Pfingstgeschichte (479). Einen weiteren Unterschied erkennt Barth darin, dass in Mt 28,18 der Missionsbefehl als „unmittelbares Wort Jesu“ berichtet wird, während in Lk 24,46 f die Schrift als eigentliche Quelle jenes Befehls gilt. Wieder weigert sich Barth, einer der beiden Varianten den Vorzug zu geben, vielmehr sei „beides wahr und beides zu bedenken“, dass nur „Jesus selber“ den Auftrag zur Mission geben könne und andererseits dieser Auftrag ganz in Kontinuität zum Alten Testament geschehe (ebd.).

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scheinung des Auferstanden (Lk 24,37: „Sie erschraken aber und fürchteten sich“), auch die Worte Jesu selbst belegen nach Barth, wie sehr die zum Dienst beauftragten Jünger davon abhängig sind, dass Jesus selbst, dem „alle Gewalt übertragen ist“ (Mt 28,18), sie durch seine Gegenwart („Ich bin bei euch alle Tage …“, Mt 28,20) zu diesem Dienst befähigt (480). „Der König Jesus wird sie zu Königen machen oder sie werden es gar nicht sein.“ (Ebd.) Indem Jesus die Apostel zu „allen Völkern“ sendet, wird deutlich, dass aus dem „Lehrer-Schüler-Verhältnis“, das noch in Galiläa „das Bild beherrscht“, nun das Verhältnis „eines Königs zu den Männern seiner beauftragten Regierung“ (ebd.) geworden ist. Auch das Bild vom König und den Ministern dient Barth dazu, die aktive Rolle der Apostel und zugleich die Notwendigkeit ihrer Bevollmächtigung durch Jesus zu veranschaulichen. Es sind die Apostel, die nach Lk 24,47 „die Buße zur Vergebung der Sünden“ predigen sollen. Dies hat jedoch ebenso im Namen Jesu zu geschehen wie die in Mt 28,19 f befohlene Taufe und Lehre (481).134 Ohne Jesus können die Apostel nichts tun.135 Indem aber Jesus, „der erwählte König Israels und der ganzen Welt“, sie zu Aposteln erwählt, sind sie tatsächlich – und mit ihnen die ganze Kirche – zum „Herrschen“ erwählt (482). Nach der „Auferstehungsgeschichte“ wendet sich Barth in seiner rückwärts schreitenden Betrachtung der Evangelien dem Leidensweg Jesu „von Galiläa nach Jerusalem“ (482) zu. Hier sieht er den Apostolat „ganz und gar unter dem Zeichen des Leidens und Sterbens Jesu“136 und der sich daraus ergebenden „Anfechtung“ der Jünger beschrieben. Dieser Anfechtung sind die Jünger offensichtlich nicht gewachsen. Ausführlich geht Barth auf die verschiedenen Episoden des Jüngerversagens ein137 und fasst sie prägnant zusammen: „Das ist das Bild von den Aposteln auf dieser zweiten mittleren Stufe: lauter Blindheit, […] lauter Mißverständnis, […] lauter Irrtum, […] lauter praktisches Versagen“. (487) Die Jünger erweisen sich alles andere als geeignet für den Dienst, zu dem sie Jesus beauftragt. Es zeigt sich, dass sie tatsächlich „keine Versöhner, keine 134 Auf die matthäische Erweiterung der Namensformel auf den dreieinigen Gott geht Barth nicht näher ein, was sich wohl am ehesten so erklären lässt, dass die Predigt der Sündenvergebung „im Namen Jesu“ ohnehin auf das Werk des dreieinigen Gottes zurückgeht. Exegetisch interessant ist die beiläufige Bemerkung, dass in der Reihenfolge von Taufe und Lehre „die Disposition der paulinischen Briefe wiederzuerkennen“ sei (481). 135 Barth zitiert an dieser Stelle die entsprechende Formulierung aus Joh 15,5. 136 Entsprechend erklärt Barth das Schweigegebot Jesu im Anschluss an das Petrusbekenntnis unter Verweis auf Joh 6,14 f damit, dass dieses Bekenntnis noch nicht gepredigt werden dürfe, bevor nicht der Weg ans Kreuz zu Ende durchschritten sei. Diese Erklärung trifft sich mit einer der gängigen Auslegungen des synoptischen Messiasgeheimnisses, vgl. u. a. Schweizer, Markus, 92. 137 Interessant ist, dass Barth den Abwehrversuch des Petrus im Anschluss an die erste Leidensankündigung ausdrücklich im Zusammenhang mit dessen Bekenntnis wenige Verse zuvor versteht und nicht etwa literarkritisch von jenem trennt. Vgl. hierzu die Diskussion bei Lohmeyer, Markus, 169 f.

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Erlöser, keine Offenbarer Gottes sind“ (487). Barth betont, dass gerade auch die dem Petrus übertragene Schlüsselgewalt von daher nicht in einer „sich verselbständigenden“ (488) Autorität bestehen könne. Erweist sich in dem wiederholten Versagen der Jünger ihre bleibende Abhängigkeit von Jesus, der für sie „wacht, betet, demütig ist, dient und das Kreuz auf sich nimmt“, so gilt doch zugleich, dass „von irgendeinem Fallengelassenwerden der Apostel“ (487) keine Rede ist. Alles Versagen der Jünger hindert Jesus nicht daran, an ihrer Berufung festzuhalten, ihnen sogar die Funktion der Schlüsselgewalt zu übertragen. „Dieser Petrus und dieser Apostelkreis […] ist nun allerdings […] nach der klaren Aussage von Matth. 16, 18 der Felsengrund und die Unüberwindlichkeit der Kirche Jesu Christi.“ (489) Die Apostel reden und handeln in der Macht Jesu und so haben sie die Gewalt, „in der Welt zu binden und zu lösen“ (ebd.). Das Bild, das Barth in diesem zweiten Abschnitt von den Aposteln zeichnet, ist das Bild der „Gedemütigten und so an Jesus Gebundenen“ bzw. der „auf dem Leidensweg Jesu Gedemütigten und auf demselben Leidensweg stark gemachten Apostel.“ (490) Damit kommt Barth zum dritten Abschnitt des Exkurses bzw. zur „ersten Gestalt“ (490), in welcher der Apostolat in den Synoptikern im Zusammenhang mit dem Auftreten Jesu in Galiläa als „Lehrer und Prophet von Nazareth“ (490 f) beschrieben wird. Barth erläutert zunächst, dass die Jüngerberufung „sofort etwas vom Ersten ist, was von Jesus überhaupt zu erzählen ist.“ (491) Er schließt daraus, „daß man den Satz wagen kann: mit der Wirksamkeit Jesu selbst beginnt auch die Existenz des Apostolates.“ (Ebd.) Der Apostolat seinerseits ist von Anfang an als ein aktiver Dienst charakterisiert. Zu „Menschenfischern“ (492) werden die Fischer vom See Genezareth berufen. Ihre Jesus-Nachfolge ist bereits seit ihrem Beginn kein „Privatweg zu ihrer eigenen Errettung und Seligkeit“, sondern die Berufung zum Dienst der „Verkündigung“ bzw. zum „Prophetenamt“ (ebd.). Ein besonderes Augenmerk gilt dem Bericht von der Einsetzung des Zwölferkreises.138 (Mk 3,14 f par139) Wieder ist Barth darauf bedacht, die 138 Barth erwähnt an dieser Stelle, dass der Begriff !pºstokoi in den Evangelien nur sehr selten gebraucht werde. Die durchgehende Verwendung von lahgta¸ versteht er als einen Hinweis, dass die Apostel bleibend im „Jünger- und Schülerstand“ verharren und nicht etwa darüber hinaus noch einmal gleich einer „Promotion“ in den Apostelstand erhoben werden (492 f). Diese Bemerkung ist zweifellos interessant, gleichwohl muss kritisch angemerkt werden, dass die Wahrnehmung der unterschiedlich häufigen Verwendung des Apostel-Begriffs in den Evangelien durchaus noch differenzierter und ausführlicher hätte geschehen können. Dass Barth zu ausführlichen Wortstudien durchaus in der Lage war, ist auch in KD II/2 hinreichend belegt, vgl. die Überlegungen zum neutestamentlichen Gebrauch von paqadoOmai (535 – 649), die Ausführungen zu den Wortgruppen 1jkoc¶, pqºhesir, pqooqislºr (472 – 474), dºjilor, dojil¶, dojil²feim (707 – 713) sowie die konkordanten Aufzählungen der neutestamentlichen Belegstellen zu „Sorge“ und „Furcht“ (663 f) bzw. zum „Bleiben“ und „Stehen“ (667 f).

Barths Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2)

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Spannung zwischen freier Aktivität und bleibender Abhängigkeit der Jünger herauszuarbeiten. Beides wird in Mk 3,14 f zum Ausdruck gebracht, wenn als Ziel der Einsetzung einerseits dies genannt wird, dass die Zwölf „bei ihm sein sollen“,140 und andererseits: „damit er sie aussende zu predigen und ihnen Vollmacht gebe, Dämonen auszutreiben“ (494). Schließlich wendet sich Barth der in Mk 6,7 – 13 par berichteten ersten Aussendung der Apostel zu (496).141 Auch hier sieht er beide Aspekte präsent: Die Aufforderung zum aktiven Dienst, nämlich zu predigen und zu heilen (ebd.), und ebenso die Betonung, dass dies allein in der „Bindung der Apostel an den, der sie aussendet“ (497) geschehen könne. Sie sollen das Reich Gottes verkündigen – das heißt ja: sie sollen ihn verkündigen. Daß er selbst mit ihnen ist und daraufhin sie mit ihm sein dürfen: aber eben das nicht für sich selbst, sondern eben das für die Menschen, zu denen sie gesendet sind, das ist das Geheimnis auch ihrer Aussendung. (497 f)

2.4.3 Die Freiheit für andere Die Tragweite von Barths exegetischen Ausführungen zum Apostolat wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, wie Barth hier die Frage nach dem 139 In einem synoptischen Vergleich stellt Barth zunächst fest, dass Jesus nach Mk 3,13 vor der Einsetzung auf einen Berg steigt und nach Lk 6,12 dort eine Nacht lang zum Gebet bleibt. In Mt 9,36 werde dagegen erzählt, wie Jesus durch die Dörfer zieht, die Menschenmengen, „die keinen Hirten haben“, erblickt und daraufhin die Einsetzung der Zwölf vollzieht. In allen Versionen wird, so Barth, die „Einsamkeit“ Jesu betont, hier „mit Gott“, dort „den Menschen und ihrer Not gegenüber“ (493). Barth stellt fest: „Die Frage ist wieder müßig, welcher von den beiden Berichten exakt ist; sachlich würde man den einen durch den anderen ergänzen und erklären müssen, auch wenn wir nur den einen oder den anderen […] hätten“ (ebd.). Für das Verständnis des Apostolats sei gerade der doppelte Aspekt der Einsamkeit Jesu wichtig, aus der heraus er Menschen zur aktiven Teilnahme an der Evangeliumsverkündigung erwähle und berufe (ebd.). Diese Auslegung ist ein Beispiel dafür, wie sich Barths Verständnis von der Bibel als inspiriertes Zeugnis von der Christus-Offenbarung in der konkreten Schriftauslegung auswirkt. Es gehört zu dieser Inspiration, dass das Christuszeugnis auch ein Kapitel über die Berufung der Apostel durch Jesus beinhaltet. Dass Jesus diese Berufung sowohl im innergöttlichen Dialog, in dem er fortwährend stand, vollzog, als auch im Blick auf die konkrete Not der Menschen, zu denen die Apostel gesendet wurden, daran hat Barth nichts auszusetzen, und deshalb kann er auch die Unterschiedlichkeit der Berichte des Mt und Lk positiv würdigen. Gerade diese polyphone Darstellung – in der ein historischer Widerspruch ohnehin nicht festzustellen ist – wird seiner Meinung nach diesem Kapitel des Christuszeugnisses gerecht. 140 Zur Abhängigkeit der Jünger gehört nach Barth auch die auffällige Formulierung aus Mk 3,14.16: „Er machte […] die Zwölf“ (494), sowie die anschließenden Berichte von der Speisung der 5000 und der Sturmstillung (495). 141 Barth weist im synoptischen Vergleich darauf hin, dass Mt im Unterschied zu Mk die Aussendung unmittelbar an die Berufung der Zwölf anschließt, aber gleichwohl als selbständige Aktion beschreibt. Lk hingegen unterstreiche durch die zweite Aussendung der 70 (Lk 10,1 – 12) die Zusammengehörigkeit des Apostelkreises mit der gesamten Kirche (496).

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B 2: Die Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2)

Verhältnis zwischen Gottes Erwählungsfreiheit und -vollmacht einerseits und der freien Aktivität des erwählten Menschen andererseits behandelt. Anstatt eine theoretische Diskussion über die Bedingungsmöglichkeiten menschlicher Freiheit zu führen, schildert Barth die Situation der Apostel, wie sie in den synoptischen Evangelien beschrieben wird, und kommt so zu dem Ergebnis, dass sich ihre Freiheit in der Bindung an Christus vollzieht. Sowohl inhaltlich als auch methodisch nimmt Barth damit einen dezidiert christologischen Standpunkt ein. Eine Freiheit, die sich unabhängig von der Christus-Bindung vollzieht, ist für Barth gar nicht denkbar. Was ihn interessiert, ist dagegen, wie sich diese Bindung so beschreiben lässt, dass die Aktivität der erwählten Apostel angemessen zum Ausdruck kommt. Dazu dient ihm die Analogie zwischen den drei Ämtern Christi und den drei Aspekten des Apostolats, die er auf exegetische Weise, nämlich mit Blick auf die Gliederung der synoptischen Evangelien, gewinnt. An dieser Stelle muss freilich kritisch gefragt werden, ob ein solches Vorgehen die Differenzen zwischen den Synoptikern – gerade auch in Bezug auf deren unterschiedliche Gliederung – nicht einebnet. Selbst wenn man sich auf die grobe Unterscheidung zwischen Jesu Wirksamkeit in Galiläa, seinem Leidensweg und den nachösterlichen Berichten einlässt, bleibt doch die Frage, ob sich diesen drei Stationen wirklich die Aspekte der Berufung, der Funktion und des Auftrags des Apostolats zuordnen lassen und diese wiederum als Entsprechung zu Jesu Amt als Prophet, Priester und König betrachtet werden können. Man wird kaum bestreiten können, dass Barth hier einem Systematisierungszwang zum Opfer fällt, der sich aus den neutestamentlichen Texten jedenfalls nicht zwingend ergibt. Dass Barth zudem in den synoptischen Vergleichen eine deutliche Tendenz zur Harmonisierung zeigt, spricht ebenfalls dafür, dass die exegetischen Überlegungen in diesem Fall von der dogmatischen Argumentation deutlich beeinflusst sind. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die dogmatische Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gottes Erwählungsfreiheit und der aufgrund der Erwählung erst ermöglichten freien Aktivität des Menschen durch den exegetischen Exkurs über den Apostolat nicht nur an Plausibilität, sondern auch an Anschaulichkeit enorm gewinnt. Die Analogie zu den drei Ämtern Christi sorgt dafür, dass dem Tun der Apostel die größtmögliche Würde und Bedeutung zukommt. Andererseits weist die minutiöse Beschreibung ihrer Fehlbarkeit bzw. Abhängigkeit von Christus darauf hin, dass diese Würde niemals zum Besitz der Apostel wird. Hierzu gehört schließlich auch die durch den Exkurs herausgearbeitete Erkenntnis, dass Erwählung kein Status ist, der die Erwählten von den Verworfenen abheben würde. Erwählung, so die Aussage des Exkurses, ist vielmehr die Bestimmung zur Solidarität mit all jenen, die ihre Erwählung noch nicht erkannt haben. Befreit aus der Gefangenschaft von „Selbstverwirklichung, Selbsthabe, Selbstsorge“142, können die Erwählten 142 Vgl. Frettlçh, Das Ja vor jeder Frage, 117.

Fazit: Vierfacher Antidualismus

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ihre Mitmenschen in den Blick nehmen, im Zeugendienst aktiv werden143 und so ihre Freiheit für andere gebrauchen – besonders für diejenigen, die diese Freiheit noch nicht kennen.

3. Fazit: Vierfacher Antidualismus Blickt man von hier aus noch einmal auf die gesamte Erwählungslehre zurück, so lässt sich eine vierfache Strategie feststellen, durch die Barth dieser eine spezifisch antidualistische Prägung verleiht – ohne deshalb einer prinzipiellen Allversöhnung das Wort zu reden. In einem ersten Schritt werden sowohl Erwählung als auch Verwerfung auf die eine Person Jesus Christus bezogen. Damit ist von vornherein klar, dass alles, was im Folgenden über Erwählte und Verworfene gesagt wird, keine absolute Trennung bedeuten kann. Sowohl Erwählte als auch Verworfene finden in der einen Person Jesus Christus ihr Urbild. Hinzu kommt freilich, dass Christus als der für alle Menschen stellvertretend Erwählte und Verworfene gerade nicht von den einen als der Erwählte und von den anderen als der Verworfene in Anspruch genommen werden kann, sondern letztlich nach Barths Ansicht jeder Mensch in Christus seine eigene – zunichte gemachte – Verwerfung und seine eigene – durch ihn verwirklichte – Erwählung zu erkennen hat. Man kann diese erste Strategie als christologisch-inklusiven Antidualismus bezeichnen. In einem zweiten Schritt wird das Geschick Israels nach Röm 9 – 11 als ein solches beschrieben, in dem sich am Ende zeigen wird, dass das scheinbar verworfene Gottesvolk schließlich doch zum Heil gelangen und so aufs Neue als das erwählte Volk sichtbar werden wird, was zur Folge hat, dass von Seiten der christlichen Kirche schon jetzt jede Überheblichkeit fehl am Platz ist.144 Man kann diese Argumentation einen heilsgeschichtlichen Antidualismus nennen. Im alttestamentlichen Exkurs über Erwählte und Verworfene verfolgt Barth in einem dritten Schritt das Ziel, Erwählte und Verworfene in größtmöglicher 143 Gegen den Vorwurf, bei Barth sei der Mensch immer nur als aktives Wesen gedacht, weshalb das passive Moment der Rechtfertigung zu kurz komme (so etwa in seiner Kritik an Barths Tauflehre Bayer, Theologie, 376), sei darauf hingewiesen, dass Barth gleich zu Beginn des Abschnitts über die „Bestimmung des Erwählten“ davon spricht, dass diese Bestimmung sehr wohl zunächst darin bestehe, „sich von Gott lieb haben zu lassen“ (455). Die „Bestimmung zur Seligkeit“, so Barth weiter, wäre aber „schlecht verstanden, wenn sie nur als ein Empfangen, Hinnehmen und Haben […] verstanden würde“ und nicht als eine „transeunte Seligkeit“, als „aktive Teilnahme“ an Gottes Liebe und seinem Werk (456). 144 Dies geht soweit, dass Barth – wie bereits erwähnt – sich ausdrücklich gegen eine Judenmission wendet und stattdessen davon spricht, dass „die Heidenmission und die Existenz der Kirche aus Juden und Heiden als solche […] die wahre Judenmission“ ist (312).

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B 2: Die Schriftauslegung in der Erwählungslehre (KD II/2)

Nähe zu zeichnen, wozu vor allem dies gehört, dass einerseits die tatsächliche Erwählung der Verworfenen (Saul, Israel …) und andererseits die eigentlich verdiente Verwerfung der Erwählten (David, Juda …) herausgearbeitet wird. Es zeigt sich hierin die Strategie eines dialektischen Antidualismus.145 Im neutestamentlichen Exkurs über den Apostolat wird der Antidualismus in einem vierten Schritt schließlich insofern noch einmal verstärkt, als Barth die „Bestimmung der Erwählten“ dahingehend definiert, dass sie sich von Anfang an in einer aktiven Bewegung hin zu denjenigen Menschen befinden, die ihre Erwählung noch nicht erkannt haben. Wer sich nicht in dieser Bewegung begriffen sieht, hat nach Barth seine Erwählung weder erkannt noch verwirklicht.146 Barths Antidualismus findet seine Spitze somit in einem solidarischen bzw. missionarischen Antidualismus.147 Wichtig im Zusammenhang der vorliegenden Fragestellung ist, dass Barths Antidualismus innerhalb der Erwählungslehre sich in allen seinen Spielarten seiner Schriftauslegung verdankt148 oder zumindest von dieser argumentativ gestützt wird. Der christologische Antidualismus beruht auf der Auslegung von Joh 1,1 f sowie den Exkursen über Christus als Subjekt und Objekt der Er145 Unter diese dritte Strategie lässt sich auch der lange Exkurs über den Verräter Judas subsummieren, in dem wiederum die bleibende Erwählung des Judas (509) und seine Nähe zu den anderen Aposteln betont werden. Ebenfalls findet sich in diesem Exkurs der Gedanke, dass die übrigen Apostel genauso gut wie Judas zum Verrat in der Lage gewesen wären (523 f). Ihren Höhepunkt findet die dialektische Argumentation jedoch am Ende des Exkurses, wenn Barth die Polysemantik des Wortes „überliefern“ bzw. „paqadoOmai“ zum Anlass nimmt, um die Überlieferung Jesu durch Judas in einen Zusammenhang zu stellen mit der Überlieferung des Evangeliums durch die Mission der Apostel (535) sowie der göttlichen Überlieferung Jesu zum Heil für die Welt (542). Barth verweist hierzu u. a. auf Röm 8,32: „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben (paq´dyjem) – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ Aufgrund der „Übermacht des im Tode Jesu vollzogenen göttlichen paqadoOmai“ (561) ist Barth auch in Bezug auf den verworfenen Verräter Judas überzeugt, dass seine Verwerfung „keine selbständige Bedeutung neben Gottes Erwählen“ (562) haben kann. 146 Vgl. Link, Prädestination und Erwählung, 92, der im Anschluss an Barth folgendermaßen formuliert: „Die Erwählung ist kein Selbstzweck“, sondern sie „ist der Erweis der liebenden, leidensbereiten Zuwendung Gottes zu allen Menschen und sprengt deshalb sozusagen von innen heraus die Grenzen jeder nur partikularen Gemeinschaft und Gruppe.“ 147 Die Ausführung des solidarisch-missionarischen Antidualismus findet sich bekanntlich im dritten Teil der Versöhnungslehre, vgl. KD IV/3, 637 – 703 („Der Christ als Zeuge“) sowie 872 – 910 („Die Gemeinde für die Welt“), hier insbes. 884 – 888. 148 Diese Feststellung ist freilich nicht in biographischem Sinne, sondern in systematisch-theologischem Sinne gemeint. Beruht Barths theologische Begründung des Antidualismus wesentlich auf der Auslegung biblischer Texte, so ändert dies nichts an dem biographischen Hintergrund, der nicht zuletzt in der frühen Auseinandersetzung mit dem Pietismus zu sehen ist, vgl. etwa die kritische Anfrage, die Barth in einer Predigt von 1911 an eine „Evangelisationsversammlung“ stellt: „Denkt Euch nun, Jesus käme in eine solche Versammlung und würde das eine Wort sprechen: Selig sind, die da geistlich arm sind. Ja, da ist doch mindestens Anlaß zu fragen: „Auf welcher Seite steht er nun, auf Seite [sic] der ,Gläubigen‘, die wissen, daß sie fromm sind, oder auf Seite [sic] der ,Ungläubigen‘, die wissen, daß sie nicht fromm sind?“ Vgl. Predigt Nr. 58 vom 29. 1. 1911, zitiert nach Busch, Karl Barth und die Pietisten, 30.

Fazit: Vierfacher Antidualismus

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wählung, der heilsgeschichtliche Antidualismus wird in der Auslegung von Röm 9 – 11 entfaltet. Der dialektische Antidualismus gewinnt seine argumentative Stärke durch die Exkurse zu den biblischen Gestalten wie z. B. Saul oder Judas, an denen Barth die Beobachtung macht, dass sie niemals einseitig als die von Gott Verworfenen gezeichnet werden, sondern dass ihnen ebenso Gottes Fürsorge gilt.149 An diesen Gestalten zeigt sich nach Barth, was es heißt, erwählt und dann verworfen zu sein, vor allem aber zeigt sich, was es heißt, verworfen und dennoch erwählt zu sein.150 Schließlich wird auch der solidarische bzw. missionarische Antidualismus auf exegetische Weise entfaltet, indem Barth die synoptische Darstellung über das Apostelamt auslegt, und dabei die – exegetisch gewonnene – Analogie zum dreifachen Amt Christi fruchtbar macht.

149 Nur am Rande sei bemerkt, dass die Geschichten, die von dem konkreten Schicksal dieser Gestalten erzählen, für Barth eine deutlichere Sprache sprechen als jene Passagen, in denen Verworfene und Erwählte etwa in den Reden Jesu einander gegenübergestellt werden, vgl. etwa die Rede vom Weltgericht, Mt 25,31 – 46, oder die wiederholte Formel vom „ewigen Feuer“ bzw. der „ewigen Finsternis“, „darin sein wird Heulen und Zähne Klappern“, Mt 13,42; 22,13 u. a. 150 Wie bereits im Exkurs über die Geduld Gottes kommt es Barth dabei nicht darauf an, ob dem Begriff nach von einer „Verwerfung“ gesprochen wird – in Bezug auf Judas ist das nicht der Fall –, entscheidend ist vielmehr, dass das Phänomen beschrieben wird, dass ein erwählter Mensch seiner Erwählung nicht gerecht wird und damit sein Heil aufs Spiel setzt.

B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) 1. Thematische Hinführung: Barths Schöpfungslehre im Kontext Die folgende thematische Hinführung zu den Auslegungen der Schöpfungssagen in KD III/1 unterscheidet sich von den thematischen Hinführungen der vorigen Kapitel insofern, als auf einen eigenen Abschnitt zu den biblischen Grundlagen in diesem Kapitel verzichtet wird. Dessen primäre Aufgabe, die Weite des biblischen Raumes anzudeuten, aus dem Barth bestimmte Texte für seine Auslegungen auswählt, erübrigt sich im Blick auf die Auslegung der Schöpfungssagen deshalb, weil Barth sich in der Exegese von Gen 1 – 2 den unumstrittenen Zentraltexten, der „Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens“1, zuwendet und diese in einem „theologische[n] Kommentar“2, d. h. in einer Vers-für-Vers-Auslegung zu Wort kommen lässt.3 Die dogmengeschichtliche Einordnung konzentriert sich in diesem Kapitel auf die Frage, in welchem Maß sich die christliche Schöpfungslehre zu unterschiedlichen Zeiten vor die Aufgabe gestellt sah, Aussagen über die Natur (und nicht bloß über die Geschichte) als Gottes Schöpfung zu treffen. Dass diese Frage in engem Zusammenhang mit dem jeweils herrschenden Verhältnis zwischen theologischer Schöpfungslehre einerseits und naturwissenschaftlicher Forschung zur Entstehung der Welt andererseits steht, liegt auf der Hand. Der zweite Teil der Hinführung ist einem Thema gewidmet, das nicht nur in der Rezeption von Barths Schöpfungslehre heftig diskutiert wird,4 sondern zugleich weitere Einsicht in Barths Schriftauslegung ermöglicht: Es handelt sich um Barths Bestimmung des Verhältnisses von Mann und Frau, deren Interpretation durch einen sozialgeschichtlichen Einblick in die Geschichte der modernen Frauenbewegungen vorbereitet werden soll. Beide Aspekte – die dogmengeschichtliche wie die sozialgeschichtliche Einordnung – sind notwendig, um den zeitgeschichtlichen Kontext zu erhellen, in dem Barths Schöpfungslehre entstanden ist. Dabei werden jeweils nicht nur die zeitgeschichtlichen Umstände vor der Veröffentlichung von KD III/1 im Jahre 1 B. Janowski, Die Welt des Anfangs, 29. 2 BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 225. 3 Damit soll die Bedeutung anderer biblischer Schöpfungstexte wie etwa der Schöpfungspsalmen nicht bestritten werden. Vgl. hierzu u. a. die beiden Beiträge von P. Riede zu den Schöpfungspsalmen: Ders., Schöpfung und Lebenswelt, 101 – 117 („Mensch und Welt in der Sicht des Alten Testaments“), 119 – 130 („Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“). 4 Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.2.

Thematische Hinführung: Barths Schöpfungslehre im Kontext

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1945, sondern auch spätere Entwicklungen berücksichtigt. Nur so wird ersichtlich, welche Erkenntnisse zwar in heutigen Debatten, nicht aber ohne weiteres in Barths Schöpfungslehre als selbstverständlich vorausgesetzt werden können.

1.1 Dogmengeschichtliche Einordnung: Christliche Schöpfungslehre zwischen Natur und Geschichte Der Ausbruch der ökologischen Krise in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat auf theologischer Seite zu der Erkenntnis geführt, dass eine einseitige Konzentration christlicher Schöpfungslehre auf die Geschichte als Gottes Schöpfung unter Vernachlässigung der Natur eine thematische Verkürzung des in den biblischen Schöpfungserzählungen angelegten Bildes von Gottes Schöpferhandeln darstellt. Im Folgenden soll abrissartig aufgezeigt werden, wie es zu dieser Verkürzung kam, um so den Hintergrund jenes Defizits zu erläutern, welches auch in Bezug auf Barths Schöpfungslehre immer wieder kritisch angemerkt wird.5 In ihrem Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer der Welt begibt sich die christliche Theologie auf ein Feld, auf dem sie sich deutlicher als sonst in einer Nachbarschaft mit anderen Wissenschaften vorfindet. Wie jene sieht sie sich im weiten Sinne vor die Frage gestellt, wie die Welt entstanden ist und unter welchen Bedingungen ihre fortdauernde Existenz gewährleistet wird.6 Bezüglich der damit notwendigen Verhältnisbestimmung der Theologie zu den naturwissenschaftlichen Forschungen über die Entstehung und die Existenzbedingungen der Welt werden in der Regel die folgenden dogmengeschichtlichen Stadien unterschieden:7 Im „biblischen Stadium“ der Schöpfungslehre, d. h. zur Zeit der Entstehung der alttestamentlichen Schöpfungserzählungen, ging es primär darum, gegenüber den altorientalischen Schöpfungsmythen und ihren „mannigfachen gottheitlichen Mächten“ die „Entgötterung der Welt“ zu vollziehen, also den 5 Vgl. etwa Link, Schöpfung, 340, 343; Liedke, Im Bauch des Fisches, 74. 6 Die Nachbarschaft zwischen theologischer Schöpfungslehre und naturwissenschaftlichem Forschen über den Ursprung der Welt spiegelt sich auch dort wieder, wo – wie bei W. Härle – zwischen „Schöpfung“ und „Weltentstehung“ terminologisch unterschieden wird. Interessanterweise bezeichnet Härle die Schöpfung als „inneren Grund“ bzw. „Motiv“ der Weltentstehung (vgl. HQrle, Dogmatik, 419) und wendet damit jene Formel, die Barth für die Beschreibung des Verhältnisses von Schöpfung und Bund geprägt hat (s. u. Abschnitt 2.3), auf das Verhältnis zwischen theologischer Schöpfungslehre und naturwissenschaftlicher Erklärung der Weltentstehung an. 7 Vgl. zum Folgenden: Link, Schöpfung, 337 – 341; Liedke, Im Bauch des Fisches, 71 f; Pannenberg, Kontingenz und Naturgesetz, 34 f; Moltmann, Wissenschaft und Weisheit, 13 – 21, sowie am ausführlichsten und differenziertesten Barbour, Issues in Science and Religion, 15 – 134.

164 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Glauben an den einen von seiner Schöpfung unterschiedenen Gott zu vertreten.8 Das zweite Stadium, in dem die altkirchliche und die mittelalterliche Theologie in der Regel zusammengenommen werden,9 ist von der „weitgehenden Verschmelzung der biblischen Traditionen mit dem antiken Weltbild“10 geprägt. In deren Folge vollzog sich das Verhältnis zwischen der (vormodernen) Naturwissenschaft und der kosmologisch ausgerichteten Theologie als eine Symbiose, in der eine Wissenschaft die andere stärkte und befruchtete. Dies änderte sich, als im Ausgang des Mittelalters die Weiterentwicklung der Methoden des experimentellen Forschens in den Naturwissenschaften neue Erkenntnisse in die Naturzusammenhänge und die Entstehung der Welt ermöglichte. Die Naturwissenschaften emanzipierten sich mehr und mehr von der Theologie, es folgte eine „lange Geschichte des Konfliktes“11 und schließlich die weitgehende Trennung zwischen der christlichen Schöpfungslehre und den Naturwissenschaften. In Deutschland verstand es vor allem die evangelische Theologie schon früh, aus der Not dieser keineswegs selbst gewählten „Zweigleisigkeit“12 eine Tugend zu machen. F.D.E. Schleiermacher sprach vom „ewigen Vertrag […] zwischen dem lebendigen christlichen Glauben und der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung“, der den „Bedürfnissen unserer Zeit“ entspreche.13 Die „schiedlichfriedliche Trennung“14 zwischen Theologie und Naturwissenschaften wurde bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht nur als notwendiger Kompromiss, sondern als theologisch sachgemäß betrachtet, wobei nicht zuletzt Barths Schöpfungslehre15 und R. Bultmanns existenzialistische Schriftausle8 Link, a. a. O., 337. 9 Eine Ausnahme bildet Liedke, der zwischen der „Periode der alten Kirche“ und der „scholastisch-klassische[n] Periode“ eine zusätzliche Unterscheidung einführt. Ders., Im Bauch des Fisches, 71 f. 10 Link, a. a. O., 337. 11 Moltmann, a. a. O., 13. Beispielhaft genannt seien die frühen Auseinandersetzungen um G. Galilei (vgl. Whitehouse, Galileo, besonders 173 – 201) und G. Bruno (vgl. Blum, Giordano Bruno, besonders 143 – 150) sowie die Debatte zwischen dem Befürworter der Darwinschen Evolutionstheorie Th. Huxley und deren Gegner Bischof S. Wilberforce, welche im Jahr 1860 in London stattfand, vgl. die Schilderung bei Meacham, Lord Bishop, 215 – 217. Vgl. auch das pointierte Resümee aus einer frühen Schrift J. Ratzingers: „Die Geschichte der Beziehungen zwischen Naturwissenschaften und Theologie jedenfalls ist seit dem Beginn der Neuzeit fast ständig eine historia calamitatum gewesen“. Ratzinger, Nachwort des Theologen, 343. 12 Moltmann, a. a. O., 17. 13 Schleiermacher, Über die Glaubenslehre, KGA I/10, 350 f. 14 Schwçbel, a. a. O., 122. 15 Vgl. die oft zitierte Bemerkung Barths aus dem Vorwort zu KD III/1: „Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muss sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich eine heidnische Gnosis und Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.“

Thematische Hinführung: Barths Schöpfungslehre im Kontext

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gung16 als Hauptzeugen dieser Auffassung gelten.17 Die Sachgemäßheit der Trennung wurde damit begründet, dass es in der christlichen Schöpfungslehre gar nicht um Naturerklärung oder Kosmologie, sondern um eine Aussage des „existenziellen Selbstverständnis des Menschen“18 bzw. um das Bekenntnis zu Gottes (geschichtlichem) Retterhandeln gehe,19 kurz gesagt um Gottes Wirken in der Geschichte, nicht aber in der Natur.20 Der Anstoß dazu, die allzu strikte „Zweigleisigkeit“ der Wissenschaften auf diesem Gebiet zu überwinden, wurde durch die „ökologische Revolution“ gegeben,21 welche – ausgehend von den USA22 – seit den 1960er Jahren zu einem verstärkten ökologischen Problembewusstsein auch in Deutschland führte.23 In diesem Kontext musste die Theologie erkennen, dass sie sich mit

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Das Zitat findet sich u. a. bei Link, a. a. O., 257; Moltmann, a. a. O., 17 f; Mogk, Eigenständigkeit durch Abschottung, 48. Dass Mogk Barths Auffassung unter dem Stichwort „Supranaturalismus“ subsummiert (vgl. Mogk, a. a. O., 47), stellt freilich eine Vereinfachung und eine Verzerrung von Barths eigener Sichtweise dar, vgl. hierzu die Ausführungen zu Barths Bezeichnung der Schöpfungserzählungen als „Sagen“, Abschnitt 2.2.1. Vgl. u. a. Mogk, a. a. O., 46 f. Vgl. u. a. Kropac, Naturwissenschaft und Theologie, 8 f, der zudem auf K. Rahner als Befürworter der Trennung der beiden Wissenschaften verweist. Vgl. das von Rahner noch im Jahr 1983 formulierte „allgemeine Prinzip“, ders., Naturwissenschaft und vernünftiger Glaube, 26: „Theologie und Naturwissenschaft können grundsätzlich nicht in einen Widerspruch untereinander geraten, weil beide sich von vornherein in ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Methode unterscheiden.“ Auch Ratzinger folgt dieser Linie, wenn er in der Fortsetzung des soeben zitierten Resümees die Konflikte zwischen Naturwissenschaften und Theologie „hauptsächlich“ darauf zurückführt, dass „die Theologie die Grenze ihrer Aussagemöglichkeiten nicht einzusehen vermochte und von dem Versuch nicht lassen konnte, vom Glauben her Tatsachen zu fordern oder zu verbieten.“ Ratzinger, a. a. O., 343. Bultmann, Zum Problem der Entmythologisierung, 135. Vgl. Liedke, Im Bauch des Fisches, 75. Vgl. Link, a. a. O., 339, sowie Liedke, a. a. O., 71 – 80. Liedke beobachtet die einseitige Wahrnehmung des geschichtlichen Handelns Gottes in der Schöpfung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der neutestamentlichen Theologie (Bultmann), in der systematischen Theologie (Barth) wie auch in der alttestamentlichen Theologie (M. Noth und G. v. Rad). Link, a. a. O., 455. Sichtbarer Ausdruck für die theologische Rezeption der in der ökologischen Krise wahrgenommenen Herausforderungen ist die Entwicklung einer Umweltethik innerhalb der Entwürfe protestantischer Ethik seit den 1970er Jahren, vgl. u. a. Honecker, Grundriß der Sozialethik, 231 – 295, besonders 231 – 241. Vergleicht man damit etwa die 1959 erschienene Ethik von W. Trillhaas, so fällt auf, dass der Natur hier zwar ebenfalls ein kurzes Kapitel gewidmet wird (vgl. Trillhaas, Ethik, 160 – 172), in dem der Verfasser prophetisch ein „eigenartiges Wegsehen von der Natur“ durch „das neuzeitliche Christentum“ kritisiert, Trillhaas, a. a. O., 162. Von der Dringlichkeit der Problematik und der akuten und konkreten Gefahr der Umweltzerstörung ist in diesem früheren Entwurf allerdings noch nichts zu spüren. Als Begründerin der amerikanischen und letztlich der weltweiten ökologischen Bewegung gilt R. Carson mit ihrem 1962 erschienen Buch Silent Spring, vgl. Radkau, Natur und Macht, 301. J. Radkau kommt nach einer kritischen Prüfung zu dem Schluss, dass das Jahr 1970 zu Recht als das „Jahr des Triumphs“ für die weltweite ökologische Bewegung bezeichnet werde, während die Jahre „von 1966 bis 1975“ als weiterer zeitlicher Rahmen für die ökologische Revolution zu betrachten sei. Radkau, Die Ära der Ökologie, 134 – 136. Als wichtige Etappen in der Entwicklung der ökologischen Bewegung in Deutschland werden die Anti-Atomkraft-Proteste ab

166 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) ihrer Lehre von einer „Schöpfung ohne Natur“24 eine Sprachlosigkeit auferlegt hatte, deren Problematik angesichts der „ökologischen Krise“25 offen zu Tage trat. Die Trennung zwischen Theologie und Naturwissenschaften und das damit verbundene Verständnis der Schöpfung wird seitdem in zweifacher Hinsicht kritisiert. Zum einen habe die „naturlose Auffassung des Geistes“26 zu einer Reduzierung der Theologie auf eine „persönliche, überirdische Heilslehre“27 geführt. Zum anderen sei die „geistlose Auffassung der Natur“28 umgekehrt dafür verantwortlich gewesen, dass der christliche Schöpfungsglaube „selbst ein Faktor der ökologischen Krise und der Zerstörung der Natur“29 werden konnte, anstatt dieser wirksam entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn W. Pannenberg fordert: Dennoch darf die Theologie nicht dem allzu bequemen Ausweg verfallen, eine Theologie der Schöpfung auf einer besonderen, ausschließlich theologischen Ebene zu entwickeln, die aller naturwissenschaftlichen Kritik unerreichbar ist, etwa als Auslegung der beiden ersten Kapitel der Bibel.30

Es hätte des expliziten Hinweises auf Barths Schöpfungslehre31 kaum bedurft, um diese Stelle als eine direkte Kritik an Barths Vorgehensweise in KD III/1 zu verstehen. Tatsächlich macht Barth in seiner Schöpfungslehre nicht etwa das Gespräch mit den nichttheologischen Wissenschaften, sondern vielmehr das Gespräch mit den „beiden ersten Kapiteln der Bibel“ zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Allerdings ist zu Recht festgestellt worden, dass gerade die biblischen Schöpfungssagen „entscheidende Anstöße für die Neuorientierung“ der christlichen Schöpfungslehre gegeben haben.32 Insofern wird man die Problematik der oben erwähnten Trennung der Disziplinen und der Sprachlosigkeit der Theologie nicht auf die Auslegung der biblischen Schöpfungssagen als solcher zurückführen dürfen. Es ist vielmehr zu fragen,

24 25 26

27 28 29 30 31 32

den 1970er Jahren sowie der „,Waldsterben‘-Alarm der früher 80er Jahre“ genannt. Radkau, Natur und Macht, 311. Liedke, a. a. O., 72. Vgl. hierzu Auer, Umweltethik, 15 – 31. Diese Formulierung stammt ursprünglich aus einem Artikel von F. Baader in der 1837 erschienenen Unparteiischen Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutschlands (vgl. Baader, Ueber den solidären Verband, 10), wurde dann 1973, also 136 Jahre später – unter Verweis auf Baader – von G. Howe (vgl. ders., Mensch und Physik, 120) und weitere 29 Jahre später – unter Verweis auf Howe – von J. Moltmann aufgenommen, vgl. ders., Wissenschaft und Weisheit, 16. Moltmann, a. a. O., 15, der in diesem Zusammenhang gar von einer „Selbstverstümmelung“ der Theologie spricht, ders., a. a. O., 18. Baader, a. a. O., 10; Howe, a. a. O., 120; Moltmann, a. a. O., 16. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 35. Pannenberg, Kontingenz und Naturgesetz, 35. Vgl. Pannenberg, a. a. O., Anm. 3. Link, a. a. O., 348. Belegt wird die These Links u. a. durch folgende exegetischen Studien: Liedke, a. a. O., 109 – 164; Westermann, Schöpfung, vgl. hier insbesondere die einleitenden Bemerkungen auf S. 8 – 14; Steck, Welt und Umwelt, 54 – 85.

Thematische Hinführung: Barths Schöpfungslehre im Kontext

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ob in diesen Auslegungen – konkret in der Auslegung Barths – jene sachliche Verengung zu beobachten ist, die dazu geführt hat, dass sich die Theologie angesichts ihrer Sprachlosigkeit hinsichtlich der Natur als Gottes Schöpfung zu einer Neuorientierung gezwungen sah, als die ökologische Krise ausbrach. Dies wird in der Untersuchung von Barths Auslegung zu prüfen sein.33

1.2 Sozialgeschichtliche Einordnung: Zur Geschichte der Frauenbewegungen Barths Schöpfungslehre vollzieht sich, wie bereits erwähnt, zu weiten Teilen als eine kontinuierliche Auslegung der biblischen Schöpfungserzählungen in Gen 1 – 2. Die Tatsache, dass die Erschaffung des Menschen „als Mann und Frau“ (Gen 1,27) in der einen Erzählung pointiert zum Ausdruck gebracht und in der anderen detailliert beschrieben wird, führt dazu, dass Barth in seiner Schöpfungslehre ausführlich auf das Verhältnis der Geschlechter zu sprechen kommt. Der folgende Einblick in die Geschichte der modernen Frauenbewegungen34 dient dazu, Barths Geschlechterlehre in KD III/1 in ihren zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Gefragt wird zunächst nach der institutionellen und vor allem inhaltlichen Ausrichtung der Frauenbewegungen bis zur Erscheinung des ersten Bandes von Barths Schöpfungslehre (1945) und anschließend nach jenen Inhalten und Zielen der Frauenbewegungen, die erst nach der Erscheinung von KD III/1 formuliert wurden.

1.2.1 Die Anfänge der modernen Frauenbewegungen Die modernen Frauenbewegungen haben ihren Ursprung in den Freiheitskämpfen des ausgehenden 18. Jahrhundert, deren wichtigste Schauplätze die amerikanischen Unabhängigkeitskriege und die Französische Revolution waren.35 Die maßgeblich von O. de Gouges und R. Lacombe verfasste Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin in Frankreich im Jahr 1791 gilt als die erste „Formulierung von gleichen Grundrechten der Frauen“.36 Der erste Artikel dieser Erklärung ist deutlich in Anlehnung an die ersten beiden der 33 Vgl. insbesondere die Abschnitte 2.2.1.3 und 2.4.3 sowie die Überlegungen am Ende von Abschnitt 3. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Barth sich dem interdisziplinären Gespräch mit Vertretern der nichttheologischen Wissenschaften keineswegs grundsätzlich verweigert hat, was beispielhaft anhand des langjährigen intensiven Gesprächs mit dem Mediziner Richard Siebeck deutlich wird, vgl. hierzu Baier, Richard Siebeck und Karl Barth. 34 Um der unterschiedlichen Ausrichtung und Ausgestaltung der einzelnen Bewegungen gerecht zu werden, wird auch im Folgenden in der Regel von Frauenbewegungen (im Plural) gesprochen. 35 Vgl. Scharffenorth, Frauenbewegung, 472 f. 36 Scharffenorth, a. a. O., 473.

168 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) drei Grundsätze der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit37 formuliert: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Mann gleich in allen Rechten.“38 Bis zur tatsächlichen vollen Rechtsfähigkeit der Frau war es freilich sowohl in den USA als auch in Europa noch ein weiter Weg. Dies lässt sich nicht zuletzt anhand des langen Kampfes um ein politisches Stimm- und Wahlrecht für Frauen ablesen.39 In den USA wurde das (aktive und passive) Wahlrecht für Frauen bundesweit erst im Jahr 1920 beschlossen,40 in Deutschland mit der Weimarer Verfassung von 1919 nur ein Jahr früher.41 In Frankreich dauerte es bis zum Jahr 1944,42 ehe Frauen das Wahlrecht zugestanden wurde, in der Schweiz gar bis 1971.43 Dass die frühen Frauenbewegungen neben der politischen Gleichberechtigung auch den Kampf um soziale Gleichstellung und wirtschaftliche Gleichberechtigung aufnahmen, ist ebenfalls in den Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung einzuordnen,44 nämlich der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die für Frauen aller gesellschaftlichen Milieus gravierende Veränderungen mit sich brachte.45 Neue technische Erfindungen wie etwa die Nähmaschine sorgten dafür, dass u. a. die Textilproduktion aus der „HausÖkonomie“ in Fabrikhallen auswanderte.46 Für viele Frauen aus besser gestellten Familien bedeutete dies den Verlust ihrer bisherigen Erwerbsquellen und damit auch eine Minderung ihres sozialen Status.47 Der „Funktionsverlust im Hause“48 setzte andererseits Ressourcen frei und führte dazu, dass mehr Frauen ihrem Interesse am politischen Zeitgeschehen und ihrem „Wunsch nach Bildung“ nachgehen konnten.49 Frauen aus dem proletarischen Milieu arbeiteten dagegen oft selbst in den 37 Zu den Leitbegriffen der Französischen Revolution vgl. Hermand, Libertx, 31 – 40. Zur Französischen Revolution vgl. Jacobi, Freiheit. 38 Zitiert nach Scharffenorth, a. a. O., 474. 39 Einen Überblick vermittelt Bader-Zaar, Politische Partizipation, 237 – 251. 40 Vgl. Bader-Zaar, a. a. O., 250. 41 De facto wurde das Wahlrecht in Frauen bereits unmittelbar nach Kriegsende im November 1918 durch ein Dekret des Rates der Volksbeauftragten eingeführt, vgl. Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung, 38; Bader-Zaar, a. a. O., 249. 42 Vgl. Bader-Zaar, a. a. O., 205. 43 Vgl. Bader-Zaar, a. a. O., 250. Zur späten Einführung in der Schweiz sei darauf hingewiesen, dass hier nicht eine verfassungsgebende Versammlung oder ein Parlament, sondern eine direkte Volksabstimmung über das Wahl- und Stimmrecht von Frauen entscheiden musste, zu der ausschließlich Männer zugelassen waren. Vgl. hierzu Mesmer, Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht, 317 – 332. 44 Der Begriff „einordnen“ ist ausdrücklich nicht im Sinne einer hinreichenden Erklärung zu verstehen. Dies ist zu unterstreichen, um den Eindruck zu vermeiden, als handle es bei den modernen Frauenbewegungen lediglich um „reaktive historische Erscheinungen ohne einen eigenen Definitions- und Normierungsanspruch“. So Kuhn, Frauenbewegungen, 179. 45 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 14 f. 46 Scharffenorth, Frauenbewegung, 475. 47 Vgl. ebd. 48 Scharffenorth, a. a. O.,476. 49 Ebd.

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Fabriken, wofür sie weitaus niedrigere Löhne erhielten als Männer, die die gleiche Arbeit taten.50 So gerieten sie zum einen in die Abhängigkeit von Fabrikbesitzern51 und bekamen zum anderen den Zorn der durch die geringeren Löhne für Frauen ausgebooteten männlichen Arbeitskräfte zu spüren.52 Es bildete sich der sozialistische bzw. proletarische Flügel der Frauenbewegung, der sich angeführt von C. Zetkin für gleiche Rechte der Arbeiterinnen einsetzte.53 1865 versammelte sich in Leipzig die erste deutsche Frauenkonferenz.54 Eingeladen hatte L. Otto-Peters, die im Rahmen der Konferenz zur ersten Vorsitzenden des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ gewählt wurde.55 Die Gründung dieses Vereins wird allgemein als der Beginn der organisierten Frauenbewegungen in Deutschland betrachtet.56 Der Verein sah sich aus den erläuterten Gründen vorrangig den Zielen der politischen Gleichberechtigung, der sozialen und wirtschaftlichen Gleichstellung sowie der „erhöhte[n] Bildung des weiblichen Geschlechts“57 verpflichtet, was u. a. die Forderung beinhaltete, das Universitätsstudium für Frauen zu öffnen.58 Auch hierzu kam 50 Vgl. die eindrücklichen Berichte der oft noch minderjährigen Arbeiterinnen in Klucsarits/ KRrbisch, Arbeiterinnen, 61 – 165. 51 Vgl. u. a. RRegg, Wer nicht kuscht, 158 – 160. 52 Vgl. Scharffenorth, a. a. O., 475 f. 53 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 27 – 31. Zum Verhältnis zwischen bürgerlicher Frauenbewegung und proletarischer Frauenbewegung vgl. Braun, Die Frauenfrage, 463 – 482. 54 Dass im Folgenden der Fokus auf die Frauenbewegung in Deutschland gerichtet wird, ist gerade in Hinblick auf deren Anfänge insofern sinnvoll und berechtigt, als Barth mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland sowohl durch sein Studium in Berlin, Tübingen und Marburg als auch durch seine Lehrtätigkeit in Göttingen, Münster und Bonn aufs Engste vertraut und selbst durch sie geprägt war. Vgl. hierzu den von M. Beintker u. a. herausgegebenen Sammelband Karl Barth in Deutschland (1921 – 1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand, Zürich 2005, in dem B.L. McCormack die Meinung äußert, „daß Karl Barths theologische Ausbildung, seine Prägung durch deutsche Universitäten eine Art ,Milieu‘ darstellen, aus dem heraus er theologisch zu denken begann.“ Vgl. a. a. O., 465 f. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die zeitgenössischen Frauenbewegungen in der Schweiz sich vor ähnliche Herausforderungen gestellt sahen wie jene in Deutschland, was etwa aus dem Themenspektrum der ersten beiden Schweizer „Kongresse für die Interessen der Frau“ 1896 und 1921 hervorgeht, auf denen vor allem bildungspolitische, wirtschaftliche und rechtliche Fragen diskutiert werden, vgl. Woodtli, Gleichberechtigung, 110 – 113, 152. Zur Geschichte der Frauenbewegungen in der Schweiz vgl. Woodtli, Gleichberechtigung, in deren ausführlicher Schilderung ein Schwerpunkt auf den Biographien der entscheidenden Protagonistinnen liegt, sowie die überblicksartigen Darstellungen bei Grossenbacher, Familienpolitik und Frauenfrage, 114 – 134, und Banaszak, Why Movements succed, 12 – 20. 55 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 15. Zu L. Otto-Peters vgl. den von I. Nagelschmidt und J. Ludwig herausgegebenen Sammelband Louise Otto-Peters. Politische Denkerin und Wegbereiterin der deutschen Frauenbewegung, in dem zur Biographie vor allem folgende Beiträge von Interesse sind: Nagelschmidt, Die Kraft des „sächsischen Mädchens“, 12 – 16; Boetcher-Joeres, Louise Otto-Peters, 36 – 53. 56 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 15. 57 Braun, a. a. O., 119. 58 Vgl. Scharffenorth, Frauenbewegung, 477.

170 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) es in Deutschland erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts, Vorreiter war das Land Baden im Jahr 1900,59 während in der Schweiz, zumindest in Zürich, die ersten Frauen bereits 1867 zum Universitätsstudium zugelassen wurden – bis 1873 freilich ohne eine offizielle Erlaubnis.60 Die Umsetzung der bis 1919 erkämpften Rechte im politischen Sektor sowie im Bildungsbereich gelang zu Zeiten der Weimarer Republik nur schleppend,61 während der Beginn der NS-Diktatur gar den erneuten Verlust des passiven Wahlrechts für Frauen wie auch der Zulassung zur Habilitation an deutschen Universitäten und Hochschulen mit sich brachte.62 In der Schweiz wiederum, in die Barth im Zuge seiner Versetzung in den Ruhestand durch den Hitler-Staat63 im Jahr 1935 zurückkehrte, gewann in den 1930er Jahren zusätzlich der Kampf gegen den aufkeimenden Faschismus auch innerhalb der Frauenbewegungen an Bedeutung,64 während in den letzten Kriegsjahren und nach Kriegsende wieder verstärkt um die Durchsetzung des Frauenwahlrechts gerungen wurde.65

1.2.2 Die Entwicklung nach 1945: „Neue Frauenbewegung“ und Gender Mainstreaming Die Not des Zweiten Weltkriegs wie auch der Nachkriegsjahre sorgte dafür, dass Berufe, die bisher überwiegend oder ausschließlich Männern vorbehalten waren, nun auch für Frauen geöffnet wurden.66 Eine spürbare Belebung der Frauenbewegungen fand jedoch erst im Ausgang der 1960er Jahre statt.67 Diese ging von den USA aus und erhielt in Deutschland durch die Verbindung mit den Studentenprotesten eine eigene Dynamik.68 Die „Neue Frauenbewegung“69 unterscheidet sich von ihren Vorläufern 59 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 32. 60 Vgl. Woodtli, Gleichberechtigung, 75 – 81. 61 Bis 1933 wurden in Deutschland nur zwei Frauen auf ordentliche Lehrstühle an deutschen Universitäten berufen, vgl. Nave-Herz, a. a. O., 32. Vgl. auch Scharffenorth, Frauenbewegung, 480. 62 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 44. 63 Vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 268 – 274, sowie detailliert Prolingheuer, Der Fall Karl Barth. 64 Zu diesem Zweck wurde 1934 die „Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie“ gegründet, vgl. Grossenbacher, a. a. O., 125. 65 Vgl. Woodtli, Gleichberechtigung, 63 – 72, sowie Banaszak, a. a. O., 16 f. 66 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 48. Als Beispiel sei auf die Tätigkeit evangelischer Theologinnen wie z. B. H. Schneider im Gemeindedienst verwiesen, vgl. Schmidt, Zwischen Riga und Locarno, 228 f. 67 Zu den Anfängen der Neuen Frauenbewegung vgl. Lenz, Die neue Frauenbewegung, 45 – 68. 68 Vgl. Nave-Herz, a. a. O., 53 – 57; Lenz, a. a. O., 45 f. 69 So die am häufigsten verwendete Bezeichnung, bisweilen wird auch von einer „zweite[n] Welle der Frauenbewegung“ (vgl. Meyer-Wilmes, Programm Feministischer Theologie(n), 148) gesprochen.

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nicht nur durch die verstärkte internationale Zusammenarbeit,70 sondern auch durch ein erweitertes Problembewusstsein und durch die Formulierung neuer Ziele. Steht die Forderung nach paritätischer Besetzung politischer Entscheidungsgremien noch ganz in der Tradition der Frauenrechtsbewegung, so werden mit der Forderung nach einer „,Frauenbefreiung‘ in Familie, Staat, Kirche und Gesellschaft“ deutlich neue Akzente gesetzt.71 Auch der Protest gegen geschlechtsspezifische Rollenbilder ist in der Neuen Frauenbewegung von einer neuen Qualität, indem auf die sozialen und kulturellen Bedingungen, die zur Unterscheidung der Geschlechter führen, aufmerksam gemacht wird.72 Aus diesem Protest heraus entstand die Forderung des Gender Mainstreaming, deren Pointe ursprünglich in der kritischen Hinterfragung und Überwindung des – im Unterschied zum biologischen Geschlecht („Sex“) – als „Gender“ bezeichneten anerzogenen und aufgeprägten Rollenverhaltens als Mann und Frau bestand.73 Inzwischen geht eine Hauptströmung der Genderforschung noch einen Schritt weiter, indem sie auch die biologische Unterscheidung zwischen Mann und Frau als eine historisch gewachsene bzw. konstruierte Unterscheidung kritisiert.74 Im Unterschied zur frühen Genderforschung geht es nun nicht mehr bloß um eine erhöhte Sensibilität bezüglich der „Gleichheit und Differenz“ der Geschlechter, sondern um die „Dekonstruktion“ der Zweigeschlechtlichkeit75 überhaupt: [D]ie feministische Theoriediskussion um das Geschlecht als soziales Grundphänomen […] hat mit der Erkenntnis ernst gemacht, daß die Menschen durch und durch gesellschaftliche Wesen sind, deren bloßes Überleben nicht ohne symbolische Systeme wie Sprache, kulturelle Artefakte und Werkzeug möglich ist. In diesem […] Diskurs über Geschlechtlichkeit und Geschlechter ist der Biologismus – der Glaube an notwendige, im Leib begründete Wesensmerkmale, die das Verhalten vor aller Kultur bestimmen – nicht mehr nur abgewehrt und durch ,soziologistische‘ Reaktionsbildungen ersetzt, sondern in bedeutendem Maße überwunden.76

70 Vgl. Scharffenorth, Frauenbewegung, 480, die von einem „internationalen Aufbruch der Frauen“ spricht. Vgl. ebf. Lenz, a. a. O., 45. 71 Scharffenorth, a. a. O., 480. 72 Vgl. Gildemeister/Wetterer, Wie Geschlechter gemacht werden, 205 – 229. 73 Vgl. Gildemeister/Wetterer, a. a. O., 205. Die Selbstbestimmung der Genderforschung im Verhältnis zur früheren Frauenforschung wird von I. Karle folgendermaßen beschrieben: „Die Genderforschung versteht sich nicht als Alternative zur Frauenforschung, sie nimmt die Feministische Forschung vielmehr auf und stärkt sie, indem sie Anliegen des Feminismus auf einem adäquaten sozialwissenschaftlichen Theorieniveau – und damit mit einer gewissen Distanz zu den Selbstverständlichkeiten des Alltags – reformuliert.“ Vgl. Karle, Da ist nicht mehr Mann noch Frau, 11. 74 Vgl. Bachteler, Genderforschung, 658 f. Besondere Bedeutung erlangte der Ansatz Judith Butlers, vgl. dies., Das Unbehagen der Geschlechter. 75 Gildemeister/Wetterer, a. a. O., 246. 76 Hagemann-White, Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren, 226 f. Ähnlich Wetterer, Konstruktion von Geschlecht, 122.

172 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Ein gemeinsames Charakteristikum der Frauenbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg besteht darin, dass es im Unterschied zu früheren Bewegungen zu einer wechselseitigen Befruchtung zwischen christlichen Theologinnen und Vertreterinnen der Frauenbewegung kam, welche bis in die Gegenwart andauert. In den 1970er Jahren wurden die Anliegen einer „Feministischen Theologie“ formuliert,77 die inzwischen durch die Aufnahme der Fragestellungen der Genderforschung eine wichtige Ergänzung bzw. Weiterentwicklung erfahren haben.78 Feministische bzw. genderbewusste Theologie sind seitdem auf evangelischer wie auf katholischer Seite79 nicht nur fester Bestandteil des theologischen Diskurses,80 sondern auch prägend für die Gestaltung des kirchlichen Lebens beider Konfessionen.81 Ähnlich wie in Bezug auf die ökologische Theologie kann auch über die Feministische bzw. genderbewusste Theologie gesagt werden, dass sie wesentliche Impulse dem Studium alt- und neutestamentlicher Texte verdankt.82 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Frauenbewegungen vor dem Erscheinen von KD III/1 in erster Linie für politische Gleichberechtigung, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung sowie gleiche Bildungschancen kämpften, während in den Jahren nach 1945 mehr und mehr auch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern als solches zum Gegenstand der Diskussion wurde – einer Diskussion, die nun auch bzw. jetzt erst die theologische und kirchliche Debatte nachhaltig beeinflusst hat. Vor dem Hintergrund dieses Befundes wird zu fragen sein, welches die Intentionen von Barths Beschreibung des Verhältnisses von Frau und Mann sind.83

77 Ein wichtiger Anstoß hierzu ging von den politischen Frauenbewegungen aus, vgl. MeyerWilmes, Programm Feministischer Theologie(n), 147. 78 Vgl. Pohl-Patalong, Gender, 219 f, sowie Karle, a. a. O., 11 – 20. 79 Zur Diskussion in der römisch-katholischen Kirche vgl. den von S. Eder und I. Fischer herausgegebenen Sammelband „… männlich und weiblich schuf er sie …“ (Gen 1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft. Hier werden u. a. aus der Perspektive der Genderforschung kritische Anfragen an römisch-katholische Lehrschreiben und Konzilstexte formuliert, vgl. Pernkopf/ Wieser, Man kommt nicht als Frau zur Welt, 76 – 84. 80 Vgl. Meyer-Wilmes, Feminismus/Feministische Theologie, 67 f. 81 Vgl. die breite, wenn auch kontroverse Diskussion um die Bibel in gerechter Sprache, erschienen 2006, die weit über den akademischen Bereich hinausreichte. Zur Diskussion vgl. Gçssmann u. a., Der Teufel blieb männlich. 82 Vgl. nur als eines von vielen Beispielen: Schottroff/Wacker, Kompendium feministische Bibelauslegung. 83 Vgl. insbesondere die Abschnitte 2.4.2, 2.5.2.2 und 2.5.2.3.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

173

2. Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) 2.1 Tabellarischer Überblick Die fortlaufende Auslegung von Gen 1 – 2 in KD III/184 gehört zu den ausführlichsten exegetischen Passagen der gesamten Kirchlichen Dogmatik. Sie erstreckt sich über insgesamt 270 Seiten (107 – 377). Formal handelt es sich um eine fortlaufende Auslegung in mehreren Abschnitten, in denen jeweils auf eine Vorstellung des Themas und der Thesen im Normaldruck die ausführliche Einzelversauslegung mit der Erörterung exegetischer Detailfragen im Kleindruck folgt. Der fortlaufende Gedankengang der Auslegung wird auf diese Weise immer wieder unterbrochen und zugleich argumentativ gestützt durch die Diskussion exegetischer Einzelfragen, in der Barth sich ausführlich mit der zeitgenössischen exegetischen Sekundärliteratur auseinandersetzt.85 Die Kommentare von Gunkel, Zimmerli, Delitzsch und Jacob hat Barth offensichtlich parallel gelesen und ständig zu Rate gezogen, andere Ausleger wie Bonhoeffer, Vischer, v. Rad, Vriezen, Foerster, Kittel, Jeremias und Eichrodt kommen an ausgewählten Stellen zu Wort.86 Aus der älteren Auslegungsgeschichte werden besonders häufig die Kirchenväter Ambrosius und Augustin sowie die Reformatoren Luther und Calvin zitiert.87 Zur Methodik der Einzelversauslegungen ist festzuhalten, dass Barth besonders häufig semantische Studien am hebräischen Grundtext durchführt,88 bei denen die übrigen Teile

84 Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf KD III/1. 85 Der Umfang dieser Auseinandersetzung hat H.-J. Kraus zu folgender Feststellung veranlasst: „Man nenne eine einzige Dogmatik, in der die historisch-kritische Forschung mit ihren exegetischen Erträgen solch eine einfühlende Würdigung erfahren hat wie bei Barth.“ Kraus, Vorwort, 8. 86 Barth bezieht sich dabei auf folgende Werke: Gunkel, Genesis; Zimmerli, 1. Mose 1 – 11; Delitzsch, Genesis; Jacob, Genesis; Bonhoeffer, Schöpfung und Fall; Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I; v. Rad, eQj_m; Vriezen, Onderzoek naar de paradijsvoorstelling; Foerster, jt¸fy; Kittel, eQj_m; Jeremias, Das Alte Testament im Lichte des alten Orients; Eichrodt, Theologie des Alten Testaments I – II. 87 Folgende Schriften der genannten Kirchenväter kommen zu Wort: Ambrosius, Hexaemeron; Augustin, De Genesi contra Manichaeos; ders., Confessiones; ders., De Genesi ad Litteram; ders., De Civitate Dei; ders., De Trinitate. Aus den Werken der Reformatoren zitiert Barth: Luther, In Genesin declamationes, WA 24, 1 – 710; Ders., Auslegung des ersten und zweiten kapitels Johannis, WA 46, 538 – 789; Calvin, Commentariorum in quinque libros Mosis. Pars I, CR 51, 5 – 622. 88 Vgl. u. a. 115: Whbw Wht, ~Aht; 118: @xr ; 123: Das Verhältnis der den Schöpfungsvorgang beschreibenden Verben rma, arb, hf[, !tn, arq, $rb, har ; 221: tWmd und ~lc; 248: hkalm; 273: da; 278: rp[. Besonders ausführlich fallen die semantischen Betrachtungen zu [yqr (152 – 158) aus. Einen ausführlichen Überblick zu Barths philologischen Studien in KD III/1 bietet BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 235 – 238, der zu Recht feststellt: „Mehr als in den

174 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) des Alten Testaments ebenso mit berücksichtigt werden wie bei den motivgeschichtlichen Untersuchungen.89 Auch Vergleiche mit den wichtigsten Schöpfungsmythen aus der religionsgeschichtlichen Umwelt des Alten Testaments finden sich immer wieder,90 allerdings durchgehend mit dem Ziel, die theologische Selbständigkeit der alttestamentlichen Schöpfungssagen zu betonen. Zur besseren Orientierung über die Verteilung zwischen den Abschnitten im Normaldruck und den exegetischen Einzelversauslegungen im Kleindruck soll der folgende tabellarische Überblick verhelfen: 107f

Einleitung zur ersten Schöpfungssage: Die Schöpfung als äußerer Grund des Bundes

108f

Gen 1,1: Gottes Schöpfung am Anfang aller Dinge

109 – 111

Einzelversauslegung zu Gen 1,1

111f

Gen 1,2: Die Schöpfung als Gottes Entscheidung gegen das Chaos

112 – 121

Einzelversauslegung zu Gen 1,2

122 – 123

Gen 1,3: Die Schöpfung durch das Wort

123 – 129

Einzelversauslegung zu Gen 1,3

anderen Bänden der KD bemüht sich Barth in III/1 um den hebräischen Text des Alten Testaments.“ BQchli, a. a. O., 235. 89 Vgl. u. a. 123: Die „Schöpfung durch das Wort“ im Alten und Neuen Testament; 133: Das Licht als Zeichen und Zeugnis Gottes im Kosmos im Alten und Neuen Testament; 169: Berge als von Gott gemachte Orte der Festigkeit im Alten und Neuen Testament; 196 f: Fische und Vögel im Alten und Neuen Testament; 223 – 231: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Alten und Neuen Testament; 239: Der Tierfriede im Alten Testament; 248 – 258: Die Ruhe Gottes als Einladung an den Menschen im Alten und Neuen Testament; 278 – 283: Der Leben spendende Geist Gottes im Alten und Neuen Testament; 321 – 325: Der Baum des Lebens im Alten Testament; 324: Die für den Sünder lebensgefährliche Begegnung mit der Gegenwart Gottes im Alten Testament; 361 – 370: Die Ehe als Bild für die Beziehung zwischen Jahwe und Israel bzw. Christus und der Gemeinde. 90 Bereits in den einleitenden Bemerkungen zur Gattungsfrage (vgl. u. Abschnitt 2.2.1) stellt Barth ausführlich den Inhalt des altbabylonischen Epos Enuma Elisch vor (95 – 98). Auf dieser Inhaltsangabe bauen die kritisch-vergleichenden Beobachtungen in den Einzelversauslegungen auf, vgl. 124 f; 182; 275. Ähnliche Beobachtungen erfolgen zum ägyptischen Apophisbuch (124), zum persischen Bundehesch-Mythos (182), zum Zoroastrismus (132) sowie zu den Mythologien Platons (227) und Plutarchs (ebd.). Ob sich hinter Bächlis Feststellung, nach welcher „Barth religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial selektiv verwendet und […] für seinen theologischen Kommentar zu Gen 1 und 2 fruchtbar zu machen versucht“ (BQchli, a. a. O., 243), eine Kritik verbirgt, ist nicht eindeutig auszumachen. Falls dem so wäre, ließe sich freilich antworten, dass die Verwendung des „religionsgeschichtlichen Vergleichsmaterials“ schon aufgrund der Textmenge nur selektiv durchgeführt werden kann.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

175

(Fortsetzung) 130 – 132

Gen 1,3 – 5: Der erste Schöpfungstag: Das Licht

132 – 148

Einzelversauslegung zu Gen 1,3 – 5

148 – 151

Gen 1,6 – 8: Der zweite Schöpfungstag: Die Himmelsfeste

151 – 158

Einzelversauslegung zu Gen 1,6 – 8

158 – 161

Gen 1,9 – 13: Der dritte Schöpfungstag: Das Festland und die Pflanzen

161 – 174

Einzelversauslegung zu Gen 1,9 – 13

174 – 177

Gen 1,14 – 19: Der vierte Schöpfungstag: Die Gestirne

177 – 187

Einzelversauslegung zu Gen 1,14 – 19

187 – 191

Gen 1,20 – 22. Der fünfte Schöpfungstag: Wassertiere und Vögel

191 – 197

Einzelversauslegung zu Gen 1,20 – 22

197 – 200

Gen 1,24 – 31: Der sechste Schöpfungstag: Landtiere und Menschen (Einleitung)

200 – 202

Einzelversauslegung zu Gen 1,24 f: Die Erschaffung der Landtiere

202 – 214

Gen 1,26 – 28: Die Erschaffung des Menschen als Gottes Ebenbild

214 – 233

Einzelversauslegung zu Gen 1,26 – 28

233 – 237

Gen 1,29 – 30: Die Nahrung für Menschen und Tiere

237 – 239

Einzelversauslegung zu Gen 1,29 – 30

239f

Gen 1,30b–31: Rückblick auf die Erschaffung des Menschen und das gesamte Schöpfungswerk

240 – 248

Gen 2,1 – 3: Die Sabbatfeier Gottes

248 – 258

Einzelversauslegung zu Gen 2,1 – 3

258 – 265

Einleitung zur zweiten Schöpfungssage: Der Bund als innerer Grund der Schöpfung; Die doppelte Beziehung zwischen Schöpfung und Bund

176 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) (Fortsetzung) 259

Exegetischer Kommentar : Zum Verhältnis der beiden Schöpfungssagen

265 – 271

Gen 2,4b–7: Die Erschaffung des Menschen als lebendiges Wesen

271 – 283

Einzelversauslegung zu Gen 2,4b–7

283 – 315

Gen 2,8 – 17: Die Pflanzung des Gartens in Eden

315 – 329

Einzelversauslegung zu Gen 2,8 – 17

329 – 370

Gen 2,18 – 25: Die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau

370 – 377

Einzelversauslegung zu Gen 2,18 – 25

Der Blick auf die Tabelle macht zweierlei deutlich. Zum einen teilt Barth die erste Schöpfungssage im Vergleich zur zweiten in wesentlich kleinere Einheiten auf. Den zwölf Einzelversauslegungen zu Gen 1,1 – 2,4a stehen nur drei Einzelversauslegungen zu Gen 2,4b–25 gegenüber. Natürlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass sich die Aufteilung der ersten Sage anhand der einzelnen Schöpfungstage aufdrängt, allerdings ist die unterschiedliche Verteilung damit nur unzureichend erklärt. Vielmehr wird man sagen müssen, dass diese den inhaltlichen Schwerpunkten entspricht, die Barth in den Sagen selbst ausmacht: Gen 1,1 – 2,4a beschreibt nach seiner Auffassung die Schöpfung als sukzessive Bereitstellung des Raumes, in dem sich die Geschichte des Bundes abspielen wird, während Gen 2,4b–25 auf den Gnadenbund als innerem Grund der Schöpfung fokussiert ist. Hieraus folgt, wie noch zu zeigen ist, dass der Gnadenbund nach Barths Auffassung in der zweiten Sage von Anfang an im Blick ist. Die Auslegung von Gen 2,4b–25 kann deshalb in größeren thematischen Einheiten geschehen, weil jeweils der gesamte Zusammenhang von Schöpfung und Bund thematisiert wird, welcher in der Auslegung der ersten Sage erst Stück für Stück entfaltet wird. Zum anderen verdeutlicht der tabellarische Überblick, dass die Einzelversauslegungen im Kleindruck in der Besprechung der zweiten Sage nicht nur numerisch, sondern auch bezüglich ihres Umfangs gegenüber der fortlaufenden Auslegung deutlich an Gewicht verlieren.91 Auch dies entspricht der These, dass Barth in der Besprechung der zweiten Sage eher die großen thematischen Linien verfolgt. In der Auslegung der ersten Sage besitzen dagegen die exegetischen Detailfragen ein größeres Gewicht. 91 Von den 151 Seiten der Auslegung der ersten Sage entfallen 92 auf die Einzelversauslegungen, was einem Anteil von 60,92 % entspricht, während in der zweiten Sage lediglich 33 von 119 Seiten aus Einzelversauslegungen bestehen, was einem Anteil von 27,73 % entspricht.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

177

Festzuhalten bleibt, dass die detaillierte Untersuchung der biblischen Schöpfungssagen in KD III/1 gegenüber den evangelischen Dogmatik-Entwürfen, die in den Jahren vor 1945 erschienen sind, ein Novum darstellt.92 Barths Schriftauslegung in KD III/1 stellt damit zumindest ein wichtiges Kapitel innerhalb der Geschichte der Wiederentdeckung des Potentials der biblischen Schöpfungserzählungen für den innertheologischen – und damit indirekt auch für den interdisziplinären – Diskurs93 dar. 2.2 Die Unabhängigkeit der theologischen Auslegung Barths Auslegung zu Gen 1 – 2 ist von zwei Entscheidungen geprägt, die beide auf ihre Weise einen interessanten Einblick gewähren, wie Barths Schriftlehre und seine exegetische Praxis sich wechselseitig beeinflussen. Es handelt sich um die Überlegungen zur Gattungsfrage sowie zur Bedeutung der altorientalischen Schöpfungsmythen für die biblischen Schöpfungssagen. In beiden Fragen knüpft Barth an die Diskussion innerhalb der zeitgenössischen Exegese an, formuliert allerdings von dieser ausgehend je eine eigene Position, die letztlich dem Ziel dient, die Unabhängigkeit der theologischen Auslegung zu unterstreichen. In den Überlegungen zur Gattungsfrage geht es Barth nicht zuletzt darum, jenseits der Fragen nach der historischen Verifizierbarkeit einen Freiraum zu schaffen, in dem nach dem Wahrheitsgehalt der biblischen Berichte von Gottes Schöpfung „in der Zeit“ (72) gefragt werden kann. In der sich an die Gattungsfrage anschließenden Erörterung des Verhältnisses zwischen den altorientalischen Schöpfungsmythen und den biblischen Sagen plädiert Barth insofern für eine unabhängige theologische Auslegung, als er die (inhaltliche) Unabhängigkeit der alttestamentlichen Texte gegenüber den nichtbiblischen Quellen betont. 2.2.1 Zur Frage der Gattung: Die Schöpfungserzählungen als Sagen 2.2.1.1 Die Zeit der Schöpfung Was veranlasst Barth dazu, die Schöpfungsberichte als „Sagen“ zu bezeichnen und wie definiert er den Begriff „Sage“? Um dies zu verstehen, ist es notwendig, auf die Begründung zu achten, die Barth zu dieser Gattungsbezeichnung veranlasst. Er unterstreicht zunächst, dass die Schöpfung als eine 92 Vgl. u. a. Kaftan, Dogmatik, 252 – 256; Troeltsch, Glaubenslehre, 244 – 252; Haering, Der christliche Glaube, 281 – 324; Hirsch, Christliche Rechenschaft I, 225 – 242; Elert, Der christliche Glaube, 247 – 268; Tillich, Dogmatik, 129 – 172; Schlatter, Das christliche Dogma, 22 – 61; Seeberg, Christliche Dogmatik I, 449 – 504; Althaus, Grundriss der Dogmatik II, 34 – 37. 93 Chr. Link spricht von einer „Neuorientierung“, die durch die Auslegung der biblischen Texte „entscheidende Anstöße“ empfangen habe, vgl. ders., Schöpfung, 348.

178 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) „Geschichte“ erzählt wird, die „in der Zeit geschieht“ (72). „Indem Gott schafft und also einem Anderen neben und außer sich Wirklichkeit gibt, beginnt auch die Zeit als die Existenzform dieses Anderen.“ (73) Die Schöpfung gehört nach Barth nicht in den Bereich einer unbestimmten, ewigen Vorzeit, sondern sie gehört in den Bereich der den Bedingungen von Zeit und Raum unterworfenen Wirklichkeit. Allerdings, so Barth weiter, ist die Zeit der Schöpfung zu unterscheiden von der Zeit der „in Sünde gefallenen Menschen“ (77 f) einerseits und von der „Gnadenzeit“ (79) andererseits. Beiden gegenüber zeichne sie sich dadurch aus, dass sie „keine Vorgeschichte hat“, sondern „nur unmittelbar“ zu Gott sei (83). Alle menschliche Erkenntnis und Rede von der Schöpfungszeit und auch die biblischen Schöpfungsberichte seien folglich „ganz und gar unhistorisch“ (86) bzw. als eine „praehistorische Geschichte“ (87) zu verstehen.94 Nicht nur, dass es keine menschlichen Zeugen für die Schöpfung gibt, auch bezieht sich der Inhalt, von dem berichtet wird, auf ein Stadium, in dem Natur und Mensch mit den Gesetzen, denen sie in der Folge unterworfen sind, erst entstehen (86). Schließlich aber sei auch zu berücksichtigen, dass das biblische Zeugnis zwei Schöpfungsberichte enthalte, deren umfassende Harmonisierung ein Akt der Gewalt an den Texten wäre (86 f).95 Es handelt sich in den Schöpfungserzählungen also um Berichte, die von einem Geschehen erzählen, welches sich „in der Zeit“ ereignet hat, sich aber zugleich der historischen Überprüfbarkeit prinzipiell verschließt. Dieser Gegensatz veranlasst Barth dazu, die Schöpfungsberichte – im Anschluss an H. Gunkel96 – als „Sagen“ zu bezeichnen, wobei er die Gattung der Sage mit einer eigenen Definition versieht:97 „Ich verstehe im Folgenden unter Sage ein 94 Barth sieht sich in dieser Einschätzung in Übereinstimmung mit Schlatter, Das christliche Dogma, 60, (84) und betont, dass letztlich jede Geschichtsschreibung „immer auch eine Komponente hat, in der sie unmittelbar zu Gott“ und insofern „unhistorisch“ (85) sei. 95 Barth betont, dass die Existenz zweier Berichte nicht dazu führen dürfe, diese so gegeneinander auszuspielen, dass einer der beiden als wertvoller, der andere aber als weniger wertvoll dargestellt wird. Diese Kritik richtet sich gegen den Kommentar H. Gunkels, vgl. hierzu etwa Gunkel, Genesis, 27 f bzw. 117. 96 Vgl. ders., a. a. O., XIIIf. 97 Barth rechtfertigt die Erstellung einer eigenen Definition damit, dass die „einschlägigen Artikel in RGG. von H. Gunkel, W. Baumgartner, O. Rühle, P. Tillich, R. Bultmann“ zu keiner befriedigenden Klärung „der Begriffe Mythus, Sage, Märchen, Legende, Anekdote“ geführt hätten (88). Man wird dieser Einschätzung insofern Recht geben, als u. a. Rühle gleich zu Beginn seines Artikels über den „Mythus“ in religionsgeschichtlicher Perspektive gegenüber den unmittelbar vorangehenden Ausführungen Tillichs, der eine allgemeine Klärung des „Mythus“-Begriffs unternommen hatte, zwei Einschränkungen vornimmt. Diese beziehen sich auf die von Tillich unterlassene Erwähnung der Realität des Erzählten aus Sicht der Erzähler sowie auf die Relevanz der von Tillich eher gering eingeschätzten „vormythischen“ Epoche. Vgl. RRhle, Mythus und Mythologie, 370 f, bzw. Tillich, Mythus und Mythologie, 363 f. Vgl. auch die Einschätzung RRhles, a. a. O., 376, dass es sich bei dem „Verhältnis des M[ythos] zu Sage und Märchen“ um eine „umstrittene Frage“ handle. Besonders deutlich kommt dieser Umstand zum Vorschein in Bultmanns Beitrag zum „Mythus“ im NT, der mit seinem eschatologisch ausgerichteten „My-

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

179

divinatorisch-dichterisch entworfenes Bild einer konkret einmaligen, zeitlichräumlich beschränkten praehistorischen Geschichtswirklichkeit.“ (88) Diese Definition ist in dreierlei Hinsicht aufschlussreich. Sie grenzt die Sage einerseits von der Gattung des Mythos und andererseits von der historischen Geschichtsschreibung ab.98 Schließlich wird die Sage als eine spezifisch theologische Gattung gekennzeichnet. Diese drei Aspekte sollen im Folgenden kurz erläutert werden. 2.2.1.2 Sage versus Mythos Den ersten wichtigen Aspekt von Barths Definition der Sage wird man in der Betonung der „konkret einmaligen […] Geschichtswirklichkeit“ erkennen müssen. Barth unterscheidet damit die Sage von der Gattung des „Mythus“ (91).99 Der „Mythus“, so Barth, ist an allgemeinen „Prinzipien“ interessiert, die im Kreislauf der Natur oder der Geschichte wiederholt zu beobachten und somit als zeitlose Wahrheiten zu verstehen sind (ebd.). In der Sage gehe es dagegen um konkret einmalige Ereignisse.100 Der theologische Gewinn der Unterscheidung zwischen Sage und Mythos wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, wie das in den Sagen berichtete Geschehen gerade als konkret einmaliges, kontingentes Geschehen in einem Zusammenhang mit der erlebten Wirklichkeit jeder Zeit gesehen wird. Die biblischen Schöpfungserzählungen berichten nach Barth nicht von einer abgeschlossenen, vorzeitlichen Epoche, die in der jeweiligen Gegenwart ihrer Leserinnen und Leser nur noch in Form bestimmter Prinzipien wie etwa der thus“-Begriff von einer ganz anderen Konzeption ausgeht als seine (alttestamentlichen) Kollegen, vgl. Bultmann, Mythus und Mythologie, 390. 98 Diese doppelte Abgrenzung findet sich auch in der Auslegung der neutestamentlichen Auferstehungsgeschichten in KD III/2, § 47,1, die Barth ebenfalls als „Sagen“ bezeichnet. Vgl. die bis in einzelne Formulierungen hinein parallele Begründung in KD III/2, 542: „Vom Mythus unterscheidet sich ja die Ostergeschichte formell und sachlich dadurch, daß sie von einem konkreten, irdischen Menschen redet. Die Berichte von ihm reden aber im Stil, und das heißt in der Freiheit, in der phantasierenden und dichtenden Gestaltungsart und in der Dunkelheit der geschichtlichen Sage. Sie beschreiben ja wirklich ein Geschehen, das historischer Erforschung und Darstellung unzugänglich ist. Und das bedeutet dass man gar nicht versuchen darf, hier zu examinieren und zu harmonisieren.“ Ein weiteres Mal begegnet die doppelte Abgrenzung der Osterberichte vom Mythos sowie von der historischen Geschichtsschreibung in KD IV/1, 370 f. 99 Wie bisher wird auch im Folgenden – außer in Zitaten – die heute gebräuchliche gräzisierte Bezeichnung als „Mythos“ verwendet. 100 Hier wird der Unterschied zwischen Barth und Gunkel hinsichtlich der Funktion der Gattungsbestimmung von Gen 1 – 2 deutlich. Für Gunkel ist das Gegenbild zur Sage nicht in erster Linie der an zeitlosen Wahrheiten interessierte Mythos, sondern zunächst die „strenge Geschichtsschreibung“, vgl. ders., Genesis, VII. Eine Parallele ergibt sich dagegen zwischen den Gattungsdefinitionen von Barth und Baumgartner : Auch Baumgartner unterstreicht, dass Sagen an „bestimmter Oertlichkeit“ haften und „in bestimmter Zeitlichkeit“ spielen, vgl. ders., Sagen und Legenden, 41, bzw. Märchen, 1824. Angesichts dieses Befundes wird man dem Urteil Links, der Barths Gattungsbezeichnung als eine „einsame hermeneutische Tat“ […] auf dem Höhepunkt des historisch-kritischen Bewußtseins“ bezeichnet (vgl. Link, Schöpfung, 281) nur bedingt zustimmen.

180 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Naturgesetze nachwirkt, sondern sie berichten von Gottes einmaligem Handeln am Anfang, das zugleich den Beginn seines fortlaufenden Schöpferhandelns in weiteren einmaligen, nicht von vornherein festgelegten Schöpfungswerken markiert. Diese wiederum bilden keinen Gegensatz zu den einmaligen Handlungen des Menschen als Gottes Geschöpf, sondern ermöglichen vielmehr, dass auch der Mensch (im Rahmen seiner geschöpflichen Grenzen) sein Leben und nicht zuletzt die Beziehung zum Schöpfer als eine Folge freier Handlungen und Entscheidungen erlebt und gestaltet. Die biblische Sage ist damit „grundsätzlich nach vorne“ bzw. auf die Zukunft hin ausgerichtet.101 Die Besonderheit der biblischen Schöpfungsberichte als Sagen zu erfassen heißt nach Barth nichts anderes, als den in ihnen handelnden Gott als den „eigenen Gott [zu] kennen und also an der auf die Schöpfungsgeschichte folgenden Bundesgeschichte als Bundesgenosse mit Bewusstsein beteiligt [zu] sein“ (101). 2.2.1.3 Sage versus historische Geschichtsschreibung Ein zweiter wichtiger Aspekt von Barths Definition der Sage besteht in der Betonung, dass es sich in einer Schöpfungssage um ein „dichterisch entworfenes Bild“ handle, bei dem die „Phantasie“ (99) der biblischen Schreiber ihre legitime Rolle gespielt habe. Die Gattung der Sage wird damit von Barth abgegrenzt gegenüber einer Geschichtsschreibung, die den Kriterien der modernen Geschichtsforschung zu genügen hat. Die biblischen Schöpfungssagen können diesen Kriterien aus den bereits genannten Gründen102 nicht genügen, sie müssen es aber auch nicht. Die Frage nach der „Historizität“ der biblischen Sagen wird vielmehr als unsachgemäß zurückgewiesen. Barth hält es für eine „im Grunde nur lächerliche, nur bourgeoise Gewohnheit des gerade in seiner Phantasielosigkeit höchst phantastischen, modern abendländischen Geistes“, wenn die theologische Aussagekraft einer „unhistorischen Darstellung und Beschreibung der Geschichte“ (87) deshalb als geringer eingeschätzt wird, weil sie dem Anspruch wissenschaftlicher Geschichtsschreibung nicht entspricht. Zwei Argumente Barths sind in diesem Zusammenhang zu unterscheiden. Zunächst verweist er, wie bereits erwähnt, darauf, dass die biblischen Schöpfungserzählungen „ihrem Wesen nach ganz und gar unhistorisch“ (86, Hervorhebung: G.B.) seien. Als Zeugnisse prähistorischer Ereignisse, für die es keine menschlichen Zeugen gebe, sträubten sich die Genesiserzählungen von vornherein gegen eine historische Bewertung. „Schöpfer und Geschöpf stehen sich in ihr nur unmittelbar gegenüber“ (87), deshalb greife die Frage nach ihrer historischen Aussagekraft zu kurz. Darüber hinaus stellt Barth aber auch den Anspruch in Frage, mit Hilfe

101 Link, a. a. O., 282. 102 Vgl. die Ausführungen über die „Zeit der Schöpfung“ in Abschnitt 2.2.1.1.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

181

historischer Forschung überhaupt zu objektiven Urteilen über die Faktizität vergangener Ereignisse zu gelangen. [G]erade in ihrer Unmittelbarkeit zu Gott ist sogar alle Geschichte unhistorisch, d. h. unableitbar und unvergleichlich und darum unanschaulich, nicht wahrnehmbar und nicht begreifbar – das Alles ohne darum aufzuhören, wirkliche Geschichte zu sein. (87)

In dieser theologisch zugespitzten Variante geschichtswissenschaftlicher Skepsis reiht Barth sich ein in die im 20. Jahrhundert einflussreiche Tradition der Infragestellung historiographischer Objektivitätsansprüche.103 Zugleich knüpft er an die Kritik an, die er in seiner Schriftlehre gegenüber der (exegetischen) Geschichtsforschung seiner Zeit übt.104 Wo diese das Ziel verfolgt, sich ein objektives Bild von Ereignissen der Vergangenheit zu machen und entsprechende historische Urteile fällt, verkennt sie nach Barths Auffassung, dass die Geschichte einer solchen objektiven Betrachtung nicht zugänglich ist.105 Eine Weiterführung erfährt diese Kritik in Barths Auseinandersetzung mit dem Entmythologisierungsprogramm R. Bultmanns im zweiten Band der Schöpfungslehre.106 Eines der wesentlichen „Axiome“ von Bultmanns Hermeneutik erkennt Barth in der Annahme, „daß man ein angeblich in der Zeit geschehenes Ereignis dann und nur dann als wirklich geschehen anerkennen kann, wenn man in der Lage ist, nachzuweisen, daß es ein ,historisches Faktum‘ ist“. (KD III/2, 535) Als „wirklich geschehen“ könne demnach nur ein solches Ereignis gelten, welches „mit den Mitteln und Methoden und vor allem auch unter den stillschweigenden Voraussetzungen der modernen historischen Wissenschaft“ als historische Tatsache festgestellt werde.107 Barth lehnt dieses „Axiom“ ab und verweist darauf, dass Großteile der biblischen Geschichtserzählung sich aus sachlichen Gründen einer solchen historischen Beurteilung entziehen. Stattdessen macht er sich für eine Unterscheidung zwischen „historischen“ und „geschichtlichen“ Phänomenen stark und zählt zu Letzteren nicht nur die 103 Vgl. Noiriel, Die Wiederkehr der Narrativität, 358 – 360, sowie als einen der bedeutendsten Vertreter jener Infragestellung P. Ricœur, Geschichte und Wahrheit, 39 – 64. Interessanterweise findet sich bei Ricœur – bzw. in der Übersetzung seiner Werke – auch eine prominente Aufnahme des für Barths Definition der Sage konstitutiven Begriffs der „Phantasie“, vgl. Ricœur, Zeit und Erzählung III, 294 – 306. Ricœur erläutert in diesem Zusammenhang die grundlegende Bedeutung der Phantasie (im französischen Original wird der Begriff „l’imaginaire“ verwendet, vgl. Ricœur, Temps et rxcit, 265 – 275) bei der Entstehung aller Geschichtsschreibung. 104 Vgl. Teil A, Abschnitt 5.2. 105 Entsprechend formuliert U. Schnelle für die exegetische Forschung der Gegenwart: „Nicht das wirkliche Geschehen ist uns zugänglich, sondern nur die […] verschiedenen Deutungen vergangener Ereignisse“. Schnelle, Exegese, 1785. 106 KD III/2, 531 – 537. 107 KD III/2, 535.

182 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Kirche (so auch Bultmann108), sondern „in eminentem Sinn“ auch die Auferstehung Jesu.109 Die Schärfe der Kritik, die Barth in diesem Zusammenhang an der historischen Forschung seiner Zeit und ihrem Streben nach objektiver Geschichtsdarstellung übt, verstärkt natürlich den Eindruck, Barth habe die zu Beginn dieses Kapitels erwähnte „schiedlich-friedliche Trennung“ der Wissenschaften eher befördert als bedauert. Gleichwohl ist das Anliegen zu würdigen, das Barth verfolgt: Die Charakterisierung der biblischen Schöpfungsberichte als Sagen im Gegensatz zu historischer Geschichtsschreibung zielt letztlich darauf ab, diese von den Ansprüchen moderner Geschichts- oder Naturwissenschaften zu befreien und sie stattdessen in ihrer eigenen Sprache und mit ihrem eigenen Wahrheitsanspruch von der Erschaffung der Welt erzählen zu lassen. Gerade so können die Schöpfungsberichte nach Barths Ansicht Zeugnis geben vom Schöpfer, der sich in der Schöpfung seinen Geschöpfen gnädig zuwendet und den „Boden“ (150) für die nun anhebende Bundesgeschichte legt.110 2.2.1.4 Sage und Inspiration Der letzte Aspekt, der bezüglich Barths Definition der Sage unterstrichen werden muss, bezieht sich auf den Begriff „divinatorisch“. Was bedeutet es, dass Barth von einem „divinatorisch-dichterischen Bild“ spricht? Ist auf den Inhalt der Erzählung angespielt oder auf dessen Entstehung? Für die erste Möglichkeit spricht die vorläufige Definition, mit der Barth den Begriff der „Divination“ versieht: „Divination heißt: die Schau des der historischen Geschichte vorangehenden geschichtlichen Werdens, das sich aus dem Gewordenen, in welchem sich die historische Geschichte abspielt, erraten lässt.“ (90) Dass solches „Erraten“ jedoch nicht allein nach Gutdünken der biblischen Autoren geschah und somit der Aspekt des „Divinatorischen“ durchaus auch die Entstehung der biblischen Sagen umfasst, wird im Folgenden deutlich, wenn Barth davon spricht, dass die „Phantasie“ der biblischen Autoren der „Leitung und Disziplinierung durch ihren Gegenstand“ (101) unterworfen sei. Dieser Gegenstand aber ist niemand anders als „Gott der Herr, nämlich der 108 Vgl. ders., Neues Testament und Mythologie, 68. 109 KD III/2, 535. Die Unterscheidung zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und Historizität im Zusammenhang der Auferstehung Jesu nimmt in jüngerer Zeit u. a. I. Dalferth vor, wenn er die – an G. Lüdemann kritisch gerichtete – Frage stellt, ob „etwa nur historische Forschung Wirklichkeit“ erschließe. Dalferth, Volles Grab, 279. 110 Der Verzicht auf „Apologetik und Polemik“ (Vorwort) in KD III/1 entspricht dem in der Anselmschrift entworfenen Programm, nach welchem Theologie als fides quaerens intellectum zu geschehen habe. Hier erläutert Barth ausführlich, dass der Glaubende im Gespräch mit dem „Gottesleugner“ diesem zuliebe den „eigenen Boden“ des Glaubens gerade nicht verlassen dürfe (FQI, 59 – 72). Wer von der „ratio fidei“ ergriffen ist, sei vielmehr aufgefordert, „diese ratio fidei nach bestem Wissen und Gewissen an Hand der Offenbarungsdokumente zu erforschen, bzw. sie als erforschte vor den Augen des Anderen auf den Plan zu führen, damit sie daselbst für sich selber rede, selber zu ihm rede“ (FQI, 64).

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

183

Schöpfer des Himmels und der Erde“ (100). Diesem Gott sind die Schreiber der biblischen Schöpfungssage „begegnet“, und das hat sie dazu gebracht, ihre Sagen zu konzipieren. Barth betont zwar, dass dies „nicht ohne Zusammenhang [ihrer] Anschauungswelt mit der des übrigen Orients“ geschehen sei, noch wichtiger ist ihm jedoch, dass der Gott, den die biblischen Autoren als Bundesgott Israels und ihren „eigenen Gott kennen“ gelernt hätten, sie zu der Erkenntnis seiner Schöpfertätigkeit gebracht und sie noch in der „Hervorbringung“ (ebd.) ihrer Sagen durch seinen Geist angeleitet habe. Entsprechend seiner Inspirationslehre in KD I/2 erweitert Barth diesen Gedanken sogleich, indem er in den Prozess der Inspiration auch die Leser und Hörer der Schöpfungssagen mit einschließt: Wo nicht der Geist selber, der zu den biblischen Schriftstellern gesprochen hat, auch zu ihren Hörern und Lesern spricht, wo die Inspiration der Schriftsteller nicht durch Inspiration der Leser und Hörer offenbar und erkannt wird, da könnte auch hier […] sicher kein wesentlicher […] Unterschied der biblischen Zeugnisse von allerlei anderem Zeugnis sichtbar werden. (101)

Nicht erst das Stichwort „Inspiration“ macht darauf aufmerksam, dass Barth in diesem Zusammenhang eine Anwendung seiner Lehre von der dreifachen Inspiration der Schrift vornimmt (vgl. KD I/2, 571 – 585).111 Umschreibt die erwähnte „Leitung und Disziplinierung“ der biblischen Schriftsteller die zweite Gestalt der Inspiration, die bei der konkreten Entstehung der biblischen Texte mit im Spiel war, so entspricht jenes vorausgehende „Kennen“ des Bundesgottes in Form des eigenen Beteiligtseins an dessen Bundesgeschichte dem, was in KD I/2 als die erste Gestalt der göttlichen „Inspiration“ beschrieben wurde. Und schließlich stimmt die zum wahren Verstehen der Botschaft von Gen 1 – 2 notwendige „Inspiration der Leser und Hörer“ exakt mit der in der Schriftlehre dargestellten und besonders betonten dritten Gestalt überein, in der sich die Inspiration der Schrift nach Barth verwirklicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gattungsbestimmung der biblischen Schöpfungserzählungen als „Sagen“ nicht etwa „ein Zeichen von Hilflosigkeit oder auch von Desinteresse an solchen Kategorisierungen“ darstellt,112 sondern im Gegenteil geradezu eines der herausragenden und innerhalb der exegetischen Exkurse in der KD vergleichsweise seltenen Beispiele für eine exegetische Entscheidung darstellt, welche nicht nur gründlich reflektiert, sondern auch explizit erläutert wird.113

111 Vgl. die ausführliche Besprechung in Teil A, Abschnitt 3.4. 112 So D. Ritschl, Theologie ist explikativ, 33. 113 Vgl. hierzu ausführlich Teil C, Abschnitt 3.2.

184 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) 2.2.2 Der religionsgeschichtliche Vergleich: Gen 1 – 2 und die Schöpfungsmythen Wie bereits erwähnt, geht Barth selbstverständlich davon aus, dass die biblischen Erzähler ihre Sagen im „Zusammenhang [ihrer] Anschauungswelt mit der des übrigen Orients“ entworfen haben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Barth den Einfluss der altorientalischen Mythen auf die biblischen Schöpfungssagen insgesamt als eher gering einschätzt. Zwar nimmt er sich ausgiebig Zeit, um den babylonischen Epos Enuma Elisch nachzuerzählen (95 – 97). Zuvor stellt er jedoch als Konsens der „Fachforschung“114 die These in den Raum, daß eine direkte Abhängigkeitsbeziehung zwischen jenen Texten und Gen 1 – 2 nicht in Frage komme, sondern nur die Gemeinsamkeit einer noch älteren Überlieferung, auf die Gen 1 – 2 und jene babylonischen Texte zurückgehen. (95)

Wichtiger als diese literarkritische Vermutung ist für Barth jedoch die inhaltliche Beobachtung, dass „das Thema des babylonischen Mythus ein anderes ist als das der biblischen Sage“ (ebd.). Eigentlich handle es sich bei Enuma Elisch nicht um eine „Schöpfungsgeschichte“, sondern um „eine Darstellung des immer wiederkehrenden […] Wandels der Verhältnisse innerhalb des gewordenen und seienden Kosmos“ (ebd.). Hinzu komme, dass der Mensch im Mythos „bei sich und in seiner Welt“ (93) bleibe, während die biblischen Schöpfungssagen „wirklich von Gottes Schöpfung“ (94) redeten.115 Der Begriff des „Schöpfungsmythus“ sei insofern ein Widerspruch in sich selbst (ebd.). Diese Beobachtung sieht Barth durch die Nacherzählung von Enuma Elisch bestätigt, in deren Anschluss er den Unterschied folgendermaßen auf den Punkt bringt: Was unterscheidet ihn [den Menschen] hier eigentlich und letztlich von diesen Göttern? Und was unterscheidet diese Götter eigentlich und letztlich von gigantischen aber schattenhaften Projektionen menschlicher Erfahrungen und Nöte, 114 Barth verweist auf die Kommentare von Delitzsch (vgl. ders., Genesis, 40 f) und Gunkel (vgl. ders., Genesis, 119 f). 115 Interessanterweise definiert Rühle genau umgekehrt: „der M[ythos] ist religiöser Natur ; Märchen und Sage haben mit Religion nichts zu schaffen“, vgl. RRhle, Mythus und Mythologie, 376. An diesem Widerspruch ändert natürlich auch nichts die Tatsache, dass Barth diesem Satz wörtlich sogar zustimmen würde, weil er in der Regel einen anderen (negativeren) Religionsbegriff verwendet als Rühle. Sachlich besteht der Gegensatz freilich sehr wohl, da Rühle Texte wie Gen 1 – 2 gerade nicht unter den Begriff der Sage fassen möchte. Ebenso Baumgartner, Märchen, 1824: „[I]m Mythus reden und handeln Götter, in M[ärchen] und Sage Menschen“. Anders wiederum Gunkel, Sagen und Legenden, 50, der die Rede „von der Gottheit“ für ein „deutliches Kennzeichen der S[age]“ hält.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

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Kämpfe und Leiden, Hoffnungen und Möglichkeiten – was die babylonische Gottheit vom babylonischen König, vom babylonischen Menschen? (97)

Gen 1 – 2 wisse demgegenüber als Zeugnis von Gottes Selbstoffenbarung um das Gegenüber zwischen Gott und Mensch, das eine echte „Begegnung“ (100) erst ermögliche. Die insgesamt skeptische Einschätzung Barths bezüglich des Einflusses der altorientalischen Schöpfungsmythen auf die Entstehung von Gen 1 – 2 findet ihre Entsprechung in den religionsgeschichtlichen Vergleichen, die Barth im Lauf seiner Auslegung immer wieder einfließen lässt. Zwar verzichtet er nicht darauf, thematische Bezüge zu den verschiedenen Mythen herzustellen, das Ergebnis ist jedoch ausnahmslos negativ. In der Regel dient der religionsgeschichtliche Vergleich dazu, einzelne Aussagen der biblischen Schöpfungssagen im Kontrast zu den Überzeugungen von Israels Nachbarreligionen umso pointierter herauszuarbeiten. So betont Barth etwa in der Auslegung zur Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen, dass hier gegenüber den altorientalischen Mythen eine „Degradation der Gestirne“ (179) geschehe. Barth vergleicht die Schilderung in Gen 1,14 – 19 zunächst mit dem persischen Bundehesch-Mythos und stellt fest, dass die Erschaffung der Gestirne in jenem Mythos einen ganz anderen Zweck verfolge als in der biblischen Erzählung, nämlich den „Versuch wissenschaftlicher Welterklärung“ (182). In den Vorstellungen der ägyptischen Schöpfungsmythen sei die Erschaffung von Sonne und Mond dagegen als ein „Vorgang in der innergöttlichen Hierarchie“ verstanden worden, indem hier „der Sonnengott Re den Tot zum Mondgott und als solchen zu seinem Stellvertreter […] einsetzt“ (182). Schließlich betont Barth, dass auch in Enuma Elisch „bei der Gestirnsschöpfung ein metaphysisches Problem im Vordergrund zu stehen scheint“, nämlich die Frage nach dem „Aufenthaltsort der großen Götter Anu, Enlil und Ea“ (ebd.). Im Übrigen sei der babylonische Mythos nicht an der Scheidung von Tag und Nacht, sondern vielmehr an der Einteilung der Zeit nach Monaten, also an der Entstehung der „Mondphasen“ (ebd.) interessiert. Ein ähnliches Vorgehen, bei dem die altorientalischen Schöpfungsmythen als Kontrast zu den Aussagen der biblischen Sagen dienen, findet sich auch in Bezug auf die Schöpfung durch das Wort (124 f), die Erschaffung des Lichts (132) sowie die Erschaffung des Menschen nach Gen 2,7 (275). In jedem dieser Fälle betont Barth, dass ein thematischer Bezug zu den heidnischen Mythen zwar nicht zu leugnen sei, zugleich aber durch die biblischen Erzähler eine Umdeutung jener Mythen „bis zur Unkenntlichkeit“ (124) stattgefunden habe. Wesentlich mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten entdeckt Barth in seinen motivgeschichtlichen Untersuchungen, die sich ebenfalls in jedem der genannten Beispiele an den religionsgeschichtlichen Vergleich anschließen. Hierbei kommen insbesondere die alttestamentlichen Psalmen häufig zu Wort, nicht selten verweist Barth jedoch auch auf neutestamentliche Stellen, in

186 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) denen etwa die Schöpfung durch das Wort, die Bedeutung des Lichts oder die Erschaffung des Menschen aus Staub thematisiert wird.116 Beides, die Skepsis gegenüber einer Überschätzung des Einflusses der Nachbarreligionen auf die Schöpfungssagen der Genesis wie auch das Herausstellen von innerbiblischen Bezügen, wirft ein interessantes Licht auf Barths Verständnis der Autorität des biblischen Kanons. Es wird deutlich, dass die inhaltliche Begründung der Kanonautorität in KD I/2117 in der Auslegungspraxis sehr formale Züge annehmen kann. Mit den Worten von Barths Schriftlehre geredet: Wo sich die Sache der Schrift – nämlich die Selbstoffenbarung des Wortes durch den Geist – ereignet und den Ausleger ergriffen hat, da sieht sich der Ausleger in der Folge an den Kanon dieser Schrift gebunden. Dies hat zur Folge, dass er sich eine Erhellung der Bedeutung einzelner Abschnitte eher durch innerbiblische Bezüge als durch außerbiblische Vergleiche verspricht. Dass es sich in diesem Vorgehen nicht um eine starre Formalität handelt, wird freilich daraus ersichtlich, dass Barth auf eine inhaltliche Prüfung der außerbiblischen Parallelen keineswegs verzichtet, sondern durchaus den Anspruch hat, die Schwerpunktverlagerung in Richtung der innerbiblischen Parallelen inhaltlich plausibel zu machen. Es kann nicht geleugnet werden, dass Barth sich mit dem Aufzeigen innerbiblischer Parallelen einerseits auf einem „sichereren“ Boden befindet als die religionsgeschichtlichen Forschungen. Hierfür spricht nicht nur die offensichtliche Beeinflussung späterer biblischer Autoren durch frühere, sondern auch die Rezeption der biblischen Texte innerhalb derselben jüdischen bzw. christlichen Kultgemeinde. Andererseits handelt sich Barth durch sein Vorgehen auch neue Probleme ein, etwa in der noch zu besprechenden Verbindung zwischen den Berichten der Genesis und den neutestamentlichen Stellen zum Verhältnis zwischen Mann und Frau.

2.3 Schöpfung und Bund 2.3.1 Das Doppelverhältnis zwischen Schöpfung und Bund Wer sich innerhalb der umfangreichen Auslegung der biblischen Schöpfungssagen in KD III/1 zurechtfinden und zu einer sachgemäßen Darstellung der wichtigsten inhaltlichen Aussagen im Zusammenhang gelangen will, ist 116 Zur Erschaffung der Gestirne erwähnt Barth einerseits Ps 104,19; Ps 19; Jer 31,35 f u. a., in denen die Gestirne als Geschöpfe Gottes bezeichnet werden, sowie andererseits Dtn 4,19 u. a., wo ausdrücklich vor einem Gestirnskult gewarnt wird (182 – 184). Zur Schöpfung durch das Wort verweist Barth auf zahlreiche alt- und neutestamentliche Parallelen wie etwa Ps 33,6 – 9 und 2 Kor 4,6 (125 f), ebenso zur Erschaffung des Lichts, wo u. a. Joh 1,4 – 9 sowie Ps 119,105 genannt werden (133 f). Die Erschaffung des Menschen aus Staub lässt Barth schließlich an Hiob 19,25; Röm 4,17; Ps 104,27 f u. a. denken (276 – 278). 117 Vgl. Teil A, Abschnitt 3.1.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

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darauf angewiesen, auf die Struktur zu achten, an der sich Barths Auslegung orientiert. Das entscheidende strukturgebende Element für die Auslegung von Gen 1 – 2 ist zweifellos das Doppelverhältnis zwischen Gottes Schöpfung und Gottes Gnadenbund, durch das die Schöpfung zugleich unzweideutig als eine göttliche Wohltat charakterisiert wird.118 Das Doppelverhältnis zwischen Schöpfung und Bund kommt dadurch zustande, dass einerseits die Schöpfung als der „äußere Grund des Bundes“ (105) bzw. „seine technische Ermöglichung“ (107) und andererseits der Bund als der „innere Grund der Schöpfung“ (261) bzw. als die „materiale Voraussetzung“ (262) der Schöpfung beschrieben wird.119 Strukturgebend für die gesamte Auslegung wird dieses Doppelverhältnis dadurch, dass für Barth die erste Verhältnisbestimmung („Die Schöpfung als äußerer Grund des Bundes“) das Thema von Gen 1,1 – 2,4a darstellt, während die zweite Verhältnisbestimmung („Der Bund als innerer Grund der Schöpfung“) das Thema von Gen 2,4b–25 ausmacht. Für die Beschreibung des reziproken Verhältnisses der beiden Schöpfungssagen bedeutet dies zunächst, dass Barth die Unterschiedlichkeit der beiden Sagen anerkennt und davon ausgeht, „daß sie ursprünglich von verschiedener Herkunft sind“ (86 f). Noch wichtiger ist ihm jedoch, dass sich beide Sagen in ihrer Aussageintention komplementär zueinander verhalten, so dass jede der beiden Sagen als unverzichtbarer Bestandteil eines übergeordneten Zusammenhangs betrachtet werden kann. Ihre Zusammenstellung innerhalb des alttestamentlichen Kanons wird damit grundsätzlich als sinnvoll gewürdigt.120 Als wenig hilfreich betrachtet Barth dagegen Überlegungen, die eine Konkurrenz zwischen den beiden Sagen aufmachen. So kritisiert er die „mit der bekannten Quellenscheidungshypothese oft verbundenen Wertun-

118 Vgl. die Formulierung der Überschriften zu den beiden Abschnitten in KD III/1, die die Auslegung der beiden Schöpfungssagen beinhalten: „Die Schöpfung als äußerer Grund des Bundes“ (§ 41,2) sowie „Der Bund als innerer Grund der Schöpfung“ (§ 41,3). 119 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Barth den „inneren Grund des Bundes“ im Anschluss an die Ausführungen über die Wirklichkeit Gottes (vgl. KD II/1, 288 – 361) in der freien Liebe Gottes selbst erblickt. Die innere Logik der Heilsgeschichte verläuft also nach Barth folgendermaßen: Weil Gott sein Geschöpf in Freiheit liebt, darum wollte er die in Christus ermöglichte und vollbrachte Gemeinschaft mit seinem Geschöpf. Und weil er die in Christus ermöglichte und vollbrachte Gemeinschaft mit seinem Geschöpf wollte, darum hat er es am Anfang der Zeit erschaffen. Eine hilfreiche begriffliche Präzisierung führt W. Härle ein, indem er Barths Unterscheidung zwischen dem „ewigen Bund“ und der „Geschichte des Bundes“ auf Barths Beschreibung des Doppelverhältnisses zwischen Schöpfung und Bund anwendet. Wenn Barth vom Bund als innerem Grund der Schöpfung spricht, meint er, so Härle, den ewigen Bund. Spricht er dagegen von der Schöpfung als äußerem Grund des Bundes, dann ist die Geschichte des Bundes gemeint. Vgl. HQrle, Sein und Gnade, 74. 120 Barth geht dabei so weit, auch die spätere Einteilung der Kapitel von Gen 1 – 2, durch welche die erste Sage unterbrochen bzw. die Sabbatruhe Gottes an den Anfang der zweiten Sage gestellt wird, als einen „beachtliche[n] Kommentar“ zu würdigen (240). Vgl. dagegen die Kritik dieser „ärgerlich[en]“ Einteilung bei Jacob, Genesis, 64.

188 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) gen und Abwertungen (Gunkel!)“ (87),121 in denen eine Sage gegen die andere ausgespielt wird. In den folgenden Abschnitten soll gezeigt werden, wie Barth die oben beschriebene Zuordnung der beiden Schöpfungssagen zu den beiden Aspekten des Doppelverhältnisses zwischen Schöpfung und Bund exegetisch zu begründen versucht. Dabei sind vor allem drei Argumente von Bedeutung. Zum einen nimmt Barth die aus der Auslegungsgeschichte bekannte Metapher des Hausbaus zur Charakterisierung der ersten Sage auf. Diese Metapher entspricht nach seiner Auffassung dem ersten Aspekt des Doppelverhältnisses zwischen Schöpfung und Bund, nach dem die Schöpfung als „technische Ermöglichung“ des Bundes gilt. Durch die Schöpfung wird – metaphorisch gesprochen – das Haus gebaut, in dem sich die Geschichte des Bundes abspielen soll. Bezüglich der zweiten Sage betont Barth, dass hier der Schöpfer von Anfang an mit dem Namen des Bundesgottes Jahwe bezeichnet wird, so dass der Bund als innerer Grund der Schöpfung von vornherein im Blick ist. Diesen beiden einzelnen Beobachtungen entspricht schließlich die von Barth konstatierte je unterschiedliche Dynamik, die sich durch die beiden Schöpfungssagen zieht und die Barth in seiner Auslegung wiederzugeben versucht. Die Botschaft, dass die Schöpfung um des Bundes willen geschieht und dessen Logik folgt, wird in der ersten Sage, so Barth, erst nach und nach in einem klimaktischen Prozess kommuniziert, während dieselbe Botschaft in der zweiten Sage von Beginn an deutlich vor Augen steht.

2.3.2 Die Schöpfung als Hausbau in der ersten Sage Barth unterstreicht seine These, nach der die erste Schöpfungssage den Fokus stärker darauf richtet, dass die Schöpfung der äußere Grund des Bundes ist, indem er ihr die Metapher des Tempel- bzw. Hausbaus zuordnet. Wie die Errichtung und Ausstattung eines Hauses nach einer bestimmten Ordnung geschehe, so werde in Gen 1,1 – 2,4a die Schöpfung „als das Werk einer gewaltigen, aber planmäßigen, völlig durchdachten und auch völlig übersichtlichen Zurüstung“ (107) beschrieben. Erst ganz am Ende werde in der Sabbatruhe, die Gott gemeinsam mit seinen Geschöpfen hält, als dem „Höhe- und Schlusspunkt der ersten Schöpfungsgeschichte“ der Bund der Gnade „gerade noch sichtbar“ (108). 121 Dass Barths Kritik sich explizit gegen Gunkel richtet, wird diesem freilich nicht ganz gerecht. Zwar unterscheidet sich Gunkels Lobrede auf die zweite Sage und deren ästhetische Schönheit (vgl. Gunkel, Genesis, 27) deutlich von der Einschätzung der ersten Sage (vgl. ders., a. a. O., 117). Allerdings folgt auf die Kritik am Verfasser der ersten Sage („Er ist kein Dichter, der es versteht, lebendig aufzufassen und anschaulich zu beschreiben“) sogleich das Lob, dass sich sein Werk durch einen „wissenschaftlich exakten Aufbau“ auszeichne, „der in seiner Art allen Respekt verdient“ und „etwas von lapidarer Größe“ habe (ebd.).

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

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Wie kommt Barth dazu, das in der ersten Schöpfungssage beschriebene Geschehen mit einem Hausbau zu vergleichen? Hier ist zunächst auf eine Beobachtung zum inneren Aufbau der sechs Schöpfungstage zu verweisen. Barth macht darauf aufmerksam, dass die ersten drei Tage der Schöpfung mit den Tagen vier bis sechs in einer paarweisen Korrespondenz stehen: Der Erschaffung des Lichts am ersten Tag korrespondiert die Erschaffung der Gestirne am vierten Tag (174), der Scheidung der Wasser mit der Erschaffung des Himmels am zweiten Tag entspricht die Erschaffung der Vögel und Fische am fünften Tag (187 f), dem doppelten Werk der Scheidung zwischen Land und Meer und der Erschaffung der Pflanzen am dritten Tag entspricht das doppelte Werk der Erschaffung der Landtiere und der Menschen als Bewohner des Landes am sechsten Tag (197 f).122 Das nähere Verhältnis zwischen den paarweise angeordneten Schöpfungswerken sieht Barth dergestalt beschrieben, dass an den ersten drei Tagen der Lebensraum geschaffen wird, der später durch die Gestirne, die Vögel und Fische bzw. die Landtiere und Menschen ausgestattet und bevölkert wird. Auf die Errichtung des Hauses an den Tagen eins bis drei folgt an den Tagen vier bis sechs die jeweils entsprechende „wohnliche Ausstattung dieses Hauses“ (159) bzw. der Einzug seiner Bewohner. Schematisch lässt sich diese Anordnung folgendermaßen darstellen: Tag 1: Scheidung von Licht und Finsternis

Tag 4: Erschaffung der Gestirne

Tag 2: Scheidung der Wasser oberhalb und Tag 5: Erschaffung der Vögel und der unterhalb der Himmelsfeste Wassertiere Tag 3: Scheidung von Festland und Meer ; Erschaffung der Pflanzen

Tag 6: Erschaffung der Landtiere; Erschaffung der Menschen

Zur Errichtung des Weltenhauses gehört auch, dass dieses seine Bewohner ernähren kann, weshalb es nach Barth folgerichtig ist, dass die Pflanzenwelt bereits am dritten Tag, dem „Tag der Erde als Wohn- und Lebensraum“ (170), geschaffen wird. Dem entspricht die Erlaubnis an den Menschen am sechsten Tag, von den Pflanzen der Erde zu essen. Es ist, so Barth, ein „unerschütterlich aufgerichtetes Zeichen“ der Gnade Gottes, daß der Kosmos ein Haus ist, das dazu zubereitet ist, seiner [des Menschen] und seiner Mitgeschöpfe Notdurft Genüge zu tun, ihn und sie zu ernähren und also,

122 Barth widerspricht damit der These Gunkels (vgl. ders., Genesis, 118), nach der die erste Schöpfungssage ursprünglich in acht Tage gegliedert war. Nach Gunkel wurde die ursprüngliche Ordnung von P „zerstört“. Dem widerspricht Delitzsch, der aufgrund der auch von Barth festgestellten Symmetrie zwischen den Tagen 1 und 4, 2 und 5 sowie 3 und 6 der Meinung ist, die Anordnung in sechs Tagen habe „mehr Verstand“. Delitzsch, Genesis, 44.

190 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) nachdem ihnen ihre Existenz gegeben ist, auch ihre Fortexistenz […] sicherzustellen. (233)

Indem Barth die Metapher vom Hausbau in seiner Auslegung der ersten Sage betont,123 stützt er seine These, dass die erste Sage den formalen Aspekt des Doppelverhältnisses zwischen Schöpfung und Bund im Blick habe, während die zweite Sage den inhaltlichen Aspekt dieses Verhältnisses betone. Formal betrachtet setzt der Bund die Schöpfung voraus, um sich in ihr als Geschichte abspielen zu können. Mit Barths Worten gesprochen: Es wird in der Schöpfung – konkret: in der Erschaffung des Landes am dritten Tag – der „Boden“ unaufhebbar gelegt, „auf dem Gott dem Geschöpf in seiner Offenbarung begegnen und auf dem es seiner Offenbarung Glauben schenken kann.“ (150) Die Metapher vom Hausbau ist keine Erfindung Barths, sondern blickt auf eine lange Tradition innerhalb der Auslegungsgeschichte von Gen 1 zurück.124 Es ist anzunehmen, dass Barth sie dem Kommentar von B. Jacob entnommen hat, der die Schöpfung nach Gen 1 ein „Weltenhaus“ nennt,125 das Gott dem Menschen „baut und einrichtet“.126 Die Besonderheit von Barths Auslegung besteht nicht nur darin, dass er gegenüber Jacob eine andere Zuordnung der einzelnen Tage vornimmt,127 vielmehr zeichnet sich Barths Auslegung dadurch aus, dass sie die Metapher vom Hausbau gezielt einsetzt, um die These von der Schöpfung als äußerem Grund des Bundes exegetisch zu untermauern.

123 Ein weiterer Beleg findet sich im Zusammenhang der Erschaffung des Menschen, auf den, so Barth, die gesamte Schöpfung gezielt habe „als den Bewohner des von Gott begründeten und ausgerüsteten Hauses“ (203). 124 Vgl. etwa Luther, In Genesin declamationes, WA 24, 58,24 – 27: „Am letzten tage machet er [Gott] den menschen, aber zuvor bawet er yhm ein haus, machet yhm das liecht an hymel, das er sehen kann, scheydet das wasser von der erden, das er rawm hat darauff zu wonen, und schmuecket sie umb seinet willen mit allerley gewechsse“. 125 Jacob, Genesis, 52. 126 Jacob, a. a. O., 19. In den Kommentaren von Delitzsch, Gunkel und Zimmerli, die Barth neben dem von Jacob am häufigsten zitiert, findet sich lediglich ein weiterer Beleg bei Zimmerli, der vom „Prachtbau der Schöpfung“ spricht, ohne die Metapher weiter zu verwenden. Zimmerli, 1. Mose 1 – 11, 88. W. Vischer wählt dagegen in Anlehnung an Herder eine andere Leitmetapher, nämlich die des „Lichtpalastes“. Diesen sieht er zwar ebenfalls „in strenger Architektonik und Symmetrie“ beschrieben, allerdings bedingt die Metapher des Lichtpalastes eine hierarchische – und nicht etwa eine paarweise – Anordnung der einzelnen Schöpfungstage. Vgl. die schematische Darstellung bei Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 58. 127 Für Jacob gehört die Erschaffung der Gestirne am vierten Tag noch zum Bau des Kosmos, so dass der Einzug der Bewohner erst am fünften und sechsten Tag geschieht. Vgl. Jacob, a. a. O., 52. Eine entsprechende Einteilung findet sich bei Janowski, Die Welt des Anfangs, 46, während Seybold wie Barth die Werke der ersten drei Tage und die der Tage vier bis 6 zusammenfasst, vgl. Seybold, Poetik der erzählenden Literatur, 300.

Die Auslegung von Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1)

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2.3.3 Die Verwendung des Jahwe-Namens in der zweiten Sage Wird in der ersten Schöpfungssage das formale Verhältnis zwischen Schöpfung und Bund thematisiert, so konzentriert sich die zweite Sage nach Barths Lesart auf den materialen Aspekt dieses Verhältnisses: Es setzt nicht nur der Bund die Schöpfung als seine „technische Ermöglichung“ (107) voraus, sondern es setzt auch die Schöpfung den Bund als ihren inneren Grund voraus. Dass dieser zweite Aspekt von vornherein das Thema der zweiten Schöpfungssage darstellt, sieht Barth durch die Verwendung des Jahwe-Namens belegt: „Der Schlüssel zu der eigenartigen Orientierung dieser [zweiten] Schöpfungssage liegt bestimmt in der offenbar bewußten Einführung des – Gen. 1 gegenüber neuen – doppelten Gottesnamens Jahve-Elohim.“ (272) Jahwe-Elohim, das ist der Gott, der sich dem Volk Israel am Sinai unter diesem Namen offenbart hat, der es aus Ägypten befreit, einen Bund mit ihm geschlossen und es ins verheißene Land Kanaan geführt hat. Dieser Gott Jahwe, den Israel als seinen Bundesgott kennen gelernt hat, wird in der zweiten Schöpfungssage als der Schöpfer und Herr der ganzen Welt vorgestellt. Für die Erzählung der Schöpfung gilt damit umgekehrt, dass sie von Anfang an um deren Fortsetzung in der Geschichte des Bundes weiß und diese Fortsetzung in ihre Erzählung mit einfließen lässt. „So nahe sind wir hier der nach der Vollendung der Schöpfung beginnenden Bundesgeschichte, daß Gott schon in der Schöpfungsgeschichte diesen Namen tragen muß“ (265) Barth weist darauf hin, dass die Verbindung „Jahwe-Elohim“ außer in Gen 2 nur noch in Ex 9,30 auftaucht, wo Mose dem Pharao und seinen Untertanen vorhält, dass sie „Jahwe-Elohim noch nicht fürchten“ (272). Er hält diese Parallele insofern für aufschlussreich, als es hier wie dort um die Erkenntnis gehe, dass Jahwe, der Bundesgott Israels, und Elohim, der universale Schöpfergott, ein und derselbe ist – freilich mit dem Unterschied, dass den Ägyptern nur Elohim, nicht aber Jahwe bekannt gewesen sei, während die israelitische Gemeinde als ursprüngliche Hörerin der zweiten Schöpfungssage zwar ihren Gott Jahwe gekannt, nicht aber um dessen Identität als Schöpfer gewusst habe (ebd.). Indirekte Parallelen entdeckt Barth in Jes 37,16; 45,18, wo ebenfalls im Blick auf die Schöpfung an die Zusammengehörigkeit der beiden Gottesnamen erinnert wird. Barth erkennt in der Bezeichnung Gottes als Jahwe-Elohim in Gen 2,4b–25 einen deutlichen Hinweis dafür, dass die zweite Schöpfungssage „die Schöpfung vom Bunde her“ versteht, dass sie „die Aufrichtung des göttlichen Rechts“ als des Schöpfers „im Lichte der Offenbarung seines Erbarmens“ (ebd.) beschreibt. So erklärt er sich auch, warum die zweite Schöpfungssage so „anthropozentrisch“ – das Werden des Menschen und seiner Umgebung stehe hier ganz im Mittelpunkt des Interesses – und in ihren Aussagen über Gott so „anthropomorphisch“ (ebd.) rede.

192 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) 2.3.4 Die unterschiedliche Dynamik der beiden Auslegungen 2.3.4.1 Gen 1,1 – 2,4a: „Teleologische“ Schöpfungserzählung Konzentriert sich die erste Sage und mit ihr Barths Auslegung auf den formalen Aspekt des Doppelverhältnisses zwischen Schöpfung und Bund, so bedeutet dies, dass in ihr der inhaltliche Aspekt, demzufolge die Schöpfung den Bund als ihr Ziel voraussetzt, erst nach und nach sichtbar wird. Noch einmal sei an die Metapher des Hausbaus erinnert, die der schrittweisen Erhellung des inhaltlichen Aspekts in der ersten Sage auch in dieser Hinsicht dient: Die Funktion eines Hauses wird in der Regel erst im Verlauf der Errichtung und Ausstattung sichtbar. Ebenso wird auch die inhaltliche Bestimmung der Schöpfung, nämlich ihre Bezogenheit auf den Bund und damit auch ihr eigener Charakter als eine Wohltat nach Barths Auffassung erst im Verlauf der einzelnen Schöpfungstage deutlich. Barths Auslegung der ersten Sage gestaltet sich folglich als ein klimaktischer Prozess, dessen einzelne Stufen im Folgenden kurz skizziert werden. Im Anschluss an Gen 1,1 betont Barth zunächst die All- bzw. Alleinwirksamkeit Gottes (109). Gottes Handeln in der Schöpfung geschieht ohne die Mitwirkung jener Mächte, von denen die altorientalischen Mythen so viel zu berichten wissen.128 Als sprachlicher Beleg dient die Verwendung des im Alten Testament exklusiv für Gottes Handeln gebrauchten Verbs arb (109).129 Mit der Betonung der All- bzw. Alleinwirksamkeit Gottes ist freilich noch nichts über den Charakter von Gottes Schöpferhandeln gesagt. Dies geschieht zum ersten Mal im Anschluss an Gen 1,2: In der Abwehr des „Tohuwabohu“ bzw. des „Chaos“ (112) wird das alles bestimmende Handeln Gottes als ein solches qualifiziert, das grundsätzlich am Wohlergehen des Geschöpfs interessiert ist. Auf die Abwehr des „Tohuwabohu“ folgt innerhalb der ersten drei Schöpfungstage eine Reihe an weiteren göttlichen Scheidungen, die jeweils dazu dienen, einen Lebensraum zu schaffen, in dem der Mensch existieren kann: Gott scheidet zwischen Licht und Finsternis,130 zwischen den Wassern 128 Barth wehrt im Folgenden mehrfach die Vorstellung ab, als werde in der ersten Schöpfungssage von anderen gleichberechtigten Schöpfermächten gesprochen. Dies treffe in Gen 1,2 weder für das „Tohuwabohu“ zu (113) noch für den „Geist über dem Wasser“ (119). Anders als Gunkel (vgl. ders., Genesis, 104) ist Barth der Meinung, dass jener Geist bestenfalls eine „zur Karrikatur [sic] gewordene“ Mythengottheit darstelle (119) und keineswegs eine notwendige „Vorbereitung zu dem v. 3 geschilderten eigentlichen göttlichen Schöpfungsakt“ (118). 129 So bereits Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 52, im Anschluss an Ehrlich, Randglossen I, 1. Vgl. ebenfalls Barths Exkurs zum griechischen Verb jt¸feim (16). 130 Dass die Finsternis in ihrer künftigen Gestalt dem Licht untergeordnet ist, bestätigt sich nach Barth in der Namensgebung in V. 5a, in der ausdrücklich das Licht zuerst „seinen Namen bekommt“ (138). Hinzu komme „die unverkennbare Nuance in der Darstellung der schöpferischen Wirkung dieses Aktes“, dass nämlich das Resultat jener Namensgebung nach V. 5b nicht im „Werden des ersten Tages und der ersten Nacht“, sondern allein im Werden „des ersten Tages“ besteht (ebd.).

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oberhalb und unterhalb der Himmelsfeste,131 zwischen Festland und Meer.132 In all diesen Scheidungen vollzieht sich eine Aktualisierung jener anfänglichen Entscheidung gegen die „Chaoswirklichkeit“ (148, 159).133 Die Erschaffung der Gestirne am vierten Tag fügt sich in die klimaktische Darstellung nahtlos ein. Barth erläutert, dass hier die Erschaffung des Lichtes am ersten Tag der Schöpfung insofern vollendet werde, als nun auch „für den Menschen“ (180) der Unterschied zwischen Licht und Finsternis deutlich werden könne. Der Mensch erkennt erst durch das Werk des vierten Tages bzw. durch die göttlichen „Zeichen“ von Sonne, Mond und Sternen, dass Gott in seiner guten Schöpfung Licht und Finsternis voneinander geschieden hat (179). Die Spendung des Segens am fünften und sechsten Tag geht noch einen Schritt weiter. Sie bezeugt die bleibende Zuwendung des Schöpfers zu seinem Geschöpf, die ihn gerade in seiner „Eigenbewegung“ (194)134 davor bewahrt, in die Irre zu gehen: Segnung ist das Wort Gottes, sofern dieses einem Geschöpf eine bestimmte Kraft oder Wohltat zuspricht und damit – weil es das Wort Gottes ist – zueignet, die ihm in seiner künftigen geschöpflichen Eigenbewegung zugute kommen soll. (Ebd.)

Die Bundesgeschichte gerät hier noch stärker als bisher in den Blick, indem zum ersten Mal von einem über den eigentlichen Schöpfungsakt hinausgehenden Handeln des Schöpfers für sein Geschöpf die Rede ist.135 131 Diese Feste ([yqr) ist für Barth nichts anderes als ein „Schutzwall“ (158), der jenes Unheil abwendet, das sich in der Noah-Sintflut ausnahmsweise einmal ereignet hat, nämlich das Hereinbrechen des „himmlischen Ozean[s]“ (153), also jener Wasserfluten, die sich nach alttestamentlicher Vorstellung oberhalb des Himmels befinden (154 f). 132 Barth erkennt auch in diesem Werk eine „Scheidung und Grenzziehung gegenüber dem Chaoselement“, durch das die „positive Verwirklichung des menschlichen Lebensraumes: die Erschaffung der Erde“ möglich wird (158). Gerade das Meer werde im Alten Testament immer wieder als eine lebensbedrohliche Chaosmacht charakterisiert, was Barth durch den in Ex 14 geschilderten Durchzug Israels durch das Schilfmeer und zahlreiche weitere alttestamentliche Belege veranschaulicht (164 – 166). Die „Bändigung und Begrenzung“ des Meeres in der ersten Schöpfungssage könne folglich nicht hoch genug gepriesen und nicht anders denn als ein besonderer Akt der göttlichen Gnade verstanden werden (166). 133 Den Gedanken der Schöpfung als einer Gegenbewegung betont in neuerer Zeit auch B. Janowski, der die Schöpfung als eine „creatio contra nihilum“ charakterisiert, vgl. ders., Die Welt des Anfangs, 31. 134 Jene „Eigenbewegung“ ist es, die nach Barth Tiere und Menschen von den Pflanzen unterscheidet, und zwar konkret die mit der Fortpflanzung verbundene Eigenbewegung (194). 135 Angesichts der zahlreichen motivgeschichtlichen Untersuchungen im Verlauf der Auslegung von Gen 1 ist es auffallend, dass Barth ausgerechnet bei den Ausführungen zum Segen auf eine solche Untersuchung verzichtet. Die Aufnahme des Segens-Motivs an zentralen Stellen innerhalb der alttestamentlichen wie auch der neutestamentlichen Überlieferung (vgl. etwa Gen 9,1; Num 6,24 – 26; Mk 10,16; Lk 24,50) hätte sich sehr gut angeboten, um die Bedeutung des Segens als verbindendes Element zwischen Gottes Schöpfungs- und Bundeshandeln zu illustrieren. Die plausibelste Erklärung dieser Auslassung besteht wohl darin, dass Barth in seiner Auslegung keinem starren Schema folgte.

194 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Noch deutlicher und konkreter ist der gute Wille des Schöpfers bei der Erschaffung des Menschen zu seinem Ebenbild am sechsten Tag zu erkennen. Hier zeigt sich, dass der Schöpfer an einer echten Gemeinschaft mit seinem menschlichen Geschöpf interessiert ist. Diese Gemeinschaft ist dadurch ausgezeichnet, dass nicht nur Gott in sich schon als Beziehungswesen („Lasset uns …“, Gen 1,26) existiert, sondern auch der Mensch als ein solches geschaffen wird und folglich nicht einsam, sondern in der Gemeinschaft von Mann und Frau leben darf. Auf diese Weise wird der Mensch seinerseits zur freien, d. h. nicht etwa aus der Not der Einsamkeit erzwungenen, Gemeinschaft mit dem Schöpfer befähigt (207 f). Damit wiederum ist das Fundament für den Bund zwischen Gott und den Menschen gelegt, der in dem einen wahren Ebenbild Gottes, dem Menschen Jesus Christus, seine Erfüllung findet (214).136 In der Sabbatruhe Gottes am siebten Tag geschieht es schließlich, dass der Schöpfer selbst in den Lauf der Geschichte eintritt und so „die Bundesgeschichte real begründet“ (244). Denn in diesem die Schöpfung vollziehenden Werk […] hat Gott […] sich selber weltlich und menschlich gemacht, […] sich selber in einem zeitlichen Akt mit dem Sein und Sinn und Lauf der Welt, mit der Geschichte des Menschen verbunden. (244)

Das Eingehen des Schöpfers in die Zeitlichkeit ist dabei nur der eine Aspekt, den Barth betont. Noch wichtiger ist ihm, dass mit der Sabbatruhe Gottes die Einladung an den Menschen ergeht, an der göttlichen Sabbatruhe „teilzunehmen“ (246). Barth versteht diese Einladung als eine strukturelle Entsprechung zu der Einladung, die Gott im Angebot des Bundes an den Menschen ergehen lässt und die in der Menschwerdung des Logos konkret geworden ist. Die Analogie zwischen Sabbat und Christusgeschehen besteht nach Barth darin, dass hier wie dort Gott in Vorleistung tritt und der Mensch als Adressat der Einladung Gottes vor aller eigenen Aktivität zum reinen Empfangen aufgefordert wird. Bevor von einem aktiven Tun des Menschen die Rede ist, wird dieser eingeladen, an der gemeinsamen Sabbatruhe teilzunehmen. Es „beginnt also die Geschichte des Menschen mit Gott […] wirklich am Sonntag und nicht an einem Werktag. Sie beginnt mit dem Evangelium und nicht mit dem Gesetz.“ (247) Die Analogie zwischen Sabbat und Christusgeschehen hat für Barth zwei Konsequenzen: Zum einen sieht er die christliche Praxis, den ersten Tag der Woche als Feiertag zu heiligen, von der ersten Schöpfungssage her als sachgemäß bestätigt.137 Zum zweiten sieht er in der Einladung zur gemeinsamen 136 Zur christologischen Auslegung der Schöpfungssagen vgl. Abschnitt 2.5. 137 Die älteste Christenheit habe die „scheinbare Revolution gegen Gottes Schöpferordnung“ (258) insofern zu Recht gewagt, als sie zum einen die Erfüllung des Sabbatgebots in der Auferstehung Jesu Christi am ersten Tag der Woche ernst genommen und zum anderen erkannt habe, dass nach dem Bericht der Sage der Sabbat zwar der siebte Tag des Schöpfungswerks, aber zugleich der erste Tag des Menschen gewesen sei. „Er [der Mensch] hatte wirklich schon am göttlichen

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Sabbatfeier auch die für die christliche Ethik maßgebliche Reihenfolge von Evangelium und Gesetz138 strukturell vorgebildet, wodurch zugleich „ein für allemal entschieden“ sei, dass „die Geschichte des Bundes, die hier anfängt, die Geschichte des göttlichen Gnadenbundes sein wird.“ (247 f) Es ist deutlich geworden: Der Bezug zur Bundesgeschichte wird im Laufe der Auslegung der ersten Schöpfungserzählung immer offensichtlicher. Immer klarer stellt Barth heraus, dass die Schöpfung ein Akt der Gnade Gottes ist und letztlich darauf zielt, dass sich diese Gnade einmal in Kommen des Jesus von Nazareth endgültig offenbaren wird. Diese zunehmende Klarheit und die mit ihr verbundene Ausrichtung der ersten Sage auf ihren Höhepunkt am siebten Schöpfungstag ist es, durch die Barth sich berechtigt sieht, von jener „Teleologie“ zu sprechen, „die für die erste Sage so bezeichnend ist“ (263). 2.3.4.2 Gen 2,4b–25: Von Anfang an „in mediis rebus“ Die Dynamik der Auslegung der zweiten Schöpfungssage unterscheidet sich merklich von der soeben beschriebenen klimaktischen Auslegung der ersten Sage. Barth möchte in der Auslegung von Gen 2,4b–25 zeigen, dass diese von Beginn an im Kontext der folgenden Bundesgeschichte zu verstehen ist. Der Zusammenhang zwischen Schöpfung und Bund wird folglich nicht in einem Prozess zunehmender Klarheit und Konkretion sichtbar gemacht, sondern er steht, so Barth, von Anfang an im Raum. Das erwartungs- und spannungsvolle Schreiten von einem Kreis zum anderen bis in die entscheidende Mitte hinein, das dort [in der ersten Sage] stattfindet, fällt hier [in der zweiten Sage] weg. Wir befinden uns hier vielmehr von Anfang an […] in mediis rebus. (263)139

Freilich übersieht Barth nicht, dass auch der zweite Schöpfungsbericht einem bestimmten Spannungsbogen folgt, der in der Erschaffung der Frau und dem anschließenden Jubelruf des Mannes seinen dramatischen „Höhepunkt“ (330) findet. Barth arbeitet diesen Höhepunkt gründlich heraus, indem er z. B. auf die dreimalige Verwendung des Demonstrativpronomens taz in Gen 2,23 hinweist (342). Allerdings betont er zugleich, dass die Erschaffung des Menschen nicht erst am Ende berichtet wird, sondern bereits am Anfang der Sage.140 Das in Gen 2,7 geschaffene Wesen gilt bereits als ein Mensch. Alle weiteren Schöpfungswerke – die Pflanzung des Gartens sowie die Erschaffung der Tiere – stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erschaffung des Hochzeitstisch gesessen und durfte, daselbst gespeist und getränkt, von da ausgehen an sein Tagewerk und an seine Arbeit.“ (Ebd.) 138 Ausgeführt in der Schrift Evangelium und Gesetz von 1935. 139 Die unterschiedliche Dynamik, die Barth in den beiden Schöpfungssagen feststellt, dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass sich die Auslegung der zweiten Sage, wie bereits gezeigt, in größeren Einheiten vollzieht als die der ersten Sage. 140 So bereits Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 66 f.

196 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Menschen, indem sie als sein Lebensraum und seine potentiellen Gefährten beschrieben werden. Die zweite Schöpfungssage hat also, zugespitzt formuliert, nur ein Thema, nämlich die Erschaffung des Menschen als dem zukünftigen Bundespartner Jahwes. Der Hervorhebung der Erschaffung des Menschen entspricht es, dass diese Erschaffung in der zweiten Sage sehr viel genauer und intimer beschrieben wird als in der ersten Sage. Sie vollzieht sich in einem Akt „direkter, persönlicher, besonderer Begegnung“ (268). Barth erkennt in der leiblichen Zuwendung des Schöpfers, die einen deutlichen Kontrast zur souverän-distanzierten Schöpfung allein durch das Wort bildet, eine deutliche Analogie zu Gottes barmherzigem Retterhandeln innerhalb der Bundesgeschichte:141 Der Mensch ist das Wesen, das schlechterdings darauf angewiesen sein wird, daß Gott nicht aufhört, ihm wieder so zu begegnen, ihm wieder so unmittelbar nahe zu treten, ihn wieder zum Zeugen der Erschaffung seines eigenen Lebens zu machen, ihm wieder Lebensodem in die Nase zu hauchen. (280)

Der erste Mensch ist für Barth nicht weniger als ein Vorbild jener Erwählungen, die sich durch die Bundesgeschichte ziehen und diese konstituieren: So wie Gott hier den Menschen bildet aus einer Hand voll Staub dem vielen Staub entnommen, so wird er den Abraham und sein Geschlecht entnehmen aus der Menge der Völker, so wird er den Leib Israels entstehen lassen und gestalten. (280 f)

Entscheidend in unserem Zusammenhang ist dies, dass Barth die Analogie zwischen der Erschaffung des ersten Menschen und der Erwählung Abrahams und Israels nicht erst am Ende, sondern bereits in den ersten Versen der zweiten Sage angelegt sieht. Die durchgehende Fokussierung der zweiten Sage auf die Erschaffung des Menschen als Gottes Bundespartner hat zur Folge, dass auch das Wasser in ein positiveres Licht gerückt wird als in der ersten Sage. Das Wasser ist in der zweiten Sage keine lebensbedrohende Chaosmacht, sondern die Quelle, die das Leben des Menschen ermöglicht. Es ist „das ersehnte Zeichen der Güte Gottes“, durch welches die ursprüngliche Trockenheit der Erde (Gen 2,5) überwunden wird (274). Anders als Gunkel142 möchte Barth die unterschiedliche Bewertung des Wassers nicht allein auf die verschiedenen klimatischen Bedingungen jener geographischen Regionen zurückführen, in denen die Quellen P und J entstanden sein könnten, sondern er macht gemäß seiner Gesamtinterpretation 141 Ähnlich im Anschluss an Luther, Disputatio de homine, WA 39/I, 174 – 180, O. Bayer, Schöpfung als Anrede, 75: „Wie der Schöpfer in seiner Demut und Kondeszendenz sich die Hände dreckig macht und in die Erde greift, um den Menschen zu schaffen (Gen 2,7), so legt Jesus Christus, um den gefallenen, besessenen, kranken und in der Welt des Todes lebenden Menschen neu zu schaffen, ,die Finger in die Ohren und berührt(e) die Zunge mit Speichel‘ (Mk 7,33)“. 142 Vgl. Gunkel, Genesis, 4 f.

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zusätzlich auf die unterschiedlichen bundesgeschichtlichen Orte der beiden Sagen aufmerksam.143 „Das von Überschwemmungen bedrohte Alluvialland von Südmesopotamien, an das Gunkel [hinsichtlich der ersten Sage] denkt“, ist das Land, aus dem Gott „den Abraham ausgeführt hat“ (ebd.). Aus der für die zweite Sage bestimmenden Perspektive des Bundes gehört die vom Wasser ausgehende Gefahr allerdings der Vergangenheit an. Ihrer muss nun, da nicht mehr die Schöpfung als äußerer Grund des Bundes, sondern der Bund als innerer Grund der Schöpfung beschrieben wird, nicht mehr gedacht werden. In Kanaan, dem Land der Verheißung, das nicht nur den entstehungsgeschichtlichen, sondern auch den bundesgeschichtlichen Hintergrund der zweiten Sage bildet, ist das Wasser keine Bedrohung, sondern Quelle der Fruchtbarkeit. Dementsprechend hätten sich die Erzähler der zweiten Sage auch nicht mit der Sorge auseinander zu setzen gehabt, dass die Welt erneut vom Chaos heimgesucht werden könne, sondern vielmehr mit der Sorge um die Zukunftsfähigkeit der in ihrer Existenz als stabil angenommenen Erde. Genau dieser Sorge wird in der zweiten Sage entgegengehalten, dass Gott in seiner freien Gnade die Erde befeuchtet und zu ihrer Bebauung den Menschen geschaffen habe, „der von seiner freien Gnade leben darf“ (275). Damit einher geht die Veränderung im Selbstverständnis des erwählten Bundesvolkes. Das Volk Israel im verheißenen Land ist sich seiner Erwählung bzw. seiner Existenz gewiss, aber es bangt um seine Zukunft. Diese Zukunft jedoch, so die zuversichtliche Meinung der Sage, ist dank des Bundes, den Gott gerade mit diesem Volk geschlossen hat, genauso gesichert wie die Zukunft der Schöpfung durch die Befeuchtung der Erde und die Erschaffung des Menschen. Das Interessante an diesem Gedankengang ist die Tatsache, dass Barth selbstverständlich an die Überlegungen Gunkels bzw. die Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung zum entstehungsgeschichtlichen Ort (im geographischen Sinne) der beiden Sagen anknüpft. Nur dass die in Südmesopotamien bzw. Kanaan ansässigen Schreiber ihre Erfahrungen mit dem jeweiligen Klima zum entscheidenden Ausgangspunkt ihrer Charakterisierung des Wassers als Chaosmacht bzw. Lebensquelle gemacht haben, will Barth nicht einleuchten. Er versieht die entstehungsgeschichtliche Hypothese vielmehr mit einer theologiegeschichtlichen Pointe und macht sie damit lediglich in anderer Weise fruchtbar – freilich in einer Weise, die er für sachgemäßer hält. Die unterschiedliche Bewertung des Wassers in den beiden Schöpfungssagen müsste, „spitz ausgedrückt, auch dann stattfinden, wenn die ganze Vermutung hinsichtlich der klimatischen Bedingtheit der beiden Berichte nicht mehr als eben eine Vermutung wäre“ (275). Keine Frage, Barth gewinnt durch diese 143 Durchaus typisch für Barths Umgang mit den Hypothesen der Quellenkritik ist folgende Kommentierung der These Gunkels: „Warum soll es damit nicht seine Richtigkeit, aber warum soll es dabei sein Bewenden [haben], warum soll das das letzte und eigentliche Wort zu dieser Sache sein?“ (274)

198 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Auslegung einen weiteren Baustein zum Gesamtverständnis der zweiten Sage, der die These von deren Konzentration auf den Gnadenbund um eine Facette erweitert. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Auslegung ihrerseits mehr sein kann „als eben eine Vermutung“. Anders gefragt: Wo findet eigentlich die größere let²basir eQr %kko c´mor statt: Dort, wo die unterschiedliche theologische Bewertung des Wassers durch die biblischen Autoren auf die jeweiligen klimatischen Verhältnisse an ihrem geographischen Entstehungsort zurückgeführt wird (Gunkel) oder wo jene Bewertung durch den (jedenfalls nicht minder hypothetisch) rekonstruierten Stand des Verhältnisses zwischen dem Bundesvolk Israel und seinem Gott Jahwe erklärt wird? 2.4 Die Erschaffung des Menschen Christliche Schöpfungslehre, zumal wenn sie mit der Auslegung der biblischen Schöpfungssagen beginnt, ist immer auch Anthropologie. Sie kann nicht umhin, über die Erschaffung des Menschen zu reden und in diesem Zusammenhang Grundsätzliches über jene Grundbeziehungen zu sagen, in denen der Mensch als Gottes Geschöpf von Anfang an steht, nämlich die Beziehung zum Schöpfer, die Beziehung zum Mitmenschen sowie die Beziehung zur nichtmenschlichen Schöpfung.144 Im Folgenden soll untersucht werden, wie Barth in seiner Auslegung von Gen 1 – 2 jene drei Beziehungen charakterisiert hat, wobei sich die Beschreibung der Beziehung zum Mitmenschen auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mann und Frau konzentriert. 2.4.1 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen Was bedeutet es, dass Gott den Menschen nach Gen 1,26 zu seinem „Ebenbild“ schafft? Ausführlich widmet sich Barth dieser Frage in der Auslegung der ersten Schöpfungssage.145 In einer Aufzählung kritisiert er zunächst einige der wichtigsten Deutungen aus der Auslegungsgeschichte, in denen die Gottebenbildlichkeit fälschlicherweise auf bestimmte Eigenschaften oder Qualitäten des Menschen zurückgeführt werde.146 Lobend erwähnt Barth sodann 144 Zu den menschlichen Grundbeziehungen vgl. HQrle, Ethik, 141 f, der völlig zu Recht die Beziehung des Menschen zu sich selbst als weitere Grundbeziehung nennt. Die Beschränkung auf die genannten Grundbeziehungen erklärt sich dadurch, dass in Barths Auslegung zu Gen 1 – 2 die Beziehung des Menschen zu sich selbst nicht explizit thematisiert wird. Zum Selbstverhältnis des Menschen vgl. grundlegend Tietz, Freiheit zu sich selbst. 145 Einen kritischen Vergleich zwischen Barths Auslegung der „Gottebenbildlichkeit“ und den zeitgenössischen Auslegungen bietet Stamm, Die Imago-Lehre von Karl Barth, 49 – 68. 146 Barth kritisiert unter anderem die Auslegung des Ambrosius, der die Gottebenbildlichkeit auf die menschliche Seele reduzierte (vgl. Ambrosius, Hexaemeron VI/7, 43), und in dessen Gefolge Athanasius und Augustin, für die des Menschen „Vernünftigkeit“ (216; vgl. Atha-

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die Auslegungen W. Vischers und D. Bonhoeffers. Vischer mache zu Recht darauf aufmerksam, dass „die ganze Schöpfung auf das Gegenüber von Gott und Mensch zielt“ (218),147 während Bonhoeffers Verdienst darin bestehe, die ebenbildliche Freiheit des Menschen in der Koexistenz von Mann und Frau herauszustreichen (218 f).148 Beide, Vischer wie Bonhoeffer, hätten damit „endlich“ den letzten Halbsatz von Gen 1,27 („Als Mann und Frau schuf er sie“) ernst genommen, wo die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes in einer „geradezu definitionsmäßigen“ Formulierung mit der Erschaffung als Mann und Frau erklärt werde (219).149 Barths vorläufige Definition der Gottebenbildlichkeit des Menschen lautet folglich dahingehend, „daß das gottebenbildliche Wesen des Menschen so schlicht und geradezu in seiner Existenz als Mann und Frau bestehen solle.“ (Ebd.) Die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht darin, dass der Mensch in der Gemeinschaft von Mann und Frau geschaffen ist. Die „analogia relationis“ (220) zwischen göttlichem „Urbild“ und menschlichem „Abbild“150 wird je-

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nasius, De Incarnatione Verbi 3, 14 – 28) bzw. „die drei Seelenkräfte der memoria, des intellectus und des amor“ (216; vgl. Augustin, De Trinitate 15, 22,42) die entscheidenden Merkmale gewesen seien. Aber auch die Interpretationen der Reformatoren und erst recht der Ausleger der folgenden Jahrhunderte seien „je nach Maßgabe der Bedürfnisse ihrer jeweiligen Anthropologie“ mehr oder minder „aus der Luft gegriffen“ (216 f). Auch die Auslegung seines Zeitgenossen Gunkels, der im Gegensatz zu den Alten den „Körper des Menschen“ als Bezugspunkt der Gottebenbildlichkeit betrachtet hatte (vgl. Gunkel, Genesis, 112), wird von Barth abgelehnt. Ebenfalls ist die in 1,26 zugesprochene Herrschaft des Menschen über die Tiere nach Barths Ansicht aufgrund der syntaktischen Struktur des Verses nicht als Begründung, sondern lediglich als „Konsequenz“ der Gottebenbildlichkeit zu verstehen (210). Barth wendet sich damit gegen die Ausführungen von Delitzsch (vgl. ders., Genesis, 65 f) bzw. die Meinung Jacobs, dass „unter dem Ebenbild Gottes […] nur geistige Fähigkeiten und ein anerschaffener Herrscheradel verstanden werden können“ (Jacob, Genesis, 59; 217 f). Vgl. Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 61. Vgl. Bonhoeffer, Schöpfung und Fall, DBW 3, 56 – 63. Barth verweist auf die dreimalige Verwendung von arb in 1,27, durch die die Erschaffung zum Ebenbild mit der Erschaffung als Mann und Frau gleichgesetzt wird. Nur am Rande sei auf die eher verwirrende als zusätzliche Klarheit schaffende Erläuterung der hebräischen Begriffe tWmd und ~lc im Zusammenhang mit den Präpositionen b und k verwiesen. Barth wehrt sich zunächst dagegen, beide Begriffe als „Synonyme“ zu behandeln oder etwa nur „blaß zu unterscheiden“ (221). ~lc sei mit stark resultativer Betonung als „Urbild“ zu übersetzen, tWmd dagegen mit Blick auf den Vorgang der Abbildung als „Nachbild“ (ebd.). Verkompliziert wird dieser Befund zum einen dadurch, dass beide Begriffe Barth zufolge „doppelseitigen Gebrauch zulassen“ (ebd.), indem sie sowohl für das Original als auch für die Abbildung verwendet würden. Die zweite Verkomplizierung entsteht durch die Parallelstellen Gen 5,1 bzw. 5,3, in denen sich die Kombination der beiden Substantive mit den beiden Präpositionen genau umgekehrt darstellt wie in 1,26 f. So muss Barth sein ursprüngliches Urteil relativieren und feststellen, dass eine „exklusive Entgegenstellung […] zwischen zelem und demut und zwischen be und ke in den Versen 1, 26 – 27 nicht in Frage“ (222) komme. Es ist durchaus möglich, dass Barths Selbstanspruch einer genauen Textwahrnehmung die Ignorierung der auffallenden Doppelbegrifflichkeit in 1,26 f schlichtweg nicht erlaubt sein ließ, gleichwohl muss bemerkt werden, dass der gesamte Absatz wenig zum Verständnis des Textes beiträgt.

200 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) doch nach Barth erst dann in ihrer vollen Schärfe erkannt, wenn man sich von Gen 1,26 darüber belehren lässt, dass nicht nur der Mensch, sondern auch Gott in der ersten Schöpfungssage als ein Gemeinschaftswesen vorgestellt wird. Barth betont, dass der Plural „Lasset uns Menschen machen“ nicht etwa im Sinne eines Pluralis Majestatis verstanden werden dürfe, schließlich sei ein solcher „der alttestamentlichen Sprache unbekannt“ (215).151 Vielmehr sei damit zu rechnen, „daß die Sage mit einer realen Pluralität im göttlichen Wesen gerechnet hat“ (ebd.).152 Die Pluralität in Gott ist für Barth an dieser Stelle entscheidend, entspricht sie doch der Freiheit, in der Gott sich den Menschen als Gegenüber erschafft. Nicht aus dem Zwang der Einsamkeit, sondern aus freier Liebe erschafft Gott den Menschen als sein Ebenbild. Und er erschafft ihn seinerseits als Mann und Frau, so dass auch die Antwort des Menschen auf die Liebe des Schöpfers nicht aus dem Zwang der Einsamkeit, sondern aus freier Gegenliebe heraus geschieht. Mit Barths Worten geredet: Wie sich das anrufende Ich in Gottes Wesen zu dem von ihm angerufenen göttlichen Du verhält, so verhält sich Gott zu dem von ihm geschaffenen Menschen, so verhält sich in der menschlichen Existenz selbst das Ich zum Du, der Mann zur Frau. (220)

In der zweiten Schöpfungssage erkennt Barth eine „sachliche Parallele zu dem, was die erste als die Gottebenbildlichkeit des Menschen bezeichnet“ (267 f). Es handelt sich um die Auszeichnung des Menschen gegenüber den Tieren, die darin bestehe, dass er in einer „höchst direkten, höchst persönlichen, höchst besonderen Aktion“ (268) von Gott geschaffen werde. Der Wille zur Gemeinschaft des Schöpfers mit seinem ebenbildlichen Geschöpf werde hier anschaulich beschrieben, indem der Schöpfer den Menschen aus Staub bildet und ihm den Lebensodem einhaucht (ebd.). So sehr also der Vollzug der Gemeinschaft zwischen Schöpfer und menschlichem Geschöpf nach Barth als Akt der Freiheit zu verstehen ist, so 151 So auch Delitzsch, Genesis, 64; Jacob, Genesis, 57; Gunkel, Genesis, 111. 152 Es folgt wiederum ein kurzer Ausflug in die Auslegungsgeschichte: Barth kritisiert zunächst die Vorstellung von Jacob (vgl. ders., Genesis, 57) und Delitzsch (vgl. ders., Genesis, 64), es handle sich in der Pluralformulierung („Lasset uns …“) um eine Aufforderung an nichtgöttliche Zwischenwesen, die der Erschaffung des Menschen letztlich doch „bloß als interessierte Zuschauer beigewohnt hätten“ (215). Anschließend kommt er auf die „altkirchliche Exegese“ zu sprechen, die in der Pluralformulierung einen Hinweis auf die „Dreieinigkeit Gottes“ erkannt habe (215 f). Barth kritisiert zwar die „Explizitheit“ (216), mit der dies geschehen sei. Gleichwohl hält er die „in der Richtung der christlichen Dreieinigkeitslehre liegende“ Deutung von Gen 1,26 allemal für gerechtfertigter und textgemäßer „als das, was die moderne Exegese nach allzu hochmütiger Abweisung der altkirchlichen (vgl. etwa Gunkel!) an ihre Stelle gesetzt hat“, nämlich die Eintragung der himmlischen Zwischenwesen (ebd.). Barths Kritik bezieht sich auf Gunkel, Genesis, 111. Angesichts der schlichten Formulierung Gunkels („Die frühere Erklärung, die hier eine Anspielung an die Trinität findet, kann nicht mehr in Betracht kommen“) ist jedoch festzuhalten, dass Barths Kritik an der „allzu hochmütige[n] Abweisung“ etwas übertrieben erscheint.

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hält er dennoch daran fest, dass sich die Existenz des Menschen von Anfang an dem Wirken des Schöpfers verdankt.153 Barth unterstreicht diesen Gedanken, indem er dem Gedanken der Angewiesenheit des Menschen auf Gott nachgeht. Anhand zahlreicher Belegstellen verdeutlicht Barth, dass der Mensch nach alttestamentlicher Vorstellung von sich aus vergänglicher „Staub“ ist154 und in seiner Existenz als lebendiges Wesen auf das gnädige Handeln des Schöpfers angewiesen bleibt.155 Dass der Mensch mit diesem Handeln tatsächlich rechnen dürfe, habe seine Grundlage wiederum in der „einzigartigen Begegnung“ (280), in der Gott dem Menschen nach Gen 2,7 das Leben eingehaucht hat. Sie gibt ihm die Hoffnung, daß Gott nicht aufhört, ihm wieder so zu begegnen, ihm wieder so unmittelbar nahe zu treten, ihn wieder zum Zeugen der Erschaffung seines eigenen Lebens zu machen, ihm wieder Lebensodem in die Nase zu hauchen. (Ebd.)

Es ist, so Barth, keine „Unsterblichkeit des Leibes oder der Seele“ (ebd.), die dafür bürgt, dass der Mensch lebt und eine Zukunft hat, sondern die wiederholte Gnade des Schöpfers, der sich dem Menschen in der Schöpfung in besonderer Weise zuwendet und zu seinem partnerschaftlichen Ebenbild erwählt. Diese Zuwendung ist es, die sich in der Geschichte des Bundes immer wieder aufs Neue ereignet156 und auf deren Grundlage der Mensch getrost in die Zukunft blicken darf.157

2.4.2 Der Mensch als Mann und Frau Die Existenz des Menschen in der Gemeinschaft von Mann und Frau stellt wie gesehen nach Barths Auffassung die wesentliche Analogie dar, die den Menschen zur imago Dei macht. Barth unterstreicht mehrfach, dass die Differenz der Geschlechter die einzige anthropologische Differenzierung ist, die nach Gen 1 – 2 im Wesen des Menschen angelegt ist. Wird hinsichtlich der Tiere ausdrücklich zwischen verschiedenen Gattungen unterschieden, so verbietet sich eine solche Unterscheidung in Bezug auf den Menschen. Die „Verschie153 Barth verweist auf die Parallele Hiob 19,25: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und ein Bürge ersteht mir über dem Staube.“ (276) 154 Barth erläutert in diesem Zusammenhang, dass das hebräische Wort für „Staub“ (rp[) „außer der Grundbedeutung“ auch „den Sinn des im Verhältnis zu Gott Niedrigen, Gefährdeten, ja Preisgegebenen der geschöpflichen und besonders der menschlichen Existenz“ (278) habe. 155 Es sind dies Gen 18,27; Ps 103,14; Hiob 10,8 f u. a. 156 Barth nennt als Beispiele die Erwählung Abrahams, den Durchzug durch das Rote Meer und die Offenbarung am Sinai (280 f). 157 Der „stärkste alttestamentliche Kommentar zu Gen. 2, 7“ (281) ist nach Barth in diesem Zusammenhang die Weissagung aus Hes 37, nach der Gott aufs Neue seine Schöpferkraft erweisen wird, wenn das Feld der Totengebeine mit seinem Odem durchweht und so aufs Neue belebt wird.

202 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) denheit der Geschlechter“ bildet nach Barth „die einzige zwischen Mensch und Mensch reale Wesensverschiedenheit“ (221).158 Wenn im Folgenden die Auslegung der Schöpfungssagen hinsichtlich ihrer Geschlechterlehre untersucht wird, so geschieht dies in der Überzeugung, dass hier die Grundlagen gelegt werden für die ausführliche Darlegung des Verhältnisses von Mann und Frau innerhalb der Anthropologie in KD III/2159 bzw. KD III/4160. Wie aber wird das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in der Auslegung von Gen 1 – 2 beschrieben? Hierzu ist zunächst auf die Auslegung der ersten Schöpfungssage zu achten. Barth kommentiert die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes in Gen 1,26 f, wie bereits mehrfach betont, damit, dass die Ebenbildlichkeit des Menschen im „Gegeneinander und Füreinander von Mensch und Mensch, nämlich in dem von Mann und Frau“ (219) bestehe. Von einer Über- oder Unterordnung innerhalb des Geschlechterverhältnisses ist hier – der biblischen Sage entsprechend – keine Rede. Dies ändert sich in der Auslegung zur zweiten Sage. Ausführlich widmet sich Barth nun den unterschiedlichen Rollen, die den Geschlechtern in der zweiten Sage zukommen. Wichtig ist zu beachten, dass Barth diese Unterschiedlichkeit erst ab Gen 2,21 in vollem Umfang gelten lässt, als Gott aus der Rippe des ersten Menschen die Frau erschafft. Erst jetzt wird dieser erste Mensch wirklich zum Mann (344) – bzw. „im Verhältnis zur Frau erst ganzer Mensch“ (338) –, so dass der Gedanke, der Mann sei vor der Frau gewesen (vgl. etwa 1 Tim 2,13), zwar nicht aufgehoben, aber doch relativiert wird.161 Worin besteht der Unterschied zwischen Mann und Frau nach der zweiten Schöpfungssage? Er besteht vor allem darin, dass die Frau nach Gen 2,22 dem Mann zugeführt wird und dieser mit dem Ausruf „Diese nun endlich!“ freudig bekennt, dass sein Bedürfnis nach einer Partnerin durch die Erschaffung der Frau gestillt ist.162 Es ist also in Barths Augen von vornherein die Frau dadurch 158 Um die Tragweite dieser Feststellung zu erkennen, muss bedacht werden, dass er zu einer Zeit gesprochen wurde, in der nicht nur in Europa Millionen Menschen dem Rassismus der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren, sondern z. B. auch in den USA die Diskriminierung der „Black People“ im Denken wie auch im Alltag vieler Menschen tief verwurzelt war. Stellvertretend sei auf M.L. Kings Einsatz für ein allgemeines Wahlrecht im Jahr 1965 verwiesen, vgl. Garrow, Bearing the Cross, 357 – 430. 159 Vgl. KD III/2, § 45,3. Barth wiederholt in diesem späteren Abschnitt nicht nur die These, dass die Unterscheidung zwischen Mann und Frau „die einzige strukturelle Differenzierung“ sei, in der der Mensch existiert (vgl. KD III/2, 344), sondern er greift auch explizit auf die Auslegung von Gen 2,18 – 25 in KD III/1 zurück, indem er deren „Grundzüge“ in einem zweiseitigen Exkurs noch einmal überblicksartig darstellt, vgl. KD III/2, 351 – 353. 160 Vgl. KD III/4, § 54,1, hier insbesondere die komprimierte Auslegung zu Gen 2,18 – 25, in der wiederum die wesentlichen Aspekte der Auslegung in KD III/1 inklusive ihrer christologischen Zuspitzung aufgegriffen und unter verändertem Blickwinkel aufs Neue fruchtbar gemacht werden, vgl. KD III/4, 158 f. 161 Diese Beobachtung wird bestätigt und mit zusätzlichen exegetischen Argumenten versehen durch Schwienhorst-Schçnberger, Als Mann und Frau, 81 – 83. 162 Barths dramatische Nacherzählung der Suche des ersten Menschen nach einer Partnerin

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ausgezeichnet, dass sie die vom Mann Erwählte ist (345), während der Mann als der Bedürftige bzw. „der Schwächere“ (350) gezeichnet wird, von dem es entsprechend am Ende der Sage heißt, dass er „seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen“ wird (Gen 2,24). Allerdings stellt Barth fest, dass nur der Mann, nicht aber die Frau nach seiner Meinung über das ihm zugeführte Gegenüber gefragt wird. Durch diese „von anderen Voraussetzungen her befremdliche Tatsache“ (346) sieht sich Barth einerseits berechtigt, von einer „Suprematie“ (344) des Mannes zu sprechen, andererseits betont er sogleich, dass diese Suprematie „eine Sache der Ordnung und nicht eine Sache des Wertes, der Würde, der Ehre“ (345) sei. Schließlich sei der in seiner aktiven Entscheidung begründete Vorrang des Mannes ja der Vorrang des Bedürftigen, des Schwächeren. Nur indem der Mann der Frau „als der Schwächere gegenüber tritt, […] kann er ihr Herr, der Stärkere, sein.“ (350) Sein [des Mannes] ganzer Vorrang steht und fällt damit, daß er ihn nur in der Selbstbescheidung, die in der Natur seines faktischen Verhältnisses zur Frau begründet ist, geltend macht. Man sieht von da aus, daß die Frau von diesem Vorrang wirklich auch praktisch – und gerade auch praktisch! – nichts zu fürchten hat. (350)

Im Blick auf das Verhältnis zum Schöpfer wird die Suprematie des Mannes schließlich als eine „relative Suprematie“ (353) charakterisiert, die im Urzustand – als das Verhältnis zum Schöpfer noch intakt war – weder Scham noch Schande, weder Erniedrigung noch Unterdrückung hervorrufen konnte. Erst als „das Verhältnis zu Gott zerstört wurde“, seien jene Phänomene aufgetreten, durch die das Verhältnis der Geschlechter aus den Fugen geraten sei: „blinde Männerherrschaft auf der einen und eifersüchtige Frauenbewegung auf der anderen Seite, schlimme erotische und ebenso schlimme unerotische Willkür, dämonische gegen bourgeoise Liebe und Ehe, Verlotterung gegen Borniertheit“ (355). Spätestens an dieser Stelle, an der Barth die Jahrtausende alte patriarchale Unterdrückung mit der modernen Frauenrechtsbewegung gleichsetzt, zeigt sich die Problematik seiner Geschlechterlehre. Man wird Barth nicht vorwerfen können, dass es ihm an einem Bewusstsein für die Schwierigkeiten des Geschlechterverhältnisses nach dem Fall gänzlich mangeln würde.163 Seine Geschlechterlehre fügt sich vielmehr nahtlos ein in die Forderungen der Frauenbewegung seiner Zeit, die in erster Linie auf politische und wirtverdeutlicht, dass die Kontinuität zwischen dem Urmenschen und dem Mann nicht gänzlich aufgehoben wird. 163 H. Erhart und L. Siegele-Wenschkewitz bemerken anerkennend, dass Barth im Unterschied zu den „meisten protestantischen Dogmatiken der damaligen Zeit“ das „Problem“ der Geschlechtsspezifik zumindest erkannt habe, und verweisen in diesem Zusammenhang zu Recht auf den Briefwechsel, den Barth zwischen 1934 und 1948 mit Henriette Visser ’t Hooft geführt hat. Vgl. Erhart/Siegele-Wenschkewitz, Vierfache Stufenleiter, 226, Anm. 16. Der Briefwechsel ist dokumentiert in Kaper, Eva, wo bist Du, 14 – 36.

204 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) schaftliche Gleichstellung sowie gleiche Bildungschancen abzielten. Dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts „keine praktischen Nachteile zu fürchten“ hätten, war in den 1940er Jahren durchaus eine Botschaft mit politischem Sprengstoff.164 Allerdings muss Barth sich die Frage gefallen lassen, ob seine Beschreibung des Idealzustandes zwischen Mann und Frau, also die Beschreibung des prälapsarischen Miteinanders der Geschlechter als einem „Liebespatriarchat“165 nicht eher den romantischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts entspricht166 als einer theologisch bzw. biblisch begründeten Geschlechterlehre. Die Rede von der Suprematie des Mannes stützt sich wie gesehen vor allem auf die Beobachtung, dass die Frau in Gen 2 dem Mann zugeführt wird und diesem allein das Recht zur Entscheidung zugestanden wird. Nun betont allerdings Barth selbst in einem Seitenblick auf das Hohelied Salomos, dass hier umgekehrt die Frau diejenige sei, die „im gleichen Entzücken – mit einem ebenbürtigen ,Dieser nun endlich!‘ möchte man fast sagen“ (358) – dem Mann gegenübertrete.167 Er unterlässt es jedoch, aus dieser exegetischen Beobachtung den konsequenten Schluss zu ziehen und die Rede von der Suprematie des Mannes, von „Überordnung“ und „Unterordnung“ zwischen den Geschlechtern aufzugeben.168 Der Hauptgrund hierfür dürfte darin liegen, dass die Auslegung zu Gen 2,18 – 25 auf die christologische Pointe hinausläuft, nach der die Beziehung zwischen Mann und Frau in der Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde ihr eigentliches Urbild hat (366 – 377). Hierauf soll im nächsten Abschnitt noch einmal ausführlich geblickt werden. Zwei kritische Fragen seien 164 Die Frage Romeros, was es eigentlich bedeute, dass die Bindung der Frau an den Mann deren Würde nicht beeinträchtige, wäre zu Barths Zeit, als das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen vorrangig war, höchstwahrscheinlich nicht verstanden worden. Vgl. Romero, The Protestant Principle, 325. Dass die Gleichberechtigung von Frauen für Barth tatsächlich ein wichtiges Anliegen war, belegt der nur ein Jahr nach KD III/1 veröffentlichte und mehrfach zuvor gehaltene Vortrag Christengemeinde und Bürgergemeinde, in dem Barth „nicht nur die Beschränkung der politischen Freiheit und Verantwortlichkeit gewisser Stände und Rassen, sondern vor allem auch die der Frauen“ als „eine willkürliche Konvention“ bezeichnet, „die der Konservierung wirklich nicht würdig sein kann.“ Vgl. Christengemeinde und Bürgergemeinde, 29. 165 Vgl. Baas/Zorgdrager, Freiheit aus zweiter Hand, 147. 166 Man führe sich etwa vor Augen, mit welchem Nachdruck Barth die Erotik der zweiten Schöpfungssage betont (357 – 359) und wie stark Barths Beschreibung des idealen Mannes von den Vorstellungen der Ritterlichkeit bestimmt ist (350). Züge der Romantik und des Idealismus des 19. Jahrhunderts erkennt auch U. Pfäfflin in ihrer Kritik an Barths Geschlechterlehre, vgl. dies., Frau und Mann, 45 bzw. 52. Dass Barth sich der Gefahr der Romantisierung immerhin bewusst war, kommt in der Einzelversauslegung zu Gen 2,18 – 25 zum Ausdruck, wo er betont, dass in diesen Versen nicht etwa „eine Verlobung oder Hochzeit geschildert“ werde und auch „nicht die Geschichte der ersten Liebe und Eheschließung“ (373). 167 Der Verweis auf das Hohelied als Entsprechung zur Genesissage findet sich bereits bei Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 72. 168 Vgl. Frettlçh, Das Ja vor jeder Frage, 142.

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jedoch bereits in diesem Zusammenhang gestellt, nämlich erstens, wie sich die Analogie zwischen der Mann-Frau-Beziehung einerseits und der ChristusGemeinde-Beziehung andererseits zu der Analogie aus Gen 1 verhält, nach der die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau mit der innergöttlichen Gemeinschaft zu vergleichen ist? Und zweitens, ob es sach- bzw. textgemäß ist, einen Vers aus der Stände-Ethik in Eph 5,21 – 32 zur anthropologischen Spitzenaussage innerhalb der Schöpfungslehre zu erheben?169 Man wird Barth wohl zugute halten müssen, dass die theologische Sensibilität für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mann und Frau als solches zu seiner Zeit wesentlich weniger verbreitet war, als dies heute im Zuge der Neuen Frauenbewegung und der modernen Genderforschung der Fall ist.170 Dennoch bleibt kritisch zu bemerken, dass das Anliegen der Kritik an einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auch deshalb letztlich unvollständig bleibt, weil Barth nicht alle seine exegetischen Beobachtungen für seine Anthropologie fruchtbar macht. Wo freilich das Anliegen der Antidiskriminierung mit dem Ziel der Aufhebung jeglicher Geschlechterdifferenz verbunden wird, wird man die Auslegung Barths als eine – jedenfalls vom alttestamentlichen Text her – berechtigte Kritik verstehen müssen.171 169 Vgl. Frettlçh, a. a. O., 135: „Diese analogia relationis ist der Tod im Topf jedes herrschaftsfreien Verhältnisses zwischen Menschen und allemal jeder Geschlechtergerechtigkeit“. Vgl. auch die Kritik von Baas/Zorgdrager, a. a. O., 147, bzw. Link, Schöpfung, 327 f. Einen systematischen Überblick über die Rezeptionsgeschichte von Barths Geschlechterlehre vermittelt Hess, Die „,A and B‘ discussion“, 352 – 356. 170 Heß hält die These, nach der Barth in seiner Geschlechterlehre primär den geschlechterstereotypen Überzeugungen seiner Zeit gefolgt sei (so u. a. McKelway, Perichoretic Possibilities, 235), zwar nur für „bedingt stichhaltig“ (vgl. Hess, a. a. O., 350), in ihrem Verweis auf die Anfänge der modernen Frauenbewegungen bleibt jedoch unerwähnt, dass diese – anders als die Neue Frauenbewegung – von theologischer Seite kaum rezipiert wurde. Dass auch „ein Intellektueller wie Barth“ von der „Diskursexplosion“ der Sexualwissenschaften nur am Rande Kenntnis nahm, ist nicht nur theologiegeschichtlich, sondern auch biographisch durchaus nachvollziehbar, vgl. etwa die Berichte über Begegnungen Barths mit dem Psychoanalytiker Ewald Jung im Jahr 1915 (vgl. BwTh I, 26 f, 38 f, 43, 45 f), die kaum den Eindruck einer ernsthaften bzw. theologischen Aufnahme der Erkenntnisse der Psychoanalyse erwecken, sowie die in den Briefen der 20er und 30er Jahre permanent betonte Überarbeitung Barths (vgl. etwa BwTh II, 71; BwTh III, 573; Br 1933, 30). Dieser grundsätzliche Eindruck wird auch durch den allzu kurzen Exkurs über die Ethik N. Berdjajews in KD III/4, 177 – 179, kaum in Frage gestellt. Ein besonders gravierendes Beispiel für eine einseitige Darstellung von Barths Geschlechterlehre findet sich bei I. Karle, vgl. dies., Da ist nicht mehr Mann noch Frau, 189 f. 171 L. Schwienhorst-Schönberger arbeitet in seiner Studie zu Gen 1 – 2 heraus, dass die zweite Schöpfungssage zwar „aus einer männlichen (androzentrischen) Perspektive geschrieben“ wurde, gleichwohl jedoch die Intention zu erkennen sei, „Mann und Frau als gleichwertig darzustellen“ (Vgl. ders., Als Mann und Frau, 91). Diese Erkenntnis bedeute jedoch nicht, dass die Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau von der zweiten Schöpfungssage geleugnet werde. Vielmehr stellt Schwienhorst-Schönberger in einem Vergleich mit Platons Symposion fest, dass nach den Sagen der Genesis die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen als zur guten Schöpfung Gottes gehörig bzw. als notwendige Differenzierung des ursprünglich noch unvollkommenen Menschen dargestellt wird. Vgl. Ders., a. a. O.., 95 f. Einwände gegenüber den

206 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) 2.4.3 Das Verhältnis des Menschen zur nichtmenschlichen Kreatur Eines der wesentlichen und berechtigten Anliegen der so genannten „Ökologischen Theologie“ besteht darin, das Verhältnis zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Kreatur gegenüber traditionellen einseitig hierarchischen Vorstellungen neu zu bestimmen.172 Zwar ist das Aufkommen der ökologischen Fragestellungen innerhalb der Theologie deutlich nach KD III/1 anzusetzen, gleichwohl ist zu fragen, wie Barth in seiner Auslegung von Gen 1 – 2 das Verhältnis zwischen dem Menschen als Gottes Ebenbild und der nichtmenschlichen Schöpfung beschreibt. Dies geschieht zum ersten Mal explizit anlässlich der Erschaffung der Wassertiere und der Vögel am fünften Tag der ersten Schöpfungssage. Barth unterstreicht, dass hier die „ersten selbständig lebenden Kreaturen“ (188) geschaffen werden. Diese Selbständigkeit ist seiner Ansicht wiederum der Grund dafür, dass die erste Schöpfungssage „hier zum ersten Mal […] von einem Segen“ berichtet, „den Gott der Kreatur mitgab“. (189) Im Verhältnis zur Segnung des Menschen sei die Segnung der Vögel und Meerestiere freilich nur eine Art Vorspiel bzw. eine „Praefiguration“ (196). Während nämlich Gottes Gebieten gegenüber den Tieren stets mit der Ausführung des Gebotenen einhergehe,173 warte sein Gebot gegenüber dem Menschen stets auf dessen in freier Entscheidung erfüllten Gehorsam (195). Bei der Besprechung des sechsten Schöpfungstages wiederholt Barth noch einmal bezüglich der Landtiere, dass diese einerseits „geringer als der Mensch“ (199) angesehen würden, schließlich komme nur diesem die Gottebenbildlichkeit zu. Andererseits sei die Erschaffung der Tiere unmittelbar vor dem Menschen sowie deren Segnung – die man im Falle der Landtiere „stillschweigend ergänzen“ (201) müsse174 – ein Hinweis darauf, dass die Tiere natürliche „Gefährten“, „Begleiter“ bzw. „Vorläufer“ (199) des Menschen seien. Diese Vorläuferschaft wiederum beschränke sich nicht auf den Empfang des Segens anlässlich der Schöpfung, sondern finde ihren Höhepunkt in ihrer konstruktivistischen Ansätzen zur Kritik an der geschlechtlichen Bipolarität erhebt auch U. Pohl-Patalong, vgl. dies., Gender, 218 f. 172 Vgl. u. a. Wilms, Das Tier, 122, der für eine „Ethik der Mitgeschöpflichkeit“ eintritt. Ähnlich R. Hagencord, der dafür plädiert, Tiere nicht länger nur eine „Statistenrolle“ innerhalb der geschöpflichen Welt einzuräumen, vgl. ders., Gott und die Tiere, 10. 173 In einer motivgeschichtlichen Untersuchungen verweist Barth zunächst auf Gen 3,14; 1 Kön 17,4; Jona 2,11; Offb 19,17; Ps 148,10. Anschließend kommt er auf jene beiden Stellen im Matthäus-Evangelium zu sprechen, in denen explizit die Überordnung des Menschen gegenüber den Tieren thematisiert wird, nämlich Mt 6,26 und Mt 10,31: „Ihr seid mehr als viele Sperlinge.“ (196) 174 Barth folgt hier im Ergebnis den Auslegungen Gunkels (vgl. ders., Genesis, 110) und Delitzschs (vgl. ders., Genesis, 64), während die Erklärung Jacobs, nach der eine unbegrenzte Vermehrung der Landtiere „ein Unglück für den Menschen wäre“ (vgl. Jacob, Genesis, 56) nach Barths Meinung „kein ernsthafter Grund“ (201) ist.

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Rolle als Sakralopfer, in der sie als Vorläufer für „die notwendige, aber heilvolle Dahingabe des verheißenen Menschensohns“ (ebd.) fungierten. Den entscheidenden Unterschied zu den Tieren erkennt Barth in der bereits erwähnten Feststellung, dass „die Verschiedenheit der Geschlechter die einzige zwischen Mensch und Mensch reale Wesensverschiedenheit bildet“, während es „unter den Pflanzen und unter den Tieren des Wassers, der Luft und der Erde Gruppen und Arten gibt“ (221). Der Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen, stellt nach Barth lediglich eine „Konsequenz“ (210) der Gottebenbildlichkeit dar, nicht aber deren Wesensmerkmal. Das dominium terrae wird damit zu einer sekundären anthropologischen Bestimmung erklärt. Nach Barth kann die Herrschaft des Menschen über die Schöpfung schon mit Blick auf die gemeinsame Identität als Geschöpfe Gottes immer nur „eine innerlich und äußerlich begrenzte Herrschaft“ sein, die Herrschaft eines „primus inter pares“ (ebd.). Die zweite Sage ist nach Barth im Ganzen viel eher „anthropozentrisch“ (272) angelegt als die erste. Das Werden des Menschen und seiner Umgebung stehe hier von Anfang an im Mittelpunkt des Interesses. Gleichwohl sieht Barth das dominium terrae in der zweiten Sage sehr viel nüchterner beschrieben. Dem Menschen komme hier die Rolle „des Bauern oder Gärtners“ (266) zu, sein Herrschaftsauftrag werde ganz und gar als ein Dienstauftrag verstanden. Umgekehrt bestehe nach der zweiten Sage der Zweck der Pflanzenwelt keineswegs darin, den Menschen (und die Tiere) zu ernähren, sondern vielmehr habe die Pflanzenwelt in der zweiten Sage „so etwas wie einen Selbstzweck“ (ebd.). Pointiert ausgedrückt wird nach Barths Verständnis in der zweiten Schöpfungssage nicht die Natur um des Menschen willen, sondern der Mensch um der Natur willen erschaffen. Für das Verhältnis zwischen dem Menschen und der nichtmenschlichen Kreatur bedeutet dies: Alle Überheblichkeit unter Berufung auf eine besondere Würde des Menschen, alles Vergessen der nicht nur allgemeinen, sondern sehr bestimmten Verfügungsgewalt Jahve-Elohims gerade über den Menschen wird schon im Blick auf diese seine schlichte Einordnung in den Rahmen des Ganzen der Geschöpfwelt nicht in Betracht kommen können. (266)

Es ist deutlich, dass der bisweilen kritisierte Anthropozentrismus in Barths Schöpfungslehre175 keineswegs so weit geht, dass darin eine Rechtfertigung erkannt werden könnte für jene Sorglosigkeit und Hybris, durch welche die ökologische Krise wesentlich verursacht wurde.176 Vielmehr deutet sich in Barths Beschreibung des dominium terrae hominum bereits das von der 175 Vgl. Link, Schöpfung, 328. 176 Hagencord, Gott und die Tiere, 11, lobt Barth gar als eine „Ausnahme“, der „die Ehre der nichtmenschlichen Kreatur hellsichtig“ zur Geltung gebracht habe. Zum Beleg zitiert Hagencord eine Passage aus KD III/2, 165.

208 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) „Ökologischen Theologie“ wiederentdeckte Verständnis jenes Herrschaftsauftrags im Sinne einer Verantwortung für die „Bewahrung der Schöpfung Gottes“177 an. 2.5 Christus und die Schöpfung Es ist bereits angesprochen worden, dass Barth auch in der Auslegung der Genesis-Sagen wiederholt christologische Bezüge herstellt und im Schlussabschnitt über Gen 2,18 – 25 die christologische Auslegung sogar als Ziel der gesamten Auslegung herausstellt. Im Folgenden soll zunächst die christologische bzw. trinitarische Grundlegung von Barths Schöpfungslehre kurz skizziert und anschließend auf die wichtigsten christologischen Bezüge exemplarisch eingegangen werden.

2.5.1 Die christologische bzw. trinitarische Grundlegung der Schöpfungslehre Die Einsicht, daß der Mensch sein Dasein und Sosein mit aller von Gott verschiedenen Wirklichkeit zusammen der Schöpfung Gottes zu verdanken hat, vollzieht sich allein im Empfang und in der Beantwortung des göttlichen Selbstzeugnisses, d. h. allein im Glauben an Jesus Christus: in der Erkenntnis der in ihm verwirklichten Einheit von Schöpfer und Geschöpf und in dem durch ihn vermittelten Leben in der Gegenwart, unter dem Recht und in der Erfahrung der Güte des Schöpfers seinem Geschöpf gegenüber. (1)

In diesem Leitsatz, mit dem die Schöpfungslehre in KD III beginnt, formuliert Barth die grundlegende Ansicht, nach der der christliche Schöpfungsglaube nur dem Menschen zugänglich ist, dem sich das Geheimnis von Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus erschlossen hat. Barth begründet diese These in den einleitenden Paragraphen 41 und 42 ausführlich, wobei er sowohl hermeneutische als auch exegetische Argumente anführt. Als hermeneutisches Argument zählt für ihn vor allem der Verweis auf die sachlich begründete Einheit der Schrift. Gilt die Schrift als Ganze als Christus-Zeugnis, nämlich in dem Sinne, dass das Christusgeschehen im Alten Testament als Erwartung und im Neuen Testament als Erinnerung bezeugt werde, so sei auch von den Schöpfungssagen zu sagen, dass sie den Gott bezeugen, der sich in Christus unüberbietbar als Schöpfer und Erlöser seiner Schöpfung offenbart hat (25). Auch wenn Barth an dieser Stelle auf einen expliziten Verweis verzichtet, ist die inhaltliche Übereinstimmung mit dem in KD I/2 zur Einheit der Schrift sowie zur Notwendigkeit einer sachorientierten Lektüre Gesagten unübersehbar.178 177 Moltmann, Ethik der Hoffnung, 161. Vgl. ebenfalls Auer, Umweltethik, 54 – 63. 178 Vgl. hierzu Teil A, Abschnitt 2.3 bzw. 2.4.

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Inwiefern kann gesagt werden, dass sich Gott als der Schöpfer im Versöhnungswerk und in der Verkündigung Christi unüberbietbar offenbart? Barth unterscheidet hier drei Prädikate, die nach christlichem Verständnis für den Schöpfer kennzeichnend sind, nämlich die Macht des Schöpfers über sein Geschöpf, das Recht des Schöpfers auf sein Geschöpf sowie die Güte des Schöpfers gegenüber seinem Geschöpf. Wichtig ist, dass alle drei Prädikate nach Barths Ansicht im Lebenszeugnis Jesu verwirklicht wurden. Barth verweist zunächst auf die Machttaten Jesu, in denen sich die Macht des Schöpfers widergespiegelt habe (37).179 Anschließend kommt er auf das Recht des Schöpfers zu sprechen und erläutert, dass dieses durch das Versöhnungswerk Jesu „aufgerichtet“ (38) und in den Gleichnissen Jesu anschaulich gemacht worden sei.180 Schließlich gelte erst recht für die Güte des Schöpfers, dass Jesus Christus als deren „Träger und Verkündiger […] auf den Plan getreten“ (41) sei.181 Interessant ist, dass Barth in der exegetischen Entfaltung dieser dreifachen christologischen Zuspitzung des Schöpfergedankens um ein breites Abschreiten der Evangelien bemüht ist. Er verweist nicht nur auf das Versöhnungswerk Christi als Mittler zwischen Schöpfer und Geschöpf, durch welches das Recht des Schöpfers aufgerichtet und seine Güte offenbar wird, sondern er führt zudem zahlreiche Beispiele aus der Verkündigung Jesu an, in denen wiederum das Recht und die Güte des Schöpfers bezeugt würden. In der christologischen Zuspitzung bezüglich der Macht des Schöpfers geht Barth schließlich auf die Wunderheilungen Jesu ein. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass jedes der drei Ämter Jesu, die in der Christologie klassischerweise unterschieden werden, in der exegetischen Entfaltung der christologischen Begründung der Schöpfungslehre zu seinem Recht kommt: das munus sacerdotale, das munus propheticum sowie das munus regium. Damit ergibt sich – auch wenn Barth dies an dieser Stelle nicht explizit macht – eine interessante Parallele zum exegetischen Exkurs über den Apostolat in der Erwählungslehre.182 Dass die christologische Grundlegung der Schöpfungslehre letztlich eine trinitarische Grundlegung ist, wird deutlich, wenn Barth im Anschluss auf Röm 11,36 zu sprechen kommt. Die drei präpositionalen Bestimmungen („Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“) ordnet Barth dem 179 Barth verweist auf Jesu Macht des Wortes (im Anschluss an die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum, vgl. Mt 8,5 – 13), seine Macht zu heilen, seine vollmächtige Rede (Mt 7,29), seine Macht, Sünden zu vergeben (Mk 2,10; 37 f). 180 Barth zählt u. a. jene neutestamentlichen Gleichnisse auf, in denen Jesus das Recht des Schöpfers mit dem eines Hausherrn, eines Vaters, eines Königs, eines Bräutigams, eines Haushalters oder eines Richters vergleicht (39 f). 181 Zum Beleg führt Barth u. a. Jesu Worte aus der Bergpredigt an, nach denen der gute Wille des Schöpfers anhand der Versorgung der Vögel unter dem Himmel und der Lilien auf dem Felde illustriert wird (42). 182 Vgl. Kapitel B 2, Abschnitt 2.4.

210 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) dreifachen Heilswerk Gottes zu, nämlich der Schöpfung („aus ihm“), der Versöhnung bzw. des Gnadenbundes („durch ihn“) und der Erlösung („zu ihm“). Wichtig ist, dass in Röm 11,36 alle drei Werke demselben Subjekt zugeschrieben werden. Dies lässt nach Barth auf jenen engen Zusammenhang zwischen Schöpfung, Versöhnung und Erlösung schließen, der seiner Schöpfungslehre zugrunde liegt und letztlich zu dem Ergebnis führt, dass auch in der Schöpfung „der dreieinige Gott“ (51) am Werk ist.183 Zwar werde das Schöpferwirken des Geistes im Neuen Testament nicht direkt bezeugt – dies unterscheidet ihn vom Sohn184 – aber es werde im Zeugnis von der Neuschöpfung durch den Geist „deutlich auf Gen 2,7“ (61), die Einhauchung des Lebensodems, angespielt.185 Erst durch diesen Odem würden Menschen und Tiere zu lebendigen Wesen, so dass letztlich auch der Geist als eine „conditio sine qua non“ (ebd.) der göttlichen Schöpfung anzuerkennen sei.

2.5.2 Querverbindungen zwischen Genesis 1 – 2 und dem Neuen Testament 2.5.2.1 Das Meer als Chaosmacht und die neutestamentlichen Seewunder Von der christologischen Begründung der Schöpfungslehre zu unterscheiden sind die einzelnen motivgeschichtlichen Bezüge innerhalb der Auslegung von Gen 1 – 2, in denen Barth die beiden Schöpfungssagen der Genesis mit neutestamentlichen Texten ins Gespräch bringt. Ein Beispiel hierfür findet sich in der Darlegung zum dritten Schöpfungstag nach Gen 1,9 – 13. In der Scheidung zwischen Land und Meer erkennt Barth die gnadenvolle Abwehr des Meeres als einer lebensbedrohenden Chaosmacht. Entsprechend werde auch im übrigen Alten Testament die Seefahrt „als eine der Gestalten größten menschlichen Elendes“ (166) betrachtet. Die christologische Pointe dieses Gedankens lautet: Umso bemerkenswerter ist es dann, daß die greifbarsten messianischen Machttaten Jesu darin bestehen, daß er in königlicher Freiheit auf dem Meer wandelt und daß er dem Sturm und seinen Wellen durch sein Wort Einhalt gebietet. (166)

In diesen Machttaten Jesu wie auch in der Rettung des Paulus nach der stürmischen Seefahrt in Apg 27 – 28186 habe „der neutestamentliche Schriftsteller“ die „Erfüllung aller alttestamentlichen Weissagung von Gottes Herrschaft über 183 In KD I/1 hatte Barth die drei Werke deutlich den drei Personen der göttlichen Trinität zugeordnet, allerdings auch dort schon nicht im exklusiven Sinn. Vgl. KD I/1, 404 – 414. 184 Ausführlich geht Barth auf die entsprechenden Belege in Kol 1,17 („Alles ist durch ihn gemacht“) u. a. ein (54 f). 185 Barth verweist auf Joh 6,63 („Der Geist ist es, der lebendig macht“), sowie auf 1 Kor 15,45; 2 Kor 3,6 (61). 186 Barth erkennt hierin eine „Überbietung“ der negativen alttestamentlichen Meereserfahrungen „des Salomo, des Josaphat und des Jona“ wie auch „der Dankeshymne von Ps. 107, 23 f“ (166).

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das gefährliche Meer und so auch die Bewährung von Gen. 1, 9 – 10“ (ebd.) erkannt.187 Interessant ist diese Bemerkung insofern, als Barth vom „neutestamentlichen Schriftsteller“ im Singular spricht. Es drückt sich darin die Ansicht aus, dass die Autoren des Neuen Testaments insofern als eine Einheit zu betrachten sind, als sie ihre Schriften – anders als die alttestamentlichen Autoren – in der Erinnerung an das Lebenszeugnis Jesu verfassten.188 Des Weiteren ist die Reihenfolge zu beachten, in der Barth hier alttestamentliche und neutestamentliche Texte miteinander ins Gespräch bringt. Von der Betrachtung des alttestamentlichen Textes fällt der Blick auf bestimmte Passagen des Neuen Testaments, in denen Barth das Motiv des Meeres als Chaosmacht wiederentdeckt. Dem alttestamentlichen Text wird dadurch keine neue Bedeutung eingetragen, die diesem fremd wäre. Es sind vielmehr die neutestamentlichen Seewunder, die durch den alttestamentlichen Bezug eine deutliche Bereicherung und Vertiefung erfahren: Die Berichte von Jesu Gang auf dem Wasser etwa verkündigen demzufolge nicht nur, dass Jesus zu spektakulären Naturwundern fähig gewesen wäre, sondern sie verstehen diese Wunder als qualifizierte Machterweise des Schöpfers über die seine Schöpfung bedrohende Chaosmacht des Meeres. Erst in einem zweiten Schritt erläutert Barth, dass „der neutestamentliche Autor“ (ebd.) in diesen Machterweisen den endgültigen Triumph des Schöpfers über die lebensbedrohende Macht des Nichtigen erkannt habe und damit indirekt auch auf die alttestamentliche Schöpfungssage ein neues Licht werfe. 2.5.2.2 Jesus Christus und seine Gemeinde als Gottes Ebenbild Die indirekte Vorgehensweise bezüglich der christologischen Auslegung der alttestamentlichen Schöpfungssage wird in der Darlegung zum sechsten Schöpfungstag noch einmal in aller Klarheit vorgeführt. Am Ende der Überlegungen zur Gottebenbildlichkeit des Menschen verweist Barth darauf, dass in 2 Kor 4,4 und Kol 1,15 Jesus Christus als die „eQj½m toO heoO“ bezeichnet wird (227). Ob dies zu Recht geschehe, sei letztlich „keine exegetische Frage“ (228) und könne folglich auch nicht nach exegetischen Regeln, sondern nur „in Form von Glauben oder von Unglauben“ (ebd.) beantwortet werden. Barth wendet hier ein weiteres Mal die schon häufiger beobachtete hermeneutische Regel an,189 nach der eine christologische Auslegung alttestamentlicher Texte immer unter einem Vorbehalt geschieht. Sie muss sich darüber im Klaren sein, dass ihre Auslegung nicht die sich aus den alttestamentlichen Texten als solche 187 Hierzu passt nach Barth schließlich auch die Tatsache, dass in der Schau vom neuen Himmel und der neuen Erde nach Offb 21,1 „das Meer nicht mehr sein“ (166) wird. 188 Dies ändert freilich nichts daran, dass Barth in übergeordneter Perspektive auch zwischen den Autoren beider Testamente von einer Einheit sprechen kann. 189 Vgl. Kapitel B 2, Abschnitt 2.3.2.3.

212 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) zwingend ergebende Interpretation darstellt, sondern vielmehr eine mögliche Antwortmöglichkeit auf Fragen, die sich aus diesen Texten ergeben.190 Die Pointe der christologischen Auslegung der Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht darin, dass nach Barth die Gemeinschaft von Mann und Frau ihre Entsprechung in der Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Gemeinde findet. Dass diese Entsprechung in Bezug auf die Beschreibung des Geschlechterverhältnisses nicht unproblematisch ist, wurde bereits gezeigt. Umso mehr ist zu fragen, weshalb Barth auf die christologische Auslegung in diesem Zusammenhang solchen Wert legt und was sie inhaltlich austrägt. Barth führt aus, dass die Parallelsetzung zwischen der Gottebenbildlichkeit des Menschen als Mann und Frau und der Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Gemeinde als der Verwirklichung des göttlichen Ebenbildes vor allem „ekklesiologische“ (230) Relevanz habe. Sie bringe zum Ausdruck, dass der vom Neuen Testament verkündete Christus nicht isoliert für sich existiere, sondern immer zusammen mit seiner Gemeinde (229). Das Neue Testament, und Paulus an seiner Spitze,191 „hat die Gottebenbildlichkeit des Mannes, des einen Menschen Jesus, nicht exklusiv, sondern inklusiv verstanden.“ (Ebd.)192 So sei es auch zu erklären, dass im Neuen Testament nicht nur Christus, sondern auch die Christen immer wieder als Ebenbilder Gottes bezeichnet würden. Aufschlussreich ist vor allem der Verweis auf Kol 3,10, wo die Christen als solche angeredet werden, die den neuen Menschen angezogen haben, welcher „erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat.“ Die entscheidende Aussage dieses Verses liegt nach Barth darin,

190 Ein weiteres Beispiel für diese Vorgehensweise findet sich in der Auslegung der zweiten Schöpfungssage. Im Zusammenhang der Erschaffung des Menschen zum Dienst an der Erde (Gen 2,4b–7) kommt Barth auf das „hoffnungsvolle Rätsel“ zu sprechen, das dadurch entstehe, dass das Volk Israel seiner „Mittlerstellung“ gegenüber der Welt immer wieder untreu geworden sei (270). Dieses Rätsel werde wiederum vom Neuen Testament mit Verweis auf Jesus Christus beantwortet: „Er, Jesus, ist der Mensch, dessen Existenz um der Vollkommenheit der Erde, um ihrer Erlösung von Trockenheit, Unfruchtbarkeit und Tod, um der sinnvollen Verwirklichung besonders auch der Hoffnung Israels willen kommen mußte.“ (271) 191 Barth verweist u. a. auf Kol 1,15, wonach Christus „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung“ ist. Dass Barth vom Kolosser-Brief als einem Paulus-Brief spricht, entspricht der Auslegung des Epheserbriefes in der Göttinger Vorlesung im Wintersemester 1921/22, in welcher Barth die Verfasserfrage des Epheserbriefes – nicht ohne die enge Verwandtschaft zwischen dem Epheser- und dem Kolosserbrief zu erwähnen – dahingehend beantwortet, dass er für eine Verfasserschaft des Paulus eintritt, zugleich aber betont, „dass ich kein großes Interesse an dieser Frage habe, dass es meinetwegen auch anders sein könnte“. Vgl. Erklärung des Epheserbriefes, 50. 192 Dabei ist wichtig: Mit der Gottebenbildlichkeit des „Mannes“ ist in diesem Satz nicht die allgemeine Gattung, sondern das konkrete Geschlecht Jesu gemeint – es geht in dem gesamten Abschnitt nicht um die Würdigung des Mannes gegenüber der Frau, sondern um die Würdigung der Gemeinde als Pointe der Erklärung dafür, weshalb im Neuen Testament Christus als Gottes Ebenbild bezeichnet wird.

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daß Paulus diese ,unsere‘ Teilnahme an Jesu Christi Gottebenbildlichkeit, so gewiß sie nicht auf unsrer Entschließung und Tat beruht, […] darum nicht minder auch als unsere eigene Entschließung und Tat, als unser entschiedenes Ausziehen eines alten und Anziehen eines neuen Menschen verstanden hat. (230)

Die Analogie zwischen der (nach Gen 1 gleichberechtigten) Gemeinschaft von Mann und Frau einerseits und der Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Gemeinde andererseits, für die Barth vielfach kritisiert wurde, hat ihren Sinn also darin, die aktive Teilnahme der Gemeinde an der Ebenbildlichkeit Christi als Pointe der neutestamentlichen Rede von Christus als Gottes Ebenbild zu betonen. Sie entspricht damit dem Anliegen, das Barth bereits in der Erwählungslehre hinsichtlich der Bestimmung der Erwählten zum Ausdruck bringt: Die Gemeinschaft, die der Schöpfer in Christus mit seiner Schöpfung eingeht, ist keine, in der die Schöpfung zu reiner Passivität verurteilt wäre, sondern sie hat gerade umgekehrt zum Ziel, das menschliche Geschöpf zur aktiven Antwort und Entsprechung zu befreien und zu befähigen. Dass die christologische Auslegung der Schöpfungssagen nicht nur einseitig Barths Verständnis der neutestamentlichen Christologie und Ekklesiologie befruchtet, sondern auch auf seine Interpretation von Gen 1 – 2 zurückwirkt, wird deutlich in der Auslegung zu Gen 2,18 – 25. Barth erläutert zunächst, dass die alttestamentliche Prophetie die Beziehung zwischen Mann und Frau auf das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel gedeutet habe (361 – 363). Indem dieses Verhältnis jedoch immer wieder gestört worden sei, bleibe diese Analogie unvollkommen. Hier sei nun auf „den Eph. 5, 25 f. gegebenen Kommentar zu Gen. 2, 18 f.“ zu achten, in welchem das „Geheimnis“ (Eph 5,32) des Geschlechterverhältnisses in der zweiten Schöpfungssage auf Christus und die Gemeinde gedeutet werde und so „noch einmal ganz anders Gestalt und Farbe gewinnt, ja […] erst so ganz konkreten Sinn bekommt.“ (367) Es folgt eine Aufzählung von sieben Entsprechungen zwischen der Erschaffung des ersten Menschenpaars und dem neutestamentlichen Christuszeugnis (367 f). Auffällig ist die sprachliche Form, in der Barth diese Entsprechungen präsentiert. Es folgt jeweils auf eine „Warum?“-Frage die mit einem hervorgehobenen „Darum“ eingeleitete Antwort: (1) Warum sehnt sich der erste Mensch nach einem Gegenüber? Darum, weil Christus nicht ohne seine Gemeinde sein will. (2) Warum wird zunächst die Ablehnung der Tiere durch den ersten Menschen berichtet? Darum, weil Christus seine Gemeinde in seiner „eigenen, freien Erwählung“ (367) beruft und sammelt. (3) Warum wird der erste Mensch „in jenen Tiefschlaf versetzt“? Darum, weil „Jesu Gemeinde in seinem Todesschlaf ihren Ursprung haben, in seiner Auferstehung vollendet vor ihm stehen sollte“ (ebd.). (4) Warum wird dem ersten Menschen die Rippe entnommen? Darum, weil Jesus „sich die Todeswunde zufügen“ (368) lässt, woraufhin die Gemeinde entsteht bzw. er-

214 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) baut wird.193 (5) Warum der Jubelruf des Mannes? Darum, weil zuallererst Christus die Gemeinde erkannt hat. (6) Warum die Trennung von Vater und Mutter? Darum, weil Christus die Herrlichkeit des Vaters verließ, um Mensch zu werden. (7) Warum die Nacktheit ohne Scham der beiden ersten Menschen? Darum, weil einerseits Christus gerade als der Entblößte und Erniedrigte zum „Träger aller Ehre“ geworden ist und andererseits die Gemeinde „von ihm durchschaut und entdeckt und nun doch nicht beschämt und verurteilt“ (ebd.) vor ihm steht. Der thematische Horizont, den Barth in diesen Entsprechungen aufreißt, ist enorm. Er stellt Bezüge her zu zentralen Aussagen der Erwählungslehre, der Christologie, der Rechtfertigungslehre und der Ekklesiologie. All diese Aussagen finden sich nach Barth in der alttestamentlichen Sage bereits angelegt. Zu erkennen sind sie jedoch erst „vom Neuen Testament her“ (367), wie Barth mehrfach betont. Indem Barth hier streng nach dem Frage-Antwort-Schema verfährt, bringt er nicht nur inhaltlich, sondern auch formal zum Ausdruck, dass er die christologische Auslegung als eine Antwort auf die durch den alttestamentlichen Text gestellten Fragen versteht. Das in den alttestamentlichen Texten erzählte Geschehen zwischen Gott und den ersten Menschen wird auf diese Weise weder aufgehoben194 noch in seiner Bedeutung in Frage gestellt, sondern vielmehr um eine Sinndimension ergänzt, die nach Barth aus christlicher Perspektive freilich die entscheidende Sinndimension darstellt. Ebenso wie der Bund der innere Grund der Schöpfung ist, so sieht Barth auch die Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde als sachlich vorgeordnet gegenüber der Beziehung zwischen Jahwe und Israel, wie auch der Beziehung zwischen Mann und Frau (369). 2.5.2.3 Funktion und Grenzen der christologischen Auslegung Lässt man die Frage einmal dahingestellt, ob die von Barth konstatierten thematischen Entsprechungen zwischen der Erschaffung von Mann und Frau und dem neutestamentlichen Christuszeugnis in jedem Fall überzeugend 193 In der klein gedruckten Auslegung verweist Barth darauf, dass der in der LXX für die Erschaffung der Frau verwendete Begriff „ájodºlgsem“ (Gen 2,22) mit dem neutestamentlichen Begriff „oQjodol¶“ verwandt ist, mit dem Paulus „die Errichtung der Gemeinde auf dem einen in Jesus Christus gelegten Grund beschrieben“ (373) hat. 194 So der unberechtigte Vorwurf R. Prenters, vgl. ders., Schöpfung und Erlösung, 170 f. Dass die Berichte der Genesis bei Barth nur noch als eine „für die Erlösungsgeschichte präparierte Zeichensprache“ (Prenter, a. a. O., 175) fungieren, wird von Barth an keiner Stelle behauptet, und es entspricht auch nicht seinem Beharren auf der Realität und der Bedeutung des Schöpfungsgeschehens. Prenter ignoriert, dass Barth vor der christologischen Auslegung der Passage Gen 2,18 – 25 zahlreiche Beobachtungen über das Verhältnis zwischen Mann und Frau entnimmt, in denen der Christus-Bezug noch keine Rolle spielt. So wird zum Beispiel der Todesschlaf des Mannes – noch bevor er in der geschilderten Weise auf den Kreuzestod Christi gedeutet wird – zunächst als ein Beleg dafür genannt, dass eine Beteiligung des Mannes an der Erschaffung der Frau prinzipiell ausgeschlossen ist (336).

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sind, so ist doch an dieser Stelle eine andere Frage zu diskutieren, die sich von den soeben dargestellten Beispielen her aufdrängt. Es ist die Frage nach der Funktion und den Grenzen der christologischen Auslegung von alttestamentlichen Texten. Die Funktion der christologischen Auslegung lässt sich im Anschluss an Barths Auslegung von Gen 1 – 2 auf dreifache Weise bestimmen: Nicht selten besteht Barths christologische Auslegung im Wesentlichen darin, thematische Bezüge zwischen alt- und neutestamentlichen Texten aufzuzeigen mit dem Ziel, die neutestamentlichen Texte um bestimmte Sinndimensionen zu bereichern. So geht Barth, wie gesehen, unter anderem in der Auslegung von Gen 1,9 – 13 vor, wenn er von der Abwehr des Meeres als einer die Schöpfung bedrohenden Chaosmacht auf die neutestamentlichen Seewunder zu sprechen kommt. Diese Art christologischer Schriftauslegung des Alten Testaments als einen Missbrauch der alttestamentlichen Texte zu kritisieren, würde bedeuten, den geistigen Hintergrund der neutestamentlichen Autoren zu leugnen, die ihre Schriften ganz offensichtlich in Kenntnis und unter mannigfacher Benutzung des alttestamentlichen Kanons entworfen haben.195 Die zweite Funktion der christologischen Auslegung besteht darin, das Christuszeugnis des Neuen Testaments als eine Antwort auf bestimmte Fragen der alttestamentlichen Texte darzustellen. Es ist dies die Vorgehensweise, die sich am häufigsten in Barths Auslegungspraxis beobachten lässt. Indem sich diese zweite Art der christologischen Auslegung beständig darüber im Klaren ist, dass sie keine unvoreingenommene, sondern eine vom Neuen Testament belehrte Perspektive einnimmt, verzichtet sie auf einen Absolutheitsanspruch in dem Sinne, als könne man die alttestamentlichen Texte nicht auch einer anderen Deutung zuführen.196 Den Vorwurf der christlichen Vereinnahmung oder des Missbrauchs der alttestamentlichen Texte wird man dieser zweiten Art der christologischen Auslegung nur dann machen können, wenn man sich eingesteht, damit zugleich das Selbstverständnis nahezu aller neutestamentlichen Texte in Frage zu stellen. Dass diese sich nicht nur als eine Reproduktion, sondern als eine produktive Weiterarbeit an den alttestamentlichen Texten und ihren theologischen Fragen (und Antworten) verstanden, ist kaum zu bestreiten. Nun findet sich jedoch in der Auslegung von Gen 1 – 2, genauer in der Beschreibung der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau, auch eine 195 Vgl. Herms, Phänomene des Glaubens, 396, der die neutestamentlichen Schriften pointiert als Zeugnisse einer „christlichen Kommunikation des Alten Testaments“ bezeichnet. 196 Interessant ist, dass Barth in diesem Zusammenhang eine größere Vorsicht walten lässt als sein Freund W. Vischer, der die Erschaffung des Lichts nach Gen 1,3 nur so meint „richtig auslegen“ zu können, dass er mit Verweis auf 2 Kor 4,6 das Licht der Schöpfung unmittelbar mit der „Klarheit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“ gleichsetzt. Vgl. Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments I, 56. Zur Verteidigung Vischers sei angemerkt, dass auch er sehr wohl weiß, dass sich diese Gleichsetzung der neutestamentlichen Botschaft verdankt und somit erst „durch den Glauben an Jesus Christus“ möglich wird. Vgl. ebd.

216 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) dritte Art christologischer Auslegung. Deren Funktion besteht darin, von den neutestamentlichen Texten her auch den ursprünglichen Sinngehalt der alttestamentlichen Texte neu zu bewerten. Die christologischen Aussagen werden hier nicht nur als Antwort auf bestimmte Fragen präsentiert, sondern darüber hinaus wird das in Gen 1 – 2 dargestellte Verhältnis zwischen Mann und Frau von der neutestamentlichen Beschreibung der Beziehung zwischen Christus und seiner Gemeinde her einer neuen Bewertung unterzogen, was letztlich zu einer Verzerrung bzw. einer christologischen Überfrachtung der alttestamentlichen Darstellung führt. In das nach den alttestamentlichen Texten grundsätzlich gleichrangige Verhältnis der Geschlechter wird auf diese Weise jene prinzipielle Ungleichheit eingeführt, die sehr wohl für das Verhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde, nicht aber für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern angemessen ist. Der sich für die Gemeinde hingebende Christus wird zum Vorbild für den Mann, der seine Überlegenheit gegenüber der Frau in der demütigen Unterwerfung vollzieht und sein Patriarchat als „Liebespatriarchat“ gestaltet. Die Kritik gegenüber dieser dritten Art der christologischen Schriftauslegung muss natürlich im Blick behalten, dass Barth sich in diesem Zusammenhang schlicht im Gefolge des Epheserbriefs wähnt (367). Sie darf darüber hinaus auch hier nicht hinter die Erkenntnis zurückgehen, dass Barths Geschlechterlehre durchaus in den Rahmen jener Forderungen passt, die zu seiner Zeit von Seiten der Frauenbewegung erhoben wurden. Wohl aber ist zu kritisieren, dass Barth die primär christologisch-ekklesiologische Aussage von Eph 5,32, die obendrein im Kontext der Haustafel-Ethik zu stehen kommt, zum Schlüsselvers für das Verständnis der Anthropologie bzw. der Geschlechterlehre von Gen 1 – 2 macht. Hier muss er sich seinerseits jenen Vorwurf der „let²basir eQr %kko c´mor“ gefallen lassen, den er selbst bisweilen erhebt.197

3. Fazit: Schöpfung als Wohltat „In KD III/1 betätigt sich der theologische Systematiker als Exeget.“198 Man wird dieser Einschätzung O. Bächlis nur zustimmen können. Nicht nur, dass Barth sich die Gliederung des ersten Kapitels seiner Schöpfungslehre weitgehend von den biblischen Schöpfungssagen vorgeben lässt, sich mithin an deren Erzählduktus orientiert. Auch die zahlreichen exegetischen Einzelbeobachtungen sowie die umfangreiche Rezeption der exegetischen Sekundärliteratur lassen Bächlis Charakterisierung als berechtigt erscheinen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Barth auch in der fortlaufenden Auslegung von Gen 1 – 2 zugleich Systematiker bleibt. Die exegetische Arbeit steht, wenn auch 197 Vgl. u. a. KD II/1, 257. 198 BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths, 228.

Fazit: Schöpfung als Wohltat

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nicht in allen Einzelheiten, insgesamt deutlich im Dienst der dogmatischen Argumentation.199 Das theologische Anliegen, das Barth in der gesamten Auslegung verfolgt, kann wohl am besten mit Barths eigenen Worten beschrieben werden. Es geht ihm darum, die Schöpfung als eine „Wohltat“ (377) darzustellen. Deshalb arbeitet er so gründlich jenen doppelten Zusammenhang zwischen Bund und Schöpfung heraus, der seiner Meinung nach der Existenz der beiden biblischen Schöpfungssagen entspricht. Beide Aspekte dieses Doppelverhältnisses bringen zum Ausdruck, dass der Gott, der die Welt erschaffen hat, nicht etwa – wie z. B. Marcion dies tut200 – von jenem zu unterscheiden ist, der seine Geschöpfe zum Gnadenbund einlädt. Im Gegenteil: Weil Gott seine Geschöpfe zum Gnadenbund einladen will, darum erschafft er sie zu seinem Gegenüber. Die Welt als Lebensraum der Geschöpfe ist folglich auch kein Gefängnis, in dem der Mensch ein unglückliches Dasein fristen muss, sondern sie ist das Haus, das Gott ihm baut und ausstattet, damit er darin leben und zum selbständigen Protagonisten der Bundesgeschichte, kurz gesagt: zum Partner Gottes werden kann. Von einem Dualismus zwischen Natur und Geschichte kann insofern ebenso wenig die Rede sein, wie von einem Dualismus zwischen Schöpfer und Erlöser. Die Natur ist das Werk des Schöpfers, der zugleich der Erlöser ist bzw. derjenige, der die Geschichte des Bundes begründet und in der Inkarnation des Logos zu ihrem Ziel führt. Dass Barths Schöpfungslehre der Natur gegenüber der Geschichte deutlich weniger Gewicht zugesteht, hat seinen Grund darin, dass im Verhältnis zwischen Schöpfung und Bund das sachliche Primat beim Bund liegt. Der Bund ist der innere Grund der Schöpfung, die Schöpfung hat mithin der Logik des Bundes zu folgen.201

199 So stellt auch Bächli in Bezug auf die semantischen Studien Barths fest: „Barths philologisches Interesse ist eindeutig seinem ,theologischen Ansatz‘ untergeordnet.“ BQchli, a. a. O., 235. Allerdings unterlässt es Bächli weitgehend, den Zusammenhang zwischen Barths Exegese und seinen theologischen Anliegen aufzuzeigen. Exegetische Beobachtungen und „Theologische Schwerpunkte“ werden bei Bächli in der Regel getrennt voneinander besprochen, was u. a. in der Verteidigung Barths gegen den Vorwurf des „Schöpfungsdoketismus“ – vgl. hierzu die abschließenden Bemerkungen dieses Abschnitts – dazu führt, dass eines der entscheidenden Argumente, nämlich die Funktion von Barths Gattungsbestimmung (einer exegetischen Entscheidung!), überhaupt nicht erwähnt wird. Vgl. BQchli, a. a. O., 264 f. 200 Zu Marcions Dualismus vgl. Moll, The Arch-Heretic Marcion, 47 – 76, bes. 59 f, sowie Barths Kritik an Marcion, KD III/1, 382 f. 201 Der Behauptung von A. Käfer, Barth habe die „Unvereinbarkeit von Gottes Gnaden- und Gottes Schöpferhandeln“ postuliert (KQfer, Inkarnation und Schöpfung, 270), so dass nach Barth „die Inkarnation des Gottessohns […] faktisch infolge des Bundesbruchs und damit frei von aller Anknüpfung an das Werk des Schöpfers geschehen“ sei (KQfer, a. a. O., 367), muss angesichts der Auslegungen der beiden Schöpfungserzählungen, in denen gerade der Zusammenhang zwischen Schöpfung und Bund herausgearbeitet wird, als Ergebnis einer allzu einseitigen Barth-Interpretation widersprochen werden.

218 B 3: Der Kommentar zu Genesis 1 – 2 in der Schöpfungslehre (KD III/1) Deswegen mit R. Prenter u. a. den Vorwurf eines „gewissen Schöpfungsdoketismus“ zu erheben,202 scheint reichlich übertrieben, betont Barth doch nicht zuletzt in den Überlegungen zur Gattung der Sage, dass es sich in den Schöpfungserzählungen um konkrete Geschichte handle, die keineswegs von einer ungeschichtlichen Vorzeit erzählen wolle, sondern von Gottes Schöpferhandeln am Anfang der Geschichte. Die „Realität der geschaffenen Welt“203 wird von Barth durchaus zu ihrem Recht gebracht – eben in dem Maße, wie er sie in der Genesis vor allem durch die erste Sage zu ihrem Recht gebracht sieht, in der der planmäßige Aufbau der geschaffenen Welt berichtet wird. Dass Barth von einem sachlichen Primat des Bundes gegenüber der Schöpfung spricht, darf keineswegs dazu verleiten, jene Aussagen zu übersehen, in denen die Realität des Schöpfungsgeschehens festgehalten und das Lob der guten Schöpfung – auch das Lob der nichtmenschlichen Kreatur! – von Barth entfaltet wird. Insgesamt können Barths Ausführungen in KD III/1 einerseits als Beispiel dafür gelten, dass eine als Auslegung der biblischen Schöpfungssagen konzipierte Schöpfungslehre keineswegs notwendig zur Vorstellung einer „Schöpfung ohne Natur“ führen muss, die zu Beginn des Kapitels als eine der zentralen Fehlentwicklungen der neueren Dogmengeschichte beschrieben wurde. In Bezug auf die Beschreibung des Geschlechterverhältnisses ist dagegen zu sagen, dass eine solche Konzeption umgekehrt genauso wenig garantiert, bestimmten Fehlentwicklungen wirksam entgegenzutreten. Dass Barths Schöpfungslehre jedenfalls nicht nur in ihrer äußeren Gestalt, sondern auch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Leitlinien ganz wesentlich von exegetischen Überlegungen bestimmt wird, kann mit Blick auf die Ausführungen in diesem Kapitel eindeutig bejaht werden.

202 Prenter, Schöpfung und Erlösung, 175. Vgl. außerdem HQrle, Sein und Gnade, 97 f bzw. 167 – 171. 203 Prenter, a. a. O., 175.

B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2) 1. Thematische Hinführung: Barths Sündenlehre als Teil der Versöhnungslehre Die folgende thematische Hinführung zu Barths Sündenlehre richtet den Fokus auf andere Aspekte, als dies in den Hinführungen der vorangehenden Kapitel – insbesondere in den Kapiteln B 1 und B 2 – der Fall war. Ging es dort vor allem darum, den biblischen sowie den dogmengeschichtlichen Kontext zu beleuchten und vor diesem Hintergrund die spezifischen Intentionen von Barths Ausführungen zu erläutern, so ist in Bezug auf die Sündenlehre vor allem auf den werkgeschichtlichen Kontext einzugehen. Diese Vorgehensweise gilt es kurz zu erläutern: Eine umfassende Erläuterung des biblischen Kontexts im Rahmen der thematischen Hinführung zur Sündenlehre scheitert – ähnlich wie in Bezug auf die Schöpfungslehre – bereits an dem Umfang, mit dem das Thema der Sünde in den biblischen Büchern behandelt wird. Ein Blick in die Konkordanz genügt, um festzustellen, dass von der Sünde nicht nur implizit, sondern auch explizit in den meisten der 66 Bücher1 und jedenfalls in allen Teilen der Bibel2 ausführlich die Rede ist. Diese Beobachtung ist freilich insofern aufschlussreich, als die von Barth in seinen exegetischen Erläuterungen zur Sündenlehre vorgenommene Konzentration auf alttestamentliche Erzähltexte erkennbar wird als eine bewusste Schwerpunktsetzung, deren Begründung im Zuge der Analyse zu klären sein wird. Eine eigenständige Untersuchung des dogmengeschichtlichen Kontexts ist wiederum insofern verzichtbar, als Barth seine Sündenlehre in KD IV in einem so weit fortgeschrittenen Stadium der Arbeit an der Kirchlichen Dogmatik entfaltet, dass eine inhaltliche Abhängigkeit von der dogmatischen Tradition in weit geringerem Maß zu beobachten ist als noch in früheren Bänden, wo etwa die Prädestinationslehre Calvins deutlich im Hintergrund der Entwick1 Keine expliziten Belege finden sich lediglich in den Büchern Esther, Hoheslied, Joel, Obadja, Jona, Nahum, Haggai, Maleachi im Alten Testament sowie dem Philipper-, dem Philemon-, dem Zweiten und Dritten Johannesbrief im Neuen Testament. 2 Vgl. Grund, Sünde/Schuld und Vergebung, 1874 f; Metzner, Sünde/Schuld und Vergebung, 1876 – 1879. An neuerer Literatur zum Thema aus den verschiedenen theologischen Disziplinen sei außerdem auf folgende Titel verwiesen: Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes; AxtPiscalar, Ohnmächtige Freiheit; Willi, Unbegreifliche Sünde; Koch, Sünde im Alten Testament; Sung, Vergebung der Sünden.

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B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2)

lung von Barths eigener Erwählungslehre in KD II/2 steht. Zur Zeit der Arbeit an KD IV steht das Gerüst von Barths Dogmatik so weit, dass die grundlegenden Entscheidungen bezüglich der Konzeption der Sündenlehre gefallen sind. Umso wichtiger ist es, diese grundlegenden Entscheidungen, also den werkgeschichtlichen Kontext der Sündenlehre, wahrzunehmen, um vor diesem Hintergrund die Intentionen von Barths Sündenlehre und die Funktion der exegetischen Exkurse in der Sündenlehre präzise bestimmen zu können. Zu den grundlegenden Entscheidungen bezüglich der Konzeption von Barths Sündenlehre zählt vor allem ihre Stellung innerhalb der Versöhnungslehre in KD IV. Diese beginnt in ihren ersten drei Bänden bekanntlich jeweils mit einem Kapitel der Christologie, an welches sich je ein Kapitel der Hamartiologie anschließt.3 Diese spezifische Reihenfolge kündigt sich ihrerseits bereits im dritten Teil von Barths Schöpfungslehre (KD III/3) an, in dem Barth in § 50 („Gott und das Nichtige“) den Satz aufstellt, dass die Sünde allein „in Jesus Christus erkannt und von ihm bekannt ist“ (KD III/3, 349). Indem Barth davon ausgeht, dass eine Erkenntnis der Sünde nur vom Christusgeschehen her möglich ist, ist es nur folgerichtig, dass er seine Hamartiologie nicht unmittelbar auf die Schöpfungslehre folgen lässt, sondern in KD IV als Teil der Versöhnungslehre bzw. nach der Christologie entfaltet,4 wohl wissend, dass er damit einen anderen Weg wählt als die meisten Dogmatiker seiner Zeit.5 Um den werkgeschichtlichen Kontext von Barths Sündenlehre aufzuzeigen, wird im Folgenden auf zwei wichtige Konsequenzen näher eingegangen, die sich aus der Integration der Sündenlehre in die Versöhnungslehre ergeben. Es sind dies die Charakterisierung der Sünde als eines Zwischenfalls (1.1) und die Entfaltung der Sündenlehre als einer konkreten Hamartiologie (1.2).

3 Zum Aufbau der Versöhnungslehre in KD IV vgl. Barths Erläuterungen in KD IV/1, 140 – 170. 4 Die Ausführungen über das Nichtige in KD III/3, § 50 können somit als Grundlage für die Sündenlehre in KD IV bezeichnet werden. Deshalb die Sündenlehre in KD IV gleich zu ignorieren, wie P. Jacobs dies tut (vgl. ders., Sünde IV, 1227), ist freilich nicht angebracht. Es ist durchaus von Bedeutung, dass Barths Aussagen zur Sünde nicht nur „im Zusammenhang mit der Lehre von der Schöpfung“ (ebd.), sondern eben auch im Zusammenhang mit der Versöhnungslehre stehen. 5 Vgl. etwa Kirn, Grundriß der Evangelischen Dogmatik, 79 – 101; Kaftan, Dogmatik, 294 – 392; Elert, Der christliche Glaube, 184 – 191; Brunner, Dogmatik II, 100 – 145; Seeberg, Christliche Dogmatik II, 1 – 126; Schlatter, Das christliche Dogma, 222 – 279; Althaus, Grundriss der Dogmatik II, 58 – 81. Eine ähnliche Reihenfolge wie Barth wählen: Rade, Glaubenslehre III, §§ 75 – 78; Troeltsch, Glaubenslehre, 300 – 317. Zur Stellung der Sündenlehre Barths innerhalb der Versöhnungslehre vgl. Krçtke, Sünde und Nichtiges, 53 – 56, sowie Beintker, Hamartiologie und Christologie, 39 – 59.

Barths Sündenlehre als Teil der Versöhnungslehre

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1.1 Christologie und Hamartiologie: Die Sünde als Zwischenfall Wie in Kapitel B 3 ausführlich dargelegt, bezeichnet Barth den in Christus erfüllten Bund als inneren Grund der Schöpfung, die Schöpfung dagegen als äußeren Grund des Bundes.6 Schöpfung und Bund werden damit in einen engen sachlichen Zusammenhang gestellt. Dieser enge Zusammenhang wirkt sich auch auf Barths Sündenverständnis aus. Barth betont, dass die Kontinuität zwischen Gottes Wirken als Schöpfer und als Begründer des Bundes durch die Sünde des Menschen nicht aufgehoben werden kann. Die Sünde des Menschen ist vielmehr der „Zwischenfall“ (IV/1, 487), durch den die in der Schöpfung ermöglichte und beabsichtigte Gemeinschaft zwischen Schöpfer und Geschöpf allerdings eine empfindliche Störung erfährt. Barth bezeichnet die Sünde als „das Urphänomen aller Zwischenfälle“, sie ist für ihn „der Inbegriff des Nicht-Notwendigen, NichtOrdnungsmäßigen, alles Sinn- und Planwidrigen.“ (Ebd.) Zwar ist die Sünde „der Kenntnis und der Verfügung Gottes nicht entzogen“, noch wichtiger ist ihm jedoch die Feststellung, dass die Sünde „kein Werk seiner Schöpfung und auch keine Veranstaltung seiner Vorsehung“ ist (ebd.). Die Sünde widerspricht vielmehr dem Willen Gottes, sie hat „in der Schöpfung Gottes keine Heimat“, sondern kann in dieser nur „als ein Fremdling gegenwärtig und wirksam sein“ (153). Letztlich ist die Sünde als „der mächtige, vor Gott freilich durchaus ohnmächtige Einbruch des Nichtigen“ zu verstehen, der „unter dem ursprünglichen, radikalen, endgültigen und darum auch siegreichen Nein Gottes“ steht (49). Sichtbar vollzogen wurde dieses „siegreiche Nein“ im Christusgeschehen. Barth schreibt: „Die in Jesus Christus geschehene Versöhnung ist Gottes Replik auf des Menschen Sünde und ihre Folgen.“ (48) Die Erfüllung des Bundes im Christusgeschehen qualifiziert die Sünde als einen „Zwischenfall“, während die Sünde ihrerseits jener Erfüllung „den Charakter einer Versöhnung“ (72) verleiht. Fragt man danach, was zuerst war, die Sünde oder die Versöhnung, so ist mit Barth zu antworten, dass die Versöhnung zwar „faktisch Gottes Replik“ (49) auf die Sünde ist. In Wahrheit entspricht sie jedoch dem ursprünglichen Willen des Schöpfers, der seine Schöpfung um der Gemeinschaft mit dem Geschöpf willen ins Werk gesetzt hat. Die Versöhnung ist somit der Sünde gegenüber sachlich vorgeordnet, und das bedeutet, sie ist ihr in ihrem Wesen und Ursprung, nämlich im Willen des Schöpfers zur Gemeinschaft mit seinem Geschöpf auch chronologisch vorgeordnet. Am Anfang steht der in der gesamten Bundesgeschichte sich manifestierende, aber erst im Christusgeschehen endgültig aufgerichtete Ge6 Vgl. insbesondere B 3, Abschnitt 2.3. 7 Die Seitenzahlen in den folgenden beiden Abschnitten beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf diesen Band.

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B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2)

meinschaftswille Gottes. Dass dieser sich auch von der dazwischengekommenen Sünde „nicht irre machen“ lässt (72), entspricht der „Treue Gottes gegen sich selbst und gerade damit gegen uns“ (50). Wird die Sünde verharmlost, indem sie von vornherein als die von der Versöhnung überwundene Sünde und damit als ein Phänomen des „Nichtigen“ betrachtet wird?8 Nach Barth ist das Gegenteil der Fall. Wer die Sünde vom Versöhnungsgeschehen her begreife, der sehe erst, wie groß die Untreue des sündigen Menschen ist: als Widerspruch des Menschen gegen den ihm verbündeten Gott unverzeihlich und als Selbstwiderspruch des mit Gott verbündeten Menschen für diesen vernichtend – das wird dadurch, daß die Gnade eben da noch mächtiger wird, weder aufgehoben noch eingeschränkt noch abgeschwächt. (74)

Es ist „,teure‘ und nicht ,billige‘ Gnade“ (ebd.), so Barth im Anschluss an D. Bonhoeffer9, die dem die Sünde überwindenden Versöhnungsgeschehen zugrunde liegt.10 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die theologische Funktion der Rede von der Sünde als „Zwischenfall“ darin besteht, die bereits in der Schöpfungslehre (KD III/1) stark gemachte Kontinuität zwischen Schöpfung und Bund bzw. Schöpfung und Versöhnung auch in Hinsicht auf die Sünde zu unterstreichen. Die Sünde ist keineswegs notwendig in der Schöpfung angelegt, vor allem aber bestreitet Barth, dass Gottes Handeln an seiner Schöpfung durch die Sünde eine substantielle Veränderung erfahren würde. Das Versöhnungsgeschehen als „faktische Replik“ auf die Sünde folgt vielmehr derselben Logik, mit der Gott als der Schöpfer schon immer an seiner Schöpfung gehandelt hat, was Barth, wie soeben gezeigt, vor allem mit dem Begriff der „Treue“ Gottes zum Ausdruck bringt. 1.2 Konkrete Hamartiologie Nach Barths Verständnis wird die Sünde erst vom Christusgeschehen her in ihrer wahren Tiefe sichtbar, nämlich als Widerspruch gegen den Versöhnungswillen Gottes (155). Diese Ansicht wirkt sich unmittelbar aus auf den Ort, den die Hamartiologie in Barths Dogmatik einnimmt. Anders als die meisten Dogmatiker seiner Zeit entfaltet Barth seine Sündenlehre nicht vor der Versöhnungslehre, sondern er integriert sie in diese, so dass die Hamartiologie in KD IV/1 bis KD IV/3 jeweils zwischen der Christologie und der 8 In diese Richtung zielt letztlich die Kritik von G. Wingren, der in Barths Theologie „eine aktive Sündenmacht, eine tyrannische Macht des Verderbens, die den Menschen in Knechtschaft hält“ vermisst. Wingren, Theologie, 38. 9 Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, DBW 4,29. 10 Dass Barths Sündenlehre sich gerade gegen eine Verharmlosung der Sünde wendet, wird ebenfalls von E. Busch vertreten und ausführlich erläutert, vgl. Busch, Leidenschaft, 207 – 211.

Barths Sündenlehre als Teil der Versöhnungslehre

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Soteriologie zu stehen kommt. Durch diese Anordnung der dogmatischen Topoi verdeutlicht Barth, dass die Sünde nicht als Verstoß gegen ein abstraktes „Naturrecht“ (154), sondern als „des Menschen aktiver Widerstand gegenüber dem ihm aktiv begegnenden Gott“ (156) zu verstehen ist. Als „Bruch des Bundes“ kann die Sünde „nur vom Bunde her wahrgenommen werden.“ (154) Dies hat zur Folge, dass sich die Erkenntnis des Menschen als Sünder nach Barth nur in Form einer „Offenbarungs- und Glaubenserkenntnis“ (397) vollziehen kann.11 Zur Begründung dieser letzten Konsequenz fügt Barth einen exegetischen Exkurs (433 – 438) an, in welchem er zunächst mehrere biblische Beispiele nennt, in denen die Selbsterkenntnis des Sünders als eine solche beschrieben wird, die der Erkenntnis der Gnade folgt. Barth verweist u. a. auf das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32), in dem die Sündenerkenntnis des Sohnes auf die Erinnerung an den Reichtum seines Vaters sowie sein Sündenbekenntnis auf die liebevolle Begrüßung des Vaters erfolgt (433). Ausführlich kommt Barth anschließend auf den Abschnitt Röm 1,18 – 3,20 zu sprechen (434). Die Pointe seiner Auslegung besteht darin, dass er im „Gesetz des Glaubens“ (Röm 3,27) einen neuen Gesetzesbegriff von Paulus eingeführt sieht, der mit dem alten, die Werke des Menschen einfordernden Gesetz nicht verwechselt werden dürfe (435). Am „Gesetz des Glaubens“, das zur dankbaren Annahme der Versöhnung in Christus auffordere und damit inhaltlich dem Evangelium entspreche (437), versündigten sich nach Paulus alle Menschen, Juden wie Heiden (436). Gleichzeitig sei es dieses Gesetz, an dem die Menschen nach Röm 3,20 ihre Sünde erkennen und durch das sie sich zur Buße rufen lassen (437). Der erste Aspekt der Konkretheit von Barths Sündenlehre besteht also darin, dass er die Erkenntnis der Sünde streng an das konkrete Christusgeschehen bindet. Sünde bedeutet nach Barth nicht, gegen ein allgemeines Naturrecht zu verstoßen, sondern das in Christus gemachte Versöhnungsangebot Gottes abzulehnen. Für den Aufbau der Sündenlehre bedeutet dies, dass sich aus den drei Hauptmomenten der Christologie, nämlich der Erniedrigung Christi (KD IV/1), seiner Erhöhung (KD IV/2) sowie seinem Amt als wahrhaftiger Zeuge (KD IV/3) im Gegensatzverfahren die Hauptmomente der Sündenlehre ergeben: des Menschen Hochmut (KD IV/1), des Menschen Trägheit (KD IV/2) sowie des Menschen Lüge (KD IV/3). Der zweite Aspekt der Konkretheit von Barths Sündenlehre besteht darin, dass Barth die Sünde nicht als ein notwendiges anthropologisches Prinzip, sondern als den konkreten Widerspruch eines bestimmten Menschen oder 11 Mit dieser Einschätzung setzt sich Barth u. a. in Widerspruch zu R. Bultmanns Hamartiologie, die davon ausgeht, dass der in die Sünde verstrickte Mensch von sich aus um seine Verstricktheit wissen könne. Vgl. u. a. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 54: „[Der Mensch] kann um seinen Verfall nur wissen, wenn er selbst verfallen ist!“ In Barths Auseinandersetzung mit Bultmanns Entmythologisierungsaufsatz (vgl. KD III/2, 531 – 537) wird dieser für alle weiteren (nicht zuletzt schrifthermeneutischen) Differenzen grundlegende Dissens nicht gesehen.

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B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2)

einer bestimmten Gruppe von Menschen versteht. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass die Sünde auch als Verstrickung in den Blick kommt, entscheidend ist für Barth jedoch der Charakter der Sünde als „aktiver Widerstand“ des Menschen, auch jedes einzelnen Menschen, von Anfang an. „Eben des Menschen Geschichte bestand nämlich von ihrem Anfang – und besteht auch als Geschichte jedes einzelnen Menschen – nicht in einem Halten des Bundes, sondern in dessen Bruch“. (IV/1, 71) Warum ist die Bestimmung der Sünde als ein sich in der konkreten Geschichte von Menschen ereignender aktiver Widerstand für Barth so wichtig? Sie ist es deshalb, weil sie Barths Beschreibung von der die Sünde überwindenden Gnade Gottes entspricht. Auch Gottes Gnade vollzieht sich nicht als ein notwendiges Prinzip, sondern als die konkrete und neue Tat Gottes in der konkreten Lebens-, Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu von Nazareth. Immer wieder betont Barth, dass das Christusgeschehen nicht als ein „Mythus“ (21) verstanden werden dürfe, sondern als Gottes „eigene, aktive Gegenwart“ in der „konkreten, einmal geschehen Christusgeschichte“ (79 f). Exegetisch untermauert Barth diese Ansicht durch eine Auslegung von Joh 3,16 (75 – 78) und 2 Kor 5,19 (78 – 83). In beiden Versen wird nach Barth die Versöhnung in Christus als „eine Geschichte erzählt“ (78), deren Einmaligkeit unter anderem durch die Verwendung des Aorists in Joh 3,16 („Ac²pgsem“) unterstrichen werde. In 2 Kor 5 sei es vor allem der vorangehende V. 17, der durch die Betonung des „Neuen“ dem Missverständnis vorbeuge, es sei das Christusgeschehen im Sinne eines immer wiederkehrenden Erlösungsmythos oder eines notwendigen Heilsmechanismus zu verstehen. Vielmehr ist es, so Barth, die freie Gnade Gottes, die in Christus aktiv und konkret den Menschen begegnet ist. Dass das Christusgeschehen von bleibender Bedeutung ist, tue seiner Einmaligkeit keinen Abbruch. In dem damals sich ereignenden Geschehen sei die Versöhnung aufgerichtet worden, die fortan gelte und von Paulus und den Aposteln verkündigt werde (81 f).12 Wird die Versöhnung als ein konkretes Ereignis verstanden, so muss auch von der Sünde möglichst konkret geredet werden. Auch die Sünde ist nach Barth „Ereignis“, nämlich das Ereignis der „Abwendung des Menschen von Gott“ (154), das in der je konkreten „Geschichte jedes einzelnen Menschen“ (71) vollzogen wird. Zwar geschieht die Abwendung des Menschen von Anfang an, so dass der in die Sünde verstrickte Mensch immer auch die Rolle „des armen Opfers“ (152) innehat. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Mensch zunächst in der Rolle „des verantwortlichen Täters“ (ebd.) zu stehen 12 Das Verständnis des Christusgeschehens als einer konkreten, einmaligen Geschichte in Abgrenzung von einem immer wiederkehrenden Mythos oder einem notwendigen Prinzip wird im christologischen Teil von KD IV/1 immer wieder pointiert wiederholt, u. a. in Bezug auf Jesu Passion (270) und in Bezug auf die Auferstehung (370 f). Vgl. ebenfalls den einleitenden Satz „Die Versöhnung ist Geschichte“ (171) sowie die exegetische Vertiefung zur Einmaligkeit des Versöhnungswerks (246 – 250), in der Barth u. a. die „Geschichte“ der „synoptischen Evangelien“ nacherzählt.

Barths Sündenlehre als Teil der Versöhnungslehre

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kommt. Wie die Versöhnung als Gottes freier Gnadenakt und nicht etwa als notwendige Synthese zu verstehen ist, so muss nach Barths Meinung auch die Sünde nicht etwa als notwendige Antithese zum Bund, sondern als konkrete Verfehlung erkannt werden, wie Barth in einem kurzen Exkurs der Religionsphilosophie Hegels entgegenhält (84).13 Wie wichtig der Aspekt der Konkretheit für Barths Hamartiologie ist, zeigt sich schließlich daran, dass sich die exegetische Entfaltung der Sündenlehre Barths zu einem großen Teil in der Auslegung biblischer Erzähltexte vollzieht. An den konkreten Verfehlungen Ahabs, Davids, Nabals etc. versucht Barth zu erläutern, was Sünde ist. Die jeweils präsentierten Figuren mit ihren konkreten Verfehlungen stehen dabei exemplarisch für die konkreten Sünden aller Menschen. Die Besonderheit von Barths Auslegungen besteht darin, dass sie den Stil der Erzählung beibehalten, also als Nacherzählungen konzipiert sind. Auf diese Weise gelingt es Barth umso eindrücklicher, die Anschaulichkeit der biblischen Erzählungen in seinen eigenen Auslegungen widerzuspiegeln. Dass Barth mit der Gattung der Nacherzählung nicht nur stilistische, sondern auch theologische Gründe verfolgt, wird im Verlauf der folgenden Analyse zu verdeutlichen sein. Diese Analyse folgt dem bisher praktizierten Muster, indem sie zunächst einen tabellarischen Überblick über die narrativen Auslegungen in der Sündenlehre in KD IV/1 f vermittelt. Im Anschluss werden diese Auslegungen anhand zweier verschiedener Beispielgeschichten eingehend untersucht und sowohl hinsichtlich ihrer Methodik als auch hinsichtlich ihrer theologischen Schwerpunkte durchsichtig gemacht. Schließlich werden noch einmal sämtliche acht Nacherzählungen in den Blick genommen und zu den Analyseaspekten der modernen Narratologie in Beziehung gesetzt. Dabei werden zwei unterschiedliche Fragen im Mittelpunkt stehen: Zum einen die nach Barths eigenem Erzählstil, also die Frage nach Barth als Narrator, zum anderen die Frage, wie Barth – darin dann selbst Narratologe – den narrativen Charakter der biblischen Erzählungen in seinen Auslegungen zur Geltung bringt.14 Beide Fragen münden schließlich in einem Fazit, in welchem der theologische Ertrag herausgestellt wird, den Barth in der Auslegung der alttestamentlichen Er-

13 Vgl. hierzu Krçtke, Sünde und Nichtiges, 27 – 32. J.S. Kims Kritik an der Konzentration Barths „auf die private Ebene der Sünde“ unter Vernachlässigung der „makrostrukturelle[n] Zwangsläufigkeit zum Sündigen“ bzw. der „Verantwortung der Gesellschaft oder des Staates für die meistens von einem elitären Kreis angestiftete Sünde“ (Kim, Barths Lehre von der Sünde, 131 f) weist somit auf eine reale, zugleich aber beabsichtigte Einseitigkeit in Barths Sündenlehre hin. Immerhin ist zum sozialkritischen Potential von Barths Hamartiologie festzuhalten, dass in den zur Veranschaulichung ausgewählten alttestamentlichen Erzählungen fast durchweg Vertreter jener „elitäre[r] Kreise“, nämlich überwiegend die Könige Israels, als exemplarische Sünder vorgestellt werden, vgl. hierzu den tabellarischen Überblick in Abschnitt 2.1. 14 Zur Unterscheidung der bieden Fragen vgl. unten Abschnitt 2.5.2.

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zählungen nicht zuletzt dank seiner Sensibilität für deren narrative Strukturen erzielt.

2. Die Nacherzählungen in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2) 2.1 Tabellarischer Überblick Es ist bereits gesagt worden, dass die Struktur von Barths Sündenlehre wesentlich von christologischen Gesichtspunkten bestimmt wird. Dies gilt nicht nur für die grobe Einteilung der Phänomene der Sünde in des Menschen Hochmut, Trägheit und Lüge im Gegensatz zu Christi Erniedrigung, Erhöhung und Wahrhaftigkeit. Es gilt auch bezüglich der Feingliederung, was besonders klar in Bezug auf die vier Kategorien des menschlichen Hochmuts zu zeigen ist:15 Dass der Mensch (1) sein will wie Gott, steht in genauem Kontrast zur Bereitschaft des göttlichen Logos, Mensch zu werden (IV/1, 464). Dass der Mensch (2) Herr sein will, steht im Kontrast dazu, dass Christus, der Herr, sich zum Knecht macht (IV/1, 479). Dass der Mensch (3) sein eigener Richter sein will, steht im Kontrast dazu, dass Christus, der Richter, sich richten lässt (IV/1, 494). Und dass der Mensch schließlich (4) sein eigener Helfer sein will, steht im Kontrast zu der Hilflosigkeit, in die Christus sich begibt (IV/1, 508).16 In der Untergliederung der menschlichen Trägheit im zweiten Teil der Sündenlehre wählt Barth scheinbar ein anderes Verfahren. Hier sind es die in der Anthropologie entfalteten vier Grundbeziehungen des Menschen zu seinem Schöpfer, zu seinen Mitmenschen, zu seiner Verfasstheit als Seele seines Leibes sowie zu seiner zeitlichen Begrenztheit (vgl. KD III/2, §§ 44 – 47), die Barth dazu veranlassen, innerhalb der menschlichen Trägheit zwischen (5) des Menschen Dummheit, (6) seiner Unmenschlichkeit, (7) seiner Verlotterung und (8) seiner Sorge zu unterscheiden (IV/2, 459 f). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass auch die vier Grundbeziehungen innerhalb der Anthropologie christologisch begründet und zuallererst in Bezug auf den Menschen Jesus entfaltet werden.17 Auf die soeben dargestellte Weise ergeben sich zweimal vier Phänomene, in denen sich des Menschen Hochmut und seine Trägheit zeigt. Jedem dieser insgesamt acht Phänomene ordnet Barth eine Erzählung oder einen Erzählzyklus aus dem Alten Testament zu, was sich folgendermaßen tabellarisch darstellen lässt:18 15 Vgl. zum Folgenden die Übersicht bei Krçtke, a. a. O., 58 f. 16 Dass Barth alle vier Kategorien auch in der Erzählung vom Sündenfall in Gen 3 entdeckt (vgl. KD IV/1, 467, 481 – 483, 497 f, 514 f, 518), ist gegenüber der christologischen Begründung als nachträgliche Plausibilisierung zu verstehen. 17 Vgl. den jeweiligen Auftaktabschnitt der genannten §§ 44 – 47 in KD III/2. 18 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Barth auch den dritten Teil seiner

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Des Menschen Hochmut KD IV/1, § 60,2

Des Menschen Trägheit KD IV/2, § 65,2

1. Der Mensch Der Bundesbruch (Ex 32) will sein wie KD IV/1, 470 – 479 Gott.

5. Die Dummheit David, Abigail und Nabal (1 Sam 25) KD IV/2, 481 – 486

2. Der Mensch Der Aufstieg und Fall Sauls (1 Sam 8 – 31) will selber KD IV/1, 485 – 494 herrschen.

6. Die Unmenschlichkeit

3. Der Mensch Ahab und Naboth (1 Kön 7. Die Verlotterung will sein ei- 21) gener Rich- KD IV/1, 504 – 408 ter sein. 4. Der Mensch will sein eigener Helfer sein.

8. Die Sorge Die Ereignisse vor und nach der Eroberung Jerusalems (Jer 27 – 29; 37 – 45) KD IV/1, 520 – 531

Die Botschaft des Propheten Amos KD IV/2, 502 – 509 David und Batseba (2 Sam 11,1 – 12,25) KD IV/2, 524 – 427 Die Aussendung der Kundschafter (Num 13 – 14) KD IV/2, 541 – 546

Bevor die Auswahl der biblischen Texte genauer erläutert wird, sei eine kurze Bemerkung zur Systematik der acht Sündenphänomene gemacht: Es lassen sich, ohne dass dies von Barth eigens thematisiert würde, zwischen den Phänomenen des Hochmuts und denen der Trägheit Querverbindungen bzw. Entsprechungen zwischen den jeweils benachbarten Phänomenen aufzeigen: Dies gilt besonders für die Phänomene drei und sieben, deren Kernproblem jeweils im eigenmächtigen Aufstellen ungerechtfertigter Beurteilungsmaßstäbe (des eigenen Handelns) besteht. Die Parallele reicht hier bis in die Auswahl der beiden illustrierenden biblischen Erzählungen.19 Die Phänomene vier und acht verbindet miteinander, dass es sich bei beiden im Kern um einen Sündenlehre „Des Menschen Lüge“ (KD IV/3, § 70,2) in großem Maße exegetisch erarbeitet. In den dort angestellten Überlegungen zum Hiob-Buch verwendet er jedoch nicht die exegetische Gattung der Nacherzählung, weshalb eine eingehende Untersuchung in diesem Kapitel unterbleibt. Vgl. dazu die Besprechung bei BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 210 – 224. 19 Beide Erzählungen berichten das Fehlverhalten eines israelitischen Königs, der aus einer Situation der Schwäche heraus (Ahab begehrt Naboths Weinberg, David die Frau des Uria) seine Macht gegenüber seinen Untertanen missbraucht, wobei er jeweils auf die Hilfe eines oder mehrerer Komplizen angewiesen ist.

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Mangel an Vertrauen auf die Hilfe Gottes handelt. Auch die thematische Ähnlichkeit zwischen dem eigenmächtig Herrschenden (2), der sich über seine Mitmenschen erhebt, und dem Unmenschen (6), der sich dem Schicksal seiner Mitmenschen gegenüber gleichgültig verhält, lässt sich nicht leugnen. Schließlich wird auch die Dummheit (5), wie noch zu zeigen ist, von Barth dahingehend definiert, dass sie Jahwe als den gnädig zugewandten Bundesgott nicht anerkennt, womit sie in deutlicher Entsprechung zum ersten Phänomen des Hochmuts steht, dessen Verfehlung darin besteht, dass der Mensch sich an die Stelle Gottes setzt (1) und damit ebenfalls Jahwe die Anerkennung verweigert. 2.2 Zu Barths Auswahl der biblischen Erzählungen Bezüglich der Textauswahl Barths ist zunächst auffallend, dass die ausgelegten Erzählungen allesamt dem Alten Testament entnommen sind. Wie ist dieser Umstand zu erklären, zumal vor dem Hintergrund, dass die Sünde nach Barth wesentlich als Widerstand gegen die in Christus endgültig offenbar gewordene Gnade Gottes zu verstehen ist? Hier kommt die Beschreibung der Sünde als ein Phänomen des „Nichtigen“ ins Spiel. Nach Barth wird durch das Christusgeschehen die Sünde des Menschen nicht nur in ihrer ganzen Tiefe, sondern auch in ihrer ganzen „Absurdität“ (IV/1, 454) aufgedeckt. Die Sünde ist im Christusgeschehen endgültig verneint worden, so dass sie jetzt, post Christum, nur noch als die „unmögliche Möglichkeit“20 zu betrachten ist. Der Mensch der Sünde ist der „im Tode Jesu Christi erledigte alte Mensch“ (458). Wenn es nach dem Christusgeschehen nach wie vor geschieht, dass Menschen sündigen, dann tun sie dies „in unsinniger Vergegenwärtigung“ ihrer „eigenen Vergangenheit“ bzw. als ihre „eigenen Gespenster“ (560). Sünde ist nach Barth grundsätzlich ein Phänomen der Vergangenheit. Deshalb hält er es für sachgemäß, sich über die Sünde vom Alten Testament belehren zu lassen. Nicht, weil die Menschen im Alten Testament von ihren 20 So wörtlich in KD III/3, 405, und sinngemäß in IV/1, 454. In der Rezeptionsgeschichte hat die Beschreibung der Sünde bzw. des Nichtigen als „ontologische Unmöglichkeit“ eine überaus große Bedeutung erlangt, vgl. u. a. Berkouwer, Der Triumph der Gnade, 205 – 215; Krçtke, Sünde und Nichtiges, 25 bzw. 44 – 48; HQrle, Sein und Gnade, 249 bzw. 323; Frey, Die Theologie Karl Barths, 240. Diese Wendung wird jedoch – anders als z. B. bei Krçtke, a. a. O., 25, bzw. Frey, a. a. O., 240, suggeriert – von Barth selbst weder in KD II/3, § 50 („Gott und das Nichtige“) noch in der Sündenlehre in KD IV, sondern lediglich in der Anthropologie zur Beschreibung der „Gottlosigkeit“ des Menschen (vgl. KD III/2, 162 – 176) explizit verwendet und später in KD IV/ 3 in der Auseinandersetzung mit Berkouwers Buch von Barth verteidigt – freilich mit der einleitenden Bemerkung: „Mein Herz hängt auch nicht an dieser Formel“ (KD IV/3, 204). Damit soll nicht gesagt sein, dass die Wendung der „ontologischen Unmöglichkeit“ keine sinnvolle Beschreibung von Barths Auffassung von der Sünde/des Nichtigen wäre (vgl. hierzu Krçtke, a. a. O., 46 f), allerdings sollte ein Blick auf ihre tatsächliche Verwendung durch Barth davor warnen, sie zur zentralen Formel seiner Sündenlehre zu erklären.

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eigenen Voraussetzungen her (ihrer Moralität, ihrer Natur etc.) schlimmere Sünder wären als die Menschen im Neuen Testament, sondern weil sie noch nicht in der Zeit der Offenbarung des göttlichen Logos, noch nicht in der Gegenwart der apostolischen Verkündigung und des Bekenntnisses der darauf antwortenden Gemeinde leben. Wenn Barth also das Alte Testament als „die unentbehrliche Brille“ bezeichnet, „um im Spiegel des Gehorsams des Sohnes Gottes abzulesen, wer und was wir vor ihm und ohne ihn waren: Menschen der Sünde, des Ungehorsams, des Hochmuts“ (560), so ist dies dahingehend zu verstehen, dass sich die Realität des „Menschen der Sünde“ (ebd.) in der Zeit vor Christus weniger paradox darstellt – und insofern klarer zu identifizieren ist – als in der Zeit nach Christus.21 Zur Auswahl der alttestamentlichen Schriften ist schließlich zu sagen, dass Barth sowohl in den Exkursen zum Hochmut als auch in denen zur Trägheit um einen weiten Horizont bemüht ist. Es finden sich jeweils eine Geschichte aus der Thora, je ein Abschnitt zu einem prophetischen Buch sowie zwei Nacherzählungen aus den Büchern Samuel und Könige. Barth unterstreicht durch diese Auswahl, dass nach seiner Meinung das ganze Alte Testament ein Geschichtsbuch ist und nicht etwa nur die in der Lutherbibel so genannten „Geschichtsbücher“.22 Dass neben der Thora und den Nebiim grundsätzlich auch die Ketubim durchaus in Barths Blickfeld waren, zeigt zum einen der Exkurs über die Torheit in den Weisheitsbüchern (IV/2, 478 – 481), den Barth der Nacherzählung der Geschichte von David, Abigail und Nabal vorschaltet, und zum anderen der dritte Teil der Sündenlehre über des Menschen Lüge, der durch die bereits erwähnte fortlaufende Auslegung der Hiob-Geschichte exegetisch untermauert wird. Hierbei tritt jedoch dem literarischen Charakter des Hiob-Buchs entsprechend das narrative Element deutlich zurück und es dominiert die analytische Rekonstruktion und Erhellung der verschiedenen Gesprächs- und Gedankengänge, in denen Hiob als Bild des „wahrhaftigen Zeugen“ (IV/3, 432 et passim) herausgestellt wird.23 21 W. Krötke begründet die „Unentbehrlichkeit des Alten Testaments für Barths Sündenlehre“ damit, dass die alttestamentliche Bundesgeschichte der „Boden“ sei, auf dem sich das Christusgeschehen als die Überwindung der Sünde ereignet habe, vgl. Krçtke, a. a. O., 62 f. Das Alte Testament wahre so „den Sachverhalt, daß es bei Gottes Offenbarung in Jesus Christus nicht um irgendeine Idee, sondern um den Vollzug einer konkreten Geschichte geht.“ (Krçtke, a. a. O., 62) Dieser Satz entspricht zwar dem grundsätzlichen Anliegen Barths voll und ganz, er übersieht jedoch die konkrete Begründung, die Barth selbst für die Beschränkung auf alttestamentliche Erzähltexte innerhalb der Sündenlehre gibt. 22 Vgl. KD IV/1, 58 f. Bezüglich der Lehrbücher und der Psalmen hält Barth die Charakterisierung des Alten Testaments als „Geschichtsbuch“ insofern für sachgemäß, als auch diese ihre „Erkenntnisquelle“ (59) in der Geschichte zwischen Jahwe und Israel hätten. 23 Erwähnenswert ist die Bemerkung zu Beginn der Hiob-Auslegung, in der Barth erklärt, er habe „zur Vorbereitung auf das Thema dieses Paragraphen diesmal zunächst nur Hiob und einige seiner vielen Erklärer gelesen.“ (IV/3, 443) Es ist dies der deutlichste explizite Hinweis Barths, der darauf schließen lässt, dass es sich in den exegetischen Exkursen in der KD keineswegs nur um nachträgliche biblische Belege handelt, sondern diese schon in der Entstehung und Ausarbeitung der dogmatischen Topoi eine tragende Rolle gespielt haben.

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Der Fokus der folgenden Analyse richtet sich auf die exegetischen Exkurse innerhalb der ersten beiden Teile der Sündenlehre, die sich eindeutig als Nacherzählungen zu erkennen geben. Um der Vielfalt der Texte gerecht zu werden, werden zwei verschiedene Nacherzählungen näher beleuchtet. Die erste stammt aus KD IV/1 und behandelt eine kurze Epoche aus der Geschichte Israels, die zweite stammt aus KD IV/2 und hat eine Episode zum Gegenstand.24 2.3 Die Eroberung Jerusalems nach dem Jeremia-Buch – Der Mensch, der sein eigener Helfer sein will 2.3.1 Vorbemerkung: Schriftauslegung im Stil der Nacherzählung Des Menschen Hochmut zeigt sich in seiner vierten Gestalt darin, dass der Mensch sein eigener Helfer sein will. Zur Veranschaulichung dieses Phänomens erzählt Barth „die Geschichte von dem Verhalten des Königs und des Volkes von Jerusalem unmittelbar vor und nach dessen endgültigem Fall im Jahr 587“ nach, wie sie sich „im Spiegel der Prophetie des Jeremia“ (IV/1, 520)25 darstellt. Barths Nacherzählung zeichnet sich zunächst durch ihre klare Gliederung aus: Am Anfang steht eine Einleitung, in der die Vorgeschichte des Niedergangs des zweigeteilten Reiches kurz dargestellt wird. Darauf folgt die Haupthandlung in einer Ereigniskette, die sich in einen längeren Abschnitt über das Geschehen vor und einen kürzeren Abschnitt über das Geschehen nach der Eroberung Jerusalems einteilen lässt. In diesen beiden Abschnitten ist Barths Erzählstil am deutlichsten als solcher zu erkennen: Wie in einem Film wird Szene an Szene aneinandergereiht bzw. es werden die Geschehnisse als eine Folge kausal verknüpfter Ereignisse in einer nachvollziehbaren Ordnung präsentiert.26 Als typisches Merkmal einer Erzählung werden außerdem 24 Für die hier getroffene Unterscheidung zwischen einer Episode und einer kurzen Epoche sind folgende Leitfragen maßgeblich: Handelt es sich um ein in sich abgeschlossenes Ereignis oder um eine Ereigniskette? Welche Zeitspanne umfasst das erzählte Geschehen? Handelt es sich um einen abgegrenzten Personenkreis? Spielt die Handlung an einem bestimmten, abgegrenzten Ort? Als Episoden gelten demnach solche Ereignisse, die sich innerhalb weniger Tage oder Wochen an einem bestimmten Ort zwischen einer eingegrenzten Anzahl an Personen abspielen. Hierzu zählen eindeutig die Geschichten von Ahab und Naboth, von David, Abigail und Nabal sowie von David und Batseba. Die Geschichte vom Bundesbruch sowie die von der Aussendung der Kundschafter erfüllen zwar nicht das Kriterium der klar eingrenzbaren Personenzahl, dennoch sind auch sie aufgrund der zugrunde liegenden Zeitspanne eher als Episoden zu bezeichnen. Von kurzen Epochen der Geschichte Israels handeln dagegen die Erzählungen vom Aufstieg und Abstieg des Saul, von den Ereignissen vor und nach der Eroberung Jerusalems sowie von den Zuständen in Israel im Spiegel der Prophetie des Amos. 25 Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf KD IV/1. 26 Damit wird zwei der gängigen Definitionen einer Erzählung entsprochen, nämlich der kausalen

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sowohl die in der Geschichte sich abspielenden Konflikte27 als auch die Charaktere der handelnden Figuren markant herausgearbeitet. Dieser formalen Gestaltung entspricht eine äußerst bilderreiche28 und lebendige29 Sprache. Barth verwendet überwiegend kurze Sätze und weicht merklich vom ansonsten vorherrschenden Nominalstil ab. Zudem lässt er seine Protagonisten immer wieder in direkter Rede sprechen. Schließlich arbeitet Barth mit prägnanten Wendungen und rhetorischen Stilmitteln, unter denen vor allem die zahlreichen Anaphern30 und rhetorischen Fragen31 zu nennen sind, welche in besonderer Dichte in der die Erzählung abschließenden Reflexion anhand von Jeremias Trostwort an Baruch (vgl. Jer 45) zu beobachten sind.32

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Definition von B. Richardson, vgl. ders., Recent Concepts of Narrative, 170: „narrative is a representation of a causally related series of events“, sowie der temporalen Definition von G. Prince (vgl. ders., Narratology, 4), nach der eine Erzählung als „the representation of at least two real or fictive events in a time sequence, neither of which presupposes or entails the other“ zu definieren ist. Zur Bedeutung von Konflikten für die Handlung einer Erzählung vgl. Finnern, Narratologie und Biblische Exegese, 113 f: „Die Handlung einer Erzählung besteht demnach wesentlich in der Entstehung und Auflösung verschiedener Konflikte, von denen sie ihre Dynamik erhält.“ Vgl. etwa in der Beschreibung Jeremias die Rede vom „brennende[n] Feuer in seinem Gebein, das er nicht ertragen kann“ (529) oder zuvor die anschauliche Beschreibung der „neu aufflammenden Hoffnung“ Israels (522). Zur Bedeutung von Bildern und Metaphern in Erzählungen vgl. Fludernik, Erzähltheorie, 88 – 93. Zu diesem lebendigen Stil gehören nicht zuletzt die zahlreichen Frage- und Ausrufesätze, vgl. u. a. 522: „Ist Hananja ein solcher Prophet?“; 523: „Hat Zedekia das gehört und verstanden?“; 525: „[…] eine private Rettungsaktion, an die er nun allerdings gerade nie gedacht hatte!“; 527: „[…] und fassen den Entschluß, nach – Ägypten auszuwandern (41, 16 – 18)!“ Vgl. etwa 527: „Man will …, man bittet …, man ruft …“; 528: „darum ,Kummer auf Schmerz‘ …, darum ,Müdigkeit vor lauter Seufzen‘, darum ,keine Ruhe‘“; 529: „Von daher die Unmöglichkeit … Von daher das brennende Feuer in seinem Gebein … Von daher die durchhaltende Notwendigkeit seiner prophetischen Existenz … Von daher freilich auch die Not …“; und besonders eindrücklich, beinahe poetisch 530: „Ein schon Gebautes ist da wieder verheert, ein schon Gepflanztes ist da wieder ausgerissen, ein schon vollbrachtes Werk ist da rückgängig gemacht, ein schon Lebendes und Gedeihendes ist da in den Tod gegeben.“ Vgl. etwa 530: „War Jeremia etwas Anderes gewesen als der von Gott erwählte Mund des von ihm erwählten Volkes, durch den dieses sich selbst das von seinem Gott gefällte Urteil sprechen mußte? Konnte er sich von ihm trennen, da dieses Urteil zur Vollstreckung kam? Hätte er in dem Begehren nach ,Großem‘ für sich, vielleicht nach einem Lohn für seine Treue, nicht selber den ersten Schritt auf eben dem Weg der Sünde getan, der das Volk ins Verderben geführt hatte? Durfte er nach etwas Anderem verlangen als danach, an der dieses Volk in Wirklichkeit erhöhenden Gerechtigkeit Gottes – und also an seinem Gericht – selber und also im Zusammenbruch seiner prophetischen Existenz teilzunehmen?“ Es mutet wie eine Beschreibung seiner eigenen Erzähltechnik an, wenn Barth in einem bereits 1917 gehaltenen, jedoch erst 1952 – also ein Jahr vor dem Erscheinen vor KD IV/1 – veröffentlichten Vortrag die Erzählpraxis im Religionsunterricht vor einer „kleinen Konferenz von eifrigen jungen Lehrerinnen“ (vgl. Religion und Leben, 437), folgendermaßen beschreibt: „Wir wollen annehmen, Sie haben mit Ihren Kindern soeben die schöne und leicht zu erzählende Geschichte vom verlorenen Sohn […] behandelt. […] Sie haben sich alle Mühe gegeben, ,es‘ den Kindern nahe zu bringen und es ist Ihnen gelungen. Sie haben eine Reihe von farbigen, anschaulichen Bildern zustande gebracht: der verlorene Sohn zu Hause, in der Fremde, unter den

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2.3.2 Die Einleitung: Informationen zum politischen Hintergrund und theologische Deutung Nach den soeben angestellten Beobachtungen zum formalen Stil von Barths Nacherzählung soll nun deren Inhalt vorgestellt werden. In einer knapp zweiseitigen Einleitung informiert Barth den Leser bzw. die Leserin zunächst in aller Kürze über die Vorgeschichte, in der sich das Ende der Staatlichkeit Judas Schritt für Schritt anbahnt. Er macht dabei von einschlägigen zeitgenössischen Werken zur Geschichte Israels Gebrauch.33 Die Expansionsbestrebungen des assyrischen Reichs werden als „terminus a quo“ (520) der Bedrohung Jerusalems benannt. Diese Bedrohung, so erläutert Barth, wird in Folge der „Verdrängung des Assyrerreiches durch das der Babylonier“ (521) keineswegs beendet, sondern im Gegenteil noch verschärft, indem diese Verdrängung zur Erhebung Judas unter Jojakim und in der Folge zur ersten Deportation der Jerusalemer Oberschicht nach Babylon führt (522). Ist die Ausgangslage des Vasallenstaates Juda unter dem von Nebukadnezar eingesetzten König Zedekia damit bereits als aussichtslos charakterisiert, so erfährt sie eine zusätzliche Zuspitzung durch die Bemerkung Barths, dass eben jener Zedekia „so wenig weise […] regiert wie seine Vorgänger“ (ebd.). Die Funktion der Einleitung ist deutlich: Barth bereitet mit ihr die eigentliche Erzählung vor. Er gibt die zum Verständnis des Folgenden notwendigen Hintergrundinformationen: Zeit und Ort des Geschehens werden ebenso benannt wie die innen- und außenpolitischen Umstände, die zur Eroberung Jerusalems geführt haben. In diese Schilderung der äußeren Umstände eingeflochten findet sich eine theologische Beurteilung, in der die Rolle der Propheten während der Zeit des Niedergangs geschildert wird. Barth unterstreicht, dass die Propheten die sich anbahnende Katastrophe als göttliches Gericht verstanden. Damit habe die Prophetie „allen natürlichen, aber auch allen religiös begründeten Tendenzen, Wünschen und Erwartungen der israelitischen Völker und ihrer Könige […] diametral“ (520 f) widersprochen. Ob Jesaja, Jeremia oder Hesekiel – sie alle hätten das Hereinbrechen der fremden Mächte über Israel als ein von Gott gewolltes Geschehen qualifiziert, gegen das sich aufzulehnen zwecklos, das vielmehr als ein notwendiges Gericht (nämlich der bereits auf eine NeuSäuen, auf der Heimkehr, schließlich wiederum zu Hause. Sie haben mit Psychologie und Liebe die Gestalten des Vaters, des älteren, des jüngeren Bruders herausgearbeitet und jede für sich reden lassen.“ A.a.O., 440. Bei aller unüberhörbaren Ironie wird man diese Sätze gleichwohl als eine grundsätzlich ernst gemeinte, wenn auch unvollständige Beschreibung und positive Würdigung einer lebendigen Erzählpraxis verstehen dürfen, die mit dem „Zustande-Bringen“ farbiger Bilder und der Herausarbeitung der einzelnen Charaktere zwei wesentliche Merkmale der Erzähltechnik in KD IV/1 f enthält. 33 Barth bezieht sich explizit auf Duhm, Israels Propheten; Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments II; Noth, Geschichte Israels. Vgl. KD IV/1, 520.

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schöpfung abzielenden Gnade Gottes!) anzunehmen sei. Damit wird das eigentliche Thema des gesamten Exkurses wie in einer Exposition von Barth vorgestellt und präzise benannt: Die Prophetie in Israel „kennzeichnet alle und jede Versuche zur Selbsthilfe [Hervorhebung: G.B.] dieser ganzen Entwicklung gegenüber […] als Wiederholung eben der Sünde, über die das Gericht jetzt hereinbricht.“ (521) Noch mehr : „Sie [die Prophetie in Israel] verknüpft Israels Hoffnung immer unüberhörbarer mit dem Verzicht auf solche Selbsthilfe.“ (Ebd.) Der Mensch will sein eigener Helfer sein – das ist in Barths Sündenlehre die vierte Gestalt des menschlichen Hochmuts. Sie wird in diesem Abschnitt der Geschichte Israels deshalb so anschaulich, weil sich der Wille zur Selbsthilfe mit der Ablehnung der Hilfe Jahwes verbindet. Barth nimmt an dieser Stelle bereits das Ergebnis der späteren Erzählung vorweg: Die Prophetie in Israel „findet mit dieser Verkündigung, aufs Ganze gesehen, wieder und wieder kein Gehör und keinen Gehorsam.“ (Ebd.) Israel und seine Könige wollen partout nicht davon lassen, sich in eigene Aktionen und Pläne zu stürzen, um ihre Lage zu ändern, sie wollen sich selbst helfen, weil sie der einzig wirksamen Hilfe, nämlich ihrem Gott Jahwe, längst abgeschworen haben. Das sich in diesem Widerspruch abspielende „Drama“ ist es, auf dessen „allerletzten Akt“ (ebd.) sich die folgende Schilderung Barths konzentriert. Dass die theologische Deutung bereits vor der eigentlichen Erzählung zu stehen kommt, macht deutlich, dass die dramatische Erzählung, die nun folgt, nicht zum Selbstzweck geschieht, sondern im Dienst der theologischen Aussage steht. Nicht um eine bestimmte alttestamentliche Geschichte möglichst effekt- und spannungsvoll darzustellen, sondern um das Verhalten der Israeliten als ein Exempel des hochmütigen Menschen, der sein eigener Helfer sein will, plausibel werden zu lassen, legt Barth den biblischen Bericht der Ereignisse um den Fall Jerusalems aus – in all seiner Dramatik, aber nicht um der bloßen Dramatik willen. 2.3.3 Die Haupthandlung (I): Die Ereignisse vor dem Fall Jerusalems Mit der Schilderung der Ereignisse unmittelbar vor der Eroberung Jerusalems beginnt die Erzählung der Haupthandlung. Diese beginnt mit zwei Szenen, in denen Jeremia im Konflikt mit seinen Zeitgenossen gezeichnet wird (522 f), nämlich mit dem Propheten Hananja (vgl. Jer 27,1 – 28,17) und dem bereits nach Babel deportierten Schemaja (vgl. Jer 29). Die Brisanz der Zeichenhandlung in der ersten Szene – Jeremia trägt erst ein hölzernes und dann ein eisernes Joch durch die Stadt – wird von Barth dadurch unterstrichen, dass er die allgemeine politische Stimmung in Jerusalem, in der sich die mit der Zeichenhandlung intendierte Ankündigung der bevorstehenden Eroberung Jerusalems ereignet, als einen Moment der „neu aufflammenden Hoffnung“ (522) durch den scheinbaren Rückzug Nebukad-

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nezars charakterisiert. Dieser Hoffnung stellt sich Jeremia in der ersten Szene ebenso entgegen wie in der zweiten Szene der Hoffnung der Exilierten auf eine baldige Rückkehr, als deren Vertreter Schemaja sogleich einen Beschwerdebrief an den Oberpriester Zephanja schreibt. In der Schilderung beider Konflikte versäumt Barth es nicht, die entscheidenden Sätze in wörtlicher Rede wiederzugeben, so dass die Bedrohlichkeit der Angriffe auf Jeremia ebenso anschaulich wird wie sein Mut, mit dem er etwa dem Hananja entgegentritt und ihm am Ende gar seinen Tod binnen Jahresfrist ankündigt (vgl. Jer 28,13 – 17; 523). Dass Barth in seiner Nacherzählung durchaus eigene Akzente gegenüber dem biblischen Erzählduktus setzt, wird deutlich, wenn er im Anschluss an die Schilderung der beiden Konflikte mit Hananja und Schemaja auf die Konfessionen Jeremias zu sprechen kommt, obwohl diese in der Anordnung des Jeremia-Buches einige Kapitel vor den beiden Konflikten stehen.34 Die ebenfalls in direkter Rede wiedergegebenen Klagen Jeremias stellen insofern eine Steigerung gegenüber dem bisher Berichteten dar, als Jeremia nun im Konflikt mit Jahwe selbst gezeichnet wird. Barth zitiert u. a. „die furchtbare Stelle Jer. 20, 8 – 18“ (523), in welcher der Prophet Jahwe vorwirft, ihn zum Prophetenamt verführt zu haben, und am Ende gar den Tag seiner Geburt verflucht. Das Anliegen des Erzählers Barth ist hier mit Händen zu greifen: Die Verzweiflung Jeremias angesichts seiner Isolation wird so anschaulich wie möglich beschrieben, indem die Isolation im Konflikt mit Jahwe, der ihn überhaupt erst in die Oppositionsrolle gebracht hatte, auf die Spitze getrieben wird. Nach einem kurzen Seitenblick auf die „farbige Gleichnisrede“ (524) Hes 17,1 – 10, in der Barth die gleiche inhaltliche Ausrichtung wie im Jeremia-Buch erkennt, kommt er schließlich zur Schilderung des Untergangs Jerusalems. Indem Barth dieses vorerst letzte Kapitel der staatlichen Souveränität des Südreichs als einen „Endkampf“ (524) charakterisiert, ist die nun folgende Dramatik bereits vorgezeichnet. Barth vermag in seiner Erzählung jedoch nicht nur bestimmte Schlüsselwörter wie das eben genannte pointiert einzusetzen, sondern es gelingt ihm auch, durch einen kurzen, bewusst platzierten Satz den entscheidenden Wendepunkt anzuzeigen: „Nebukadnezar zieht aus.“ (Ebd.) Mit diesem Drei-Wort-Satz, mit dem Barth den Abschnitt über den „Endkampf“ um Jerusalem einleitet, steht die gesamte Drohkulisse der babylonischen Heeresmacht dem Leser wieder vor Augen. Die Überlegungen zum Hesekiel-Buch erscheinen vor dem Hintergrund dieser Fortsetzung wie ein retardierendes Moment, durch das Barth – vom inhaltlichen Ertrag abgesehen – auch eine Erhöhung der Spannung erzielt. Barth lässt das Unheil über Jerusalem wie auch über Jeremia selbst nun umso gewaltiger hereinbrechen. Der Untergang Jerusalems und die „eigent34 Diese Anordnung erfolgt im Anschluss an Überlegungen B. Duhms, vgl. ders., Israels Propheten, 273.

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liche Leidenszeit“ (524) des Jeremia werden parallel erzählt, wobei Jeremia immerhin dem „bereits sicheren Tod entrissen“ wird (525), während es über Jerusalem nur noch zu berichten gibt, dass seine Einwohner „das Schwert, den Hunger und die Pest“ (526) erleben. Barth lässt es nicht an Anschaulichkeit fehlen, wenn er „die Flammen und den Rauch der Zerstörung, die Toten auf seinen [Jerusalems] Mauern und Straßen und die kläglichen Züge der von der Hinwegführung nach Norden Betroffenen“ (ebd.) in seine Erzählung mit aufnimmt. Wieder ist es als ein retardierendes Moment zu verstehen, wenn er sich zwischendurch die Zeit nimmt, auf die „1935 aufgefundenen Ostraka von Lachis“ zu verweisen, die als ein archäologisches Zeugnis dafür stehen, dass der Fall Jerusalems tatsächlich von Menschen wie Jeremia begleitet war, denen vorgeworfen wurde, „die Hände des Landes und der Stadt schlaff“ (525) zu machen.35 Im Anschluss an die Beschreibung des Untergangs hält Barth wiederum inne und reflektiert die Anstößigkeit der prophetischen Botschaft, durch die der Widerstand der israelitischen Könige als sündige Selbsthilfe disqualifiziert wird (525 f). Diese Leute haben schließlich nichts Geringeres und auch nichts Widersinnigeres getan als das, was man den Spartanern von Thermopylae, den untergehenden Nibelungen und den Schweizern von St. Jakob nachgerühmt hat. (526)

Wenn die Auslegung des Jeremias-Buches dennoch dem negativen Urteil des Propheten „standzuhalten“, mit anderen Worten: nach dem Grund der Charakterisierung der Selbsthilfe Israels als Sünde zu fragen habe, so kann dies nach Barths Meinung nur unter Berücksichtigung dessen geschehen, dass Israel als das erwählte Volk des lebendigen Gottes eben „ganz anders als alle anderen Völker auf die Probe, in Frage, unter sein Gericht“ (ebd.) gestellt wurde. Israels Politik sei darum „mit gerade umgekehrten Maßstäben“ (ebd.) zu messen als die der Griechen, der Germanen oder der alten Schweizer. Als das Volk Jahwes hätte es sich auf dessen Hilfe verlassen bzw. sich dessen Gericht beugen müssen, anstatt in „den vielen Selbsthilfen“ sich „des Hochmuts in der Gestalt der dem Menschen verbotenen Selbsthilfe“ (525) schuldig zu machen.

2.3.4 Die Haupthandlung (II): Die Ereignisse nach dem Fall Jerusalems Damit kommt Barth auf das „Nachspiel des Ereignisses von 587“ (526) zu sprechen. Wie in der ersten Einleitung wird auch hier das Ergebnis bereits in 35 Barth weist auf den beinahe wortgleichen Vorwurf an Jeremia hin, er „lähme ja nur die Hände der Kriegsleute, die in dieser Stadt noch übrig sind, und die Hände des ganzen Volkes“ (525, vgl. Jer 38,4).

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den ersten Sätzen vorweggenommen. Jeremia wird am Ende des Geschehens „im Dunkel“ (ebd.) verschwinden, seiner Verkündigung wird auch diesmal kein Gehör geschenkt werden.36 Die eigentliche Schilderung der Ereignisse setzt mit einer typisch erzählerischen Orts- und Situationsangabe ein: „Judäa war eine babylonische Provinz geworden“ (ebd.). Es folgt wiederum Szene für Szene die Nacherzählung von der kurzen Statthalterschaft des Gedalja, die durch „eine Reaktion“ (526) unter dem Davididen Ismael gewaltsam beendet wird. Als die neue politische Führung beschließt, aus Furcht vor der Rache Nebukadnezars nach Ägypten auszuwandern, „ereignet sich um die Person des Jeremia herum noch einmal das alte, fatale Spiel“ (527): Ausführlich schildert Barth, wie das Volk Jeremia um dessen Fürbitte und Prophetie bittet sowie feierlich Gehorsam verspricht (ebd.). Das Ermüdende dieser sich im Vergleich zur Vorgeschichte der Eroberung wiederholenden Prozedur wird durch die dreifache Anapher („Man bittet ihn … Man will durch ihn erfahren … Man ruft feierlich Gott zum Zeugen an“, ebd.) sprachlich unterstrichen. Als Jeremias Rat nicht wie gewünscht ausfällt, verweigert das Restvolk „wie einst die Könige und das Volk von Jerusalem“ (ebd.) dem Jeremia seinen Gehorsam. Gegen seine eindringliche Warnung wird der Weg nach Ägypten angetreten, wobei Jeremia zum Mitgehen gezwungen wird. Dort in Ägypten schließt sich dann der Kreis, indem das Volk mit der Verehrung der Himmelsgöttin (vgl. Jer 44,19) in aller Offenheit das vollzieht, was nach Barths Verständnis „ihre Selbsthilfe und die des ganzen Israel und Juda im Grunde immer gemeint und bedeutet hatte“ (ebd.), nämlich die Abwendung von Jahwe. 2.3.5 Die theologische Vertiefung: Das Trostwort an Baruch Mit der Schilderung des „Nachspiels“ ist die chronologische Nacherzählung der Ereignisse unmittelbar vor und nach der Eroberung Jerusalems eigentlich abgeschlossen. Nun hat aber bereits „die Redaktion des Jeremiabuches“ an das Ende dieser Berichte das „Trostwort an Baruch“ (527) gesetzt.37 Es entspricht Barths Respekt gegenüber der kanonischen Endgestalt der biblischen Schriften, dass er dieses Trostwort eben in jenem Zusammenhang auslegt, in dem es auch in Jer 45 steht – wohl wissend, dass es „nach der ausdrücklichen Angabe v 1 aus der beinahe 20 Jahre zurückliegenden Zeit der Konflikte Jeremias mit dem König Jojakim“ (ebd.) stammt. Nicht die zu vermutende bzw. vom Text selbst angegebene historische Ursprungssituation ist in diesem Fall maßgeblich für Barths Auslegung, sondern die von der Endredaktion vorge36 Barth kommentiert dieses Ergebnis mit der kurzen Bemerkung, gerade angesichts der „gänzliche[n] Vergeblichkeit“ seines Tuns sei Jeremia „ein Zeuge Jesu Christi mitten im Alten Testament.“ (526) 37 Vgl. Jer 45,1 – 5.

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nommene Anordnung der Texte. Interessanterweise ist damit ein exakt gegenteiliges Vorgehen zu konstatieren im Vergleich zur Aufnahme der Konfessionen innerhalb der Schilderung der unmittelbaren Vorgeschichte des Untergangs Jerusalems. Hatte Barth dort die historische Vermutung (B. Duhms), dass die Konfessionen eben in jenem Zeitraum entstanden sein könnten, zum Anlass genommen, die Anordnung der Texte in der vorliegenden Gestalt zu durchbrechen, so hält er sich jetzt – gegen die zu vermutende historische Ursprungssituation – an die Anordnung der Perikopen, die von den Endredaktoren des Jeremia-Buches gewählt wurde. Man wird hierin ein Beispiel dafür erkennen dürfen, dass Barth in seiner Auslegungspraxis keinem starren Regelsystem verpflichtet war, sondern z. B. in Bezug auf die Anordnung biblischer Texte sehr frei agieren konnte – immer unter der Maßgabe, durch entsprechende sachliche Bezüge bestimmte Aussagen zu verdeutlichen und zu vertiefen oder neue Sinnhorizonte zu erschließen. Ging es in der Aufnahme der Konfessionen Jeremias darum, die Schilderung von dessen Verzweiflung auf die Spitze zu treiben, so dient die Besprechung des Trostwortes an Baruch der theologischen Reflexion „über das tiefste Problem des Verhältnisses zwischen der Sünde samt dem ihr folgenden Verderben des Volkes auf der einen und der Situation und Rolle seines Propheten auf der anderen Seite“ (528). Barth hebt die Paradoxie der personalen Konstellation des Trostwortes eigens hervor: Nicht etwa Jeremia selbst, sondern Baruch ist derjenige, der „noch einmal die große Jeremiaklage erhebt“ (ebd.). Jeremia aber ist der, „der ihm und damit sich selber im Namen Jahves auf diese Klage geantwortet hat.“ (Ebd.) In der Wiedergabe des Inhalts der Klage Baruchs fällt Barth wieder in den Erzählstil zurück. Er malt der Leserin bzw. dem Leser „die ganze Bedrängnis“ vor Augen, die Baruch bzw. Jeremia durchgemacht hat: Von „Kummer“ und „Schmerz“, „Müdigkeit“ und „Seufzen“ ist die Rede (ebd.). Noch einmal schildert Barth ausführlich die Verzweiflung über Jeremias „Erfolglosigkeit“, seine „Unpopularität“ und die „Last seines einsam übernommenen und durchgeführten Auftrags“ (ebd.). Dazwischen fügt Barth reflektierende Abschnitte ein: Er erläutert, dass Jeremias Schicksal „noch schwerer“ als das „aller anderen Beteiligten“ (ebd.) sei. Zu allen äußeren Bedrängnissen komme nämlich noch dies hinzu, dass Jeremia „in überwachem Bewusstsein Alles, das Ganze, von Anfang bis Ende sehen und verstehen“ (ebd.) muss. Während seine Zeitgenossen ihrem Verderben blind entgegeneilen, muss Jeremia die fatale Entwicklung sehenden Auges miterleben und stellvertretend für das ganze Volk sein besonderes Schicksal erleiden. Barth schließt daraus, dass das Leiden des Propheten keineswegs nur als ein privates Leiden verstanden werden dürfe. In, an und mit seinem Volk leidet Jeremia – mit dem Volk, das als einsames Volk unter den Völkern von Gott erwählt ist und als solches unter seinem Gericht steht.

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Jeremia leidet zum geringsten Teil privatim, vielmehr unter dem, was mit seiner Erwählung und Berufung diesem Volk zugemutet und zugefügt war, unter dem Versagen und Zerbrechen, das es als Preis dieser Erwählung und Berufung zu bezahlen hatte. (529)

In dieser ersten Vertiefung ist ein ähnliches Anliegen zu beobachten wie bereits in der Erwählungslehre in KD II/2 bezüglich des Verhältnisses zwischen Erwählten und Verworfenen.38 Wieder ist Barth bemüht, den Dualismus zwischen dem sündigenden Volk und dem gehorsamen Propheten aufzuheben. Der Prophet steht mit unter dem Gericht, er leidet mit dem Volk und tut dies sogar in hervorgehobener Weise als dessen Stellvertreter. Dieser Gedanke wird bestätigt und vertieft durch die Antwort Jahwes – paradoxerweise aus dem Mund Jeremias selbst –, die Barth ausführlich zitiert: So spricht der Herr : Siehe, was ich gebaut habe, ich verheere es und was ich gepflanzt, ich reiße aus! Und du begehrst Großes für dich? Begehre es nicht! Denn siehe, ich bringe Unheil über alles Fleisch, spricht der Herr ; aber dir gebe ich dein Leben zur Beute aller Orten, wo du hingehst. (Jer 45,4 f; 529)

Barth erläutert diese Antwort in drei Schritten: Am Anfang steht Jahwes „ergreifende Grabrede über alle Hoffnungen, die Jeremia gehegt hatte“ (529).39 Barth umschreibt diese Grabrede auf anaphorische Weise: „Ein schon Gebautes ist da wieder verheert, ein schon Gepflanztes ist da wieder ausgerissen, ein schon vollbrachtes Werk ist da rückgängig gemacht, ein schon Lebendes und Gedeihendes ist da in den Tod gegeben.“ (530) Die eigentliche Dramatik des Untergangs wird in diesen Worten deutlich zum Ausdruck gebracht: Die gesamte Geschichte vom Auszug aus Ägypten über die Landnahme bis hin zur Errichtung des Tempels unter Salomo – in den Ereignissen um das Jahr 587 wird sie infolge des Ungehorsams Israels wieder rückgängig gemacht. Gott übt Gericht, und diesem Gericht hat sich Jeremia nicht zu entziehen. Damit ist jedoch noch nicht alles gesagt. In der göttlichen Antwort steckt, so der zweite Schritt von Barths Auslegung, zugleich der Hinweis, dass Jahwe an diesem Gericht nicht nur als derjenige beteiligt ist, der zerstört und einreißt, sondern auch als derjenige, der zuvor aufgebaut hat. Sein eigenes Werk wird zerstört, seine eigene Ehre wird kompromittiert infolge des Ungehorsams seines Volkes und den sich daraus unweigerlich ergebenden Konsequenzen. Folglich ist nach Barths Verständnis Jahwe auch derjenige, der zuallererst und am allermeisten an Judas Untergang leidet. Hier wird das Wort an Baruch zum Trostwort: Jeremias Einsamkeit wird aufgehoben, er leidet nicht alleine, sondern er leidet „eben mit Gott zusammen und darum wahrhaftig auch mit seinem Volk zusammen“ (531). 38 Vgl. Kapitel B 2, Abschnitt 2.5. 39 Barth nimmt hier eine Formulierung B. Duhms auf, vgl. ders., Israels Propheten, 282. Barths Seitenangabe („382 f“) stellt offensichtlich ein Versehen dar.

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Mit dieser Deutung geht Barth deutlich über den alttestamentlichen Text hinaus, der von einer Trauer Gottes an dieser Stelle nichts berichtet. Für Barths Auslegung ist dieser Schritt freilich nur konsequent, besteht doch ein wesentliches Merkmal der narrativen Auslegung darin, immer wieder die Rollenkonstellationen zu betonen, in denen Jeremia steht und in denen er immer wieder eindeutig als Gottes Stellvertreter und Sprecher fungiert, sei es gegenüber dem König, den Exilierten, den Einwohnern von Jerusalem oder zuletzt gegenüber Baruch. Entsprechend genügt für Barth bereits die Andeutung in V. 5, dass Gott sein eigenes Werk zerstört, um daraus zu schließen, dass, wie Jeremia bisher auf Gottes Seite zu stehen gekommen ist, nun eben umgekehrt auch Gott seine Solidarität mit Jeremia darin zum Ausdruck bringt, dass er sich selbst als Leidender und Trauernder kenntlich macht.40 Die Solidarität Jeremias mit seinem Volk wird dadurch vertieft, dass sie als eine von Gott befohlene und von Gott selbst geteilte Solidarität beschrieben wird. Der dritte Hinweis, den Barth bezüglich der göttlichen Antwort an Jeremia hervorhebt, hat wieder einen unmittelbaren Anhalt im Text: Baruch bzw. Jeremia soll „sein Leben als Beute davontragen, an welchen Ort du auch ziehst.“ (Jer 45,5b) Nicht in einem Akt der Selbsthilfe, wie es die verfehlte Politik Judas bis hin zu Zedekia immer wieder unternommen hat, sondern aufgrund der Gnade Gottes wird Baruch bzw. Jeremia am Leben bleiben, egal ob er in Jerusalem bleiben kann oder nach Ägypten verschleppt wird (ebd.).41

2.3.6 Narrative Theologie in der Auslegung des Jeremia-Buches Es ist deutlich geworden, dass Barths narrative Auslegung der Ereignisse um den Untergang Jerusalems nicht nur der formalen Entsprechung im Vergleich zur biblischen Vorlage dient, sondern für Barth die Möglichkeit eröffnet, entscheidende inhaltliche Aspekte seiner Sündenlehre zu verdeutlichen und zu vertiefen. Die Sünde wird dargestellt als der konkrete Ungehorsam des Volkes, das sich von Jahwe abgewandt hat und in der Folge nicht bereit ist, auf Jeremia als dessen Sprecher zu hören. Wie sich das Volk zunächst nicht auf die Versorgung durch Jahwe verlassen will, so weigert es sich, als alles zu spät ist, sich dem Gerichtsurteil zu beugen, das wiederum von Jeremia verkündigt wird. 40 Auch in dieser Deutung bezieht sich Barth explizit auf die Auslegung B. Duhms, vgl. ders, Israels Propheten, 282, bzw. KD IV/1, 530. 41 Dieses Aufleuchten der Gnade veranlasst Barth dazu, in den letzten beiden Sätzen des JeremiasExkurses einen kurzen Ausblick zu wagen „auf die ganz andere Seite des großen Gottesbuches“ (531). Hier werde beschrieben, wie nicht nur dem einzelnen Auserwählten, sondern in diesem „auch seinem erwählten und berufenen Volk“, ja „sogar allem Fleisch“ die Verheißung des Lebens aufgrund der Gnade Gottes zuteil wird. Es bleibt freilich bei dieser kurzen Andeutung, denn diese „ganz andere Seite des großen Gottesbuches“ ist „hier noch nicht aufzuschlagen“ (ebd.), sondern ausführlich erst im Rahmen der Rechtfertigungslehre zu besprechen.

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Stattdessen werden eigenmächtige Planspiele und politische Verzweiflungstaten in Gang gesetzt, mit denen sich das Volk selbst vor der drohenden Vernichtung retten will. In den jeweiligen Konflikten um die Verkündigung Jeremias kann Barth mit erzählerischen Mitteln veranschaulichen, dass der Ungehorsam des Volkes nicht in erster Linie als ein notwendiges Schicksal zu betrachten ist, sondern sich in je konkreten Fehlentscheidungen vollzieht. Judas Sünde liest sich in Barths Nacherzählung wie eine konkrete Veranschaulichung der in der thematischen Hinführung erwähnten allgemeinen Beschreibung der Sünde als „aktiver Widerstand gegenüber dem ihm aktiv begegnenden Gott“. Für das Verständnis der Sünde als Selbsthilfe ist damit Entscheidendes erreicht: Nicht die Planspiele und politischen Aktionen als solche qualifizieren das Handeln der Führer Israels als Sünde, sondern das Problem besteht darin, dass sie sich mit diesen Aktionen dem ihnen in der Verkündigung des Jeremia zuvor bereits aktiv begegnenden Wirken, genauer : dem Versorgungsangebot bzw. dem Gerichtsurteil Gottes widersetzen. Wenn die Selbsthilfe von Barth als ein Phänomen der Sünde bezeichnet wird, dann darf daraus folglich nicht geschlossen werden, dass der gehorsame Mensch sich durch passiven Quietismus – etwa auf dem Feld der Politik – auszeichnet. Vielmehr ist die Selbsthilfe als theologisches Phänomen gekennzeichnet, das darin besteht, auf das konkrete Versorgungsangebot Gottes zu verzichten bzw. sich dem Gericht Gottes entziehen zu wollen. Im Sinne Barths wird man an dieser Stelle ergänzen dürfen, dass die Sünde als Selbsthilfe letztlich darin besteht, das im Christusgeschehen gemachte umfassende Versorgungsangebot Gottes auszuschlagen bzw. sich dem am Kreuz von Golgatha vollzogenen Gerichtsurteil Gottes zu entziehen. Barths Verständnis der Selbsthilfe als Sünde erfährt durch die Nacherzählung aus dem Jeremia-Buch noch eine zweite Vertiefung: Die Sünde des sich selbst helfenden Volkes bedeutet keine absolute Trennung von Jahwe. Wie soeben gezeigt wurde, erläutert Barth in der Auslegung des Trostwortes an Baruch, dass nicht nur Jeremia, sondern Gott selbst mit seinem Volk leidet und sich keineswegs für alle Zukunft von ihm abwendet. Hier kommt die zuvor herausgearbeitete Personenkonstellation zur Anwendung, nach der Jeremia wiederholt als Stellvertreter und Sprecher Gottes fungiert, so dass nun umgekehrt von Gott selbst gesagt werden kann, dass er sich mit Jeremias Leiden und damit letztlich mit seinem Volk solidarisiert – mit dem Volk, dessen sündiger Hochmut offenbar geworden ist. Auch die Sünde Judas ist damit in all ihrer Schwere aufs Ganze gesehen nicht mehr als ein „Zwischenfall“, der die Beziehung zwischen Jahwe und seinem Volk auf Dauer nicht aufheben kann. Schließlich ist das Anliegen der narrativen Auslegung Barths noch in einer weiteren Hinsicht zur Geltung zu bringen. Indem die Berichte von den Ereignissen um den Untergang Jerusalems und das persönliche Schicksal des Jeremia von Barth nicht in einer schulmäßigen historisch-kritischen Auslegung analysiert werden, sondern derart plastisch und drastisch nacherzählt

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werden, wird die historische Distanz zwischen der biblischen Erzählung und der Leserin bzw. dem Leser, wenn auch nicht ignoriert, so doch zumindest überbrückt. Barth beschreibt die Figur des Jeremia, aber auch die Intentionen und den verzweifelten „Endkampf“ (524) der Jerusalemer Bevölkerung so anschaulich, dass sie sich als Identifikationsfiguren geradezu aufdrängen. Die Identifikationsmöglichkeit sowohl mit Jeremia als auch mit seinen Gegnern macht damit ernst, dass der christliche Leser bzw. die christliche Leserin beides kennt: Das Vertrauen auf die Hilfe Gottes ebenso wie auch das Ignorieren eben jener Hilfe. Dass Ersteres der christlichen Existenz entspricht, während Letzteres nur in „unsinniger Vergegenwärtigung [der] eigenen Vergangenheit“ (IV/1, 560) geschieht, wird in der Darstellung der Charaktere freilich mehr als deutlich. 2.4 Die Geschichte von David, Abigail und Nabal: Sünde als Dummheit Um Barths Erzähltechnik innerhalb der Sündenlehre umfassender in den Blick zu bekommen, ist es notwendig, eine zweite Nacherzählung vorzustellen, welche zum einen statt einer kurzen Epoche eine Episode aus der Geschichte Israels zum Gegenstand hat und zum anderen nicht aus dem ersten, sondern aus dem zweiten Teil der Sündenlehre, nämlich aus KD IV/2, § 65 („Des Menschen Trägheit“) stammt.42 Beide Voraussetzungen werden erfüllt von Barths Auslegung der Geschichte von David, Abigail und Nabal aus 1 Sam 25 (KD IV/2, 481 – 486), in der Barth das Phänomen der Dummheit als eine Gestalt der Sünde illustriert sieht. 2.4.1 Das Vorwort: Torheit und Weisheit in den alttestamentlichen Weisheitsbüchern Die Nacherzählung von 1 Sam 25 stellt das Zentrum von Barths exegetischer Beschäftigung mit der Dummheit als Phänomen der Sünde dar. Vor diese Nacherzählung schaltet Barth jedoch einen kürzeren Exkurs über Torheit und Weisheit in den alttestamentlichen Weisheitsbüchern. Es lohnt sich, zunächst auf diesen Exkurs kurz einzugehen. Barth stellt zu Beginn fest, dass „besonders im Buch der Sprüche und im Kohelet“ der „Narr, der Tor, der Alberne in seiner Gottlosigkeit und in seiner in ihr begründeten Lebensuntüchtigkeit und Gefährlichkeit“ in deutlichem Kontrast zu der in jenen Schriften hauptsächlich thematisierten „Gottes- und Lebensweisheit“ (478) gezeichnet wird. In mehreren Zitaten zeichnet Barth das in den Weisheitsbüchern gemalte Bild des Toren nach. Jener erweist sich u. a. darin als ein Narr, dass er sich auf seinen eigenen Verstand verlässt (Spr 42 Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich sämtlich, sofern nicht anders angegeben, auf KD IV/2.

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28,26), sich sorglos auf das Böse einlässt (14,16), mit seinem Reden Streit säht (Spr 18,6). Die für Barth entscheidende Frage im Anschluss an die Charakterisierung des Bösen lautet freilich: „Wen meinen die Weisheitsschriften mit dieser Figur?“ (Ebd.) Barths Antwort auf diese Frage zielt letztlich darauf ab, dass sich kein Mensch vollständig von der Torheit freisprechen kann. Bestätigt sieht er diese Ansicht in Röm 3,10 f, wo Paulus wiederum Ps 14,1 – 3 zitiert: „Keiner ist, der Gutes tut, auch nicht Einer.“ (479) Im Ergebnis bedeutet dies für Barth: „Und so ist das Bild des Toren der Allen vorgehaltene Spiegel ihrer verdienten Verwerfung“. (Ebd.) Und er konkretisiert dieses Ergebnis, indem er fragt: Wer ist schon der Weise, wenn nicht der Tor von gestern, der […] ohne neuen Gehorsam auch der Tor von heute und morgen sein müßte? Und wer ist der Tor, wenn nicht der Mensch, der durch Gottes Wort aufgerufen wird, der Weise von heute und morgen zu sein? (Ebd.)

Weisheit und Torheit dürfen folglich bei Barth nicht als bleibende Charaktereigenschaften verstanden werden, durch die sich bestimmte Menschen von anderen dauerhaft unterscheiden. Vielmehr werden durch sie konkrete, je und je vollzogene Entscheidungen qualifiziert, in denen sich Menschen zu der sie je und je erreichenden Anrede Gottes verhalten. Diese Anrede ist an alle Menschen gerichtet. Wer weise sein will, hat folglich zu bedenken, „daß Gott auch der Gott des Toren und nur als solcher sein, des Weisen eigener Gott ist“ (480). Um endgültig das Missverständnis abzuwehren, als handle es sich bei der Weisheit um einen Besitz bestimmter Menschen, fügt Barth unter Zitierung von Spr 30,1 – 4 hinzu, dass sich die menschliche Weisheit nach den Weisheitsbüchern gerade darin zeige, dass sie die Weisheit Gottes, die alle eigene Weisheit in den Schatten stellt, anerkenne und folglich „sich selbst als Toren bekennt“ (480). Vor diesem Hintergrund ist schließlich nach Barth das scharfe Verbot der Bergpredigt (Mt 5,22) zu verstehen, nach welchem die Bezeichnung eines anderen Menschen als „Tor“ einem Mord gleichgesetzt wird (ebd.). Wie bereits im Anschluss an die Jeremia-Nacherzählung, so ist auch in dieser Auslegung der alttestamentlichen Weisheitsbücher eine deutliche Parallele zum antidualistischen Anliegen in der Erwählungslehre zu erkennen, in diesem Fall sogar in zweifacher Hinsicht. Erinnert der Gedanke, dass aus dem Toren jederzeit ein Weiser werden könne (und umgekehrt!), an den heilsgeschichtlichen Antidualismus, so stellt die demütige Selbsterkenntnis des Weisen in seiner Torheit gegenüber der Weisheit Gottes eine Entsprechung zum dialektischen Antidualismus dar.43

43 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel B 2, Abschnitt 2.5.

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2.4.2 Die Einleitung: Vorstellung der Figuren und räumlich-zeitliche Einordnung Die Nacherzählung von 1 Sam 25, die sich unmittelbar an den Exkurs über die alttestamentlichen Weisheitsbücher anschließt, zeichnet sich wie bereits die Jeremia-Nacherzählung durch eine klare Gliederung aus: Sie beginnt mit einer zweiteiligen Einleitung, auf die der Hauptteil in fünf Akten44 folgt. Den Schluss bildet ein kurzer Epilog, in welchem Barth die innerbiblische Rezeption der Erzählung reflektiert. Der erste Teil der Einleitung bietet neben einer kurzen allgemeinen Charakterisierung („Es gibt nun aber einen merkwürdigen alttestamentlichen Text“, 481) eine erste Beschreibung der Personenkonstellation: Nabal als Exponent der Dummheit spielt gegenüber der Vertreterin der Weisheit (Abigail) und dem Träger der göttlichen Verheißung (David), „wie es sich gehört“, nur „eine Nebenrolle“ (ebd.). Immerhin ist diese Rolle so wichtig, dass Barth das entscheidende Thema der gesamten Erzählung in Davids „Begegnung mit einem ausgesprochen törichten und mit einem ausgesprochen klugen Menschen“ (ebd.) erblickt. In der Entfaltung dieser Konstellation und nicht etwa in der Vorgeschichte der Heirat Davids mit Abigail oder im „Sittenbild aus der Steppe“ (ebd.)45 erkennt Barth die mit dieser Erzählung verbundene Intention der Redaktoren der Samuelbücher. Der zweite Teil der Einleitung bietet die zeitliche und räumliche Einordnung der Handlung. Diese spielt „in dem Ort Karmel und dessen Umgebung, südöstlich von Hebron“, wo „der vermögende Nabal (ihm gehören 3000 Schafe und 1000 Ziegen) sein Anwesen hat und eben im Begriff steht, das Fest der Schafschur zu feiern“ (ebd.). Innerhalb des gesamten Zyklus der Davidsgeschichten hat die Erzählung ihren Ort in der Zeit des durch den eifersüchtigen Saul aufgezwungenen Exils. David ist mit seiner Streifschar auf der Flucht vor Saul. Auf dieser Flucht kommt er ins „Westgebiet der Wüste Juda“ (ebd.), in deren Nähe jener Ort Karmel liegt. In diesem Gebiet haben auch die Hirten des Nabal ihre Weideplätze, und an diesem Umstand entzündet sich der Konflikt, den Barth nun ausführlich nacherzählt.46 44 Die Unterscheidung der fünf Akte wird von Barth zwar nicht explizit markiert, diese lassen sich allerdings in dreifacher Hinsicht gut identifizieren: Innerhalb der Erzählung dienen die jeweiligen Ortswechsel als Hinweise, wie die einzelnen Absätze abzugrenzen sind, auf der Erzählerebene sind es die Wechsel zwischen erzählerischen und erläuternden Passagen und in formaler Hinsicht die Absätze im Schriftbild 45 Diese Formulierung legt Barth R. Kittel in den Mund, allerdings geschieht dies – wie so manches Mal – ohne Angabe der Quelle. In Kittels Besprechung von 1 Sam 25 innerhalb seiner „Geschichte des Volkes Israel“ findet sich der Ausdruck jedenfalls nicht, vgl. Kittel, Geschichte II, 94. 46 Grundsätzlich weist auch diese Nacherzählung die gleichen charakteristischen Merkmale auf wie die soeben besprochene Nacherzählung zum Jeremia-Buch: Eine klare, nachvollziehbare Gliederung, in der Abschnitt für Abschnitt erzählt wird, die Vorstellung der Figuren, die Her-

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2.4.3 Die Haupthandlung in fünf Akten Die eigentliche Handlung der Erzählung gerät ins Rollen, als David im ersten Akt zehn seiner Gefährten zu Nabal schickt und ihn aus Anlass des Festes um eine freie Gabe an Lebensmitteln bittet. Barth unterstreicht, dass David dies in den freundlichsten Worten tut, und auch die aktiven Schutzdienste, die seine Leute an Nabals Herden geleistet haben, nicht etwa als Druckmittel verwendet. Diese würden erst später von Nabals Hirten erwähnt, während David selbst lediglich an die bewiesene „Integrität und Loyalität“ erinnere, die den Hirten Nabals durch seine Gefährten zuteil geworden seien. Umso unverständlicher erscheint die Reaktion des Nabal, die Barth nun in ihrer ganzen Grobheit zitiert: „Wer ist David? Wer ist der Sohn Isais? Es gibt heute genug Knechte, die ihrem Herrn davonlaufen.“ (1 Sam 25,10; 482) Aus Barths Perspektive disqualifiziert sich Nabal durch seine Antwort in zweierlei Hinsicht. Es sei dies zum einen „die Rede eines ungewöhnlich eingebildeten und zugeknöpften und überdies auch noch unerträglich moralisierenden Bourgeois“, zum anderen verkenne Nabal die Identität Davids als Jahwes Erwählter. „Er hat es mit Jahve zu tun bekommen und hat sich als ein Jahves gänzlich Unkundiger […] benommen.“ (Ebd.) Barth lässt keinen Zweifel daran, dass er die theologische Verfehlung sachlich für die entscheidende hält, gleichwohl muss festgehalten werden, dass die drastische Beschreibung des ersten Aspekts von Nabals Fehlverhalten im Rahmen der Erzählung nicht weniger von Bedeutung ist. Barth trägt in der Charakterisierung des „ungewöhnlich eingebildeten und zugeknöpften und überdies auch noch unerträglich moralisierenden Bourgeois“ genau die Farben auf, die das Bild, das er von Nabal malt, zum Leuchten bringen. Die Erzählung des ersten Aktes erfüllt damit neben der Schilderung der Entstehung des Konflikts auch die Funktion, die Figur des Nabal so vorzustellen, dass sie sich für den Rest der Erzählung dem Leser bzw. der Leserin einprägt. Auch der zweite Akt von Barths Nacherzählung hat in all seiner Knappheit eine doppelte Funktion inne. Zunächst wird die wütende Reaktion des David berichtet, der sogleich mit vierhundert Männern zum Vergeltungsschlag auszieht. Barth verbindet diese Nachricht mit einer ersten Charakterisierung des David. Dieser zeige sich in seiner Rachsucht als „ein Mensch wie Andere, die auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen […] pflegen“ (ebd.). David ist von sich aus kein Deut besser als Nabal, er steht vielmehr im Begriff, „unter dem Titel rächender Gerechtigkeit mit Torheit auf Torheit“ (ebd.) zu antworten. Eine Dramatisierung erfährt der Bericht von Davids Aufbruch in Barths Version schließlich durch die Hintergrundinformation, dass „nach

ausarbeitung von Konflikten und Spannungshöhepunkten, eine bilderreiche und lebendige Sprache.

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dem damaligen Stil solcher Händel“ nichts anderes als die „gänzliche Ausrottung“ (ebd.) Nabals und seiner Leute zu erwarten gewesen sei. Im dritten Akt kommt es zum entscheidenden Wendepunkt, den Barth kurz und prägnant und gerade dadurch umso wirkungsvoller formuliert: „Hier tritt Abigail (nach v 3 ,klug und von schöner Gestalt‘) ins Spiel.“47 (482) Abigail erfährt von den Knechten ihres Mannes, was vorgefallen ist, und weiß sogleich, wie Barth eigens betont, was zu tun ist. Sie stellt ein Paket an Nahrungsmitteln zusammen, dessen erstaunliche Menge von Barth in allen Einzelheiten aufgezählt wird: „zweihundert Brote, zwei Schläuche Wein, fünf zubereitete Schafen, fünf Scheffel gerösteten Korns, hundert getrocknete Trauben und zweihundert Feigenkuchen“. (Ebd.) Wer diese Aufzählung gelesen hat, benötigt keine weiteren Informationen über die Tatkraft und die Entschlossenheit der Abigail und kann gleichsam gelassen der nun bevorstehenden Begegnung zwischen David und Abigail entgegensehen. Auch diese Begegnung, die den Inhalt des dritten Aktes bildet, wird mit einer kurzen, markanten Überschrift eingeleitet: „Und nun ihre Begegnung mit David und seiner Schar“. (Ebd.) In wörtlicher Zitierung von 1 Sam 25,23 berichtet Barth von Abigails Kniefall bei der Begrüßung Davids und erläutert anhand einiger biblischer Parallelen48, dass dieser Kniefall eine „vollendete Proskynese“ (483) darstelle, die keineswegs als Zeichen der Angst, sondern vielmehr als Zeichen der Ehrfurcht zu verstehen sei. Abigail, so Barths Schlussfolgerung, weiß, mit wem sie es in der Person des David zu tun hat,49 und darin liegt der entscheidende sachliche Unterschied zwischen ihrer Weisheit und der Torheit des Nabal (ebd.). Dieses Wissen führe dazu, dass Abigail zunächst die Schuld des Nabal auf sich lädt, durch die Übergabe der Lebensmittel Wiedergutmachung betreibt und schließlich um Vergebung bittet. Jeder dieser drei Aspekte wird von Barth ausführlich beschrieben, um im Anschluss zu unterstreichen, dass Abigail nicht primär aus dem Motiv handle, dass ihre Familie und ihr Haus verschont bleiben, sondern um David davor zu bewahren, in Blutschuld zu fallen (484). David, der Erwählte Jahwes, dürfe sich nicht auf die Ebene des Nabal begeben und ihm seine Bosheit und Torheit mit gleicher Münze heimzahlen. Genau dies, so geht Barths Erzählung weiter, erkennt nun auch David in seiner Reaktion. Aus dem gleichen Motiv, mit dem Abigail zu ihm gekommen war, verzichtet er auf den bereits beschlossenen Rachefeldzug. Sowie er an 47 Als Parallelstelle für einen solche sprachliche Gestaltung sei noch einmal an die JeremiaNacherzählung erinnert, in der Barth am entscheidenden Wendepunkt einen ähnlich kurzen und prägnanten Satz formuliert: „Nebukadnezar zieht aus.“ (IV/1, 524) 48 Vgl. Gen 17,3; Jos 5,14; 7,6. 49 Als letzten Beweis für das besondere Wissen der Abigail um die Identität des David als Jahwes Gesalbter zitiert Barth aus den Worten, die Abigail an David richtet. Sie preist David als den mit Jahwe im Bunde stehenden Mann, dem kein Feind etwas anhaben könne, vgl. 1 Sam 25,28b–30.

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seine Erwählung erinnert wird, ist der Plan der Ausrottung Nabals hinfällig geworden, vielmehr stimmt David ein Loblied an, das sowohl den Dank an Jahwe als auch das Lob der Klugheit der Abigail enthält, die ihn dank ihres Wissens um seine Erwählung durch Jahwe von der üblen Tat abgehalten hat (484 f). Dass Barth in diesem dritten Akt den inhaltlichen Höhepunkt der Erzählung erkennt, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass er sowohl die Worte Abigails als auch die des David überwiegend in Übereinstimmung mit der biblischen Vorlage in wörtlicher Rede wiedergibt. Eine eigene Prägung verleiht Barth seiner Nacherzählung gleichwohl, indem er das Wissen der Abigail um Davids Erwählung zum hermeneutischen Schlüssel der gesamten Szene macht. Nicht nur, dass Abigail selbst durch dieses Wissen zu ihrem klugen Handeln verleitet wird. Indem sie David an seine Erwählung erinnert, also gleichsam ihr Wissen an ihn weitergibt, ermöglicht sie auch die positive Reaktion Davids und den Verzicht auf eine gewaltsame Racheaktion. Es gelingt Barth auf diese Weise, nicht David, sondern Abigail als die eigentliche Heldin der Geschichte darzustellen. Sie ist diejenige, die weise handelt, und damit die Hauptfigur in dieser Geschichte von Torheit und Weisheit. Der vierte und fünfte Akt sind wie in der biblischen Vorlage so auch bei Barth schnell erzählt: Nach Abigails Heimkehr findet sie ihren Mann betrunken und in guter Laune vor und wartet deshalb bis zum Morgen, ehe sie ihm von der Begegnung mit David berichtet (485). Nabal aber, anstatt erleichtert oder dankbar zu sein, trifft diese Nachricht wie ein Schlag, von dem er sich nicht mehr erholt, sondern dem er nach zehn Tagen erliegt. Nach Barths Deutung zeigt sich Nabal in dieser Reaktion ein letztes Mal als der Tor, der er immer war, indem er die „Heilsbotschaft“ (ebd.) seiner Bewahrung verkennt. Zu dieser Deutung ist festzuhalten, dass sie zwar eine in sich stimmige Abrundung des Bildes bietet, das Barth in seiner Nacherzählung von Nabal zeichnet. In der biblischen Erzählung findet sich allerdings kein Anhaltspunkt für eine theologische Bewertung von Nabals Tod. Barth nimmt sich hier offensichtlich die Freiheit einer Erweiterung, durch die nicht nur die Handlung seiner Nacherzählung ausgeschmückt wird, sondern auch seine theologische Intention – die Beschreibung der Dummheit als Phänomen der Sünde – auf einen weiteren Aspekt der Erzählung, nämlich den Tod des Nabal, ausgeweitet wird. Im letzten Akt der Erzählung wird schließlich berichtet, wie David, sobald ihn die Nachricht vom Tod des Nabal erreicht, Knechte zu Abigail sendet, um sie zur Frau zu nehmen. Barth betont, dass sich diese letzte Wendung auf den ersten Blick in der bisherigen Erzählung nicht angekündigt habe und überdies ohne jede Spur von Romantik oder „Sentimentalität“ (485) berichtet werde. Auf die Anfrage Davids folgt die unmittelbare Entscheidung der Abigail „in derselben fraglosen Entschlossenheit, die ihre frühere Handlungs- und Redeweise kennzeichnet“ (486). Die Selbstverständlichkeit, in der diese Eheschließung vollzogen wird, gilt Barth als Hinweis darauf, dass die Verbindung

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zwischen David und Abigail bei genauem Hinschauen eben doch – neben dem Untergang Nabals – das Ziel ist, dem die gesamte Erzählung seit dem Auftreten der Abigail unweigerlich entgegeneilt. Abigail als Vertreterin der Weisheit gehört notwendig an die Seite Davids. Sie hat ihre Weisheit darin bewiesen, dass sie im Gegensatz zu ihrem törichten Mann Nabal um Davids Erwählung weiß. So hat sie David an seine Erwählung erinnern und ihn davor bewahren können, in Blutschuld zu geraten. Dass Abigail, wie Barth abschließend bemerkt, in den weiteren Überlieferungen von David keine große Rolle mehr spielt, zeigt wiederum, so Barth, dass ihre besondere Bedeutung sich auf eben jene Funktion konzentriert (ebd.). 2.4.4 Narrative Theologie in der Auslegung von 1 Samuel 25 Was hat Barth für die Erhellung der menschlichen Dummheit durch seine Nacherzählung gewonnen? Hierauf ist (wieder) zu antworten, dass die Sünde auch in der Gestalt der Dummheit in der Nacherzählung von 1 Sam 25 als das konkrete Fehlverhalten eines bestimmten Menschen sichtbar wird. Es geht um die mangelnde Einsicht des Nabal an diesem bestimmten Ort zu dieser bestimmten Zeit in diesem bestimmten Zusammenhang. Abigail als Nabals Gegenfigur belegt, dass die Verkennung des David nicht auf irgendwelche äußeren Notwendigkeiten oder Zwänge zurückzuführen ist, sondern sich in der Lebensgeschichte ihres Mannes auf kontingente Weise ereignet. Barths Beschreibung des Nabal qualifiziert zugleich die Dummheit als ein theologisches Problem. Es lassen sich in der gesamten Nacherzählung keine Spuren eines intellektuellen Defizits auf Seiten Nabals feststellen. Nicht dies, dass er allgemein schwer von Begriff oder ungebildet wäre, macht seine Dummheit aus, ebenso wenig der Umstand, dass sein Verhalten gegen bestimmte moralische Werte verstößt. Nabals Dummheit hat ihre Wurzel vielmehr darin, dass er von Jahwe, dem Gott Israels, nichts weiß und auch nichts wissen will. Der Friedensgruß „Schalom“ lässt ihn ebenso ungerührt wie die Nachricht, dass der Erwählte Jahwes, nämlich David, ihn um eine Gabe bittet. Die Grobheit seiner Antwort – so anschaulich sie auch von Barth geschildert wird – ist lediglich die Folge dieses Nicht-Wissen-Wollens. Entsprechendes ist von der Charakterisierung der Abigail zu sagen. Deren Klugheit wird von Barth ebenfalls theologisch qualifiziert, nämlich als das Wissen um die Erwählung Davids durch Jahwe. Aufgrund ihrer Gottesfurcht sucht Abigail die Begegnung mit David und gestaltet diese auf eine solche Weise, dass David von seinen Racheplänen ablässt. Die ungeheure Menge an Lebensmitteln, die Proskynese, die klugen Worte – in alledem offenbart sich nicht nur die (Lebens-)Tüchtigkeit der Abigail, sondern vor allen Dingen ihre Jahwe-Verehrung. Die Auslegung von 1 Sam 25 ist somit ein Beispiel dafür, wie innerhalb der Nacherzählungen Barths sowohl die narrativen als auch die deskriptiven

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Passagen wahrgenommen werden müssen. Wer nur auf die anschauliche Beschreibung des „unerträglich moralisierenden Bourgeois“ achtet, verpasst die theologische Pointe, die im Hinweis auf die mangelnde Gotteskenntnis und Gottesfurcht des Nabal einerseits sowie die – ebenfalls theologisch qualifizierte – Klugheit der Abigail liegt. Umgekehrt dient gerade die Anschaulichkeit der Erzählung dem Anliegen, die in ihren Auswirkungen sichtbar werdende Tragweite sowohl der Dummheit als auch der Klugheit kenntlich zu machen. Interessant ist außerdem, wie Barth auch in der Nacherzählungen der Geschichte von David, Abigail und Nabal seine Leser, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt in die Entscheidung ruft. Die Entstehung des Konflikts, die kontrastierende Beschreibung der Figuren, der dramatische Höhepunkt in der Begegnung zwischen David und Abigail – all dies wird so anschaulich von Barth erzählt, dass der Leser förmlich in das erzählte Geschehen hineingestellt wird.50 Barth bleibt in seiner Erzählung nicht auf Distanz, und ebenso wenig ist es dem Leser möglich, auf einem neutral-distanzierten Standpunkt zu verharren. Vielmehr wird er zu der Entscheidung genötigt, auf welcher Seite er zu stehen kommen will, auf der Seite der Jahwe verkennenden Dummheit – als deren exemplarischer Vertreter Nabal fungiert – oder auf der Seite der Jahwe verehrenden Klugheit. Dass es aus Barths Perspektive nur eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt, liegt auf der Hand. Wie in der erzählten Geschichte Nabal durch seine Dummheit sein eigenes Verderben heraufbeschwört, so ist die Verkennung Jahwes als eine Form der menschlichen Trägheit grundsätzlich die unmögliche Möglichkeit, die – erst recht von der Geschichte Jesu her – als überholte und jedenfalls nicht erstrebenswerte Möglichkeit zu gelten hat. Das Phänomen der Dummheit wie auch das Phänomen der Selbsthilfe werden letztlich von Barth als Phänomene des Unglaubens qualifiziert. Gleich dem Volk Israel, das im Kontext der Eroberung durch Nebukadnezar nicht bereit ist, dem in der Verkündigung Jeremias laut werdenden Versorgungsangebot Jahwes Glauben zu schenken, so ist auch Nabal nicht bereit, David als Vertreter der gütigen Versorgung Jahwes zu erkennen und ihm den entsprechenden Dank zukommen zu lassen. Der Unterschied zwischen den beiden Geschichten besteht freilich darin, dass die Geschichte von Nabal mit dessen Tod endet. Als Veranschaulichung der Rede von der Sünde als einem „Zwischenfall“ kann sie damit zumindest vordergründig nicht gelten. Grundsätzlich gilt freilich auch von ihr, dass sie als eine alttestamentliche Erzählung für Barth eine Veranschaulichung der Sünde im Rückblick darstellt.51 Auch für die Sünde als Dummheit gilt, dass sie vom 50 Vgl. Maurer, Narrative Strukturen, 15, über die biblische Schilderung des Christusereignisses: „Wie kommen wir in diese Geschichte hinein? Indem sie uns so gepredigt wird, dass der narrative drive uns erfasst.“ 51 Vgl. die Erläuterungen in Abschnitt 2.2.

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Christusgeschehen her als ein überholtes Phänomen zu betrachten ist, dessen sich die Angehörigen des Neuen Bundes nur noch „in unsinniger Vergegenwärtigung [ihrer] eigenen Vergangenheit“ (IV/1, 560) schuldig machen können.

2.5 Barths Narratologie im Spiegel der modernen Erzählforschung 2.5.1 Vorbemerkung: Perspektiven der amerikanischen und englischen Barth-Forschung Barths Fokussierung auf den narrativen Charakter der Bibel ist in der amerikanischen und englischen Barth-Forschung schon früh wahrgenommen worden. H. Frei, ein Schüler Barths, nennt dessen Exegese „a model of the kind of narrative reading that can be done in the wake of the changes I describe in this book“.52 Unter dem „wake of changes“ versteht Frei den durch die Aufklärung veränderten Umgang mit biblischen Erzählungen, der den Sinngehalt der biblischen Texte auf dem Weg historischer De- und Rekonstruktion zu ermitteln versucht. Zwar habe auch Barth zwischen einer „historischen“ und einer „realistischen“ Lektüre der biblischen Geschichten zu unterscheiden gewusst, diese Unterscheidung sei bei ihm jedoch geschehen „without falling into the trap of instantly making history the test of the meaning of the realistic form of the stories.“53 Das Eingeständnis, dass die biblischen Erzählungen sich einer historischen Überprüfung weitgehend entziehen, habe bei Barth eben nicht zur Folge gehabt, den Realitätsgehalt der erzählten Inhalte in Frage zu stellen bzw. deren Bedeutung dem jeweiligen Erkenntnisstand der historischen Forschung anzupassen.54 Im Anschluss an Frei widmet sich D. Ford Barths narrativer Exegese in der KD.55 Deren Hauptmerkmale erkennt Ford darin, dass bei Barth – analog zur Gattung der „realistic novel“ – sowohl die Glaubwürdigkeit („reliability“) als auch die Einheit („unity“) der biblischen Erzählung ernst genommen würden.56 In den ca. 30 Jahren seit dem Erscheinen von Fords Untersuchung hat sich freilich eine bemerkenswerte Entwicklung in der exegetischen Methodendiskussion abgespielt. Literaturwissenschaftliche Zugänge üben inzwischen einen allgemein anerkannten Einfluss auf die Auslegung biblischer Texte im 52 Frei, The Eclipse of Biblical Narrative, VIII. 53 Ebd. 54 Frei stützt seine Analyse auf die Erkenntnisse E. Auerbachs, der in seinem Hauptwerk Mimesis den spezifischen Realitätssinn biblischer Erzähltexte durch einen Vergleich mit ausgewählten Texten von der Antike bis in den Realismus des 19. Jahrhunderts herausstellt. 55 Vgl. Ford, Barth and God’s Story, der sich explizit auf das Werk von Frei Werk bezieht, vgl. Ford, a. a. O., 48. 56 Ford, a. a. O., 47 – 56.

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akademischen Kontext aus.57 Die Fragestellungen, mit denen eine narrative bzw. narratologische Auslegung operiert, sind differenzierter geworden. Umso interessanter ist es, die Nacherzählungen Barths mit eben diesen Fragestellungen zu konfrontieren, um auf diese Weise einen Einblick darin zu gewinnen, wie es Barth gelingt, die biblischen Erzählungen als Erzählungen zur Geltung zu bringen.

2.5.2 Zur Fragestellung: Barth als Narrator und als Narratologe Im Zusammenhang der modernen Erzählforschung von einer Narratologie Barths zu sprechen, scheint auf den ersten Blick anachronistisch zu sein. Schließlich werden die Erkenntnisse der narratologischen Forschung von der Bibelwissenschaft als narrative Exegese erst seit den 1970er Jahren aufgenommen.58 Eine Beteiligung Barths am wissenschaftlich-narratologischen Diskurs kann folglich nicht gemeint sein. Allerdings zeichnen sich Barths Auslegungen in der Sündenlehre dadurch aus, dass Barth die alttestamentlichen Erzähltexte bewusst als Erzählungen wahrnimmt. Zwar finden sich keine theoretischen Abhandlungen über die narrativen Strukturen der alttestamentlichen Erzählungen, die Art und Weise, wie Barth diese Strukturen in seine eigenen Nacherzählungen einfließen lässt, beweist jedoch ein hohes Maß an narratologischer Sensibilität. Das zentrale Anliegen moderner Narratologie, nämlich die Analyse von Erzählstrukturen, wird damit von Barth vorweggenommen.59 Es ist folglich nicht bloß eine anachronistische Spielerei, sondern für das Verständnis von Barths Auslegungen wesentlich zu fragen, wie er dieses Anliegen verfolgt. Hierfür bietet das freilich erst später entwickelte Methodenspektrum der modernen Narratologie ein hilfreiches Instrumentarium, indem es Analyseaspekte einer systematischen narratologischen Untersuchung benennt. Wenn diese im Folgenden innerhalb von Barths narrativer Exegese in der Sündenlehre aufgezeigt werden, sind zwei Fragen zu unterscheiden. Die erste Frage lautet: Welches sind charakteristische Merkmale von Barths eigenen Erzählungen? Hierzu sind bereits im vorigen Abschnitt einige Beobachtungen genannt worden.60 Die in diesem Zusammenhang noch wichtigere Frage lautet deshalb: Wie bringt Barth in seinen Nacherzählungen den narrativen Cha57 Vgl. Finnern, Narratologie und Biblische Exegese, 3. 58 Vgl. Finnern, a. a. O., 23 – 26, sowie Schrçter, Nicht nur eine Erinnerung, 127 f. 59 Der Begriff der „Narratologie“ wird im Folgenden in einem weiten Sinne verstanden als ein reflektierter Umgang mit Erzählungen, der sich dadurch auszeichnet, dass er bestimmte für Erzählungen typische Strukturen wahrnimmt, sie in ihrer Funktion durchsichtig macht und so miteinander in Beziehung stellt. Dieses Verständnis von „Narratologie“ folgt im Wesentlichen der Definition von D. Herman, der den Begriff „quite broadly, in a way that makes it more or less interchangeable with narrative studies“ verwendet. Vgl. Herman, Introduction, 27. 60 Vgl. insbesondere Abschnitt 2.3.1.

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rakter der biblischen Erzählungen zur Geltung? Anders gesagt: Inwiefern betätigt sich Barth in seinen Auslegungen in der Sündenlehre nicht nur als Narrator, sondern auch als Narratologe? Indem Barth allerdings den narrativen Charakter der biblischen Erzählungen nicht anders zur Geltung bringt als durch eigene Nacherzählungen, sind die beiden Fragen im Folgenden zwar immer wieder zu unterscheiden, jedoch nicht vollständig voneinander zu trennen.

2.5.3 Barths Nacherzählungen als narratologisch sensibilisierte und theologisch interessierte Paraphrasen In der modernen Erzählforschung wird zwischen drei verschiedenen Applikationsformen der Narratologie unterschieden: dem narratologischen Vergleich, der narratologischen Analyse bzw. narratologisch begründeten Interpretation sowie der narratologisch informierten Paraphrase.61 Die Nacherzählungen in Barths Sündenlehre haben zweifellos am meisten Ähnlichkeit mit der letztgenannten Applikationsform, welche im Unterschied zu den beiden ersten Applikationsformen62 den Sprachmodus der Erzählung beibehält, dabei aber in ihre Nacherzählungen die Erkenntnisse ihrer zuvor erfolgten narratologischen Analyse einfließen lässt. Da die moderne Erzählforschung jedoch erst seit den 1970er Jahren von theologischer Seite rezipiert wird und zu Barths Zeiten selbst erst in ihren Anfängen existiert,63 kann von einer narratologischen Informiertheit Barths in Bezug auf narratologisch-wissenschaftliche Theorien natürlich nicht die Rede sein. Es legt sich deshalb nahe, Barths Nacherzählungen etwas zurückhaltender als narratologisch sensibilisierte und theologisch interessierte Paraphrasen zu bezeichnen. Damit wird einerseits zum Ausdruck gebracht, dass Barth den narrativen Charakter der biblischen Erzählungen wahrnimmt bzw. ihr narratologisches Potential zur Geltung bringt. Zum anderen wird der Beobachtung Rechnung getragen, dass Barth mit seinen Nacherzählungen immer ein bestimmtes theologisches Interesse verfolgt und nicht allein um des Erzählens willen erzählt. Die Erzählung steht im Dienst der Entfaltung des theologischen bzw. hamartiologischen Gedankengangs, was sich nicht zuletzt in den zahlreichen erläuternden Zwischenabsätzen zeigt.64 Die erzählten Geschichten werden so jeweils aufs Neue in den Zusammenhang des theologi61 Vgl. Finnern, a. a. O., 247 f. 62 Jene unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der narratologische Vergleich es mit mehreren Erzählungen zu tun hat, während die narratologische Analyse nur eine Erzählung untersucht. Vgl. Finnern, a. a. O., 247. 63 Zur Geschichte der modernen Erzählforschung vgl. NRnning/NRnning, Von der strukturalistischen Narratologie zur „postklassischen“ Erzähltheorie, 4 – 9. 64 Vgl. hierzu die Ausführungen in den Abschnitten 2.5.4.4 und 2.5.4.5.

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schen bzw. hamartiologischen Themas gestellt, zu dessen Illustration sie von Barth ausgewählt werden.65 Dass Barth darüber hinaus auch immer wieder Bemerkungen über die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Texte und den geschichtlichen Hintergrund der erzählten Ereignisse macht,66 zeigt schließlich, dass der historische Kontext der Geschichten nicht prinzipiell ausgeblendet wird. Zwar bewegt sich Barth überwiegend auf der Ebene des erzählten Geschehens, bisweilen betritt er jedoch auch die Metaebene des historischen Betrachters.

2.5.4 Analyseaspekte der modernen Erzählforschung in Barths Nacherzählungen Die Frage, nach welchen Aspekten eine narratologische Untersuchung zu fragen hat, gehört zu den „umstrittensten Themen der Narratologie“.67 Sie in diesem Zusammenhang ausführlich zu erörtern, erscheint jedoch angesichts der eigentlichen Fragestellung als wenig sinnvoll. Stattdessen ist es ratsam, sich an der auf theologischer Seite bisher umfassendsten Untersuchung zur Narratologie zu orientieren, die jüngst von S. Finnern vorgelegt wurde.68 Finnern fasst die wesentlichen Fragehorizonte einer narratologischen Analyse in fünf Analyseaspekten zusammen.69 Dabei handelt es sich um je in sich ausdifferenzierte Fragerichtungen, die zu einem vertieften Verstehen von Erzählungen in ihrem je spezifischen Charakter und ihrer Aussage verhelfen. Im Folgenden sollen diese fünf Analyseaspekte moderner Narratologie kurz vorgestellt werden, um jeweils im Anschluss zu zeigen, welche Rolle sie in Barths Auslegungen spielen. Dabei werden nicht nur die bereits besprochenen Nacherzählungen nach dem Jeremia-Buch bzw. nach 1 Sam 25, sondern auch die übrigen alttestamentlichen Nacherzählungen innerhalb der Sündenlehre in KD IV/1 und KD IV/2 zu Wort kommen. Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass hierbei stets die doppelte Fragestellung nach Barth als Narrator sowie als Narratologe im Blick behalten werden muss. 2.5.4.1 Umweltanalyse: Berücksichtigung des historischen Kontexts Die Bezeichnung des ersten Aspekts als Umweltanalyse ergibt sich aus der Übersetzung des aus der englischen Narratologie bekannten Begriffs „set65 Durch diese Beobachtung wird jene These E. Jüngels bestätigt und um eine Nuance erweitert, nach der sich die gesamte KD als „eine genuine Verbindung von argumentierender und erzählender Dogmatik“ darstellt, vgl. JRngel, Gott als Geheimnis der Welt, 427. 66 Darunter finden sich literarkritische (vgl. IV/1, 488, 527) und redaktionsgeschichtliche (vgl. IV/ 1, 486; IV/2, 524) Erwägungen sowie religionsgeschichtliche (vgl. IV/1, 474), sozialgeschichtliche (vgl. insbesondere IV/2, 505) und archäologische (IV/1, 525) Hinweise. 67 Vgl. Finnern, a. a. O., 74. 68 Vgl. Finnern, Narratologie und Biblische Exegese. 69 Vgl. Finnern, a. a. O., 74 – 78.

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ting“.70 Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, wie die „räumlich-gegenständliche, zeitliche und soziokulturelle Umwelt“ der erzählten Handlung dargestellt wird.71 In den Nacherzählungen Barths wird die Frage nach Zeit und Raum der biblischen Erzählung in der Regel in einer kurzen Einleitung beantwortet,72 während die Angaben zur soziokulturellen Umwelt eher im Verlauf der Erzählung erfolgen.73 Barth beschränkt sich jedoch in seiner Umweltanalyse nicht auf die Angaben, die sich unmittelbar aus den Texten ergeben, sondern erweitert sie anhand der damaligen Kenntnisse der Geschichte Israels, die er den einschlägigen zeitgenössischen Werken vor allem von M. Noth74 und B. Duhm75 entnimmt. So erläutert Barth beispielsweise in der Auslegung des Amos-Buches den sozialgeschichtlichen Hintergrund, indem er unter Verweis auf Noth ein Bild von der politischen „Blütezeit“ malt, die nach der aramäischen Unterdrückung in der „Mitte des 8. Jahrhunderts“ (IV/2, 505) vor Christus für Israel anbrach. Es ist eine Zeit militärischer Erfolge und zivilisatorischer Errungenschaften, die allerdings gravierende soziale Schwierigkeiten nach sich ziehen. In Folge der „Entwicklung eines der Lebensweise der Kanaanäer nachgebildeten Städtewesens, einer dementsprechenden Zivilisation, einer Differenzierung des Gewerbes und des Handels, der beginnenden Geldwirtschaft“ kommt es, so Barth, zu „einer merklichen Herausbildung des Unterschiedes zwischen wirtschaftlich und dann auch gesellschaftlich und politisch Mächtigen und Schwachen“ (ebd.). Diese durch die Lektüre zeitgenössischer Geschichtsdarstellungen gewonnenen Informationen bilden für Barth den unentbehrlichen Hintergrund, vor dem die Anprangerung der Unmenschlichkeit durch Amos in ihrer Dringlichkeit erst verständlich wird. Es ist festzuhalten, dass die biblischen Texte durch Barths Nacherzählungen keineswegs aus ihrem historischen Kontext gelöst werden. Dies wäre schon insofern ein Selbstwiderspruch, als Barth die Sünde ja gerade als kontingentes 70 Vgl. a. a. O., 78. 71 Vg. a. a. O., 79. 72 Sehr ausführlich geschieht dies in der ersten vorgestellten Beispielerzählung in der Schilderung der Umstände unmittelbar vor dem Fall Jerusalems, vgl. KD IV/1, 520 – 522. Etwas weniger ausführlich, dafür unter stärkerer Berücksichtigung der geographischen Angaben und Konstellation geschieht die Analyse von Zeit und Raum in der zweiten Beispielgeschichte, vgl. IV/2, 581. Als weitere Beispiele sind zu nennen: IV/1, 504: Israel zur Zeit des Ahab; IV/2, 542: Die Aussendung der Kundschafter am vermeintlichen Ende der Wüstenwanderung von der Steppe Paran aus. 73 Vgl. hierzu etwa die Erläuterungen zum „damaligen Stil solcher Händel“ in der drohenden Ausrottung des Nabal durch David. Besonders ausführlich erfolgen diese Angaben freilich im Abschnitt über die Botschaft des Propheten Amos und die sozialen Ungerechtigkeiten, die Amos anprangert (IV/2, 505). 74 Vgl. Noth, Geschichte Israels, auf den Barth an folgenden Stellen hinweist: IV/1, 485 f, 491, 504, 520, 524 f; IV/2, 505. 75 Vgl. Duhm, Israels Propheten. Hinweise finden sich in: IV/1, 520, 523 f, 528 f; IV/2, 505, 508.

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Phänomen konkreten menschlichen Fehlverhaltens versteht, das sich immer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ereignet. Die Einbeziehung des historischen und kulturellen Kontexts folgt damit dem theologischen Verständnis von Sünde und entspricht zugleich dem innerhalb der narratologischen Theoriebildung im Zuge der kulturellen bzw. historischen Wende aufgenommenen Anliegen, den historischen Kontext einer Erzählung in der narratologischen Analyse mit zu berücksichtigen.76 2.5.4.2 Handlungsanalyse: Sünde als Konfliktgeschichte Der zweite Aspekt, die Handlungsanalyse, fragt nach den einzelnen Elementen (Ereignissen) der erzählten Handlung, deren Wichtigkeit bzw. Funktion, der Darstellung (z. B. nach welcher Reihenfolge die Ereignisse geordnet werden) und nach bekannten Handlungsstrukturen (z. B. das Auftreten eines Widersachers). Hinzu tritt die Untersuchung des Handlungsverlaufs (z. B. wie die Entstehung eines Konflikts geschildert wird), die Unterscheidung unterschiedlicher Handlungsstränge und die gesonderte Analyse der Handlungsenden (Anfang und Schluss).77 Innerhalb der Nacherzählungen in Barths Sündenlehre lässt sich zunächst feststellen, dass die einzelnen Handlungselemente je für sich wahrgenommen und in einer durchsichtigen Abfolge präsentiert werden. Das Anliegen einer Schritt für Schritt nachvollziehbaren Erzählung führt bisweilen dazu, dass die etwa durch Rückblenden oder Multiperspektivität eher komplizierte Darstellung innerhalb der biblischen Vorlage von Barth dergestalt vereinfacht wird, dass die berichteten Ereignisse in einer logischen Reihenfolge präsentiert werden. Dies gilt z. B. für die Darstellung des Konflikts zwischen Jeremia und Schemaja (IV/1, 523), der bei Barth Schritt für Schritt erzählt wird, während die biblische Erzählung die Beschwerde des Schemaja wesentlich komplizierter nachträglich als Einschub innerhalb der Strafrede Jeremias berichtet (vgl. Jer 29). An dieser Stelle hat die Stringenz der Erzählung für Barth offensichtlich eine höhere Bedeutung als die in der Darstellung im Original vorgenommene Gewichtung der verschiedenen Ereignisse. Ein Hauptmerkmal von Barths Handlungsanalysen besteht darin, dass jeweils ein oder mehrere Konflikte im Zentrum des Geschehens stehen, die von sehr verschiedener Art sind.78 Im Laufe der Erzählung spitzen sich diese 76 Vgl. Finnern, a. a. O., 45 f, sowie ausführlich Erll/Roggendorf, Kulturgeschichtliche Narratologie, 73 – 113. 77 Vgl. Finnern, a. a. O., 87 – 125. 78 Die Narratologie unterscheidet acht verschiedene Konflikttypen (vgl. Finnern, a. a. O., 114 f). Innerhalb der Nacherzählungen Barths in KD IV/1 und KD IV/2 lassen sich sechs dieser acht Typen identifizieren. Am häufigsten tauchen Parteienkonflikte auf: Mose vs. Israel (IV/1, 470 – 479), Jahwe/Samuel vs. Israel (IV/1, 485 – 494), Ahab/Isebel vs. Naboth (IV/1, 504 – 408), Jeremia vs. Hananja/Semaja/Zedekia/die Einwohner von Jerusalem (IV/1, 520 – 531), David vs. Nabal (IV/2, 481 – 486), Amos vs. Amazja/Israel (IV/2, 502 – 509), David vs. Uria (IV/2, 524 – 427), Josua/Kaleb vs. Israel (IV/2, 541 – 546). Hinzu kommen Moralkonflikte, besonders eindrücklich:

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Konflikte in der Regel zu und werden entsprechend von Barth dramatisiert,79 bis sie in einer mehr oder weniger schlimmen Katastrophe enden.80 Dies lässt sich besonders anschaulich in der Nacherzählung der Geschichte von Ahab und Naboth nach 1 Kön 21 beobachten, die Barth als Illustration des Menschen, der sein eigener Richter sein will, versteht. Was als ein Konflikt aus einem unerfüllten Wunsch beginnt (Ahab begehrt Naboths Weinberg), entwickelt sich durch das Auftreten der Isebel – von Barth gekonnt in Szene gesetzt: „In diesem fruchtbaren Augenblick tritt Isebel in Aktion“81 (IV/1, 506) – zu einem echten Parteienkonflikt. Dieser nimmt für Naboth einen tragischen Verlauf. Barth beschreibt die Intrige der Isebel detailliert, ohne dabei den Spannungsbogen aus dem Blick zu verlieren. Mit ihren finsteren Komplizen sorgt Isebel schließlich für die falsche Anklage und Steinigung des Naboth (507). Die folgende Gerichtsrede des Elia richtet sich allerdings nicht gegen Isebel, sondern gegen Ahab, der, gerade indem er „Isebel-Baal“ ihr Werk hat tun lassen, das „Recht Gottes“ (508) ignoriert und so das Recht in Israel gebeugt hat. Zweifellos ist die Entstehung von Konflikten ein grundsätzliches Merkmal für Erzählungen aller Art.82 Im Zusammenhang von Barths Nacherzählungen in der Sündenlehre ist die Herausarbeitung und Dramatisierung von Konflikten allerdings auch als eine theologisch motivierte Vorgehensweise zu verstehen. Die Sünde des Menschen ist nicht weniger als der Grundkonflikt des Menschen, der sich dem Ja Gottes mit seinem Nein verschließt. Dieser Grundkonflikt vollzieht sich wiederum notwendig in den vielen einzelnen

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David in der Batseba-Geschichte (IV/2, 524 – 427) sowie Sauls Vergehen (IV/1, 485 – 494); ein Wunschkonflikt: die Israeliten wollen nach Kanaan einziehen, dabei aber keine Gefahr auf sich nehmen (IV/2, 541 – 546); ein Gewissenskonflikt: Aaron steht in der Geschichte vom Bundesbruch zwischen den Pflichten als Priester gegenüber dem Volk und gegenüber Jahwe – so betont es Barth jedenfalls in seiner Nacherzählung (IV/1, 475 bzw. 478); ein Realitätskonflikt: Baruch bzw. Jeremia leidet an seiner Einsamkeit und weiß nicht, dass er nicht alleine an Jerusalems Untergang leidet (IV/1, 531) sowie ein aus einem unerfüllten Wunsch resultierender Konflikt: Ahab grämt sich, dass Naboths Weinberg zunächst unerreichbar für ihn ist. Barth hebt diesen Kummer Ahabs, der sich vor Gram ins Bett legt, eigens hervor (IV/1, 506). Außer in der Jeremia-Erzählung geschieht dies besonders deutlich in der Erzählung von Ahab und Naboth (vgl. IV/1, 506 f) und der Erzählung von den Kundschaftern (vgl. IV/2, 543 – 545). Die beiden vorgestellten Erzählungen bilden hier insofern eine Ausnahme, als sich an die Schilderung vom Fall Jerusalems die Besprechung des Trostwortes an Baruch anschließt und die Erzählung von David, Abigail und Nabal nach dem tragischen Ende des Nabal mit der Hochzeit von David und Abigail endet. Die Erzählungen vom Bundesbruch, von Saul, von Ahab und Naboth, von Amos, von David und Batseba sowie von den Kundschaftern haben dagegen allesamt ein ausgesprochen tragisches Ende. Weitere Beispiele dafür, wie Barth die Wendung einer Handlung durch das Auftreten einer Schlüsselfigur oder eines Widersachers betont, sind das Ausrücken Nebukadnezars (IV/1, 524) sowie das Auftreten der Abigail (IV/2, 482). Vgl. die bereits zitierte Definition, nach der die Handlung einer Erzählung „wesentlich in der Entstehung und Auflösung verschiedener Konflikte, von denen sie ihre Dynamik erhält“, besteht. Vgl. Finnern, Narratologie, 114 f.

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konkreten zwischenmenschlichen Konflikten. Für den Leser bzw. die Leserin bedeutet die Herausarbeitung und Dramatisierung der Konflikte schließlich, dass er oder sie sich bewusst oder unbewusst entscheiden muss, für wen im jeweiligen Konflikt Partei zu ergreifen ist. Es wird auf diese Weise von Barth die Frage in den Raum gestellt, wie man sich selbst in den jeweiligen Konflikten positioniert bzw. an den jeweiligen Wendepunkten verhalten hätte. Schließlich ist zu betonen, dass Barth es zwar auf der einen Seite versteht, Spannungsbogen aufzubauen, die auf einen bestimmten Kulminationspunkt hinzielen.83 Auf der anderen Seite ist jedoch auffällig, dass das Ergebnis einer Erzählung oder ihr Skopus in aller Regel schon in der Einleitung proleptisch angezeigt wird.84 Diese scheinbar gegenläufige Erzähltechnik zeigt nicht nur, dass Barth in seinen Nacherzählungen keinem festen Schema gefolgt ist. Sie verdeutlicht auch, dass es Barth nicht primär darum ging, spannende Geschichten zu erzählen, sondern dass das Erzählen der Geschichten von vornherein von der jeweiligen theologischen bzw. hamartiologischen Aussage bestimmt ist, die mit Hilfe der Erzählung veranschaulicht wird. 2.5.4.3 Figurenanalyse: Gerechte und Sünder als Identifikationsfiguren Der dritte narratologische Analyseaspekt, die Figurenanalyse, behandelt zunächst die Frage nach dem „Figurenbestand“ und der „Figurenkonfiguration“ (-auswahl) innerhalb der einzelnen Szenen einer Erzählung.85 Des Weiteren gilt es, auf die Merkmale zu achten, die den jeweiligen Figuren beigelegt werden,86 Figurenkonstellationen zu beschreiben, die Bedeutung und Funktion der verschiedenen Figuren innerhalb der Handlung zu beleuchten, die Art ihrer Darstellung zu hinterfragen sowie die Frage nach der dahinter stehenden Figurenkonzeption zu beantworten.87 Bezüglich der Nacherzählungen in KD IV/1 und KD IV/2 ist festzustellen, dass Barth sehr großen Wert auf die narratologische Fragestellung der Figurenanalyse legt und dementsprechend der Vorstellung von Figuren einen großen Raum einräumt. Charaktermerkmale werden ebenso beschrieben88

83 Vgl. etwa den eindeutig als solchen gekennzeichneten Höhepunkt innerhalb der Erzählung von der Aussendung der Kundschafter, als die Herrlichkeit des Herrn gerade in dem Augenblick erscheint, als das Volk Josua und Kaleb steinigen will (IV/2, 545), oder den Bericht von der Begegnung zwischen David und Abigail, in der die gesamte Nacherzählung ihren erzählerischen Höhepunkt findet (IV/2, 482 f). 84 Vgl. IV/1, 470, 486, 506, 526; IV/2, 481, 525, 542. 85 Finnern, a. a. O., 128 f. 86 Hierzu zählen Identitäts- und Charaktermerkmale, Meinungen, Wahrnehmungen, Gefühle, Verhaltensweisen, Aussehen, soziale Stellung, Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen der jeweiligen Figuren, vgl. Finnern, a. a. O., 129 – 147. 87 Vgl. Finnern, a. a. O., 147 – 162. 88 Vgl. u. a. IV/1, 490 bzw. 492: Saul, der „charismatische Führer“ und seine „menschlich sympathische Sünde“; IV/1, 504 bzw. 506: Ahab, der kluge, aber Jahwe gegenüber untreue Politiker; IV/2, 482: Nabal, der eingebildete Bourgeois; IV/2, 526: Uria, der pflichtbewusste Soldat.

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wie die die soziale Stellung,89 Pflichten,90 Wünsche,91 Gefühle92 oder Intentionen93 bestimmter Figuren. Immer wieder arbeitet Barth außerdem die Gegensätze heraus, die sich durch bestimmte Figurenkonstellationen ergeben,94 und benennt die unterschiedliche Bedeutung der einzelnen Figuren innerhalb der erzählten Handlung.95 Als besonderes Merkmal der Figurendarstellung innerhalb der Nacherzählungen Barths muss auf die Typologien hingewiesen werden, die Barth ausgehend von einzelnen Charakteren mitunter vornimmt.96 Dass Barth gerade auf die Vorstellung der verschiedenen Figuren soviel Wert legt, entspricht dem grundsätzlichen Anliegen seiner Sündenlehre, Sünde als konkretes Fehlverhalten bestimmter Menschen zu verstehen. Als exemplarische Sünder stehen die in den Nacherzählungen so plastisch beschriebenen Figuren zwar stellvertretend für jeden Menschen, dies allerdings gerade in dem Sinn, dass jeder Mensch in seiner eigenen konkreten Lebensgeschichten konkrete Sünden begeht. Dabei hat Barth sehr wohl im Blick, dass Menschen sowohl als Individuen wie auch in einer Gruppe sündigen können,97 allerdings geschieht auch dieses gemeinsame Sündigen immer in der Tat bestimmter Menschen in einer bestimmten, klar definierten Gruppe. Wiederum wird man ergänzen dürfen, dass auch das homiletische Anliegen 89 Vgl. u. a. IV/1, 489: Sauls Abstammung aus dem kleinsten Stamm Benjamin; IV/2, 502: Die Herkunft des Amos aus dem Stand der „Besitzenden“. 90 Vgl. u. a. IV/1, 491: Die Verantwortlichkeit des Königs in Israel gegenüber Jahwe; Ein anderes Beispiel ist IV/2, 526: Uria, der seine Pflicht als Soldat erfüllt, und während des Krieges nicht zu Hause schläft. Demgegenüber David, der gegen seine Pflichten als König und vor allem gegen die mit seiner Erwählung und Berufung durch Jahwe verbundenen Pflichten verstößt. 91 Besonders anschaulich: Der Wunsch des Volkes Israel nach einem sichtbaren Gott (IV/1, 474) sowie der Wunsch des Ahab, den Weinberg des Naboth zu besitzen (IV/1, 506). 92 Vgl. u. a. IV/1, 493: Die Furcht des Saul vor dem Volk; IV/1, 506: Ahabs Trauer über den Widerstand des Naboth; IV/1, 523 f bzw. 528: Der Kummer Baruchs bzw. Jeremias; IV/2, 483: Abigails Kniefall geschieht nicht aus Angst vor David; IV/2, 527: Davids Selbst-Beruhigung und Batsebas Totenklage; IV/2, 542: Die Freude der Israeliten über die Fruchtbarkeit Kanaans; IV/2, 544: Die Furcht der Israeliten vor den Riesen in Kanaan. 93 Vgl. u. a. die Erläuterung zur Intention der Abigail, David vor einer Blutschuld zu bewahren (IV/ 2, 484) sowie die Beschreibung der Motive Davids in der Batseba-Geschichte (IV/2, 526 f). 94 Vgl. insbesondere den Gegensatz zwischen Mose, dem Propheten und Aaron, dem Vertreter der institutionellen Religion, IV/1, 475. Ebenso den Gegensatz zwischen Nabal und Abigail, IV/2, 481 f, sowie zwischen David und Uria, IV/2, 526. 95 So wird dem Nabal im Gegenüber zu David und Abigail lediglich als eine „Nebenrolle“ zugebilligt, vgl. IV/2, 481. Ebenso wird auch die Bedeutung der Batseba im Vergleich zu David insofern relativiert, als sie „durch die ganze Erzählung hindurch eigentümlich farblos bleibt“ (IV/2, 524 f). 96 Vgl. IV/1, 475: Aaron als „Mann der Nationalkirche, der established church“; IV/1, 505: Baal als Typos der natürlichen Theologie und Isebel als deren radikale Priesterin sowie IV/1, 508: Baal in seiner „merkwürdigen Affinität zu dem, der im Neuen Testament ,Mammon‘ heißt“. 97 Hierfür stehen die Geschichten vom Bundesbruch, von der Inthronisation des Saul, vom Untergang Jerusalems sowie von der Aussendung der Kundschafter, in denen jeweils das Volk sündigt, indem es sein will wie Gott, sein eigener Herr sein will, sein eigener Helfer sein will bzw. sich sorgt.

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Barths durch die farbige Darstellung der einzelnen Figuren und erst recht durch die genannten Typologien unterstrichen wird: Die Leser können sich selbst in den erzählten Geschichten wiedererkennen bzw. sich mit den so sorgfältig charakterisierten Figuren und ihren Eigenschaften, Gefühlen, Pflichten und Wünschen etc. umso leichter identifizieren. Hervorzuheben ist, dass diese Identifikation nach Barths Ansicht offensichtlich nicht nur mit einem Gerechten wie z. B. Jeremia stattfinden soll, sondern gerade auch mit einem „menschlich sympathische[n]“ Sünder wie Saul (IV/1, 492) oder den sich gegen den Untergang zur Wehr setzenden Einwohnern Israels, die Barth gar mit „den Spartanern von Thermopylae, den untergehenden Nibelungen und den Schweizern von St. Jakob“ (IV/1, 526) vergleicht. Auch hier zeigt sich das antidualistische Anliegen Barths, nach dem sich jeder Mensch als ein Sünder zu erkennen hat. 2.5.4.4 Perspektivenanalyse: Narratologische Auslegung um der Sache willen Bewegten sich die bisher besprochenen Aspekte der Umwelt-, Handlungs- und Figurenanalyse allesamt auf der inhaltlichen Ebene einer Erzählung, so beschäftigt sich der nun folgende Aspekt, die Perspektivenanalyse, mit dem Verhältnis, in dem ein Erzähler oder eine Erzählerin zu der erzählten Handlung steht.98 Gefragt wird vor allem nach der Beteiligung des Autors an der Handlung, nach der sprachlich-stilistischen Distanz seiner Figurenbeschreibungen, nach dem Standpunkt, den er gegenüber der erzählten Handlung einnimmt sowie der Intention, die er mit seiner Erzählung verbindet.99 In diesem Zusammenhang ist an die oben erläuterte Unterscheidung zwischen Barth als Narrator und Barth als Narratologen zu erinnern. Es stellt sich zum einen die Frage, inwiefern die Nacherzählungen durch Barths eigene Intentionen als Erzähler/Narrator geprägt sind, wie sich z. B. die Wahrnehmung und Darstellung von Figuren unter Barths Händen im Vergleich zur biblischen Vorlage verändert und welche Absichten Barth damit verfolgt. Zum anderen ist zu fragen, inwiefern Barth in seinen Nacherzählungen den Aspekt der Perspektivität der biblischen Geschichten (als Narratologe) wahrnimmt, herausstellt und welche Schlüsse er im Einzelnen daraus zieht. Ein anschauliches Beispiel für Barths Perspektivität als Erzähler stellt die Nacherzählung von Davids Ehebruch dar. Durch drei auch an anderen Stellen zu beobachtende Stilmittel verschärft Barth die biblische Darstellung in seiner Nacherzählung, so dass die „Verlotterung“ des David in einem umso grelleren Licht erscheint. Das erste Stilmittel, das Barth verwendet, ist das der Ironie bzw. des 98 Die Unterscheidung zwischen dem Inhalt einer Erzählung bzw. zwischen einer erzählten Handlung – Was wird erzählt? (Engl.: „story“, frz.: „histoire“) – und der Art der Erzählung – Wie wird erzählt? (Engl.: discourse, frz.: discours) – gehört zu den klassischen Unterscheidungen in der modernen Narratologie, vgl. NRnning/NRnning, Von der strukturalistischen Narratologie zur „postklassischen“ Erzähltheorie, 6. 99 Vgl. Finnern, a. a. O., 164 – 186.

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Spottes.100 Schon die Bezeichnung der Erzählung als „sehr triviale, wenn gleich schließlich wild und bös verlaufende Hintertreppengeschichte“ (IV/2, 526) schließt jede Form der Erhabenheit aus. Auch die Nacherzählung selbst ist von einem distanziert-spöttischen Ton geprägt, das Verhalten des David wird in seiner ganzen Peinlichkeit dem Pflichtbewusstsein des Uria gegenübergestellt (527), die aussichtslosen Vertuschungsversuche des David schonungslos aufgezeigt, die voreilige Beruhigung Davids nach der Nachricht vom Tod des Uria genüsslich ausgebreitet (528). Das zweite Stilmittel, durch das Barth eine Verschärfung des negativen Urteils über David erreicht und damit seine Erzählintention unterstreicht, ist der Verweis auf einschlägige biblische Referenzstellen.101 Eingestreut in den Bericht von den einzelnen Untaten Davids werden die Gebote des Dekalogs zitiert, gegen die David verstößt: „,Du sollst nicht begehren nach dem Weibe deines Nächsten!‘ (Ex. 20,17) […] ,Du sollst nicht ehebrechen!‘ (Ex. 20,14) […] ,Du sollst nicht morden!‘ (Ex. 20,13)“ (526). Das Vergehen des David wird dadurch umso schärfer als mehrfacher Verstoß gegen Gottes Gebote gekennzeichnet. Als drittes Stilmittel ist schließlich das Aufzeigen von Handlungsalternativen zu nennen,102 durch die Barth das sündige Verhalten des David mit den potentiellen Maßnahmen kontrastiert, die einem König in Israel, der seinen Pflichten nachkommt, und erst recht einem Erwählten Jahwes, der sich seiner Erwählung gemäß verhält, entsprochen hätten: „Wird er [David] ihr [Batseba], ihrem Mann, dann wohl auch dem Volk von Jerusalem gegenüber stehen zu dem, was er getan hat?“ (526) Der Leser weiß zu diesem Zeitpunkt längst, dass David dies nicht tun wird, wird sich aber zugleich dessen bewusst, dass es eine Handlungsalternative sehr wohl gegeben hätte. Dass Barth ausgerechnet den von Gott erwählten König David in einem solch negativen Licht zeichnet, ist natürlich kein Zufall – ebenso wenig wie die vergleichsweise positive Darstellung des Saul in der Nacherzählung von dessen Inthronisation. Beide Tendenzen entsprechen vielmehr der Charakteri100 Dieses Stilmittel findet sich ebenfalls in KD IV/1, 476: Im Anschluss an den Bundesbruch verteidigt sich Aaron in Barths Darstellung gegenüber Mose mit den hilflosen Worten, das Volk habe ihm sein Gold gegeben, „und da wurde dieses Kalb daraus“. 101 Als weitere Beispiele der zahlreichen biblischen Verweise innerhalb der Nacherzählungen sei verwiesen auf IV/1, 472: Mose (Ex 32,32) und Paulus (Röm 9,3) als Stellvertreter für Israel; IV/ 1, 474: Der Bundesbruch im Vergleich zum „Sündenfall“ nach Gen 3; IV/1, 504 f: das Sündenbekenntnis des Ahab (1 Kön 21,27) im Vergleich zu dem des Saul (1 Sam 15,24 f), IV/2, 544: Der Wunsch nach einer Rückkehr nach Ägypten in der Geschichte von der Aussendung der Kundschafter (Num 14,3 f – bei Barth fälschlicherweise als „[Num] 16, 3 f.“ zitiert) und in der Jeremia-Erzählung (Jer 42,13). 102 Vgl. als weitere Beispiele IV/1, 493: Sauls ungeduldiges Opfer, „statt guten Mutes auf die Weisung und Führung Gottes zu warten“; IV/2, 485: Nabals Erschrecken nach dem Bericht der Abigail, anstatt sich seiner Bewahrung zu freuen; IV/2, 543: das Murren des Volkes Israel nach dem Bericht der Kundschafter, anstatt sich an die Verheißung Jahwes zu erinnern.

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sierung jener beiden ungleichen Könige, die Barth bereits in seiner Erwählungslehre vornimmt.103 Wird Saul bereits in KD II/2 in ein vergleichsweise positives und David eher in ein negatives Licht gerückt, so fällt auch in der Sündenlehre die Beschreibung des David eher spöttisch-distanziert, die des Saul dagegen mitfühlend aus. Darin zeigt sich, dass längst nicht jede Beschreibung eines Sünders in Barths Nacherzählungen in gleichem Maße zur Identifikation einlädt, sondern es bisweilen übergeordnete Gesichtspunkte gibt, die wohl weniger mit persönlicher Sympathie oder Antipathie als vielmehr mit jenem dialektischen Antidualismus zu tun haben, der eine allzu strikte Aufteilung zwischen Erwählten und Verworfenen bzw. Gerechten und Sündern vermeiden will. Barths Nacherzählungen sind jedoch nicht nur selbst von einer bestimmten (narrativen) Perspektivität geprägt, sie zeigen darüber hinaus auch ein (narratologisches) Gespür für die Perspektivität der alttestamentlichen Texte. Dies gilt unter anderem von der Jeremia-Erzählung, in der die Beteiligung des Erzählers an der erzählten Handlung von Barth besonders betont wird. Mit Bedacht orientiert sich Barth in seiner Nacherzählung der Eroberung Jerusalems an der Schilderung des Jeremia-Buches, die von der unmittelbaren Beteiligung des Erzählers Baruch/Jeremia entscheidend geprägt ist, und nicht etwa an der Schilderung der Könige-Bücher. Nicht nur ein erzählerisches, sondern auch ein narratologisches Glanzstück innerhalb dieser Nacherzählung stellt die parallele Erzählung von Jerusalems Untergang und Jeremias Leidenszeit dar.104 Sie kann als ein besonders gelungenes Beispiel dafür gelten, wie Barth die Perspektivität der biblischen Erzählung wahrnimmt und für seine Nacherzählung bzw. für die theologische Entfaltung der Sünde als Selbsthilfe fruchtbar macht. Der Untergang Jerusalems wird in diesem Zusammenhang nicht nur als irgendein mehr oder weniger wichtiges Ereignis der Weltgeschichte erzählt, auch nicht in erster Linie als die Tragödie eines Volkes, sondern als die persönliche Tragödie eines bestimmten Angehörigen dieses Volkes, der zu den ohnehin grauenvollen Geschehnissen auch noch den Hass seiner Zeitgenossen zu spüren bekommt. Durch diese Konzentration auf die Perspektive Jeremias sowie die Schilderung seiner Gedanken und Gefühle105 gelingt es Barth, den Kontrast zwischen den Einwohnern Jerusalems mit ihren Versuchen der Selbsthilfe und der Figur des Jeremia, dem in all seiner Verzweiflung nichts anderes übrig bleibt, als sich auf den Beistand Gottes zu verlassen, besonders eindrücklich darzustellen.106 103 104 105 106

Vgl. hierzu ausführlich Kapitel B 2, Abschnitt 2.3.2. Vgl. IV/1, 524 f. Vgl. insbesondere die Passagen über den Kummer Baruchs bzw. Jeremias: IV/1, 523 f bzw. 528. Eine weitere Stelle, an der Barth die Perspektivität einer Erzählungen wahrnimmt und wiedergibt, findet sich in KD IV/1, 476: Die Absicht der Darstellung des Aaron in der Geschichte vom Bundesbruch: Die Bewertung des biblischen Erzählers sieht Aaron „weder im Licht noch in der Finsternis dieser Geschichte, sondern in deren Halbschatten: groß und bedeutend weder im Guten noch im Bösen“. Barth deutet diese Erzählabsicht dahingehend, dass die Figur des

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Vielleicht zeigt sich an dieser Stelle am deutlichsten, worin sich Barths Nacherzählungen von einer schulmäßigen historisch-kritischen wie auch narratologischen Exegese unterscheidet. Wie jene auch nimmt Barth die Perspektivität der biblischen Erzählung sehr wohl wahr. Anstatt jedoch die Perspektivität der Erzählung schlicht zu benennen und die Botschaft der Erzählung daraufhin zu relativieren, lässt sich Barth in seiner Nacherzählung auf jene Perspektivität ein und verstärkt sie eher noch durch den erzählerischen Einfall der Paralleldarstellung. Den Vorwurf des Mangels an Bereitschaft zur Sachkritik am biblischen Text, dem sich Barth bereits in frühen Jahren ausgesetzt sah,107 nimmt er an dieser Stelle wohl deshalb in Kauf, weil er auf der inhaltlichen Ebene gerade so die Sünde der Selbsthilfe als Phänomen des Unglaubens und somit als ein theologisches Problem umso deutlicher von dem Missverständnis abgrenzen kann, es sei damit jede Art aktiven menschlichen Gestaltungswillens gemeint. Zugespitzt lässt sich sagen, dass das Wahrnehmen und Herausarbeiten der Perspektivität der biblischen Erzählung bei Barth nicht der Distanzierung von jener Erzählung dient, sondern vielmehr um der seiner Ansicht nach in jener Erzählung gemeinten Sache willen geschieht. Diese Sache ist auf der einen Seite der aktive Widerstand des Menschen gegenüber der Versorgung Gottes, letztlich aber auch hier eben jene Versorgung, welche sich in der Bundesgeschichte mit Israel immer wieder und im Christusgeschehen unüberbietbar gezeigt hat. 2.5.4.5 Rezeptionsanalyse: Mehr als Moral Geht es in der Perspektivenanalyse um das Verhältnis zwischen Erzähler bzw. Erzählerin und Erzählung, so fragt die Rezeptionsanalyse nach dem Verhältnis zwischen der Erzählung und den intendierten Lesern oder Hörern einer Erzählung:108 Wird eine Geschichte so erzählt, dass die Rezipienten zu den Protagonisten (kognitive oder emotionale) Empathie oder gar Sympathie (Einverständnis) entwickeln? Können sie in die Erzählung „eintauchen“, wird Spannung aufgebaut, werden bestimmte Emotionen erzeugt? Zielt die Erzählung auf bestimmte Anwendungen auf Seiten der Rezipienten ab, gibt es eine bestimmte Pointe, von der aus sich intendierte Meinungs- oder Verhaltensänderungen ergeben? Aus dem im vorigen Abschnitt Gesagten geht bereits hervor, dass Barth sehr Mose durch sie nur umso stärker zum Leuchten kommt. Vgl. ebenfalls IV/1, 491 f, wo Barth den Standpunkt der Autoren der Samuelbücher zur Frage nach dem Verhältnis zwischen der politischen und religiösen Verantwortung des israelitischen Königtums im Unterschied zu Noth, Geschichte Israels, 152, als „sehr klar“ betrachtet: In erster Linie seien die Könige in Israel nach Meinung der Samuelbücher Untertanen Jahwes, und dann erst Herrscher in Israel gewesen. 107 Vgl. Bultmann, Karl Barths „Römerbrief“, 141 f. Vgl. hierzu ausführlich Teil C, Abschnitt 2.2.3. 108 Vgl. hierzu Finnern, Narratologie und Biblische Exegese, 186 – 245.

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wohl nach der intendierten Wirkung der biblischen Erzählungen fragt und diese sogar zu verstärken versucht. Er tut dies jedoch nicht nur, indem er die Perspektivität der alttestamentlichen Erzählung berücksichtigt, sondern er bemüht sich auch um eine rhetorische Klarheit, die nicht zuletzt dadurch erreicht wird, dass Barth in der Regel am Anfang der Nacherzählung bereits deren Pointe vorwegnimmt. Dies geschieht zum Beispiel in der Auslegung der Geschichte vom Bundesbruch nach Ex 32. Durch diese Geschichte – und darin besteht nach Barth ihre Pointe – wird „die Aktion Jahves in der Begründung, Aufrechterhaltung und erneuernden Durchführung seines Gnadenbundes mit Israel als eine durch das Ereignis jenes Abfalls zwar nicht verhinderte, wohl aber in unbegreiflicher Weise unterbrochene Aktion“ (IV/1, 470) charakterisiert.109 Worin die Unterbrechung des Gnadenbundes besteht, wird in einem abschließenden Fazit am Ende der Erzählung110 noch einmal auf den Punkt gebracht: Das also war der Bundesbruch nach Ex. 32: der Mensch als creator Dei, der über sich selbst verfügende und sich selbst genügende und so sich selbst vergottende Mensch, der Mensch der Sünde in dieser ersten Gestalt seines Hochmuts: im Lichte der Offenbarung des Gottes, dessen Name unbeweglich lautet: ,Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.‘ (IV/1, 479)

In diesem doppelten Fazit kommt sehr schön zum Ausdruck, welche Rezeption in den Nacherzählungen Barths intendiert ist, welches Anliegen er mit seinen Nacherzählungen verfolgt bzw. welches Anliegen die Redaktoren des Kanons – Barth nennt sie explizit in der Einleitung der Erzählung vom Bundesbruch (470) – seiner Meinung nach mit ihren Erzählungen verfolgt haben. Es geht ihm nicht so sehr darum, den moralischen Zeigefinger zu heben und vor einem bestimmten fehlerhaften Verhalten zu warnen. Vielmehr dienen die Erzählung vom Bundesbruch wie auch die anderen Nacherzählungen in der Sündenlehre dem Ziel, das Verständnis von der Sünde zu vertiefen: Die Sünde ist der Zwischenfall in der Gnadengeschichte Gottes mit dem Menschen. Sie ist der aktive Widerstand gegen das ihr stets zuvorkommende Gnadenhandeln Gottes. Dieses Widerstandes machen sich die Sünder der alttestamentlichen Geschichten schuldig. Die mit den Nacherzählungen beabsichtigte Identifikation der Leserinnen und Leser mit den Protagonisten der Erzählungen und damit die intendierte 109 Weitere Beispiele finden sich in den Erzählungen von Ahab und Naboth (vgl. IV/1, 506), von David, Abigail und Nabal (vgl. IV/2, 481), von David und Batseba (vgl. IV/2, 525) sowie von der Aussendung der Kundschafter (vgl. IV/2, 542). 110 Ein weiteres Beispiel für ein solches Fazit am Ende findet sich in der Erzählung von Ahab und Naboth: „Wo Isebel-Baal an die Stelle des Königs treten […] darf, da ist es schon geschehen, daß der König – und mit dem König sein Volk – statt sich unter das Recht Gottes zu beugen und in dessen Ausführung auch das Recht des Menschen zu wahren, sich selbst zu Richtern und damit eo ipso zu ungerechten Richtern machen, daß das Recht in ihren Händen zum Unrecht werden muß.“ (IV/1, 508)

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Rezeption dieser Erzählungen überhaupt besteht folglich weniger in einem veränderten ethischen Verhalten der Rezipienten als darin, die Absurdität der Sünde als aktivem Widerstand gegenüber dem Gnadenhandeln Gottes zu erkennen, was letztlich nichts anderes bedeutet, als Gottes Gnadenhandeln im Glauben anzuerkennen. Zu betonen ist schließlich, dass die Ermöglichung der Identifikation mit den biblischen Figuren als eine bewusste Identifikation erfolgen soll. Zwar versteht es Barth, zwischen den dargestellten Figuren einerseits und seinen Lesern andererseits ein Verhältnis der Empathie,111 der Sympathie oder der Antipathie112 aufzubauen.113 Allerdings unterbricht er auch immer wieder den Erzählfluss durch erläuternde Passagen und hemmt so den „Realitätseffekt“, also das „Hineintauchen“ der Rezipienten in die Erzählung.114 Diese sollen sich bei aller Identifikation dennoch ihres eigenen geschichtlichen Ortes bewusst sein, an dem sie als Angehörige des Neuen Bundes erst recht von Gottes Gnadenhandeln betroffen sind. 2.5.5 Ergebnis: Barth als Vorläufer moderner Narratologie Es bleibt festzuhalten, dass sämtliche der von Finnern genannten und für die biblische Exegese fruchtbar gemachten Analyseaspekte der modernen Narratologie in Barths Nacherzählungen wiederholt vorkommen. Anders gesagt: Die wesentlichen Fragerichtungen, mit denen sich die von der modernen Narratologie geschulte Exegese einer biblischen Erzählung annähert, werden bereits in Barths Auslegungen, wenn auch nicht theoretisch reflektiert, so doch in der Praxis umgesetzt,115 so dass mit Recht gesagt werden kann, dass Barth in seinen Erzählungen das narratologische Potential der alttestamentlichen Erzählungen zur Geltung bringt. Indem Barth dies tut, gewinnen nicht nur seine eigenen Auslegungstexte an Anschaulichkeit, sondern es werden, wie soeben gezeigt, vor allem zentrale inhaltliche Aspekte der alttestamentlichen Erzählungen prägnant herausgearbeitet und für die Sündenlehre fruchtbar gemacht. Dies geschieht auch in den Erläuterungen zum historischen Kontext, durch die Barth das Anliegen 111 Man denke etwa an die Erzählung von Jeremia oder an die (Mitleid erregende) Darstellung des Saul, IV/1, 490 bzw. 492. 112 Vgl. z. B. die Darstellung von Nabal und Abigail, IV/2, 482 f. 113 Interessanterweise ist die einzige Geschichte, in der Barth als Erzähler durchgehend auf spöttischer Distanz bleibt und auf jegliches Identifikationsangebot verzichtet, die Erzählung von David und Batseba (KD IV/2, 524 – 427). Es ist dies zugleich die einzige der acht alttestamentlichen Nacherzählungen in der Sündenlehre, in der es nicht um einen Parteienkonflikt, sondern um einen Moralkonflikt geht. 114 Vgl. Finnern, a. a. O., 197. 115 Dass es neben den genannten Analyseaspekten innerhalb des „garden of forking paths“ der modernen Erzählforschung (vgl. Onega/GarcTa Landa, Introduction, 36) unzählige weitere narratologische Fragerichtungen gibt, soll damit nicht bestritten werden.

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der kulturellen bzw. historischen Wende innerhalb der narratologischen Forschung auf seine Weise vorwegnimmt.116 Im Ergebnis wird man sagen können, dass Barths Auslegungen biblischer Erzähltexte von einer hohen narratologischen Sensibilität geprägt sind, die ihn zu einem Vorläufer der modernen narratologischen bzw. narrativen Exegese macht.

3. Fazit: Narrative Vergegenwärtigung der Sünde als konkretem Widerspruch Noch wichtiger als die auslegungsgeschichtliche Einordnung und Qualifizierung von Barths exegetischer Praxis ist freilich die Frage nach dem theologischen Ertrag seiner narrativen Auslegung. Es hat sich gezeigt, dass Barth, indem er den Erzählcharakter der biblischen Texte ernst nimmt, in der Lage ist, die zentralen Aspekte seiner Sündenlehre pointiert zur Geltung zu bringen. Unter diesen ist zunächst die Beschreibung der Sünde als konkreter Widerstand gegen den Gemeinschaftswillen des Schöpfers, welcher sich in konkreten Zusagen manifestiert, zu nennen. Barth insistiert darauf, dass die Sünde nicht als ein über den Menschen beschlossenes Verhängnis verstanden werden darf, sondern als der konkrete Widerspruch bzw. Widerstand, durch den sich der konkrete Mensch als Individuum oder als Mitglied einer Gruppe dem Versorgungs- und Versöhnungsangebot Gottes widersetzt. Dieser Widerstand geschieht auf unterschiedliche Weise und folgt keinem allgemeinen Prinzip, was Barth im Anschluss an die alttestamentlichen Erzählungen pointiert zum Ausdruck bringt. Zwar stehen die Protagonisten dieser Erzählungen exemplarisch für bestimmte Phänomene der Sünde, die sich immer wieder – in der je eigenen Lebensgeschichte – beobachten lassen. Als Individuen folgen sie dennoch weder einem Zwang noch einer bestimmten Kausalität. Sie sind exemplarisch, indem sie in ihrer konkreten Situation falsche Entscheidungen treffen und sich damit dem göttlichen Gnadenhandeln entziehen. Indem sich auch dieses Gnadenhandeln jeweils in konkreten Ereignissen manifestiert – so etwa in der Verkündigung des Jeremia vor der Selbsthilfe Israels angesichts der Bedrohung durch Nebukadnezar, dem Schutz von Nabals Schafen durch Davids Gefährten vor dessen unverständiger Grobheit oder dem Auszug aus Ägypten vor dem Bundesbruch –, wird auch in den Nacherzählungen die zentrale Beschreibung der Sünde als einem von Gottes Gnadenhandeln eingerahmten „Zwischenfall“ zur Geltung gebracht; dies freilich mit der Einschränkung, dass das Ende der meisten Erzählungen tragisch verläuft und somit jenen für Barths Sündenlehre zentralen Aspekt in 116 Zur kulturellen bzw. historischen Wende in der narratologischen Forschung vgl. NRnning/ NRnning, Narratologie, 4 – 9.

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der Regel nicht zum Ausdruck bringt, dass die Sünde in der Geschichte zwischen Gott und den Menschen nicht das letzte Wort hat.117 Umso deutlicher wird in den Nacherzählungen illustriert, dass die Sünde in all ihren Spielarten letztlich auf den Unglauben zurückgeht, mit dem sich der sündigende Mensch dem göttlichen Zuspruch und Versorgungsangebot entzieht. Die Dummheit des Nabal, die Sorge der Kundschafter, die Selbsthilfe der Jerusalemer Bevölkerung, der Bundesbruch am Sinai – überall wird von Barth deutlich betont, dass die Wurzel der Sünde im mangelnden Vertrauen auf Jahwes Beistand, also im Unglauben besteht.118 Hält man sich vor Augen, mit welchem Maß an Konkretion Barth in den alttestamentlichen Nacherzählungen das Thema der Sünde entfaltet, so stellt sich die Frage, ob W. Härles Kritik, Barth habe „den kontingenten Charakter von Sünde und Versöhnung in Frage“ gestellt,119 tatsächlich berechtigt ist oder ob Härle nicht vielmehr Barths Versöhnungslehre allzu einseitig darstellt, indem er in ihr die Gnade zum „Prinzip der Ontologie“ erhebt.120 In dieser Kritik wird zunächst der Widerspruch ignoriert, den Barth selbst gegen das seiner Erwählungslehre gewidmete Buch G. Berkouwers, Der Triumph der Gnade, formuliert.121 Ausführlich erläutert Barth in diesem Zusammenhang, dass er die Gnade gerade nicht als ein allgemeines Seinsprinzip, sondern als das konkrete Ereignis der Selbstoffenbarung des Schöpfers im Lebenszeugnis Jesu von Nazareth versteht. Dieses Verständnis wird jedoch von Barth nicht nur postuliert, sondern auch umgesetzt, indem er die Versöhnungslehre entfaltet als Auslegung des konkreten Christusgeschehens, die sich auch hier immer wieder in Form von Nacherzählungen – nämlich der Evangelienberichte – vollzieht.122 Gänzlich an Barths Intention vorbei zielt die sich an Härle anschließende Kritik M. Roths, nach dessen Einschätzung die sachliche Vorordnung des Bundes vor der Schöpfung zur Folge hat, dass nach Barth „die Sünde selbst für Gott eine Notwendigkeit“ sei.123 Hierzu ist zu sagen, dass Barth, wie eingangs dieses Kapitels gezeigt, dieser Ansicht diametral widerspricht und im Übrigen auf eine positive Antwort auf

117 Eine partielle Ausnahme in dieser Hinsicht bildet die Nacherzählung von den Ereignissen vor und nach der Eroberung Jerusalems, in der das Nachwort an Baruch zumindest im Blick auf das Schicksal des Propheten für einen tröstlichen Ausgang der Erzählung sorgt (IV/1, 531). 118 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass Barths Sündenlehre damit deutlich an Luthers Sündenverständnis anknüpft, welches etwa in der Freiheitsschrift prägnant zum Ausdruck kommt, vgl. Luther, De libertate christiana, WA 7, 54,11 f: „Contra, quae rebellio, quae impietas, quae contumelia dei maior quam non credere promittenti?“ Vgl. hierzu Bayer, Martin Luthers Theologie, 160 – 166. 119 HQrle, Sein und Gnade, 327 f. 120 HQrle, a. a. O., 328. 121 Vgl. KD IV/3, 197 – 206. 122 Vgl. u. a. KD IV/1, 246 – 250, 286 – 300; IV/2, 193 – 199, 238 – 242, 250 – 252, 304 – 310, 361 – 369; KD IV/3, 226 – 240, 265 – 271. 123 Roth, Schöpfung und Erlösung, 192.

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die Frage nach dem Ursprung der Sünde verzichtet.124 Die Ursache der einseitigen Wahrnehmung von Barths Theologie, in deren Folge der Vorwurf mangelnder Konkretion bzw. Kontingenz geäußert wird, scheint nicht zuletzt darin zu liegen, dass die exegetischen Exkurse in der KD weder von Härle noch von Roth in den Blick genommen werden. Zum theologischen Ertrag von Barths Nacherzählungen gehört außerdem, dass Barth durch seine Nacherzählungen den historischen Graben zwischen den biblischen Geschichten und der Gegenwart seiner Leserinnen und Leser immer wieder zu überbrücken vermag, so dass Letztere ihre Rolle als selbstständige Aktanten in der die einzelnen Episoden und Epochen übergreifenden Bundesgeschichte einnehmen können.125 Diesen Gedanken gilt es abschließend noch einmal zu vertiefen: Wenn A.F. Sanders in Bezug auf die biblischen Gleichnisse feststellt, diese seien „viel eindrücklicher und existenzbezogener als rein begriffliche Darstellungen der göttlichen Wirklichkeit oder einer darauf bezogenen Lebensgestaltung“,126 so kann dasselbe von den alttestamentlichen Erzählungen und letztlich auch von Barths Nacherzählungen im Unterschied zu einer rein analysierenden Auslegung behauptet werden. Es spiegelt sich darin die Erkenntnis wider, dass die biblischen Texte von ihren Lesern mehr wollen, als ihnen bestimmte Inhalte zu vermitteln. Im Letzten zielen sie darauf, dass die Leser ihre eigene aktive Rolle einnehmen in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Dies gilt, wie bereits angedeutet, besonders für die jesuanischen Gleichnisse und ihre Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft. E. Jüngel definiert die „hermeneutische Funktion der Gleichnisse Jesu“127 folgendermaßen: „Die der Gegenwart nahe Zukunft der Gottesherrschaft wird von Jesus so verkündigt, daß die Menschen dadurch in die Nähe Gottes kommen, weil Gott in ihre Nähe gekommen ist.“128 An anderer Stelle weitet Jüngel diese hermeneutische Funktion auf die „literarische Gattung Evangelium“ aus und konkretisiert sie zugleich, indem er vom „missionarischen Grundzug“ der neutestamentlichen Evangelien spricht.129 Die „Erzählung von der in der Geschichte Jesu Christi Ereignis gewordenen Menschlichkeit Gottes“ dränge darauf, geglaubt und schließlich 124 Eine solche vermag aber auch Roth nicht zu geben, wenn er – ganz im Sinne Barths – feststellt: „Die Sünde darf so zwar nicht als etwas gedacht werden, was notwendig aus der Schöpfung resultiert, sie kann aber nicht anders gedacht werden als etwas, was im Rahmen der Schöpfung und der Geschöpflichkeit des Menschen wirklich ist.“ Roth, ebd. 125 Dieser Aspekt entspricht dem, was J. Schröter kürzlich als Anliegen der neutestamentlichen Evangelien herausgestellt hat, nämlich die „narrative Vergegenwärtigung“ des Wirkens und Geschicks Jesu, vgl. Schrçter, Nicht nur eine Erinnerung, 127 – 135. 126 Sanders, Gleichnis, 1004. 127 JRngel, Paulus und Jesus, 181. 128 Ebd. 129 JRngel, Gott als Geheimnis der Welt, 418.

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„weitererzählt zu werden“.130 Ganz ähnlich beschreibt wiederum auch Barth die Intention der „evangelischen Geschichte“: „Von ihm [Jesus] soll und muß gesprochen, seine Geschichte soll erzählt, an ihn als den in dieser Geschichte Existierenden darf geglaubt werden.“ (IV/1, 249 f) Der Zusammenhang zwischen einer erzählenden Verkündigung und dem existenziellen Nachvollzug jener Verkündigung auf Seiten der Hörerinnen und Hörer wird hier ebenso deutlich zum Ausdruck gebracht wie in der Frage, ob gerade die Karfreitagspredigt da und dort statt in Form von allerlei unzureichender Theologie nicht besser in Form einer […] simplen Nacherzählung der evangelischen Leidensgeschichte verlaufen, als solche nicht auch ,existenziellere‘ Anrede sein würde? (KD IV/1, 275)

Es bleibt festzuhalten, dass die exegetische Gattung der Nacherzählung bei Barth neben dem Vorzug der Konkretion auch jenen Vorteil besitzt, dass die Hörerinnen und Hörer bzw. die Leserinnen und Leser „existenziell einbezogen werden“.131 Zu der Frage, wie sich dieses Einbezogenwerden vollzieht, unterscheidet Jüngel im Anschluss an Augustin und Luther zwischen einer sakramentalen und einer exemplarischen Funktion der christologischen Erzählung.132 Als sacramentum möchte die neutestamentliche Jesus-Erzählung den Hörer in eben jene Freiheit führen, die durch das von ihr erzählte Christus-Geschehen selbst erst ermöglicht wurde. Als exemplum zielt dieselbe Erzählung auf den tätigen Nachvollzug der Lebens- und Handlungsweise Jesu. Barths Nacherzählungen in der Sündenlehre lassen sich im Sinne beider Funktionen verstehen. Sie wollen den Leser in die Entscheidung führen, indem sie ihm die Unmöglichkeit des Verhaltens eines Ahab oder eines Nabal vor Augen malen. Diese stehen beispielhaft für die durch das Christusgeschehen ein für allemal verurteilte und überholte Sünde in ihren ersten beiden Hauptformen des Hochmuts und der Trägheit. Die Leserinnen und Leser von Barths Nacherzählungen sollen sich im Kontrast zu Ahab und Nabal als die durch Christus bereits Gerechtfertigten erkennen und bekennen. Hochmut und Trägheit können nur noch scheinbar ihren Einfluss auf sie ausüben, in Gottes Urteil – und dieses ist entscheidend – sind sie dank des Gehorsams Jesu schon gerecht gesprochen. Die sakramentale Funktion der alttestamentlichen Erzählungen hängt also auf das Engste mit der spezifischen Anordnung von Barths Versöhnungslehre zusammen, in der die Sündenlehre erst nach der Christologie behandelt wird.133 130 131 132 133

Ebd. JRngel, a. a. O., 422. Vgl. JRngel, ebd. An dieser Stelle ist auf ein weiteres, besonders eindrückliches Beispiel hinzuweisen, in welchem Barth in ähnlicher Weise auf eine negative Identifikation mit zwei biblischen Figuren abzielt. Dieses findet sich in einem Brief an D. Bonhoeffer, den Barth im November 1933 auf das Eindringlichste ermahnt, aus dem selbst gewählten Londoner Exil nach Deutschland zu-

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B 4: Narrative Exegese in der Sündenlehre (KD IV/1, KD IV/2)

Neben der sakramentalen Funktion lässt sich freilich auch eine exemplarische Funktion nicht übersehen. Im Wissen um die bleibende Gefahr des Rückfalls auch der Gerechtfertigten in die Sünde stellen Barths Nacherzählungen ihre Leserinnen und Leser zugleich vor die ethische Entscheidung, in der die neue Existenz tätig nachvollzogen werden soll. Sie laden dazu ein, sich an der Gottesfurcht und (Lebens-)tüchtigkeit Abigails genauso ein Beispiel zu nehmen wie an dem Mut Josuas und Kalebs oder der Geduld Jeremias. Die Ausführlichkeit, in der Barth die alttestamentlichen Geschichten nacherzählt, trägt dabei der Erkenntnis Rechnung, dass sich die Entscheidung des Lesers in der Regel nicht in einem Augenblick vollzieht, sondern in einem Prozess des Abwägens und Nachvollziehens, des gedanklichen Ausprobierens neuer Möglichkeiten, bis er „zur rechten Entscheidung in Kraft gesetzt“134 wird. Noch einmal ist jedoch zu betonen, dass Barth in seinen Nacherzählungen nicht nur das Identifikationspotential jener Gerechten zur Geltung bringt, sondern immer wieder auch das der exemplarischen Sünder wie etwa des Saul oder der Einwohner von Jerusalem vor der Eroberung. Damit ist deutlich, dass die exemplarische Funktion seiner Nacherzählungen gegenüber der sakramentalen Funktion als nachgeordnet zu betrachten ist. Die Identifikation mit dem exemplarischen Sünder impliziert schließlich einen weiteren inhaltlichen Aspekt, den Barth durch seine Nacherzählungen pointiert zur Geltung bringt, nämlich die bereits in der Erwählungslehre beobachtete Intention, dem Missverständnis eines strengen soteriologischen Dualismus zwischen Gerechtfertigten und Sündern entgegenzuwirken.135 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Schriftauslegung innerhalb der Sündenlehre in KD IV/1 f in ihrer spezifischen narrativen Gestalt und ihrer narratologischen Ausrichtung nicht nur interessante Querverbindungen zu heutigen Entwicklungen innerhalb der biblischen Exegese ermöglicht, sondern darüber hinaus – wie dies bereits in den bisher besprochenen KD-Bänden zu konstatieren war – von fundamentaler Bedeutung für die Entfaltung der hamartiologischen Leitlinien Barths ist.

rückzukehren, um weiterhin eine aktive Rolle in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen jener Monate spielen zu können. Barth unterstreicht seine Mahnung mit den Worten, man dürfe „jetzt unter keinen Umständen weder Elia unter dem Wacholder noch Jona unter dem Kürbis spielen“. Br 1933, 536. Dass auch diese Anspielung letztlich jenes sakramentale Anliegen der narrativen Auslegungen in der Sündenlehre verfolgt, zeigt sich in der Fortsetzung des Briefes, wenn Barth schreibt, „daß jetzt jeder beliebige Bibelspruch uns förmlich zuschreit, wir verlorenen und verdammten Sünder sollten jetzt einfach glauben, glauben, glauben“. A.a.O., 537. 134 JRngel, Unterwegs zur Sache, 231. 135 Das folgende Kapitel wird erhellen, dass nach Barths Auffassung eine solche Abgrenzung schon daran scheitert, dass die Rechtfertigung des Menschen immer wieder neu im Zustand der Sünde anhebt.

B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes (Römer 7) in der Rechtfertigungslehre (KD IV/1) Das letzte Kapitel der exemplarischen Analyse von Barths Schriftauslegung in der KD Ist der Auslegung des siebten Kapitels des paulinischen Römerbriefs innerhalb der Rechtfertigungslehre in KD IV/11 gewidmet. Unter den zahlreichen exegetischen Exkursen innerhalb der Versöhnungslehre bietet sich diese Auslegung im Kontext der vorliegenden Untersuchung aus mehreren Gründen an. Zunächst kommt die Auslegung neutestamentlicher Brieftexte durch Barth in den übrigen Kapiteln dieser Studie verhältnismäßig wenig zur Sprache. Die folgende Analyse des Exkurses zu Röm 7 dient damit dem Ziel, ein möglichst umfassendes Bild von Barths Auslegungspraxis in der KD zu erzielen. Gleichzeitig kann durch die Besprechung gerade dieses Exkurses das Verständnis von Barths narrativer Exegese als einem charakteristischen Merkmal seiner gesamten exegetischen Praxis insofern vertieft werden, als auch die Auslegung jenes Brieftextes eindeutig erzählerische Züge aufweist. Die Tatsache, dass Barth aus einer Perikope, die selbst keine Erzählung im engeren Sinn darstellt, in seiner Auslegung eine Erzählung entwirft, deutet bereits darauf hin, dass die Auslegung von Röm 7 zu den interessantesten und eigentümlichsten exegetischen Exkursen innerhalb der Versöhnungslehre zählt. Darüber hinaus ist auf die überaus große Bedeutung hinzuweisen, die gerade der Römerbrief in Barths theologischem Werk spielt.2 Diese Bedeutung liegt besonders offen zu Tage im Hinblick auf die frühen Kommentare von 1919 bzw. 1921,3 sie erstreckt sich aber darüber hinaus auf das gesamte Werk der KD einschließlich der späten Bände von KD IV.4 Die Analyse des Exkurses 1 Die Seitenzahlen in diesem Kapitel beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, sämtlich auf KD IV/1. 2 H. Lichtenberger zählt Barth „nicht nur zu den bedeutendsten, sondern auch zu den produktivsten Erklärern des Römerbriefes“. Lichtenberger, Das Ich Adams, 66. 3 Dieser Satz gilt in doppelter Hinsicht, nämlich zum einen für Barths inhaltlich-theologische Wende während des Ersten Weltkriegs (vgl. hierzu Barths Selbsteinschätzung in: Nachwort, 294 f) und zum anderen für seinen Werdegang als akademischer Lehrer, der durch die frühen Römerbrief-Kommentare als Produkt jener inhaltlich-theologischen Wende eingeleitet wurde. 4 Innerhalb der KD finden sich folgende Exkurse mit einer fortlaufenden Exegese zum Römerbrief: I/2, 332 – 335 (Röm 1,16 – 32); II/2, 222 – 226, 235 – 256, 264 – 285, 294 – 336 (Röm 9 – 11); II/2, 796 – 800, 802 – 812, 814 – 818 (Röm 12,1 – 15,13); IV/1, 434 – 438 (Röm 1,18 – 3,20); IV/1, 570 – 573 (Röm 5,12 – 21); IV/1, 648 – 659 (Röm 7); IV/2, 308 – 310 (Röm 8,28 – 39); IV/2, 367 – 369 (Röm 8,14 – 27); IV/2, 414 f (Röm 6); IV/3, 699 (Röm 1,1 – 3); IV/4, 8 f (Röm 2); IV/4, 216 f (Röm 6,1 – 11). Aus den soeben aufgelisteten Exkursen sticht aufgrund ihres Umfangs die Auslegung von Röm 9 –

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

zu Röm 7 in KD IV/1 bietet somit die Möglichkeit, ausgehend von der Detailanalyse den Blick zu weiten und in einem Vergleich zwischen den frühen Kommentaren und der späten Auslegung nach Entwicklungen in Barths exegetischer Praxis im Lauf der Jahrzehnte zu fragen. Dass der Exkurs zu Röm 7 darüber hinaus als Bestandteil von Barths Rechtfertigungslehre zu einem Kapitel der KD gehört, das (auch im ökumenischen Kontext) eine breite Rezeption erfahren hat,5 macht ihn für die vorliegende Untersuchung zusätzlich interessant. Es ist zu zeigen, dass die kontroverse Debatte um Barths Rechtfertigungslehre mindestens teilweise daran krankt – und in der Folge zu einseitigen Darstellungen führt –, dass sie den spezifischen Beitrag, den die exegetische Arbeit in § 61 der KD („Des Menschen Rechtfertigung“) für die dogmatische Argumentation leistet, größtenteils ignoriert. Positiv formuliert ist auch in diesem Kapitel zu zeigen, worin der theologische Ertrag der Auslegung von Röm 7 für die Rechtfertigungslehre in KD IV/1 besteht.

1. Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1 Die thematische Hinführung zur Auslegung von Röm 7 innerhalb der Rechtfertigungslehre folgt jener Maßgabe, die bereits für die thematische Hinführungen im vorigen Kapitel leitend gewesen ist, dass nämlich die Erarbeitung des theologischen Ertrags von Barths Exegese die Berücksichtigung des werkgeschichtlichen Kontexts in umso stärkerem Maße erfordert, je weiter man innerhalb des gesamten Werks der KD voranschreitet. Wie die Sünden11 in KD II/2 mit insgesamt 78 Seiten heraus. Diese Auslegung ist freilich schon mehrfach besprochen und kritisch gewürdigt worden (vgl. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 401 – 435; Marquardt, Die Entdeckung des Judentums, bes. 104 – 128, 250 – 265, 345 – 352; Klappert, Israel und die Kirche, 38 – 52; Krçtke, Die Erwählung der einen Gemeinde, 73 – 75; Gibson, Reading the Decree, 97 – 151), so dass auch in dieser Hinsicht stattdessen die Analyse des Exkurses über Röm 7 besonders lohnend erscheint. Dessen Rezeption beschränkt sich auf eine kurze, beinahe ausschließlich beschreibende Besprechung bei Lichtenberger, a. a. O., 61 – 66. Erwähnenswert ist das abschließende Fazit Lichtenbergers, der den Exkurs – als Fachexeget! – „die tiefste Auslegung von Röm 7/8 in der Reihe der neueren Bemühungen um diesen Text“ nennt, Lichtenberger, a. a. O., 66. 5 Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die ausführliche und weitgehend zustimmende Würdigung aus katholischer Perspektive durch H. Küng (vgl. ders., Rechtfertigung), die nur wenige Jahre nach KD IV/1 veröffentlicht wurde und ein lebhaftes ökumenisches Gespräch über Fragen der Rechtfertigungslehre in Gang setzte, an dem sich auf evangelisch-lutherischer Seite vor allem P. Brunner beteiligte, vgl. ders., Trennt die Rechtfertigungslehre die Konfessionen?; ders., Rechtfertigung und Kircheneinheit; Hempel, Rechtfertigung als Wirklichkeit, 8 – 20 sowie 100 – 117. Den jüngsten und zugleich einen der originellsten Beiträge zur Rezeptionsgeschichte von Barths Rechtfertigungslehre hat M. Walser vorgelegt, der sich freilich hauptsächlich auf Barths Ausführungen in der zweiten Auflage des frühen Römerbrief-Kommentars bezieht, vgl. Walser, Über Rechtfertigung.

Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1

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lehre ist auch die Rechtfertigungslehre in KD IV/1 Teil jenes Stadiums von Barths Arbeit an der KD, in welchem die zentralen dogmatischen Aussagen im Vergleich zu früheren Bänden relativ eigenständig entwickelt werden. Um den theologischen Ertrag der Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 präzise zu bestimmen, ist es notwendig, sich die wesentlichen Aussagen von Barths Rechtfertigungslehre im Rahmen der Versöhnungslehre zu vergegenwärtigen. Im Folgenden wird zunächst erläutert, wie Barth die Rechtfertigungslehre innerhalb der Versöhnungslehre verortet. Dazu muss in erster Linie geklärt werden, wie Barth das Verhältnis zwischen der Rechtfertigungslehre und der Christologie als „Gegenstand und Inhalt“ (711) der Rechtfertigungslehre beschreibt (1.1). Im Anschluss daran wird eine der zentralen Kategorien von Barths Rechtfertigungslehre in ihrem mehrfachen Bedeutungsgehalt erörtert, nämlich die Rede von der Rechtfertigung als einer „Geschichte“ (1.2), bevor zum Abschluss der thematischen Hinführung auf den existenziellen Charakter von Barths Rechtfertigungslehre hingewiesen wird (1.3).

1.1 Christologie und Rechtfertigungslehre Der articulus stantis et cadentis ecclesiae ist nicht die Rechtfertigungslehre als solche, sondern ihr Grund und ihre Spitze: das Bekenntnis zu Jesus Christus, ,in welchem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen‘ (Kol. 2, 3). (588)

Mit dieser Beschreibung des Verhältnisses zwischen Rechtfertigungslehre und Christus-Bekenntnis bringt Barth die für die Konstruktion von KD IV grundlegende Überzeugung auf den Punkt, nach der das Christusbekenntnis den Ausgangs- und bleibenden Bezugspunkt der gesamten Versöhnungslehre und damit auch der Rechtfertigungslehre darstellt.6 Wird das Christusgeschehen selbst, genauer der Kreuzestod Jesu, als „Vollzug“ der Rechtfertigung verstanden,7 so muss auch die Rechtfertigungslehre stets an die Christologie rückgebunden werden. Wie wichtig und wie wenig selbstverständlich diese Erkenntnis in Barths Augen ist, wird aus zwei Bildern ersichtlich, mit denen er am Ende von § 61 („Des Menschen Rechtfertigung“) das Verhältnis zwischen Christologie und Rechtfertigungslehre beschreibt. In der Erläuterung der Begründung der Rechtfertigung „sola fide“, stellt Barth zunächst die Frage: „Was ist das sola 6 E. Jüngel kritisiert zu Recht, dass die in dieser Formulierung suggerierte Alternative zwischen Rechtfertigung und Christusbekenntnis an der Sache vorbei geht, vgl. JRngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung, 24. Gleichzeitig zeigt Jüngel, dass Barth in seiner Wertschätzung der Rechtfertigungslehre (vgl. etwa KD IV/1, 582 – 584) keineswegs hinter der reformatorischen Lehre zurückgeblieben ist. Hierzu führt er neben einigen expliziten Aussagen Barths besonders dessen Einbindung des Rechtfertigungsartikels in die Christologie an, vgl. JRngel, a. a. O., 15 f bzw. 24. 7 Vgl. hierzu unten Abschnitt 1.2.1.

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

fide Anderes als das schwache aber notwendige Echo des solus Christus?“ (706) Wird in diesem ersten Bild bereits die christologische Formel eindeutig der soteriologischen Formel vorgeordnet, so wird auch im zweiten Bild die unumkehrbare Reihenfolge von Christusbekenntnis und Rechtfertigungslehre nur scheinbar zunächst in Frage gestellt. Man könne zwar, schreibt Barth, „die Christologie […] die Krone der Rechtfertigungslehre nennen“ bzw. „die Begriffe ,Rechtfertigung‘ und ,Glaube‘ in ihrer Zusammengehörigkeit und Korrespondenz als die beiden Endpunkte der Basis einer gotischen Konstruktion“ bezeichnen, „von der aus die Strebepfeiler oder Strebebogen erst parallel, dann konvergierend in die Höhe schießen, um sich endlich an einem Scheitelpunkt und Schlußstein zu treffen“ (711). Dieses Bild sei jedoch lediglich „[f]ür die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben […] angemessen“, während mit Blick auf „die in solcher Konstruktion dargestellte Sache selbst gesehen“ gelten müsse, „daß Jesus Christus in dieser Angelegenheit nicht das letzte, sondern das erste Wort, nicht die Krone, sondern der Grund (nach 1. Kor. 3, 11 das hel´kiom) des Ganzen ist.“ (712) Für den vorliegenden Kontext ist zweierlei festzuhalten: Zum einen darf nicht ignoriert werden, dass Barth die gegenüber der Christologie nachgeordnete Stellung der Rechtfertigungslehre betont. Zum anderen ist die Unterscheidung zwischen Christologie einerseits und Christusbekenntnis bzw. Christusgeschehen andererseits zu beachten und für die folgende Untersuchung im Blick zu behalten.8

1.2 Rechtfertigung als Geschichte Was ist gemeint, wenn Barth von Jesus Christus als dem Grund der Rechtfertigungslehre spricht? Auf diese Frage soll im Folgenden eingegangen werden, indem die zentrale Beschreibung der Rechtfertigung als einer Geschichte untersucht wird. Insofern diese Beschreibung von Barth sowohl im Blick auf die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth als auch im Blick auf die Geschichte der von Jesus Christus unterschiedenen Menschen verwendet wird, bildet sie einen geeigneten Ausgangspunkt, um die Pointen von Barths Rechtfertigungslehre herauszuarbeiten.

8 Ein anschauliches biographisches Zeugnis dafür, wie sehr Barth auf diese Unterscheidung pochen konnte, findet sich in einer entsprechenden Reaktion auf einen Vortrag Iwands im Jahr 1956, vgl. Busch, Glaubensheiterkeit, 23 f.

Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1

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1.2.1 Die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth … Das Ereignis des Todes Jesu Christi ist der Vollzug der Gerichtes Gottes: des gnädigen Gottes, der in der Dahingabe dieses seines Sohnes an unserer Stelle und – wieder an unserer Stelle – in dessen demütigem Gehorsam die Welt mit sich selber versöhnte. (573) Und es ist das Ereignis der Auferstehung Jesu Christi die Offenbarung des Urteils Gottes, das in diesem Gericht zur Vollstreckung kommt: des freien Beschlusses seiner Liebe und also der Gerechtigkeit dieses Gerichtes. (Ebd.)

Mit dieser doppelten Bestimmung leitet Barth § 61 der KD („Des Menschen Rechtfertigung“) ein. In ihr bindet er die Rechtfertigung zunächst an das Gericht Gottes, welches sich an Karfreitag vollzogen habe. Dieses Gericht, so fährt Barth fort, habe einen „doppelten Sinn“ (573), nämlich zum einen die zornige Verneinung des Menschen unter der Sünde – das Thema der Sündenlehre (574) – und zum anderen die gnädige Befreiung des Menschen von der Sünde, die „in demselben Gericht“ (575) geschehe, nicht unter Ausblendung der Sünde, sondern durch ihre Überwindung. Diesen zweiten, den „positiven Sinn“ (ebd.) des Gerichts Gottes beschreibt Barth als das Thema der Rechtfertigungslehre. Dabei betont er, dass es sich in dem der Rechtfertigungslehre zugrunde liegenden gnädigen Gericht Gottes um ein geschichtliches Ereignis handle: „Es geht um die Geschichte, in der der Mensch Beides ist: verworfen und erwählt, unter Gottes Zorn und in Gnaden von ihm angenommen, getötet und lebendig“. (575) Indem Barth an dieser Stelle den Begriff „Geschichte“ hervorhebt, wird verständlich, weshalb er in den bereits zitierten Eingangssätzen jeweils vom „Ereignis“ des Todes bzw. der Auferstehung Jesu gesprochen hatte. Es ist damit von vornherein klargestellt, dass das Rechtfertigungsgeschehen als ein kontingentes Geschehen in der Zeit zu verstehen ist. Mit Blick auf die Eingangssätze über Jesu Tod und Auferstehung wird aber auch ein Zweites deutlich, nämlich dass mit dem Menschen, der „Beides ist : verworfen und erwählt“, zunächst niemand anderes gemeint ist als der Mensch Jesus von Nazareth. Er ist der Verworfene, der als Verworfener zugleich der Erwählte ist. Bestätigt wird dies im weiteren Verlauf, wenn Barth in § 61,2 („Gottes Gericht“) das Gericht Gottes zunächst ausführlich als das große „Rätsel“ beschreibt, in dem sich die Bilder des „gnädigen“ (598) und des „zornigen“ (601) Gottes im schärfsten Widerspruch gegenüberstehen. Dieses Rätsel sei letztlich als ein „gelöstes Rätsel“ zu betrachten, nämlich im Hinblick auf „Jesus Christus“, auf „das Geschehen seines Kreuzestodes“ und „dessen Offenbarung in seiner Auferweckung von den Toten“ (612). In einer christologischen Zuspitzung,

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

die sich in ähnlicher Form mehrfach innerhalb der KD findet,9 hält Barth fest : Wir haben bei unseren ganzen bisherigen Überlegungen stillschweigend auf Ihn geblickt: nicht in der Meinung, damit an uns anderen Menschen vorbeizublicken, sondern in der Meinung, gerade im Blick auf ihn, diesen Menschen, in erster und letzter Wahrheit und Wirklichkeit auch auf uns andere Menschen zu blicken. (Ebd.)

Die christologische Grundlegung von Barths Rechtfertigungslehre besteht zunächst darin, dass sie „des Menschen Rechtfertigung“ an die Geschichte des einen Menschen Jesus von Nazareth bindet. In der Geschichte dieses Menschen hat sich Gottes Gericht ereignet. Damit knüpft Barth an die Darstellung im ersten Teil seiner Christologie an, deren zweiter Abschnitt den Titel trägt: „Der Richter als der an unsrer Stelle Gerichtete“ (§ 59,2). Bereits in diesem Abschnitt betont Barth, dass es sich im Christusgeschehen um ein geschichtliches „Ereignis“ (234) handle. Er unterstreicht, „daß die Allmacht [der] freien Liebe“ Gottes im Christusgeschehen „diese konkrete Bestimmtheit hat“ (ebd.). Die in Christus vollzogene Rechtfertigung ist nicht etwa ableitbar, wir können sie „aus keinen Prinzipien deduzieren, aus keiner Idee Gottes und aus keiner Idee des Menschen und der Welt“ (ebd.), sie ist vielmehr als geschichtliches „Faktum“ von eminent kontingentem Charakter,10 „eine an bestimmtem Ort zu bestimmter Zeit in der Welt geschehene Geschichte“ (245).11 Die Kontingenz der Geschichte Jesu bildet dabei nach Barths Überzeugung nicht etwa einen Widerspruch zu ihrer die Zeiten übergreifenden Bedeutung, sondern gerade als eine einmalige Geschichte „dort und damals, illic et tunc“ ist die Geschichte Jesu „auch für uns in unserem Hier und Heute“ höchst relevant (ebd.). Exegetisch begründet Barth den Zusammenhang zwischen „Singularität und Universalität“12 des Christusgeschehens, indem er auf „das „ûpan oder 1v²pan“ hinweist, „mit dem dieses Geschehen im Neuen Testament gerade im 9 Vgl. insbesondere die Entfaltung der einzelnen Vollkommenheiten Gottes in KD II/1, §§ 30 – 31. 10 Frey, Die Theologie Karl Barths, 234. Frey betont ebenfalls, dass die „Geschichte Jesu Christi“ bei Barth als ein „kontingente[s] Ereignis“ (Frey, ebd.) beschrieben werde. In die gleiche Richtung zielt D. Korschs Beschreibung der KD als einer „Theologie des einen Wortes Gottes“ in der „Form der Theorie des prinzipiellen (singulären) Faktums.“ Korsch, Christologie und Autonomie, 165 f. 11 Barth grenzt sich mit dieser Betonung vor allem gegen ein Verständnis der Geschichte Jesu als eines „Mythos“ ab (269). Mit Blick auf die Auferstehung ergänzt er diese Abgrenzung, indem er darauf verweist, dass diese ebenfalls als eine „Geschichte“ und nicht als ein Mythos, allerdings auch nicht als „Historie“ im wissenschaftlichen Sinne, wohl aber als „wirkliche[s] Geschehen“ (370 f) erzählt werde. Hiermit ergibt sich eine interessante Parallele mit der Charakterisierung der alttestamentlichen Schöpfungserzählungen als Sagen in KD III/1, vgl. hierzu Kapitel B 3, Abschnitt 2.2.1. 12 So die Formulierung von Korsch, der in diesen beiden Begriffen die „Marksteine“ der „Theorie des „prinzipiellen (singulären) Faktums“ erkennt. Korsch, a. a. O., 165 f.

Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1

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Blick auf dessen Bedeutsamkeit ausgezeichnet […] wird“ (246).13 Sodann referiert er die Berichte der synoptischen Evangelien vom Leben Jesu in einer dreiteiligen Nacherzählung (246 – 250), die deutlich an den Exkurs über den Apostolat in KD II/2 anknüpft.14 Wichtig für die vorliegende Fragestellung ist diese Nacherzählung, weil sie deutlich macht, dass Barths Rede von der „Geschichte Jesu Christi“ stets in einem umfassenden Sinne zu verstehen ist, nämlich als die Geschichte seines Lebens, Leiden, Sterbens und Auferstehens. Die Betonung der Kontingenz der Geschichte Jesu als Grund der Rechtfertigungslehre ist nicht zuletzt gegenüber einer bestimmten einseitigen Lesart von Barths Rechtfertigungslehre festzuhalten. Nach dieser findet in Barths Rechtfertigungslehre eine Verschiebung des Rechtfertigungsgeschehens in „Gottes ewigen Ratschluß“ statt, es wird gleichsam die Rechtfertigungslehre in der Erwählungslehre bereits vorweggenommen.15 In der Folge wird dann behauptet, dass nach Barths Ansicht in der Bundesgeschichte „nichts wirklich Neues in Gottes Handeln am Menschen geschieht.“16 Was ist zu dieser Lesart zu sagen? Es soll nicht bestritten werden, dass Barths Rechtfertigungslehre eine konsequente Fortsetzung bzw. Entsprechung gegenüber seiner Erwählungslehre darstellt. Allerdings ist zu beachten, dass ihr vorrangiger Bezugspunkt, wie bereits gesehen, nicht die Erwählungslehre, sondern vielmehr die Christologie oder genau: das Christusgeschehen selbst ist.17 Der Vollzug der Rechtfertigung wird keineswegs in Gottes Ewigkeit verschoben. Genauso wenig wird von Barth bestritten, dass Gott sich „dazu herab [lässt], daß er mit uns Menschen in unserer Menschengeschichte als ein wirklich geschichtlich Antwortender handelt“.18 Indem Barth seine Rechtfertigungslehre aus der Christologie heraus entwickelt, knüpft er vielmehr daran 13 Barth verweist auf Röm 6,10; 5,6 f; 1 Petr 3,18; Hebr 7,27; 9,12.26 f; 10,10.14 (246). 14 Vgl. hierzu Kapitel B 2, Abschnitt 2.4.2. 15 Brunner, Rechtfertigung und Kircheneinheit, 600 f, der sich in dieser Ansicht mit Recht auf Küngs Barth-Interpretation beruft, vgl. KRng, Rechtfertigung, 29 – 33, 41 f. 16 Brunner, a. a. O., 602. 17 Eine explizite Aufnahme der Erwählungslehre findet in der Rechtfertigungslehre, soweit ich sehe, an drei Stellen statt. Zu Beginn des Paragraphen erläutert Barth, dass in Gottes Gericht die Umsetzung des „ewigen Ratschlus[ses]“ erfolgt sei, nach welchem „Erwählung des verworfenen Menschen […] nicht ohne Verwerfung des erwählten Menschen“ (575) stattfinden solle. Sodann beschreibt Barth am Ende von § 61,2 das Recht, das im Christusgeschehen aufgerichtet wird, als „das Recht eben dessen, der den Menschen von Ewigkeit her geliebt, erwählt, zu seinem Bunde bestimmt, sich selbst zu seinem Bundesherrn gemacht hat.“ (631) Schließlich findet sich zu Beginn des dritten Abschnitts („Des Menschen Freispruch“) der Satz: „In Gottes Gericht fällt, seinem ewigen Erwählen und Verwerfen entsprechend, aber nun mitten in der Zeit und als das zentrale Ereignis der ganzen menschlichen Geschichte […] eine Entscheidung, ein scheidendes Urteil.“ (634) Alle drei Belege machen deutlich: Die Rechtfertigung entspricht nach Barths Ansicht dem ewigen Wollen Gottes, sie ereignet sich jedoch in der Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth und diese bildet darum als kontingentes Faktum den Bezugspunkt der Rechtfertigungslehre. 18 Brunner, a. a. O., 601.

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

an, dass im Christusgeschehen ein neues, in seiner konkreten Gestalt nicht vorhersehbares Kapitel in der Geschichte zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen aufgeschlagen wird. Die Kritik an Barth, die Rechtfertigung des Menschen vollziehe sich nach seiner Ansicht abgehoben von der konkreten Geschichte, erweist sich von daher als unbegründet.

1.2.2 … und unsere Geschichte Wird Jesus Christus und seine (irdische!) Geschichte im umfassenden Sinne als „Grund“ bzw. „Gegenstand und Inhalt“ des Rechtfertigungsgeschehens verstanden (711 f), so stellt sich die Frage, wo in diesem Geschehen noch Platz für den von Christus unterschiedenen zu rechtfertigenden Menschen ist. Anders gefragt: Wird der Rechtfertigungslehre ihre Spitze abgebrochen, wenn der Vollzug der Rechtfertigung bereits vor zweitausend Jahren auf Golgatha stattgefunden hat?19 Dass auch Barth sich diese Frage ernsthaft stellt, kann kaum bestritten werden. Nicht nur, dass er, wie noch zu zeigen sein wird, in der Rechtfertigungslehre betont, dass die Geschichte Jesu Christi in der Rechtfertigung des Glaubenden „unsere Geschichte“ (612), ja „unsere eigenste Geschichte“ (610) ist. Diese Verbindung ist in einer Rechtfertigungslehre ohne weiteres zu erwarten. Barths Strategie, die Verbindung zwischen dem Christusgeschehen und der Existenz der Glaubenden aufzuzeigen, setzt aber noch früher an. Sie setzt (wiederum) bereits in der Christologie an, wo Barth eingehend darlegt, inwiefern das Christusgeschehen als Solidaritätsakt zu verstehen ist. Barth interpretiert die Inkarnation des Gottessohnes dahingehend, dass Gott in Jesus Christus „es auf sich nahm, ihren [der Menschheit] Ort und Stand, ihre Situation mit ihr zu teilen, sie zu seiner eigenen Situation zu machen.“ (235) Dieser Solidaritätsakt wird von Barth innerhalb der Christologie ausführlich entfaltet und mit Blick auf das „wunderliche Gericht“ (244) am Kreuz zugespitzt, in welchem der gerechte Richter an unserer Stelle gerichtet wurde, zugleich aber „des Menschen, des Unrechttäters, Freispruch und Errettung“ (245) geschehen sei. An dieses „wunderliche Gericht“ knüpft Barth in der Rechtfertigungslehre an und erläutert, dass Christus als der Gekreuzigte und Auferstandene „das konkrete Ereignis der Existenz und Realität des gerechtfertigten Menschen“ ist, „in welchem jeder Mensch sich selber und jeden seiner Mitmenschen wiederfinden – als in Wahrheit gerechtfertigt wiederfinden darf.“ (703) Es folgt eine lange anaphorische Reihe von Ausrufesätzen, in denen Barth die Universalität des Rechtfertigungsgeschehens eindrücklich zum Ausdruck bringt: 19 Darin besteht für Brunner der „zweite kritische Punkt der Rechtfertigungslehre Barths“, ders., a. a. O., 602 f.

Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1

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Keiner, für dessen Sünde und Tod er [Christus] nicht gestorben wäre, dessen Sünde und Tod er an seinem Kreuz nicht erledigt und ausgelöscht […] hätte! Keiner, dem das in seiner Auferweckung von den Toten nicht zugesprochen wäre als seine Rechtfertigung! Keiner, dessen Mann er also nicht, Keiner, der in ihm nicht gerechtfertigt wäre! (703 f)

Insgesamt vierzehn Mal wird den Lesern das betonte „Keiner!“ förmlich entgegengeschleudert, um auch ja keinen Zweifel daran zu lassen, dass es in der Geschichte Jesu Christi um unsere Geschichte, ja um die gesamte „Menschheitsgeschichte“ (703) geht. Dabei legt Barth Wert darauf, dass die Beteiligung des Menschen an der Geschichte Jesu Christi keineswegs als rein passives Widerfahrnis oder gar als Heilsautomatismus zu verstehen ist. Der Mensch, der die Rechtfertigung im Glauben annimmt, ist vielmehr höchst aktiv dabei, indem er auf die Bejahung Gottes in Jesus Christus mit seinem „Ja“ antwortet. Der Glaube, so Barth, „lässt es sich gesagt sein, gelten und wahr sein, er vertraut darauf, daß Jesus Christus des Menschen Rechtfertigung ist (704).“20 Die christologische Begründung der Verbindung zwischen der Geschichte Jesu und „unserer Geschichte“ reicht allerdings für sich alleine nicht aus, um jene Kritik zu entkräften, die ein aktives Dabeisein des Menschen bei seiner Rechtfertigung vermisst. Hierzu ist jedoch grundsätzlich zu fragen, wie ein solches aktives Dabeisein zu verstehen sein soll. Um einen notwendigen Beitrag des Menschen zu seinem Heil kann es sich nach reformatorischem Verständnis nicht handeln. Folglich geht es darum, auf dem schmalen Grat zwischen Selbsterlösung und Heilsautomatismus sinnvolle Beschreibungskategorien zu finden.21 Für Barth besteht eine solche Beschreibungskategorie darin, dass er die Rechtfertigung als ein Kommunikationsgeschehen beschreibt.22 Der durch 20 Sehr deutlich wird in dieser Formulierung das in der altprotestantischen Orthodoxie entwickelte dreifache Verständnis des Glaubens als notitia, assensus und fiducia aufgenommen, das Barth bereits an früherer Stelle positiv entfaltet (687). Zum Ursprung dieser Trias vgl. Quenstedt, Theologia didactico-polemica IV, VIII/1, Th V – XI; Coors, Scriptura efficax, 295 – 302. 21 Wie schmal dieser Grat ist, zeigt sich daran, dass Brunner einerseits kritisiert, Barth habe die „Mitwirkung des in seiner Person noch nicht gerechtfertigten Sünders im Vollzuge der Rechtfertigung“ vertreten, um andererseits noch auf derselben Seite zu bemängeln, Rechtfertigung sei „für Barth ausschließlich die Gottestat in Christi Kreuz und Auferstehung“. Brunner, a. a. O., 597. Brunner selbst beschreibt die Aktivität des zu rechtfertigenden Menschen als „jen[e] segensreich[e] Flucht“ von Gottes Gerichtsurteil zu Gottes Begnadigung. Ders., a. a. O., 602. Ob mit dieser Formulierung die Absage an eine Mitwirkung des Menschen an seiner Rechtfertigung noch in derselben Strenge eingehalten wird, wie Brunner dies in seiner Barth-Kritik fordert, ist durchaus fraglich. 22 Auf die Begrifflichkeit des Kommunikationsgeschehens greift auch W. Härle in seiner Darstellung der reformatorischen Anthropologie zurück, wenn er im Anschluss an W. Joest den „Antwortcharakter menschlicher Personalität“ im Gegenüber zu dem ihn anredenden Gott betont. Als „responsorische passivitas“ (Joest, Ontologie der Person, 302) werde das menschliche Person-Sein gerade dadurch ausgezeichnet, „daß die passivitas einer Person immer auch ein ihr zurechenbares Verhalten einschließt.“ HQrle, Hominem iustificari fide, 357.

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Gottes Urteil freigesprochene Sünder ist nun seinerseits tatsächlich frei, sein „menschliches Ja“ zu sprechen, „als legitime, als echte Antwort“ (636). Ohne den Freispruch Gottes wäre der Mensch gar nicht in der Lage zu dieser Antwort. So aber gilt: „[W]ir sind dann die von Gott Freigesprochenen“ (ebd.), und darum aktiv und frei dabei in der Geschichte unserer Rechtfertigung. Der entscheidende Fortschritt dieser Beschreibungskategorie lässt sich dahingehend fassen, dass das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Handeln durch die Einführung einer bestimmten Reihenfolge (erst Gottes Freispruch ohne menschliches Zutun, dann die durch diesen Freispruch allererst ermöglichte menschliche Antwort) gleichsam um eine Dimension erweitert wird. 1.2.3 Anhebende Rechtfertigung Wie stark Barth das aktive Dabeisein des Menschen bei seiner – allein durch das Handeln Gottes in Gang gesetzten – Rechtfertigung betont, wird vollumfänglich erst ersichtlich, wenn man sich die Beschreibung der Rechtfertigung als „anhebende Rechtfertigung“ (642) vor Augen hält. Diese Beschreibung geht davon aus, dass die Rechtfertigung eine Geschichte ist, die in einer bestimmten „Richtung“ (639) verläuft. Die Geschichte der Rechtfertigung hat „einen terminus a quo und einen terminus ad quem“ (ebd.), sie vollzieht sich als das Schreiten von der Vergangenheit in die Zukunft, welches ebenso „unumkehrbar“ (640) ist wie die Reihenfolge von Jesu Tod und Auferstehung. Allerdings gestaltet sich dieses Schreiten weder als ein gemütlicher Spaziergang noch als ein geradliniger Marsch, sondern vielmehr als ein ständiger „Aufbruch“ (642) bzw. als ein „Drama“, indem sich immer wieder die „Scheidung des Menschen zur Linken und zur Rechten – des Menschen unter Gottes Nein dort und des Menschen unter Gottes Ja hier“ (605) vollzieht. Wo dieser Aufbruch stattfindet, wo also des Menschen Rechtfertigung Ereignis ist, da ist sie die Rechtfertigung jenes Ungerechten, da wird der, dem sie widerfährt, sich nicht weigern dazu zu stehen, daß er auch noch dieser ist, daß er sich gerade als solcher im Aufbruch befindet und nur als solcher im Aufbruch befinden kann. Er ist es also als einer, der mitten aus einer bösen Vergangenheit heraus – kein Guter also, sondern ein Böser – in seine gute Zukunft schreiten darf: daraufhin zu schreiten wagt, daß nicht er selbst, sondern Gott ihn dazu freigesprochen, autorisiert und ermächtigt hat. (642 f)

In dieser Beschreibung ist vor allem der prozessuale Charakter zu unterstreichen, der nach Barths Ansicht die Rechtfertigung kennzeichnet. Rechtfertigung ist nicht als einmaliges punktuelles Ereignis zu verstehen, sondern als ein „Übergang“ (643), der Zeit braucht und Rückschläge kennt.23 Dass sich 23 Küng (und mit ihm P. Brunner, vgl. ders., Rechtfertigung und Kircheneinheit, 595) hat dar-

Thematische Hinführung: Die Rechtfertigungslehre in KD IV/1

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der zu rechtfertigende Mensch in eine bestimmte Richtung bewegt, meint folglich keine moralische Höherentwicklung, sondern vielmehr dies, dass das Ziel des eingeschlagenen Weges, die „gute Zukunft“ Gottes, immer schon vorgegeben ist. Barth wehrt sich in der Rede von der „anhebenden Rechtfertigung“ jedoch nicht nur gegen ein Verständnis von Rechtfertigung als eines einmaligen punktuellen Ereignisses, sondern er grenzt sich zugleich ab von einem dichotomischen Bild des gerechtfertigten Menschen. Die Rechtfertigung des Menschen geschieht nach Barth nicht in einem „zuständlichen Dualismus“ (605 f), sondern ist vielmehr als „Ingangsetzung einer Geschichte zu verstehen“ (606). Kein in sich zweigeteiltes Sein dort und hier ist die Wahrheit des menschlichen Lebens unter dem Walten von Gottes Gerechtigkeit und also dem Walten seiner Gnade, sondern – unmöglich zu betrachten nur eben als leidender und handelnder Mensch zu leben – das Drama des einen menschlichen Daseins selbst in seinem dynamischen Nacheinander und Ineinander. Jener war ich und bin ich noch: der Mensch als Unrechttäter […] Und dieser bin ich schon und werde ich sein: der Mensch, den Gott für sich erwählt und geschaffen hat, dessen Recht, von ihm selbst verspielt und verwirkt, von Gott aber geschützt, erhalten und neu aufgerichtet ist. (606 f)

Dies ist der Prozess der anhebenden Rechtfertigung, die sich nicht anders denn als ein „von den an [ihr] beteiligten Menschen zu lebendes Drama“ (609) vollzieht. 1.3 Existenzielle Rechtfertigungslehre In der Beschreibung der Rechtfertigung als „anhebende Rechtfertigung“ ist bereits ein Aspekt angerissen worden, der zum Abschluss der thematischen Hinführung eigens zu bedenken ist. Es handelt sich um den existenziellen Anspruch und Charakter von Barths Rechtfertigungslehre. Schon zu Beginn des ersten Abschnitts kommt Barth auf die besondere Schwierigkeit dieser Lehre zu sprechen, die er in der eigenen Betroffenheit des Theologen begründet sieht. Barth spitzt diese Schwierigkeit auf folgende Fragen zu: aufhin die Kritik geäußert, Barths Rechtfertigungslehre zeige eine Tendenz „zur Auflösung der Rechtfertigung in eine fließende Bewegung ohne wirkliche Scheidung, ohne den scharfen Einschnitt, den das Wort Gottes im hic et nunc der Rechtfertigung dieses bestimmten Menschen vollzieht“. KRng, Rechtfertigung, 271. In Barths Sinne müsste jene Formulierung Küngs wohl nur leicht ergänzt werden, nämlich dahingehend, dass sich die Scheidung durch das Wort Gottes immer wieder aufs Neue im hic et nunc der Rechtfertigung eines bestimmten Menschen vollzieht.

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Weiß man denn selber um den Grund der Gemeinde, die Gewißheit des Glaubens und also um Gottes Gnade und Gerechtigkeit in ihrer Einheit und also um das, was hier aufzuweisen ist? (578 f) Wer ist hier Sachkenner? Und was hülfe dem, der das nicht ist, alles noch so getreue Nachsagen kirchlicher und auch biblischer Theologie, alle noch so originelle eigene Theoriebildung? (579)

Als Zeugen dieser Schwierigkeit ruft Barth keine Geringeren auf als den Apostel Paulus sowie Martin Luther, die beide von ihrem Nicht-Wissen in dieser Sache sehr wohl gewusst und die Erlangung rechter Erkenntnis in ihr deshalb als einen „Kampf“ erachtet hätten, der nicht ohne „humili oratione coram Deo et assiduo studio ac meditatione verbi“ (579 f)24 zu bestehen sei. Dieser existenziellen Betroffenheit entspricht es, wenn Barth im weiteren Verlauf erläutert, dass die Rechtfertigung „unmöglich zu betrachten nur eben […] zu leben“ sei, nämlich als das Drama, in dem der zu rechtfertigende Mensch selbst „als leidender und handelnder Beteiligter“ im Mittelpunkt stehe (606). Man wird die Rede von der „zu erlebenden Rechtfertigung“ nicht als Aufforderung zu intensiver und angestrengter Selbstreflexion missverstehen dürfen. Es geht, so Barth, vielmehr darum, in der Entfaltung der Lehre von der Rechtfertigung immer wieder selbst auf deren Verkündigung zu hören, nämlich auf die Verkündigung der Geschichte Jesu als „unsere eigenste Geschichte“ (610).

2. Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1 Die Analyse der Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst soll erläutert werden, an welchem Ort innerhalb von Barths Rechtfertigungslehre der Exkurs zu stehen kommt, um daran anknüpfend dessen Thema kurz zu umreißen. Anschließend wird eines der grundlegenden Merkmale des Exkurses vorgestellt, nämlich dessen narrativer Charakter, den Barth seiner Auslegung nicht zuletzt durch die Verwendung bestimmter Bilder verleiht. Dass die Auslegung von Röm 7 darüber hinaus von bestimmten exegetischen Beobachtungen und Entscheidungen geprägt ist, wird daraufhin zur Sprache kommen. Schließlich wird durch einen Vergleich mit Barths frühen Römerbrief-Kommentaren ein Einblick in die Entwicklung seiner Römerbrief-Auslegung ermöglicht und so die spezifische Funktion der 24 Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius, WA 40/I, 130,24 f. Weitere Hinweise Barths zur Bedeutung des Gebets für die theologische Arbeit finden sich in KD II/1, 23; III/3, 301 – 326; IV/2, 139, 141; IV/3, 1011 – 1014. Frühere Belege wurden bereits genannt in Teil A, Abschnitt 3.1. Ausführlich gewürdigt wird die Bedeutung des Gebets für die theologische Arbeit Barths durch Obst, Veni Creator Spiritus!

Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1

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Auslegung in KD IV/1 erhellt, welche am Ende des Kapitels als theologischer Ertrag zusammengefasst wird.

2.1 Ort und Thema des exegetischen Exkurses Innerhalb von § 61 („Des Menschen Rechtfertigung“) dient der Exkurs über Röm 7 der Entfaltung jenes Aspekts, welcher in der thematischen Hinführung unter dem Stichwort der „anhebenden Rechtfertigung“ behandelt wurde. Barth unterscheidet in diesem Zusammenhang, wie soeben dargestellt wurde, zwischen einem „terminus a quo“ und einem „terminus ad quem“ der Rechtfertigung. Beide Aspekte werden innerhalb von § 61,3 („Des Menschen Freispruch“) ausführlich besprochen, wobei der Exkurs über Röm 7 dazu dient, den „terminus a quo“ des Rechtfertigungsgeschehens, nämlich die „Vergangenheit“ des „sündigen Menschen“ (640), als einen solchen zu kennzeichnen, der nicht etwa in einem einmaligen Akt von diesem Menschen hinter sich gelassen werden kann,25 sondern der immer wieder den Ort markiert, von dem aus jener „Aufbruch“ geschieht, in welchem die Rechtfertigung im Glauben angenommen wird. Barth versteht Röm 7 als das exemplarische Zeugnis des Christen Paulus, der seine Rechtfertigung deshalb immer wieder als einen „Übergang“ (643) erlebt, weil seine Vergangenheit in seine Gegenwart hineinreicht, und der sich darum stets aufs Neue sagen lassen muss – und sagen lassen darf, dass diese Vergangenheit tatsächlich vergangen ist und er in Wahrheit der „gute[n] Zukunft“ (642) Gottes entgegengeht. Dieser „Übergang“ in seiner wahrhaft dramatischen Gestalt ist das Thema der Auslegung von Röm 7 innerhalb von Barths Rechtfertigungslehre. Bevor Barth sich jedoch der Auslegung von Röm 7 zuwendet, lässt er gleichsam als Vorwort zwei alttestamentliche Bußpsalmen in kurzen Auslegungen zu Wort kommen, nämlich Ps 32 und Ps 51 (643 – 648). Diese beiden Auslegungen sind insofern erwähnenswert, als Barth sich jeweils in einer vergleichsweise detaillierten Strukturanalyse26 den einzelnen Teilen der bei25 Nur am Rande sei bemerkt, dass H. Dirks erst kürzlich nachgewiesen hat, dass auch die Londoner Lebenswende J.G. Hamanns nach dessen eigenem Selbstzeugnis keine „punktuelle Bekehrung“ dargestellt habe. Dirks, Erfahrung des lebendigen Wortes, 31. Dirks unterstreicht, dass Hamann seinem eigenen Urteil nach auch „nach [s]einer Umkehr der gefallenen Welt nicht enthoben“ worden sei. Dirks, a. a. O., 33. 26 So erläutert er in Ps 32 die Entwicklung zwischen „Anfang“, „Mitte“ und Schluß“ des Psalms, um dann zu ergänzen, dass „die zwischen die Mitte und den Schluß des Psalms merkwürdig hineingeschobene Lehrrede, die die Stimme Gottes wiedergibt“, den entscheidenden Umschwung im Innern des Beters bewirke (644). Zu Ps 51 merkt Barth zunächst an, dass dieser „keinen der in den Psalmen so oft verwirrend auftretenden Wechsel des Anredenden und des Angeredeten aufweist, sondern einheitlich in der Ich-Du-Form als Gebet verläuft“ (645), um am Ende der Auslegung zu ergänzen, dass die Verse 18 f „die einzigen im Psalm [sind], die nicht die Form einer direkten Bitte haben“ (648).

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

den Psalmen je für sich zuwendet, sie dann in ihrer jeweiligen Funktion für die Gesamtkomposition analysiert und dabei auch Anmerkungen zur Gattung27 und zur Redaktionsgeschichte28 in seine Beobachtungen mit einfließen lässt. Inhaltlich sieht er schon in jenen alttestamentlichen Psalmen zwei Beispiele einer „gewiß noch nicht vollendeten, aber in aller Realität schon anhebenden Rechtfertigung“ (646) beschrieben.

2.2 Rechtfertigung als Drama: Narrative Auslegung eines Brieftextes Eines der wesentlichen Merkmale der sich anschließenden Auslegung von Röm 7 (648 – 659) besteht darin, dass Barth dieses Kapitel, in welchem er die Rechtfertigung als dramatische Geschichte bezeugt findet, selbst in kaum weniger dramatischer Weise nacherzählt.29 Besondere Anschaulichkeit erhält seine Nacherzählung dadurch, dass Barth den Konflikt um Paulus als ein Kampfgeschehen erzählt, welches sich auf mehreren Ebenen abspielt, und dazu die einzelnen Kontrahenten als handelnde Figuren ausführlich vorgestellt.30 Hinzu kommt, dass Barth zahlreiche Bilder gebraucht, um das Geschehen seinen Lesern möglichst plastisch vor Augen zu malen. Dabei greift er nicht nur die Bilder auf, die Paulus in Röm 7 selbst verwendet,31 sondern er entwirft auch eigene Bilder, um das Drama der Rechtfertigung als Prozess des Übergangs bzw. als „creatio ex opposito“ (648) zu schildern. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie Barth das Drama der Rechtfertigung als ein großes Konfliktgeschehen erzählt, um dann gesondert auf die beiden für die Auslegung entscheidenden Bilder einzugehen, bevor im Anschluss auf das damit verbundene antidualistische Anliegen der Auslegung hingewiesen wird.

27 So stellt Barth mit Blick auf den „triumphal[en]“ Schluss von Ps 32 die Frage, ob dieser „nicht doch besser ein Dankpsalm zu nennen wäre?“ (644) 28 Barth ist der Ansicht, dass Ps 51,20 f „der Zusatz eines Späteren sein [dürfte], der sich offenbar mit dem v 18 – 19 über das Opfer Gesagten nicht zufrieden zu geben vermochte.“ (645) Diese Auslegung folgt freilich dem allgemeinen Konsens der damaligen Forschung, vgl. Weiser, Psalmen, 277, sowie Gunkel, Psalmen, 226. 29 Dieses Vorgehen entspricht auf seine Weise jenem Vorschlag, den Barth im ersten Teil der Christologie zur Predigt der Passionsgeschichten macht. Dort stellt er die Frage, ob „gerade die Karfreitagspredigt da und dort statt in Form von allerlei Theologie nicht besser in Form einer – spiritu sancto adiuvante vollzogenen – simplen Nacherzählung der evangelischen Leidensgeschichte verlaufen […] würde?“ 30 Barth knüpft damit an seine Erzählpraxis in den alttestamentlichen Nacherzählungen in der Sündenlehre an, vgl. Kapitel B 4, Abschnitt 2.5.4.3. 31 Vgl. etwa die Rede von der Sünde, die im Menschen wohnt, so dass dieser nicht mehr „Herr [s] eines Hauses“ (IV/1, 655, im Anschluss an Röm 7,17) ist.

Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1

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2.2.1 Paulus im Konflikt Die Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 erzählt das Drama der Rechtfertigung, die sich in einem Prozess des Übergangs und des Kampfes vollzieht. Der Kampf wird hervorgerufen durch den „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ (656), in dem Paulus und mit ihm jede Christin und jeder Christ sich vorfindet. Auf der einen Seite weiß Paulus um das „Gesetz Gottes“, das er in V. 16 auch das „gute Gesetz“ nennt und das er befolgen möchte (650). Auf der anderen Seite nimmt er jedoch wahr, dass er in seinem faktischen Verhalten viel mehr dem „Gesetz der Sünde“ (Röm 7,25) bzw. dem „mºlor t/r "laqt¸ar ja· toO ham²tou“ (Röm 8,2) folgt (652). Dieses zweite Gesetz ist zwar „nur ein bis zur Unkenntlichkeit verzerrter Reflex, nur eine schlechte Karrikatur [sic!], nur der Affe des Gesetzes Gottes“ (652), gleichwohl muss Paulus feststellen, dass er in eben diesem zweiten Gesetz gefangen ist „wie ein verkaufter Sklave“ (Röm 7,14; 655). Wird bereits in der biblischen Vorlage mit einer Personifizierung der beiden Gesetze gearbeitet,32 so bedient sich Barth erst recht dieses erzählerischen Stilmittels. Als regelrechte Figuren des Dramas werden sowohl das Gesetz Gottes als auch das Gesetz der Sünde eigens vorgestellt33 und durch bestimmte Eigenschaften charakterisiert. Das Gesetz Gottes und sein Gebot, nach Röm 7,12 „heilig, gerecht und gut“, wird von Barth das „Subjekt der Befreiung des Menschen“ (650) genannt. Das Gesetz der Sünde und des Todes dagegen nimmt den Menschen gefangen in einem „circulus vitiosus“, in dem der Mensch „mit und unter und kraft eines bösen – man darf wohl sagen: dämonischen Eigenrechtes des Unrechts“ (ebd.) lebt. Besondere Anschaulichkeit erhält die Vorstellung des zweiten Gesetzes, indem Barth wiederholt das Bild vom verstorbenen Ehemann (Röm 7,1 – 3) aufnimmt und damit seiner Beschreibung des zweiten Gesetzes personhafte Züge verleiht (651). Eine zusätzliche Verschärfung erfährt der Konflikt um Paulus in Barths Auslegung, indem er ihn anschließend noch einmal auf eine neue Ebene hebt. Hinter den beiden Kontrahenten im Vordergrund, dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Sünde, stehen letztlich, so Barth, zwei ganz andere „Figuren“, von denen die eigentlich wirksamen Impulse innerhalb des Kampfgeschehens ausgehen. Das Gesetz der Sünde und des Todes steht im Dienst der Sünde selbst, welche von Barth – angeregt durch Paulus34 – als eine weitere Agentin innerhalb des Dramas eingeführt wird (653 f). Die Sünde ist es, die die Be32 Vgl. etwa 7,23: „Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“ 33 Vgl. den ca. halbseitigen Absatz zum Gesetz Gottes (650) sowie die Vorstellung des „anderen“ Gesetzes (651 f). 34 Vgl. etwa die personifizierende Rede von der Sünde in Röm 7,12: „Denn die Sünde nahm das Gebot zum Anlass und betrog mich und tötete mich durch das Gebot.“

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gegnung des Menschen mit dem an sich guten Gesetz zum Anlass nimmt, um den Menschen zu einem „qualifizierten Sünder“ (654) zu machen. Solange der Mensch nichts von Gottes Gesetz weiß, ist sie eine „schlafende Sünde“ (653). Sobald jedoch der Mensch das Gesetz Gottes hört, kommt es zu einer „förmlichen Auferstehung der Sünde“. Die Sünde ergreift nun Besitz vom Menschen, „triumphiert und jubiliert“ und feiert „ein wahres Osterfest“ (ebd.). Sie „betrügt den Menschen“ (654), zeigt sich als „überlegene Macht, als der Herr, dem er [der Mensch] sich, indem er sie beging, verkauft hat (v 14), als sein Gesetzgeber und Befehlshaber, dem er als sündiger Mensch sich nicht entziehen kann“ (ebd.). Ein „interessante[r] Sünder“ (ebd.) wird der Mensch erst jetzt, in Folge der durch die Sünde korrumpierten Begegnung mit dem Gesetz Gottes. Ebenso wie hinter dem Gesetz der Sünde und des Todes eigentlich die Macht der Sünde selbst steht, so ist allerdings auch das gute Gesetz Gottes lediglich Adjutant des Gottes, der als dreieiniger Gott die Befreiung des Menschen verfolgt und diese auch verwirklicht. Indem es zur „heilvollen Tötung“ (658) des Sohnes kommt, wird der Teufelskreis aufgebrochen. Der Mensch, der von sich selbst weg und zu Christus hin schaut, darf in einer „echt pneumatischen Selbsterkenntnis“ (651), also durch den Heiligen Geist erkennen, dass es „keine Verdammung derer, die in Christus Jesus sind“ (Röm 8,1; ebd.), gibt. Das Wissen um das gute Gesetz Gottes reicht nicht aus, damit es zu dieser Befreiung kommt. Der Mensch, der um das Gesetz Gottes weiß, ist ja der Verzweifelte, der sich in jenem Konflikt erlebt, der in Röm 7,15 – 20 als ein Konflikt zwischen Wollen und Vollbringen beschrieben wird. Barth nennt ihn den „Selbstwiderspruch, in welchen sich Paulus als Kenner und Liebhaber des Gesetzes Gottes auf der einen, als Sklave des Gesetzes der Sünde auf der anderen Seite verwickelt sieht.“ (658) Gott selbst muss durch seinen Geist aktiv werden, um den Teufelskreis zu durchbrechen und den Blick des Menschen auf das Christusgeschehen zu lenken. Hier, im Blick auf Christus, findet der Mensch Antwort auf die Frage: „Wer wird mich erretten?“ Die „Geschichte seiner Rechtfertigung“ als Übergang, der „mitten in des Menschen Sünde“ (659) anhebt, wird in Gang gesetzt, und dies eben nicht in einem einmaligen Erlebnis, sondern „jeden Morgen und jeden Abend“ (651) aufs Neue. Die Rechtfertigung wird hier von Barth als ein Drama beschrieben, das sich genau genommen zwischen fünf Figuren abspielt. Um Paulus, der als Beispiel einer jeden christlichen Existenz steht, entspinnt sich der Kampf zwischen Gesetz und Gesetz, der auf der einen Seite eigentlich durch die Sünde geführt und auf der anderen Seite letztlich von Gott selbst in der vom Geist gewirkten Zusage der Gnade des Vaters durch die Tat des Sohnes entschieden wird.

Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1

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2.2.2 Die Gefängniszelle In der soeben erwähnten Selbstbeschreibung des Paulus als „unter die Sünde verkaufter“ Sklave (Röm 7,14) wird die Situation des sündigen Menschen als eine Situation der Unfreiheit geschildert. Diese Schilderung wird von Barth im Bild von der „Gefängniszelle“ pointiert aufgenommen. Schon in der Einleitung vergleicht er den gesamten Abschnitt Röm 7 mit einer „Gefängniszelle“ und begründet dies damit, dass „diese Darstellung so unheimlich geschlossen ist“ (648). Barth beschreibt diese Zelle, „in die nur eben durch ein kleines, vergittertes und dem Insassen unerreichbares Fenster etwas Licht zu fallen scheint“ (ebd.), so anschaulich, dass seine Leser gleichsam in das beschriebene Szenario mit hineingenommen werden. Sie sitzen mit Paulus in der Gefängniszelle, die die Kulisse bzw. das „setting“35 der folgenden Nacherzählung darstellt. Sie sind dabei, wenn es nun um den Menschen geht, der sein Elend unter dem Gesetz der Sünde beklagt. Barth nimmt das Bild der Gefangenschaft im Verlauf seiner Auslegung mehrfach auf, indem er von der „Gebundenheit“ (654) des Menschen, der „der Sünde gegenüber nicht frei, sondern unfrei“ und „verkauft“ (655) ist, spricht. Von besonderer Aussagekraft ist allerdings die dreifache Wiederaufnahme des Bildes von der Gefängniszelle, die sich in der Auslegung zu Röm 7,24 f und somit am Ende des Exkurses findet. In einer vorgezogenen Auslegung zu Röm 7,25b („So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde“) stellt Barth zunächst fest, dass Paulus hier „das, was über seine Gefängniszelle gesagt ist, noch einmal zusammen[fasst]“ (657): Die Situation im Gefängnis besteht in der Ohnmacht des Menschen, sich aus dem „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ (656), dem Konflikt zwischen Wollen und Vollbringen selbst befreien zu können. Soll es zu einer Veränderung dieser verzweifelten Situation kommen, so muss die Initiative dazu von außen kommen. Genau dies sieht Barth in Röm 7,24 – 25a bezeugt, wo „wir es offenbar mit dem kleinen, aber immerhin Licht hereinlassenden Fenster dieser Gefängniszelle zu tun“ (657) haben. Ohne dass ein konkreter Grund genannt würde, unterbricht das Dankwort des Paulus in V. 25a („Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!“) die verzweifelte Schilderung der Gefangenschaft und gibt zugleich implizit Antwort auf die Frage von V. 24: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen aus dem Leib dieses Todes?“ (Ebd.) Erst jetzt zeigt sich der eigentliche Wert, den das von Barth bewusst gewählte Bild von der Gefängniszelle für die theologische Deutung erbringt. Das Licht, das in die Gefängniszelle leuchtet, ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Gefangenschaft. Es bedeutet aber eine Veränderung der Situation in der Gefangenschaft. Nach Barths Auslegung kann Röm 7 nicht als eine Er35 Vgl. hierzu Kapitel B 4, Abschnitt 2.5.4.1.

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zählung von einem bereits vergangenen Konflikt verstanden werden. Es ist der Konflikt, der sich immer wieder abspielt, sobald Paulus auf sich selbst anstatt auf Christus schaut. Der Konflikt ist zwar entschieden, die Situation der Gefangenschaft bleibend verändert, aber beendet ist sie deshalb noch nicht. So ist es nach Barth nur folgerichtig, wenn man in dem bereits zitierten V. 25b „die Gefängnistüre nun erst recht und nun definitiv ins Schloss fallen zu hören“ (658) meint.36 Es bleibt dabei, dass der Mensch, so lange er „im Leib dieses Todes“ (ebd.) ist, stets auch in jenem Kampf des Selbstwiderspruchs verwickelt sein wird. Allerdings vollzieht sich in diesem Kampf bereits der Übergang, den Christus durch seinen Tod in Gang gesetzt hat.

2.2.3 Der Sprung des Glaubens Wird im Bild von der Gefängniszelle, durch die das Licht wie durch ein Fenster hineinleuchtet, vor allem die Passivität des zu rechtfertigenden Menschen im Rechtfertigungsgeschehen betont, so kommt im zweiten Bild, das Barth für dieses Geschehen verwendet, stärker die aktive Beteiligung des Menschen zum Ausdruck. Es ist dies das Bild vom „Sprung“ des Glaubens, das Barth an zwei Stellen gebraucht. Noch in den einleitenden Bemerkungen zum Kontext37 von Röm 7 erläutert Barth, dass „des Menschen Rechtfertigung als Gottes neue Wundertat“ sich aus der Perspektive des zu rechtfertigenden Menschen in dem Wagnis vollziehe, „von sich selbst wegblickend, den Sprung nach vorne zu tun“ (651).38 Dieser Sprung „kann, darf und muss […] gewagt werden“, wo es zu der „pneumatischen Selbsterkenntnis“ gekommen ist, dass Christus durch seinen Tod und Auferstehung die Errettung der Christen aus dem „Leib dieses Todes“ (ebd.) vollbracht hat. In der Auslegung von Röm 7,25a erläutert Barth sodann, dass dieser Sprung im Dankwort des Paulus vollzogen werde. Er kommentiert dieses Dankwort folgendermaßen: „Wenn das nicht der Sprung des von Gott Gerechtfertigten 36 Röm 7,25b wurde – auch schon zu Barths Lebzeiten – häufig als Glosse verstanden, vgl. hierzu Lichtenberger, Das Ich Adams, 154 – 160. Dass Barth sich an diesen Überlegungen nicht beteiligt, ist nicht zuletzt mit Blick auf die uneindeutige Diskussionslage zu erklären. Beispiele für literarkritische und redaktionsgeschichtliche Bemerkungen innerhalb von Barths narrativen Auslegungen finden sich jedenfalls durchaus in anderen Exkursen, vgl. etwa IV/1, 488, 527, ebenso in der unmittelbar vorausgehenden Exegese zu Ps 51, vgl. IV/1, 645. 37 Vgl. hierzu unten Abschnitt 2.3.1. 38 Die Formulierung „nach vorne“ ist in diesem Fall doppeldeutig. Sie meint zum einen, dass dem in Röm 7 der Verzweiflung Nahen nichts anderes übrig bleibe, als nach der in Röm 8,1 formulierten Verheißung („So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“) zu greifen. Zum anderen spielt es natürlich an auf die bereits erläuterte Rede von der Rechtfertigung als einer Geschichte, die sich in einer bestimmten Richtung vollzieht, vgl. hierzu Abschnitt 1.2.3.

Die Auslegung von Römer 7 in KD IV/1

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nach vorne – wenn das nicht die Bezeugung des von den Toten auferstandenen Jesus Christus ist!“ (658) Das Bild vom Sprung blickt auf eine lange Tradition in der christlichen Theologie zurück,39 der sich Barth durchaus bewusst ist.40 Seine Funktion innerhalb von Barths Auslegung von Röm 7 besteht darin, dass dieser Sprung ganz in der Ausrichtung auf sein Ziel geschieht. Wer springt, schaut nicht zurück, sondern nach vorne. Auf der Sachebene gesprochen: Der Dank für die Errettung vollzieht sich dort, wo ein Mensch von dem Widerspruch in sich selbst, von seiner Gefangenschaft unter das Gesetz der Sünde und von seiner Unfähigkeit, das Gesetz Gottes zu erfüllen, „wegblickend“ auf jenes Geschehen schaut, durch das Christus seinerseits über die Sünde triumphiert und damit auch für die Glaubenden das Heil erwirkt hat. Dass auch dieser Blickwechsel nicht aus eigenem Antrieb geschieht, betont Barth, indem er ihn als einen Akt der „pneumatischen Selbsterkenntnis“ (651) beschreibt und somit auf das Wirken des Geistes zurückführt. Noch einmal in der Sprache des ersten Bildes gesprochen: Das Licht, das in die Gefängniszelle scheint, kann tatsächlich nur von außen kommen, so dass das „Geheimnis der Rechtfertigung als Übergang vom Unrecht zum Recht, vom Tod zum Leben“ (ebd.) gewahrt bleibt. Der Übergang im Ganzen ist eine „Wundertat Gottes“, die Selbsterkenntnis vor allem eine „Gotteserkenntnis“ und darum eine „Glaubenserkenntnis“ (ebd.), bei der allerdings die Person des zu rechtfertigenden Menschen gerade nicht ausgeschaltet, sondern höchst aktiv dabei ist.

2.2.4 Metaphysischer Dualismus? Die anschauliche Schilderung des Kampfes, in welchem sich das glaubende Subjekt beständig zwischen der befreienden Macht des Gesetzes Gottes und dem unheilvollen Einfluss des Gesetzes der Sünde und des Todes befindet, wirft die Frage auf, ob Barth durch seine personifizierende Nacherzählung nicht einer metaphysisch-dualistischen Deutung von Röm 7 das Wort redet. Hier ist allerdings noch einmal zu betonen, dass sich nach Barth der Konflikt um den Menschen als ein „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ (656) abspielt. Die Differenzierung zwischen den beiden Gesetzen und den jeweils dahinter stehenden Mächten, nämlich der Sünde auf der einen Seite und dem dreieinigen Gott auf der anderen Seite, ermöglicht es Barth, das Drama der Rechtfertigung zu erzählen, ohne in metaphysische Spekulationen über einen direkten Kampf zwischen Gott und der Sünde als zwei gleichartigen Kontrahenten zu verfallen und damit einer manichäischen Variante der Rechtfertigung das Wort zu reden. Im Gegenteil: Wo einmal das Licht durch das Fenster der „Gefängniszelle“ hineingeleuchtet hat, wo der Mensch in der „pneuma39 Vgl. vor allem Lessing, Über den Beweis, 13, sowie Kierkegaard, Philosophische Brocken, 41. 40 Vgl. u. a. KD I/1, 151; IV/1, 316.

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tischen Selbsterkenntnis“ (651) zum Dank für die Errettung gefunden hat, da ist nach Barths Ansicht der Kampf zwar nicht einfach vorbei, aber er ist jetzt schon ein für allemal entschieden. Die immer wieder stattfindende Auseinandersetzung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Prozess des Übergangs begonnen hat, so dass das „auch noch“ der Sünde im Leben des Gerechtfertigten nicht mehr ohne das „schon“ der Errettung zu denken ist (658 f). 2.3 Exegetische Einordnung und Argumentation

Über der Wahrnehmung des narrativen Charakters der Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 darf nicht übersehen werden, dass die Erzählung des Dramas von der Rechtfertigung auch mit reflektierenden Absätzen versehen ist, in denen die theologischen Aussagen, die Barth der Auslegung von Röm 7 entnimmt – insbesondere die These von der Rechtfertigung als Übergang –, exegetisch begründet werden.41 2.3.1 Der sachliche und der literarische Kontext Zu den exegetischen Argumenten im engeren Sinn gehört zunächst die Erhellung des literarischen und sachlichen Kontexts von Römer 7. Barth erläutert, dass dieses Kapitel im Zusammenhang des großen Abschnitts Röm 3 – 8 mit der Rechtfertigungsbotschaft als zentralem Thema zu verstehen sei. Daß wir uns im Bereich des Problems und der Verkündigung der Rechtfertigung befinden, darf freilich, wenn man Röm 7 verstehen will, keinen Augenblick übersehen werden. (649)

Um eine grundsätzliche Infragestellung der im Christusgeschehen gültig aufgerichteten Rechtfertigung und Befreiung der Glaubenden, die in Röm 3 – 8 entfaltet wird, könne es folglich nicht gehen. Vielmehr komme Röm 7 innerhalb dieses großen Kontexts eine „retardierende Funktion“ (651) zu. Gerade „mit seiner scheinbar rückläufigen Bewegung“ (649) kennzeichne dieses Kapitel die Rechtfertigung als ein Geschehen, das sich nicht als eine einmalige Wende, sondern als ein Prozess des Übergangs vollzieht. 41 Die Unterscheidung zwischen erzählenden und reflektierenden Passagen ist im Fall von Barths Nacherzählungen nicht mit jener Trennschärfe zu vollziehen, wie dies etwa auf Grundlage der Methodik H. Weinrichs als möglich erscheinen könnte. Ein solcher Versuch scheitert schon daran, dass Barth durchgängig die „Tempus-Gruppe I“ verwendet, indem er in der Regel im Präsens und ausnahmsweise im Perfekt (vgl. etwa 658: „dass Paulus […] sich bekannt hat“] oder Plusquamperfekt (vgl. ebd.: „Er hatte v 4 […] geredet“) spricht, vgl. hierzu Weinrich, Tempus, 18 – 21. Man wird vielmehr sagen müssen, dass Barths exegetische Argumente und seine dramatischen Schilderungen sich sowohl formal wie auch inhaltlich gegenseitig durchdringen und so dem ganzen Exkurs insgesamt eine einheitliche Gestalt verleihen.

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Barth weist in der Erhellung des Kontexts besonders auf die Fortsetzung in Röm 8,1 – 2 hin, wo Paulus die Gewissheit zum Ausdruck bringt, dass es „keine Verdammnis gibt“ für diejenigen, „die in Christus Jesus sind“ (649). Zum anderen unterstreicht er, dass auch der Beginn des Kapitels – nämlich die Verse Röm 7,1 – 6 – „eben jene Freiheitsbotschaft ausrichtet“ (ebd.), um die es im gesamten Abschnitt Röm 3 – 8 gehe. Das in 7,1 – 6 entfaltete Gleichnis ziele ja gerade darauf ab, die durch den Tod Jesu bewirkte Freiheit von den Forderungen des Gesetzes zu betonen. 2.3.2 Die Ich-Rede in Römer 7 Mit dieser kontextuellen Verortung hängt die Erörterung der zentralen und immer wieder umstrittenen Frage zusammen, wie die Ich-Rede in Röm 7,7 – 25 zu verstehen sei, genauer : wen Paulus in dieser Ich-Rede zu Wort kommen lasse. Drei Positionen innerhalb der Forschungsgeschichte sind an dieser Stelle zu unterscheiden:42 Die (auto-)biographische Deutung erkennt vor allem in den Versen Röm 7,7 – 13 eine Reminiszenz des Paulus an seine eigene Vergangenheit: Paulus erinnere sich entweder an seine Zeit als Pharisäer oder er lasse ein Erlebnis aus seiner Kindheit wieder aufleben.43 Diese Auslegung wurde von W.G. Kümmel zurückgewiesen und durch eine rhetorische Deutung ersetzt:44 Paulus spreche in Röm 7,7 – 25 allgemein von der Situation der Unerlösten, wie sie sich „von dem Bewusstsein des Erlösten aus“ darstelle.45 Die Verwendung der ersten Person Singular und die präsentische Zeitform in den Versen 7,14 – 23 seien folglich rhetorische Stilfiguren, durch die Paulus, so Kümmel, „einen allgemeinen Gedanken möglichst lebendig“ zum Ausdruck bringt.46 42 Einen Überblick über die Forschungsgeschichte zur Frage nach dem Subjekt von Röm 7 bietet Lichtenberger, Das Ich Adams, 13 – 106. Die folgende Dreiteilung der Forschungsmeinungen findet sich ebenfalls bei Dunn, Rom. 7,14 – 25, 257 f. 43 Diese Deutung wurde besonders häufig in den Jahren um die vorletzte Jahrhundertwende vertreten, vgl. u. a. KRhl, Römer, 228 f; Weiss, Römer, 302 f; Zahn, Römer, 344 f. Letzterer tritt pointiert für die Verortung der Verse in der Kindheit des Paulus ein. Unter den neueren Auslegern plädiert Gundry für die (auto-)biographische Deutung, vgl. ders., The Moral Frustration of Paul, 228 – 240. 44 Zur Bedeutung der Dissertation Kümmels als „Markstein“ der Auslegungsgeschichte von Röm 7,7 – 25 vgl. HRbner, Paulusforschung seit 1945, 2668. 45 KRmmel, Römer 7, 118. Kümmel beruft sich in dieser Deutung auf zahlreiche Ausleger aus der älteren und neueren Auslegungsgeschichte, vgl. KRmmel, a. a. O., 87 f. 46 KRmmel, a. a. O., 124. In der Ablehnung der (auto-)biographischen Deutung ist die überwiegende Mehrheit der nachfolgenden Ausleger Kümmel gefolgt, vgl. Lichtenberger, a. a. O., 125 f. Ergänzt wurde sie jedoch zum einen durch den Aufweis des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs zwischen Röm 7 und Gen 3 (vgl. Lichtenberger, a. a. O., 127 – 129 bzw. 162 – 166; Hofius, Paulusstudien II, 110 – 121), sowie zum anderen durch die Einbeziehung der Person des Paulus in die Ausführungen von Röm 7 – zwar nicht in einem exklusiv biographi-

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Dem widerspricht wiederum die dritte Position, die man als präsentische Deutung von Röm 7 bezeichnen kann. Sie geht davon aus, dass Paulus zumindest in Röm 7,14 – 25 von sich selbst in seiner gegenwärtigen Existenz als Christ redet, in der er nach wie vor mit der realen Macht der Sünde in seinem Leben zu kämpfen hat.47 Die Besonderheit der Auslegung Barths besteht darin, dass sie einzelne Einsichten der verschiedenen Auslegungsrichtungen aufnimmt. Indem er Röm 7 als die „Darstellung der Rechtfertigung im Übergang“ (649) versteht, kann er für ein inklusives Subjektverständnis plädieren, wobei Barth besonderen Wert auf die Einbeziehung der Gegenwart des Paulus „als Christ und Apostel“ (651, 656) legt:48 Man braucht die Erinnerung an das, was Paulus vor seiner Bekehrung zum Christen und Berufung zum Apostel war, von diesen Aussagen nicht auszuschließen; man kann sie aber unmöglich auf diese Erinnerung an seine frühere Lebenszeit beschränken. Gerade als Christ und Apostel sieht und beurteilt Paulus das Ganze seines Lebens so, wie es in diesen Aussagen zum Ausdruck kommt. (651)

In der exegetischen Begründung dieser inklusiven, die Gegenwart des Christen Paulus mit einbeziehenden Sichtweise führt Barth zunächst ein sprachliches Argument an, indem er darauf verweist, dass „in den entscheidenden Aussagen v 14 – 25 durchweg im Präsens geredet wird“ (650). Damit fehle es auf der sprachlichen Ebene an einem Hinweis, der eine Lokalisierung in der Vergangenheit nahelege. Neben diesem grammatikalischen Argument ist es jedoch vor allem der Inhalt sowohl der Selbstanklagen in 7,14 – 24 wie auch des Aufschreis der Hoffnung in 7,25a, der für Barth „der direkte Beweis dafür“ ist, „daß Paulus in diesem ganzen Kapitel von sich selbst als Christ und Apostel redet.“ (656) Wer so reflektiert von seiner Gefangenschaft unter der Sünde rede und wer noch dazu um das in die Gefängniszelle hinein scheinende Licht der Christustat wisse, könne gar nicht mehr im Zustand der völligen Finsternis sein. Er sei schen, wohl aber in einem inklusiv partikularen Sinn, vgl. Lichtenberger, a. a. O., 128 f bzw. 165 f; Theissen, Psychologische Aspekte, 194 – 204. 47 Diese Position beruft sich u. a. auf Luthers Auslegung in der Römerbrief-Vorlesung von 1515/16, vgl. ders., Diui Pauli apostoli ad Romanos Epistola, WA 56, 347,2 – 4: „Vide, ut unus et idem homo simul servit legi Dei et legi peccati, simul Iustus est et peccat!“ Unter den Auslegern des 20. Jahrhunderts finden sich u. a. folgende Stimmen für die präsentische Deutung von Röm 7,14 – 25: Nygren, Römerbrief, 203 – 222; Cranfield, Romans, 342 – 347; Dunn, a. a. O., 260 – 273; ders., Romans 1 – 8, 377. 404 – 412. 48 Interessanterweise berührt sich Barths Auslegung damit in mehrfacher Hinsicht mit der jüngst von E. Rehfeld vorgelegten Auslegung von Röm 7, vgl. ders., Relationale Ontologie bei Paulus, 367 – 395. Auch Rehfeld spricht in Bezug auf die Ich-Rede in Röm 7 von einem „Kampf“, in welchem „der Christ […] mit seiner Physis“ stehe (Rehfeld, a. a. O., 380), und versteht den gesamten Abschnitt insofern als Zeugnis der „Karsamstags-Existenz der Christen“ (385), in welcher diese aufgrund der „bleibende[n] Eigenmächtigkeit der Sünde“ (390) zeit ihrer irdischen Existenz „in mannigfacher Spannung“ (394) leben.

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vielmehr durch das Evangelium sowohl über die Misslichkeit seiner Lage als auch über die befreiende Tat Christi informiert worden. Das Evangelium habe ihm bereits eingeleuchtet. Welche Rhetorik mutet man Paulus zu, wenn man annimmt, daß er nur eben in der Erinnerung an damals so geklagt habe? Und wie wäre er aus der angenommenen Rolle eines anderen jüdischen oder Ungläubigen herausgefallen mit der Antwort, die er sich selbst […] auf diese Klage gibt? (657)

Über Kümmel hinausgehend, der annimmt, dass in Röm 7 der Christ Paulus in einer fiktiven Ich-Rede die überwundene Situation der „Unerlösten“ beschreibt, plädiert Barth also dafür, dass in Röm 7 der Christ Paulus über den Christen Paulus und so über die allgemeine Situation der Christen spricht. Nur der Christ könne den Widerspruch zwischen Wollen und Vollbringen in jener Schärfe empfinden, wie er von Paulus beschrieben wird, und nur der Christ wisse um die Erlösung, für die in V. 25a gedankt wird. Schließlich ergänzt Barth seine Deutung um ein syntaktisches Argument. Aus der Satzstellung in V. 24 („t¸r le N¼setai 1j toO s¾lator toO ham²tou to¼tou;“) schließt er, dass sich das Demonstrativpronomen „to¼tou“ nur auf „toO ham²tou“ beziehen könne, nicht aber auf „toO s¾lator“ (658). Dies habe zur Folge, dass nicht „dieser todverfallene Leib“, sondern vielmehr „der Leib dieses Todes“ den Gegenstand der Klage des Paulus bildet. Die sich daraus ergebende Betonung dieses spezifischen Todes erklärt Barth anhand der Gegenüberstellung mit einem ganz anderen Tod, nämlich der „heilvollen Tötung“ (ebd.) des Leibes Jesu, von dem in 7,4 geredet wird. Die Verbindung zwischen 7,4 und 7,24 durch die zweimalige Verwendung des „s¾la“ und die syntaktische Analyse der Satzstellung in 7,24 dienen Barth dazu, den Widerspruch zu unterstreichen, in dem Paulus sich als Christ befindet: Es ist der „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ (656), der zwar dank Christus gültig entschieden, aber noch nicht beendet ist, solange Paulus (und mit ihm jede Christin und jeder Christ) sich in seinem irdisch-sterblichen Leib vorfindet (658).49 49 In den zahlreichen Exkursen zum Römerbrief in der KD besteht eine der übergreifenden inhaltlichen Linien darin, dass Barth immer wieder dafür eintritt, den Römerbrief von der grundsätzlich veränderten Situation post Christum natum, mortuum et resurrectum her zu verstehen. Auf diese Weise argumentiert Barth etwa dagegen, Röm 1,18 – 3,20 im Sinne der Theorie einer natürlichen Gotteserkenntnis zu verstehen, vgl. KD I/2, 332 – 335; IV/1, 434 – 438; IV/4, 8 f. Ebenso wird in der großen Auslegung zu Röm 9 – 11 mehrfach mit diesem Argument operiert, um die Frage nach einer bleibenden Verwerfung Israels zu verneinen: Nachdem Christus in Israel geboren wurde und nachdem sich seine Kreuzigung in Folge seiner Auferstehung als Heilsereignis erwiesen habe, sei von einer bleibenden Verwerfung Israels nicht auszugehen und jede Form eines christlichen Antisemitismus abzulehnen, vgl. KD II/2, 224 f, 249 f, 321. Schließlich argumentiert Barth auch in der Auslegung von Röm 12,1 – 15,13 in KD II/ 2, 796 – 818, und in der Auslegung von Röm 6,1 – 11 in KD IV/4, 216 f, immer wieder mit dem genannten Argument, um die ethischen Mahnungen des Paulus als eine Erinnerung an die neue Existenz der Glaubenden durchsichtig zu machen.

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2.4 Ein Vergleich mit den frühen Römerbrief-Auslegungen Die Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 stellt bekanntlich nicht die erste intensive Beschäftigung Barths mit diesem Bibeltext dar. Es drängt sich deshalb die Frage auf, in welchem Verhältnis die späte Auslegung innerhalb der Rechtfertigungslehre zu den frühen Auslegungen steht. Die Beantwortung dieser Frage kann indirekt – jedenfalls exemplarisch – ein Licht auf den Stellenwert der exegetischen Arbeit für die KD werfen. Zugespitzt gefragt: Wendet sich Barth für die exegetischen Exkurse an der KD noch einmal neu den biblischen Texten zu und tut er das auch bei jenen Texten, die er in anderem Zusammenhang schon einmal ausgelegt hat? Oder greift er auf die alten Kommentare zurück und fügt Teile daraus unter Umständen leicht überarbeitet in die Ausführungen der KD ein? Auf diese Fragen soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden, indem nach einer kurzen Vorstellung der beiden frühen Auslegungen sowohl nach Differenzen als auch nach sachlichen Übereinstimmungen im Vergleich zur späten Auslegung in KD IV/ 1 gefragt wird.50

2.4.1 Römerbrief I: Die Irrwege der Romantik und des Pietismus In der ersten Auflage von Barths Römerbrief werden in der Auslegung von Röm 7 unter dem Gesamttitel „Die Freiheit“ folgende drei Abschnitte unterschieden: „Das neue Wesen“ (Röm 7,1 – 6), „Das Gesetz und die Romantik“ (Röm 7,7 – 13) sowie „Das Gesetz und der Pietismus“ (Röm 7,14 – 25). Die knapp 50-seitige Auslegung verfolgt das Ziel, die durch Gottes Gnade geschenkte Freiheit mit allen denkbaren menschlichen Bemühungen um ein gottwohlgefälliges bzw. allgemeiner gesagt um ein gelingendes Leben zu kontrastieren. Im [sic!] Christus sind abgetan alle Surrogate, mit denen wir uns in den Zeiten der Unwissenheit über die Verborgenheit Gottes hinweg trösten mussten […], grundsätzlich erledigt und abgetan also die Standpunkte von Religion, Kirche, Schule, Judentum, Christentum, Moral und allen Idealismen, sofern da das Göttliche dem Menschen bloß als Forderung gegenübergestellt wird. (Römerbrief I, 247)

Die Bandbreite der „Surrogate“, die von Barth an dieser Stelle genannt werden, ist zweifellos bezeichnend für den Charakter der ersten Auflage des Römerbriefs. In einem Rundumschlag werden die verschiedensten Versuche 50 Angesichts der weit reichenden Veränderungen, die der frühe Kommentar in der zweiten Auflage erlebt hat (vgl. hierzu Busch, Karl Barth und die Pietisten, 79 – 98), scheint es geboten, sowohl die erste Auflage von 1919 (im Folgenden: Römerbrief I) als auch die zweite Auflage von 1921 (im Folgenden: Römerbrief II) in diesem Vergleich zu berücksichtigen.

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menschlicher Selbstvergewisserung abgelehnt.51 Besonders scharf richtet sich Barths Kritik im ersten Römerbrief gegen zwei bestimmte Versuche der Selbstvergewisserung, nämlich gegen die Romantik (263 – 275) sowie den Pietismus (276). Den Romantiker sieht Barth in einer „naiven Zuversichtlichkeit“ (264) befangen. Mit den Mitteln von „Religion und Moral“ (267) baut er sich seinen „individualistischen Turm zu Babel“ (266), bis schließlich „das Willkürliche und Ohnmächtige seiner subjektiven, naturalistischen Orientierung“ durch die Anklage „der objektiven Wahrheit des Gesetzes“ (264) zu Tage tritt. Die Naivität des Romantikers könne so weit gehen, dass er in seinem Individualismus „auch noch nach der ewigen Wahrheit und Gerechtigkeit greift“, so dass „der Romantiker zu allem andern nun auch noch Pharisäer wird“ (274). Noch schärfer fallen die Angriffe gegen die „qualvolle Problematik des Pietismus“ (276) aus.52 Barth sieht den Pietismus verstrickt in „die Fragen des Einzeldurchbruchs, der Einzelbekehrung, der Einzelheiligung, der Einzelerrettung, der Einzelseligkeit, […] wo wir uns im Christus einfach freuen (5,11) und in ihm wachsen (6,5; 7,4) dürften“ (ebd.). Er polemisiert gegen den Versuch, „mit der pietistischen Fragestellung: ,Was soll ich tun, daß ich selig werde?‘„ (281) der Anklage des Gesetzes und dem von Paulus beschriebenen Konflikt zwischen Wollen und Vollbringen zu entfliehen. Aus diesem Konflikt gebe es nun einmal keinen selbst gewählten Ausweg, erst recht nicht den Weg der im Hier und Jetzt schon behaupteten Einheit mit Gott: „Ist nicht der maßlose pietistische Anspruch an Gott ,ich in dir, du in mir!‘53 schon an sich die Tat, die Urtat der Sünde?“ (288) Den Ausruf des Paulus in V. 25a („Dank sei Gott durch unsern Herrn Jesus Christus!“) versteht Barth dementsprechend als die Rückkehr „aus den psychischen Niederungen, in denen das Grauen wohnt, aus dem Inferno des Pietismus, wo die Dämonen ihr Wesen treiben.“54 (293)

51 Vgl. auch Römerbrief I, 251: „O wir armen Idealisten und Pietisten, Theologen, Ethiker und Sozialpädagogen, ja wir waren und sind alle ,Brüder‘, solidarisch miteinander verbunden in der Problematik des Gesetzes, in der Knechtschaft einer ,Sache‘, wenn wir vergessen – und wir vergessen es alle Tage –, daß wir ,im Christus‘ [sic!] sind.“ 52 Zur Pietismuskritik im ersten Römerbrief vgl. Busch, Karl Barth und die Pietisten, 35 – 78. 53 Tersteegen, Gott ist gegenwärtig, EG 165,5. 54 Es sei erwähnt, dass E. Busch am Ende seiner detaillierten Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass Barth im ersten Römerbrief „mit den Pietisten zu sehr eine bestimmte, gemeinsame theologische Grundüberzeugung“ geteilt habe, „als daß es ihm möglich gewesen wäre, den Pietismus so grundsätzlich in Frage zu stellen, wie seine massive Widerrede gegen das ,Inferno des Pietismus‘ den Eindruck erwecken mochte.“ Busch, a. a. O., 78.

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2.4.2 Römerbrief II: Gnade versus Religion In der zweiten Auflage des Römerbriefs nimmt Barth zunächst eine Präzisierung vor. Hatte er in der ersten Auflage noch einen Generalangriff gegenüber „Religion, Kirche, Schule, Judentum, Christentum, Moral und allen Idealismen“ (Römerbrief I, 247) gestartet, so konzentriert er sich nun auf „die Auseinandersetzung mit der tatsächlich letzten, der religiösen Menschenmöglichkeit“ (Römerbrief II, 317). In der Religion sieht Barth den letzten notwendigen wie hilflosen Fluchtversuch des Menschen aus dem Konflikt, in den ihn die Anklage durch Gottes Gesetz führt: „Die Grenze der Religion ist die Todeslinie, welche scheidet zwischen dem, was bei den Menschen, und dem, was bei Gott möglich ist“. (328) Gott kommt dem Menschen in seiner Gnade entgegen, vom Menschen her gibt es jedoch keinen Zugang zu Gott: „Zur Gnade führen keine Brücken.“ (330) Deshalb kann Barth die religiösen Bemühungen des Menschen nur als einen „titanischen“ (342) Versuch der Überschreitung jener Grenze bezeichnen, durch die der Mensch seinerseits von Gott geschieden ist. „Religion und Gnade“ stehen sich gegenüber „wie Leben und Tod“ (323). Eine wesentliche Änderung im Vergleich zum ersten Römerbrief besteht darin, dass Barth sich der Polemik gegen den Pietismus in der zweiten Auflage weitgehend enthält.55 Auch die expliziten Angriffe gegen die „Romantik“ fallen weniger deutlich aus, wobei im Hintergrund der Kritik gegen die menschliche Religion natürlich kein anderer als Friedrich Schleiermacher steht,56 den Barth bereits in der früheren Auflage im Abschnitt über „Das Gesetz und die Romantik“57 kritisiert hatte.58

55 56 57 58

Vgl. hierzu Barth-Thurneysen I, 491 f. Vgl. insbes. Römerbrief II, 353, 357, 365. Römerbrief I, 270. Besonders aufschlussreich für die Art der Weiterentwicklung zwischen der ersten und zweiten Auflage ist der Beginn des dritten Abschnitts („Die Wirklichkeit der Religion“) in der überarbeiteten Fassung. Barth verwendet hier u. a. in der Auslegung zu Röm 7,14 – 20 Zitate von Luther und Arnd, die bereits in der früheren Version auftauchen, versieht sie jedoch zum Teil mit einer neuen Bewertung. Wird Luthers Rede vom alten Adam, der „seyn leben auch haben“ will (ders., Predigt am Tage Johannis des Täufers, WA 17/I, 297,21 f), in der ersten Auflage noch als optimistische Vertröstung abgelehnt, so wird derselbe Ausschnitt in leicht erweiterter Version in der Neuauflage als sachgemäße Beschreibung der verzweifelten Situation des religiösen Menschen zustimmend zitiert, vgl. Römerbrief II, 361. Ebenso interessant ist die Auslassung, die in folgender Synopse zum Vorschein kommt. Kontext ist die Beschreibung des paulinischen Konflikts zwischen Wollen und Vollbringen:

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Interessanterweise übernimmt die Religion in der Neubearbeitung immer wieder die Rolle, die Paulus in Röm 7 dem Gesetz zuschreibt. Es ist die Religion, die dem Menschen das „Du sollst nicht“ verkündet (338, vgl. Röm 7,7b), sie wird im Anschluss an Röm 7,12 („Also ist das Gesetz heilig, gerecht und gut“) als „das Heilige“, „das Gerechte“ und „das Gute“ bezeichnet, „das vom Menschlichen weg und auf das Göttliche hinweist“ (349). Diese positive Charakterisierung ändert freilich nichts daran, dass die Begegnung des Menschen mit der Religion nur in die Katastrophe führen kann: „Die Beziehung des Menschen zu Gott wird aus einer göttlichen Voraus-Setzung zu einer menschlichen Setzung.“ (343 f) Noch drastischer formuliert Barth an zwei anderen Stellen: „Der Sinn der Religion ist der Tod“ (347) bzw. „Der Sinn der Religion ist der Erweis der Macht, mit der die Sünde diesen Menschen in dieser Welt beherrscht“. (353) Am Ende der Auslegung stellt Barth die dreifache Frage: Wissen wir jetzt, jetzt endlich, was der Mensch ist? Und was die Wirklichkeit der Religion? Und wie weit weg von der Wirklichkeit der Religion jene Triumphatorenstimmung, die an der Wiege dessen stand, was die Wortführer des 19. Jahrhunderts Religion zu nennen beliebten? Die Wirklichkeit der Religion ist das Entsetzen des Menschen vor sich selbst. (370)

Dieser Wirklichkeit der Religion steht Jesus Christus als der „neue Mensch“ (370) gegenüber. Es ist jedoch bezeichnend, dass Barth diesem Gegenüber in der Auslegung von Röm 7,25a lediglich sieben Zeilen widmet.

„Ich kann meine Produkte nicht als meine legitimen Kinder anerkennen, sondern fremd und feindselig und mein eigenes Mißfallen alsbald erregend stehen sie mir gegenüber, statt daß sie zu mir, nämlich zu dem, was ich weiß und will, gehören, statt daß sie aus ihm organisch erwachsen würden als gesunde, blutsverwandte Geschöpfe meiner Freiheit. Ich verstehe sie nicht, ich liebe sie nicht, ich muß sie verleugnen, und sie ihrerseits starren mich an wie böse häßliche Wechselbälge.“ (Römerbrief I, 281)

„Nein, ich kann meine Vollbringungen samt und sonders nicht als meine legitimen Kinder anerkennen, sondern fremd und feindselig und mein eigenes Missfallen alsbald erregend stehen sie mir gegenüber. Ich verstehe sie nicht, ich liebe sie nicht, ich möchte sie verleugnen, und wie böse hässliche Wechselbälge starren sie ihrerseits mir entgegen.“ (Römerbrief II, 358)

Die Auslassung des Wunsches, dass die „Produkte“ des Menschen „aus ihm organisch erwachsen“ sollten „als gesunde, blutsverwandte Geschöpfe“, entspricht der Selbstkritik in Römerbrief II, 332, wo gerade die „Behauptung eines organisch wachsenden göttlichen Seins und Habens im Menschen“ explizit abgelehnt wird. Der zitierte Abschnitt darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den beiden frühen Auslegungen zu Römer 7 insgesamt nur sehr wenige wörtliche Übereinstimmungen finden.

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2.4.3 Ein neues Thema Beiden frühen Auslegungen von Röm 7 ist gemeinsam, dass sie ihren Schwerpunkt in der negativen Darstellung der menschlichen Irrwege sehen, die der Gnade Gottes entgegenstehen. Die Beschreibung dieser Irrwege nimmt einen so großen Raum ein, dass die Auslegung von Röm 7,25a nahezu untergeht. Auch eine Einordnung des Kapitels in den Kontext von Röm 3 – 8, auf die Barth in der Auslegung in KD IV/1 so großen Wert legt, findet nicht statt. Es unterbleibt somit auch die – in KD IV/1 ausgiebig genutzte – Möglichkeit, den Konflikt in Röm 7 insgesamt in ein positiveres Licht zu rücken, nämlich in das Licht des Evangeliums, welches – um das Bild aus KD IV/1 aufzugreifen – durch das Fenster der Gefängniszelle fällt. Auffällig ist zudem, dass die beiden zentralen Bilder der Auslegung in KD IV/1 in den frühen Kommentaren fehlen. Es ist weder die Rede von der Gefängniszelle, die am Ende von außen erleuchtet wird, noch – zumindest in diesem Zusammenhang – von dem Sprung des Glaubens, der in der „pneumatischen Selbsterkenntnis“ des Menschen stattfindet.59 Das Motiv der den Menschen von außen erreichenden Gnade Gottes steht noch deutlich weniger im Fokus. Dies bedeutet zwar nicht, dass Barth in der frühen Auslegung die Gnade überhaupt nicht thematisiert hätte. Sie dient dort allerdings eher als Hintergrundfolie des ihn eigentlich interessierenden Themas der verschiedenen Irrwege, auf denen der Mensch dieser Gnade zu entfliehen sucht. In KD IV/1 kommt dagegen die gesamte Auslegung unter dem Thema der Rechtfertigung zu stehen und verfolgt dabei das positive Ziel, die Rechtfertigung als einen immer wieder neu von Gott geschenkten Übergang zu beschreiben und den Leser in diesen Prozess hineinzustellen. Die verschiedenen Versionen der Auslegung von Röm 7 können damit als eine Veranschaulichung jener Entwicklung gelten, die Barth im Rückblick mit der Einsicht beschrieben hat, es müsse „der Sinn und Ton unseres Wortes [gemeint ist: der Theologie] grundsätzlich ein positiver sein“.60

2.4.4 Ein neuer Stil Schon angesichts des völlig anderen thematischen Zusammenhangs, in dem die Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 im Vergleich zu den frühen Kommentaren steht, muss die späte Auslegung als ein eigenes exegetisches Opus bezeichnet werden. In formaler Hinsicht ist zudem festzuhalten, dass sich in der 59 Das Bild vom Sprung findet sich im zweiten Römerbrief u. a. in der Besprechung von Röm 1,19 f (Römerbrief II, 138 f), Röm 8,18 – 25 (Römerbrief II, 416, 425, 429) sowie Röm 10,16 f (Römerbrief II, 453). 60 Die Menschlichkeit Gottes, 22.

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späten Auslegung keinerlei wörtliche Zitierung der frühen Kommentare findet.61 Hinzu kommen auch in stilistischer Hinsicht einige gravierende Veränderungen. Die frühen Auslegungen sind keine Nacherzählungen, sondern in erster Linie polemische Abgrenzungen, die sich ganz in der Gegenwart des 20. Jahrhunderts befinden. Paulus selbst und seine Zeit sind in den frühen Auslegungen kaum im Blick. Schon im Vorwort zur ersten Auflage hatte Barth die Meinung geäußert, dass es für die Auslegung viel wichtiger sei, dass Paulus „als Prophet und Apostel des Gottesreichs zu allen Menschen aller Zeiten redet“, als dass er „als Sohn seiner Zeit zu seinen Zeitgenossen geredet“ (Römerbrief I, 3) habe. Folglich hält er sich auch in den frühen Auslegungen von Röm 7 nicht lange mit Überlegungen zu den paulinischen Fragen und Hintergründen auf, sondern kommt direkt auf die Auseinandersetzungen zu sprechen, in die er seine Zeitgenossen bzw. sich selbst verwickelt sieht.62 Die Auslegung ist dementsprechend reich an Anspielungen, die zum Teil auf konkrete Begegnungen Barths mit einzelnen Vertretern der jeweils kritisierten kirchlichen Strömungen zurückgehen.63 Die Nacherzählung von Röm 7 in KD IV/1 geht einen anderen Weg. Auch sie hat natürlich das Ziel, die Leser des 20. Jahrhunderts anzusprechen. Sie tut dies aber auf eine weniger direkte Art und Weise, indem sie den Kampf des Paulus so anschaulich schildert, dass die Leser in die Situation des Paulus hineinversetzt werden. Der Sprache und dem Stil des paulinischen Textes kommt damit eine wesentlich größere Bedeutung zu und auch die thematische Entfaltung orientiert sich stärker an der verzweifelten Schilderung des Konflikts zwischen Wollen und Vollbringen sowie der Frage nach einer Erlösung aus diesem Konflikt. Der Weg ins 20. Jahrhundert, den Barth in KD IV/1 be61 Wo Barth an anderen Stellen innerhalb der KD auf seinen Römerbrief-Kommentar zu sprechen kommt, geschieht dies teils in positiver Aufnahme, teils in negativer Abgrenzung. Vgl. etwa die textkritische Selbstkorrektur zu Röm 9,5b in KD II/2, 226: Hatte Barth in den frühen Kommentaren noch das Possessivpronomen „¨m“ gelesen (vgl. Römerbrief I, 357), so plädiert er jetzt für das Partizip „¥m“. Wiederum findet sich in KD IV/1, 701, eine kurze inhaltliche Verteidigung des zweiten Römerbriefs, nämlich in Bezug auf die Bezeichnung des Glaubens als eines „Hohlraum[s]“ (Römerbrief II, 124, 216). 62 Dieser Stil der frühen Auslegung von Röm 7 bringt es mit sich, dass die Zitierung zeitgenössischer Kommentarwerke in ihr sehr spärlich ausfällt, wodurch sich eine, wenn auch verschieden begründete Gemeinsamkeit mit der späten Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 ergibt. Dass Barth an anderen Stellen der frühen Kommentare sehr wohl auf die Werke seiner exegetischen Kollegen zurückgreift, wird u. a. ersichtlich in der Auslegung zu Röm 9,5b, in der Barth an älteren und zeitgenössischen Auslegern Th. Zahn, J.J. Wettstein, B. Weiß, J.G. Hofmann, J.T. Beck, E. Kühl, A. Jülicher und H. Lietzmann konsultiert (Römerbrief I, 357). Vgl. auch die erhellende Bemerkung Barths aus einem Brief an E. Thurneysen vom 27. Juli 1917: „Ich bin eben dran, mir durch langweiligste Studien von Weiß, Godet, Lipsius … das Recht und die Möglichkeit zur Auslegung von Röm. 5 zu erwerben.“ (Barth-Thurneysen I, 220). 63 Vgl. etwa die Kritik an der pietistischen Rede von der „Versiegelung“, der Barth „in den Vorträgen des Evangelisten J. Vetter im November 1916 in Safenwil“ begegnet ist (Römerbrief I, 283, Anm. 37, vgl. hierzu auch Barth-Thurneysen I, 164).

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schreitet, ist ein Weg, der den Umweg über die ausführliche Darstellung der Situation des Paulus bewusst in Kauf nimmt. 2.4.5 Sachliche Übereinstimmungen Abgesehen von den genannten thematischen und stilistischen Veränderungen finden sich natürlich auch sachliche Übereinstimmungen zwischen den frühen Kommentaren und der späten Auslegung. Hier ist vor allem auf die präsentische Deutung der Frage nach dem Subjekt der Ich-Rede in Röm 7 zu verweisen, die sich in beiden Auflagen des Römerbriefs findet. Wie in KD IV/1 ist Barth bereits in den frühen Kommentaren der Ansicht, dass der Kampf des Menschen, „der nie sein soll, was er ist, und nie ist, was er sein soll“, währt, „so lange er lebt“ (Römerbrief II, 370).64 Schon hier sieht er diesen Konflikt begründet in der Begegnung des Menschen mit dem an sich guten Gesetz Gottes, welche durch den Einfluss der Sünde „nur verhängnisvoll verlaufen“ (Römerbrief I, 267) könne. Ebenfalls erwähnt Barth schon in den frühen Auslegungen die Gefahr, dass dieser Konflikt immer dann zum Vorschein komme, „wenn ich mich selbst betrachte, losgelöst von der Gnade, unter der wir jetzt stehen dürfen“ (Römerbrief I, 251). Auch hier findet sich also das Motiv des Blickwechsels, welches in KD IV/1 erneut verwendet wird. Zwar wird der „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ (IV/1, 656) in der früheren Auflage mit anderen Begriffen beschrieben als in der späteren, indem er z. B. als das Stehen „inmitten des Kontrastes der beiden Wahrheiten“ (Römerbrief I, 281) bezeichnet wird, deren eine den Glaubenden bei seinen faktischen Taten behafte, während die andere ihm bereits eine neue Existenz verheiße. Sachlich stimmt diese Beschreibung mit der Redeweise vom „Konflikt zwischen Gesetz und Gesetz“ jedoch durchaus überein, indem hier wie dort die Unfreiheit des auf sich selbst blickenden Menschen zum Ausdruck gebracht wird. 2.4.6 Ergebnis Die Frage, ob es sich in der Auslegung von Röm 7 in KD IV/1 um eine neue Auslegung des biblischen Textes handelt, kann eindeutig bejaht werden. Vor allem, dass Barth Röm 7 hier – anders als in den frühen Auslegungen – in den thematischen Horizont der Rechtfertigung als eines Übergangs verortet, spricht für diese Einschätzung, ebenso die stilistischen Unterschiede und das erst in der späten Auslegung verwendete einprägsame Bild von der Gefängniszelle. 64 Vgl. auch Römerbrief II, 371: „Wahrhaftig nicht die Geschichte ,vor seiner Bekehrung‘ hat Paulus hier erzählt.“ Weitere Belege finden sich in Römerbrief I, 251, 261, 278; Römerbrief II, 342.

Fazit: Rechtfertigung als konkretes Kommunikationsgeschehen

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Diese Beobachtung schließt, wie gezeigt wurde, ein, dass Barth sich in der Beurteilung einzelner exegetischer Sachfragen an den Ergebnissen und Einsichten der frühen Auslegung orientiert hat, so etwa in der Verortung von Röm 7 in der Gegenwart des Christen und Apostels Paulus. Eine Weiterentwicklung in KD IV/1 im Vergleich zu den frühen Auslegungen besteht wiederum darin, dass der Gegenwartsbezug in der späteren Auslegung weniger direkt und damit auch weniger polemisch geschieht. Stattdessen werden die Leserinnen und Leser intensiv mit dem Kampf des Apostels Paulus konfrontiert, um auf diese Weise das dramatische Geschehen ihrer eigenen Rechtfertigung zu vergegenwärtigen und selbst nachzuvollziehen.65

3. Fazit: Rechtfertigung als konkretes Kommunikationsgeschehen Fragt man nach dem theologischen Ertrag der Auslegung von Röm 7 innerhalb der Rechtfertigungslehre in KD IV/1, so ist zunächst an den narrativen Charakter der Auslegung zu erinnern. Indem Barth die Rechtfertigung des Paulus im Anschluss an dessen Selbstbeschreibung selbst im Stil einer Erzählung schildert, veranschaulicht er am Beispiel des Paulus die grundlegende These, dass sich Rechtfertigung als eine konkrete Geschichte vollzieht, die zwar erst durch das Christusgeschehen und dessen Bezeugung durch den Geist ermöglicht wird, in deren Verlauf der zu rechtfertigende Mensch jedoch höchst aktiv beteiligt ist.66 In der thematischen Hinführung ist gezeigt worden, dass Barths Rechtfertigungslehre zwar an die Erwählungslehre in KD II/2 anknüpft, zugleich jedoch einen eigenen Schwerpunkt setzt, indem sie den geschichtlichen Charakter der Rechtfertigung betont und hierfür sowohl auf die Geschichte des Menschen Jesus als auch auf die Verbindung zwischen jener Geschichte und 65 R. Smends Vermutung, dass bei einer Untersuchung von exegetischen Texten Barths aus den unterschiedlichen „Stadien“ seines theologischen Schaffens „trotz aller Unterschiede in Form und Inhalt doch das Gleichbleibende stärker hervortreten würde als der Wandel“ (Smend, Ausleger, 225), kann mit Blick auf den soeben angestellten Vergleich nur bedingt zugestimmt werden. 66 Es ist insofern nicht verwunderlich, dass selbst so gründliche Barth-Interpreten wie H. Küng und P. Brunner Barths Betonung der Konkretheit der Rechtfertigung als Geschichte weitgehend übersehen und stattdessen den Einfluss der Erwählungslehre einseitig hervorheben. Angesichts der Tatsache, dass beide den Exkurs über Röm 7 nicht in ihre Betrachtungen integrieren, scheint dies vielmehr die logische Konsequenz zu sein. Erwähnenswert ist, dass im Falle Küngs die Ignorierung von Barths Exegese ebenso wie die daraus resultierende einseitige Interpretation seiner Rechtfertigungslehre wider besseres Wissen geschieht, vgl. die einleitende Bemerkung, Barth denke „vom Wirklichen und Tatsächlichen und Konkreten her“, sowie die abschließende Vermutung: „Am leichtesten kommt man vielleicht von der Heiligen Schrift her an Barths Denkart heran.“ KRng, Rechtfertigung, 22.

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B 5: Narrative Exegese eines Brieftextes in der Rechtfertigungslehre

der Geschichte der von Jesus unterschiedenen Menschen hinweist. Das Kommunikationsgeschehen, in dem der zu rechtfertigende Mensch auf das rechtfertigende Ja des Schöpfers antwortet, wird in der Auslegung von Röm 7 im Anschluss an das „Dankwort“ (657) in Vers 25a anschaulich gemacht. Gerade dieses Dankwort spiegelt nach Barths Ansicht die Erkenntnis wider, dass sich Rechtfertigung in der konkreten Geschichte eines Menschen und zugleich auf der Grundlage der durch Christus „vollbrachte[n] Tat“ (ebd.) ereignet. Indem es außerdem in deutlichem Kontrast zu den vorhergehenden Versen steht, kann Barth gerade an diesem Vers verdeutlichen, dass auch das Zustandekommen der dankbaren Antwort des Menschen als eine „pneumatisch[e] Selbsterkenntnis“ (651) zu verstehen und damit auf das Wirken des Geistes zurückzuführen ist. Auch die Beschreibung der Rechtfertigung als „anhebende Rechtfertigung“ wird in der Auslegung von Röm 7 eindrücklich zur Geltung gebracht. Durch das anschauliche Bild der „Gefängniszelle“ kennzeichnet Barth die Situation des zu rechtfertigenden Menschen als eine solche, in welcher der Mensch auch als Christ noch unter den Bedingungen der Sünde existiert und, sobald er seine Rechtfertigung von sich selbst und seinen eigene Taten erwartet, unweigerlich in jene Gefangenschaft gerät, die mit seinem bleibenden Verstricktsein in die Sünde gegeben ist. Die These von der „anhebenden Rechtfertigung“ hängt folglich entscheidend damit zusammen, dass Barth in der Auslegung von Röm 7 pointiert dafür eintritt, dass Paulus in diesem Kapitel nicht nur von seiner Vergangenheit, sondern vor allem von seiner Gegenwart als Christ redet.67 Die Auslegung von Röm 7 wird damit zu einem Plädoyer für jene reformatorische Überzeugung, die sich in der Formel simul iustus et peccator68 ausdrückt, und vermag es zugleich, dieser Formel ein spezifisches, nämlich dynamisches Verständnis zu verleihen. „Anhebende Rechtfertigung“ im Anschluss an Röm 7 lässt nach Barths Verständnis gerade keinen Raum für eine Resignation angesichts der bleibenden Sündhaftigkeit des Christen,69 sondern sie bedeutet die Einladung, im Blick auf das Christusgeschehen dankbar der vollendeten Gemeinschaft mit dem Schöpfer entgegenzugehen, die dem gerechtfertigten Menschen gültig zugesagt ist. Es ist deutlich, dass die solchermaßen verstandene Rechtfertigung durchgehend die Züge eines Kommunikationsgeschehens trägt, wobei nicht zuletzt der von Barth pointiert 67 Nur am Rande sei erwähnt, dass sich in diesem charakteristischen Zug von Barths Rechtfertigungslehre jener – nicht mit dem in Abschnitt 2.2.4 thematisierten metaphysischen Antidualismus zu verwechselnde – ekklesiologische Antidualismus widerspiegelt, der bereits in Barths Erwählungslehre und in der Sündenlehre herausgearbeitet wurde und der jeder Form der Abgrenzung der christlichen Gemeinde gegenüber Außenstehenden einen Riegel vorschiebt. 68 Zu dieser Formel und ihrem Ursprung und Sinn bei Luther vgl. Joest, Paulus und das Lutherische Simul, 295 – 320. 69 Hiergegen richtet sich die polemisch zugespitzte Kritik an der präsentischen Deutung von Röm 7,14 – 25 bei Gundry, vgl. ders., The Moral Frustration, 240: „Rom. 7:14 – 25 does not describe, let alone excuse, moral defeat as a necessary experience of true Christians.“

Fazit: Rechtfertigung als konkretes Kommunikationsgeschehen

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hervorgehobene Blickwechsel als ein (nonverbaler) Akt innerhalb dieses Kommunikationsgeschehens betrachtet werden muss. Schließlich wird auch das in der thematischen Hinführung zuletzt erläuterte Anliegen einer „existenziellen Rechtfertigungslehre“ in der Auslegung von Röm 7 umgesetzt. Wie die Rechtfertigungslehre insgesamt nach Barth nicht ohne die Frage nach der Wirklichkeit der Rechtfertigung im Leben des Theologen bzw. der Theologin auskommt, so bleibt auch die dramatische Erzählung von der Rechtfertigung des Paulus aus der Gefängniszelle nicht ohne den bereits mehrfach erläuterten Effekt, dass Barths Leser in das Geschehen dieser Rechtfertigung mit hineingenommen und letztlich selbst mit jener Geschichte konfrontiert werden, in der auch ihre Rechtfertigung gültig vollzogen wurde. Die soeben dargelegte Analyse von Barths narrativer Exegese zu Röm 7 innerhalb der Rechtfertigungslehre bestätigt insgesamt das gemeinsame Resultat der einzelnen Kapitel in Teil B dieser Studie, welches darin besteht, dass Barths Schriftauslegung als grundlegend für die Entfaltung seiner dogmatischen Leitlinien zu betrachten ist.

C: Karl Barths Schriftauslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“

Vorbemerkung

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Vorbemerkung Der abschließende Teil C dieser Studie versteht sich als eine Auswertung und Weiterführung der Beobachtungen aus den beiden vorangehenden Teilen. Zum einen werden die wesentlichen übergreifenden Merkmale von Barths Schriftauslegung wie auch das Verhältnis zwischen Barths Schriftlehre und seiner Auslegungspraxis noch einmal gebündelt dargestellt, zum anderen ist die Frage zu stellen, was von Barths Schriftauslegung für gegenwärtige Herausforderungen der Schrifthermeneutik in Aufnahme und Abgrenzung zu lernen ist. Die letztgenannte Aufgabe macht es notwendig, vor der Auswertung im engeren Sinne eine Zwischenüberlegung anzustellen und sich dabei jener Herausforderung zuzuwenden, die für die evangelische Schriftauslegung in der Gegenwart maßgeblich ist. Gemeint ist die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“.1 Geht man davon aus, dass diese Krise bis in die Gegenwart zu den drängenden Aufgaben von Theologie und Kirche zählt, so findet die Frage nach dem Potential von Barths Schriftlehre und Schriftauslegung für eine sachgemäße Schrifthermeneutik hier ihre Zuspitzung. Wer nach dem Beitrag von Barths Schriftauslegung im Kontext der Krise des protestantischen Schriftprinzips fragt, sieht sich zunächst vor die Herausforderung gestellt, zu einem präzisen und sachgemäßen Verständnis jener Krise zu gelangen. Dies soll im ersten Abschnitt dieses Schlussteils unternommen werden. Zu einem präzisen Verständnis der Krise des protestantischen Schriftprinzips gehört es, zwischen ihren Ursachen und ihrem Wesen zu unterscheiden und in diesem Zusammenhang zu untersuchen, welche Rolle der historisch-kritischen Exegese in der Entstehung jener Krise zukommt. Ein sachgemäßes Verständnis setzt dagegen voraus, zwischen überwindungswürdigen und sachlich notwendigen Aspekten der Krise zu unterscheiden. Beide Aufgaben verlangen wiederum, sich zunächst die wesentliche Pointe des protestantischen Schriftprinzips selbst vor Augen zu führen. Die eigentliche Auswertung der Beobachtungen in Teil A und Teil B geschieht dann im zweiten Kapitel dieses Schlussteils. Hier ist zu fragen, in welchem Verhältnis Barths Schriftauslegung zur historisch-kritischen Exegese steht und welches die wichtigsten Impulse von Barths Schriftlehre für seine Auslegungspraxis sind. Auf diese Weise soll ein möglichst differenziertes Bild davon gezeichnet werden, was man als Barths angewandte Schrifthermeneutik bezeichnen kann. Die Frage nach dem Verhältnis zur historisch-kritischen Exegese geschieht vor dem Hintergrund des Vorwurfs, Barth habe mit seiner Exegese die 1 Vgl. hierzu den einschlägigen Aufsatz von W. Pannenberg, Die Krise des Schriftprinzips; dazu als aktuelle Beiträge: Bernhardt, Die Krise des protestantischen Schriftprinzips; Lauster, Prinzip und Methode; Leonhardt, Unklarheit über die Klarheit der Schrift.

306 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ „Rückkehr der dogmatischen, vorkritischen Bibelexegese in den Bereich der Systematischen Theologie“ betrieben.2 Falls diese Einschätzung zutrifft, wird man von dieser Exegese nur sehr bedingt Impulse zur Bewältigung der Krise des protestantischen Schriftprinzips erwarten können. Trifft sie allerdings nicht zu, so ist sehr wohl zu fragen, was von Barths Schriftauslegung für die Bewältigung jener Krise zu lernen ist. Darüber hinaus ist zu untersuchen, welche Fragen offen bleiben und in welcher Hinsicht über Barths Schriftlehre und Schriftauslegung hinaus Akzente zu setzen sind. Dies soll im Rahmen der abschließenden kritischen Würdigung zumindest angerissen werden.

1. Die Krise des protestantischen Schriftprinzips 1.1 Das protestantische Schriftprinzip Es liegt auf der Hand, dass im Rahmen dieses Schlusskapitels keine chronologisch umfassende Darstellung über den „Aufstieg und Fall des [protestantischen] Schriftprinzips“3 geleistet werden kann.4 Auch die konfessionellen Unterschiede zwischen lutherischem und reformiertem Schriftprinzip müssen (und können) weitgehend unberücksichtigt bleiben.5 Unverzichtbar für ein angemessenes Verständnis der Krise des protestantischen Schriftprinzips ist jedoch, dass zunächst geklärt wird, worin die wesentliche Pointe dieses Prinzips besteht. Nicht selten wird diese Frage mit Blick auf eine klassische Formulierung in der Einleitung zur Epitome der Konkordienformel beantwortet:6 Hier wird bekannt, dass „sola scriptura iudex, norma et regula agnoscitur, ad quam ceu

2 U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 198. 3 So Lauster, Prinzip und Methode, 11. 4 Neben den bereits genannten Titel sei hierzu auf folgende Beiträge verwiesen: Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung; KRmmel, Das Neue Testament; SchQfer, Die Bibelauslegung in der Geschichte. 5 Dies ist zum einen insofern naheliegend, als sich in den letzten Jahren die Rede vom „protestantischen Schriftprinzip“ eingebürgert hat, vgl. etwa Bernhardt, Die Krise des protestantischen [!] Schriftprinzips; Kçrtner, Schriftwerdung des Wortes, 107 et passim; Lauster, Prinzip und Methode, 1 et passim; Leonhardt, Unklarheit über die Klarheit der Schrift, 157 et passim. Leonhardt spricht darüber hinaus wiederholt vom „reformatorische[n] Schriftprinzip“ (ebd), wodurch die konfessionellen Unterschiede ebenfalls vernachlässigt werden. Zum anderen ist eine solche Zusammenschau im Kontext des vorliegenden Kapitels auch aus inhaltlichen Gründen vertretbar. Die folgende Analyse wird zeigen, dass nicht nur die Pointe des Schriftprinzips, sondern auch bestimmte problematische Begründungsmuster auf lutherischer wie auf reformierter Seite sehr ähnlich formuliert werden konnten. 6 So erst kürzlich bei Schelhas, Christozentrische Schriftauslegung, 318.

Die Krise des protestantischen Schriftprinzips

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ad Lydium lapidem omnia dogmata exigenda sunt et iudicanda, an pia an impia, an vera an vero falso sint.“7 Dieses Bekenntnis8 besagt nicht weniger, als dass alle Lehraussagen in Theologie und Kirche sich daran messen lassen müssen, ob sie mit dem Inhalt bzw. der Aussagerichtung der biblischen Schriften übereinstimmen. Spätestens seit dem Aufkommen historischer Fragestellungen in der modernen Exegese wirft diese Bestimmung jedoch schwerwiegende Fragen auf: Was, wenn sich Inhalt und Aussagerichtung der biblischen Schriften nicht eindeutig erheben lassen? Und wie lässt sich jene Übereinstimmung angesichts sich verändernder kultureller und sprachlicher Kontexte präzise definieren? Darüber hinaus erweist sich die Formulierung aus der Konkordienformel zur Beantwortung der Frage nach dem Wesen des protestantischen Schriftprinzips insofern als defizitär, als sie ihren Fokus allzu sehr auf die „kriteriologische Funktion der Schrift“ richtet.9 Wohin eine solche Fokussierung führen kann, zeigt die im 19. Jahrhundert verbreitete Unterscheidung zwischen der Rechtfertigungslehre als Materialprinzip und der Heiligen Schrift als Formalprinzip des Protestantismus.10 Nach dieser Vorstellung besteht die Funktion der Schrift darin, die Reinheit der christlichen Lehre zu garantieren. Als „Christliche Wahrheit“ sollte nur das gelten, „was sich aus der Schrift, als der ungetrübten Quelle der göttlichen Offenbarung, rechtfertigen lässt“.11 Demgegenüber ist – u. a. mit K. Barth12 – festzuhalten, dass das protestantische Schriftprinzip nicht in erster Linie als eine Regel zu verstehen ist, nach der theologische Sätze nachträglich auf eine (wie auch immer definierte) Übereinstimmung mit den biblischen Texten zu überprüfen sind, sondern vielmehr als ein Bekenntnis dazu, dass gerade im Lesen und Hören der biblischen Texte sich dank des Wirkens des Heiligen Geistes die Gewissheit des Glaubens an den dreieinigen Gott eingestellt hat und wieder einstellen wird. Gegenüber der einseitigen Konzentration auf die kriteriologische bzw. regulative Funktion der Schrift stellt dieses Verständnis des protestantischen Schriftprinzips insofern eine Überbietung dar, als hier der Schrift nicht nur eine reaktiv überprüfende, sondern eine aktiv inspirierende Funktion in der theologischen (wie auch in der spirituellen) Praxis zugesprochen wird, wobei mit „Schrift“ in diesem Zusammenhang stets die vom Heiligen Geist in An7 BSLK 769,22 – 26. Berühmt ist auch die deutsche Übersetzung: „[dass] allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur [bleibt], nach welcher als dem einigen Probierstein sollen und müssen alle Lehre erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein.“ BSLK 769, 22 – 27. 8 Dass es sich um ein solches handelt, wird mit Blick auf den Eingangssatz deutlich: „Wir glauben, lehren und bekennen [Hervorhebung: G.B.], daß die einige Regel und Richtschnur …“, vgl. BSLK 767,14 f. 9 Vgl. Kçrtner, Theologie des Wortes, 303. 10 Vgl. hierzu die Kritik bei Bayer, Martin Luthers Theologie, 68 f, sowie Axt-Piscalar, Der Grund des Glaubens, 7 – 27. 11 Twesten, Vorlesungen über die Dogmatik I, 276. 12 Vgl. Teil A, Abschnitt 1.2.

308 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ spruch genommene Schrift gemeint ist. Die regulative Funktion der Schrift wird damit nicht aufgehoben, wohl aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für das protestantische Schriftprinzip der pneumatologisch begründeten, Glauben stiftenden Funktion der Schrift nachgeordnet.13 Eben dieses differenzierte Verständnis des protestantischen Schriftprinzips ist in der neueren und neuesten Forschung zu seiner Entstehung als die genuine Auffassung nicht nur der Reformatoren, sondern auch der bedeutendsten Vertreter der lutherischen wie der reformierten Orthodoxie herausgearbeitet worden. Schon der früheste Beleg für ein „Schriftprinzip“ bei Luther in der Assertio omnium articulorum von 1520 hat seine Pointe nach J. Lauster darin, „daß das Prinzip über die Mittel seiner eigenen Durchführung verfügt.“14 Die „Selbstauslegungsfähigkeit“ der Schrift ziele auf die „geistgewirkte worthaftige Selbstvermittlung Christi“ und führe so „zu lebenstragender Heilsgewißheit“.15 In diesem Sinne werden auch die in der Auseinandersetzung mit Erasmus entwickelte Lehre Luthers von der „doppelten Klarheit der Schrift“16 sowie die Qualifizierung der Schrift als „sui ipsius interpres“17 verstanden. Für die lutherische Orthodoxie sei auf J.A. Quenstedt verwiesen, dessen Schriftlehre ebenfalls in der „Wirksamkeit der Schrift“ zum Heil ihr „Zentrum“ hat.18 Erst auf der Grundlage dieser Wirksamkeit wird die Bibel als „im Glauben gehörte und verstandene Schrift“ bei Quenstedt auch zum „Erkenntnisprinzip der Theologie“.19 Die „Richterfunktion der Schrift in Glaubensfragen“ wird von der „pneumatologisch bestimmten Wirksamkeit der 13 Vgl. Bernhardt, Die Krise des protestantischen Schriftprinzips, 215: „Aus der so [nämlich pneumatologisch] verstandenen Selbstautorisierung der Heiligen Schrift ergibt sich die normative und regulative Funktion des biblischen Zeugnisses.“ 14 Lauster, Prinzip und Methode, 12. 15 Lauster, a. a. O., 12 f. 16 Luther, De servo arbitrio, WA 18, 606ff, besonders 609,4 – 14; 653,13 – 35. Nach Kçrtner, Reformatorische Theologie, 62, besteht das Anliegen der Lehre von der doppelten Klarheit der Schrift darin, dass einerseits echtes Verstehen der Schrift zurückgeführt wird auf das Wirken des Heiligen Geistes, welcher die „Gewissheit des Glaubens“ im Menschen begründet, und andererseits das Glauben stiftende Wirken des Geistes an den Text der Schrift und dessen äußere Klarheit gebunden wird. Dementsprechend unterstreicht E. Herms, „daß die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Klarheit der Schrift nicht zwei verschiedene Sachverhalte betrifft, sondern nur zwei unterschiedliche Existenzweisen eines und desselben Sachverhalts, eben der Klarheit der Schrift.“ Diese Klarheit aber werde von Luther um ihrer „heilsamen Wirkung“ im Zustandekommen der Glaubensgewissheit willen betont. Vgl. Herms, Äußere und innere Klarheit, 8 – 10. 17 Luther, Assertio omnium articulorum, WA 7, 97,23. Die Tragweite dieser Formel, so legt O. Bayer dar, reicht „weit über die Konkordanzmethode hinaus, wonach eine Schriftstelle durch die andere auszulegen ist und mit ihr in Übereinstimmung zu bringen ist.“ Vielmehr betreffe die Formel „die Wirksamkeit des Textes im Bezug auf seine Leser, Hörer und Ausleger“. Vgl. Bayer, Martin Luthers Theologie, 62. 18 Dies hat M. Coors hat in seiner umfassenden Quenstedt-Studie Scriptura efficax nachgewiesen, vgl. Coors, Scriptura efficax, 137. 19 Coors, a. a. O., 165.

Die Krise des protestantischen Schriftprinzips

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Schrift zum Heil“ her begründet,20 und in diesem Kontext sind auch die in der Orthodoxie der Schrift zugeschriebenen Eigenschaften der sufficentia, der auctoritas sowie der perspicuitas zu verstehen.21 Hinsichtlich der reformierten Tradition wird schließlich im Kompendium H. Heppes darauf verwiesen, dass das „einzige Zeugnis, welches den Christen über die Göttlichkeit und Autorität der heil. Schrift mit absoluter Sicherheit vergewissert“, das „Zeugnis des heil. Geistes“ sei als eben jenes Zeugnis, „welches die Schrift über sich selbst oder Gott über dieselbe im Gewissen des Gläubigen ablegt“.22 Erst auf der Grundlage der Erfahrung, „daß das ihn erfüllende Heilsverlangen durch die heil. Schrift zu voller Befriedigung gelangt“, komme der Christ zu der Erkenntnis, dass „die heil. Schrift das Prinzip der gesamten Theologie, die ausschließliche Norm der christlichen Lehre und die untrügliche Richterin aller Lehrstreitigkeiten“ ist.23 Es lässt sich festhalten, dass das sachliche Primat der pneumatologisch bestimmten, Glauben stiftenden Wirkung der Schrift gegenüber ihrer regulativen Funktion als konfessionsübergreifender Konsens hinsichtlich einer präzisen Beschreibung des protestantischen Schriftprinzips gelten kann. 1.2 Die Begründungskrise Die soeben angesprochene Betonung der pneumatologisch begründeten Wirksamkeit der Schrift durch die altprotestantische Schriftlehre widerspricht dem weit verbreiteten Zerrbild jener Lehre als eines supranaturalistischen, sich gegen jede Kritik immunisierenden Lehrsystems.24 Gleichwohl wird man nicht umhin können, bei der Frage nach dem Ursprung der Krise des protestantischen Schriftprinzips noch einmal einen kritischen Blick darauf zu werfen, wie in der lutherischen Orthodoxie versucht wurde, das Schriftprinzip in konfessioneller Abgrenzung gegenüber verschiedenartigen 20 Coors, a. a. O., 155. Freilich muss Coors einschränkend feststellen, dass sich Schriftlehre und Schriftauslegung Quenstedts in dieser Hinsicht insofern widersprechen, als in der Schriftauslegung das in der Schriftlehre betonte „passiv-praktische Verstehen“ der biblischen Texte und ihre „heilspragmatische Funktion“ deutlich zurücktreten und stattdessen ein „höchst aktives Strukturieren biblischer Texte“ stattfindet, in dem die biblischen Texte im Sinne eines systematischen Regelwerks verstanden werden, vgl. Coors, a. a. O., 240 f. 21 Vgl. Coors, a. a. O., 167 bzw. 206. Wenn dagegen M. Honecker es unternimmt, „die Reichweite des ,sola scriptura‘ […] bei sozialethischen Entscheidungen“ dadurch zu bestimmen, dass er die in der altprotestantischen Schriftlehre unterschiedenen Eigenschaften der sufficentia, auctoritas, efficacia und perspicuitas auf ihre Anwendbarkeit in sozialethischen Fragen überprüft, unterliegt er eben jenem Missverständnis, als handle es sich bei diesen um abstrakte, von der Glauben stiftenden Funktion der Schrift unabhängige Eigenschaften. Vgl. Honecker, Wege evangelischer Ethik, 103 bzw. 107 – 110. 22 Heppe, Dogmatik, 11. 23 Ebd. 24 So auch Barth, vgl. KD I/2, 584. Zur Destruktion dieses Zerrbildes hat neben dem erwähnten Werk von Coors vor allem Jung, Das Ganze der Heiligen Schrift, beigetragen.

310 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Angriffen abzusichern.25 In diesem Bemühen entwickelte sich insbesondere die Vorstellung von der Inspiration der Schrift zu einer eigenen Lehre von überragender Bedeutung, die sich zugleich einer bestimmten Reduktion schuldig machte, indem sie die Inspiration einseitig als „Ursprungsgeschehen“ verstand.26 Nicht auf die je neue „Selbstvermittlung Christi“ durch den Geist im Lesen der Schrift wurde der Akzent in der Rede von der Inspiration der Schrift gelegt, sondern auf das göttliche Diktat27 bei der Entstehung der Schrift, für das die biblischen Autoren lediglich als „causae instrumentales“ benötigt worden seien.28 Daraus folgte, dass innerhalb der bereits erwähnten Lehre von den affectiones der Schrift29 der Artikel über die Vollkommenheit (perfectio/sufficentia) der Schrift30 dergestalt präzisiert wurde, dass deren Zusammenhang mit der Glauben stiftenden Funktion der Schrift nicht mehr genügend zum Ausdruck kam.31 Aus der Vollkommenheit der Schrift zum Heil wurde eine allgemeine Irrtumslosigkeit, welche alle in ihr enthalten Angaben einschloss, „sive dogmatica illa sint, sive moralia, sive Historica, Chronologica, Topographica, Onomastica“.32 Es liegt auf der Hand, dass die programmatische Zurückweisung des menschlichen Charakters der Schrift und der kontingenten Bedingungen ihrer 25 Die konfessionelle Polemik richtete sich insbesondere gegen die Betonung der kirchlichen Tradition durch die römisch-katholische Schriftlehre, welche auf der 4. Sitzung des Konzils von Trient ihrerseits eine antireformatorische Verschärfung erhielt (vgl. insbes. DH 1507, wo das Auslegungsprimat durch die „sancta mater Ecclesia“ festgeschrieben wird), sowie gegen die Verteidigung des freien, nicht schriftgebundenen Wirkens des Geistes von Seiten des linken Flügels der Reformation. Hinzu kamen die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten. Vgl. HQgglund, Die Heilige Schrift, 67 – 71. 26 Coors, a. a. O., 337. Ähnlich auch die Kritik Barths, vgl. KD I/2, 580 – 585. 27 Vgl. etwa Quenstedt, Theologia didactico-polemica I, IV/2, q. III, Thesis: „Omnia & singulae res, quae in S.[acra] Scriptura continentur […] Spiritus S.[ancti] suggestioni, inspirationi, & dictamini acceptae ferendae sunt.“ Vgl. auch die Rede von den biblischen Autoren als „plectrum aut calamus ipsius Spiritus S.[ancti]“, Quenstadt, a. a. O., IV/2, q. V, FS III. Dass die Beschreibung der Inspiration als Diktat des Heiligen Geistes allerdings keine Erfindung der Altprotestantischen Orthodoxie darstellt, belegt zunächst der Wortlaut des Trienter Konzils, nach welchem die biblischen Schriften „Spiritu Sancto dictante“ entstanden sind, vgl. DH 1501. Schon viel früher begegnet die Vorstellung des göttlichen Diktats freilich in der Alten Kirche, zunächst bei Athenagoras und Irenäus, später bei Augustin, vgl. hierzu Weber, Inspiration, 775 f. 28 J. Gerhard, Loci Theologici I, locus I, cap. II, sectio XVIII (ed. Frank, 18). 29 Vgl. hierzu Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 47 – 66. 30 Vgl. J. Gerhard, Loci Theologici I, locus I, cap. XX (ed. Frank, 182 – 193), sowie Quenstedt, Theologia didactico-polemica I, IV/2, q. V. 31 Im Falle J. Gerhards weist Hägglund zwar darauf hin, dass dessen Rede von der perfectio der Schrift vor allem „die Vollkommenheit der Erlösungslehre der heiligen Schrift“ gemeint habe, so HQgglund, a. a. O., 85. Allerdings muss Hägglund mit Blick auf Gerhards Hochschätzung der masoretischen Vokalzeichen sowie der Beurteilung vermeintlicher Gedächtnisfehler der biblischen Verfasser selbst einräumen, dass Gerhard die „wörtliche Wahrheit der Schrift überall da verteidigt, wo sie damals bestritten wurde, auch wenn diese Wahrheit nicht unmittelbar das Heil, sondern nebensächliche Dinge betrifft.“ HQgglund, a. a. O., 86 f. 32 So Quenstedt, Theologia didactico-polemica I, IV/2, q. V, Thesis.

Die Krise des protestantischen Schriftprinzips

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Entstehung einerseits und die mit ihr einhergehende Ausweitung der Rede von der Vollkommenheit der Schrift andererseits seit dem Aufkommen der historischen Bibelforschung reichlich Anlass zur Kritik bot. Nicht nur, dass die historische Bibelforschung ihren Blick umso gründlicher auf die irdischen Entstehungsbedingungen richtete, sie fand auch bald allerhand Material, um das allzu detaillierte Verständnis von der Unfehlbarkeit der Schrift gründlich in Frage zu stellen. Bedenkt man freilich, dass die affectiones der Schrift in der altprotestantischen Schriftlehre nicht etwa mit dem Anspruch versehen wurden, das Wesen des protestantischen Schriftprinzips auszumachen, sondern vielmehr zu dessen Begründung im Kontext konfessioneller Auseinandersetzungen entwickelt wurden,33 dann ist klar, dass die im Zuge der Aufklärung und der einsetzenden historischen Kritik stattfindende Infragestellung jener affectiones und die dadurch hervorgerufenen Krise präzise als eine Begründungskrise des protestantischen Schriftprinzips zu bestimmen ist. Das Wesen des Schriftprinzips, nämlich das Bekenntnis zur heilstiftenden Wirkung der Schrift, wurde damit keineswegs automatisch mit aufgegeben.34

1.3 Verlust der Einheit Dass aus der Begründungskrise des protestantischen Schriftprinzips eine den Kern der Sache treffende Krise wurde, hing weniger mit der Infragestellung der altprotestantischen Vorstellung von der Vollkommenheit der Schrift als mit den Grundanliegen der historisch-kritischen Schriftauslegung zusammen. Deren Erkenntnisinteresse lässt sich folgendermaßen pointiert zusammenfassen: Die im engeren Sinne literarische Frage an die biblischen Texte lautet, „was ihre Verfasser je für sich sagen wollten“, während die im engeren Sinne historische Fragestellung lautet, „welche historischen Fakten [den biblischen Texten] zu Grunde liegen“.35 W. Pannenberg unterscheidet innerhalb der im engeren Sinne historischen Fragestellung noch einmal zwei verschiedene Weisen des historischen Abstandes, die es in der historisch-kritischen Exegese ernst zu nehmen gelte, nämlich erstens den Abstand zwischen den Ereignissen, von denen in den biblischen Texten berichtet wird, und der Berichterstattung selbst sowie 33 Nach J. Lauster lässt sich diese Begründung „[g]emessen an den argumentativen Herausforderungen ihrer Zeit“ durchaus als konsequente Umsetzung des von Luther entwickelten Schriftprinzips verstehen. Lauster, Prinzip und Methode, 18. 34 Dieser Umstand wird von J. Lauster anhand zahlreicher Theologen vor allem aus dem 19. Jahrhunderts aufgezeigt, besonders anschaulich geschieht dies mit Blick auf die Positionen des Vermittlungstheologen R. Rothe und des Erlanger Theologen J. v. Hoffmann, vgl. Lauster, a. a. O., 149 – 186. 35 So etwa LRdemann, Das Jesusbild des Papstes, 149.

312 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ zweitens den Abstand zwischen den biblischen Schreibern und der modernen Leserschaft, welcher sich aus der jeweils verschiedenen „Gedankenwelt“ ergibt.36 Die historisierende Betrachtungsweise habe es wiederum ermöglicht, „die unterschiedlichen Tendenzen zu beobachten, von denen die einzelnen neutestamentlichen Zeugen sich leiten ließen“, so dass „die Unterschiede zwischen den einzelnen Schriften scharf hervor[traten]“.37 In dieser Feststellung kommt der Zusammenhang zwischen der literarischen und der historischen Fragerichtung sehr klar zum Ausdruck.38 Es liegt auf der Hand, dass mit einer solchen Fokussierung auf die Unterschiede innerhalb der biblischen Texte das Interesse an einer wie auch immer gearteten übergeordneten Einheit der biblischen Texte zumindest vorläufig zurückgestellt werden, wenn nicht gar aus dem Blick geraten muss.39 Die Vielzahl an Teilungshypothesen innerhalb einzelner biblischer Bücher, die Unterscheidung zahlreicher Entstehungsschichten, Traditionsstufen und Bearbeitungen steht dabei nur stellvertretend für das grundsätzliche Interesse, das jeweils Unterscheidende innerhalb der biblischen Texte herauszuarbeiten. Man mag den Verlust an Klarheit theologischer Aussagen, der mit dieser Entwicklung einhergeht, beklagen. Gleichwohl wird man ihren theologischen Gewinn nicht bestreiten können, der vor allem darin liegt, dass die einfache Identifizierung mit der Autorität der Schrift etwa von Seiten kirchlicher Machtinstanzen wesentlich erschwert wurde. Mit Blick auf diese „Emanzipationsfunktion“40 der historisch-kritischen Exegese, die letztlich für den gesamten Bereich evangelischer Frömmigkeit gilt und nicht zuletzt die Frage nach dem biblisch-exegetischen Befund in ethischen Fragen mitunter als eine sehr komplizierte Angelegenheit erweist, erhält umgekehrt auch die Charakterisierung der Krise des protestantischen Schriftprinzips als einer notwendigen bzw. einer „permanente[n]“ Krise eine partielle Berechtigung.41 Wo die biblischen Schriften in den theologischen Erkenntnisprozess integriert werden, kann es angesichts der thematischen und auch theologischen Vielstim36 Pannenberg, Die Krise des Schriftprinzips, 15 f. 37 Pannenberg, a. a. O., 15. 38 K. Barth bringt diesen Zusammenhang dadurch zum Ausdruck, dass er die Unterscheidung zwischen der „literarisch-historische[n] Seite“ historisch-kritischer Exegese und ihrer „literarisch-historischen Seite“ lediglich durch die Hervorhebung im Schriftsatz kenntlich macht, vgl. KD I/2, 811. 39 Aus diesem speziellen Interesse heraus ist die gleichermaßen klassische wie einseitige Aussage E. Käsemanns zu verstehen, nach welcher der neutestamentliche Kanon „als solcher nicht die Einheit der Kirche“, sondern vielmehr „die Vielzahl der Konfessionen“ begründe, vgl. KQsemann, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit, 221. Vgl. dagegen die ebenfalls klassische wie einseitige Charakterisierung der Kirchengeschichte als „Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift“ durch G. Ebeling (vgl. ders., Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung, 22), in der die Beschäftigung mit der Bibel (also auch mit dem neutestamentlichen Kanon) zum Identitätsmerkmal der Kirche erklärt wird, ohne dass dadurch – wie bei Käsemann – die einheitstiftende Funktion der Schrift gegen ihre inhaltliche Vielfalt ausgespielt wird. 40 U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 196. 41 So etwa Kçrtner, Theologie des Wortes, 305.

Die Krise des protestantischen Schriftprinzips

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migkeit der biblischen Texte tatsächlich nur immer wieder neu darum gehen, die unterschiedlichen Stimmen zu Wort kommen zu lassen, miteinander in Beziehung zu setzen und damit auch kritisch auf ihre Aussagekraft in der je konkreten Frage zu überprüfen. Einfacher ist die regulative Funktion der Schrift in literarischer Hinsicht nicht zu haben. Um das Wesen der Krise des protestantischen Schriftprinzips hinreichend zu beschreiben, ist allerdings noch ein weiterer Schritt nötig, nämlich der Blick auf die im engeren Sinne historische Aufgabe der historisch-kritischen Exegese. 1.4 Unüberbrückbare Distanz Die Wahrnehmung des Abstands zwischen Ereignis und Bericht sowie zwischen Leser und Text geschah erklärtermaßen nicht mit dem Ziel, den biblischen Schriften ihre gegenwärtige Relevanz abzusprechen.42 Vielmehr ging es darum, einer vorschnellen, unreflektierten Vereinnahmung der Texte vorzubeugen, um so auf ihren ursprünglichen Sinngehalt zu stoßen, auf dessen Grundlage allein man eine heilsame Wirkung für die Gegenwart glaubte erzielen zu können.43 Die Aneignung der biblischen Texte sollte durch die Rückfrage nach ihrem Ursprungssinn wie durch einen Filter gereinigt werden, um so „aus der Vertrautheit mit den historischen Stoffen und der Bewußtheit ihrer historischen Distanz“ zu einer „sprachkompetenten Vergegenwärtigung“ des ursprünglichen Sinngehalts zu gelangen.44 Wie bereits im Blick auf das literarische Bemühen um die Vielfalt der biblischen Schriften, so ist auch hinsichtlich der historischen Arbeit an den biblischen Texten das Anliegen zu würdigen, den Aussagen der Texte auf den Grund zu gehen. Mag es aus heutiger Perspektive auch vermessen klingen, wenn etwa G. Ebeling den Anspruch einer „durch die Schuttmassen der Tradition zum Urtext durchstoßende[n] Exegese“ erhebt,45 so ist doch anzuerkennen, dass hier nicht nur das Ziel eines textgemäßen Verstehens sehr deutlich zum Ausdruck kommt, sondern auch die Bereitschaft, jene angesichts des geschichtlichen Abstands unleugbaren Hindernisse solchen Verstehens 42 Dies geschah erst im Zuge der philosophischen Kritik des Schriftprinzips, die exemplarisch in G.E. Lessings Klage über den „garstige[n] breite[n] Graben“ zum Ausdruck kommt. Lessing erklärt, dass es ihm unmöglich sei, „zufällige Geschichtswahrheiten“ als „Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten“ zu betrachten. Lessing, Über den Beweis, 12 f. 43 So schon J.S. Semler, vgl. ders., Vorbereitung zur theologischen Hermenevtik I, 90: „Das Evangelium, so die ersten Lehrer und Apostel predigten, ist eine Historie; aller dazu gehörige Vortrag bleibt der Hauptsache nach historisch, wird als eine Begebenheit, welche nun wieder Veränderungen nach sich ziehen sol, an andre mitgetheilet; und blos dieses lezte Stük, daß diese Geschichte von JEsu und seiner Bestimmung für uns, bey den Menschen nun sol genuzt und angewendet werden, verstattet einen Theil des Vortrags, der nicht mehr historisch, sondern nun eine Ermanung und Aufforderung an die Menschen ist.“ 44 U. Barth, a. a. O., 188. 45 Ebeling, Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode, 22.

314 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ nicht zu überspringen, sondern gründlich wahrzunehmen und mit Sorgfalt zu bearbeiten. Eine grundsätzliche Schwierigkeit dieses Unternehmens tut sich jedoch dort auf, wo nicht genügend bedacht wird, dass die Rückfrage nach dem Ursprungssinn der biblischen Texte nicht zu gesicherten Ergebnissen,46 sondern immer nur zu „Wahrscheinlichkeitshypothesen“ führt.47 Dass diese Hypothesen zudem immer wieder zueinander im Widerspruch stehen, liegt in der Natur der Sache. Schließlich verlangen beide zentralen Fragen historischer Forschung, die nach der ursprünglichen Textintention wie auch die nach den historischen Fakten, vom Ausleger ein hohes Maß an eigener Deutungsleistung. Dies zeigt sich, um nur einige Beispiele zu nennen, wenn aus archäologischen Funden Schlüsse für das religiöse Leben im vorexilischen Israel gezogen werden und daraus die theologische Funktion alttestamentlicher Kultkritik erhoben wird,48 oder wenn es um das Verhältnis biblischer Texte zu nichtbiblischen Quellen geht und die Frage im Raum steht, ob das Jahwe-Bekenntnis in Jes 45,5 – 7 („Ich bin Jahwe, und es gibt sonst keinen …“) eher als Annäherung oder als Abgrenzung zu den Nachbarreligionen Israels zu verstehen ist.49 In der neutestamentlichen Exegese kann die Suche nach dem historischen Jesus als eines der eindrücklichsten Beispiele für die unumgängliche Pluralität historischer Deutungen genannt werden.50 Mit der Erkenntnis, „daß der Kern der religiösen Ursprungserfahrung nicht mehr aus den Texten herauszuschälen“ ist,51 stößt das Unterfangen, auf dem Weg über das „historische Wissen“ über die biblischen Texte und ihre Entstehungsbedingungen ein „heilsamliches Wissen“ zu erlangen,52 an bestimmte Grenzen, wobei wiederum davor zu warnen ist, diese Aporien der historischen Forschung mit dem Wesen der Krise des protestantischen Schriftprinzips gleichzusetzen.53 Als problematisch ist vielmehr der bisweilen 46 Von diesem Optimismus zeugt noch die Einschätzung E. Troeltschs, dass „die entscheidenden Haupttatsachen“ des christlichen Glaubens „meines Erachtens in der Tat mit Sicherheit festzustellen“ sind, vgl. Troeltsch, Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu, 154. Freilich kann schon Troeltschs Definition jener Haupttatsachen keineswegs als unumstritten gelten – er nennt als solche „die entscheidende Bedeutung der Persönlichkeit Jesu für die Entstehung und Bildung des Christusglaubens“, den „religiös-ethischen Grundcharakter der Predigt Jesu“ sowie „die Wandelungen, die seine Predigt in den ältesten christlichen Gemeinden des Christuskultus erfahren hat.“ Vgl. ebd. 47 Bieberstein, Text und Kontext, 41. 48 Vgl. etwa Berlejung, Geschichte und Religionsgeschichte, 122 – 129. 49 Vgl. Bieberstein, a. a. O., 51 – 54. 50 Vgl. die klassische Analyse A. Schweitzers, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, sowie aus heutiger Perspektive Theissen/Merz, Der historische Jesus, 21 – 31. 51 Lauster, a. a. O., 442. 52 Semler, Kurze Vorstellung, 31. 53 Es ist der Erwähnung wert, dass die vermeintliche Objektivität der hermeneutischen Doppelbewegung aus historischer Distanzierung und anschließender Vergegenwärtigung jüngst auch im islamischen Kontext kritisch hinterfragt wurde. B. Tatar erläutert mit Blick auf den (in seiner

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geäußerte exklusive Anspruch zu bezeichnen, der in der historisch-methodischen Erforschung einen objektiven Zugang zur wahren Intention der biblischen Texte und mithin den einzig gangbaren Weg wissenschaftlich verantwortbarer und ethisch legitimer54 Schriftauslegung erkennt. Demgegenüber ist die in den letzten Jahrzehnten verstärkt praktizierte Möglichkeit alternativer Auslegungsmethoden und deren grundsätzliche Legitimität nachdrücklich zu unterstreichen.55 Gleichwohl bleibt es das Verdienst beider Teilaufgaben der historisch-kritischen Forschung, der im engeren Sinne literarischen wie auch der im engeren Sinne historischen, der unreflektierten Gleichsetzung eigener Überzeugungen mit den Aussagen der biblischen Texte ein umfangreiches Bündel exegetischer Maßnahmen entgegenzusetzen.56 Bedeutung für die Koranhermeneutik gleichwohl unbestrittenen) historischen Ansatz F. Rahmans, dass dieser durch die positive Setzung bestimmter universaler Begriffe, welche als Rahmen der Vergegenwärtigung fungieren, letztlich einer „Substanzmetaphysik“ verhaftet bleibe. Tatar, Das Problem der Koranauslegung, 114. 54 So Bieberstein, a. a. O., 38. 55 Zu diesen alternativen Auslegungsmethoden gehören u. a. narrative, rezeptionsästhetische, semiotische, pragmalinguistische, intertextuelle, feministische, sozialgeschichtliche und tiefenpsychologische Ansätze. Einen Überblick über die verschiedenen Auslegungsmethoden vermitteln Luz, Zankapfel Bibel; Berg, Ein Wort wie Feuer. 56 Die von J. Lauster geforderte theologische Integration der historisch-kritischen Exegese (vgl. Lauster, a. a. O., 435) ist am ehesten dadurch zu vollziehen, dass man auf dieses grundsätzliche Anliegen verweist: Die historisch-kritische Exegese arbeitet die historische und theologische Pluralität der biblischen Texte heraus und bewahrt so vor der ständigen Gefahr einer vorschnellen Identifizierung der eigenen mit einer angeblich „biblischen“ Position zu dem Zweck, die eigene Autorität zu stützen. Eine solche (positive) Begründung erweist sich jedenfalls als überlegen gegenüber einer rein negativen Begründung, wie sie nicht zuletzt K. Barth in verschiedenen Variationen in seinen offenen Briefen an A. v. Harnack vorgelegt hat. Nach dieser wird der historisch-kritischen Exegese lediglich die Funktion zugestanden, den Beweis dafür zu liefern, dass die vergebliche Suche nach dem Ursprungssinn der Texte tatsächlich vergeblich ist, vgl. etwa BwH, 328: „Kritisch-geschichtliches Studium bedeutet das verdiente und notwendige Ende der ,Grundlagen‘ […], die keine sind“, bzw. BwH, 340: „Uns a posteriori klar zu machen, dass es so nicht geht, daß wir es in der Bibel mit Zeugnissen und immer wieder nur mit Zeugnissen zu tun haben, darin sehe ich die theologische Funktion speziell der historischen Kritik“. Stellt Barths Begründungsversuch gegenüber der emanzipatorischen Begründung der historisch-kritischen Exegese eher eine Unterbestimmung dar, so ist auf der anderen Seite ebenso vor einer theologischen Überbegründung der historisch-kritischen Exegese zu warnen, wie sie in dem bereits erwähnten Aufsatz von Ebeling zu finden ist. Ebeling versteht die kritische Schriftauslegung als notwendige Konsequenz aus dem reformatorischen Schriftverständnis. Anstatt sich wie die römisch-katholische Schriftauslegung „einer letzten, absoluten Lehrautorität“ zu unterstellen, habe sich die protestantische Kirche im Vollzug der historisch-kritischen Exegese dafür entschieden, bezüglich der biblischen Überlieferung „brennen zu lassen, was brennt, und vorbehaltlos zu warten, was sich als unverbrennbar, als echt, als wahr erweist“. Ebeling, Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode, 38 f. In dieser eigenwilligen Aufnahme des Bildes vom reinigenden Feuer aus 1 Kor 3,11 – 15 ist zum einen die suggerierte Voraussetzungslosigkeit historischer Exegese, zum anderen die fehlende Einsicht in die Aporien einer Suche nach dem Ursprungssinn bzw. -geschehen kritisch zu hinterfragen. Letztere wird von Ebeling nur wenige Seiten zuvor immerhin angedeutet, vgl. ders., a. a. O., 36.

316 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ 1.5 Das hermeneutische Dilemma Wurde zu Beginn des Kapitels festgestellt, dass das Wesen des protestantischen Schriftprinzips nicht in der regulativen Funktion der Schrift, sondern in ihrer pneumatologisch begründeten heilstiftenden Wirksamkeit besteht, so ist es nur folgerichtig, weder in der Infragestellung jener regulativen Funktion in Folge der historisch-kritischen Auflösung der Einheit der Schrift noch in den Aporien der Frage nach dem ursprünglichen Sinngehalt das protestantische Schriftprinzip in seinem Wesen bedroht zu sehen. Aus der pneumatologischen Bestimmung des protestantischen Schriftprinzips folgt vielmehr, dass von einer Infragestellung oder Krise dieses Prinzips letztlich nur dort gesprochen werden kann, wo die Bibel gar nicht mehr gelesen wird. Damit aber wird die Krise des protestantischen Schriftprinzips, was einer präzisen Bestimmung nur förderlich sein kann, von einer gesamtkirchlichen oder einer die gesamte theologische Wissenschaft betreffenden Perspektive gelöst und stattdessen vorrangig als eine die theologische Praxis bzw. die Frömmigkeitspraxis von Einzelpersonen betreffende Krise verstanden. Dies ist insofern nur folgerichtig, als es auch bei der durch den Geist gewirkten Erkenntnis des Glaubens im Hören auf die Schrift – jedenfalls nach reformatorischem Verständnis – zunächst um den Glauben der Einzelperson geht.57 Konkret bedeutet eine solche Fokussierung, dass die Krise des protestantischen Schriftprinzips nicht primär an bestimmten institutionellen Phänomenen wie etwa der Etablierung eines „problemorientierten“ statt „bibelorientierten“ Religionsunterrichts58 oder der Frage nach der Anzahl der biblischen Lesungen im Gottesdienst festgemacht wird, sondern vielmehr danach zu fragen ist, woran es liegt, wenn die Bibel ihre Glauben stiftende Wirkung nicht entfalten kann. Sehr pointiert hat sich zu dieser Frage U. Körtner geäußert. Er beschreibt die Krise des protestantischen Schriftprinzips als ein Phänomen der Entfremdung: Ähnlich ratlos wie jener Schatzmeister aus Äthiopien stehen auch heute viele Zeitgenossen vor der Bibel, überzeugte Christen nicht weniger wie kirchenferne Menschen. […] Nicht nur die Vorstellungswelt der Bibel, sondern auch ihre Bedeutung für unser gegenwärtiges Leben ist vielen in unendliche Ferne gerückt. Auch die etablierten Methoden historisch-kritischer Bibelauslegung öffnen nicht mehr recht die Tür zum Verstehen.59

57 Vgl. hierzu U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 41 – 43. 58 Dass eine solche Alternativsetzung den Intentionen des problemorientierten Religionsunterrichts ohnehin nicht gerecht wird, hat zuletzt ausführlich T. Knauth aufgezeigt, vgl. ders., Problemorientierter Religionsunterricht, insbes. 167 – 186. 59 Kçrtner, Der inspirierte Leser, 44 f.

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Diese Beschreibung ist insofern interessant, als sie das soeben hervorgehobene Verdienst der historisch-kritischen Exegese, nämlich die Problematisierung eines allzu selbstgewissen Umgangs mit der Bibel, ihrerseits problematisiert. Die Fremdheit der Bibel wird Körtner zufolge mittlerweile nur allzu deutlich wahrgenommen, „in unendliche Ferne“ ist ihre Vorstellungswelt wie auch ihre gegenwärtige Relevanz gerückt, so dass es mittlerweile an der Möglichkeit fehlt, überhaupt noch eine „Tür zum Verstehen“ zu finden. Mit anderen Worten: Die hermeneutische Doppelbewegung aus historischer Rückfrage bzw. Distanzierung und anschließender Vergegenwärtigung bleibt auf halbem Wege stecken, was laut Körtner zur Folge hat, dass „die Sprache der Bibel für uns selbst weithin schweigt“60 oder die Bibel schlicht „bei vielen Zeitgenossen ungelesen im Bücherschrank steht“.61 Zweifellos wird das Problem von Körtner sehr pauschal formuliert, weshalb noch einmal daran erinnert sei, dass eine präzise Beschreibung der Krise des protestantischen Schriftprinzips sich vor allgemeinen Urteilen über kirchliche oder gesellschaftliche Zustände besser hüten und stattdessen nach konkreten Lese- und Verstehenshindernissen fragen sollte.62 Gleichwohl trifft Körtners Diagnose den Kern des Problems. Sie lenkt den Blick auf das entscheidende hermeneutische Dilemma, nämlich jenes zwischen einer unkritischen Vereinnahmung der Schrift durch den sich seiner Sache allzu sicheren Ausleger einerseits und einer drohenden dauerhaften Entfremdung zwischen Ausleger und Schrift andererseits. In diesem Dilemma stehen alle Versuche, die Aussagen (nicht nur) der biblischen Texte trotz ihrer literarischen Vielfalt und der historischen Distanz solchermaßen zu verstehen und verständlich zu machen, dass es in der Begegnung mit dem fremden Text zu echtem Verstehen kommt,

60 Kçrtner, a. a. O., 38. Dementsprechend hält Körtner eine Überwindung der Sprachlosigkeit dort für möglich, wo das „Denken“ des christlichen Glaubens „neu geboren wird aus der ihm vorausliegenden Sprache der Glaubensüberlieferung, aus der Sprache der Texte der Bibel.“ Vgl. Kçrtner, a. a. O., 38. 61 Kçrtner, a. a. O., 63. Zu einer ähnlichen Diagnose gelangt Zimmerling, Evangelische Spiritualität, 32, der (im Jahr 2003) davon ausgeht, dass „die derzeit sicher größte Gruppe [an Gemeindegliedern] die Bibel als ernst zu nehmendes Gegenüber“ ganz aufgegeben habe. 62 In die Reihe derer, die die Krise des protestantischen Schriftprinzips vor allem als eine gesellschaftliche Krise verstehen, reiht sich auch A. Beutel ein, vgl. ders., Lutherische Theologie, 347: „Wo die Bibel heutzutage überhaupt noch eine Rolle spielt, da hat sich der Umgang mit ihr fast vollständig privatisiert“. Derlei pessimistische Einschätzungen werden im Übrigen durch die empirische Forschung keineswegs bestätigt, vgl. Ebner/Gabriel, Bibel im Spiegel sozialer Milieus, 20 – 22, 392 – 397, 489 f. Sie lassen sich aber auch schon mit Blick auf die schlichte Tatsache hinterfragen, dass an einem durchschnittlichen Sonntag alleine in Deutschland über vier Millionen Menschen in den evangelisch-landeskirchlichen und römisch-katholischen Gottesdiensten Zeugen öffentlicher Bibellesungen werden. Hinzu kommen die Besucherinnen und Besucher freikirchlicher Gottesdienste und die Zuschauerinnen und Zuschauer von Fernsehgottesdiensten. Vgl. Kirchenamt der EKD, Evangelische Kirche in Deutschland, sowie Sekretariat der DBK, Katholische Kirche in Deutschland.

318 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ auf die Bibel bezogen: zum Glauben an den dreieinigen Gott, der sich durch seinen Geist im Hören auf die Schrift kundtut. Für dieses Dilemma lässt sich keine einfache Lösung im Sinne eines Kompromisses nach der Formel „so viel Distanz wie nötig, so wenig Entfremdung wie möglich“ denken. Auch lässt es sich nicht als eine Gratwanderung zwischen den Gefahren der Vereinnahmung und der Entfremdung beschreiben. Wird – im Gefolge des protestantischen Schriftprinzips – zugestanden, dass es in der Begegnung mit den biblischen Schriften um „heilsamliches Wissen“63 geht, das zu einer existenziellen Veränderung führt, so verbietet sich eine solche abwägende Lösung von vornherein. Stattdessen ist davon auszugehen, dass die Fremdheit der biblischen Texte immer wieder als Ausgangspunkt der Exegese anzuerkennen ist und sich – ganz im Sinne von Barths Schriftlehre – nur immer wieder aufs Neue im Ereignis der Selbstkundgebung des göttlichen Geistes im Hören auf das Zeugnis der Schrift überwinden lässt. Vom menschlichen Standpunkt aus gesehen geht es also darum, weder die Fremdheit gegenüber den Texten noch die Vertrautheit mit den Texten als Dauerzustand zu etablieren, sondern sowohl Fremdheit als auch Vertrautheit immer wieder neu zu suchen, zu finden – und anschließend wieder zu überwinden. Für die Bewertung von Barths Schriftauslegung im Rahmen dieses Schlusskapitels bedeutet dies, dass es um eine simple Verortung Barths zwischen den Gefahren der Vereinnahmung und der Entfremdung ebenso wenig gehen kann wie um die Erwartung einer einfachen oder endgültigen Lösung des Dilemmas. Wohl aber ist zu fragen, ob Barth in seiner Schriftauslegung das soeben beschriebene Dilemma wahrgenommen hat und falls ja, inwiefern sein Umgang damit als produktiv und lehrreich zu bezeichnen ist. Diese Fragen treffen sich letztlich mit den in der Einleitung definierten Bewertungskriterien, nach denen Barths Auslegungspraxis danach zu beurteilen ist, ob in ihr einerseits inhaltliche Aspekte zutage gefördert werden, die einen Beitrag zu einem sachgemäßen Verständnis des christlichen Begriffs von Gottes Geduld, Erwählung etc. leisten, und andererseits die biblischen Texte als ein eigenständiges Gegenüber wahrgenommen werden.

2. Zur Einordnung von Barths Schriftauslegung Bevor nach dieser Analyse der Krise des protestantischen Schriftprinzips danach gefragt werden kann, was vor dem Hintergrund jener Krise von Karl Barths Schriftauslegung zu lernen ist und welche Akzente über sie hinaus zu setzen sind, ist es notwendig, zu einer differenzierten Einschätzung des Verhältnisses zwischen Barths Schriftauslegung und der historisch-kritischen 63 Semler, Kurze Vorstellung, 31.

Zur Einordnung von Barths Schriftauslegung

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Exegese zu gelangen. Die Notwendigkeit, diesem Verhältnis nachzugehen, ergibt sich nicht nur mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte, sondern vor allem angesichts der soeben aufgeworfenen Frage, ob Barth das hermeneutische Dilemma zwischen Vereinnahmung einerseits und Entfremdung andererseits überhaupt wahrgenommen hat. Die besondere Chance der vorliegenden Arbeit besteht darin, sich nicht auf die theoretischen Aussagen Barths über die historisch-kritische Exegese beschränken zu müssen,64 sondern zusätzlich das reichhaltige Material von Barths Auslegungspraxis in der KD mit einzubeziehen. Diese Vorgehensweise verspricht zugleich, weitere Einsichten in das Verhältnis zwischen Barths Auslegungspraxis und den in der Schriftlehre entwickelten hermeneutischen Grundlinien zu gewinnen. 2.1 Vorkritisch, nachkritisch, nebenkritisch, metakritisch, unkritisch … 2.1.1 Barths Exegese im Spiegel seiner Ausleger Das Verhältnis zwischen Barths Exegese und der historisch-kritischen Schriftauslegung bietet seit Beginn der Barth-Rezeption Anlass zu lebhaften Diskussionen. Innerhalb der verschiedenen Interpretationsversuche lassen sich zwei Richtungen unterscheiden: Auf der einen Seite stehen Ausleger, nach deren Ansicht Barth „die historische Kritik völlig vernachlässigt“65 bzw. „schlicht gemieden“66 hat. In der Folge wird Barths Schriftauslegung mit dem Verdikt einer „vorkritischen Bibelexegese“ belegt.67 Auf der anderen Seite stehen jene Interpreten, die Barths eigenes Bekenntnis zum Recht der historisch-kritischen Exegese68 für glaubwürdig halten69 und die Zurückstellung historisch-kritischer Methodenschritte in der Auslegungspraxis als Ausdruck 64 Eine solche Einschränkung liegt u. a. in folgenden Untersuchungen vor : Lindemann, Karl Barth und die kritische Schriftauslegung; Smend, Nachkritische Schriftauslegung; Kirschstein, Der souveräne Gott; Burnett, Karl Barths’s Theological Exegesis; Schmithals, Zu Karl Barths Schriftauslegung. 65 Konrad, Abbild und Ziel, 167. Ähnlich Heidtmann, Engel, 109, der in seiner Analyse zu Barths Auslegung von Offb 4 in KD III/3 eine form- bzw. gattungsgeschichtliche Einordnung des biblischen Textes vermisst. 66 Wilckens, Schriftauslegung in historisch-kritischer Forschung, 41. Ähnlich Childs, Myth and Reality, 101. 67 So U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 198. Ähnlich H. Ellermeier, Karl Barth, 279 f, die von einem „Rückzug Barths aus der neuprotestantischen Zweipoligkeit von Gegenwart und Vergangenheit“ spricht und diesen als „illusorisch“ bzw. als einen „Gewaltakt“ bezeichnet. Der „Rückzug auf das Eine der Schrift“ sei letztlich ein Rückfall hinter die Erkenntnis E. Troeltschs, derzufolge das „Wesen“ einer Sache stets im Wandel begriffen sei. Ellermeier, a. a. O., 280. 68 Vgl. u. a. Römerbrief II, 11; BwH, 340; Die Auferstehung der Toten, IIIf; KD I/2, 513. 69 So u. a. Lindemann, a. a. O., 82. Vgl. ebenfalls Wharton, Karl Barth as Exegete, 6: „Barth’s exegesis is by no means to be understood as a rejection of, or even in principle an alternative to historical-critical exegesis.“

320 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ einer „nachkritischen“70, „nebenkritischen“71 oder „metakritischen“72 Schriftauslegung begreifen. Barth, so lautet die Argumentation, sei zwar durch die Schule der historischen Kritik gegangen, wolle jedoch nicht bei deren Fragestellungen verharren, sondern in einer „theologischen Exegese“ zu einem vertieften Verständnis der biblischen Texte gelangen.73 Beide Seiten stimmen freilich darin überein, dass sie Barths Schriftauslegung wesentlich durch ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von der historisch-kritischen Exegese geprägt sehen. W. Schmithals schlägt deshalb vor, sich zur Bezeichnung von Barths Schriftauslegung auf die übergeordnete Kategorie einer „unkritischen“ Schriftauslegung zu einigen.74 Der folgende Überblick steht solchen schlagwortartigen Bewertungen eher skeptisch gegenüber und versucht stattdessen, in einer differenzierten Vorgehensweise die wichtigsten Differenzen und Übereinstimmungen zwischen Barths Schriftauslegung und historisch-kritischer Exegese zu bestimmen.

2.1.2 Der historische Abstand in Barths Schriftauslegung Ausgehend von den im zweiten Hauptteil der vorliegenden Studie angestellten Analysen von Barths Auslegungspraxis in der KD Ist zunächst festzuhalten, dass die historisch-kritische Untersuchung der biblischen Texte in Barths Exegese zweifellos eine untergeordnete Rolle spielt. Zwar kann von einer völligen oder gar prinzipiellen Weigerung, historisch-kritische Überlegungen anzustellen, keine Rede sein, ebenso wenig jedoch von einer durchgehenden Anwendung derselben. Das Hauptargument für die partielle Berechtigung der Bezeichnung von Barths Schriftauslegung als einer „unkritischen“ Schriftauslegung ist in einer bestimmten, durchaus als prinzipiell zu bezeichnenden Weigerung Barths zu erblicken, welche eine der Grundannahmen historisch-kritischer Schriftauslegung betrifft. Gemeint ist die Weigerung, den doppelten historischen Ab70 Vgl. den Titel des bereits erwähnten Aufsatzes von Smend, Nachkritische Schriftauslegung, der von M. Trowitzsch vor einigen Jahren aufgenommen und weitergeführt wurde, vgl. Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung, 73. 71 Smend, a. a. O., 227, der diese Charakterisierung auf die späteren Exegesen Barths anwendet. 72 So E. Jüngel mit Blick auf die frühen Kommentare Barths. Vgl. JRngel, Barth-Studien, 83 – 98, bes. 88 f. 73 Vgl. Smend, a. a. O., 228; Ders., Karl Barth als Ausleger, 26; Wilckens, Schriftauslegung in historisch-kritischer Forschung, 41. 74 Schmithals, Zu Karl Barths Schriftauslegung, 47. Dass auch dieser Kompromissvorschlag seine Tücken birgt, zeigt sich freilich darin, dass der Begriff „unkritisch“ zur Charakterisierung von Barths Schriftauslegung auch deutlich abwertender verwendet werden kann, als dies bei Schmithals geschieht, so etwa durch J.-F. Konrad, vgl. ders., Abbild und Ziel, 147 bzw. 149. Grundsätzlich skeptisch gegenüber der Unterscheidung zwischen vorkritischer („pre-critical“) und nachkritischer („post-critical“) Schriftauslegung äußert sich J. Barton, vgl. ders., The Future of Old Testament Study, 15.

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stand zwischen Geschehen und Text sowie zwischen Text und Leser in der Weise ernst zu nehmen, wie dies etwa von W. Pannenberg gefordert wird. Barth verzichtet in seinen Auslegungen auf jene Doppelbewegung der historischen Exegese, die zunächst per Rückfrage nach dem Ursprungsgeschehen oder -sinn die historische Distanz zum Text stark macht, um sie anschließend in einer „sprachkompetenten Vergegenwärtigung“ wieder zu überwinden.75 Stattdessen zielt er – besonders in seinen Nacherzählungen76 – immer wieder auf eine unmittelbare Einbeziehung seiner Leserinnen und Leser in das in den biblischen Texten bezeugte Geschehen. Das in der Schriftlehre in KD I/2 formulierte Anliegen, dass sich im Lesen und Hören auf die biblischen Texte je und je Gottes Wort ereigne und von den Leserinnen und Lesern in ihrer jeweiligen Gegenwart Besitz ergreife, spiegelt sich wider in der Lebendigkeit, in welcher Barth vor allem biblische Erzählungen, aber auch erörternde Passagen wie z. B. Röm 7,7 – 25 seinen Lesern vor Augen malt. Barths Verzicht auf die historische Rückfrage steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner negativen Begründung der historisch-kritischen Exegese, nach der diese ihre Funktion darin erfüllt, dass sie die Frage nach dem Ursprungssinn als eine vergebliche Frage entlarvt. Eine bleibende und unverzichtbare Aufgabe kann der historischen Exegese auf dieser Grundlage nicht zugesprochen werden. Folglich reagiert Barth auf die Hypothesen der historischen Forschung immer wieder mit jener Indifferenz, die exemplarisch in der gleichsam achselzuckenden Bemerkung zum Ausdruck kommt, mit der Barth in der Auslegung der Schöpfungssagen in KD III/1 auf H. Gunkels quellengeschichtliche Hypothese zur unterschiedlichen Bewertung des Wassers in Gen 1 und 2 reagiert: „Warum soll es damit nicht seine Richtigkeit, aber warum soll es dabei sein Bewenden [haben], warum soll das das letzte und eigentliche Wort zu dieser Sache sein?“ (KD III/1, 274) Der historischen Forschung wird (auch) in diesem Zusammenhang keineswegs ihre Berechtigung abgesprochen, das „letzte und eigentliche Wort zu dieser Sache“ kann Barth ihr jedoch nicht erteilen.77 75 Vgl. U. Barth, a. a. O., 188. 76 Zu Barths narrativer Exegese vgl. die Kapitel B 4 und B 5. Weitere Beispiele finden sich u. a. in KD I/2, 460 – 462 (Der barmherzige Samariter); II/1, 65 f (Mose am brennenden Dornbusch); II/ 1, 134 – 136 (Paulus auf dem Areopag); II/2, 681 – 701 (Der reiche Jüngling); III/2, 566 f (Die Emmaus-Jünger); III/2, 574 f (Die Verklärung Jesu); III/2, 575 f (Jesu Taufe am Jordan); III/2, 576 f (Die Kindheitsgeschichten); III/4, 263 – 265 (Jesus und die Ehebrecherin); III/4, 279 f (Der zwölfjährige Jesus im Tempel); III/4, 354 – 362 (Der Turmbau zu Babel); IV/1, 287 – 300 (Jesu Versuchung nach Mt 4,1 – 11 par und in Getsemane); IV/1, 712 – 717 (Nacherzählung der Geschichte des Galaterbriefs); IV/2, 250 – 252 (Die Wunderberichte der Evangelien, bes. die Jairusgeschichte und die Auferweckung des Lazarus); IV/2, 434 f (Die Beschämungen des Petrus, bes. die Verleugnung); IV/2, 903 f (Die Salbung Jesu). 77 Weitere Beispiele für diese die Bedeutung historisch-kritischer Forschungsergebnisse relativierende, achselzuckende Haltung finden sich u. a. an folgenden Stellen: KD I/1, 330 (zur redaktionsgeschichtlichen Verortung von Mt 28,19); I/1, 420 (zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der Bezeichnung Jesu als Kyrios); II/2, 414 (zur Verfasserfrage der Davids-Psal-

322 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Auffallend ist freilich, dass Barth den Abstand zwischen den biblischen Texten und den heutigen Leserinnen und Lesern nicht durch eine Applikation im klassischen Sinn zu überwinden versucht. Es werden keine thematischen Querverbindungen zu (gegenwärtigen) dogmatischen oder ethischen Fragen gezogen, die dann in eine bestimmte Stellungnahme zu jenen Fragen münden. Viel eher ist Barths Strategie dahingehend zu beschreiben, dass er die in den Texten traktierten Probleme sowie die darin redenden und handelnden Figuren so eindrücklich vor Augen malt, dass die Leserinnen und Leser sich selbst als Teil der alten Geschichten und diese somit als unabgeschlossen begreifen können. Die Leserinnen und Leser werden auf diese Weise eingeladen, die in den biblischen Texten beschriebenen (und als solche gedeuteten) Widerfahrnisse göttlichen Handelns als Zeugnisse von der die Zeiten überdauernden Gnade des Schöpfers zu begreifen. Sie werden eingeladen, mit Jeremia gegen die Sünde des Hochmuts anzukämpfen, mit Kain und Jona ihre Existenz als eine der göttlichen Geduld verdankte Existenz zu begreifen und mit Paulus das dramatische Geschehen der Rechtfertigung als eines Übergangs zu erleben. 2.2 … oder doch kritisch? 2.2.1 Anwendung historisch-kritischer Methodenschritte Trotz des soeben dargestellten Gegensatzes wird eine Charakterisierung von Barths Schriftauslegung als „unkritisch“ dem Sachverhalt nicht gerecht. Diese Einschätzung verdankt sich nicht allein dem Respekt gegenüber dem Selbstanspruch, den Barth zeitlebens vertreten hat, nämlich kritische Schriftauslegung zu betreiben,78 sie ergibt sich auch mit Blick auf die konkrete Anwendung historisch-kritischer Methodenschritte innerhalb der exegetischen Exkurse in der KD. Dabei fällt auf, dass Barth im Unterschied zur historischen Frage nach dem Ursprungsgeschehen der im engeren Sinne literarischen Frage, was die biblischen Autoren je für sich sagen wollten, durchaus Gehör verschafft. Mit besonderem Nachdruck geschieht dies in den zahlreichen synoptischen men); IV/1, 639 (zur redaktionsgeschichtlichen Einordnung des Hiob-Schlusses); IV/2, 377 (zur Frage nach religionsgeschichtlichen Bezügen und der literarischen Herkunft von Röm 11,36); IV/2, 204 (zur Traditionsgeschichte der Lobgesänge in Lk 1 f). 78 Die erwähnten Beteuerungen, das Recht der historisch-kritischen Exegese anzuerkennen, werden werkgeschichtlich eingerahmt durch das Vorwort zur zweiten Auflage des frühen Römerbriefkommentars (vgl. Römerbrief II, 14: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“) sowie das Symposium zu Barths 80. Geburtstag, auf dem Barth sich weigerte, sich auf den Kompromissvorschlag Smends bzw. die Charakterisierung seiner Exegese als „nachkritische Schriftauslegung“ einzulassen – mit der Begründung, dass Schriftauslegung „immer fundamental kritisch“ sein müsse. Smend, Ausleger, 242, vgl. ebenfalls Busch, Meine Zeit mit Karl Barth, 484.

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Vergleichen.79 Barth wehrt sich dagegen, Widersprüche zwischen den Synoptikern „durch Harmonisierung zu beseitigen“.80 Vielmehr hält er es für notwendig, die jeweiligen Unterschiede pointiert herauszuarbeiten, um so der Bedeutungsvielfalt einzelner Episoden im Leben Jesu gerecht zu werden. Beispielhaft sei hier noch einmal an die Auslegung der beiden Erzählungen von der nachösterlichen Beauftragung der Jünger in KD II/2 erinnert.81 Barth unterstreicht, dass diese Beauftragung nach Mt 28,16 in Galiläa geschieht und unmittelbar durch Jesus selbst erfolgt, nach dem lukanischen Bericht aber in Jerusalem (Lk 24,36 f; Apg 1,8) und mit dem Verweis auf „die Schrift“, in welcher der Auftrag zur Mission bereits enthalten sei (Lk 24,45 – 47). Barth hält die „sachliche Belehrung, die wir durch diese Varianten empfangen“, für „wichtiger als die geschichtliche Schwierigkeit, die man insbesondere angesichts der ersten von ihnen [nämlich der Ortsfrage] mit Recht empfinden mag.“ (KD II/2, 479) Folglich versucht er, beiden Darstellungen eine theologische Bedeutung abzugewinnen: Es ist eben sachlich Beides wahr und Beides zu bedenken: daß der Auftrag des Auferstandenen – wie Matthäus, indem er ihn nach Galiläa verlegt, offenbar sagen will – kein anderer ist als der, den Jesus vor seinem Tod seinen Jüngern zur Ausrichtung an Israel gegeben hat, und: daß er kraft seiner Auferstehung der Auftrag ist, in dessen Ausführung das Wort Gottes von Zion aus an die ganze Welt ergeht. Und es ist wieder sachlich Beides wahr und Beides zu bedenken: Er ist der Auftrag, den erst Jesus selber geben konnte und gegeben hat, und der nun doch gerade als solcher die erfüllte Schrift, der Inhalt des ganzen Alten Testamentes ist. (Ebd.)

Es ist nicht zu leugnen, dass das Anliegen, die biblischen Autoren je für sich sprechen zu lassen, in dieser Vorgehensweise zur Geltung kommt. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Barth sich durch die unterschiedlichen Darstellungen nicht zu einer Abwertung des einen Textes zugunsten des anderen veranlasst sieht. Beide Berichte werden in jenem größeren Rahmen verstanden, dass sie Zeugnis ablegen wollen von der umfassenden Heilsbedeutung des Kommens Jesu in die Welt.82 Zweifellos kennt das Anliegen der literarischen Differenzierung in Barths Auslegungspraxis auch bestimmte Grenzen. Dies gilt zunächst für die Frage 79 Vgl. hierzu insbesondere die Auslegungen zum Apostolat (KD II/2, 477 – 498) sowie zur synoptischen Judas-Überlieferung (II/2, 508 – 563), in denen immer wieder synoptische Vergleiche angestellt werden, vgl. II/2, 479, 480, 493, 494, 495, 496, 514, 516, 518, 520. Weitere Beispiele finden sich in I/2, 191, 419; II/2, 683 f; III/3, 594 f; IV/1, 194 f, 277 f, 287 – 290; IV/2, 153, 903; IV/ 3, 724; IV/4, 70, 105. 80 KD II/2, 518. Den Kontext der Aussage bilden die unterschiedlichen Darstellungen vom Ende des Judas in Mt 27,3 – 5 bzw. Apg 1,18. 81 Vgl. B 2, Abschnitt 2.4.2. 82 Entsprechend geht es Barth in den synoptischen Vergleichen immer wieder darum, „sowohl die Einheit als auch die Verschiedenheit“ der jeweiligen Varianten zum Ausdruck zu bringen, vgl. KD I/2, 419.

324 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ nach unterschiedlichen Quellenschichten innerhalb der biblischen Texte. Dass Barth die literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Hypothesen innerhalb der exegetischen Fachdiskussion nicht zur Kenntnis genommen hätte, trifft zwar ebenso wenig zu wie die Vermutung, Barth habe in solchen Fragen stets für die literarische Einheit der biblischen Bücher plädiert.83 Allerdings geschieht die Aufnahme redaktionsgeschichtlicher Fragen fast ausnahmslos unter dem Vorbehalt, dass für ein theologisches Verständnis weder die Verfasserfrage84 noch eventuelle Vorstufen, sondern letztlich der vorliegende kanonische Endtext entscheidend sei.85 Zusätzlich finden sich hier und da explizite Äußerungen, die von einem hohen Respekt vor der theologischen Leistung der Endredaktoren zeugen.86 Ähnliches ist zu Barths Aufnahme der religionsgeschichtlichen Forschungsergebnisse zu sagen. Wieder ist zunächst festzuhalten, dass Barth diese keineswegs selten in seinen Auslegungen rezipiert,87 bisweilen auch ei83 Als selbstverständlich gilt Barth die Quellenscheidung im Hexateuch (vgl. die Auslegung von Gen 1 – 2 in KD III/1, welche in Kapitel B 3 ausführlich thematisiert wird, sowie entsprechende Aussagen in III/4, 60, 401 – 403; IV/1, 26, 475, 566 f; IV/3, 663), in den Samuel- und Königebüchern (II/2, 411; IV/1, 488; IV/2, 524), im Buch Hiob (IV/3, 490, 491, 494) und in den Psalmen (II/2, 414; IV/1, 645), ebenso die redaktionsgeschichtliche Unterscheidung zwischen Proto-, Deutero- und Trito-Jesaja (IV/3, 116; IV/3, 561) sowie die These vom unechten Markus-Schluss (vgl. I/2, 15; II/2, 479). Weitere Beispiele für die Aufnahme literarkritischer und redaktionsgeschichtlicher Probleme finden sich in IV/1, 211, 287, 527; IV/2, 507; IV/3, 215; IV/4, 51, 56, 132. 84 Vgl. II/2, 414; IV/3, 1. 85 Vgl. etwa I/1, 330; M.W. lassen sich nur zwei Stellen nennen, an denen eine literarkritische Ausscheidung eines Verses explizit mit einer theologischen (Ab-)Wertung verbunden wird. Die erste findet sich in IV/1, 645, wo Ps 51,20 f als „Zusatz eines Späteren“ bezeichnet werden, „der sich offenbar mit dem v 18 – 19 über das Opfer Gesagten nicht zufrieden zu geben vermochte.“ In der Konsequenz werden die Verse 20 f in der anschließenden Einzelversauslegung von Barth ausgelassen. Das zweite Beispiel findet sich in IV/3, 491, wo Barth in der Auslegung von Hiob 28 den „bekannte[n] Spruch“ von der Furcht des Herrn als Anfang der Weisheit als „in seiner ganzen Vortrefflichkeit hier doch konventionell und abschwächend“ empfindet und feststellt, dass er „vermutlich als Glosse eines besorgten Abschreibers als v28 hinzugefügt worden ist.“ Anzumerken ist, dass Barth im ersten Fall dem vorherrschenden Urteil der zeitgenössischen Kommentare folgt, vgl. Weiser, Psalmen, 277, sowie Gunkel, Psalmen, 226, während er im zweiten Fall in einer umstrittenen Frage (vgl. Weiser, Hiob, 199, dagegen Hçlscher, Hiob, 70) für die quellenkritische Option votiert. 86 Vgl. etwa II/2, 411, zur Zusammenstellung der Geschichten von Saul und David in den beiden Samuelbüchern, sowie IV/1, 639, zur Endredaktion des Hiobbuches. 87 Dabei verweist Barth u. a. auf Traditionen der antiken Mysterienkulte (II/1, 492; IV/4, 119 – 120, 167) sowie auf gnostische (I/2, 147; II/1, 495; IV/4, 130), mandäische (III/1, 355; IV/2, 711), buddhistische (I/2, 167, 194), zoroastrische (I/2, 167; III/1, 55, 132), persische (III/1, 182, 238), hellenistische (I/1, 420; I/2, 194; II/1, 482; II/2, 102, 104; III/1, 238; IV/2, 180; IV/3, 337; IV/4, 132) und römische Vorstellungen (I/1, 420; III/1, 238). Des Weiteren thematisiert er – vor allem in der Auslegung von Gen 1 – 2 in KD III/1 – zum Teil sehr ausführlich babylonische (III/1, 95 – 98, 124 f, 152, 182 – 184, 185, 237 f, 275, 325; IV/1, 638), ägyptische (I/1, 420; I/2, 167, 194; III/1, 370 f; IV/1, 474) und kanaanäische Mythen (III/1, 184 f; IV/3, 105; IV/1, 474) sowie spätjüdischantike Überlieferungen (I/1, 420; I/2, 194; II/2, 102, 104; IV/2, 180, 604, 641 f, 711; IV/3, 125, 337; IV/4, 49 f, 132).

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genständige Überlegungen auf diesem Gebiet anstellt.88 Die Aussagekraft religionsgeschichtlicher Bezüge wird jedoch noch kritischer gesehen als die der literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Teilungshypothesen. Nicht nur wird ihre Relevanz für die gegenwärtige theologische Auslegung als äußerst gering eingeschätzt.89 Zusätzlich geht Barth davon aus, dass die Aufnahme religiöser Vorstellungen aus der Umwelt des Alten und Neuen Testaments in erster Linie in Abgrenzung und Kritik geschehen sei, wofür als Beispiel die mehrfach betonte Unvereinbarkeit der neutestamentlichen Bedeutung des Kyrios-Titels mit den entsprechenden Titulierungen „im hellenistischen Ägypten“, „in Syrien“ oder „in der römischen Kaiserreligion“ gelten kann.90 Der Vollständigkeit halber sei schließlich darauf verwiesen, dass Barth sich in seinen Auslegungen wiederholt zu Fragen der Übersetzung,91 der Textkritik,92 der Gattung bzw. Form93 sowie der grammatischen bzw. syntaktischen Struktur94 einzelner Verse wie auch zur übergreifenden Textstruktur bestimmter Abschnitte95 äußert. Hinzu kommen zahlreiche Wortuntersuchungen,96 in denen Barth besonders häufig – und immer wieder auch kritisch – mit dem von G. Kittel begründeten Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament arbeitet,97 einzelne motivgeschichtliche Untersuchungen98 sowie

88 Vgl. u. a. II/1, 129 – 136: Barth betont hier das souveräne Handeln des Schöpfers in Gen 1 – 2 im Unterschied zu den religionsgeschichtlichen Parallelen; IV/2, 220 f, 223 f: Barth untersucht den rabbinischen bzw. den stoischen Hintergrund der neutestamentlichen Bezeichnung Jesu als did²sjakor bzw. j/qun; IV/2, 235 – 238: Barth vergleicht die Wunder Jesu mit antiken Wundertätern; IV/2, 861: Barth vergleicht den Gottesbegriff Platons sowie des Aristoteles mit der biblischen Rede von der innergöttlichen Liebe. 89 Vgl. etwa IV/2, 377: „Mag es mit der literarischen und religionsgeschichtlichen Herkunft der berühmten Formel Röm. 11,36 […] stehen, wie es will“. 90 Vgl. I/1, 460; IV/2, 180. 91 Vgl. II/1, 415; II/2, 104; III/1, 221, 222; III/4, 191, 769; IV/1, 365, 653, 658, 695; IV/2, 209, 223, 606 f, 719, 887, 949; IV/3, 608, 691; IV/4, 118 – 120. 92 Vgl. I/2, 191; II/2, 226, 425; III/1, 191 f; III/3, 518, 586; IV/2, 153; IV/3, 905; IV/4, 85, 104, 132. Eine kurze Analyse von Barths Umgang mit textkritischen Fragen bietet Baxter, Barth – a Truly Biblical Theologian, 9 – 12. 93 Vgl. IV/1, 644; IV/2, 208 f, 409; IV/3, 336. 94 Vgl. I/1, 406; II/2, 103, 225, 247 f, 327, 769; III/1, 342; IV/1, 434, 650; IV/2, 218 f, 408, 640, 720, 949; IV/3, 873, 879, 987; IV/4, 78 f, 89, 108 f. 95 Vgl. II/2, 254, 256; IV/1, 472, 507, 644 f; IV/2, 952. 96 Ein besonders interessantes Beispiel hierfür stellt die umfangreiche Untersuchung zu paqadoOmai im Exkurs über Judas in KD II/2, 533 – 563, dar, vgl. hierzu in dieser Studie Abschnitt 2.2.3 sowie ausführlicher McGlasson, Jesus, 143 – 147. 97 Vgl. u. a. I/2, 423; II/2, 707 – 713; III/1, 226 f; III/4, 689; IV/2, 217, 224, 566, 604, 641, 709, 720; IV/ 3, 11, 337, 558, 1042. Dass Barth dem Unternehmen dieses Wörterbuchs insgesamt positiv gegenüberstand, geht aus einer Bemerkung in KD I/2, 547, hervor. 98 Neben den motivgeschichtlichen Untersuchungen in der Auslegung von Gen 1 – 2 in KD III/1 sei auf folgende Stellen verwiesen: II/2, 439; III/1, 125; III/2, 715 – 721; III/3, 542 f; III/4, 273 f; IV/1, 486; IV/2, 205 – 208.

326 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Informationen zur geschichtlichen Umwelt des Alten und Neuen Testaments,99 zu archäologischen Funden100 und zur Auslegungsgeschichte einzelner Stellen.101 Es bleibt festzuhalten, dass sich sowohl historisch-kritische Ergebnisse als auch eigene Überlegungen im Anschluss an historisch-kritische Fragestellungen in großer Anzahl in den exegetischen Passagen der KD beobachten lassen, ohne dass man von einer durchgehenden Berücksichtigung jener Fragestellungen sprechen könnte.102 2.2.2 Schrift versus Tradition Folgt man der bilanzierenden Analyse U. Barths, nach der ein wesentlicher Ertrag der historisch-kritischen Schriftauslegung in ihrer „Emanzipationsfunktion“ begründet liegt, durch welche sich die biblische Exegese „aller vermeintlich biblisch begründeten Lehr- und Bekenntniszwänge“ entledigt,103 so ist Karl Barths Exegese in dieser Hinsicht zweifellos als kritisch zu bezeichnen. Zwar sind die zahlreichen auslegungsgeschichtlichen Bezüge besonders zur Bibelexegese der Reformatoren durchgehend von hohem Respekt geprägt,104 dies hindert Barth jedoch nicht daran, sich gerade aufgrund seiner Schriftauslegung in zentralen dogmatischen Themen in flagranten Widerspruch zu deren Positionen zu setzen.105 Interessanterweise stammen die beiden herausragenden Beispiele hierfür aus den zeitlich weit auseinander liegenden Bänden KD II/2 und KD IV/4. Gemeint ist die exegetisch begründete Ablehnung der Lehre von der doppelten Prädestination calvinischer Prägung106 sowie das ebenfalls so gut wie ausschließlich exegetisch begründete Plädoyer für die Erwachsenentaufe, mit dem Barth sich sehenden Auges nicht nur in Opposition zu den Reformatoren, sondern zugleich zu den zeitgenössischen kirchenleitenden Instanzen begibt.107 99 Vgl. IV/1, 504, 520 – 522; IV/2, 180, 220 – 226, 252 – 257, 505; IV/4, 132. 100 Vgl. III/4, 355; IV/1, 525. 101 Vgl. u. a. I/1, 422 – 426, 480; I/2, 62, 68, 70 f, 166, 200, 262, 455, 462 f; II/1, 137 f; II/2, 395, 402, 640, 687; III/1, 42 – 44, 110 f, 162, 216 – 219; IV/2, 504, 759 f; IV/3, 468, 723, 987; IV/4, 134, 136. 102 Dem Urteil Chr. Baxters ist zuzustimmen: „The historical-critical method is always an aid to exegesis rather than a tool for analysis for Barth.“ Vgl. Baxter, The Nature and Place of Scripture, 37. 103 U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 196. 104 Vgl. hierzu auch das pointierte Lob auf die Schriftauslegung Luthers und Calvins gegenüber den zeitgenössischen Auslegungen, Römerbrief II, 12 f. 105 Vgl. Brown, Scripture and Tradition, 4 f: „While he [Barth] aligns himself at many points with the old orthodoxy […], he also displays a remarkable freedom from it whenever that freedom is necessitated by his allegiance to the Word of God mediated through Scripture.“ 106 Vgl. a. a. O., 10 – 12. 107 Zu Barths Tauflehre vgl. grundlegend JRngel, Karl Barths Lehre von der Taufe, sowie SchlRter, Karl Barths Tauflehre. Zu den Reaktionen der kirchenleitenden Gremien vgl. Viering, Zu Karl Barths Lehre von der Taufe.

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In diesen dogmatischen Entscheidungen zeigt sich, dass das kritische Potential von Barths Schriftauslegung zumindest in Bezug auf die Bekenntnistradition seiner Kirche außerordentlich hoch einzuschätzen ist,108 nicht erst hinsichtlich ihrer Ergebnisse, sondern bereits hinsichtlich ihrer exegetischen Vorgehensweise. Beispielhaft sei auf jene exegetische Weichenstellung verwiesen, die Barth dazu veranlasst, seine Tauflehre nicht etwa von den neutestamentlichen Berichten der apostolischen Taufpraxis oder einem klassischen Text wie Röm 6 aus zu entwerfen,109 sondern vielmehr die Berichte von der Taufe Jesu am Jordan als Ausgangspunkt zu wählen.110 Dieser exegetische Ausgangspunkt, verbunden mit der Gattungsbestimmung des biblischen Berichts als „ätiologische“ Erzählung,111 öffnet Barth die Möglichkeit, die Taufe zu verstehen als einen freien Akt, den ein Mensch auf der Grundlage „seines eigenen Entschlusses und Handelns“112 vollzieht.

2.2.3 Theologische Sachkritik Die Frage, ob Barths Schriftauslegung als eine kritische Schriftauslegung zu bezeichnen ist, ist indessen mit dem Hinweis auf die Anwendung bestimmter Methodenschritte ebenso wenig befriedigend zu beantworten wie mit dem Verweis auf ihr traditionskritisches Potential.113 Vielmehr wird man im Anschluss an R. Bultmann114 fragen müssen, ob Barth auch zu einer Sachkritik an den biblischen Texten bereit war.115 Barth selbst hat sich im Vorwort zur dritten Auflage des Römerbriefs gegen den Vorwurf mangelnder Sachkritik verwahrt,116 nachdem er bereits im Vorwort zur zweiten Auflage die berühmte Forderung aufgestellt hatte: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“117 108 Dies gilt ungeachtet dessen, dass Barths Kritik an der kirchlichen Taufpraxis dadurch an Schärfe verliert, dass sie die Gültigkeit der Säuglingstaufe nicht bestreiten möchte, vgl. KD IV/ 4, 208. 109 Vgl. etwa P. Brunner, Die evangelisch-lutherische Lehre von der Taufe, 18, der – in polemischer Abgrenzung zu Barth – als „Schriftgrund“ seiner Tauflehre auf die „Auslegung von Röm. 6,1 – 11 in Verbindung mit Eph 5,25 – 27 sowie Tit 3,4 – 7“ verweist. 110 Vgl. IV/4, 49 – 75, insbesondere 57 f. 111 Vgl. a. a. O., 57. 112 Vgl. a. a. O., 53. 113 Gleiches gilt für den Hinweis auf den großen – nach dem Urteil von H.-J. Kraus sogar einzigartigen – und insofern an dieser Stelle erwähnenswerten Umfang, in dem Barth sich vor allem in KD III/1 auf exegetische Sekundärliteratur bezieht, vgl. Kraus, Vorwort, 8: „Man nenne eine einzige Dogmatik, in der die historisch-kritische Forschung mit ihren exegetischen Erträgen solch eine einfühlende Würdigung erfahren hat wie bei Barth.“ 114 Vgl. Bultmann, Karl Barths „Römerbrief“, 141 f. 115 Zu jener frühen Auseinandersetzung zwischen Barth und Bultmann vgl. die differenzierte Darstellung durch Weder, Die Externität der Mitte, 301 – 307. 116 Vgl. Römerbrief II, 14 f. 117 Römerbrief II, 14.

328 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Dieser scheinbar paradoxe Befund erhellt in aller Deutlichkeit, dass das ohnehin vielschichtige Verhältnis zwischen Barths Schriftauslegung und historisch-kritischer Exegese zusätzlich durch ein unterschiedliches KritikVerständnis verkompliziert wird. Barth weigert sich, den von Bultmann vorausgesetzten (und in der Exegese weithin üblichen) Kritik-Begriff zu akzeptieren. Jener sieht vor, nicht nur „den [biblischen] Text von der Sache aus zu verstehen“,118 sondern davon ausgehend „Spannungen und Widersprüche, Höhen und Tiefen“ festzustellen und damit explizit theologische Kritik an den biblischen Schriften zu üben.119 Barth dagegen enthält sich solcher expliziter Urteile. Zwar beinhaltet auch sein Verständnis von kritischer Exegese, „energisch“ nach dem Verhältnis der jeweiligen Perikope zu der einen „Sache“ der Schrift zu fragen,120 allerdings wehrt er sich dagegen, endgültige Urteile darüber zu fällen, in welchen Teilen der Schrift diese Sache besonders klar bzw. unklar zur Sprache kommt.121 Der positive Effekt dieser Weigerung besteht darin, dass Barth – durchaus im Unterschied zu Bultmann – sich mit der gleichen aufgeschlossenen Erwartungshaltung dem gesamten biblischen Kanon zuwendet; eine Haltung, die indirekt auch in der Verteidigung des Jakobus-Briefes gegen den Vorwurf Luthers, dieser sei „eyn rechte stroern Epistel“,122 zum Ausdruck kommt.123 Kritisch bleibt dagegen festzuhalten, dass die Auf- und Abwertungen biblischer Texte in Barths Exegese in der Regel nicht benannt oder begründet werden. Dass es zu solchen Auf- und Abwertungen auch bei Barth kommt, lässt sich in dreierlei Hinsicht aufzeigen: Der erste Aspekt von Barths impliziter Sachkritik als Ausleger besteht in der ständig zu treffenden Auswahl der zu einem bestimmten Thema auszulegenden Texte.124 Wenn etwa im alttestamentlichen Exkurs über die Geduld Gottes überwiegend Erzähltexte ausgelegt werden, ohne zunächst nach direkten bzw. wörtlichen Belegen zu suchen, so drückt sich darin eine theologische Wertung der alttestamentlichen Texte aus, die sich nicht zuletzt einem bestimmten Verständnis der Geduld Gottes verdankt. Ein zweiter Gesichtspunkt, der die kritische bzw. „unterscheidende“125 Funktion des Auslegers in Barths exegetischer Arbeit verdeutlicht, ist mit der Frage gegeben, welche Aspekte einer bestimmten Perikope oder eines Erzählkomplexes besonders betont werden. So werden zum Beispiel im exegetischen Exkurs zu Saul und David innerhalb der Erwählungslehre (II/2, 404 – 118 119 120 121 122

Bultmann, a. a. O., 141. Vgl. ebd. Römerbrief II, 13 f. Vgl. Römerbrief II, 26 f. Luther, Vorrede auf das Neue Testament, WA DB 6, 10,33 f, sowie Barths Kritik in den beiden Vorlesungen zum Jakobusbrief, GA II/46, 172 f, und in KD I/2, 527 – 529. 123 Vgl. KD I/2, 400 f. 124 So auch JRngel, Barth-Studien, 88 f. 125 Vgl. Bauer/Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Art. „jq¸my“, 916.

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434) die positiven Seiten Sauls und die negativen Seiten Davids besonders betont, wodurch das antidualistische Anliegen der Erwählungslehre gestützt wird. Eine exegetische Begründung dieser Schwerpunktsetzung sucht man freilich auch an dieser Stelle vergebens. Vor allem aber zeigt sich die kritisch unterscheidende Funktion des Auslegers an den verschiedenen Bezügen und Querverweisen, die Barths Auslegungen vielfach prägen. Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür stellt der lange Exkurs über Judas innerhalb der Erwählungslehre dar (II/2, 508 – 563). Indem Barth ausgehend von dem für den „Verrat“ des Judas verwendeten Begriff „paqadoOmai“ (wörtlich: überliefern) erst auf die apostolische Überlieferung (paq²dosir) und dann auf die Überlieferung Jesu zur Versöhnung (vgl. Gal 2,20; Röm 4,25 u. a.) zu sprechen kommt, erscheint die Tat des Judas in einem neuen, ungewöhnlich positiven Licht, was wiederum dem antidualistischen Anliegen der Erwählungslehre entgegenkommt. Als weiteres Beispiel sei die Beschreibung des Verhältnisses der Geschlechter im Zuge der Auslegung von Gen 1 – 2 innerhalb der Schöpfungslehre genannt, in welcher der ausführlich thematisierte Bezug zu Eph 5,21 – 32 Barths Auslegung jene patriarchale Tendenz verleiht, die etwa durch eine stärkere Berücksichtigung des thematischen Bezugs zum Hohenlied Salomos zumindest hätte abgeschwächt werden können. Hält man sich die genannten Aspekte vor Augen, so wird deutlich, dass auch Barths Exegese nicht ohne theologisch begründete Sachkritik, d. h. nicht ohne Auf- und Abwertungen von biblischen Texten vollzogen wird. Im Unterschied zur Kritik in Bultmanns Sinn handelt es sich bei diesen Auf- und Abwertungen jedoch nicht um endgültige Urteile, sonders stets um vorläufige bzw. pragmatische Entscheidungen. Vom Gestus des richtenden „Scheidekünstler[s]“126 ist Barth weit entfernt. Dass er gleichwohl fortlaufend Urteile fällt, durch welche bestimmte Texte bevorzugt behandelt, andere aber notwendigerweise marginalisiert werden, ist ebenso wenig zu leugnen wie die unvermeidliche thematische Einengung der ausgelegten Texte in Bezug auf den zur Debatte stehenden dogmatischen Topos. Zum Verhältnis zwischen Barths Schriftauslegung und der historisch-kritischen Exegese ist abschließend zu sagen, dass keine der in der Debatte vorgeschlagenen Kategorien für sich in Anspruch nehmen kann, dieses hinreichend differenziert zu beschreiben. Die Tatsache, dass Barth die kritische Forschung seiner Zeitgenossen nicht nur mit Respekt zur Kenntnis genommen, sondern sie teilweise auch in seiner Auslegungspraxis fruchtbar gemacht hat, spricht allerdings dafür, deren Beschreibung als „nachkritische“ bzw. „metakritische Schriftauslegung“ ein größeres Recht zuzusprechen als den einseitig den Gegensatz betonenden Bezeichnungen als „unkritisch“ oder „antikritisch“. 126 So J.G. Hamann in seinem Tagebuch eines Christen, vgl. N I, 7,17. Vgl. hierzu ebenfalls Bayer, Autorität und Kritik, 60 f.

330 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Es bleibt die Feststellung, dass Barths Verhältnis zur historisch-kritischen Exegese von einer großen Freiheit gekennzeichnet ist.127 Weder lässt Barth sich dazu verpflichten, die historisch-kritische Methodik oder ihre Forschungsergebnisse stets zu beachten, noch lässt er sich trotz bisweilen geäußerter grundsätzlicher Bedenken davon abhalten, mitunter doch in historisch-kritische Debatten einzugreifen und diese für seine Auslegung fruchtbar zu machen. Diese Freiheit, die sich zumindest in ihrem traditionskritischen Potential mit jener Freiheit trifft, die J. Barr als charakteristisch für den „spirit of [biblical] criticism“ bezeichnet,128 weist neben der unbefangenen Inanspruchnahme historisch-kritischer Methoden darauf hin, dass der Vorwurf, Barth habe mit seiner Exegese die „Rückkehr der dogmatischen, vorkritischen Bibelexegese in den Bereich der Systematischen Theologie“ betrieben,129 einer differenzierten Betrachtung nicht standhält. 2.3 Auswirkungen der Schriftlehre in KD I auf die Schriftauslegung innerhalb der weiteren Bände der KD In den soeben dargelegten Beobachtungen wurden bereits einige der wichtigsten Ergebnisse zum Verhältnis zwischen Barths Schriftlehre in KD I und den exegetischen Exkursen in den weiteren Bänden der KD angesprochen. Dieses Verhältnis soll im Folgenden noch einmal anhand von drei zentralen Aspekten resümierend dargestellt werden.130 2.3.1 Exegetische Freiheit Dass Barth die Aufgabe der Schriftauslegung grundsätzlich als ein Moment christlicher Freiheit versteht, zeigt bereits die Überschrift von KD I/2, § 21,2: „Die Freiheit unter dem Wort“. Hinsichtlich seiner eigenen Auslegungspraxis wirkt sich diese Freiheit zunächst in der soeben angesprochenen unbefangenen Anwendung historisch-kritischer Methodenschritte aus, die im vorigen Kapitel dargestellt wurde. Diese lässt sich unmittelbar auf das zurückführen, was in Teil A dieser Studie als „Leitmotiv“ von Barths Schriftlehre bezeichnet wird, nämlich die Bezeichnung der Schrift als Zeugnis der Offenbarung. Jene Bezeichnung impliziert eine Unterscheidung zwischen der Offenbarung als einem je neu zu geschehenden und zugleich in Christus unüberbietbar ge127 Vgl. Childs, Barth as Interpreter, 35: „[O]ne senses in Barth’s exegesis somewhat of the freedom of the exegete that is parallel to Luther.“ 128 Barr, Holy Scripture, 34. 129 U. Barth, Aufgeklärter Protestantismus, 198. 130 Nicht eigens thematisiert werden im Folgenden einzelne thematische Querverbindungen wie z. B. die Vorstellung von der dreifachen Inspiration der biblischen Schriften, die in der Auslegung zu Gen 1 – 2 aufgenommen wird.

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schehenen Ereignis einerseits und der Bibel als schriftlich fixiertem Zeugnis dieses Ereignisses andererseits. Indem die Bibel von der Offenbarung unterschieden wird, wird sie zugleich als ein durch und durch menschliches Wort wahrgenommen. Dies wirkt sich in Barths Auslegungspraxis dahingehend aus, dass diese grundsätzlich keine Tabus kennt, was die Anwendung exegetischer Methoden betrifft.131 Als menschliches Zeugnis kann und wird die Bibel wie jede andere historische Quelle analysiert, auch mit den Mitteln historisch-kritischer Exegese, welche von Barth zwar nicht regelmäßig, aber doch, wie soeben gezeigt, immer wieder angewendet werden. Die Tatsache der unregelmäßigen Anwendung historisch-kritischer Methoden lässt sich ihrerseits ebenfalls als ein Moment der exegetischen Freiheit beschreiben, welche Barths Schriftauslegung kennzeichnet. Seine „Unbekümmertheit“ als „Nichtfachmann“132 zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Barth sich nicht auf einen bestimmten exegetischen Methodenkanon oder eine bestimmte Vorgehensweise133 verpflichten lässt.134 Kritisch ist anzumerken, dass Barths Unbekümmertheit bisweilen zur Willkür tendiert, insbesondere im Gebrauch exegetischer Sekundärliteratur: Wie selbstverständlich werden die Untersuchungen der Fachkollegen das eine Mal zu Rate gezogen,135 ein anderes Mal wieder vernachlässigt. Im Kontext des vorliegenden Abschnitts ist Barths „Unbekümmertheit“ vor allem deshalb von Interesse, weil auch sie sich auf einen zentralen Aspekt seiner Schriftlehre zurückführen lässt, nämlich auf den in Teil A erörterten Subjektwechsel in der Auslegung der biblischen Schriften. Wirkliches, d. h. Glauben stiftendes Verstehen der Bibel ist nach Barths Überzeugung nicht durch menschliche Anstrengung bzw. eine ausgefeilte Methodik herbeizuführen, sondern verdankt sich allein dem Wirken des göttlichen Geistes. Es handelt sich dabei um eine freie Entscheidung Gottes, der wir nicht dadurch vorgreifen können, daß wir […] nach der Bibel greifen, sondern deren Freiheit wir gerade, wenn wir in der rechten Weise nach der Bibel greifen, werden anerkennen müssen. (KD I/2, 569 f)

131 Dieser Zusammenhang wird auch von J. Lauster herausgestellt, vgl. ders., Prinzip und Methode, 272. 132 KD I/2, 87. 133 Ein besonders anschauliches Beispiel für Barths exegetische Freiheit in diesem Sinn wurde in der Analyse von Barths nacherzählender Auslegung des Jeremia-Buches innerhalb der Sündenlehre in KD IV/1 genannt. Folgt Barth in der Aufnahme des Trostwortes an Baruch – entgegen der im biblischen Text genannten Entstehungssituation – ausdrücklich der Anordnung im kanonischen Endtext, so durchbricht er diese Anordnung, indem er die Konfessionen Jeremias (Jer 20 u. a.) im Anschluss an den Konflikt zwischen Jeremia und dem Propheten Hananja (Jer 28) auslegt. 134 So auch BQchli, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik, 15 f. 135 Vgl. hierzu u. a. die in Kapitel B 3, Abschnitt 2.1, genannten Werke, welche Barth in seiner Auslegung der Schöpfungsberichte rezipiert.

332 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Die Freiheit des Exegeten, so könnte man zugespitzt formulieren, ergibt sich aus der Freiheit Gottes, der sein Wort in unverfügbarer Weise beglaubigt, wann und wo es ihm gefällt. Die Frage nach den richtigen exegetischen Methoden erfährt von dieser Voraussetzung her eine deutliche Relativierung, erst recht aber wird der Vorstellung widersprochen, als könne ein bestimmter Methodenkanon die sachgemäße Auslegung der biblischen Schriften garantieren. 2.3.2 Sachorientierte Exegese Die zweite wichtige Auswirkung von Barths Schriftlehre auf seine Schriftauslegung besteht in der hermeneutischen Grundregel, nach welcher die biblischen Texte (wie alle anderen Texte auch) von ihrer Sache her zu verstehen sind. Von Bedeutung ist diese Grundregel nicht zuletzt deshalb, weil sie dem verbreiteten Missverständnis vorbeugt, als könne Barths Schriftlehre letztlich nur in einer exegetischen Ratlosigkeit angesichts der Unverfügbarkeit des für sich selbst sprechenden Gotteswortes münden.136 Barths Forderung nach einer sachorientierten Exegese ist zum einen ganz schlicht als eine Leseregel zu verstehen, nach der sich eine „dezentralisierte Befragung der Heiligen Schrift“137 verbietet. Die Gefahr einer solchen dezentralisierten Befragung erkennt Barth insbesondere in jenem „biblizistischen Denken“138, welches aus einzelnen Versen der Schrift theologische Dogmen erhebt und dabei den Gesamtzusammenhang der biblischen Texte ignoriert. Dieser Gesamtzusammenhang, den Barth in den meisten Fällen als „Gottes Offenbarung“ bezeichnet,139 umfasst die gesamte Geschichte je neuer Kundgebungen, in denen sich der Schöpfer in Beziehung zu seinen Geschöpfen setzt. Als Zeugnisse dieser Geschichte, welche im Christusgeschehen ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat bzw. „sich in Jesus Christus ultimativ verdichtet“140, sind die biblischen Schriften nach Barths Auffassung zu verstehen. In den Untersuchungen im zweiten Hauptteil dieser Studie ist an verschiedenen Stellen deutlich geworden, wie Barth seine eigene hermeneutische Grundregel in der Praxis umsetzt. So besteht die wesentliche Pointe der Auslegung über Gottes Geduld darin, dass Barth im Anschluss an die alttestamentlichen Betrachtungen auf „das entscheidende Moment des biblischen Zeugnisses“141, nämlich die Botschaft von Gottes Offenbarung in Christus, zu sprechen kommt. Besonders deutlich aber wirkt sich die Forderung einer sachorientierten Exegese in der Erwählungslehre aus, in der Barth immer wieder darauf pocht, 136 137 138 139 140 141

So etwa Lauster, Prinzip und Methode, 275. KD IV/1, 407. A.a.O., 406. Vgl. etwa KD I/2, 518; II/2, 276. Maurer, Narrative Strukturen, 9. KD II/1, 468.

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die biblischen Belege über Gottes Erwählung und Verwerfung nicht unabhängig von der im Neuen Testament bezeugten Offenbarung der alles bestimmenden und für alle geltenden Erwählung Jesu Christi zu betrachten. Von dem im Neuen Testament dargelegten Lebenszeugnis Jesu Christi her sei Gottes Wirken insgesamt nur als ein gnädiges Wirken zu verstehen. Folglich gilt auch der nach 1 Sam 15 verworfene König Saul keineswegs als ein Beispiel dafür, dass Gott Menschen für alle Ewigkeit verwerfen würde, zumal, wie Barth pointiert hervorhebt, von einer Aufhebung der Erwählung Sauls an keiner Stelle die Rede sei und seine Verfehlungen ja letztlich auch nur „mikroskopische Sünden“ im Vergleich zu den Vergehen des an seiner Statt erwählten Königs David seien. Schließlich ist aber auch in der Auslegung der Schöpfungserzählungen in KD III/1 deutlich das Anliegen zu erkennen, die Sagen der Genesis in den Kontext der gesamten Bundesgeschichte zu stellen bzw. sie als Zeugnis für den Zusammenhang zwischen Schöpfung und Bund zu verstehen. Dies führt in letzter Konsequenz dazu, Querverbindungen zwischen den Schöpfungserzählungen und den christologischen Aussagen im Neuen Testament zu ziehen. Die sich daraus ergebende Problematik der Überfrachtung bestimmter Schöpfungsaussagen, besonders der Gottebenbildlichkeit, wurde am entsprechenden Ort bereits erörtert. Die Forderung nach einer auf die Sache zielenden Exegese kann zum anderen auch dahingehend verstanden werden, dass die Exegese den Leser mit Gottes Offenbarung als einem sich auch in der Gegenwart vollziehenden und ihn ansprechenden Ereignis konfrontiert. Auch dieses Anliegen ist den Auslegungen Barths deutlich abzuspüren. Barth hat in seinen exegetischen Exkursen – wie in seinem gesamten theologischen Werk – „Kirche und Welt mit dem Evangelium angegriffen“,142 so dass auch die Exkurse ihren Beitrag dazu leisten, dass die KD In großem Maße das ist, „was sie nach den Plänen von Barth eigentlich nicht hätte werden sollen“, nämlich „Verkündigung des Wortes Gottes.“143 Das eindrücklichste Beispiel für Barths in diesem Sinne auf die Sache zielende Exegese sind zweifellos die zahlreichen narrativen Auslegungen, welche immer wieder an prominenter Stelle auftauchen, besonders aber in der Sündenlehre von zentraler Bedeutung sind. Interessanterweise stellt die im Verlauf der einzelnen KD-Bände zunehmende Betonung der narrativen Strukturen biblischer Texte eine Schwerpunktsetzung dar, die von der Schriftlehre in KD I/2 her nicht unmittelbar zu erwarten gewesen wäre. Die Bibel als ein Buch voller Erzählungen, das seine Leserinnen und Leser durch das Erzählen von Geschichten in die übergreifende Geschichte Gottes mit den Menschen hineinstellt und auf diese Weise zum wirksamen Wort Gottes wird – dieser für

142 JRngel, Barth-Studien, 19. 143 Schoch, Karl Barth, 139.

334 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Barths Auslegungspraxis so wichtige Aspekt wird in der Lehre von der Heiligen Schrift an keiner Stelle thematisiert.144 Eine indirekte Wurzel von Barths narrativer Exegese wird man allerdings darin erkennen können, dass Barth (schon in der Schriftlehre) deutliche Kritik gegenüber einer Behandlung der biblischen Texte als historische „Quellensammlung“ übt.145 Dies wirkt sich in der Auslegungspraxis dahingehend aus, dass sowohl die Frage der Historizität der erzählten Geschehnisse als auch die Frage nach verschiedenen literarischen Schichten für Barth in den Hintergrund rückt. Die biblischen Erzählungen werden vielmehr in der Regel als zusammenhängende Einheiten betrachtet, was die Wahrnehmung ihrer narrativen Strukturen erheblich vereinfacht, in manchen Fällen sogar erst ermöglicht. Als Beispiel sei noch einmal an jene Passage innerhalb der Sündenlehre erinnert, in der Barth durch die parallele Schilderung der Eroberung Jerusalems und der Gefangennahme Jeremias verschiedene Erzählstränge miteinander in Beziehung setzt, ohne sich lange mit der Frage nach der historischen Grundlage oder der Quellengeschichte der entsprechenden biblischen Texte (Jer 37 – 39) aufzuhalten. Trotz dieses indirekten Zusammenhangs zwischen der in der Schriftlehre erhobenen Forderung nach einer sachorientierten Exegese und Barths narrativer Exegese kann Letztere als ein Beispiel dafür gelten, dass das Verhältnis zwischen Barths Schriftlehre und seiner Schriftauslegung nicht etwa im Sinne einer schlichten Kausalität zu denken ist. Vielmehr vermag Barth in seiner Auslegungspraxis eigene Akzente gegenüber seiner Schriftlehre zu setzen, er geht mithin über das in KD I/2 entfaltete Verständnis der Schrift hinaus.

2.3.3 Gesamtbiblische Exegese Die größte Herausforderung, der sich eine Umsetzung von Barths Forderung nach einer sachorientierten Exegese zu stellen hat, besteht in der Klärung der im Verlauf der Studie bereits mehrfach erörterten Frage, inwiefern die Texte des Alten Testaments als Zeugnis der Christusoffenbarung verstanden werden können. Es hat sich gezeigt, dass Barth diese Frage in den meisten Fällen zu lösen versucht, indem er nach dem Modell verfährt, welches in KD I entwickelt wird. Dieses Modell sieht vor, das Christuszeugnis als eine mögliche Antwort auf bestimmte in den alttestamentlichen Texten offen gelassene Fragen zu betrachten. Besonders deutlich kommt diese Strategie in den Exkursen innerhalb der Gotteslehre, der Erwählungslehre und der Schöpfungslehre zum Vorschein. Entscheidend ist die Beobachtung, dass Barth hierbei eine Stra144 Immerhin wird die „Geschichte von den Zauberern des Pharao“ (743), die „Geschichte“ von David und Goliath (760) sowie die „Paradiesesgeschichte“ (787) zur Verdeutlichung einzelner Aussagen zur „Freiheit des Wortes“ bzw. zur „Freiheit unter dem Wort“ herangezogen 145 KD I/2, 546, vgl. ebf. KD III/1, 86 f.

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tegie der zweifachen Absicherung verfolgt. Deren erste spiegelt sich im Aufbau der Auslegungen wider, welcher vorsieht, dass die alttestamentlichen Texte und Inhalte zunächst ohne neutestamentlichen Bezug in ihrem (alttestamentlichen) Kontext besprochen werden. Als Schwäche dieser Strategie hat sich jedoch herausgestellt, dass die am Ende der (nur scheinbar) inneralttestamentlichen Darstellung aufgeworfenen Fragen allzu deutlich als eine Vorbereitung auf die sich anschließende gesamtbiblische Erörterung zu identifizieren sind, so dass die beabsichtigte Aufteilung in einen rein alttestamentlichen und einen gesamtbiblischen Teil sich letztlich als obsolet erweist.146 Von dieser methodischen Absicherung ist die inhaltliche Absicherung zu unterscheiden. Deren Pointe besteht darin, dass Barth die Beantwortung der in den alttestamentlichen Texten offen gelassenen Fragen durch das neutestamentliche Christuszeugnis als eine Möglichkeit bezeichnet, welche sich zwar von der Christusbotschaft her aufdränge, nicht aber unmittelbar aus den alttestamentlichen Texten als solchen herauszulesen sei. Der ursprüngliche Kontext der einst in Israel und für Israel entstandenen Texte wird damit weder bestritten noch für ungültig erklärt, wohl aber wird das Aussagepotential der Texte dahingehend erweitert, das diese für das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde fruchtbar gemacht werden. Festzuhalten ist, dass Barth sich in dieser Vorgehensweise mit guten Gründen in den Spuren der neutestamentlichen Schreiber wähnt, welche ihr Zeugnis von Christus offensichtlich im Zusammenhang der alttestamentlichen Verheißungen und Erzählungen verstehen. Exemplarisch sei noch einmal an die Auslegung der Schöpfungssagen in KD III/1 erinnert, in der Barth von der in Gen 1,26 entwickelten Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen – im Anschluss an 2 Kor 4,4 u. a. – auf die Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche zu sprechen kommt, so dass diese zentrale alttestamentlich-anthropologische Figur über ihren ursprünglichen Kontext hinaus als sinnerhellende Metapher christlicher Ekklesiologie fungiert: Wie Mann und Frau nach Gen 1,26 nur gemeinsam als Gottes Ebenbild verstanden werden, so sei auch die neutestamentliche Rede von Christus als Gottes Ebenbild dahingehend zu verstehen, dass Christus nicht ohne seine Gemeinde sein wolle. Als eine problematische Grenzüberschreitung christologischer Auslegung des Alten Testaments musste in diesem Zusammenhang jedoch kritisiert werden, dass Barth das soeben beschriebene Verfahren auch umkehren konnte, so dass es in der ausgehend von Gen 1 – 2 entfalteten Anthropologie zu einer sachfremden Überfrachtung durch neutestamentlich-soteriologische Kategorien kommt.147 Als in diesem Sinne unproblematisch hat sich dagegen eine weitere Variante der christologischen Auslegung erwiesen. Diese sieht vor, das Bedeutungs146 Vgl. Kapitel B 2, Abschnitt 2.3.2.3. 147 Vgl. Kapitel B 3, die Abschnitte 2.5.2.2 und 2.5.2.3.

336 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ spektrum neutestamentlicher Texte durch thematische Querverbindungen mit alttestamentlichen Stoffen zu erweitern bzw. deren Aussagegehalt zu vertiefen. Wenn etwa in der Auslegung der Erzählung vom Seegang Jesu an die alttestamentliche Vorstellung vom Wasser als Chaosmacht erinnert wird, so erfährt die neutestamentliche Erzählung hierdurch eine sachliche Vertiefung, die angesichts des unbestreitbaren alttestamentlichen Hintergrunds der neutestamentlichen Autoren durchaus plausibel erscheint. Eben jener alttestamentliche bzw. jüdische Hintergrund der neutestamentlichen Schreiber wird seinerseits von Barth bereits in der Schriftlehre pointiert hervorgehoben, nämlich im Zusammenhang der Ausführungen zur Menschlichkeit der Schrift.148 Zusammenfassend ist zu sagen, dass sich von Barths Schriftlehre her tatsächlich zahlreiche wichtige Verbindungen zu seiner Auslegungspraxis in den weiteren Bänden der KD ergeben. Insbesondere die Praxis der narrativen Exegese zeigt jedoch, dass Barth als Exeget zugleich methodische Schwerpunkte zu setzen weiß, die in der Schriftlehre nicht eigens thematisiert werden.

3. Barths Schriftauslegung in der KD als Beitrag zur Krisenbewältigung? Eine kritische Würdigung 3.1 Zum theologischen Ertrag von Barths Schriftauslegung Eine abschließende kritische Würdigung von Barths Schriftauslegung in der KD, welche sich erstens an den in der Einleitung genannten Kriterien orientiert, zweitens die im zweiten Hauptteil dieser Studie erarbeiteten Erkenntnisse einbezieht und drittens die Herausforderung des oben erörterten hermeneutischen Dilemmas berücksichtigt, wird zunächst festhalten müssen, dass Barths Schriftauslegung ein sehr reichhaltiges Anschauungsmaterial dafür bietet, wie fruchtbar und gewinnbringend die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten für die Erfassung und Bearbeitung theologischer Probleme – auch unter den Bedingungen der Neuzeit – sein kann. Wurde als eines der Kriterien für eine gelungene Exegese in der Einleitung genannt, dass sie Aspekte zutage fördern muss, die einen Beitrag zu einem sachgemäßen Verständnis christlicher Glaubensaussagen leisten, so ist an dieser Stelle positiv zu würdigen, dass Barths Exegese dies in der Tat gelingt. Die beiden wichtigsten übergreifenden Aspekte, die in Hauptteil B herausgearbeitet wurden, seien hier noch einmal genannt: Zum einen gelingt es Barth sowohl in der Rede von Gottes Geduld, Gottes 148 Vgl. KD I/2, 566 – 568.

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Erwählung und Gottes Schöpfung als auch in der Sünden- und der Rechtfertigungslehre, die Konkretheit und die Kontingenz des göttlichen Heilshandelns wie auch die Konkretheit und Kontingenz des darauf antwortenden menschlichen Handelns herauszuarbeiten. Gottes Handeln folgt nicht einer immer schon gültigen, notwendigen Disposition, sondern dem freien Entschluss seiner Gnade, die anders gar nicht als Gnade zu bezeichnen wäre. Hinsichtlich der Schöpfung ist es vor allem Barths Verständnis der Gattung der Sage, die ihn unterstreichen lässt, dass Gottes Schöpfung nach Gen 1 – 2 ein konkret einmaliges Ereignis und insofern eine Wohltat für den Menschen ist. Was für die Beschreibung des göttlichen Heilshandelns gilt, gilt aber auch für die Beschreibung des darauf antwortenden Menschen. Barth vermag deutlich zu machen, dass von der Sünde des Menschen nicht primär als von einem über ihn verhängten Schicksal zu reden ist, sondern als von dem sich je und je konkret ereignenden Widerspruch gegen das ihm je konkret zugesprochene Gnadenhandeln Gottes. Durch die Aufnahme der alttestamentlichen Erzählungen gelingt es Barth zudem, anstelle eines abstrakten Sündenbegriffs von der konkreten Wirklichkeit der Sünde zu sprechen, ihre lebensund beziehungszerstörende Wirkung aufzuzeigen, ohne jedoch einer moralischen Unterbestimmung der Sünde das Wort zu reden. Entsprechend gerät auch die Rechtfertigungslehre mit Hilfe der Auslegung von Röm 7 zu einer farbigen Beschreibung der Rechtfertigung als einem Geschehen, an dem der einzelne Mensch je konkret mit einbezogen und als Subjekt beteiligt wird. Ein zweiter übergreifender theologischer Ertrag von Barths Schriftauslegung besteht in der antidualistischen Stoßrichtung, die sich insbesondere in Barths Erwählungslehre, aber auch in der Sünden- und Rechtfertigungslehre zeigt. Wie die Untersuchungen in Teil B ergeben haben, trägt die exegetische Arbeit in den entsprechenden Teilen der KD einen entscheidenden Anteil an der Erkenntnis, dass Christen sich um ihrer Erwählung willen (wie auch um der Erwählung Jesu sowie der Erwählung der anderen willen) nicht als von ihren Mitmenschen grundsätzlich getrennt verstehen dürfen. Ein solcher Dualismus und seine möglichen Folgen für die Gestaltung des persönlichen Lebens wie auch des Lebens einer Gemeinde widerspricht nicht nur einem sachgemäßen Verständnis der Erwählung, sondern darüber hinaus auch einem sachgemäßen Verständnis von Sünde und Rechtfertigung. Am Beispiel von David und Saul erläutert Barth sowohl in der Erwählungs- als auch in der Sündenlehre, dass die Vergehen der Erwählten in der Bibel keineswegs als harmloser, sondern im Gegenteil als noch gravierender im Vergleich zu den „miskroskopischen Sünden“ der Verworfenen beschrieben werden. In der Auslegung von Röm 7 in der Rechtfertigungslehre beschreibt und erklärt Barth schließlich, wie das Leben der Gerechtfertigten als in einem ständigen Prozess bzw. Kampf befindlich zu verstehen ist, wodurch sich eine selbstgerechte Abgrenzung von Menschen, die nicht zur christlichen Gemeinde gehören, von vornherein verbietet. Dass jene antidualistische Stoßrichtung in Barths Theologie gerade im Kontext einer sich als plural verstehenden Ge-

338 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ sellschaft, die auf ein respektvolles und aufgeschlossenes Miteinander der unterschiedlichen religiösen Gruppen angewiesen ist, von ungebrochener Aktualität ist, versteht sich von selbst. Es ist klar, dass die beiden genannten übergreifenden Themen nur stellvertretend für eine Vielzahl bedenkenswerter Anstöße und Impulse stehen, die von Barths Schriftauslegung ausgehen. Klar ist auch, dass die inhaltlichen Aussagen, die Barth in seiner Exegese erarbeitet, um sie für die Dogmatik fruchtbar zu machen, keineswegs unumstritten sind. Doch unabhängig davon, ob man diesen Aussagen zustimmen möchte oder Gründe findet, dies nicht zu tun, ist schwer zu bestreiten, dass die in der KD praktizierte Schriftauslegung dazu geeignet ist, den materialdogmatischen Diskurs zu bereichen und somit einen theologischen Erkenntnisgewinn zu befördern.

3.2 Die Begegnung mit dem fremden Text Führt die Frage nach dem theologischen Ertrag von Barths Schriftauslegung zu der Erkenntnis, dass diese als ein Beispiel für eine fruchtbare und lehrreiche Auseinandersetzung mit den biblischen Texten gelten kann, so ist erst recht zu prüfen, ob in Barths Auslegungen tatsächlich die eigene, unverwechselbare Stimme der biblischen Texte zur Geltung gebracht wird oder ob sich Barth nicht vielmehr der bewussten oder unbewussten Vereinnahmung jener Texte schuldig macht. Mit anderen Worten: Ist in den Auslegungen Barths zu erkennen, dass er die Fremdheit der Texte, die er in seiner Schriftlehre in KD I/2 selbst unterstreicht,149 auch in seinen Auslegungen ernst nimmt? Noch einmal sei daran erinnert, dass der Anspruch, der hier zu erheben ist, nicht auf eine völlige Distanzierung des Auslegers von seinen eigenen Denkvoraussetzungen hinauslaufen darf. Indem jene völlige Selbstdistanzierung grundsätzlich unmöglich ist und bleibt, läuft ein solcher Anspruch vielmehr Gefahr, einer unreflektierten Aufnahme jener Voraussetzungen das Wort zu reden.150 Lässt sich dann aber überhaupt eine angemessene Antwort auf die gestellte Frage finden, ob Barth die Fremdheit der Bibel in seiner Exegese innerhalb der KD ernst nimmt? Folgende Hinweise für ein einigermaßen differenziertes Bild lassen sich immerhin geben: Zum Ersten: Die Fülle an biblischen Exkursen151 und der Umfang der in den einzelnen Kapiteln von Teil B näher beleuchteten exegetischen Überlegungen zeigt, welch enormer Stellenwert der Exegese in der theologischen Arbeit Barths zukommt. Man darf annehmen, dass Barth sich kaum mit einer solchen 149 Vgl. etwa KD I/2, 649. 150 So zu Recht Spijkerboer, Barth und seine Exegese von David und Saul, 37. Vgl. auch die Überlegungen in der Einleitung dieser Studie, Abschnitt 4. 151 J. Wharton nennt für die gesamte KD die beachtliche Zahl von ca. 15000 biblischen Bezüge und ca. 2000 biblischen Exkurse, vgl. ders., Karl Barth as Exegete, 6.

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Energie der exegetischen Arbeit gewidmet hätte, wie er es getan hat, wenn dabei nicht die Erfahrung eine Rolle gespielt hätte, dass die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten neue Einsichten ermöglicht, die man sich weder selbst erarbeiten noch von anderen Quellen beziehen kann. Insofern lesen sich die zahlreichen biblischen Exkurse in der KD wie eine Veranschaulichung jener in KD I/1 beschriebenen immer neuen Erwartung, die von der Erinnerung herkommt, dass sich im Lesen der biblischen Schriften das Wort Gottes als ein den Menschen von außen treffendes Wort ereignet hat. Zum Zweiten: Es ist schon öfter darauf hingewiesen worden, dass das äußere Format der exegetischen Exkurse, nämlich der Kleindruck und ihre Positionierung nach dem Haupttext,152 fälschlicherweise den Eindruck erwecken, als seien die Exkurse auch sachlich als „nachträgliche Legitimation dogmatischer Entscheidungen“ zu verstehen.153 Nicht zuletzt der zweite Teil des forschungsgeschichtlichen Überblicks zu Beginn dieser Studie hat gezeigt, dass dieser Eindruck nicht der Realität entspricht. Barths Schriftauslegung wird von sämtlichen Interpreten als eine solche verstanden, die den theologischen Denkprozess von Anfang an bestimmt hat. Bestätigt wird dieser Eindruck durch vereinzelte Hinweise, in denen Barth selbst Auskunft über seine Vorgehensweise gibt.154 Dies heißt natürlich wiederum nicht, dass die Exegese im übertragenen Sinn auf ein unbeschriebenes Blatt Papier geschrieben worden wäre, im wörtlichen Sinn trifft dies aber durchaus immer wieder zu. Interessant ist hierzu ein Blick auf Barths Schöpfungslehre, in der die Exegese ganz offensichtlich am Anfang der theologischen Arbeit steht. Barth stößt hier nach eigener Auskunft auf ein Gebiet, auf dem er sich im Vergleich zu den vorausgehenden Bänden „entschieden weniger vertraut und sicher“ fühlt.155 Dass er in dieser Situation zunächst die Auslegung der alttestamentlichen Schöpfungssagen für geboten hält, spricht deutlich gegen den Vorwurf einer nachträglichen und somit vereinnahmenden Lektüre der biblischen Texte. Aber auch die Bearbeitung der Geduld Gottes innerhalb der Lehre von den göttlichen Vollkommenheiten gehört in diesen Zusammenhang, wurde doch im entsprechenden Kapitel in Hauptteil B dieser Studie festgestellt, dass Barth hier in geringerem Maße als sonst in KD II/1 auf die Dogmatiken seiner 152 Vgl. etwa die langen Exkurse in § 35 der Erwählungslehre, KD II/2, 391 – 453, 464 – 498, 508 – 563. 153 Krçtke, Die Christologie Karl Barths, 8. 154 Vgl. die an anderer Stelle bereits erwähnte Bemerkung in KD IV/3, 443, wo Barth erklärt, er habe „zur Vorbereitung auf das Thema dieses Paragraphen diesmal zunächst nur Hiob und einige seiner vielen Erklärer gelesen“. Vgl. ebenfalls die von Godsey zitierte Bemerkung gegenüber Teilnehmern des englischsprachigen Kolloquiums, in der Barth, gefragt nach den Gründen für seine gegenüber früheren Aussagen veränderte inhaltliche Ausrichtung seiner Engellehre in KD III/3, zunächst folgende Auskunft gibt: „I have studied the whole question of angels in the Old and New Testament.“ Vgl. Godsey, Karl Barth’s Table Talk, 72. 155 KD III/1, Vorwort.

340 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Gegenwart zurückgreifen konnte. Es ist kein Zufall, dass Barth der so entstandenen Notwendigkeit (und Freiheit) eigenständiger dogmatischer Arbeit durch eine intensivierte exegetische Bearbeitung der Geduld Gottes begegnet. Schließlich ist in Erinnerung an die Untersuchungen in Teil B dieser Studie festzuhalten, dass Barth wiederholt ganze biblische Kapitel oder Bücher auslegt. Dies spricht ebenfalls dafür, dass er den biblischen Schriften nicht nur eine regulative Funktion zugesteht, so dass zuvor aufgestellte dogmatische Sätze im Nachhinein auf ihre Übereinstimmung mit einzelnen biblischen Aussagen geprüft würden, sondern dass die exegetische Arbeit von Anfang an in den Prozess des dogmatischen Denkens integriert ist, wodurch die eigene Stimme der biblischen Texte eher zum Tragen kommt, als wenn sich die Exegese darauf beschränkt, nach Art des Dicta-probantia-Verfahrens nach biblischen Belegstellen zu suchen. Weisen die genannten Beobachtungen allesamt darauf hin, dass Barth in seiner Exegese grundsätzlich darum bemüht ist, die biblischen Texte als eine echte Erkenntnisquelle und insofern als ein Gegenüber wahrzunehmen, so ist auf der anderen Seite auf ein Desiderat hinzuweisen, welches diesen positiven Eindruck zumindest relativiert. Hierzu ist noch einmal an die eingangs erläuterte Aufgabe zu erinnern, vor der jede Interpretation biblischer und nichtbiblischer Texte steht, nämlich die Integration der im Text erhobenen Aussagen in das eigene, stets mitgebrachte Selbst-, Welt- und Gottesverständnis. Es wurde gesagt, dass zu dieser Integrationsleistung notwendig die Bereitschaft gehört, Konflikte zwischen den eigenen Vorstellungen und den Aussagen eines Textes zu benennen. Eben von dieser Bereitschaft ist in Barths Auslegungen so gut wie nichts zu spüren. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass am Ende der Auseinandersetzung mit den biblischen Texten die dogmatischen Aussagen der KD mit dem Zeugnis der Schrift in völligem Einklang stehen. So schreibt Barth etwa im Vorwort zu KD II/2: Ich wäre in der Praedestinationslehre an sich viel lieber bei Calvin geblieben, statt mich nun so weit von ihm zu entfernen. Und ich würde mich auch in der Grundlegung der Ethik gerne auf gewohnteren Bahnen bewegt haben. Aber es ging und geht nicht. Die Neuerung setzte sich bei mir, je länger ich die Bibel über diese Dinge zu mir reden ließ und was ich zu hören meine, bedachte, umso unwiderstehlicher durch. (KD II/2, VII)

Diese Aussage mag zunächst als ein weiterer Beleg dafür gelten, dass Barths Exegese von dem Anspruch und dem Selbstverständnis geprägt ist, die biblischen Texte als fremde Texte wahrzunehmen und eventuell sich ergebende Widersprüche zur eigenen (reformierten) Tradition nicht zu leugnen. Problematisch erscheint jedoch, dass zugleich der Eindruck erweckt wird, als laufe die Beschäftigung mit den biblischen Texten am Ende auf eine vollständige Harmonie zwischen den Aussagen der Texte und den eigenen dogmatischen Aussagen hinaus. Eine solche Harmonie mag Barths Idealvorstellung entsprechen, sie entspricht aber nicht der Realität, was schon daraus

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ersichtlich ist, dass Barth bereits in der Auswahl der ausgelegten Bibeltexte bestimmte Entscheidungen trifft, indem er manche Texte in seine Überlegungen aufnimmt und andere unberücksichtigt lässt. Dies setzt sich fort mit der ständigen Entscheidung über die zur Anwendung kommenden exegetischen Arbeits- bzw. Methodenschritte. Diese Entscheidungen zu benennen und zu begründen, mag im jeweiligen Einzelfall und erst recht im Rahmen einer Dogmatik als übertrieben erscheinen, es hätte jedoch allemal dazu beigetragen, der notwendigen Unterscheidung zwischen eigenen dogmatischen Überlegungen und den Aussagen der Bibel auch in der Praxis der Schriftauslegung Rechnung zu tragen. Noch in einem späten Rückblick kann Barth in ähnlichen Worten wie den soeben zitierten seine gesamte dogmatische Arbeit folgendermaßen beschreiben: „If I understand what I am trying to do in the Church Dogmatics, it is to listen to what Scripture is saying and tell you what I hear.“156 Wie bereits im Vorwort zu KD II/2, so kommt auch in dieser Selbstbeschreibung zwar einerseits deutlich das Anliegen zum Ausdruck, die biblischen Texte als ein Gegenüber wahrzunehmen und etwas Neues aus ihrer Lektüre zu erfahren. Das schlichte „and“ zwischen dem Vorgang des Hörens und des Weitersagens – im früheren Zitat lediglich durch jenen ebenfalls mit einem schlichtem „und“ verbundenen Vorgang des Bedenkens unterbrochen – gibt jedoch andererseits ein sehr beredtes Zeugnis davon, dass der kritisch zu hinterfragende Anspruch einer selbstverständlichen Harmonie zwischen den Aussagen der Bibel und den eigenen Aussagen in der KD tatsächlich Barths Sichtweise und Selbstanspruch entspricht. Welch problematische Konsequenzen eine solche Sichtweise, in welcher die historische Distanz zwischen den biblischen Texten und dem eigenem Selbst-, Welt- und Gottesverständnis ignoriert wird, nach sich ziehen kann, hat sich besonders deutlich anhand von Barths Geschlechterlehre in der fortlaufenden Auslegung von Gen 1 – 2 in KD III/1 gezeigt. Barth kombiniert hier alttestamentliche und neutestamentliche Verse miteinander, ohne deren jeweiligen thematischen wie auch geschichtlichen Kontext ausreichend zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die Auswahl der hinzugezogenen neutestamentlichen Verse (auch in diesem Fall) nicht eigens begründet wird. All dies führt dazu, dass Barths eigenes, nicht zuletzt dem romantischen Ideal des 19. Jahrhunderts verdanktes Verständnis von der Beziehung zwischen Mann und Frau die Auslegung so sehr bestimmt, dass er zu der fragwürdigen Bestimmung jenes Verhältnisses als einer „relativen Suprematie“ des Mannes gegenüber der Frau gelangt.157 Hält man sich die verschiedenen Beobachtungen noch einmal vor Augen, so ergibt sich ein Bild von Barths Auslegungspraxis, das zwar von dem Anliegen bestimmt ist, die biblischen Texte als ein Gegenüber wahrzunehmen, letztlich 156 Vgl. Johnson, The Legacy of Karl Barth, 4. 157 KD III/1, 353.

342 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ aber in der Gefahr steht, das hermeneutische Dilemma zwischen Vereinnahmung des Textes durch den Ausleger und Entfremdung vom Text einseitig zugunsten einer hermeneutischen Symbiose zwischen Ausleger und Text aufzulösen. Man wird freilich nicht fehlgehen, wenn man diese Symbiose bereits in jener berühmten – und viel kritisierten158 – Aussage aus dem Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs angelegt sieht, in der Barth sein Selbstverständnis als Exeget folgendermaßen beschreibt: Bis zu dem Punkt muss ich als Verstehender vorstoßen, wo ich nahezu nur noch vor dem Rätsel der Sache, nahezu nicht mehr vor dem Rätsel der Urkunde als solcher stehe, wo ich es also nahezu vergesse, dass ich nicht der Autor bin, wo ich ihn nahezu so gut verstanden habe, dass ich ihn in meinem Namen reden lassen und selber in seinem Namen reden kann. (Römerbrief II, 14)

Selbst wenn man das Anliegen jener Aussage, nämlich die Forderung nach einer sachorientierten Auslegung bzw. die Unterscheidung zwischen den Worten und dem Sachgehalt einer Aussage teilt, ist entsprechend der soeben festgestellten Gefahr der selbstverständlich vorausgesetzten Harmonie zwischen Ausleger und Text zu fragen, ob Barth bzw. eine jener Sachorientierung verpflichtete Schriftauslegung lediglich die einzelnen Texte von der einmal festgestellten Sache der Schrift diskutiert oder auch bereit ist, ihr Verständnis von jener Sache immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.159

3.3 Exegese und Hermeneutik Zeigt sich die als selbstverständlich vorausgesetzte Harmonie zwischen Ausleger und Text in Barths Schriftauslegung unter anderem darin, dass die Auswahl der biblischen Texte nicht eigens begründet wird, so ist an dieser Stelle präzisierend hinzuzufügen, dass das Ausbleiben einer solchen Begründung besonders auffällt angesichts der eindeutigen Bevorzugung von biblischen Erzähltexten, vor allem aus dem Alten Testament. Die Untersuchungen in Teil B haben gezeigt, dass Barth aus den Geschichten des Pentateuch, der Samuel- und der Könige-Bücher besonders viel Material für die Entfaltung seiner dogmatischen Überlegungen gewinnt. Anhand dieser Bevorzugung und der unmittelbar damit zusammenhängenden Auslegungstechnik, nämlich der narratologisch sensibilisierten und theologisch interessierten Nacherzählung, lässt sich sowohl die Stärke als auch die Schwäche von Barths Schriftauslegung noch einmal sehr schön illustrieren. Die Stärke von Barths Nacherzählungen liegt darin, dass sie dazu verhilft, 158 Vgl. u. a. Bayer, Autorität und Kritik, 13 f. 159 Dass Barth diese Notwendigkeit theoretisch bejaht hat, wurde im Kapitel über Barths Schriftlehre gezeigt, vgl. Teil A, Abschnitt 2.3.

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die aktuelle Relevanz der biblischen Texte erkennbar zu machen. Der „garstig breite Graben“160 zwischen den alten Texten und der Gegenwart kann mit Hilfe von Barths Auslegung potentiell überbrückt werden. Dies geschieht zunächst, indem diese Geschichten in einen bestimmten für die gegenwärtige theologische Diskussion relevanten thematischen Kontext wie etwa die Sündenlehre oder die Rede von Gottes Geduld gestellt werden. Vor allem aber geschieht der Brückenschlag zur Gegenwart, indem die Leserinnen und Leser zur Identifikation mit den Figuren der erzählten Handlung eingeladen werden. Dass diese Identifikation tatsächlich stattfindet, können Barths Nacherzählungen natürlich nicht bewirken. Wenn es jedoch zu dieser Identifikation kommt, anders gesagt: wenn Barths Nacherzählungen dazu dienen, dass heutige Leserinnen und Leser Entdeckungen machen, welche dazu verhelfen, das eigene Leben als der Gnade Gottes verdanktes und insofern befreites Leben anzunehmen und in dieser Freiheit zu gestalten, dann wird man eine solche unmittelbare Vergegenwärtigung schon angesichts des „Anredecharakter[s]“, der den biblischen Texten insgesamt zu Eigen ist,161 keineswegs als unsachgemäß bezeichnen können. Auch dort, wo der „garstig breite Graben“ nicht auf dem Weg hermeneutischer Reflexion, also per Distanzierung und anschließender Vergegenwärtigung überbrückt wird, sondern dadurch, dass der Leser oder die Leserin unmittelbar mit den in den Texten erzählten Dramen konfrontiert wird, kann die Auslegung in einem sachgemäßen Verstehen resultieren. Interessanterweise stammt ein besonders pointierter Beitrag, der in diese Richtung denkt, von einem islamischen Theologen, nämlich B. Tatar, der seinerseits in großem Maße durch die Hermeneutik H.-G. Gadamers geprägt ist und diese für die Auslegung des Korans fruchtbar zu machen versucht.162 Tatar vergleicht die unmittelbare Vergegenwärtigung eines Textes mit der Wirkung, die ein Musikstück auf einen Hörer ausüben kann: Wahre Auslegung, Interpretation von musikalischen Werken ist nur möglich, wenn der Unterschied zwischen der Welt der Melodien und der Bedeutungswelt des Interpreten oder Hörers weitgehend beseitigt wird und die Melodien selbst durch ihre Resonanz im Bewusstsein zu bestimmten rhythmischen Bewegungen von Empfindung und Verhalten führen. […] Genauso kann man sagen, dass Interpretation des Koran vor allem stattfindet, wenn die koranische Bedeutungswelt im Bewusstsein

160 Lessing, Über den Beweis, 12 f. 161 Vgl. JRngel, Wertlose Wahrheit, 197. 162 In seiner Dissertationsschrift vergleicht Tatar die Hermeneutik Gadamers mit dem hermeneutischen Ansatz E. Hirschs, vgl. Tatar, Interpretation and the Problem of the Intention. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Fragen der Schrifthermeneutik aufgrund der vergleichbaren hermeneutischen Herausforderungen ein besonders fruchtbares Gebiete für einen interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Islam darstellen, vgl. hierzu Renz u. a., Nahe ist dir das Wort, bes. 261 – 275.

344 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ eine gewisse Resonanz findet und sich diese Resonanz über Gefühle und Verhalten in der Außenwelt zu konkretisieren beginnt.163

Die Pointe von Tatars Vergleich liegt in dem Plädoyer für einen umfassenden Begriff davon, was gemeint ist, wenn von sachgemäßem Verstehen die Rede ist. Darin trifft er sich mit dem, was in der christlichen Tradition als durch den Geist gewirkte Glauben stiftende Funktion der Schrift bezeichnet wird. Die Ausführungen über das protestantische Schriftprinzip haben gezeigt, dass sachgemäßes Verstehen der Schrift sich nach reformatorischem Verständnis nicht auf einen intellektuellen Vorgang zur Wissensvermehrung reduzieren lässt. Insofern ist es nur konsequent, wenn ein Exeget bzw. eine Exegetin sich die Freiheit nimmt, der eigenen Auslegung die Gestalt einer direkten oder indirekten Anrede zu verleihen und dabei die Erläuterung historischer oder philologischer Hintergrundinformationen bisweilen zurückstellt. Allerdings – und damit wird noch einmal der schwache Punkt von Barths Schriftauslegung berührt – bedeutet diese Freiheit der Exegese nicht, dass die Erläuterung exegetischer Entscheidungen und hermeneutischer Grundlagen verzichtbar wäre. Eben dahin zielt der Vorwurf, der gegen Barth zu erheben ist, erst recht angesichts der fundamentalen Bedeutung, die seine Exegese, wie in der vorliegenden Studie festgestellt, für die dogmatische Argumentation besitzt. Wer die exegetische Arbeit in einem solchen Maße zum Grundpfeiler seiner in öffentlicher Verantwortung ausgeübten dogmatischen Lehre macht, wie Barth dies getan hat, von dem darf eine Offenlegung seiner hermeneutischen Prinzipien und damit auch die Reflexion des hermeneutischen Dilemmas zwischen notwendiger Distanz und problematischer Entfremdung sehr wohl erwartet werden. Diese Kritik trifft weniger Barths Auslegungen selbst als vielmehr den Verzicht auf eine angemessene hermeneutische Reflexion, zu dem sich Barth bekanntlich vor allem in seinen Briefen mehrfach bekannt hat.164 Positive Resonanz hat jener Verzicht jüngst bei P.D. Jones gefunden, der gerade darin „a salutary lesson for academic theologians, scholars of religion, and ministers alike“ erkennt.165 In einer Umschreibung von Barths Position erläutert Jones: „We ought not to worry so much about how to read and respond to Scripture; we ought simply to get on with the business of reading and responding to Scripture. The vitality of the Word requires nothing less.“166 Als berechtigte Warnung, über dem hermeneutischen Metadiskurs die 163 Tatar, Das Problem der Koranauslegung, 116 f. 164 Vgl. etwa den Brief an Landessuperintendent W. Herrenbrück vom 13. 7. 1963 (vgl. Br1961 – 1968, 159), in dem Barth in aller Offenheit schreibt: „Man lasse sie [gemeint sind die Vertreter der Entmythologisierung] im Fett ihrer Hermeneutik, ihres Geredes über das Gerede […] schmoren, so lange sie Lust haben, und halte sich in ihrem Angesicht an den uns nach Ps. 23,5 bereiteten Tisch.“ Etwas gemäßigter, sachlich aber entsprechend drückt Barth sich in einem Brief an G. Ebeling vom 7. 12. 1952 aus, vgl. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 404. 165 Jones, The Heart of the Matter, 193. 166 Ebd.

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Exegese nicht zu vernachlässigen, ist dieses Statement durchaus zu würdigen. Allerdings wird darin zugleich suggeriert, dass die Klärung hermeneutischer Fragen dem Charakter der Bibel als eines „lebendigen Wortes“ nicht gerecht werde. Hiergegen ist – übrigens in Anlehnung an Barths Schriftlehre und insofern mit Barth gegen Barth – einzuwenden, dass die Lebendigkeit der Bibel als geschriebenes Wort Gottes nicht ohne die Menschlichkeit und Missbrauchbarkeit der Bibel gedacht werden darf.167 Dass sich die Bibel als Wort Gottes erweist, steht nicht in der Macht des (noch so sehr auf diese Lebendigkeit vertrauenden) Auslegers, sondern ist allein dem Wirken des göttlichen Geistes zu verdanken.168 Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, die Schwierigkeiten ernst zu nehmen, die sich unweigerlich stellen, wenn es darum geht, die Bibel zu verstehen. Und es ist notwendig, gerade jene Schwierigkeiten zu diskutieren, die sich aus dem Charakter der Schrift als eines menschlichen Zeugnisses und damit als einer historischen Größe ergeben.169 Das von der historisch-kritischen Forschung zur Geltung gebrachte hermeneutische Dilemma zwischen Vereinnahmung und Entfremdung darf nicht einfach übergangen werden, auch nicht mit dem Hinweis auf die Lebendigkeit der Schrift. Dieses Dilemma ernst zu nehmen, bedeutet aber nicht zuletzt, über die eigenen exegetischen Entscheidungen und hermeneutischen Vor-Entscheidungen Rechenschaft abzulegen. Eine solche Rechenschaft ist, wie bereits gesagt, erst recht von einem Dogmatiker zu verlangen, der seine dogmatischen Entscheidungen wesentlich auf seine exegetische Arbeit zurückführt. Vor allem aber ist sie von einem Dogmatiker zu erwarten, der als theologischer Lehrer ein Interesse daran haben musste, dass seine exegetische Vorgehensweise über den Rahmen der eigenen Praxis hinaus auch als Vorbild für die zur „Exegese, Exegese und noch einmal Exegese!“170 aufgerufenen Schülerinnen und Schüler dienen konnte.171 Durch den weitgehenden Verzicht auf eine hermeneutische Erläuterung 167 Zur Menschlichkeit der Schrift bei Barth vgl. insbesondere KD I/2, 563 – 568. 168 Aus diesem Grund hat Barth, wie bereits mehrfach erwähnt, den Ereignischarakter des Wortes Gottes betont. 169 Barth selbst hat diese Schwierigkeiten bekanntlich insofern relativiert, als er „das Lessingproblem“ des historischen Abstands für weniger gravierend gehalten hat als jenes Zittern, das aus der Begegnung mit dem auferstandenen Christus entspringt, vgl. KD IV/1, 321 f. Als „Fluchtbewegung“ konnte Barth die Frage Lessings bezeichnen, vgl. ebd. Gleichzeitig räumt er aber ein, dass die „Echtheit der Lessingfrage“, wenn auch als einer Folge des Sündenfalls, nicht zu bestreiten sei. So oder so ist festzuhalten, dass die Frage Lessings der theologischen Reflexion aufgegeben ist und ihre Bearbeitung hier ihre Berechtigung und ihren sachgemäßen Ort hat. 170 So die berühmte Aufforderung, die Barth seinen Studierenden in seiner letzten Vorlesung vor der Zwangsbeurlaubung in Bonn mit auf dem Weg gab. Vgl. Busch, a. a. O., 272. 171 Dies gilt auch angesichts bzw. gerade wegen des Anliegens, die eigenen Studenten nicht zu Barthianern, sondern zu „Schülern der Heiligen Schrift“ zu erziehen. Busch, Meine Zeit mit Karl Barth, 11.

346 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ seiner exegetischen Entscheidungen, die den Unterschied zwischen den biblischen Texten und den eigenen dogmatischen Aussagen hätte zum Ausdruck bringen können (ohne dass deshalb eine von beiden Seiten notwendig einen Bedeutungsverlust hätte erleiden müssen!), hat Barth in Kauf genommen, dass seine Auslegungen heutigen Leserinnen und Lesern zwar eine anregende Auseinandersetzung und viele interessante Entdeckungen ermöglicht,172 ein Lernen für die eigene Auslegungspraxis aber deutlich erschwert ist.173

3.4 Ergebnis Die Krise des protestantischen Schriftprinzips, so wurde im ersten Kapitel dieses Schlussteils gezeigt, spitzt sich zu in dem hermeneutischen Dilemma zwischen einer selbstmächtigen Vereinnahmung des Textes durch den Ausleger einerseits und einer sich im Gefolge notwendiger Distanzierung ergebenden Entfremdung zwischen Text und Ausleger bzw. zwischen Text und Auslegungsgemeinschaft andererseits. Es wurde gesagt, dass es in diesem Dilemma keine Kompromisslösung geben kann, sondern sowohl die Fremdheit gegenüber den Texten als auch die Vertrautheit mit den Texten immer wieder gesucht, mit Hilfe des Geistes gefunden und dann auch wieder überwunden und aufs Neue gesucht werden muss. Karl Barth hat dies in seiner Schriftlehre selbst gefordert, indem er den Ereignischarakter des Wortes Gottes betont und das Verstehen der Bibel auf das je neue Wirken des göttlichen Geistes zurückführt. Insofern ist festzustellen, dass das zentrale historisch-kritische Anliegen, die Texte vor einer selbstmächtigen Vereinnahmung durch den Ausleger zu bewahren, von Barth aufgenommen und seinerseits vertieft wird. Bezüglich der praktischen Umsetzung in Barths Schriftauslegung hat sich allerdings gezeigt, dass von einer Fremdheit gegenüber den biblischen Texten nur wenig zu spüren oder gar zu lesen ist und eine Reflexion über den eigenen – von den biblischen Texten verschiedenen – Kontext ebenso unterbleibt wie eine Erläuterung der wichtigsten exegetischen Entscheidungen. Von daher bleibt als kritische Anfrage an Barths Auslegungspraxis, ob die Gefahr der Entfremdung nicht allzu einseitig zugunsten einer als selbstverständlich vorausgesetzten Vertrautheit mit den biblischen Texten überwunden wird.

172 So auch Childs, Barth as Interpreter, 34, über Barths Hiob-Auslegung in KD IV/3: „And again it is fantastic to see all sorts of new vistas opened that no one has seen before.“ 173 Vgl. die nüchterne Bilanz zur Rezeption von Barths Auslegungspraxis innerhalb der gegenwärtigen akademischen Exegese durch Watson, The Bible, 66 – 68.

Um der Sache willen

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4. Um der Sache willen Karl Barth war mit Leidenschaft Ausleger der Heiligen Schrift. Spätestens seit seiner „Umkehr zur Bibel“174 ist und bleibt die intensive Beschäftigung mit den biblischen Texten für ihn eine unverzichtbare Quelle theologischer Erkenntnis. Für die Grundausrichtung von Barths Exegese bedeutet dies – und die im Verlauf dieser Studie untersuchten exegetischen Exkurse in der KD bestätigen diese Einschätzung –, dass die Exegese biblischer Texte bei Barth stets von dem Anliegen bestimmt ist, Einsichten darüber zu gewinnen, wie aus christlicher Perspektive das „Wagnis“175 unternommen werden kann, „von Gott [zu] reden“.176 Barths Exegese unterscheidet sich damit von einer Auslegungspraxis, die sich vornehmlich auf die Klärung historischer oder philologischer Einzelfragen konzentriert. Explizite Abgrenzungen gegenüber einer solchen Vorgehensweise finden sich sowohl in Barths frühen schrifthermeneutischen Beiträgen177 als auch in den späteren Auslegungen in der KD.178 Um der Sache willen legt Barth die Schrift aus, um der Sache willen widmet er sich als Dogmatiker „eigentlich nur stellvertretend“ der Aufgabe der Exegese, die ihm „bei aller Sorge“ angesichts „der ganzen Gefährdung des Nichtfachmanns“ zugleich „ganz besondere Freude macht“.179 Wie wichtig der theologische Sachbezug für Barths Auslegungspraxis ist, wurde in der vorliegenden Studie immer wieder sichtbar, etwa in der Analyse der Nacherzählungen innerhalb von Barths Sündenlehre. Zwar ist in diesen Nacherzählungen ein ästhetisches Interesse sowohl an der sprachlichen Gestalt der alttestamentlichen Texte wie auch an der rhetorischen Ausgestaltung der eigenen Auslegung nicht zu leugnen. Gleichwohl hat die Untersuchung ergeben, dass auch Barths narrative Exegese nicht in erster Linie das Ziel einer möglichst spannungs- und effektvollen Darstellung verfolgt, sondern im Dienst der theologischen Sache, in diesem Fall im Dienst der sachgemäßen Darlegung der Sündenlehre, steht. Eine solche sachgemäße Darlegung sieht vor, die Sünde des Menschen als Widerspruch gegen Gottes gnädige Verheißung und Zuwendung einsichtig zu machen. Sie steht damit – und dies gilt bei Barth für jedes dogmatische Thema – in unmittelbarem Zusammenhang mit Gottes Offenbarung als der eigentlichen Sache, um deretwillen er die Bibel auslegt.

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Obst, Veni Creator Spiritus, 167 f, sowie BwTh I, 300. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 156. A.a.O., 151 et passim. Vgl. insbesondere das Vorwort zur zweiten Auflage des Römerbriefs: Barth, Römerbrief II, 11 – 19. 178 Vgl. u. a. die Begründung der Gattungsbezeichnung der biblischen Schöpfungserzählungen als Sagen, vgl. hierzu Kapitel B 3, Abschnitt 2.2.1.3. 179 KD III/2, Vorwort.

348 Barths Auslegung und die „Krise des protestantischen Schriftprinzips“ Dass der theologische Sachbezug innerhalb der Exegese bei Barth im Letzten auf diese eine Sache der Schrift zugespitzt werden kann, lässt sich insbesondere mit Blick auf Barths hermeneutische Grundregel behaupten, nach der in der Auslegung eines Textkorpus stets nach der darin verhandelten Sache gefragt werden muss. Es wurde gezeigt, dass diese Regel, welche in der Schriftlehre in KD I/2 entfaltet wird, Barths Exegese in hohem Maße prägt. Eine Auslegung der biblischen Schriften, welche von der in diesen Schriften bezeugten Offenbarung Gottes absieht, kann nach Barths Auffassung nicht zu einem sachgemäßen und deshalb auch nicht zu einem textgemäßen Verstehen der einzelnen biblischen Bücher und Perikopen führen. Noch einmal ist zu betonen, dass der Begriff „Gottes Offenbarung“ in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht zu präzisieren ist. Zum einen geht es darum, ihn – vor allem mit Blick auf das Zeugnis des Alten Testaments – in einem weiten Sinn zu verstehen als die Geschichte der immer neuen Bundesschlüsse, in denen sich der dreieinige Gott erst dem Volk Israel und dann allen Völkern als Schöpfer und Erlöser kundtut und seine Schöpfung zur Gemeinschaft mit sich selbst einlädt. Zum anderen ist festzuhalten, dass die Geschichte der Offenbarung Gottes – nach dem Zeugnis des Neuen Testaments – einen unüberbietbaren Höhepunkt hat, nämlich das Lebenszeugnis Jesu Christi, in dessen Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen der Gemeinschaftswille des Schöpfers unwiderruflich zum Vorschein gekommen ist. In diesem Sinne ist die Schrift Zeugnis der Offenbarung, Zeugnis Jesu Christi und damit Zeugnis des Schöpfers, der an der Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen und an deren Wohlergehen interessiert ist. Das Lebenszeugnis Jesu Christi ist für Barth der entscheidende Grund dafür, dass Gottes Wirken insgesamt als ein gnädiges Wirken zu verstehen ist, und im Kontext dieser Grundausrichtung des göttlichen Wirkens legt Barth auch solche biblischen Texte aus, die scheinbar ein ganz anderes Gottesbild zeichnen, etwa jene, die von der göttlichen Verwerfung handeln. Eine Schriftauslegung, die in Barths Sinne um der Sache willen geschieht, geht schließlich davon aus, dass die Sache der Schrift, nämlich die als „Gottes Offenbarung“ bezeichnete Geschichte je neuer Bundesschlüsse, zwar im Christusgeschehen ihren unüberbietbaren Höhepunkt hat, gleichwohl aber keine abgeschlossene, sondern eine fortdauernde Geschichte darstellt. Gottes Offenbarung ereignet sich bis in die Gegenwart hinein immer wieder neu, wenn es im Hören auf das Zeugnis der Schrift zu einer existenziellen Aneignung des Gehörten kommt, mit anderen Worten: wenn Menschen aufgrund dieses Zeugnisses zum Glauben an den dreieinigen Gott finden. Dass dies geschieht, ist in der vorliegenden Untersuchung wiederholt als ein implizites Anliegen von Barths Schriftauslegung herausgearbeitet worden. Auch in dieser Hinsicht stellen Barths exegetische Nacherzählungen, z. B. die narrative Auslegung von Röm 7 in der Rechtfertigungslehre, das eindrücklichste Beispiel dar, indem sie die Leserinnen und Leser zur Identifikation mit den jeweils beschriebenen Charakteren einladen und ihnen damit die Möglichkeit er-

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öffnen, sich selbst in der geschilderten Geschichte der Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen zu verorten. Das Anliegen einer an der theologischen Sache orientierten Exegese, welches die Aufgabe der selbstkritischen Überprüfung des bisherigen Verständnisses dieser Sache impliziert, ist somit – ungeachtet der im Verlauf der Studie und insbesondere im Verlauf dieses Schlussteils geäußerten kritischen Anfragen – als der entscheidende und bleibende Impuls zu betrachten, den es ausgehend von Barths Schriftauslegung für die stets neue Herausforderung des Verstehens der Schrift fruchtbar zu machen gilt. Die vorliegende Studie hat es unternommen, Einblicke in Barths exegetische Vorgehensweise in der KD samt ihren hermeneutischen Leitlinien und ihren Auswirkungen auf die dogmatische Argumentation zu geben. Die eigene Rechenschaft des Exegeten über seine hermeneutischen Grundsätze kann dadurch selbstverständlich nicht ersetzt werden. Wenn es aber gelungen ist, Barths Schriftauslegung als ein Beispiel dafür zu präsentieren, wie fruchtbar die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten für die theologische Arbeit in der Gegenwart sein kann, und darüber hinaus einige der hermeneutischen Leitlinien aufgezeigt wurden, die im Hintergrund von Barths Exegese stehen, dann hat die Studie ihr Ziel erreicht.

Abkürzungen 1. Schriften von Karl Barth Br 1933 = Briefe des Jahres 1933, hg. v. Eberhard Busch, Zürich 2004. Br 1961 – 1968 = Briefe 1961 – 1968, GA V/6, hg. v. Jürgen Fangmeier und Hinrich Stoevesandt, Zürich 1975. BwBB = „Karl Barth und Walter Baumgartner. Ein Briefwechsel über das Alte Testament“, hg. v. Rudolf Smend, ZThK Beiheft 6 (1986), 240 – 271. BwH = „Ein Briefwechsel zwischen Karl Barth und Adolf von Harnack“, in: Moltmann, Anfänge der Dialektischen Theologie I, 323 – 347. BwK = Karl Barth – Charlotte von Kirschbaum. Briefwechsel. Band I: 1925 – 1935, GA V/45, hg. v. Rolf-Joachim Erler, Zürich 2008. BwTh I = Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band I: 1913 – 1921, GA V/3, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1973. BwTh II = Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band II: 1921 – 1930, GA V/4, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1973. BwTh III = Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band III: 1930 – 1935, GA V/34, hg. v. Caren Algner, Zürich 2000. CD = Die Christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, GA II/14, hg. v. Gerhard Sauter, Zürich 1982. FQI = Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, GA II/13, hg. v. Eberhard Jüngel und Ingolf U. Dalferth, Zürich 1981. GA = Karl Barth Gesamtausgabe, Zürich 1971 ff. NW = „Die Neue Welt in der Bibel“, in: Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, München 21929, 18 – 32. Römerbrief I = Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919, GA II/16, hg. v. Hermann Schmidt, Zürich 1985. Römerbrief II = Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, GA II/47, hg. v. Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja, Zürich 2010. UCR I = „Unterricht“ in der christlichen Religion. Erster Band: Prolegomena, GA II/17, hg. v. Hannelotte Reiffen, Zürich 1985.

Sonstige Abkürzungen

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2. Sonstige Abkürzungen EG = Evangelisches Gesangbuch. N = Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke. Band I – VI, hg. v. Josef Nadler, Wien 1949 – 1957 = Wuppertal 1999.

Die Abkürzungen biblischer Bücher – soweit sie nicht Teil von Zitaten sind – entsprechen: Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, Stuttgart 21981. Alle weiteren Abkürzungen folgen: Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 2 1994.

Literatur 1. Schriften von Karl Barth (chronologisch geordnet) 1.1 Die Kirchliche Dogmatik I. Die Lehre vom Wort Gottes (Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik). 1. Halbband, München 1932. I. Die Lehre vom Wort Gottes (Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik). Teilband 2, Zollikon 1938. II. Die Lehre von Gott. Teilband 1, Zollikon 1940. II. Die Lehre von Gott. Teilband 2, Zollikon-Zürich 1942. III. Die Lehre von der Schöpfung. Teilband 1, Zollikon-Zürich 1945. III. Die Lehre von der Schöpfung. Teilband 2, Zollikon-Zürich 1948. III. Die Lehre von der Schöpfung. Teilband 3, Zollikon-Zürich 1950. III. Die Lehre von der Schöpfung. Teilband 4, Zollikon-Zürich 1951. IV. Die Lehre von der Versöhnung. Teilband 1, Zollikon-Zürich 1953. IV. Die Lehre von der Versöhnung. Teilband 2, Zollikon-Zürich 1955. IV. Die Lehre von der Versöhnung. Teilband 3, Zollikon-Zürich 1959. IV. Die Lehre von der Versöhnung. Teilband 4 (Fragment): Das christliche Leben. Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens, Zürich 1967. Das christliche Leben. Die Kirchliche Dogmatik IV/4, Fragmente aus dem Nachlaß. Vorlesungen 1959 – 1961, GA II/7, hg. v. Hans-Anton Drewes und Eberhard Jüngel, Zürich 1976. Die Kirchliche Dogmatik. Registerband, unter Mitarbeit v. Wolfgang Erk und Marcel Pfändler hg. v. Helmut Krause, Zürich 1970.

1.2 Sonstige Monographien Mit Eduard Thurneysen: Suchet Gott, so werdet ihr leben!, Bern 1917. Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919, GA II/16, hg. v. Hermann Schmidt, Zürich 1985. (zitiert: Römerbrief I) Erklärungen des Epheser- und des Jakobusbriefes 1919 – 1929, GA II/46, hg. v. Jörg-Michael Bohnet, Zürich 2009. Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, GA II/47, hg. v. Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja, Zürich 2010. (Römerbrief II) Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über I. Kor. 15 (1924), ZollikonZürich 41953. „Unterricht“ in der christlichen Religion. Erster Band: Prolegomena (1924), GA II/17, hg. v. Hannelotte Reiffen, Zürich 1985. (UCR I)

Schriften von Karl Barth

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Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel 1 – 8). Vorlesung Münster, Wintersemester 1925/1926, wiederholt in Bonn, Sommersemester 1933, GA II/9, hg. v. Walther Fürst, Zürich 1976. Die Christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik (1927), GA II/14, hg. v. Gerhard Sauter, Zürich 1982. (CD) Erklärung des Philipperbriefes, München 1928. Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), GA II/13, hg. v. Eberhard Jüngel und Ingolf U. Dalferth, Zürich 1981. (FQI) Credo. Die Hauptprobleme der Dogmatik dargestellt im Anschluss an das Apostolische Glaubensbekenntnis (Utrechter Vorlesungen vom Februar und März 1935), ZollikonZürich 1948. Evangelium und Gesetz, TEH 32, München 1935. Christengemeinde und Bürgergemeinde, ThSt(B) 20, Zollikon-Zürich 1946. Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert (1947), Zürich 41981. Die Menschlichkeit Gottes. Vortrag, gehalten an der Tagung des Schweizerischen Reformierten Pfarrvereins in Aarau am 25. September 1956, ThSt(B) 48, Zollikon-Zürich 1956.

1.3 Aufsätze, Predigten „Predigt Nr. 58 vom 19. 1. 1911“, unveröffentlicht, Karl-Barth-Archiv Basel. „Die Neue Welt in der Bibel“ (1917), in: Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, München 21929, 18 – 32. (NW) „Religion und Leben“ (1917), EvTh 11 (1952), 437 – 451. „Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke“ (1920), in: Das Wort Gottes und die Theologie. Gesammelte Vorträge, München 1924, 70 – 98. „Not und Verheißung der christlichen Verkündigung“ (1922), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 66 – 97. „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ (1922), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 148 – 175. „Gegenrede zu dem Aufsatz von Friedrich Wilhelm Foerster“ (1923), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 190 – 201. „Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt“ (1924), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 430 – 457. „Das Schriftprinzip der reformierten Kirche“ (1925), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 502 – 544. „Kirche und Theologie“ (1925), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, GA III/19, hg. v. Holger Finze, Zürich 1990, 649 – 682. „Die Kirche und die Kultur“ (1926), in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1925 – 1930, GA III/ 24, hg. v. Hermann Schmidt, Zürich 1994, 10 – 40. „Gottes Offenbarung nach der Lehre der christlichen Kirche“ (1927) , in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1925 – 1930, GA III/24, hg. v. Hermann Schmidt, Zürich 1994, 217 – 295.

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Literatur

„,Parergon‘. Karl Barth über sich selbst. Veränderungen 1928 – 1938“, EvTh 8 (1948/1949), 268 – 282. „Das Problem Lessings und das Problem des Petrus“, in: Walter Schneemelcher/Karl Gerhard Steck (Hg.), Ecclesia semper reformanda. Theologische Aufsätze. Ernst Wolf zum 50. Geburtstag, EvTh Sonderheft, München 1952, 4 – 17. „Lebendige Vergangenheit. Briefwechsel zwischen Eduard Thurneysen und Karl Barth aus den Jahren 1921 – 1925“, in: Gottesdienst – Menschendienst. Eduard Thurneysen zum 70. Geburtstag am 10. Juli 1958, Zollikon 1958, 7 – 173. „Nachwort“, in: Schleiermacher-Auswahl, hg. v. Heinz Bolli, München/Hamburg 1968, 290 – 312.

1.4 Briefe Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band I: 1913 – 1921, GA V/3, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1973. (BwTh I) Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band II: 1921 – 1930, GAV/4, hg. v. Eduard Thurneysen, Zürich 1973. (BwTh II) „Ein Briefwechsel zwischen Karl Barth und Adolf von Harnack“ (1923), in: Moltmann, Anfänge der Dialektischen Theologie I, 323 – 347. (BwH) Karl Barth – Charlotte von Kirschbaum. Briefwechsel. Band I: 1925 – 1935, GA V/45, hg. v. Rolf-Joachim Erler, Zürich 2008. (BwK) Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel. Band III: 1930 – 1935, einschließlich des Briefwechsels zwischen Charlotte von Kirschbaum und Eduard Thurneysen, GA V/34, hg. v. Caren Algner, Zürich 2000. (BwTh III) Briefe des Jahres 1933, unter Mitarbeit von Bartolt Haase und Barbara Schenck hg. v. Eberhard Busch, Zürich 2004. (Br 1933) „Karl Barth und Walter Baumgartner. Ein Briefwechsel über das Alte Testament“ (1940 – 1955), hg. v. Rudolf Smend, ZThK Beiheft 6 (1986), 240 – 271. (BwBB) Briefe 1961 – 1968, GAV/6, hg. v. Jürgen Fangmeier und Hinrich Stoevesandt, Zürich 1975. (Br 1961 – 1968)

2. Zeitgenössische sowie von Barth benutzte (ältere) exegetische Literatur (alphabetisch geordnet) Althaus, Paul, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen 21933. Ambrosius von Mailand, Hexaemeron libri six, PL 14, 131 – 288. Baentsch, Bruno, Exodus – Leviticus – Numeri, HK I/2, Göttingen 1903. Baumgartner, Walter, Art. „Märchen, I. Allgemein, II. In der Bibel“, RGG2 3, 1824 – 1833. —, Art. „Sagen und Legenden, I. Allgemein“, RGG2 5, 41 – 48. Beck, Johann Tobias, Erklärung des Briefes Pauli an die Römer, hg. v. Julius Lindenmeyer, 2 Bände, Gütersloh 1884. Bonhoeffer, Dietrich, Schöpfung und Fall, DBW 3, hg. v. Martin Rüter und Ilse Tödt, München 1989. Bultmann, Rudolf, Art. „Mythos und Mythologie, III B. Im NT“, RGG2 4, 390 – 394.

Zeitgenössische sowie von Barth benutzte Literatur

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Calvin, Johannes, Commentariorum in quinque libros Mosis. Pars I. Primus Mosis liber Genesis vulgo dictus, CR 51, 5 – 622. —, Commentariorum in quinque libros Mosis. Pars II. Mosis reliqui libri quattuor in formam harmoniae, CR 52, 1 – 727. Delitzsch, Franz, Neuer Commentar über die Genesis, Leipzig 1887. Dillmann, August, Die Bücher Exodus und Leviticus, in 3. Auflage hg. v. Victor Ryssel, KeH 12, Leipzig 31897. Duhm, Bernhard, Israels Propheten, Tübingen 1916. Ehrlich, Arnold B., Randglossen zur hebräischen Bibel. Textkritisches, Sprachliches und Sachliches. Erster Band: Genesis und Exodus, Hildesheim 1968 = Leipzig 1908. Eichrodt, Walther, Theologie des Alten Testaments. I. Gott und Volk, Leipzig 1933. —, Theologie des Alten Testaments. II. Gott und Welt, Leipzig 1935. Foerster, Werner, Art. „jt¸fy“, ThWNT 3, 999 – 1034. Godet, Frxdxric L., Kommentar zu dem Brief an die Römer. Band 2: Kap. 6 – 16, deutsch bearbeitet v. Ernst R. Wunderlich und Karl Wunderlich, Hannover 21893. Gunkel, Hermann, Genesis, HK I/1, Göttingen 31910. —, Die Psalmen, HK II/2, Göttingen 41926. —, Art. „Mythus und Mythologie, III A. Im AT“, 381 – 390, RGG2 4, 381 – 390. —, Art. „Sagen und Legenden, II. In Israel“, RGG2 5, 49 – 60. Heinisch, Paul, Das Buch Leviticus, HSAT I/3, Bonn 1935. Hofmann, Johann Christian Karl von, Die heilige Schrift neuen Testaments zusammenhängend untersucht. 3. Theil: Der Brief Pauli an die Römer, Nördlingen 1868. Hölscher, Gustav, Das Buch Hiob, HAT I/17, Tübingen 21952. Horst, Johannes, Art. „lajqohul¸a“, ThWNT 4, 377 – 390. Jacob, Benno, Das erste Buch der Tora – Genesis, Berlin 1934. Jeremias, Alfred, Das Alte Testament im Lichte des alten Orients, Leipzig 41930. Jülicher, Adolf, „Ein moderner Paulusausleger“, in: Moltmann, Anfänge der Dialektischen Theologie I, 87 – 98. —, „Der Brief an die Römer“, in: Johannes Weiß (Hg.), Die Schriften des Neuen Testaments neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt. Band II: Die Briefe. Die johanneischen Schriften, Göttingen 1907, 1 – 95. Jülicher, Adolf/Fascher, Erich, Einleitung in das Neue Testament, GThW III/1, Tübingen 7 1931. Ketter, Peter, Die Samuelbücher, HBK III/1, Freiburg i. Br., 1940. Kittel, Gerhard, Art. „eQj_m, B. Götter- und Menschenbilder im Judentum und Christentum“, ThWNT 2, 380 – 386. Knopf, Rudolf/Lietzmann, Hans/Weinel, Heinrich, Einführung in das Neue Testament. Bibelkunde des Neuen Testaments. Geschichte und Religion des Urchristentums, STö.T 2, Berlin 51949. Kühl, Ernst, Der Brief des Paulus an die Römer, Leipzig 1913. Kümmel, Werner Georg, Römer 7 und die Bekehrung des Paulus, UNT 17, Leipzig 1929. Leimbach, Karl, Die Bücher Samuel, HSAT III/1, Bonn 1936. Lietzmann, Hans, Einführung in die Textgeschichte der Paulusbriefe. An die Römer, HNT 8, Tübingen 41933. Lipsius, Richard A., Briefe an die Galater, Römer, Philipper, Hand-Commentar zum Neuen Testament II/2, Freiburg i. Br. 1891.

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Literatur

Lohmeyer, Ernst, Das Evangelium des Markus, KEK I/2, Göttingen 101937. Luther, Martin, Auslegung des ersten und zweiten kapitels Johannis in Predigten (1537/ 1538), WA 46, 538 – 789. —, Dictata super Psalterium (1513 – 1516). Psalmus XLIV. [XLV.], WA 3, 253 – 264. —, Diui Pauli apostoli ad Romanos Epistola (1515/1516), WA 56, 3 – 528. —, In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius ex praelectione D. Martini Lutheri (1531) collectus 1535, WA 40/1, 1 – 688. —, In Genesin declamationes – Über das erste Buch Mose. Predigten (1527), WA 24, 1 – 710. —, Predigt am Tage Johannis des Täufers (1525), WA 17/1, 284 – 317. Noth, Martin, Geschichte Israels, Göttingen 51963. Nygren, Anders, Der Römerbrief, aus dem Schwedischen übersetzt v. Irmgard Nygren, Göttingen 41965. Procksch, Otto, Die Genesis, KAT 1, Leipzig/Erlangen 21924. Rad, Gerhard von, Das erste Buch Mose: Genesis, ATD 2/4, Göttingen 91972. —, Art. „eQj_m, D. Die Gottebenbildlichkeit im AT“, ThWNT 2, 387 – 390. —, Theologie des Alten Testaments. Band I: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, EETh 1, München 81982. Robinson, Theodore H./Horst, Friedrich, Die zwölf kleinen Propheten, HAT I/14, Tübingen 21954. Rühle, Oskar, Art. „Mythus und Mythologie, II. Religionsgeschichtlich“, RGG2 4, 370 – 380. Schlatter, Adolf, Der Evangelist Johannes. Wie er spricht, denkt und glaubt, Stuttgart 21948. Schrenk, Gottlob, Art. „1jkejtºr“, ThWNT 4, 186 – 197. —, Art. „1jkoc¶“, ThWNT 4, 181 – 186. Sellin, Ernst, Das Zwölfprophetenbuch, KAT 12, Leipzig/Erlangen 1922. Tillich, Paul, Art. „Mythus und Mythologie, I. Begrifflich und Religionspsychologisch“, RGG2 4, 363 – 370. Vischer, Wilhelm, Das Christuszeugnis des Alten Testaments. I. Das Gesetz, Zürich 1934. —, Das Christuszeugnis des Alten Testaments. II. Die Propheten. 1. Hälfte: Die früheren Propheten, Zürich 1942. Vriezen, Theodorus Christiaan, Onderzoek naar de paradijsvoorstelling bij de oude semietische volken, Wageningen 1937. Weiser, Artur, Das Buch Hiob, ATD 13, Göttingen 1951. —, Die Psalmen, ATD 14, Göttingen 41950. Weiß, Bernhard, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 81891. Wellhausen, Julius, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 2001 (= 61927). Wet(t)stein, Johann Jakob, Novum Testamentum graecum. Tomus II, Amsterdam 1752. Zahn, Theodor, Das Evangelium des Johannes, KNT 4, Leipzig/Erlangen 51921. —, Der Brief des Paulus an die Römer, KNT 6, Leipzig 31925. Zimmerli, Walther, 1. Mose 1 – 11. Urgeschichte, Zürich 31967.

Weitere Literatur

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3. Weitere Literatur (alphabetisch geordnet) Althaus, Paul, „Gebot und Gesetz“, in: Ernst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 1968, 201 – 238. —, Grundriss der Dogmatik. Erster Teil, Erlangen 21936. —, Grundriss der Dogmatik. Zweiter Teil, Erlangen 1932. Athanasius von Alexandrien, Oratio de Incarnatione Verbi, PG 25, 95 – 198. Auer, Alfons, Umweltethik. Ein theologischer Beitrag zur ökologischen Diskussion, Düsseldorf 21985. Auerbach, Erich, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern u. a. 31964. Augustinus von Hippo, De Trinitate libri XV, PL 42, 819 – 1098. Axt-Piscalar, Christine, Der Grund des Glaubens. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zum Verhältnis von Gaube und Trinität in der Theologie Isaak August Dorners, BHTh 79, Tübingen 1990. —, Ohnmächtige Freiheit. Studien zum Verhältnis von Subjektivität und Sünde bei August Tholuck, Julius Müller, Sören Kierkegaard und Friedrich Schleiermacher, BHTh 94, Tübingen 1996. Baader, Franz, „Ueber den solidären Verband des intelligenten und nichtintelligenten Seyns und Wirkens“, in: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutschlands, Frankfurt a. M. 1837, 10 – 12. Baas, Marga/Zorgdrager, Heleen, „Freiheit aus zweiter Hand. Feministische Anfragen an die Stellung der Frau in Karl Barths Theologie“, ZDT 3 (1987), 135 – 153. Bächli, Otto, Das Alte Testament in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Neukirchen 1987. Bachteler, Eva-Maria, Art. „Genderforschung“, RGG4 3, 657 f. Bader-Zaar, Birgitta, „Politische Partizipation als Grundrecht in Europa und Nordamerika. Entwicklungsprozesse zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht für Männer und Frauen vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert“, in: Margarete Grandner u. a. (Hg.), Grund- und Menschenrechte. Historische Perspektiven, aktuelle Problematiken, Festschrift Österreichische Liga für Menschenrechte, Wien u. a. 2002, 203 – 256. Baier, Hartmut, Richard Siebeck und Karl Barth – Medizin und Theologie im Gespräch. Die Bedeutung der theologischen Anthropologie in der Medizin Richard Siebecks, FSÖTh 56, Göttingen 1988. Bail, Ulrike u. a. (Hg.), Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006. Balthasar, Hans Urs von, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, Köln 1951. Banaszak, Lee Ann, Why Movements succed or fail. Opportunity, Culture, and the Struggle for Woman Suffrage, Princeton 1996. Barbour, Ian G., Issues in Science and Religion, Englewood Cliffs 1966. Barr, James, Holy Scripture. Canon, Authority, Criticism. The Sprunt Lectures delivered at Union Theological Seminary, Oxford 1983. Barth, Ulrich, Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen 2004.

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Literatur

Bartmann, Bernhard, Lehrbuch der Dogmatik. Erster Band: Formalprinzipien, Gott Einer und Dreifaltiger, Schöpfer, Erlöser, ThBib, Freiburg i. Br. 81932. Barton, John, The Future of Old Testament Study, Oxford 1993. Bauer, Walter/Aland, Kurt, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin u. a. 61988. Baxter, Christina A., „Barth – a Truly Biblical Theologian?“, Tyndale Bulletin 38 (1987), 3 – 27. —, „The Nature and Place of Scripture in the Church Dogmatics“, in: John Thompson (Hg.), Theology beyond Christendom. Essays on the Centenary of the Birth of Karl Barth, May 10, 1986, Allison Park (PA) 1986, 37 – 62. Bayer, Oswald, Autorität und Kritik. Zu Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, Tübingen 1991. —, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 32007. —, Schöpfung als Anrede. Zu einer Hermeneutik der Schöpfung, Tübingen 1986. —, Theologie, HST 1, Gütersloh 1994. —, Zugesagte Gegenwart, Tübingen 2007. Beintker, Michael, Die Dialektik der „dialektischen Theologie“ Karl Barths. Studien zur Entwicklung der Barthschen Theologie und zur Vorgeschichte der „Kirchlichen Dogmatik, BEvTh 101, München 1987. —, „Hamartiologie und Christologie. Die Bauformen der Sündenlehre in KD IV/1 – 3“, ZDT 27 (2011), 39 – 59. —, „… alles Andere als ein Parergon. Fidens quaerens intellectum“, in: Ders. u. a., Karl Barth in Deutschland, 99 – 120. Beintker, Michael/Link, Christian/Trowitzsch, Michael (Hg.), Karl Barth in Deutschland (1921 – 1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Zürich 2005. Berg, Horst Klaus, Handbuch des biblischen Unterrichts. Band I: Ein Wort wie Feuer. Wege lebendiger Bibelauslegung, München 1991. Berkhof, Hendrik, „Barths Lichterlehre im Rahmen der heutigen Theologie, Kirche und Welt“, in: Ders./Hans-Joachim Kraus, Karl Barths Lichterlehre, ThSt(B) 123, 30 – 48. Berkouwer, Gerrit Cornelis, Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths, Neukirchen 1957. Berlejung, Angelika, „Geschichte und Religionsgeschichte des antiken Israel“, in: Gertz, Grundinformation Altes Testament, 59 – 192. Bernhardt, Reinhold, „Die Krise des protestantischen Schriftprinzips“, in: Karenina Kollmar-Paulenz u. a. (Hg.), Kanon und Kanonisierung. Ein Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften im interdisziplinären Dialog, Basel 2011, 212 – 237. Beutel, Albrecht, „Lutherische Theologie in der Unübersichtlichkeit unserer Zeit. Ein Vorschlag zur Orientierung“, ZThK 103 (2006), 344 – 361. Bieberstein, Klaus, „Text und Kontext. Hermeneutische Reflexionen am Beispiel der biblischen Rede vom einen Gott“, in: Karin Finsterbusch/Michael Tilly (Hg.), Verstehen, was man liest. Zur Notwendigkeit historisch-kritischer Bibellektüre, Göttingen 2010, 34 – 48. Blum, Paul R., Giordano Bruno, München 1999. Boetcher-Joeres, Ruth-Ellen, „Louise Otto-Peters: Ambivalenzen, Grenzen und Grenzüberschreitungen“, in: Ilse Nagelschmidt/Johanna Ludwig (Hg.), Louise Otto-Peters.

Weitere Literatur

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Politische Denkerin und Wegbereiterin der deutschen Frauenbewegung, Dresden 1996, 36 – 53. Bonhoeffer, Dietrich, Nachfolge, DBW 4, hg. v. Martin Kuske, München 1989. —, „Christologie“ (Nachschrift), in: Berlin 1932 – 1933, DBW 12, hg. v. Carsten Nicolaisen und Ernst-Albert Scharffenorth, München 1997, 279 – 348. Bornkamm, Karin, Christus – König und Priester. Das Amt Christi bei Luther im Verhältnis zur Vor- und Nachgeschichte, BHTh 106, Tübingen 1998. Bourgine, Beno{t, L’hermtneutique thtologique de Karl Barth. Extgsse et dogmatique dans le quatrisme volume de la Kirchliche Dogmatik, Leuven 2003. Braun, Lily, Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite. Mit einer Einleitung von Beatrix W. Bouvier, Bonn 1979 (= Leipzig 1901). Bretschneider, Karl Gottlieb, Aphorismen über die Union der beiden evangelischen Kirchen in Deutschland, ihre gemeinschaftliche Abendmahlsfeier und den Unterschied ihrer Lehre, Gotha 1819. Brown, Robert Mcafee, „Scripture and Tradition in the Theology of Karl Barth“, in: Hunsinger, Thy Word is Truth, 3 – 19. Brunner, Emil, „Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie“, in: Moltmann, Anfänge der Dialektischen Theologie I, 298 – 320. —, Dogmatik. Erster Band: Die christliche Lehre von Gott, Zürich 1946. —, Dogmatik. Zweiter Band: Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung, Zürich 1960. Brunner, Peter, Die evangelisch-lutherische Lehre von der Taufe, Luthertum 4, Berlin 1951. —, „Rechtfertigung und Kircheneinheit. Katholisches Dogma, lutherisches Bekenntnis und Karl Barth“, ZW 30 (1959), 594 – 608. —, „Trennt die Rechtfertigungslehre die Konfessionen? Neue Wege in der Kontroverstheologie“, ZW 30 (1959), 524 – 436. Buess, Eduard, Zur Prädestinationslehre Karl Barths, ThSt(B) 43, Zollikon-Zürich 1955. Bultmann, Rudolf, „Ist voraussetzungslose Exegese möglich?“ (1957), in: Ders., Neues Testament und christliche Existenz. Theologische Aufsätze, ausgewählt, eingeleitet und hg. v. Andreas Lindemann, Tübingen 2002, 258 – 266. —, „Karl Barths ,Römerbrief‘ in zweiter Auflage“, in: Moltmann, Anfänge der Dialektischen Theologie I, 119 – 142. —, „Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung“, in: Ders., Offenbarung und Heilsgeschehen, BEvTh 7, München 1941, 27 – 69. —, „Zum Problem der Entmythologisierung“ (1963), GuV 4, Tübingen 51993, 128 – 137. Burnett, Richard E., Karl Barth’s Theological Exegesis. The Hermeneutical Principals of the Römerbrief Period, WUNT 145, Tübingen 2001. Busch, Eberhard, Die große Leidenschaft. Einführung in die Theologie Karl Barths, Gütersloh 1998. —, Glaubensheiterkeit. Karl Barth. Erfahrungen und Begegnungen, Neukirchen 41986. —, Karl Barths Lebenslauf. Nach seine Briefen und autobiographischen Texten, München 1975. —, Karl Barth und die Pietisten. Die Pietismuskritik des jungen Karl Barth und ihre Erwiderung, BEvTh 82, München 1978. —, Meine Zeit mit Karl Barth. Tagebuch 1965 – 1968, Göttingen 2011.

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Literatur

—, Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933 – 1945, NeukirchenVluyn 1996. Butler, Judith, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 21991. Büttner, Matthias, Das Alte Testament als erster Teil der christlichen Bibel. Zur Frage nach theologischer Auslegung und „Mitte“ im Kontext der Theologie Karl Barths, BEvTh 120, Gütersloh 2002. Calvin, Johannes, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, nach der letzten Ausgabe (1559) übersetzt und bearbeitet v. Otto Weber, Neukirchen 2 1963. —, Von der ewigen Erwählung Gottes (1551) 1562, CStA 4, 92 – 149. Carson, Rachel, Silent Spring, Greenwich 41966. Chxnx, Jean, La thtologie de Saint Augustin. Grpce et prtdestination, Le Puy u. a. 1961. Childs, Brevard S., Die Theologie der einen Bibel. Band II: Hauptthemen, aus dem Englischen übersetzt v. Christine und Manfred Oeming, Freiburg i. Br. 1996. —, „Karl Barth as Interpreter of Scripture“, in: David L. Dickerman (Hg.), Karl Barth and the Future of Theology. A Memorial Colloquium Held at the Yale Divinity School, January 28, 1969, New Haven (Conn.) 1969, 30 – 35. —, Myth and Reality in the Old Testament, SBT 27, Eugene 1962. Coors, Michael, Scriptura efficax. Die biblisch-dogmatische Grundlegung des theologischen Systems bei Johann Andreas Quenstedt. Ein dogmatischer Beitrag zu Theorie und Auslegung des biblischen Kanons als Heiliger Schrift, FSÖTh 123, Göttingen 2009. Cranfield, Charles E.D., A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Romans. Volume 1: Introduction and commentary on Romans I – VIII, ICC, Edinburgh 2 1977. Cremer, Hermann, Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, BFChTh I/4, Gütersloh 1897. Crüsemann, Frank, „Karl Barths Erwählungslehre und das Alte Testament“, ZDT 20 (2004), 147 – 161. Cunningham, Mary, What is theological Exegesis? Interpretation and Use of Scripture in Barth’s Doctrine of Election, Valley Forge (PA) 1995. Dalferth, Ingolf U., „Volles Grab, leerer Glaube? Zum Streit um die Auferweckung des Gekreuzigten“, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen 2002, 277 – 309. Danneberg, Lutz, „Epistemische Situationen, kognitive Asymmetrien und kontrafaktische Imaginationen“, in: Lutz Raphael/Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006, 193 – 221. Denker, Jochen, Das Wort wurde messianischer Mensch. Die Theologie Karl Barths und die Theologie des Johannesprologs, Neukirchen-Vluyn 2002. Denzinger, Heinrich/Hünermann, Peter (Hg.), Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg i. Br. u. a. 432010. —, Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 132010. Dietrich, Walter/Naumann, Thomas, Die Samuelbücher, EdF 287, Darmstadt 1995.

Weitere Literatur

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Bibelstellenregister Altes Testament Gen 1,1 174, 192 Gen 1,1–2,4a 176, 187 f., 192 Gen 1,2 174 f., 192 Gen 1–2 162–218 Gen 1,3 174, 215 Gen 1,3–5 175 Gen 1,6–8 175 Gen 1,9–13 175, 210, 215 Gen 1,14–19 175, 185 Gen 1,20–22 175 Gen 1,24–31 175 Gen 1,24f 175 Gen 1,26 194, 198, 200, 202, 335 Gen 1,26–28 175 Gen 1,26f 202 Gen 1,27 167, 172, 199 Gen 1,29–30 175 Gen 1,30b–31 175 Gen 2 191, 204 Gen 2,1–3 175 Gen 2,4b–7 176, 212 Gen 2,4b–25 176, 187, 191, 195 Gen 2,5 196 Gen 2,7 185, 195 f., 201, 210 Gen 2,8–17 176 Gen 2,18–25 176, 202, 204, 208, 213 f. Gen 2,21 202 Gen 2,22 202, 214 Gen 2,23 195 Gen 2,24 203 Gen 3 226, 259, 289 Gen 3,14 206 Gen 4,1–17 106 Gen 4,4f 106 Gen 4,6 107 Gen 4,9 107 Gen 4,13 107 Gen 5,1 199

Gen 5,3 199 Gen 9,1 193 Gen 12,1–3 121 Gen 17,3 245 Gen 18,27 201 Ex 9,30 191 Ex 14 193 Ex 19 148 Ex 32 227, 262 Ex 32,32 259 Ex 34,6 97, 103 f. Lev 14 140 Lev 14,4–7 131, 140 Lev 16 140 Lev 16,5–22 131 Num 6,24–26 193 Num 13–14 227 Num 14,3f 259 Num 14,18 97 Dtn 4,19 186 Dtn 7 148 Dtn 7,6–8 121 Dtn 7,7 122 Jos 5,14 245 Jos 7,6 245 Ri 2,11–22

110

1 Sam 8,7 143 1 Sam 8–31 227 1 Sam 13,13f 121, 143 1 Sam 15 259, 333

377

Bibelstellenregister 1 Sam 15,23–25 121, 143 1 Sam 15,24f 121, 143 1 Sam 16,1–13 142 1 Sam 16,8–10 120 1 Sam 25 227, 241, 243, 247, 252 1 Sam 25,10 244 1 Sam 25,23 245 1 Sam 25,28b–30 245 2 Sam 6,21 120 2 Sam 7 145 2 Sam 11,1–12,25

227

1 Kön 13 24, 131, 140, 147 1 Kön 17,4 206 1 Kön 21 227, 255 1 Kön 21,27 259 1 Chr 28,6

121

Neh 9,7 121 Neh 9,17 97, 103 Neh 9,30 97 Esther

219

Hiob 10,8f 201 Hiob 19,25 186, 201 Hiob 28,28 324 Ps 14,1–3 242 Ps 19 186 Ps 30,6 113 Ps 32 281 f. Ps 33,6–9 186 Ps 41,10 122 Ps 51 281 f., 286, 324 Ps 51,18f 282 Ps 51,20f 282 Ps 86,15 97, 103, 116 Ps 103,8 97 Ps 103,14 201 Ps 104,19 186 Ps 104,27f 186 Ps 119,105 186 Ps 145,8 97

Ps 148,10

206

Spr 18,6 242 Spr 28,26 242 Spr 30,1–4 242 Hohelied Salomos

204

Jes 1–39 38 Jes 7,14 148 Jes 8,8 148 Jes 8,10 148 Jes 37,16 191 Jes 40–66 38 Jes 45,5–7 314 Jes 45,18 191 Jes 48,9 105 Jes 53,9f 135 Jes 54,8 113 Jes 61,1f 110 Jer 1,5 121 Jer 20 331 Jer 27,1–28,17 233 Jer 27–29 227 Jer 28 331 Jer 28,13–17 234 Jer 29 233, 254 Jer 31,35f 186 Jer 37–39 334 Jer 38,4 235 Jer 42,13 259 Jer 44,19 236 Jer 45 231, 236, 238 Jer 45,1–5 236 Jer 45,4f 238 Jer 45,5b 239 Hes 17,1–10 234 Hes 18,21 110 Hes 37 201 Joel 219 Joel 2,13 97, 103 Amos

227, 230, 253–255, 257

378 Obadja

Bibelstellenregister 219

Nah 1,3

116

Jona 219 Jona 2,11 206 Jona 4,2 97, 103, 109 Jona 4,5f 109

Haggai

219

Nahum

Maleachi

219

219

Pseudepigraphen des AT sBar 59,6

98

Neues Testament Mt 1,21f 148 Mt 4,1–11 321 Mt 5,22 242 Mt 6,26 206 Mt 7,29 209 Mt 8,5–13 209 Mt 9,36 157 Mt 10,31 206 Mt 11,27 134 Mt 13,42 161 Mt 22,13 161 Mt 22,14 122 Mt 25,31–46 161 Mt 25,34 125 Mt 25,41 125 Mt 27,3–5 323 Mt 28,16 323 Mt 28,18 154 f. Mt 28,18–20 154 Mt 28,19 155, 321 Mt 28,19f 155 Mt 28,20 155 Mk 2,10 209 Mk 3,13 157 Mk 3,14 157 Mk 3,14f 156 f. Mk 3,16 157 Mk 6,7–13 157

Mk 7,33 196 Mk 10,16 193 Mk 15,34 113 Lk 1f 322 Lk 6,12 157 Lk 9,35 122, 135 Lk 10,1–12 157 Lk 15,11–32 223 Lk 23,35 122, 135 Lk 23,46 138 Lk 24,26 122 Lk 24,27f 145 Lk 24,36f 323 Lk 24,37 155 Lk 24,45–47 323 Lk 24,46 154 Lk 24,46f 154 Lk 24,47 155 Lk 24,50 193 Joh 1,1 134 Joh 1,1f 28, 131, 160 Joh 1,4–9 186 Joh 1,14 37 Joh 3,16 136, 224 Joh 6,14f 155 Joh 6,63 210 Joh 6,70 122

379

Bibelstellenregister Joh 13,1 138 Joh 13,18 122, 134 Joh 15,5 155 Joh 15,16 122, 134 Joh 15,19 134 Joh 17,24 135 Apg 1,8 323 Apg 1,18 323 Apg 2,23 135 Apg 2,25–31 145 Apg 4,27f 135 Apg 13,21–37 145 Apg 27–28 210 Röm 1,1–3 269 Röm 1,16–32 269 Röm 1,18–3,20 223, 269, 291 Röm 1,19f 296 Röm 2,3–5 98 Röm 2,4 110 Röm 3,10f 242 Röm 3,20 223 Röm 3,25f 112 Röm 3,27 223 Röm 4,17 186 Röm 4,25 329 Röm 5,6f 275 Röm 5,12–21 269 Röm 6,1–11 269, 291 Röm 6,10 275 Röm 7,1–3 283 Röm 7,1–6 289, 292 Röm 7,7–13 289, 292 Röm 7,7–25 289, 321 Röm 7,7b 295 Röm 7,12 283, 295 Röm 7,14 283, 285 Röm 7,14–20 294 Röm 7,14–25 290, 292, 300 Röm 7,15–20 284 Röm 7,17 282 Röm 7,24–25a 285 Röm 7,24f 285 Röm 7,25 283 Röm 7,25a 285 f., 295 f.

Röm 7,25b 285 f. Röm 7 269-301 Röm 8,1 118, 284, 286 Röm 8,1–2 289 Röm 8,2 283 Röm 8,14–27 269 Röm 8,17f 118 Röm 8,18–25 296 Röm 8,28–39 269 Röm 8,32 160 Röm 9,1–5 128, 131 Röm 9,3 259 Röm 9,5b 297 Röm 9,6–29 131 Röm 9–11 30, 35 f., 122, 128, 132, 137, 159, 161, 269 f., 291 Röm 9,11f 122 Röm 9,22f 110 Röm 9,23 137 Röm 9,30–10,21 131 Röm 10,16f 296 Röm 11 131 Röm 11,1 139 Röm 11,2 122 Röm 11,26 128 Röm 11,28–36 137 Röm 11,28f 122 Röm 11,36 209 f., 322 Röm 12,1–15,13 269, 291 1 Kor 1,18–2,10 96 1 Kor 1,27–29 122 1 Kor 2,6–16 73 1 Kor 3,11–15 315 1 Kor 15,28 146 1 Kor 15,45 210 2 Kor 1,20 150 2 Kor 3,4–18 73 2 Kor 3,6 210 2 Kor 4,4 211, 335 2 Kor 4,6 186, 215 2 Kor 5,17 224 2 Kor 5,19 224 Gal 1,4

134

380 Gal 2,20

Bibelstellenregister 134, 329

Philemonbrief

219

Eph 1,4 28, 122 Eph 1,4f 28 Eph 5,2 134 Eph 5,21–32 205, 329 Eph 5,25–27 327 Eph 5,32 213, 216

1 Joh 4,8 129 1 Joh 4,16 129

Philipperbrief 47, 219 Phil 2,7f 134 Phil 2,8 134

Hebr 1,2 111 Hebr 1,3 111, 113 Hebr 2,11–14 135 Hebr 5,8 134 Hebr 7,27 134, 275 Hebr 9,12 275 Hebr 9,14 135 Hebr 9,26f 275 Hebr 10,10 275 Hebr 10,14 275

Kol 1,15 211 f. Kol 1,17 210 Kol 1,20–22 135 Kol 1,24 135 Kol 3,10 212 1 Thess 1,4

122

1 Tim 1,16 110 1 Tim 2,6 134 1 Tim 2,13 202 Tit 3,4–7

327

2. Johannesbrief

219

3. Johannesbrief

219

Jakobusbrief

47, 328

Offb 4 319 Offb 13,8 135 Offb 19,17 206 Offb 21,1 211

Personenregister

Aland, Kurt 328 Althaus, Paul 55, 57, 66, 72, 177, 220 Ambrosius von Mailand 173,198 Anselm von Canterbury 61 Aristoteles 325 Athanasius von Alexandrien 198 Auer, Alfons 166, 208 Auerbach, Erich 26, 249 Augustinus von Hippo 95, 123, 132, 173, 198 f., 267 Axt-Piscalar, Christine 219, 307 Baader, Franz 166 Baas, Marga 204 f. Bächli, Otto 23 f., 27, 39, 162, 173 f., 216 f., 227, 331 Bachteler, Eva-Maria 171 Bader-Zaar, Birgitta 168 Baentsch, Bruno 140 Baier, Hartmut 167 Balthasar, Hans Urs von 32, 48 Banaszak, Lee Ann 169 f. Barbour, Ian G. 163. Barr, James 330 Barth, Heinrich 81 Barth, Ulrich 312 f., 316, 321, 326, 330 Bartmann, Bernhard 99 Barton, John 320 Bauer, Walter 207, 328 Baumgartner, Walter 23, 178 f., 184, 350 Baxter, Christina A. 39, 325 f. Bayer, Oswald 79, 118, 159, 196, 265, 307 f., 329, 342 Beck, Johann Tobias 297 Beintker, Michael 16, 48, 61, 64, 169, 220 Berdjajew, Nikolai 205 Berg, Horst Klaus 157, 174, 315 Berkhof, Hendrik 55 Berkouwer, Gerrit Cornelis 32, 228, 265

Berlejung, Angelika 314 Bernhard von Clairvaux 95 Bernhardt, Reinhold 18, 91, 305 f., 308 Beutel, Albrecht 317 Bieberstein, Klaus 314 f. Blum, Paul R. 164 Boetcher-Joeres, Ruth-Ellen 169 Bonhoeffer, Dietrich 67, 173, 199, 222, 267 Bornkamm, Karin 153 f. Bourgine, Beno{t 21, 49 Braun, Lily 169 Bretschneider, Karl Gottlieb 125–127 Brown, Robert Mcafee 326 Brunner, Emil 75, 101, 137, 220 Brunner, Peter 270, 275–278, 299, 327 Bruno, Giordano 164 Buess, Eduard 32 f., 36 Bultmann, Rudolf 28, 40, 75, 164 f., 178 f., 181 f., 223, 261, 327–329 Burnett, Richard E. 21, 62, 319 Busch, Eberhard 15, 17 f., 35 f., 42 f., 47, 83, 114, 132, 150–152, 160, 170, 222, 270, 272, 292 f., 322, 344 f., 350 Butler, Judith 171 Büttner, Matthias 21, 87 f. Cajetan, Thomas 77 Calvin, Johannes 15, 28, 36, 58, 95, 123–127, 129 f., 132, 134, 136, 138, 140, 150, 153, 173, 219, 326, 340 Carson, Rachel 165 Chxnx, Jean 123 Childs, Brevard S. 32, 85, 319, 330, 346 Coccejus, Johannes 95 Coors, Michael 85 f., 277, 308–310 Cranfield, Charles E.D. 290 Cremer, Hermann 100 f. Crüsemann, Frank 30, 140, 146–150

382

Personenregister

Cunningham, Mary

27 f., 30

Dalferth, Ingolf U. 182, 350 Danneberg, Lutz 78 Delitzsch, Franz 173, 184, 189 f., 199 f., 206 Denker, Jochen 37 Diem, Hermann 17 Dietrich, Walter 143 Dillmann, August 140 Dirks, Helge 281 Drewes, Hans-Anton 15, 43 Duhm, Bernhard 232, 234, 237–239, 253 Dunn, James D.G. 289 f. Ebeling, Gerhard 101, 312 f., 315, 344 Ebner, Martin 317 Eckert, Jost 122 Eco, Umberto 65 Eder, Sigrid 172 Ehrlich, Arnold B. 192 Eichrodt, Walther 173 Elert, Werner 55, 99, 177, 220 Ellermeier, Hildegard 319 Erhart, Hannelore 203 Erll, Astrid 254 Ernesti, Johann August 153 Eusebius von Caesarea 153 Fascher, Erich 153 Feldmeier, Reinhard 153 Finnern, Sönke 231, 250–252, 254–256, 258, 261, 263 Fischer, Irmtraud 156, 172 Fludernik, Monika 231 Foerster, Friedrich Wilhelm 81 Foerster, Werner 173 Ford, David 22, 26 f., 39, 132, 249 Fornberg, Tord 98 Frei, Hans W 26, 40, 84, 249 Frettlöh, Magdalene L. 135, 137, 151 f., 158, 204 f. Frey, Christofer 228, 274 Fricke, Klaus Dietrich 77 Gabriel, Karl

317

Gadamer, Hans-Georg 78, 343 Galilei, Galileo 164 Garc|a Landa, Josx Angel 263 Garrow, David J. 202 Gerhard, Johann 14, 95, 126, 310, 350 Gertz, Jan Christia 141, 143 Gestrich, Christoph 219 Gibson, David 36, 132–134, 270 Gignilliat, Mark 37 f. Gildemeister, Regine 171 Godet, Frxdxric L. 297 Godsey, John D. 15, 339 Goeters, J.F. Gerhard 56 Gössmann, Elisabeth 172 Gouges, Olympe de 167 Greene-McCreight, Kathryn E. 28 f., 140, 148 Grossenbacher, Silivia 169 f. Grund, Alexandra 219 Gundlach, Thies 151 Gundry, Robert H. 289, 300 Gunkel, Hermann 107, 173, 178 f., 184, 188–190, 192, 196–200, 206, 282, 321, 324 Haacker, Klaus 114 Haering, Theodor 177 Hagemann-White, Carol 171 Hagencord, Rainer 206 f. Hägglund, Bengt 310 Hamann, Johann Georg 74, 281, 329, 351 Härle, Wilfried 32, 101 f., 163, 187, 198, 218, 228, 265 f., 277 Harnack, Adolf von 47, 56, 68, 81, 84, 315, 350 Heckel, Ulrich 153 Heidtmann, Dieter 319 Heinisch, Paul 140 Hempel, Christa 270 Hennig, Gerhard 77 Henry, David Paul 21 Heppe, Heinrich 309 Herman, David 250, 350 Hermand, Jost 168 Herms, Eilert 59, 64, 70, 76, 85–87, 126, 215, 308

Personenregister Heß, Ruth 205 Hirsch, Emanuel 177, 343 Hofius, Otfried 289 Hofmann, Johann Chr.K. von 297 Hölscher, Gustav 324 Holtmann, Stefan 20 Honecker, Martin 152, 165, 309 Horst, Friedrich 109 Horst, Johannes 98 Howe, Günter 166 Hübner, Hans 289 Hunsinger, George 22 Huxley, Thomas H. 164 Irenäus von Lyon 95, 310 Iwand, Hans Joachim 55, 70, 272 Jacob, Benno 149, 173, 187, 190, 199 f., 206 Jacobi, Ernst 168 Jacobs, Paul 199, 206, 220 Janowski, Bernd 162, 190, 193 Janowski, J. Christine 40, 130 Jenson, Robert W. 85 Jeremias, Alfred 173 Jeremias, Jörg 97, 108 Joest, Wilfried 101, 277, 300 Johnson, Robert C. 15, 341 Jones, Paul D. 38, 133, 344 Jülicher, Adolf 81, 153, 297 Jung, Ewald 205 Jung, Volker 309 Jüngel, Eberhard 32, 48, 55, 75, 81, 101–103, 252, 266–268, 271, 320, 326, 328, 333, 343, 350 Käfer, Anne 217 Kaftan, Julius 99, 177, 220 Kähler, Martin 99 Kant, Immanuel 81 f. Kaper, Gudrun 203 Karle, Isolde 171 f., 205 Käsemann, Ernst 28, 312 Kelsey, David 25 f., 85 Ketter, Peter 143 Kierkegaard, Sören 287

383

Kim, Jae Jin 33–35 Kim, Jahng Seob 225 Kirn, Otto 99, 220 Kirschbaum, Charlotte von 19, 42–44, 350 Kirschstein, Helmut 21, 48 f., 69 f., 319 Kisbali, Laszlo 78 Kittel, Gerhard 173, 243, 325 Klappert, Bertold 118, 132, 150, 270 Klopfenstein, Martin A. 24 f., 30, 39, 140 Klucsarits, Richard 169 Knauth, Thorsten 316 Knopf, Rudolf 153 Köbler, Renate 42 Koch, Robert 219 Konrad, Johann-Friedrich 24 f., 39, 319 f. Korsch, Dietrich 274 Körtner, Ulrich H.J. 40, 57, 65, 71–75, 78, 80, 82, 142, 148, 306–308, 312, 316 f. Kosch, Daniel 114 Kraege, Jean-Denis 21 Kraus, Hans-Joachim 173, 306, 327 Kropacˇ, Ulrich 165 Krötke, Wolf 34 f., 50, 92, 132, 151, 220, 225 f., 228 f., 270, 339 Kühl, Ernst 289, 297 Kuhn, Annette 168 Kümmel, Werner Georg 289, 291, 306 Küng, Hans 32, 270, 275, 278 f., 299 Kupisch, Karl 42 Kürbisch, Friedrich G. 169 Lacombe, Rose 167 Landmesser, Christoph 88 Lauster, Jörg 50, 60, 74, 305 f., 308, 311, 314 f., 331 f. Lehnert, Volker 114 Leimbach, Karl 143 Lenz, Ilse 170 f. Leonhardt, Rochus 305 f. Lessing, Gotthold Ephraim 17, 287, 313, 343, 345 Lichtenberger, Hermann 269 f., 286, 289 f. Liedke, Gerhard 163–166 Lienemann, Wolfgang 69

384

Personenregister

Lietzmann, Hans 153, 297 Lindemann, Walter 21, 84, 319 Link, Christian 66, 123, 125, 129 f., 139, 160, 163–166, 177, 179 f., 205, 207, 278 Lipsius, Richard A. 99 f., 297 Lohmeyer, Ernst 155 Lövestam, Evald 98 Lüdemann, Gerd 58, 85, 182, 311 Ludwig, Johanna 169 Luther, Martin 52, 55, 70, 77, 79, 95, 132, 154, 173, 190, 196, 265, 267, 280, 290, 294, 300, 307 f., 311, 326, 328, 330 Luz, Ulrich 315 MacDonald, Neil B. 81 Marcion 217 Marquardt, Friedrich-Wilhelm 132, 270 Maurer, Ernstpeter 116, 248, 332 McCormack, Bruce L. 48 f., 61, 81 f., 125, 169 McGlasson, Paul 26–28, 38 f., 132, 325 McKelway, Alexander J. 205 Meacham, Standish 164 Merz, Annette 314 Mesmer, Beatrix 168 Metzner, Rainer 219 Meyer-Blank, Michael 41 Meyer-Wilmes, Hedwig 170, 172 Mogk, Rainer 165 Moll, Sebastian 217 Moltmann, Jürgen 163–166, 208, 350 Muis, Jan 55, 85 Mützlitz, Nina-Dorothee 21 Nagelschmidt, Ilse 169 Naumann, Thomas 143 Nave-Herz, Rosemarie 168–170 Niesel, Wilhelm 125 Nitzsch, Friedrich 99 Noiriel, Gxrard 181 Noth, Martin 165, 232, 253, 261 Novatian 95 Nünning, Ansgar 251, 258, 264 Nünning, Vera 251, 258, 264 Nygren, Anders 290

Obst, Gabriele 47, 280, 347 Oeming, Manfred 83 Onega, Susana 263 Origenes 95 Otten, Heinz 123, 125 Otto-Peters, Louise 169 Pannenberg, Wolfhart 21, 101 f., 163, 166, 305, 311 f., 321 Pernkopf, Elisabeth 172 Persson, Per Erik 153 Pfäfflin, Ursula 204 Pietz, Hans-Wilhelm 116 Plato 81 Plutarch 174 Pohl-Patalong, Uta 172, 206 Pöhlmann, Horst Georg 52, 70 Pokorny´, Petr 153 Polanus von Polansdorf, Amandus 95, 105 Prenter, Regin 214, 218 Prince, Gerald 106, 231 Procksch, Otto 107 Prolingheuer, Hans 170 Quenstedt, Johann Andreas 95, 105, 277, 308–310 Rad, Gerhard von 87, 97, 107, 165, 173 Rade, Martin 220 Radkau, Joachim 165 f. Rahner, Karl 101–103, 165 Rambach, Johann Jakob 70, 78 Ratschow, Carl Heinz 153 Ratzinger, Joseph (Benedikt XVI.) 164 f. Rehfeld, Emmanuel L. 290 Rendtorff, Trutz 50, 60 Renz, Andreas 343 Reventlow, Henning Graf 22 Richardson, Brian 106, 231 Ricœur, Paul 181 Riede, Peter 162 Ritschl, Albrecht 100 Ritschl, Dietrich 18, 183 Robinson, Theodore H. 109 Roggendorf, Simone 254

Personenregister Romero, Joan Arnold 204 Roth, Michael 265 f., 311 Rothen, Bernhard 70 Rüegg, Annelise 169 Ruh, Hans 52, 174, 231 Rühle, Oskar 178, 184 Runia, Kaas 21, 47 Sanders, Andy F. 266 Schäfer, Rolf 306 Scharffenorth, Gerta 167–171 Schelhas, Johannes 21, 306 Schlatter, Adolf 133, 177 f., 220 Schleiermacher, Friedrich D.E. 95, 99, 101, 125–130, 138, 150, 154, 164, 294 Schlichting, Wolfhart 21, 35 Schlink, Edmund 71, 101, 125 Schlüter, Richard 326 Schmid, Heinrich 310 Schmidt, Daved A. 15 Schmidt, Hartmut 170 Schmidt, Jochen 118 Schmithals, Walter 30, 319 f. Schneemelcher 17 Schneider, Hilde 170 Schnelle, Udo 41, 153, 181 Schoch, Max 333 Schottroff, Luise 172 Schramm, Christian 77 Schrenk, Gottlob 122 Schröter, Jens 250, 266 Schwartz, Karl Adolf von 70 Schweitzer, Albert 314 Schweizer, Alexander 99, 124 Schweizer, Eduard 155 Schwemer, Anna Maria 153 f. Schwienhorst-Schönberger, Ludger 85, 88, 202, 205 Schwöbel, Christoph 18, 164 Seebaß, Horst 120 f. Seeberg, Reinhold 99, 177, 220 Selinger, Suzanne 42–44 Sellin, Ernst 109 Semler, Johann Salomo 313 f., 318 Seybold, Klaus 120, 190 Sharp, Douglas R. 33–35

385

Siebeck, Richard 167 Siegele-Wenschkewitz, Leonore 203 Smend, Rudolf 22–24, 39, 59, 80, 83, 86 f., 92, 299, 319 f., 322, 350 Spijkerboer, Anne Marijke 29, 41, 142, 148, 338 Stamm, Johann Jakob 24 f., 30, 39, 198, 257 Steck, Odil H. 17, 166 Stegemann, Ekkehard W. 30 f., 39 Sung, Chong-Hyon 219 Tatar, Burhanettin 314 f., 343 f. Tertullian 95 Theißen, Gerd 290, 314 Thomas von Aquin 95 Thurneysen, Eduard 43, 48 f., 75, 81, 294, 297, 350 Tietz, Christiane 198 Tillich, Paul 101, 177 f. Trillhaas, Wolfgang 165 Troeltsch, Ernst 99, 177, 220, 314, 319 Trowitzsch, Michael 16, 22, 32, 81, 320 Twesten, August 307 Viering, Fritz 326 Vischer, Wilhelm, 139 f., 173, 190, 192, 195, 199, 204, 215, 232 Visser ’t Hooft, Henriette 203 Vögtle, Anton 98 Vos, Johan S. 30 Vriezen, Theodorus Christiaan, 173 Wacker, Marie-Theres 172 Wagner, Falk 75, 77 Walser, Martin 270 Watson, Francis 346 Weber, Max 136 Weber, Otto 310 Webster, John 21, 85 f. Weder, Hans 88, 327, 330 Weinrich, Harald 288 Weiß, Bernhard, 280, 297 Weiser, Artur, 242, 282, 324 Wellhausen, Julius 143 Westermann, Claus 107, 166

386 Wet(t)stein, Johann Jakob 297 Wette, Wilhelm M.L. de 22 Wetterer Angelika 171 Wharton, James A. 16, 319, 338 Whitehouse, David 164 Wieser, Renate 172 Wilberforce, Samuel 164 Wilckens, Ulrich 98, 319 f. Willi, Hans-Peter 219 Williams, Rowan 85 Wilms, Franz-Elmar 206

Personenregister Wingren, Gustaf 222 Wolleb, Johannes 95 Wood, Donald 21, 49 Woodtli, Susanna 169 f. Zahn, Theodor 133, 289, 297 Zimmerli, Walther 173, 190 Zimmerling, Peter 317 Zocher, Peter 43 Zorgdrager, Heleen 204 f.