Die Feststellung der biologischen Abstammung: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht [1 ed.] 9783428497959, 9783428097951

Tobias Helms untersucht, unter welchen Voraussetzungen es im deutschen und französischen Recht möglich ist, die biologis

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German Pages 252 Year 1999

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Die Feststellung der biologischen Abstammung: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht [1 ed.]
 9783428497959, 9783428097951

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TOBlAS HELMS

Die Feststellung der biologischen Abstammung

Schriften zum Internationalen Recht Band 112

Die Feststellung der biologischen Abstammung Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht

Von

Tobias Helms

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Helms, Tobias:

Die Feststellung der biologischen Abstammung: eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Recht / von Tobias Helms. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 112) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09795-5

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09795-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Diese Arbeit wurde im Februar 1998 abgeschlossen und ist im Sommersemester 1998 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg als Dissertation angenommen worden. Sie entstand während meiner Assistententätigkeit am Institut fiir ausländisches und internationales Privatrecht von Herrn Prof. Dr. Rainer Frank in Freiburg. Rechtsprechung und Literatur befmden sich im wesentlichen auf dem Stand von Januar 1999. Es werden die üblichen Abkürzungen nach Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993 verwendet. Die das französische Recht betreffenden Abkürzungen richten sich nach Leistner, Abkürzungsverzeichnis zur französischen Rechts- und Verwaltungssprache, 2. Auflage, München 1975. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rainer Frank. Er hat das Thema angeregt und die Arbeit jederzeit durch Rat und hilfreiche Kritik unterstützt. Herrn Prof. Dr. Rolf Stürner danke ich fiir die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterhin danke ich meinem Kollegen Jens Jeep fiir die sorgfaltige Durchsicht des Manuskripts. Schließlich gilt mein herzlicher Dank der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg im Breisgau fiir die Gewährung eines Druckkostenzuschusses für die Drucklegung der Arbeit. Die Arbeit ist mit dem Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Jahres 1998 durch das Frankreichzentrurn der Universität Freiburg ausgezeichnet worden. Ich widme dieses Buch meiner Frau Bettina. Freiburg im Januar 1999

Tobias Helms

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Historischer Hintergrund

A. Frankreich ................................................................................................................ 13 I.

Die Tradition des "abandon" und der ,,maisons maternelles" ............................ 13

H. Einfluß der Französischen Revolution ............................................................... 17 IH. Der Code Napoleon ........................................................................................... 20 IV. Die weitere Entwicklung ................................................................................... 22 1. Vaterschaftsfeststellung ................................................................................ 22 2. Ehelichkeitsanfechtung und Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses ............................................................................................................ 27 B. Deutschland ............................................................................................................. 32 I.

Reaktionen auf den Code Napoleon .................................................................. 32

H. Das Bürgerliche Gesetzbuch .............................................................................. 34 III. Einfluß des Nationalsozialismus ........................................................................ 36 IV. Entwicklung nach 1945 ..................................................................................... 41 V. Reformanstöße durch das BVerfG ..................................................................... 44 1. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung .............................................. 44 2. Kritische Stellungnahme ............................................................................... 48 3. Kehrtwendung in der Rechtsprechung? ........................................................ 51 C. Zusammenfassung ................................................................................................... 54

8

Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung und biologische Abstammung .............................. 55 I. Vater-Kind-Zuordnung aufgrund der Ehe der Mutter ........................................... 55

I. Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung im französischen Recht ............ 56 2. Reform des deutschen Rechts ....................................................................... 61 3. Stellungnahme .............................................................................................. 63 11. Vaterschaftsanerkenntnis und Vaterschaftsfeststellung ..................................... 64 1. Demographische Rahmenbedingungen ........................................................ 64 2. Frankreich ..................................................................................................... 66 a) Die "reconnaissances de complaisance" .................................................. 66 b) Beschränkung der Vaterschafts feststellung ............................................. 72 aa) ,,Presomptions ou indices graves" ..................................................... 73 bb) Fristen ................................................................................................ 75 c) Abstammungsnachweis durch Personenstandsbesitz ............................... 76 d) Zahlvaterschaftsklage .............................................................................. 78 3. Reform des deutschen Rechts ....................................................................... 80 a) Vaterschaftsanerkenntnis ......................................................................... 80 b) Vaterschafts feststellung ........................................................................... 82 c) Abschaffung der Amtspflegschaft ........................................................... 83 4. Stellungnahme .............................................................................................. 85 B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung bei Auseinanderfallen von Status und biologischer Abstammung ............................................................................................. 87 I. Frankreich ............................................................................................................. 87

1. Überblick ...................................................................................................... 87 a) Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses ....................................... 88 b) Ehelichkeitsanfechtung ............................................................................ 88 2. Das Fehlen des Personenstandsbesitzes als Voraussetzung der Ehelichkeitsanfechtung ............................................................................................. 90 3. Anfechtungsfristen ....................................................................................... 94 a) Der "desaveu d'accord............................................................................. 94 b) 1Ojähriger Personenstandsbesitz .............................................................. 95

Inhaltsverzeichnis

9

4. Die Stellung des Erzeugers des Kindes ........................................................ 96 11. Reform des deutschen Rechts ............................................................................ 98 1. Anfechtungsrecht der Mutter ........................................................................ 98 2. Anfechtungsrecht des Kindes ..................................................................... 100 a) Bei Volljährigkeit .................................................................................. 100 b) Bei Mindetjährigkeit .............................................................................. 100 c) Anfechtungsfiisten ................................................................................. 103 3. Anfechtungsausschluß rur den Erzeuger des Kindes .................................. 106 a) Veränderung der rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ................................................................................................... 106 b) Fallgruppen, in denen ein Anfechtungsrecht bedenkenswert erscheint. ................................................................................................... 108 111. Stellungnahme ................................................................................................. 111 C. Die heterologe künstliche Befruchtung .................................................................. 113 I. Zulässigkeit ........................................................................................................ 113 1. Frankreich ................................................................................................... 113 2. Deutschland ................................................................................................ 114 11. Statusrechtliche Zuordnung des Kindes .......................................................... 116 I. Frankreich ................................................................................................... 116 a) Eispende ................................................................................................ 116 b) Samenspende ......................................................................................... 117 2. Deutschland ................................................................................................ 119 a) Eispende ................................................................................................ 119 b) Samenspende ......................................................................................... 122 111. Stellungnahme ................................................................................................. 125

Drittes Kapitel Kenntnis der biologischen Abstammung A. Isolierte Abstammungsfeststellung im deutschen Recht? ...................................... 127 I.

Der Konflikt zwischen dem Streben nach Kenntnis der eigenen Abstammung und einem Statussystem......................................................................... 127

11. Prinzipielle Einwände gegen eine isolierte Abstammungsfeststellung? .......... 129

10

Inhaltsverzeichnis 111. Problemfelder .................................................................................................. 130 1. Rechtskraft .................................................................................................. 131 2. Klagevoraussetzungen ................................................................................ 132 3. Verfahrensgestaltung .................................................................................. 133 IV. Schlußfolgerungen ........................................................................................... 135

B. Der Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und den Interessen des Kindes ................................................................................................... 135 I.

Das "secret de la matemite" im französischen Recht ...................................... 136

1. Gesetzliche Grundlagen und praktische Bedeutung ................................... 136 2. Rechtspolitische Begründung ..................................................................... 141 3. Völkerrechtskonformität? ........................................................................... 145 a) Die Europäische Menschenrechtskonvention ........................................ 145 b) UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes ................................. 147 11. Sicherung der Abstammungsfeststellung im deutschen Recht ........................ 150 1. Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter? ..................................... 151

a) Entwicklung in der Rechtsprechung ...................................................... 151 b) Auslegung von § 1618aBGB ................................................................ 152 c) Abwägungsschwierigkeiten ................................................................... 155 d) Vollstreckbarkeit? ................................................................................. 156 e) Entgegenstehender Status ...................................................................... 158 f) Eigene Ansicht. ...................................................................................... 160 2. SozialrechtIiche Druckmittel ...................................................................... 162 111. Stellungnahme ................................................................................................. 163

c.

Adoption ................................................................................................................ 165 I.

Die Suche nach den biologischen Wurzeln ..................................................... 166

11. Informationsmöglichkeiten .............................................................................. 168 1. Frankreich................................................................................................... 168 2. Deutschland................................................................................................ 171 111. Öffnung der Adoption ..................................................................................... 174 1. Halboffene und offene Adoptionsformen ................................................... 175 2. Die "adoption simple" im französischen Recht .......................................... 178 IV. Stellungnahme ................................................................................................. 180

Inhaltsverzeichnis

11

D. Heterologe künstliche Befruchtung ....................................................................... 181 1.

Die Anonymität des Keimzellenspenders in Frankreich .................................. 181

II. Vorschlag zur Reform des deutschen Rechts ................................................... 183

Viertes Kapitel

Prozessuale Realisierung A. Verfahrensgarantien im Statusprozeß.... ........ ...................... .................................. 189 1.

Ausschluß der Parteidisposition ...................................................................... 189

11. Inquisitionsmaxime oder Beibringungsgrundsatz ............................................ 191 B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen ............................................................ 192 1.

Schutz der körperlichen Integrität im französischen Recht............................. 192 1. Der Untersuchungsumfang in der gerichtlichen Praxis .............................. 193 2. Beweiswürdigung bei Untersuchungsverweigerung ................................... 196

II. Wahrheitsermittlung im deutschen Recht ........................................................ 198 1. Der Untersuchungsumfang in der gerichtlichen Praxis .............................. 199 2. Grenzen der Wahrheitserforschung ............................................................ 204 a) Unzumutbarkeit i.S.v. § 372a ZPO ........................................................ 204 b) Untersuchungen "ins Blaue hinein......................................................... 208 c) Auslandsfälle ......................................................................................... 212 III. Einholung privater Gutachten? ........................................................................ 213

Fünftes Kapitel

Zusammenfassung und Ergebnis A. Abstammungssystem oder Anerkennungssystem .................................................. 216 B. Statussystem ......................................................................................................... 220 C. Gleichbehandlung .................................................................................................. 223 D. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung? ..................................................... 225 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 228

Erstes Kapitel

Historischer Hintergrund Die vorliegende Arbeit untersucht, unter welchen Voraussetzungen im deutschen und französischen Recht die Möglichkeit besteht, die biologische Abstammung eines Kindes zu ermitteln. Dabei geht es zum einen um die Begründung juristischer Beziehungen zwischen einem Kind und seinen leiblichen Eltern (2. Kapitel), zum anderen um die bloße Kenntnis der genetischen Abstammung (3. Kapitel). Obwohl in beiden Rechtsordnungen diese Fragen seit langem ausfiihrlich diskutiert werden, erscheint eine Untersuchung, die auch rechts historische Aspekte berücksichtigt (1. Kapitel) und die prozessualen Rahmenbedingungen der gerichtlichen Abstammungsfeststellung beachtet (4. Kapitel), nach wie vor lohnenswert, nicht zuletzt deshalb, weil sich in beiden Ländern das Abstammungsrecht im Umbruch befindet: Während das französische Recht bereits im Jahre 1993 reformiert wurde, ist das deutsche Kindschaftsrechtsreformgesetz (KindRG) am 1.7. 1998 in Kraft getreten. 1

A. Frankreich Die Wurzeln des modemen Abstammungsrechts liegen in Frankreich tiefer in der Vergangenheit als in Deutschland. Aus diesem Grund bietet sich zunächst eine Darstellung der französischen Entwicklung an.

I. Die Tradition des "abandon" und der "maisons maternelles" Spricht man von der "Feststellung der biologischen Abstammung", denkt der deutsche Jurist unwillkürlich an die väterliche Abstammung, denn bezüglich der mütterlichen besteht in seinen Augen stets Gewißheit. Es gilt schließlich Vgl. zum Kindschaftsrechtsrefonngesetz die Stellungnahmen von: Baer, ZfJ 1996, 123; Diederichsen, NJW 1998, 1977; Eden/eid, FuR 1996, 190; Gaul, FamRZ 1997,1441; Helms, FuR 1996, 178; Mutschler, FamRZ 1996, 1381; Ramm, FPR 1996, 220; ders., JZ 1996,987; Wichmann, FuR 1996, 161. Systematische Übersichten insbesondere zu den Gesetzesmaterialien: Greßmann, S. 27 ff.; v. Luxburg, S. 43 ff.; Mühlens/Kirchmeier/Greßmann, S. 87 ff.

14

1. Kapitel: Historischer Hintergrund

seit jeher der scheinbar naturgegebene Grundsatz: "mater semper certa est".2 Demgegenüber lautet Art. 341-1 Code civil (C.c.): "Anläßlich der Niederkunft kann die Muttt,r verlangen, daß das Geheimnis ... ihrer Identität gewahrt wird", und Art. 341 C.c. bestimmt mit Bezug hierauf: "Die Feststellung der Mutterschaft ist zulässig, vorbehaltlich der Anwendung des Art. 341-1." Eine Mutter hat also in Frankreich das Recht, bei der Geburt eines Kindes ihre Identität zu verheimlichen. Entschließt sich eine Frau dazu, so meldet sie beim Standesbeamten das Kind als das Kind einer unbekannten Mutter (sous X) an. Art. 341 i.V.m. 341-1 C.C. verbietet in einem solchen Fall die Feststellung der mütterli- . chen Abstammung. Die Möglichkeit, ein Kind anonym zur Welt zu bringen, besitzt in Frankreich Tradition. Bereits im fiiihen Mittelalter wurden an den Mauem von Findelhäusern sog. Drehladen angebracht, in die man Kinder von außen hineinlegen konnte. Setzte man einen Mechanismus in Gang, wurde das Kind nach innen befördert. Durch gleichzeitiges Ziehen der "Findelglocke" konnte man auf den Neuankömmling aufmerksam machen, ohne mit den Insassen des Findelhauses in direkten Kontakt treten zu müssen. 3 Mit diesen Einrichtungen verfolgte man einerseits das karitative Anliegen, Kindestötungen zu venneiden, andererseits waren sie ein Produkt der gesellschaftlichen und religiösen Diskriminierung nichtehelicher Kinder: Den Müttern wurde ennöglicht, ihren Fehltritt zu vertuschen; den Vätern ersparte man, (finanzielle) Verantwortung für diese gesellschaftlich unerwünschten Kinder übernehmen zu müssen. 4 Lamartine sah in dieser Institution, die es erlaubte, "ein Kind auszusetzen, ohne daß man das Gesicht der sündigen Mutter erkennen konnte", "eine sinnvolle Erfindung christlicher Nächstenliebe ... die Hände hat, um aufzunehmen, aber weder Augen, um zu sehen, noch einen Mund, um zu sprechen".5 Auch gesellschaftlich war die Kindesaussetzung durchaus salonfähig. Rousseau etwa, der selbst seine fünf nichtehelichen Kinder auf diese Weise aussetzte, erschien dieses "arrangement" "si bon, si sense, si legitime".6 Das Drehladensystem erlangte in Frankreich große Bedeutung. So gab es beispielsweise im Jahre 1780 ca. 250 solcher Drehladen, und im Jahre 1830

2

149. 4

Paul. Dig. 2.4.5. Fuchs, S. 21 f.; Feld, S. 174 f1; Nykiel, S. 17 f1; Neirinck, JCP 1996, Doctr.,

Taeger, S. 1 ff.; Trillat, S. 518; Nykiel, S. 14 ff. Zitiert nach Neirinck, JCP 1996, Doctr., 149: "d'abandonner un enfant sans que I'on puisse distinguer Je visage de Ja mere pecheresse", "une ingenieuse invention de Ja charite chretienne ... ayant des mains pour recevoir, mais pas d'yeux pour voir ni de bouche pour parJer." 6 Zitiert nach Taeger, S. I.

A. Frankreich

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wurden schätzungsweise 130.000 Kinder auf diese Weise ausgesetzt. 7 Im etatistischen Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts sah man hierin ein Mittel, um Bevölkerungswachstum zu garantieren und die für Landwirtschaft und Industrie nötigen Arbeiter bereitzustellen. 8 Ein Dekret Napoleons, das auf Vorschläge zurückgeht, die bereits während der Regierungszeit Ludwigs XIV. unterbreitet worden waren, verpflichtete diese ausgesetzten Kinder vom 12. bis zum 25. Lebensjahr zu unentgeltlicher Arbeit. 9 In Deutschland fand das Drehladensystem demgegenüber kaum Verbreitung. Als Grund hierfür sehen manche Autoren an, daß die Stellung als paterfamilias nach römischem Recht dem Hausvater eine viel stärkere Macht über Leben und Tod seiner Familienmitglieder zugewiesen habe als die deutschrechtliche "Munt". In der Tat scheinen unterschiedliche gesellschaftliche und religiöse Anschauungen eine Rolle gespielt zu haben, denn aumillig ist, daß sich das Drehladensystem vor allem in protestantischen Gegenden niemals durchsetzen konnte. 10 Als im 19. Jahrhundert aufgrund größerer sexueller Freizügigkeit und einer zunehmenden Verarmung der unteren Schichten ein Anstieg der anonymen Kindesabgaben zu verzeichnen war, gerieten die Drehladen in Frankreich in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik: Die Möglichkeit der anonymen Kindesabgabe sei für viele Eltern überhaupt erst der Anreiz, sich ihrer Kinder zu entledigen und sie den öffentlichen Finanzen zur Last zu legen. I I Dementsprechend wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Drehladen nach und nach abgeschafft. Im Jahre 1860 existierten von ihnen nur noch 25.12 An ihre Stelle traten sog. bureaux d'abandon. Wollten Eltern dort ein Kind abgeben, mußten sie genaue Angaben über ihre eigene Identität und die Gründe für die Kindesabgabe machen. Außerdem versuchte man, sie von ihrem Entschluß wieder abzubringen, indem man ihnen finanzielle Unterstützung versprachY Gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich die demographische Situation in Frankreich. Die Entwicklung der ersten Verhütungsmethoden und der verlorene Krieg von 1870 fiihrten zu einem starken Geburtenrückgang. 14 Nun7

9 10

Frank, FamRZ 1992, 1365, 1368. Taeger, S. 86 ff. Bürge, S. 324; Taeger, S. 7. Feld, S. 178 ff.; Urban, S.46 Fn. 12; Scherpner, S.20; Frank, FamRZ 1992,

1365, 1368. 11

12 13 14

Nykiel, Nykiel, Nykiel, Nykiel,

S. S. S. S.

24 ff. 25. 26. 28.

16

1. Kapitel: Historischer Hintergrund

mehr schwenkte die öffentliche Meinung wieder um: In der Pflicht zur Offenlegung der elterlichen Identität anläßlich der Kindesabgabe sah man einen Grund fiir Kir.destötungen und Abtreibungen. 15 Nur wenn eine Frau sich fiir ihre Entscheidung nicht rechtfertigen müsse und sie ganz sicher sein könne, daß ihre Tat geheim bleibe, stelle die Kindesabgabe eine Alternative zu Abtreibungen und Kindestötungen dar. Im Jahre 1904 kehrte man deshalb wieder zu der alten Praxis zurück und bestimmte, daß Findelkinder in den bureaux d'abandon auch anonym abgegeben werden könnten. 16 Seit dem Beginn dieses Jahrhunderts wurden die bureaux d'abandon ergänzt durch die Einrichtung sog. maisons maternelles, in denen schwangere Frauen aufgenommen wurden, die von dem Erzeuger des Kindes allein gelassen worden waren oder sich in materieller Not befanden. Durch ein Gesetz der VichyRegierung vom 2. September 1941 wurde die sich hier anbahnende Praxis der anonymen Entbindung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und jeder Frau ausdrücklich das Recht zugestanden, ein Kind anonym auf Kosten des Staates zur Welt zu bringen. 17 Eine Verordnung vom 15. April 1943 bestimmte, daß jeder Präfekt eine maison maternelle einzurichten habe. 18 Anlaß fiir diese Vorschriften scheint wiederum der kriegsbedingte Geburtenrückgang gewesen zu sein. Angesichts von 2.000.000 Kriegsgefangenen wollte die französische Regierung neues Leben um jeden Preis schützen. Man hoffte, durch die staatliche Förderung von anonymen Entbindungen Abtreibungen und Kindestötungen zu verhindern. 19 Nach dem Krieg wurden diese Bestimmungen im wesentlichen unverändert in den Art. 42 Code de la familie et de I'aide sociale (C.Fam.) (i.d.F. vom 29. November 1953) und später dann in Art. 46 und 47 C.Fam. (i.d.F. vom 6. Januar 1986) übernommen. 2o Die Institute des abandon und des accouchement anonyme eröffnen somit auch heute noch französischen Eltern die Möglichkeit, sich jeglicher Verantwortung fiir ein Neugeborenes zu entledigen und jeden weiteren Kontakt mit ihm zu unterbinden. Derartig abgegebene Kinder werden ihr Leben lang nicht nur im Ungewissen über die Identität ihres Vaters, sondern auch ihrer Mutter bleiben.

15 16

Nykiel, S. 27. Taeger, S. 52 ff.; Nykiel, S. 26 ff. Das ursprüngliche Mindestalter von 7 Monaten

für die anonyme Abgabe eines Kindes wurde im Jahre 1943 auf 12 Monate angehoben

(Nykiel, S. 29). 17 Nykiel, S. 18 Nykiel, S. 19 Nykiel, S. 20 Nykiel, S.

31. 30. 32. 32 und 46.

A. Frankreich

17

11. Einfluß der Französischen Revolution

Läßt man die Fragen beiseite, die sich in den Sonderfällen des abandon und des accouchement anonyme stellen, ist auch im französischen Recht das zentrale Problem die Feststellung der väterlichen Abstammung. Hier wurden entscheidende Weichenstellungen während der Revolution getroffen: Die Forderung nach Gleichheit aller Menschen führte bereits im Jahre 1793 durch die "Loi du 12 brumaire an 11" zu einer weitgehenden - insbesondere erbrechtlichen - Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder. 21 Allerdings kam diese Rechtswohltat nur den nichtehelichen Kindern zugute, die von ihrem Vater freiwillig anerkannt wurden. 22 Anders als im ancien droip3 wurde eine Klage auf Vaterschaftsfeststellung nicht zugelassen. 24 Die bloße Abstammung eines Kindes von seinem Vater begründete nicht einmal unterhaltsrechtliche Pflichten. 25 Die Beweisschwierigkeiten, die als Grund für das Verbot der Vaterschaftsklage angeführt wurden26, dürften nicht allein ausschlaggebend gewesen sein, denn in der Geschichte hatte man schon früher auf Beiwohnungs- und Abstammungsvermutungen zurückgegriffen, und schließlich war nach wie vor die Ehelichkeitsanfechtung durch den Ehemann (action en desaveu) zugelassen. Allerdings muß zugegeben werden, daß aufgrund der verstärkten (erb )rechtlichen Stellung nichtehelicher Kinder die Beweisschwierigkeiten an praktischer Bedeutung gewonnen hatten. Berlier, der Präsident der Volksvertretung, faßte die aus seiner Sicht maßgeblichen Gründe für die Nichtzulassung einer zwangsweisen Vaterschaftsfeststellung folgendermaßen zusammen: "Seit langem verlangten es die guten Sitten und der Familienfrieden, daß man nicht mehr diese skandalösen Klagen auf Vaterschaftsfeststellung zuließ, die - zur Schande der früheren Rechtspre-

Barazetti, S. 367; Schmidt-Hidding, S. 26.; Jacquinot, S. 73-110. Garaud/Szramkiewicz, S. 117; Boudouard/Bellivier, S. 134. 23 Im vorrevolutionären Recht war die Vaterschaftsklage al1gemein zulässig, doch verschaffte sie dem Kind nur einen UnterhaItsanspruch, niemals aber ein Erbrecht (Schubert, Französisches Recht, S.468; ZachariälCrome, S.513; Barazetti, S.367; Garaud/Szramkiewicz, S. 110). 24 Garaud/Szramkiewicz, S. 118 insbes. Fn. 41; Boudouard/Bellivier, S. 132; Madlener, S. 79. Zugelassen war al1erdings ein Personenstandsbeweis (durch Statusbesitz), wenn er durch eine Urkunde bewiesen wurde oder wenn der betreffende Elternteil ununterbrochen für das Kind gesorgt hatte (Schmidt-Hidding, S. 26; Groß, S. 95). 25 Schmidt-Hidding, S. 26 f. und 31; Madlener, S. 38. Dazu auch Jacquinot, S. 77 ff. und 82. 26 Barazetti, S. 415 Fn. 6; Madlener, S. 78; Schmidt-Hidding, S. 27; ZweigertlKötz, \. Aufl., S. 15 \. 21

22

2 Helms

18

1. Kapitel: Historischer Hintergrund

chung - jeden Tag durch die Gerichte hallten.'027 Anlaß für die hier angesprochene Furcht vor Skandalprozessen28 war unter anderem die Regel des ancien droit: "creditur virgini parturienti'029. Danach konnte ein Mann, der von einer Schwangeren als Vater ihres Kindes bezeichnet worden war (dies durfte allerdings kein verheirateter Mann sein), zu vorläufigen Unterhalts leistungen verurteilt werden, ohne daß eine nennenswerte Prüfung der wirklichen Abstammungsverhältnisse vorgenommen worden wäre. Erst in einem nachfolgenden Hauptprozeß wurde über die Frage der Vaterschaft auf der Grundlage einer sorgfältigeren Beweisaufuahme endgültig entschieden. 30 Diese Regelung ermöglichte einer Frau erst einmal, fast jedem beliebigen Mann eine Unterhaltspflicht anzuhängen. 3! "Ce genre de calomnie laissait toujours des traces affligeantes.,,32 Aber auch ideologisch hatte sich die Sichtweise geändert: Der überragenden Bedeutung der Abstammung während der vorrevolutionären Epoche - dem "orgueil de la naissance" - setzte man ein individualistisches Konzept entgegen: Wahrer Vater war nur der Mann, der sich freiwillig zu seinem Kind bekannte 33 : "L'homme libre ... n'est pere que par effet de sa volonte.,,34 Hierbei spielte das idealistische Bild des "neuen" Mannes eine Rolle: Während im ancien droit das Verhältnis zwischen Vater und Kind durch die väterliche Vormachtstellung geprägt worden sei, müsse an deren Stelle nun die elterliche Liebe treten - und diese Liebe ließe sich nicht erzwingen. 3S Darüber hinaus

27 Zit. nach Schmidt-Hidding, S. 28 Fn. 71: "Depuis longtemps l'interet des bonnes moeurs et la tranquillite des familles exigeaient qu'on n'admit plus ces demandes scandaleuses en dec1aration de patemite qui, a la honte de l'ancienne jurisprudence, retentissaient tous lesjours dans les tribunaux." 28 BoudouardiBe/livier, S. 132 f; Schmidt-Hidding, S. 28 f 29 "Einer Frau in Geburtswehen wird Glauben geschenkt." 30 GaraudlSzramkiewicz, S. 110 f; Lefebvre-Teillard, S. 255 ff. und S. 261 ff.; Madlener, S. 77 f.; Schmidt-Hidding, S. 24 f 3! Manche Autoren vermuten, daß der Revolutionsgesetzgeber z.T. die Vorläufigkeit dieser Regelung mißverstand und davon ausging, daß die einmal begründete Unterhaltspflicht endgültig gewesen sei: Schmidt-Hidding, S. 28 f; Jacquinot S. 15. 32 Bigot-Preameneu wiedergegeben in: Fenet, Recueil complet des travaux preparatoires du Code civil X (1836), S. 154: "Diese Art der Verleumdung hinterließ immer schmerzliche Spuren." 33 BoudouardiBellivier, S. 123 und 132 f; Bart, S.352 und 360; vgl. auch Carbonnier, Essai surles lois, 1979, S. 100. 34 Mulliez, Pater is est, S. 419: "Ein freier Mann ... wird nur aufgrund seiner Willensentscheidung zum Vater." Vgl. auch HauserIHuet-Weiller, n. 441. 3S "Est-il une puissance au monde qui puisse obtenir I'amour par le commandement et la force?" (Proudhon) und "Je demande que1s liens pourront jamais s'etablir entre un enfant qui n'entrera chez son pere que sous les malheureux auspices d'un proces et

A. Frankreich

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wollten die Revolutionsgesetzgeber in Abkehr von den angeblich sittenlosen vorrevolutionären Zeiten36 durch das Verbot der Vaterschaftsfeststellung die legitime Familie stärken37 und den außerehelichen Geschlechtsverkehr eindämmen. 38 Auch die Regel "pater est quem nuptiae demonstrant,,39 wurde z.T. in neuem Licht gesehen. Nach traditioneller Auffassung gründete sich dieser Rechtssatz auf die Verrnutung, daß die Ehefrau in der Ehe treu sein werde - mithin eine große Wahrscheinlichkeit fiir die biologische Abstammung des Kindes vom Ehemann bestehe. Demgegenüber entstand nun die Vorstellung, daß der Ehemann durch die Eheschließung im Vorhinein alle Kinder akzeptiere und anerkenne, die während der Ehe geboren werden. 4o Deshalb sollte die Ehelichkeitsanfechtung durch den Ehemann nur dann zugelassen werden, wenn seine Vaterschaft physisch unmöglich sei, da in diesem Fall die eigentliche Bestimmung der Ehe - die Zeugung von Kindern - nicht erfüllt werden könne und damit keine "richtige" Ehe als Grundlage fiir die Vater-Kind-Zuordnung bestehe. Mache der Ehemann innerhalb einer kurzen Frist die Nichtehelichkeit nicht geltend, dann sei das so, als ob er das Kind seiner Ehefrau stillschweigend adoptiert habe. 41 Auch heute noch wird dieser Ansatz zur Begründung fiir die Ehelichkeit insbesondere von vorehelich empfangenen Kindern angeführt. 42 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Faktoren, die das französische Recht während der Revolution geprägt haben, widersprüchlich sind. Auf der einen Seite standen die Ideale der Revolution: Der neue Bürger würde sich in freier Verantwortung zu seinem Kind bekennen. 43 Deshalb wurde der Gedanke

I'homme qui sera pere parce qu'un tribunal I'aura dit lorsque sa propre conscience lui dira qu'il ne l'est point" (Berlier), zitiert nach: Mulliez, S. 389 Fn. 17 bzw. S. 392 Fn. 51; vgl. auch HauserIHuet-Weiller, n. 441. 36 BoudouardiBellivier, S. 124. 37 Mulliez, Pater is est, S. 417. 38 Schmidt-Hidding, S. 29; Barazetti, S. 415 Fn. 6; Jacquinot S. 223. 39 "Vater ist der, den die Ehe bestimmt." 40 Colin, RTD civ. 1902, 257; Mulliez, Revolutionnaires, S. 377. Aufschlußreich ist auch die Ausdrucksweise für die Vaterschaftsanfechtung, bei der man von desaveu spricht, während alle anderen (Vaterschafts-)Anfechtungen contestation heißen. Erklärt wird diese Terminologie folgendermaßen: "On ne desavoue que ce que I'on a precedemment avoue." 41 Mulliez, Revolutionnaires, S. 378. 42 Labrusse-Riou, S. 114; Marty-Raynaud, n. 164 bis; Carbonnier, n. 275; vgl. auch HauserIHuet-Weiller, n. 434. 43 GaraudlSzramkiewicz, S. 119; Szramkiewicz, S. 87. "Tout homme ... devenu pere et ayant eu d'une femme !ibre un enfant naturei, n'a-t-il pas des lors contracte un engagement? Eh! Quel engagement que celui qui est a la fois sous la sauvegarde des deux

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

der freiwilligen Begründung verwandtschaftlicher Beziehungen hervorgehoben. 44 Auf der anderen Seite blieb man aber blind für die soziale Realität, insbesondere die Nöte der nicht anerkannten Kinder und ihrer Mütter. Auch die Revolutionäre waren nur Kinder ihrer Zeit, indem sie an traditionellen Strukturen und überlieferten Vorurteilen als angeblich naturgegeben festhielten.

111. Der Code Napoleon Obwohl der Code Napoleon (C.N.) insgesamt im Vergleich zum droit intermediaire eher reaktionäre Züge aufwies45 , blieb es im Bereich des Abstammungsrechts weitgehend bei der vorgefundenen Rechtslage. Insbesondere das Verbot der Vaterschafts feststellung hatte Bestand. 46 Der berühmt-berüchtigte Art. 340 C.N. lautete: "La recherche de la paternite est interdite." Napoleon meinte, auf diese Weise den Zusammenhalt der ehelichen Familie schützen zu müssen, die er als Keimzelle eines starken Staates ansah. 47 Angeblich soll er aber auch ein Interesse an einer gewissen Zahl vaterloser Kinder gehabt haben, um damit die Bestände seiner Armee auffüllen zu können. 48 Bei der Regelung des Abstammungsrechts stand auf jeden Fall nicht das Wohl des Kindes im Blickpunkt, sondern ausschlaggebend waren vermeintliche Gemeinwohlinteressen. Im Vorwort des dritten Entwurfs zum Code Napoleon heißt es: "Die beste Gesetzgebung ist die, die das allgemeine Wohl der Gesellschaft und die Verbesserung der öffentlichen Moral begünstigt. Was macht es aus, wenn einige Individuen ihrer Familiemechte beraubt werden und auf Kosten des Staates aufgezogen werden, wenn durch dieses Opfer Ausschweifungen unterbunden, der Familienfriede sichergestellt und eheliche Gemeinschaften gefordert werden?,,49 premiers sentiments de la nature: l'honneur et l'amour" (Cambaceres), zitiert nach: Mulliez, Revolutionnaires, s. 381. 44 Dem entspricht beispielsweise auch die neue Bedeutung, die die (Minderjährigen-)Adoption als "triomphe de la volonte individuelle" während der Revolution erlangte, nachdem diese Institution unter dem ancien droit ein Stiefmütterchendasein geführt hatte (Mulliez, Pater is est, S. 419; Bou/anger, S. 7; Mulliez, Revolutionnaires, S.385). 45 Brinton, S. 55 ff.; Mulliez, Pater is est, S. 423 ff.; Mulliez, Revolutionnaires, S.379. 46 Der Personenstandsbeweis war der freiwilligen Anerkennung nicht mehr gleichgestellt (Schmidt-Hidding, S. 30, Gutkess, S. 20). 47 ZweigertlKötz, 1. Aufl., S. 151; Schmidt-Hidding, S. 30 f. 48 Schmidt-Hidding, S. 32. 49 Cambaceres zitiert nach Schmidt-Hidding, S. 32: "La meilleure legislation est celle qui favorise l'interet general de la societe et les progres de la morale publique.

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Für die Begründung einer Vater-Kind-Beziehung kam es damit nach wie vor ausschließlich auf die freiwillige Anerkennung der Vaterschaft an. Nicht anerkannt werden konnten allerdings Kinder, die einer ehebrecherischen oder blutschänderischen Beziehung entstammten (Art. 335 C.N.).50 Grund hierfür war der Schutz der ehelichen Familie des verheirateten Elternteils und die Angst, durch solche Anerkennungen das Sittlichkeitsempfinden der Bevölkerung zu verletzen und diesen Verbindungen Vorschub zu leisten. 51 Allerdings hatte Napoleon Probleme, seine Vorstellungen in den Gesetzgebungsgremien durchzusetzen. Das Tribunat, eine bei der Gesetzgebung mitwirkende Versammlung, lehnte seine Vorschläge ab und plädierte für eine eingeschränkte Zulassung der Vaterschaftsklage. Dieser Empfehlung folgend verwarf auch das "Corps legislatif', die wichtigste Körperschaft im Gesetzgebungsverfahren, den entsprechenden Titel des Code Napoleon. Daraufhin nahm Napoleon den Gesetzesentwurf zurück und reduzierte die Anzahl der Tribunatsmitglieder auf die Hälfte. Die für die Gesetzgebung zuständige Sektion des Tribunats besetzte er mit Anhängern seines Entwurfs. In einem neuen Durchgang wurden die entsprechenden Bestimmungen ohne Gegenstimme angenommen. Die Vaterschaftsklage wurde gern. Art. 340 Abs. 2 C.N. einzig und allein dann zugelassen, wenn die Mutter vom Kindesvater während der Empfangniszeit entfUhrt worden war. 52 Aber nicht nur für die Frage der Vaterschaft spielte die Anerkennung eines Kindes eine große Rolle. Anders als während des ancien droif3 machte man Qu'importe que que1ques individus soient prives de leurs droits de familie et eleves aux depens de I'Etat, si par ce sacrifice le libertinage est proscrit, la tranquillite domestique assuree, les unions legitimes encouragees?" Bigot-Preameneu bezeichnete die VaterschaftsfeststeIlungen nach dem ancien droit "comme le fleau de la societe" (Fenet, Recueil complet des travaux preparatoires du Code civil X (1836), S. 154). 50 Diese Vorschrift wurde dahingehend interpretiert, daß die Statuszuordnung zu einem Elternteil möglich war, denn dadurch wurden noch nicht die Umstände der Zeugung aufgedeckt (Gutkess, S. 25). 51 ZweigertlKötz, I. Aufl., S. 152. Quasi als Ausgleich dafür stand ihnen ein Anspruch auf Alimente gegen den Nachlaß ihrer Eltern zu: Art. 762 C.N. In der Folgezeit setzte sich die Ansicht durch, daß Art. 762 C.N. voraussetzt, daß ein Unterhaltsanspruch nicht erst mit dem Erbfall, sondern bereits zu Lebzeiten des Erblassers besteht. Allerdings beschränkte man die Reichweite dieser Vorschrift drastisch, indem man ihn nur auf Kinder anwandte, deren Abstammung auf irgendeine Weise gerichtlich festgestellt (so die Rechtsprechung) oder zumindest anderweitig bekannt geworden war (so ein Teil der Literatur). V gl. hierzu Schmidt-Hidding, S. 177 f.; Mezger, FarnRZ 1955, 273, 274; Barazetti, S. 469 ff. 52 GaraudJSzramkiewicz, S. 180; Schmidt-Hidding, S. 33. 53 Während des ancien droit wurde der Beweis der Abstammung durch die Taufurkunde oder den sog. Personenstandsbeweis geführt, d.h. den Nachweis, von der Mutter wie ein eigenes Kind behandelt zu sein. Als zusätzliches Beweismittel trat daneben die Anerkennung (Schmidt-Hidding, S. 23; Mad/ener, S. 50 m.w.N.).

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bei nichtehelichen Kindern die Begründung einer Mutter-Kind-Beziehung ebenfalls von der Anerkennung der Mutterschaft durch die Frau abhängig (vgl. Art. 334-339, 341, 342 C.N.).54 Zwar war eine Klage auf Feststellung der Mutterschaft zugelassen55 , doch konnten sich Mütter dieser Feststellung nach wie vor entziehen, indem sie unerwünschte Kinder anonym in einem Findelhaus abgaben. 56 Napoleon bestätigte diese Institution durch ein Dekret von 1811, mit dem er anordnete, daß in jedem Arrondissement ein Findelhaus mit Drehladen eingerichtet werden sollte. 57

IV. Die weitere Entwicklung Angesichts der unbefriedigenden Rechtslage nichtehelicher Kinder wurde am Code Napoleon schon bald Kritik geäußert. 58 1. Vaterschaftsfeststellung

Das Verbot der Vaterschaftsfeststellung wurde fiir die wachsende Anzahl an Findelkindern verantwortlich gemacht. 59 Außerdem wurde eine zunehmende Delinquenz bei nichtehelichen Kindern sowie häufige Prostitution ihrer Mütter beklagt. 6o Diese Entwicklungen schärften das Bewußtsein dafiir, daß die soziale Stellung nichtehelicher Kinder ganz vom guten Willen ihres Erzeugers abhängig war. Zunächst sorgte die Rechtsprechung im Jahre 1845 fiir eine erste Abmilderung der Rechtslage: Eine mit unlauteren Mitteln verführte Mutter bekam einen Schadensersatzanspruch gegen den Verführer zugesprochen, der auf die allgemeine Haftungsnorm des Art. 1382 C.C. gestützt wurde und auch den Unterhalt Barazetti, S. 382; ZweigertlKötz, 1. Aufl., S. 150. Ursprünglich war aber auch hier ein "commencement de preuve par ccrit" erforderlich (ZweigertIKötz, 1. Aufl., S. 151). 56 Aus Art. 56 c.e., der die Aufnahme des Muttemamens in die Geburtsurkunde vorsah, wurde von der Rechtsprechung keine Verpflichtung zur Angabe der Mutteridentität abgeleitet. Die Vorschrift wurde so ausgelegt, daß der Name nur dann aufzunehmen sei, wenn die Mutter ihn angegeben hatte (vgl. Gutkess, S. 24 und 98). 57 Bürge, S. 323 f.; Schmidt-Hidding, S. 29; Frank, FamRZ 1992, 1365, 1368; Feld, S. 181. 58 Vgl. die bei Barazetti, S. 415 ff. Fn. 6 wiedergebenen Stimmen. Vor allem Loysei: "Qui a fait I'enfant doit le nourrir"; vgl. auch Mot. IV, S. 873; Schmidt-Hidding, S. 72 ff. m.w.N. 59 ZweigertlKötz, 1. Aufl., S. 153; Schmidt-Hidding, S. 75. 60 ZweigertlKötz, 1. Aufl., S. 153; Schmidt-Hidding, S. 75. 54

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fiir das aufgrund der Verführung gezeugte Kind umfaßte. 61 Dies bedeutete eine erste Umgehung des Art. 340 C.N., der von seiner ratio legis die Erforschung der Vaterschaft gänzlich - auch im Rahmen einer deliktischen Klage - untersagen wollte. Daneben erkannte die Rechtsprechung eine Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber dem Kind auch dann an, wenn sich aus einem Schriftstück (z.B. Brief) sein Wille ergab, fiir das Kind sorgen zu wollen. 62 Eine solche Unterhaltsverpflichtung traf damit nicht unbedingt den wahren Vater, sondern vor allem den, der sich dafiir hielt. Hier wurde aus Billigkeitserwägungen einer rein tatsächlichen Willensäußerung ein Rechtsbindungswille unterstellt, den der Mann in dieser Form wahrscheinlich niemals besessen hatte. Der Gesetzgeber selbst wurde trotz drängenden Reformbedarfs erst im Jahre 1912 tätig. Zugelassen wurde die Klage auf Feststellung der Vaterschaft allerdings nur in fünf Fällen, in denen entweder die Vaterschaft eines Mannes bereits nach den äußeren Umständen sehr wahrscheinlich war (Fälle der Entführung oder Vergewaltigung (Nr. J), Vorliegen eines schriftlichen Vater-

schaftsanerkenntnisses (Nr.2) oder einer Urkunde, aus der eine Verführung hervorging (Nr. 5)) oder wenigstens ein Mindestmaß an gelebter Eltern-KindBeziehung bestand und man damit dem Verhalten des Mannes eine anerkenntnis ähnliche Qualität zusprechen konnte (Bestehen eines offenkundigen Konkubinats (Nr. 3) oder Beteiligung des Mannes an Unterhalt oder Erziehung (Nr. 4)). Während der großen Familienrechtsreform im Jahre 1972 begründete der Gesetzgeber die Aufrechterhaltung dieser Klagebeschränkung mit dem Argument, daß es in bestimmten Fällen im Interesse des Kindes liege, eine Vater-Kind-Zuordnung zu verhindern, wenn andernfalls das Kind dem Vater gegen dessen Willen aufgedrängt WÜfde. 63 Insgesamt blieb in den folgenden Jahrzehnten das Vorliegen einer der fünf Zulässigkeitsgründe die Ausnahme gegenüber dem grundsätzlichen Verbot der Vaterschaftsfeststellung. 64 Besonders gravierend fiir das Kind war, daß bei festgestelltem Mehrverkehr der Mutter die Klage ohne weiteres abgewiesen

61 Cass., 7.6.1963, Bull. civ. I, n. 292; Nachweise zur älteren Rspr. bei Schmidt. Hidding, S. 70. 62 Cass., 3.2.1969, Bull. civ. I, n. 55; Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei Schmidt-Hidding, S. 71. Das Erfordernis der Schriftform leitete sich aus Art. 1341 e.e. ab, nach dem für Ansprüche überhalb einer gewissen Grenze ein schriftlicher Beweis erforderlich war. 63 Gutkess, S. 35; vgl. auch Massip, note sous Cass., 5.7.1988, D. 1989, 228; Vidal, La place de la verite dans le droit de la filiation, Melanges Marty, 1978, S. 1130. 64 Schmidt-Hidding, S. 85 Fn. 395.

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

werden mußte, ohne daß noch der Beweis zulässig war, daß lediglich einer der Beischläfer als Erzeuger des Kindes in Frage kam. 65 Im Jahre 1955 wurde in Frankreich zum ersten Mal ein von der Abstammungsfeststellung unabhängiger Unterhaltsanspruch der Kinder aus Ehebruch und Blutschande eingeführt. 66 Von der im Jahre 1912 eingefiihrten Möglichkeit der Vaterschaftsfeststellung waren diese Kindergruppen nämlich nach wie vor ausgeschlossen. 67 Dieser neue Unterhaltsanspruch wurde anders als die Vaterschaftsfeststellungsklage uneingeschränkt zugelassen, also unabhängig von dem Vorliegen eines der cas d'ouverture. Eine Ausweitung dieses Unterhaltsanspruchs auf alle nichtehelichen Kinder lehnte die Rechtsprechung zunächst ab 68 , was eine Zeit lang zu der widersprüchlichen Situation fiihrte, daß Kinder aus Ehebruch und Blutschande besser gestellt waren als die enfants natureis simples. Durch ein Urteil der Cour de cassation aus dem Jahre 1969 wurde diese Ungleichbehandlung dann beendet. 69 Der Gesetzgeber bestätigte durch die Reform aus dem Jahre 1972 diese Rechtsprechung und eröffnete die Unterhaltsklage fiir alle nichtehelichen Kinder. Im Jahre 1993 wurde das französische Abstammungsrecht einer grundlegenden Reform unterzogen. In der Literatur hatte sich mittlerweile die Einstellung gegenüber Art. 340 c.e. gewandelt. Während lange Zeit darauf hingewiesen worden war, daß ein Kind nicht unbedingt ein Interesse daran habe, einem Mann als Kind zugeordnet zu werden, der ihm ablehnend gegenüber steheo, setzte allmählich eine immer stärkere Kritik ein. Rubellin-Devichi beispielsweise bezeichnete die cas d'ouverture als "une mine, bien exploitee, de procedes choquants pour rejeter une paternite encombrante".71 Angesichts der Perfektionierung der Methoden der Abstammungsfeststellung hätte es nahegelegen, die Beschränkung der Vaterschaftsfeststellung durch den Katalog der Zulässigkeitsgründe ganz fallenzulassen. 72 Der von der Regie-

65 Dieser Gegenbeweis wurde erst durch die Reform aus dem Jahre 1972 zuge-

lassen. 66

Madlener, Diss. 1969, S. 210.

67 Die Statusfeststellung wurde diesen Kindern durch die Reform im Jahre 1972

ermöglicht. Vgl. aber die fortbestehende Beschränkung in Art. 334-10 C.c. 68 Cass., 13.1.1959, D. 1959,62, note Rouast; JCP 1959,11, 10952, note Esmein; RTD civ. 1959,306, obs. Desbois. 69 Cass., 20.5.1969, D. 1969,429. 70 Vidal, La place de la verite dans le droit de la filiation, Melanges Marty, 1978, S. 1130. 71 Rubellin-Devichi, JCP 1993, I, 3659: "gut ausgebeutete Mine von schockierenden Mitteln, um eine lästige Vaterschaft abzuschütteln". Vgl. auch Cornu, n. 261. 72 Gouzes, 1OAN, 28.4.1992, S. 736 f.; Vauzelle, 10 Senat, 8.12.1992, S. 3728.

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rung eingebrachte Gesetzesentwurf wollte demgemäß die Vaterschaftsfeststellung ohne jegliche Einschränkung zulassen, was auch die Billigung der Mehrheit in der Nationalversammlung fand. 73 Doch vereinzelt gab es schon erste kritische Stimmen. So meinte eine Abgeordnete: ,,Der Gesetzesentwurf ... bevorzugt als Zuordnungskriterium ausschließlich die biologische Abstammung ... und läßt dadurch die affektive und soziale Dimension der Vaterschaft außer Acht. ,,74 Im Senat überwog dann die Kritik an dem Reformvorschlag der Nationalversammlung. Man plädierte fiir die Beibehaltung des bisherigen Systems. 75 Ein Abgeordneter sah beispielsweise in der systematischen Bevorzugung der biologischen Wahrheit eine Bedrohung fiir die "paternite sociologique".76 Auch wurde bei einer unbeschränkten Zulassung der Vaterschaftsfeststellungen ein Mißbrauch dieser Klagemöglichkeit befiirchtet. 77 Erstaunlicherweise spielt dieser Topos der "demandes scandaleuses", der während der Französischen Revolution zum ersten Mal gegen die unbegrenzte Vaterschafts feststellung vorgebracht wurde, trotz der Perfektionierung der medizinischen Vaterschaftsgutachten bis auf den heutigen Tag in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung eine beachtliche Rolle. 78 Die Rede ist meist von Fällen, in denen eine Frau aus Rache oder zum Zwecke der Erpressung eine Vaterschaftsfeststellung gegen einen Mann erhebt, obwohl sie genau weiß, daß er nicht der Vater sein kann. Konkrete Fallbeispiele aus der Praxis werden in diesem Zusammenhang allerdings nicht angegeben. 79 Ein erster Kompromißvorschlag der Nationalversammlung, die Vaterschaftsfeststellung von dem Vorliegen von "presomption ou indices" abhängig zu machen8o , fand nicht die Billigung des Senats. 81 Nach heftigen Debatten und nach der Anrufung des Vermittlungsausschusses (Commission mixte paritaire) einigte man sich darauf, daß bei der Vaterschafts feststellung eine Abstammungsuntersuchung erst dann zulässig sein solle, wenn mittels anderer

73 74

1OAN, 15.5.1992, S. 1288. Catala, JOAN, 28.4.1992, S. 739: "Le projet ... fait pn!va1oir exclusivement Ja

designation bioJogique ... eliminant ainsi toute prise en consideration de Ja dimension affective et socia1e de Ja paternite ... 75 10 Senat, 8.12.1992, S. 3757. 76 Bordas, 10 Senat, 8.12.1992, S. 3738. 77 Dejoie,1O Senat, 8.12.1992, S. 3756. 78 Vgl. nur Granet-Lambrechts, J.-Cl. civ., Art. 340 a 340-7, n. 33 ff.; RubellinDevichi, JCP 1993, I, 3659 und Dejoie, 10 Senat, 8.12.1992, S. 3756. 79 Vgl. nur Granet-Lambrechts, J.-Cl. civ., Art. 340 a 340-7, n. 33 ff. 80 Vauzelle, 10 Senat, 22.12.1992, S. 4678. 81 10 Senat, 22.12.1992, S. 4684.

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(nicht-medizinischer) Beweise eine "Vermutung oder schwerwiegende Anzeichen (indices graves) für die Vaterschaft des Beklagten" dargelegt werden. 82 Hierdurch wollte man vermeiden, daß die Vaterschaft als ein rein biologisches Verhältnis angesehen werden könnte. Erforderlich für die Vater-KindZuordnung sollte vielmehr zusätzlich ein Minimum an menschlichen Beziehungen zwischen Vater und Mutter oder Vater und Kind sein. Man fand, daß es besser für ein Kind sei, keinen Vater zu haben, als einen Vater, mit dem es zwar biologisch verbunden sei, der das Kind aber ansonsten nur ablehnt und vernachlässigt.83 Damit ist vom Gesetzeswortlaut her die Vaterschaftsfeststellung in Frankreich auch heute noch nicht völlig uneingeschränkt zugelassen. In der Literatur wurde einerseits die "conception purement biologique" des Entwurfs als "choquant" bezeichnet84 , andererseits wurde die Abschaffung der "anachronistischen" Klagevoraussetzungen begrüßt. 85 Interessant sind die Gründe, die Carbonnier für das Fortbestehen einer gewissen Klagebeschränkung anführt, nämlich: "Das Interesse der Gesellschaft in Frankreich, nicht mehr als notwendig den Geist eines Polizeistaates zu entwickeln, vielleicht sogar das Interesse des Beklagten, der seine Rolle als Vater besser akzeptieren wird, wenn man ihm beweist, daß er sie im Grunde selbst gewollt hat. ,,86 Die übriggebliebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen werden aber allgemein als wenig effektiv eingeschätzt. 87 Zwar bestand anläßlich der Reform aus dem Jahre 1993 die Tendenz, die Vaterschafts feststellung in möglichst vielen Fällen zu ermöglichen. Hiervon ausgenommen blieben aber die Kinder, die aus einer inzestuösen Beziehung hervorgegangen waren. Bei ihnen können verwandtschaftliche Beziehungen nur zur Mutter oder zum Vater begründet werden (Art. 334-10 c.c.). In der Gesetzgebungsdebatte hieß es dazu: Eine Aufdeckung der inzestuösen Abstammung "würde keineswegs den Interessen des Kindes dienen, sondern die-

82 JOAN, 23.12.1992, S. 7870. 83 Cattala, JOAN, 28.4.1992, S. 739; Deprez, JOAN, 28.4.1992, S. 746; Clement, JOAN, 28.4.1992, S. 729; Ameline, JOAN, 28.4.1992, S. 742. 84 Benabent, n. 502; kritisch auch Malaurie/Aynes, n. 618. 85 Sutton, D. 1993, Chr., 166; Rubellin-Devichi, JCP 1993, 1,3659. 86 Carbonnier, n. 325: "L'interet de la societe a ne pas deve1opper, en France, plus qu'il n'est necessaire l'esprit de police. Peut-etre meme l'interet du defendeur, qui acceptera mieux de jouer son röle de pere quand on lui aura demontre qu'au fond il I'avait bien voulu." 87 Massip, Defn!nois 1993, no 35559, S. 630; Rubellin-Devichi, JCP 1993, I, 3659. Für die Abschaffung der übrig gebliebenen Klagebeschränkungen plädieren GranetLambrechts, note sous Cass., 4.1.1995, D. 1995, Somm., 225; Bernigaud, JCP 1995, I, 3813. A.A.: demgegenüber Mirabail, note sous CA Toulouse, 21.6.1994, D. 1995,100.

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ses öffentlich mit einem Makel kennzeichnen, von dem es lieber verschont bleiben sollte". 88

2. Ehelichkeitsanfechtung und Anfechtung eines Vaterschafts anerkenntnisses Nach der ursprünglichen Konzeption des Code Napoleon besaß der Ehemann das Monopol zur Anfechtung der Ehelichkeit. Er war derjenige, der durch die Zuordnung des Kindes in seinen Rechten betroffen war, deshalb sollte auch ihm allein die Entscheidung über die Anfechtung zustehen. Allerdings war dieses Recht einschneidenden Beschränkungen unterworfen: Die Klage mußte nach Art. 316 Abs. 1 C.N. innerhalb einer Frist von einem Monat seit Geburt des Kindes erhoben werden - unabhängig davon, ob der Ehemann bis zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von Tatsachen erlangt hatte, die gegen die Ehelichkeit sprachen. Aber selbst wenn diese kurze Frist eingehalten wurde, konnte der Ehemann nicht schon bei Bestehen eines geringsten Verdachts das Anfechtungsrecht ausüben; erforderlich war vielmehr das Vorliegen eines sog. cas d'ouverture. Die Klage konnte nur erhoben werden, wenn die Beiwohnung entweder aufgrund unfallbedingter Zeugungsunfahigkeit oder dauernder Abwesenheit während der gesamten gesetzlichen Empfangniszeit unmöglich gewesen oder dem Ehemann die Geburt des Kindes verheimlicht worden war. Das Anliegen dieser Regelungen war, im Interesse der ehelichen Familie Anfechtungsprozesse möglichst zu verhindern und die Angehörigen nicht zu lange mit dem Damoklesschwert einer drohenden Ehelichkeitsanfechtung zu belasten, das der Ehemann hätte einsetzen können, um seine Familienmitglieder unter Druck zu setzen. 89 In der Folgezeit bemühte sich die Rechtsprechung, diese als zu eng empfundenen Eröffnungsgründe möglichst extensiv auszulegen. Ihre Bestrebungen gipfelten schließlich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1966, in der die "psychische Zeugungsunmöglichkeit" wegen tiefgreifenden Zerwürfnisses der physischen Unmöglichkeit wegen krankheitsbedingter Zeugungsunfahigkeit gleichgestellt wurde. 90 Durch die Reform des Abstammungsrechts im Jahre 1972 erstrebte man eine Annäherung der Zuordnungsregeln an die biologische Abstammung: Die Frist zur Erhebung der Klage wurde von einem auf sechs Monate ausgedehnt, das

88 Wiedergegeben in Huet-Weil/er/Le Guidec, Rep. Dalloz, Filiation naturelle, n. 26: "Ne servirait point les interets de l'enfant, mais le marquerait publiquement d'une tare qu'il est preferable de lui epargner." 89 Ernst, S. 109 m.w.N. 90 Cass., 9.2.1966, Bull. civ. I, n. 105.

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I. Kapitel: Historischer Hintergrund

Erfordernis der cas d'ouverture abgeschafft und zusätzlich der Kindesmutter ein Anfechtungsrecht eingeräumt, das aber nur besteht, solange das Kind nicht das 7. Lebensjahr erreicht hat, und zusätzlich voraussetzt, daß die Mutter sich scheiden läßt, den Erzeuger des Kindes heiratet und dieser einen Antrag auf Legitimierung des Kindes stellt (Art. 318,318-1 c.c.). Durch diese Beschränkung wird gewährleistet, daß das Kind rechtlich in eine neue Familiengemeinschaft integriert wird und nicht seine Stellung als eheliches Kind verliert. Dieses restriktive Anfechtungssystem, welches vor allem dem Kind selbst keinerlei Anfechtungsmöglichkeit eröffnet, wurde durch die Rechtsprechung der Cour de cassation aus den Angeln gehoben: Nach Art. 334-9 C.C. ist bei einem ehelichen Kind jegliche Anerkennung und jegliche Klage auf Feststellung der (nichtehelichen) Vaterschaft unwirksam, wenn ein Kind die possession d'etat eines ehelichen Kindes besitzt. Diese Vorschrift stellt - ähnlich wie § 1593 BGB a.F. (vgl. § 1599 Abs. 1 BGB n.F.) - klar, daß bei einem ehelichen Kind ein Anerkenntnis oder eine Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft grundsätzlich nur nach vorhergehender Ehelichkeitsanfechtung möglich ist. Allerdings soll dies nur dann gelten, wenn zwischen Kind und Muttergatten eine sog. possession d'etat besteht. Die possession d'etat ist nach Art. 311-1 C.C. eine Gesamtheit von Umständen, die darauf hindeuten, daß eine gelebte Vater-Kind-Beziehung zwischen zwei Personen besteht. Hinter dieser Einschränkung stand die Überlegung, daß die possession d'etat beweiskräftiger und glaubwürdiger ist als eine bloße Geburtsurkunde, in der der Ehemann der Mutter als Vater eingetragen ist91 ; denn nach französischem Recht wird bei der Niederkunft einer verheirateten Frau nicht automatisch ihr Ehemann als Vater des Kindes in das Personenstandsregister eingetragen, sondern der Mann, der von ihr als Vater des Kindes angegeben wird. Im Jahre 1976 schloß die Cour de cassation in einem Umkehrschluß aus Art. 334-9 C.C., daß bei Fehlen einer possession d'etat zwischen Kind und Muttergatten die Anerkennung eines ehelichen Kindes (ohne vorhergehende Ehelichkeitsanfechtung) zulässig sei und in diesem Fall auch jeder beliebige Dritte - innerhalb der allgemeinen 30-Jahresfrist des Art. 311-7 C.C. 92 - eine Klage auf Feststellung der (wirklichen) Vaterschaft erheben könne. 93 Ernst, S. 179. Hauser-HuetIWeiller, n. 665. Der Fristlauf ist während der Minderjährigkeit des Klageberechtigten gehemmt (Cass., 10.1.1990, D. 1990, 193, note Huet- Weil/er). Darüber hinaus beginnt die Klagefrist erst zu laufen, wenn die "possession d'etat" weggefallen ist (Menne, S. 24). 93 Cass., 9.6.1976, D. 1976, 593 note Raynaud; JCP 1976, 11, 18494 note Cornu; RTD civ. 1976, 340 obs. Nerson; TGI Paris, 19.6.1979, D. 1980, IR, 61, obs. HuetWeiller; Huet-WeillerIGranet-Lambrechts, J.-Cl. civ., Art. 335 a 339, n. 56 m.w.N. zur 91

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Wird eine Vaterschafts feststellungs klage erhoben, ist mit dem Nachweis der Vaterschaft des Dritten notwendigerweise der Nachweis der Nichtabstammung vom Muttergatten verbunden. Vergleichbar mit Art. 318 (C.C.) wird hier ein Vater durch einen neuen ausgetauscht. 94 Ist dagegen eine Vaterschaftsanerkennung erfolgt, entsteht ein conflit de paternites: Das Kind hat zunächst einmal zwei Väter. 95 Dieser Konflikt wird nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 311-12 e.C. aufgelöst: Eine amtswegige Feststellung, wer nun der wirkliche Vater des Kindes ist, gibt es danach nicht, vielmehr kann jeder Interessierte innerhalb von 30 Jahren (Art. 311-7 e.e.) feststellen lassen, wer von den beiden Vätern der wahrscheinlichere Erzeuger des Kindes ist. 96 Beide Rechtsbehelfe fUhren somit dazu, daß ein Vater gegen einen anderen ausgetauscht wird. 97 Damit fUgen sie sich in die Systematik ein, die auch dem Ehelichkeitsanfechtungsrecht der Mutter zugrunde liegt. Nach deutscher Konzeption stellen diese Rechtsbehelfe also eine Ehelichkeitsanfechtung mit gleichzeitig erfolgender Vaterschaftsfeststellung dar. Erstaunlich ist eine Verwaltungspraxis, die sich in diesem Zusammenhang entwickelt hat. Wird ein eheliches Kind, das keine possession d'etat gegenüber dem Ehemann der Mutter besitzt, von einem Dritten anerkannt, kann die Staatsanwaltschaft bestimmen, daß in die Geburtsurkunde als Vater der Anerkennende eingetragen wird, mit der Konsequenz, daß das Kind nicht mehr den Namen des Muttergatten trägt. Voraussetzung hierfiir ist, daß dieser Mann eine Offenkundigkeitsbescheinigung (acte de notoriete') darüber vorlegen kann, daß das Kind ihm gegenüber einen Personenstandsbesitz aufweist. 98 Eine solche überwiegend ablehnenden Literatur und zu teilweise abweichenden Urteilen älteren Datums. 94 HauserIHuet-Weiller, n. 674. 95 Vgl. zum ganzen auch Mezger, Das Kind mit den zwei Vätern, eine Erfindung des französischen Kindschaftsrecht von 1972, FS Ferid 1978, S. 621 ff. In der Praxis wird die zweite Vaterschaftsanerkennung nur dann in die Geburtsurkunde eingetragen, was freilich für ihre Wirksamkeit nicht konstitutiv ist, wenn der Anerkennende einen Offenkundigkeitsnachweis (acte de notoriete') erbringen kann. Voraussetzung hierfür ist, daß drei Zeugen das Vorliegen eines Personenstandsbesitzes gegenüber dem Anerkennenden bezeugen, Art. 311-3 Abs. 1 i.V.m. Art. 71 Abs.2 C.C. (Huet-WeillerIGranetLambrechts, J.-Cl. civ., Art. 335 a339, n. 59). 96 Vgl. hierzu ausführlich Ernst, S. 178 ff. Die Klagebefugnis wird unmittelbar aus Art. 311-12 C.c. abgeleitet. 97 Die einzige Ausnahme besteht dann, wenn derjenige, der ein eheliches Kind wirksam anerkennt, nicht der Erzeuger des Kindes ist: Stellt sich im Rahmen des Verfahrens nach Art. 311-12 C.c. heraus, daß weder der Muttergatte noch der Anerkennende der biologische Vater des Kindes ist, verliert das Kind seinen Ehelichenstatus, und das Anerkenntnis wird gleichzeitig unwirksam. Solche Konstellationen dürften selten sein. 98 Sulton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 148. Vgl. Gisserot, note sous TGI Puteaux, 17.6.1986, D. 1987,531.

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

Bescheinigung wird vom Vormundschaftsrichter ausgestellt und in die Geburtsurkunde eingetragen, wenn drei Zeugen das Vorliegen einer gelebten Vater-Kind-Beziehung attestieren (Art. 311-3 Abs. 1 i.V.m. Art. 71 Abs. 2 c.c.). Damit wird außergerichtlich, ohne daß dies freilich materiellrechtliche Konsequenzen fiir den Status des Kindes hätte, der Vaterschaftskonflikt zunächst einmal zugunsten des Anerkennenden entschieden, obwohl dieser Fall eigentlich nach Art. 311-12 C.C. zu behandeln wäre. Durch diese staatsanwaltschaftliehe Praxis gelangen viele Vaterschaftskonflikte erst gar nicht vor die Gerichte, obwohl materiellrechtlich der Status des Kindes weiterhin in der Schwebe bleibt. 99 Hatte die Cour de cassation durch ihre Entscheidungen aus dem Jahre 1976 die Vorschriften über die Ehelichkeitsanfechtung noch im Rahmen des bestehenden Systems fortentwickelt, ging das Gericht bei der Auslegung des Art. 322 Abs. 2 C.C im Jahre 1985 noch einen Schritt weiter. Art. 322 Abs. 2 C.C. bestimmt, daß niemand den Status eines (ehelichen) Kindes anfechten kann, wenn dessen Personenstandsbesitz mit seiner Geburtsurkunde übereinstimmt. 100 Hieraus wurde im Umkehrschluß gefolgert, daß jeder Interessierte innerhalb der allgemeinen 30jährigen VeIjährungsfrist (Art. 311-7 c.c.)101 die Ehelichkeit anfechten kann, wenn Personenstandsbesitz und Geburtsurkunde nicht übereinstimmen. 102 Gegenüber den beiden anderen zur Überprüfung des Ehelichenstatus entwickelten Rechtsbehelfen bietet diese Klagemöglichkeit bedeutende Vorteile: Sie setzt nicht voraus, daß gleichzeitig die wahre Vaterschaft festgestellt wird, was fiir bestimmte Kläger schwierig sein könnte, und sie führt auch nicht zu dem mißlichen Nebeneinander zweier verschiedener Vaterschaften. Aus der Sicht des Kindes aber hat sie den entscheidenden Nachteil, daß nicht wie bei den anderen Rechtsbehelfen der eine Vater gegen einen anderen ausgetauscht wird, sondern daß hier der Verlust des Vaters in einen "vide de filiation" münden kann. Soweit diese Rechtsprechung in der Literatur begrüßt wird, wird auf die Bedeutung der soziologischen Vaterschaft verwiesen, die bei fehlender possession

Sulton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 482. Von seinem Wortlaut und seiner Stellung her bezog sich diese Vorschrift eigentlich nur auf die Anfechtung der ehelichen Mutterschaft (vgl. Ernst, S. 182). 101 TGI Bordeaux, 4.5.1995, RTD civ. 1995,611 obs. Hauser. Für das Kind ist der Fristablauf während seiner Minderjährigkeit gehemmt (CA Paris, 31.3.1987, D. 1987, IR,120). 102 Cass., 27.2.1985, D. 1985,265 note Cornu; bestätigt in Cass., 14.5.1985, JCP 1985, IV, 259; Cass., 30.6.1987, D. 1987, IR, 173; Granet-Lambrechts, J.-Cl. civ., Art. 319 cl 328, n. 67 m. w.N. zur überwiegend ablehnenden Literatur und zu teilweise abweichenden Urteilen älteren Datums. 99

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A. Frankreich

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d'etat nicht mehr bestehe. 103 Interessant ist auch die Begründung von Carbonnier: Die fehlende possession d'etat des Kindes sei darauf zurückzuführen, daß der Ehemann dem Kind diesen Personenstandsbesitz verweigert habe. Darin liege bereits eine Art Ehelichkeitsanfechtung. 104 Mit dieser Rechtsprechung wurde zum ersten Mal auch dem Kind ein eigenes Anfechtungsrecht eingeräumt. Allerdings steht die erhebliche Ausweitung der Anfechtungsmöglichkeiten im Widerspruch zu der Konzeption des Gesetzes, das die Anfechtungsberechtigung auf einen engen Personenkreis beschränken wollte. Was nützt die einschneidende Beschränkung des Anfechtungsrechts des Ehemannes in Art. 316 e.e., wenn er durch Rückgriff auf die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Anfechtungsmöglichkeiten diese Beschränkungen umgehen kann? Schließlich hat er es weitgehend selbst in der Hand, dem Kind durch sein Verhalten den Personenstandsbesitz eines ehelichen Kindes zukommen zu lassen und damit die Voraussetzungen für sein eigenes Anfechtungsrecht zu schaffen. Und was nützt der ausgeklügelte Mechanismus des Art. 318, 318-1, der der Mutter nur dann ein Anfechtungsrecht zuspricht, wenn das Kind nicht älter als 7 Jahre ist und sie den wahren Erzeuger heiratet, wenn nunmehr auch sie auf das allgemeine 30jährige Anfechtungsrecht bei Wegfall der possession d' etat zurückgreifen kann? Unverständlich erscheint auch, warum bei einer ehelichen Abstammung trotz Vorliegens einer Vater-Kind-Zuordnung ein Vaterschafts anerkenntnis zulässig sein soll, wenn dies für die nichteheliche Abstammung ausdrücklich untersagt ist (Art. 338 e.C.). Einige Autoren haben die Ausweitung der Anfechtungsrechte durch die Cour de cassation heftig kritisiert: "Die vorgeschlagene Lösung räumt der Wahrheit einen übertrieben großen Platz im Abstammungsrecht ein ... Die Suche nach der (biologischen) Wahrheit ist nicht das oberste Ziel des Abstammungsrechts.,,105 Gegenüber der restriktiven Konzeption bei der Ehelichkeitsanfechtung ließ der Code civil die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses seit jeher in großzügiger Weise zu. Während im droit intermediaire ein Vaterschaftsanerkenntnis die Zustimmung der Mutter vorausgesetzt hatte \06, wurde das Vaterschaftsanerkenntnis durch den Code Napoleon als einseitige Erklä-

\03 \04

Massip, D. 1975, ehr., 81. No 271.

105 Vidal, La place de la yerite dans le droit de la filiation, Melanges Marty, 1978, n. 22: "La solution proposee exagere la place de la yerite dans le droit de la filiation .... La recherche de la yerite n'est pas la fin supreme du droit de la filiation." V gl. auch HauserIHuet-Weiller, n. 678 und MalaurielAynes, n. 558; ygl. ausflihrlich dazu mit weiteren Nachweisen: Ernst, S. 184. 106 Madlener, S. 53.

I. Kapitel: Historischer Hintergrund

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rung des Vaters ausgestaltet. Im Gegenzug sah man vor, daß das Vaterschaftsanerkenntnis von jedermann angefochten werden konnte, der daran ein rechtliches Interesse hatte (Art. 339 C.N.).107 Es muß jedoch bedacht werden, daß aufgrund des damaligen Standes der Naturwissenschaften der Nachweis der Unrichtigkeit der Anerkennung nur schwer zu erbringen war. 108 Erst durch die modernen Möglichkeiten der Abstammungsuntersuchung hat diese Vorschrift eine weitreichende Bedeutung erlangt. Sie fiihrt nunmehr dazu, daß ein Vaterschaftsanerkenntnis eine sehr geringe Bestandskraft genießt. Die Anfechtung steht heute jedem Interessierten innerhalb einer Frist von 30 Jahren offen. Hat allerdings das anerkannte Kind seit 10 Jahren den Personenstandsbesitz eines Kindes des Anerkennenden, ist seit einer Reform aus dem Jahre 1972 die Anfechtung nur noch durch das Kind selbst, seine Mutter sowie den wahren Erzeuger möglich. Allerdings dürfte es sich hierbei um eine bloße Randkorrektur handeln, die an der geringen Bestandskraft eines Vaterschaftsanerkenntnisses wenig ändert.

B. Deutschland Die für das deutsche Abstammungsrecht prägende Entwicklung nahm ihren Ausgang in einer bewußten Ablehnung des französischen Rechts.

I. Reaktionen auf den Code Napoleon In Deutschland stieß das im Code Napoleon verankerte Verbot der Vaterschaftsfeststellung bei vielen Juristen auf heftige Kritik. 109 Ein Autor beispielsweise urteilte, daß diese Vorschrift "die ganze Existenz unehelich erzeugter Kinder dem bloßen Willen ihres Zeugers aufopfere".110 Darüber hinaus

\07 Als Statusklage war dieses Recht nach der ursprünglichen Konzeption des Code Napoleon keinerlei Vetjährung unterworfen. Seit der Reform aus dem Jahre 1972 bestimmt Art. 311-7 C.C. für aUe Statusklagen - soweit nichts anderes bestimmt ist - eine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Madlener, S. 63. Schubert, Französisches Recht, S. 472; ZachariälCrome, S. 514. AUerdings gab es auch Anhänger des französischen Konzepts. Vgl. Unger in den Verhandlungen zum 3. Deutschen Juristentag, Wien 1862, Bd. 11, S. 241 f. 110 Almendingen, zitiert nach Schubert, Französisches Recht, S. 479, der allerdings \08 \09

von demselben Autor auch gegenteilige Äußerungen nachweist.

B. Deutschland

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wurde die Behandlung der "ehewidrigen" Kinder durch den Code Napoleon als "barbarisch" angesehen. 111 Dennoch nahmen sich einige deutsche Staaten das französische Recht zum Vorbild: Während der Rheinbundzeit beabsichtigte Bayern die uneingeschränkte Rezeption des französischen Nichtehelichenrechts - einschließlich des Art. 340 C.N. Als Begründung hieß es: "Dieser am Anfang befremdend und beinahe abschreckend erscheinende Satz besteht bei näherer Betrachtung dennoch die Probe der Wahrheit und gründe(t) sich darauf, daß die Vaterschaft überhaupt niemals bewiesen, sondern nur vermuthet werden" kann. 112 Tatsächlich eingeführt wurde die französische Regelung in den Großherzogtümern Hessen-Darmstadt und Frankfurt. I 13 Im badischen Landrecht dagegen rezipierte man zwar weitgehend den französischen Code civil, ließ aber vom Verbot der Vaterschaftsfeststellung beachtliche Ausnahmen zu, - so etwa, wenn der Vater die Kindesmutter "kundbarlich als Beyschläferin bei sich unterhalten" habe oder wenn der Vater des Beischlafs mit der Mutter "freiwillig geständig oder zufällig überwiesen ist" (LRS 340a).114 Als Begründung für die gegenüber Frankreich abweichende Regelung wurde angegeben, daß in Baden eine "größere Einfachheit" der Sitten bestünde und deshalb keine Gefahr der mißbräuchlichen Klageerhebung gegen "reiche und sonst unbescholtene Leute" bestehe. Darüber hinaus wurde 1851 in Baden auch den nicht anerkannten nichtehelichen Kindern ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater eingeräumt. I 15 In der Diskussion um die Schaffung eines gesamtdeutschen Zivilgesetzbuches wurde bezüglich der mütterlichen Abstammung eine Übernahme des französischen Anerkennungssystems einmütig abgelehnt, denn die Feststellung der Mutterschaft sei unproblematisch und die Lage nichtehelicher Kinder dürfe nicht grundlos verschlechtert werden. 116 Demgegenüber entbrannte ein heftiger Streit, ob eine Vaterschaftsklage zuzulassen oder nach französischem Vorbild auszuschließen sei. Nachdem auf dem 3. Deutschen Juristentag in Wien im Jahre 1862 keine Einigung erzielt werden konnte, verabschiedete der 4. Deutsche Juristentag in Mainz im Jahre 1863 mehrheitlich den Antrag, daß "die Paternitätsklage ... in einem gemeinsamen deutschen Gesetzbuche ... nur in

ZachariälCrome, S. 541. Ähnlich: Barazetti, S. 378. Schubert, Französisches Recht, S. 473. 1 \3 Schubert, Französisches Recht, S. 473 und 479. 114 Wiedergegeben bei Barazetti, S. 423. 115 Mot. IV, S. 865. 116 Motive IV, S. 856; Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 1617 f.

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3 Helms

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I. Kapitel: Historischer Hintergrund

Ausnahmefällen zuzulassen" sei. 117 Gegen eine Feststellung der Vaterschaft wurde vor allem angeführt, daß die Vaterschaft nur aufgrund von Vennutungen bewiesen werden könne, eine solche Beweisfiihrung aber zu "schreienden Ungerechtigkeiten" führe. Außerdem würde hierdurch die "Unsittlichkeit befördert,,118 und "der Frieden und das Glück vieler Familien" zerstört l19 . Dem hielt der BGB-Gesetzgeber entgegen, daß nach den "Gesetzen der Natur und den Sittengesetzen" das ,,natürliche Band der Verwandtschaft" die "natürliche und sittliche Pflicht" beinhalte, "für den Unterhalt des Kindes zu sorgen"Yo Ganz deutlich ist hier der Anklang an naturrechtliche Vorstellungen, wonach die Pflicht zum Unterhalt allein schon aus der Blutsverbindung zwischen Vater und Kind resultiert. 121

11. Das Bürgerliche Gesetzbuch

Dementsprechend sah das BGB von Anfang an einen Unterhaltsanspruch nichtehelicher Kinder gegen ihren Vater vor. Dieser Anspruch knüpfte - zum Zwecke der Beweiserleichterung - gern. § 1717 BGB a.F. nicht an die Abstammung, sondern an die Beiwohnung an. Allerdings umfaßte er keine Unterhaltsansprüche des Kindes gegen die Verwandten des Vaters (§§ 1708-14, 1716 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB a.F.), und auch ein Erbrecht nichtehelicher Kinder beim Tod ihres Vaters war nicht vorgesehen. Die Nichtehelichkeit war nämlich kein Status, der mit Wirkung für und gegen jedermann festgestellt werden konnte. 122 Nichteheliche Kinder galten nach § 1589 Abs. 2 BGB a.F. als mit ihrem Vater nicht verwandt, weil nach Ansicht des Gesetzgebers "allein die Erzeugung in der Ehe diejenige sittliche Grundlage gewährt, welche die Voraussetzung familienrechtlicher Pflichten und Rechte bildet". 123 Deshalb begründete auch - anders als nach französischem Recht - die Vaterschaftsanerkennung keine vollwertigen verwandtschaftlichen Beziehungen. 117 Verhandlungen des 4. Deutschen Juristentags, Mainz 1863, Bd. 11, S. 147. Vgl. diesbezüglich vor allem die Beiträge von Unger in den Verhandlungen zum 3. Deutschen Juristentag, Wien 1862, Bd. 11, S. 126 tT., 220 ff. und 238 ff. sowie in den Verhandlungen zum 4. Deutschen Juristentag, Mainz 1863, Bd. 11 S. 143 f. 118 Man befiirchtete, daß "schamlosen Frauenspersonen" die Versuchung nahegelegt werde, "sich mehreren Männem hinzugeben, um alsdann nach Befinden den Wohlhabendsten unter denselben wegen der Alimente in Anspruch zu nehmen." 119 Mot. IV, S. 866 f. 120 121 122 123

Mot. IV, S. 868. Ähnlich Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 160l. Koch, Rechtshistorisches Journal 1990, 107, 112 f. und 121. Motive EGBGB, S. 92 (Art. 11 § 627 c). Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 1597. Vgl. auch Motive IV, S. 851.

B. Deutschland

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Bei dem Anerkenntnis sei nicht die "natürliche (blutsmäßige ) Verbindung Grundlage des Eltern-Kind-Verhältnisses", sondern "allein die Möglichkeit der Vaterschaft in Verbindung mit dem Willen des Anerkennenden." - "Hier sei nicht das gleiche innige Familienverhältnis vorhanden wie bei der durch die Ehe vermittelten Verwandtschaft", denn die durch die "Natur zwischen dem unehelichen Kind und seinem Erzeuger geknüpften Bande fiihrten in den wenigsten Fällen zu einer innigeren Verbindung zwischen beiden".124 Durch das Institut der Anerkennung würden außerehelicher Geschlechtsverkehr, Ehelosigkeit und Konkubinat gefördert. Die Adoption bzw. die Legitimation seien das geeignete Mittel, um die Lage nichtehelicher Kinder zu verbessern. 125 Ebenso wie im Code Napoleon wurde auch im BGB das Recht zur Ehelichkeitsanfechtung allein dem Ehemann zugebilligt (§ 1594 BGB a.F.)126, wobei die Anfechtungsfrist 1 Jahr nach Kenntnis von der Geburt ablief. Erkannte der Ehemann das Kind vor Ablauf dieser Frist - wenn auch nur konkludent - an, ging sein Anfechtungsrecht verloren. Es entsprach dem patriarchalischen Farnilienbild, daß der Ehemann die ausschließliche Entscheidungsbefugnis darüber besaß, ob ein Kind zu seiner Familie gehören sollte oder nicht. 127 Allerdings wollte man durch eine rigide Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten auch eine eindeutige und endgültige Klärung des Kindesstatus erreichen, um die Zahl der Anfechtungsprozesse zu vermindern, die stets eine "Gefahr für das Familienglück darstellten".128 Bei der damaligen juristischen und gesellschaftlichen Schlechterstellung nichtehelicher Kinder konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß eheliche Kinder selbst wohl kaum das Bedürfnis verspüren würden, ihren Status aufs Spiel zu setzen. Auf ein eigenes Anfechtungsrecht für das Kind wurde daher verzichtet. Auch in den prozessualen Vorschriften schlug sich die besondere Bedeutung nieder, die der Gesetzgeber dem Ehelichenstatus zuschrieb: Für Klagen auf Anfechtung der Ehelichkeit sah die im Zusammenhang mit dem Erlaß des BGB reformierte ZPO in § 640 (i.V.m. § 622 Abs. 1 und 2 ZPO a.F.) in Abkehr von der RZPO die Geltung der Inquisitionsmaxime VOr. 129 Der Gesetzgeber war der

124 125

Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 1598; Mot. IV, S. 851. Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 1599; Mot. IV, S. 852.

126 Starb der Ehemann und war sein Anfechtungsrecht nicht erloschen, konnte jeder die Ehelichkeit anfechten, der daran ein Interesse hatte. 127 Motive IV, S. 659; Planck, Vorentwürfe Familienrecht 2, S. 1222 ff. 128 Motive IV, S. 659. Kritisch dazu Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8.19. Aufl. 1908, S. 532 f. 129 Die RZPO von 1877 kannte flir Kindschaftsfragen keine besonderen Vorschriften. Damit galten die allgemeinen Grundsätze, d.h. flir unseren Bereich die Verhandlungsmaxime (Damrau, S. 21 ff. Vgl. zur parallelen Problematik beim Geständnis: Wach, AcP 64 (1881), 232 f.; Levy/Wilwovski, 4. Aufl. 1886, Bd. 1, § 261 Anm. 1). Der

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I. Kapitel: Historischer Hintergrund

Ansicht, daß ein öffentliches Interesse an der Ermittlung der materiellen Wahrheit bestehe und deshalb das Verhalten der Beteiligten einen möglichst geringen Einfluß auf das Prozeßergebnis haben solle. 130 Dieses öffentliche Interesse wurde zum einen mit der Vorschrift über die Verfalschung des Personenstandes (§ 169 StGB) begründet. Zum anderen sollten auf diese Weise Bedenken gegen die erga-omnes-Rechtskraft der Urteile in Kindschaftssachen gemildert werden. 13l Demgegenüber galten im Unterhaltsprozeß gern. § 644 ZPO a.F. die normalen Verfahrensvorschriften, so daß dieser mit der Möglichkeit des Versäumnis- und Anerkenntnisurteils sowie des Geständnisses eine geringere Gewähr dafür bot, daß der wirkliche Vater ermittelt wurde.

IH. Einfluß des Nationalsozialismus Reformbedarf entstand nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 132 , da nach ihrer Ideologie die "wahre" blutsmäßige Abstammung entscheidend war. 133 In einem ersten Schritt ließ das RG - unabhängig von einem Unterhaltsrechtsstreit 134 - eine Klage auf isolierte Feststellung der nichtehelichen Vater-

Grund flir das Fehlen spezieller Vorschriften dürfte in den stark voneinander abweichenden materiellrechtlichen Regelungen der Partikularrechte im Bereich des Farnilienrechts liegen, die den Blick auf das prozessual Verbindende verstellten. 130 Mot. IV, S.672 und S. 1002; zust. Seuffert, ZZP 16 (1890), 486; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts 1927, S.509; Weismann, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, Bd. I, 1903, S.536; LeonlUlrd, Eideszuschiebung, S. 146 ff. legt dar, daß kein zwingender Zusammenhang zwischen Unverzichtbarkeit eines Rechts und der Geltung der Verhandlungsmaxime besteht, und kritisiert die "ungeschickte Bevormundung durch den Richter", kommt dann aber doch zu einer grundsätzlichen Billigung der Regelungen. 131 Mot. IV, S. 672. 132 AusflihrIich hierzu Frank, Abstammungsfeststellungsklage, S. 65 ff.; DickhutHarrach, Gerechtigkeit statt Formalismus, 1986, S. 234 ff.; Damrau, S. 422 ff.; Deichfuß, S.44 ff., 50 f. und 114 ff.; Jauernig, Bundesgerichtshof, S. 31 ff.; Gottwald, S. 112 f.; Rüthers, S. 193 ff.; Zimmermann, S. 96 ff. 133 Die Rassezugehörigkeit (Ariernachweis) war z.B. bedeutsam flir das Reichsbürgerrecht (vgl. § 2 RBürgerG v. 15.9.1935 und I. VO zum RBürgerG v. 14.11.1935), die Bauemfahigkeit (vgl. § 13 RErbhofG vom 29.9.1933), die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (vgl. § la RBG v. 31.3.1873 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts v. 30.6.1933) und die Verwendung im Wehrdienst (vgl. § 15 WehrG v. 12.5.1935 und v. 26.6.1936). Nach OLG München, JW 1937,2043. 134 Bis dahin hatte die Rechtsprechung bei nichtehelichen Kindern im Rahmen eines Unterhaltsrechtsstreit schon die Klage auf Feststellung der Vaterschaft zugelassen. (RGZ 135,219; OLG Frankfurt, JW 1930, 1016; LG Stade, 1936, 104).

B. Deutschland

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schaft im Rahmen des § 256 ZPO zu. Hieran bestand beispielsweise dann ein Interesse, wenn der aufgrund eines Anerkenntnisses oder eines Geständnisses rechtskräftig verurteilte Unterhaltsschuldner nichtarischer Abstammung war und das Kind geltend machte, daß sein wirklicher Vater ein anderer (arischer) Mann sei. Manche Autoren hatten eine derartige Klage auf Feststellung der nichtehelichen Abstammung bis dahin für ausgeschlossen gehalten, da die biologische Abstammung als solche kein Rechtsverhältnis darstelle und sich außerdem die Beziehung zwischen Vater und nichtehelichem Kind im wesentlichen auf einen Unterhaltsanspruch beschränke, so daß ein rechtliches Interesse, den Vater außerhalb eines Unterhaltsprozesses festzustellen, i.d.R. nicht bestehe. 135 Das RG dagegen bejahte das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses; die Wirkungen der leiblichen Abstammung ergäben sich z.B. aus dem Eheverbot der Blutsverwandtschaft (§ 1310 Abs. 3 BGB a.F. entspricht heute § 1307 BGB) sowie der Möglichkeit der Legitimation durch nachfolgende Eheschließung (§ 1719 BGB a.F.) und der Ehelicherklärung (§ 1723 BGB a.F.)Y6 Ein rechtliches Interesse wurde u.a. mit Hinweis auf die Ariergesetzgebung des Dritten Reichs angenommen I37 , aber auch der Wunsch des Klägers, kein ,jüdischer Mischling" sein zu wollen, wurde als ausreichend anerkannt. 138 In einem zweiten Schritt wandte das RG auf diese Feststellungsklage contra legern die Vorschriften des Statusprozesses an. 139 § 644 ZPO a.F. bestimmte,

135 Roquette, DR 1936,486 ff.; ders., JW 1935, 1385, 1389; ders., JW 1935,2476, 2477; Fischer, JW 1936,237; Natter, AcP 95 (1904),123 ff.; a.A.: Kuttner, JherJb 50 (1906),466 ff.; weitere Nachweise zu dieser Gegenansicht in RG, JW 1938,245. Hierzu ausführlich Zimmermann, S. 61 ff. und 99 ff. 136 RG, JW 1938,245,246; RGZ 159,58; RGZ 160, 293; RGZ 169, 129. Schon damals haben auch die Befürworter dieser Klage den "Kunstgriff' des Reichsgerichts durchschaut (Schön/eid, Die Wirkungsgrenzen der Abstammungsurteile, 1943, S. 71 f.). Vor 1933 so auch schon BayObLG 7, 109; OLG Frankfurt, JW 1930, 1016; OLG Stuttgart, JW 1931, 386. Da diese Klagemöglichkeit vor 1933 noch keine große praktische Bedeutung erlangt hatte, war es noch zu keiner höchstrichterlichen Klärung gekommen, um die Rechtsprechung auf eine einheitliche Linie zu bringen. Das Reichsgericht geht genauso wie heute die Rechtsprechung davon aus, daß "Rechtsverhältnis" i.S.d. § 256 ZPO jedes "rechtlich geregelte Verhältnis zwischen einer Person und einer anderen sei, das mit Rechtswirkungen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts ausgestattet sei" (RG, JW 1938,245). 137 RG, JW 1938,245,247; a.A.: OLG Kassel, HRR 1936 Nr. 1043; LG Oels, JW 1935,3125; AG Bremen, JW 1936,2489. 138 RG, JW 1937,3041. 139 RGZ 160,293 ff.; Vollhardt, JW 1935,2475176; v. Scheurl, JW 1936,235 ff.; Schmidt-Klevenow, JW 1936, 17; Krupp, DR 1938, 203/204; Fischer, ZAkDR 1939, 347; a.A.: BayObLG 7, 109; OLG Frankfurt, JW 1930, 1016; OLG Stuttgart, JW 1931, 1386; Kuttner, JherJb 50 (1906), 469 ff.; Rosenberg-Bötticher, Hess.Rspr. 27, 249;

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

daß die Regeln über das Statusverfahren nicht auf einen Rechtsstreit Anwendung finden, der das Bestehen oder Nichtbestehen der nichtehelichen Vaterschaft zum Gegenstand hat, und § 640 ZPO a.F. zählte die möglichen Statusklagen auf, ohne natürlich die Klage auf Feststellung der biologischen Abstammung zu erwähnen. Das RG behauptete aber in seinem Urteil vom 15.6.1939, daß § 640 ZPO a.F. keine abschließende Regelung enthalte. Es liege eine Gesetzeslücke vor, denn die blutsmäßige Abstammung habe "vor dem Eindringen der nationalsozialistischen Gedanken in die Rechtsordnung .. , keine entscheidende Bedeutung" gehabt. Nunmehr aber berühre die Zugehörigkeit zur Familie "nicht nur die Belange der Familienmitglieder, sondern auch allgemeine Belange".140 § 644 ZPO a.F. meine nur den Unterhaltsprozeß, nicht aber den Vaterschaftsfeststellungsprozeß, der dem Gesetzgeber bei Einfiihrung der Vorschrift noch gar nicht bekannt sein konnte. Nur durch Anwendung der Inquisitionsmaxime und durch Ausschluß der Parteidisposition werde der Weg zu solchen Entscheidungen gebahnt, wie sie "die rassen- und bevölkerungspolitischen Belange des Volkes erfordern".141 Es müsse verhindert werden, daß durch ein Zusammenwirken der Parteien ein Urteil ergehe, das mit der biologischen Wahrheit nicht übereinstimmt. Auch bei ehelichen Kindern war es nicht hinnehmbar, daß allein durch ein Stillhalten des Muttergatten eine nichtarische Abstammung verborgen blieb. Mit dem FamRÄndG von 1938 fiihrte man daher ein unbefristetes Anfechtungsrecht des Staatsanwalts ein (§ 1595a BGB a.F.).142 Dieses sollte im öffentlichen Interesse und im Interesse des Kindes eine Klarstellung der Abstammungsverhältnisse "aus rassischen und erbbiologischen Gründen" ermöglichen. 143 Außerdem wurde der Fristbeginn für das Anfechtungsrecht des Ehemannes auf den Zeitpunkt neu festgelegt, in dem er Kenntnis von den gegen die Roquette, JW 1935,2476; Henneberg, JW 1935, 1834/35; Roquette, JW 1935, 3127. Hierzu ausführlich Zimmermann, S. 105 ff. m.w.N. 140 RGZ 160,293,297. 141 RGZ 160,293, 296 und 298. Am 24. Mai 1941 wurde durch eine Allgemeinverfügung des Reichsjustizministeriums (DJ 1941, 629) die strikte Anwendbarkeit der Inquisitionsmaxime bei Prozesesen mit Klägern jüdischer Abstammung bestimmt (Zimmermann, S. 156 f.). 142 Gesetz v. 12.4.1938 RGBI I S. 380 (vgl. auch § 1 Nr.2 Verordnung v. 6.2.1943 (RGBI I S. 80)). 143 PalandtlSeibert, BGB, 6. Aufl. 1944, § 1595a unter Ib. Abdruck der gesetzgeberischen Motive in DJ 1938, 619. In der Akademie für Deutsches Recht war auch ein eigenes Anfechtungsrecht des Kindes in Erwägung gezogen worden (Mößmer, ADR I1I, 2, S. 378 und 389; Brandis, ADR I1I' 2, S. 381). Daneben sah man aber die Einführung eines staatsanwaltlichen Anfechtungsrechts als unerläßlich an, damit nicht durch ein Sti11halten al1er Beteiligter die wahre Abstammung eines Kindes verschleiert würde (Mößmer, ADR I1I' 2, S. 378 und 602; Günther, ADR I1I, 2, S. 379; Brandis, ADR I1I, 2, S. 381; Olczewski, ADR I1I' 2, S. 382; Hedemann, ADR I1I, 2, S. 383.).

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Ehelichkeit sprechenden Umständen erlangte. l44 Dadurch war es nunmehr fiir ihn leichter, eine nichtarische Abstammung "seines" Kindes aufzudecken. Besonders deutlich wurde der nationalsozialistische Einfluß bei der Frage der Erzwingbarkeit von Abstammungsuntersuchungen. Die RZPO von 1877 hatte keine besondere Regelung fiir die Anordnung körperlicher Untersuchungen enthalten. Anwendbar waren vielmehr die allgemeinen Vorschriften über den Augenscheinsbeweis (§§ 336, 337 RZPO). Ein Zwang zur Duldung eines Augenscheins war allerdings nicht normiert. 145 Diese Rechtslage verwundert nicht, da Blutuntersuchungen zur Abstammungsfeststellung im ausgehenden 19 . Jahrhundert wissenschaftlich noch nicht nutzbar waren. Erst ab 1926 wurden Blutuntersuchungen erstmals forensisch verwertbar, nachdem neue medizinische Erkenntnisse es ermöglichten, in ca. 1/5 aller Fälle die Nichtvaterschaft zwingend nachzuweisen. 146 Deshalb wurden nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten Stimmen laut, die auch ohne gesetzliche Grundlage eine Pflicht zur Duldung von Blutuntersuchungen bejahten. Das "Verlangen der Volksgemeinschaft nach Klarlegung der Abstammungsverhältnisse" müsse gemäß dem Grundsatz "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" in jedem Fall Vorrang haben vor dem Interesse des einzelnen nach einer günstigen Entscheidung des Rechtsstreits. 147 Die Zivilgerichte hielten

144 In der amtlichen Begründung heißt es dazu: " ... die Bedeutung, die nach unserer heutigen Anschauung der blutmäßigen Abstammung zukommt, (zwingt) dazu, die Anfechtung der Ehelichkeit eines von dem Ehemann nicht erzeugten Kindes stets zu ermöglichen und damit den Weg fUr die KlarsteIlung der wirklichen Abstammung des Kindes freizumachen" (Deutsche Justiz 1938,619). 145 Eine Pflicht, seinen Körper zu Beweiszwecken zur Verfiigung zu stellen, bestand nur dann, wenn materiellrechtlich ein Anspruch hierauf begründet war. Motive zur ZPO, S. 246 f.; Friederichs, ZZP 19 (1894), 399. Entsprechende Konstellationen waren aber quasi undenkbar (Friederichs, ZZP 19 (1894), 400 fUhrt als denkbares Beispiel Versicherungsverträge an). 146 Kretschmer, S. 84 und S. 86 Fn. 1. Ihre Bedeutung wurde in der Rechtsprechung vollends anerkannt durch das Urteil des RG vom April 1930 (JW 1930, 1605). Der Entwurf einer Zivilprozeßordnung des Reichsjustizministeriums von 1931 nahm in § 370 Abs. 2 noch Abstand von der Einfiihrung einer Duldungspflicht, weil sich Fälle denken ließen, "in denen ein solcher Zwang geradezu unbillig wäre und die Formulierung der unter diesem Gesichtspunkt notwendigen Ausnahmen nicht leicht sein würde." Außerdem sei es ausreichend, die Weigerung im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen (Entwurf einer Zivilprozeßordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Berlin 1931 S. 332). Diese Überlegungen bezogen sich allerdings allgemein auf die Erzwingbarkeit einer Augenscheinseinnahme, die besondere Bedeutung von Blutuntersuchungen fiir Abstammungsfragen hatte man noch nicht erkannt. 147 Schulz, DJ 1934, 126, 127; Reinhardt, JW 1934,3176,3177 f.; vor 1933 wurde diese Ansicht schon von Sperl, DJZ 1927, 1523, 1529 vertreten; a.A.: Hellwig, DJ 193~, 126,127; MaßfeIler, ZAkDR 1938, 171.

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

aber grundsätzlich an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest. 148 Allerdings entschieden sie, daß ein Vonnund pflichtwidrig handele, wenn er die Zustimmung zur Blutuntersuchung seines Mündels verweigere. Die Gerichte stellten sich auf den Standpunkt, daß es zwecks Klärung seiner wahren Abstammung stets im Interesse des Kindes liege, sich freiwillig einer Blutuntersuchung zu unterziehen, selbst wenn es dadurch nichtehelich würde. 149 Einen ersten gesetzlichen Niederschlag fanden die neuen Erkenntnismöglichkeiten der Medizin dann in Art. 3 § 9 des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung von Staatenlosen vom 12.4.1938. 150 Durch diese Vorschrift wurde die Pflicht von "Parteien und Zeugen" zur Duldung der Abstammungsfeststellung mittels erbund rassekundlicher Untersuchungen eingeführt. Soweit die betreffende Person keinen "triftigen Grund" geltend machte, konnte die Untersuchung durch Anwendung unmittelbaren Zwanges durchgesetzt werden. 151 Art. 4 § 7 Abs. I der Verordnung über die Angleichung familienrechtlicher Vorschriften vom 6.2.1943 (FamRAnglV) erweiterte den Anwendungsbereich der Vorschrift, der bislang auf Zeugen und Parteien beschränkt war, auf "sonstige Beteiligte" und deren Eltern und Großeltern. 152 Darüber hinaus wurde in Art. 4 § 7 Abs. 2 FamRAnglV klargestellt, daß die Gefahr, sich einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, kein triftiger Weigerungs grund sei. Diese Fragen waren bislang offensichtlich streitig gewesen. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die FeststeIlbarkeit der biologischen Abstammung während der nationalsozialistischen Diktatur eine große Bedeutung erlangte. Sowohl materiell- als auch prozeßrechtlich versuchte man die Voraussetzungen zu schaffen, um in möglichst vielen Fällen die "wahre" blutsmäßige Abstammung aufdecken zu können. Im Vordergrund stand dabei das Interesse der Machthaber, die Menschen ihrer Abstammung nach voneinander zu scheiden, um bestimmte Bevölkerungsgruppen einer menschenverachtenden Diskriminierung zu unterziehen. 153 OLG München, ZAkDR 1938, 170; a.A.: LG A1tona, JW 1936,2176. KG, JW 1935, 1891; KG, JW 1936,3067; OLG München, JW 1937,2043. Im Erg. so auch schon Sperl, DJZ 1927, 1523, 1526. 150 Die amtliche Begründung in DJ 1938,619,621 ist frei von nationalsozialistischer Rhetorik und stellt allein den Zusammenhang mit den neuen medizinischen Erkenntnissen her. Genauso auch Rexroth, DJ 1938,775 und MaßfeIler, JW 1938, 1281 f. 151 RGBI. 1938 I S.381. Hellwig, DJ 1934, 126, 128 begründet einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlage für nichteheliche Kinder auch mit fiskalischen Interessen; genauso Haas, ZBIJR 1933,196,197. 152 RGBI. 1943 I S. 82. 153 Manche Autoren argumentieren, daß diese Rechtsprechung nicht nur im Dienste nationalsozialistischer Rassenpolitik gestanden habe, weil das Gericht sich neben rassenbiologischen Gründen auch auf erbbiologische Gründe berufen habe (Dickhut148

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IV. Entwicklung nach 1945

Nach dem Untergang des NS-Regimes entstanden Zweifel, ob die mit der nationalsozialistischen Ideologie belastete Rechtsprechung des RG fortgesetzt werden könne. 154 Das Ergebnis, auch dem nichtehelichen Kind die Feststellung seines Vaters in einem Statusverfahren mit Wirkung gegenüber jedermann zu ermöglichen, wurde jedoch als sachgerecht empfunden, weil auf diese Weise seine Abstammung nicht in jedem neuen Prozeß wieder in Frage gestellt werden konnte. Um die bisherige Rechtslage aufrechtzuerhalten, verwies die Literatur nicht nur auf das Gebot der Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern (Art. 6 Abs. 5 GG), sondern erklärte das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einem Persönlichkeitsrecht des nichtehelichen Kindes. 155 Die Berufung auf die besondere Rechtsstellung des Individuums hatte den Vorteil, daß man sich hierdurch von der NS-Ideologie deutlich distanzierte. Schon damals wurde aber der Zweckcharakter dieser Argumentation gesehen. 156 Ziel war es, die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder zu verbessern; dafiir bot das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung lediglich zusätzlichen Argumentationsstoff. Trotz Ablehnung der "aus nationalsozialistischem Geist geborenen Erwägungen"157 hielt der BGH mit im wesentlichen gleicher Argumentation an der Rechtsprechung des RG fest. 158 Während sich der BGH nur andeutungsweise Harrach, S. 242 Fn. 146; Jauernig, Bundesgerichtshof, S. 32 Fn. 12a). Dem ist entgegenzuhalten, daß die Betonung von erbbiologischen Gründen ebenfalls eng mit der NSIdeologie verknüpft war. Schön/eId, S. 62 spricht z.B. von dem Interesse an "Menschenbeurteilung nach erbbiologischen Gesichtspunkten". Die Rolle, die die Nationalsozialisten der Erbgesundheit beimaßen, wird auch an dem ErbkrNachwGes. v. 14.7.1933 (RGBI. 529) v. 26.6.1935 (RGBI. 773) und v. 4.2.1936 (RGBII19) und an dem EhegesundhG v. 18.10.1935 (RGBI. 1246) deutlich. 154 Ausführlich hierzu Zimmermann, S. 173 ff. 155 Ennecerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl 1959, §§ 1511 5 g, 101 11 5; Guggumos, NJW 194711948,59,60 u.a. mit Verweis auf Art. 100 bay.Verf. (Menschenwürde); Guggumos, Urteilsanmerkung zu OGHBrZ, NJW 1949, 750, 752; Neumann-Duesberg, NJW 1950, 14, 15; ders. MDR 1952, 486, 487; a.A.: Schwab, NJW 1956, 649, 651; ders., ZZP 68 (1955), 130. Auch die Rechtsprechung griff diesen Gedanken auf: AG Schweinfurt, NJW 1950, 789, 790; OLG Hamburg, MDR 1954, 424; OLG Oldenburg, NJW 1956,677. 156 Bruns, ZZP 64 (1950/51),119 ff.; dies hat sich aus der Rücksicht bestätigt: Gottwald, S. 113. 157 BGHZ 5, 385, 397. 158 BGHZ 5, 385, 389 ff. und 397 f.; BGH, NJW 1952,935; BGH, NJW 1956,668; BGH, NJW 1956, 988; BGH, NJW 1956, 1438; BGHZ 17,252. Dagegen hatte sich OGHBZ 2, 123, 128 f. gegen die Zulässigkeit der Abstammungsfeststellungsklage ausgesprochen, da die blutsmäßige Abstammung kein "Rechtsverhältnis" sei; Urteils-

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

auf Art. 6 Abs.5 GG beriefi59 , billigte das BVerfG diese Rechtsfortbildung ausdrücklich mit dem Gebot des Art. 6 Abs. 5 GG, für nichteheliche Kinder die gleichen Bedingungen wie für eheliche zu schaffen. 160 Diese Rechtsprechung wurde dann 1961 mit einer Änderung der §§ 640, 644 ZPO vom Gesetzgeber bestätigt. Auch was die Erzwingbarkeit von Blutuntersuchungen anbelangt, setzte sich nach dem Ende des NS-Regimes in Literatur und Rechtsprechung schnell die Ansicht durch, daß die Duldungspflicht für körperliche Untersuchungen kein typisch nationalsozialistisches Gedankengut enthalte. Es wurde darauf verwiesen, daß schon vor 1933 die Einführung einer solchen Regelung befürwortet worden sei. 161 Außerdem stellten körperliche Untersuchungen das einzige verläßliche Beweismittel dar l62 , um die durch den Untersuchungsgrundsatz begründete Pflicht zur Wahrheitsermittlung zu erfüllen. 163 Auch in der sowjetischen Besatzungszone galt nach einem Beschluß der Länderkonferenz der Justizministerien diese Vorschrift im wesentlichen unverändert fort, denn sie entspräche den "Fortschritten der medizinischen Wissenschaft".I64 Durch eine Verordnung des Zentral-Justizamtes für die britische Zone wurde § 7 FamRAnglV als § 372a in die ZPO eingefiihrt. 165 Seine heutige Gestalt erhielt diese Regelung im Zuge der Neuverkündung der ZPO im Jahre 1950. 166 Bei der Diskussion im Deutschen Bundestag anläßlich der Neuverkündung wurde die grundsätzliche Beibehaltung dieser Vorschrift von dem Abgeordneten Neurnayer begründet: "Es ist der Rechtspflege nicht möglich, an den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vorüberzugehen. Die Rechts-

anmerkung Guggumos, NJW 1949, 750, 751 f.; Rruns, ZZP 64 (1950/51), 114 ff. Zustimmend zur Ansicht des BGH demgegenüber Rosch, DRZ 1947, 177 ff.; Isele, AcP 150 (1949), 69 ff. 159 BGHZ 5, 385, 396. 160 BVerfGE 8, 210, 217 ff. 161 Rosch, Südd.JZ 1947,314,315; Guggumos, NJW 1949, 151, 152; OLG Kassel, DRZ 1948,396; OLG Hamm, NJW 1952, 167. Zum gleichen Ergebnis gelangte die österreichische Rechtsprechung (OGH, 25.3.1952, EFSlg. 3348) und Literatur (Fasching, ÖJZ 1981, 169). A.A.: Nathan, NJW 1950, 12, 13, der in der Vorschrift die "faschistische Ideologie in Reinkultur" verkörpert sieht. 162 LG Zweibrücken, MDR 1950, 172; LG Ravensburg, Unsere Jugend 1950, 73; SchIHOLG, SchIHa 1949, 345. 163 Rosch, Südd.JZ 1947,314,315. 164 OLG Dresden, JR 1949,453. 165 VOBI.Br.Z. 1947, 93. Danach war nun ausdrücklich ,jede Person" verpflichtet, etwaige Untersuchungen zu dulden. In einem Gutachten vom 4.6.1946 hatte der Rechtsunterausschuß der britischen Zone unter Hinweis auf § 81a StPO die Regelung als nicht typisch nationalsozialistisch eingestuft (SchIHA 1946, 305). 166 BGBI. 1950, S. 472.

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pflege muß diese Erkenntnisse nützen, denn oberster Grundsatz muß ihr immer sein, die Wahrheit aufzuklären ... Daraus ergibt sich auch, daß es keine unvertretbare Zumutung bedeutet, wenn eine Pflicht zur Duldung einer Blutuntersuchung statuiert wird.,,167 Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit wurde der Vorschrift dann im Jahre 1956 vom BVerfG mit der lapidaren Begründung bescheinigt, es sei schon zweifelhaft, ob die Entnahme einer kleinen Blutrnenge einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG darstelle, die Regelung sei aber auf jeden Fall von dem in Art. 2 Abs. 2 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt gedeckt. 168 Nachdem in den ersten Jahren nach Gründung der Bundesrepublik die Diskussion um die Fortgeltung der während der NS-Zeit durchgesetzten Veränderungen gekreist war, wurde das deutsche Abstammungsrecht im Jahre 1961 durch das Familienrechtsänderungsgesetz erstmals wieder umfassend reformiert: Das Ehelichkeitsanfechtungsrecht der StA wurde beseitigt, weil staatliche Eingriffe in den Familienbereich nicht mehr durch ein genügendes öffentliches Interesse an der Abstammung gerechtfertigt seien. 169 Statt dessen wurde ein eigenes Anfechtungsrecht des Kindes und ein subsidiäres Anfechtungsrecht der Eltern des Mannes eingefiihrt (§§ 1596, 1597, 1598 BGB a.F. bzw. § 1595a BGB a.F.). Hiermit hatten eheliche Kinder zum ersten Mal selbst die - wenn auch begrenzte - Möglichkeit, Zweifel an ihrer Abstammung zu klären. Allerdings hatte nach der Konzeption der §§ 1596, 1598 BGB a.F. das Kind im wesentlichen nur fiir den Fall des Scheiterns der Ehe seiner Eltern die Möglichkeit der Anfechtung. Hinter dieser Regelung stand das Bestreben, den Familienfrieden und damit auch das ungestörte Aufwachsen des Kindes innerhalb kontinuierlicher sozialer Bindungen umfassend zu gewährleisten. Erst mit dem Nichtehelichengesetz von 1969 wurde § 1589 Abs. 2 BGB a.F. gestrichen. Damit wurden verwandtschaftliche Beziehungen des nichtehelichen Kindes zu seinem Vater zum ersten Mal gesetzlich uneingeschränkt anerkannt. Dies hatte in erster Linie erbrechtliche Konsequenzen. Gleichzeitig wurde eine Statusklage zur Feststellung der nichtehelichen Erzeugerschaft gesetzlich verankert. Als Begründung gab der Gesetzgeber an, "daß den unehelichen Kindern, deren Abstammung durch ein gerichtliches Verfahren geklärt werden muß, ihr wirklicher Vater festgestellt wird und daß vermieden wird, daß als Vater des Kindes ein Mann festgestellt wird, der nicht der wahre Vater ist. Die Feststellung des wahren Vaters ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern wird auch durch das Wohl des Kindes gefordert. Das Kind hat ein 167 Verhandl. des BT, I. Wahlp., Stenographische Berichte, Bd. 4, S. 2876 A. 168 FamRZ 1956, 215, 216. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wirft das BVerfG erst gar nicht auf. Vgl. auch KG, FamRZ 1987, 294. 169 BT-Drucks. III/530 v. 7.8.1958, S. 2 und 14.

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schutzwürdiges Interesse daran, daß seine blutsmäßige Abstammung festgestellt wird.,,170 Hierin könnte das umfassende Bestreben gesehen werden, dem Kind die Feststellung der wahren Abstammung zu ermöglichen. Dies war aber nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht der Fall, was daran deutlich wird, daß die zum ersten Mal mit voller konstitutiver Wirkung versehene Vaterschaftsanerkennung gern. § 1600f Abs. 1 BGB a.F. nur dann unwirksam war, wenn bestimmte formelle Erfordernisse mißachtet wurden. Damit war klargestellt, daß eine falsche Vaterschaftsanerkennung wirksam und auch nicht nach § 169 StGB strafbar war. l7l Das Gesetz ging zwar davon aus, daß i.d.R. nur derjenige die Vaterschaft anerkennen werde, der auch der wirkliche Vater des Kindes ist, doch wurden ganz bewußt falsche Vaterschaftsanerkenntnisse etwa aus Gefälligkeit gegenüber der Mutter - in Kauf genommen. Grund hierfür war das Streben nach einer möglichst einfachen und schnellen Zuordnung des Kindes zu einem Vater. Außerdem sollte die Durchführung eines kostspieligen Statusprozesses für jedes nichteheliche Kind vermieden werden. 172 Die gerichtliche Feststellung der wahren Vaterschaft strebte der Gesetzgeber nur an, wenn sich niemand freiwillig zu dem Kind bekannte. Dann lag es nahe, auf den biologischen Vater zurückzugreifen, allein schon, weil es ungerecht sei, "eine Haftung der Eltern und Voreltern des Vaters für den Unterhalt des Kindes und eine Haftung des Kindes für den Unterhalt der Eltern und Voreltern des Vaters vorzusehen, wenn das Kind nicht wirklich von ihnen abstammt". 173

V. Reformanstöße durch das BVerfG J. Recht aufKenntnis der eigenen Abstammung Schon in älteren Entscheidungen erkannte das BVerfG ein gewisses Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner genetischen Abstammung an. Doch 170 BT-Drucks. V12370 v. 7.12.1967, S.37. Einige Refonnvorschläge hatten eine solche Entwicklung unter Berufung auf das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung angeregt (vgl. Zimmermann, S. 196 f. und 199 f.). Dieser Gedanke spielte dann auch in den Debatten des Deutschen Bundestages zum Nichtehelichengesetz eine gewisse Rolle (vgl. Zimmermann, S. 218). 171 Bislang hatte eine Vaterschaftsanerkennung im wesentlichen nur Bedeutung im Rahmen einer Legitimation durch nachfolgende Ehe gehabt. In diesem Zusammenhang begründete die Anerkennung eine Vaterschaftsvennutung. Eine vorsätzlich falsche Anerkennung hatte als strafbare Personenstandsfälschung gegolten (vgl. Deichfuß, S. 12 ff.). 172 BT-Drucks. V/2370 v. 7.12.1967, S. 26. 173 Nachweis bei Deichfuß, S. 68.

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wurde dieses weder als besonders bedeutsam angesehen noch mit Verfassungsrang ausgestattet. Das Gericht erklärte beispielsweise, daß die Geltung des § 232 Abs. 2 ZPO a.F. (§ 233 i.V.m. § 85 Abs.2 ZPO n.F.) auch im Abstammungsprozeß verfassungsmäßig sei. Diese Vorschrift bestimmte, daß bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Verschulden des Anwalts der Partei zuzurechnen sei. Entscheidendes Argument war, daß das "bürgerliche Recht im Interesse des Kindes und des Familienfriedens ohnehin nicht in allen Fällen eine Gewähr dafiir gibt, daß die Abstammungsverhältnisse zutreffend klargestellt werden". 174 Auch die Verfassungsmäßigkeit der zweijährigen Ausschlußfrist fiir das Ehelichkeitsanfechtungsrecht des Ehemannes nach § 1594 Abs. 1, Abs.2 BGB a.F. wurde bejaht. Man verwies auf das Interesse des Kindes an einer frühzeitigen und endgültigen Festlegung seines Status und betonte, daß die Ehe vor einer Belastung mit einem zu lange drohenden Anfechtungsrecht zu schützen sei. 175 Besonders hoch wurde das Interesse des Kindes an der Feststellung der eigenen Abstammung vom BVerfG in diesen Verfahren noch nicht eingeschätzt: "Im allgemeinen überwiegt das Interesse des Kindes, als eheliches Kind in der Familie aufzuwachsen, in die es hineingeboren ist, sein Interesse an der genauen Feststellung seiner Abstammung.,,176 Erst durch eine Entscheidung vom 18.1.1988 erlangte das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Abstammung verfassungsrechtliches Gewicht l77 : Stets war in der Rechtsprechung anerkannt, daß ein Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen seine Mutter auf Nennung des leibli-

174 BVerfGE 35, 41, 48. Die Entscheidung ist überwiegend auf Ablehnung gestoßen: OLG Stuttgart, DAVorrn 1974, 187, 189, wobei diese Rechtsprechung allerdings nicht fortgeflihrt wurde (OLG Stuttgart, DAVorrn 1986, 189 f.); Zöller/Vollkommer, § 85 Rz.2; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 31 11; Bosch, FamRZ 1993, 308; ders., FamRZ 1973,449; Leipo/d, ZZP 93 (1980),255; Schneider, MDR 1990, 596, 597; Schumann, ZZP 96 (1983), 208 Fn. 268; Stürner, JZ 1986, 1089, 1092; Berkemann, FamRZ 1974, 294,295; Schu/tz, MDR 1974, 196 f.; Ost/er, AnwB11973, 375 f. Dem BVerfG folgend: BGH, FamRZ 1993,308 m.w.N. zur Rspr., vgl. auch OLG Hamm, FamRZ 1997,502; Stein/Jonas-Bork, (VIIII992), § 85 Rz. 9; MünchKomm/v. Mettenheim, ZPO, § 85 Rz.12. 175 BVerfG, NJW 1975, 203, 204. Zur verfassungsmäßigen Unbedenklichkeit der absoluten 10jährigen Ausschlußfrist des § 1594 Abs. 2 BGB a.F. vgl. auch schon BGH, FamRZ 1966,504,505. Anders insofern nun BVerfG, FamRZ 1994,2475 ff. zur zweijährigen kenntnisunabhängigen Anfechtungsfrist des volljährigen Kindes gern. § 1598 BGBa.F. 176 BVerfG, NJW 1975, 203. Deutlicher dagegen wurde eine verfassungsrechtliche Würdigung schon in OLG Oldenburg, NJW 1956, 677 f. versucht, wo die biologische Vaterschaft für den einzelnen als so wesentlich angesehen wurde, daß sie Grundlage eines durch Art. 1 und 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts sei. 177 BVerfG, NJW 1988,3010.

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I. Kapitel: Historischer Hintergrund

chen Vaters nicht besteht. 178 Für einen solchen Anspruch fehlte de lege lata ein Anhaltspunkt im BGB und de lege ferenda sprach gegen ihn das Recht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre. Das AG Pass au stützte demgegenüber den Auskunftsanspruch einer volljährigen Tochter auf die Generalklausei des § 1618a BGB. 179 Die von der Mutter eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. In seinem Nichtannahmebeschluß berief sich das BVerfG auf Art. 6 Abs.5 GG und legte dar, daß das nichteheliche Kind nur dann eine Chance habe, dem ehelichen Kind gleichgestellt zu sein, wenn es seinen Vater kenne. Diese Kenntnis sei wichtig, um die seit dem Nichtehelichengesetz verstärkten rechtlichen Beziehungen nutzen zu können. 180 Gegenüber diesen verfassungsrechtlich verbürgten Werten müsse das Persönlichkeitsrecht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre zurücktreten. 181 Mit dieser Entscheidung war das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zumindest für nichteheliche Kinder als Ausfluß des Gleichstellungsauftrags aus Art. 6 Abs. 5 GG anerkannt. Ob und in welchem Zusammenhang ein solches Recht auch ehelichen Kindern zustehen könnte, war allerdings noch ungewiß. Im Verfahren vom 31.1.1989 stellte das BVerfG dann zum ersten Mal die völlig eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung heraus. 182 Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein volljähriges Kind wollte gern. § 1598 BGB a.F. seine Ehelichkeit anfechten, obwohl keiner der Anfechtungsgründe des § 1596 Abs. I BGB a.F. gegeben war. Dabei berief es sich darauf, daß seine Mutter und sein Vater mit der Anfechtung einver-

178 BGH, FamRZ 1959, 16, 17; BGHZ 82,173,175; BayObLG, FamRZ 1972,521, 522; LG Köln, FamRZ 1963, 55. Weitere Nachweise bei K/eineke, Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, Diss. Göttingen 1976, S. 147 ff.; de lege ferenda gegen die Einführung einer Offenbarungspflicht: Beschlüsse des 44. DJT in FamRZ 1962, 40 I; Gernhuber, "Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig" - Ein Beitrag zu § 1618a BGB, FS Müller-Freienfels, 1986, S. 191 Fn. 94; a.A.: Döl/e, Farnilienrecht, Bd. 2, 1965, § 102 V 3 c; LehmanniHenrich, Deutsches Familienrecht, 4. Auflage 1967, S. 209. 179 FamRZ 1987, 1309 ff.; bestätigt durch LG Passau, NJW 1988,3010. 180 BVerfG, NJW 1988,3010; vgl. demgegenüber jetzt BVerfD, FamRZ 1997,869. 181 Der BGH hatte in BGHZ 82, 173, 179 schon bei der Frage, ob die Arntspflegschaft vollständig aufgehoben werden darf, wenn die Mutter den Namen des Vaters verschweigt, ein Recht des Kindes auf Feststellung seiner blutrnäßigen Abstammung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. I und 2 GG angesehen, ohne dieses Recht in Art. 6 Abs. 5 GG zu verankern. Das BVerfG nimmt auf diese Entscheidung keinen Bezug. Der BGH greift damit der Entwicklung voraus, die das BVerfG erst in den nächsten Entscheidungen nachvollziehen wird. 182 BVerfGE 79, 256 ff.

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standen seien und die Vaterschaft eines bestimmten Dritten innerhalb der Familie nicht weiter streitig sei.l 83

Das BVerfG strich zunächst heraus, daß jedes Kind als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung habe. Zur Begründung führte es an, daß die ,,Abstammung die genetische Ausstattung des einzelnen festlege und damit seine Persönlichkeit präge." Außerdem nehme die Kennmis der Abstammung "eine Schlüsselstellung fiir Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein" und bilde damit "einen wichtigen Anknüpfungspunkt fiir das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität". 184 Soweit §§ 1593, 1598 i.V.m. § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. dem volljährigen Kind, von den gesetzlichen Anfechtungstatbeständen abgesehen, die gerichtliche Klärung seiner Abstammung verwehrten, liege eine Beschränkung dieses Persönlichkeitsrechts vor. Als verfassungsrechtlich legitimer Zweck, der eine Einschränkung rechtfertige, komme die Ehe und der Familienfriede in Frage. Allerdings sei eine Gefahrdung von Ehe und Familie ausgeschlossen, wenn beide Elternteile der Ehelichkeitsanfechtung durch das volljährige Kind zugestimmt hätten. 185 In einem obiter dictum wies das BVerfG noch auf zwei weitere Fallgruppen hin, in denen der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ebenfalls unverhältnismäßig sei. Zum einen sprach es Konstellationen an, in denen das Kind sich schon dem tatsächlichen Vater zugewandt habe und damit unabhängig von einer Anfechtung der Familienfrieden bereits gestört sei. Zum anderen fiihrte es Fälle an, in denen das Kind bei Pflegeeltern aufgewachsen sei. 186 Mit Beschluß vom 26.4.1994 erklärte das BVerfG auch § 1598 BGB a.F. fiir verfassungswidrig, der dem Kind zwei Jahre nach Eintritt der Volljährigkeit die Ehelichkeitsanfechtung versagte, - unabhängig davon, ob es bis dahin Kenntnis von Umständen erlangt hatte, die gegen seine Ehelichkeit sprachen. 187 Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung werde durch eine solche kenntnisunabhängige Ausschlußfrist unzumutbar beeinträchtigt, denn das Interesse nach Rechtssicherheit durch baldige und eindeutige Beendigung des familienrechtlichen Schwebezustandes habe eine untergeordnete Bedeutung. Dies zeige sich auch daran, daß die Anfechtungsfristen anderer Anfechtungsberechtigter

AG Hamburg, DAVorm 1987,545 ff. BVerfGE 79, 256, 268 f. 185 BVerfGE 79, 256, 272 f. 186 BVerfGE 79, 256, 273 f. 187 BVerfG, NJW 1994,2475; vgl. auch OLG Frankfurt, FamRZ 1990,315 f. A.A.: noch OLG Bremen, FamRZ 1989, 1228 ff.; OLG Zweibrücken, FamRZ 1992, 217 ff. 183

184

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I. Kapitel: Historischer Hintergrund

kenntnisabhängig seien (§§ 1594 Abs. 2, 1596 Abs. 2 S. 2).188 Darüber hinaus habe der Gesetzgeber die Möglichkeit, die Rechtssicherheit zu wahren, ohne das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu beeinträchtigen, indem er eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage einführe. 189

2. Kritische Stellungnahme Mit diesen Entscheidungen hat sich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung von der Ableitung aus Art. 6 Abs. 5 GG gelöst und ist zu einer selbständigen Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geworden. Von einigen Autoren ist die Rechtsprechung des BVerfG enthusiastisch begrüßt worden l90 , bei anderen dagegen ist dieses "neu erfundene" Persönlichkeitsrecht auf scharfe Kritik gestoßen. 191 In Reaktion auf diese Entscheidungen des BVerfG hat das am 1.7.1998 in Kraft getretene Kindschaftsrechtsreformgesetz (KindRG) fiir das volljährige Kind die einzelnen Anfechtungsgründe des § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. abgeschafft und damit ein sachlich unbeschränktes Anfechtungsrecht eingefiihrt (§ 1600 Abs. 1 BGB n.F.).I92 Der Gesetzgeber sah sich nämlich nicht in der Lage, die Tatbestände präzise zu umschreiben, in denen das Interesse des Kindes an der Feststellung seiner Abstammung Vorrang vor dem Schutz von Ehe

188 BVerfG, NJW 1994, 2475, 2476. In BVerfG, NJW 1975, 203 ff. hatte das BVerfG dem Interesse an Rechtssicherheit noch den Vorrang gegeben, doch stand dort das Anfechtungsrecht des Ehemanns auf dem Prüfstand, und dessen Ausschlußfrist war kenntnisabhängig. Nicht angezweifelt wurde dagegen die kenntnisunabhängige Frist des § 1595a BGB a.F. beim Anfechtungsrecht der Eltern. Diese war berechtigt, da die Eltern nicht zu den direkt betroffenen Personen gehörten. 189 BVerfG, NJW 1994,2475,2476. 190 Coester-Waltjen, Jura 1989,520 ff.; Münder, RdJ 1989,456; Enders, NJW 1989, 881: "Meilenstein in der Geschichte höchstrichterlicher Entscheidungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht"; Starck, JZ 1989, 338 f.; Degenhart, JuS 1992, 361, 366 f.; abI. nur bzgl. der Schlußfolgerungen rur das Kindschaftsrecht Giesen, JZ 1989, 364, 367. 191 Ramm, NJW 1989, 1594, 1597: "eindeutige Fehlentscheidung"; Smid, JR 1990, 221 ff.; Koch, FamRZ 1990,569 ff.; Deichfoß, S. 114 ff. 192 Dies hatten in der Reformdiskussion einige Autoren gefordert: Schwenzer, Gutachten, S. A 32 ff.; Schwenzer, FuR 1992 Beilage, S.5; GernhuberICoester-Waltjen, § 51 V 1.; Thesen des Deutschen Juristinnenbundes, FuR 1992, 185; Beschluß des 59. Deutschen Juristentages, Hannover 1992, FarnRZ 1992, 1275 unter B.V.l.c (angenommen: 50:25: 13); die SPD-Fraktion forderte eine unbeschränkte Anfechtbarkeit sogar bei minderjährigen Kindern (FarnRZ 1993, 278, 279 = BT-Drucks. 12/4024 v. 17.12.1992). AbI. Giesen, JZ 1989, 364, 374; Diederichsen, Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, Hannover 1992, Bd. 11 (Sitzungsberichte), S. M 71 f.; Frank, Abstammung und Status, S. 89.

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und Familie genießen SOll193, denn im Grunde ist das Persönlichkeitsrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in jedem Einzelfall neu in Abwägung zu bringen mit dem Schutz von Ehe und Familie. 194 Andererseits wollte der Gesetzgeber auch nicht eine unbestimmte Generalklausei einfUhren, die die Interessenbewertung in das Belieben der Gerichte gestellt hätte. Damit hat das BVerfG den Gesetzgeber praktisch - mangels gesetzestechnisch sinnvoller Alternativen - gezwungen, auf den Schutz von Ehe und Familienfrieden beim Ehelichkeitsanfechtungsrecht des volljährigen Kindes ganz zu verzichten. Zusätzlich wurde im KindRG ein Wiederaufleben der Anfechtungsfrist für das volljährige Kind angeordnet, wenn es Kenntnis von Umständen erlangt, aufgrund derer ein Festhalten an der Vaterschaft unzumutbar ist (§ 1600b Abs.5 BGB n.F.). Auch diese denkbar unbestimmte Vorschrift wurde aus Angst vor einer verfassungsrechtlichen Beanstandung geboren, denn es läßt sich kaum sagen, ab welchem Zeitpunkt das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in jedem Fall hinter anderen Interessen zurücktreten muß. 195 Es stellt sich die Frage, ob das BVerfG aus den vielfältigen legitimen Interessen, die in Abstammungsfragen miteinander kollidieren, dem Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner eigenen Abstammung nicht eine übertrieben große Bedeutung beigemessen hat. Statt dessen hätte das BVerfG selbst bei grundsätzlicher Anerkennung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung diesem vor allem in seinem ersten Urteil vom 31.1.1989 engere Grenzen ziehen können: Auch bei allseitigem Einverständnis mit der Anfechtung besteht nämlich die Gefahr, daß der Familienfrieden dadurch gestört wird, daß in der Familie Druck ausgeübt wird, um dieses Einverständnis zu erlangen. Außerdem bietet auch ein freiwilliges Einverständnis im Vorfeld keine Gewähr dafür, daß im Prozeß nicht neue Tatsachen an das Tageslicht kommen, die Ehe und Familie belasten. Gleichfalls Bedenken ausgesetzt ist die vom BVerfG angesprochene Fallgruppe, daß die Anfechtung nicht mehr kausal für eine Störung des Familienfriedens sei, wenn sich das Kind bereits vorher dem präsumptiven Vater zugewandt habe. Hier hat es das Kind in der Hand, sich die Voraussetzungen für seine Ehelichkeitsanfechtung selbst zu schaffen.

193 So die Begründung in BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 65 f. Auch der Arbeitskreis Familienrecht der Thyssenstiftung sah keine Möglichkeit, einen präzise umschriebenen Katalog von Anfechtungsgründen zu kodifizieren (Frank, Abstammung und Status, S. 89). Noch in Unkenntnis des Urteils des BVerfG vom 24.6.1994 riet man von einem Tätigwerden des Gesetzgebers ab. Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 40 ff. und S. 47 ist der Ansicht, daß eine Präzisierung in bestimmte Fallgruppen nicht möglich ist und daß auch in den vom BVerfG angesprochenen Fällen eine einzelfallbezogene Interessenabwägung hinzutreten muß. 194 Frank, Abstammung und Status, S. 89; Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 40 und 46. 195 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 166 f. 4 Helms

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

Soweit man diese Überlegungen berücksichtigt, läßt sich sagen, daß auch bei grundsätzlicher Anerkennung des Rechts des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung der Gesetzgeber in § 1596 Abs. 1 BGB a.F. eine vertretbare Abwägung der beteiligten Interessen getroffen hatte. Wegen der Weite und Unbestimmtheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts muß gerade in diesem Zusammenhang die vom BVerfG grundsätzlich anerkannte Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verteidigt werden. Wenn das BVerfG diese Überlegungen nicht für ausreichend hält, um die Verfassungskonformität dieser Regelungen zu begründen, dann setzt es seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers. Die apodiktische Postulierung eines Bedürfnisses nach Kenntnis der eigenen Abstammung ist für einen Juristen nur schwer zu überprüfen. Außerdem ist der Schluß von einem psychologischen Bedürfnis auf ein verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht keineswegs zwingend. Einen wirklichen Beleg für die Bedeutung, welche die Kenntnis der eigenen Abstammung für einen Menschen besitzen kann, liefern die Sozialwissenschaften bislang nur für den Bereich der Adoption. Hier suchen manche Adoptierte z.T. ihr Leben lang verzweifelt nach ihren biologischen Wurzeln. Schon bei der heterologen Insemination ist dieses Bedürfnis kaum nachweisbar. Keine Hinweise gibt es vor allem, daß Kinder unter der Unkenntnis über ihre leibliche Herkunft leiden, wenn sie mit dem Ehemann ihrer Mutter aufwachsen, der nicht ihr Erzeuger ist, oder wenn sie bei dem Urheber eines wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkenntnisses leben. Obwohl der Topos eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung mittlerweile weltweit verbreitet ist, hat er - soweit ersichtlich - in keinem Land außerhalb der Bereiche Adoption und heterologe Insemination zu nennenswerten Diskussionen gefiihrt. Es besteht zumindest der Verdacht, daß das Bedürfnis nach der ,,Kenntnis der eigenen Wurzeln" auf die besonderen Belastungen zurückzuführen ist, die mit künstlichen Familiengründungen (heterologe Befruchtung, Adoption,) verbunden sind. 196

196 Bedenklich ist, daß in Rechtsprechung und Literatur der Topos mittlerweile auch in Fällen verwendet wird, in denen nicht ersichtlich ist, wieso seine "Heraufbeschwörung" überhaupt erforderlich sein soll (vgl. z.B. OLG Nümberg, FamRZ 1996, 1155 f. und OLG München, FamRZ 1997, 1170: kein Recht zur Verweigerung der Blutuntersuchung; OLG Rostock, DA Vorm 1996, 388, 389: keine Zurechnung der Kenntnis des Sorgeberechtigten rur den Ablauf der Ehe\ichkeitsanfechtungsfrist des rnindeIjährigen Kindes (vgl. dazu zu Recht krit. Böckermann, FamRZ 1996, 238, 239); Schlüter, FuR 1996, 73: Anspruch des Kindes auf Prozeßkostenvorschuß gegen seine Eltern rur Ehelichkeitsanfechtung).

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3. Kehrtwendung in der Rechtsprechung? Allerdings hat das BVerfG in seinem neuesten Urteil zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung der Entwicklung eine neue Wendung gegeben und für weitere Verunsicherung gesorgt. Angesichts der vom BVerfG gebilligten und vom AG Passau angestoßenen Rechtsprechung zum Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen seine Mutter auf Benennung des leiblichen Vaters konnte es nicht verwundern, daß das LG Münster am 21.2.1990 eine Mutter dazu verurteilte, ihrer 1959 geborenen nichtehelichen Tochter Auskunft über alle Männer zu erteilen, die ihr im Empfängniszeitraum beigewohnt hatten. 197 Im konkreten Fall war das Kind kurz nach der Geburt in einem Kinderheim untergebracht und später von Pflegeeltern aufgezogen worden. Es hatte vorgetragen, es wolle die Identität seines Vaters sowohl aus persönlichen Gründen als auch zur Geltendmachung von Erb- oder Erbersatzansprüchen erfahren. Demgegenüber machte die Mutter geltend, eine Auskunftserteilung sei ihr unzumutbar, denn sie habe in der gesetzlichen Empfangniszeit mehreren Männern beigewohnt, die z.T. inzwischen verheiratet seien. Bei der Auslegung des § 1618a BGB, nach der Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schulden, berücksichtigte das LG das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung und stellte ihm das Interesse der Mutter an dem Schutz ihrer Intimsphäre gegenüber. Allerdings wollte das Gericht ein überwiegendes Interesse der Mutter an der Geheimhaltung ihrer Geschlechtspartner nur dann anerkennen, wenn hierfür "gravierende" Gründe vorlägen, denn ein nichteheliches Kind habe "auf die Tatsache seiner Nichtehelichkeit keinen Einfluß ... während dieser Umstand regelmäßig ... im Verantwortungsbereich der Mutter liegt".198 Deshalb sah das LG auch im konkreten Fall die Interessen des Kindes als schutzwürdiger an. Gegen die Verurteilung zur Auskunftserteilung legte die Mutter Verfassungsbeschwerde ein. Dieser wurde - sieben Jahre später - überraschenderweise stattgegeben. 199 Das BVerfG räumt in seiner Entscheidung dem LG zunächst einen "Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum" ein. 2oo Doch dann rügt das BVerfG, das LG habe den ihm zustehenden Spielraum für eine Abwägung gerade verkannt und einseitig den Interessen des Kindes den Vorrang eingeräumt, so daß eine Abwägung mit den Belangen der Mutter nur noch in engen Grenzen möglich gewesen sei. 197 LG Münster, FamRZ 1990, 1031. 198 LGMünster,FamRZ 1990, 1031, 1033. 199 BVerfG, FamRZ 1997,869, m. Anm. Frank/Helms, FamRZ 1997, 1258 ff.; Len-

ze,ZfJ 1998, 101 undStarck,JZ 1997,779. 200 FamRZ 1997, 869, 870 f.

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß die Kritik des BVerfG unberechtigt ist. Entscheidende Überlegung des LG war, daß die Eltern des Kindes seine Nichtehelichkeit zu vertreten haben und deshalb verpflichtet seien, die damit verbundenen Nachteile auszugleichen. Dieses Argument vermag zwar nicht sonderlich zu überzeugen, weil damit den Eltern indirekt zum Vorwurf gemacht wird, sie hätten nicht geheiratet und müßten deshalb ihre Interessen stets hinter diejenigen des Kindes zurückstellen. Immerhin fmdet sich aber dieselbe Überlegung im Nichtannahmebeschluß des BVerfG vom 18.1.1988. Auch wenn ein Nichtannahmebeschluß durch eine Kammer des BVerfG keine Bindungswirkung gern. § 31 Abs. 1 BVerfGG entfaltet, weil er nur auf einer eher summarischen Prüfung beruhe°l, so hätte das BVerfG dennoch korrekterweise erwähnen müssen, daß das Fachgericht lediglich seinen eigenen Vorgaben aus dem älteren Nichtannahmebeschluß gefolgt war. Zusätzlich verweist das LG aber - ebenfalls dem Nichtannahmebeschluß des BVerfG folgend - auf den Gleichstellungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG, da für nichteheliche Kinder die Kenntnis ihres Vaters unabdingbare Voraussetzung ist, um rechtliche Beziehungen zu beiden Elternteilen begründen zu können. Wenn das BVerfG hierauf nur erwidert, daß eine "völlige Gleichstellung" zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern ausscheide, so hat diese Aussage nur geringen Begründungswert. Wie wenig sich das jüngste Urteil des BVerfG in die Linie der bisherigen Urteile einreiht, wird auch deutlich, wenn man dieser Entscheidung das Urteil zur Verfassungwidrigkeit des Ehelichkeitsanfechtungsrechts gegenüberhält. Während im vorliegenden Fall das BVerfG verbal sehr stark den richterlichen und gesetzgeberischen "Einschätzungs-, W ertungs- und Gestaltungsspielraum herausstreicht", war hiervon in der älteren Entscheidung mit keinem Wort die Rede. 202 Vielmehr machte das BVerfG damals dem Gesetzgeber haargenaue Vorgaben, indem es - losgelöst vom zur Entscheidung anstehenden Ausgangsfall - eine Reihe von Fallgruppen entwickelte, in denen der Gesetzgeber verpflichtet sei, dem Interesse des volljährigen Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung Vorrang gegenüber dem Schutz von Ehe und Familienfrieden zu gewähren. Sogar ausdrücklich wurde damals der hier zur Debatte stehende Fall angesprochen, daß ein Kind in einer Pflegefamilie aufgewachsen ist. Damals meinte das Gericht, daß dem Kind unter diesen Voraussetzungen nicht zugemutet werden könne, nach Erreichung der Volljährigkeit im Interesse der Ehe seiner Mutter und einer Familie, zu der es nie gehört habe, auf eine Klärung seiner Abstammung zu verzichten. In genau der gleichen Konstellation beanstandet demgegenüber das BVerfG nun die Wertung des LG, das dem Interesse

201

202

BendalKlein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rz. 1235. BVerfGE 79, 256 ff.

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des Kindes an der Benennung seines Erzeugers Vorrang vor dem Schutz der mütterlichen Intimsphäre gibt. 203 Daß das BVerfG einen Kunstgriff angewandt hat, um die Entscheidung des LG ohne Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung aufheben zu können, zeigt folgende Überlegung: Hätte der Gesetzgeber ausdrücklich einen Auskunftsanspruch im Gesetz verankert, wäre es vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung sicher nicht zu beanstanden gewesen, wenn dieser Anspruch gegenüber den Interessen der Mutter nur in seltenen Ausnahmefällen hätte weichen müssen. 204 Spricht das BVerfG dem LG aber ausdrücklich für den Schutz der Grundrechte den gleichen "Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum" wie dem Gesetzgeber zu, kann es nicht überzeugen, wenn dem LG verboten wird, seine Entscheidung auf eine Maxime zu stützen, die als Gesetz verfassungs gemäß wäre. Letzten Endes zeigt die Entscheidung des BVerfG die Zweifelhaftigkeit eines verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung. 205 Hat man dem Interesse des Kindes an der Kenntnis der eigenen Abstammung erst einmal verfassungsrechtliche Weihen verliehen, schafft man sich eine Menge an Folgeproblemen, denn eigentlich müßte sich dieses Recht angesichts seiner angeblich zentralen Bedeutung auch regelmäßig durchsetzen. Mit dem vorliegenden Urteil will das BVerfG im Ergebnis pragmatisch, aber in der Begründung zweifelhaft, die Geister wieder loswerden, die es mit seinen früheren Urteilen zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung selbst gerufen hat. Im Ergebnis hält sich das BVerfG - im Unterschied zu den älteren Entscheidungen - in seinem neuesten Beschluß zurück: Nach seiner Ansicht ist es Aufgabe der Fachgerichte, darüber zu entscheiden, ob ein Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber der Mutter überhaupt besteht. Verfassungsrechtlich sei ein solcher Anspruch nicht zwingend geboten; eine Ableitung aus § 1618a BGB aber auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Eine nennenswerte Einschränkung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung oder gar seine Abschaffung wird vom BVerfG hiermit nicht angestrebt. Das

203 Das BVerfG hat in seinem Urteil ansatzweise versucht, eine Begründung daflir zu liefern, warum es im konkreten Fall nur eine beschränkte Überprüfungskompetenz flir sich in Anspruch nahm (vgl. dazu Frank/Helms, FamRZ 1997, 1258, 1260 f.). 204 Vgl. hierzu Starck, JZ 1996, 1033, 1039 m.w.N. und Berkemann, DVBI 1996, 1028, 1032 ff. 205 Krit. dazu auch schon Deichfuß, NJW 1988, 113 ff.; Frank, FamRZ 1988, 113 ff.; Gottwald, S. 111 ff.; Koch, FamRZ 1990, 569 ff.; Ramm, NJW 1989, 1594; Smid, JR 1990, 221 ff.

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1. Kapitel: Historischer Hintergrund

Gericht versucht, Wildwuchs zu verhindern, auch wenn es sich dafiir über methodische Bedenken hinwegsetzen muß.

C. Zusammenfassung Der historische Rückblick hat gezeigt, wie unterschiedlich die Faktoren sind, die das französische und das deutsche Recht beeinflußt haben: Während in Frankreich seit der Revolution der Gedanke der freiwilligen Begründung familiemechtlicher Bande eine große Rolle spielt, wurde in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus die blutsmäßige Abstammung in den Vordergrund gestellt. Unter anderen Vorzeichen und aus einer ganz anderen Geisteshaltung heraus hat das Bundesverfassungsgericht diese Betonung genetischer Bindungen durch seine Judikatur zum Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung fortgeführt. In diesem Zusammenhang wird auch die unterschiedliche Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit deutlich. Die in Frankreich fortbestehende abstammungsrechtliche Ungleichbehandlung der nichtehelichen Kinder, die aus einer inzestuösen Beziehung hervorgehen, wäre in Deutschland fiir einen in Grundrechtsfragen sensibilisierten Juristen unerträglich. Genauso wenig ließe sich der abandon und das accouchement anonyme mit der deutschen Vorstellung vom Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung vereinbaren. Während in Deutschland die Tendenz besteht, bestimmte Prinzipien, wie das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, zu verabsolutieren, besteht in Frankreich eine Abneigung, mit traditionellen Konzepten auf einen Schlag zu brechen. Die historische Entwicklung der Vaterschaftsfeststellungsklage hat beispielsweise gezeigt, daß sich das französische Recht meist nur langsam und unter Eingehung von Kompromissen fortentwickelt hat. Auch das Recht der Ehelichkeitsanfechtung ist ein Beispiel fiir die schrittweise Entwicklung des französischen Abstammungsrechts. Gesetzgeberische Interventionen und richterliche Rechtsfortbildung verbinden sich dort zu einem nur schwer verständlichen Geflecht. Dennoch hat der Gesetzgeber bislang keinen Anlaß fiir eine bereinigende oder klarstellende Reform gesehen. An den Regeln über die Ehelichkeitsanfechtung zeigt sich auch, daß in Frankreich im Abstammungsrecht auf die Eindeutigkeit und Klarheit der Zuordnungsregeln nicht in gleicher Weise Wert gelegt wird wie im deutschen Recht, sondern große Bedeutung auch flexiblen und einzelfallorientierten Lösungen eingeräumt wird. Diese unterschiedlichen historischen Ausgangsbedingungen müssen im Blick behalten werden, wenn im folgenden Kapitel das geltende Abstammungsrecht in Frankreich und Deutschland untersucht wird.

Zweites Kapitel

Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen In einem ersten Abschnitt (A.) werden die Mechanismen der primären Vater-Kind-Zuordnung analysiert (Ehelichkeitsvermutung, Vaterschaftsanerkenntnis und Vaterschaftsfeststellung). Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit sie eine Gewähr dafür bieten, daß der Status des Kindes mit der biologischen Abstammung übereinstimmt. In einem zweiten Abschnitt (B.) wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen der Status eines Kindes geändert werden kann, wenn er mit der genetischen Herkunft nicht übereinstimmt. Schließlich wird in einem dritten Abschnitt (C.) auf die besonderen Probleme eingegangen, mit denen das Abstammungsrecht durch die Entwicklung von heterologen Befruchtungstechniken konfrontiert wurde.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung und biologische Abstammung Jede Rechtsordnung hat ein verständliches Interesse daran, ein Kind möglichst rasch nach seiner Geburt einem Mann als Vater zuzuordnen. Hierdurch wird Rechtsklarheit geschaffen, ein Unterhaltsschuldner festgelegt und die Integration des Kindes in eine Familiengemeinschaft gefördert. Die verschiedenen Mechanismen, mit deren Hilfe eine solche Zuordnung vorgenommen wird, bieten jedoch eine unterschiedliche Gewähr dafür, daß der rechtliche Vater auch der Erzeuger des Kindes ist.

I. Vater-Kind-Zuordnung aufgrund der Ehe der Mutter

Traditionell gelten sowohl in Frankreich (Art. 312 Abs. 1, 311, 314 Abs. 1, 315 C.C.) als auch in Deutschland (§ 1593 BGB a.F.) Kinder, die während oder innerhalb von 302 (Deutschland) 1 bzw. 300 (Frankreich) Tagen nach Auflö-

1 Das KindRG verkürzt diese Frist in § 1593 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. auf 300 Tage. Dies dient der Angleichung an die in den meisten europäischen Ländern maßgebende Frist (vgl. BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 93 f.). Nach dem KindRG werden Kinder, die nach Auflösung der Ehe geboren werden, nur noch dann dem Muttergatten zu-

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

sung oder Nichtigerklärung der Ehe geboren werden, als Kind des Muttergatten (pater est quem nuptiae demonstrant), unabhängig davon, ob dieser tatsächlich der Erzeuger ist. Diese sog. Pater-est-Regel hat im Laufe der Zeit einen Funktionswandel erfahren. Während sie früher - im Zusammenspiel mit einer rigiden Beschränkung des Ehelichkeitsanfechtungsrechts - dazu diente, die eheliche Familie vor der Aufdeckung eines Fehltrittes zu schützen und möglichst vielen Kindern die Rechtswohltat der Ehelichkeit zukommen zu lassen2, wird sie heute vorrangig unter Praktikabilitätsgesichtspunkten gesehen: Als Ersatz für eine Vaterschaftsanerkennung oder eine Vaterschaftsfeststellung vereinfacht sie die Zuordnung eines Kindes ganz erheblich. Außerdem stimmt sie im Regelfall mit den gelebten sozialen Beziehungen der Beteiligten überein. Zusätzlich erfüllt sie eine wichtige Befiiedungsfunktion: Wird die Abstammung automatisch aufgrund von Ehe und Geburt festgelegt, kann hierüber zunächst kein Streit entstehen. Rechtspolitisch wird die Geltung der Pater-est-Regel z.T. allerdings nur noch dann fiir legitim erachtet, wenn auch die biologische Vaterschaft des Muttergatten typischerweise wahrscheinlich ist. 3 Nur unter diesen Voraussetzungen werde eine stabile Zuordnung des Kindes erreicht, indem vor allem die Gefahr einer Ehelichkeitsanfechtung vermindert werde. Aus dieser Perspektive betrachtet sind besonders kritisch die Fälle, in denen das Kind zu Beginn der Ehe geboren wird und deshalb noch aus einer vorhergehenden Beziehung stammen kann oder in denen es zu einem Zeitpunkt gezeugt wird, in dem die Ehe schon wieder zerrüttet ist.

1. Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung im französischen Recht Das französische Recht hat bei grundsätzlicher Beibehaltung der Pater-estRegel diese um eine Reihe komplizierter Ausnahmetatbestände ergänzt. V 0raussetzung für eine Durchbrechung der Ehelichkeitsvermutung ist danach, daß das Kind keinen Personenstandsbesitz (possession d'etat) gegenüber dem Ehemann der Mutter aufweist. Nach Art. 311-1 C.C. ist die possession d'etat eine Gesamtheit von Umständen, die darauf hindeuten, daß ein Abstammungsverhältnis zwischen zwei Personen besteht. Maßstab dafiir ist nach Art. 311-2

gerechnet, wenn die Ehe durch Tod, nicht aber, wenn sie durch Scheidung aufgelöst wurde (näher dazu unten A.I.2). 2 Vgl. Schwenzer, Status, S. 229 und Labrusse-RiouiLe Guidec, Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 13. 3 Schwenzer, Status, S. 234; Schwenzer, Gutachten, S. A 26; Beitzke, FS MüllerFreienfels, 1986, S. 39 f. Vgl. auch Labrusse-RiouiLe Guidec, Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 15.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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c.c.

die Frage, ob das Kind den Namen des Vaters trägt (nomen), ob es von ihm als sein Kind behandelt (tractatus) und von der Umwelt als solches angesehen wird (fama). Der Personenstandsbesitz ist also Ausdruck einer gelebten Vater-Kind-Beziehung, einer "filiation quotidiennement vecue et concrete".4 Die Ehelichkeitsvermutung wird allerdings nur dann durchbrochen, wenn zur fehlenden possession d'etat ein weiteres Element hinzutritt: Entweder daß die Mutter bei der Geburt nicht den Namen ihres Ehemannes als Kindesvater angegeben hat (Art. 313-1 C.C.)s oder daß ein Urteil auf Ehescheidung ergangen oder eine Scheidungsklage erhoben worden ist und das Kind später als 300 Tage nach der das Getrenntleben der Ehegatten gestattenden gerichtlichen Entscheidung und weniger als 180 Tage nach der endgültigen Abweisung der Klage oder der Versöhnung geboren wurde (Art. 313 Abs. 1 c.cf In beiden Fallgestaltungen deuten objektive Anhaltspunkte darauf hin, daß es im Zeitpunkt der Empfängnis bereits zu einem faktischen Ende der ehelichen Gemeinschaft gekommen war, so daß eine Abstammung des Kindes vom Ehemann der Mutter unwahrscheinlich ist. Es steht aber sowohl den Eheleuten als auch dem volljährigen Kind offen, in einem gerichtlichen Verfahren nachzuweisen, daß in der gesetzlichen Empfängniszeit ein "tatsächliches Zusammensein der Ehegatten stattgefunden hat, welches die Vaterschaft des Ehemannes wahrscheinlich macht" (Art. 313-2 c.c.). Da in diesem Verfahren der Rückgriff auf Vaterschafts gutachten zulässig ist, wird hier oftmals die Abstammung mit der gleichen Sicherheit wie bei einer Ehelichkeitsanfechtung geklärt. 7 Allerdings ziehen die Gerichte keineswegs in jedem Fall medizinische Abstammungsgutachten heran. Nach dem Grundsatz der freien Beweisfiihrung begnügen sie sich oftmals mit Zeugenaussagen oder der Vorlage von Briefwechseln, um zu klären, ob es in der Empfängniszeit zu einem sexuellen Kontakt zwischen den Ehegatten gekommen ist. 8 4

Granet-Lambrechts, note sous CA Paris, 13.3.1992, D. 1993, Somm., 43. Zusätzlich muß eine possession d'erat gegenüber der Mutter bestehen, was aber in den meisten Fällen selbstverständlich ist. 6 In der französischen Lehre wird vorgeschlagen, der gerichtlich angeordneten Trennung die faktische Trennung gleichzustellen (Labrusse-Riou/Le Guidec, Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 25 und 26). 7 Vgl. z.B. TGI Paris, 24.1.1983, D. 1983, IR, 327, obs. Huet-Weiller; CA Versailles, 29.11.1993, D. 1994, Somm., 113, obs. Granet-Lambrechts; Cass., 18.3.1981, D. 1982, IR, 254, obs. Huet-Weiller. 8 Vgl. z.B. Cass., 19.5.1988, D. 1988, Somm., 403 (Hier wurde keine Blutuntersuchung angeordnet, obwohl der Lebenswandel der Frau als "une vie tres libre" bezeichnet wurde); Cass., 29.6.1994, D. 1995, Somm., 112, obs. Granet-Lambrechts (Die gemeinsame Teilnahme der Eheleute an Familienfeiern und gemeinsamer Urlaub reichte den Richtern aus, obwohl die Ehefrau eine Blutuntersuchung verlangte.); vgl. 5

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Diese komplizierte Regelung des französischen Rechts versucht, mit Hilfe flexibler Maßstäbe die Vorschriften über die Vater-Kind-Zuordnung an die gelebte Familienwirklichkeit anzugleichen. Allerdings ist ungeklärt, welche Funktion dem Personenstandsbesitz in diesem Zusammenhang zukommt: In einem Fall, den die Cour d'appel de Pau zu entscheiden hatte, war offenkundig und zwischen den Beteiligten auch unstreitig, daß das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammte. Dennoch wollte das Gericht einen Personenstandsbesitz gegenüber dem Ehemann nicht ausschließen, weil sich dieser mit der Mutter wieder versöhnt, von einer Scheidung Abstand genommen und das Kind wie ein gemeinsames aufgezogen hatte. 9

So alltäglich dieser Fall zu sein scheint, war doch unklar, ob die vorliegenden Umstände ausreichten, um eine possession d'etat des Kindes gegenüber dem Muttergatten bejahen zu können. Indizien für das Vorliegen eines Personenstandsbesitzes sind nach der allgemeinen Deftnition in Art. 311-2 C.C. dann gegeben, wenn der Vater das Kind wie sein eigenes behandelt, er insbesondere in seiner Eigenschaft als Vater für Erziehung und Unterhalt aufgekommen ist. Doch wann jemand in seiner Eigenschaft als Vater auftritt, hängt davon ab, wen man als Vater ansieht. Betrachtet man als "Vater" ausschließlich den biologischen Vater, konnte im vorliegenden Fall der Ehemann niemals in seiner Eigenschaft als Vater für das Kind gesorgt haben, denn er wußte genau, daß es sich nicht um sein Kind handelte. In seiner Eigenschaft als Vater kann bei einem solchen Ansatz nur derjenige handeln, der sich zumindest selbst für den Erzeuger hält. IO Stellt man bei der Auslegung des Vaterbegriffs dagegen mit der in Frankreich wohl herrschenden Meinung die gelebte Wirklichkeit, die ,,realite socio-affective", in den Vordergrund, so ist ausschlaggebend, ob der Ehemann faktisch die Vaterrolle übernommen hat. 11

auch TGI Paris, 21.5.1991, D. 1993, Somm., 323, obs. Granet-Lambrechts; CA Grenoble, 24.5.1994, D. 1996,147. 9 CA Pau, 17.3.1975, D. 1975, 597 note Huet-Weiller; vgl. auch CA Nancy, 3.10.1988, D. 1989, Somm., 363, obs. Huet-Weiller, wo der spärliche Sachverhalt allerdings kaum Rückschlüsse auf die biologischen Abstammungsverhältnisse erlaubt. 10 So der Ansatz von Huet-Weiller, note sous CA Pau, 17.3.1975, und TGI Paris, 13.5.1975, D. 1975,597; vgl. auch CA Paris, 13.3.1992, D. 1993, Somm., 43, obs. Granet-Lambrechts; Benabent, n. 441. 11 CA Pau, 17.3.1975, D. 1975,597 note Huet-Weiller; vgl. auch CA Versailles, 12.4.1983, D. 1983, 554, wo Zweifel des Ehemannes an seiner Erzeugerschaft als unbeachtlich angesehen wurden. Auch Carbonnier, n. 276 und Granet-Lambrechts, note sous CA Paris, 13.3.1992, D. 1993, Somm., 43 halten hier die Entstehung einer possession d'itat für möglich. Vgl. auch allgemein: Hauser/Huet-Weiller, n. 567 und 449; Labrusse-RiouiLe Guidec, Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 39; Bouvier, RTD civ. 1990,398 betont die durch den Personenstandsbesitz zum Ausdruck kommende Akzeptanz des Kindes durch den Vater. Vgl. Carbonnier, n. 258 und 263, der in Bezug auf die possession d'etat sagt: "Le fait de vivre comme si le lien biologique existait."

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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Diese Fallgestaltung zeigt, daß je nachdem, in welchem Lichte die possession d'etat betrachtet wird, man eher der biologischen Abstammung oder den tatsächlichen Bindungen den Vorrang geben kann. Die französische Rechtsprechung hat sich allerdings auf keinen der beiden Standpunkte eindeutig festgelegt. Der Personenstandsbesitz bietet in jedem neuen Fall wieder einen Spielraum, um die Wertvorstellungen des Richters einfließen zu lassen und die Auslegung vorzunehmen, die der konkreten Konstellation am besten gerecht zu werden scheint. 12 Dies zeigt auch folgender Fall: Während der Schwangerschaft hatten die Eheleute sich "gemeinsam auf die Geburt des Kindes gefreut". Als der Ehemann seine Frau einige Tage nach der Entbindung im Krankenhaus besuchte, fand er einen fremden Mann an ihrem Bett. Dieser wurde ihm von seiner Ehefrau als der Erzeuger des Kindes vorgestellt, zu dem sie nun ziehen würde. Demgegenüber beharrte der Ehemann darauf, er sei der Vater des Kindes und erstritt sich im Scheidungsverfahren ein Besuchsrecht. Die Cour d'appel bejahte einen Personenstandsbesitz des Kindes gegenüber dem Ehemann und stellte entscheidend darauf ab, daß die Eheleute gemeinsam einen Namen für das Kind ausgesucht, zusammen Wiege und Babykleidung gekauft und der Vater das Kind in den zwei Wochen des Krankenhausaufenthaltes wie sein eigenes behandelt hatte. 13

Dadurch, daß die Mutter bereits wenige Tage nach der Entbindung zu dem vermeintlichen Erzeuger gezogen war, konnte ein intensiver Kontakt zwischen Kind und Muttergatten nie entstehen. Vielmehr stellte der neue Lebensgefährte der Mutter für das Kind von Anfang an die maßgebliche männliche Bezugsperson dar. Sieht man den Personenstandsbesitz als Ausdruck einer gelebten Sozialbeziehung an, so stellte der vorliegende Fall geradezu ein Paradebeispiel für eine fehlende possession d'etat dar. Dies hätte aber zur Konsequenz, daß eine Mutter allein dadurch, daß sie ihren Ehemann verläßt, diesem die Vaterschaft entziehen kann. Deshalb sah das Gericht zur Begründung des Personenstandsbesitzes und damit zum Eingreifen der Pater-est-Regel als ausreichend an, daß der Ehemann vor der Geburt die Rechte und Pflichten eines Vaters ausgeübt und sie nach der Geburt in dem Maße wahrgenommen hatte, wie es die Umstände der Trennung erlaubten. 14 Diese Entscheidung ist nicht unproblematisch. Will man die gelebte VaterKind-Beziehung in den Vordergrund stellen, bleibt davon nicht viel übrig,

CAPau, 17.3.1975,D. 1975,597noteHuet-Weiller. CA Paris, 5.2.1976, D. 1976,573 note Paire; vgl. auch CA Douai, 12.1.1977, D. 1979, IR, 242 obs. Huet-Weiller. 14 CA Paris, 5.2.1976, D. 1976,573; vgl. Cass., 3.3.1992, Bull. civ. I, n. 69; auch CA Lyon, 6.1.1994, RTD civ. 1994,337 bejahte bei einer Trennung ein Jahr nach der Geburt den Fortbestand einer possession d'e/at des Ehegatten. HauserIHuet-Weiller, n.569; Guiho, n.363; Chardin/Henry, J.-Cl. civ., fasc. 10, Art. 312 a 318-2, n.68; Labrusse-RiouiLe Guidec, Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 36. Huet-Weiller, note sous CAPau, 17.3.1975undTGIParis, 13.5.1975,D.1975,597. 12

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2. Kapitel: Abstarnmungsfeststellung mit Statusfolgen

wenn man maßgeblich auf das pränatale Verhalten des Ehemannes abhebtY Durch die Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung im französischen Recht wird insgesamt nicht viel gewonnen. Oftmals wird - wie im vorliegenden Fall erst eine Ehelichkeitsanfechtung Gewißheit über die biologische Abstammung bringen und damit Rechtsfrieden schaffen. Unbefriedigend ist die Rechtslage auch dann, wenn die Mutter zunächst ihren Ehemann verläßt, aber später wieder zu ihm zurückkehrt. Die Rechtsprechung hat in diesem Fall ein Wiederaufleben der possession d'etat für möglich gehalten. 16 Das gilt auch dann, wenn die Ehegatten bereits während der Empfängniszeit getrennt lebten. 17 Ohne daß es jemals zu einem Prozeß gekommen wäre und oftmals allein aufgrund der Angaben der Eltem l8 , gilt das Kind zunächst als ehelich, dann als nichtehelich und schließlich doch wieder als ehelich. 19 Damit wird eine für Statusfragen fast unerträgliche Ungewißheit verursacht. Zwar wird in der französischen Literatur die Einschränkung der Pater-estRegel für einen Rückgang der Ehelichkeitsanfechtungsverfahren verantwortlich gemach~O, doch bleibt offen, ob es nicht statt dessen zu einer Zunahme an gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen ist, in denen die Frage der ehelichen Abstammung inzident zu prüfen war und dann über das Eingreifen einer der Ausnahmetatbestände Streit entbrannte. Veröffentlichte Rechtsprechung ist diesbezüglich auf jeden Fall reichlich vorhanden.

15 Extremes Beispiel für die Bejahung einer "pränatalen possession d'etat" TGI Nanterre, 8.6.1988, D. 1988, Sornm., 400, obs. Huet-Weil/er, wo der Vater vor der Geburt des Kindes bereits gestorben war und dennoch das Vorliegen einer possession d'etat bejaht wurde. Ablehnend gegenüber einer "pränatalen possession d'etat" CA Nimes, 3.3.1992, JCP 1993, IV, 574. 16 TGI Avesnes-sur-Helpe, 27.6.1974, Gaz. Pa!. 1976, 1, Sornm., 178; vg!. auch TGI Nantes, 10.4.1984, D. 1986, IR, 60, obs. Huet-Weiller. Etwas anderes gilt, wenn der zwischenzeitliche Lebensgefährte das Kind anerkannt hatte und auch nach der Trennung an seiner Vaterschaft festhält. Dann entsteht ein conflit de filiation, der nach Art. 311-12 C.C. aufzulösen ist (CA Paris, 15.3.1977, D. 1978,266 note Massip; vg!. auch Cass., 4.5.1994, Bull. civ. I, n. 157). 17 TGI Paris, 14.6.1982, D. 1983, IR, 327 obs. Huet-Weil/er; vg!. auch TGI Colmar, 21.1.1985, D. 1986, 57 obs. Huet-Weiller; HauserIHuet-Weiller, n.569; MartylRaynaud, n. 139 bis. 18 VgJ. Cass., 7.6.1989, D. 1989, Sornm., 362, obs. Huet-Weil/er. 19 Auch wenn die Gerichte einen ca. 10 Jahre dauernden Personenstandsbesitz als endgültig und unumstößlich betrachten (Cass., 28.5.1991, Bull. civ. I, n. 166; CA Nancy, 3.10.1988, D. 1989, Sornm., 363, obs. Huet-Weiller). 20 Rubellin-Devichi, Annual Survey of Farnily Law 1983-84, 62; Carbonnier, n.284.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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Auch was die Kinder anbelangt, die zu Beginn einer Ehe geboren werden, macht das französische Recht eine Einschränkung: Wurde das Kind innerhalb der ersten 179 Tage der Ehe geboren, liegt die Zeugung also vor der Eheschließung, kann der Ehemann die Vaterschaft gern. Art. 314 C.c. durch eine bloße Erklärung bestreiten (sog. desaveu par simple denegation). Im Gegensatz zur Ehelichkeitsalifechtung ist es bei der Ehelichkeitsbestreitung nicht erforderlich, den Nachweis der Nichtabstammung des Kindes zu erbringen. 21 Die bloße Erklärung des Mannes, das Kind stamme nicht von ihm ab, führt zur Widerlegung der Ehelichkeitsvermutung. Ausgeschlossen ist diese Vaterschaftsbestreitung dann, wenn der Ehemann bei der Hochzeit bereits wußte, daß seine Verlobte schwanger war, oder er sich nach der Geburt gegenüber dem Kind "comme le pere" verhalten hat (Art. 314 Abs. 3 C.C.). 2. Reform des deutschen Rechts Das deutsche Recht schränkte bis zur Reform vom 1.7.1998 die Pater-estRegel in keiner Weise ein. Ein Kind, das während oder innerhalb von 302 Tagen nach Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe geboren wurde, galt stets als Kind des Muttergatten (§ 1593 BGB a.F.). Diese starre Haltung geriet unter Kritik. Rechtssystematisch wurde auf den Widerspruch zu den Trennungsfristen bei der Ehescheidung hingewiesen, die eine Beiwohnung durch den Ehemann in dieser Zeit unwahrscheinlich erscheinen ließen. 22 Rechtstatsächlich wurde eine Zunahme an Ehelichkeitsanfechtungsverfahren beklagt, die man auf eine steigende Anzahl "scheinehelicher" Kinder zurückführte. 23 Während sich der historische Gesetzgeber wegen der eklatanten Ungleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder auf den Standpunkt gestellt hatte, daß im Zweifel der "mögliche eheliche Vater als der wirkliche eheliche Vater" zu gelten habe 24 , konnte diese Erwägung heute angesichts der weitgehend verwirklichten Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder keine entscheidende Rolle mehr spielen. Eine dem französischen Recht vergleichbare Flexibilität, die naturgemäß mit einer großen Unbestimmtheit und Unsicherheit Hand in Hand gehen würde, lag dem deutschen Recht traditionell fern. Deshalb versuchte der Gesetzgeber Guiho, J.-Cl. eiv., fase. 2, Art. 312 a 318, n. 60. Frank, FamRZ 1992, 1365, 1371; Röwer, Refonnen im Familienreeht, FS Merz, 1992, S. 523. 23 Brandstätter, DAVonn 1989,353; Deinert, DAVonn 1988,989 f.; van Eis, DAVonn 1989, 641, 642; Feuerabend, DAVonn 1989,203 f.; N. N., DAVonn 1990,775. 24 Motive bei Mugdan, Die gesamten Motive zum BGB, IV. Bd., Familienreeht (1899), S. 348. 21

22

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

durch das KindRG, das Abstammungsrecht unter Orientierung an eindeutigeren und leichter zu bestimmenden Zuordnungskriterien fortzuentwickeln. Nach skandinavischem Vorbild25 ist der Ehemann der Mutter nur noch dann Vater des Kindes, wenn er zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist (§ 1592 Nr. 1 BGB n.F.) oder die Ehe durch Tod aufgelöst wurde und das Kind innerhalb von 300 Tagen danach geboren ist (§ 1593 Abs. 1 S. 1 BGB n.F.).26 Für eine Vater-Kind-Zuordnung reicht es also nicht mehr - wie nach bisherigem Recht - aus, daß das Kind während bestehender Ehe gezeugt wurde, wenn die Eheleute im Zeitpunkt der Geburt bereits geschieden sind. Demgegenüber bleibt es bei einer Auflösung der Ehe durch Tod bei der Zuordnung zum Muttergatten, denn hier sprechen die Umstände - anders als bei der Auflösung durch Scheidung - nicht von vornherein gegen dessen Vaterschaft. Ergänzt wird diese Einschränkung der Vaterschaftsvermutung in Anlehnung an ausländische Vorbilder durch die Einführung einer Anerkennungsmöglichkeit für eheliche Kinder, soweit das Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrags geboren wird und der (Noch-)Ehernann mit dem Anerkenntnis einverstanden ist (§ 1599 Abs. 2 S. 2 BGB n.F.). Sobald alle Wirksamkeitsvoraussetzungen für das Vaterschaftsanerkenntnis erfüllt sind, erlischt die Vaterschaft des Ehemannes, ohne daß es vorher einer Anfechtung bedarf (§ 1599 Abs.2 S. 1 BGB n.F.).27 Durch diese Vorschrift will sich der Gesetzgeber gleich mehrfach absichern: Er kombiniert objektive (Geburt des Kindes nach Anhängigkeit des Scheidungsantrages) und subjektive Umstände (Einigkeit aller Beteiligten), die allesamt gegen die Abstammung des Kindes vom Muttergatten sprechen, und gewährleistet gleichzeitig, daß das Kind durch die Vaterschaftsaberkennung nicht vaterlos wird, sondern sofort ein neuer Vater feststeht. 28 In manchen Fällen könnte diese Regelung freilich zu einer Odyssee fUhren: Wurde K als Kind der Eheleute M und V geboren und dann unter den oben genannten Voraussetzungen von D anerkannt, hindert das den D nicht, seine 25 Norwegen: § 3 KinderG 1981; Schweden: I. Kap. § 1 E1temG 1949. 26 So schon der Vorschlag von Neuhaus, Ehe und Kindschaft, 1979, S. 234. 27 Als zusätzlichen Anknüpfungspunkt benutzen manche Länder die gerichtliche

oder faktische Trennung der Ehegatten: Belgien: Art. 320 C.C.; Dänemark: § 7 der Bekanntmachung vorn 15. September 1982 über die Behandlung von Vaterschaftssachen; Frankreich: Art. 334-8, 334-9 C.C.; Niederlande: Art. 1:198 BW. Auch in Norwegen und Schweden finden sich ähnliche Regelungen, die aber das Vaterschaftsanerkenntnis von einer behördlichen Genehmigung abhängig machen, bei der die Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Anerkennenden geprüft wird (vgl. Dopffel, Ehelichkeitsanfechtung durch das Kind, 1990, S. 57 0. 28 Sehr kritisch zu diesem Verfahren: Gaul, FarnRZ 1997, 1441, 1454 ff. und Diederichsen, NJW 1998, 1977, 1979, der dieses Verfahren sogar für verfassungsrechtlich bedenklich hält.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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Vaterschaft anzufechten. Hat er damit Erfolg, stellt sich die Frage, ob damit V wieder automatisch Vater wird29 , oder ob K nun gegen seinen ursprünglichen Vater V eine Vaterschafts feststellung betreiben muß. Das neue Recht regelt diese Frage nicht ausdrücklich, doch sprechen so viele Indizien gegen die Vaterschaft des ursprünglichen Ehemannes, daß die alte Ehe kaum mehr ein tragfähiges Zuordnungskriterium sein kann. Eine endgültige und eindeutige Klärung der Abstammungsverhältnisse im Wege einer Vaterschaftsfeststellung ist deshalb erforderlich. 30 Im Gegensatz zum französischen kennt das deutsche Recht nach wie vor keine Durchbrechung der Pater-est-Regel fiir Kinder, die vorehelich gezeugt, aber während der Ehe geboren werden. Da die Schwangerschaft nach wie vor häufig Grund fiir die Eheschließung ist, dürfte insoweit eine Einschränkung weder erforderlich noch zweckmäßig sein. 3. Stellungnahme

Ob die deutsche Reform zu einer stärkeren Übereinstimmung zwischen Ehelichkeitsvermutung und biologischer Abstammung und damit auch zu einer Abnahme der Ehelichkeitsanfechtungen führen wird, bleibt abzuwarten. Nach wie vor bezieht sich die Ehelichkeitsvermutung nach deutschem Recht auch auf Kinder, die zwar während eines länger dauernden Ehescheidungsverfahrens gezeugt, aber noch vor Rechtskraft der Scheidung geboren werden, oder bei denen die Eltern getrennt leben, ohne sich scheiden zu lassenY Allerdings kann man daran zweifeln, ob es sinnvoll wäre, auch in diesen Fällen die Ehelichkeitsvermutung zu durchbrechen. Die Analyse des französischen Rechts hat gezeigt, daß der Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung Grenzen gesetzt sind, will man Praktikabilität und Rechtssicherheit nicht aufs Spiel setzen. Verlagert man die Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung zeitlich weiter nach vorne oder berücksichtigt man auch Situationen faktischer Trennung, entsteht schnell das Bedürfnis - wie im französischen Recht -, Gegenausnahmen vorzusehen oder eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. Die deutsche Regelung stellt eine maßvolle und praktikable Einschränkung der Ehelichkeitsvermutung dar,

29 Dies hatte Deinert, DAVorm 1988,990 de lege ferenda gefordert. Allerdings sah sein Vorschlag eine weitergehende Vaterschaftsaberkennung vor, als in dem KindRG nun verwirklicht wurde. 30 So ohne Begründung auch Greßmann, Rz. 74; Gaul, FamRZ 1997, 1441, 1448 leitet diese Folge aus § 1599 Abs. 1 BGB n.F. ab. 31 Das TGI Paris, 1.3.1977, D. 1978,63 hat das Eingreifen der Pater-est-Regel in dem Fall, daß die Eheleute schon lange getrennt leben, als Verstoß gegen den französischen ordre public gewertet.

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2. Kapitel: Abstarnmungsfeststellung mit Statusfolgen

auch wenn sie nicht versucht, alle denkbaren Konstellationen zu berücksichtigen. Letzten Endes gilt fiir beide Rechtsordnungen: Wie weit man auch immer danach strebt, die Ehelichkeitsverrnutung aufgrund der Pater-est-Regel den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen, Sicherheit bezüglich der biologischen Herkunft des Kindes wird man nie erlangen, solange man es bei einer automatischen Zuordnung aufgrund der Ehe beläßt. Gewißheit über die eigene Abstammung wird ein eheliches Kind erst dann erlangen, wenn es seinen aufgrund Geburt erworbenen Status durch eine Anfechtungsklage überprüfen kann.

11. Vaterschaftsanerkenntnis und Vaterschaftsfeststellung Im gleichen Maße wie in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Eheschließungen ab_ 32 und die der Ehescheidungen zugenommen33 hat, hat die Ehe zwischen Vater und Mutter als Zuordnungskriterium fiir das Kind an Bedeutung verloren. 1. Demographische Rahmenbedingungen In Frankreich wurden im Jahre 1993 ca. 33 % aller Kinder von unverheirateten Müttern geboren. 34 In Deutschland unterscheiden sich die Zahlen in den neuen Bundesländern (41 %) und in den alten Bundesländern (12 %) ganz erheblich. Bezogen auf Gesamtdeutschland lag der Prozentsatz 1994 bei 15 %.35 Somit ist die Anzahl nichtehelicher Geburten in Frankreich prozentual ungefähr doppelt so hoch wie in Deutschland. Für die Zuordnung eines nichtehelichen Kindes zu seinem Vater kommt in erster Linie eine freiwillige Anerkennung in Frage. In Frankreich wurden im Jahre 1992 ca. 70 % aller nichtehelich geborenen Kinder von ihrem Vater be-

32 Während in Deutschland im Jahre 1960 noch 521.445 Eheschließungen zu verzeichnen waren, betrug die Zahl im Jahre 1994 - bezogen auf das frühere Bundesgebiet - noch 387.815 (BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 35). In Frankreich gab es im Jahre 1974394.000 Eheschließungen, dagegen im Jahre 1990 nur noch 288.000 (Carbonnier, n. 104). 33 Im Jahre 1960 wurden 9 % der Ehen wieder geschieden, im Jahre 1994 waren es - bezogen auf das frühere Bundesgebiet - 37 % (BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 35). In Frankreich wurden im Jahre 199035 % der Ehen wieder geschieden (Carbonnier, n. 104). 34 DAVorm, 1996,143; Carbonnier, n. 302. 35 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 37; DAVorm 1996, 143.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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reits im Zusammenhang mit ihrer Geburt anerkannt36, 2 bis 3 Jahre nach ihrer Geburt waren es fast 85 %.37 In Deutschland wird fiir das Jahr 1994 der Prozentsatz der anerkannten nichtehelichen Kinder mit 86 % angegeben, wobei wiederum die Zahlen in den alten Bundesländern (83,5 %) und den neuen Bundesländern (93,6 %) recht unterschiedlich ausfallen. 38 Problematisch ist, daß die Angaben fiir Deutschland sich auf die Gesamtheit der in einem Jahr abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisse beziehen, also auch Kinder betreffen, die gar nicht im gleichen Jahr geboren wurden. Eine verläßliche Aussage, wieviele Kinder eines bestimmten Jahrgangs tatsächlich anerkannt wurden und innerhalb welchen Zeitraums, ist damit fiir Deutschland nicht möglich. 39 Cum grano salis kann aber doch wohl festgehalten werden, daß in Deutschland und Frankreich etwa gleich viele Kinder von ihrem Vater freiwillig anerkannt werden. Dies ergibt sich aus einer Gegenüberstellung der in Frankreich 2-3 Jahre nach ihrer Geburt anerkannten Kinder eines Jahrgangs (85 %) und der in Deutschland in einem Jahr insgesamt anerkannten nichtehelichen Kinder (86 %). Was die gerichtliche Vaterschafts feststellung angeht, so bestehen zwischen Frankreich und Deutschland erhebliche Unterschiede. In Frankreich wurden im Jahre 1990 - also vor der großen Reform aus dem Jahre 1993 - nur 155 Klagen auf Vaterschaftsfeststellung anhängig gemacht; davon wurden 57 (= 48 %) abgewiesen. 4o Neben diesen Klagen gab es im gleichen Jahr noch weitere 239 Unterhaltsklagen (sog. ac/ions a fins de subsides), bei denen eine vorgängige Statusklage nicht erforderlich ist. Die neuesten verfiigbaren Zahlen aus der Zeit nach der Reform stammen aus dem Jahre 1994. Reformbedingt war hier die Zahl der Vaterschaftsfeststellungsverfahren auf 598 gestiegen, die Zahl der Unterhaltsklagen auf 600. 41 Trotz des erheblichen prozentualen Anstiegs der Vaterschafts- und Unterhaltsklagen in Frankreich ist deren Zahl absolut gesehen immer noch gering im Verhältnis zu den Klagen auf Feststellung der Vaterschaft in Deutschland: Hier

36

37

Carbonnier, n. 309. Gouzes, JOAN, 28.4.1992, S. 737.

FuR, 1996,237. Ein Gutachten der sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle der Universität Bamberg aus dem Jahre 1995 ergab, daß in den alten Bundesländern bei 83,5 % aller nichtehe1ichen Kinder die Vaterschaft anerkannt war, in den neuen Bundesländern dagegen lag die Quote bei 87,9 % (BT-Drucks. 13/892 v. 24.3.1995, S. 19). Da sich auch diese Untersuchung nicht auf die Kinder eines bestimmten Jahrgangs bezieht, läßt sich nicht bestimmen, wieviele dieser Kinder vielleicht noch zu einem späteren Zeitpunkt anerkannt werden. 38 39

40

Carbonnier, n. 322.

41

Annuaire Statistique de la Justice, 1990-1994, La justice civile, Les saisines en

1994 - Affaires nouvelles auf fond. 5 Helms

66

2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

wurden im Jahre 1990 in den alten Bundesländern 6.326 Klagen auf Vaterschaftsfeststellung erhoben, wovon 417 (= 7 %) abgewiesen wurden. 42

2. Frankreich Sowohl in Frankreich (vgl. Art.334-8 c.e.) als auch in Deutschland (§ 1600a S. 1 1. Alt. BGB a.F.) ist fiir nichteheliche Kinder der gesetzlich vorrangig vorgesehene Zuordnungsmechanismus das Vaterschaftsanerkenntnis, denn im Vergleich zur gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung ist es mit einem geringeren Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Außerdem erscheint es fiir ein harmonisches Zusammenleben vorteilhaft, wenn die Abstammungsfrage ohne staatliche Intervention geklärt werden kann. a) Die ,,reconnaissances de complaisance" Keine Gewähr besteht allerdings dafiir, daß der Anerkennende der biologische Vater des Kindes ist. Nach französischem Recht ist fiir die Wirksamkeit des Anerkenntnisses allein die formgerechte Erklärung des Anerkennenden erforderlich. 43 Aber selbst wenn das Anerkenntnis wie im deutschen Recht von weiteren Zustimmungserklärungen, etwa der Mutter oder des Kindes, abhängig gemacht wird, besteht nie eine Garantie fiir die biologische Richtigkeit. 44 Wahrheits widrige Vaterschaftsanerkenntnisse sind in beiden Ländern nicht nur rechtlich wirksam, sie sind auch strafrechtlich unbedenklich: In Deutschland wird durch die Abgabe eines (wissentlich) wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkenntnisses nicht der Tatbestand der Personenstandsfälschung verwirklicht. 45 Maßgeblicher Grund hierfiir ist, daß ausweislich der Gesetzes-

42 BT-Drucks. 13/892 v. 24.3.1995, S. 19. Für das gesamte Bundesgebiet ergibt sich für das Jahr 1994 eine Zahl von fast 8.000 gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungen (FuR 1996,237). 43 Dekeuwer-DeJossez, D. 1986, Chr., 308 berichtet von verschiedenen Praktiken der Personenstandsregister, faktisch die Vaterschaftsanerkennung von der Zustimmung der Mutter abhängig zu machen, indem sie z.B. bei einem pränatalen Anerkenntnis die Vorlage einer Bescheinigung verlangen, daß die Freundin schwanger ist. 44 Sowohl der deutsche als auch der französische Gesetzgeber vertraute darauf, daß ein Mann grundsätzlich kein Interesse daran haben wird, ein wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis abzugeben, denn ein solches hat für ihn in erster Linie nachteilige Konsequenzen (Huet-WeillerIGranet-Lambrechts, J.-Cl. civ., Art. 335 a 339, n. 155; BT-Drucks. V/2370 v. 7.12.1967, S. 26). 45 Frank, ZbIJugR 1972, 260, 266; ders., Grenzen, S. \06; LK-Dippe/, StGB, 2. Aufl (5/1987), § 169 Rz. 16; SS-Lenckner, StGB, 23. Aufl. 1988, § 169 Rz. 7; a.A.: DreherITrönd/e, 47. Aufl. 1995, § 169 Rz. 6.

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materialien der Gesetzgeber mit der Fassung des § 1600a BGB a.F. "bewußt die Fälle in Kauf (nahm), in denen ein Mann die Vaterschaft in Kenntnis der Tatsache anerkennt, daß er nicht als Vater des Kindes in Frage kommt".46 Diese Wertung des Zivilrechts hat das Strafrecht bei der Auslegung des § 169 StGB zu beachten. 47 In Frankreich wurde die Frage, ob ein wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis gern. Art. 147 c.pen. wegen Personenstandsfälschung strafbar sei, durch eine Entscheidung der Cour de cassation geklärt. Der mutmaßliche Erzeuger hatte einen Freund durch Zahlung von 30.000 FF dazu veranlaßt, ein wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis abzugeben, um einer Vaterschaftsfeststellung der Mutter gegen ihn selbst vorläufig einen Riegel vorzuschieben. Trotz der besonders verwerflichen Umstände des konkreten Falles und trotz entgegenstehender herrschender Meinung in der Literatur48 verneinte das Gericht die Strafbarkeit. 49 Eine sachliche Begründung gab das Gericht für seine Entscheidung nicht. 50 Zwar ist in Deutschland und Frankreich die juristische Ausgangssituation weitgehend vergleichbar, doch spielt im Bewußtsein der Bevölkerung die Vaterschaftsanerkennung eine unterschiedliche Rolle: In Deutschland wird ein Kind i.d.R. nur dann anerkannt, wenn der Vater sich für den Erzeuger hält. Hat er Zweifel an seiner Vaterschaft, wird er es auf eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung ankommen lassen, um dann ggf. nach der Durchfiihrung der Blutuntersuchungen das Vaterschaftsanerkenntnis noch im Prozeß nachzuholen. Bezeichnend für diese Einstellung ist die Aussage In den Gesetzgebungsmaterialien zum NEheIG: "Eine freiwillige Anerkennung kann nicht als Beweis für ein erhöhtes Verantwortungsbewußtsein des Vaters gewertet werden ... Mancher verantwortungsbewußte Vater, ... der Anlaß zu Zweifeln an seiner Vaterschaft hat, wird eine gerichtliche KlarsteIlung vorziehen".51 In Frankreich dagegen sind sog. Gefälligkeitsanerkenntnisse (reconnaissances de complaisance), die nicht der biologischen Wahrheit entsprechen, an der Tagesordnung. 52 Es gilt die alte Regel: "Qui veut la mere prend l'enfant.,,53 46 BT-Drucks. VII1552 v. 4.12.1970, S. 11 f. 47 BT-Drucks. VII3521, S. 11; Frank, Grenzen, S. 106. 48 GebIer, S. 255; Veron, RTD civ. 1967,522 Fn. 6. In der Praxis wurden aber wissentlich falsche Vaterschaftsanerkenntnisse so gut wie nie verfolgt. 49 Cass., 8.3.1988, JCP 1989,11,21162, note Jeandidier. 50 Vgl. Jeandidier, note sous Cass., 8.3.1988, JCP 1989, 11, 21162. 51 BT-Drucks. V/2370 v. 7.12.1967, S. 26. 52 Cattala, JOAN, 28.4.1992, S.739: "probablement nombreuse"; GebIer, S. 254 ff.; Carbonnier, n. 263; Massip, note sous Cass., 6.12.1988, D. 1989,317: "tradition populaire"; Veron, RTD civ. 1967,529 "assez frequente"; Benabent, n. 491: "assez frequente". Genauso auch Labrusse-Riou, S. 136; Huet-Weiller/Le Guidec, Rep. Dalloz,

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Offensichtlich scheint dieser Grundsatz so tief im Bewußtsein der Bevölkerung verankert zu sein, daß manche Männer meinen, bei einer Eheschließung gesetzlich zur Anerkennung der Kinder ihrer Partnerin geradezu verpflichtet zu sein. 54 Neben Fällen, in denen die Mutter die Anerkennung ihres Kindes mehr oder weniger offen zur Bedingung für die Eheschließung macht oder der Mann zu stolz ist, die Vaterschaft eines anderen einzugestehen, wird als Hauptmotiv für diese Tradition angesehen "que les epoux trouvent naturel de faire coÜlcider la situation de fait et la situationjuridique".55 Ursprünglich diente das wissentlich falsche Vaterschaftsanerkenntnis in Frankreich vor allem dazu, die anschließende Legitimation des Kindes durch Eheschließung zu ermöglichen. Insofern stellte diese Praxis einen Ersatz für die Stiefkindadoption dar. 56 Einige Autoren berichteten sogar, daß fiüher französische Behörden von der Erhebung einer Vaterschaftsfeststellung gelegentlich abgeraten haben, um bei einer späteren Eheschließung der Mutter mit einem anderen Mann die Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung offenzuhalten. 57 Im Jahre 1959 schätzte Goguey die Anzahl der wahrheitswidrigen Vaterschaftsanerkenntnisse in Frankreich auf über 50 %.58 Auch heute noch wird berichtet, daß manche Zivilstandsbeamte bei der Eheschließung zur Anerkennung des vorehelichen Kindes drängen. 59 Mittlerweile sind wissentlich falsche Vaterschaftsanerkenntnisse auch im Rahmen nichtehelicher Lebensgemeinschaften bedeutsam geworden. 6O Hier sind sie die einzige Möglichkeit zur Konstituierung juristisch vollwertiger Familienbeziehungen, da nur Verheiratete gemeinsam ein Kind adoptieren können. 61 Filiation naturelle, n. 134: "frequentes"; Bernigaud, Petites affiches 1995,97. Krit. zu dieser Praxis: Malaurie/Aynes, n. 607: "on ne devrait jamais reconnaitre ce qui n'est pas"; ähnl. DreiJuss-Netter, RTD civ. 1996, 14. 53 Malaurie/Aynes, n. 607. 54 Savatier, D. 1950, Chron., 9; Houin, RTD civ. 1950, 18; Huet-Weiller/GranetLambrechts, J.-Cl. civ., Art. 335 a339, n. 155. 55 Savatier, D. 1950, Chron., 9: "daß die Eheleute es natürlich finden, die tatsächliche und die juristische Situation miteinander in Einklang zu bringen." 56 Frank, Grenzen, S. 99. 57 Bilger, ZbIJugR 1962,18,21; Madlener, S. 81 f. 58 Les reconnaissances et legitimations de complaisance, Paris 1959, S. 2. Houin, RTD civ. 1950, 21 schätzt die Zahl der legitimations de complaisance auf 10 % aller nichtehelichen Kinder. 59 Massip, note sous Cass., 6.12.1988, D. 1989,317. 60 Carbonnier, S. 491; Frank, FamRZ 1992, 1365, 1366. 61 Wissentlich falsche Vaterschaftsanerkenntnisses können auch zu unlauteren Zwecken eingesetzt werden: CA d'Anger, 1.12.1992, JCP 1993, I, Doctr., 3729, obs. Rubellin-Devichi. (Zwei Monate vor Einreichung der Scheidung hatte der Ehemann ein neunjähriges Kind anerkannt, um seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Frau zu mindern.)

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Naturgemäß sind keine genauen Angaben darüber vorhanden, wie oft wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnisse in Frankreich bzw. Deutschland vorkommen. Doch gibt es eine Reihe von Anhaltspunkten, welche die Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Praxis belegen. In der deutschen Rechtsprechung ist - soweit ersichtlich - bisher kein Fall veröffentlicht worden, in dem zu entscheiden war, ob das Jugendamt als Stellvertreter des Kindes die Zustimmung zu einem Vaterschaftsanerkenntnis verweigern darf, wenn die Mutter und das Kind mit dem Anerkenntnis einverstanden sind, aber aus sonstigen Umständen deutlich wird, daß die Erzeugerschaft des Mannes zweifelhaft ist. 62 In Frankreich dagegen gelangten immer wieder Fälle vor Gericht, in denen eine biologische Abstammung des Kindes vom Anerkennenden schon deshalb ausschied, weil der Altersabstand zwischen beiden zu gering war 63 oder weil das Kind eine andere Hautfarbe als Mutter und Anerkennender hatte 64 • Aus jüngerer Zeit stammt ein Fall, in dem der Partner einer Transsexuellen die Vaterschaft anerkannt hatte, obwohl sich aus der Geburtsurkunde der angeblichen Mutter deren ursprünglich männliches Geschlecht ergab. 65 Auch die Anzahl der Anfechtungen von Vaterschaftsanerkenntnissen ist aufschlußreich. In Deutschland existieren hierzu zwar keine genauen Zahlen66 , doch eine Anfrage von Oberloskamp bei einem AG ergab, daß von den 71 innerhalb eines bestimmten Zeitraums durchgeführten Kindschaftsprozessen 42 auf Vaterschaftsfeststellungen, 29 auf Ehelichkeitsanfechtungen und keine auf Vaterschaftsanfechtungen entfielen. 67 Bestätigt wird diese Angabe durch die geringe Anzahl an veröffentlichten Anfechtungsverfahren, in denen es um Vaterschaftsanerkenntnisse geht. 62 In der Literatur haben sich mit dieser Fragestellung beschäftigt: Frank, ZbIJugR, 1972,260,267 ff.; Göppinger, FamRZ 1970,59 ff. und Deichfuß, S. 63 ff. Letzterer gesteht zu, daß "einige dieser Konstellationen in der Praxis selten vorkommen werden". Auch Frank stellt nunmehr fest, daß wissentlich falsche Vaterschaftsanerkenntnisse "recht selten" sind (FamRZ 1992, 1365, 1366). Einen ersten veröffentlichten Anwendungsfall stellt nunmehr DIV-Gutachten, ZfJ 1998, 333 dar. 63 CA Colmar, 14.2.1950, JCP 1950, 5853, note Savatier (12 Jahre Altersunterschied); GebIer, S. 254 f. m.w.N. In TGI Paris, 6.3.1978, D. 1978, IR, 646, obs. HuetWeiller war die wahrheitswidrig anerkennende Mutter im Zeitpunkt der Empfängnis 12 Jahre alt. Als sie das neunjährige Kind kurz vor der Hochzeit mit dem Erzeuger anerkannte, lag bereits seit neun Jahren die Anerkennung seitens einer anderen Frau vor! 64 Frank, FamRZ 1992, 1365, 1366; vgl. auch TGI Seine, 14.12.1964, D. 1965, 507, note Rouast, allerdings handelte es sich hier um ein pränatales Anerkenntnis. 65 TGI Marseille, 27.1.1982, JCP 1983, 11, 20028, note Penneau. 66 Nur die Gesamtzahl an Vaterschaftsanfechtungen ist bekannt: 1986: 13.467 (Oberloskamp, FuR 1991,263,264). 67 FuR 1991,263,264.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

In Frankreich gab es im Jahre 1990 nur 397 Anfechtungen von Vaterschaftsanerkenntnissen, bis zum Jahre 1994 ist diese Zahl auf 1.276 angestiegen, was angesichts der insgesamt sehr geringen Zahl von Kindschaftsverfahren beachtenswert ist. 68 Zurückgeführt wird diese Entwicklung auf die hohe Scheidungsrate. Scheitert die Ehe oder die Beziehung, sieht der Mann oft keine Veranlassung, das wahrheitswidrige Anerkenntnis aufrechtzuerhalten und sich einer lästigen Unterhaltspflicht auszusetzen. Besonders schwer wiegt, daß im französischen Recht die Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung gern. Art. 339 Abs. 3 C.c. frühestens zehn Jahre nach Abgabe des Anerkenntnisses ausgeschlossen ist. Diese lange Verjährungsfrist gerät in Frankreich zunehmend unter Kritik. Zum Teil wird die Verkürzung der Frist69 , zum Teil der gänzliche Anfechtungsausschluß für bewußt wahrheitswidrige Anerkenntnisse gefordert. 70 Gemildert wird diese Härte für das Kind allerdings dadurch, daß ein Mann, der ein wissentlich falsches Vaterschaftsanerkenntnis mit Erfolg angefochten hat, zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden kann. Ursprünglich hatte die Rechtsprechung als Grundlage für diesen Schadensersatzanspruch die allgemeine Haftungsnorm des Art. 1383 C.C. herangezogen. 71 Als schuldhaft schädigende Handlung wurde die bewußte Abgabe des falschen Vaterschaftsanerkenntnisses angesehen. Die Cour de cassation ist nunmehr von dieser Begründung abgerückt, denn eine "legitimation de complaisance", die in Frankreich einer verbreiteten Tradition entspreche, könne nicht als schuldhafte Schadenszufügung angesehen werden. 72 Statt dessen wurde der Anspruch auf eine vertragliche Grundlage gestellt. 73 Durch die Vaterschaftsanerkennung gehe der Vater gegenüber dem Kind die Verpflichtung ein, für dieses wie sein eigenes zu

68 Annuaire Statistique de la Justice, 1990-1994, La justice civile, Les saisines en 1994 - Affaires nouvelles auf fond. Vgl. auch Rubellin-Devichi, JCP 1995, I, 3855, n. 7; Dreifuss-Netter, RTD civ. 1996, 12. 69 Dreifuss-Netter, RTD civ. 1996, 13; krit. auch NersoniRubellin-Devichi, RTD civ. 1982,596. 70 Philippe, D. 1991, Chron., 47. 71 Cass., 1.2.1960, JCP 1960, 11689, note Savatier; Cass., 4.3.1981, D. 1982, IR, 36; TGI Paris, 13.2.1975, Gaz. Pal. 1975, 1, 320, note Viatte; TGI Paris, 27.10. und 9.12.1980, D. 1981, IR, 300; TGI Strasbourg, 27.5.1983, D. 1986, IR, 65; TGI Paris, 30.6.1988, D. 1988, IR, 227. 72 Massip, note sous Cass., 6.12.1988, D. 1989,317. 73 Cass., 6.12.1988, D. 1989,317, note Massip; Cass., 21.7.1987, D. 1988,225, note Massip. Dem ist die Instanzrechtsprechung in der Folgezeit weitgehend gefolgt, vgl. die Nachweise bei Huet-WeilierIGranet-Lambrechts, J.-CI. civ., Art. 335 a 339, n.202.

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sorgen. Diese Verpflichtung werde durch die Erhebung der Anfechtungsklage verletzt. 74 Führt man sich diese Rechtsprechung vor Augen, so wird deutlich, daß im französischen Recht die Vaterschaftsanerkennung vor allem als willentliche Übernahme von Verantwortung fiir das Kind angesehen wird ("Ich will das Kind wie ein Vater behandeln.") und nicht so sehr als reine Wissenserklärung ("Ich bin der Vater des Kindes."). Denn die im Wege des Schadensersatzes auferlegte Unterhaltsverpflichtung trifft nicht den wahren Vater, sondern den, der sich wie ein Vater verhalten hat. 75 Allerdings stößt diese Konstruktion auf Schwierigkeiten, wenn nicht der Erzeuger selbst, sondern ein Dritter das bewußt wahrheitswidrige Anerkenntnis angefochten hat. Die Cour d'appel de Paris hat in einem solchen Fall in der Tat den Schadensersatzanspruch verneint, weil dem Anerkennenden nicht der Vorwurf gemacht werden könne, sein Versprechen gebrochen zu haben. 76 Die Cour d'appel de Pau dagegen griff wieder auf die frühere Rechtsprechung zurück und verurteilte den Anerkennenden aufgrund der allgemeinen Haftungsnorm des Art. 1383 C.C. zum Schadensersatz. 77 Ersetzt wird sowohl der wirtschaftliche Schaden, der durch den Verlust von Unterhaltsansprüchen entsteht, als auch der immaterielle Schaden, den das Kind durch den Verlust seiner Rechtsstellung und die Zurückweisung durch den Vater erleidet. Die Gerichte verfügen über einen großen Spielraum bei der Bemessung des Schadens. Entscheidend sind u.a. das Alter des Kindes und der bisherige Beitrag, den der Vater zum Unterhalt des Kindes geleistet hat. Die Höhe der zuerkannten Ansprüche reicht von 5.000 FF bis zu Summen über 100.000 FF. 78 Ein Anspruch ist allerdings nur dann gegeben, wenn der Vater

74 Solche Versuche, eine als unbillig empfundene gesetzliche Regelung durch die Zubilligung von SchadensersatzanspTÜchen abzumildern, besitzen im französischen Abstammungsrecht Tradition. Erinnert sei daran, daß zur Umgehung des Verbots der Vaterschaftsfeststellung die Rechtsprechung eine Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber dem Kind anerkannt hatte, wenn sich aus einem Schriftstück (z.B. Brief) sein Wille ergab, rur das Kind sorgen zu wollen (Cass., 3.2.1969, Bull. civ. I, n. 55; Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei Schmidt-Hidding, S. 71; Savatier, S. 110 ff). 75 Huet-Wei/ler/Le Guidec, Rep. Dalloz, Filiation naturelle, n. 193. 76 CA Paris, 9.4.1996, RTD civ. 1996,593. 77 CA Pau, 13.2.1995, RTD civ. 1996,376. 78 TGI Paris, 13.2.1975, Gaz. Pal. 1975, 1,320 (5.000 FF); Cass., 6.12.1988, D. 1989,317 (180.000 FF); Cass., 21.7.1987, D. 1988,225 (10.000 FF); CA Toulouse, 15.2.1993, wiedergegeben in J.-Cl. civ., Art. 335 a339, n. 202 (40.000 FF); CA Orleans, 27.7.1993, wiedergegeben in J.-CI. civ., Art. 335 a 339, n. 202 (5.000 FF); CA Nimes, 13.6.1994, wiedergegeben in l-CI. civ., Art. 335 a 339, n. 202 (50.000 FF); CA Dijon, 4.10.1994, JCP 1995, I, 3855, n. 7 (50.000 FF); CA Bordeaux, 29.11.1994, JCP 1995, I,

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

bewußt ein wahrheitswidriges Anerkenntnis abgegeben hat; hält er sich irrtümlich fiir den Vater, kann er die Verpflichtung durch Irrtwnsanfechtung zu Fall bringen. Aber auch in diesem Fall kann er keine Rückzahlung des bereits geleisteten Unterhalts verlangen. 79 b) Beschränkung der Vaterschaftsfeststellung Eine größere Gewißheit fiir eine biologisch zutreffende Vater-Kind-Zuordnung als das Anerkenntnis liefert naturgemäß die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung. Zur Klageerhebung berechtigt ist in Frankreich gern. Art. 340-2 Abs. 1 C.C. nur das Kind. Solange es minderjährig ist, kann die Mutter die Klage in seinem Namen erheben (Art. 340-2 Abs. 2 C.C.). Daneben besitzt sie kein eigenes Klagerecht. Auch dem nichtehelichen Erzeuger steht ein solches Recht nicht zu. Er hat schließlich die Möglichkeit, das Kind anzuerkennen, ohne sich dabei um irgendwelche Zustimmungserfordernisse kümmern zu müssen. Will er eigene Zweifel an seiner Vaterschaft beseitigen, müßte er diese Anerkennung anschließend anfechten. Die Umständlichkeit einer solchen Prozedur zeigt bereits, wie sehr im französischen Rechtsdenken das Vaterschaftsanerkenntnis im Vordergrund steht. Bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung hervorgehen, dürfen im französischen Recht nach wie vor verwandtschaftliche Beziehungen nur zur Mutter oder zum Vater begründet werden (Art. 334-10 C.C.). Im Regelfall wird dies darauf hinauslaufen, daß - angesichts der quasi automatischen Zuordnung zur Mutter - die statusrechtliche 80 Feststellung der Vater-Kind-Beziehung verhindert wird. Anläßlich der jüngsten Reform des französischen Rechts im Jahre 1993 hielt der Gesetzgeber bewußt an diesem Grundsatz fest. 81 Bedenkt man, daß auch heute noch in Frankreich im Vergleich zu Deutschland nur sehr wenige gerichtliche Vaterschaftsfeststellungsverfahren durchgefUhrt werden (Frankreich 1994: 598; Deutschland 1990: 6.326), ist zu untersuchen, worin die Gründe hierfiir liegen.

3855, n.7 (20.000 FF); CA Aix-en-Provence, 7.10.1994, JCP 1995, I, 3855, n.7 (l 00.000 FF bei Anfechtung durch Erben des Vaters). 79 TGI Seine, 14.12.1964, D. 1965, 507, note Rouast; CA Dijon, 19.4.1994, D. 1995, Somm., 223, obs. Granet-Lambrechts; Massip, note sous Cass., 21.7.1987, D. 1988,225. 80 Die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegen den Vater ist freilich zulässig (vgl. dazu im Abschnitt d). 81 Vgl. Huet-Weiller/Le Guidec, Rep. Dalloz, Filiation naturelle, n. 26.

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aa) "Presomptions ou indices graves .. Während nach der alten Fassung des Art. 340 C.C. eine Vaterschaftsfeststellung nur dann zulässig war, wenn einer von fünf cas d'ouverture vorlag, ist nach der neuen Fassung des Art. 340 C.C. eine Klage bereits dann möglich, wenn eine "Vermutung oder schwerwiegende Anzeichen (indices graves) für die Vaterschaft des Beklagten" bestehen. Dies bedeutet, daß ein Vaterschaftsfeststellungsprozeß in zwei Phasen abläuft. In einem ersten Stadium muß der Kläger mittels nicht-medizinischer Beweise darlegen, daß schwerwiegende Anzeichen für die Vaterschaft des Beklagten bestehen. Erst in einem zweiten Schritt können dann Abstammungsuntersuchungen angeordnet werden. In der Literatur wurden als mögliche indices graves - neben den bisherigen cas d' ouverture82 - eine Fülle von Anhaltspunkten aufgefiihrt. Granet nennt z.B.: "eine auffällige Ähnlichkeit im Aussehen; die Sorge des angeblichen Vaters für die Gesundheit, die Erziehung, die Religion des Kindes ... die Wünsche des angeblichen Vaters oder den Arztterrnin, den er im Hinblick auf eine von der Mutter durchzuführende Abtreibung verabredet hat; die Besuche, die er der Mutter während der gesetzlichen Empfängniszeit oder dem Kind nach der Geburt abgestattet hat; die Geschenke, die er dem Kind gemacht hat; seine Beteiligung an der Wahl des Vornamens für das Kind; seine Anwesenheit während der Geburt; die von ihm vorgenommene Anmeldung des Kindes zum Geburtsregister; die Begleichung von Rechnungen vor, während oder nach der Geburt; die Korrespondenz mit dem Kind oder der Mutter in Bezug auf das Kind, wenn der Inhalt seine Vaterschaft wahrscheinlich macht oder eine Anerkennung seiner Vaterschaft enthält ... der Kauf von Babyausstattung" .83 Eine erste Analyse der seither ergangenen Rechtsprechung bestätigt, daß die Gerichte den neuen Art. 340 C.C. recht großzügig handhaben und schwerwie-

82 Huet-Weiller/Le Guidec, Rep. Dalloz, Filiation naturelle, n. 203 ff.; Rubel/inDevichi, n. 1523. 83 J.-Cl. civ., Art. 340 a 340-7, n. 44: " ... une ressemblance physique frappante; les pn!occupations manifestees par le pere pretendu au sujet de la sante, de l'education, de la religion de l'enfant ... les souhaits exprimes par le pere pretendu ou le rendez-vous pris par lui-meme en vue d'une interruption volontaire de grossesse subie par la mere; les visites rendues a la mere durant la periode legale de la conception de l'enfant, ou a l'enfant apres la naissance; les. cadeaux offerts a l'enfant; l'aide apportee au choix de son prenom; la presence du pere pretendu lors de l'accouchement; la dec\aration de la naissance par ses soins; le reglement de facture avant, lors ou depuis la naissance; la correspondance adressee a l'enfant, ou a la mere apropos de l'enfant si le contenu rend credible la patemite ou s'il comporte un aveu de patemite ... l'achat du trousseau necessaire au nouveau-ne ... ".

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

gende Anhaltspunkte für die Vaterschaft des Beklagten bereits in Details sehen84 : Die Cour d'appel de Paris sah es als ausreichend an, daß der Beklagte "dabei überrascht worden war, wie er die Mutter umarmte, daß er häufig in ihrem Haus an~etrof­ fen und mehrere Male auf einem Spaziergang mit ihr beobachtet worden war". In einem anderen Urteil sah es das Gericht als ausreichend an, daß der Mann der Mutter Briefe geschrieben hatte, "deren Ton zeigt, daß sich ihre Beziehung nicht auf einer lediglich freundschaftlichen Ebene abspielte", mit ihr gemeinsam einen Mietvertrag rur ein Appartement unterzeichnet hatte und mehrere Male bei der Familie der Mutter übernachtet hatte. (Die Blutgrup~enuntersuchung ergab dann aber, daß er nur der Vater eines der beiden Kinder war.) 6

Im Regelfall aber wird das Vorliegen von indices graves abgeleitet aus einer längerdauernden und stabilen Beziehung während der gesetzlichen Empfängniszeit, deren Nachweis keine großen Schwierigkeiten bereitet. 87 Im Unterschied zum alten Recht können allerdings bereits flüchtige und zufällige Begegnungen zwischen Mutter und angeblichem Vater ausreichen, wenn sich aus ihnen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sexuelle Kontakte ergibt. 88 Kann jedoch die Mutter nicht die geringsten Anhaltspunkte für die Vaterschaft des Beklagten liefern, ist eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft unzulässig: So wurde es von der Cour d'appel de Dijon nicht als ausreichend angesehen, daß der Beklagte die Mutter in der Wöchnerinnenstation besucht hatte. 89 Auch die Weigerung, sich einer Blutuntersuchung zu unterziehen, wurde rur sich genommen nicht als "indice grave" angesehen, denn die Anordnung einer solchen Untersuchung ist gerade unzulässig, solange keine schwerwiegenden Anhaltspunkte rur die Vaterschaft bestehen. 9o

Derartige Urteile sind aber eher Randerscheinungen geblieben. Fast immer konnte die Mutter in den bislang veröffentlichten Entscheidungen ausreichende Anhaltspunkte für eine Vaterschaft des Beklagten vorweisen. Die Richter sind

84 Vgl. auch TGI Paris, 5.4.1994, D. 1995, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts; CA Paris, 17.11.1994, RTD civ. 1995,342, obs. Hauser. 85 CA Paris, 14.5.1993, D. 1994, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts. 86 CA Paris, 4.3.1994, D. 1995, Somm., 117, obs. Granet-Lambrechts. 87 TGI Paris, 21.9.1993, D. 1994, Somm., 118, obs. Granet-Lambrechts; CA Chambery, 8.2.1994, D. 1995, Somm., 118; CA Bordeaux, 28.2.1995, RTD civ. 1996, 138, obs. Hauser; Bernigaud, JCP 1995, I, 3813, n. 9 m.w.N.; Granet-Lambrechts, I-Cl. civ., Mise ajour, Art. 340 a 340-7, n. 31 f. m.w.N. 88 Granet-Lambrechts, I-Cl. civ., Art. 340 a 340-7, n. 46. 89 CA Dijon, 18.5.1995, D. 1996, Somm., 156 obs. crit. Granet-Lambrechts. 90 CA Toulouse, 21.2.1995, D. 1996. Somm., 156, obs. Granet-Lambrechts; vgl. zum alten Recht auch schon CA Bordeaux, 9.1.1992, D. 1992, Somm., 317.

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offensichtlich schnell bereit, auch schwache Indizien als "schwerwiegend" zu beurteilen. bb) Fristen Zwar stellen demnach die Klagevoraussetzungen des Art. 340 c.c. in der Praxis kaum eine Beschränkung für die Klageerhebung dar, doch ist die Vaterschaftsfeststellung in Frankreich nach wie vor rigiden Klagefristen uDterworfen. Gem. Art. 340-4 Abs. 1 C.C. muß das Feststellungsverfahren innerhalb von 2 Jahren nach der Geburt des Kindes betrieben werden. Lebt der Vater mit der Mutter in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft oder trägt er in seiner Eigenschaft als Vater (en qualite de pere) zum Unterhalt oder zur Erziehung des Kindes bei, beginnt die Frist mit dem Wegfall dieser Umstände zu laufen (Art. 340-4 Abs.2 c.c.). Bei Eintritt der Volljährigkeit beginnt für das Kind eine neue Zwei-Jahresfrist (Art. 340-4 Abs. 3 C.C.), allerdings ohne Rücksicht auf das evtl. Fortbestehen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Mutter. Diese kurzen Aus schluß fristen sollen die Mutter zum schnellen Handeln bewegen9 t, um den Verlust von Beweismitteln zu verhindern und den Familienftieden zu schützen. 92 Lebt die Mutter aber mit dem mutmaßlichen Erzeuger zusammen oder trägt dieser ohnehin freiwillig zum Unterhalt des Kindes bei, besteht für die Mutter oftmals eine "impossibilite morale", ihn zu verklagen. Deshalb ist der Fristablauf während dieser Zeit gehemmt. 93 Hat der mutmaßliche Erzeuger die Mutter des Kindes aber wieder verlassen oder seine Unterhaltsleistungen eingestellt und hat die Frau dennoch innerhalb von zwei Jahren keine Klage erhoben, vertraut man darauf, daß sie hierfür triftige Gründe haben wird94 : Der Unterhalt des Kindes könnte beispielsweise mittlerweile auf andere Weise gesichert sein. Allerdings soll das volljährig gewordene Kind noch einmal selbst über die Zweckmäßigkeit einer Klageerhebung entscheiden dürfen, denn die Mutter könnte durch den mutmaßlichen Erzeuger beeinflußt worden sein, oder das Schicksal des Kindes könnte ihr gleichgültig sein.

91 Benabent, n. 506; Granet-Lambrechts, J.-CI. civ., Art. 340 a 340-7, n. 86. Die Mutter kann vom Vater Schadensersatz verlangen, wenn dieser solange vorgab, die Anerkennung in Kürze zu erklären, bis die Klagefrist schließlich verstrichen war (Cass., 24.10.1973, Bull. civ. I, n. 283). 92 Malaurie/Aynes, n. 620; Benabent, n. 506. 93 Granet-Lambrechts, J.-CI. civ., Art. 340 a340-7, n. 78. 94 Granet-Lambrechts, J.-CI. civ. Art. 340 a340-7, n. 79.

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In der Rechtslehre werden diese insgesamt recht kurzen Ausschlußfristen allgemein als verfehlt angesehen95 , denn sie dienen lediglich dazu, den Erzeuger und dessen Familienfrieden zu schützen. Besonders hart sind diese Fristen im Falle einer Vaterschaftsanfechtung. Hat der Vater die Ehelichkeit oder sein Anerkenntnis später als zwei Jahre nach der Geburt angefochten, ist gegen den wahren Erzeuger keine Klage mehr möglich. Es erscheint absurd, daß in einem solchen Fall das Kind bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit warten muß, um dann doch noch eine Klage erheben zu können. Ist das Kind im Zeitpunkt der Vaterschaftsanfechtung schon älter als 20 Jahre, besteht überhaupt keine Klagemöglichkeit mehr. c) Abstammungsnachweis durch Personenstandsbesitz In einigen Fällen schadet jedoch dem Kind der Ablauf der Frist fiir die zwangsweise Vaterschaftsfeststellung nicht: Gern. Art.334-8 C.C. ist der Nachweis einer possession d'etat zwischen dem Kind und einem bestimmten Mann neben dem Vaterschaftsanerkenntnis und der Vaterschaftsfeststellung eine dritte Möglichkeit zur Feststellung der nichtehelichen Abstammung. In erster Linie hat der Gesetzgeber dabei an Fälle gedacht, in denen ein Mann nach Ablauf der Frist fiir die Vaterschaftsfeststellung verstirbt, ohne das Kind, mit dem er jahrelang zusammengelebt und fiir das er gesorgt hat, anerkannt zu haben. 96 Zwar ist der Abstammungsnachweis durch Personenstandsbesitz von seinen Tatbestandsvoraussetzungen her nicht auf diese Konstellation beschränkt, doch fmdet er in der Praxis hier seine fast ausschließliche Anwendung. 97 Nach Art. 311-1 C.e. ist die possession d'etat eine Gesamtheit von Umständen, die darauf hindeuten, daß ein Abstammungsverhältnis zwischen zwei Personen besteht. Damit der Personenstandsbesitz die nach Art. 311-1 Abs. 2 e.e. erforderliche Konstanz aufweist, ist es allerdings weder notwendig, daß er von Geburt an existiert, noch, daß er bis zu dem Zeitpunkt seiner Geltendrnachung fortbesteht. 98 Erforderlich ist lediglich, daß er eine gewisse Zeit bestanden hat. 99 Schwierig zu beurteilen ist die Rechtslage, wenn ein Kind 95 Malaurie/Aynes, n. 620; Benabent, n. 506; vgl. auch Dreyfus-Schmidt, JO Senat, 8.12.1992, S.3732; a.A.: Rubellin-Devichi, JCP 1993, 1,3659 ("obstacle efficace, et legitime, contre les actions abusives"). 96 Huet-Weiller, J.-CI. civ., Art. 334-8 a334-10, n. 18. 97 Bernigaud, JCP 1993, I, 3688; Hauser/Huet-Weiller, RTD civ. 1991,727; Suttan, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 536: Lediglich eine Entscheidung sei veröffentlicht, in der es nicht in letzter Konsequenz um die Geltendmachung erbrechtlicher Ansprüche ging. 98 CA Versailles, 12.4.1983, D. 1983,554, note Huet-Weiller; TGI Paris, 24.4.1984, D. 1984, 572, 1 esp., note Huet-Weiller. 99 Huet-Weiller, J.-CI. civ., Art. 334-8 a334-1O, n. 27.

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nacheinander mit verschiedenen Partnern der Mutter zusammengelebt hat. Hier neigt die französische Judikatur dazu, die letzte possession d'etat zu bevorzugen. 100 Diese Rechtsprechung verdeutlicht aufs neue, daß der Personenstandsbesitz sich nicht an der biologischen Wahrscheinlichkeit der Abstammung orientiert, sondern an der noch am ehesten lebendigen und fiir das Kind wichtigsten Sozialbeziehung. Außerprozessual kann der Nachweis des Personenstandsbesitzes durch eine sog. Offenkundigkeitsurkunde (acte de notoriete) geführt werden (Art. 311-3 Abs. 1 c.e.). Eine solche Bescheinigung wird vom Vormundschaftsrichter ausgestellt und in die Geburtsurkunde eingetragen, wenn drei Zeugen das Vorliegen einer gelebten Vater-Kind-Beziehung attestieren (Art.311-3 Abs. 1 i.V.m. Art. 71 Abs.2 c.e.). Diese Urkunde belegt bis zum Nachweis des Gegenteils die Existenz des Personenstandsbesitzes (Art. 311-3 Abs. 1 c.e.). Wurde eine solche Urkunde nicht beantragt oder vom Richter nicht ausgestellt, kann das Kind innerhalb der dreißigjährigen Frist des Art. 311-7 c.e. Klage auf Feststellung des Personenstandsbesitzes erheben (action en constatation de possession d'etat).lol Da Fristbeginn der Zeitpunkt ist, in dem der geltend gemachte Personenstandsbesitz (etwa durch Tod des Vaters) weggefallen ist l02 , scheitert die Klageerhebung nur in seltenen Fällen an einer Verjährung. Sowohl gegen den acte de notor;etel03 (action en contestation de la possession d'etat) als auch gegen eine gerichtliche Feststellung des Personenstandsbesitzes \04 kann der beklagte Vater (oder seine Erben) geltend machen, daß der Personenstandsbesitz nicht mit der biologischen Wahrheit übereinstimmt. Allerdings ist diese Einrede ausgeschlossen, wenn die possession d'etat seit mehr als 30 Jahren bestanden hat (Art. 311-7 c.e.), was gerade in Erbfällen eine Rolle spielt. 105 Zu beachten ist auch, daß fiir den Personenstandsbesitz als sol100 Cass., 25.11.1980, D. 1981, IR, 296, obs. Huet-Wei/ler; Cass., 23.6.1987, D. 1987, 613, obs. Massip; HauserIHuet-Wei/ler, n.500 m.w.N.; HauserIHuet-Weiller; RTD civ. 1991,728; Massip, note sous Cass., 23.6.1987, D. 1987,614. 101 Cass., 10.2.1993, D. 1993, Somm., 325, obs. Granet-Lambrechts; RTD civ. 1993, 337, n.21 obs. Hauser; CA Paris, 3.10.1995, D. 1996, Somm., 151, obs. GranetLambrechts. \02 CA Paris, 25.1.1994, D. 1994, Somm., 117, obs. Granet-Lambrechts; CA Paris, 7.4.1995, D. 1996, Somm., 151, obs. Granet-Lambrechts; Huet-Weiller, J.-Cl. civ., Mise ajour, Art. 334-8 a334-10, n. 31 m.w.N. 103 Huet-Weiller, J.-Cl. civ., Mise ajour, Art. 334-8 a334-10, n. 31. 104 Cass., 4.12.1990, JCP 1991, IV, 42; TGI Paris, 24.4.1984, D. 1984,572,2 esp., note Huet-Weiller; anders wohl CA Versailles, 12.4.1983, D. 1983, 554, note HuetWeiller. \05 Vgl. CA Paris, 29.9.1988, D. 1989, Somm., 364, obs. Huet-Weiller. Es erscheint sogar denkbar, daß der Kläger nach dem Tod des Vaters absichtlich solange mit der Klageerhebung zuwartet, bis die 30 Jahre seit Entstehen der possession d'etat verstrichen

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chen die Wahrscheinlichkeit der biologischen Abstammung unwesentlich ist; er kann durchaus auch dann vorliegen, wenn der Mann Zweifel an seiner Vaterschaft hatte. 106 d) Zahlvaterschaftsklage Neben der Vaterschaftsfeststellung mit Statusfolgen (action en recherche de la patemite') kennt das französische Recht eine von der Statusfeststellung unabhängige Unterhaltsklage (action a fins de subsides) fiir diejenigen nichtehelichen 107 Kinder, deren Abstammung nicht bereits durch Anerkennung oder Vaterschaftsfeststellung geklärt ist. Diese Unterhaltsklage hat in der Vergangenheit eine große Rolle in den Fällen gespielt, in denen keiner der Zulässigkeitsgründe fiir eine Feststellungsklage vorlag oder diese sogar generell verboten war. Da heute die Vaterschaftsfeststellung fast uneingeschränkt möglich ist und mit Ausnahme fiir Inzestkinder keine Verbote der Vaterschaftsfeststellung mehr existieren \08, ist zu fragen, welche Bedeutung die action afins de subsides noch haben kann. Ein Interesse an der reinen Unterhaltsklage besteht nach wie vor deshalb, weil für diese die Klagefrist großzügiger bemessen ist als für die Statusklage. Gern. Art. 342 Abs. 2 C.C. kann nämlich die Unterhaltsklage während der gesamten Zeit der Minderjährigkeit des Kindes durch seinen gesetzlichen Vertreter erhoben werden und vom Kind selbst innerhalb von zwei Jahren nach Erreichung des Volljährigkeitsalters. 109 Die Klage hat Erfolg, wenn das Kind beweist, daß der Beklagte der Mutter während der gesetzlichen Empfangniszeit beigewohnt hat. 110 Entscheidendes Beweismittel sind heutzutage aber Blutgruppenuntersuchungen, die die Absind. Vgl. auch CA Rennes, 27.3.1991, J.-CI. civ., Mise a jour, Art. 334-8 a 334-10, n. 25 f.; CA Fort-de-France, 19.10.1990, J.-CI. civ., Mise ajour, Art. 334-8 a 334-10, n. 28 f. \06 CA Versailles, 12.4.1983, D. 1983,554, note Huet-Weiller. 107 Neben nichtehe1ichen Kindern ist diese Klage gern. Art. 342-1 C.C. auch ehelichen Kindern eröffnet, die in Bezug zu ihrem Vater nicht den Personenstand eines ehelichen Kindes besitzen. Allerdings ist diese Klagemöglichkeit weitgehend überflüssig, da die Rechtsprechung ehelichen Kindern unter diesen Umständen im Gegenschluß aus Art. 334-9 C.C. sogar die Erhebung einer Vaterschaftsfeststellungsklage mit Standesfolgen zugebilligt hat. \08 Für Kinder, die aus einer inzestuösen Verbindung entstammen, kann die Abstammung nur zu einem Elternteil begründet werden (Art. 334-10 C.C.). Die Zahlvaterschaftsklage ist ihnen dagegen eröffuet (Art. 342 Abs. 3 C.C.). 109 Ein Beispiel hierzu CA Paris, 21.6.1994, D. 1995, Somm., 119. 110 Madlener, FarnRZ 1972,336,341.

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stammung und damit indirekt auch die Beiwohnung belegen (vgl. auch Art. 342-4 c.C.).111 Damit spielt letzten Endes auch bei der Unterhaltsklage die Abstammungsfrage eine ganz entscheidende Rolle. Indem die Cour de cassation im Rahmen von Art. 342 C.C. den Beweis der Beiwohnung allein durch Abstammungsgutachten zuläßt 112, hat sie eine Möglichkeit eröffnet, die für die Statusfeststellung gern. Art. 340 C.C. erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu umgehen: Rechnet der Kläger damit, daß er im Statusverfahren voraussichtlich den Nachweis der erforderlichen indices graves nicht wird erbringen können, kann er eine Unterhaltsklage anstrengen, bei der eine Abstammungsuntersuchung sofort angeordnet werden kann. Wird der Beklagte zur Unterhaltszahlung verurteilt, wird durch dieses Urteil - nach der französischen Lehre und Rechtsprechung - auch die Beiwohnung (als Tatbestandsvoraussetzung des Unterhaltsanspruchs) rechtskräftig nachgewiesen. 1\3 Das Unterhaltsurteil kann nun dazu verwendet werden, um im Rahmen eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nach Art. 340 C.C. die erforderlichen indices graves - nämlich die Beiwohnung - nachzuweisen. Durch die Möglichkeit eines solchen Vorgehens wird die Klagebeschränkung des Art. 340 C.c. ad absurdum gefiihrt. 114 Benennt der beklagte Mann einen Mehrverkehrszeugen oder gibt die Mutter an, sie habe in der gesetzlichen Empfangniszeit intime Beziehungen zu mehreren Männem unterhalten, sind diese gern. Art. 311-11 C.C. in das Verfahren einzubeziehen. Läßt sich nicht feststellen, für welchen der Männer die größere Wahrscheinlichkeit spricht - was angesichts der modemen medizinischen Möglichkeiten wohl nur dann der Fall sein kann, wenn beide die Abstammungsuntersuchung verweigern -, können sie gern. Art. 342-3 C.C. gemeinschaftlich zur Unterhaltszahlung verurteilt werden. 115 111 Cass., 14.2.1995, RTD civ. 1995,343 obs. Hauser; Cass., 5.2.1991, D. 1991, 456, note Massip; D. 1992, Somm., 176, obs. Granet-Lambrechts; Cass., 9.3.1983, Gaz. Pa!. 1983,2,561, note JM Demgegenüber fordert aber CA Paris, 22.2.1991, JCP 1991, 11, 21777, note Mirabail, daß vor der Durchführung einer Abstammungsuntersuchung bereits ausreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die behauptete Abstammung plausibel machen. 112 Cass., 14.2.1995, RTD civ. 1995,343 obs. Hauser; Cass., 5.2.1991, D. 1991, 456, note Massip; D. 1992, Somm., 176, obs. Granet-Lambrechts. 1 \3 Cass., 4.1.1995, D. 1995, Somm., 225, obs. Granet-Lambrechts. Die Einleitung eines anschließenden Statusverfahrens wird durch den Unterhaltsprozeß nicht ausgeschlossen, der Prozeß entfaltet insofern keine Rechtskraftwirkung (Art. 342-8 c.c.). 114 Granet-Lambrechts, note sous Cass., 4.1.1995, D. 1995, Somm., 225; vgl. auch Dekeuwer-Defossez, note sous Cass., 4.1.1995, D. 1996, Somm., 231. 115 Näher dazu Labrusse-Riou, S. 153. Voraussetzung ist, daß beide im Zusammenhang mit der Beiwohnung ein "Verschulden" triffi. Dieser Begriff wird weit ausgelegt. Zur Ausfüllung wird insbesondere auf die cas d'ouverture des alten Art. 340 C.C. verwiesen.

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An und für sich hätte es nahegeleg~n, bei der Reform im Jahre 1993, gleichzeitig mit der weitgehend unbeschränkten Zulassung der Statusklage, die Unterhaltsklage abzuschaffen. Durch die Beibehaltung der Zahlvaterschaftsklage wird der Mutter die Wahl eröffnet, entweder eine Vaterschaftsfeststellungsklage zu erheben, die alle familienrechtlichen Folgeansprüche nach sich zieht, oder sich auf die bloße Durchsetzung eines isolierten Unterhalts anspruchs zu beschränken. 116 In der Praxis kommt es vor, daß die Mutter sich während der Minderjährigkeit des Kindes auf die Geltendrnachung des Unterhaltsanspruches beschränkt, um die elterliche Sorge nicht mit dem Vater teilen zu müssen. Das Kind kann dann mit Eintritt der Volljährigkeit den Unterhaltstitel dazu benutzen, um nach dem oben beschriebenen Verfahren ein Statusurteil zu erlangen, das ihm insbesondere spätere erbrechtliche Ansprüche sichert. Es erscheint fraglich, ob dies eine sinnvolle Funktion des Unterhaltsanspruchs sein kann. Allerdings ist zu bedenken, daß der Mann sich nicht auf eine solche ZahlvatersteIlung reduzieren lassen muß; er hat schließlich die Möglichkeit, das Kind anzuerkennen. 3. Reform des deutschen Rechts a) Vaterschaftsanerkenntnis Nach bisherigem deutschen Recht war allein die Zustimmung des Kindes für die Wirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses erforderlich. I.d.R. wurde das Kind hierbei durch das Jugendamt vertreten (§ 1706 Nr. 1 BGB a.F.). Als Konsequenz des Beistandschaftsgesetzes, das die gesetzliche Amtspflegschaft der Jugendämter für nichteheliche Kinder abschafft und der Mutter eines nichtehelichen Kindes die uneingeschränkte elterliche Sorge zuweist (§ 1626a Abs. 2 BGB n.F. i.V.m. § 1716 BGB i.d.F. des Beistandschaftsgesetzes)117, mußten auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Vaterschaftsanerkennung neu überdacht werden. ll8 Nach dem KindRG bedarf ein Vaterschaftsanerkenntnis nunmehr gern. § 1595 Abs. 1 BGB n.F. der Zustimmung der Mutter. Es handelt sich hierbei um ein Recht, das sie in eigenem Namen ausübt und nicht als gesetzliche Vertreterin des Kindes. Sollte die Mutter nicht (mehr) Inhaberin der

116 Massip, Defrenois 1993, n. 35559, S. 633. Auch HauserIHuet-Weiller, n.432 halten das Fortbestehen der Unterhaltsklage für nützlich. 117 Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft (Beistandschaftsgesetz), BT-Drucks. 13/892 v. 24.3.1995. 118 Die ersatzlose Streichung von § 1600e Abs. 1 S. 2 BGB a.F. hat zur Konsequenz, daß nunmehr auch eine etwaig erforderliche Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters der öffentlichen Beurkundung bedarf.

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elterlichen Sorge sein, so hängt die Wirksamkeit der Anerkennung zusätzlich von der Zustimmung des Kindes ab (§ 1595 Abs. 2 BGB n.F.). Grundsätzlich ist es zu begrüßen, daß der Mutter ein Mitspracherecht bei der Anerkennung ihres Kindes eingeräumt wurde: Ist die Mutter mit dem Anerkenntnis einverstanden, bestehen gute Aussichten, daß zwischen den Beteiligten tragfähige Beziehungen entstehen. Verweigert die Mutter ihre Zustimmung, können mit einer Vaterschaftsfeststellung Zweifel an der biologischen Erzeugerschaft beseitigt werden. Freilich hat es hierbei die Mutter in der Hand, ob sie einen kostenträchtigen Prozeß zwischen Vater und Kind heraufbeschwört. Der Entwurf des KindRG wollte dieser Gefahr ursprünglich durch die Vorschrift des § 93c Abs. 2 S. 2 ZPO n.F. begegnen, nach der der Mutter die Kosten teilweise oder ganz auferlegt werden konnten, wenn "einer Klage des Kindes oder des Mannes auf Feststellung der Vaterschaft stattgegeben wird und die Klage dadurch veranlaßt worden ist, daß die Mutter der Anerkennung der Vaterschaft nicht zugestimmt hat." Hinter dieser Regelung stand das wohlmeinende Bemühen, die Mutter durch eine Kostendrohung zu einer verantwortungsbewußten Entscheidung zu drängen. "Veranlassung" war hier selbstverständlich nicht im Sinne einer bloßen Kausalität gemeint. Die Gesetzesbegründung führte zur Verdeutlichung vielmehr Beispielsfälle an, in denen "die Mutter mit der Verweigerung der Zustimmung erreichen will, daß der allein in Betracht kommende Vater die Rechtsstellung als Vater nicht erhält, oder wenn aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind eine Zustimmung unterbleibt".119 Eine Mutter, die die Zustimmung zum Vaterschaftsanerkenntnis verweigert, wird sich aber immer darauf zurückziehen können, daß sie Zweifel an der Vaterschaft gehabt habe und diese im Interesse des Kindes habe klären lassen wollen. Auch nach bisheriger Rechtslage gab es Fälle, in denen Jugendämter Vaterschaftsfeststellungsverfahren gegen anerkennungswillige Väter geführt haben. 120 Zu recht ist diese Vorschrift deshalb in das KindRG in seiner endgültigen Fassung nicht aufgenommen worden. Besonders fragwürdig ist das Zustimmungserfordernis der Mutter vor allem dann, wenn das Kind bereits volljährig ist. Welches berechtigte Interesse der Mutter sollte bestehen, gegen den Willen eines volljährigen Kindes die Zustimmung zu verweigem?121 119 BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 129. 120 KG Berlin, DAVorm 1991, 864, 865; OLG Stuttgart, DAVorm 1985, 1039, 1040; KG Berlin, FamRZ 1994, 909, 910; KG Berlin, DAVorm 1991, 946; OLG Köln, DAVorm 1991, 1102, 1103; vgl. auch MünchKomm/Mutschler, § 1600a Rz.9; MünchKomm/Coester-Waltjen, ZPO, § 640 Rz. 29. 121 Gern. §§ 1768 Abs. I S.2, 1747 BGB bedarf die Annahme eines Volljährigen auch nicht der Zustimmung der Eltern des Angenommenen. Die Einführung eines An6 Helms

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b) Vaterschaftsfeststellung Die Vorschriften bezüglich der Vaterschaftsfeststellung bleiben durch das KindRG im wesentlichen unverändert. Allerdings ist neben dem Kind und dem nichtehelichen Vater zusätzlich der Mutter ein eigenes Klagerecht eingeräumt worden (§ 1600e Abs. 1 BGB n.F.).122 Rechtstechnisch ist diese Befugnis - wie das Zustimmungsrecht beim Vaterschaftsanerkenntnis - als eigenes Recht der Mutter ausgestaltet, das ihr nicht bloß in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Kindes zugewiesen ist und damit auch nicht bei Volljährigkeit des Kindes erlischt. Solange in Deutschland die Amtspflegschaft der Jugendämter bestand, war es verständlich, daß daneben eigene Rechte der Mutter gefordert wurden. Bei Wegfall der Amtspflegschaft wäre es jedoch sachgerechter gewesen, diese Rechte der Mutter in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin zuzuweisen. Verfolgt man die Reformdiskussion, dann liegt die Vermutung nahe, daß der Konflikt mit den Interessen des volljährigen Kindes übersehen wurde. Wenn bei einem volljährigen Kind die Mutter gegen den Willen ihres Kindes eine Vaterschaftsfeststellung betreibt, kann sie dem volljährigen Kind einen Erzeuger als Vater aufdrängen, selbst wenn das Kind jeden Kontakt zu diesem ablehnt. Die Frage der väterlichen Abstammung beeinflußt zwar grundsätzlich auch die Stellung der Mutter (die Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber dem Kind berührt ihre vermögensrechtlichen Interessen), doch spielen diese Überlegungen bei volljährigen Kindern naturgemäß keine große Rolle. Auch international gesehen ist eine solche Befugnis der Mutter wohl einrnalig. 123 Hat z.B. in Frankreich die Mutter während der Minderjährigkeit des Kindes keine Statusklage erhoben, sondern sich auf die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen beschränkt, so steht es dem volljährigen Kind frei, ob es gegen fechtungsrechts der Mutter beim Vaterschaftsanerkenntnis wurde damit begründet, daß sie sich niemanden als Vater ihres Kindes aufdrängen zu lassen braucht (BT-Drucks. V12370 v. 7.12.1967, S. 32). Dies betrim aber vor allem die Anerkennung mindetjähriger Kinder. Das Argument, daß eine Mutter es sich nicht gefallen lassen müßte, wenn sich jemand zu Unrecht berühmt, mit ihr ein Kind gezeugt zu haben (Deichfuß, FuR 1991, 275, 279) übersieht, daß das Anerkenntnis nichts mit der biologischen Abstammung zu tun haben muß. Kritisch auch Schlüter, 8. Auflage, Rz. 278. 122 In § 1600e Abs. 1 BGB n.F. heißt es: "Die Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft wird durch Klage ... der Mutter ... gegen den Mann betrieben." Die Entwurfsbegründung weist mit keinem Wort daraufhin, daß hierdurch ein Recht der Mutter auf Vaterschaftsfeststellung eingeführt wird. 123 Vgl. Belgien: Art. 322 C.C.; Frankreich: Art. 340-2 C.C.; Italien: Art. 273 Abs. 2 C.C.; Österreich: § 164c Nr. 1 ABGB; Schweiz: Art. 261 Abs. 1 i.V.m. Art. 263 Nr. 1 ZGB. In der ehemaligen DDR wurde § 56 Abs. 1 S. 2 FGB so verstanden, daß ab Volljährigkeit allein dem Kind die Klagebefungnis zusteht (Ministerium der Justiz (Hrsg.), Kommentar zum FGB, 1973, § 56 FGB Anm. 1).

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seinen Vater nunmehr eine Vaterschaftsklage zwecks Begründung vollwertiger Statusbeziehungen erheben oder es bei unterhaltsrechtlichen Beziehungen belassen will. Hierzu meint Dekeuwer-Defossez: ,,Das volljährige Kind hat dann die Wahl, seinen Status einzufordern oder nicht tätig zu werden, um ihn zurückzuweisen, was beides respektable Haltungen sind, zwischen denen allein das Kind berufen ist zu wählen... 124 Auch im Vergleich zum neuen Vaterschaftsanfechtungsrecht der Mutter besteht eine Diskrepanz: Dieses steht der Mutter zwar sachlich unbeschränkt zu, doch kann es nur innerhalb von zwei Jahren seit Kenntnis der Umstände, die gegen die Ehelichkeit des Kindes sprechen, geltend gemacht werden. Da diese Frist für die Mutter stets unmittelbar nach der Geburt beginnen wird, ist ein Anfechtungsrecht der Mutter bei Volljährigkeit des Kindes nicht vorstellbar. Ebensowenig wie die Mutter bei Volljährigkeit des Kindes gegen dessen Willen eine bestehende Vater-Kind-Beziehung beseitigen darf, sollte ihr das Recht zustehen, dem volljährigen Kind eine nicht gewollte Vaterschaft aufzudrängen, denn dies kann ebenfalls Auswirkungen auf das Beziehungsgefiige haben, in dem das Kind lebt. c) Abschaffung der Amtspflegschaft Das Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft hat die automatische gesetzliche Amtspflegschaft (§ 1706 BGB a.F.) beseitigt. Statt dessen kann die Mutter nunmehr einen Antrag auf Gewährung einer sog. Beistandschaft stellen. 125 Diese Beistandschaft tritt nicht an die Stelle der mütterlichen Vertretungsmacht, sondern neben sie. Sie dient vor allem dazu, die Mütter - wie bisher - bei der Feststellung der Vaterschaft und der Geltendmachung von Unterhalts ansprüchen zu unterstützen. Anlaß für diese Reform war die Wiedervereinigung. Das Recht der ehemaligen DDR kannte keine automatische Amtspflegschaft (§ 46 Abs. 1 FGB DDR), und politisch erschien es nicht ratsam, die Rechte ostdeutscher Mütter nach der Wende einzuschränken: Ein Eingriff in ihre Unabhängigkeit wäre auf Unverständnis gestoßen, zumal im internationalen Vergleich die

124 Note sous Cass., 4.1.1995, D. 1996, Somm., 231: "L'enfant devenu majeur aura alors le choix d'agir pour rI!c1amer son etat ou de ne pas agir pour le refuser, ce qui correspond adeux attitudes egalement respectables entre lesquelles lui seul est habilite a choisir." 125 BT-Drucks. 13/892.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

(west-)deutsche Regelung weitgehend alleine dastand. 126 Deshalb wurden durch den Einigungsvertrag (Art. 230 Abs. 1 EGBGB) die in Westdeutschland geltenden Vorschriften über die gesetzliche Amtspflegschaft nicht auf das Gebiet der östlichen Bundesländer übertragen. Aus dieser Rechtsspaltung resultierte naturgemäß ein großer Reformdruck. Aber auch schon vor der Wiedervereinigung war die Amtspflegschaft als Bevormundung nichtehelicher Mütter kritisiert worden: Hinter diesem Institut stehe die anachronistische Vorstellung, nichteheliche Mütter seien in besonderer Weise hilflos und schutzbedürftig. 127 Problematisch ist vor allem, daß der Mutter auch für die Betreibung der Vaterschaftsfeststellung die uneingeschränkte elterliche Sorge zugesprochen wird. Damit legt der Gesetzgeber die Begründung der Vater-Kind-Beziehung weitgehend in ihre Hand. Erstaunlich ist, daß trotz aller Betonung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung - auch anläßlich der Arbeiten zum KindRG - nicht bedacht wurde, daß sich eine Abschaffung der Amtspflegschaft negativ auf die Interessen des Kindes auswirken kann. Aufgabe des Jugendamtes war noch nie, unwillige Mütter zur Preisgabe des Erzeugernamens zu zwingen, sondern allenfalls ihr Bewußtsein dafür zu schärfen, daß es sich bei der Vaterschaftsfeststellung um eine für das Kind besonders wichtige Angelegenheit handelt. Auch dürfte die Mitwirkung des Jugendamtes eine zumindest psychologische Barriere für die Abgabe von unwahren Vaterschaftsanerkenntnissen sein. Es ist fraglich, ob man mit der Reform nicht des bloßen Prinzips wegen jede unterschiedliche Behandlung zwischen ehelichen und nichtehelichen Müttern ablehnt, ohne den praktischen Nutzen der Amtspflegschaft zu berücksichtigen. Das System der Amtspflegschaft hat sich in der Praxis bewährt 128 und wurde von den wenigsten Müttern als belastende Bevormundung empfunden. 129 Das Jugendamt nahm der Mutter die Mühen der Vaterschafts feststellung in einer

126 Vgl. DopjJel (Hrsg.), Kindschaftsrecht im Wandel, Zwölf Länderberichte mit einer rechtsvergleichenden Summe, 1994, S. 616 ff. Vergleichbar mit dem bisherigen deutschen Recht ist die Rechtslage in der Schweiz, wo die Vormundschaftsbehörde automatisch für die Vaterschaftsfeststellung Sorge zu tragen hat (Art. 309 Abs. I ZGB). In Österreich dagegen wurde die mit dem bisherigen deutschen Recht vergleichbare Amtsvormundschaft im Jahre 1989 durch eine bloße Rechtsbelehrung in Verbindung mit einem Hilfsangebot der zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörden ersetzt (dazu Schwimann, NZ 1990, 218). 127 Similis, StAZ 1970,255,261; Zenz/Salgo, S. 51; vgl. auch BräteI, FarnRZ 1991, 775, 777. Vgl. dazu ausführlich Will, Macht und Gleichheit, Diss. Konstanz 1997, S. 173 ff. 128 BT-Drucks. 13/892 v. 24.3.1995, S. 23; mV-Gutachten, DAVorm 1993, 1009; Binschus, DA Vorm 1989, 171 ff.; Kemper, DAVorm 1989, 169 ff. 129 Kemper, FarnRZ 1991, 1401, 1402; mV-Gutachten, DAVorm 1993, 1009, 1013; Barth, DAVorm 1992,277,281.

A. Primäre Vater-Kind-Zuordnung

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Phase ab, in der diese noch die besten Aussichten auf Erfolg hat und in der die Mutter u.u. mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat. Außerdem stärkt es der Mutter gegenüber dem Kindesvater den Rücken. Das Angebot, die Hilfe des Jugendamtes freiwillig in Anspruch zu nehmen, über welches die Jugendämter die Mütter nun von Amts wegen informieren müssen, ist hierfiir kein vollwertiger Ersatz. Es besteht die Befiirchtung, daß manche an und fiir sich mögliche Vaterschaftsfeststellung unterbleiben wird. 130 Eine solche Entwicklung könnte langfristig gesehen auch zu einem Rückgang der freiwilligen Vaterschaftsanerkennungen fiihren: Droht dem Erzeuger nicht eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung, wird er weniger geneigt sein, einer solchen freiwillig durch ein Vaterschaftsanerkenntnis zuvorzukommen. Denkbar wäre, zukünftig zum Mittel der Sorgerechtsentziehung gern. § 1666 BGB zu greifen, wenn die Mutter die Feststellung des Erzeugers verhindert. l3l Allerdings ist die Eingriffsschwelle des § 1666 BGB sehr hoch, und außerdem würde eine solche diskriminierende Maßnahme einen noch stärkeren Eingriff in die Rechte der Mutter darstellen; auch ist nicht ersichtlich, wer das Verfahren einleiten sollte. 132 Vielfach wurde deswegen zu Recht vorgeschlagen, nach Ablauf einer bestimmten Zeit automatisch das Jugendamt zu benachrichtigen, wenn ein Vater fiir das Kind noch nicht im Geburtenbuch eingetragen wurde (Modell einer sog. "zweiten Welle"), um dann fiir den Fall, daß noch keine Vaterschaftsanerkennung oder -feststellung erfolgt ist, die Amtspflegschaft doch noch eintreten zu lassen. 133 4. Stellungnahme

Deutlich geworden ist, daß trotz einer vergleichbaren Gesetzeslage in Frankreich und Deutschland Vaterschaftsanerkenntnisse soziologisch eine sehr unterschiedliche Rolle spielen. Die im historischen Rückblick (1. Kapitel) dargelegten Traditionen sind also auch heute noch lebendig. Zahlenmäßig dürften Va-

130 Mutschler, FamRZ 1996, 1381, 1384; Ramm, FPR 1996, 220, 221; ders., JZ 1996,987,989; Richter, FamRZ 1994,5; DIV-Gutachten, DAVonn 1993, 1009, 1016. Vgl. auch Will, Macht und Gleichheit, Diss. Konstanz 1997, S. 181 ff. Vaskovics/ Rost/Rupp, S. 162 kommen zu dem Ergebnis, daß bei 20 % aller Vaterschaftsanerkenntnisse die Intervention des Jugendamtes den Ausschlag flir eine "freiwillige" Anerkennung gab. 13l Vgl. Koch, FamRZ 1990,569,572. 132 Vgl. zu dieser Vorschrift auch Kleineke, S.241; Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl. 1980, S. 915; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 59 I 2. 133 Mutschler, FamRZ 1996, 1381, 1384; vgl. auch Oberloskamp, ZfJ 1991, 586, 592; Deutsches Institut flir Vonnundschaftswesen, DAVonn 1993, 1009, 1015; 1995, 401 ff.; 1995,415 fI.; Richter, FamRZ 1994,5,9.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

terschaftsanerkenntnisse in Deutschland häufiger mit der biologischen Wahrheit übereinstimmen als in Frankreich. Dabei ist wohl nicht entscheidend, daß in Frankreich das Vaterschaftsanerkenntnis nicht von der Zustimmung der Mutter abhängig ist, denn in der Praxis kommen Anerkenntnisse gegen den Willen der Mutter ohnehin kaum vor. Dies zeigt sich auch daran, daß in den veröffentlichten Entscheidungen sehr selten die Mutter ihr Anfechtungsrecht ausübt, sondern entweder der Urheber der wahrheitswidrigen Anerkennung selbst oder dessen Erben. 134 Die Fülle an Anfechtungsverfahren, die gerade in jüngster Zeit die französischen Gerichte beschäftigen, zeigt allerdings die prekäre Situation einer Vater-Kind-Zuordnung, die von affektiven und voluntativen Elementen bestimmt wird. Ist die Ehe oder die nichteheliche Lebensgemeinschaft die "Geschäftsgrundlage" für die Vaterschaftsanerkennung, so wird bei einem Scheitern der Verbindung der Mann in aller Regel versuchen, das Anerkenntnis wieder zu beseitigen. Überraschend ist, daß in Frankreich bereits vor der Reform von 1993 die Zahl der freiwillig anerkannten Kinder ähnlich hoch lag wie in Deutschland. Da vor der Reform die Vaterschaftsfeststellung in Frankreich einschneidenden Beschränkungen unterlag, hätte man annehmen können, daß viele Väter es lieber auf eine Klage ankommen lassen würden, als ihr Kind freiwillig anzuerkennen. Das war jedoch gerade nicht der Fall. Was die relativ geringe Anzahl der Vaterschaftsfeststellungsverfahren in der Zeit vor 1993 anbelangt, so kann diese nicht allein mit der materiellrechtlichen Beschränkung dieser Klagemöglichkeit erklärt werden, denn die typischen Fälle der außerehelichen Zeugung wurden von Art. 340 C.C. durchaus erfaßt, und auch die Rechtsprechung bemühte sich, die cas d'ouverture möglichst großzügig auszulegen. Es drängt sich der Verdacht auf, daß manche Frauen freiwillig auf die Durchführung einer zwangsweisen Vaterschaftsfeststellung verzichteten. 135 Dies hatte den Vorteil, daß sie bei einem Scheitern einer Beziehung keine Sorgerechtsstreitigkeiten befürchten mußten. Dekeuwer-Defossez berichtet in einer ausführlichen Untersuchung der französischen Verwaltungspraxis von Sozialarbeitern, die den Müttern davon abrieten, eine VaterKind-Zuordnung herbeizuführen, weil diese ihnen "au mieux inutiles, au pis 134 Ein Gegenbeispiel ist CA Pau, 13.2.1995, RTD civ. 1996, 376. Hier hatte der Lebensgefährte der Mutter nach der Trennung ihre drei Kinder anerkannt, obwohl er das während der fünf Jahre ihres Zusammenlebens nicht getan hatte. Nachdem die Mutter diese Anerkennung durch Anfechtung mit Erfolg beseitigt hatte, wurde der Anerkennende zum Schadensersatz wegen Abgabe einer wahrheitswidrigen Anerkennung verurteilt. Vgl. auch CA Orleans, 9.6.1994, D. 1996, Somm., 147, obs. GranetLambrechts. 135 Vgl. Siehr, FamRZ 1974,401,404.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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genantes" erschien. 136 Diese Haltung wird verständlich, wenn man die Geschichte des französischen Abstammungsrechts betrachtet, denn eine VaterKind-Zuordnung, die der Mann nicht freiwillig akzeptiert, wurde stets als weniger wertvoll angesehen. Selbst nach der Abschaffung der cas d' ouverture als Klagevoraussetzung für die Vaterschaftsfeststellung erhöhte sich die Zahl der Feststellungsverfahren nur schwach (1990: 155; 1994: 1276). Verwirrend ist das - aus deutscher Sicht anachronistische - Nebeneinander verschiedener Vaterschaftsfeststellungsmöglichkeiten im französischen Recht. Dies ist umso weniger verständlich, als die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mittlerweile weitgehend unbeschränkt zulässig ist: Die fortbestehende Klagebeschränkung im Rahmen von Art. 340 C.C. - das Erfordernis der indices graves - spielt in der Rechtsprechung fast keine Rolle, und mit der Rechtsprechung der Cour de cassation zur Rechtskraftwirkung eines Unterhaltsurteils 137 hat sie vollends jede auch theoretische Berechtigung verloren. Daß diese Klagebeschränkung in naher Zukunft fallen wird, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Praxis scheint sich auf die neue Rechtslage gut eingestellt zu haben.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung bei Auseinanderfallen von Status und biologischer Abstammung Im vorangehenden Abschnitt wurden die Mechanismen der primären VaterKind-Zuordnung untersucht. Dabei stand die Frage im Vordergrund, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen mit ihrer Hilfe eine Übereinstimmung von rechtlichem Status und biologischer Abstammung herbeigeführt wird oder werden kann. Nunmehr soll in einem zweiten Schritt untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen ein ursprünglich erlangter Status beseitigt werden kann, wenn er mit der biologischen Abstammung nicht übereinstimmt.

I. Frankreich

J. Überblick Im französischen Recht gelten für die Ehelichkeitsanfechtung und die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses unterschiedliche Grundsätze.

136 D. 1986, Chron., 307 f.: "bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls lästig". Vgl. auch Rieg, L'etablissement du lien de filiation legitime en droit fran~ais, in: Ann. Fac. de Strasbourg, Bd. XXIII, S. 39 und Carbonnier, S. 491. 137 Cass., 4.1.1995, D. 1995, Somm., 225, obs. Granet-Lambrechts.

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2. Kapitel: Abstamrnungsfeststellung mit Statusfolgen

a) Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses Die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses wird in Frankreich jedem gestattet, der daran ein rechtliches Interesse hat (Art. 339 Abs. 1 C.C.). Dies sind in erster Linie das Kind, seine Mutter, der Anerkennende, aber auch der Erzeuger, die Erben des Anerkennenden und unter besonderen Voraussetzungen sogar der Staatsanwalt (Art. 339 Abs. 2 C.C.). Die Anfechtungsrechte verjähren gern. Art. 311-7 C.C. in 30 Jahren ab dem Zeitpunkt der Anerkennung. Hat allerdings das anerkannte Kind seit 10 Jahren den Personenstandsbesitz eines Kindes des Anerkennenden, ist die Anfechtung nur noch durch das Kind selbst, seine Mutter sowie den wahren Erzeuger möglich (Art. 339 Abs. 2 C.C.). Durch diese Regelung wird zum einen verhindert, daß durch Intervention Außenstehender die wahre Abstammung auch dann noch aufgedeckt werden kann, wenn der Anerkennende zehn Jahre lang mit dem Kind in einer stabilen Familiengemeinschaft gelebt hat. Zum anderen wird der Anerkennende selbst an sein "Wort" gebunden, wenn er sich lange Zeit gegenüber dem Kind wie ein Vater verhalten hat. b) Ehelichkeitsanfechtung Ehelichkeitsanfechtungsrechte stehen nach dem Gesetzeswortlaut nur dem Ehemann und der Ehefrau zu. Der Ehemann besitzt gern. Art. 312 S. 2 C.C. ein Anfechtungsrecht (action en desaveu), das er allerdings nur innerhalb von 6 Monaten seit Geburt des Kindes ausüben kann, unabhängig davon, wann er Kenntnis von Umständen erlangt, die gegen seine Vaterschaft sprechen (Art. 316 C.C.)Y8 In der Praxis spielt dieses Anfechtungsrecht keine große Rolle. Im Jahre 1992 wurden 240 und im Jahre 1994219 desaveux de paternite in Frankreich registriert. 139 Durch die Reform des Abstammungsrechts im Jahre 1972 wurde zusätzlich der Kindesmutter ein Klagerecht eingeräumt, das aber nur besteht, solange das Kind nicht das 7. Lebensjahr erreicht hat, und das außerdem voraussetzt, daß die Ehe der Mutter geschieden wurde, die Mutter den Erzeuger des Kindes geheiratet hat und dieser einen Antrag auf Legitimierung des Kindes stellt

138 Nach Art. 316-2 C.C. verlängert sich die Anfechtungsfiist um 6 Monate, wenn der Ehemann innerhalb der ursprünglichen Frist durch eine "außergerichtliche Urkunde" seine Vaterschaft abgestritten hat. Gern. Art. 316-1 C.C. steht dieses Anfechtungsrecht den Erben des Ehemannes zu, wenn er vor Ablauf der Anfechtungsfiist verstorben ist. 139 RTD civ. 1995,871 und Annuaire Statistique de la Justice, 1990-1994, Lajustice civile, Les saisines en 1994 - Affaires nouvelles aux fond.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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(Art. 318,318-1 e.e.).140 Ein eigenes Anfechtungsrecht des Kindes stand weder vor noch nach der Reform aus dem Jahre 1972 zur Diskussion. 141 Dieses restriktive Anfechtungssystem wurde - wie bereits im historischen Teil ausfUhrlich dargestellt (1. Kapitel A.IV.2) - durch die Rechtsprechung der Cour de cassation aus den Angeln gehoben: Nach Art. 334-9 e.e. ist bei einem ehelichen Kind jegliche Anerkennung und jegliche Klage auf Feststellung der (nichtehelichen) Vaterschaft unwirksam, wenn das Kind die possession d'etat eines ehelichen Kindes besitzt. Im Umkehrschluß folgerte die Cour de cassation aus dieser Vorschrift, daß bei Fehlen einer possession d'etat ohne vorhergehende Ehelichkeitsanfechtung die Anerkennung des Kindes zulässig sei 142 und in diesem Fall auch jeder beliebige Dritte eine Klage auf Feststellung der (nichtehelichen) Vaterschaft erheben könne. 143 Zwar handelt es sich vordergründig um ein Vaterschaftsanerkenntnis bzw. eine (positive) Vaterschaftsfeststellung, doch im Ergebnis fUhren diese Institute hier zu einer Ehelichkeitsanfechtung: Wird nämlich bei einem ehelichen Kind eine (positive) Vaterschafts feststellung durchgefiihrt, ist mit dem Beweis der Vaterschaft des Erzeugers notwendigerweise der Nachweis der Nichtabstammung vom Muttergatten verbunden. Ist dagegen eine Vaterschaftsanerkennung erfolgt, entsteht ein conflit de palernites: Das Kind hat zunächst zwei Väter. l44 Gern. Art. 311-12 c.e. kann jeder Interessierte innerhalb von 30 Jahren (Art. 311-7 C. e.) feststellen lassen, wer von den beiden Vätern der wahrscheinlichere Erzeuger des Kindes iSt. 145 Ergreift einer der Beteiligten die Initiative, um diesen conflit de filiations zugunsten der wahrscheinlicheren Vaterschaft aufzulösen, fUhrt dies im Ergebnis zu einer Überprüfung der ehelichen Abstammung und im Regelfall - wenn auch nicht zwingend - zu einer Feststellung des wirklichen Vaters. Stellt sich im Rahmen eines solchen Verfahrens allerdings heraus, daß beide Männer als Vater nicht in Frage kommen, wird 140 Nicht erforderlich ist, daß das Kind eine possession d'etat gegenüber seiner Mutter und ihrem neuen Partner besitzt. Das Anfechtungsrecht besteht also auch dann, wenn das Kind nach der Scheidung bei seinem (alIein-)sorgeberechtigten Vater lebt (Cass., 16.2.1977, D. 1977,328, note Huet-Weiller). 141 Ernst, S. 153. 142 Vgl. dazu ausführlich Inderst. 143 Cass., 9.6.1976, D. 1976,593 note Raynaud; JCP 1976,11, 18494 note Cornu; RTD civ. 1976,340 obs. Nerson; RTD civ. 1977, 752 obs. NersoniRubellin-Devichi; TGI Paris, 19.6.1979, D. 1980, IR, 61, obs. Huet-Weiller; vgl. auch TGI Paris, 21.9.1982, D. 1983, IR, 325, obs. Huet-Weiller; Huet-WeillerIGranet-Lambrechts, J.-CI. civ., Art. 335 a 339, n. 56 m.w.N. zur überwiegend ablehnenden Literatur und zu teilweise abweichenden Urteilen älteren Datums. 144 Mezger, Das Kind mit den zwei Vätern, eine Erfindung des französischen Kindschaftsrechts von 1972, FS Ferid, 1978, S. 621 ff. 145 Vgl. hierzu ausführlich Ernst, S. 178 ff.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

zwar das Vaterschaftsanerkenntnis unwirksam, aber das Kind verliert dennoch seine eheliche Abstammung. 146 Darüber hinaus kann im Umkehrschluß aus Art. 322 Abs. 2 C.C. jeder Interessierte, und damit auch das Kind, innerhalb der allgemeinen 30jährigen Verjährungsfrist (Art.311-7 C.C.) die Ehelichkeit anfechten, wenn Personenstandsbesitz und Geburtsurkunde nicht übereinstimmen. 147 Das Kind hat an dieser Klage vor allem dann ein Interesse, wenn ihm der wirkliche Erzeuger nicht bekannt ist. Andernfalls hat es die bereits dargestellte Möglichkeit, direkt gegen diesen auf (positive) Feststellung der Vaterschaft zu klagen und damit den Scheinvater in ein und demselben Prozeß gegen den wirklichen Vater auszutauschen. 2. Das Fehlen des Personenstandsbesitzes als Voraussetzung der Ehelichkeitsanfechtung

Zeitweise vertrat das Tribunal de Paris die Auffassung, eine Ehelichkeitsanfechtung sei nur dann zulässig, wenn das Kind niemals die possession d'etat eines ehelichen Kindes besessen hat. 148 Diese Ansicht, die zu einer lediglich restriktiven Zulassung der Ehelichkeitsanfechtung führte, hat sich jedoch in der Rechtsprechung nicht durchsetzen können 149, denn gern. Art. 311-1 Abs.2 C.C. ist Wirksamkeitsvoraussetzung fiir den Personenstandsbesitz dessen ,,Kontinuität". Daher ist eine Ehelichkeitsanfechtung auch zulässig, wenn die possession d'etat zum Scheinvater zwar ursprünglich bestanden hat, aber vor der Klageerhebung wieder fortgefallen ist. Parallel hierzu ist die Anerkennung eines ehelichen Kindes bereits dann wirksam, wenn der Personenstandsbesitz im Zeitpunkt der Anerkennung fehlt. Problematisch ist, daß die possession d'etat ein nur schwer zu bestimmendes Kriterium ist. Sie fehlt sicherlich dann, wenn sich die Eltern scheiden lassen, 146 Sutton, Rep. Dalloz Procooure civile, Filiation, n. 500. Die in Art. 311-12 C.C. als subsidiäres Entscheidungskriterium - neben der wahrscheinlicheren Abstammung genannte possession d'etat wird bei erwiesener Nichtabstammung nicht mehr herangezogen. 147 Cass., 27.2.1985, D. 1985,265 note Cornu; bestätigt in Cass., 14.5.1985, JCP 1985, IV, 259; Cass., 30.6.1987, D. 1987, IR, 173. 148 TGI Paris, 21.11.1978 und 26.2.1979, D. 1979,611, note Raymond. 149 Cass., 25.1.1980, D. 1981, IR, 296, obs. Huet-Weil/er; Cass., 19.3.1985; D. 1986, 34, note Massip; Cass., 23.6.1987, D. 1987,613, note Massip; Cass., 19.1.1988, Gaz. Pa\. 1988,2,855 note Massip; Granet-Lambrechts, note sous Cass., 5.11.\991, D. 1992, Somm., 315. Vg\. auch TGI Paris, 9.10.1984, D. 1986, IR, 58, 2 esp. obs. Huet-Weiller. Ebenfalls nicht erforderlich ist, daß die Eltern schon während der gesetzlichen Empfängniszeit getrennt lebten (Cass., 25.1.\980, D. 1981, IR, 296, obs. Huet-Weil/er).

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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die elterliche Sorge der Mutter übertragen wird und in der Folgezeit der Kontakt zwischen Vater und Kind abbrichtISO oder nie entstanden iSt. ISI Unklar ist die Lage aber schon dann, wenn der Abbruch des Kontakts zwischen Vater und Kind darauf zuruckzufiihren ist, daß die Mutter den Umgang erfolgreich zu verhindern wußte. Zwar wird hier ein Erlöschen der possession d'etat für möglich gehalten\S2, doch haben gerade in jüngster Zeit manche Gerichte das Fortbestehen des Personenstandsbesitzes bejaht, weil die Mutter treuwidrig handle, wenn sie die emotionalen Bindungen zwischen Vater und Kind zerstöre. 153 Umgekehrt gibt es auch Fälle, in denen der Vater gezielt den Kontakt zum Kind abbricht, um sich später bei Erhebung der Anfechtungsklage auf ein Fehlen der possession d'etat berufen zu können. Auch hier haben die Gerichte Klagen mit dem Argument abgewiesen, der Vater handle mißbräuchlich, wenn er die Voraussetzungen für die Klageerhebung auf diese Weise selbst schaffe. IS4 Das wurde sogar für den Fall bejaht, daß die Mutter mit dem Kind bei ihrem neuen Freund lebt. ISS Allerdings werden offenbar nicht alle Beteiligten mit gleichem Maß gemessen: In dem umgekehrten Fall einer einseitig vom Kind ausgehenden Distanzierung wurde die Anfechtungsklage zugelassen. IS6 Die Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, den Personenstandsbesitz und damit die Qualität einer Vater-Kind-Beziehung zu beurteilen. Eine verläßliche Analyse der Intensität menschlicher Beziehungen ist kaum möglich. Dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit in Statusfragen wird mit dem Abstellen auf die possession d'etat nur sehr bedingt Rechnung getragen. Ein Kind kann die possession d'etat eines ehelichen Kindes besitzen, so daß die Anfechtung ausgeschlossen ist, obwohl es schwerwiegende Anhaltspunkte dafür gibt, daß das Kind nicht vom Muttergatten abstammt: Nicht ausreichend für den Verlust des Personenstandsbesitzes ist beispielsweise, wenn der beklagte Vater Zweifel an seiner Erzeugerstellung äußert und einen Mehr-

ISO Cass., 25.11.1980, D. 1981, IR, 296, obs. Huet-Weiller; TGI Paris, 9.10.1984, D. 1986, IR, 58, 2 esp. obs. Huet-Weiller; Cass., 19.1.1988, Gaz. Pa\. 1988, 2, 855 note Massip. 151 Cass., 13.12.1989, BuH. civ. I, n. 390; Cass., 27.2.1985, D. 1985,265 note Cornu; CA Paris, 21.2.1995, D. 1995, Somm., 221, obs. Granet-Lambrechts. 152 Cass., 23.6.1987, D. 1987,613; Huet-Weil/er, D. 1985, Chr. 125; vg\. auch Ernst, S. 180 und 182 f. 153 Cass., 30.6.1992, D. 1993, Somm., 161, obs. Granet-Lambrechts, wobei aus diesem Urteil nicht eindeutig hervorgeht, ob ihre Bemühungen mit Erfolg gekrönt waren. CA Dijon, 8.9.1993, D. 1995, Somm., 112, obs. Granet-Lambrechts. 154 Cass., 15.7.1993, D. 1994, Somm., 115, obs. Granet-Lambrechts. ISS CA Nimes, 26.4.1994, D. 1995, Somm., 220, obs. Granet-Lambrechts. 156 CA Poitiers, 30.12.1992, J.-C\. civ., Mise ajour, Art. 319 a 328, n. 78.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

verkehrszeugen benennt l57 oder wenn die Mutter dem Kind seine Nichtabstammung vom früheren Ehepartner offenbart I 58. Auch haben verschiedene Berufungsgerichte nicht gezögert, einen Personenstandsbesitz zu bejahen, obwohl in der ersten Instanz bereits Blutuntersuchungen durchgeführt worden waren, die die Nichtabstammung vom Ex-Gatten bewiesen. 159 Demgegenüber stellte die Cour d'appel de Nancy in einem Urteil vom 20.10.1994 für die Frage nach dem Vorliegen einer possession d'etat maßgeblich darauf ab, daß das Kind wahrscheinlich nicht vom Ehemann abstamme, weil die Mutter während der gesetzlichen Empfängniszeit ehebrecherische Beziehungen unterhalten habe I 60, und die Cour d'appel de Paris sah in einem Urteil vom 13.3.1992 als entscheidend an, daß die Mutter bereits schwanger war, als sie ihren Ehemann kennenlernte l61 • In diesen Urteilen wird die Prüfung der Voraussetzungen für die Ehelichkeitsanfechtung: "Vorliegen oder Nichtvorliegen einer possession d'etat" nicht isoliert, sondern mit Blick auf die wahrscheinlichen Abstammungsverhältnisse beantwortet. Es wird nicht so sehr das Vorliegen einer intakten und lebendigen Vater-Kind-Beziehung, sondern die biologische Wahrscheinlichkeit als Maßstab für die Beurteilung des Personenstandsbesitzes herangezogen. Diese Urteile zeigen, daß der unbestimmte Begriff des Personenstandsbesitzes in der Hand des Richters ein manipulierbares Instrument darstellt. Welches Ziel das französische Recht mit dem Merkmal des Personenstandsbesitzes verfolgt, wird deutlich, wenn man die Frage stellt, ob einem französischen Kind in der vom BVerfG am 31.1.1989 entschiedenen Konstellation l62 ein eigenes Ehelichkeitsanfechtungsrecht zustünde. Das Kind berief sich in der genannten Entscheidung darauf, daß seine Mutter und sein Vater, zu denen es eine gute Beziehung hatte, mit der Anfechtung einverstanden seien

157 TGI Paris, 6.11.\990, RTD civ. 1991,726, obs. HauserIHuet-Weiller; vgl. auch CA Dijon, 11.2.1994, D. 1995, Somm., 112, obs. Granet-Lambrechts. 158 Cass., 30.6.1992, D. 1993, Somm., 161, obs. Granet-Lambrechts (Auch dem Ehemann war bewußt, daß das Kind nicht von ihm abstammte). Die CA Reims sah zur Zerstörung des Personenstandsbesitzes nicht als ausreichend an, daß die Mutter das Kind in der Öffentlichkeit als Abkömmling ihres zweiten Ehemannes hinstellte. Die Cour de cassation begnügte sich allerdings nicht mit der vorgenommenen Sachverhaltsaufklärung und verwies die Sache zurück (Cass., 16.7.1992, Gaz. Pal. 1993,2, Somm.,547). . Cass., 15.7.1993, D. 1994, Somm., 115, obs. Granet-Lambrechts; CA Bourges, 20.9.1993, J.-Cl. civ., Mise ajour, Art. 319 a 328, n. 78. Vgl. auch für die Vaterschaftsanerkennung TGI Paris, 26.3.1991, D. 1993, Somm., 326, obs. Granet-Lambrechts. 160 CA Nancy, 20.10.1994, JCP 1995, IV, n. 2541. 161 CA Paris, 13.3.1992, D. 1993, Somm., 43, obs. crit. Granet-Lambrechts. 162 Vgl. oben 1. Kapitel, AbschnittV.1. I~

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und zwischen den Beteiligten die Vaterschaft eines bestimmten Dritten nicht streitig sei. 163 Voraussetzung fiir eine Ehelichkeitsanfechtung nach französischem Recht wäre, daß das Kind nicht den Personenstandsbesitz eines ehelichen Kindes hatte. Ernst meint, daß in Frankreich eine Anfechtung möglicherweise zugelassen worden wäre. l64 Er beruft sich dabei auf Huet-Weiller, die es nicht fiir ausgeschlossen hält, daß ein französischer Richter das Vorliegen einer possession d'etat allein deshalb verneint, weil einer der Beteiligten eine Ehelichkeitsanfechtungsklage erhebt. 165 Gerade eine Analyse der neueren Rechtsprechung zeigt indessen, daß diese Einschätzung nicht haltbar ist. 166 Die einseitige ,,Kündigung" der Eltern-KindBeziehung - im Extrernfalliediglich ausgedrückt durch die Erhebung der Ehelichkeitsanfechtungsklage - reicht nicht aus, um den Personenstandsbesitz zu beseitigen. 167 Labrusse-Riou und Guidec meinen ganz in diesem Sinne: ,,Die Cour de cassation lehnt einen Einfluß willentlicher Faktoren auf die Bestimmung der possession d'etat ab ... Die Wirkungen einer fehlerfreien possession d'etat können nicht allein durch den Willen des Ehemannes ausgeschaltet werden, ... sein Kind nicht mehr wie seinen rechtmäßigen Abkömmling zu behandeln.,,168 Bestätigt wird diese Aussage durch die eingangs dargestellten Entscheidungen, in denen der einseitige Abbruch der Beziehungen vielfach nicht als ausreichend fiir die Entstehung des Ehelichkeitsanfechtungsrechts angesehen wurde. Zu bedenken ist auch, daß in dem fraglichen BVerfG-Urteil von einem Beziehungsabbruch nicht einmal die Rede sein konnte. Vater und Tochter hatten ein gutes Verhältnis zueinander und wollten daran auch nichts ändern. Es erscheint ausgeschlossen, daß in Frankreich eine Ehelichkeitsanfechtungsklage zugelassen würde, obwohl die sozialen Beziehungen zwischen den Beteiligten völlig intakt sind und die Klage allein dazu dienen soll, die biologische Richtigkeit der Vater-Kind-Zuordnung zu überprufen. In Frankreich besteht ein Ehelichkeitsanfechtungsrecht, wenn eine alte Beziehung zerstört ist

163 AG Hamburg, DAVonn 1987,545 ff. S. 172 f. Huet-Weiller, D. 1985, Chr., 126. 166 Vgl. auch Vidal, S. 751 und 753. 167 Cass., 15.7.1993, D. 1994, Somm., 115, obs. Granet-Lambrechts; Cass., 30.6.1992, D. 1993, Somm., 161, obs. Granet-Lambrechts. 168 Rep. Dalloz, Filiation legitime, n. 35: "la Cour de cassation est hostile a l'impact 164

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de la volonte sur la notion de possession d'etat ... elle a precise que les effets d'une possession d'etat exempte de vice ne peuvent etre mis aneant par la seule volonte du mari ... de cesser de traiter l'enfant comme son enfant legitime."

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

oder eine neue Beziehung für das Kind an Bedeutung gewonnen hat. Das Aufdecken der biologisch wahren Zuordnung wird nicht als ein Wert an sich betrachtet. Dies wird auch in einem Urteil der Cour d'appel de Bordeaux deutlich, in dem ein Vater sein Anerkenntnis anfechten wollte, weil er Zweifel an der Abstammung des Kindes hatte. Die Richter wiesen die Klage mit folgender Begründung ab: "Ziel dieser Klage ... ist weder, sich ... Gewißheit über seine Vaterschaft zu verschaffen ... noch, die Zweifel zu beheben .. , sondern im Gegenteil, eine Vater-Kind-Zuordnung abzustreiten.,,169

3. Anfechtungsfristen a) Der "desaveu d'accord" Lange Zeit war in der französischen Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob die Einhaltung der Anfechtungsfristen von Amts wegen überprüft werden muß. In der Praxis kam es teilweise nach Ablauf der Anfechtungsfristen zu einer sog. einverständlichen Vaterschaftsanfechtung (desaveu d'accord), bei der keine Seite sich auf den Fristablaufberief. Ein solches Vorgehen war für die Parteien dann von Interesse, wenn das Kind eine possession d'etat gegenüber dem Muttergatten besaß, dieser somit nicht auf das von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine Anfechtungsrecht zurückgreifen konnte, aber für sein eigenes gesetzliches Anfechtungsrecht die Sechsmonatsfrist (Art. 316 C.C.) verstrichen war. Gern. Art. 125 Nouveau Code de Procedure Civile (N.C.P.c.) wäre eine amtswegige Berücksichtigung der Verjährung dann vorgeschrieben, wenn die Fristbestimmung zum ordre public gehören würde. Zunächst lehnten einige Urteile einen solchen ordre-public-Charakter ab. Die Richter beriefen sich darauf, Anliegen der Kindschaftsrechtsreform aus dem Jahre 1972 sei es gewesen, der biologischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Es mache keinen Sinn, an einer Vater-Kind-Zuordnung festzuhalten, die weder von dem Vater noch der Mutter gewünscht werde. 170 Während ein Teil der Literatur diese Recht-

169 D. 1993, Somm., 163: "L'objet de l'action ... n'est pas de pennettre ... de se forger des certitudes sur la realite de sa patemite ni ... de lever les doutes ... mais au contraire, de denier le lien de filiation." 170 TGI Fontainebleau, 14.4.1976, JCP 1976, IV, 6613, obs. J.A.; RTD civ. 1977, 759, obs. NersoniRubellin-Devichi; CA Agen, 7.12.1987, RTD civ. 1988, 729, obs. Rubellin-Devichi.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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sprechung ablehnte l7l , wollten andere die Verjährung dann von Amts wegen beachten, wenn das Interesse des Kindes dies gebietet. 172 Mittlerweile kann die Frage als geklärt angesehen werden. Nach einem Urteil der Cour de cassation l73 haben sich nunmehr auch die Instanzgerichte der Ansicht angeschlossen, daß in Kindschaftssachen die Ausschlußfristen von Amts wegen zu berücksichtigen sind. 174 Ein desaveu d'accord sei eine Umgehung der Anfechtungsfristen und widerspreche dem Grundsatz der Unverfiigbarkeit des Kindesstatus. 175 Eine große Bedeutung kommt dieser Rechtsprechung allerdings nicht zu. Sind sich die Beteiligten einig, können sie übereinstimmend das Nichtvorliegen eines Personenstandsbesitzes behaupten und damit gern. Art. 322 Abs. 2 c.e. e contrario die Ehelichkeit anfechten. Den Wahrheitsgehalt einer solchen übereinstimmenden Aussage kann der Richter, dem kein eigener Ermittlungsapparat zur Verfügung steht, kaum überprüfen. b) 1Ojähriger Personenstandsbesitz Das Recht auf Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung verjährt grundsätzlich nach der allgemeinen Verjährungsvorschrift für Statusklagen in 30 Jahren ab dem Zeitpunkt der Anerkennung (Art. 311-7 C. e.). 176 Allerdings sind dritte Personen mit Ausnahme des Kindes, der Mutter und des angeblichen Erzeugers von der Anfechtung ausgeschlossen, wenn das Kind seit mindestens zehn Jahren eine possession d'etat gegenüber dem Anerkennenden besitzt (Art. 339 Abs. 2 e.e.). Auch hier erlaubt der unbestimmte Begriff der possession d'etat keine klare Grenzziehung. Die Cour d'appel de Poitiers bejahte bei einem nach Anerkenntnis durch Eheschließung legitimierten Kind einen IOjährigen Personenstandsbesitz, obwohl die Eheleute sich 4 Jahre nach der Geburt des Kindes hatten scheiden lassen und der Vater seitdem

171 Marty/Raynaud, n. 163; Weil/fI'erre, n. 551; Vidal, La place de la verite dans le droit de la filiation, Melanges Marty, 1978, S. 1132 f. 172 Gebier, note sous CA Basse-Terre, 20.5.1974, JCP 1975, 11, 17953; HuetWeil/er, D. 1978, Chr., 237. Vgl. umfassend ChardiniHenry, l-Cl. civ., fase. 20, Art. 312 a318-2, n. 44 f. 173 Cass., 24.11.1987, D. 1988, Somm., 403, obs. Huet- Weil/er. 174 V gl. beispielsweise CA Aix-en-Provence, 21.2.1996, D. Somm., 159, obs. Granet. 175 CA Versailles, 12.3.1992, D. 1992, IR, 165; CA Paris, 26.11.1993, RTD civ. 1994,336, obs. Hauser; vgl. auch Cass., 2.6.1992, D. 1992, IR, 202. 176 In der französischen Literatur ist die enorme Länge der Anfechtungsfristen in die Kritik geraten (Hauser, RTD civ. 1993,812).

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen sein Besuchsrecht nicht ausgeübt und auch keine Unterhaltszahlungen geleistet hatte, zu denen er aufgrund eines Urteils verpflichtet war. 177

Zur Begründung verwies das Gericht darauf, daß ein solches Desinteresse des Vaters "leider eine verbreitete Erscheinung" sei. Demgegenüber sah das Tribunal d' Argentan in einem vergleichbaren Fall den Personenstandsbesitz als zweifelhaft (equivoque) und damit als unbeachtlich an. 178 Auch die Cour de cassation traf in einem Urteil aus dem Jahre 1996 eine Entscheidung, über die sich streiten läßt. Der Vater hatte seine Anerkenntniserklärung 10 Jahre nach der Geburt des Kindes abgegeben. In der Folgezeit hatte sich sein Kontakt zu dem Kind auf drei Geldüberweisungen beschränkt. Dennoch bejahte das Gericht das Vorliegen einer possession d 'hat. f79

4. Die Stellung des Erzeugers des Kindes

Im französischen Recht kann der biologische Erzeuger - wie jeder Interessierte - ein Vaterschaftsanerkenntnis anfechten und die Ehelichkeit eines Kindes in Frage stellen, indem er das Kind anerkennt oder dessen Ehelichkeit anficht, wenn dieses gegenüber dem Muttergatten keine possession d'etat mehr besitzt. Die bisherigen Ausfiihrungen zum Personenstandsbesitz (vgl. 2. Kapitel A.Ll) haben deutlich gemacht, daß ein solcher von der Rechtsprechung z.T. selbst dann bejaht wird, wenn Mutter und Ehemann bereits unmittelbar nach der Geburt nur noch minimalen Kontakt miteinander haben. In solchen Fällen ist ein Ehelichkeitsanfechtungsrecht des Erzeugers ausgeschlossen, es sei denn, dieser entwickelt selbst eine enge Beziehung zu dem Kind, so daß der neue Personenstandsbesitz in Konflikt mit dem alten tritt. Darüber hinaus hat der Erzeuger auch die Möglichkeit, das Kind bereits vor der Geburt anzuerkennen und hierdurch unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Überprüfung der Abstarnmungsverhältnisse zu erzwingen. Die Cour de cassation hatte folgenden Fall zu entscheiden: Nachdem zwischen Frau S. und ihrem Ehemann ein Scheidungsverfahren eingeleitet worden war, war Frau S. zu einem neuen Freund gezogen. Als sie schwanger wurde,

177 CA Poitiers, 15.2.1989, D. 1989, Somm., 366, obs. Huet-Weiller; vgl. auch Cass., 3.3.1992, RTD civ. 1993,109, obs. Hauser und CA Paris, 16.9.1993, D. 1993, IR, 222, wobei in beiden Fällen allerdings noch ein gewisser Kontakt zwischen Vater und Kind fortbestand. 178 TGI Argentan, 13.6.1991, Gaz. Pa\. 1993, 2, Somm., 509; vg\. auch Cass., 28.5.1991, D. 1991, IR, 172. 179 Cass., 9.3.1996, RTD civ. 1996,374 obs. Hauser.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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gab dieser ein pränatales Vaterschaftsanerkenntnis ab. Allerdings versöhnten sich die Eheleute vor der Geburt des Kindes und zogen wieder zusammen.

Die Besonderheit dieses Falles lag darin, daß eine possession d'etat zwischen dem Kind und dem Muttergatten, die der Wirksamkeit des Anerkenntnisses hätte entgegenstehen können, im Zeitpunkt des vorgeburtlichen Anerkenntnisses nicht vorliegen konnte. Zwar wird in der französischen Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit einer pränatalen possession d'etat bejaht1SO, doch hatte die Mutter während des überwiegenden Teils der gesetzlichen Empfangniszeit von ihrem Ehemann getrennt gelebt. Demgegenüber war dieser nach der Geburt des Kindes die einzige und ausschließliche Bezugsperson für das Kind geworden. Die Cour de cassation bejahte die Wirksamkeit des pränatalen Anerkenntnisses, ohne auf die besonderen Umstände des Anerkenntniszeitpunkts einzugehen. 1St Damit bestand ein conflit defiliation, der gern. Art. 311-12 C.C. zugunsten der wahrscheinlicheren Vaterschaft - notfalls unter Zuhilfenahme von Blutuntersuchungen - zu entscheiden war. Die Tatsache, daß der Anerkennende niemals mit dem Kind zusammengelebt hatte, sondern· dieses seit seiner Geburt von seiner Mutter und ihrem Ehemann aufgezogen worden war, spielte keine Rolle. Das Kriterium des Personenstandsbesitzes, das dazu dienen soll festzustellen, ob zwischen Ehemann und Kind eine schützenswerte Sozialbeziehung besteht, wird damit ausgehöhlt: Lebt die Mutter im Zeitraum vor der Geburt nicht mit ihrem Ehepartner zusammen, so daß dieser keine pränatale possession d'etat gegenüber dem Kind besitzt, und gibt der mutmaßliche Erzeuger vor der Geburt des Kindes ein Anerkenntnis ab, wird die biologische Abstammung des Kindes überprüft - ohne Rücksicht auf eine eventuelle Wiederherstellung der Familiengemeinschaft zwischen der Mutter und ihrem Ehegatten. Der entstehende conflit de filiation ist gern. Art. 311-12 C.C. stets zugunsten der wahrscheinlicheren Vaterschaft aufzulösen. Ist das Kind demgegenüber bereits geboren und lebt mit dem Muttergatten zusammen, hat der Erzeuger bereits kurz nach der Geburt keinerlei Eingriffsmöglichkeiten mehr. Somit führt diese Rechtsprechung in manchen Fällen zu einem Wettlauf zwischen Niederkunft und vorgeburtlichem Anerkenntnis. Der durch die possession d'etat angestrebte Schutz der gelebten Vater-Kind-Beziehung bleibt dann auf der Strecke.

ISO Vgl. TGI Nanterre, 8.6.1988, D. 1988, Somm., 400, obs. Huet-Weiller; CA Montpellier, 10.6.1996, D. 1997, Somm., 155, obs. Granet-Lambrechts. tSt Cass., 4.5.1994, D. 1995,601, note Mirabail; D. 1995, Somm., 115, obs. GranetLambrechts. Die Cour de cassation hat das Verfahren an die Cour d'appel zurückverwiesen: CA Montpellier, 10.6.1996, D. 1997, Somm., 155, obs. GranetLambrechts. 7 Helms

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

11. Reform des deutschen Rechts In Deutschland wurden die Ehelichkeitsanfechtung und die Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung durch das KindRG zu dem einheitlichen Institut der Vaterschaftsanfechtung zusammengefaßt (§ 1599 Abs. 1 BGB n.F.) und ihre Voraussetzungen vollkommen vereinheitlicht.

J. Anfechtungsrecht der Mutter Schon seit längerer Zeit wurde kritisiert, daß der Kindesmutter kein eigenes Recht zur Ehelichkeitsanfechtung zustand 182, was vor allem deshalb überraschte, weil ihr ein Recht auf Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses seit dem NEhelG von 1969 zusteht. Auch in dieser Frage entstand Reformdruck durch die Wiedervereinigung, weil in der DDR der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf den Grundsatz der Gleichberechtigung schon im Jahre 1950 der Mutter ein eigenes Anfechtungsrecht zugesprochen hatte. 183 Nach dem KindRG zählt die Mutter zum Kreis der Anfechtungsberechtigten (§ 1600 Abs. 1 BGB n.F.).184 Nach dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung l85 war ihr Anfechtungsrecht allerdings noch dadurch beschränkt, daß sie zu Lebzeiten des Kindes die Vaterschaft nur unter der Voraussetzung sollte anfechten dürfen, daß dies dem Wohl des minderjährigen Kindes dient (§ 1600 Abs.2 Nr. 1 BGB-E) oder das volljährige Kind seine Zustimmung erteilt (§ 1600 Abs. 2 Nr. 2 BGB-E). Durch diese Einschränkungen sollte ein Gleichlauf zwischen dem Anfechtungsrecht der Mutter und demjenigen des minderjährigen Kindes hergestellt werden, das ebenfalls einem Kindeswohlvorbehalt unterworfen wurde. In der Stellungnahme des Bundesrates wurde demgegenüber ein voraussetzungsloses Anfechtungsrecht der Mutter gefordert. Sie solle die gleichen Rechte haben wie ihr Ehemann, denn sie habe das gleiche Interesse wie er an 182 Schwenzer, Gutachten, S. A 34 f. m.w.N.; weitere Nachweise auch bei Deichfuß, FuR 1991,275 Fn. 1 und 2. 183 NJ 1951, 185 f. Dem kam der Gesetzgeber 1965 bei Einführung des FGB nach: § 61 Abs. 1 FGB. 184 Ersatzlos gestrichen wurde das subsidiäre Anfechtungsrecht der Eltern des Mannes (§§ 1595a, 1600h Abs. 1 BGB a.F.). Diesem Anfechtungsrecht kam aber in der Praxis keine große Bedeutung zu. 185 Am 24.7.1995 war ein Referentenentwurfvorgeiegt worden, der im wesentlichen inhaltsgleich als Regierungsentwurf (BR-Drucks. 180/96) dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet wurde. Dieser bezog am 22.3.1996 dazu Stellung (BR-Drucks. 180/96). Die Bundesregierung legte daraufhin am 13.6.1995 einen endgültigen Regierungsentwurfvor (BT-Drucks. 13/4899).

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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der Beseitigung einer unzutreffenden rechtlichen Zuordnung. 186 Der Bundestag gab dieser Forderung nach. Die Frist fiir die Anfechtung der Ehelichkeit wurde auf zwei Jahre seit Kenntnis der Umstände, die gegen die Ehelichkeit sprechen, festgelegt. Gern. § 1600b Abs.5 BGB-E sollte ursprünglich eine neue Zweijahresfrist laufen, wenn die Mutter Kenntnis von Umständen erlangte, auf Grund derer die ,,Folgen der Vaterschaft" fiir sie "unzurnutbar" wurden. Auf dieses Wiederaufleben der Anfechtungsfrist im Falle der "Unzumutbarkeit" wurde im Gegenzug zu der sachlich unbeschränkten Zulassung der Ehelichkeitsanfechtung verzichtet. Da die Anfechtungsfrist fiir die Mutter somit i.d.R. unmittelbar nach der Geburt zu laufen beginnt, werde gewährleistet, daß sich noch keine sehr tiefgreifenden Bindungen zwischen Vater und Kind entwickelt hätten, so daß auf eine Kindeswohlprüfung verzichtet werden könne. 187 Das eigene Anfechtungsrecht der Mutter bietet dieser - im Vergleich zu einer Anfechtung als Stellvertreterin des Kindes - vor allem den Vorteil, daß sie weder bei der Entscheidung über die Anfechtung auf die Mitwirkung ihres Ehernannes l88 , noch bei der Durchfiihrung auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers angewiesen ist. 189 Für den Regelfall ist es sicher sachgerecht, daß das Anfechtungsrecht der Mutter nicht einem unbestimmten Kindeswohlvorbehalt unterworfen wird. Aufgrund der zweijährigen Befristung ist ein Konflikt mit den Interessen des Kindes im Nonnalfall ausgeschlossen. Denkbar sind aber Fälle, in denen die Eheleute bereits kurz nach der Geburt an Scheidung denken, und sich abzeichnet, daß die elterliche Sorge fiir das Kind vermutlich auf den Vater allein übertragen wird oder nach Trennung der Ehegatten sogar an ihn schon übertragen wurde. Hier könnte die Mutter ihr eigenes Anfechtungsrecht dazu benutzen, um die fiir das Kind zentrale Sozialbeziehung zu zerstören. 190

BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 148. BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 166. 188 Solange den Eltern die Sorge gemeinsam zusteht, entscheiden sie auch gemeinsam darüber, ob eine Anfechtungsklage erhoben werden soll (MünchKomm/ Mutschler, § 1597 Rz. 6; Soergel/Gaul, § 1597 Rz. 8). 189 Vor der Scheidung zwingen dazu §§ 1629 Abs. 2 S. I, 1795 Abs. I Nr. 3 BGB; auch nach der Scheidung und Ubertragung der elterlichen Sorge allein auf die Mutter kann dies gern. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB erforderlich sein. 190 Kritisch gegenüber einem fehlenden Kindeswohlvorbehalt: Gaul, FamRZ 1997, 1441, 1458; vgl. auch Diederichsen, NJW 1998, 1977, 1980 Fn. 37. 186

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

2. Anfechtungsrecht des Kindes

Um das vom BVerfG angemahnte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu verwirklichen, fiihrt das KindRG in Abkehr von § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. ein sachlich unbeschränktes Anfechtungsrecht des Kindes ein (§ 1600 Abs. 1 BGB n.F.}.191 Solange das Kind beschränkt geschäftsfähig ist, wird dieses Recht von seinem gesetzlichen Vertreter wahrgenommen (§ 1600a Abs.3 BGB n.F.), ohne daß dieser wie bisher eine vormundschaftsgerichtliehe Genehmigung einholen müßte. Statt dessen ist das Anfechtungsrecht tatbestandlieh auf die Fälle beschränkt, in denen eine Anfechtung dem Wohle des Kindes dient (§ 1600a Abs. 4 BGB n.F.). a} Bei Volljährigkeit Maßgebliche Überlegung des Gesetzgebers bei der Einfiihrung eines sachlich unbeschränkten Anfechtungsrechts des Kindes war, daß die "Belastungen der Eltern regelmäßig bereits dann auftreten, wenn das volljährige Kind die Vaterschaft des Scheinvaters in Frage stellt".192 Ob dieses Argument stichhaltig ist, erscheint fraglich. Zu bedenken ist, daß die unbegrenzte Zulassung der Ehelichkeitsanfechtung dem Kind in vielen Fällen erst den Anreiz gibt, die Vaterschaft in Frage zu stellen, und das nicht nur aus Gründen der Identitätsfmdung, sondern auch aus der fmanziellen Erwägung, einen wohlhabenderen Vater zu fmden oder eine lästige Unterhaltspflicht gegenüber seinem Vater abzustreifen. Der Gesetzgeber scheint zu unterstellen, daß die Großzahl der Ehelichkeitsanfechtungen vorrangig der Verwirklichung der Persönlichkeit dienen. Wenn die Belastung des Farnilienfriedens wirklich schon dann eintreten würde, wenn die Ehelichkeit des Kindes in Frage gestellt wird, könnte man mit diesem Argument jedem beliebigen Dritten unbeschränkte Anfechtungsrechte zubilligen. b} Bei Minderjährigkeit Das Anfechtungsrecht des minderjährigen Kindes, das von seinen Sorgeberechtigten auszuüben ist, wurde vom KindRG einem Kindeswohlvorbehalt unterworfen. Die Beachtung des Kindeswohls ist im Abstammungsrecht nicht 191 Der Entwurf venichtet zu Recht auf die Einfiihrung einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage (zu den Gründen dafiir BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 66 f.). Umfassend zu dieser Problematik Frank, GS Arens, S. 65 ff. 192 Schwenzer, FuR 1992 Beilage, S. 5; so auch der Änderungsvorschlag der SPDFraktion zum KindRG, BT-Drucks. 13/1752 v. 21.6.1995, S. 12.

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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neu. Schon nach bisherigem Recht benötigte der gesetzliche Vertreter gern. § 1597 Abs. 1 BGB a.F. bzw. § 1600k Abs. 1-S. 2 BGB a.F. für die Erhebung einer Anfechtungsklage die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, das sich bei seiner Entscheidung am Kindeswohl zu orientieren hatte. 193 Das KindRG weitet die Bedeutung der Kindeswohlklausel allerdings ganz erheblich aus. Nach bisherigem Recht bestand ein Anfechtungsrecht des Kindes nur, wenn eine der in § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. angeführten Voraussetzungen gegeben war, deren Vorliegen bereits als Indiz dafür gelten konnte, daß die Anfechtung dem Kindeswohl entsprach. Eine Verweigerung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung war in der Praxis eher selten. Es hätte sich angeboten, diese gesetzliche Kasuistik fortzuentwickeln, anstatt sie komplett zu streichen. 194 Dennoch haben die Konstellationen des alten § 1596 Abs. 1 BGB a.F. ihre Indizwirkung nicht verloren und können als Orientierung für die Konkretisierung des Kindeswohls dienen. Grundsätzlich aber ist jeder Fall nun eigenständig zu beurteilen. Es gilt, eine Abwägung vorzunehmen zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Kindes, seinen sozialen und emotionalen Bindungen und dem Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner wahren Abstammung. 195 Auch die eigenen Wünsche und Vorstellungen des Kindes sind angemessen zu berücksichtigen. In der Reformdiskussion war eine Erweiterung des Anfechtungsrechts des Kindes vor allem für die Fälle gefordert worden, in denen die Kindesmutter sich von ihrem Ehemann getrennt und mit ihrem Kind sowie dem wahren Erzeuger eine neue Familiengemeinschaft gegründet hat, ohne daß bereits die dreijährige Trennungsfrist des § 1596 Abs. 1 Nr.2 a.E. BGB a.F. abgelaufen war. 196 Hier mag es in der Tat dem Kindeswohl entsprechen, wenn durch eine Anfechtungsklage die schnelle Eingliederung in die für das Kind nun maßgebliche Familiengemeinschaft ermöglicht wird. Allerdings ist zu bedenken, daß man sich in einen gesetzessystematischen Widerspruch zu den Trennungs-

193 Auch in der Schweiz nimmt die Vormundschaftsbehörde eine entsprechende Prüfung vor (Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 4. Aufl. 1994, Rz. 6.07), wobei dort allerdings - wie nach bisherigem deutschen Recht - das Anfechtungsrecht des minderjährigen Kindes von vornherein auf bestimmte Fälle beschränkt ist (Art. 256 Abs. 1 NT. 2 ZGB). 194 So auch die Aufforderung durch den Beschluß V.l.d des 59. Deutschen Juristentages, Hannover 1992. Als Vorbild hätte die Regelung des Art. 256 Abs. 1 NT. 2 ZGB dienen können, ergänzt um einen Kindeswohlvorbehalt. 195 Beim minderjährigen Kind sollte dem Interesse an der Kenntnis der wahren Abstammung keine zu große Bedeutung beigemessen werden (vgl. auch BayObLG, FamRZ 1995, 185, 186). 196 Henrich, S. 196 f.; Beitzke, FS Müller-FreienfeIs, S.49; Münder, RdJB 1989, 456, 462; Schwenzer, FamRZ 1985, 1,6; Zenz/Salgo, S. 79.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

fristen des Ehescheidungsrechts setzen würde, die ja gerade die Chance einer Versöhnung eröffnen sollen. Es stellt sich außerdem die Frage, ob es ausreichend ist, wenn die Mutter eine neue Lebensgemeinschaft mit einem Mann gründet, der nicht der genetische Vater des Kindes ist. Gibt dieser, um die Kindeswohlprüfung zugunsten der Anfechtbarkeit zu beeinflussen, ein Vaterschafts anerkenntnis ab, das gern. § 1594 Abs.2 BGB n.F. mit Rechtskraft der Vaterschaftsanfechtung wirksam würde, so ist er nicht daran gehindert, sich hiervon später - im Wege einer Vaterschaftsanfechtung - wieder zu lösen. Eine wirklich endgültige VaterKind-Zuordnung wird nur garantiert, wenn die Mutter sich dem Erzeuger zuwendet und dieser das Kind anerkennt. Mutschler fordert deshalb, daß im Rahmen des Ehelichkeitsanfechtungsverfahrens die formgültige Anerkennungserklärung des "leiblichen Vaters" vorzulegen ist, ohne allerdings zu erläutern, wie überprüft werden soll, ob es sich tatsächlich um den leiblichen Vater handelt. 197 Zwar würde eine solche Auffassung der Kindeswohlklausel schärfere Konturen verleihen, doch dürften damit wohl kaum alle Fälle erfaßt werden, in denen eine Vaterschaftsanfechtung dem Kindeswohl dient. Hätte der Gesetzgeber die Ehelichkeitsanfechtung durch das Kind nur um den Fall der Hinwendung zum leiblichen Erzeuger erweitern wollen, so hätte er den § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. um eine entsprechende Nr.6 ergänzen können. Auch nach altem Recht ka:m es nach Ablauf der Trennungsfristen nicht darauf an, wem sich die Mutter zugewandt hatte und ob sie überhaupt einen neuen Freund hatte (§ 1596 Abs. 1 Nr.2 BGB a.F.). Warum sollte dann vor Ablauf dieses Zeitraums die Hinwendung zum leiblichen Erzeuger conditio sine qua non für die Vaterschaftsanfechtung sein? Aber selbst wenn der alte Tatbestand des § 1596 Abs. 1 Nr. 2 BGB a.F. erflillt ist, d.h. die Ehe geschieden oder die dreijährige Trennungsfrist abgelaufen ist, könnte es in Zukunft schwierig werden, das Kindeswohl zu bestinnnen. Solange § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. die Anfechtung aufbestinnnte Tatbestände beschränkte, bestand die Tendenz der Vormundschaftsgerichte, nur ausnahmsweise den Sorgeberechtigten die Genehmigung für die Anfechtung zu verweigern. 198 Nunmehr setzt jede Anfechtung im Namen des minderjährigen Kindes tatbestandlich voraus, daß sie dem Wohl des Kindes dient. Damit hat sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis verschoben, denn nach der alten Rechtslage wurde die Anfechtung durch das minderjährige Kind zugelassen, soweit das Kindeswohl dem nicht entgegenstand. 197 198

Rz.15.

FamRZ 1994,65,69. Vgl. MünchKommiMutschler, § 1597 Rz.7 und MünchKommiSchwab, § 1828

B. Änderung der Vater-Kind-Zuordnung

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Problematisch werden vor allem die Fälle bleiben, in denen die Mutter zwar eine neue Partnerschaft begründet, aber ein intensiver Kontakt zwischen Kind und Ehemann der Mutter fortbesteht. Dient eine Vaterschaftsanfechtung dann dem Interesse des Kindes? Und wie ist es mit den gar nicht so abwegigen Fällen, in denen die Mutter sich lediglich vorübergehend vom Ehemann trennt, zu ihm zeitweilig wieder zurückkehrt, um ihn dann u.U. endgültig zu verlassen? Wertungsprobleme könnte das neue Anfechtungsrecht des Kindes auch dann aufwerfen, wenn die Fristen fiir die Anfechtungsrechte der Mutter und des Vaters verstrichen sind und die Eltern gemeinsam beschließen, trotz Fortbestands der Familiengemeinschaft die Vaterschaft als gesetzliche Vertreter des Kindes anzufechten, um den außerehelichen Erzeuger wegen des Kindesunterhalts in Anspruch zu nehmen. 199 Ein solches Vorgehen kommt deshalb in Frage, weil die Anfechtungsfristen fiir das Kind und seine Eltern nicht zur gleichen Zeit ablaufen. Für den Fristbeginn beim minderjährigen Kind kommt es grundsätzlich auf die Kenntnis seiner gesetzlichen Vertreter an. Solange deren Ehe aber nicht geschieden und die elterliche Sorge nicht der Mutter allein übertragen ist, sind die Eltern in ihrem Vertretungsrecht eingeschränkt. 2OO Zur Betreibung der Vaterschaftsanfechtung bedarf es der Bestellung eines Ergänzungspflegers. Erst danach beginnt auch die Anfechtungsfrist zu laufen. Zugunsten der Anfechtung spricht die zusätzliche fmanzielle Absicherung, die dem Kind zugute käme. Gegen die rechtliche Ausgliederung aus der Familiengemeinschaft spricht, daß es zu einem Auseinanderfallen von sozialer und rechtlicher Elternschaft kommen würde. Dies könnte dem Kind Identifikationsprobleme bereiten und in ihm die Vorstellung nähren, es stelle fiir seine Eltern eine unliebsame Belastung dar. Insgesamt machen die hier aufgeworfenen Fragen deutlich, daß sich das deutsche Recht an das französische angenähert hat. Auch im französischen Recht ist die possession d'etat ein Mittel, um die Interessen des Kindes zu berücksichtigen. Genauso wie das französische Recht wird man in Deutschland in Zukunft im Abstammungsrecht vermehrt mit Wertungsproblemen und Einzelfallentscheidungen konfrontiert werden. c) Anfechtungsfristen Während die Frist zur Erhebung der Vaterschaftsanfechtung gern. § 1600b Abs. 1 HGB n.F. einheitlich fiir alle Klagen zwei Jahre seit Kenntnis der Um199 Eine Anfechtung durch das mindeIjährige Kind untersagt in diesem Fall das Schweizer Recht: Art. 256 Abs. 1 Nr. 2 ZGB. 200 Vater: Verbot eines In-Sieh-Prozesses; Mutter: §§ 1629 Abs. 2 S. I, 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststel1ung mit Statusfolgen

stände beträgt, die gegen die Vaterschaft sprechen, beginnt für das Kind ab Volljährigkeit eine neue Frist (§ 1600b Abs. 3 S. 2 BGB n.F.). Darüber hinaus läuft gern. § 1600b Abs. 5 BGB n.F. (geänderte Fassung) eine weitere Zweijahresfrist, wenn das Kind Kenntnis von Umständen erlangt, auf Grund derer die ,,Folgen der Vaterschaft" "unzumutbar" werden. Dieses Neuaufleben der Anfechtungsfrist wurde zum Schutz des Kindes für notwendig erachtet, um das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung zu schützen. 201 In der Reformdiskussion ist - soweit ersichtlich - eine entsprechende Vorschrift nie vorgeschlagen worden. Vielmehr wurde überwiegend eine Anfechtungsfrist von einem Jahr seit Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände gefordert. 202 Eine solche eindeutige Ausschlußfrist hätte eine frühzeitige Klärung der Abstammungsverhältnisse gewährleistet und damit den Familienfrieden geschützt. 203 Auch rechtsvergleichend gesehen ist § 1600b Abs. 5 BGB n.F. weitgehend ohne Vorbild. Diejenigen Länder, die in der Tradition des deutschen Rechtskreises Wert auf Statussicherheit und Statusklarheit legen, begrenzen die Anfechtung durch relativ kurze Ausschlußfristen, die meist ein Jahr nach der Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände ablaufen. 204 Das französische Recht sowie die anderen romanischen Länder sehen allerdings lange Verjährungsfristen vor, weil man dort traditionell mehr Beweglichkeit im Abstammungssystem zuläßt. 205 Am ehesten vergleichbar dürfte die Schweizer Regelung sein, nach der die Versäumung einer Anfechtungsfrist gern. Art. 256c Abs. 3 ZGB unschädlich ist, wenn sie aus "wichtigem Grund entschuldigt" ist. Grundsätzlich problematisch an der deutschen Regelung ist bereits, daß für das Kind - nicht aber für seine Eltern - ein neues Anfechtungsrecht entsteht, wenn ihm ein Festhalten an der Vaterschaft unzumutbar wird. Solche Fälle sind

201 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 166 f. Der Bundesrat hatte sich auch beim Kind rur die Streichung dieser Frist eingestzt (BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 148 f.). 202 I-Jahresfrist: These 11.3 des Deutschen Juristinnenbundes, in FamRZ, 1992,912; dazu Schwenzer, FuRinfo 4/921992,1,4 f.; SPD-Antrag, Reform des Kindschaftsrechts, BT-Drucks. 12/4024 v. 17.12.1992, S. 3 f.; Schwenzer, Gutachten, S. A 38; Mutsch/er, FamRZ 1994, 65, 69; Frank, Abstammung und Status, S. 91. 203 Ober/oskamp, FuR 1991,263, 267; Schwenzer, FuRilifo 4/1992, 1,4; vgl. auch BVerfG, FamRZ 1975,82,85 f. 204 Ehemalige DDR: §§ 59 Abs. 2, 62 Abs. 1 FGB; Schweiz: Art. 256c Abs. 1 und 2 ZGB; Österreich: §§ 156, 163d, 164b ABGB. Längere Fristen kennen Dänemark: § 5 KinderG 1986; Norwegen: § 6 Abs. 1 KinderG 1981. 205 Belgien: Art. 33lter C.C.; Frankreich: Art. 311-7, 316 C.C.; Italien: Art. 263 Abs.3 C.C. (Vaterschaftsanerkenntnis); anders in Art. 244 Abs. 2 und 3 C.C. (Ehelichkeitsanfechtung); vgl. auch Schweden: 3. Kap. § 2 EltemG 1949.

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vor allem dann denkbar, wenn es im Vorfeld der Anfechtung zu einer Zerrüttung der Familiengemeinschaft gekommen ist. Hier dürfte es den Eltern schwerfallen zu akzeptieren, daß ihnen nicht ebenfalls ein Anfechtungsrecht zusteht, zurnal meistens Familienkonflikte von allen Seiten mitzuverantworten sind. Was die Anfechtungsfrist des Kindes anbelangt, schlägt die Entwurfsbegründung zur Konkretisierung der "Unzumutbarkeit" eine Orientierung an den bisherigen Tatbeständen des § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. vor.2°6 Doch wie weit ein solcher Rückgriff gehen soll, bleibt unklar. Ist der Vater des Kindes gestorben (§ 1596 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F.), ist nicht ersichtlich, warum dem Kind damit automatisch ein neues Anfechtungsrecht zustehen sollte. Schließlich verdient auch die Persönlichkeitssphäre der Mutter Schutz. Damit hier ein Festhalten an der Vaterschaft fiir das Kind unzumutbar sein soll, müßten also noch weitere Umstände hinzukommen. Gleichfalls unverständlich wäre, wenn das Kind in Anlehnung an § 1596 Abs. 1 Nr.2 BGB a.F. die Vaterschaft anfechten könnte, wenn sich seine Eltern 50 Jahre nach der Eheschließung scheiden lassen. 207 Unklar bleibt darüber hinaus, wie in den Konstellationen zu entscheiden wäre, die das BVerfG zum Anlaß fiir seine Kritik an § 1596 Abs. 1 BGB a.F. genommen hatte. Hat das Kind seit dem 18. Lebensjahr Kenntnis von den Umständen, die gegen die Vaterschaft sprechen, ist gern. § 1600b Abs. 1 BGB n.F. die Anfechtungsfrist zwei Jahre später abgelaufen. Lebt das Anfechtungsrecht wieder auf, wenn 5 Jahre danach Vater und Mutter einer Anfechtungsklage durch das Kind zustimmen? In einem solchen Fall wird man schwerlich davon sprechen können, daß nun die "Folgen der Vaterschaft" fiir das Kind "unzumutbar" geworden sind. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine Anfechtung nicht auch dann möglich sein soll, wenn keine Seite unter der Anfechtung zu leiden scheint, sondern nur dann, wenn die Folgen der Vaterschaft fiir den einen Teil "unzumutbar" sind, obwohl in einem solchen Fall die Anfechtung fiir die anderen Beteiligten eine große Belastung darstellen kann. In einem obiter dictum hatte das BVerfG die Beschränkung durch die Tatbestände des § 1596 Abs. 1 Nr. 1-5 BGB a.F. auch fiir den Fall kritisiert, daß das Kind sich dem leiblichen Vater zugewandt hat. Hier mögen die Folgen der Vaterschaft fiir das Kind unzumutbar sein, doch ist fraglich, zu welchem Zeitpunkt bei einer derartigen Entwicklung, die sich u.D. schrittweise vollzieht, die

BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 66. Vgl. Oberloskamp, FuR 1991, 263, 268. Dem Beschluß des OLG Düsseldorf, FamRZ 1990, 796 lag der Fall einer 46jährigen (ehelichen) Tochter zugrunde, die nach dem Tod ihres (vermutlich) wahren Vaters zwecks Geitendmachung von Erbansprüchen Vaterschaftsanfechtung betreiben wollte. 206 207

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

neue Anfechtungsfrist zu laufen beginnt. Außerdem ist unklar, ob bei der Abwägung auch berücksichtigt werden soll, wer den Bruch der alten Vaterschaftsbeziehung "verschuldet" hat. Ist dies nicht der Fall, hätte es das Kind in der Hand, durch eigenes Fehlverhalten ein neues Anfechtungsrecht zu schaffen. Zwar stellt die Unzumutbarkeitsklausel einseitig auf die Interessen und Bedürfnisse des Kindes ab, doch wenn Kinder gern. § 1618a BGB ihren Eltern Rücksicht und Beistand schulden, läßt sich nur unter gleichzeitiger Berücksichtigung der elterlichen Interessen ermitteln, was fiir das Kind ,,zumutbar" ist. Allerdings hat sich gezeigt, daß sich fiir die Auslegung von § 1600b Abs. 5 BGB n.F. kaum verallgemeinerungsfahige Maßstäbe aufzeigen lassen, die zu einem beliebigen Zeitpunkt das Wiederaufleben des Anfechtungsrechts rechtfertigen würden. Damit läuft die Unzumutbarkeitsklausel Gefahr, zu einer Leerformel zu werden, die den Gerichten einen rational nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumt. Soll das Vertrauen in die Statussicherheit nicht in Frage gestellt werden, ist die Klausel restriktiv zu handhaben. 3. Anfechtungsausschluß für den Erzeuger des Kindes a) Veränderung der rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Bei der Schaffung des BGB wurde ein Ehelichkeitsanfechtungsrecht des biologischen Vaters erst gar nicht in Erwägung gezogen, war doch fiir den Gesetzgeber allein die "Ehe diejenige sittliche Grundlage ... , welche die Voraussetzung familienrechtlicher Pflichten und Rechte bildet".208 Demgegenüber machte sich der Gesetzgeber im Rahmen des NEhelG Gedanken zu der parallelen Problematik, ob der Erzeuger die Möglichkeit haben sollte, das wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnis eines Dritten anzufechten. 209 Als ausschlaggebend sah man an, daß eine Infragestellung der Abstammungsverhältnisse in der Regel dem Kindeswohl widerspreche. Außerdem ging man davon aus, daß "der wirkliche Vater nur in seltenen Fällen geneigt sein (werde) ... , die Feststellung seiner Vaterschaft, die ihm erhebliche Pflichten auferlegt, im Klagewege zu erzwingen." Er müsse sich schließlich auch gefallen lassen, wenn sein Kind ohne sein Einverständnis von einem Dritten adoptiert WÜfde. 210 Ein Teil dieser Argumente hat heute an Überzeugungskraft verloren. So läßt sich ein generelles Desinteresse nichtehelicher Väter an dem Schicksal ihrer Kinder nicht mehr behaupten. Vielmehr haben diese sich teilweise in In-

Planck, Vorentwürfe, Familienrecht 2, S. 1597; ebenso Motive IV, S. 851. 209 Vgl. dazu auch OLG FrankfurtlM, FamRZ 1998, 1356. 210 BT-Drucks. V12370 v. 7.12.1967, S. 32.

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teressengemeinschaften zusammengeschlossen, um ihren Forderungen nach größerem rechtlichen Einfluß und verstärkten Kontaktmöglichkeiten politischen Druck zu verleihen. 211 Das Verhalten der Väter insgesamt hat sich verändert: Sie beschäftigen sich heute länger und intensiver mit ihren Kindern, wobei sich ihre Aktivitäten allerdings nach wie vor auf den Freizeitbereich konzentrieren. 212 Dem gesteigerten Interesse leiblicher Väter auf der einen Seite steht eine zunehmende Auflösung traditioneller Familienbilder auf der anderen Seite gegenüber. Viele Kinder erleben heute einen mehrfachen WechseI der männlichen Bezugsperson: vom Ehemann der Mutter über ihren Freund bis hin zu einem neuen Stiefvater. Werden Kinder ohnehin gezwungen, verschiedene Vaterrollen miteinander zu vereinbaren, gerät auch der biologische Vater wieder in das Blickfeld. Im Unterschied zu wechselnden Sozialbeziehungen verspricht das genetische Band Beziehungskontinuität und -stabilität. Auch die Adoption seines Kindes durch Dritte braucht der nichteheliche Vater nicht mehr widerspruchslos hinzunehmen. Das BVerfG erklärte § 1747 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB a.F. für verfassungswidrig, der eine Adoption des nichtehelichen Kindes durch die Mutter oder ihren Ehemann ohne Zustimmung des nichtehelichen Vaters zuließ. 213 Ob dem nichtehelichen Vater allerdings nach wie vor die Berufung auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG erst dann möglich ist, wenn seine Vaterstellung statusrechtlich etabliert ist, ließ das BVerfG offen. 214 Gerade der Fall der Kindesannahme zeigt aber, daß es problematisch ist, die Rechte des nichtehelichen Vaters in jedem Fall von seiner statusrechtlichen Stellung abhängig zu machen. 215 Gesteht man dem nichtehelichen Vater bei der Adoption seines Kindes ein Einwilligungsrecht zu, so würde dies weitgehend leerlaufen, wenn es von der vorherigen Vaterschaftsfeststellung abhinge. Adoptionen müssen im Interesse des Kindes zügig vorgenommen werden, die Wirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses ist nach dem KindRG aber von der Zustimmung der Mutter abhängig (§ 1595 Abs. 1 BGB n.F.), und eine zwangsweise Vaterschaftsfeststellung ist oft zeitraubend. Dementsprechend ist es konseStein-Hilbers, ZRP 1993,256,258. Beck-Gernsheim, Vom Geburtenrückgang zur Neuen Mütterlichkeit, 1984, S. 179 f.; Kaufmann, Zukunft der Familie, 1990, S. 102; Nave-Herz, Familie heute, 1994, S. 48 ff.; dies., FuR 1995, 102, 104; Stein-Hilbers, FuR 1991, 198; dies., Wem "gehört" das Kind?, 1994, S. 133 ff.; krit. zu dem realen Ausmaß dieser Veränderungen Conen, FuR 1996, 171, 175; Leube, Doppelter Lebensentwurffiir Väter?, in: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), Was fiir Kinder - Aufwachsen in Deutschland, 1993, S. 106 ff. 213 BVerfG, FamRZ 1995,789. Vgl. auch EGMR, Keegan gegen Irland, 26.5.1994, A/290. 214 BVerfG, FamRZ 1995,789,792. Bisher wurde dies ohne weiteres vorausgesetzt Maunz, in: MaunzJDürig (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Bearbeitung 1980, Art. 6, Rz. 25; vgl. auch Coester, JZ 1992,809,814 m.w.N. 215 Vgl. Coester, FamRZ 1995, 1245, 1246. 211

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

quent, daß das KindRG ein Einwilligungsrecht des nichtehelichen Vaters bei der Adoption seines Kindes bereits dann vorsieht, wenn dieser seine Vaterschaft glaubhaft machen kann (§ 1747 Abs. 1 S. 2 BGB n.F.). Hier werden die Interessen des nichtehelichen Vaters also bereits geschützt, obwohl er rechtlich noch nicht Vater ist. Die verfassungsrechtliche Literatur ist z.T. sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dem biologischen Vater auch dann zugebilligt, wenn ein anderer Mann rechtlich als Vater des Kindes gilt. 216 Angesichts dieser veränderten Ausgangssituation konzediert das KindRG, daß dem biologischen Vater "ein Interesse an einer Vaterschaftsanfechtung nicht abgesprochen" werden könne. Ein eigenes Anfechtungsrecht wird ihm allerdings dennoch verwehrt: "Üben die übrigen Beteiligten die ihnen zustehenden Anfechtungsrechte nicht aus, so spricht dies dafiir, daß eine Anfechtung dem Wohl der 'sozialen Familie' zuwiderlaufen würde."m Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß keine Notwendigkeit besteht, dem biologischen Erzeuger ein eigenes Anfechtungsrecht zuzubilligen, weil in den Fällen, in denen eine Vaterschaftsanfechtung fiir ihn zugelassen werden könnte, bereits der Mutter, ihrem Ehemann oder dem Kind ein Anfechtungsrecht zusteht. Eine Anfechtung gegen den Willen dieser Beteiligten wird nicht als dem Kindeswohl förderlich angesehen. b) Fallgruppen, in denen ein Anfechtungsrecht bedenkenswert erscheint In der Literatur wurde ein eigenes Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters 218 vor allem in den Fällen gefordert, in denen das Kind in Dauerpflege gegeben oder durch Dritte adoptiert werden soll oder in denen beide Eltern verstorben

216 Ausdrücklich erkennt jetzt Jestaedt in: DolzerNogel (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, XII 1995, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rz. 75 dem leiblichen Vater eines "scheinehelichen" Kindes die verfassungsmäßige EIternsteIlung zu. E.M v. Münch, in: BendalMaihoferNogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, § 9, Rz. 28 hält die derzeitige gesetzliche Regelung sogar für "verfassungsrechtlich bedenklich ... , die den wirklichen Vater des Kindes von der Anfechtung der Ehelichkeit und der Anfechtung der Anerkennung durch einen anderen Mann ... von vornherein ausschließt"; vgl. wohl zust. auch Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar 1996, Art. 6, Rz. 49 in Fn. 112. In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Kroon gegen die Niederlande (RTDF 1995,213) wurde die Verbindung des biologischen Erzeugers zu seinem Kind auch dann dem Schutz von Art. 8 EMRK unterstellt, wenn dieses Kind aufgrund der Ehelichkeitsvermutung juristisch einem anderen Mann zugeordnet war, soweit der Mann - ohne mit der Mutter zusammenzuleben - eine feste Beziehung zu ihr unterhalten hatte. 217 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 57 f 218 Vgl. dazu schon Helms, FamRZ 1997,913 ff.

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sind. 219 Gekennzeichnet sind diese Fallgruppen dadurch, daß die Eltern faktisch oder rechtlich ihre Elternstellung verloren haben oder in naher Zukunft verlieren werden. Geben Eltern ihr Kind in Pflege, handelt es sich zunächst einmal um eine vorübergehende Lösung. Grundsätzlich haben die Eltern das Recht, ihr Kind wieder zurückzufordern. Es würde kaum dem Sinn und Zweck der Kindespflege entsprechen, wenn der Vater nunmehr befürchten müßte, daß aufgrund der Inpflegegabe der Erzeuger des Kindes die Vaterschaft anfechten kann. Außerdem ist schwer zu bestimmen, wann ein Pflegeverhältnis zu einer dauernden Einrichtung, einer Dauerpflege, wird. Auch im Falle der Adoption wäre es nicht praktikabel, ein Anfechtungsrecht des Erzeugers vorzusehen. Nachdem das KindRG dem nichtehelichen Vater nun schon ein Einwilligungsrecht bei der Adoption seines Kindes eingeräumt hat (§ 1747 Abs. 1 S. 2 BGB n.F.), würde ein potentielles Anfechtungsrecht des biologischen Erzeugers bei einem ehelichen oder einem anerkannten Kind das Adoptionsverfahren nur weiter verkomplizieren und verzögern und damit den Adoptionserfolg gefahrden. Außerdem ist im Regelfall nicht ersichtlich, wie der biologische Erzeuger überhaupt von den Adoptionsplänen erfahren sollte. Sind beide Eltern des Kindes gestorben, dürfte nach dem KindRG nunmehr ein Anfechtungsrecht des Kindes bestehen. In Anlehnung an § 1596 Abs. I Nr. 1 BGB a.F. wäre ein Festhalten an der bisherigen Vater-Kind-Zuordnung in diesem Fall für das Kind "unzumutbar". Die Vorschläge, die bisher in der Literatur gemacht wurden, können demnach nicht sonderlich überzeugen. Dennoch gibt es Konstellationen, in denen ein Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters erwägenswert ist. Zu denken ist beispielsweise an Fälle, in denen die Mutter des Kindes kurz vor der Geburt einen anderen Mann heiratet oder das Kind im Zusammenwirken mit der Mutter von einem Dritten anerkannt wird, ohne daß sich der Erzeuger, der mit der Mutter u.U. jahrelang zusammengelebt hat und mit ihr eine gemeinsame Zukunft geplant hat, dagegen wehren kann. 220 219 Schwenzer, FamRZ 1985, 1,8; dies., Gutachten, S. A 37; Henrich, S. 197; Beitzke, S. 52; weitergehend Zenz/Salgo, S. 87 f. Krit. Deichfuß, S. 150 ff.; Ernst, S. 185 ff.; Finger, NJW 1984, 846, 849; Frank, Abstammung und Status, S. 92 ff. Der Antrag, dem

"wirklichen Vater" trotz anderweitiger Vaterschaftsvermutung in Ausnahmefällen die Möglichkeit zu eröffnen, seine Vaterschaft festzustellen, wurde auf dem 59. Deutschen Juristentag (nur) mit 41 :31: 13 Stimmen angenommen. 220 Beispiele für solche Konstellationen finden sich in der amerikanischen Praxis: Weidenbacher v. Duc1os, 661 A.2d 988 (Conn. 1995). Ein vergleichbarer Sachverhalt lag den Entscheidungen Turner v. Whisted, 607 A.2d 935 (Md. 1992); Michael M. v. Giovanna F., 7 Ca!. Rptr. 2d 460 (Ca!. App. 1992) und B.R. v. K.D., 506 N.W.2d 368 (N.D. 1993) zugrunde.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Eine Vaterschaftsanfechtung mag auch dann im Einzelfall dem Kindeswohl dienen, wenn Mutter, Ehemann, Kind und Erzeuger über Jahre hinweg zusammengelebt haben oder das Kind jahrelang beim Erzeuger aufgewachsen ist, ohne daß sich die Eheleute getrennt hätten oder die Ehefrau mit dem Erzeuger eine dauernde Beziehung planen würde. Wird dann das Kind eines Tages wieder von seinen Eltern herausverlangt, hat der Erzeuger keine Rechte, selbst wenn er für das Kind die maßgebliche Bezugsperson gewesen ist. 221 Daß eine solche Bindung nach deutschem Recht keinerlei Schutz erfährt, ist nicht einsichtig, wenn man die Situation mit einer Ehescheidung und nachfolgender Ehelichkeitsanfechtung vergleicht: Nach dem KindRG besteht für einen geschiedenen Mann, dessen Nichtvaterschaft festgestellt wurde, die Möglichkeit, ein Umgangsrecht zu erlangen (§ 1685 Abs. 2 BGB n.F.), während ein biologischer Erzeuger, der eine intensive Beziehung zu seinem Kind entwickelt hat, keinerlei Rechte besitzt. Ähnliche Konstellationen sind auch vorstellbar, wenn die Beziehung der Mutter zu ihrem Ehemann zerbrochen ist und sich zum vermutlichen Erzeuger ein intensiver Kontakt entwickelt hat. Wird in einem solchen Fall die Ehelichkeit weder von der Mutter noch von ihrem Ehemann angefochten, kann die Mutter eines Tages jeden Kontakt des Erzeugers zu "seinem" Kind unterbinden. Allerdings ist zuzugeben, daß die hier dargestellten Einzelfälle sich einer systematischen Kategorisierung entziehen. Verallgemeinerungsfähige Anfechtungsregeln lassen sich aus ihnen nicht ableiten. Es überrascht deshalb nicht, daß Anfechtungsrechte des biologischen Vaters in erster Linie - wie in Frankreich - von den Ländern anerkannt wurden, die auf Statusklarheit und Statussicherheit traditionell weniger Wert legen und im Abstammungsrecht einzelfallbezogene Abwägungen zulassen. 222 Allerdings hat auch das deutsche Recht mit dem KindRG - wie dargestellt - erste Schritte in Richtung auf ein flexibleres Abstammungsrecht unternommen. Auch ein Anfechtungsrecht des biologischen Erzeugers könnte nur in Form einer Generalklausei eingeführt werden.

221 Beispiele für solche Konstellationen finden sich in der amerikanischen Praxis: Michael H. and Victoria D. v. Gerald D., 105 L.Ed.2d V.S. 91. Ähnlich auch der Sachverhalt in Mc Daniels v. Carlson, 738 P.2d 254. 222 Neben den oben untersuchten Ländern hat auch Slowenien ein Vaterschaftsanfechtungsrecht des angeblichen Erzeugers gesetzlich vorgesehen (Jessei, DAVonn 1980,338,343). Für Kanada Groffier, in: EekelaarlKatz (Hrsg.), Marriage and Cohabitation in Contemporary Societies (1980), S. 239; vgl. dazu auch Manitoba Court of Appeal in L. v. 8., 125 D.L.R. 4th 640, wo das Anfechtungsbegehren im konkreten Fall allerdings abgewiesen wurde.

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111. Stellungnahme Das KindRG fügt in das Recht der Vaterschaftsanfechtung zwei Generalklauseln ein. Zum einen darf der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen Kindes das Anfechtungsrecht nur dann ausüben, wenn dies dem Wohl des Kindes dient (§§ 1600 Abs. 2 Nr. 1, 1600a Abs. 4 BGB n.F.). Zum anderen beginnt die Anfechtungsfrist für das Kind neu zu laufen, wenn es Kenntnis von Umständen erlangt, auf Grund derer die Folgen der Vaterschaft für ihn unzumutbar werden (§ 1600b Abs. 5 BGB n.F.). Allerdings hält das deutsche Recht bei den in der Praxis bedeutsameren Anfechtungsrechten des Vaters und der Mutter an strengen und eindeutigen Fristen fest und schließt ein Anfechtungsrecht des biologischen Erzeugers nach wie vor gänzlich aus. Während dem deutschen Abstammungsrecht Generalklauseln bislang weitgehend fremd waren, verfügen die romanischen Rechtsordnungen mit der Rechtsfigur der possession d'etat traditionell über ein flexibles Zuordnungskriterium: Einerseits ist in den meisten Fällen Voraussetzung für die Ehelichkeitsanfechtung, daß keine possession d'etat zwischen Kind und Muttergatten mehr besteht. Andererseits ist bei einem 10jährigen Bestehen der possession d'etat die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses ausgeschlossen, wobei das Anfechtungsrecht der Mutter, des Kindes und des Erzeugers von dieser Regelung ausgenommen sind. Die Untersuchung hat allerdings gezeigt, daß eine präzise Klärung des Begriffs possession d'etat in der Rechtsprechung nicht geglückt ist. 223 Grundsätzlich ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Abstammungsrecht nicht unbedenklich, denn bei der Vaterschaftsanfechtung sollten sich alle Beteiligten im klaren sein, ob und wie lange ein Anfechtungsrecht besteht. 224 Die Ungewißheit über den eigenen Status kann belastend sein. Außerdem sollte vermieden werden, daß Anfechtungsklage erhoben wird, ohne daß Klarheit darüber besteht, ob die gesetzlichen Anfechtungsvoraussetzungen eingehalten wurden. Stellt sich im Prozeß heraus, daß die Anfechtung von vornherein unzulässig war, wird Unfriede in die Farnilie getragen, ohne daß der Kläger seinem Ziel näher gekommen wäre. 225

223 Ernst, S. 41 ff. m.w.N. und S. 181; Spel/enberg, FamRZ 1984, 117, 118 f. und ders., FamRZ 1984,239,242. 224 V gl. aber die Empfehlung von Smid, JR 1990, 221, 226 zur Einführung eines generalklauselartigen Anfechtungsrechts des Kindes. Kritisch auch Ramm, FPR 1996, 220, 221 Fn.9undMutschler,FamRZ 1996, 1381, 1382. 225 V gl. dazu Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 40. Ähnlich auch die Stellungnahme des Bundesrats, der sich gegen ein Wiederaufleben der Anfechtungsfrist einsetzte (BTDrucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 148 f.).

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Ob man allerdings auf Dauer im deutschen Recht dem Erzeuger des Kindes ein eigenes Anfechtungsrecht wird verweigern können, ist nicht einfach zu entscheiden. Berücksichtigt man, daß sein Anfechtungsrecht vermutlich nur im Wege einer weiteren Generalklausei eingeführt werden könnte, so hieße das, daß man im Abstammungsrecht noch weitergehend auf klare und eindeutige Regeln zugunsten einer einzelfallorientierten Betrachtung verzichten würde. 226 Der deutsche Gesetzgeber wird sich über kurz oder lang erneut entscheiden müssen, ob er insoweit der Einzelfallgerechtigkeit oder der Stabilität des Kindes status den Vorzug geben möchte. Interessant ist, daß im französischen Recht der aufgrund eines Vaterschaftsanerkenntnisses und der aufgrund der Ehelichkeit erlangte Status unterschiedlich behandelt werden. Während ein Vaterschaftsanerkenntnis weitgehend uneingeschränkt angefochten werden kann, kommt es fiir das Bestehen eines Ehelichkeitsanfechtungsrechts entscheidend auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer possession d'etat an. Umgekehrt erlangt ein Vaterschaftsanerkenntnis nach lOjährigem Personenstandsbesitz eine erhöhte Bestandskraft, vor allem ist die Anfechtung durch den Anerkennenden selbst und dessen Erben ausgeschlossen, während es bei dem Ehelichenstatus keinen vergleichbaren Mechanismus gibt. Hinter dieser unterschiedlichen Behandlung steht eine traditionelle Sicht der ehelichen Familie: Niemand soll die Möglichkeit haben, sich in die Angelegenheiten von Eheleuten einzumischen, wenn die Partner den Ehebruch nicht zum Anlaß nehmen, die Gemeinschaft zu beenden. Wird die Beziehung andererseits aufgelöst, fällt oft die possession d'etat weg, und die Ehelichkeit des Kindes kann von allen Seiten weitgehend uneingeschränkt angefochten werden, weil die Ehe als Grundlage der Vater-Kind-Zuordnung "fortgefallen" ist. Stellt man aber auf die Perspektive des Kindes ab und stellt sein Interesse an einer ungestörten Familiengemeinschaft in den Vordergrund, so werden sich solche Unterscheidungen auf Dauer nicht rechtfertigen lassen. Feste nichteheliche Lebensgemeinschaften zwischen Mutter, Kind und Anerkennendem erscheinen auch abstammungsrechtlich genauso schützenswert wie eine Ehe. Andererseits ist nicht ersichtlich, warum der Anerkennende (und dessen Erben) nach 10 Jahren an sein Wort gebunden ist, aber bei Auflösung der Ehe Anfechtung zeitlich weitgehend unbeschränkt zulässig ist.

226 Zu dieser Entwicklung im gesamten Familienrecht Similis, Kindschaftsrecht Elemente einer Theorie des Familienrechts, FS Müller-Freienfels, 1986, S. 587 f. und 606 f.; krit. zu dieser Entwicklung Mü/ler-Freien[els, "Neues" Familienrecht, in: Familienrecht im In- und Ausland, Bd. 11 1986, S. 355; Gernhuber, Neues Familienrecht, 1977, S. 85 tT.

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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C. Die heterologe künstliche Befruchtung Von einer heterologen Befruchtung spricht man sowohl in Fällen der heterologen Insemination als auch in Fällen der Eispende. Während bei der homologen Insemination eine Frau mit dem Samen ihres (Ehe-)Partners befruchtet wird, stammt bei der heterologen Insemination der Spendersamen von einem Dritten. Bei einer Eispende dagegen wird einer Frau eine fremde Eizelle eingepflanzt, nachdem diese mit dem Samen ihres (Ehe-)Partners befruchtet worden ist. Eine Embryonenspende liegt vor, wenn Ei- und Samenspende miteinander kombiniert werden, wenn also einer Frau eine fremde Eizelle eingepflanzt wird, nachdem diese mit dem Samen eines Mannes befruchtet wurde, der nicht ihr (Ehe-)Partner ist.

I. Zulässigkeit J. Frankreich

Das Gesetz über die Bioethik vom 29. Juli 1994227 knüpfte an die bereits vor der Gesetzesreform bestehende Praxis an. 228 Erlaubt ist danach in Frankreich sowohl die Samen- als auch die Eispende. Dabei ist die Anonymität des Spenders bzw. der Spenderin zwingend vorgeschrieben (Art. 16-8 c.c.). Vorgenommen werden darf die Befruchtung bei Ehepaaren und Partnern einer verschieden-geschlechtlichen Lebensgemeinschaft, die seit mindestens zwei Jahren Bestand haben muß (Art. L. 152-2 Code de la Sante Publique (= C.S.P.». Voraussetzung ist, daß sich die Antragsteller im zeugungsfähigen Alter befmden und bei ihnen eine medizinisch festgestellte Unfruchtbarkeit vorliegt. Eiund Samenspende dürfen nicht miteinander kombiniert werden (Embryonenspende), so daß das Kind zumindest immer von einem der Partner genetisch abstammen muß (Art. L. 152-3 Abs. 1 C.S.P.).229 Die Keimzellen eines Spenders dürfen maximal zur Erzeugung von 5 Kindern dienen (Art. L. 673-4 C.S.P.). Der Spender oder die Spenderin muß mit einem Partner zusammenleben und mit diesem ein gemeinschaftliches Kind besitzen (Art. L. 673-2).

227 Gesetz no 94-653 über den Schutz des menschlichen Körpers und Gesetz no 94654 über die Spende und Verwendung von Teilen und Produkten des menschlichen Körpers, die künstliche Fortpflanzung und die pränatale Diagnostik. 228 Rubellin-Devichi, in: Rubellin-Devichi (Hrsg.), Droit de la familie, 1996, S. 400. 229 Wegen der geringen Erfolgsquote bei der in-vitro-Fertilisation werden oftmals mehrere Eizellen befruchtet, eingefroren und rur den nächsten Befruchtungsversuch aufbewahrt. Stellt sich dann heraus, daß ein Teil von ihnen nicht mehr erforderlich ist, können die übriggebliebenen von einem anderen Paar verwendet werden, weil sonst die einzige Alternative ihre Vernichtung wäre (Art. L. 152-4 Abs. 1 C.S.P.). 8 Helms

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Zwar sind keine genauen Statistiken vorhanden, doch geht man davon aus, daß in Frankreich pro Jahr ca. 2.000 heterologe künstliche Befruchtungen mit Erfolg vorgenommen werden und die Zahl der durch heterologe Befruchtung gezeugten Kinder 20.000 bis 30.000 beträgt. 23o Welcher Anteil dabei auf Samen- und welcher auf Eispenden entfallt, ist nicht zu ermitteln. Doch dürfte es sich angesichts der leichteren medizinischen Durchführbarkeit und der höheren Erfolgsquote in der überwiegenden Zahl der Fälle um Samenspenden handeln. 2. Deutschland

Auch in Deutschland ist die heterologe Insemination nicht verboten. Einer verbreiteten Praktizierung steht allerdings entgegen, daß ungeklärt ist, ob aus der Rechtsprechung des BVerfG zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ein Verbot der anonymen Samenspende zu folgern ist. 231 Bleibt der Spender nicht anonym, muß er damit rechnen, als Vater des Kindes in Anspruch genommen zu werden. Die deutsche Rechtsprechung läßt nämlich nach· der Durchführung der Insemination die Ehelichkeitsanfechtung durch den Ehemann auch dann zu, wenn dieser ursprünglich der Befruchtung zugestimmt hatte. Damit wird der Weg frei, um den Samenspender als leiblichen Vater des Kindes festzustellen. 232 Vernichtet der behandelnde Arzt alle Unterlagen, die eine IdentifIZierung des Spenders erlauben würden, läuft er Gefahr, fiir den Unterhalt des Kindes selbst haftbar gemacht zu werden. 233 In der Praxis besteht jedenfalls große Rechtsunsicherheit. Während viele staatliche Krankenhäuser anonyme heterologe Inse-

230 Cadau, La "biologisation" du droit de la filiation, in: Labrusse-Riou (Hrsg.), Le droit saisi par la biologie, 1996, S. 25; Bannet, Secret, S. 56; Huet-Weiller, D. 1988, 186 gibt eine Zahl von jährlich 2.000 heterolog gezeugten Kindern an. Stepan, FS Overbeck, 1990, S. 546 gibt eine Gesamtzahl von mittlerweile 20.000 erfolgreich durchgeführten heterologen Inseminationen an. 231 Diese Schlußfolgerung ziehen Caester-Waltjen, Jura 1989, 520, 523; Giesen, JZ 1989,364,368 f.; Münder, RdJ 1989,456,462; Starck, JZ 1989,339. Nach den Richtlinien zur Durchführung der In-vitro-Fertilisation, die vorn 91. Deutschen Ärztetag 1988 verabschiedet und vorn 96. Deutschen Ärztetag 1993 überarbeitet wurden, sollen künstliche Befruchtungen grundsätzlich nur im homologen System vorgenommen werden. Ausnahmen sind nur nach vorheriger Anrufung einer bei der Ärztekammer eingerichteten Kommission zulässig (DAVorm 1997,478,479). 232 BGH, FamRZ 1995, 1272; so vor allem BGHZ 87,169. 233 Bernat, MedR 1986,245,249; Zimmermann, FarnRZ 1981, 929, 932; Giesen, FamRZ 1981,413,418; Caester-Waltjen, Jura 1987, 629, 639; KaI/hasser, JA 1985, 553,557; Schumacher, FarnRZ 1987,313,319 ff.

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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minationen nicht mehr vornehmen, wird diese Befruchtungsmethode in einigen privaten Einrichtungen noch praktiziert. 234 Das KindRG hat in dieser Frage keine Klärung gebracht. Es enthielt sich jeglicher Regelung, da "die Zulässigkeit der Samenspende nach wie vor umstritten" sei, eine "bundesgesetzliche Regelung trotz der nach Art. 74 Abs. I Nr. 26 GG bestehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes noch ausstehe" und das Zivilrecht dieser "ungelösten Problematik" nicht "vorgreifen" könne. 235 Der für das KindRG gern. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuständige Bundesgesetzgeber begründet somit seine Inaktivität mit dem fehlenden Tätigwerden des für die künstliche Befruchtung gern. Art. 74 Abs. 1 Nr.26 GG ebenfalls zuständigen Bundesgesetzgebers. Die Ei- und Embryonenspende sind in Deutschland demgegenüber gesetzlich verboten (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6, 7 ESchG und §§ 13a-13d AdVermiG). Zweck dieses Verbots ist es, das Entstehen sog. gespaltener Mutterschaften zu vermeiden236, um nicht die Identitätsfindung des Kindes zu erschweren, das genetisch von der Spenderin abstammt, aber biologisch gesehen seine Existenz auch der austragenden Mutter verdankt. 237 Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum die Eispende zu größeren Identitätsproblemen führen soll als die heterologe Insemination. Es läßt sich gerade umgekehrt argumentieren, daß das Verhältnis zwischen der austragenden Mutter und dem Kind bei der Eispende sogar enger ist als die Beziehung zwischen (Wunsch-)Vater und Kind bei der heterologen Insemination. Bei der Eispende haben Mutter und Kind immerhin 9 Monate der Schwangerschaft miteinander "geteilt"; die Mutter ist biologisch für die Existenz des Kindes (mit-)verantwortlich. 238 Es ist nicht verständlich, warum bei weiblichen Fertilitätsstörungen eine künstliche Befruchtung nicht möglich sein soll, wohl aber bei Auskunft der Universitätskliniken Freiburg und Aachen. BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 62. 236 Keller/Günther/Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 1 Abs. 1 NT. 1 Rz. 4 und 7; Deichfuß, S. 197 m.w.N. 237 BT-Drucks. 11/5460 v. 25.10.1989, S.7; Keller/Günther/Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rz. 7. Der Gesetzgeber stützt sich dabei auf bloße Vermutungen, denn wissenschaftliche Untersuchungen gibt es zu dieser Frage noch nicht. 238 Bernat, Rechtsfragen medizinisch assistierter Zeugung, 1989, S. 221; Binder, Die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 auf Rechtsfragen im Bereich der medizinisch assistierten Fortpflanzung, Diss. Freiburg 1997, S. 139; Keiler/Günther/Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 1 Abs. 1 NT. 1 Rz. 8 wollen deshalb einen größeren Identitätskonflikt ausmachen, weil die Spaltung zwischen genetischer und gebärender Mutter tiefergreifender sei als zwischen genetischer und sozialer. 234 235

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

männlichen. 239 Viele Länder lassen deshalb auch die Eispende weitgehend uneingeschränkt ZU. 240

11. Status rechtliche Zuordnung des Kindes In den Fällen der Eispende ist die primäre Mutter-Kind-Zuordnung zweifelhaft, denn die gebärende Frau ist nicht gleichzeitig die genetische Mutter des Kindes (Abschnitt a). Bei der heterologen Insemination stellt sich die Frage, ob die allgemeinen Regeln des Abstammungsrechts Anwendung finden sollen, die die Beseitigung einer genetisch "unwahren" Zuordnung und die Feststellung der biologisch maßgeblichen Abstammung erlauben würden (Abschnitt b).

1. Frankreich Das französische Recht behandelt die Eispende mit dem traditionellen Instrumentarium des Abstammungsrechts. a) Eispende Bei ehelichen Kindern gilt als Mutter, wer in der Geburtsurkunde als solche eingetragen wird (Art. 319 C.C.). Bei nichtehelichen Kindern hat die Geburtsurkunde die Wirkung eines Anerkenntnisses, wenn zusätzlich eine possession d'etat zwischen Kind und Mutter besteht (Art. 334-8 C.C. i.V.m. Art. 337 C.C.).241 Nach französischem Recht wird auch das Mutter-KindVerhältnis nicht automatisch durch die Geburt, sondern erst durch ein Anerkenntnis begründet. Erforderlich ist also, daß die Gebärende als Mutter des

239 Coester-Waltjen, Die künstliche Befruchtung beim Menschen - Zulässigkeit und zivilrechtliche Folgen, Gutachten B zum 56. Deutschen Juristentag, Ber1in 1986, S. B 110 f.; vgl. auch Deichfuß, S. 198 ff.; Feick, BayVbI 1986,449, 552. 240 Ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis: Frankreich: Art. L. 152-1 ff. des Code de la sante publique Ld.F. des Gesetzes no 94-654 vom 29. Juli 1994; Großbritannien: Human Fertilisation and Embryology Act 1990, sched. 2 para. 1; Spanien: Art. 5 FortpflanzungshilfeG 1988; USA: vgl. Stepan (Hrsg.), International Survey of Laws on Assisted Procreation, 1990, S. 192 ff. Ausdrückliche Verbote: Norwegen Kap. 3 § 12 Gesetz über die künstliche Befruchtung 1987; Österreich: § 3 Abs. 3 FortpflanzungsmedizinG; Schweden: § 2 Gesetz über die Befruchtung außerhalb des Körpers 1988; Schweiz: Art. 24novies Bundesverfassung. 241 Bei ehelichen Kindern reicht das Vorliegen einer possession d'etat allein schon als Abstammungsnachweis aus (Art. 320 C.C.).

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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Kindes gegenüber dem Standesamt angegeben wird (vgl. Art. 55-57 C.c.).242 Fehlt es hieran, kann eine Klage auf Feststellung der Mutterschaft erhoben werden (Art. 323 C.C. für eheliche und Art. 341 C.C. für nichteheliche Kinder). Hierbei wird als Mutter des Kindes die Frau angesehen, die das Kind geboren hat. 243 Das französische Recht ordnet somit bei der Eispende das Kind der Gebährenden und nicht der genetischen Mutter zu. Eine solche Zuordnung ist wünschenswert, weil hierdurch das Kind sofort bei der Geburt einer bestimmten Frau eindeutig zugeordnet werden kann. AUßerdem begründet die Schwangerschaft ein enges Band zwischen Mutter und Kind. b) Samenspende Während es bei der Mutter-Kind-Zuordnung bei den herkömmlichen Statusregeln bleibt, sehen die Bioethik-Gesetze für die Vater-Kind-Zuordnung eine Modifikation der bisherigen Bestimmungen vor. Kernstück ist Art. 311-20 Abs.2 C.C., der im Fall der Samenspende alle Anfechtungsrechte ausschließt. Bei der Geburt eines ehelichen Kindes bedeutet dies, daß weder der Ehemann der Mutter, noch die Mutter, noch das Kind selbst die Ehelichkeit anfechten können. Vor der Aufnahme dieser Vorschrift in den Code civil hatte die Rechtsprechung lange Zeit die Anfechtungsklage durch den konsentierenden Ehemann zugelassen, weil sich aus Art. 311-9 C.c. ergibt, daß in Status fragen ein Verzicht auf ein Anfechtungsrecht unwirksam ist. 244 Allerdings waren später einzelne Instanzgerichte von dieser Rechtsprechung wieder abgerückt. 245 Beachtenswert ist ihre Argumentation: Aufgrund der Entwicklung der gesellschaftlichen Anschauungen und der Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin

242 Ist eine andere Frau als die Gebärende in der Geburtsurkunde eingetragen oder hat eine andere Frau das Kind anerkannt, kann die Mutter-Kind-Zuordnung angefochten werden (bei ehelichen Kindern: Art. 322 Abs. 2 C.C. contestation de la maternite legitime (vgl. auch Art. 322-1 e.C.); bei nichtehelichen: Art. 339 e.C. contestation de la reconnaissance). Allerdings ist bei ehelichen Kindern diese Anfechtung nur dann zulässig, wenn das Kind gegenüber der eingetragenen Mutter keine possession d'etat besitzt. 243 In Art. 341 C.e. ist dies ausdrücklich festgelegt. Der gleiche Grundsatz gilt auch im Rahmen von Art. 323 e.e. Vg!. statt aller nur Hauser/Huet-Wei//er, S. 374. 244 Cass., 10.7.1990, D. 1990,517; TGI Paris, 19.2.1985, D. 1986,223 note Pai//et; TGI Nice, 30.6.1976, JCP 1977,11, 18597 obs. Harichaux-Ramu. Auch die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses wurde zugelassen (CA Toulouse, 21.9.1987, D. 1988, 184).

245 TGI Bobigny, 18.1.1990, D. 1990, 332; bestätigt durch CA Paris, 29.3.1991, Gaz. Pa!. 1991,2,649.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

könnten die Begriffe "Vaterschaft" und ,,Mutterschaft" nicht mehr rein biologisch definiert werden. Auch psychologische und soziale Bindungen müßten beachtet werden. Der Wille des die heterologe Insemination durchfuhrenden Paares wurde als die entscheidende Grundlage fiir die Familien-Zuordnung angesehen: Die heterologe Insemination "hat als Ziel, durch den gemeinsamen Willen der Ehegatten eine Ersatzvaterschaft zu schaffen, die gerade wegen ihrer Nichtübereinstimmung mit der biologischen Abstammung akzeptiert wird".246 Diese Tendenz in der Rechtsprechung wurde von weiten Teilen der Literatur unterstützt. 247 Carbonnier meinte, eine Anfechtungsklage müsse schon deshalb erfolglos bleiben, weil der anfechtende Ehemann bereits de lege lata als Vater des Kindes anzusehen sei, da der eigentliche Rechtsgrund der Vaterschaft nicht in der Produktion von Sperma, sondern in der Verantwortlichkeit fiir die Entstehung neuen Lebens liege.248 De lege ferenda war die Parallele zur Adoption entscheidend: Die Zustimmung zur Insemination entspreche einem Antrag auf Adoption des Kindes. 249 Die Bioethik-Gesetze stellen nunmehr klar, daß im Fall der Samenspende die Ehelichkeitsanfechtung ausgeschlossen ist. Wird die künstliche Befruchtung bei einem nichtverheirateten Paar vorgenommen250, würde nach den allgemeinen Regeln das Kind nur dann dem Lebenspartner der künstlich befruchteten Frau zugeordnet, wenn dieser ein Vaterschaftsanerkenntnis abgibt. 251 Um auch die Fälle zu lösen, in denen der Mann zu einem solchen Anerkenntnis nicht bereit ist, wäre es das einfachste gewesen, der Zustimmung des Lebenspartners zur Insemination die Wirkung eines pränatalen Anerkenntnisses beizumessen. 252 Demgegenüber haben die Bioethik-Gesetze dem Kind eine Wahlmöglichkeit eröffnet:

246 "A pour finalite de creer, par la volonte commune des epoux, une paternite de substitution, acceptee araison meme de son indetermination biologique." 247 Vgl. de lege ferenda auch BaudouiniLabrusse-Riou, Produire l'homme: de quel droit?, 1987, S. 223. 248 Carbonnier, n. 287; vgl. auch Paillet, note sous TGI Paris, 19.2.1985, D. 1986, 223 f. A.A.: Rubellin-Devichi, RTD civ. 1986,577 f.; dies., RTD civ. 1990,456 f. 249 Harichaux-Ramu, note sous TGI Nice, JCP 1977, 11, 18597; Paillet, note sous TGI Paris, D. 1986, 223 f. 250 In Frankreich werden nichteheliche Lebensgemeinschaften gesellschaftlich uneingeschränkt akzeptiert. Über 33 % der Kinder werden außerehelich geboren - die höchste Prozentzahl in den westeuropäischen Staaten (Rubel/in-Devichi, France - Reforms and Controversies, in: Bainham (Hrsg.), International Survey of Family Law 1994, S. 250). 251 Ein solches Vaterschaftsanerkenntnis ist gern. Art. 311-20 Abs.2 C.c. unanfechtbar. 252 Hierfür sprechen sich aus Massip, Defrenois 1995, S. 143.

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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Hat ein nichtehelicher Lebenspartner zunächst durch seine Zustimmung zur Insemination die Geburt des Kindes ermöglicht, verweigert er aber später das Anerkenntnis, ist er zum einen gern. Art. 311-20 Abs.4 C.C. der Mutter und dem Kind für den daraus entstehenden Schaden, insbesondere den entgangenen Unterhalt, haftb;n2S3, zum anderen kann er aufgrund einer Vaterschaftsfeststellungsklage sogar als Vater des Kindes festgestellt werden. Ziel dieser Klage ist nicht die Ermittlung des genetischen Erzeugers, sondern desjenigen, der seine Zustimmung zu der Zeugung des Kindes gegeben hat. 254 Damit hat das Kind die Wahl, ob es die rechtliche Vaterschaft eines Mannes feststellen lassen möchte, der nicht bereit war, sich zu "seinem" Kind freiwillig zu bekennen, oder ob es sich nicht lieber mit einer bloß fmanziellen Inanspruchnahme begnügen möchte. Aus der Sicht des französischen Rechts ist diese Lösung deshalb konsequent, weil auch ein aufnarurlichem Wege gezeugtes Kind eine vergleichbare Wahlmöglichkeit zwischen Status- und Unterhaltsklage besitzt. Insgesamt führt das französische Recht also zu einer umfassenden Eingliederung des künstlich gezeugten Kindes in die Wunschfamilie. 255 Durch diese Zuordnung hofft man, bei den Eltern das Bewußtsein für ihre Verantwortung gegenüber dem Kind zu schärfen. 256 Dementsprechend ist es konsequent, wenn jegliche Anspruche gegen den ohnehin anonymen Keimzellenspender ausgeschlossen werden: Eine statusrechtliche Beziehung kann zu ihm nicht begründet werden (Art. 311-19 Abs. 1 C. C.), und eine etwaige Haftung für nachteilige Folgen der Befruchtung (Geburt mit einer Behinderung oder Erbkrankheit) ist ausgeschlossen (Art. 311-19 Abs. 2 C. C.).

2. Deutschland a) Eispende Für die Fälle der Ei- und Embryonenspende sieht das KindRG die automatische Zuordnung des Kindes zur gebärenden Frau vor (§ 1591 BGB n.F.).

253 Dies entsprach der alten Rechtslage vor Einfiihrung der Bioethik-Gesetze CA Toulouse, 21.9.1987, RTD civ. 1987,725 obs. Rubellin-Deviehi; Cass., 10.7.1990, D. 1990,517, note Huet-Weiller. 254 Krit. gegenüber dieser paternite forcee Malaurie/Aynes, n. 461; Rube/lin-Deviehi, RTD civ. 1987, 463 f.; Labrusse-Riou, Rep. Dalloz, Filiation, n. 300; vgl. auch Huet-Weiller, D. 1988, 186. 255 Problematisch ist, daß bei einem Zusammenwirken von Mutter und Vater die künstliche Abstammung des Kindes verheimlicht und dadurch die Anfechtungsklage erfolgreich sein kann. 256 Byk, JCP 1994, I, 3788, S. 409.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Dies ist eine bloße KlarsteIlung gegenüber dem geltenden Rech~57 und entspricht nicht nur dem französischen Recht, sondern einer fast allgemeinen internationalen Rechtsauffassung. 258 Obwohl die Ei- und Embryonenspende in Deutschland untersagt sind259 und deutsche Gerichte bislang mit keinem entsprechenden Fall konfrontiert wurden, bestand Regelungsbedarf, weil das Verbot der Ei- und Embryonenspende in nur wenigen Staaten gilt. 260 Eine Korrektur der ursprünglichen Mutter-Kind-Zuordnung durch eine Mutterschaftsanfechtung sieht der Entwurf nicht vor. Vor dem Hintergrund des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung könnte dies bedenklich sein, weil damit auch einem (volljährigen) Kind nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, die Identität seiner genetischen Mutter feststellen zu lassen. 261 Der Gesetzesentwurf begegnet verfassungsrechtlichen Einwänden mit dem Hinweis, das Kind könne eine allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) zwecks Feststellung der genetischen Mutterschaft erheben. 262 Bei der blutsmäßigen Abstammung handelt es sich aber nicht schon deshalb um ein feststellungsfähiges "Rechtsverhältnis" i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO, weil in einigen wenigen Vorschriften (§ 1307 BGB; § 173 StGB) an die Abstammung - unabhängig vom Status des Kindes- rechtliche Konsequenzen geknüpft werden. 263 Vielmehr ist 257 Eine entsprechende Zuordnung wurde bereits auf Grundlage des geltenden Rechts angenommen MünchKommiMutschler, §§ 1591, 1592 BGB Rz. 52 m.w.N. 258 Belgien: Art. 312 § I Cc i.V.m. Art. 57 Cc; Großbritannien: Sec. 27 Human Fertilisation and Embryology Act 1990; Österreich: § 137b ABGB; Schweiz: Art. 252 Abs. I ZGB; Spanien: Art. 10 Abs. 2 FortpflanzungshilfeG 1988; USA: vgl. Stepan (Hrsg.), International Survey of Laws on Assisted Procreation, 1990, S. 192 fI. Der Uniform Status of Children of Assisted Conception Act 1988, der bislang erst von 2 Staaten übernommen wurde (Stand: 1994), sieht zwei verschiedene Alternativen vor; nur nach Alternative B wird das Kind stets der gebärenden Frau zugeordnet. Vgl. auch Byk, Petites affiches 1994,50 m.w.N. 259 §§ I Abs. I Nr. 1,2,6,7 ESchG und §§ 13a-13d AdVermiG. 260 Ausdrückliche Verbote: Norwegen: Kap. 3 § 12 Gesetz über die künstliche Befruchtung 1987; Österreich: § 3 Abs. 3 FortpflanzungsmedizinG; Schweden: § 2 Gesetz über die Befruchtung außerhalb des Körpers 1988; Schweiz: Art. 24 novies Bundesverfassung. Ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis: Frankreich: Art. L. 152-1 fI. des Code de la sante publique i.d.F. des Gesetzes no 94-654 vom 29.7.1994; Großbritannien: Human Fertilisation and Embryology Act 1990, sched. 2 para. I; Spanien: Art. 5 FortpflanzungshilfeG 1988; USA: vgl. Stepan (Hg.), International Survey of Laws on Assisted Procreation, 1990, S. 192 fI. 261 Schwenzer, Gutachten, S. A 40; dies., FuRinfo 4/1992, I, 6; Coester-Waltjen, FamRZ 1992, 369, 371; Coester, FamRZ 1995, 1245, 1246 Fn.13; MünchKommiMutschler, §§ 1591, 1592 Rz. 55 und § 1596 Rz. 21; Ramm, JZ 1996,987,993. Der dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf entsprechende Beschluß B.II.1 wurde auf dem 59. Deutschen Juristentag, Hannover 1992 mit 32:36: 11 verworfen. 262 BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 93. 263 So aber BR-Drucks. 180/96 v. 22.3.1996, S. 93; Ernst, S. 176; Reinke, Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft, Diss. Bayreuth 1991, S. 152 f.

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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hier die Abstammung nur das (tatsächliche) Element eines Rechtsverhältnisses 264 , so daß eine isolierte Abstammungsfeststellung unzulässig erscheint. 265 Das Verfahren nach § 256 ZPO würde dem Kind darüber hinaus schon deshalb nicht weiterhelfen, weil es kein Statusverfahren ist und somit volle Dispositionsbefugnis (Anerkenntnis, Versäumnisurteil etc.) der Parteien besteht. 266 Darüber hinaus ist aufgrund des Verbots der Ei- und Embryonenspende mit diesen Befruchtungstechniken realistischerweise nur im Ausland zu rechnen. 267 In einem solchen Fall würde mit hoher Wahrscheinlichkeit über die Identität der genetischen Mutter ohnehin keine Gewißheit erzielt, weil gerade die Staaten, die derartige Befruchtungsmethoden erlauben, die Offenbarung der Spenderidentität untersagen268 oder nur unter engen Voraussetzungen zulassen269 . Außerdem kennen viele Länder keine (physische) Erzwingbarkeit der Blutuntersuchung. 27o Das Druckmittel, das diese Rechtsordnungen vorsehen - der

264 Nach BGHZ 68, 331, 332 und 334 können Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses wie die Wahrheit einer Tatsache nicht Gegenstand rechtskräftiger Feststellung sein. Zulässig wäre also nur die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens des Ehehindernisses des § 1307 BGB, wofür dann der Kläger allerdings ein "berechtigtes Interesse" nachweisen müßte. 265 Frank, GS Arens, S. 74; Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 36; Schwab/Wagenitz, FamRZ 1997, 1377 f.; vgl. auch Diederichsen, NJW 1998, 1977, 1979 Fn. 22. Hiervon geht wohl auch die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe aus (ZfJ 1996, 95), wenn sie für diese Fälle eine Möglichkeit fordert, die genetische Abstammung des Kindes klären zu können. 266 Von vielen Seiten war die ausdrückliche gesetzliche Einführung einer Abstammungsfeststellungsklage für diese Fälle gefordert worden: Beschluß B.lV des 59. Deutschen Juristentages, Hannover 1992 mit einem Stimmenverhältnis von 65: 12:7. So auch: MünchKommiMutschler, § 1593 Rz. 21a; These 11.6 des Deutschen Juristinnenbundes, in FuR 1992, 185; Zumstein, FPR 1996, 225, 227; SPD-Antrag, Reform des Kindschaftsrechts, BT-Drucks. 12/4024 v. 17.12.1992, S. 4. 267 Internationalprivatrechtlieh wäre eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage dem Anfechtungsstatut zu unterstellen (Art. 20 EGBGB), falls die Nichtabstammung von der gebärenden Frau festgestellt werden soll, und dem Abstammungsstatut (Art. 19 Abs. 1 EGBGB), wenn es um die Feststellung der genetischen Mutter geht. Die Klage ist nämlich ein Ersatz für die nicht zugelassenen Statusklagen. Nicht durchschlagend wäre das Argument, daß die Klage einen Ausgleich für eine mit der Befruchtungsmethode verbundene Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt und insofern dem Deliktsstatut zu unterstellen sei. 268 Frankreich: Art. 16-8 und 16-9 e.e. i.d.F. des Gesetzes no 94-653 vom 29.7.1994. 269 Spanien: Art. 5 Abs. 5 FortpflanzungshilfeG 1988: "nur in seltenen Fällen, unter außergewöhnlichen Umständen"; Großbritannien: Art. 31 Human Fertilisation and Embryology Act 1990. 270 Frank, FamRZ 1995,975.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Verlust des Abstammungsprozesses - hat bei einer rechtsfolgenlosen Abstammungsfeststellung gerade keine große Überzeugungskraft. 271 b) Samenspende Während mit juristischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Eiund Embryonenspenden kaum zu rechnen ist, hätte dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf in der Frage der heterologen Insemination bestanden. Besonders unbefriedigend ist, daß die Vaterschaftsanfechtung durch den konsentierenden Ehemann in Deutschland nach wie vor möglich ist. Deutschland ist mit dieser Haltung mittlerweile weltweit ziemlich isoliert, wobei auch in vielen Ländern, die bislang auf eine umfassende gesetzliche Regelung bezüglich der künstlichen Befruchtung verzichtet haben, ein Anfechtungsausschluß für den Ehemann vorgesehen ist. 272 Im Jahre 1988 war in einem Kabinettsbericht, der auf die Beschlüsse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ,,Fortpflanzungsmedizin" zurückging, der Ausschluß der Ehelichkeitsanfechtung de lege ferenda gefordert worden. 273 Auch der 56. Deutsche Juristentag in Berlin (1986) sprach sich für diesen Vorschlag mit einem Stimmenverhältnis von 120: 12:5 aus. 274 Auf dem 59. Deutschen Juristentag in Hannover (1992) wurde die gleiche Forderung wiederholt (57:12:10).275 Auch während der Beratungen zum KindRG forderte der Bundesrat eine entsprechende Regelung 276, die aber von der Bundesregierung mit Hinweis auf die noch andauernden Beratungen einer vom Bundesministerium für Gesundheit eingerichteten Bund-LänderArbeitsgruppe abgelehnt wurde. 277

271 Allerdings ist zweifelhaft, ob die Möglichkeit der Begründung einer Statusmutterschaft die Effizienz steigern würde, denn die Vollstreckbarkeit eines solchen Urteils dürfte in diesen Ländern schwer sein: Vgl. Frankreich Art. 16-9 e.e. i.d.F. des Gesetzes no 94-653 vom 29.7.1994, wonach die Vorschrift über die Geheimhaltung der Spenderidentität "d'ordre public" ist. 272 Belgien: Art. 318 § 4 e.e.; Großbritannien: Sec. 28 Abs. 2 und 3 Human Fertilisation and Embryology Act 1990; Niederlande: Art. 1:201 Abs. 1 BW; Norwegen: § 9 Abs. 3 KinderG 1981; Österreich: §§ l56a, 163 Abs. 3 ABGB; Portugal: Art. 1839 Abs.3 e.e.; Schweden: 1. Kap. § 6 ElternG 1949 i.d.F. von 1984; Schweiz: Art. 256 Abs. 3 ZGB; Spanien: Art. 8 Abs. 1 Gesetz über künstliche Befruchtung 1988; USA: Sec. 5 Uniform Parentage Act. Eine diesbezügliche Regelung steht bislang noch in Italien aus (vgl. Trib. Roma, 30.4.1956, Giur.it. 1957, I, 2, 218). 273 BT-Drucks. 11/1856 v. 23.2.1988, S. 9 f. 274 Beschluß m.l 0 auf S. K 236 f. 275 Beschluß 8.111.1 auf S. M 250. 276 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 148. 277 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 166.

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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Entgegen der Rechtsprechung vertritt ein Großteil der Literatur die Auffassung, daß bei Zustimmung des Ehemannes zur künstlichen Befruchtung die anschließende Ausübung des Anfechtungsrechts rechtsmißbräuchlich i.S.v. § 242 BGB sei, weil das Kind seine Existenz überhaupt nur dem Willen des der Insemination zustimmenden Ehemannes verdanke. 278 Man könne diese Zustimmung als eine Art pränatale Adoption ansehen, von der sich der Mann nicht mehr einseitig lösen dürfe. Demgegenüber hat der BGH erst jüngst wieder seinen Standpunkt bekräftigt, daß das Anfechtungsrecht in aller Regel uneingeschränkt bestehe. Die Einverständniserklärung fiihre nicht zu einer Verwirkung des Anfechtungsrechts; dessen Ausübung stelle in aller Regel keinen Rechtsmißbrauch dar. 279 Dogmatisch gesehen ist die Argumentation des BGH durchaus vertretbar, denn im Bereich der Statusregeln, die der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dienen, ist für Billigkeitserwägungen unter Rückgriff auf § 242 BGB nur wenig Raum. 280 Dennoch ist die Rechtslage untragbar. Zwar stellte der BGH klar, daß die Zustimmung des Ehemannes zur Insemination ein konkludentes Unterhaltsversprechen sei281 , doch löst das bei weitem nicht alle Probleme. Ungeklärt ist zum Beispiel, was aus den erbrechtlichen Ansprüchen (Pflichtteilsrecht) wird, die dem Kind durch die Anfechtung entgehen. 282 Ein Teil der Literatur sieht in der Zustimmung des Vaters ein konkludentes Versprechen gegenüber der Mutter, das Kind erbrechtlich wie ein eigenes zu behandeln. Das Kind würde aus diesem Vertrag zugunsten Dritter einen Anspruch gegen den Nachlaß in Höhe eines Pflichtteils erwerben. 283 Hier fmgiert die Rechtsprechung Willenserklärungen, die so niemals vorgelegen haben.

278 Giesen, Modeme Fortpflanzungstechniken im Lichte des deutschen Familienrechts, FS Hegnauer, 1986, S. 67; Deutsch, MDR 1985, 177, 180; Staudinger/Göppinger, (VIIIII983), § 1591 BGB Rz. 40; MünchKommiMutschler, § 1594 Rz. 15 f.; Schlüter, Rz. 275; Kollhosser, JA 1985, 553, 555; weitere Nachweise bei Deichfuß, S. 173 Fn. 10; SpickhojJ, AcP 197 (1997), 413 ff. bei Vorliegen einer "besonders reflektierten Zustimmung". AA: beispielsweise Soergel/Gaul, § 1591 Rz.33, 34 m.w.N. und Deichfuß, S. 174. 279 BGH, NJW 1995,2921; vgl. auch schon BGHZ 87, 169; OLG eelle, Nds. Rpfl. 1992,24; AG Wesel, FamRZ 1986,493; OLG Köln, FamRZ 1997, 1171. 280 Deichfuß, S. 174. 281 BGH, NJW 1995, 2921, 2922; so vor allem BGH, FamRZ 1995, 861; zust. Coester-Waltjen, S. B 56 f.; a.A.: Holzhauer, FamRZ 1986, 1162, 1164. 282 Beitzke, FS Müller-Freienfels, S. 37 hält den Verlust dieser Ansprüche nicht für ausschlaggebend. 283 Kemper, FuR 1995, 311; Coester-Waltjen, Die künstliche Befruchtung beim Menschen - Zulässigkeit und zivilrechtliche Folgen, Gutachten B zum 56. Deutschen Juristentag, Berlin 1986, S. B 58.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

Außerdem bleibt offen, welche Konsequenzen es hat, wenn der wahre Vater doch noch festgestellt werden kann. Enthält das konkludente Unterhalts- und Ptlichtteilsversprechen für diesen Fall eine stillschweigende auflösende Bedingung?284 Aber auch die Rechtsstellung der Mutter, vor allem bezüglich ihres Anspruchs auf Betreuungsunterhalt, ist unklar, denn die Voraussetzungen des § 1570 BGB liegen nach der Vaterschaftsanfechtung nicht mehr vor. Man kann nur noch auf die Härteklausel des § 1576 BGB zurückgreifen285 oder wiederum ein konkludentes Unterhaltsversprechen fingieren. Um in allen diesen Fragen befriedigende Ergebnisse zu erzielen, muß man zu Konstruktionen greifen, die mit dem geltenden Recht kaum noch vereinbar sind. Entgegen der Rechtsprechung des BGH bejahten deshalb einige Instanzgerichte einen Ausschluß der Anfechtung nach § 242 BGB, obwohl im konkret vorliegenden Fall keine außergewöhnlichen Umstände gegeben waren, die eine von der Ansicht des BGH abweichende Beurteilung gerechtfertigt hätten. 286 Genauso wie de lege ferenda das Anfechtungsrecht des der Insemination zustimmenden Mannes auszuschließen ist, könnte auch das Anfechtungsrecht des Kindes beseitigt werden. Eine Anfechtungsklage ist kein adäquates Mittel, um sein Interesse an der Kenntnis seiner Herkunft zu befriedigen, denn sie führt zum Erlöschen aller unterhalts- und erbrechtlichen Ansprüche gegen den Statusvater. 287 Statt dessen sollte die Spenderidentität dokumentiert und dem Kind ein Einsichtsrecht gewährt werden. Eine statusrechtliche Loslösung vom Vater braucht auch deshalb nicht ermöglicht zu werden, weil die Begründung einer wirklichen Eltern-Kind-Beziehung zwischen Kind und biologischem Vater nicht zu erwarten ist. Die Anfechtung hätte mehr den Charakter einer Bestrafung des Vaters durch das Kind, weil dieses die Beziehung für gescheitert hält. Eine Statusbeziehung sollte aber nicht einfach aufgekündigt werden können, nur weil man sie für gescheitert hält. Bis zu einem gewissen Grade ist sie eine schicksalhafte Tatsache. Schließt eine Rechtsordnung bei der heterologen Insemination alle Anfechtungsmöglichkeiten aus, macht sie deutlich, daß der einzige und wahre Vater des Kindes derjenige ist, der der Insemination zugestimmt hat. Hierdurch wird sein Verantwortungsbewußtsein für das Kind geschärft und dem Kind die Identifizierung mit seinem Statusvater erleichtert. 284 Coester-Waltjen, NJW 1983, 2059, 2060 geht demgegenüber von einer Kumulation der Ansprüche oder einer Gesamtschuld aus. 285 Kemper, FuR 1995, 311. 286 AG Lüdenscheid, NJW 1986,784; AG Dieburg, FamRZ 1987,516; OLG Düsseldorf,FamRZ 1988, 762; AG Norderstedt, DAVorm 1991,419. 287 Nach geltendem Recht verliert das konkludent abgegebene Unterhaltsversprechen seines Vaters die Geschäftsgrundlage, wenn das Kind die Vaterschaft anficht (BGH, NJW 1995,2031,2032).

C. Die heterologe künstliche Befruchtung

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Deichfuß meint demgegenüber, daß es bei Scheitern der Beziehung zwischen Mutter und Vater dem Kind ermöglicht werden müsse, durch die Anfechtung die Voraussetzungen für eine ,,rechtliche Integration des Kindes in eine inzwischen neu entstandene faktische Eltern-Kind-Beziehung" zu schaffen. 288 Eine solche rechtliche Integration könnte meist nur in der Abgabe eines "wahrheitswidrigen" Vaterschaftsanerkenntnisses oder einer Adoption liegen, denn eine Zuwendung der Ehefrau zum wirklichen Vater des Kindes ist bei einer künstlichen Befruchtung kaum denkbar. Betrachtet man bei der künstlichen Insemination den Mann, der seine Zustimmung zur Befruchtung erteilt hat, als den wahren Vater, wäre die Einräumung eines Anfechtungsrechts systemwidrig. Warum sollte die Mutter das Anfechtungsrecht des mindeIjährigen Kindes benutzen können, um die Vaterschaftsbeziehung zu dem Mann abzubrechen, der für die Existenz des Kindes mitverantwortlich ist? Außerdem drängt sich die Parallele zur Adoption auf, wo ebenfalls zwei Menschen gemeinsame Verantwortung für ein Kind übernehmen, das genetisch nicht von ihnen abstammt. Auch dort kann das Kind nicht ohne weiteres diese Zuordnung wieder rückgängig machen, wenn es die Beziehung zu seinen Eltern für gescheitert hält. Die Rechtsprechung des BGH führt dazu, daß heterologe Inseminationen in Deutschland kaum praktiziert werden. Da nicht geklärt ist, ob anonyme Samenspenden zulässig sind, werden Inseminationen in den meisten Kliniken nur unter Aufdeckung der Spenderidentität vorgenommen. Läuft der Spender aber Gefahr, als Vater des Kindes festgestellt zu werden, wird sich außer in Fällen der interfamiliären Samenspende (z.B. Schwiegervater spendet der Schwiegertochter anstelle seines Sohnes Samen) kaum jemand dazu bereit finden.

III. Stellungnahme Die unterschiedliche historische Entwicklung des deutschen und französischen Abstammungsrechts spiegelt sich auch in der Frage der statusrechtlichen Zuordnung eines künstlich gezeugten Kindes wieder. Im ersten Kapitel wurde dargestellt, daß der Wille beider Elternteile bei der Begründung familienrechtlicher Bande in Frankreich traditionell eine größere Rolle spielt als in Deutschland. Aus diesem Grund fällt es einem Franzosen leichter, das Paar, das die künstliche Befruchtung gewünscht hat, als die wirklichen Eltern zu betrachten. Die künstliche Befruchtung ist in gewisser Weise die Kehrseite des accouchement sous X. Während bei der anonymen Kindesabgabe der Wille der Mutter ausreicht, um das Entstehen einer Eltern-Kind-Beziehung zu verhin288

Deichfuß, S. 177.

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2. Kapitel: Abstammungsfeststellung mit Statusfolgen

dem, wird bei der künstlichen Befruchtung durch die Zustimmung zur Insemination eine Eltern-Kind-Beziehung etabliert. In der französischen Diskussion werden beide Institute deshalb auch oft miteinander verglichen. Einem Deutschen dagegen fällt es schwer, sich von der Vorstellung über die Maßgeblichkeit der biologischen Abstammung zu lösen. Allerdings wird ein Auseinanderfallen von leiblicher und sozialer Elternschaft beim Vater eher hingenommen als bei der Mutter. In Deutschland sollte bei der Diskussion um die künstliche heterologe Insemination die Frage nach dem Status des Kindes getrennt werden von der Frage nach der Anonymität des Samenspenders. Statusrechtlich ist es empfehlenswert, das Kind dem Mann zuzuordnen, der durch seine Zustimmung zur künstlichen Befruchtung die Geburt des Kindes ermöglicht hat. Aus der Sicht des Kindes erscheint es unerträglich, wenn die Rechtsordnung als Vater einen Mann ansieht, der (u.U. fiir Entgelt) lediglich seinen Samen zur Verfügung gestellt hat. Demgegenüber ist der Partner der Gebärenden ein Mann, der durch seine Beziehung zur Mutter das Leben des Kindes zumindest ein Stück weit mitgeprägt hat und durch seine Zustimmung zur Befruchtung Mitverantwortung fiir das Leben des Kindes übernommen hat. Das französische Recht nimmt deshalb zu Recht eine konsequente und bestandskräftige Zuordnung des Kindes zu dem Mann vor, der der künstlichen Befruchtung zugestimmt hat. Je stärker eine Rechtsordnung die soziale Vaterschaft rechtlich verankert, desto mehr ilirdert sie auch das Bewußtsein dafiir, daß der konsentierende Ehemann der wahre Vater des Kindes ist, und desto genauer und gewissenhafter wird sich ein Paar überlegen, ob es gemeinsam die Verantwortung fiir ein heterolog gezeugtes Kind übernehmen will.

Drittes Kapitel

Kenntnis der biologischen Abstammung Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die Möglichkeiten, rechtliche Beziehungen zwischen einem Kind und seinen leiblichen Eltern zu begründen, begrenzt sind. Zu untersuchen ist aber, ob der Kenntnis der eigenen Abstammung die gleichen Grenzen gesetzt sein müssen oder ob man die statusrechtliche Feststellung der Abstammung von der bloßen Kenntnis der eigenen Herkunft abkoppeln kann.

A. Isolierte Abstammungsfeststellung im deutschen Recht? Ein solcher Ansatz ist auf den ersten Blick verführerisch. Erkennt man nämlich - wie das deutsche Bundesverfassungsgericht - ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung an, so führt es zu notwendigen Widersprüchen, will man dieses Recht innerhalb eines abstammungsrechtlichen Statussystems verwirklichen. 1 Es existiert ein inhärentes Spannungsverhältnis zwischen einem Statussystem, das aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ein Interesse an der Beibehaltung eines einmal gewonnenen Status hat, und dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das stets nach Offenlegung der wahren biologischen Abstammung strebt.

I. Der Konflikt zwischen dem Streben nach Kenntnis der eigenen Abstammung und einem Statussystem Erkennt man das Bedürfnis eines Kindes an, seine Identität durch die Klärung seiner Abstammung zu verwirklichen, so will es nicht einleuchten, warum das Kind hierfiir das Risiko auf sich nehmen muß, beispielsweise durch eine 1 In Reaktion auf das Urteil des BVerfG vom 31.1.1989, mit dem die Beschränkung der Ehelichkeitsanfechtung flir das volljährige Kind flir verfassungswidrig erklärt worden war, hatten viele Autoren flir die Erweiterung der Ehelichkeitsanfechtungsgründe plädiert (MünchKommlMutschler,-§ 1598 Rz. 10; Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 40 fT. insbes. S.47; Henrich, S. 196; Schwenzer, Gutachten, S. A 32 fI.; Schwenzer, FuR 1992 Beilage S. 5; Smid, JR 1990,221,226).

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Ehelichkeitsanfechtung oder die Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses seinen rechtlichen Vater zu verlieren, um dann im Rahmen einer nachfolgenden Vaterschaftsfeststellung gegen den präsumptiven Erzeuger zu erfahren, daß dieser gar nicht sein Erzeuger ist. Wenn manche Autoren diese Gefahr der Vaterlosigkeit begrüßen, weil sie zeige, ob es einem Kind ernst mit der Suche nach seinen genetischen Wurzeln sei2 , dann nimmt man das vom deutschen BVerfG postulierte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht gerade ernst, denn junge Menschen müßten ihre "Identitätsfindung" um den Preis eines hohen finanziellen Risikos erkaufen. Außerdem würde die Anfechtung dem Ehemann der Mutter oder dem Anerkennenden alle Vaterrechte aus der Hand nehmen, selbst wenn Kind und Vater in einer intakten Eltern-Kind-Beziehung leben. 3 Eine solche Regelung, die harmonische Sozialbeziehungen geUihrdet, wäre verfassungsrechtlich bedenklich - jedenfalls dann, wenn ein geeigneteres Mittel zur Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zur Verfiigung stünde. 4 Aus diesem Grund hat das BVerfG in seinen Urteilen vom 31.1.1989 und 26.4.1994 dem Gesetzgeber nahegelegt, das Recht auf Kenntnis der Abstammung durch die Einfiihrung einer sog. isolierten Abstammungsfeststellungsklage zu verwirklichen. 5 Hierdurch scheint man im Handstreich den gordischen Knoten zerschlagen zu können, den das BVerfG durch Postulierung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung geknüpft hat6 : Ein solches Verfahren, das die genetische Abstammung in einem statusunabhängigen Verfahren er2

Giesen, JZ 1989,364,374 f.; Henrich, S. 196. 3 Auch der Unterhaltsanspruch des Vaters gegenüber seinem Kind würde ihm genommen, nachdem er u.u. jahrelang Unterhalt geleistet hat, obwohl es dem Kind nur darum geht, seinen wahren Vater kennenzulemen. 4 Coester, JZ 1992, 809, 811. 5 BVerfG, JZ 1989,335,338; BVerfG, NJW 1994, 2475,2477. 6 Coester, JZ 1992,809,811; GernhuberICoester-Waltjen, §§ 51 19,51 16,51 III 4, 51 VI; Coester-Waltjen, Überlegungen zur deutschen Kindschaftsrechtsreform, FS Stepan, 1994, S. 20; dies., FamRZ 1992,369,373; dies., Jura 1989, 520, 522; dies., Die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes insbesondere im Hinblick auf ein Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, FS Deliyannis, 1991, S. 239 ff., 252 ff.; Deichfuß, S. 137 ff. (der den Gesetzgeber aber wegen einer Widersprüchlichkeit der Entscheidung nicht zum Tätigwerden verpflichtet sieht); Diederichsen, Referat zum 59. Deutschen Juristentag, Hannover 1992, These II.4.d.; Ernst, S. 177; Münder, RdJ 1989, 456,461; Ramm, NJW 1989, 1594, 1597 (nur im Sinne einer Notlösung); Antrag der SPD-Fraktion (FamRZ 1993,278, 279 = BT-Drucks. 12/4024 v. 17.12.1992); Zenz, Referat zum 59. Deutschen Juristentag, Hannover 1992, S. M 13 und These 3; wohl auch in diese Richtung Giesen, Familienrecht, Rz. 508; abI. Böhm, ZRP 1992,334,337; Gaul, Pater-est-Regel, S. 646 f.; Henrich, S. 196.; ErmaniHolzhauer, § 1593 Rz. 26. (fiir die isolierte Abstammungsfeststellungsklage bereits de lege lata ders., 8. Auf!. 1989, § 1593 Rz. 25a); Schwenzer (Familienrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes) FuR 1992 Beilage, S. 5; Smid, JR 1990,221,226.

A. Isolierte Abstammungsfeststellung im deutschen Recht?

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mitteln würde, würde die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kind und seinem Statusvater nicht tangieren, so daß man insofern das bisherige Statussystem unverändert beibehalten könnte; gleichzeitig würde das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung optimal verwirklicht. 7

11. Prinzipielle Einwände gegen eine isolierte Abstammungsfeststellung? Völlig neu wäre ein solches Verfahren nicht: Wie bereits dargelegt, hatte schon das Reichsgericht während des NS-Regimes ohne ausreichende gesetzliche Grundlage eine solche Klage auf Feststellung der blutsmäßigen Abstammung nichtehelicher Kinder zugelassen. Für eheliche Kinder war diese Klagemöglichkeit aber auch damals verneint worden, um ein Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und wirklicher Vaterschaft zu vermeiden. 8 Auch im geltenden deutschen Recht besteht eine Parallele, wenn ein nichteheliches Kind selbst nach erfolgter Adoption eine Vaterschaftsfeststellungsklage gern. §§ 640 ff. ZPO erheben kann. 9 Darüber hinaus bestehen auch keine prinzipiellen Einwände, die die Einführung eines solchen Verfahrens von vornherein ausschließen würden. Die Frage, ob die blutsmäßige Abstammung ein "Rechtsverhältnis" i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO ist, weil man in einigen abgelegenen Vorschriften (§ 1307 BGB; § 173 StGB) an die Abstammung - unabhängig vom Status - juristische Konsequenzen knüpft lO, oder ob es sich um das bloße (tatsächliche) Element eines Rechtsverhältnisses handelt I I und damit eine Klage auf Abstammungsfeststellung eine zivilprozessuale Anomalie wäre l2 , braucht hier nicht entschieden zu werden. Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, die Rechtsordnung innerhalb

7 Eine entsprechende Empfehlung sprach auch der 59. Deutsche Juristentag, Hannover 1992 mit einem Stimrnenverhältnis von 65: 12:7 aus (FamRZ 1992, 1275 unter B.lV.l). 8 RG, DR 1942, 1335; RG, ZAkDR 1943, 217, 218; RGZ 170, 402, 404; ausfiihrlich dazu Zimmermann, S. 123 f. m.w.N. 9 Frank, GS Arens, S. 66 f.; Staudinger/Frank, (1/1991), § 1755 Rz. 15 tr. 10 Ernst, S. 176; Reinke, S. 152 f. 11 Nach BGHZ 68, 331, 332 und 334 können Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses wie die Wahrheit einer Tatsache nicht Gegenstand rechtskräftiger Feststellung sein. Zulässig wäre also nur die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens des Ehehindernisses des § 1307 BGB, wofiir dann der Kläger allerdings ein "berechtigtes Interesse" nachweisen müßte (vgl. auch RGZ 85, 440, 441; BGHZ 53, 245, 248 und 250). 12 Frank, GS Arens, S. 74; Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 36. Von streitentscheidender Bedeutung ist dies bei der Frage der Zu lässigkeit der Mutterschaftsfeststellung bei den Fällen gespaltener Mutterschaft. 9 Helms

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

des bestehenden Systems fortzuentwickeln. Außerdem zeigt die Klage auf Feststellung der Urkundenechtheit gern. § 256 Abs. 1 ZPO, die von der h.M. als echte Tatsachenfeststellung angesehen wird 13 , daß solche Klagen auch innerhalb des bestehenden Systems nicht völlig ausgeschlossen sind. Auch dem Hauptzweck des Zivilprozesses - dem Schutz subjektiver Rechte 14 - läuft eine solche Klage auf Feststellung von Tatsachen nicht zuwider, soweit diese Tatsachenfeststellung aus Rechtsgründen geschieht. 15 Der maßgebliche Rechtsgrund wäre hier die Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Wenn Gaul dies nicht ausreichen läßt, weil der Zivilprozeß der "Rechts- und nicht der Selbstfindung" diene l6 , dann berücksichtigt er nicht, daß durch die Anerkennung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung die Selbstfindung zu einer Frage der Rechtsfindung geworden ist. Ebenso greift der Einwand zu kurz, eine solche Entscheidung könne keine Rechtskraftwirkung im herkömmlichen Sinne entfalten, da ein Urteil nur feststellen könne, was juristisch sein soll, nicht aber bestimmen, was tatsächlich ist. 17 Richter stellen in den Urteilsgründen stets Tatsachen fest. Daß diese nicht über den Tenor in Rechtskraft erwachsen, macht da keinen großen Unterschied. 18 Außerdem wird durch einen Prozeß immer nur eine relativ auf den Prozeß und dessen Möglichkeiten bezogene Wahrheit ermittelt. Wenn mit Rechtskraft festgestellt wird, daß ,,K. von E abstammt", dann wird damit nur entschieden, daß K "nach den Maßstäben und Feststellungsmöglichkeiten der Rechtsordnung" als von E gezeugt angesehen wird. Es wird nicht die "unmögliche Feststellung" getroffen, daß K wirklich von E gezeugt worden ist.

III. Problem felder Obwohl eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage sich in das System des Zivilprozesses durchaus einfügen ließe, zeigt sich bei einer genaueren

13 Stein/Jonas-Schumann, (XI/1996), § 256 Rz. 51 m.w.N. Auch der Vorschlag, im Wege der Analogie zu § 256 ZPO die FeststeIlung der Unwahrheit einer Behauptung zum Zwecke des Persönlichkeitsrechtsschutzes zuzulassen (Leipold, ZZP 84 (1971), 157 ff.) zeigt, daß eine solche Klage auf jeden Fall de lege ferenda nicht von vornherein völlig ausgeschlossen ist. 14 MünchKommlLüke, Ein!. Rz. 7 f.; ZöllerlVollkommer, Ein!. Rz. 39. 15 Stein/Jonas-Schumann, (XII/I992), Ein!. Rz. 21; Leipold, ZZP 84 (1971),158. 16 Ehelichkeitsstatus, S. 40; ähnlich Smid, JR 1990,221,223. 17 Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 37; Schönfeld, S. 23 halten die Rechtskraft eines TatsachenfeststeIlungsurteils für undenkbar. (Vg!. auch S. 64 ff.; 82). 18 Leipold, ZZP 84 (1971), 158.

A. Isolierte Abstammungsfeststellung im deutschen Recht?

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Analyse, daß ein solches Verfahren mannigfaltige Probleme mit sich bringen würde. J. Rechtskraft Da es für die Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung nur auf die tatsächliche Kenntnis der genetischen Wurzeln ankommt, stellt sich die Frage, ob die Rechtskraft eines solchen Feststellungsurteils dem Ziel einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage zuwiderlaufen würde. 19 Aus der Sicht des Klägers ist die Rechtskraft der Entscheidung nicht erstrebenswert, denn ihm kommt es nur auf die tatsächliche Kenntnis seiner Abstammung an. Allerdings dient die Rechtskraft nicht nur den Interessen der klagenden Partei. Sie dient auch dazu, unnötige Belastungen für Dritte (z.B. durch nutzlose Blutuntersuchungen, Zeugenbefragungen etc.) zu vermeiden und die Gerichte vor überflüssiger und wiederholter Befassung zu schützen. 20 Somit erscheint es wünschenswert, an der üblichen Rechtskraftwirkung von Feststellungsurteilen festzuhalten. Erwächst die Entscheidung im Rahmen der isolierten Abstammungsfeststellung in Rechtskraft, müßte man davon ausgehen, daß in einem späteren Statusverfahren die Richter an die ,,rechtskräftige Feststellung der Abstammung" gebunden wären. Damit hätte das Kind es in der Hand, in einem isolierten Abstammungsfeststellungsverfahren die Identität seines Vaters zu klären, um dann nach Vergleich der Vermögensverhältnisse über die Erhebung einer Statusklage zu entscheiden. Um dies zu vermeiden, könnte der Gesetzgeber bestimmen, daß eine Abstammungsfeststellungsklage unzulässig ist, soweit das Kind auch die Möglichkeit hätte, eine Anfechtungs- oder Vaterschaftsfeststellungsklage zu erheben. Aber dann würde die Klage auf isolierte Feststellung der biologischen Abstammung statusrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die gerade vom Kläger nicht angestrebt werden. Wie eingangs

19 Insofern könnte man an die Verweisung der isolierten Abstammungsfeststellungsklage in das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit denken, weil dort die Abänderbarkeit von Entscheidungen wesentlich erleichtert und die Bindungswirkung derselben bedeutend reduziert ist (vgl. § 18 Abs. 1 FGG). Dies wurde schon zu Zeiten des Reichsgerichts vorgeschlagen: Bosch, AcP 149 (1944), 75; PalandtlSeibert, BGB, 6. Aufl. 1944, § 1717 unter 2; vgl. auch RGZ 163, 156, 163. Zu dieser Zeit mußte man wegen der eingeschränkten medizinischen Untersuchungsmethoden von einer hohen Fehleranfalligkeit dieser Urteile ausgehen. Außerdem stand dahinter aus ideologischen Gründen das Streben nach Wahrheitsermittlung um jeden Preis. 20 MünchKommiGottwald, ZPO, § 322 Rz. 2 f.; SteiniJonas-Leipold, (IXlI987), § 322 Rz. 30 ff. Die Rechtskraft kann angesichts der Perfektion heutiger medizinischer Methoden auch nicht mehr als besonders störend empfunden werden.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

festgestellt, wird mit einer Klage auf Feststellung der biologischen Abstammung ein anderes Ziel als mit einer Statusklage verfolgt. Aus diesem Grund wäre es mit der Zielsetzung einer isolierten Feststellungsklage gerade nicht vereinbar, wenn ihre Erhebung ausgeschlossen wäre, solange die Durchführung einer Statusklage möglich ist. Auch umgekehrt wäre der Ausschluß eines Statusverfahrens nach erfolgter Abstammungsfeststellung unpraktikabel, da es bei den Statusklagen u.a. auch um die Eingliederung eines Kindes in eine (neue) intakte Familie geht, die im Zeitpunkt der ersten Klage noch gar nicht bestanden haben muß. 2. Klagevoraussetzungen

Die Befiirworter einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage gehen überwiegend davon aus, daß eine solche Klage uneingeschränkt zulässig sein sollte. 21 Dem liegt die Annahme zugrunde, daß Interessen, die den Belangen des Kindes zuwiderlaufen, durch eine solche Klage nicht oder nur unwesentlich gefährdet werden. Durch die Ermittlung des wahren Erzeugers wird jedoch in gleicher Weise in die Privatsphäre der juristischen Eltern eingegriffen wie bei der Ehelichkeitsanfechtung oder der Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses. Auch was die Gefährdung der Ehe und des Familienfiiedens anbelangt, ergibt sich kein nennenswerter Unterschied zu einer klassischen Statusklage. Das Wieder-Aufdecken eines Seitensprunges - der U.U. längst verziehen war -, die Konfrontation mit der Person des Erzeugers und die Angst der Eltern vor einer Hinwendung des Kindes zum wahren Erzeuger dürften eine erhebliche Gefährdung von Ehe- und Familienfiieden mit sich bringen. Ob demgegenüber die Gewißheit der Eltern, daß das Kind seinen rechtlichen Status nicht verlieren kann, dazu beiträgt, die Wogen zu glätten, dürfte mehr als fraglich sein. Auf jeden Fall besteht aber auch ein besonderes - bei den traditionellen Statusverfahren unbekanntes - Konfliktpotential, wenn ein Kind, das sich von seinem Vater abgewandt hat, weiterhin Unterhalts ansprüche gegen diesen geltend macht, obwohl durch eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage die

21 So ist wohl die verbreitete Aussage zu verstehen, daß die isolierte Abstammungsfeststellung die "sozialen Bindungen nicht zerstöre" (Coester, JZ 1992, 809, 811); GernhuberICoester-Waltjen, § 51 19; Coester-Waltjen, FamRZ 1992,369,373; dies., Überlegungen zur deutschen Kindschaftsrechtsreform, FS Stepan, 1991, S. 20; hiervon geht auch wohl Zenz, Referat zum 59. Deutschen Juristentag, Hannover 1992, S. M 13 aus; realistischer sieht das Schwenzer, Gutachten, S. A 33.

A. Isolierte Abstammungsfeststellung im deutschen Recht?

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Abstammung von einem anderen Mann festgestellt wurde. 22 Es ist kaum nachvollziehbar, warum ein Mann weiter zur Unterhaltszahlung verpflichtet sein soll, obwohl seine Nichtvaterschaft bewiesen und die Vaterschaft eines anderen Mannes amtlich besiegelt ist. Aufgrund dieses Störpotentials für Intimsphäre, Ehe und Familienfrieden ist es notwendig, sich auch bei dieser Klage Gedanken über die sachlichen und vor allem die zeitlichen Grenzen dieses Rechts zu machen. 3. Verfahrensgestaltung

Ein Verfahren auf Feststellung der biologischen Abstammung müßte ohne Zweifel wie ein Statusverfahren ausgestaltet sein, um die Dispositionsbefugnis der Parteien einzuschränken. Der angestrebten Wahrheitsfindung wäre nicht gedient, wenn der Beklagte die Klage anerkennen oder ein Versäumnisurteil provozieren könnte. 23 Z.T. wird für ein solches Verfahren die uneingeschränkte Übernahme des § 372a ZPO, der eine zwangsweise Durchführung von Abstammungsuntersuchungen ermöglicht, für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten. Normalerweise ermöglicht man mit der Klärung der Abstammung die Geltendmachung weitergehender Rechtsfolgen (z.B. Unterhalt oder Erbrecht). Soweit es aber "nur" um die isolierte Feststellung der Abstammung zum Zwecke der Persönlichkeitsentfaltung gehe, dürften die Interessen der Parteien und Zeugen auf Schutz ihrer körperlichen Integrität und ihrer Privatsphäre nicht zUTÜckstehen. 24

22 Frank, GS Arens, S. 84; Schwab, JZ 1954, 273 zum alten Konflikt zwischen Unterhalts- und Abstammungsurteil: "wenn man ihn weiterhin als unterhaltsverpflichtet ansehen wollte, wird der Vater sich mit Recht "als Opfer lebensfremder juristischer Spitzfindigkeiten fühlen". Isele. ACP 150 (1949), 76: Es diene schlicht der "Gerechtigkeit und Billigkeit", das Abstammungsurteil dem Unterhaltsurteil entgegensetzen zu können. 23 Coester, JZ 1992, 809, 811 scheint für ein "normales" Feststellungsverfahren zu plädieren, denn offenbar geht er von der Zulässigkeit des Anerkenntnisses in einem solchen Verfahren aus. ErmaniHolzhauer, 8. Auflage, § 1593 Rz. 25a plädierte bereits de lege lata für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage, die er nicht den Regeln über das Statusverfahren unterwerfen wollte. Er übersah offensichtlich die Manipulationsmöglichkeiten auf der Seite des Beklagten, denn er begründet seine Ansicht damit, daß der Kläger kein Interesse an einer (wahrheitswidrigen) Disposition über den Streitgegenstand habe. In der 9. Auflage hat er seine Ansicht nunmehr aufgegeben. 24 Frank, GS Arens, S. 83; Deichfuß, S. 139 f.; Gaul, Ehelichkeitsstatus, S. 39; Smid, IR 1990, 221, 223.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Die Zulässigkeit von Blutuntersuchungen im Rahmen einer Ehelichkeitsanfechtung oder einer Vaterschaftsfeststellung wird auch bislang nicht davon abhängig gemacht, ob das Kind den Wunsch oder auch nur die Möglichkeit hat, hieraus weitere Vorteile zu ziehen. Der hohe Wert, den das BVerfG der Persönlichkeitsentfaltung beimißt, dürfte auch hier ausschlaggebend sein. Die Gründe, die dafür sprechen, Blutuntersuchungen nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für die Abstammung bzw. Nichtabstammung vom Beklagten zuzulassen, treffen auch schon auf die heute zulässigen Verfahren ZU. 25 Vielfach wird der Vorschlag gemacht, die Kosten für eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage dem Kind in vollem Umfang sogar dann aufzuerlegen, wenn es obsiegt hat. 26 Man könnte in diesem Zusammenhang auf §§ 93a, 93c ZPO verweisen, die für erfolgreiche Klagen auf Anfechtung der Ehelichkeit oder eines Anerkenntnisses - abweichend von den allgemeinen Kostentragungsregeln - eine Kostenaufhebung anordnen, weil es unbillig wäre, dem unterlegenen Teil die vollen Kosten aufzubürden, wenn dieser keine Möglichkeit hat, sich dem Prozeß durch ein Anerkenntnis zu entziehen. 27 Darüber hinaus wird geltend gemacht, eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage diene allein der Selbstverwirklichung des Kindes. 28 Dennoch wäre eine solche Regelung rechtspolitisch gesehen nicht zwingend. Der Erzeuger hat immerhin durch die Umstände der Erzeugung und das spätere Verheimlichen der wahren Abstammung zur Herbeifiihrung der für das Persönlichkeitsrecht des Kindes mißlichen Lage beigetragen. Die Lage ist am ehesten einem vom Kind betriebenen Vaterschaftsfeststellungsprozeß vergleichbar, für den auch § 91 ZPO gilt. Deshalb spricht einiges für die Beibehaltung der normalen Kostentragungsregeln.

25 Antrag der SPD-Fraktion (FamRZ 1993, 278, 279 = BT-Drucks. 12/4024 v. 17.12.1992). Die Ausfiihrungen von Deichfuß, S. 140 zu den Voraussetzungen fiir eine Blutuntersuchung entsprechen nicht der heutigen Praxis der Gerichte, wenn er behauptet, daß das Gericht ein Abstammungsgutachten nur dann anordnet, "wenn feststeht (oder zumindest konkrete Hinweise dafiir vorhanden sind), daß der Beklagte während der Empfängniszeit mit der Mutter Verkehr hatte". Sein Vorschlag, die Blutuntersuchung davon abhängig zu machen, daß das Kind nachweist, daß der in Frage kommende Mann während der Empfängniszeit mit der Mutter verkehrt hatte, würde die Abstammungsfeststellungsklage leerlaufen lassen, weil dieser Nachweis doch nur durch die Blutuntersuchung erbracht werden kann. 26 Frank, GS Arens, S. 83; Deichfuß, S. 141; Ramm, NJW 1989, 1594, 1597. 27 MünchKommiBelz, ZPO, § 93c Rz. 1; SteiniJonas-Bork, (VI/1993), § 93c Rz. 1; WieczorekiSchütze-Steiner, 3. Aufl., § 93c Rz. I. 28 Deichfuß, S. 141.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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IV. Schlußfolgerungen Die Betrachtungen haben gezeigt, daß eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage vielfaltige Probleme mit sich brächte und daß es eine Illusion wäre zu glauben, durch die Einfiihrung einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage könnten ohne weiteres die Grenzen gesprengt werden, die dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung durch ein Statussystem gesetzt sind. Deshalb ist zu begrüßen, daß der Gesetzgeber im KindRG die Einfiihrung einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage abgelehnt hat. Demgegenüber beurteilte der Bundesrat die Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes - ohne Angabe irgendwelcher Gründe - als nicht ausreichend für die Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Vielmehr forderte er eine "ergänzende Vorschrift"29, wobei hiermit wohl entsprechend den Änderungsvorschlägen der SPD-Fraktion die Einfiihrung einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage gemeint war. 30 Der Bundestag aber sah in seiner Erwiderung "keine Veranlassung" zur Aufnahme irgendwelcher "ergänzender Vorschriften".3!

B. Der Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und den Interessen des Kindes Die Kenntnis des biologischen Erzeugers dient nicht nur der Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung, sondern ist nach geltendem Recht in erster Linie Voraussetzung für die erfolgreiche Durchfiihrung von Abstammungsprozessen. Meistens laufen diesbezüglich die Interessen der Mutter und ihres Kindes parallel: Beide profitieren davon, wenn für das Kind ein Unterhaltsschuldner gefunden und seine zukünftigen Erbansprüche gesichert werden. In manchen Fällen allerdings können die Interessen der Mutter in Konflikt mit denjenigen des Kindes geraten: Ist der Erzeuger des Kindes ein Mann, mit dem die Mutter keinen weiteren Kontakt wünscht oder dessen Vaterschaft sie nicht publik machen will, kann sie bestrebt sein, dem Kind seine väterliche Abstammung zu verheimlichen.

29 BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S.147. Ähnlich vage forderte die Arbeitsgemeinschaft rur Jugendhilfe, daß den Abstammungsregelungen eine "Grundsatznorm" voranzustellen sei, die dieses Recht des Kindes auf eigene Identität und Kenntnis seiner eigenen Abstammung verankere (ZfJ 1996, 95). 30 BT-Drucks. 13/1752 v. 21.6.1995, S. 4. 3! BT-Drucks. 13/4899 v. 13.6.1996, S. 166.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Die Kenntnis der eigenen Mutter scheint demgegenüber stets eine Selbstverständlichkeit zu sein. Doch grundsätzlich sind Konstellationen denkbar, in denen die Mutter den Wunsch hat, die Beziehungen zu dem Kind fiir immer abzubrechen und deswegen dem Kind gerne seine mütterliche Abstammung verheimlichen möchte: Sei es, weil das Kind aus einer Vergewaltigung, einem Inzest oder einem Ehebruch stammt, sei es, weil die Mutter sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht in der Lage sieht, angemessen fiir das Kind zu sorgen. Sowohl was die Kenntnis der väterlichen Abstammung als auch die der mütterlichen anbelangt, in beiden Fällen tritt das Selbstbestimmungsrecht der Mutter in Konflikt mit dem Interesse des Kindes, Kenntnis seiner biologischen Herkunft zu erlangen sowie rechtliche und emotionale Beziehungen zu beiden Elternteilen zu begründen. Während das französische Recht mit den Instituten des accouchement sous X und des abandon anonyme der Mutter die Möglichkeit eröffnet, unter Wahrung vollkommener Anonymität jegliche Verbindung zu dem Kind abzubrechen, gewährt das deutsche Recht nach herrschender Meinung dem Kind einen Anspruch gegen seine Mutter auf Auskunft über die väterliche Abstammung.

I. Das "secret de la maternite" im französischen Recht Im deutschen Recht stellt die Kenntnis der mütterlichen Abstammung kein Problem dar (mater semper certa est). Mutter eines Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat. 32 Bei jeder Geburt muß ihr Name in die Geburtsurkunde eingetragen werden (§ 21 Nr. 1 PStG).

1. Gesetzliche Grundlagen und praktische Bedeutung Im französischen Recht besteht demgegenüber nicht in allen Fällen eine vergleichbare Zuordnungsautomatik allein aufgrund der Geburt. Zwar erbringt bei ehelichen Kindern die Geburtsurkunde den vollen Nachweis über die Abstammung (Art. 319 C.C.)33, doch wird bei nichtehelichen Kindern die mütterliche Abstammung entsprechend einer alten Tradition durch freiwilliges Anerkennt-

32 Dies stellt jetzt § 1591 BGB n.F. klar, war aber schon vorher anerkannt: MünchKomm/Mutschler, §§ 1591, 1592 Rz. 52 m.w.N.; Coester-Waltjen, FamRZ 1992, 369,371 m.w.N. 33 Alternativ dazu kann der Nachweis durch den Besitz des Familienstandes (Art. 320 c.e.) oder eine Abstammungsklage (Art. 323 c.e.) erbracht werden.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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nis begründet (Art. 334-8 C.C.).34 Allerdings wird die Anerkennung erleichtert, indem Art. 337 C.C. bestimmt, daß der Eintrag der Mutter in die Geburtsurkunde die Wirkung eines Anerkenntnisses besitzt, wobei dies jedoch nur dann gilt, wenn zusätzlich das Kind die possession d'etat gegenüber der Mutter hat. 35 Entscheidend ist aber sowohl fiir die eheliche als auch die nichteheliche Abstammung, daß die Eintragung des mütterlichen Namens in die Geburtsurkunde nicht obligatorisch ist. Zwar verlangt Art. 57 Abs. 1 S. 1 C.C. grundsätzlich, daß "Vornamen, Namen, Alter, Beruf und Wohnsitz des Vaters und der Mutter anzugeben sind", doch darf der Zivilstandsbeamte, falls ihm "der Vater und die Mutter oder einer von beiden nicht angegeben werden, keine Angabe darüber in den Registern machen" (Art. 57 Abs. 1 S.2 C.C.). Dieser Zusatz wurde im Jahre 1924 in den Code civil eingefügt, entsprach aber schon der früheren von der Rechtsprechung gebilligten Praxis. 36 In einem solchen Fall wird das Kind als Kind einer unbekannten Mutter ("X") in das Geburtsregister eingetragen. Ein Kind, das auf diese Weise mutterlos bleibt, hätte an und fiir sich die Möglichkeit, seine Abstammung gern. Art. 322 C.C. (eheliche Kinder: action en reclamation d'etat) oder Art. 341 Abs. 1 C.C. (nichteheliche Kinder: action en recherche de maternite naturelle) gerichtlich feststellen zu lassen. Eigentlich müßte der Nachweis der mütterlichen Abstammung einfach zu führen sein, weil Geburten schwerlich zu verheimlichen sind. Dem steht in Frankreich allerdings entgegen, daß jede Mutter das Recht hat, bei der Entbindung ihre Anonymität zu wahren (accouchement sous X). Lange Zeit war dieser Grundsatz in Frankreich allerdings nicht ausdrücklich gesetzlich verankert. Ein indirekter Hinweis ergab sich jedoch aus Art. 47 Code de la/amille et de I'aide sociale (C.Fam.), der im Jahre 1986 eine im wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift aus dem Jahre 1953 neu formulierte. Danach werden die Kosten fiir die Unterkunft und die Entbindung von der Sozialhilfe getragen, wenn eine Frau bei der Aufnahme in ein öffentliches oder privates Krankenhaus wünscht, das Geheimnis ihrer Anonymität zu wahren. In einem solchen Fall dürfen keine Personalien aufgenommen und keine Nachforschungen angestellt werden (Art. 47 Abs. 2 C.Fam.).37 Sollte ein Kind dennoch eine 34 Hilfsweise sieht Art. 334-8 e.e. den Nachweis der Abstammung durch den Besitz des Personenstandes oder durch die Wirkungen eines Urteils vor. 35 Andernfalls kann das Kind zwecks Feststellung der Mutterschaft zur Abstammungsklage nach Art. 341 C.C. greifen. 36 Gutkess, S. 98 ff. 37 Dieses Verbot wird wiederholt in Art. 20 der Verordnung über "Ie fonctionnement des services hospitaliers" no 74-27 vom 14.1.1974 (abgedruckt bei Nykiel, S. 46). Auch aus Art. 81 C.Farn. kann ein argurnenturn e contrario gezogen werden: "Le procureur de la Republique pourra, a I'occasion d'une procedure d'adoption ou de legitimation adoptive, prendre connaissance des dossiers concernant les enfants recueillis

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

gerichtliche Feststellung der Mutterschaft beantragen38 , so hätte dieser Antrag nur geringe Erfolgsaussichten, weil Art. 47 C.Fam., verbunden mit der Verschwiegenheitspflicht medizinischen Personals, einer späteren Auskunft über die Identität der Entbindenden in einem Mutterschaftsfeststellungsprozeß entgegenstehen würde. 39 Trotz dieser an und für sich bereits klaren Rechtslage wurde im Jahre 1993 das Recht der Mutter auf anonyme Entbindung noch einmal ausdrücklich im Code civil bestätigt, um damit eine aufkommende öffentliche Diskussion über Sinn und Zweck des secret de la maternite zu beenden. Nach Art. 341-1 C.C. kann eine Frau verlangen, "daß das Geheimnis ... ihrer Niederkunft gewahrt wird". Ziel dieser "affIrmation solennelle" war es auch, eine bessere Aufklärung über dieses Institut zu erreichen. 4o Allerdings ging man bei der Reform gegenüber dem bisherigen Rechtszustand noch einen Schritt weiter und legte fest, daß eine Klage auf Feststellung der nichtehelichen Mutterschaft in einem solchen Fall von vornherein unzulässig ist (Art. 341 C.C.), während bislang eine Klage zwar zulässig, aber faktisch aussichtslos war. Auf den ersten Blick überraschend ist allerdings, daß das Verbot der Mutterschaftsfeststellung in dem neu eingeführten Art. 341 C.C. nur für nichteheliche Kinder gilt. Der Grund für diese Differenzierung liegt darin, daß ein nichtehelicher Vater eine rechtliche Beziehung zu seinem Kind durch ein Anerkenntnis theoretisch auch dann herstellen kann, wenn die mütterliche Abstammung nicht feststeht. Beim ehelichen Kind dagegen erfolgt die VaterKind-Zuordnung aufgrund der Ehe der Mutter. Die väterliche Abstammung kann damit nur dann etabliert werden, wenn auch die mütterliche feststeht. Um dem Kind diese - sehr unwahrscheinliche - Chance nicht zu nehmen, wurde die Klage auf Feststellung der ehelichen Mutterschaft nicht ebenfalls ausdrücklich für unzulässig erklärt. Doch angesichts der oben geschilderten Beweislage ist es für eheliche Kinder faktisch ebenfalls unmöglich, nach einer anonymen Entbindung ihre Abstammung zu klären. Ein Kind, dessen Mutter auf solche Weise unbekannt geblieben ist, wird dem Service de l'Aide Sodale a I'Enfance übergeben, gern. Art. 61 Nr. 1 C.Farn. unter staatliche Vormundschaft gestellt und nach Ablauf von drei Monaten, innerhalb derer die Mutter die Möglichkeit hat, ihre Entscheidung rückpar le service ... Les renseignements ainsi obtenus ne pourront etre TI!veJes a I'occasion d 'une procedure quelconque ni mentionnes dans une decision de justice." 38 Hinweis auf entsprechende Gerichtsentscheidungen bei: Rubellin-Devichi, Revue droit de I'enfance et de la familie 1991/1992,72; dies. RTD civ. 1991,703. 39 Rubellin-Devichi, Revue droit de I'enfance et de la familie 1991/1992,66. 40 Desanlis, 1OAN, 28.4.1992, S.747; ders., JO Senat, 9.12.1992, S.3736; Neuwirth, 10 Senat 9.12.1992, S. 3736.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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gängig zu machen (Art. 62 Abs. 5 C.Fam.), zur Adoption freigegeben (Art. 63 c.Fam.).41 Das französische Recht sieht allerdings nicht nur die Möglichkeit vor, die Verbindung zwischen einem Kind und seiner Mutter von Geburt an abzuschneiden, sondern erlaubt Eltern, die ursprünglich rechtliche Verantwortung für ihr Kind übernommen hatten, diese auch noch zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzustreifen und hierbei die Spuren der Herkunft des Kindes vollständig zu verwischen (abandon anonyme). Nach Art. 61 C.Fam. können auf Wunsch der Sorgeberechtigten auch solche Kinder unter staatliche Vormundschaft gestellt werden, deren Eltern bekannt sind. Anläßlich der Abgabe des Kindes an die staatliche FÜfsorgebehörde müssen die Eltern gem. Art. 62 Abs. 2 Nr. 4 C.Fam. darauf hingewiesen werden, daß sie das Recht haben, den Zivilstand des Kindes zu verschweigen. Wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, müssen sie keine Angaben über ihre eigene Identität machen. Verlangen sie ausdrücklich42 , daß dieses Geheimnis für immer gewahrt bleibt, dann ist es der staatlichen FÜfsorgebehörde untersagt, dem abgegebenen Kind später irgendwelche Auskünfte zu erteilen, die zu einer Aufdeckung der biologischen Abstammung führen könnten (Art. 62 Abs. 7 C.Fam. i.d.F. des Gesetzes vom 5.7.1996). Nach einer dreimonatigen Bedenkzeit für die Eltern wird das Kind dann ebenfalls zur Adoption freigegeben. Seit der Reform des Adoptionsrechts vom 5.7.1996 ist diese Art der Kindesabgabe nur noch dann möglich, wenn das Kind jünger als ein Jahr alt ist (Art. 62 C.Fam. n.F.). Anläßlich der jüngsten Reform aus dem Jahre 1996 wurde bestimmt, daß die Mutter, die das Kind anonym zur Welt gebracht hat, bzw. die Personen, die das Kind zu einem späteren Zeitpunkt unter Wahrung ihres Inkognitos abgeben, darüber aufzuklären sind, daß sie persönliche Angaben machen können, die dem Kind zwar Informationen über seine Eltern und die Umstände der Abgabe vermitteln, ohne aber ihre Identiflzierung zu erlauben. 43 Zum anderen kann die

41 Obwohl es keine gesetzliche Grundlage dafiir gibt, wird eine gewisse Anzahl von anonym geborenen Kindern auch von privaten Adoptionsstellen in Obhut genommen und dann zur Adoption vermittelt (Nykie/, S. 116 ff.). 42 Eine unklare Rechtslage und eine uneinheitliche Praxis bestand in den Fällen, in denen die Eltern zwar den Zivilstand des Kindes verschwiegen, aber nicht ausdrücklich verlangten, daß die Herkunft fiir immer geheim bleiben sollte. Manche verlangten diesbezüglich eine ausdrückliche Erklärung der Mutter (HauserIHuet-Wei/ler, S.541), andere ließen es ausreichen, wenn die Frau bei der Aufnahme in das Krankenhaus ihren Namen nicht angibt (Tri//at, S. 525 f.; so auch schon: Rube//in-Devichi, Revue droit de l'enfance et de la familie 199111992, 66 ff.) Das Gesetz stellt jetzt klar, daß die Wahrung des Geheimnisses ausdrücklich verlangt werden muß, worüber die Eltern aufzuklären sind (Art. 62 Abs. 7 C.Fam. i.d.F. des Gesetz vom 5.7.1996). 43 Vorschlag geht zurück auf Mattei, Enfant d'ici, enfant d'ailleurs. L'adoption sans frontiere, rapport au Premier ministre, La documentation fran~aise, 1995, S. 170 ff.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Anonymität später bei Einverständnis der leiblichen Eltern und des Kindes wieder aufgehoben werden, worauf die Abgebenden gern. Art. 62 C.Fam. hinzuweisen sind. Wendet sich das Kind in einem solchen Fall nach Eintritt der Volljährigkeit an die Fürsorgebehörde, erhält es die von seinen leiblichen Eltern hinterlegte Adresse. Durch diese Reform versuchte der Gesetzgeber, dem Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Herkunft entgegenzukommen, ohne dabei das secret de la maternite anzutasten. In den letzten Jahren fanden in Frankreich durchschnittlich 930 anonyme Geburten pro Jahr statt. 44 Die Zahl der Kinder, die erst einige Zeit nach der Geburt anonym abgegeben werden, wird auf jährlich ca. 300 geschätzt. 45 Während die öffentliche Meinung lange davon ausging, die meisten der anonym entbindenden Frauen seien minderjährig und stammten aus den MaghrebLändern46 , ergaben Untersuchungen für die Städte Paris und Nancy, daß nur ca. 14 % der Frauen unter 20 Jahren alt waren, während sich der Großteil (50 %) im Alter zwischen 20 und 30 Jahren befand. Auch stammen nur ein Viertel der anonym entbindenden Französinnen aus den Maghreb-LändemY Eine Regierungskommission aus dem Jahre 1996 kam nach eingehenden Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß keine verallgemeinerungsfahige Aussage über die konkreten Umstände der Kindesweggabe gemacht werden könnten. 48 Es handle sich keineswegs nur um junge Frauen oder um solche, die von ihrem Partner verlassen worden seien oder sich in schwierigen sozialen oder materiellen Verhältnissen befanden. Auch seien die abgegebenen Kinder nicht überwiegend aus einer Vergewaltigung oder einem Inzest hervorgegangen. 49 Gleichzeitig aber wurde festgestellt, daß in den meisten Fällen das Kind vom sozio-familiären Umfeld der Schwangeren - aus welchen Gründen auch immer - als ein "enfant impossible" betrachtet wird. 50

Nykiel, S. II und 260. Delaisi/Verdier, S. 113 Fn. 79. 46 Vgl. Bonnet, Secret, S. 133; Maury, On "abandonne en France", Revue autrement, no 96, 1988 Abandon et adoption, S. 20, 22. 47 Trillat, L'accouchement anoyme: de I'opprobre a la consecration, Melanges Huet-Weiller, 1994, S.515 Fn. 17 unter Bezugnahme auf Untersuchungen von Dumaret/Rosset und Knoll. (Insgesamt 10 % der Frauen reisen eigens für die Entbindung aus dem Ausland an.) 48 Vgl. auch Maury, Revue autrement, no 96, 1988 Abandon et adoption, S. 20 und 23. 49 L'acces a la connaissance des origines familiales, Groupe de travail institue par Mme. Veil, Ministre des Affaires Sociales, sous la dir. de Dominique Ferriere, S. 3. 50 L'acces a la connaissance des origines familiales, Groupe de travail institue par Mme. Veil, Ministre des Affaires Sociales, sous la dir. de Dominique Ferriere, S. 4. Vgl. auch die von Nykiel, S. 263 ff. durchgeführte Untersuchung aus dem Jahre 1990. 44 45

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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2. Rechtspolitische Begründung

Viele der historischen Gründe, die zur Entwicklung des secret de /a maternite gefiihrt haben, sind heute fortgefallen: Die Geburt eines nichtehelichen Kindes wird in den westeuropäischen Gesellschaftsordnungen nicht mehr als Makel empfunden. Außerdem gibt es staatliche Sozialleistungen, die den Eltern finanzielle Unterstützung gewähren. Aus deutscher Sicht verwundert, daß der französische Gesetzgeber einer Frau auch heute noch das Recht zugesteht, frei über das Schicksal eines Kindes zu verfUgen. Dadurch, daß die Frau ihre eigene Mutterschaft vertuscht, verhindert sie in aller Regel auch, daß das Kind jemals Kenntnis von seiner väterlichen Abstammung erlangt. Damit wird dem Kind die Chance genommen, daß sein Vater die Pflege und Erziehung übernimmt. Auch haben jahrzehntelange Erfahrungen und Untersuchungen gezeigt, daß manche (Adoptiv-)Kinder ihr Leben lang leiden, wenn es ihnen nicht gelingt, ein Mindestmaß an Informationen über ihre genetische Herkunft zu erhalten. Trotz aller Einwände hält Frankreich unter weitgehender Zustimmung in WissenschafPI , Politik52 und öffentlicher Meinung 53 an der bestehenden Rechtslage fest. 54 Wichtigster Grund hierfiir ist, daß man durch accouchement sous X und abandon anonyme die Zahl der Abtreibungen und Kindestötungen zu vermindern hofft: "L'enfant a le droit de savoir d'ou il vient, mais il a encore plus le droit de vivre.,,55 Jedoch hängen beide Phänomene von so vielen 51 Benabent, n. 498; Bannet, Secret, S. 128 ff.; Bannet, Geste, S. 1 ff.; Geadah, Accouchement anonyme. Enjeu du secret, in: Verdier/Soul6 (Hrsg.), Le secret sur les origines 1986, S. 91 ff.; Granet, D. 1994, Chr., 24; Rubellin-Devichi, Cahiers de matemo1ogie 1995, 17 f.; Rubellin-Devichi, Revue droit de l'enfance et de la familie 1991/1992, 69; Tril/at, S. 517; Hirsoux, La volonte individuelle en matiere de filiation, These Paris 1988, S. 300; zustimmend - wenn auch zurückhaltend - Drei[uss-Netter, S. 112; kritisch dagegen: Massip, Defr6nois 1993, no 35559, n. 29; Massip, D. 1997, Jur., 588; Vidal, S. 748 f.; Delaisi/Verdier, S. 12 ff. 52 An1äßlich der Refonn des Kindschaftsrechts im Jahre 1993 bestand während der Gesetzgebungsdebatte eine weitgehende Einigkeit über die grundsätzliche Aufrechterhaltung des accouchement sous X: z.B. Cacheux, JOAN, 28.4.1992, S. 720; Vauzelle, JOAN, 28.4.1992, S.725; Clement, JOAN, 28.4.1992, S.730; Gouzes, JOAN, 28.4.1992, S. 731; Ameline, JOAN, 28.4.1992, S. 742; Lederman, JO Senat, 9.12.1992, S.3735. 53 Maury, Revue autrement, no 96, 1988 Abandon et adoption, S. 20 ff.; Vogue vom 11.12.1995 S.76. Im Jahre 1991 ergab eine Umfrage, daß nur 12 % der französischen Bevölkerung das accouchement sous X ablehnen (F6deration "Enfance et FamilIes d' Adoption", Accueil, no 2-3, Mai 1992, S. 18 f.). 54 Nykiel, S.49 und 56 behauptet, daß beide Institute in der Öffentlichkeit wenig bekannt seien. Demgegenüber kann auf eine ganze Anzahl von Zeitungsartikeln zumindest in der gehobenen Presse hingewiesen werden. 55 "Das Kind hat zwar ein Recht zu wissen, woher es kommt, es hat aber in noch größerem Maße ein Recht zu leben." Goumot anläßlich einer Tagung im Jahre 1990. Wiedergegeben bei Rubellin-Devichi, Revue droit de l'enfance et de la fami11e

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

rechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Faktoren ab, daß eine solche Aussage empirisch nicht überprüfbar ist. 56 Insbesondere läßt sich nur schwer beurteilen, ob es notwendig ist, die Kindesabgabe anonym zu gestalten. Warum sollte es nicht ausreichen, Frauen, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, zu einer sofortigen Adoptionsfreigabe zu ermutigen? Dem wird in Frankreich entgegengehalten, nur die völlige Anonymität könne die Mutter vor dem Unverständnis ihrer Umgebung und vor einer gesellschaftlichen Verurteilung schützen. 57 Diese eröffue den Weg für ein Austragen des Kindes in Fällen, in denen die Mutter andernfalls ihren einzigen Ausweg in einer Abtreibung sähe. Das secret de la maternite wird in der Praxis dadurch abgesichert, daß die Mutter in einer maison materneUe bereits zu einem beliebigen Zeitpunkt vor der Niederkunft aufgenommen werden kann, wo sie auf Staatskosten die nötige medizinische und psychologische Betreuung erhält. 58 Die Frau kann also unter dem Vorwand, sich einer medizinischen Behandlung unterziehen zu müssen, gegenüber Nachbarn, Kollegen etc. die äußeren Anzeichen der Schwangerschaft verbergen. Im Verhältnis zu anderen Patienten wird ihre Anonymität oftmals durch die Benutzung eines falschen Namens gewährleistet. Auch Telefonate und Besuche kann sie unterbinden oder auf bestimmte Personen beschränken. 59 Für das secret de la maternite spricht, daß der Frau die Entscheidung für das Austragen des Kindes erleichtert wird, wenn ihr die Möglichkeit eröffuet wird, unmittelbar nach der Geburt einen Schlußstrich unter diese psychisch sehr belastende Entscheidung zu ziehen. 6O Die Entscheidungsfreiheit der Mutter wird im übrigen dadurch garantiert, daß sie innerhalb von 3 Monaten ihre Meinung ändern und das Kind zurückverlangen kann, eine Möglichkeit, von der nach einer Umfrage in 14 französischen Departements in den Jahren 19871993 immerhin ca. 13 % der Mütter Gebrauch gemacht haben. 61 Auch in Deutschland berichten Sozialpädagogen, daß Mütter, die ihre Kinder zur Adop199\11992,63 und 69. VgJ. auch: Trillat, S. 517 f.; Gridel, D. 1993, ehr., 198; Vauzelle, JOAN, 28.4.1992, S. 725. 56 Massip, Defn:nois 1993, S. 634, no 29 hält aufgrund eines Vergleichs der Statistiken rur Kindestötungen in der Schweiz, Belgien, den Niederlanden und Deutschland dieses Argument nicht rur stichhaltig. Ähnlich Verdier, S. 210. A.A.: Hirsoux, La volonte individuelle en rnatiere de filiation, These Paris 1988, S. 304 Fn. 18; statistische Angaben zur Häufigkeit der Kindestötung bei Nykiel, 1995, S. 247. 57 Hirsoux, La volonte individuelle en matiere de filiation, These Paris 1988, S.300. 58 Nykiel, S. 76 Cf. 59 Nykiel, S. 76 Cf. 60 DreiJuss-Netter, S. 100. 61 Nykiel, S. 153.

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tion freigegeben haben, häufig diese Tatsache zu verheimlichen suchten und unter dem permanenten Druck der Enthüllung litten. 62 Eine solche würde sie nicht nur als "Rabenmutter" entlarven, sondern wird auch oftmals gegenüber ihrer Umwelt als Lügnerin brandmarken. Allerdings wird z. T. von den gleichen Autoren behauptet, es gäbe kaum Mütter, die für alle Zeit einen Kontakt ablehnten; die meisten seien froh, wenn ihr adoptiertes Kind wieder den Kontakt mit ihnen aufnähme. 63 Aus Neuseeland wird berichtet, daß nach Verabschiedung eines Gesetzes, das im Jahre 1985 die Freigabe der Adoptionsakten an adoptierte Kinder erlaubte, innerhalb eines Jahres 3.710 Personen, die ein Kind zur Adoption gegeben hatten, einen Einspruch gegen die Freigabe der sie betreffenden Adoptionsakten einlegten. 64 Bei einer Befragung von 78 kanadischen Müttern, die ihre Kinder zu Adoption freigegeben hatten, befürworteten demgegenüber 88,5 % die Offenlegung ihrer Identität gegenüber dem Adoptivkind. 65 Ein weiterer wichtiger Grund für die Aufrechterhaltung des secret de la matemite ist in Frankreich der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Frau. 66 Genauso wie es einer Frau unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist, ihre Leibesfrucht abzutreiben, müsse sie das Recht haben, zu dem milderen Mittel der anonymen Abgabe zu greifen. Was traditionell mit dem Verbot der Vaterschaftsfeststellung für den Mann galt (Art. 340 C.N.), wirkt hier für die MutterKind-Beziehung fort. Keiner Frau soll gegen ihren Willen eine Mutterschaft aufgezwungen werden67 , wenn ohnehin nur geringe Chancen bestehen, daß sich eine echte Mutter-Kind-Bindung entwickelt. Mit einem gewissen Pathos ist in Frankreich des öfteren davon die Rede, das anonym geborene Kind sei ein "Geschenk" der Mutter. 68 Der Ausdruck "don Swientek, Wessen Kind, S. 38 f.; Textor, Soziale Arbeit 1988,456,459. Swientek, Wessen Kind, S. 38 f. mit einer anderen Nuance auf S. 140; Swientek, Suche, S. 218. 64 Textor, Soziale Arbeit 1988, 456, 459. 65 Sachdev, Amer. 1. Orthopsychiatry 1991,244. 66 Rubel/in-Devichi, RTD civ. 1991,701: "Un droit fondamental de la femme ne de la liberte individuelle et du droit subejctif de se rattacher ou non un enfant"; ähnlich: Neuwirth, JO Senat, 8.12.1992, S. 3736; Vauzelle, 1OAN, 28.4.1992, S. 725; Dejoie, 10 Senat, 9.12.1992, S. 3731; Trillat, S. 514 und S. 518; auch die Arbeit von Nykiel betont sehr stark diesen Aspekt. Krit. gegenüber diesem Argument: Massip, note sous Cass., 10.2.1993, D. 1994,67; Vidal, S. 749; Neirinck, JCP 1996, Doctr., 153. 67 Malaurie/Aynes, n. 590. 68 Corpart-Oulerich, RD sanit. soc. 1994, 13; Hirsoux, La volonte individuelle en matiere de filiation, These Paris 1988, S. 305; so auch die Terminologie von Bonnet in ihren Büchern "Geste d'amour" und "Les enfants du secret"; Granet, D. 1994, Chr., 24; ähnlich auch Neuwirth, 10 Senat, 9.12.1992, S. 3736. Ein solches Bild zeichnet auch der Kommissionsbericht aus dem Jahre 1996: L'acces a la connaissance des origines fami62 63

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

d 'un enfant" wird hier im doppelten Sinn verstanden: Dem Kind wird sein Leben und den adoptionswilligen Eltern ein Kind geschenkt. Damit wird die positive Seite des accouchement sous X einseitig hervorgehoben. Auch der offIZielle Sprachgebrauch wurde geändert. Seit einer Reform aus dem Jahre 1984 spricht der Code de la/amille et de I 'aide sodale nicht mehr von einem "abandon", sondern von einer "remise l'aide sociale l'enfance".

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Es ist bezeichnend für die große Akzeptanz des accouchement sous X in der Öffentlichkeit, daß während der letzten großen Reform des Kindschaftsrechts im Jahre 1993 im Parlament über die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Institution nicht kontrovers diskutiert wurde. 69 Streitig war nur, ob im Falle eines accouchement sous X eine spätere Klage auf Feststellung der Mutterschaft für unzulässig erklärt werden sollte. Angesichts der bereits existierenden faktischen Unmöglichkeit, die erforderlichen Beweise zu erlangen, handelte es sich hier um eine bloße Randfrage. Während die Assemblee Nationale an der bisherigen Rechtslage festhalten wollte, nach der eine Klage auf Feststellung der Mutterschaft zwar zulässig war, aber aufgrund der anonymen Niederkunft nur wenig Aussicht auf Erfolg hatte, setzte sich schließlich im Vermittlungsausschuß die gegenteilige Auffassung des Senats durch. Ausschlaggebend war das Argument, es sei widersprüchlich, bei der Aufnahme in ein Krankenhaus zunächst die Anonymität der Mutter zu schützen, dann aber doch die Feststellung der Mutterschaft zuzulassen, falls ein Zufall eine solche noch ermöglichen solle. Rubellin-Devichi formulierte pointiert "ce serait ... faire mentir la loi a la femme".70 Nur eine Regelung, die verläßlich garantiert, daß die Freigabe zur Adoption niemals offenbart wird, könne eine Schwangere von einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Kindestötung abhalten. 71

liales, Groupe de travail institut! par Mme. Veil, Ministre des Affaires Sociales, sous la dir. de Dominique Ferriere, S. 3 und 4: "La remise de son enfant en vue de son adaption est vraiment un acte d'amour." 69 In dem ursprünglichen Gesetzgebungsvorschlag war keine diesbezügliche Regelung vorgesehen (Vauzelle, JOAN, 28.4.1992, S. 748). Eine ausdrückliche Aufnahme dieses Rechts in den Code civil wurde vorgeschlagen (JOAN, 28.4.1992, S. 730) und fand bald weitgehende Zustimmung (Vauzelle, JOAN, 28.4.1992, S.725; Cacheux, JOAN, 28.4.1992, S. 718; Berge-Lavigne, JO Senat, 9.12.1992, S. 3759 f.). 70 Rubellin-Devichi, Revue droit de I'enfance et de la famille 199111992,70: "damit würde ... man das Gesetz die Frau belügen lassen". Ähnlich auch Granet, D. 1994, Chr., 24; Lanier, JO Senat, 22.12.1992, S. 4685. 71 Rubellin-Devichi, Revue droit de I'enfance et de la famille 199111992, 69. Kritisch dagegen Massip, Defrenois 1993, S. 634; Sulton, D. 1993, Chr., 165. Dafiir sprachen sich allerdings aus: Rubellin-Devichi, JCP 1994, I, 3739; Gridel, D. 1993, Chr., 191.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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3. Välkerrechtskonformität? Das secret de la maternite könnte allerdings gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderkonvention) verstoßen. a) Die Europäische Menschenrechtskonvention Im Jahre 1979 hatte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte im sog. Marckx-Fall entschieden, daß eine belgisehe Regelung, die ein nichteheliches Kind nicht automatisch mit der Geburt, sondern nur aufgrund eines Anerkenntnisses seiner Mutter zuordnete, gegen Art. 8 EMRK (Schutz von Privat- und Familienleben) i.V.m. Art. 14 EMRK (Gleichheit) verstoße. 72 Es stelle eine ungerechtfertigte Benachteiligung nichtehelicher Kinder dar, wenn ihre Abstammung nicht wie bei einem ehelichen Kind allein durch die Geburtsurkunde nachgewiesen wird (Art. 319 c.c.), sondern zusätzlich der Personenstandsbesitz oder eine Anerkennung hinzutreten muß (Art. 334-8 C.C. i.V.m. Art. 337 C.C.).73 Entscheidend für die Zwecke der vorliegenden Arbeit ist aber nicht die Gesetzestechnik, mit deren Hilfe ein Kind - im Regelfall - seiner Mutter zugeordnet wird, sondern die Frage, ob ein Gesetz Institute wie das accouchement sous X und den abandon anonyme vorsehen darf, die eine Kenntnis und Feststellung der mütterlichen Abstammung im Ausnahmefall vereiteln. Im Fall Marckx wurde geprüft, ob bei Vorliegen einer Geburtsurkunde diese als Abstammungsnachweis ausreichen muß. In dieser Arbeit geht es darum, ob in jeder

72 EGMR Fall Marckx, A131, insbes. Nr. 37 und 41. Vgl. demgegenüber aber Sondervotum Fitzmaurice, Nr. 30 f. Das französische Recht unterscheidet sich auch insofern vom damaligen belgischen Recht, als in Frankreich die Mutter-Kind-Beziehung bereits durch den Besitz des Personenstandes begründet werden kann. Vgl. Granet, D. 1994, Chr., 22; Hauser/Huet-Weiller, n.448 (weniger eindeutig jetzt in der 2. Aufl. 1993, n. 455, insbes. Fn. 83 a.E.) gehen von einem Verstoß gegen die EMRK aus; RubellinDevichi, JCP 1993, I, 3659, n. 13 hält eine Verurteilung für möglich. Gegen einen Verstoß plädieren: Sturm, FamRZ 1982, 1150, 1155; Wiederkehr, L'application des dispositions de la convention interessant le droit prive, in: Jonathan u.a. (Hrsg.), Dix ans d'application de la Convention Europeenne des droits de l'homme devant les jurisdictions fran~aises, 1985, S. 164. 73 Die Zuordnung eines nichtehe1ichen Kindes zu seiner Mutter allein aufgrund der Geburtsurkunde - ohne daß dies an dem Recht auf anonyme Entbindung etwas hätte ändern sollen - war während der Reform des Jahres 1993 vorgeschlagen worden (Cacheux, JOAN, 28.4.1992, S.721), doch hatte dies der Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnt (JOAN, 16.5.1992, S. 1287 f.). Zu diesem Fragenkomplex: Granet, D. 1994, Chr., 22 mit weiteren Nachweisen in Fn. 15 und Carbonnier, n. 315. Zu einem älteren Gesetzgebungsvorstoß: Savatier, D. 1963, Chr., 229. 10 Helms

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Geburtsurkunde zwingend der Muttername aufzunehmen ist. 74 Die Konventionswidrigkeit des seeret de la maternite läßt sich deshalb aus der MarckxEntscheidung nicht ableiten. 75 Darüber hinaus werden im Falle des aeeouehement sous X - anders als in der dem Fall Marckx zugrunde liegenden Konstellation - eheliche und nichteheliche Kinder nicht ungleich behandelt. Allerdings wird aus Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) zum Teil auch ein Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft abgeleitet. 76 Ausgangspunkt ist der Fall Gaskin, in dem der Beschwerdeführer Einsicht in Akten verlangte, die sich auf seine in Kinderheimen und Pflegefamilien verbrachte Kindheit bezogen. 77 Die englischen Behörden verweigerten die Auskunft mit dem Argument, die Funktionsfähigkeit des Fürsorgewesens hänge davon ab, daß vertrauliche Berichte von Ärzten, Psychologen und Betreuern nur mit deren Zustimmung weitergegeben werden. Andernfalls bestehe keine Gewähr, daß Berichte wahrheitsgemäß und vollständig seien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte leitete demgegenüber aus Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Offenlegung von Informationen ab, soweit diese sich auf das Privatleben einer Person beziehen. Die Anlage von Akten diene als Ersatz dafür, daß Kinder, die unter staatlicher Fürsorge oder in Pflegefamilien aufwachsen, sich nicht auf die Erinnerung ihrer Eltern stützen könnten. Allerdings könne das Recht auf Akteneinsicht im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK eingeschränkt werden. Im Fall Gaskin war entscheidend, daß die englische Regel keinerlei Spielraum für eine Abwägung der beteiligten Interessen zuließ. 78 Ob sich aus diesem Urteil Konsequenzen für das französische seeret de la maternite ergeben, erscheint zweifelhaft. Immerhin existierten im Fall Gaskin die Informationen über das Privatleben des Beschwerdeführers bereits. Bei der

74 Anläßlich der Refonn aus dem Jahre 1993 hatte die Berichterstatterin der Kommission der Nationalversammlung, Cacheux, sich flir den Abstammungsnachweis allein durch die Geburtsurkunde ausgesprochen, soweit die Mutter nicht die Geheimhaltung ihres Namens verlange (JOAN, 28.4.1992, S. 721). Ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag wurde allerdings zurückgewiesen (JOAN, 15.5.1992, S. 1287 f.). 75 A.A.: Vidal, S. 749 f.; BaudouiniLabrusse-Riou, Produire I'homme: de quel droit?, 1987, S. 224. Soweit ersichtlich, wird von den anderen französischen Autoren die Entscheidung im Fall Marckx mit diesem Problem nicht in Bezug gesetzt. 76 Meulders-Klein, La production de nonnes en bioethique, in: Neirinck (Hrsg.), Oe la bioethique au bio-droit, 1994, S. 105; Raymond, Oroit de I'enfance et de l'adolescence, Le droit franIYais est-i1 confonne la Convention Internationale des Oroits de l'Enfant?, 1995, S.27; vgl. auch Forder, Int. J. of Law & Family 1993, 70; v. SeIhe, S. 83 f. 77 EGMR Fall Gaskin, Al160. 78 EGMR Fall Gaskin, Al160, Nr. 98-103.

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B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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anonymen Kindesabgabe müßte man eine Pflicht des Staates begründen, diese überhaupt erst zu beschaffen. Außerdem verlangte· im Fall Gaskin der Beschwerdeführer keine Auskunft über seine (leiblichen) Eltern, sondern wollte mit Hilfe der über ihn angelegten Akten Näheres über seine eigene Lebensgeschichte erfahren. Es ging also nicht so sehr um die Durchsetzung eines Rechts auf Kenntnis der (genetischen) Herkunft, sondern eher um den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, also um das Recht, grundsätzlich selbst über Preisgabe und Verwendung eigener Daten zu bestimmen. b) UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes Sehr viel konkreter als die Europäische Menschenrechtskonvention scheint das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (UN-Kinderkonvention) ein Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung zu statuieren. Art. 7 Abs. 1 UN-Kinderkonvention verbürgt jedem Kind "soweit möglich" das Recht, "seine Eltern zu kennen".79 Eine direkte Anwendung dieser Konvention in einem Rechtsstreit vor französischen Gerichten hat die Cour de cassation trotz Ratifikation der Konvention in mehreren Entscheidungen ausgeschlossen. 8o Allerdings bestünde eine völkerrechtliche Verpflichtung Frankreichs, das secret de la maternite abzuschaffen, wenn dieses in Widerspruch zu Art. 7 Abs. 1 UN-Kinderkonvention stünde. 81 Anders als bei der Europäischen Menschenrechtskonvention gäbe es freilich keine mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vergleichbare Instanz, vor der ein solcher Völkerrechtsverstoß geltend gemacht werden könnte. Als Argument gegen einen Konventionsverstoß läßt sich zunächst anführen, daß vom Gesetzeswortlaut her das Kind nur das Recht hat, "soweit möglich" seine Eltern zu kennen. Faßt man diesen Passus als Gesetzesvorbehalt auf,

79 Die Kinderkonvention wurde von Frankreich mit Gesetz vom 2. Juli 1990 ratifiziert und trat am 6. September 1990 in Kraft. 80 Cass., 10.3.1993, JCP 1993, I, 3677; Cass., 2.6.1993, D. 1993, IR, 156; Cass., 15.7.1993,2 arrets, JCP 1994,11,22219; Cass., 4.1.1995, Bull. civ. I, n. 2; krit. dazu Rube//in-Devichi, JCP 1994, I, 3739; zustimmend dagegen Dreifuss-Netter, S. 110 f Deutschland hat bei der Ratifizierung der Konvention einen völkerrechtlichen Vorbehalt erklärt, daß das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet, sondern nur völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland begründet (Vorbehalt abgedruckt in FamRZ 1992, 266). Diesen Vorbehalt halten VI/mann, FamRZ 1992,892 tf.; Wolf, ZRP 1991,374,378; Koeppel, ZfJ 1991,355,357; Ebert, FamRZ 1994,273,275 für unwirksam; a.A.: Stöcker, FamRZ 1992,895 f. 81 Einen Verstoß gegen Art. 7 der UN-Kinderkonvention bejahen Sulton, D. 1993, Chr., 165; Delaisi/Verdier, S. 129.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

wären die französischen Bestimmungen konventionskonfonn, denn "soweit" das secret de la maternite einer Kenntnisnahme entgegensteht, ist eine solche (rechtlich) nicht "möglich".82 Daß die französische Regelung einen Zweck verfolgt, der mit der Konvention vereinbar ist, ergibt sich aus Art. 6 der UNKinderkonvention, der die Staaten verpflichtet, Gesundheit und Leben des Kindes bestmöglich zu schützen. 83 Zwar läßt sich eine solche Schutzwirkung der französischen Regelung statistisch nicht belegen, aber man muß dem Gesetzgeber in dieser Frage eine Einschätzungsprärogative i.s.d. deutschen Terminologie zugestehen. Seine Einschätzung ist schließlich nicht unlogisch oder abwegig. Die herrschende Meinung, die den Passus "soweit möglich" als "soweit rechtlich möglich" verstehen will, ist allerdings nicht zwingend. Manche Autoren wollen diese Formulierung vielmehr im Sinne von "soweit tatsächlich möglich" auffassen. 84 Doch damit würde diese als Einschränkung formulierte Passage ihren Sinn verlieren, denn die Einräumung eines jeden Rechts steht naturgemäß immer unter dem Vorbehalt des faktisch Möglichen. Außerdem kann es niemals ein (rechtlich) unbeschränktes Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung geben. Es muß möglich sein, zumindest fiir das minderjährige Kind dieses Recht einzuschränken. Es ist beispielsweise die Aufgabe der Eltern, darüber zu bestimmen, ob und wann ein adoptiertes Kind von seiner wahren Herkunft erfährt. Selbst wenn man die Einschränkung "soweit möglich" nicht als Gesetzesvorbehalt versteht, müßte es auf jeden Fall zulässig sein, zwecks Herstellung von praktischer Konkordanz ein durch die Kinderkonvention gewährtes Recht durch ein anderes entgegenstehendes Konventionsrecht einzuschränken. Ein solcher kollidierender Wert könnte Art. 6 der Konvention sein, der den Schutz von Gesundheit und Leben gebietet. Außerdem könnte man sich fragen, ob Art. 7 nur die genetischen Eltern und nicht möglicherweise die rechtlichen oder sozialen Eltern meint. 8S Aus geset82 Conseil d'Etat, section du rapport et des etudes, Statut et protection de I'enfant, La Documentation fran~aise, 1991, S. 79; Corpart-Oulerich, RD sanit. soc. 1994, 12; Granet, D. 1994, Chr., 24; Labrusse-Riou, Rep. DalJoz, Filiation, n. 109; RubellinDevichi, Cahiers de rnatemologie 1995, 17; dies., Revue droit de I'enfance et de la familie 1991/1992, 69; dies., JCP 1994, I, 3739; ähnlich auch: Cacheux, JOAN, 28.4.1992, S. 718 und Neuwirth, JO Senat, 9.12.1992, S.3736. A.A.: Dreifuss-Netter, S. 111 m.w.N.; Neirinck, Petites affiches 1994, 15; dies., Le droit de I'enfance apres la Convention des Nations-Unies, 1993, n. 40; Sutton, D. 1993, Chr., 164 Fn. 13. 83 Bonnet, S. 130; Neuwirth, JO Senat, 9.12.1992, S. 3736; Granet, D. 1994, Chr., 24; Trillat, S. 518. 84 Delaisi/Verdier, S. 130. 8S Dreifuss-Netter, S. 112; Berney/Guillod, SJZ 1993, 205, 207 f.; Dorsch, Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, Diss. Berlin 1994, S. 116 f. insbes. Fn. 110.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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zessystematischer Sicht läßt sich argumentieren, Art. 7 der UN-Kinderkonvention habe die juristischen Eltern vor Augen, weil dort nicht nur bestimmt sei, daß jedes Kind das Recht habe, "seine Eltern zu kennen", sondern auch das Recht, "von ihnen aufgezogen zu werden". Das Recht zur Erziehung des Kindes müsse aber immer den juristischen Eltern zustehen. Es spricht einiges dafiir, den Elternbegriff innerhalb der UN-Kinderkonvention, zumindest innerhalb ein und desselben Satzes, einheitlich auszulegen. 86 Außerdem steht von seiner Gesamtkonzeption her bei der UN-Kinderkonvention der Schutz des minderjährigen Kindes im Vordergrund. Ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung würde aber vor allem Volljährige in Fällen der Adoption und der künstlichen Befruchtung betreffen. Eine Kinderkonvention dürfte damit nicht der richtige Ort fiir die Verankerung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung sein, vielmehr würde es sich dabei um die Statuierung eines allgemeinen Menschen- und Bürgerrechts handeln. 87 Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich nichts Abweichendes, denn mit Art. 7 der Kinderkonvention bezweckten die vertrags schließenden Staaten in erster Linie, die EntfUhrung von Kindern und den Handel mit Kindern zu verhindern. 88 Vor allem aber muß man sich bei der Auslegung internationalen Rechts davor hüten, eigenes nationales V orverständnis zum Auslegungsmaßstab machen zu wollen. Das einleitende Kapitel dieser Arbeit hat gezeigt, daß sich das französische Recht traditionell viel weniger an der biologischen Abstammung orientiert als das deutsche Recht. Dies geht so weit, daß manche französischen Autoren die anonym entbindende Frau gar nicht als ,,Mutter" des Kindes ansehen. 89 Eine Rechtsordnung, welche die biologische Abstammung fiir die Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern nur eingeschränkt maßgebend sein läßt, wird der Kenntnis der eigenen (biologischen) Abstammung eine relativ geringe Bedeutung beimessen. 9o Immerhin steht Frankreich mit seiner Auffassung nicht allein da. Das accouchement sous X ist eine Besonderheit des romanischen Rechtskreises. In Luxemburg wurde diese Institution nach der Verabschiedung der UN-Kinder86 Massip, Defn\nois 1995, n.35975, S.74 Fn. 19; Rubellin-Devichi, RTD civ., 1991, 700; vgl. auch Dreifuss-Netter, S. 111. Vgl. auch Neirinck, Le droit de l'enfance apres la Convention des Nations-Unies, 1993, n. 37; BerneylGuillod, SJZ 1993, 208. 87 Dreifuss-Netter, S. 112. 88 Me Golderick, Int. J. ofLaw & Farnily 5 (1991),139 und Fn. 70. 89 Rubellin-Devichi, Cahiers de matemologie 1995, 16; Dreifuss-Netter, S. 100 Fn. 10. Der Regierungsbericht: L'acces a la connaissance des origines farniliales, Groupe de travail institut! par Mme. Veil, Ministre des Affaires Sociales, sous la dir. de Dorninique Ferriere, 1996, S. 4 spricht in diesem Zusammenhang von "mere de naissance". 90 Trillat, S. 515.

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konvention noch einmal bekräftigt. Auch in Italien muß eine Schwangere keine Angaben zu ihrer eigenen Person machen. Spanien gesteht dieses Recht ledigen Frauen ZU. 91

11. Sicherung der Abstammungsfeststellung im deutschen Recht Anders als in Frankreich steht in Deutschland die Frage im Vordergrund, inwieweit ein Kind seine Mutter zwingen kann, den Namen des leiblichen Vaters preiszugeben: Ein eheliches Kind hat keinen Anlaß, seine Ehelichkeit anzufechten, solange es keinen Zweifel an seiner Abstammung hat, und ein nichteheliches Kind, das den Namen seines Erzeugers nicht erfährt, hat keine Chance, gegen diesen ein Verfahren aufVaterschaftsfeststellung zu betreiben. Die Mutter, die oft als einzige über die entscheidenden Informationen verfUgt, kann vielfältige Gründe haben, ihrem Kind die Identität des Vaters zu verschweigen. So ist denkbar, daß sie ihre Beziehung zum u.U. verheirateten Erzeuger durch eine Feststellung der Vaterschaft nicht aufs Spiel setzen möchte. Denkbar ist auch, daß sie den Kontakt zum leiblichen Vater beenden oder eine neue Beziehung zu einem anderen Mann, der glauben soll, daß das Kind von ihm abstammt, nicht gefährden will. Auch kommen Fälle in Betracht, in denen der Mann die Frau unter Druck setzt, oder in denen diese Sozialhilfe erhält, aber den Kindesvater nicht mit einer Regreßpflicht belasten will. 92 Die Zahl der Fälle, in denen Vaterschaftsfeststellungen an der fehlenden Mitwirkung der Mutter scheitern, dürfte - gerade in jüngster Zeit - nicht ganz unerheblich sein: Im Jahre 1990 wurden in den alten Bundesländern bei insgesamt 73.693 erfolgreichen Vaterschaftsfeststellungen in 3.566 Fällen der Vater nicht ermittelt, wobei dies schätzungsweise in einem Drittel der Fälle (1.055) auf der mangelnden Mitwirkung der Mutter beruhte. 93 Vor diesem Hintergrund stellt sich im deutschen Recht die Frage, ob ein Kind seine Mutter gerichtlich zwingen kann, den Namen des Erzeugers preiszugeben (1. Teil). Anschließend wird untersucht, ob es speziell im Sozialrecht Mechanismen gibt, mit deren Hilfe die Mutter zur Preisgabe des Erzeugema-

Trillat, S. 514; Nykiel, S. 44. BGHZ 82, 173, 178; Kleineke, S. 136 f.; Zenz, StAZ 1974,281,287 f. Vgl. auch Brüggemann, Intimsphäre und außereheliche Elternschaft, Diss. Bonn 1964, S. 8 f. 93 BT-Drucks. 13/892 v. 24.3.1995, S. 19. Kleineke, S. 134 kam im Jahre 1976 aufgrund nicht repräsentativer Daten zu dem Schluß, daß in ca. 20 % aller Fälle der nichteheliche Vater nicht ermittelt werden kann, wobei dies bei einem Fünftel- also bei 4 % aller nichtehelichen Kinder darauf beruhe, daß die Mutter die Angabe des Namens verweigere. 91

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mens gezwungen werden kann (2. Teil), denn auch aus fiskalischer Sicht besteht in vielen Fällen ein Interesse, den Namen des Erzeugers zu erfahren, um gegen ihn - zwecks Entlastung der Sozialhilfe - Regreßansprüche geltend machen zu können. 1. Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter?

Lange Zeit stand in Rechtsprechung und Literatur fest, daß ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter auf Nennung des leiblichen Vaters nicht besteht. Für einen solchen Anspruch fehlte vor der Einführung des § 1618a BGB ein Anknüpfungspunkt im BGB, und gegen ihn sprach das Recht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre. 94 a) Entwicklung in der Rechtsprechung In einer Entscheidung vom 15.7.1987 stützte das AG Passau95 zum ersten Mal den Auskunftsanspruch eines volljährigen nichtehelichen Kindes auf die durch das SorgeRG im Jahre 1980 eingeführte Generalklausel des § 1618a BGB, wonach Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schulden. Die unterlegene Mutter erhob Verfassungsbeschwerde, welche nicht zur Entscheidung angenommen wurde. 96 Mit dem Nichtannahrnebeschluß des BVerfG wurde der vom AG Passau eingeleiteten Rechtsprechung in der Praxis zum Durchbruch verholfen. In der Folgezeit wurde die grundsätzliche Existenz dieses Auskunftsanspruchs weitgehend anerkannt. 97 94 LG Köln, FamRZ 1963,55; BayObLG, FamRZ 1972,521,522; BGH, FamRZ 1959, 16, 17; BGHZ 82, 173, 175. Die Aussagen zu dieser Frage stellten in allen angegebenen Entscheidungen obiter dicta dar. Weitere Nachweise zum Streitstand bei Kleineke, S. 147 ff.; Kumme, ZBlJR 1973, 140; de lege ferenda gegen die Einflihrung einer Offenbarungspflicht Beschlüsse des 44. Deutschen Juristentages in FamRZ 1962, 40 I; Gernhuber, FS Müller-Freienfels, S. 191 Fn. 94; Brüggemann, S. 18 f.; Urbach, ZBIJR 1959, 74 f.; a.A.: Dölle, Familienrecht, Bd. 2, 1965, § \02 V 3 c; LehmanniHenrich, Deutsches Familienrecht, 4. Aufl. 1967, S. 209; Krüger, Die Rechtsstellung des unehelichen Kindes nach dem Grundgesetz, 1960, S.78; Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl. 1980, § 58 IV 2. Bei einem Teil dieser Autoren bleibt allerdings weitgehend unklar, ob sie wirklich einen eigenen einklagbaren und vollstreckbaren Anspruch des Kindes gegen die Mutter bejahen. Zu der historischen Entwicklung vgl. Frank/Helms, FamRZ 1997, 1258. 95 FamRZ 1987, 1309 ff.; bestätigt durch LG Passau, NJW 1988, 144 ff. 96 BVerfG, NJW 1988,3010. 97 AG Gemünden, FamRZ 1990,200,201; LG Münster, FamRZ 1990, 1031, \033; LG Saarbrücken, DAVonn 1991,338; OLG Harnm, FamRZ 1991, 1229; AG Duisburg, DAVonn 1992, 1129, 1130 insoweit bestätigt durch LG Duisburg, DAVonn 1992, 1130, 1131; OLG Köln, FamRZ 1994, 1197; vgl. auch Weber, FamRZ 1996, 1254 ff.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Dementsprechend konnte es nicht verwundern, daß das LG Münster am 21.2.1990 eine Mutter dazu verurteilte, ihrer 1959 geborenen nichtehelichen Tochter Auskunft über alle (vier) Männer zu erteilen, die ihr in der gesetzlichen Empfangniszeit beigewohnt hatten. 98 Bei der Anwendung des § 1618a BGB berücksichtigte das LG das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung und stellte ihm das Interesse der Mutter an dem Schutz ihrer Intimsphäre gegenüber. Allerdings wollte das Gericht ein überwiegendes Interesse der Mutter an der Geheimhaltung ihrer Geschlechtspartner nur dann anerkennen, wenn hierfür "gravierende" Gründe vorlägen, denn ein nichteheliches Kind habe "auf die Tatsache seiner Nichtehelichkeit keinen Einfluß ... während dieser Umstand regelmäßig ... im Verantwortungsbereich der Mutter liegt".99 Deshalb sah das LG auch im konkreten Fall die Interessen des Kindes als schutzWÜTdiger an und verurteilte die Mutter zur Auskunftserteilung. Der daraufhin von der Mutter eingelegten Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluß vom 6.5.1997, also sieben Jahre später, überraschenderweise stattgegeben. 1OO Obwohl das LG in seiner Entscheidung fast wortwörtlich die Begründung aus dem Nichtannahmebeschluß des BVerfG wiederholt hatte, gab sich das BVerfG hiermit nicht mehr zufrieden: Das LG habe den ihm zustehenden Spielraum für eine Abwägung verkannt und einseitig den Interessen des Kindes den Vorrang eingeräumt, so daß eine angemessene Abwägung mit den Interessen der Mutter nicht mehr möglich gewesen sei. Angesichts dieser Entscheidung des BVerfG besteht Anlaß, sich aufs neue Gedanken über Voraussetzungen und Konsequenzen eines Auskunftsanspruchs des Kindes gegen seine Mutter zu machen. b) Auslegung von § 1618a BGB In einem ersten Schritt ist zu klären, ob sich aus § 1618a BGB überhaupt klagbare Ansprüche ableiten lassen. Ausgangspunkt ist der Wortlaut des § 1618a BGB, der mit seiner strikten Formulierung "sind ... schuldig" der Begründung von echten Ansprüchen zumindest nicht entgegensteht. Zwar weckt die unbestimmte Weite der Norm (,,Beistand und Rücksicht") Zweifel, ob § 1618a BGB mehr ist als ein bloßer Programmsatz, doch existieren in der

und v. Seihe, S. 100 ff. jeweils m.w.N. Nach wie vor ablehnend LG Landau, DA Vorm 1989,634,635 auch insoweit bestätigt durch OLG Zweibrücken, NJW 1990,719,720; AG Schwetzingen, DAVorm 1992, 88, 89; AG Rastatt, FamRZ 1996, 1299, 1300; offen gelassen in LG Essen, FamRZ 1994, 1347. 98 LG Münster, FamRZ 1990, 1031. 99 LG Münster, FamRZ 1990, 1031, 1033. 100 BVerfG, FamRZ 1997,869.

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deutschen Rechtsordnung vielfältige Generalklauseln, die von der Rechtsprechung ohne weiteres konkretisiert werden. Die Verkürzung des § 1618a BGB auf einen bloßen Progranunsatz ist schon deshalb nicht angezeigt, weil moralische Appelle einen Fremdkörper im Privatrecht darstellen. 101 Geht man davon aus, daß § 1618a BGB klagbare Ansprüche im Eltern-KindVerhältnis enthalten kann l02 , stellt sich die Frage, ob hierzu auch ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter auf Benennung des Erzeugers zählt. Das Wissen um die Identität seines Erzeugers ist für das Kind oftmals nicht nur unabdingbare Voraussetzung für die Geltendrnachung von unterhaltsund erbrechtlichen Ansprüchen, sondern auch existentiell für die Durchsetzung seines Grundrechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung. 103 Auch für das Verhältnis zwischen Ehegatten ist im Rahmen des § 1353 BGB, der dem Gesetzgeber als Vorbild für § 1618a BGB diente, schon lange anerkannt, daß zu den Beistandspflichten auch die Pflicht zählt, Vermögensinteressen des anderen zu achten und ihn bei der Geltendrnachtung von Rechtsansprüchen zu unterstützen. 104 Aus diesen Gründen erkennt die h.M. einen Auskunftsanspruch des Kindes im Einzelfall dann an, wenn aufgrund einer Abwägung den Interessen des Kindes Vorrang vor denen der Mutter gebührt. \05 Diese Abwägung ist deshalb erforderlich, weil nach § 1618a BGB Eltern und Kind "einander" Rücksicht schulden und im Rahmen der Generalklausein des Zivilrechts die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte beider Seiten zu beachten ist. Allerdings gingen die meisten Urteile vor der Entscheidung des BVerfG vom 6.5.1997 davon aus, daß den Interessen des Kindes im Regelfall der Vorrang vor dem Interesse der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre gebührt. 106 Als \01 Gernhuber, FS Müller-Freienfels, S. 164 f.; ähnlich Bosch, FarnRZ 1980, 739, 748. Einen bloß appellativen Charakter nehmen LG Landau, DAVorm 1989, 334, 336 und AG Schwetzingen, DA Vorm 1992, 88, 91 an. \02 MünchKomm/Hinz, § 1618a Rz.l1; StaudingerlCoester, (11/1985), § 1618a Rz. 13; SoergellSträtz, § 1618a Rz. 3; Zettel, DRiZ 1981,211,212. 103 AG Passau, FarnRZ 1987, 1309, 1310; LG Passau, NJW 1988, 144 f.; KnöpfeI, FamRZ 1985, 554, 563. 104 OLG Düsseldorf, FamRZ 1990,46,47. 105 AG Passau, FarnRZ 1987, 1309, 1311; LG Passau, NJW 1988, 144, 146; AG Gemünden, FarnRZ 1990, 200, 201; LG Münster, FarnRZ 1990, 1031, 1033; OLG Hamm, FamRZ 1991, 1229; AG Duisburg, DAVorm 1992, 1129, 1130; LG Essen, FarnRZ 1994, 1347. \06 AG Passau, FarnRZ 1987, 1309, 1311; LG Passau, NJW 1988, 144, 146; AG Gemünden, FarnRZ 1990,200,201; LG Saarbrücken, DAVorm 1991, 338; AG Duisburg, DAVorm, 1992, 1129, 1130; a.A.: Giesen, JZ 1989,364,376, der davon ausgeht, daß die Offenbarung des Geschlechtspartners zum unantastbaren innersten Lebensbereich gehört.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Ausnahmefalle wurden allgemein die Zeugung im Wege des Inzests, der Vergewaltigung oder die Abstammung von einem Kriminellen genannt. 107 Welche weiteren Ausnahmen anzuerkennen sind, wurde nicht einheitlich beurteilt. Die von der Rechtsprechung verwendete Formel, daß die Mutter sich durch die Auskunft keiner "besonderen Unehre" auszusetzen brauche und nicht zur "Herabwürdigung der eigenen Person genötigt" werden dürfe, ist bislang nicht präzisiert worden. lOS Dementsprechend hatte auch das LG Münster - in seinem bereits angesprochenen Urteil - die Mutter verpflichtet, ihrer fast vierzigjährigen Tochter alle (vier) Männer zu benennen, die ihr in der gesetzlichen Empfangniszeit beigewohnt hatten. 109 Grundsätzlich war diese Entscheidung argumentativ schlüssig: Erkennt man einen Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter aus § 1618a BGB an, würde dieser weitgehend leerlaufen, wenn die Mutter den Anspruch bereits durch die bloße Behauptung abwehren könnte, sie habe in der gesetzlichen Empfangniszeit mit mehreren Männem verkehrt. Auch daß die Zeugung des Kindes fast 40 Jahre zurücklag, konnte keine entscheidende Rolle spielen, denn das Recht des Kindes auf Vaterschafts feststellung ist - verfassungsrechtlich unbedenklich - keinen zeitlichen Schranken unterworfen. Wenn der Erzeuger nach 40 Jahren noch mit der Durchfiihrung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens einschließlich zwangsweiser Blutuntersuchung (§ 372a ZPO) rechnen muß, will es nicht einleuchten, warum der Mutter die Auskunftserteilung durch Zeitablaufunzumutbar geworden sein sollte. Die vom LG entwickelte Entscheidungsmaxime war also nachvollziehbar und das Ergebnis im konkreten Fall - von der Prämisse eines generellen Auskunftsanspruchs ausgehend - praktikabel. 11 0 Wenn das BVerfG dennoch die Entscheidung des LG Münster aufgehoben hat, drängt sich der Verdacht auf, daß es generelle Zweifel an der Existenz eines Auskunftsanspruchs des Kindes hatte, sich aber diesbezüglich einer kla107 AG Passau, FamRZ 1987, 1309, 1311; Knöpfel, FamRZ 1985,554,563; GernhuberICoester-Waltjen, § 59 I 2; in OLG Köln, FamRZ 1994, 1197 hatte das LG als Vorinstanz der Klage stattgegeben, obwohl die Beklagte sich darauf berufen hatte, daß sie vergewaltigt worden war. Weitere mögliche Fallkonstellationen zählt Brüggemann, S. 8 f. auf. 108 LG Passau, NJW 1988, 144, 146; LG Münster, FamRZ 1990, 1031, 1034. Das OLG Hamm sah zu Recht die Befürchtung einer Krankenschwester, ihren Arbeitsplatz in einer psychatrischen Anstalt zu verlieren, wenn ihr Arbeitgeber erführe, daß sie mit einem ihrer Patienten Beischlaf gehabt hatte, als schutzwürdig an (FamRZ 1991, 1229), wobei allerdings das OLG zusätzlich darauf abstellt, daß das JA diesen höchstpersönlichen Anspruch nicht ohne die Zustimmung des Kindes geltend machen könne. 109 LG Münster, FamRZ 1990, 1031, 1033; zu Recht krit. AG Schwetzingen, DAVorm 1992,88,90 und BeitzkelLüderitz, § 30 I. 110 Vgl. auchStarck, JZ 1997,779,780.

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ren Aussage enthielt, um sich nicht in die Auslegung des einfachen Rechts einzumischen. Verbal setzte das BVerfG deshalb seine Kritik an der vom LG vorgenommenen Abwägung an und machte dem Gericht zum Vorwurf, es habe die Belange der Mutter nicht ausreichend gewürdigt. Allerdings sprach es auch nicht klar aus, ob das Geheimhaltungsinteresse der Mutter im konkreten Fall nun schutzwürdiger war oder nicht, sondern verwies die Sache zur Entscheidung zurück an das LG. Damit bleibt unklar, welche Maßstäbe in Zukunft fiir die Interessenabwägung der Fachgerichte zu gelten haben: Soll die Klage abgewiesen werden, wenn die Zeugung des Kindes schon einige Zeit zurückliegt? Soll es ohne weiteres ausreichen, wenn die Mutter behauptet, sie habe im fraglichen Zeitraum mit mehreren Männern verkehrt? Ab welcher Anzahl ist die Unzumutbarkeit fiir die Mutter erreicht? Im vorliegenden Fall war von vier Männern die Rede, aber warum sollte die Lage bei zwei Männern anders zu beurteilen sein? Der Beschluß des BVerfG legt es immerhin nahe, in diesen Fällen in Zukunft die Klage abzuweisen, zwingend ist dies allerdings nicht. c) Abwägungsschwierigkeiten Ist es im Rahmen des § 1618a BGB schon schwierig zu entscheiden, welchen Belangen der Vorrang gebührt, so wird die Aufgabe der Gerichte zusätzlich noch dadurch kompliziert, daß die beteiligten Interessen nur schwer zu ermitteln sind. So kann davon ausgegangen werden, daß beim Auskunftsverlangen des Kindes oft finanzielle Belange im Vordergrund stehen. Ob darüber hinaus noch die Kenntnis der eigenen Abstammung eine Rolle spielt, wird schwer zu ermitteln sein. Eine Überprüfung der wahren Motive erscheint naturgemäß weitgehend aussichtslos. Wenn das LG Münster auf der anderen Seite - fast zynisch - die Interessen der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre deshalb als gering einschätzt, weil die besonderen Umstände des Falles im vorliegenden Prozeß durch ihren Vortrag bereits bekannt geworden seien 111, wird deutlich, welche Gratwanderung dem Richter zugemutet wird: Um beurteilen zu können, ob auf seiten der Mutter achtenswerte Umstände vorliegen, muß er erst einmal genaue Kenntnis des Sachverhalts haben. Will man aber den Schutz der Intimsphäre nicht aushöhlen, sollte sich der Richter mit einer "andeutungsweisen Glaubhaftmachung" begnügen, damit die Frau im Prozeß nicht gerade die Umstände offenbaren muß, vor deren Enthüllung sie geschützt werden SOll.112 Die Situation ist vergleichFamRZ 1990, \031, \034. 112 Noch weitergehend LG Essen, FamRZ 1994, 1347; AG Schwetzingen, DAVonn 1992,88,90 f.; Moritz, Jura 1990,134,139; VG Ber1in, DAVonn 1980, 128, 138. Das 111

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

bar mit der eines Zeugen, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gern. § 384 Nr. 2 oder 3 ZPO Gebrauch machen will, ohne die Tatsachen zu offenbaren, um deren Geheimhaltung willen ihm das Zeugnisverweigerungsrecht vom Gesetzgeber eingeräumt wurde. Auch hier ist anerkannt, daß der Zeuge zur Glaubhaftmachung i.S.d. § 386 Abs. 1 ZPO keine konkreten Angaben machen muß, sondern nur das Gericht in die Lage versetzen muß, sich "in etwa ein Bild" machen zu können. 113 Damit wird deutlich, daß auf beiden Seiten die Aussagen sich kaum überprüfen lassen. Weitgehend unabhängig davon, wie man im Ergebnis die Interessen gewichtet, besteht die Gefahr, daß die Entscheidung zu einem Zufallsprodukt wird, weil die Parteien naheliegenderweise versuchen werden, unwahre Behauptungen aufzustellen. Es verwundert deshalb nicht, daß bis zur Entscheidung des BVerfG vom 6.5.1997 viele Gerichte pauschal und ·undifferenziert die Kindesinteressen bevorzugt haben, um dadurch den Schwierigkeiten bei der Wahrheitsermittlung aus dem Weg zu gehen. 114 d) Vollstreckbarkeit? Relativ wenig Beachtung wurde in der bisherigen Diskussion der Frage gewidmet, ob ein etwaiger Auskunftsanspruch aus § 1618a BGB überhaupt durchsetzbar ist. Auch das BVerfG hat sich in seiner jüngsten Entscheidung mit keinem Wort hierzu geäußert. Ein Hinweis darauf, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht die Zwangsvollstreckung ausgeschlossen ist, hätte nicht geschadet, zumal Anlaß bestand, über diese Frage nachzudenken, weil die vor dem LG obsiegende Tochter im Jahre 1995 beantragt hatte, gegen die Mutter ein Zwangsgeld festzusetzen. Das BVerfG hat in der Zeit bis zur Entscheidungsverkündung insgesamt 5 Mal im Wege einer einstweiligen Anordnung die Vollstreckung der landgerichtlichen Entscheidung vorläufig ausgesetzt. 115 Während in der familienrechtlichen Literatur die Vollstreckbarkeit z.T. nach den allgemeinen Regeln für unvertretbare Handlungen gern. § 888 Abs. 1 ZPO BVerwG hat für die Mutter eine vergleichbare Herabsetzung des Beweismaßes zugelassen, wenn sie bei der Geltendmachung von Sozialhilfe darlegen muß, daß ihr eine prinzipiell mögliche unterhaltsrechtliche Inanspruchnahme des Kindesvaters im konkreten Fall nicht zumutbar sei (BVerwG, NJW 1983,2954,2956; OVG Berlin (Vorinstanz), FamRZ 1981, 1l07, 1010). 113 SteinJJonas-Schumann, (VIIII988), § 384 Rz. 20; MünchKommiDamrau, ZPO, § 386 Rz. 2 und § 384 Rz. 5. 114 LG Saarbrücken, DAVorm 1991, 338 gibt ganz offen zu, daß in dem erstinstanzlichen Urteil eine nähere Begründung für die Abwägung fehlt. 115 BVerfG, v. 23.5.1995; v. 7.11.l995; v. 26.4.1996; v. 10.10.1996; v. 4.4.1997, I BvR 409/90 (alle unveröffentlicht).

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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bejaht wird 116, nimmt die h.M. an, daß dem § 888 Abs.2 ZPO analog entgegensteht. 117 Der Gesetzgeber hat die Frage der Vollstreckbarkeit etwaiger Ansprüche nicht bedacht, er ließ offen, ob aus § 1618a BGB echte Rechtspflichten abgeleitet werden sollten oder ob diese Norm eine bloße Leitbildfunktion habe. 118 Auch besteht bei den in § 888 Abs. 2 ZPO geregelten Fällen und dem Auskunftsverlangen des Kindes eine vergleichbare Interessenlage. Nach h.M. werden von § 888 Abs. 2 ZPO nicht alle aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB abgeleiteten Ansprüche erfaßt, sondern nur solche, bei denen eine Vollstreckung "dem sittlichen Empfinden" widerspricht: Es kommt darauf an, ob es sich ausschließlich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit handelt 119 , oder ob der Anspruch darüber hinaus einen persönlich-sittlichen Einschlag hat. 120 Überträgt man diese Grundsätze auf das vorliegende Problem, dann besitzt der Auskunftsanspruch aus § 1618a BGB - trotz der involvierten vermögensrechtlichen Interessen - wegen des Eingriffs in die Intimsphäre der Frau einen zutiefst "persönlich-sittlichen" Einschlag. Beistand und Rücksicht lassen sich vielleicht durch ein Urteil "anmahnen", aber durch Zwangsgeld und Zwangshaft nicht erzwingen. 121 Auch das Deutsche Institut für Vormundschaftswesen kam zu dem Schluß, daß einer Vollstreckung § 888 Abs.2 ZPO entgegen-

116 BeitzkelLüderitz, § 30 I; Döl/e, Familienrecht, Bd. 2, 1965, S. 393; LG Passau, NJW 1988, 144 spricht von einem "mit Mitteln des Rechts durchsetzbaren Auskunftsanspruch"; OLG Köln, FamRZ 1994, 1197, 1198 scheint auch eine Vollstreckung für möglich zu halten. Nachweise zu der Frage, ob sich aus § 1618a BGB allgemein vollstreckbare Ansprüche ableiten lassen können, bei Gernhuber, FS Müller-Freienfels, S. 186 Fn. 82. MünchKommiHinz, § 1618a Rz. 11 hält ausnahmsweise eine Vollstrekkung für möglich. 117 LG Landau, DAVorm 1989,334,336; AG Schwetzingen, DAVorm 1992, 88, 91; mV-Gutachten, DAVorm 1990, 1078; Frank, FamRZ 1988, 113, 116; Henrich, § 17 IV 4; Koch, FamRZ 1990,569, 573 f.; Moritz, Jura 1990, 134, 140; Kleineke, S. 195 f.; SoergellSträtz, § 1618a Rz. 3; Deichfuß, NJW 1988, 113, 116; Brüggemann, S. 26; Frank/Helms, FamRZ 1997, 1258, 1261. De lege ferenda will die SPD-Fraktion bei dem von ihr geforderten gesetzlichen Verankerung eines Auskunftsanspruches die Vollstreckbarkeit dieses Anspruchs ausschließen (BT-Drucks. 13/1752 v. 21.6.1995, S. 4). 118 BT-Drucks. 8/2788 v. 27.4.1979, S. 36 und 43. 119 MünchKommiWacke, § 1353 Rz.49; StaudingerlHübner, (XIIII992), § 1353 Rz. 141; SoergellLange, § 1353 Rz. 36; vgl. auch GernhuberICoester-Waltjen, § 23,2 m.w.N. 120 Str. OLG Bremen, FamRZ 1965, 77; weniger klar OLG Ramm, FamRZ 1966, 449; SoergellLange, § 1353 Rz.33 und Rz.36. MünchKommIWacke, § 1353 Rz.43 sieht die Eheherstellungsklage allerdings als Anachronismus an. 121 SoergellSträtz, § 1618a Rz. 3; Brüggemann, S.26; Frank, FamRZ 1988, 113, 116; OLG Düsseldorf, RRR 1940, Nr. 73; a.A.: Hi/ger, FamRZ 1988, 764, 765 Fn. 11 ohne irgendeine Begründung.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

steht. I22 Soweit man einen Vollstreckungszwang nicht ablehnen würde, hätte dies außerdem die unerträgliche Konsequenz, daß die Weigerung der Mutter, den Namen des Erzeugers anzugeben, als Personenstandsunterdrückung gern. § 169 StGB strafbar wäre. 123 Auch rechtsvergleichend wird das Ergebnis bestätigt. Vorbild für § 1618a BGB war Art. 272 ZGB des schweizerischen Rechts, wonach "Eltern und Kind ... einander allen Beistand, alle Rücksicht und Achtung schuldig (sind), die das Wohl der Gemeinschaft erfordert." Bezüglich dieser Vorschrift wird in der schweizerischen Literatur angenommen, daß sich hieraus ein Anspruch des volljährigen Kindes gegen seine Mutter auf Auskunft über den möglichen Erzeuger ergibt. 124 Allerdings sind nach wohl herrschender Meinung die Ansprüche aus Art. 272 ZGB grundsätzlich weder klagbar noch vollstreckbar. 125 e) Entgegenstehender Status Auch ein eheliches Kind hat vor Erhebung der Ehelichkeitsanfechtung ein Interesse daran zu erfahren, wer sein wahrer Vater ist. Hierdurch würde es sein Inforrnationsinteresse befriedigen, ohne den Verlust seines Statusvaters riskieren zu müssen. Auch könnte es abschätzen, ob die Erhebung einer Anfechtungsklage überhaupt notwendig ist, bzw. welche Chancen bestehen, gegen den wahren Vater einen Vaterschaftsfeststellungsprozeß zu betreiben, und ob dies ggf. fmanziell vorteilhaft ist. Vergleichbar ist die Interessenlage eines nichtehelichen Kindes, das vor der Frage steht, ob es ein Vaterschaftsanerkenntrtis anfechten soll. Gesetzessystematisch spricht gegen die Gewährung eines Auskunftsanspruchs in diesen Fällen, daß § 1618a BGB als lu generalis insoweit zu-

DAVonn 1990, 1075, 1078. Koch, FamRZ 1990,569,572; Becker, RdJ 1964,51,56; RG, JW 1937,3150. Wenn man aber die Vollstreckbarkeit gern. § 888 Abs. 2 ZPO verneint, wäre im Wege eines Erst-recht-Schlusses bzw. einer teleologischen Reduktion des § 169 StGB auch die Strafbarkeit zu verneinen. 124 Schwenzer, in: HonsellNogtlGeiser (Hrsg.), Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, 1996, Art. 272 Rz. 5; Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 4. Aufl. 1994, Rz. 27.30. 125 Schwenzer, in: HonsellNogtlGeiser (Hrsg.), Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, 1996, Art. 272 Rz.9 m.w.N., vgl. auch Grossen (Hrsg.), Schweizerisches Privatrecht, Familienrecht, Bd. 2, 1992, S. 51. Noch weiter geht sogar das österreichischen Recht. Dort ist bereits materiellrechtlich ein Auskunftsanspruch ausdrücklich ausgeschlossen. Nach § 163a ABGB hat der gesetzliche Vertreter dafür zu sorgen: " ... daß die Vaterschaft festgestellt wird, es sei denn, daß ... die Mutter von ihrem Recht, den Namen des Vaters nicht bekanntzugeben, Gebrauch macht." 122 123

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rücktreten muß, als das Gesetz eine speziellere Regelung enthält. 126 Dem Interesse des Kindes zu erfahren, ob sein gegenwärtiger Status mit der genetischen Abstammung übereinstimmt, wird durch die Möglichkeit der Ehelichkeitsanfechtung und der Anfechtung des Vaterschaftsanerkenntnisses Rechnung getragen. § 1599 Abs. I BGB n.F. will garantieren, daß eine positive Vaterschaftsfeststellung erst nach einer erfolgreichen Anfechtung des bestehenden Statusverhältnisses möglich ist. 127 Der Gesetzgeber wollte durch § 1618a BGB nicht die routinemäßige Erhebung von Auskunftsklagen zur Vorbereitung von Anfechtungsklagen ermöglichen. 128 Ist ein Anfechtungsrecht durch Fristablauf erloschen, so kann es erst recht keinen Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter geben, weil sonst die gesetzliche Regelung unterlaufen WÜTde. 129 Auch von der Interessenwertung her ist das Ergebnis überzeugend. In beiden Fällen kann sich das Kind für die Abwägung im Rahmen des § 1618a BGB nicht darauf berufen, daß seine Unterhalts- oder Erbansprüche bedroht seien, weil es in diesen Fällen rechtlich bereits einen voll verantwortlichen Vater hat. Bei ehelichen Kinder kommt hinzu, daß der Schutz der Ehe und des Familienfriedens (Art. 6 Abs. 1 GG) dagegen spricht, dem Kind U.U. ohne jeden Anlaß einen Auskunftsanspruch zu gewähren. 130 Ein solcher Auskunftsanspruch würde auch im Widerspruch stehen zu der Wertung des § 383 Abs. I Nr. 2 ZPO. Es wäre wohl kaum nachvollziehbar, wenn die Mutter in dem Anfechtungsprozeß gegen ihren Ehemann gern. § 383 Abs. I Nr. 2 ZPO jede Aussage verweigern dürfte, aber in einem selbständigen Auskunftserteilungsprozeß zur Nennung des Erzeugers verpflichtet wäre. \31 Eine unzumutbare Beeinträchtigung des

126 Vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 1992,351; PalandtlDiederichsen, Einf. vor § 1591 Rz.2; Erman/Holzhauer, § 1589 Rz.9, § 1596 Rz.2 a.E.; MünchKommlMutschler, § 1589 Rz. 9. A.A.: v. Sethe, S. 135 f. 127 Vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 1992,351; OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1244. Deutlicher zum Ausdruck kam dieser Grundsatz in § 1593 BGB a.F. Vgl. hierzu umfassend: Gaul, FamRZ 1997, 1441, 1448. 128 MünchKommiMutschler, § 1589 Rz. 9. 129 Bernat, MedR 1986,245,249. 130 MünchKommiMutschler, § 1589 Rz. 9; vgl. auch Giesen, JZ 1989,364,372 und 376. \31 Bei nichteheIichen Kindern läßt sich dagegen nicht § 383 Abs. I Nr. 3 ZPO in gleicher Weise gegen einen Auskunftsanspruch ins Feld fUhren. Zwar ist in einem Vaterschaftsfeststellungsprozeß die Mutter auch gern. § 383 Abs. r Nr. 3 ZPO zur Aussageverweigerung berechtigt, doch gebietet es der Sinn und Zweck des § 383 Abs. I Nr. 3 ZPO nicht, diese Vorschrift auch auf den Auskunftsanspruch zu übertragen. Ziel des § 383 Abs. I Nr. 3 ZPO ist es nur zu verhindern, daß man im Prozeß verpflichtet wird, durch seine Aussage einem nahen Verwandten (Kind) schaden zu müssen (OLG Hamm, FamRZ 1991, 1229). Eine solche Konfliktlage kommt im Auskunftsprozeß von vornherein nicht 'in Frage.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung liegt nicht vor, denn nach (erfolgreicher) Anfechtung ist es dem Kind unbenommen, eine Vaterschaftsfeststellung zu betreiben. f) Eigene Ansicht

Bedenken gegen die in Rechtsprechung und Literatur bislang vorherrschende Meinung ergeben sich schon deshalb, weil eine Auskunftsklage vor staatlichen Gerichten entgegen der Zielsetzung des § 1618a BGB den Familienzusammenhalt oftmals mehr schwächen als stärken wird. 132 Dieser Gefahr muß zumindest durch eine restriktive Auslegung der Norm entgegengewirkt werden. 133 Außerdem fügte der Gesetzgeber § 1618a in das BGB ein, um "dem Eindruck entgegenzuwirken, als gelte es, mit dem SorgeRG einseitig den Eltern Pflichten aufzubürden und den Kindern Rechte einzuräumen"Y4 Vor diesem Hintergrund wäre es schwer nachvollziehbar, wenn sich aus § 1618a BGB ein Auskunftsanspruch ableiten ließe, der vor Einführung der Norm unter Berufung auf die Intimsphäre der Mutter abgelehnt wurde. 135 Zwar ist es verführerisch, aus den Maßstäben, die man im Rahmen des § 1353 BGB für die Verpflichtungen zwischen Eheleuten entwickelt hat, Schlußfolgerungen für das Eltern-Kind-Verhältnis zu ziehen, doch verkennt eine solche Betrachtung, daß die Geltendmachung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen zwischen Eheleuten in der Praxis vor allem dann in Frage kommt, wenn eine Ehescheidung im Raum steht. Von der Mutter-Kind-Beziehung kann man sich demgegenüber juristisch niemals lossagen. Zusätzlich spricht gegen die Existenz eines Auskunftsanspruchs, daß dieser - wie festgestellt - nicht vollstreckbar wäre. 136 Zwar läßt sich gedanklich das Bestehen einer Rechtspflicht von der Frage ihrer Erzwingbarkeit trennen, denn § 888 Abs. 2 ZPO zeigt, daß es durchaus klagbare Rechte gibt, deren Durchsetzung nicht erzwingbar ist. Doch angesichts der Nicht-Vollstreckbarkeit stellt 132 Gernhuber, FS Müller-Freienfe1s, S. 187; Knöpfe/, FamRZ 1985, 554, 560; auf diese Gefahr weist auch Soerge/ISträtz, § 1618a Rz.3 a.E. hin, doch zieht er daraus nicht die gleichen Schlüsse; zur vergleichbaren Gefahr bei § 1707 BGB vgl. Schimpf, StAZ 1983, 192, 199; Zenz, StAZ 1974,281,288 ff. 133 Für eine solche sprechen sich aus: LG Passau, NJW 1988, 144, 145; Gernhuber, FS Müller-Freienfels, S. 176 und 184 f.; Knöpfet, FamRZ 1985,554,562; MünchKommi Hinz, § 1618a Rz. 11; Soerge/ISträtz, § 1618a Rz. 3. 134 BT-Drucks. 8/2788 v. 27.4.1979, S. 36. 135 Die sonstigen Anwendungsfalle des § 1618a BGB sind gering und ohne große Bedeutung geblieben. Vgl. z.B. die Kornrnentierung MünchKommiHinz, zu § 1618a. 136 ErmaniMichatski, § 1618a Rz. 2; Knöpfet, FamRZ 1985,554,560; RGRKlWenz, § 1618a Rz. 3; AG Schwetzingen, DAVonn 1992, 88, 89; Brüggemann, S. 26.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

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sich die Frage, welchen Sinn das Urteil überhaupt haben soll. Im Grunde handelt es sich nur um einen gerichtlichen Appell an die Mutter, die Auskunft doch noch zu erteilen. Aufgabe der Justiz ist aber nicht der Ausspruch moralischer Appelle, sondern die Durchsetzung juristischer Ansprüche. 137 Bei manchen Klagen volljähriger Kinder drängt sich der Verdacht auf, daß in erster Linie die Bloßstellung der Mutter beabsichtigt ist. Diesen Kindern wird nämlich oftmals bewußt sein, daß ihre Mutter um nichts auf der Welt den Namen des Erzeugers preisgeben wird. Ob eine derartig motivierte Klage noch mit dem Gesetzeszweck des § 1618a BGB vereinbar ist, erscheint fraglich. Auch der parallele Fall der zwar einklagbaren, aber nicht vollstreckbaren Eheherstellungsklage wird von vielen Autoren als rechtspolitischer Anachronismus angesehen, nachdem diese Klage durch die Einfiihrung des Zerrüttungsprinzips ihre Funktion zur Vorbereitung des Scheidungsverfahrens verloren hat. 138 Nach Ansicht von Schlosser besteht für die Eheherstellungsklage kein Rechtsschutzbedürfuis, wenn ihr einziger Effekt die Ausübung "moralischen Druckes" ist. 139 Auch bei der Lektüre der jüngsten Entscheidung des BVerfG drängt sich der Verdacht auf, daß das BVerfG generelle Bedenken gegen das Bestehen eines Auskunftsanspruchs hatte, sich aber diesbezüglich einer klaren Aussage enthalten wollte, um sich nicht zu stark in die Auslegung des einfachen Rechts einzumischen. Die herrschende Meinung sollte den Beschluß des BVerfG zum Anlaß nehmen, ihren Standpunkt zu überdenken. Sollte in Zukunft ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter von den Fachgerichten verneint werden, würden diese nicht Gefahr laufen, vom BVerfG eines Besseren belehrt zu werden. Nach Auffassung des BVerfG ist es nämlich Aufgabe der Fachgerichte, darüber zu entscheiden, ob ein Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber der Mutter überhaupt besteht. Verfassungsrechtlich sei ein solcher Anspruch nicht zwingend geboten.

137 Im Ergebnis so auch LG Landau, DAVorm 1989,634; Brüggemann, S. 26; ähnlich Knöpfei, FamRZ 1985, 554, 560 f. Dagegen sieht v. Sethe, S. 115 den Sinn eines solchen Urteils darin, einen "gesellschaftlichen Ordnungsrahmen" vorzustellen und "Werte zu prägen". Dies ist eine Überschätzung der moralischen Wirkungskraft von Gerichtsurteilen. 138 SteiniJonas-Schlosser, (lV/1993), vor § 606 Abs.2 Rz. 14a; Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl. 1980, § 23,4; MünchKomm/Wacke, § 1353 Rz. 43; Zöller/Phillipi, § 606 Rz. 3. 139 SteiniJonas-Schlosser, (IV/1993), vor § 606 Abs. 2 Rz. 14a; ähnlich Wieser, Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers im Zivilprozeß, 1971, S. 109. A.A.: dagegen die h.M. vgl. statt aller MünchKomm/Wacke, § 1353 Rz. 43. 11 Helms

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

2. Sozialrechtliche Druckmittel

Ist nach der hier vertretenen Auffassung ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter ausgeschlossen, stellt sich die Frage, ob im Sozialrecht Druckmittel bestehen, Mütter zur Preisgabe des Erzeugernamens zu bewegen. In der Sache geht es dabei um die Frage, ob eine Mutter fiir sich und ihr Kind Sozialhilfe fordern kann, obwohl sie nicht bereit ist, den unterhaltspflichtigen Erzeuger zu benennen. Gern. § 2 Abs. 1 BSHG erhält derjenige keine Sozialhilfe, der sich selbst zu helfen vermag. Eine Mutter ist also nicht hilfsbedürftig, wenn sie von der Gel~ tendmachung von UnterhaltsanspTÜchen freiwillig absieht. 14o Ausnahmsweise wird Sozialhilfe trotz Nichtgeltendmachung von UnterhaltsanspTÜchen gewährt, wenn bei Abwägung des Interesses der Mutter am Verschweigen des Erzeugers mit dem öffentlichen Interesse an einem sparsamen Haushalten dem Interesse der Mutter der Vorrang zukommt. 141 Das gleiche gilt an und fiir sich auch fiir den Sozialhilfeanspruch des Kindes, da die sorgeberechtigte Mutter die Verantwortung dafiir trägt, daß eine Inanspruchnahme des Vaters unterbleibt. 142 Das Verhalten der Mutter konnte dem Kind aber vor Inkrafttreten des KindRG solange nicht zugerechnet werden, als die elterliche Sorge der Mutter nach § 1630 Abs. 1 BGB durch die regelmäßig bestehende Amtspflegschaft des Jugendamtes gern. § 1706 Nr. 2 BGB a.F. eingeschränkt war. 143 Die Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft müßte nun eigentlich dazu führen, daß in Zukunft auch der Sozialhilfeanspruch des Kindes zu verneinen ist. Diese harte Konsequenz war bei der Abschaffung der Amtspflegschaft allerdings sicherlich nicht intendiert und würde den Zielen des Reformgesetzgebers zuwiderlaufen. Durch die Reform der gesetzlichen Amtspflegschaft werden generell Zweifel an der bisherigen Rechtsprechung geweckt. Wenn der Gesetzgeber von nun an ganz bewußt hinnimmt, daß Vaterschaftsfeststellungen unterbleiben, wenn die Mutter nicht bereit ist, die notwendigen gerichtlichen Schritte einzuleiten, stellt sich die Frage, ob die dahinterstehenden Wertungen nicht auch zu einem Umdenken im Sozialrecht zwingen. Es kann nicht Aufgabe des Sozialamtes sein, 140 BVerwGE 21, 208, 212; 38, 307, 308; 41, 115, 116 f.; 55, 148, 152. BVerwG, ZfJ 1992, 209, 210. Kritisch: AG Passau, FamRZ 1987, 1309, 1311; ähnlich LG Passau, NJW 1988, 144, 146 und LG Münster, FamRZ 1990, 1031, 1033. 141 BVerwG, NJW 1983, 2954, 2955; die Vorinstanz OVG Berlin, FamRZ 1981, 1107, 1109 hatte darauf abgestellt, daß gern. § 60 I SGB I der Sozialhilfeempfänger verpflichtet ist, alle Tatsachen anzugeben, die rur die Leistung erheblich sind, soweit dies nicht gern. § 65 Abs. 1 NT. 2 SGB I aus wichtigem Grund unzurnutbar ist. 142 BVerwG, NJW 1983,2954,2956. 143 BVerwG, ZfJ 1992,209,210.

B. Der Konflikt zwischen der Mutter und den Interessen des Kindes

163

die Rolle des Jugendamtes zu übernehmen und in Zukunft - bei einkommensschwachen Müttern - über die Feststellung der Vaterschaft zu wachen. Hinzu kommt nunmehr die erwähnte Entscheidung des BVerfG vom 6.5.1997. Wenn die Behauptung der Mutter, sie habe mit 4 Männern geschlechtlich verkehrt, ausreicht, um den persönlichkeitsrechtlichen Anspruch des Kindes abzuwehren, wäre es wenig konsequent, im gleichen Fall den fiskalischen Interessen des Staates den Vorrang einzuräumen. Auch das Unterhaltsvorschußgesetz bestimmt in § 1 Abs. 3, daß ein Kind keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuß hat, soweit die Mutter sich weigert, bei der Feststellung der Vaterschaft mitzuwirken. Das UnterhVG hat den Zweck, den Unterhaltsbedarf von Kindern alleinsorgeberechtigter Elternteile durch Gewährung eines typisierten Mindestbetrags sicherzustellen, weil die Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem der Berechtigte nicht lebt, oft unregelmäßig, nicht rechtzeitig oder gar nicht geleistet werden. In diesem Bereich war schon immer eine Zurechnung des Verhaltens der Mutter zu Lasten des Kindes vorzunehmen, da die regelmäßig vorliegende Beschränkung der elterlichen Sorge gern. §§ 1630 Abs.l, 1706 Nr.2 BGB a.F. die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht urnfaßte, was § 9 Abs. 1 S. 1 UnterhVG klarstellt. l44 Die Regelung des § 1 Abs. 3 UnterhVG ist deshalb unbedenklich, weil der Gesetzgeber die Mutter nur verpflichtet, solche Informationen zu liefern, die sie auch erteilen müßte, wenn sie selbst einen Unterhalts anspruch geltend machen würde. 145

111. Stellungnahme Die Gegenüberstellung des secret de la maternite und der Mechanismen zur Sicherung der Abstammungsfeststellung im deutschen Recht hat gezeigt, daß im französischen Recht der Mutter in viel größerem Maße das Recht zugesprochen wird, über das Schicksal ihres Kindes zu entscheiden. Ein Auskunftanspruch des Kindes gegen seine Mutter auf Benennung des Erzeugers würde in Frankreich auf Unverständnis stoßen. Die Frage wird in der Literatur nicht einmal diskutiert, und selbst von den entschiedensten Verfechtern eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird ein solches Recht des Kindes nicht gefordert. 146

144 145

1035. 146

BVerwG, ZfJ 1992,209,210. OVG Münster, DAVorrn 1984,410,415 f.; OVG Münster, FamRZ 1984, 1034, Vidal, S. 750.

164

3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Aus deutscher Sicht ruft demgegenüber das aeeouehement sous X auf den ersten Blick Verwunderung hervor, weil die mütterliche Abstammung traditionell als ein von Natur aus feststehendes Faktum angesehen wird. Es würde einem deutschen Juristen geradezu als "unnatürlich" erscheinen, wenn die Mutter wie in Frankreich ihre Mutterschaft schlichtweg verleugnen könnte. Bedenkt man allerdings das dahinter stehende Anliegen, Abtreibungen und Kindestötungen zu vermeiden, erscheint das französische Recht in einem etwas anderen Licht. Immerhin ist zu beachten, daß auch in Deutschland eine Diskussion zu dem Thema ,,Adoption statt Abtreibung" stattgefunden hat. 147 Die Stellungnahmen hierzu sind jedoch eher ablehnender Natur. 148 Bei einer Befra- . gung von 117 Adoptionsvermittlern waren 3/4 der Ansicht, daß die Adoption generell keine wirksame Alternative zum Schwangerschaftsabbruch sei. 149 Nach Angaben der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der Caritas aus dem Jahre 1991 münden nur knapp 4 % der § 218 StGB-Beratungen in eine Adoptionsberatung. 150 Immerhin gelangt Swientek, die in der Adoption keine Alternative zur Abtreibung sieht, zu der Aussage: "Eine Frau, die eine Abtreibung anstrebt, will in der Regel nicht nur kein Kind, sie will auch keine Schwangerschaft. Dabei dürften weniger die körperlichen als vielmehr die sozialen Belastungen ausschlaggebend sein. Könnte eine Schwangerschaft "unsichtbar" ausgetragen werden, so würde sich vermutlich manche Mutter eher fiir eine Adoption statt Abtreibung entscheiden.,,151 Damit sind genau die Bedingungen angesprochen, die das französische Recht durch das aeeouehement sous X und die Einrichtung der maisons maternelles garantieren will. Aber selbst wenn man in der Adoption eine Alternative zur Abtreibung sehen würde, könnte man kaum eine Übernahme des seeret de la maternite fiir das deutsche Recht empfehlen, weil diese Einrichtung seine Grundlage in Rechtstradition und Rechtsempfinden der Franzosen hat. Eine französische Autorin zitiert in diesem Zusammenhang die Worte Pascals: "On ne voit rien de juste ou d'injuste qui ne change de qualite en changeant de climat ... Verite au-delj:a des Pyrenees, erreur au-dela.,,152 Im französischen Recht wurde durch die Reform vom 5. Juli 1996 die Möglichkeit eingefiihrt, die ursprüngliche Anonymität zu einem späteren Zeitpunkt

Ebertz, S. 11 m.w.N. Schreiner, S. 141 m.w.N. 149 Textar, Inkognitoadoption und offene Formen der Adoption im Freistaat Bayern, 1991, S. 76. 150 Schreiner, S. 142. 151 Swientek, Ich habe mein Kind fortgegeben, 1982, S. 29. 152 Trillat, S. 514: "Es gibt nichts Gerechtes oder Ungerechtes, dessen Qualität sich nicht mit dem Klima ändert ... Wahrheit diesseits der Pyrenäen, Irrtum jenseits." 147 148

C. Adoption

165

im allseitigen Einverständnis wieder aufzuheben. Hierdurch hat die Rechtslage etwas an Härte verloren. Man berücksichtigt, daß eine Mutter sich im Zeitpunkt der Geburt oder Kindesweggabe in einer außergewöhnlichen psychischen Streßsituation befinden kann. Die Entscheidung, jede Spur des Kindes aus ihrem Leben zu beseitigen, kann sie später wieder bereuen. Es wäre tragisch, wenn sie selbst dann nicht die Möglichkeit hätte, Näheres über das Schicksal ihres Kindes zu erfahren, wenn auch das Kind später von dem Wunsch beseelt wird, seine Mutter kennenzulernen. Sollte die einverständliche Aufhebung der Anonymität eines Tages zum Regelfall werden, müßte wohl auch mit der Abschaffung des accouchement sous X gerechnet werden. Eine solche Entwicklung erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt allerdings eher unwahrscheinlich. Geht man demgegenüber von dem deutschen Konzept eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus, scheint es zwingend, auch einen Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter zu befürworten. Allerdings ist vor dem Hintergrund der französischen Rechtslage, die im Interesse des Kindes der Mutter eine weitgehende Entscheidungsfreiheit gewährt, die Frage zu stellen, ob das deutsche Recht beim Auskunftsanspruch des Kindes nicht um eines Grundsatzes willen die Rechte des Kindes überhöht, obwohl die gesetzliche Grundlage zweifelhaft und der praktische Nutzen fragwürdig ist. Bei allem Verständnis fiir das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung zeigt sich eben doch, daß das persönliche Verhältnis zwischen Mutter und Kind einer typisierenden rechtlichen Regelung in diesem Bereich nicht zugänglich ist. Wie fremd anderen Rechtsordnungen die deutsche Regelung ist, zeigt der Kommentar einer englischen Autorin zur möglichen Einfiihrung eines Auskunftsanspruchs des Kindes gegen seine Mutter in Großbritannien: "Given ... the general public repugnance of this kind of procedure, this is unlikely to happen. Furthermore, such compulsion would undermine the mother's right to individual liberty, surely a more fundamental right than that of knowledge of parentage." 153

C. Adoption Sowohl bei der Adoption (Abschnitt C) als auch der heterologen künstlichen Befruchtung (Abschnitt D) fallen biologische und rechtliche Elternschaft in 153 O'Donovan, Int. Journal ofLaw and the Family 2 (1988), 41: "Angesichts ... der allgemeinen Abneigung der öffentlichen Meinung gegenüber einem solchen Verfahren, ist es unwahrscheinlich, daß dies passiert. Darüber hinaus würde ein solcher Zwang das Recht der Mutter auf persönliche Freiheit verletzen, dies ist sicherlich ein wichtigeres Recht als das Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung."

166

3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

aller Regel dauerhaft auseinander. Deswegen stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein Kind die Möglichkeit besitzt, Kenntnis von seiner blutsmäßigen Abstammung zu erlangen.

I. Die Suche nach den biologischen Wurzeln

Es besteht heute kein Zweifel mehr, daß eine erhebliche Zahl adoptierter Kinder den Wunsch verspürt, nähere Informationen über ihre Vergangenheit zu erhalten. Dieses InformationsbedÜTfnis ist vielfach aus literarischer I54, juristischerIss und sozialwissenschaftlicher l56 Sicht beschrieben und erforscht worden. Adoptierte, die nach ihren leiblichen Eltern suchen, beschreiben diesen Vorgang oftmals damit, daß sie ihr ,,richtiges Ich", ihre "wahre Identität", ihr "eigentliches Sein" fmden wollen. 157 Das Wissen über die biologische Herkunft wird als wichtiger Aspekt der eigenen Identität aufgefaßt. 158 Je harmonischer allerdings das Adoptionsverhältnis verläuft, desto unwahrscheinlicher scheint es zu sein, daß ein Kind sich auf die Suche nach seinen biologischen Eltern macht. IS9 Auffallend ist auch, daß viele der "suchenden" Adoptierten von ihren Adoptiveltern erst spät und auf wenig einfiihlsame Wei154 DomnickIThomsen, Int. J. of Prenatal and Perinatal Psychology and Medicine, 1994,159 t1; Guderian, Wo komm' ich eigentlich her? Eine Adoptierte auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln, 1994; Lifton, Zweimal geboren. Memoiren einer Adoptivtochter, 1981. 155 Paulin, Journal of Farn. Law 1987-1988,395 ff.; Zenz, Referat zum 59. Deutschen Juristentag, Hannover 1992, S. M 11 ff. 156 Baer, NDV 1988, 148 ff.; Bonnet, S. 157 ff.; Bott, ZfJ 1995,412 ff.; Ebertz, Adoption als Identitätsproblem, 1987; Geiler, S. 50; Hoffmann-Riem, Das adoptierte Kind, 1984; JänschiNutzinger, Unsere Jugend 1988, 471 ff.; Raynor, The Adopted Child Comes of Age, 1980; SoroskylBaraniPannor, Adoption, Zueinander kommen - miteinander leben. Eltern und Kinder erzählen, 1982; Swienek, Wer sagt mir, wessen Kind ich bin?, 1993; Swientek, Wir haben dich adoptiert, 1986; Textor, ZfJ 1990, 10 ff.; ders., Soziale Arbeit 1988, 456 ff. 157 Swientek, Wessen Kind, S. 22. 158 DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 160; O'Donovan, InU.of Law & Family 2 (1988), 31; Swientek, Wessen Kind, S. 22 f. und 40; Nies-Diermannl Pausewang, Die subjektive Wertung der leiblichen Herkunft und ihre Bedeutung für die Eltern-Kind-Interaktion, 1989, S. 64; vgl. dazu auch Gibson, Journal of Family Law 30 (1991-92),16. 159 DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 160; Raynor, The Adopted Child Comes of Age, 1980, S. 100; Swientek, Wessen Kind, S. 30; Textor, ZfJ 1990,10, 12; ders., Soziale Arbeit 1988,456,458. A.A.: Hoffmann-Riem, S. 249, die genau die umgekehrte Schlußfolgerung zieht; auch die bei SchechterlBertocci, The meaning of the search, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The psychology of adoption, 1990, S.68 wiedergegebenen Arbeiten erhärten diese Behauptung nicht.

C. Adoption

167

se über ihre Herkunft aufgeklärt wurden. l60 Wieviele Adoptierte an einer solchen Suche wirklich interessiert sind, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Während in der Literatur Zahlen von 45 % oder 33 %, aber auch 20 % angegeben werden l6 1, haben in Schottland über einen Zeitraum von 50 Jahren 7 % der Adoptierten Zugang zu ihren Originalgeburtsurkunden beantragt, während es in England 15 % waren l62 • Allerdings will von den Personen, die eine behördliche Auskunft über ihre Abstammung verlangen, nur ein Teil auch tatsächlich die leiblichen Eltern kennenlernen. 163 Eine englische Untersuchung gab diese Personengruppe mit ca. 1/3 aller Auskunftssuchenden an. 164 Nach Erfahrungsberichten aus der Praxis kommt es in den meisten Fällen nur zu ein bis zwei Treffen zwischen Adoptivkindern und leiblichen Eltern. Selten wird eine tiefgehende Beziehung begründet, manchmal aber durchaus ein loser Kontakt aufrechterhalten. 165 Die meisten Adoptierten bewerten das Zusammentreffen als eine positive Erfahrung, nach der sie zufriedener und ausgeglichener seien. 166 Die Beziehung zwischen Adoptivkindern und -eltern, soweit letztere von der Suche informiert werden, nimmt offenbar nur in wenigen Fällen Schaden. 167 Viele Autoren ziehen aus diesen Erkenntnissen die Schlußfolgerung, daß das Verheimlichen der genetischen Abstammung eine Gefahr für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes darstellen kann und das Risiko in sich birgt, daß das Kind psychologische Auffälligkeiten entwickelt. Andere Autoren wiederum sprechen der Kenntnis der eigenen Abstammung keine entscheidende Bedeutung zu. Die Suche nach den leiblichen Eltern sei vor allem ein Anzeichen für ein gestörtes Verhältnis zu den Adoptiveltern oder Folge anderer Lebenskrisen,

160 Textor, Offene Adoptionsformen, 1988, S. 40 f. m.w.N.; SoutelNoel, Aspects psychologiques des notions de filiation et d'identite et le secret des origines, in: VerdierlSoule (Hrsg.), Le secret sur les origines, 1986, S. 64. 161 Vgl. Textor, Soziale Arbeit 1988, 456; ders., Offene Adoptionsformen, 1988, S. 35 ff. Vgl. auch SchechterlBertocci, The meaning of the search, in: Brodzinskyl Schechter (Hrsg.), The psychology of adoption, 1990, S. 67 und Raynor, The Adopted Child Comes of Age, 1980, S. 100. 162 Vgl. Textor, Soziale Arbeit 1988,456. 163 Vgl. beispielsweise: Hoffmann-Riem, S. 245. 164 Textor, Soziale Arbeit 1988,456, 457; Swientek, Suche, meint sogar, daß jedes Kind seine leiblichen Eltern kennenlernen möchte. 165 Textor, ZfJ 1990, 10, 12; Textor, Soziale Arbeit 1988,456,460. 166 SchechterlBertocci, The meaning ofthe search, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The psychology of adoption, 1990, S. 70 f.; Swientek, Suche, S. 219; Textor, ZfJ 1990, 10, 12; ders., Soziale Arbeit 1988,456,460. 167 Hoffmann-Riem, S. 250 ff.; Textor, ZfJ 1990, 10, 12; ders., Soziale Arbeit 1988, 456,459 f.

168

3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

die das Kind durch die Suche nach den biologischen Eltern zu lösen versuche. 168

11. Informationsmöglichkeiten

J. Frankreich In Frankreich sind bei vielen Fremdadoptionen deshalb keinerlei Informationen über die Eltern vorhanden, weil diese das Kind im Wege des ~ bereits dargestellten ~ accouchement sous X oder des abandon anonyme den staatlichen Fürsorgestellen anvertraut hatten. Dem Kind ist die Kenntnis seiner Abstammung also nicht verwehrt, weil es adoptiert wurde, sondern weil es von seinen Eltern anonym fortgegeben wurde. Im Gegensatz zum geltenden deutschen Recht unterscheidet man in Frankreich zwei Adoptionsformen, die adoption p/eniere (Volladoption) und die adoption simple (einfache Adoption). Die adoption p/eniere ist die übliche Form der Adoption, soweit es sich nicht um interfamiliäre Adoptionen oder um Erwachsenenadoptionen handelt. 169 Nur in den Fällen der adoption p/eniere besteht für das Kind überhaupt ein Informationsbedarf, denn nur nach dem Ausspruch einer Volladoption wird eine neue Geburtsurkunde für das Kind hergestellt. Aus dieser geht nicht mehr die Identität seiner leiblichen Eltern hervor, wohl aber die Tatsache der Adoption. Die Originalgeburtsurkunde wird für nichtig erklärt (Art. 354 c.e., vgl. demgegenüber bei der adoption simple Art. 361 und 362 c.e.). Eine spätere Einsichtnahme in diese ist untersagt. Darüber hinaus ist in Frankreich eine Feststellung der biologischen Eltern (vor allem des i.d.R. nicht festgestellten nichtehelichen Vaters) gern. Art. 352 e.e. ausgeschlossen, sobald das Kind zur Adoption vermittelt worden ist. Die Kinderpsychologie ist sich heute weitgehend einig, daß Adoptierte in frühen Jahren ~ vor Schulbeginn ~ möglichst kindgerecht durch ihre Eltern über

168 Ernst, Psychological Aspects of Artificial Procreation, in: Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung (Hrsg.), Künstliche Fortpflanzung, Genetik und Recht, 1986, S. 83 ff.; Soule/Noel, Aspects psychologiques des notions de filiation et d 'identite et le secret des origines, in: Verdier/Soule (Hrsg.), Le secret sur les origines, 1986, S. 55 ff. und 67; vgl. auch Hassenstein, FamRZ 1988, 120 ff. Zu den verschiedenen Ansichten Gibson, Journal ofFamily Law 30 (1991~92), 16 ff. 169 Im Jahre 1987 wurden 3.818 adoptions ptenieres und 2.312 adoptions simples ausgesprochen (Neirinck, J. Cl. civ., Art. 343 a370-2, n. 22).

C. Adoption

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die Adoption aufzuklären sind. 170 Eine solche Aufklärung wird heutzutage auch von den Beratungsstellen den Eltern dringend empfohlen. 171 In einigen Fällen versäumen die Eltern aber eine solche Aufklärung, sei es aus Furcht vor einer Verschlechterung ihrer Beziehung zum Kind oder aus Angst vor einer Konkurrenz mit den leiblichen Eltern, sollte das Kind das Bedürfnis verspüren, diese kennenzulemen. l72 Anders als in Deutschland ist es in Frankreich eher denkbar, daß ein Kind niemals von seiner Adoption erfährt. Während in Deutschland bei einer Eheschließung die Geburtsurkunde (aus der die Adoption hervorgeht) zwingend vorzulegen ist, ist dies in Frankreich nicht erforderlich. 173 Erfährt das Kind aber von seiner Adoption, kann es ab Volljährigkeit eine Kopie seiner Geburtsurkunde verlangen, aus der es die Tatsache seiner Adoption sowie einen Hinweis auf das Aktenzeichen des entsprechenden Adoptionsbeschlusses entnehmen kann. 174 Als nächsten Schritt hat es dann die Möglichkeit, eine Kopie des Adoptionsbeschlusses zu verlangen (Art. 11-3 des Gesetzes vom 5.7.1972 i.V.m. Art. 1174 N.C.P.C.). Aus diesem gehen Name und Vorname derjenigen Personen hervor, die in seine Adoption eingewilligt haben. 17S Das ist in der Regel auf jeden Fall seine leibliche Mutter. Darüber hinaus hat das Kind die Möglichkeit, Einsicht in die gerichtlichen Adoptionsakten zu nehmen, wenn es gern. 170 Bonnet, S. 171 f.; Ebertz, S. 95 m.w.N. und S. 152; Geiler, S. 24 ff.; HoffmannRiem, S. 280 f; Raynor, The Adopted Child Comes of Age, 1980, S. 90 und 94; Sorosky/BaraniPannor, Adoption, Zueinander kommen - miteinander leben. Eltern und Kinder erzählen, 1982, S. 77 f.; Textor, Soziale Arbeit 1988, 456, 458; Vidal, S.736. Nach Textor, Inkognitoadoption und offene Formen der Adoption im Freistaat Bayern, 1991, S. 81 ist das auch durchgängig die Einstellung der Adoptionsvermittler; vgl. auch Bayerisches Landesjugendamt (Hrsg.), Aufklärung des Kindes über seine Adoption Eine Hilfe rur Eltern, 4. Aufl. 1996, S. 4 f A.A.: Wieder, Sollen Betroffene über ihre Adoption aufgeklärt werden und wann?, in: HarmslStrehlow (Hrsg.), Das Traumkind in der Realität, 1990, S. 41, der rur eine "möglichst späte" Aufklärung eintritt. 171 Ebertz, S. 97; Geiler, S. 24 f; Hoffmann-Riem, S. 222. Vgl. auch UN-Erklärung über soziale und rechtliche Grundsätze betreffend Schutz und Wohlfahrt von Kindern mit besonderer Berücksichtigung von Familienpflege und Adoption, national und international vom 3.12.1986, Art. 9: "Das Bedürfnis eines Pflege- oder Adoptivkindes nach Information über seine Herkunft soll von den rur Pflege und Erziehung eines Kindes Verantwortlichen anerkannt werden, es sei denn, dieses steht im Widerspruch zum Wohl des Kindes." (Textor, ZfJ 1990, 10, 11) 172 Swientek, Wessen Kind, S. 201 ff. 173 Vidal, S. 737. 174 Delaisi/Verdier, S. 103; Philippe, Droit et patrimoine 1995, Doctr., 50 und Vidal, S. 737 berichten, daß manchmal nur Auszüge aus der Geburtsurkunde erstellt werden, so daß auf diese Weise die Behörde dem Kind gegenüber die Tatsache seiner Adoption verheimlicht. 175 Delaisi/Verdier, S. 105; Philippe, Droit et patrimoine 1995, Doctr., 50.

170

3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Art. 29 N.c.p.e. ein legitimes Interesse daran nachweisen kann. Es wird berichtet, daß manche Gerichte in der Vergangenheit eine solche Akteneinsicht ablehnten und sich dabei auf den Schutz der Privatsphäre der leiblichen Eltern beriefen. 176 Die ganz einhellige Meinung in der juristischen Literatur läßt eine solche Begründung aber nicht gelten. 177 Allerdings nützen dem Kind diese Informationen dann nichts, wenn es vor seiner Adoption unter der Vormundschaft der Aide sociale a I'enfance (A.S.E.) stand, weil ein Fall des accouchement sous X (Art. 47 e.Fam und Art. 341-1 c.e.)· oder des abandon (Art. 62 e.Fam.) vorlag. Hier war es der conseil de familie, der die Einwilligung in die Adoption erteilen mußte. Die Anonymität; die den Eltern bei der Abgabe des Kindes zugesichert wurde, bleibt auch im Adoptionsverfahren gewahrt. 178 Klammert man die Auslands-, Verwandtenund Erwachsenenadoptionen aus, so machen diese Fälle in Frankreich den weitaus größten Anteil der Adoptionen aus. Noch weitergehende Informationen kann das Kind gem Art.6bis des Gesetzes vom 17. Juli 1978 durch Einsicht in die Akten der staatlichen FÜTsorgebehörde (A.S.E.) erlangen, die sich bemüht, möglichst viele Informationen über die Kindesmutter und den Kindesvater zu sammeln, und die auch bei einer anonymen Kindesabgabe aufgrund von Beratungsgesprächen etc. die Identität der Eltern kennt. Hatten allerdings die Eltern bei der Kindesabgabe die Wahrung ihrer Anonymität verlangt, ist wiederum die Einsicht in solche Aktenstücke ausgeschlossen, aus denen die Identität der leiblichen Eltern hervorgeht. 179 Seit der Gesetzesreform vom 5.7.1996 besteht - wie bereits dargestellt - die Möglichkeit, daß die anonym abgebenden Eltern zu einem späteren Zeitpunkt sich an die FÜTsorgebehörde wenden, um dort ihre Identität aufzudecken. Das Kind kann ab Volljährigkeit Auskunft verlangen, ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde (Art. 62-1 e.Fam.). Auch wirken die staatlichen FÜTsorgebehörden verstärkt darauf hin, daß die abgebenden Personen Informationen hinterlassen, die dem Kind ein gewisses Bild von seinen Eltern und den Umständen der Abgabe ermöglichen, ohne eine IdentifIZierung der Eltern zu erlauben (Art. 62 C.Fam. n.F.). Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, in welchem Maße von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. 176 V gl. die bei DelaisilVerdier, S. 206 ff. wiedergegebene Begründung eines Ablehnungsbescheids; vgl. auch Conseil d'Etat, 12.10.1979, 0 1979,606 note Benabent. 177 Vidal, S. 208 f. m.w.N. 178 DelaisilVerdier, S. 105; Philippe, Droit et patrimoine 1995, Doctr., 51; Vidal, S.738. 179 Rapport du Conseil d'Etat, Statut et protection de l'enfant, 1991, S. 71 ff.; Reponse ministerielle, JOAN, 4.1.1993, S. 61; Nykiel, S. 204; Vidal, S. 739.

c. Adoption

171

2. Deutschland Die in Deutschland vorherrschende Praxis ist die sog. Inkognitoadoption. 180 Dabei kennen zwar die biologischen Eltern nicht Namen und Adresse derjenigen Personen, die ihr Kind adoptiert haben, wohl aber können umgekehrt die Adoptiveltern die Personalien der abgebenden Eltern erfahren. Rechtstechnisch wird diese Adoptionsform durch § 1747 Abs. 3 S.2 BGB ermöglicht: Eine Einwilligung in die Adoption ist auch dann wirksam, wenn der Einwilligende die schon feststehenden Annehmenden nicht kennt. Das Inkognito der Adoption wird durch § 1758 Abs. 1 BGB abgesichert: "Tatsachen, die geeignet sind, die Annahme und ihre Umstände aufzudecken, dürfen ohne Zustimmung des Annehmenden und des Kindes nicht offenbart oder ausgeforscht werden." § 1758 Abs. 1 BGB garantiert, daß diese Aufklärung nicht von Seiten Dritter, etwa durch Lehrer oder das Jugendamt, vorgenommen werden darf, weil so das Vertrauen des Kindes in die Autorität und Aufrichtigkeit seiner Eltern erschüttert werden könnte und außerdem in das elterliche Sorgerecht eingegriffen würde. Im Behördenverkehr wird das Inkognito zusätzlich dadurch gewahrt, daß in der Geburtsurkunde des Kindes nur die Adoptiveltern eingetragen werden (§ 62 Abs. 2 PStG). Versäumen es die Eltern, das Kind selbst aufzuklären, kann dieses gern. § 61 Abs. 2 S. 1 PStG ab dem 16. Lebensjahr selbst Einsicht in die Personenstandsbücher nehmen, um aus seinem Geburtseintrag den Namen und die ehemalige Anschrift seiner leiblichen Eltern zu erfahren. 181 Sollte das Kind keinen Anlaß haben, die Personenstandsbücher zu konsultieren, würde es auf jeden Fall bei der Eheschließung ungewollt aufgeklärt werden, weil aus der dann vorzulegenden Abstammungsurkunde die Adoption hervorgeht (§§ 5 Abs. 1,62 Abs. 1 PStG). Inwieweit ein Kind allerdings das Recht hat, Einsicht in weitere Unterlagen zu nehmen, die seine Adoption betreffen, ist nicht ganz geklärt. Gern. § 34 Abs. 1 FGG besteht für das Adoptivkind die Möglichkeit, die gerichtliche Adoptionsakte einzusehen. Hier können sich weitere Informationen befinden, die es ermöglichen, die biologischen Eltern ausfindig zu machen. In Frage kommen beispielsweise Angaben über frühere Lebensstationen der Mutter oder ihren 180 Im Jahre 1990 waren 771 Minderjährige zur Adoption vorgemerkt. Dem standen 19.576 Adoptionsbewerber gegenüber (Statistisches Bundesamt, Fachserie 13, Reihe 6.1: Erzieherische Hilfen und Aufwand rur die Jugendhilfe). 181 § 61 Abs.2 S. 3 2. Hs. PStG LV.m. § 1758 BGB wird einhellig nicht als Einschränkung dieses Einsichtsrechts verstanden (DIV-Gutachten, zn 1993, 257; Staudinger/Frank, (1/1991), § 1758 Rz. 11; Lüderitz, NJW 1976, 1865, 1870). Sinn der eigenständigen Erwähnung des 16jährigen Kindes in § 61 Abs. 2 PStG ist es gerade, ihm eine von seinen Eltern unabhängige Rechtsposition zu gewähren.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

ehemaligen Arbeitsplatz. Außerdem können Hinweise auf weitere Angehörige vorhanden sein, bei nichtehelichen Kindern insbesondere Hinweise auf den vermutlichen Erzeuger, der oftmals mangels Vaterschaftsfeststellung oder Vaterschaftsanerkenntnisses aus den Personenstandsbüchern nicht hervorgeht. Allerdings bestimmt § 34 Abs.2 FGG, daß § 1758 BGB durch diese Vorschrift unberührt bleibt. Dies bedeutet bei wörtlichem Verständnis des § 1758 BGB, der die Offenbarung von Informationen von der Zustimmung des Kindes und der Eltern abhängig macht, daß die Einsicht in die Gerichtsakten nicht allein auf Antrag des Adoptivkindes erfolgen darf, sondern auch bei einem volljährigen Kind zusätzlich der Zustimmung der Adoptiveltern bedarf. 182 Eine solche Bevormundung des volljährigen Kindes durch seine Eltern erstaunt. Von Sethe schlägt deshalb vor, hier die Wertung des § 61 Abs. 2 S. 1 PStG entsprechend anzuwenden und dem 16jährigen Kind ein eigenes - von seinen Eltern unabhängiges - Einsichtsrecht zu gewähren. 183 Gegen eine solche Analogie spricht indes entscheidend, daß § 61 Abs. 2 S. 1 PStG dem Kind nur sehr beschränkte Auskünfte über seine biologischen Eltern verschafft, während durch § 34 FGG eine Vielzahl von sehr persönlichen Informationen über die biologischen Eltern und die Adoptiveltern erlangt werden können. Richtigerweise hat die Auslegung bei § 1758 BGB selbst anzusetzen. Soweit § 1758 BGB das Verhältnis zwischen Kind und Eltern betrim, ist die Vorschrift zum einen Ausfluß des elterlichen Sorgerechts, zum anderen aber auch Schutz der elterlichen Intimsphäre gegenüber dem Kind, denn die Adoptionsakten enthalten auch über sie persönliche Angaben (z.B. Ausführungen betreffend ihre Eignung zur Adoption). Mit der Beendigung der elterlichen Sorge bei Volljährigkeit des Kindes erlischt das Recht der Eltern, uneingeschränkt über den Zugang ihres Kindes zu diesen Informationen bestimmen zu dürfen. Ab diesem Zeitpunkt beschränkt sich der Schutzzweck des § 1758 BGB auf die elterliche Intimsphäre. Bei teleologischer Auslegung bedeutet dies, daß - bei Widerspruch der Eltern - gegenüber dem Kind nur noch solche Informationen zurückgehalten werden dürfen, die die engere Persönlichkeitssphäre der Eltern betreffen. 184 Die Interessen der abgebenden Eltern können einer Einsicht des Kindes nicht entgegenstehen, denn sie müssen mit einer Offenlegung bei Ein-

182 Dieses Verständnis des § 1758 BGB wird von dem DIV in ztJ 1993,257 und DA Vorm 1983, 274 vertreten, wobei das DIV allerdings nicht ausdrücklich auf die Frage der Volljährigkeit eingeht. Vgl. auch Baer, DAVorm 1996, 855, 865. 183 V. Sethe, S. 154. 184 Baer hat eine ausdrückliche Neuformulierung des § 1758 BGB gefordert, die der hier vertretenen teleologischen Reduktion der Vorschrift entsprechen würde (ZtJ 1996, 123, 125 und DAVorm 1996, 855, 865). Zu einem umfassenden Einsichtsrecht des Kindes ab Volljährigkeit gelangt nunmehr Lichtinger, S. 9.

C. Adoption

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verständnis zwischen Adoptiveltern und -kind nach § 34 Abs. 1 und 2 FGG ohnehin rechnen. Ähnlich ist auch die Situation bei den zusätzlichen, über die Gerichtsakten hinausgehenden Auskünften, die das Jugendamt dem Kind gewähren könnte. Ein ausdrücklicher Auskunftsanspruch ist im Gesetz nicht normiert. § 9 Abs. 2 AdVermiG bestimmt lediglich, daß bei einer Adoption die Jugendämter sicherzustellen haben, daß die gebotene vor- und nachgehende Beratung und Unterstützung geleistet wird. Berücksichtigt man das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 1 Abs. 1 i.V.rn. Art. 2 Abs. 2 GG insbesondere in seiner Auslegung durch das BVerfG im Volkszählungsurteil 185 , dann gehört zu der "nachgehenden Unterstützung" auch die Offenbarung persönlicher Informationen, die über das Adoptivkind beim Jugendamt gespeichert wurden. Allerdings ist auch bei dieser Auskunft § 1758 BGB mit der oben dargestellten Auslegung zu beachten. 186 Durch den Auskunftsanspruch des Kindes dürfen nicht intime Details über die Kindesmutter und den Kindesvater offenbart werden (Angaben über eine evtl. versuchte oder geplante Abtreibung, Sozialverhalten, Kriminalität, Intelligenz etc.). Mitgeteilt werden können dem Kind insbesondere solche Fakten, die ihm ein Auffmden der biologischen Eltern erleichtern. Aber nicht nur das Persönlichkeitsrecht des Kindes, sondern auch Art. 8 EMRK fordert die hier dargelegte teleologische Reduktion des § 1758 Abs. 1 BGB I87 : Im Fall Gaskin entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, daß sich aus Art. 8 EMRK ein Anspruch auf Offenlegung von Informationen ergibt, die das Privatleben einer Person betreffen. Allerdings sei dieses Recht nicht schrankenlos. Im Fall Gaskin wurde die Regel des englischen Rechts, nach der vertrauliche Berichte von Pflegeeltern, Ärzten, Sozialarbeitern etc. nicht an ein Pflegekind weitergegeben werden dürfen, deshalb für rechtswidrig erklärt, weil keinerlei Spielraum für eine Abwägung der beteiligten Interessen bestand. 188 Würde bei wörtlichem Verständnis des § 1758 BGB im deutschen Recht die Akteneinsicht stets von der Zustimmung der Eltern abhängig gemacht, wäre für eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Adoptivkindes einerseits

BVerfGE 65, I ff. 186 So indirekt auch Staudinger/Frank, (1/1991), § 1758 Rz. 11 ohne nähere Begründung. Das DIV-Gutachten, ZfJ 1993,257 nimmt demgegenüber keine altersmäßige Einschränkung bei § 1758 BGB vor. 187 Meulders-Klein, La production de normes en bioethique, in: Neirinck (Hrsg.), De la bioethique au bio-droit, 1994, S. 105; Raymond, Droit de l'enfance et de l'adolescence, Le droit fran~ais est-il conforme a la Convention Internationale des Droits de I'Enfant?, 1995, S. 27; vgl. auch Forder, Int. J. of Law & Family 1993, 70. 188 EGMR Fall Gaskin, All 60, Nr. 98 - \03. 185

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

und der Adoptiveltern andererseits kein Raum. Art. 8 EMRK wäre damit verletzt. Auffällig ist, daß in der Literatur von keinen juristischen Auseinandersetzungen berichtet wird, obwohl die Praxis der Gerichte und Jugendämter uneinheitlich zu sein scheint. Z.T. wird auch bei erwachsenen Adoptierten eine Einverständniserklärung der Adoptiveltern verlangt 189, z.T. wird demgegenüber von Seiten der Jugendämter und der Gerichte auf eine solche verzichtet l90 . Auch der Umfang der Auskunft ist offenbar stark von der persönlichen Einschätzung der einzelnen Mitarbeiter des Jugendamtes abhängig. 191 Eine größere gesetzliche Klarheit, welche Informationen erhoben, wie lange sie festgehalten und wann und unter welchen Voraussetzungen sie dem Kind mitgeteilt werden dürfen, erscheint wünschenswert. Die hier dargestellten Informationsmöglichkeiten dürften im Regelfall genügen, damit das Kind Kontakt zu seinen leiblichen Eltern aufuehmen kann. Ausgehend von der alten Adresse kann ein Adoptierter - wie jeder Bürger beim Einwohnermeldeamt eine sog. einfache Meldeauskunft erlangen, in der Namen und aktuelle Adresse der betreffenden Person mitgeteilt werden. l92 Damit ist die Möglichkeit, Kenntnis der biologischen Herkunft zu erlangen, in Deutschland weitgehend abgesichert. 193

111. Öffnung der Adoption In der sozialpädagogischen und psychologischen Literatur wird zunehmend eine Öffuung der Adoption gefordert. 194 Damit ist eine Adoptionspraxis ge189 So Bott, ZfJ 1995,412 rur die Auskunft durch die Adoptionsvennittlungsstelle. Von Unsicherheiten bei der Auskunftserteilung berichtet auch Baer, ZfJ 1996, 123, 125. 190 So offenbar Swientek, Suche, S. 216; Textor, ZfJ 1990, 10, 11; ders., Soziale Arbeit 1988, 456. So auch die Auskunft durch verschiedene Jugendämter. 191 Swientek, Suche, S. 216; Textor, Inkognitoadoption und offene Formen der Adoption im Freistaat Bayern, 1991, S. 52 f. Es gibt auch keine gesetzliche Regelung, wie lange Adoptionsakten beim Jugendamt aufzubewahren sind. Während früher solche Akten z.T. vor der Volljährigkeit des Kindes vernichtet wurden (Rocke/Lamprecht, Unsere Jugend 1986,471), scheint dies heute nicht mehr der Fall zu sein (Schreiner, S.34). 192 Textor, ZfJ 1990, 10, 13. 193 Textor, ZfJ 1990, 10, 11; Baer, FuR 1990,192,193. 194 BaraniPannor/Sorosky, Social Work 1976, 97 ff.; BaraniPannor, Open Adoption, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The Psychology of Adoption, 1990, S. 316 ff.; Paulitz, Offene Adoption - Ein Plädoyer; Sachdev, Amer. J. Orthopsychiatry 1991, 249; Swientek, Wessen Kind, S. 83 ff.; Schreiner, Adoption, warum nicht offen, 1993; v. Schlieffen, Offene Adoptionsformen - Ein Grund zur Reform des Adoptionsrechts, Diss.

c. Adoption

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meint, die die Beziehungen zwischen der Adoptivfamilie und den leiblichen Eltern des Adoptivkindes nicht völlig abschneidet. Auslöser für diese Forderung war zum einen die Debatte um das Recht des Kindes, Informationen über seine Herkunft zu erlangen, zum anderen eine zunehmende Sensibilisierung für die Situation der abgebenden Mütter. 195 1. Halboffene und offene Adoptionsformen Bei einer offenen Adoption kennen sich Adoptiveltern und leibliche Eltern, statten sich gelegentlich Besuche ab oder schreiben sich Briefe etc. Unter halboffenen Adoptionen versteht man zum einen Adoptionen, bei denen die leiblichen Eltern die potentiellen Adoptiveltern kennenlernen, ohne deren Identität zu erfahren, und nach ein bis zwei Gesprächen entscheiden, ob sie ihr Kind an diese Eltern abgeben wollen. Zum anderen versteht man hierunter Adoptionen, bei denen eine Vereinbarung zwischen Abgebenden und Adoptiveltern besteht, sich nach der Adoption gelegentlich unter Wahrung des Inkognitos zu treffen oder über die Adoptionsvermittlungsstelle Briefe, Fotos, etc. auszutauschen. Eine Befragung von 117 deutschen Adoptionsvermittlern ergab, daß nur 16 % die klassische Inkognitoadoption positiv beurteilten; drei von fünf Befragten bewerteten sie (sehr) negativ. Die überwiegende Mehrzahl (2/3) befürwortete halboffene Adoptionsformen, bei denen unter fortlaufender Wahrung des Inkognitos Informationen zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern ausgetauscht werden. Allerdings bewerteten nur 18 % eine wirklich offene Adoption mit persönlichem Kontakt zwischen den Beteiligten positiv. 196 Auch in der - spärlichen - deutschen sozialpädagogischen Literatur wird die offene Adoption unterschiedlich beurteiIt. 197 In der Praxis gibt es erste, wenn auch nur vereinzelte Ansätze, halboffene sowie offene Adoptionen durchzufiihren. 198 Berlin 1994; zurückhaltend gegenüber dieser Adoptionsform Staudinger/Frank, (1/1991), § 1747 Rz.27. Soweit in Frankreich ähnliche Forderungen erhoben wurden, bezogen sie sich meist auf eine Ausweitung des bereits vorhandenen Instituts der "adoption simple". 195 Geiler, Frauen in existenziellen Konflikten, 1992; Swientek, Die abgebende Mutter im Adoptionsverfahren, 1986; dies., Ich habe mein Kind fortgegeben. Die dunkle Seite der Adoption, 1982. 196 Textor, Inkognitoadoption und offene Formen der Adoption im Freistaat Bayern, 1991, S. 60; vergleichbare Erfahrungen von der Einstellung der Praxis werden auch von Schreiner, S. 40 berichtet. 197 Vorsichtig abwägend Textor, Unsere Jugend 1988,530,533; (uneingeschränkte) Befürwortung durch Schreiner, Adoption, warum nicht offen, 1993 und v. Beyme, Familiendynamik, 1993,471 ff. 198 Bott, ZfJ 1995,412,413; Schreiner, S. 36 und 59; Textor, Das deutsche Adoptionswesen - am Beispiel einer bayerischen Untersuchung, in Hoksbergenffextor (Hrsg.),

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Aus der Sicht des Kindes wird bei diesen Adoptionsformen sein Interesse an der Kenntnis der Abstammung voll befriedigt. Während an der heutigen Adoptionspraxis viele Adoptierte die unzureichenden Informationen bemängeln, die sie vom Vormundschaftsgericht und Jugendamt über ihre eigene Vergangenheit erhalten 199, ist es bei einer (halb-)offenen Adoptionspraxis dem Kind möglich, Informationen über seine Lebensgeschichte zu erlangen. Eine jahrelange Verschleierung der Abstammung und die damit verbundene Unaufrichtigkeit in der Eltern-Kind-Beziehung sowie die Gefahr einer verspäteten und damit traumatischen Aufdeckung der Wahrheit wird hierdurch von vornherein vermieden. Auch wird dem Kind die mühsame und belastende Suche nach seinen biologischen Wurzeln abgenommen sowie der Aufbau lebensferner Vorstellungen über die eigene Herkunft vermieden, die dann eines Tages enttäuscht werden können, wenn das Kind seine leiblichen Eltern kennenlernt, die ihm völlig fremd sind und U.U. nicht seinen Erwartungen entsprechen. 2OO Darüber hinaus mag das Kind auch Verständnis fiir die Situation seiner biologischen Mutter entwickeln, so daß es nicht das Gefühl hat, von ihr verstoßen worden zu sein. 201 Während die halboffene Adoption im Grunde nur zu einem verbesserten Informationsfluß unter Aufrechterhaltung des Inkognitos fiihrt, bestehen gegen wirklich offene Adoptionen erhebliche Einwände. Die offene Adoption kann als Anreiz benutzt werden, um Eltern zu der Abgabe ihres Kindes zu bewegen, indem ihnen in Aussicht gestellt wird, ihr Kind würde nicht vollkommen aus ihrem Leben verschwinden, sie könnten weiterhin Anteil an seinem Schicksal nehmen und mit ihm in Kontakt bleiben. Dieses Versprechen kann sich jedoch als trügerisch erweisen, denn der vereinbarte Kontakt zwischen Adoptiveltern und leiblichen Eltern wäre rechtlich nicht erzwingbar, weil das Sorgerecht der Eltern durch diese Vereinbarungen nicht eingeschränkt wird. 202 Aus der Sicht des Kindes besteht die Gefahr, daß die leiblichen Eltern ihre Entscheidung später bereuen und versuchen könnten, auf "ihr" Kind Einfluß zu

Adoption Grundlagen, Vennittlung, Nachbetreuung, Beratung, 1993, S.36 gibt fiir Bayern in den letzten Jahren die Zahl der halboffenen Adoptionen mit 23 % und die Anzahl der offenen Adoptionen mit 5 % an. Vgl. demgegenüber den Bericht von v. Beyme, Familiendynamik, 1993,371 ff. 199 V. Beyme, Familiendynamik 1993,371,374. 200 Berry, Child Welfare 1991,640. 201 Ames, Law & Psychology Review 1992, 145. 202 Textor, Unsere Jugend 1988, 530, 534; in Amerika haben einige Bundesstaaten derartige Vereinbarungen für verbindlich erklärt Ames, Law & Psychology Review 1992, 139 ff. Bei den bislang unterbreiteten Anregungen fiir eine gesetzliche Berücksichtigung der (halb-)offenen Adoptionsformen (Baer, zn 1996, 123, 125) bleibt offen, ob sich hieraus ein Umgangsrecht der leiblichen Eltern ableiten würde.

C. Adoption

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nehmen und es damit einem Loyalitätskonflikt aussetzen. 203 Auch ist vorstellbar, daß Adoptionsbewerber angesichts des ungünstigen Verhältnisses von Adoptionsbewerbern und Kindern, die zur Adoption freigegeben werden, sich genötigt fühlen, einer offenen Adoption zuzustimmen, obwohl sie eine solche gar nicht bejahen und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen nicht gewachsen sind. 204 Die Erfahrungen mit Stieffamilien zeigen allerdings, daß Kinder durchaus mit einer "doppelten Elternschaft" leben können. 2os Auch die Diskussion um das gemeinsame Sorgerecht geschiedener Eltern und die verstärkten Umgangsrechte des nichtsorgeberechtigten Elternteils macht deutlich, daß man heute insgesamt nicht mehr alles darauf anlegt, für das Kind eine einzige und exklusive Sozialbeziehung zu fordern. Im Vergleich zu den spärlichen Erfahrungen in Deutschland wird aus den USA berichtet, daß dort bereits heute ca. 1/4 der jährlich ausgesprochenen Adoptionen "offen" sind. 206 Allerdings könnten hierfür amerikanische Besonderheiten mitverantwortlich sein. In Amerika wird die Adoptionsvermittlung auch von privaten Institutionen vorgenommen, die untereinander im Wettbewerb stehen. Angesichts des immer knapperen ,,Angebots" an Adoptivkindern und der steigenden "Nachfrage" sind abgebende Eltern in der Lage, für sich immer günstigere "Konditionen" einzufordern. Auch unterstellen manche Beobachter, daß von den Vermittlungs stellen offene Adoptionen z.T. deshalb propagiert werden, weil auf diese Weise die Bereitschaft zur Kindesabgabe gefördert wird. 207 Die amerikanischen Erfahrungen werden von den Fachleuten unterschiedlich beurteilt. Während einige amerikanische Autoren die offene

203 Berry, Child Welfare 1991, 640 f. m.w.N.; Textor, Unsere Jugend 1988, 530, 532 f. m.w.N. 204 Berry, Children and Youth Service Review 1991, 380 f. berichtet, daß viele Adoptiveltern einen gewissen Druck empfanden, einer offenen Adoption zuzustimmen, aber nach einer gewissen Zeit ihre anfängliche Skepsis wich und sie ein beruhigtes Gefühl hatten. 205 Textor, Unsere Jugend 1988, 530. 206 Schreiner, S. 44. Verläßliche Zahlen sind aber nur schwer erhältlich, allein schon weil unter "offener" Adoption unterschiedliche Praktiken verstanden werden können. Vgl. auch die Angaben bei Berry, Children and Youth Service Review 1991,380. Ein sehr genaues Bild über den ÖfIhungsgrad von Adoptionen in Kalifornien gibt eine statistische Untersuchung aus dem Jahre 1990 (Berry, Children and Youth Service Review 1991,386 ff.). 207 BaraniPannor, Open Adoption, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The Psychology of Adoption, 1990, S. 329 f.; Schreiner, S. 41 ff. Die amerikanischen Besonderheiten werden auch deutlich bei Berry, Children and Youth Service Review 1991,389. 12 Helms

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Adoption als einzige angemessene Form der Kindesannahme ansehen208 , wollen andere von Fall zu Fall entscheiden, ob sich diese Adoptionsform anbietef 09 . Manche wollen sie im wesentlichen auf die Adoptionen beschränken, bei denen das Kind bereits längere Zeit in seiner Herkunftsfamilie gelebt hat oder zumindest mit dieser Kontakt hatte (Stiefkindadoptionen, Adoption nach längerer Pflegezeit).210 Eine Untersuchung von 1396 Adoptivfamilien aus dem Staat Kalifornien aus dem Jahre 1990 kommt zu dem überraschenden Ergebnis, daß die Adoptiveltern, die nach der Adoption persönlichen Kontakt mit den leiblichen Eltern behielten, von diesen ein schlechteres Bild hatten als jene, die keinen Kontakt mehr besaßen. 2l1 Andererseits wird den Kindern, die den Kontakt zu ihren leiblichen Eltern aufrechterhielten, eine bessere Persönlichkeitsentwicklung attestiert als solchen, die den Kontakt verloren haben. 212 Wie ambivalent die Ergebnisse der Untersuchung sind, läßt sich daran ablesen, daß 50 % der befragten Adoptiveltern meinten, daß die Öffnung der Adoption einen schlechten Einfluß auf ihre Kinder haben würde, während die andere Hälfte gerade gegenteiliger Ansicht war. 213

2. Die" adoption simple" im französischen Recht Während in Deutschland durch das AdoptG von 1976 die Volladoption die bis dahin existierende "einfache" Adoption ablöste, steht in Frankreich neben der adoption p/eniere nach wie vor als weitere Adoptionsform die adoption simple zur Verfügung. Bei einer adoption simple bleibt das Kind rechtlich gesehen ein Mitglied seiner Ursprungsfamilie (Art. 364 e.e.).214 Das bedeutet vor allem, daß es gesetzlicher Erbe beim Tod seiner leiblichen Eltern bleibt. Außerdem existieren (subsidiäre) Unterhaltspflichten zwischen den Eltern und ihrem Kind fort (Art. 367 c.e.). Das Adoptivkind verliert i.d.R. auch nicht seinen ursprünglichen Familiennamen, sondern dieser wird an den Namen der Adoptiveltern 208 BaraniPannor, Open Adoption, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The Psychology of Adoption, 1990, S. 328; ausgewogener Berry, Children and Youth Service Review 1991,379 ff. 209 Curtis, Child Welfare 1986,443; Grotevant u.a., Family Process 1994, 144 f. 2\0 Ames, Law & Psychology Review 1992, 148. 211 Berry, Children and Youth Service Review 1991,387. 212 Berry, Children and Youth Service Review 1991,388. 213 Berry, Children and Youth Service Review 1991,389. 214 Vergleichbar mit der in Deutschland bis 1979 geltenden Rechtslage (Staudinger/Frank, (1/1991), § 1754 Rz. 1).

C. Adoption

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angefügt. Allerdings kann das Gericht auf Antrag der Adoptiveltern bestimmen, daß das Kind ausschließlich den Namen der Adoptiveltern trägt (Art. 363 c.c.). Die elterliche Sorge über das Kind steht ausschließlich den Adoptiveltern zu (Art. 365 C.C.). Allerdings ist es möglich, im Interesse des Kindes den leiblichen Eltern auf der Grundlage des Art. 371-4 Abs.2 C.C. ein Umgangsrecht zuzusprechen. 215 Bei einer adoption simple wird nicht wie bei der adoption p/eniere eine neue Geburtsurkunde für das Kind erstellt; die Tatsache der Adoption wird vielmehr am Rande der Originalgeburtsurkunde vermerkt. Mit Hilfe der adoption simple soll ein Ausgleich zwischen der biologischen Familie und der Adoptivfamilie geschaffen werden. Ein weiterer Kontakt zwischen dem Adoptivkind und seinen Eltern wird durch das Fortbestehen von rechtlichen Bindungen bewußt in Kauf genommen. Er läßt sich in Ausnahmefällen sogar durch die Gewährung eines Umgangsrechts der leiblichen Eltern gerichtlich erzwingen. Bei der adoption simple wird das Kind meist das Informationsbedürfnis über seine Vergangenheit direkt und umfassend befriedigen können. Allerdings hat die adoption simple nach französischem Recht von ihrer Zielsetzung her nichts mit dem gemeinsam, was in Deutschland unter dem Stichwort der offenen Adoption diskutiert wird. Insbesondere hält die adoption simple rechtliche Bindungen zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern aufrecht, die weit über das hinausgehen, was in Deutschland bei einer offenen Adoption gefordert wird. Vor allem die fortbestehende Unterhaltspflicht des Adoptivkindes gegenüber den leiblichen Eltern paßt nicht in das Bild, das man in Deutschland von einer offenen Adoption hat. Es geht hier ausschließlich um ein Ausbalancieren rechtlicher Beziehungen. In der Praxis kommt diese Adoptionsform denn auch fast ausschließlich bei älteren Kindern (meist Erwachsenenadoptionen) und Adoptionen innerhalb der Familie (durch Onkel, Großeltern etc.) vor. 216 Im Falle einer Stiefkindadoption ist die adoption simple der Regelfall (Art. 345-1 C.C.). Die adoption simple betrifft also Konstellationen, in denen aufgrund der sozialen Beziehungen eine Adoption faktisch sowieso nicht zu einem Abbrechen der ursprünglichen Verwandtschaftsbeziehungen führen würde. In der Literatur wird z.T. die Forde-

215 Cass., 4.1.1961; Bull. civ. I, n. 3, S. 2; Cass., 4.11.1958, Bull. civ. I, n. 469; CA Lyon, 27.6.1926, DP 1926, 2, 129, note Rouast; CA Paris, 16.1.1964, JCP 1964, 11, 13619; HauserIHuet-Weiller, S. 717; Neirinck, J.-CI. civ., Art. 343 a 370-2, n. 53. 216 DelaisilVerdier, S. 107; Neirinck, J.-CI. civ., Art. 343 a 370-2, n.35; BetantRabet, Rep. Dalloz, Adoption, n. 273. Im Jahre 1991 wurden 4.460 Anträge auf Aussprache einer Voll adoption und 4.061 Anträge auf Aussprache einer adoption simple gestellt (Rubellin-Devichiffrillat, Petites affiches 1995, 136).

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

rung erhoben, die adoption simple über diese Fälle hinaus auszudehnen217 : Psychologisch würden adoptierte Kinder ohnehin mit zwei Elternschaften leben. Diese gälte es dann auch juristisch miteinander in Einklang zu bringen. 218

IV. Stellungnahme Die Erfahrungen, die man im Fall der Adoption gemacht hat, zeigen, was fiir ein schillernder Begriff das "Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung" ist. Es ist fraglich, ob dieses Recht schon dadurch befriedigt wird, daß das Kind den Namen und die alte Adresse der leiblichen Eltern erfährt. Wollte man das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung effektiv absichern, müßte die leibliche Mutter aufgefordert werden, dem Jugendamt auch in den Jahren nach der Adoption ihre jeweils aktuelle Adresse mitzuteilen. Doch dann ginge es nicht mehr um ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, sondern um ein Recht auf Kontakt mit den leiblichen Eltern. Oft wird es dem Adoptivkind auch gar nicht so sehr darum gehen, seine Eltern kennenzulernen, als vielmehr die Gründe fiir die Abgabe durch seine Mutter zu erfahren219, bzw. generell Informationen über seine Lebensstationen zwischen Geburt und Adoption zu bekommen. 22o Bei einer Befragung von amerikanischen Adoptierten interessierten sich diese nicht nur fiir die Gründe der Freigabe, sondern auch fiir deren Gesundheitszustand oder sogar deren aktuellen Ehestand. 221 Unter Umständen sind es auch andere Personen, mit denen das K4td Kontakt aufnehmen möchte, beispielsweise die Erzieherin, die es in den ersten Monaten seines Heimaufenthaltes betreut hat222, oder leibliche Geschwister, zu denen das Verhältnis im Unterschied zu seinen leiblichen Eltern nicht durch eine Weggabeentscheidung belastet ist2 23 . Es ist sehr die Frage, ob diese Bedürfnisse des Kindes noch etwas mit der Kenntnis der eigenen Abstammung zu tun haben. Alle diese Fragen betreffen bei der Adoption sicherlich das Persönlichkeitsrecht des Kindes, aber sie lassen sich nicht ausschließlich unter den Begriff der ,,Abstammung" sub217 Delaisi/Verdier, S. 107 f.; Neirinck, J.-Cl. civ., Art. 343 a 370-2, n. 2, 3 und 51; de Monredon, JCP 1992, I, 3607, n. 45 ff.; Rubellin-Devichi, D. 1991, Chr., 213. 218 De Monredon, JCP 1992, I, 3607, n. 45. 219 JänschiNutzinger, Unsere Jugend 1988, 472 über die Wünsche von 13 jugendlichen Adoptivkindern; vgl. Textor, Soziale Arbeit 1988,456,457. 220 Textor, ZfJ 1990, 10, 11 f. 221 Textor, Soziale Arbeit 1988,456,457. 222 Soute/Noel, Aspects psychologiques des notions de filiation et d'identite et le secret des origines, in: VerdierlSoule (Hrsg.), Le secret sur les origines, 1986, S. 63. 223 Baer, ZfJ 1996, 123, 125 fordert für die Adoption aus diesem Grund, den Adoptierten im Rahmen des Adoptionsvermittlungsgesetzes die Möglichkeit einzuräumen, Kenntnisse auch über VelWandte in der Seitenlinie zu bekommen.

D. Heterologe künstliche Befruchtung

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sumieren. Ein solcher Begriff ist viel zu unbestimmt, um im Wege der Verallgemeinerung als Leitmotiv des Kindschaftsrechts zu fungieren. 224

D. Heterologe künstliche Befruchtung Die heterologe künstliche Befruchtung ist mit der Adoption insofern vergleichbar, als auch hier soziale und biologische Elternschaft notwendigerweise auseinanderfallen: Wird eine Ehefrau mit dem Samen eines Dritten befruchtet, ist der Ehemann nicht der biologische Vater. Wird dagegen die Eizelle einer Spenderin verwendet, mit dem Samen des Ehemannes befruchtet und der Ehefrau eingepflanzt, ist die Gebärende nicht die genetische Mutter. Während in Deutschland die Eispende verboten ist und heterologe Inseminationen - wie gezeigt - aufgrund der unsicheren Rechtslage praktisch nicht vorgenommen werden, steht das französische Recht diesen beiden Befruchtungstechniken offen gegenüber. Es nimmt in diesen Fällen - vergleichbar mit der Adoption - eine bestandskräftige Zuordnung des Kindes zu den sozialen Eltern vor und schließt eine statusrechtliche Feststellung der "wahren" biologischen Abstammung aus. Genauso wie bei der Adoption stellt sich deshalb die Frage, ob das Kind wenigstens Kenntnis seiner biologischen Abstammung erlangen kann.

I. Die Anonymität des Keimzellenspenders in Frankreich In Frankreich verbietet Art. 16-8 C.C. die Offenbarung jeglicher Informationen, die eine IdentifIzierung des Samen- oder Eizellenspenders erlauben. Allerdings muß der Arzt, der die Befruchtung vornimmt, die Identität des Keimzellenspenders dokumentieren225 , um bei einer Erkrankung des künstlich gezeugten Kindes - soweit dies medizinisch notwendig sein sollte - den Spender ermitteln zu können. 226

224 Soute/Noel, Aspects psychologiques des notions de filiation et d'identite et le secret des origines, in: Verdier/Soule (Hrsg.), Le secret sur les origines, 1986, S. 63: "La revelation de noms, de dates, de lieux, les faits qui n'ont aucune signification vecue pour un enfant, tout ce qui est dans son dossier ou dans son "carnet" ne saurait, et n'ajamais pu lui restituer le sentiment de son unite propre." 225 Furkel, FamRZ 1996,772,774. 226 Dies setzt natürlich voraus, daß diese Ärzte von den Eltern des Kindes über die Umstände der Zeugung aufgeklärt wurden. Haben die Eltern ihr Geheimnis aber mit ins Grab genommen, läuft diese Bestimmung leer.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Trotz ausführlicher Erörterungen in der französischen Literatur227 wurde der Grundsatz der Spenderanonymität bei den Gesetzgebungsdebatten nicht kontrovers diskutiert. 228 Aber schließlich entsprach die Spenderanonymität bereits der jahrelangen und unangefochtenen Praxis französischer Samenbanken

(Centres d'etude et de conservation des oeufs et du sperme humain = C.E.C.O.S.). Zusätzlich abgesichert wurde die Anonymität durch eine strafrechtliche Sanktion in Art. 511-10 c.pen.: "Wer eine Information offenbart, welche die Identiftzierung eines Keimzellenspenders ermöglicht, wird mit (bis zu) zwei Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 200.000 FF bestraft."

Diese Regelungen wurden vom Conseil constitutionnel im Jahre 1994 auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Es war u.a. geltend gemacht worden, daß das Recht des Kindes auf Entfaltung seiner Persönlichkeit verletzt sei, wenn ihm das Recht auf Kenntnis der Identität des Samenspenders verwehrt werde. Mit Urteil vom 27.7.1994 hat der Conseil constitutionnel jedoch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften bestätigt. 229 Er stellte lapidar fest, daß "der Anonymität des Keimzellenspenders kein Verfassungsgrundsatz entgegensteht. " Als Argument für die Anonymität des Keimzellenspenders wird in der Literatur angeführt, daß der "ftliation affective" der Vorrang vor der "ftliation biologique" gebühre. 230 Deshalb solle der soziale Vater als der "wahre" Vater des Kindes bestimmt werden. Die ausschließliche Zuordnung des Kindes zu diesem Mann werde durch die Spenderanonymität verstärkt. Außerdem könne es sonst zu einem Rückgang der Spenderzahlen kommen231 , und auch der Wunsch der Kindeseltern, die Tatsache der künstlichen Befruchtung verschweigen zu wollen, müsse respektiert werden232 . Bei einer Umfrage, die im Jahre 1991 vom C.E.C.O.S. unter Eltern künstlich gezeugter Kinder durchgeführt wurde, gaben 30 % der Befragten an, daß sie ihrem Kind gegenüber die Art und Weise der Zeugung geheim halten wollten, 62 % waren noch unent227 Nachweise bei Corpart-Oulerich, RD sanit. soc. 1994, 14 f. und Labrusse-Riou, L'anonymat du donneur: etude critique du droit positiffranlYais, in: Facu1te de droit et de sciences politique d' Aix-Marseille (Hrsg.), Le droit, 1a medicine et I'etre humain, 1996, s. 81 f. 228 Furkel, FamRZ 1996, 772, 774; Massip, Defrenois 1995, no 35975, S. 74; Neirinck, Petites affiches 1994,55; Rubellin-Devichi, in: RubelIin-Devichi (Hrsg.), Droit de la familIe 1996, S.409. Auch die meisten vorbereitenden Kommissionen und Vorentwürfe hatten dieses Prinzip verankert (Nicolas-Maguin, D. 1995 Chr., 75 f.). Abweichend beispielsweise Boutin, JOAN, 19.11.1992, n. 94. 229 J.O. v. 27.7.1994,11024. 230 Murat, RD sanit. soc. 1991, 392; weitere Nachweise bei Nicolas-Maguin, D. 1995, Chr., 76. 231 BaudouiniLabrusse-Riou, Produire I'homme. De quel droit?, 1987, S. 53. 232 Furkel, FamRZ 1996,772,774; Massip, Defrenois 1995, n. 35975, S. 74.

D. Heterologe künstliche Befruchtung

183

schlossen, und nur 8 % waren sich sicher, daß sie ihr Kind über die Umstände seiner Herkunft aufklären würden. 233 Als weiterer Grund für die Anonymität wird angefiihrt, nur hierdurch werde garantiert, daß es zu keiner Kommerzialisierung der Samenspende und zu keiner Auswahl der Samen aufgrund bestimmter Eigenschaften der Samenspender kommen könne. 234 Allerdings wird in der Literatur die Regelung auch teilweise unter Hinweis auf das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner eigenen Abstammung kritisiert. 235 Im Gegensatz zur heterologen Befruchtung, wo es keine Möglichkeit gibt, Informationen über den Keimzellenspender zu dokumentieren und dem Kind weiterzugeben, wird bei der anonymen Kindesabgabe seit der neuesten Reform aus dem Jahre 1993 darauf hingewirkt, daß die abgebenden Eltern zumindest solche Informationen für das Kind hinterlassen, die nicht die Aufdeckung ihrer Identität ermöglichen. Außerdem besteht die Möglichkeit, im allseitigen Einverständnis die Anonymität aufzuheben. Es wäre konsequent - vergleichbar etwa mit der Rechtslage in England (Art. 31 Abs.4 (a) Human Fertilisation and Embryology Act 1990) -, diese Möglichkeit auch für die heterologe Insemination vorzusehen.

11. Vorschlag zur Reform des deutschen Rechts Während in Frankreich wie in vielen anderen Rechtsordnungen die Anonymität des Samenspenders gewahrt wird236, treten in Deutschland die meisten Autoren - soweit sie die Zulässigkeit einer künstlichen heterologen Insemination befürworten - für die Offenbarung der Spenderidentität ein237 .

233 Bonnet, Secret, S. 153. Die Unentschlossenheit und Verunsicherung der Eltern hat offensichtlich zugenommen, denn im Jahre 1983 hatte noch 63,8 % für eine strikte Geheimhaltung plädiert. 234 Byk, JCP 1994, I, 3788, S. 406; Cadou, La "biologisation" du droit de la filiation, in: Labrusse-Riou (Hrsg.), Le droit saisi par la biologie, 1996, S. 25. 235 Nicolas-Maguin, D. 1995, Chr., 78; Malaurie, n.461 Fn.30; Delaisi/Verdier, S. 241 ff. 236 Frankreich: Art. 16-8 C.C. i.d.F. des Gesetzes no 94-653 vom 29.7.1994; weitgehend auch Großbritannien: Sect. 31 Human Fertilisation and Embryology Act 1990; Norwegen: Kap. 2 § 10 Gesetz über die künstliche Befruchtung 1987; Spanien: Art. 5 Abs. 1 und 5 FortpflanzungshilfeG 1988; USA: § 51it. a Uniform Parentage Act. 237 Eser, Gesichtspunkt eines Strafrechtlers, in: Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung (Hrsg.), Künstliche Fortpflanzung, Genetik und Recht, 1986, S. 153.

184

3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

Viele Autoren übertragen die Erfahrungen, die bei der Adoption gemacht wurden, auf die heterologe Insemination. 238 Aus diesem Grund sehen sie auch bei der künstlichen Befruchtung ein Bedürfnis des Kindes nach Kenntnis der eigenen Abstammung. 239 Ob eine solche Schlußfolgerung zwingend ist, erscheint fraglich, denn sie würde voraussetzen, daß es sich bei Adoption und künstlicher heterologer Insemination um vergleichbare Sachverhalte handelt: Besteht bei der Adoption ein Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Herkunft, bezieht sich dieses oft in erster Linie auf die Identität der Mutter. 24o Aus der deutschen Gerichtspraxis ist nur ein Fall bekannt geworden, in dem nach erfolgter Adoption die - rechtlich mögliche - Feststellung der Vaterschaft betrieben wurde, wobei es primär um die Zahlung rückständigen Unterhalts ging. 241 Diese "Fixierung" auf die Mutter ist verständlich, weil bei vielen Adoptivkindern der Wunsch nach Aufklärung über die Gründe der Freigabeentscheidung im Vordergund steht. 242 Manche Autoren meinen deshalb auch, daß es bei der Suche vieler Adoptierter nach ihrer Herkunftsfamilie nicht so sehr um die Feststellung der Blutsverwandtschaft, als vielmehr um die Schließung einer Lücke in ihrer eigenen Lebensgeschichte gehe. 243 Das "schwarze Loch", das sich für viele Adoptierte zwischen Geburt und Adoption auftut, soll durch Informationen über diese Lebensphase erhellt werden. Die Situation der im Wege heterologer Insemination gezeugten Kinder ist hiermit nicht vergleichbar, weil für sie die genetische Abstammung von ihrer Mutter feststeht. Auch gibt es für sie keinen Teil ihrer Lebensgeschichte, der ihnen verheimlicht wurde. Nimmt eine Rechtsordnung eine unanfechtbare Zuordnung zu den Wunscheltern vor, dann weist sie dem Kind eine soziale Rolle zu, die es akzeptieren und mit der es sich identiftzieren kann. Anders als das adoptierte Kind hat es immer schon diese und nur diese Eltern gehabt.

238 DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 155 ff.; Gibson, Journal of Farnily Law 30 (1991-92), 3; Haimes, International Journal of Law and the Farnily 2 (1988),46 und 51 m.w.N.; O'Donovan, Int. Journal of Law and the Farnily 2 (1988), 27 ff. Gegen eine solche Gleichsetung Baudouin/Labrusse-Riou, Produire I'homrne. De quel droit?, 1987, S. 54; krit. auch Cook et al., Amer. J. Orthopsychiatry 1995,558. 239 DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 155 ff.; Hoffmann-Riem, S.300. 240 Ebertz, S. 148; Geiler, S. 187; SchechterlBertocci, The meaning ofthe search, in: Brodzinsky/Schechter (Hrsg.), The psychology ofadoption, 1990, S. 71. 241 Frank, FamRZ 1988, 117. 242 Jänsch/Nutzinger, Unsere Jugend 1988,472 über die Wünsche von 13 jugendlichen Adoptivkindern; vgl. auch Textor, Offene Adoptionsformen, 1988, S. 38. 243 Bott, ZfJ 1995,412,413; vgl. auch Textor, ZfJ 1990, 10, 12, der allerdings auch noch weitere Motive ausmacht. Noel, Petites affiches 1995,55.

D. Heterologe künstliche Befruchtung

185

Die hier vorgetragenen Argumente bedeuten selbstverständlich nicht, daß das künstlich gezeugte Kind nicht über die Art und Weise seiner Zeugung aufgeklärt werden sollte. Geheimnisse innerhalb der Familie und die damit einhergehende Angst der Eltern, das Kind könne die Wahrheit eines Tages doch erfahren, führen oft zu unausgesprochenen Spannungen, die von dem Kind wahrgenommen werden. 244 Trotz der hier vorgebrachten Einwände stehen viele Autoren auf dem Standpunkt, es sei ein Urbedürfnis des Menschen, sich mit seinen genetischen Wurzeln zu identifIZieren. Wo diese IdentifIkationsmöglichkeit fehle, könne es zu Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung kommen. 245 Eine amerikanische Befragung von 174 reproduktiven Endokrinologen ergab kein eindeutiges Meinungsbild: 56 % waren der Ansicht, daß es nicht notwendig sei, Kinder, die durch heterologe künstliche Befruchtung gezeugt wurden, darüber zu informieren, 22 % sprachen sich für eine solche Information aus, und 22 % waren unentschlossen. 246 Aus ausländischen Umfragen unter Eltern, deren Kinder heterolog gezeugt worden waren, läßt sich eine große Zurückhaltung gegenüber einer Offenlegung der wahren Umstände der Abstammung ablesen. In amerikanischen und australischen Umfragen gaben über 50 % der Eltern an, sie wollten ihr Kind nicht aufklären247 , obwohl auch in Australien und Amerika bei

244 Back/Snowden, Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology 9 (1988), 193; DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 160 f.; Gibson, Journal of Family Law, 30 (1991-92), 10 f. und 13; Leiblum/Hamkins, Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology 1992, wiedergegeben in pro familia magazin 1993, 20; o 'Donovan, Int. Journal of Law and the Family 2 (1988), 37; Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995, 16, 17. Die sorgfiiltige Vergleichsstudie von Cook et al., Amer. J. Orthopsychiatry 1995,556 fand keine psychologisch meßbaren Belege für diese Behauptung. Bei einer Befragung von 40 deutschen Paaren, die eine heterologe Insemination vorgenommen hatten, gaben 10 Paare an, daß die Geheimhaltung für sie eine "beträchtliche Belastung" darstelle (Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995, 16, 19). 245 DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 160; Nicolas-Maguin, D. 1995, ehr., 75; Delaisi/Verdier, S. 241 ff.; O'Donovan, Int. Journal of Law and the Family 2 (1988), 29 und 31; krit. gegenüber der unbedingten Forderung nach Offenheit demgegenüber Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995,16,21; zurückhaltend auch Gibson, Journal ofFamily Law 30 (1991-92), 34. 246 Leiblum/Hamkins, Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology 1992, wiedergegeben in pro familia magazin 1993, 19. Als Gründe für die Empfehlung, den Kindern die Umstände der Befruchtung geheimzuhalten, wurde die Befürchtung angegeben, daß es psychologisch beunruhigend oder möglicherweise schädlich für das Kind sein könnte, Bescheid zu wissen (S. 20). 247 Leiblum/Hamkins, Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology 1992, wiedergegeben in pro familia magazin 1993, 19; vgl. auch Cook et al., Amer. J. Orthopsychiatry 1995, 550 und 552; Haimes, Intern. Journal of Law and the Family 2 (1988), 58; vgl. auch Back/Snowden, Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology 9 (1988), 196. Andererseits wird aus Amerika berichtet, daß immer mehr Paare

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

der Adoption die Eltern in der Regel offen mit der Tatsache der Adoption Ußlgehen248 . Ebenso waren bei einer Befragung von 26 deutschen Paaren, die eine heterologe Insemination vorgenommen hatten, nur 2 entschlossen, ihre 10jährigen Kinder (später) aufzuklären, während 10 Paare auf keinen Fall eine Aufklärung wollten und der Rest unentschlossen war. 249 Als Gründe für diese Zurückhaltung wird von den Eltern meist die Furcht vor einer gesellschaftlichen Stigmatisierung des Kindes und die Angst, das Kind zu verwirren, angegeben. 250 Erscheint einerseits bei der künstlichen Befruchtung das Bedürfnis des Kindes nach Kenntnis seiner Abstammung nicht so groß wie bei der Adoption251 , ist andererseits zu fragen, welchen besonderen Grund es geben sollte, bei der künstlichen Befruchtung - anders als bei der Adoption - die Identität des Samenspenders zu verheimlichen. Zunächst einmal legen Untersuchungen die Vermutung nahe, daß die Aufdeckung der künstlichen Befruchtung für das Kind nicht gleichermaßen belastend ist wie die Aufdeckung einer Adoption. Künstlich gezeugte Kinder brauchen nicht mit dem Gefiihl zu leben, von ihren leiblichen Eltern im Stich gelassen worden zu sein. 252 Soweit Eltern über diese Erfahrungen informiert sind, dürfte ihnen die Aufklärung ihres Kindes leichter fallen. Entscheidend dafür, ob die Aufklärung über die wahre Abstammung den Eltern und ihrem Kind leicht fallen wird, ist nicht zuletzt die Toleranz und das Verständnis der Gesellschaft gegenüber den künstlichen Befruchtungstechniken. Die derzeit unklare Rechtslage, die viele Ärzte (vor allem in öffentlichen Krankenhäusern) davon absehen

die Verwendung von Samen eines bekannten Spenders bevorzugen (Gibson, Journal of Farnily Law 30 (1991-92), 27). 248 Die Studie von Cook et al., Amer. J. Orthopsychiatry 1995, 552 ergab, daß von den befragten Ehepaaren, die eine heterologe Insemination vorgenommen hatten, nur 4 % entschlossen waren, ihrem Kind diesen Umstand (später) mitzuteilen, während in der Vergleichsgruppe der gleichaltrigen Adoptivkinder bereits alle Kinder (außer einem) aufgeklärt worden waren. 249 Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995, 16, 19. 250 DanielsITaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 157; Cook et al., Amer. J. Orthopsychiatry 1995, 553; Gibson, Journal of Farnily Law 30 (1991-92), 11; Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995, 16, 19. 251 Dies bestätigen auch Bonnet, Secret, S. 13 und 26; SoutelNoe/, Aspects psychologiques des notions de filiation et d'identite et le secret des origines, in: Verdier/SouIe (Hrsg.), Le secret sur les origines 1986, S. 65. 252 DanielsITaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 162; Schilling, Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1995, 16, 21; SnowdenJMitchel1/ Snowden, Artefizielle Reproduktion, 1985, S.60; vgl. auch Gibson, Journal of Farnily Law 30 (1991-92),10.

D. Heterologe künstliche Befruchtung

187

läßt, heterologe Inseminationen vorzunehmen, dürfte nicht gerade dazu beitragen, ein Klima der Toleranz und Offenheit zu erzeugen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen rechtfertigt sich die Verheirnlichung der Spenderidentität nur dann, wenn zu befürchten wäre, daß sich andernfalls keine Samenspender zur Verfügung stellen würden. 253 Die schwedischen Erfahrungen scheinen eine solche Befürchtung zu widerlegen. Als im Jahre 1984 durch eine Reform dem künstlich gezeugten Kind das Recht eingeräumt wurde, die Identität des Samenspenders zu erfahren, gingen die Spenderzahlen zwar zunächst drastisch zurück, doch stiegen sie bald wieder auf das vorige Niveau an. 254 Allerdings ist keineswegs gewiß, ob man die schwedischen Erfahrungen ohne weiteres auf Deutschland übertragen kann. Die historischen, kulturellen, religiösen und sozialen Bedingungen in Deutschland und Schweden sind nur begrenzt vergleichbar. Allerdings ergaben auch Befragungen unter englischen, australischen, neuseeländischen und amerikanischen Samenspendem, daß ein Großteil von ihnen auch mit einer Offenlegung ihrer Identität einverstanden wäre, soweit dies nicht mit fmanziellen Risiken verbunden ist. 255 Angesichts der traditionellen Betonung der biologischen Abstammung und der großen Bedeutung, die das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im deutschen Rechtsbewußtsein erlangt hat, wäre es rechtspolitisch empfehlenswert, die Offenbarung der Spenderidentität gesetzlich festzuschreiben. Jede andere Regelung würde auf starken Widerstand in Teilen der Rechtswis-

253 Frank, FamRZ 1988, 118; Broda, 56. Deutscher Juristentag, Berlin 1986, Diskussion S. K 89; Hübner, ebd., S. K 132; Deichfuß, NJW 1988,117. 254 Wennergren, Consequences of new regulations in reproductive medicine and human embryo research in their relationship with Science, Ethics and Law. The Swedish approach, in Byk (Hrsg.), Procreation artificielle Oll en sont I'ethique et le droit?, 1989, S. 389: "Instead the aids-infection and the difficulities to be totally sure that a donor's sperm is not infected restrain the accessibility to artificial insemination"; Eserl KochiWiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Band 2, 1990, S. 170 Fn. 5; Rubellin-Devichi, in: Rubellin-Devichi (Hrsg.), Droit de la familie 1996, S. 409. Während im Jahre 1989 in Schweden 69 Samenspender ihren Samen zur Verfügung stellten und 937 Inseminationen vorgenommen wurden, waren es im Jahre 1994 115 Spender und 1.223 vorgenommene künstliche Befruchtungen (schriftliche Auskunft vom 16.12.1996 des National Board ofHealth and Welfare Centre for Epidemiology). 255 Bei einer Befragung im King's College Hospital in London im Jahre 1989190 gaben nur 1/3 der Samenspender an, daß sie bei einer möglichen Offenlegung ihrer Identität nicht spenden würden (MorganiLee, Human Fertilisation & Embryology Act 1990, S. 163). Eine amerikanische Untersuchung ergab, daß in diesem Fall 60 % der Befragten weiterhin spenden würde (Haimes, Intern. Journal of Law and the Family 2 (1988), 59). Vgl. zu weiteren Umfragen auch DanielslTaylor, Politics and the Life Sciences 1993, 162 f. und Gibson, Journal ofFamily Law, 30 (1991-92),29 f.

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3. Kapitel: Kenntnis der biologischen Abstammung

senschaff56 und der Bevölkerung stoßen. Als gesetzgeberisches Vorbild sollten deshalb die Länder dienen, die die Identität des Spenders dokumentieren und dem Kind ein Recht auf Akteneinsicht gewähren. 257 Jede mit der französischen Regelung vergleichbare Anonymitätsverpflichtung liefe außerdem Gefahr, an der Rechtsprechung des BVerfG zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu scheitern. 258

256 Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, Berlin 1986, Beschlüsse III.7. a-e, S. K 235 f. 257 Österreich: § 20 Abs. 2 FortpflanzungsmedizinG; Schweden: Art. 4 Gesetz über die Insemination 1984; Schweiz: Art. 24 novies Bundesverfassung. 258 Balz, Heterologe künstliche Samenübertragung beim Menschen, 1980, S. 15 fT.; Giesen, FamRZ 1981,413,414; Zimmermann, FamRZ 1981 929 fT.; Harder, JuS 1986, 505,507; Coester-Waltjen, Jura 1989,520,523; Giesen, JZ 1989,364,368 f.; Münder, RdJ 1989,456,462; Starck, JZ 1989,339; a.A.: Enders, NJW 1989, 881; Frank, FamRZ 1988,113,118 f.; Ramm, NJW 1989,1594; Smid, JR 1990,221; Deichfuß, S. 183.

Viertes Kapitel

Prozessuale Realisierung Selbst wenn eine Rechtsordnung materiellrechtlich die Feststellung bzw. die Anfechtung der Vaterschaft ermöglicht, hängt es doch von einer Reihe prozessualer Bedingungen ab, ob diese Verfahren wirklich zu einer Klärung der biologischen Abstammung führen.

A. Verfahrensgarantien im Statusprozeß Es besteht eine alte Tradition, die Abstammung eines Menschen als einen besonderen Status aufzufassen, der einer speziellen prozessualen Behandlung bedarf.!

I. Ausschluß der Parteidisposition In Frankreich und Deutschland sind Abstammungsverfahren mit eigenen Verfahrensgarantien ausgestattet; dabei sind insbesondere die prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien ausgeschlossen. Kann man im Abstammungsrecht materiellrechtlich nicht beliebig über den Status eines Kindes verfUgen, müssen auch die prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten der Beteiligten eingeschränkt werden. Gem. Art. 311-9 C. C. ist in Frankreich ein Klageverzicht unwirksam. 2 Diese Vorschrift wird als gesetzliche Verankerung des allgemeinen Grundsatzes der Für das römische Recht: Hackl, Praeiudicium im klassischen römischen Recht, 1976, S. 236 fT. und S. 295 fT.; ders., SZ 90 (1973), \05 fT.; v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprocess des gemeinen Rechts, 1. Bd., 1868, S. 340 fT.; vgl. auch Leineweber, Die rechtlichen Beziehungen des nichtehelichen Kindes zu seinem Erzeuger in der Geschichte des Privatrechts, 1978, S. 67; S. 94 (Kommentatoren); S. 117 fT. (Frankreich des 16. Jahrhunderts); S. 152 fT. (Deutschland des 16. Jahrhunderts). Für das kanonische Recht: Trusen, Die gelehrte Gerichtsbarkeit der Kirche, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, 1973, S. 491. 2 Cass., 20.1.1981, D. 1981, IR, 297,1 esp., obs. Huet-Weiller.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

indisponibi/ire de ['etat (Unverfügbarkeit des Personenstandes) angesehen. 3 Entsprechend sind auch ein prozessuales Anerkenntnis4 und sogar ein RechtsmittelverzichtS unwirksam, es sei denn, daß sie im Rahmen eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens von dem Beklagten abgegeben werden, denn dieser hätte auch rnateriellrechtlich die Möglichkeit gehabt, das Kind durch eine einseitige Erklärung anzuerkennen. 6 Auch ein Geständnis entfaltet in Frankreich keine Bindungswirkung. 7 Allerdings kann dieses in einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren wiederum als wirksames Anerkenntnis gewertet werden, wenn es vor Gericht abgegeben wird und damit den materiellrechtlichen Formvorschriften genügt. 8 Genauso wie in Frankreich ist in Deutschland gern. § 640 Abs. 1 i.V.m. § 617 ZPO die Parteiherrschaft in Kindschaftssachen weitgehend eingeschränkt: Unanwendbar sind insbesondere die Vorschriften über das Zugestehen von Tatsachen (§ 138 Abs. 3 ZPO), über das Geständnis (§§ 288-290 ZPO), über das Anerkenntnis (§ 307 ZP09) und über die Bindung an den übereinstimmenden Parteivortrag t o. Über den Wortlaut des § 617 ZPO hinaus ist in Abstammungsverfahren auch ein Klageverzicht (§ 306 ZPO) nicht möglich. 11 Ein solcher Verzicht kann allerdings ggf. in eine Klagerücknahme umgedeutet werden. Klagerücknahme und Erledigungserklärungen sind erlaubt, da sie keine Rechtskraftwirkungen bezüglich des Streitgegenstandes entfalten.

3 Marty/Raynaud, n. 801 und 809 ter; WeillITemi, n.92 und 95; Labrusse-Riou, Rep. Dalloz, Filiation, n. 192; Huet- Weil/er, D. 1978, Chr., 233. 4 Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 40. 5 Cass., 20.1.1981, D. 1981, IR, 297, obs. Huet-Weiller; Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 43. 6 Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 45. 7 Cass., 4.7.1995, D. 1995, IR, 204, D. 1996, Somm., 152, obs. Granet-Lambrechts. CA Paris, 14.10.1976, D. 1977, IR, 198; TGI Paris, 21.5.1985, D. 1986, IR, 63, obs. Huet-Weiller; TGI Paris, 5.12.1978, D. 1979, IR, 246, obs. Huet-Weiller; Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 243. 9 Vgl. bei einem Anerkenntnis des als nichtehe1ichen Vater in Anspruch genommenen Mannes: § 641c ZPO. \0 MünchKomm/Coester-Waltjen, ZPO, § 640 Rz. 92. 11 MünchKomm/Coester-Waltjen, ZPO, § 640 Rz. 93; SteiniJonas-Schlosser, (IV/1993), § 640 Rz. 44.

A. Verfahrensgarantien im Statusprozeß

191

11. Inquisitionsmaxime oder Beibringungsgrundsatz

Das französische Recht folgt im Prinzip dem Beibringungsgrundsatz: Tatsachen und Beweismittel werden im Prozeß grundsätzlich nur insoweit berücksichtigt, als sie von den Parteien vorgetragen und beigebracht worden sind (Art. 7 Abs. 1 N.C.P.C.). Von Amts wegen zu berücksichtigen sind allerdings gem. Art. 125 N.C.P.C. die VeIjährungsvorschriften und alle weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen, die einen Ordre-public-Charakter haben. Demgegenüber hat nach deutschem Recht 12 der Richter gem. § 640 Abs. 1 i.V.m. § 616 Abs. 1 ZPO in Kindschaftssachen von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln und alle sachdienlichen Erkenntnisquellen zu nutzen, ohne daß er dabei an die (Beweis-)Anträge, (Tatsachen-)Behauptungen und das sonstige Verhalten der Parteien gebunden wäre. \3 Der Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Recht ist aber deshalb nicht so groß, weil auf der einen Seite auch in Frankreich das Gericht von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen, insbesondere Abstammungsgutachten anordnen kann und auf der anderen Seite in Deutschland den Gerichten kein eigener Ermittlungsapparat zur Verfügung steht. Damit können Untersuchungen von Amts wegen i.d.R. nur dann durchgefiihrt werden, wenn die Parteien Anhaltspunkte hierfiir geliefert haben. 14 Eine darüber hinausgehende Aufklärung müßte sich schon aus sonstigen beigezogenen Un-

12 Die RZPO von 1877 kannte für Kindschaftsfragen keine besonderen Vorschriften. Damit galten die allgemeinen Grundsätze, d.h. die Verhandlungsmaxime. Diese wurde schon bald kritisiert (Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, S. 25; v. Lang, AcP 73 (1888),244). Aus diesem Grund sah die im Zusammenhang mit dem Erlaß des BGB reformierte ZPO in § 640 (i.V.m. § 622 Abs. 1 und 2 ZPO a.F.) die Geltung der Inquisitionsmaxime für Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltem-Kind-Verhältnisses vor. Der Gesetzgeber war der Ansicht, daß ein öffentliches Interesse an der Ermittlung der materiellen Wahrheit bestünde (Mot. IV, S. 672 und S. 1002; zust. Seuffert, ZZP 16 (1891), 486; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1927, S. 509; Weismann, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, Bd. 1 1903, S.536; Leonhard, Eideszuschiebung, S. 146 ff.). Dieses Interesse wurde zum einen mit der Vorschrift über die Verfälschung des Personenstandes (§ 169 StGB) begründet, und zum anderen seien auf diese Weise die Bedenken gegen die ergaornnes-Rechtskraft der Urteile in Kindschaftssachen gemildert (Mot. IV, S. 672). \3 SteiniJonas-Leipold, (1X/1993), vor § 128 Rz. 86; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 16911 2 a. 14 SteiniJonas-Leipold, (lX/1993), vor § 128 Rz. 83; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 78 I 5; Wieczorek/Rössler, 2. Aufl., § 616 A I; Schlosser, Bd. 1, S. 117. Die weiteren Möglichkeiten, die Wieczorek/Rössler, 2. Aufl., § 616 A I und SteiniJonas-Schlosser, (lV/l993), § 616 Rz. 2 aufzählen (z.B. privates Wissen des Richters, Mitteilungen Dritter, Kenntnis aus Presseveröffentlichungen), dürften die absolute Ausnahme sein.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

terlagen aufdrängen l5 , wobei hierfiir allenfalls die Akten des Jugendamtes oder die Akten aus einem vorgängigen Prozeß in Frage kommen. 16

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen Strebt eine Rechtsordnung materiellrechtlich nach der Feststellung der biologischen Wahrheit, liegt es nahe, Abstammungsuntersuchungen zwangsweise durchzusetzen, denn nur durch medizinische Gutachten ist letzte Gewißheit über die Herkunft des Kindes möglich. 17 Freilich gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Duldung einer körperlichen Untersuchung zu erzwingen: Zum einen kommt die Anwendung direkten oder indirekten Zwangs in Betracht durch Verhängung von Zwangs geld und Zwangshaft sowie in letzter Konsequenz durch physische Erzwingung der Untersuchung. Zum anderen kann dadurch Druck ausgeübt werden, daß an eine Untersuchungsverweigerung nachteilige prozessuale Folgen geknüpft werden. Medizinische Untersuchungen stellen aber einen Eingriff in die körperliche Integrität und eine Beeinträchtigung der Intimsphäre dar. 18 Das Interesse der Rechtsordnung an der Feststellung der wahren Abstammung des Kindes ist daher in Ausgleich zu bringen mit den Belangen derjenigen Personen, die sich einer solchen Beweisaufnahme unterziehen sollen. 19 Bei der hier erforderlichen Abwägung haben die deutsche und die französische Rechtsordnung unterschiedliche Ausgangspositionen bezogen.

I. Schutz der körperlichen Integrität im französischen Recht

Im Unterschied zum deutschen Recht (§ 372a ZPO) können in Frankreich Blutuntersuchungen weder durch direkten noch indirekten Zwang durchgesetzt

15 RosenberglSchwablGottwald, § 78 I 5; Redekerlv. Oertzen, § 86 Rz. 11; WieczoreklRössler, 2. Aufl., § 616 A I. 16 ZöllerlPhilippi, § 640 Rz. 32; Brüggemann, ZBIJugR 1976,217 ff.; Roth-Stielow, Rz. 264 f.; WieczoreklRössler, 2. Aufl., § 616 A I; Stein/Jonas-Schlosser, (lV/1993), § 640 Rz. 36. 17 OLG Stuttgart, FamRZ 1992,971,972; Frank, FamRZ 1995,975,978; ders., Die zwangsweise körperliche Untersuchung zur Feststellung der Abstammung, FS Agell, 1994, S. 140 f. 18 Schellhammer, Rz.2204; Reichelt, Verfahren, Zulässigkeit und Auswirkungen der DNA-Technologie (Genetischer Fingerabdruck) auf den Anwendungsbereich der Vaterschaftsvermutung im Rahmen des § 1600011, Diss. Göttingen 1991, S. 91 ff. 19 KG, FamRZ 1987,294.

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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werden. Ein solcher Zwang stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität dar, der dem französischen Recht unzumutbar erscheint. 20 Kommt ein Prozeßbeteiligter allerdings der Aufforderung zur Blutuntersuchung nicht nach, kann der Richter daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen. J. Der Untersuchungsumfang in der gerichtlichen Praxis

Wie jede richterliche Untersuchungshandlung kann auch die Blutuntersuchung in Frankreich entweder auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen angeordnet werden (Art. 143, 144 N.C.P.C.). Grundsätzlich steht es im freien Ermessen des Gerichts (pouvoir souverain d'appreciation), eine Abstammungsuntersuchung anzuordnen oder nicht. Entscheidend ist, ob das Gericht bereits zur vollen Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der behaupteten Tatsachen gelangt iSt. 21 Aus manchen Urteilen könnte die Schlußfolgerung gezogen werden, daß dem richterlichen Ermessen zunehmend Schranken gesetzt werden.22 Die Cour de cassation sprach die Verpflichtung aus, von Amts wegen mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln und insbesondere durch Abstammungsuntersuchungen die wahre Abstammung des Kindes zu ermitteln. 23 Dies soll selbst dann gelten, wenn die betreffende Partei keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. 24 Jedoch handelt es sich hier in erster Linie um Fälle, in denen die Beweisaufnahme der Instanzgerichte offensichtlich nachlässig vorgenommen worden war: In einem Fall hatte sich das Gericht im Rahmen einer Ehelichkeitsanfechtung mit der Feststellung begnügt, die Abstammung des Kindes sei nicht zu ermitteln. Zwar habe die Mutter in der gesetzlichen Empfangniszeit eine Affare mit einem anderen Mann gehabt, doch habe sie nach wie vor in der ehelichen Wohnung gelebt. In einem solchen Fall könne das Kind von dem einen oder dem anderen Mann abstammen. Die 20 CA Paris, 24.11.1981, D. 1982,355, note Massip; RTD civ. 1982,203, obs. Perrot; TGI Paris, 13.9.1988, D. 1989, 80mm., 361, obs. Huet-Weiller. 21 Cass., 17.11.1982, D. 1983, IR, 330, obs. Huet-Weiller; RTD civ. 1983,724, obs. Rubellin-Devichi; Cass., 12.2.1985, D. 1986, IR, 65, 1 esp., obs. Huet-Weiller; Cass., 3.3.1992, Bull. civ. I, n. 70; Cass., 14.2.1990, JCP 1990, IV, 140, D. 1990, IR, 66; Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 251. 22 Gridel, D. 1993, Chr., 195. 23 Cass., 24.2.1987, Bull. civ. I, n. 67; D. 1987., 80mm., 313, obs. Huet-Weiller. Vg\. auch Cass., 18.5.1989, D. 1989, 80mm., 362, obs. Huet-Weiller; JCP 1989, IV, 266. Vg\. auch Cass., 10.5.1995, RTD civ. 1995,871, obs. Hauser, D. 1996, 80mm., 149, obs. Granet-Lambrechts. 24 Cass., 30.6.1987, Gaz. Pa\. 1988, I, 111, note Massip. 13 Helms

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wagung.

4. Kapitel: Prozessuale Realisierung eines Abstarnmungsgutachtens zog das Gericht hier nicht einmal in Er-

Angesichts dieses Prozeßverlaufs war es verständlich, daß die Cour de cassation die Entscheidung aufhob und darauf hinwies, daß von Amts wegen Abstammungsuntersuchungen eingeholt werden können. Demgegenüber gibt es eine Reihe von neueren Urteilen, in denen recht deutlich der fakultative Charakter der Blutuntersuchungen hervorgehoben wird26 : In einem Ehelichkeitsanfechtungsverfahren, das der Ehemann betrieb, war eine Blutuntersuchung beantragt worden. Das Gericht lehnte eine entsprechende Anordnung ab, obwohl beide Elternteile bereit waren, sich untersuchen zu lassen. Als Begründung führte das Gericht an, der Vater habe kein (sonstiges) Beweisstück beibringen können und das Gericht sei nicht generell verpflichtet, eine Abstarnmungsuntersuchung anzuordnen. 27

Darüber hinaus gibt es im französischen Recht Fälle, in denen die Gerichte traditionell geneigt sind, auf Blutuntersuchungen zu verzichten: Die Durchführung einer Vaterschaftsfeststellung war bis 1993 nur dann zulässig, wenn vor Durchführung einer Abstammungsuntersuchung ein sog. cas d' ouverture (Art. 340 C.C. a.F.) nachgewiesen wurde. Einer der häufigsten cas d'ouverture war das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft während der Empfangniszeit zwischen Mutter und angeblichem Erzeuger. War diese Klagevoraussetzung nachgewiesen, so begnügten sich die Richter manchmal hiermit, um die Abstammung vom Beklagten als bewiesen anzusehen, wenn dieser keine Blutuntersuchung beantragte. 28 Vergleichbar ist die Situation bei der Ehelichkeitsanfechtung gern. Art. 322 Abs. 2 C.C. e contrario, die den Nachweis voraussetzt, daß zwischen Kind und Muttergatten kein Personenstandsbesitz mehr besteht. Hier ist in der Rechtsprechung umstritten, ob der Klage bereits aufgrund des fehlenden Personenstandsbesitzes stattgegeben werden kann oder

25 Cass., 24.2.1987, Bull. civ. I, n. 67; D. 1987., Somm., 313, obs. Huet-Weiller; vg!. auch Cass., 30.6.1987, Gaz. Pa!. 1988, 1, 111, note Massip. 26 Cass., 17.12.1991, D. 1993,29, note Massip; Cass., 24.3.1993, D. 1993, Somm., 323, obs. Granet-Lambrechts; D. 1994, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts; vg!. ähnlich auch Cass., 3.3.1992, Bull. civ. I, n. 70; Cass., 30.6.1987, Gaz. Pa!. 1988, 1, 111, obs. Massip; Cass., 12.2.1985, D. 1986, IR, 65, 1 esp., obs. Huet-Weiller; Cass., 12.2.1985, Gaz. Pa!. 1985,2,719, note Massip. 27 Cass., 17.12.1991, D. 1993,29, note Massip; vg!. auch Cass., 30.6.1987, Gaz. Pa!. 1988, 1, 111, obs. Massip; Cass., 12.2.1985, D. 1986, IR, 65, 1 esp., obs. HuetWeiller. 28 Cass., 3.3.1992, Bull. civ. I, n. 70; Cass., 2.3.1982, BuH. civ. I, n. 95; so sogar auch noch Cass., 24.3.1993, D. 1993, Somm., 323, obs. Granet-Lambrechts; D. 1994, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts.

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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ob in einem zweiten Schritt auch noch die Nicht-Abstammung bewiesen werden muß. 29 Unabhängig von einzelnen Konstellationen und Ausnahrnesituationen läßt sich fiir die französische Gerichtspraxis feststellen, daß die Gerichte mit der Anordnung von Blutuntersuchungen insgesamt erheblich zurückhaltender sind als in Deutschland. Dies gilt vor allem dann, wenn bereits eine Blutuntersuchung durchgefiihrt wurde und möglicherweise durch eine 2. Untersuchung eine noch größere Gewißheit erzielt werden soll. In einem Verfahren vor der Cour de cassation hatte eine traditionelle Blutgruppenuntersuchung eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,999 % ergeben. Die Cour de cassation lehnte den Antrag auf Einholung einer DNA-Analyse ab. 30

Das Gericht fiihrte zur Begründung an, daß genetische Abstammungsuntersuchungen unter den gegebenen Umständen nicht geeignet seien, die bereits erzielten Untersuchungsergebnisse in Frage zu stellen. Eine weitere Blutuntersuchung würde nach Ansicht der französischen Rechtsprechung und Lehre eine unnütze Wiederholung der bereits durchgefiihrten Untersuchungsrnaßnahrnen darstellen. 31 Die Cour de cassation lehnte weitere (genetische) Untersuchungen in einem Verfahren auf Vaterschaftsfeststellung ab, in dem die Vaterschaftswahrscheinlichkeit aufgrund einer ersten Untersuchung 99,98 % betrug und der Beklagte weitere Untersuchungen verlangte, indem er nachwies, daß er schon seit über 10 Jahren in urologischer Behandlung war und seine Fruchtbarkeit nur 26 % betrug. 32 Zwar greifen auch die französischen Richter routinemäßig auf Abstammungsuntersuchungen als "la reine des preuves" zurück33 , angestrebt werden 29 Vgl. einerseits (nur Nachweis des fehlenden Personenstandsbesitzes) HuetWeilter, obs. crit. sous CA Paris, 8.12.1978, D. 1979, IR, 243; CA Paris, 29.3.1984 und TGI Colmar, 21.1.1985, D. 1986, IR, 57, obs. Huet-Weilter; CA Dijon, 25.10.1995, RTD civ. 1996, 590, obs. crit. Hauser. Vgl. andererseits CA Paris, 17.12.1982, D. 1983, 377, obs. Raynaud; CA Versailles, 16.2.1982, D. 1983, IR, 325, obs. Huet-Weiller. 30 Cass., 12.1.1994, JCP 1994, IV, 665; D. 1994, 449, note Massip; D. 1994, Somm.,113, obs. Granet-Lambrechts. Vgl. auch Cass., 7.6.1995, D. 1996, Somm., 156, obs. Granet-Lambrechts. 31 CA Limoges, 24.2.1994, J.-Cl. civ., Art. 340 a 340-7, Mise ajour, n. 31 f. (bei 99,96 % Vaterschaftswahrscheinlichkeit keine genetische Untersuchung mehr); vgl. auch Cass., 17.11.1982, D. 1983, IR, 330, obs. Huet-Weilter. Massip, note sous Cass., 19.12.1991, 17.12.1991, 18.2.1992, 17.3.1992, D. 1993, 33; Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Mise a jour, Filiation, n. 249. Gegenbeispiel: Cass., 28.4.1986, D. 1986,484, obs. Massip. Vgl. auch Labrusse-Riou, Enc. Dalloz, Filiation, n. 148; Massip, note sous Cass., 12.1.1994, D. 1994,450. 32 Cass., 17.3.1992, D. 1993,30, note Massip. Vgl. auch die Zurückhaltung in der Entscheidung Cass., 11.2.1997, D. 1997,502, note Massip. 33 Rubellin-Devichi (Hrsg.), Droit de la familie, 1996, n. 1523.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

dabei Vaterschaftswahrscheinlichkeiten zwischen 99,7 % und 99,99 %34, allerdings hat sich gezeigt, daß die französische Praxis Abstammungsuntersuchungen mit mehr Flexibilität und Pragmatismus handhabt als die deutsche.

2. Beweiswürdigung bei Untersuchungsverweigerung Wird eine Abstammungsuntersuchung angeordnet, ist die Durchsetzung mittels Zwangsgeld oder Zwangshaft (astreinte) in Frankreich ausgeschlossen. 35 Die Cour d'appel de Paris begründete diesen Grundsatz folgendermaßen: "Der fundamentale Grundsatz der Unantastbarkeit des menschlichen Körpers verbietet es, daß ein Richter zu einem Zwangsmittel greift, und sei es nur finanzieller Art, um jemanden zu zwingen, einen direkten, auch noch so leichten Eingriff in seinen Körper hinzunehmen. ,,36 Hierin kommt die "tiefverwurzelte Abneigung der Franzosen gegen Eingriffe in die körperliche Integrität" zum Ausdruck. 37 Trotz vereinzelter Vorstöße der Literatur, die Erzwingung einer Blutuntersuchung zu ermöglichen38, hat die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung an diesem Grundsatz festgehalten. 39 Weigert sich eine Partei, Blutuntersuchungen vornehmen zu lassen, kann gern. Art. 11 Abs. 1 N.C.P.C. der Richter hieraus allerdings die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen. 4o Einzelne Stimmen sehen selbst in diesem indirekten Zwang "eine schockierende Lösung aus der Sicht des Rechts auf UnantastCA Paris, 31.1.1990, D. 1990, IR, 59. TGI Paris, 13.9.1988, D. 1989, Sonun., 362, obs. Huet-Weiller. Dies entsprach seit langem der ständigen Rechtsprechung und der h.L. (vgl. nur Carbonnier, note sous Cass., 25.7.1949, D. 1949, 585; Savatier, note sous Cass., 17.6.1953, JCP 1953, 11, 7822). 36 CA Paris, D. 1982,355, note Massip: "Le principe fondamental de l'inviolabilite du corps humain s'oppose a ce que le juge civil recoure a une mesure de coercition, meme d' ordre pecuniaire, afin de contraindre un individu a subir une atteinte directe, mt-elle legere, ason corps." 37 Boehmer, Welche Anforderungen sind an eine Reform des Rechts des unehelichen Kindes zu stellen?, Gutachten zum 44. Deutschen Juristentag, Hannover 1962, S. A 62. Constantinesco, AcP 159 (1960), 326 spricht davon, daß der menschliche Körper in gewisser Hinsicht sozusagen "geheiligt" ist. 38 Holleaux, note sous Cass., 13.1.1959, D. 1959,45. 39 Vgl. schon CA Montpellier, 15.12.1948, lC.P., 11, 4875; Savatier, D. 1948, Chr., 33; demgegenüber wollte Carbonnier, note sous TGI LilIe, 18.3.1947, D. 1947, 510 sogar die Anordnung einer Blutuntersuchung untersagen, wenn die zu untersuchende Person damit nicht einverstanden war. Sowohl Savatier als auch Carbonnier begründen ihre Auffassung mit der liberalen Einstellung des französischen Prozeßrechts und stellen dem die deutsche Haltung nach 1933 gegenüber. 40 Vgl. statt aller nur aus der jüngsten Rechtsprechung Cass., 6.3.1996, RTD civ. 1996,373, obs. Hauser. 34 35

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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barkeit des menschlichen Körpers (was wird aus einem Freiheitsrecht, wenn seine Ausübung mit derartig gravierenden Konsequenzen verbunden ist?)."41 Demgegenüber meint Hauser: "Wir dürfen wohl einfach feststellen, daß der moralische Zwang dem körperlichen gegenüber bevorzugt wird, daß es sich aber auch hier um Zwang handelt.,,42 Grundsätzlich führt die Weigerung, eine Blutuntersuchung vornehmen zu lassen, für sich genommen noch nicht zum Prozeßverlust. Es sind in jedem Fall die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. 43 Zwar geht die Untersuchungsverweigerung in der Rechtsprechung in der überwiegenden Anzahl der Fälle zu Lasten der sich weigernden Partei, doch die Gerichte bemühen sich fast immer, ihre Entscheidung auch mit zusätzlichen Erwägungen zu begründen44 : Sei es, daß man sich bei einer erfolgreichen Vaterschaftsfeststellungsklage zusätzlich darauf stützt, daß die Mutter und der mutmaßliche Vater eine Beziehung miteinander gehabt haben45 , sei es, daß man die Abweisung der Klage auch damit begründet, daß die Mutter bereits schwanger war, als sie den angeblichen Erzeuger kennenlernte 46 . Demgegenüber gibt es allerdings einige wenige Entscheidungen, in denen die Weigerung einer Partei nicht zu ihren Lasten ging: Eine Mutter hatte mit ihrer Klage auf Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses keinen Erfolg, obwohl es der Beklagte war, der sich weigerte, eine Abstarnrnungs-

41 Cadou, La "biologisation" du droit de la filiation, in: Labrusse-Riou (Hrsg.), Le droit saisi par la biologie, 1996, S.23: "solution ... choquante du point de vue de I'inviolabilite des personnes (que devient une liberte si a son exercise est attacbee une consequence aussi grave?)". Vgl. auch Lemouland, note sous Cass., 6.3.1996, D. 1996, 533. 42 Hauser, RTD civ. 1996,374: "On observera simplement qu'a la contrainte physique on pn:fere la contrainte morale mais que, quand meme, contrainte il y'a". 43 CA Pau, 13.3.1979, JCP 1981, IV, 229; NersonlRubellin-Devichi, RTD civ. 1982, 595: "La valeur de pn:somption qui peut resulter d'un refus mainifeste a l'encontre d'une eventuelle expertise biologique ... doit etre appreciee en la replalYant dans I'ensemble des circonstances de la cause." Cass., 2.4.1968, D. 1968, 705, note Rouast; TGI Strasbourg, 27.5.1983, D. 1986, I.R., 65, 3 esp., obs. Huet-Weiller; Lemouland, note sous Cass., 6.3.1996, D. 1996,532 f.; Granet-Lambrechts, note sous CA Paris, 21.6.1994 und CA Poitiers, 23.6.1993, D. 1995, Somm., 120. 44 CA Paris, 21.6.1994, D. 1995, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts; CA Po itiers, 23.6.1993, D. 1995, Somm., 119, obs. Granet-Lambrechts; Cass., 5.5.1993, D. 1993, Somm., 330, obs. Granet-Lambrechts; Cass., 25.6.1991, Bull. civ. I, n. 208; TGI Paris, 22.4.1986, D. 1987, Somm., 315, obs. Huet-Weiller; Cass., 5.5.1982, D. 1982, IR, 389; Cass., 5.2.1991, D. 1991,456, note Massip; RTD civ. 1991,509, obs. Huet-Weiller, D. 1992, Somm., 176, obs. Granet-Lambrechts. 45 Cass., 6.3.1996, RTD civ. 1996,373, obs. Hauser; D. 1996,529, obs. crit. Lemouland; CA Paris, 9.6.1994, J.-Cl. civ., Art. 340 U40-7, mise ajour, n. 31 f. 46 CA Paris, 13.3.1992, D. 1993, Somm., 43, obs. Granet-Lambrechts.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

untersuchung durchführen zu lassen. Die bei den hatten sich 1977 scheiden lassen, dann aber 1978 ihre Beziehung wieder aufgenommen. Zwei Jahre nachdem das Kind geboren worden war, trennten sie sich im Jahre 1983 wieder. Nachdem die Mutter 1985 einen anderen Mann geheiratet hatte, erhob sie im Jahre 1988 Vaterschaftsanfechtungsklage. Sie machte geltend, das Kind stamme von einem holländischen Touristen, den sie während einer Kreuzfahrt kennenge\emt habe.

Die Cour de cassation meinte, die Weigerung des Mannes sei verständlich und berechtigt, weil die Frau über Jahre hinweg niemals Zweifel an der Richtigkeit des Anerkenntnisses geäußert habe. 47 Manchmal ist es auch schwer zu entscheiden, zu wessen Lasten die Weigerung - vor allem der Mutter - eigentlich gehen soll: Ein Vater focht sein Vaterschaftsanerkenntnis nach 29 Jahren an. Die Mutter war zur Duldung von Abstammungsuntersuchungen nicht bereit, wohl aber das Kind. Doch eine Abstammungsuntersuchung ist nur dann möglich, wenn sowohl Vater, als auch Mutter und Kind untersucht werden können.

Das Gericht wies die Klage ab, weil nicht ersichtlich sei, warum im konkreten Fall das Verhalten der Mutter zu Lasten des Kindes gehen sollte. 48

11. Wahrheitsermittlung im deutschen Recht Während das französische Recht nicht in jedem Fall und um jeden Preis die prozessualen Mittel bereitstellt, um die Aufdeckung der biologischen Abstammung zu erzwingen, strebt das deutsche Recht prozessual nach endgültiger Gewißheit. In Deutschland wird die Erzwingbarkeit körperlicher Untersuchungen durch Einsatz unmittelbaren Zwangs (§ 372a ZPO) rechtspolitisch von niemandem in Frage gestellt. Zugunsten dieser Regelung wird der Zusammenhang mit der Inquisitionsmaxime angefiihrt49 : Wenn eine Rechtsordnung ein öffentliches Interesse an Kindschaftssachen bejaht und deshalb die Sammlung des Prozeßstoffes nicht allein den Parteien überlassen will, ist es nur konsequent, bei Beweiserhebungen den Parteien bzw. dem Richter die Mittel in die Hand zu geben, die erforderlich sind, um den wahren Sachverhalt ermitteln zu können.

47 Cass., 13.1.1993, JCP 1993, IV, 649; JCP 1994, I, 3729, n. 15, obs. Rubel/in-Devichi; D. 1993, Somm., 330, obs. Granet-Lambrechts; RTD civ. 1993,81, obs. Hauser. Vgl. auch Cass., 2.4.1968, D. 1968, 705, note Rouast. 48 TGI Strasbourg, 27.5.1983, D. 1986, IR, 65, obs. Huet-Weiller. 49 Frank, FamRZ 1995,975,977; Bosch, Südd.JZ 1947,314,315; Fasching, ÖJZ 1981,169.

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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Diese Selbstverständlichkeit wird durch einen Vergleich mit Österreich in Frage gestellt, wo die Untersuchungspflicht durch die fiir "Großdeutschland" eingefUhrte Regelung des Art. 4 § 7 Abs.2 S. 1 FamRAnglV aus dem Jahre 1943 unverändert fortgilt. Bei gleichem Wortlaut wie § 372a ZPO nimmt die neuere Rechtsprechung und die herrschende Lehre in Österreich an, daß lediglich die zwangs~eise Vorführung, nicht aber die zwangsweise Blutentnahrne von dieser Vorschrift gedeckt sei. 50 Zur Begründung wird u.a. angefUhrt, daß eine andere Auslegung unverhältnismäßig sei, da andere Mittel (Zwangsgeld und Zwangshaft) nahezu den gleichen Erfolg erzielen würden. 51 1. Der Untersuchungsumfang in der gerichtlichen Praxis

§ 372a ZPO fmdet in allen Fällen Anwendung, in denen körperliche Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung "erforderlich" sind. DurchgefUhrt werden kann eine Untersuchung (Blutgruppenuntersuchung oder DNAAnalyse) bei ,jeder Person". Soweit diese sich unberechtigt weigert, können gern. § 372a Abs. 2 ZPO i.V.m. § 390 Abs. 1 ZPO Ordnungsgeld und Ordnungshaft angeordnet werden und in letzter Konsequenz die Untersuchung notfalls mit Hilfe der Polizei - physisch erzwungen werden (§ 372a Abs.2 ZPO).52 Hat das Gericht bei der Vaterschaftsfeststellung alle zur Verfiigung stehenden medizinischen Untersuchungsmöglichkeiten ausgeschöpft, dann gilt nach h.M. die Vaterschaft als erwiesen, wenn eine Abstammungswahrscheinlichkeit von mindestens 99,73 % ermittelt werden konnte. 53 Allerdings wird dieser Wert heute in dem meisten Fällen schon routinemäßig überschrit50 LGZ Wien, 12.12.1990, EFSlg 64.190; LGZ Wien, 12.4.1988, EFSlg 57.863; Fasching, ÖJZ 1981, 169, 171; ders., Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. 1990, Rz. 995; Simotta, ZZP 103 (1993), 510. Anders die ältere Rspr.: OLG Wien, 10.1.1978, EFSlg 32.124; LGZ Wien, 11.1.1984, EFSlg 46.715; LGZ Wien, 27.2.1986, EFSlg 52.268. 51 Simotta, ZZP 103 (1993), 510; vgl. auch Zeizinger, ÖJZ 1969,378,383. 52 Anwendungsfall des unmittelbaren Zwanges: LG Regensburg, DGVZ 1980, 171. Falsch ist die Ansicht von MünchKommiDamrau, ZPO, § 372a Rz. 30, daß die Partei, die die Untersuchung beantragt hat und später die Durchführung der Untersuchung verweigert, nicht zur Duldung der Untersuchung gezwungen werden dürfe, sondern nach allgemeinen Grundsätzen beweisfallig bleibe. Dies ist auch ein ganz klarer Anwendungsfall des § 372a ZPO. 53 BGH, NJW 1974, 1428; OLG München, DAVorrn 1979, 756, 758; OLG Koblenz, FarnRZ 1983,759,760; KG, DAVorrn 1984, 503; OLG Hamm, DAVorrn 1984, 727,730; OLG Hamburg, DAVorrn 1985, 147, 149; OLG Hamm, FamRZ 1994,648, 649; SteiniJonas-Schlosser, (IV/1993), § 644 Anhang I Rz. 18; MünchKommlMutschler, § 16600 Rz.7a und 7b; Hummel, NJW 1981, 605, 608; ders., DAVorrn 1986, 785; HummellMutschler, NJW 1991,2929,2931; Mammey, FarnRZ 1984,332.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

ten. 54 Damit ist der Grad an Gewißheit, den die deutschen Gerichte mit Hilfe des § 372a ZPO zu erlangen streben, außerordentlich hoch. Anders gestaltet sich die Rechtslage, wenn der Richter noch weitere Untersuchungsmöglichkeiten besitzt. Die Inquisitionsmaxime verpflichtet das Gericht, alle zur Verfiigung stehenden, eine weitere Aufklärung versprechenden Beweise zu erheben, bis es die volle Überzeugung von der Abstammung gewonnen hat. 55 Angesichts der fast unbegrenzbaren Fortfiihrbarkeit der Abstammungsbegutachtung56 und der Möglichkeit, immer weitere (angebliche) Mehrverkehrszeugen in die Untersuchung einzubeziehen, kann das aber nicht bedeuten, daß von Amts wegen alle überhaupt nur forensisch verwertbaren Untersuchungen durchzufUhren und alle überhaupt nur denkbaren Personen in die Untersuchung einzubeziehen wären. Ein solcher Aufwand, der zu einer generellen Verzögerung des Verfahrens fUhren und mutwillig in die Intimsphäre Unbeteiligter eingreifen würde, wäre nicht gerechtfertigt, da meist schon ein Teil der medizinisch anerkannten Untersuchungen ausreicht, um hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeiten zu erzielen. Dementsprechend kann das Gericht auch dann die volle Überzeugung von den Abstammungsverhältnissen gewinnen, wenn theoretisch noch weiter ermittelt werden könnte: Bei der Vaterschaftsfeststellung wird bei hohen Wahrscheinlichkeitswerten die weitere Untersuchung des Beklagten eingestellt. Die Praxis bewegt sich allerdings auf Werte über 99,9 % ZU. 57 Diese hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Erfiillung der Amtsermittlungspflicht stellt, sind grundsätzlich sachgerecht, um zu gesicherten Ergebnissen zu gelangen. Der Drang nach letzter Gewißheit wird von den Gerichten aber auf die Spitze getrieben, wenn der Beklagte die Einholung immer neuer Gutachten bezüglich seiner eigenen Person beantragt: In einem Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft war für den Beklagten nach mehreren medizinischen Untersuchungen eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 54 Bei Ausschöpfung allein aller forensisch verwertbaren Blutgruppensysteme ergibt sich eine Ausschlußwahrscheinlichkeit für Nichtväter von 99,9 % (Ritter, FamRZ 1991,646,647; vgl. auch MünchKommiMutschler, § 16000 Rz. 1 m.w.N.). 55 BGH, NJW 1994, 1348, 1349; BGH, NJW 1991, 2961, 2962; BGH, FamRZ 1990,615; BGH, FamRZ 1989, 1067, 1069; BGH, FamRZ 1988, 1037, 1038; BGH, FamRZ 1987,583,584. 56 Humme//Mutschler, NJW 1991,2929,2930. 57 Die Gerichte haben bei folgenden Vaterschaftswahrscheinlichkeiten auf weitere amtswegige Untersuchungen verzichtet: OLG Oldenburg, FamRZ 1979, 969, 970 (99,5 %); OLG Zweibrücken, DAVorm 1981,465,467 (99,97 %); KG, DAVorm 1984, 503,505 (99,73 %); BGH, NJW 1991,2961,2962 f (99,9996 %); OLG Hamm, FamRZ 1992, 455 (99,93 %); KG, DAVorm 1991, 763, 768 (99,99 %); AG Westerstede, FamRZ 1994, 650 (99,89 %); MünchKommiCoester-Waltjen, ZPO, § 640 Rz.89 (99,85 %).

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99,9996 % errechnet worden. Der Beklagte beantragte in der Berufungsinstanz die zusätzliche Einholung einer DNA-Analyse. Das OLG lehnte den Antrag ab, weil es die Vaterschaft des Beklagten durch die bisherige Beweisaufnahme für erwiesen hielt.

Der BGH hob die Entscheidung auf: Zwar sei das Berufungsgericht nicht verpflichtet gewesen, von sich aus den Sachverhalt weiter aufzuklären, doch dürfe ein fönnlicher Beweisantrag im Zivilprozeß stets nur unter den Voraussetzungen des § 244 StPO analog zurückgewiesen werden. 58 Hiernach kann das Gericht einen Antrag nur dann ablehnen, wenn es die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt oder wenn das angebotene Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, Beweis für die behauptete Tatsache zu erbringen. Da aber noch eine geringe Chance bestehe, mit Hilfe der DNAAnalyse den Beklagten als Vater auszuschließen, hätte das angebotene Beweismittel nicht als "völlig ungeeignet" angesehen werden dürfen. Diese Auffassung entspricht der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur. 59 Allerdings könne - so der BGH - in einem solchen Fall die Einholung eines Gutachtens nach §§ 379, 412 ZPO von der Einzahlung eines Auslagenvorschusses abhängig gemacht werden. 60 Es ist allerdings unverständlich, warum ein Gericht selbst dann, wenn es von Amts wegen zu keiner Beweisaufnahme verpflichtet ist, durch einen Beweisantrag der Parteien zu einer weiteren Untersuchung gezwungen sein S0l1. 61 Mit dem Anliegen, Gewißheit über die genetische Abstammung zu erzielen, läßt sich eine solche Rechtsprechung nicht mehr rechtfertigen. Es ist nieman-

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FamRZ 1991,426,428.

Bei folgenden Vaterschaftswahrscheinlichkeiten wurde ein Antrag auf weitere Begutachtung des Beklagten stattgegeben: BGH, FamRZ 1987, 583, 584 (99,99 %); OLG Hamm, DAVorm 1991,947 (99,994 %). In BGH, FamRZ 75, 682 hatte der BGH noch anders entschieden und bei 98,5 % - 99 % einen solchen Antrag zurückgewiesen. Bei folgenden Vaterschaftswahrscheinlichkeiten wurde Antrag auf Begutachtung weiterer angeblicher Mehrverkehrszeugen stattgegeben: BGH, FamRZ 1990, 615, 616 (99,94 % - 99,95 % zugestandener Mehrverkehrszeuge); BGH, FamRZ 1988, 1037, 1038 (99,9996 %); OLG Hamburg, DAVorm 1985, 325, 327f. (99,89 %); OLG Hamburg, DAVorm 1986, 81 (99,98 %). Grundlegend: Schlosser, FamRZ 1976,6 ff.; Zöller/Phi/ippi, § 640 Rz. 37. 60 BGH, FamRZ 1991,426,428. Nur wenn die Voraussetzungen für eine Beweiserhebung von Amts wegen nicht vorliegen, kann ein Auslagenvorschuß verlangt werden (OLG Hamm, DAVorm 1992,220; OLG Hamm, DAVorm 1991,947; OLG Hamburg, DAVorm 1991,678; OLG Hamburg, FamRZ 1986, 195; OLG Hamm, DAVorm 1985, 149; Zöller/Phi/ippi, § 640 Rz. 37; MünchKommiCoester-Waltjen, ZPO, § 640 Rz. 86). In solchen Fällen hat jedoch der Beweisantrag fast nie "hinreichend Aussicht auf Erfolg", so daß in entsprechender Anwendung von § 114 ZPO sich die gewährte Prozeßkostenhilfe auf ihn nicht erstreckt. 61 Hummel/Mutschler, NJW 1991, 2929, 2931 m.w.N. in Fn. 14; RGRKlBöckermann, § 16000 Rz. 24. 59

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

dem damit gedient, wenn man anstelle einer Aufklärung von 99,9 % eine Gewißheit von 99,9999 % erlangt. Die h.M. erliegt hier der Versuchung, das technisch Mögliche auch juristisch durchsetzen zu wollen. Demgegenüber wies das KG Berlin bei einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99 % einen Antrag auf Durchführung weiterer Untersuchungen zurück. 62 Zur Begründung stützte sich das Gericht ebenso wie der BGH gern. § 244 Abs. 3 StPo analog darauf, daß eine weitere Beweisaufnahme "ungeeignet" sei, Beweis für die behauptete Tatsache zu erbringen. Allerdings nahmen die Richter - im Unterschied zum BGH - an, daß unter den konkreten Umständen eine weitere Untersuchung ungeeignet sei, Beweis für die behauptete Tatsache zu erbringen, da in dem vorliegenden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Beklagte als Vater festgestellt und damit eine weitere Untersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überflüssig sei. 63 Eine solche Auslegung des § 244 Abs. 3 StPO, durch die unnötige Kosten64 und eine überlange Prozeßdauer vermieden werden65 , dürfte wesentlich praxisgerechter sein, ohne daß schutzWÜfdige Interessen verletzt werden. 66 Der BGH sieht ein solches Vorgehen als eine unzulässige vorweggenommene BeweisWÜfdigung an, weil bereits vor der Beweiserhebung vom Mißlingen der Beweisführung ausgegangen werde. 67 Das Verbot der vorweggenommenen BeweisWÜfdigung beruht jedoch auf dem Gedanken, daß sich das Ergebnis einer Beweisaufnahme niemals sicher voraussagen läßt und daß eine

62 Damit setzte das Gericht seine bisherige Rechtsprechung fort, daß bei einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,73 % keine weiteren Ennittlungen mehr anzustellen seien: KG, DAVorm 1988,620; KG, DAVorm 1988, 280; KG, DAVorm 1985,412, 413; KG, DAVorm 1984, 503, 505; OLG Hamm, FamRZ 1993,472,473; vgl. auch OLG Zweibrücken, DAVorm 1981,465, 467f. und OLG München, DAVorm 1984, 314,315; krit. zur Rspr. des BGH: PalandtlDiederichsen, § 16000 Rz. 14. 63 DAVorm 1991,763,768. 64 DNA-Gutachten nach KG, DAVorm 1991,763,768: 7.000,- DM; weitere Angaben zu Kosten von Blutgruppengutachten bei Ernst, S.46 in Fn. 211. In Frankreich kostet ein DNA-Gutachten pro Person 2.000 FF (800 bis 900 FF für Blutgruppengutachten), bei drei Personen ist die Untersuchung in Frankreich damit immer noch erheblich billiger als in Deutschland (Creissen, RIDC 1995, 766). 65 Vgl. auch MünchKommiMutschler, §§ 1591,1592 Rz. 41. 66 HummellMutschler, NJW 1991, 2929, 2932; MünchKommiMutschler, §§ 1591, 1592 Rz.42 m.w.N. Wenn SteiniJonas-Schlosser, (IV/I 993), § 644 Anhang I Rz. 18 betont, daß es "sich auch tatsächlich einmal ereignet (hat), daß für zwei in die Untersuchung einbezogene Mehrverkehrer Vaterschaftswahrscheinlichkeiten von mehr als 99, 73 % errechnet wurden", (vgl. BGH, FamRZ 1990,615,616) dann dürfte das angesichts der Tausenden jährlich vorzunehmenden Blutuntersuchungen zu vernachlässigen sein. Vgl. auch OLG Hamm, FamRZ 1992,455. 67 BGH, FamRZ 1988, 1037, 1038; BGH, FamRZ 1990,615,616; ZöllerlPhilippi, § 640 Rz. 46; vgl. zu diesem Grundsatz auch BVerfD, NJW 1993,254,255.

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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bereits als gesichert erscheinende Überzeugung stets noch umgestoßen werden kann. 68 Der Grundsatz schützt also die Parteien vor den Unzulänglichkeiten menschlichen Erkenntnisvermögens und vor der Gefahr einer Voreingenommenheit des Richters. Diese Überlegungen treffen beim Statusprozeß dann nicht mehr zu, wenn der Richter seiner Amtsermittlungspflicht voll nachgekommen und ein Sachverständiger zu naturwissenschaftlich belegten, sehr hohen Vaterschaftswahrscheinlichkeiten gelangt ist. Auch bei amtswegiger Ermittlung muß sich das Gericht die Frage stellen, ob eine weitere mögliche Beweiserhebung noch geboten ist. 69 Letzten Endes zeigt sich, daß auch der BGH in Grenzfällen nicht ohne eine "vorweggenommene Beweiswürdigung" auskommt. Am 12.1.1994 hatte er folgenden Fall zu entscheiden: Aufgrund eines ersten Gutachtens war ftir den Beklagten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,95 % errechnet worden. Dem Antrag auf ein weiteres Gutachten wurde stattgegeben, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit auf 99,999999 % erhöhte. Doch auch damit gab sich der Beklagte nicht zufrieden. Eine dritte Untersuchung ftihrte zu einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99999999999 %. Der BGH hatte nunmehr zu entscheiden, ob das Gericht den anschließenden Antrag des Beklagten auf Einholung eines vierten Gutachtens ablehnen durfte.

Der BGH hielt zunächst verbal an seiner ständigen Rechtsprechung fest: Ein Beweisantrag dürfe nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Beweisaufnahme nach Auffassung des Gerichts höchstwahrscheinlich erfolglos bleiben werde oder weil das Gericht bereits vom Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache überzeugt sei. Beides laufe auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Allerdings dürfe ein Gericht einen Beweisantrag dann zurückweisen, wenn das Beweismittel "völlig ungeeignet" sei. Bei der Subsumtion begründete der BGH dann aber die völlige Ungeeignetheit des Beweismittels damit, daß von diesem keine weitere Aufklärung zu erwarten sei. 7o Genau diese Überlegung hatte der BGH aber vorher für unzulässig erklärt. Dies zeigt, daß der BGH seinen eigenen Ansatz nicht durchhalten kann71 , denn eine weitere DNA-Analyse hätte theoretisch die Vaterschaft des Beklagten noch ausschließen können. 72

68 BGHZ 53, 245, 259; Schneider, MDR 1969, 268; Löwe-Rosenberg, § 244 Rz. 183; Engels, GA 1981,21,25 f.; AlsberglNüselMeyer, 5. Aufl., S. 412. 69 HummellMutschler, NJW 1991,2929,2932. 70 BGH, NJW 1994, 1348, 1350. 71 ZöllerlPhilippi, § 640 Rz. 40 a.E. mutmaßt demgemäß, ob der BGH hiermit seine bisherige Auffassung aufgegeben hat. 72 Vgl. die Ausftihrungen von HummellMutschler, NJW 1991,2929,2930 f.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

Es bleibt festzuhalten, daß durch einen Antrag einer Partei die Beweiserhebungspflicht nicht gegenüber den amtswegigen Ermittlungspflichten erweitert werden kann. Dies wäre eine Überdehnung der gerichtlichen Untersuchungspflicht, die dogmatisch unbegründet ist und fiir die praktisch kein Bedürfnis besteht. Dies entspricht auch der französischen Rechtsprechung. Zu einer Entscheidung der Cour de cassation, bei der ein erstes Gutachten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,999 % erbracht hatte und ein zweites Gutachten beantragt worden war, meint Massip: ,,Aber hierbei handelt es sich um eine zu theoretische Sicht der Dinge, und es gibt einen Punkt, an dem man haltmachen muß, wenn man sich nicht in immer spitzfindigere und kostpieligere Untersuchungen stürzen will und wenn man die Lösung der Prozesse nicht ewig verzögern will. Es erscheint uns vernünftig, eine neue Abstammungsuntersuchung nicht fiir unabdingbar anzusehen, wenn die Ergebnisse, die sie erzielen kann, ungefähr gleichwertig mit denen sind, die die vorhergehende Untersuchung erbracht hat.,,73 Diese pragmatische Haltung spiegelt sich auch wie bereits dargestellt - in der Rechtsprechung der Cour de cassation wieder. Bei hohen Vaterschaftswahrscheinlichkeiten steht es im weitgehend freien Ermessen der Richter, ob weitere Untersuchungen anzuordnen sind. 2. Grenzen der Wahrheitserforschung Unabhängig von dem im vorangehenden Kapitel erörterten Problem, welche Vaterschaftswahrscheinlichkeiten deutsche Gerichte anstreben sollten, stellt sich die Frage, ob nicht unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen dem Aufklärungsstreben generell Einhalt zu gebieten ist. a) Unzumutbarkeit i.S.v. § 372a ZPO Gern. § 372a ZPO kann die zu untersuchende Person die Untersuchung verweigern, wenn die Maßnahme ,,nach den Folgen ihres Ergebnisses für ihn oder einen der im § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO bezeichneten Angehörigen (nicht) ... zugemutet werden kann." Das OLG Nümberg bezeichnete diese Vorschrift im Jahre 1953 als "eine glückliche Synthese zwischen dem Interesse der Rechtspflege und des Staates an der Erforschung der objektiven Wahrheit und dem

73 Note sous Cass., 12.1.1994, D. 1994,450: "Mais, il s'agit la d'une vue trop theorique des choses, et il est un point Oll il faut s'arreter sous peine de se lancer dans des recherehes toujours plus sophistiquees et onereuses, sous peine encore de retarder a I'infini la solution des proces. Il nous semble raisonnable de considerer qu'une nouvelle expertise n' est pas obligatoire lorsque les resultats auxquelles elle peut conduire sont sensiblement equivalents a ceux obtenus par la premiere mesure d'instruction."

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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Schutz des einzelnen vor nicht gerechtfertigten körperlichen Untersuchungen".74 In Rechtsprechung und Literatur ist unstreitig, daß eine Abstammungsuntersuchung nicht deswegen unzulässig ist, weil dadurch der eheliche Frieden gestört werden könnte 75 ; denn die Ehe wird bereits durch die Ladung und nicht erst durch die Untersuchung selbst gefährdet. 76 Um schon die Klageerhebung und damit die Vorladung zu verhindern, ist es Aufgabe des materiellen Rechts, die Fälle zu bestimmen, in denen dem Schutz von Ehe und Familie Vorrang vor einer Klärung der Abstammungsverhältnisse zukommt (bei der Ehelichkeitsanfechtung war § 1596 Abs. 1 BGB a.F. Ausdruck einer solchen Interessenabwägung). Die entscheidende Frage bei der Auslegung des Begriffs der Unzumutbarkeit in § 372a ZPO ist deshalb, ob eine Partei oder ein Zeuge die Untersuchung verweigern kann, wenn eine der Partei oder dem Zeugen nahestehende Person andernfalls der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt würde. 77 Es gibt keinen Fall, in der der Untersuchungszwang eine größere Belastung darstellt. Wenn die Unzumutbarkeitsklausel nicht gänzlich leerlaufen soll, muß das Recht zur Untersuchungsverweigerung in einer derartigen Zwangslage zu fmden sein. Z.T. wird eine Untersuchungspflicht pauschal mit einem Gegenschluß aus den Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht bejaht: Für den Zeugen sei in § 384 Nr.2 ZPO bei Gefahr der Strafverfolgung ein Zeugnisverweigerungsrecht begründet; § 372a Abs. 2 ZPO erkläre von den Vorschriften über den Zeugenbeweis ausdrücklich nur §§ 386 bis 390 ZPO für anwendbar und nicht den § 384 Nr. 2 ZPO. 78

74 NJW 1953, 1874. 75 OLG Hamburg, MDR 1954,46; OLG Nümberg, FamRZ 1961,492,493; OLG

Stuttgart, DAVorrn 1979, 356, 361; MünchKommiDamrau, ZPO, § 372a Rz.15; SteiniJonas-Schumann, (VII/I988), § 372a Rz. 13. 76 LG Stuttgart, MDR 1953, 370. 77 Eine elegante Möglichkeit, den Konflikt von vornherein zu entschärfen, bestünde darin, dem Zeugen zwar grundsätzlich eine zivilrechtliche Untersuchungspflicht aufzubürden, aber strafprozessual die hierbei gewonnenen Erkenntnisse durch ein Beweisverwertungsverbot zu schützen. Ein solcher Ausweg ist jedoch nicht eröffnet: Aus der Rechtsprechung des BVerfG zum Beweisverwertungsverbot bei zivilrechtlichen Selbstbelastungspflichten läßt sich die Regel herauslesen, daß ein Beweisverwertungsverbot auf jeden Fall nur dann besteht, wenn das gleiche Ergebnis nicht auch auf strafprozessualem Wege hätte erlangt werden könnnen (Dingeldey, NStZ 1984, 529, 532); vgl. BVerfGE 56, 37, 51. Im Falle körperlicher Untersuchungen bestimmt aber § 81a StPO für den Beschuldigten eine unbeschränkte Duldungspflicht. 78 MünchKommiDamrau, ZPO, § 372a Rz. 15.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

Aus dieser Gesetzessystematik läßt sich aber allenfalls ablesen, daß nicht bei jeder Gefahr der Strafverfolgung die Untersuchung unzumutbar ist, keineswegs

bedeutet dies, daß die Gefahr der Strafverfolgung niemals zur Unzumutbarkeit i.S.v. § 372a Abs. 2 ZPO führen könnte. 79 Was die gesetzliche Wertung anbelangt, scheint es auf den ersten Blick zu verwundern, daß ein Zeuge gern. § 372a ZPO zur Duldung einer körperlichen Untersuchung verpflichtet sein soll, obwohl ihm gern. § 384 Nr.2 ZPO ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Es läge nahe, die Forderung aufzustellen: "Wer nicht mit dem Munde auszusagen hat, muß auch nicht mit dem Körper bekunden.,,80 Eine solche Formel übersieht aber wesentliche Unterschiede zwischen dem Zeugenbeweis und dem Beweis durch Augenschein: Für die Anerkennung eines Aussageverweigerungsrechts beim Zeugenbeweis spricht bereits, daß eine Aussage in einer Konfliktsituation zur Wahrheitsfmdung oftmals wenig beitragen wird - dies ist ein Gesichtspunkt, der bei medizinischen Untersuchungen keine Rolle spielt. Außerdem ist der Konflikt des Zeugen, der eine Aussage machen soll, die einen Dritten belasten könnte, ungleich größer als die Zwangslage, in der sich eine Untersuchungsperson befindet: Diese hat nicht die Möglichkeit, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu wählen. 8i Was die Gefahr der eigenen Belastung anbelangt, so stellt es einen graduellen Unterschied dar, ob jemand zur aktiven Mitwirkung an seiner eigenen Überführung gezwungen wird, oder ob er lediglich zur passiven Duldung einer Untersuchungsmaßnahme verpflichtet ist. 82 Pauschale Lösungen verbieten sich demnach sowohl in die eine als auch die andere Richtung. Demgemäß stehen die herrschende Lehre und ein Großteil der Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung zwar grundsätzlich die Unzumutbarkeit der körperlichen Untersuchung begründen könne, es aber auf eine Entscheidung im Einzelfall unter Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen ankomme. 83 Damit wird zwar verbal

79 Sautter, AcP 161 (1962), 242 f.; SteiniJonas-Schumann, (VII/I 988), § 372a Rz. 13; vgl. OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257. 80 Meyer, DRiZ 1951,34; abI. Bosch, DRiZ 1951, 108; Sautter, AcP 161 (1962), 238. 8i OLG Hamburg, NJW 1953, 1873, 1874; OLG Nümberg, NJW 1953,1874,1875; Bosch, SJZ 1947,314,321; Pohle, MDR 1950,642,645; Niemeyer, MDR 1952, 199, 201; SteiniJonas-Schumann, (VII/I988), § 372aRz. 13. 82 OLG München, JZ 1952, 426, 427; OLG Nümberg, NJW 1953, 1874, 1875; OLG Nümberg, FamRZ 1970, 597, 599; SteiniJonas-Schumann, (VII/I 988), § 372a Rz.13. 83 OLG Nümberg, FamRZ 1970,597,599; OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257; KG, NJW 1969, 2208, 2209; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 372a Rz.21; SteiniJonas-Schumann, (VII/I 988), § 372a Rz. II und 13 f. Die Gefahr der Straf-

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die Möglichkeit eingeräumt, bei Gefahr einer Strafverfolgung aufgrund einer Interessenabwägung ein Verweigerungsrecht zuzubilligen, doch ist seit Einführung des § 372a ZPO keine Entscheidung bekannt geworden, in der ein solches Weigerungsrecht tatsächlich zugebilligt wurde. 84 Der häufigste Fall der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ist die uneidliche oder eidliche Falschaussage gern. §§ 153, 154 StGB: Eine Mutter wird beispielsweise in einem Vaterschaftsfeststellungsprozeß nach den Männem gefragt, die als Erzeuger des Kindes in Frage kommen, und gibt wahrheitswidrig nur den Namen eines Mannes an. Später ordnet das Gericht eine Abstammungsuntersuchung unter Einbeziehung der Mutter an. Fraglich ist, ob hier fiir die Mutter eine Untersuchung "unzumutbar" ist, weil sie der Gefahr ausgesetzt wird, der Falschaussage überführt zu werden. Die h.M. sieht die Abstammungsuntersuchung als zulässig an: Die Frau habe sich selbst in die Zwangslage hineinmanövriert, weil sie die Aussage ja hätte verweigern können. 85 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß solche Konstellationen in Abstammungsprozessen so oft auftauchen, daß die Vorschrift des § 372a ZPO weitgehend leerlaufen würde, wollte man hier ein Verweigerungsrecht anerkennen. 86 Ähnlich werden die Fälle behandelt, in denen durch eine Abstammungsuntersuchung eine inzestuöse Beziehung aufgedeckt werden könnte. Nach der Rechtsprechung besteht weder fiir die Mutter87, die sich einem solchen Verdacht ausgesetzt sieht, noch fiir deren leiblichen Vater ein Untersuchungsverweigerungsrecht88 • Im Rahmen ihrer Interessenabwägung stellen die Gerichte darauf ab, daß bei Inzest-Verdacht das Kind ein ganz besonderes Interesse an der Feststellung seiner Abstammung habe, zum einen, um Gewißheit über die belastenden Umstände seiner Abstammung zu erlangen, und zum anderen verfolgung sehen als berechtigten Weigerungsgrund generell an: Bosch, DRiZ 1951, 107,109. 84 Stürner, S. 176 f.; WieczoreklRösslerlSchütze, § 372a Anm. D 11 b; so auch schon SchönkeISchröder-Niese, 8. Aufl. 1956, § 63 VII 2b. Damit laufen die Appelle in der Literatur, § 372a ZPO sei mit Rücksicht auf den darin enthaltenen Eingriff in Grundrechte eng auszulegen, in der Praxis in die Leere (Weber, NJW 1963,574; Mayer, DRiZ 1951,34; Stein/Jonas-Schumann, (VII/I988), § 372a Rz. 1). 85 OLG Stuttgart, DAVorm 1979, 356, 360; Niemeyer, MDR 1952, 199, 200; MünchKommiDamrau, ZPO, § 372a Rz. 15; Dünnebier, JZ 1952,427,429. 86 OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257; OLG Nümberg, FamRZ 1970,597,599; KG, NJW 1969,2208,2209; SteiniJonas-Schumann, (VII/I988), § 372a Rz. 13.; Eichberger, Aktuelle Probleme der Feststellung der Abstammung (§ 372a ZPO), Diss. Regensburg 1988, S. 10 I. 87 OLG Karlsruhe, FamRZ 1992,334,335. Vgl. demgegenüber die pragmatischere Handhabung in DIV-Gutachten, DAVorm 1998, 99 f. 88 OLG Hamm, FamRZ 1993, 76, 77.

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aus medizinischen Gründen, weil bei Inzest die Gefahr erblicher Gesundheitsschäden erhöht sei. 89 Die Auswertung der Rechtsprechung zeigt, daß der Zwang zur Duldung einer Blutuntersuchung im deutschen Recht praktisch niemals "unzumutbar" ist. Die Lösung des französischen Rechts dürfte den Vorzug verdienen. Dort steht es jedem frei, sich untersuchen zu lassen oder nicht, - mag der Richter hieraus auch seine entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen. Auf jeden Fall werden damit Konfliktsituationen - wie die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung weitgehend ausgeschlossen. Da in Frankreich in Abstammungsprozessen die Verweigerung der Untersuchung durchaus verbreitet ist, dürfte die Weigerung allein für strafrechtliche Konsequenzen nicht ausreichen. b) Untersuchungen "ins Blaue hinein"

§ 372a ZPO selbst gewährt in der Praxis keinen Schutz gegen Eingriffe in die körperliche Integrität. Angesichts dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob die Durchfiihrung von Abstammungsuntersuchungen zumindest aus allgemeinen Erwägungen heraus dann unzulässig ist, wenn sie ohne Vorliegen jeglicher Anhaltspunkte durchgefiihrt werden sollen. 9o Die h.M. zieht hierbei den Grundsatz von "Treu und Glauben" heran, aus dem sich das Verbot rechtsmißbräuchlicher Antragstellung ableitet: Auch im Statusprozeß sei ein Antrag auf Durchfiihrung einer Blutuntersuchung unzulässig, wenn er "ins Blaue hinein" gestellt werde. 91 Eine andere Ansicht will unmittelbar auf § 372a ZPO zurückgreifen: Eine Untersuchung "ins Blaue hinein" sei wegen ihrer Nichteignung nicht "erforderlich" i.S.v. § 372a ZPO. 92 Weitgehend ungeklärt ist in der Praxis allerdings, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen von einer solchen Mißbräuchlichkeit der AntragsteIlung auszugehen ist. OLG Frankfurt, NJW 1979, 1257; OLG Nümberg, FamRZ 1970,597,599. Verbal besteht in der Rechtsprechung weitgehende Einigkeit, daß eine Untersuchung nicht geduldet werden muß, wenn die Einbeziehung in den Prozeß aufs Geratewohl, "ins Blaue hinein", ohne Vorliegen jeglicher Anhaltspunkte erfolgt: BGH, NJW 1964, 1179; BGH, FamRZ 1988, 1037, 1038; OLG Hamm, FamRZ 1993,76,77; KG, FamRZ 1987,294; OLG Stuttgart, NJW 1972,2226; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1972,357; OLG eelle, NJW 1971, 1086, 1087; sinngemäß auch: OLG Karlsruhe, DAVorm 1989,416,417; OLG Hamm, FamRZ 1982,956,957. Ausdrücklich ablehnend: KG, FamRZ 1974,467,469. 91 SteiniJonas-Schumann, (VIII1988), vor § 371 Rz. 25; OLG Köln, NJW-RR 1993, 453,454. 92 OLG Stuttgart, NJW 1972,2226; ZölleriGreger, § 372a Rz. 3; Roth-Stielow, Die Justiz 1972,211; der BGH hat in seiner neuesten Entscheidung zu dieser Frage (FamRZ 1988, 1037, 1038) einen Zusammenhang mit der Nichteignung als Beweismittel angenommen. 89

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Relevant wird diese Frage vor allem, wenn bei einer Vaterschafts feststellung fiir den Beklagten bereits eine hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeit erzielt worden ist und dieser durch weitere Beweisanträge die Untersuchung auf neue Mehrverkehrszeugen ausdehnen will. 93 Die Amtsermittlungspflicht der Gerichte sollte enden, wenn fiir den Beklagten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99,9 % erzielt wurde und fiir einen Mehrverkehr der Kindesmutter keine objektiven Anhaltspunkte bestehen. Von einem solchen Anhaltspunkt kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Kindesmutter einen weiteren möglichen Erzeuger benennt oder ein Zeuge selbst den Geschlechtsverkehr einräumt. Die bloße Benennung durch den Beklagten reicht dagegen nicht aus 94 ; die Behauptung einer "leichten Zugänglichkeit" der Kindesmutter stellt ebenfalls keine geeignete Substantiierung dar. Wenig überzeugend ist auch der Schluß des OLG Hamburg, es sprächen bei einer Frau, die mit zwei Fahrern eines Busunternehmens verkehrt habe, Anhaltspunkte dafiir, daß auch die übrige fiinfköpfige Belegschaft als Erzeuger des Kindes in Frage komme. 95 Stellt nach Erschöpfung der amtswegigen Ermittlungspflicht (Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9 %) der Beklagte einen förmlichen Beweisantrag auf Untersuchung weiterer möglicher Väter, so ist er "ins Blaue hinein" gestellt und wegen Mißbräuchlichkeit zurückzuweisen. Durch eine derartige Handha93 Bei folgenden Vaterschaftswahrscheinlichkeiten mußte das Gericht einem Hinweis auf Mehrverkehrszeugen nachgehen: BGH, FamRZ 1988, 1037, 1039 (99,9996 %); OLG Hamburg, DAVorm 1984,505,507 (99,89 % Einbeziehung 5 weiterer Mehrverkehrszeugen); OLG Hamburg, DAVorm 1986,1981,82 f. (99,98 %); a.A.: OLG Hamm, DA Vorm 1986, 887 (bei 99,75 % - 99,8 % kann von Untersuchung zweier Mehrverkehrer abgesehen werden); OLG München, DA Vorm 1985, 70, 73 (99,99 %); KG, DAVorm 1988, 620, 621 f. (ab 99,73 % keine Untersuchung eines angeblichen Mehrverkehrers); OLG Hamm, FamRZ 1994, 649 (bei 99,998 % keine Untersuchung eines angeblichen Mehrverkehrszeugen); OLG Zweibrücken, DAVorm 1981, 465, 467 f. (99,97 %). 94 KG, DAVorm 1988,620,621 f. stellt als Grenze genau auf 99,73 % ab (auch bei unstr. Mehrverkehr); OLG Hamm, DAVorm 1986, 887 (bei 99,75 % - 99,8 % keine Untersuchung der beiden unstr. Mehrverkehrer); OLG München, DA Vorm 1985, 70, 73 (bei 99,99 % und bloßer Benennung eines Mehrverkehrers); OLG Stuttgart, NJW 1972, 2226; OLG Karlsruhe, Die Justiz 1972,357; MünchKomm/Damrau, ZPO, § 372a Rz. 5 m.w.N.; ähnlich Zöller/Greger, § 372a Rz.3 und § 284 Rz.5. SteiniJonas-Schloser, (VIIII993), § 640 Rz. 33 sieht als ausreichenden Anhaltspunkt an, daß der Mehrverkehr "ernsthaft und auf andere Weise nicht widerlegt" behauptet wurde. Unklar der vorherige Stand der Ermittlungen in OLG Hamm, DAVorm 1974, 663 (die Einbeziehung einer (weiteren) Person wird von "gewissen Anhaltspunkten" abhängig gemacht). Enger wohl Schlosser, FamRZ 1976,6, 10 a.E. "äußerste Zurückhaltung" - "bei Fehlen jedweden Anhaltspunktes". Zur gegenteiligen Auffassung in der Rechtsprechung: OLG Hamburg, DAVorm 1985,505,507; OLG Hamburg, DAVorm 1986, 1981,82 f. 95 DAVorm 1984, 505, 507 bei einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,89 % wurde seinem Antrag auf Einbeziehung seiner 5 Kollegen stattgegeben. 14 Helms

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bung gewinnt der Begriff der Ennittlung "ins Blaue hinein" scharfe Konturen, denn es kann auf eine mathematisch greifbare Größe abgestellt werden, die verdeutlicht, wie willkürlich die Behauptung des Antragstellers ist. In einem solchen Fall sind außerdem die Interessen des Kindes bereits gewahrt: Sein Vater steht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest. Hier verdient die körperliche Integrität sowie das Persönlichkeitsrecht des Dritten vorrangigen Schutz. 96 Diese Ansicht stützt sich ansatzweise auch auf die Rechtsprechung des BGH: In einem Fall, in dem für den Beklagten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9996 % festgestellt worden war, machte der BGH die Blutuntersuchung eines vom Beklagten als Mehrverkehrszeugen benannten Mannes davon abhängig, ob dieser "glaubhaft" eimäurnt, mit der Mutter der Klägerin in der gesetzlichen Empfangniszeit geschlechtlich verkehrt zu haben. 97 Äußerst umstritten ist, ob ein Mann eine Vaterschaftsanfechtungsklage mit der bloßen Behauptung erheben kann, er sei nicht der Vater des Kindes 98 , oder ob seine Klage nur schlüssig ist, wenn er substantiiert Gründe für die Zweifel an seiner Vaterschaft darlegt99 • Weder §§ 1593, 1591 Abs. 1 S. 1, 1594 Abs. 1, 1600g Abs. 1 BGB a.F. noch § 1600 BGB n.F. stellen an das Anfechtungsrecht des Mannes materiellrechtliche Vorbedingungen. Damit müßte eigentlich eine Vaterschaftsanfechtungsklage bereits zulässig sein, wenn der Kläger behauptet, nicht der Erzeuger des Kindes zu sein. Etwas anderes könnte sich allerdings aus §§ 1594 Abs. 2, 1600h Abs. 2 S. 1 BGB a.F. ergeben, wonach die Frist für die Ausübung des Anfechtungsrechts in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Mann Kenntnis von den Umständen erlangt, die gegen seine Vaterschaft sprechen. Diese Bestimmung wurde in § 1600b Abs. 2 S. 1 BGB n.F. übernommen. Aus dieser Vorschrift wird z.T. eine materiellrechtliche Beschränkung des Anfechtungsrechts des Mannes abgeleitet: Der Regelung läge unausgesprochen zuVgl. die Interessenabwägung bei Stürner, S. 132. FamRZ 1988, 1037 - das Urteil wird meist nur als Beleg für eine weitere Ausdehnugn der Amtsennittlungspflichten betrachtet. 98 OLG München, FamRZ 1987,969; OLG München, FamRZ 1982, 1239; OLG Hamburg, FamRZ 1997, 1171; OLG Düsse1dorf, FamRZ 1985, 1275; OLG Karlsruhe, DAVonn 1989,416,417; AG Berlin-Mitte, FamRZ 1995,1228; MünchKommiCoesterWaltjen, ZPO, § 640 Rz. 85; SteiniJonas-Schlosser, (lV/1993), § 640 Rz.32 und 38; MünchKommiMutschler, § 1593 Rz. 13b; Demharter, FamRZ 1985, 232, 233 ff.; vgl. auch Stürner, S. 130. 99 OLG Köln, FamRZ 1998, 696; OLG Köln, NJW-RR 1993, 453, 454; OLG Hamm, FamRZ 1982, 956, 957; OLG Hamm, FamRZ 1996, 894, m. abI. Anm. Mutschler, DAVonn 1996, 377; OLG Dresden, FamRZ 1997, 1297; Roth-Stielow, Rz. 37, 38 und 252; Derleder, FuR 1992,368. Vgl. auch Grünkorn, Die Frist zur Anfechtung der Ehelichkeit, Diss. Frankfurt a.M. 1978, S. 223 ff. 96 97

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grunde, daß er ein Anfechtungsrecht nur dann besitze, wenn er begründete Anhaltspunkte gegen seine Vaterschaft vortragen könne. lOo Dieser Ansicht hat sich in jüngster Zeit der BGR angeschlossen. 101 Er begründet seine Entscheidurtg damit, daß ansonsten ein Ehemann, der keine Anhaltspunkte für seine Nichtvaterschaft hätte, ohne jede zeitliche Begrenzung eine Ehelichkeitsanfechtungsklage erheben könne, während die relativ knapp bemessene Anfechtungsfrist allein solche Ehemänner treffen würde, die begründeten Anlaß hätten, an ihrer Vaterschaft zu zweifeln. Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, daß es nurt einmal in der Logik kenntnisabhängiger Fristen liegt, daß sich der Fristbeginn sehr weit hinausschieben kann. Der kenntnisabhängigen Frist für die Anfechtungsklage liegt einerseits die Vorstellurtg zugrurtde, daß ein Mann in aller Regel nur dann Anlaß hat, die Ehelichkeit anzufechten, wenn Zweifel an seiner Vaterschaft entstanden sind. Andererseits sollte - im Unterschied zu einer kenntnisunabhängigen Frist - vermieden werden, daß ein Mann aus Angst vor einer Verfristung seines Anfechtungsrechts auch dann die Anfechtung durchfUhrt, wenn bei einem längeren Zuwarten noch die Chance bestünde, daß harmonische Familienbeziehurtgen entstehen. Nur das Anfechtungsrecht des Kindes hatte der Gesetzgeber nach § 1596 BGB a.F. materiellrechtlichen Schranken unterworfen. Des weiteren beruft sich der BGR darauf, daß eine Überprüfung der Anfechtungsfrist nur möglich sei, wenn der Mann gezWurtgen werde, seine Zweifel an seiner Vaterschaft offenzulegen. Nur dann ließe sich beurteilen, seit wann er Kenntnis von Umständen habe, die gegen seine Vaterschaft sprechen. Diese Argumentation versagt aber, wenn der Ehemann seine Vaterschaft bereits während der ersten zwei Jahre nach der Geburt des Kindes anficht, denn während dieses Zeitraums kommt eine Verfristung seines Anfechtungsrechts schlechterdings nicht in Frage. Es läge damit in der Konsequenz dieser Gedankenführung, den Ehemann während der zwei ersten Jahre nach der Geburt des Kindes von einer Substantiierungspflicht zu befreien. Allerdings würde ein solches Ergebnis der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, durch die kenntnisabhängige Frist den Mann nicht zu einer voreiligen Anfechtung zu drängen. Nach der Vorstellurtg des BGR hat ein Mann also "Umstände vorzutragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Ehelichkeit zu wecken urtd die Möglichkeit der nichte he lichen Abstammung als nicht ganz femliegend erscheinen lassen". 102 Ein solcher Vortrag ist Voraussetzung für die

100 101 102

Vgl. zu den Vertretern dieser Ansicht die vorige Fußnote. FarnRZ 1998,955,956. FarnRZ 1998,955.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

Einholung eines Sachverständigengutachtens. Werden derartige Anhaltspunkte nicht vorgetragen, ist die Klage ohne weiteres abzuweisen. Diese Vorgehensweise kann allerdings zu paradoxen Ergebnissen fiihren: Bejaht die erste Instanz das Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte und fUhrt eine Abstammungsuntersuchung durch, die zu dem Ergebnis kommt, daß das Kind in der Tat nicht von dem Kläger abstammt, könnte in der Berufung die Klage doch noch abgewiesen werden, wenn das Berufungsgericht die Umstände, die unabhängig von der Abstammungsuntersuchung - gegen die Abstammung sprechen, nicht fiir ausreichend ansieht. Im übrigen wird man sich über die Frage, wann der Kläger seiner Substantiierungspflicht genüge getan hat, trefflich streiten können. 103 Zu bedenken ist auch, daß diese Rechtsprechung, die vor dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes nur fiir den Vater relevant war, nunmehr auch fiir das Kind Bedeutung erlangt hat. Während nach der alten Rechtslage sein Anfechtungsrecht schon materiellrechtlich auf enge Anfechtungsgründe beschränkt war und die Anfechtungsfrist auch an die Kenntnis dieser Anfechtungsgrunde gekoppelt war, besteht nunmehr auch fiir das Kind ein unbeschränktes Anfechtungsrecht, das genauso wie das Anfechtungsrecht des Mannes und der Mutter einer zweijährigen kenntnisabhängigen Frist unterworfen ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum an eine Anfechtung durch das Kind geringere Anforderungen zu stellen sind als an eine Anfechtung durch seinen Vater. Allerdings hat es das (volljährige) Kind noch schwieriger als sein Vater, konkrete Umstände vorzutragen, die gegen die bestehende Vaterschaft sprechen. Im Ergebnis ist die Rechtsprechung des BGR von dem nachvollziehbaren Bemühen getragen, Abstammungsgutachten nicht in jedem Fall und ohne jeglichen Anhaltspunkt einholen zu müssen, allerdings fmdet sich fiir diese Praxis im Gesetz kein Anhaltspunkt. c) Auslandsfälle Befmdet sich die zu untersuchende Person im Ausland und kennt das betreffende Land keine Zwangsmittel fiir die Durchsetzung von Abstammungsuntersuchungen - was international gesehen nicht selten ist l04 -, so daß im Wege der Rechtshilfe keine Untersuchung erzwungen werden kann, stellt sich 103 OLG Köln, FamRZ 1998, 696 sah nicht als ausreichend an, daß die Mutter auf den Vorhalt seitens der Schwiegermutter, sie habe doch auch noch mit anderen Männem geschlafen, mit den Worten ,ja, ja" geantwortet habe. 104 Überblick über die Rechtslage in den verschiedenen Rechtskreisen bei Frank, FamRZ 1995, 975 ff.

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die Frage, was fiir Konsequenzen es hat, wenn diese Person sich einer Abstammungsuntersuchung nicht freiwillig unterzieht. Angewendet werden in Deutschland die Regeln über die Beweisvereitelung: Der sich Weigernde wird so behandelt, als hätte die Untersuchung ein fiir ihn nachteiliges Ergebnis erbracht. 105 Der Unterschied zur Bewertung einer Untersuchungsverweigerung im französischen Recht besteht darin, daß die Beweisvereitelung automatisch zum Prozeßverlust des sich Weigernden führen kann, ohne daß - wie im französischen Recht - eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorgenommen und aufgrund dieser beurteilt wird, ob die Abstammung oder Nichtabstammung bewiesen ist. Der Grund fiir diese unterschiedliche Auffassung liegt darin, daß in Frankreich die Untersuchungsverweigerung als ein Recht des Betreffenden angesehen wird, während dieser nach deutschem Recht zur Mitwirkung an der Untersuchung verpflichtet ist. Erstaunlich ist, daß das deutsche Recht, das sonst so sehr nach der Feststellung der wahren Abstammung strebt, in Auslandsfällen die Abstammungsfrage ohne Rücksicht darauf löst, ob Gewißheit über die Abstammung erzielt wurde. 106 Letzten Endes dürfte aber die strenge Haltung des deutschen Rechts dazu führen, daß jede Prozeßpartei, die eine Untersuchung verweigert, weiß, daß sie den Prozeß verlieren wird, während im französischen Recht durchaus noch Hoffnung auf einen günstigen Prozeßausgang besteht. Damit dürfte bei Maßgabe deutschen Prozeßrechts in Auslandsfällen die Testperson die Untersuchung nur dann verweigern, wenn sie selbst Gewißheit über die Abstammungsverhältnisse hat. Indirekt erreicht das deutsche Recht damit doch wieder sein Ziel, die Testperson zur Duldung einer Abstammungsuntersuchung zu zwingen.

III. Einholung privater Gutachten?

Nach deutschem Recht dürfen medizinische Abstammungsgutachten auch privat eingeholt werden. Dies ist zumindest dann völlig unstreitig, wenn alle Betroffenen ihre Zustimmung erteilt haben. lo7 Z.T. wird in der Literatur sogar die Ansicht vertreten, es sei zulässig, sich die fiir genetische Abstammungsuntersuchungen nötigen Körperproben (Haare, Fingernägel, Hautstückehen etc.) ohne Einwilligung des Betroffenen zu beschaffen - solange dies ohne

lOS BGH, FamRZ 1986,663; OLG Braunschweig, DAVorrn 1981,51; OLG Stuttgart, ZfJ 1986,274; OLG Hamburg, DAVorrn 1987,359; OLG Stuttgart, DAVorrn 1990,82; OLG Hamm, FamRZ 1993,473. \06 Vgl. Frank, FamRZ 1995,975,978. 107 ReicheltlSchmidtlSchmidtke, FamRZ 1995, 777, 779.

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4. Kapitel: Prozessuale Realisierung

Gewaltanwendung geschieht. Schlosser meint, mit "Glück und Geschicklichkeit" ließen sich die für eine Chromosomenuntersuchung notwendigen Substanzen ohne Wissen der Testperson und ohne Gewalteinwirkung besorgen. 108 Reichelt u.a. halten ein solches Vorgehen unter Berufung auf das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung für zulässig. Sie übersehen aber, daß dieses von der Rechtsprechung allein im Verhältnis Kind-Vater anerkannt ist, demgegenüber ein Recht auf Kenntnis der eigenen Nachkommenschaft (VaterKind) in Deutschland nicht diskutiert wird. Zum anderen sehen sie in einem solchen Vorgehen keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die zu beschaffende Information nicht die andere Partei allein betreffe, sondern auch stets die Person, die die Untersuchung anstrengt. 109 Eine größere Verbreitung haben private Abstammungsuntersuchungen in Deutschland allerdings nicht erfahren. Dies dürfte u.a. daran liegen, daß in Statusverfahren Abstammungsuntersuchungen aufgrund gerichtlicher Anordnung routinemäßig durchgeftihrt werden. Für Frankreich wird dagegen berichtet, daß zunehmend private Abstammungsuntersuchungen eingeholt würden. I \0 Allerdings wird diese Praxis dort z.T. auch scharf kritisiert: Zwar könne es vorteilhaft sein, vor der Durchfiihrung eines Abstammungsverfahrens die Erfolgsaussichten einer Klage zu überprüfen, und auch aus der Sicht eines Vaters sei es manchmal wünschenswert, vor der Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses eine Blutuntersuchung durchzufUhren. Doch seien private Untersuchungen gefährlich, wenn sie die biologische Wahrheit aufdecken, jedoch eine entsprechende juristische Korrektur etwa wegen Fristablaufs nicht mehr möglich sei. Außerdem sei das Bereitstellen privater Untersuchungsmöglichkeiten ein Anreiz, bei geringsten Zweifeln auf eine solche Untersuchung zu drängen. 111 Um Mißbrauchsgefahren entgegenzuwirken, hat nunmehr der französische Gesetzgeber die private Vornahme von DNA-Analysen verboten (Art. 16-11 C.C.) und unter Strafe gestellt (Art. 226-28 C.pen.). Offen ist allerdings noch, ob diese Vorschrift analog auf konventionelle Blutgruppenuntersuchungen

SteiniJonas-Schlosser, (lV/1993), § 64li Rz. 2a und 2b. ReicheltlSchmidtlSchmidtke, FamRZ 1995,777,779 f. 110 Labrusse-Riou, RIDC 1986, 427; zurückhaltender demgegenüber die Einschätzung von Nicoleau, Le röle de la faute dans la preuve judiciaire de la patemite naturelle, These Bordeaux 1991, S. 321. 111 Merle, D. 1952, Chr. 165; Labrusse-Riou, Rep. Dalloz, Filiation, n. 141 ff.; dies., S. 106; krit. auch Sutton, Rep. Dalloz Procedure civile, Filiation, n. 260; vgJ. auch Nicoleau, Le röle de la faute dans la preuve judiciaire de la paternite naturelle, These Bordeaux 1991, S. 324. 108 109

B. Zwangsweise körperliche Untersuchungen

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anzuwenden iSt. 112 Einerseits ist nur schwer einzusehen, warum für beide Abstammungsfeststellungsverfahren unterschiedliche Regeln gelten sollten, andererseits können genetische Untersuchungen auch ohne Mitwirkung der anderen Partei vorgenommen werden, wenn man sich eine - u.U. auch alte - Körperprobe (Haar, Hautstückchen, Fingernagel o.ä.) beschaffen kann. Die mit privaten Abstammungsuntersuchungen verbundenen Gefahren erscheinen bei dieser Methode also höher zu sein.

112 Offenge1assen: Massip, note sous Cass., 4.5.1994, D. 1994, 546. Für eine analoge Anwendung: Labrusse-Riou, Rep. Dalloz, Filiation, n. 144. Dagegen: Creissen, RIDC 1995,766.

Fünftes Kapitel

Zusammenfassung und Ergebnis Die vorliegende Arbeit hat eine Reihe fundamentaler Unterschiede zwischen dem deutschen und französischen Abstammungsrecht offengelegt. Es fällt jedoch schwer, dahinter allgemeine und widerspruchsfreie Prinzipien zu erkennen. Für das Abstammungsrecht insgesamt gilt, was Boehmer im Jahre 1962 nach einem Vergleich des deutschen und französischen Nichtehelichenrechts feststellte: ,,(Es) kann keine durchgängig rationale Erklärung für (dieses) Rechtsgebiet ... gegeben werden. Historische Elemente, politische und soziale Reaktionen und mancherlei Zufälligkeiten, die den Gesetzgebungsprozeß ... beeinflussen, mischen sich. ,,1 Dennoch soll der Versuch unternommen werden, die Grundstrukturen herauszustellen, die die jeweilige Rechtsordnung traditionell geprägt haben und die nach wie vor die Pfeiler sind, auf denen das moderne Abstammungsrecht aufbaut.

A. Abstammungssystem oder Anerkennungssystem Historisch gesehen wurde der Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Recht lange Zeit mit den Begriffen ,,Abstammungssystem" und "Anerkennungssystem" beschrieben. Von einem "Abstammungssystem" sprach man in Deutschland bis 1969 deshalb, weil nichteheliche Kinder allein aufgrund ihrer Abstammung einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Erzeuger erlangten. Allerdings erschöpften sich darin auch schon ihre Rechte. Die Begründung umfassender verwandtschaftlicher Beziehungen mittels eines Vaterschaftsanerkenntnisses oder einer Vaterschaftsfeststellung war nicht möglich. Mit dem Nichtehelichengesetz von 1969 brach man mit diesen Prinzipien: Dem Anerkenntnis wurde volle statusbegründende Wirkung zuerkannt und die Vaterschaftsfeststellung uneingeschränkt zugelassen. Aber auch in der Folgezeit lag sowohl durch die Ent-

Boehmer, WeIche Anforderungen sind an eine Reform des Rechts des unehelichen Kindes zu stelIen?, Gutachten zum 44. Deutschen Juristentag, Hannover 1962, S. 65. Colin bezeichnet das französische Nichtehelichenrecht als "edifice mal confYu, bizarrement construit, trop souvent gauchement repare" (RTD civ. 1902,257).

A. Abstammungssystem oder Anerkennungssystem

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wicklung eines inquisitorischen, mit umfassenden Zwangsbefugnissen ausgestatteten Statusverfahrens als auch durch die Ennittlungstätigkeit der Jugendämter stets ein besonderes Gewicht auf der biologischen Abstammung. Im Gegensatz dazu konnte nach dem französischen ,,Anerkennungssystem" ein Eltern-Kind-Verhältnis seit der Revolution von 1789 bei nichtehelichen Kindern nur noch durch ein Anerkenntnis des Kindes begründet werden. War ein solches nicht erfolgt, hatte das Kind keinerlei Ansprüche. Nur zögernd und schrittweise wurde dieses Verbot der Vaterschaftsfeststellung durchbrochen. Selbst anläßlich der jüngsten Reform aus dem Jahre 1993 wollte der Gesetzgeber - zumindest auf dem Papier - die Vaterschafts feststellung nicht uneingeschränkt zulassen. Deutliche Nachwirkungen des Anerkennungssystems sind auch bei der Frage der mütterlichen Abstammung eines Kindes zu erkennen. Befremdlich für einen deutschen Juristen ist, daß in Frankreich noch heute eine Mutter-Kind-Zuordnung nicht allein aufgrund der Geburt vorgenommen wird, sondern eine Frau ihr Kind anerkennen muß. Will sie der zwangsweisen Feststellung der Mutterschaft entgehen, hat sie die Möglichkeit, das Kind anonym zur Welt zu bringen. Mit dem Gegensatzpaar ,,Abstammungs-" und "Anerkennungs system" lassen sich allerdings nicht nur historische Differenzen aufzeigen, sondern auch grundsätzlich verschiedene Denkstrukturen und Wertungen, die bis auf den heutigen Tag das französische bzw. deutsche Recht prägen. Zwar haben sich beide Rechtsordnungen in der Frage der väterlichen Abstammung weitgehend angeglichen, doch spielt das Vaterschaftsanerkenntnis soziologisch und psychologisch eine unterschiedliche Rolle. Auch heute noch hat in Frankreich das freiwillige Bekenntnis zu einem Kind eine besondere Bedeutung2 : Wahrer Vater ist nach wie vor vornehmlich derjenige, der das Kind anerkennt. Dies zeigt sich beispielsweise daran, daß die Entscheidung des Code Napoleon, die zwangsweise Feststellung der Vaterschaft nicht zuzulassen, rückblickend auch heute noch durchaus in einem sehr positiven Licht gesehen wird. Carbonnier etwa erkennt darin gleichermaßen "I' exaltation de I' egalite et celle de la volonte