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German Pages [494] Year 2023
Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der
Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.
88
Gordon Kardos
Alternative Dispute Resolution für Verbraucherstreitigkeiten Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum englischen und deutschen Recht
Mohr Siebeck
Gordon Kardos, geboren 1991; Studium der Rechtswissenschaften mit wirtschaftswissenschaftlicher Zusatzausbildung an der Universität Bayreuth; 2018 Forschungsaufenthalt an der University of Leicester; Rechtsreferendariat in Frankfurt am Main und Bonn; seit 2021 Rechtsanwalt in Frankfurt am Main; 2022 Promotion. orcid.org/0000-0003-4411-3237
ISBN 978-3-16-161692-1 / eISBN 978-3-16-161894-9 DOI 10.1628/978-3-16-161894-9 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 vom Promotionsausschuss der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Juli 2020 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Juni 2022 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel für den thematischen Anstoß zu dieser Arbeit sowie für seine fortwährende Unterstützung. Bei Herrn Prof. Dr. Christian TwiggFlesner möchte ich mich vielmals für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens bedanken. Der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V. danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Zu großem Dank bin ich Herrn Prof. Dr. Pablo Corte´s verpflichtet. Er ermöglichte mir nicht nur einen Forschungsaufenthalt an der University of Leicester im Zeitraum Februar bis Mai 2018, sondern ließ die Arbeit von seinen vielen fachlichen Anregungen profitieren. Der Studienstiftung des deutschen Volkes e.V. danke ich für die großzügige ideelle und finanzielle Förderung dieser Arbeit. Von tiefsten Herzen möchte ich mich bei meinen Großeltern, Ernst-Siegfried und Doris Nordmann, für die geistige und kulinarische Unterstützung im Rahmen der Anfertigung dieser Arbeit sowie für ihr buchstäbliches Daumendrücken in allen Lebenslagen bedanken. Meiner Freundin Anna-Merle Mengringhaus danke ich herzlich für die Mühen des Korrekturlesens und den Zuspruch im Zuge der Veröffentlichung der Arbeit. Den größten Dank schulde ich schließlich meinen Eltern, Dr. Andreas und Kerstin Kardos, für ihr unbedingtes Vertrauen sowie für ihre darauf basierende – für sie selbstverständliche – Förderung meiner Ausbildung und ihre Unterstützung auf all meinen Wegen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Juli 2022
Gordon Kardos
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIII
Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . .
1
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Auswahl der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
C. Methodik und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Akteure und ihre Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland . . .
25
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . .
25
B.
E.
B.
Maßgebliche ADR-Formen in der Verbraucherstreitbeilegungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
C. ADR-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
D. Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
Implikationen der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
Kapitel 3: ADR als politischökonomisches Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
C. Steuerungseffekte durch ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
E.
B.
X
Inhaltsübersicht
Kapitel 4: Handlungslast, Ergebnisbindung und Rechtsbindung in ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
A. Handlungslast, zwingendes Urteil und Rechtsbindung – der traditionelle Dreiklang der Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
ADR und Justizgewährungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226
E.
Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . . . . . . .
254
F.
Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung . . . .
290
Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADRStellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
310
Aufgaben der zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
C. Auswirkungen der Regelungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
346
Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme . . . .
367
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
367
Rückwirkungen auf die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR . . . . . . . . . . . .
397
Kapitel 7: Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
405
A. Geringer Einfluss der Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie . . . . . . . .
405
B.
407
B.
B.
B.
Streitbeilegung und datenbasierte Steuerungswirkungen durch ADR
C. ADR im Kontext des Justizgewährungsanpruchs und der Rechtsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
411
D. Qualitätssicherung durch laufende Aufsichtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . .
415
E.
Notwendige Verzahnung von ADR und Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . .
417
F.
Gesamtfazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419
Inhaltsübersicht
XI
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
459
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIII
Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . .
1
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Auswahl der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
C. Methodik und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Alternative Streitbeilegung und ihre Akronyme . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlegende ADR-Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 15 16
E. I.
Akteure und ihre Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbraucherbegriff und -leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessenlage von Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neutrale dritte Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17 18 18 21 23
Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland . . .
25
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung von ADR in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Woolf-Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jackson-Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jüngere Entwicklungen und Briggs-Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung von ADR in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 26 28 30 30 32 33
B.
XIV
B.
Inhaltsverzeichnis
2. Jüngere Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Maßgebliche ADR-Formen in der Verbraucherstreitbeilegungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
C. ADR-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Europäische Kooperationsnetzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sektorspezifische ADR-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Finanz- und Versicherungssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Financial Ombudsman Service (FOS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ADR-Stellen für den deutschen Finanzsektor . . . . . . . . . . . . c) ADR-Stellen für den deutschen Versicherungssektor . . . . . . . 2. Energiesektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Telekommunikationssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Öffentlicher Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Glücksspielsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Schieds- und Schlichtungsstellen der Berufskammern und -verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Allgemeine ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 40 41 41 42 45 47 49 50 52 55 57
Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Englisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 61 61 62 64
Implikationen der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implikationen der ADR-Richtlinie in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umsetzung der ADR-Richtlinie in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Competent authorities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ADR entities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Informationspflichten für Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kritik an der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Implikationen der ADR-Richtlinie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 1. Erwägungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbraucherschlichtungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an Verfahren und Verfahrensergebnisse . . . . . . . . 4. Informationspflichten für Unternehmen und behördliche Anerkennung von Verbraucherschlichtungsstellen . . . . . . . . . . . . . 5. Kritik an der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Auswirkungen des Brexits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66 66 67 69 71 72 73 74 74 77 79
D. I. II. III. IV. E. I.
57 58
80 81 84
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3: ADR als politischökonomisches Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konkurrenz oder Komplementarität von ADR und Ziviljustiz . . . . 1. Entlastung oder Verdrängung der Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersatzfunktionen für schwer zugängliche Ziviljustiz . . . . . . . . . . . II. ADR und der Diskurs um den Zugang zum Recht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugang zu was eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mehr Zugang zum Recht durch Verbraucher ADR – eine Frage der Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugang zu interessengerechter Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . b) Zugang zu Rechtsdurchsetzungsmechanismen . . . . . . . . . . . . c) Strukturelle Auswirkungen der Perspektiven . . . . . . . . . . . . . III. ADR als sozialer und prozeduraler Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . 1. Überwindung rationaler Apathie durch niedrigschwelligen Zugang und Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Orientierung an Parteienzufriedenheit und Förderung konsensorientierter Streitkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beratung und Vertretung von Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. ADR als Instrument der Selbst- und Marktregulierung . . . . . . . . . . . 1. Stimulation des Handels und des Binnenmarkts . . . . . . . . . . . . . . 2. ADR als Instrument der Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentliche Warnsignale durch Datenerhebung und -aggregation a) Erhebung und Aggregation von Beschwerdedaten durch ADR-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhaltenssteuerung durch Regulierungsbehörden und ADR-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhaltenssteuerung durch Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . V. Erklärungsansätze für die Diskursdivergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. I.
Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADR als Regulierungsinstrument in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ADR in den Civil Justice Reports . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgeberische Erwägungen zur Förderung und Integration von ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reflektion gesetzlicher Ombudsstellen in der Rechtsprechung . . . 4. Funktionsweisen des Financial Ombudsman Service am Beispiel der PPI-Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergrund der PPI-Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der FOS als Frühwarnsystem für den Finanzsektor . . . . . . . c) Selbstregulierung durch eigenverantwortliches Beschwerdemanagement und Implementierung von lessons learned . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
85 86 86 87 88 93 93 95 95 97 99 99 100 101 102 104 104 105 107 108 110 111 112 115 115 115 117 121 123 124 126
130
XVI
Inhaltsverzeichnis
d)
Wahrnehmung von Verbraucherinteressen und Bewältigung von Massenbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die drei zentralen Rollen des FOS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die drei Funktionen des Energy Ombudsman . . . . . . . . . . . . . . . . II. ADR als gerichtsähnliches Streitbeilegungsinstrument in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgeberische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reflektion von ADR in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstverständnis der ADR-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Versicherungsombudsmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ombudsmann der privaten Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schlichtungsstelle Energie e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Universalschlichtungsstelle des Bundes beim Zentrum für Schlichtung e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132 134 135 138 138 142 144 144 147 148 149 150 151
Steuerungseffekte durch ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politisch intendierte Entlastung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökonomische Steuerungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADR als soziales Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung von Beschwerde- und Marktdaten . . . . . . . . . . . . . . .
153 153 154 158 160
Kapitel 4: Handlungslast, Ergebnisbindung und Rechtsbindung in ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
A. Handlungslast, zwingendes Urteil und Rechtsbindung – der traditionelle Dreiklang der Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
C. I. II. III.
ADR und Justizgewährungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht auf wirksame Beschwerde, Art. 6 und 13 EMRK . . . . . . . . 2. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, Art. 47 GRCh . . . . . . . 3. Implikationen für obligatorische ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . a) Rechtssache Alassini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtssache Menini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine unmittelbare Anwendbarkeit der justiziellen Verfahrensgarantien auf ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine grundsätzliche mittelbare horizontale Drittwirkung justizieller Verfahrensgarantien für ADR-Stellen . . . . . . . . . . II. Recht auf Zugang zu den Gerichten nach nationalem englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. I.
165 166 166 167 169 169 171 173 174 177
Inhaltsverzeichnis
XVII
1. Parliamentary Sovereignity und Rule of Law . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Human Rights Act 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Recht auf Zugang zu den Gerichten nach nationalem deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 181
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelbare Wirkung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klauselrichtlinie 93/13/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mediationsrichtlinie 2008/52/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. ADR-Richtlinie 2013/14/EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Asymmetrisch-heteronome Teilnahmepflicht für Unternehmen . . . . 1. Teilnahmeverpflichtung als Voraussetzung effektiven ADRRechtsschutzes in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Primat der Freiwilligkeit von ADR in Deutschland . . . . . . . . . . . III. Asymmetrisch-autonome Teilnahmepflicht für Unternehmen . . . . . . 1. Teilnahmepflicht englischer Unternehmen in selbstregulierten Wirtschaftsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selbstverpflichtung deutscher Unternehmen als Ausdruck freiwilliger ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Symmetrisch-autonome vertragliche Teilnahmevereinbarungen . . . . 1. Beschränkung peremptorischer Klageverzichte des Verbrauchers nach englischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) ADR-Vereinbarungen mit peremptorischen Klageverzicht b) ADR-Vereinbarungen mit dilatorischem Klageverzicht . . . . c) Durchsetzbarkeit von ADR-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung von ADR-Vereinbarungen mit Verbrauchern in AGB in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) ADR-Vereinbarungen mit peremptorischen Klageverzicht b) ADR-Vereinbarungen mit dilatorischem Klageverzicht . . . . c) Durchsetzbarkeit von ADR-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . V. Einschränkung der Privatautonomie durch gerichtlichen Druck . . . 1. Druck englischer Gerichte zur einvernehmlichen Streitbeilegung a) Gerichtliche Ermutigung zum Gebrauch von ADR . . . . . . . . b) Kostensanktionen für die Verweigerung von ADR . . . . . . . . c) Implizierter Zwang zur Teilnahme an Consumer ADR schemes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ermutigung zu ADR durch den Online Court in England 2. Ermutigung deutscher Gerichte zur Nutzung von ADR . . . . . . . .
185 186 186 187 189 189 191
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Symmetrisch-heteronome Bindung durch Schiedsspruch . . . . . . . . . . II. Asymmetrische Bindung an das Verfahrensergebnis für Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226 226
182
191 193 194 194 195 199 199 200 202 203 204 204 208 210 212 212 212 214 216 219 222
228
XVIII
Inhaltsverzeichnis
1. Befolgungspflicht von Unternehmen nach englischem Recht . . . . a) Asymmetrische Ergebnisbindung von Unternehmen . . . . . . . b) Rechtlicher Charakter von Ergebnissen in Ombudsverfahren und deren Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befolgungspflicht des Unternehmers nach deutschem Recht . . . . a) Asymmetrisch-autonome Ergebnisbindung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtlicher Charakter der Schlichtungsvorschläge mit asymmetrischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Symmetrisch-autonome Bindung an das Verfahrensergebnis . . . . . . 1. Wirkung des Compromise Agreement nach englischem Recht . . . 2. Wirkung des Vergleichs nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtskraft von Verfahrensergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Res judicata und merger von Ergebnissen aus ADR-Verfahren a) Merger und res judicata im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskraft von Entscheidungen des FOS . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbarkeit auf andere ADR-Entscheidungen . . . . . . . . . 2. Rechtskraft von Verfahrensergebnissen nach deutschem Recht E. I. II. III. IV.
Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsstandards in Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss der Rechtslage in der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsstandards in Ombuds- und Schlichtungsverfahren . . . 1. Subjektiver Fair-and-reasonable-Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezifizierung des Fair-and-reasonable-Standards durch öffentliche Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entscheidungen des FOS in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . d) Ermessensgrenzen des Fair-and-reasonable-Standards . . . . . aa) Überprüfungsmaßstab und Ermessen der Ombudsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Alternative Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtliche Auslegungshoheit der Gerichte . . . . . . . . . . . . dd) Abweichung von materiellem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Prozessuale Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausrichtung des Schlichtungsvorschlags an geltendem Recht, § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung des Rechtsorientierungsgebots des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausrichtung des Schlichtungsvorschlags an geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . .
228 229 230 234 234 235 237 237 240 247 247 248 249 252 253 254 254 257 258 259 260 260 261 265 266 266 268 270 271 272 273 273 274 278
Inhaltsverzeichnis
b) c) d)
cc) Keine Aufspaltung von Tatbestand und Rechtsfolgen dd) Unsicherheiten im Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Rechtsorientierungsgebot in der deutschen ADRPraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirksamkeit eines Vergleichs in Abweichung zwingenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine unmittelbare gerichtliche Überprüfung von Verfahrensergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX 279 280 282 286 288
Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung . . . . Keine Verkürzung des Zugangs zu den Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freiwilligkeit von ADR für Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkungen des effektiven Rechtsschutzes durch asymmetrisch-heteronome Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsmaßstäbe in ADR-Verfahren: Fair-and-reasonableStandard und Rechtsorientierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis von Fairness und materiellem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische Unterschiede zur Verwirklichung der Ziele der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen des Entscheidungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnahmepflichten bedingen keine materielle Rechtsbindung des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klarheit von Sach- und Rechtslage bedingt erhöhtes Maß an materieller Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen der Kumulierung mehrerer Bindungselemente . . . . . Verbraucherschutz erfordert keine strikte materielle Rechtsbindung des Ergebnisinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADRStellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
F. I.
II.
III. IV. V. VI.
290 291 291 291 294 295 296 297 299 301 303
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertikale Aufsicht in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festigung eines vertikalen Aufsichtsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Chartered Trading Standards Institute als zuständige Behörde und zentrale Anlaufstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sektorunabhängige Anerkennung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgeberische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit des BfJ und anderer Ministerien . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik am vertikalen Aufsichtsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
312 314 314 315 316
Aufgaben der zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung von ADR-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sektorspezifische Standards im Vereinigten Königreich . . . . . . . .
318 319 319
B. I.
310 310 311
XX
Inhaltsverzeichnis
2. Anerkennung deutscher ADR-Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Widerruf der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Laufende Aufsichtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sektorspezifische Aufsicht in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Aufsichtstätigkeiten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . IV. Informationspflichten und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationspflichten der zuständigen Behörden und der zentralen Anlaufstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) ADR Report des CTSI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbraucherschlichtungsbericht des BfJ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperation zwischen zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kooperation zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen a) Kooperation zwischen ADR-Stellen und Regulierungsbehörden in England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine über die Berichtspflichten hinausgehende Kooperation in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchsetzung unternehmerischer Informationspflichten und weiterer nationaler Umsetzungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Durchsetzung durch englische Trading Standards . . . . . . . . . b) Bundesamt für Justiz als Bußgeldbehörde und private Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
322 324 326 326 330 332
C. Auswirkungen der Regelungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit von Anerkennung und Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Missstände durch mindestharmonisierende Vorgaben der ADRRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenze zwischen Neutralität und der Wahrnehmung quasiregulatorischer Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Streitbeilegungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit staatlicher Richter . . . c) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Schiedsverfahren und der Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertraulichkeit von Streitbeilegungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . a) Vertraulichkeit im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie b) Vertraulichkeit in Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Öffentlichkeitsgrundsatz in staatlichen Gerichtsverfahren 3. Grenzen der Neutralität und Vertraulichkeit für die Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . IV. Korrelation zwischen Steuerungswirkungen und Aufsicht . . . . . . . . . V. Kein Konkurrenzkampf zwischen mehreren zuständigen Behörden
346 346
332 333 334 338 338 339 341 343 344 345
348 350 350 351 352 353 354 354 356 357 358 362 363
Inhaltsverzeichnis
XXI
VI. Auswirkungen des Aufsichtsmodells auf Qualitätsstandards . . . . . . .
364
Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme . . . .
367
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswirkungen auf den staatlichen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ADR entzieht den Zivilgerichten keine Verbraucherstreitigkeiten 2. Keine gerichtliche Verweisung in gerichtsferne ADR-Verfahren 3. Änderungen durch den Online Court für England und Wales . . . 4. Entlastung der Gerichte durch ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rückwirkungen auf das Präzedenzrecht und den Rechtsstaat . . . . . . 1. Staatliche Rechtsprechung und Präzedenzsystem als öffentliches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Bindung von ADR an Präzedenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutungsverlust der gerichtlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . 4. ADR: der nur gefühlte Feind des Präzedenzsystems . . . . . . . . . . . a) Spezifika des rechtsordnungsübergreifenden angelsächsischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ADR-Systeme entsprechen rechtsstaatlichen Vorgaben . . . . c) Kompensation fehlenden Präzedenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuführung potenzieller Präzedenzfälle zu den Gerichten . . . III. Rückwirkungen auf die Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367 368 368 370 370 371 372 372 373 375 378 378 379 380 382 384
Rückwirkungen auf die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückwirkungen auf die Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Verdrängung des Zivilprozesses durch ADR . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung als anerkannte und durch ADR ungefährdete Aufgabe der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rezeption von Schlichtungsvorschlägen in der Rechtsprechung 4. Allokation rechtsgrundsätzlicher Fragestellungen zur Ziviljustiz II. Auswirkungen auf die Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
386 386 386
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR . . . . . . . . . . . . I. Erweiterter Zugang zu Rechtsschutz außerhalb der gerichtlichen Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwendige Komplementarität von Ziviljustiz und ADR . . . . . . . . . III. Kooperatives Gefüge von Ziviljustiz und ADR . . . . . . . . . . . . . . . . .
397 397 399 401
Kapitel 7: Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
405
A. Geringer Einfluss der Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie . . . . . . . .
405
B.
407
B. I.
Streitbeilegung und datenbasierte Steuerungswirkungen durch ADR
C. ADR im Kontext des Justizgewährungsanpruchs und der Rechtsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389 392 393 395
411
XXII
Inhaltsverzeichnis
D. Qualitätssicherung durch laufende Aufsichtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . .
415
E.
Notwendige Verzahnung von ADR und Ziviljustiz . . . . . . . . . . . . . . . . .
417
F.
Gesamtfazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
459
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. ABTA AcP Adol. & El. ADR AG AGB AKL AnwBl. App. AS Aufl. AVS NRW Az. BaFin BAG BayObLG Bd. bdv BeamtStG BeckOK BeckRS BDSG BEIS Beschl. BfJ BGB BGH BIS BMJV BRAK BRAK-Mitt. BR-Drucks. BT-Drucks. BVR C2B CAA CEAR Act 2007
andere Ansicht Amtsblatt Association of British Travel Agents Archiv für die civilistische Praxis Adolphus & Ellis’s Reports Alternative Dispute Resolution Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternative Konfliktlösung Anwaltsblatt Appendix Alternative Streitbeilegung Auflage Anwaltliche Verbraucherschlichtungsstelle NRW e.V. Aktenzeichen Bundesanstalt für Finanzaufsicht Bundesarbeitsgericht Bayerische Oberlandesgericht Band Bund der Versicherten Beamtenstatusgesetz Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Bundesdatenschutzgesetz Department for Business, Energy and Industrial Strategy Beschluss Bundesamt für Justiz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Department for Business, Innovation and Skills Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen Bundesrat Drucksache Bundestag Drucksache Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken Consumer to business Civil Aviation Authority The Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007
XXIV CEDR CDR CDRL CIArb CISAS C.J.Q. CML Rev. COM Const. L.J. Cornell L. Rev. CPR CTRL CTSI DECC dass. ders. dies. DIHK DRiZ ECC-Net EG EGMR EGZPO EMRK ENE Eng. Rep. ENWG ERCL ERPL ErwG EU EuCML EuGH EUR EuR EuZW e.V. EVZ EWCA EWHC EU-FahrgRBusG EU-FahrgRSchG f./ff. FAZ Fn. FS FSA FCA
Abkürzungsverzeichnis Centre for Effective Dispute Resolution Consumer Dispute Resolution Consumer Dispute Resolution Ltd. Chartered Institute of Arbitrators Communications and Internet Services Adjudication Scheme Civil Justice Quarterly Common Market Law Review Commission Construction Law Journal Cornell Law Review Civil Procedure Rules Computer and Telecommunications Law Review Chartered Trading Standards Institute Department of Energy and Climate Change dasselbe derselbe dieselbe(n) Deutscher Industrie- und Handelskammertag Deutsche Richterzeitung European Consumer Centres Network Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung Europäische Menschenrechtskonvention Early Neutral Evaluation English Reports Energiewirtschaftsgesetz European Review of Contract Law European Review of Private Law Erwägungsgrund Europäische Union Journal of European Consumer and Market Law Europäischer Gerichtshof Euro Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäisches Verbraucherzentrum Deutschland England and Wales Court of Appeal High Court of England and Wales EU-Fahrgastrechte-Kraftomnibus-Gesetz EU-Fahrgastrechte-Schifffahrt-Gesetz folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Financial Services Authority Financial Conduct Authority
Abkürzungsverzeichnis FinSV FOS FRD FSMA GDV Geo L.J. GewArch GG GPR GRCh GVG Harv. Negot. L. Rev. h. M. HwO Hrsg. IBAS ibid. I.C.L.Q. IFG Int. J.L.C. IR IT IWRZ J.B.L. J Consum Policy JFRCJ J.P.L. jurisPK JZ KOM Law & Fin. Mkt. Rev. Law & Soc’y Rev. LCCP LCIA LeO LG LJ L.M.C.L.Q. LNS LSB Ltd LuftSchlichtV LuftVG MDR MLR MMR MoU
Finanzschlichtungsstellenverordnung Financial Ombudsman Service Ltd Federal Rule Decisions Financial Services and Markets Act Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft The Georgetown Law Journal Gewerbearchiv Grundgesetz Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gerichtsverfassungsgesetz Harvard Negotiation Law Review herrschende Meinung Handwerksordnung Herausgeber Independent Betting Adjudication Service Ltd. ibidem International & Comparative Law Quarterly Informationsfreiheitsgesetz International Journal of Law in Context InfrastrukturRecht Informationstechnik Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Journal of Business Law Journal of Consumer Policy Journal of Financial Regulation and Compliance Journal of Politics and Law juris PraxisKommentar Juristenzeitung Kommission Law and Financial Markets Review Law & Society Review Licence conditions and codes of practice London Court of International Arbitration Legal Ombudsman Landgericht Lord Justice Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Legal Network Series Legal Service Board Limited Luftverkehrsschlichtungsverordnung Luftverkehrsgesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Modern Law Review Multimedia und Recht Memorandum of Understanding
XXV
XXVI MüKo m. w. N. NC.J. Int’l L. & Com. Reg. NEON NJ NJW NJW-RR Nr. NRW NVwZ NW. U. L. Rev. NYÜ NZBau ODR OFT Ohio St. J. on Disp. Resol. OLC ÖPNV OS OWIG para./paras. PKV-Ombudsmann PPI r./rr. RabelsZ Rn. reg./regs. RIW RRa r+s RVG s./ss. S. Sch. SchiedsVfG SchiedsVZ SchliO SchliO-Post SNUB söp Stan. L. Rev. TCO Temp. L. Rev. TKG
Abkürzungsverzeichnis Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation National Energy Ombudsman Network Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Northwestern University Law Review New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Online Dispute Resolution Office of Fair Trading Ohio State Journal on Dispute Resolution Office for Legal Complaints Öffentlicher Personennahverkehr The Ombudsman Service Limited Ordnungswidrigkeitengesetz paragraph/paragraphs Ombudsmann Private Kranken- und Pflegeversicherung Payment Protection Insurance rule/rules Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer regulation/regulations Recht der internationalen Wirtschaft Aktuell ReiseRecht aktuell recht und schaden Rechtsanwaltsvergütungsgesetz section/sections Seite/Seiten; Satz Schedule Schiedsverfahrensgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schlichtungsordnung gemäß § 47a Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes i. V. m. § 5 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz Schlichtungsordnung gemäß § 18 Abs. 2 S. 3 Postgesetz Nahverkehr Schlichtungsstelle Niedersachsen und Bremen e.V. söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. Stanford Law Review The Consumer Ombudsman Temple Law Review Telekommunikationsgesetz
Abkürzungsverzeichnis UA UALR L. Rev. U. Cin. L. Rev. UK UKlaG UNCITRAL UnivSchlichtV UWG VersR VermVO VomVO VO VSBG VSBInfoV VuR VVG VwGO vzbv WLR Windsor Y.B. Access Just. WM Yale J.L. & Human. Yale L.J. ZAP ZEuP ZEV ZfRSoz ZFS ZIP ZKM ZPO ZRP ZUM ZVertriebsR ZVglRWiss ZZP
XXVII
Unterabsatz University of Arkansas at Little Rock Law Review University of Cincinnati Law Review United Kingdom Unterlassungsklagengesetz United Nations Commission on International Trade Law Universalschlichtungsverordnung Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Versicherungsrecht Verfahrensordnung für Beschwerden im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns Verordnung Verbraucherstreitbeilegungsgesetz Verbraucherstreitbeilegungs-Informationspflichtenverordnung Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Weekly Law Reports Windsor Yearbook of Access to Justice Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Yale Journal of Law and the Humanities Yale Law Journal Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz e.V. Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Konfliktmanagement Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Vertriebsrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
Kapitel 1
Einleitung und Untersuchungsgegenstand Die Ziviljustiz steht seither vor die Herausforderung, einerseits im Zivilprozess – soweit erforderlich – größtmögliche Individualgerechtigkeit durch Urteile walten zu lassen, die das Ergebnis einer gründlichen Rechtsanwendung darstellen, und andererseits die Verfahrensstrukturen zum Schutze der schwächeren Partei möglichst effizient zu gestalten. Aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Zugangshindernisse gelingt es jedoch oftmals nicht, Verbrauchern1 den Gerichtsweg, gerade zur Geltendmachung geringwertiger Forderungen, schmackhaft zu machen. Diese zivilprozessuale Gleichung wurde mit der unionsweiten Förderung niedrigschwelliger alternativer Streitbeilegung in Verbrauchersachen erweitert. Dabei bleibt bislang unbeantwortet, ob die Verlagerung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten in private Streitbeilegungsmechanismen eine durchdachte Antwort auf die Krisen nationaler Zivilgerichtssysteme darstellt oder ob damit – ohne die Nebenwirkungen auf die Rechtsssysteme zu kennen – nur versucht, Symptome zu behandeln. Diese rechtsvergleichende Arbeit soll einen Forschungsbeitrag zur Integration von ADR in die nationalen Rechtsschutzsysteme leisten.
A. Problemstellung Der seit den 1980er-Jahren global zu verzeichnende Trend, Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern außerhalb staatlicher Gerichtsverfahren mithilfe alternativer Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution, ADR) beizulegen, ist unlängst in Europa angekommen. Die Europäische Union (EU) hat sich früh der Förderung von ADR verschrieben, um den europäischen Binnenmarkt und das Vertrauen der Verbraucher in dessen Funktionsweisen zu stärken.2
1 Nur aus Gründen der Vereinfachung wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet, welches für Personen jeden Geschlechts stehen soll. 2 Grünbuch über Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt KOM(93) 576 end.; Empfehlung 98/257/EG der Kommission v. 30.3.1998; Mitteilung der Kommission KOM(2011) 0161 endg. (nicht im Amtsblatt abgedruckt); Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivilund Handelsrecht, KOM(2002) 196 endg.; eingehend zu den unionsrechtlichen Entwicklungen alternativer Streitbeilegung, Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 13–16; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 45–48; Silberzahn, Die ADR-Richtlinie als neuer Weg der
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
Niedrigschwellige ADR-Verfahren sollen Verbrauchern schnelle, kostengünstige und effiziente Alternativen zum gerichtlichen Rechtsschutz eröffnen.3 ADR soll Verbrauchern insbesondere dort Zugang zum Recht („access to justice“4) verschaffen, wo sie aufgrund unverhältnismäßig hoher Rechtskosten(risiken) üblicherweise auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichten.5 Zwar sind die so entstandenen Schäden für Verbraucher enorm,6 jedoch treffen sie mit dem Verzicht auf die Geltendmachung ihrer Forderung angesichts zeitaufwendiger und komplexer Gerichtsverfahren sowie der für sie nur schwer vorhersehbaren Kostenrisiken oftmals eine rationale Entscheidung.7 Diesbezüglich haben sich bereits die Bezeichnungen des „rationalen Desinteresses“8 beziehungsweise der „rationalen Apathie“9 herausgebildet. Die ADR-Richtlinie10 verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit dem 9. Juli 2015 ein flächendeckendes Netz von ADR-Stellen zu gewährleisten, das Verbrauchern die Möglichkeit geben soll, ihre Streitigkeiten mit Unternehmern außergerichtlich beilegen zu können.11 Begleitet wird diese Verpflichtung unter anderem durch Qualitätsanforderungen für ADR-Anbieter, die prozessuale Mindestgarantien sicherstellen sollen und deren Einhaltung durch
verbraucherrechtlichen Konfliktmittlung, 2016, S. 14–19; eingehend zur Genese der ADRRichtlinie und ODR-Verordnung, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 62–74. 3 Gössl, NJW 2016, 838 ff.; Fuchs, ZUM 2016, 398; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 2. 4 Hierzu grundlegend Cappelletti/Garth/Trocker, RabelsZ 40 (1976), 669 ff.; Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181 ff. 5 Ein solches Missverhältnis kann sich insbesondere bei geringwertigen Streitigkeiten ergeben. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2010 verzichten etwa 60 % der Verbraucher auf die gerichtliche Geltendmachung ihrer Forderungen gegen Unternehmen aufgrund geringer Streitsummen sowie der Komplexität und Kosten eines Gerichtsverfahrens, Consumer Empowerment Survey, Special Eurobarometer Nr. 342, 2010; hierzu auch Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 19, 24 f. 6 Die Europäische Kommission schätzt den Schaden für Verbraucher auf 0,4 % des BIP der EU und damit auf über EUR 500 Mio. jährlich; Verbraucherschutzverbände beziffern diese Schäden noch wesentlich höher, vgl. Karner, in: Schmidt-Kessel/Strünck/Kramme (Hrsg.), Im Namen der Verbraucher?, 2015, S. 165, 172. 7 Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 365; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 34. 8 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 19; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 83–85. 9 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 34; Hess, JZ 2015, 548, 551. 10 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG. 11 Darüber hinaus seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, das jeweilige nationale Verbraucherschutzniveau zumindest zu perpetuieren, um dem in Art. 1 ADR-Richtlinie definierten Richtlinienziel zu genügen, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 93.
A. Problemstellung
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staatliche Behörden kontrolliert wird. Bislang haben die offen formulierten, nur mindestharmonisierenden Vorgaben der ADR-Richtlinie zu sehr unterschiedlichen ADR-Landschaften in den Mitgliedstaaten geführt.12 Ein Umstand, der angesichts des divergierenden Entwicklungsstands von ADR, der rechtskulturellen Unterschiede sowie der gebotenen Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten nur wenig überrascht. Dementsprechend identifiziert die Kommission den mitunter geringen Bekanntheitsgrad von ADR, die schwierige Navigation durch die vielfältigen ADR-Landschaften und die mangelnde Teilnahmebereitschaft von Unternehmen als die größten Herausforderungen eines voll wirksamen ADR-Gefüges.13 Flankiert wird die ADR-Richtlinie durch die ODR-Verordnung14, welche die Europäische Kommission zum Unterhalten einer OnlinePlattform verpflichtet, die als Intermediär zwischen den Parteien und den durch die Richtlinie geschaffenen ADR-Stellen fungieren soll.15 Wenngleich die europäischen Rechtsakte mitunter als Revolution der Streitbeilegungskultur in Verbrauchersachen bezeichnet wurden,16 stecken die Entwicklungen auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen.17 ADR wird mitunter 12 Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 8. Diese Vielfalt der ADR-Landschaften erschwere die Navigation für Verbraucher und Unternehmer (S. 11). 13 Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 10–12. 14 Verordnung (EG) Nr. 524/13 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.5.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG. 15 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 11; Engel, NJW 2015, 1633, 1634; Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, S. 83 f. Die ODR-Plattform erfreue sich der Kommission zufolge bei Verbrauchern hoher Akzeptanz, wobei sie gelegentlich mit einer ADR-Stelle verwechselt werde. Gleichwohl werden 80 % der gemeldeten Streitfälle mangels Reaktion des Unternehmens geschlossen, Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 16–18. 16 Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 368. Die Entwicklungen als eine „stille Revolution der EU“ bezeichnend, Engel, AnwBl. 2013, 478 ff. 17 Zutreffend Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351 ff.; Berlin, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 67 ff. Der Kommission zufolge, sei ADR und ODR für Verbraucher zu einem integralen Bestandteil des Instrumen-
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
argwöhnisch betrachtet und scheint, zumindest in der deutschen Rechtsordnung, vorerst unter Quarantäne gestellt worden zu sein. Kritiker sehen in ADR ein trojanisches Pferd18 für den Verbraucherschutz und befürchten gar die Schaffung eines parallelen Justizsystems, welches die richterliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen verhindere.19 Kritisiert wird insbesondere die Förderung einer Streitbeilegungskultur, die rein auf den Abschluss eines Vergleichs gerichtet sei.20 Für Befürworter komplettiert ADR hingegen den Zugang zum Recht gerade für einfach gelagerte und geringwertiger Streitigkeiten.21 Während das Thema ADR und ODR in Verbrauchersachen – vor und nach Umsetzung der ADR-Richtlinie – bereits Gegenstand monografischer Untersuchungen war,22 geht diese Arbeit einer Reihe neuer Fragestellungen nach, die tariums der EU für die öffentliche und private Durchsetzung des Verbraucherrechts geworden, wobei der bestehende ADR- und ODR-Rahmen nicht ausreichend genutzt und sein volles Potenzial noch nicht ausgeschöpft werde, Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 19. 18 Eidenmüller/Engel, FAZ 12.7.2013, S. 7 „trojanisches Pferd in den Burgfrieden des Verbraucherschutzes“. 19 Roth, JZ 2013, 637, 644 „Paralleluniversum“; ders., DRiZ 2015, 24, 27 spricht gar von einer „Entrechtlichung der Justiz“; Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704 ff.; Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 414; zum Verhältnis von Ziviljustiz und einvernehmlicher Streitbeilegung auch Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117, 125–128; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 19, 41 f.; vgl. auch Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073 ff.; a. A. Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 155 f. 20 Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 117 „The outcome of mediation is not about just settlement, it is just about settlement.“; dies., Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 411. 21 So Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163–166; ders., NJW 2013, 2088 ff.; Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351 ff.; die Eigenständigkeit von ADR mit eigenen Vor- und Nachteilen betonend Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 151–154. 22 Vor Erlass der ADR-Richtlinie bereits rechtsvergleichend, Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999; Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, 2001; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002; Tian, Die alternative Streitbeilegung, 2007; speziell zu ODR, Hofmeister, Online Dispute Resolution bei Verbraucherverträgen, 2012; Schüttel, Streitbeilegung im Internet – Zukunft oder Irrweg?, 2014; zu den „best practices“ in ADR bzw. der Verbrauchermediation, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015; rechtsvergleichend zum Mediationsgesetz, Serbu, Das deutsche Mediationsgesetz im europäischen Kontext, 2016; zur Geeignetheit von ADR zur Verbraucherrechtsdurchsetzung, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016; mit speziellem Bezug zu grenzüberschreitendenden Thematiken, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018; Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018; Meyer, Online Dispute Resolution, 2018; mit einem Vergleich zwischen ADR in Verbrauchersachen und der gerichtlichen Streitbeilegung, Hidding, Zugang zum Recht für Verbrau-
A. Problemstellung
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erstmals rechtsvergleichend mit der englischen Rechtsordnung untersucht werden. Der Diskurs wirft die Kernfrage dieser Arbeit auf: Wie wirkt sich die Lockerung des Justizmonopols, die mit der Förderung von ADR für Verbraucherstreitigkeiten einhergeht, auf die untersuchten Rechtsordnungen aus? Insbesondere stellen sich die Unterfragen, ob die die Nutzung von ADR die gesellschaftliche Bedeutung der Ziviljustiz für die Klärung und Weiterentwicklung des Rechts beinträchtigt und wie ADR in das Rechtsschutzsystem in Zivilsachen integriert werden kann, ohne die herausragende öffentliche Bedeutung der Rechtsprechung für die Klarheit und Weiterentwicklung des Rechts zu untergraben.23 Der Auftrag staatlicher Gerichte geht insofern weit über die Durchsetzung von Individualgerechtigkeit hinaus. Öffentlichkeitswirksame Gerichtsentscheidungen entfalten ihre regulatorische Kraft dadurch, dass sie für Rechtssicherheit sowie für eine adäquate Weiterentwicklung des Rechts sorgen.24 Inwieweit ist es ADR-Stellen also möglich, mit der Ziviljustiz zusammenzuarbeiten oder sogar selbst öffentliche Funktionen der Rechtsprechung zu übernehmen? Die Beantwortung dieser Kernfrage hängt maßgeblich von der Klärung einer wesentlichen Unterfrage ab, namentlich der Frage nach der Bedeutung des materiellen Rechts in ADR-Verfahren. Die Antworten auf die Frage nach der Bedeutung des materiellen Recht ist essenziell um im Sinne der Kernfrage besser beurteilen zu können, ob sich die Ziviljustiz in ihrem Geltungsanspruch beeinträchtigt sehen muss. Hiervon kann keine Rede sein, wenn das durch die Rechtsprechung geprägte Recht auch in ADR-Verfahren zur Geltung kommt, wohl aber dann, wenn sich ADR-Verfahren durch die Anwendung außerrechtlicher Kriterien von der Strahlkraft der Rechtsprechung abschirmen würden. Der Inhalt der Verfahrensergebnisse muss jedenfalls nicht dem geltenden materiellen Recht entsprechen.25 Speziell das primäre Ziel einer einvernehmlichen cher, 2019; zur Frage der Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus durch ADR, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020; rechtsvergleichend zur Durchsetzung von Verbraucherrechten Nürnberg, Die Durchsetzung von Verbraucherrechten, 2020; zur Rolle des Rechts in der Verbraucherstreitbeilegung, Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021. 23 Der Rechtskreis des Common Law basiert auf dem Prinzip der bindenden Wirkung von Präzedenzfällen (doctrine of binding precedent oder stare decesis), sodass richterliche Entscheidungen maßgeblich für die Schaffung und Entwicklung des Rechts sind; eingehend zur Bedeutung der englischen Ziviljustiz, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 126–180; Neuberger, Equity, ADR, Arbitration and the Law, 2010. Aber auch in der deutschen Rechtsordnung, in welcher kodifiziertem Recht eine höhere Bedeutung als im Common Law zukommt, sind Rechtsfindung und -fortbildung elementare Aufgaben staatlicher Gerichte; BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 288 = NJW 1973, 1221; BVerfG, Beschl. v. 11.10.1978 – 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304, 318 = NJW 1979, 305, 306; hierzu auch Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 11–13. 24 Vgl. Woolf, Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Kap. 14 Rn. 2; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 53; Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397; Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, Rn. 17. 25 Im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie stellt das englische Recht im Falle einer
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
Konfliktlösung in ADR-Verfahren könnte die Wertungen des materiellen Rechts in den Schatten rücken und Verbraucher zu nachteilhaften Kompromissen zwingen.26 Andererseits könnte die Berücksichtigung außerrechtlicher Kriterien, die möglicherweise von veralteten rechtlichen Standards abweichen, Verbrauchern gar zum Vorteile gereichen.27 Ferner bedingt das Forschungsinteresse für die Bedeutung des materiellen Rechts in ADR-Verfahren eine Analyse der Ziele und Funktionen von ADR. Insofern stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Rechts nicht nur als reine Unterfrage, sondern eröffnet eine weitere, eigenständige Dimension. Die Überlegung, dass ADR auch als wirtschafts- oder sozialpolitisches Instrument Wirkungskraft entfalten kann, anstatt auf die Funktion der Streitbeilegung reduziert zu sein, war der deutschsprachigen Rechtswissenschaft bislang weitestgehend fremd. Das erforderliche Maß an materieller Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts beurteilt sich letztlich auch nach dem Zweck des Verfahrens. Ausgangspunkt der Frage nach dem erforderlichen Maß an materieller Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts ist dabei zunächst das Idealbild des gerichtlichen Zivilprozesses, dem ein Dreiklang bestehend aus der Teilnahmepflicht und Ergebnisbindung der Parteien sowie einer materiellen Rechtsbindung der Entscheidung zugrundeliegt. Dieser Dreiklang ist dem übergeordneten Ziel der Rechtsdurchsetzung zu dienen bestimmt. Vor dem Hintergrund dieses, den Bürgern zumindest in Umrissen vertrauten, zivilprozessualen Dreiklangs, scheinen die hiervon abweichenden Ansätze in ADR-Verfahren erklärungsbedürftig. Die Frage des erforderlichen Maßes an Rechtsbindung wirft daher zunächst die Frage nach den Zielen und Funktionen von ADR auf. Insofern gilt es zu klären, ob ADR nur dem Rechtsschutz oder aber auch der Rechtsdurchsetzung zu dienen bestimmt ist. In der rechtssoziologisch geprägten angelsächsischen Literatur28 wird ADR nicht nur als Mittel zur Förderung des Zugangs zum Recht, bindenden Entscheidung lediglich die Einhaltung zwingender Verbraucherrechtsnormen sicher. Bei einem Lösungsvorschlag muss der Verbraucher lediglich informiert werden, wenn der Vorschlag von geltendem Recht abweichen könnte, Sch. 3 paras. 8, 11 The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Competent Authorities and Information) Regulations 2015 (ADR C&I Regulations). In Deutschland soll der Schlichtungsvorschlag an geltendem Recht ausgerichtet sein und zwingendes Verbraucherrecht beachten, § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG. 26 Schulte-Nölke, EuCML 2015, 135, 137; vgl. schon Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1085. 27 So Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 414; James/Morris, 2003, S. 167, 191. Zweifelnd hingegen Roth, DRiZ 2015, 24, 26 f.; Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, 369. 28 Die Schwerpunktsetzung auf rechtssoziologische Fragestellungen (socio-legal studies) ist in England unverkennbar, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012; Palmer, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 17, 44, „[...] ADR therefore needs to be more socio-legal in approach [...]“; Hodges, Law and Corporate Behaviour, 2015; vgl. auch Genn, Judging Civil Justice, 2010.
A. Problemstellung
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sondern auch als mögliches politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument verstanden, welches mitunter zum Ziel haben soll, unternehmerisches Verhalten präventiv und repressiv zu steuern.29 Die Beschränkung ökonomischer Macht und die Förderung von Waffengleichheit durch die Stärkung der Stellung der Verbraucher sei mindestens so wichtig, wie die Streitbeilegung als solche.30 Die deutsche Rechtswissenschaft nimmt demgegenüber eher eine distanzierte zivilprozessuale und rein rechtswissenschaftliche Perspektive ein; rechtssoziologische Aspekte treten unter Verweis auf die soziale Bedeutung von Rechtsdurchsetzung erst allmählich zu Tage.31 Erklärungsbedürftig erscheint zudem der Einfluss asymmetrischer Pflichtenkonstellationen, wie sie in ADR-Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten typisch sind. Während im Gerichtsverfahren symmetrische Rechte und Pflichten der Parteien bestehen, sind Unternehmen in ADR oftmals asymmetrisch, das heißt einseitig, zur Teilnahme am Verfahren oder sogar zur Einhaltung der vom Verbraucher akzeptierten Verfahrensergebnisse verpflichtet. Für Verbraucher hingegen basiert das ADR-Verfahren weiterhin auf dem Prinzip größtmöglicher Freiwilligkeit. Angesichts der teils starken Bindungen von Unternehmen an Verfahren und Ergebnisse, die sowohl autonomen als auch gesetzlich heteronomen Ursprungs sein können, stellt sich die Frage, ob diese Art der Beschränkung des Gerichtswegs für Unternehmen nach einer materiellen Rechtsbindung von ADR-Ergebnissen verlangt. Der Untersuchung liegen dabei zwei Arbeitshypothesen zugrunde. Zum einen könnte das Erfordernis der Bindung des Entscheidungsinhalts an materielles Recht desto höher sein, je enger die gesetzlichen oder rechtlichen Bindungen der Parteien an ADR-Verfahren ausgestaltet sind. Zum anderen könnte sich das erforderliche Maß der materiellen Rechtsbindung danach richten, wie gesichert die streiterhebliche tatsächliche und rechtliche Entscheidungsgrundlage ist. Sofern keinerlei Unsicherheiten bezüglich des Sachverhalts sowie der entscheidungstragenden Rechtsfragen bestehen, könnte das Ermessen der neutralen dritten Person zur Berücksichtigung außerrechtlicher Kriterien einzuschränken sein. Ferner gilt es zu hinterfragen, welche Auswirkungen etwaige mit ADR verfolgte verhaltenssteuernde Regulierungsintentionen auf die staatliche Aufsichtstätigkeit über den ADR-Sektor haben. Einerseits stellt sich die Frage, wie sich
29 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 422; Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 355; ders., Law and Corporate Behaviour, 2015, S. 456; ders., ERA Forum 15 (2014), 593, 598. 30 In diesem Sinne Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 353 „[...] CDR is at least as much about market regulation as it is about dispute resolution.“ 31 In diese Richtung etwa die dahin gehenden Ausführungen von Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 51–56; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55 ff.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
das Maß der Kooperation und des Datenaustauschs zwischen Aufsichtsbehörden und ADR-Anbietern auf die Qualität des ADR-Sektors auswirkt. Insofern wurden die mindestharmonisierenden Vorgaben der Art. 18–20 ADR-Richtlinie in England32 und Deutschland konträr umgesetzt. Während die deutsche Rechtsordnung hier klar zwischen den Funktionen der Streitbeilegung und den Aufgaben des Ordnungsrechts zu trennen versucht,33 stehen die englischen Behörden in engem Datenaustausch mit akkreditierten ADR-Stellen, um Erkenntnisgewinne für die eigenen regulatorischen Aufgaben zu erzielen. Andererseits sind die Auswirkungen des Finanzierungsmodells der Aufsicht auf die Qualität des ADR-Angebots und der Aufsichtspraxis zu hinterfragen. In dieser Hinsicht weckte das für ADR-Stellen kostenpflichtige englische Aufsichtsmodell zunächst die Befürchtung, dass ein Konkurrenz- und Kostenkampf der zuständigen Behörden und der ADR-Stellen untereinander zu einer Senkung der Qualitätsstandards für Aufsicht und ADR-Verfahren führen könnte.34
B. Auswahl der Rechtsordnung Es sind die sehr unterschiedlichen Rechtstraditionen und rechtswissenschaftlichen Perspektiven im Hinblick auf den Rechtsschutz für normale Bürger, die den Rechtsvergleich mit der Rechtsordnung Englands besonders interessant machen. So gründet die Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme des Common Law und des Civil Law gerade in den unterschiedlichen Zivilprozesssystemen und Gerichtsverfassungen.35 Demzufolge sind die Antworten auf die Frage nach einem bestmöglichen Zugang zum Recht (access to justice)36 sowie den Ausgestaltungen und Funktionsweisen des ADR-Sektors trotz mindestharmonisierender Vorgaben der Europäischen Union recht unterschiedlich. Diese Unterschiede sind insbesondere auf die divergierenden Streitkulturen und die damit einhergehenden verschiedenartigen Erwartungen an das Rechtssystem zurückzuführen.37 Der englischen Streitkultur sind einvernehmliche Lö32 England und Wales bilden eine einheitliche Rechtsordnung. Zum Zwecke der besseren sprachlichen Handhabung und aufgrund der weit überwiegenden wirtschaftlichen Bedeutung Englands, wird Wales von den Verweisen auf England oder die englische Rechtsordnung mit umfasst. 33 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 43. 34 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297 ff.; zustimmend Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 447 ff. 35 Vgl. hierzu Karameus, RabelsZ 66 (2002), 1, 8; Koch, ZEuP 2007, 735, 737. 36 Zur rechtvergleichenden Betrachtung des Themas „access to justice“ auch Zekoll, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.), The Oxford handbook of comparative law, 2008, S. 1327, 1355; Koch, ZEuP 2007, 735, 744. 37 Zutreffend Creutzfeldt, ZKM 2016, 12, 15; dies., Ombudsmen and ADR, 2018, S. 110–114.
C. Methodik und Gang der Untersuchung
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sungsansätze nicht fremd, was der Bevölkerung seit Längerem die Möglichkeit bat, sich mit ADR zu akklimatisieren. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Förderung gerichtsnaher und -interner Mediation seit den Woolf-Reformen, mit welchen der richterliche Streitentscheid als ultima ratio hinter dem Normalfall der konsensualen Streitbeilegung zurückstehen soll. In der deutschen Rechtsordnung hat sich ADR – ausgenommen zur Beilegung von Wirtschaftsstreitigkeiten – hingegen längst nicht etabliert. Der typische Verbraucher in Deutschland bringt dem gerichtlichen Rechtsschutz und den staatlichen Institutionen mehr Vertrauen entgegen als sein englisches Pendant.38 Während deutsche Gerichte für normale Bürger vergleichsweise zugänglich sind, stellt der Gerichtsweg für Verbraucher in England meist keine gangbare Rechtsschutzmöglichkeit dar.39 Die Erwartungen deutscher Verbraucher an ADR sind daher zunehmend formal und rechtlich formuliert, während englische Beschwerdeführer oftmals von einem informalen Gerechtigkeitsgedanken geleitet sind.40 Der Entwicklungsstand von ADR in Verbrauchersachen in England ist dem der deutschen Rechtsordnung daher weit voraus. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das Beschwerdeaufkommen der ADR-Stellen als auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden und ADR-Stellen in regulierten Wirtschaftssektoren. Zudem ist der englischsprachige akademische Diskurs, anders als der deutschsprachige, deutlich von sozialwissenschaftlichen Perspektiven beeinflusst, die einen eingehenden Blick auf die wichtige Frage nach den Zielen und Funktionen von ADR werfen. Die englischen Erfahrungen könnten so potenziell auch für die deutsche Rechtsordnung fruchtbar gemacht werden und die Angst vor einer Integration von ADR in das bestehende Rechtsschutzsystem nehmen.
C. Methodik und Gang der Untersuchung Die Arbeit bedient sich, wie bereits erwähnt, rechtsvergleichender Perspektiven und Methoden durch einen Vergleich mit der Rechtsordnung Englands. Hintergrund dieses Vorgehens ist die Möglichkeit, allgemeine und grundsätzliche Rechtserkenntnisse zu gewinnen, die für das noch recht junge Forschungsgebiet der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen und der Frage nach den Rückwirkungen des Einsatzes von ADR auf beide Rechtssysteme entscheidend sind. Auch wenn ein großer Teil des materiellen Verbraucherrechts in den Mitgliedstaaten der EU harmonisiert sein mag, bedienen sich die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen unterschiedlichen und historisch geprägten Mechanismen zur Rechtsdurchsetzung, weshalb die Rechtsvergleichung besonders hier-
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Creutzfeldt, ZKM 2016, 12, 16. Creutzfeldt, ZKM 2016, 12, 15. 40 Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 114. 39
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
für Anschauungsmaterial bietet.41 Hierbei können speziell die Stärken und Schwächen sowie die Wirksamkeit des deutschen Rechts herausgestellt werden, indem die unterschiedlichen Probleme und deren Lösungsansätze in beiden Rechtsordnungen aufgezeigt werden.42 Rechtsvergleichende Methoden sind überdies aufgrund der Existenz unionsrechtlicher Vorgaben angezeigt. Diese ermöglichen eine abstrakte Beurteilung der Wirkweisen des Unionsrechts durch die Betrachtung der nationalen Umsetzungen sowie der Rückwirkungen auf die Zielrechtsordnungen und erlauben so Rückschlüsse für die heimische deutsche Rechtsordnung. Die Erkenntnisse und Ergebnisse für England und Wales werden, aufgrund eines einheitlichen politischen Programms und der einheitlichen Umsetzung der Vorgaben der ADR-Richtlinie im Vereinigten Königreich, in großem Umfang auf die Rechtsordnungen Schottlands und Nordirlands übertragbar sein. Nachdem sogleich der Gegenstand der Untersuchung wie auch die relevanten Akteure in ADR-Verfahren näher beleuchtet werden, bildet das zweite Kapitel die bestehenden ADR-Landschaften für zivilrechtliche Verbraucherstreitigkeiten in England und in Deutschland ab. Dabei werden die Bedeutung von ADR, die bestehenden Strukturen, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Implikationen der ADR-Richtlinie erläutert. Das dritte Kapitel verschreibt sich den Zielen und Funktionen von ADR und untersucht die ADR-Mechanismen auf etwaige politische, ökonomische sowie soziale Steuerungseffekte. In einem ersten Schritt wird der politische und akademische Diskurs um ADR in beiden Rechtsordnungen analysiert. Hierbei sind insbesondere Zielideen von ADR interessant, die sich von einem allgemeinen Postulat des Streitbeilegungszwecks hervorheben. In einem zweiten Schritt wird der bestehende Regelungszustand daraufhin untersucht, wie sich die herausgearbeiteten Ziele regulativ in beiden Rechtsordnungen niederschlagen. Die Erkenntnisse basieren dabei auf gesetzgeberischen Erwägungen, der Rezeption von ADR in der Rechtsprechung sowie auf einer Untersuchung der Tätigkeit systemrelevanter ADR-Stellen. Das vierte Kapitel widmet sich der Bedeutung des materiellen Rechts in ADRVerfahren. Zunächst werden ADR-Mechanismen in gebotener Kürze auf ihr Verhältnis zum grundrechtlich gewährleisteten Recht der Parteien auf effektiven Rechtsschutz beleuchtet. Anschließend werden die Bindungswirkungen der Parteien in ADR-Verfahren anhand der drei Elemente des bereits angesprochenen zivilprozessualen Dreiklangs, namentlich Handlungslast, Ergebnisbindung und materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses, beleuchtet. Darauf aufbauend wird das Verhältnis von Verbraucherschutz und Rechtsbindung in ADRVerfahren untersucht und entsprechend der zwei eingangs erwähnten Arbeits-
41
Von einer „Materialisierung des Zivilprozessrechts“ sprechend, Wagner, ZEuP 2008, 6,
42
Vgl. Schütze, ZVglRWiss 10 (2011), 89, 97; Wagner, ZEuP 2008, 6, 18.
18.
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand
11
hypothesen überprüft, inwieweit das Maß der materiellen Rechtsbindung durch das Maß der Bindung der Parteien an das ADR-Verfahren beziehungsweise durch die Klarheit von Sach- und Rechtslage bedingt sein kann. Das fünfte Kapitel fokussiert auf die Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen durch die zuständigen Behörden. Ein Vergleich der Rechtsordnungen unter Auswertung der Daten und Berichte zuständiger Behörden, ADRStellen sowie der Berichte der zentralen Anlaufstelle für die Kommission nach Art. 20 Abs. 6 ADR-Richtlinie zeigt, inwiefern sich die unterschiedlich aktive Aufsichtspraxis in England und Deutschland auf die Qualität von ADR auswirkt und inwiefern die in Kapitel 3 festgestellten Steuerungsüberschüsse in der Aufsicht abgebildet sind. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Gebote der Neutralität, Unabhängigkeit und Vertraulichkeit von ADR im Widerspruch zu einer engen Kooperation zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen steht. Schließlich wird untersucht, ob die Finanzierung der Aufsicht in England durch die ADR-Stellen sogar zu Preisdruck und Konkurrenzkämpfen der zuständigen Behörden führt. Das sechste Kapitel analysiert, aufbauend auf den vorangehenden Kapiteln, wie sich die wandelnde Streitbeilegungskultur in Verbrauchersachen auf die Rechtssysteme in England und Deutschland auswirkt. Die Arbeit analysiert, welche Auswirkungen der zunehmende Einsatz von ADR auf die öffentlichen Funktionen der Rechtsprechung sowie auf die Legislative hat. Vorhandene Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur werden auf Einflüsse der ADR-Praxis untersucht. Zudem wird hinterfragt, inwiefern ADR einen Beitrag zur Erfüllung öffentlicher Interessen leisten und durch Interaktion mit der Ziviljustiz in die Rechtssysteme integriert werden kann. Das siebte Kapitel trifft eine kapitelübergreifende Schlussbetrachtung und wirft einen Ausblick auf die Herausforderungen des Integrationsprozesses von ADR in die nationalen Rechtssysteme.
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand Die Bandbreite der existierenden ADR-Verfahren sowie der in diesem Zusammenhang verwendeten Begrifflichkeiten ist aufgrund des privatautonomen Charakters alternativer Streitbeilegung denkbar groß. Diese Begriffsvielfalt ist nicht zuletzt dem rechtsordnungsübergreifenden Diskurs um ADR, verbunden mit den rechtskulturellen und sprachlichen Besonderheiten, geschuldet. Die jüngste Spezialisierung von ADR auf Verbraucherstreitigkeiten hat dem ADR-Verständnis neue Konturen verliehen und eine neue Subkategorie begründet, die zwar mitunter als „eigene Welt“43 betrachtet wird, sich dennoch vertrauter alternativer Streitbeilegungsmethoden bedient. Im Folgenden werden die grundle43
Hodges, ZKM 2012, 195; Berlin, ZKM 2013, 108, 109.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
genden Termini für und Formen von ADR erläutert; der Untersuchungsgegenstand wird näher umrissen.
I. Alternative Streitbeilegung und ihre Akronyme Das prägnante Akronym „ADR“ wird international für die englische Begrifflichkeit „Alternative Dispute Resolution“ verwendet. Dabei ist die Idee, Streitigkeiten außerhalb staatlicher Gerichte beizulegen, freilich wesentlich älter als der Begriff selbst.44 Ausgangspunkt der Terminologie ist die Access-to-Justice-Bewegung, deren Welle in den 1960er-Jahren in den Vereinigten Staaten ihren Anfang nahm und über Australien erst Anfang der 1990er-Jahre auf das Vereinigte Königreich und Kontinentaleuropa überschwappte.45 Ziel der ADR-Bewegung war und ist es, kostengünstige, schnelle und vertrauliche Alternativen zur Konfliktlösung durch die Gerichtsbarkeit zu entwickeln. Das Akronym „ADR“ entzieht sich einer einheitlichen Definition.46 Das resultiert aus der großen Vielfalt von ADR-Verfahren sowie der bedeutungs- und wortschöpferischen Auslegung und Übersetzung des Buchstabens „A“ in ADR. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Definition von ADR nicht möglich, aber auch nicht erforderlich.47 Der Zweck des Akronyms erschöpft sich aufgrund seiner internationalen Rezeption in beeindruckender Weise in der Erleichterung der sprachraum- und rechtsordnungsübergreifenden Kommunikation und Zusammenarbeit. Das Wort „Alternative“ in Alternative Dispute Resolution soll den Verzicht der Parteien auf die durch die staatlichen Gerichte zur Verfügung gestellten Rechtsschutzmöglichkeiten zugunsten der unter den Sammelbegriff fallenden Verfahren zum Ausdruck bringen.48 Alternative ist insofern missverständlich, als dass ADRVerfahren oftmals staatlichen Gerichtsverfahren vorgeschaltet sind und sein sollen.49 Auch bleibt unberücksichtigt, dass in den meisten ADR-Verfahren eine 44 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. xxix ff.; eingehend zur Geschichte außergerichtlicher Streitbeilegung Roberts/Palmer, Dispute processes, 22005. Zum Rat der außergerichtlichen Streitbeilegung bereits im Matthäusevangelium, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 17. 45 Vereinzelt bestanden auch schon vor den 90er Jahren ADR-Strukturen zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten. So etwa in den Niederlanden mit der „Stichting Geschillenscommissies“, hierzu Verhage, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 229, 230; zur Entwicklung von ADR in Europa Creutzfeldt, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 223, 226–228. 46 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 1.02. 47 Dennoch den Versuch einer Definition wagend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 54–59; Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 27. 48 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 1. 49 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 1 der Begriff sei auch insofern verkürzend, als das sich ADR auch bei nicht justiziablen Ansprüchen eignen könne; hierzu auch Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 82.
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand
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einvernehmliche Lösung angestrebt wird. Deshalb wurde auch versucht, den Begriff Amicable Dispute Resolution zu etablieren.50 Da dieser Terminus jedoch nicht die Schiedsgerichtsbarkeit als eine der grundlegenden ADR-Formen umfasst – mag der Anwendungsbereich bei Verbraucherbeteiligung auch noch so gering sein –, ist er nicht in gleicher Weise als Sammelbegriff geeignet. Die Abwandlung „Appropriate Dispute Resolution“ soll hingegen den besonderen Zuschnitt der Verfahren auf die Parteieninteressen betonen,51 suggeriert im Umkehrschluss jedoch unzutreffend, dass das gerichtliche Verfahren eine ungeeignete Streitbeilegungsform sei. Aus den zahlreichen englischen Begriffen folgt – wenig überraschend – eine uneinheitliche Terminologie auch im deutschen Sprachraum. Der Begriff „außergerichtliche Streitbeilegung“ findet sich in den deutschen Fassungen von Dokumenten der Europäischen Kommission52 und wurde von Rechtsprechung53 und Literatur54 rezipiert. Die Fokussierung auf die Außergerichtlichkeit wird zwar weder den zahlreichen Eigenschaften der ADR noch dem englischen Wortlaut gerecht,55 ist jedoch zur Betonung eben dieses Merkmals hilfreich.56 Greger verwendet die Übersetzung „alternative Konfliktlösung“ (AKL)57, welche allgemeiner und näher am englischen Wortlaut liegt. Schließlich durchgesetzt hat sich die ebenfalls wertneutrale Formulierung „alternative Streitbeilegung“
50 Vgl. Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 46. Die Begrifflichkeit wurde insbesondere durch die bis einschließlich 2013 geltenden ICC ADRRegeln verwendet, vgl. Behme/Probst, ZKM 2014, 8, 9. 51 Vgl. Menkel-Meadow, Temp. L. Rev. 72 (1999), 785, 802; dies., 32014, S. 1 ff.; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 47. 52 Empfehlung der Kommission v. 30.03.1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind (98/257/EG) und Empfehlung der Kommission v. 4.4.2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligten außergerichtlichen Einrichtungen (2001/310/EG) sowie Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen. 53 Statt vieler BGH, Beschl. v. 27.2.2007 – XI ZB 38/05, NJW 2007, 2858; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23.1.2017 – 3 U 139/16, WM 2017, 642. 54 Etwa Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002; Hess, ZZP 2005, 427, 456; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff.; Hess, JZ 2015, 548 ff. 55 So auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 47. 56 Der Begriff scheint daher mitunter gerne zum Zwecke kritischer Darstellungen benutzt zu werden, vgl. Engel, NJW 2015, 1633 ff.; Roth, Die EU-Richtlinie zur Streitbeilegung – Entlastung oder Schwächung der Justiz? Verluste für die deutsche Justizlandschaft?, 7.11.2014. 57 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 1; Unberath, JZ 2010, 975 ff.; Greger, JZ 2011, 229 ff.; Schmitt, VuR 2015, 134 ff.; zuletzt Kiendl, Alternative Streitbeilegung und anwaltliche Verpflichtung zur Verfahrensberatung, 2017, S. 3.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
(AS),58 welche sich auch in der deutschen Fassung der ADR-Richtlinie wiederfindet und daher vorzugswürdig ist.59 Schließlich hat sich im Hinblick auf ADR-Verfahren, die auf die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern ausgerichtet sind, zunächst das Akronym „CADR“ (für Consumer Alternative Dispute Resolution) und später „CDR“ (für Consumer Dispute Resolution) manifestiert.60 Begründet wird dies mit der spezifischen Architektur der auf Verbraucherstreitigkeiten spezialisierten ADR-Verfahren.61 In Anlehnung hieran hat sich im deutschen Sprachraum die Bezeichnung „Verbraucher-ADR“ herausgebildet.62 Diese Begrifflichkeiten finden im Hinblick auf die gegenüber anderen ADR-Verfahren bestehenden Besonderheiten zwar ihre Rechtfertigung,63 sollten jedoch – gerade bei rechtsvergleichender Betrachtung – zur Vorbeugung von Missverständnissen als spezifische Ausprägung von ADR, nicht aber als völlig eigenständige Welt betrachtet werden.64 Darüber hinaus hat sich die Subkategorie „Online Dispute Resolution“ (ODR) für ADR herausgebildet, die sich weitestgehend Informations- und Kommunikationstechnologien sowie dem Internet bedienen und daher gerade auf Online-Transaktionen zugeschnitten sind.65 Diese Arbeit 58 Statt vieler Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 47; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014; zuletzt Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 24 f. 59 Mit der deutschen Umsetzung der ADR-Richtlinie durch das am Verfahren der Schlichtung ausgerichtete VSBG, hat sich nunmehr der Begriff „Alternative Streitschlichtung“ herausgebildet, welcher aber gerade für internationalen Kontext zu eng ist; diese Verwendung bei Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015. 60 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. xxix, xxx f.; Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 342; Creutzfeldt, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 223, 224 f. 61 Das Akronym CDR empfehlend, Hodges, ZKM 2012, 195; Hodges/Benöhr/CreutzfeldtBanda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. xxix, xxx f.; Creutzfeldt, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 223, 224 f.; sich dem anschließend, Berlin, ZKM 2013, 108, 109. 62 Diese Begrifflichkeit findet sich etwa bei Berlin/Creutzfeldt-Banda, ZKM 2012, 57 ff.; Berlin, ZKM 2013, 108 ff., der indes gleichzeitig für die Verwendung von „CDR“ plädiert; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 16 f.; Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 9 ff.; Martinek, ZVertriebsR 2016, 343, 349; den Begriff „Verbrauchermediation“ für sämtliche Formen außergerichtlicher Streitbeilegung verwendend Hess, ZZP 2005, 427, 429, der die Unterscheidung zwischen Mediation und Schlichtungnallerdings als nicht ergiebig sieht; ebenfalls Roth, JZ 2013, 637 ff. 63 So auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 51 f., der in seiner Arbeit vom Gebrauch des in Deutschland noch wenig etablierten Akronyms CDR absieht. 64 Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 342 hält den Begriff ADR für CDR sogar irreführend, was jedoch dem Umstand geschuldet ist, dass ADR-Verfahren in England traditionell einen sehr engen Bezug zum staatlichen Gerichtsverfahren aufweisen; Hodges, ZKM 2012, 195 ff. 65 Zu den Definitionen von ODR, Corte´s, Online dispute resolution for consumers in the
D. Alternative Dispute Resolution (ADR) als Untersuchungsgegenstand
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verwendet, aufgrund ihrer rechtsvergleichenden Perspektive und ihrem Blick über den Tellerrand der ADR-Richtlinie hinaus, überwiegend, wenn auch nicht starr, das internationale Akronym ADR.66
II. Grundlegende ADR-Formen Grundsätzlich können ADR-Verfahren danach unterschieden werden, ob sie eine gütliche Einigung (Mediation), einen Lösungsvorschlag (Schlichtung) oder eine bindende Entscheidung (Schiedsverfahren) zum Ziel haben. Die Mediation ist ein freiwilliges und strukturiertes Verfahren, in welchem ein Mediator zwischen den Parteien vermittelt und ihnen dabei hilft, ihren Konflikt einvernehmlich beizulegen.67 Vertraulichkeit ist eine wesentliche Eigenschaft der Mediation, sollte aber gleichwohl keine zwingende Voraussetzung sein.68 Die Schlichtung ist ein ebenfalls strukturiertes, freiwilliges und meist vertrauliches Verfahren, bei welchem die neutrale dritte Person zunächst versucht, wie ein Mediator eine einvernehmliche Konfliktlösung zu vermitteln. Scheitert eine gütliche Einigung, unterbreitet der Schlichter am Ende des Verfahrens einen Schlichtungsvorschlag, dessen Verbindlichkeit von der Zustimmung der Parteien abhängt.69 Die englische Übersetzung des Begriffs Schlichtung mit „conciliation“ ist nur wenig geläufig. Im Vereinigten Königreich hat sich das Modell der Verfahren vor einer sogenannten Ombudsperson (ombudsman scheme) durchgesetzt, das seinen Ursprung70 in Skandinavien findet und auch dem deutschen Sprachraum vertraut ist.71
European Union, 2011, S. 2; Hörnle, Cross-border internet dispute resolution, 2009, S. 75 f.; Hofmeister, Online Dispute Resolution bei Verbraucherverträgen, 2012, S. 41 f.; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 45–49; Meyer, Online Dispute Resolution, 2018, S. 18–23; Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, S. 30–36. 66 So auch die Arbeit von Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, S. 1. 67 Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 82; eingehend zum Begriff und Verfahren der Mediation in Deutschland und der EU, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 27–38. 68 Zutreffend Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, S. 14; wohl auch Hopt/Steffek, in: dies. (Hrsg.), Mediation, 2013, S. 5, 13; hierzu auch Blake/ Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 5.31; hingegen enthält die Legaldefinition der Mediation in § 1 Abs. 4 MediationsG das Merkmal der Vertraulichkeit. 69 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 2.27; Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, S. 35 f. 70 Zur Herkunft und Arten des Ombudsverfahrens, das ursprünglich einen verwaltungsrechtlichen Hintergrund hat, Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 29–32; Schüttel, Streitbeilegung im Internet – Zukunft oder Irrweg?, 2014, S. 56 f. 71 Die Schlichtung und das Ombudsverfahren können weitestgehend gleichgesetzt werden. Keine Unterscheidung bei Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159 ff.; wohl auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 49.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
In Schiedsverfahren (arbitration) unterwerfen die Parteien ihren Rechtsstreit privatautonom der Entscheidung durch ein privates Schiedsgericht unter Ausschluss des Gerichtswegs.72 Der finale Schiedsspruch steht in seiner Wirkung einem Gerichtsurteil weitestgehend gleich und ist nur unter engen Voraussetzungen anfechtbar.73 Darüber hinaus existieren eine Vielzahl weiterer Bezeichnungen sowie hybride Verfahrensarten, die verschiedene Elemente der grundlegenden ADR-Formen kombinieren.74
III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Diese Arbeit untersucht grundsätzlich alle Streitbeilegungsverfahren, die den Streitparteien als Alternative zum staatlichen Gerichtsverfahren zur Verfügung stehen. Kern des Untersuchungsgegenstands bilden dabei gerichtsferne75 ADRVerfahren zwischen Verbrauchern und Unternehmern, die bereits vor Bestreiten des Gerichtswegs angestrebt werden und zu deren Durchführung sich die Parteien einer neutralen dritten Person oder Institution bedienen. Nicht oder nur peripher von der Untersuchung umfasst sind daher rein bilaterale Verhandlungen der Parteien sowie unternehmensinterne Beschwerdemechanismen. Gleiches gilt für Chargeback-Verfahren bei Kreditkarten oder Treuhanddiensten wie PayPal, die primär dem Käuferschutz in Form der Rückabwicklung durchgeführter Zahlungen dienen und weniger auf eine Konfliktbeilegung ausgerichtet sind.76 Unerheblich ist hingegen, ob noch weitere Personen in das Verfahren involviert sind, wie etwa im Falle der anwaltlichen Vertretung der Parteien. Die Untersuchung konzentriert sich auf Streitigkeiten, deren Gegenstand ein möglicher Anspruch des Verbrauchers gegen einen Unternehmer ist (im Folgenden auch „Verbraucherstreitigkeit“77 oder „Verbrauchersache“). Die Arbeit fo72 In England und Wales bildet der Arbitration Act 1996 den gesetzlichen Rahmen für das Schiedsverfahren. Das deutsche Schiedsrecht ist in den §§ 1025–1066 ZPO geregelt. 73 Nach den secs. 58(1), 66 Arbitration Act 1996 können Schiedssprüche mit (meist obligatorischer) Genehmigung des Gerichts wie ein gerichtliches Urteil vollstreckt werden, hierzu Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, 42007, Rn. 58C, 66C; St. Sutton/Gill/Gearing, Russell on arbitration, 242015, Rn. 6-007 und 6-162. Gem. § 1055 ZPO hat der Schiedsspruch die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils. 74 Klassisches Beispiel hierfür sind Med-Arb- bzw. Arb-Med-Verfahren, welche Mediation und Schiedsverfahren kombinieren. 75 Gerichtsnahe oder gerichtsinterne ADR werden nur peripher untersucht. Zu Court Mediation Schemes im Vereinigten Königreich, Genn/Fenn/Mason u.a., Twisting arms, 2007; Prince, 2009, S. 327, 329–333 m. w. N; eingehend zur gerichtlichen Mediation in Deutschland Gläßer/Schroeter (Hrsg.), Gerichtliche Mediation, 2011. 76 Ausführlich zu nicht staatlichen ODR-Angeboten, Meyer, Online Dispute Resolution, 2018, S. 247–280; näher zu Chargebacks und Treuhanddiensten, Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 35–38; zum Einsatz des PayPal-Käuferschutzes zur Absicherung des Verfahrensergebnisses, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 294–300, siehe auch Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522, 2522 f. 77 Ähnliche Anwendung bei Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015,
E. Akteure und ihre Interessen
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kussiert dabei auf die Beilegung zivilvertragsrechtlicher Streitigkeiten, deren zugrunde liegenden Ansprüche regelmäßig aus Verträgen über den Kauf von Waren oder den Erhalt von Dienstleistungen78 resultieren. Nicht von der Untersuchung erfasst sind insbesondere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten79, arbeitsrechtlich Streitigkeiten80 sowie Arzthaftungssachen81. Gegenstand der Untersuchung sind die drei grundlegenden ADR-Methoden Mediation, Schlichtung und Schiedsverfahren, die sich, wie vorstehend erklärt, nach dem beabsichtigten Verfahrensergebnis unterscheiden. Hauptaugenmerk liegt dabei auf schlichtungsähnlichen Verfahren, die gewissermaßen einen Hybrid zwischen Mediation und Schiedsverfahren darstellen und denen in der Praxis der Verbraucherstreitbeilegung die größte Bedeutung zukommt. Der Untersuchungsgegenstand rückt damit nahe an den Anwendungsbereich der ADRRichtlinie, ist auf diesen jedoch nicht beschränkt.82
E. Akteure und ihre Interessen Die relevanten Akteure in ADR-Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten sind jeweils mindestens ein Verbraucher auf der einen und ein Unternehmer auf der anderen Seite, wobei der Verbraucher grundsätzlich Ansprüche gegen den Unternehmer geltend macht. Nach dem hiesigen ADR-Verständnis bedienen sich die Parteien darüber hinaus einer neutralen dritten Person zur Durchführung des Verfahrens.
I. Verbraucher Der Verbraucher ist gegenüber dem Unternehmer in aller Regel die wirtschaftlich schwächere und in der Geltendmachung ihrer Rechte unerfahrenere Partei. Er ist daher zuvörderst an einer informellen und effizienten Rechtsschutzmöglichkeit mit möglichst geringen Kosten und kurzer Verfahrensdauer interessiert. S. 25; den Begriff „Verbraucherkonflikt“ verwendend, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 44. 78 Gemeint ist der unionsrechtliche autonome Begriff der Dienstleistung. 79 Hierzu Stumpf, Alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 2006; zu public ombudsmen in England und Wales, vgl. nur Hirst, The Ombudsman Today – An International Perspective, 5.5.2016; Doyle/Bondy/Hirst, The use of informal resolution approaches by ombudsmen in the UK and Ireland, October 2014; Creutzfeldt, What people expect from ombudsmen in the UK, 2015. 80 Etwa vor Employement Tribunals in England, hierzu Doyle, Arbitration 81 (2015), 20 ff.; zu ADR im Arbeitsrecht Lembke, Mediation im Arbeitsrecht, 2001; Nink, Mediation im Arbeitsrecht, 2015. 81 Hierzu Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008; Hattemer, Mediation bei Störungen des Arzt-Patient-Verhältnisses, 2012. 82 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf ADR-Anbieter, die nicht durch die nationale zuständige Behörde als ADR-Stelle i. S. d. ADR-Richtlinie zugelassen sind.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
1. Verbraucherbegriff und -leitbild Nach dem hier zugrunde gelegten europäischen Verbraucherbegriff, der auch in Art. 4 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie eine Legaldefinition erfährt, ist ein Verbraucher „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.“83 Nicht von diesem engen Verbraucherbegriff umfasst sind juristische Personen oder Kleinunternehmer. Handelt die natürliche Person sowohl aus privaten als auch gewerblichen Zwecken (dual use), so darf der gewerbliche Zweck nicht überwiegen.84 Dem haben sowohl der deutsche85 als auch der englische86 Gesetzgeber in Umsetzung der ADR-Richtlinie Rechnung getragen. Das europäische Verbraucherleitbild geht von einem selbstbewussten, mündigen, sich selbst informierenden Verbraucher aus,87 der auf die Förderung des Binnenmarkts hinwirken soll.88 In diesem Sinne soll die ADR-Richtlinie das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt dadurch stärken, dass die Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Netzes an ADRStellen in den Mitgliedstaaten Anreize für ein intensiveres grenzüberschreitendes Konsumverhalten setzt.89 2. Interessenlage von Verbrauchern Im Falle einer Streitigkeit mit einem Unternehmen geht es Verbrauchern primär um das individuelle Interesse, die geltend gemachte Forderung zu realisieren90
83 Mit dem Verweis auf die unglückliche deutsche Übersetzung, die aufgrund des Worts „ihrer“ fälschlicherweise das Bestehen einer Tätigkeit der natürlichen Person vorauszusetzen scheint, Flume, ZIP 2000, 1427, 1428. 84 ErwG 18 ADR-Richtlinie. So, mit Hinweis auf den Widerspruch zwischen Art. 4 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie und ErwG 18, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 98. 85 Für den Verbraucherbegriff des VSBG ist die Legaldefinition des § 13 BGB maßgeblich. 86 Insoweit wurde der Wortlaut der ADR-Richtlinie übernommen, Part 1, reg. 3 ADR C&I Regulations. 87 Korte, ZKM 2015, 71, 74; demgegenüber geht die ADR-Richtlinie für Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 99 f. dem Leitbild eines durch Informationen aufzuklärenden Verbrauchers aus. 88 Micklitz/Purnhagen, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2021, § 13 Rn. 3; eingehend zu den verschiedenen Verbraucherleitbildern, Tamm, 22016, 1, 20–27. 89 ErwG 6, 7, 15 ADR-Richtlinie; ob die Unterschiede der ADR-Strukturen in den Mitgliedstaaten tatsächlich ein Hindernis für die Entwicklung des Binnenmarkts sind, sei dahingestellt; kritisch zum europäischen Verbraucherleitbild im ADR-Kontext, Conen/Gramlich, NJ 2014, 494, 497 f.; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, S. 21–24. 90 Hess, ZZP 2005, 427, 438; nur selten hat der Verbraucher das Interesse der Allgemeinheit in eine effektive Rechtsdurchsetzung im Sinne, so zutreffend Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 61; Verbraucher wollen ohne Kostenrisiko Recht bekommen, Creutzfeldt/Steffek, ZKM 2021, 65, 67; s. auch Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, S. 228.
E. Akteure und ihre Interessen
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oder zumindest darum, ein individualgerechtes Verfahrensergebnis zu erzielen. Allerdings ist die gewöhnliche Hemmschwelle zur gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche hoch.91 Abschreckend wirken insbesondere die in Relation zu den üblicherweise geringen Streitwerten hohen Rechtsverfolgungskosten, die in Kumulation von Gerichtsgebühren und außergerichtlichen Kosten für Anwälte und gegebenenfalls Gutachter nicht selten die streitige Forderung übersteigen.92 Selbst wenn dem Verbraucher bewusst sein sollte, dass er seine Rechtsverfolgungskosten im Falle des Obsiegens erstattet verlangen kann, stellt das inhärente Kostenrisiko des (teilweisen) Unterliegens im Prozess, ein nicht unerhebliches Hemmnis dar.93 Die Scheu vor der Geltendmachung der eigenen Forderung wird durch wirtschaftliche und soziale Kräftevorsprünge des Unternehmers, die ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien bewirken,94 verstärkt. Diese Dysbalance mündet typischerweise in einer strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers.95 91 Nach einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie bestreiten nur etwa 2 % der befragten Verbraucher den Gerichtsweg im Falle einer Beschwerde im Zusammenhang mit dem Kauf einer Ware oder einer Dienstleistung, während 23 % der befragten gar untätig bleiben, Europäische Kommission, Special Eurobarometer 342, 2011, S. 184. Ein Drittel der Verbraucher gaben an, den Gerichtsweg gegen den Unternehmer gescheut zu haben, weil sie ein Gerichtsverfahren entweder als zu aufwendig, kostspielig, langwierig oder kompliziert empfanden, ibid., S. 204. 92 Sog. justizielle Zugangshindernisse, Hess, ZZP 2005, 427, 439; in diese Richtung auch Faure, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 38, 41; Hirsch, 2020, 207; beispielhaft zum Bereich des Nahverkehrs, Schliebener, 2020, S. 229, 231; ein Viertel der Verbraucher empfindet den Streitwert für ein Gerichtsverfahren zu gering, Europäische Kommission, Special Eurobarometer 342, 2011, S. 204. 93 Nach dem Roland-Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ROLAND Rechtsreport, 2014, S. 36 sind Verbraucher im Durchschnitt erst bei einem Streitwert von EUR 1 950 bereit, ein gerichtliches Verfahren anzustreben, nur 17 % würden so auch bei einem Streitwert unter EUR 500 handeln. Hingegen hält Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 62 die Bedeutung des Kostenrisikos als Zugangsbarriere für überschätzt und hebt mit Verweis auf das sog. Kafka-Syndrom die „Scheu vor dem anonymen Apparat ,Justiz‘“ hervor. Zutreffend macht Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 92 den zu leistenden Gerichtskostenvorschuss als möglichen Grund für ein rationales Desinteresse aus. Mit dem bemerkenswerten Hinweis, dass wohl auch eine emotionale Komponente zum Vertragsgegenstand das Rechtsverfolgungsverhalten der Verbraucher zu beeinflussen vermag, Tonner, 2020, S. 17, 19. 94 Zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen für dieses Kräfteungleichgewicht, Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2012, S. 15–19. 95 Eine strukturelle Unterlegenheit sehen auch Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2012, S. 13; Hippel, Verbraucherschutz, 31986, S. 4; in Bezug auf ein „prozessuales Informationsgefälle“, Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 23; in diese Richtung auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S. 56–63; hingegen nicht von einer grundsätzlichen, sondern nur situativen Unterlegenheit sprechen wollend, Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 35 f.; zustimmend Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 40 f.; eingehend zu den typischen Schwächen von Verbrauchern im Umgang mit Rechtsstreitigkeiten, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 30–51; Zweifel an einer Unterlegenheit des Verbrauchers hegend, Roth, JZ 2013, 637, 639 f.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
Gegenüber Unternehmen besteht bei Verbrauchern als „Einmalprozessierer“96 regelmäßig ein Informationsdefizit bezüglich der gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten sowie Unkenntnis über den Verfahrensablauf.97 Kommt im Falle der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung eine zweite Rechtsordnung ins Spiel, verkompliziert sich die Lage für den Verbraucher nochmals.98 Die Strukturen beider Systeme und Verfahrensabläufe sind Verbrauchern zumindest im Detail unbekannt oder ihre Wahrnehmung medial verzehrt.99 Schwierigkeiten bei der Analyse des Sachverhalts sowie mangelnde Rechtskenntnisse machen die Einschaltung eines Anwalts meist unumgänglich.100 Dies wird unterstützt durch die strukturelle prozesstaktische Überlegenheit des Unternehmers,101 die sich nicht zuletzt aus einer rationalen Analyse des Verbraucherverhaltens ergibt. Der Unternehmer wird oftmals auf die rationale Apathie des Verbrauchers vertrauen dürfen und dessen Forderung durch bloße Abweisung abwehren können. Aufgrund einer Vielzahl gleich gelagerter Beschwerden, weiß der Unternehmer seine Erfolgschancen besser einzuschätzen und betreibt bereits präventiv geeignetere Maßnahmen zur Beweissicherung.102 Die sozialstaatlichen Elemente des Zivilprozesses, wie etwa Beratungs- und Prozesskostenhilfe, sowie der – zumindest in Deutschland – weit verbreitete Rechtsschutzversicherungsschutz, vermögen meist keine vollständige Verhandlungsparität herzustellen.103 Oftmals werden sich Verbraucher der Waffenungleichheit bewusst sein und die Sache angesichts des weiteren zeitlichen Aufwands sowie zusätzlicher Ärgernisse auf sich beruhen lassen.
96 Diese Begrifflichkeit bei Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 23; die Begrifflichkeit geht letztlich auf Galanter, Law & Soc’y Rev. 9 (1974), 95, 97 zurück, der von „one-shotters“ und „repeat players“ spricht; diese terminologische Nutzung auch bei Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S. 58; sich dieser Terminologie anschließend, Thomas, C.J.Q. 1988, 206, 207. 97 Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 23 f.; zu den sozialen Hindernissen der Rechtsverfolgung, Blankenburg, ZfRSoz 1980, 33, 48–52; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 28–30. 98 Zu den Schwierigkeiten bei der Durchsetzung grenzüberschreitender Forderungen, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 4–6. 99 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 32. 100 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 30 f.; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 29 f.; zum Einfluss der anwaltlichen Vertretung auf die Erfolgschancen des Verbrauchers, Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 25 f. 101 Dick, Das Verbraucherleitbild der Rechtsprechung, 1995, S. 5; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S. 58; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2012, S. 18. 102 Vgl. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 40. 103 So im Ergebnis auch Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 60–62; zuversichtlicher Faure, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 38, 47. Demgegenüber hält Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 85–93 ein rationales Desinteresse aufgrund der Dauer und der Kosten der gerichtlichen Rechtsverfolgung für unbegründet.
E. Akteure und ihre Interessen
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Neben dem wirtschaftlichen Interesse der Verbraucher an der Realisierung ihrer Forderungen geht es ihnen aus psychologischer Perspektive mitunter darum, dass ihre Beschwerde angemessen gehört und bearbeitet wird.104 Hat sich der Verbraucher bereits mit den ungleichen Ressourcen und den – gegebenenfalls nur subjektiv wahrgenommenen – niedrigen Erfolgschancen abgefunden, geht es um nichts weniger als die Wertschätzung des Unternehmers.105 Dieser Aspekt kann sogar Leitmotiv werden und sich erst aus einer despektierlichen Beschwerdebehandlung106 selbst ergeben. Um Wirkungen des ungleichen Kräfteverhältnisses zu begrenzen, sind Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbraucher möglichst effizient zu gestalten und somit Kosten und Dauer der Rechtsverfolgung gering zu halten. Ferner liegen niedrigschwellige Verfahren107 im Verbraucherinteresse; sie zeichnen sich insbesondere durch transparente Strukturen, unkomplizierte Verfahrensabläufe sowie die Verwendung einer einfachen Sprache aus und können daher auch problemlos ohne anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Schließlich vermag eine Rechtsschutzmöglichkeit nur dann das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen, wenn die Aussichten auf Erzielung und Einhaltung einer Konfliktlösung ausreichend groß sind.
II. Unternehmer Unternehmer ist, nach der Definition des Art. 4 Abs. 1 lit b) ADR-Richtlinie, „jede natürliche oder juristische Person – unabhängig davon, ob sie in privatem oder öffentlichem Eigentum steht –, die zu Zwecken handelt, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, wobei sie dies auch durch eine in ihrem Namen oder Auftrag handelnde Person tun kann.“108 Daneben verwendet diese Arbeit gleichbedeutend den Begriff „Unternehmen“.109
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Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 150 f. Es geht darum, den Unternehmer nicht mit seinem Verhalten davon kommen zu lassen, also „ums Prinzip“; in diese Richtung, Blankenburg, ZfRSoz 1980, 33, 44; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 59. 106 In diese Richtung auch Hodges, in: Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, 339; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 150 f. 107 Hierzu Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 151–153. Nach Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 60 bedürfe es einem leicht zugänglichen und fairen Weg zur Forderungsdurchsetzung. 108 Eingehend zum Unternehmerbegriff Tamm, 22016, 55–70. 109 Der Begriff ist geschlechterneutral und trägt der großen Bedeutung juristischer Personen im Geschäftsverkehr Rechnung. Ähnlich Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 43, dessen Kritik an der deutschen Übersetzung des englischen Worts „trader“ indes nicht gefolgt werden kann. 105
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
Das Interesse eines jeden Unternehmens liegt, neben der Abwehr der geltend gemachten Ansprüche, primär und notwendigerweise in der Gewinnmaximierung.110 Auch Unternehmen sind daher an einer schnellen, kostengünstigen und effektiven Streitbeilegung interessiert, welche den internen und externen Ressourcenaufwand möglichst gering hält.111 Sofern der Unternehmer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, sollten diese moderat sein und Verbraucher nicht dazu animieren, offensichtlich unberechtigter Ansprüche (frivolous claims) zu erheben. Darüber hinaus sind Unternehmen an einer hohen Kundenzufriedenheit und einer hervorragenden Außendarstellung interessiert.112 Ziel ist es, den Kunden schon mit der ersten Transaktion langfristig an das Unternehmen und die eigene Marke zu binden, was mittelbar zur Folge hat, dass Verbraucher aufgrund der vorangegangenen guten Erfahrungen höhere Preise akzeptieren werden.113 Unternehmensinterne Beschwerdeverfahren, die idealerweise in einer für alle Parteien zufriedenstellenden Lösung münden, erfreuen sich daher größer werdender Beliebtheit.114 Dabei wird ADR von Unternehmen nicht selten als Instrument zur Qualitätssicherung gesehen.115 Diesem Zweck kann allerdings bereits im Rahmen der obligatorischen ersten Kontaktaufnahme des Verbrauchers zum Unternehmer Rechnung getragen werden.116 Das Ergebnis der Streitbeilegung sollte für Unternehmen möglichst geringe Kosten verursachen, weshalb eine einvernehmliche Konfliktlösung Vorteile bieten kann.117 Das dem Vergleich inhärente gegenseitigen Nachgeben der Parteien kann im Ergebnis, unter Berücksichtigung der bestehenden Unsicherheiten, zu einer Kürzung der Ansprüche des Verbrauchers führen und für ihn daher, im Vergleich zu einem hypothetischen Zivilprozess, nachteilig sein.118 Aus unterneh110
Hierzu Stürner, ZZP 2014, 271, 320, Fn. 238. Je komplexer und zeitaufwendiger der Mechanismus zur Streitbeilegung ist, desto mehr Kapazitäten der eigenen Arbeitnehmer werden gebunden und desto mehr Kosten für externe Rechtsberatung werden verursacht. Eingehend zu den betriebswirtschaftlichen Aspekten außergerichtlicher Streitbeilegung und den bilanziellen Auswirkungen, Conen, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 78–100. 112 Conen, Wirtschaftsmediation, 2014, S. 319–322; Kotzur, VuR 2015, 243, 245; Fuchs, ZUM 2016, 398, 410; ähnlich Hess, ZZP 2005, 427, 439 für den aus Sicht des Gewerbetreibenden der Erhalt der Kundenbeziehung in erster Linie steht. 113 Ob dieser Effekt durch die Selbstverpflichtung zur Teilnahme an ADR-Verfahren erreicht werden kann, hängt freilich maßgeblich von der Verbraucherakzeptanz dieser Verfahren ab. 114 Dies setzt freilich eine gewisse Größe des Unternehmens voraus. Eingehend zu bewährten Praktiken der Kundenbetreuung im Vereinigten Königreich, Hodges, in: Hodges/Benöhr/ Creutzfeldt-Banda (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 339 ff. 115 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 31 f. 116 Freilich nur, sofern es nicht um die Qualitätssicherung des unternehmenseigenen Beschwerdeverfahrens selbst geht. 117 Allerdings kann der Vorteil noch größer sein, wenn für den Verbraucher kein niedrigschwelliger Zugang zum Recht besteht, vgl. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S. 58. 118 Dieses Kalkül kann Anreize für Unterhemen zu sog. kalkulierten Rechtsbrüchen ge111
E. Akteure und ihre Interessen
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merischer Sicht besteht zumindest Interesse an einem individualgerechten und nachhaltigen Verfahrensergebnis, das den Verbraucher nicht übervorteilt und branchenspezifischen Eigenheiten Rechnung trägt.119 Ferner besteht ein unternehmerisches Interesse an der Vertraulichkeit der Streitbeilegung. Diese soll nicht nur die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen vermeiden, sondern möglichst die Schaffung negativer Präzedenzfälle verhindern, um eine Mobilisierungswirkung für weitere – mitunter auch unberechtigte – Ansprüche zu vermeiden.120 Überdies ist das reputationsschädigende Potenzial öffentlichkeitswirksamer Entscheidungen zu berücksichtigen.121
III. Neutrale dritte Person Unabhängigkeit und Neutralität respektive Unparteilichkeit, sind elementare Eigenschaften der das Verfahren durchführenden dritten Person, die auch einer Institution angehören kann.122 Umstände, die einen Interessenkonflikt der dritten Person begründen könnten, sind den Parteien umgehend zu offenbaren.123 Der Ausgang des Verfahrens darf für den neutralen Dritten nicht an finanzielle Interessen geknüpft sein.124 Das Rollenverständnis der dritten Person variiert je nach ADR-Form und kann sowohl eine rein vermittelnde und lenkende Tätigkeit bedeuten, als auch die Unterbreitung eines Lösungsvorschlags oder den Erlass einer verbindlichen Entscheidung beinhalten. Die neutrale dritte Person ist den Parteien zur gleichen und fairen Durchführung des Verfahrens nach den Bestimmungen der ADR-Vereinbarung sowie der gegebenenfalls einschlägigen Verfahrensordnung verpflichtet. In den nationalen Umsetzungsgesetzen der ADRRichtlinie wird die dritte Person im Deutschen als „Streitmittler“125 und im Engben, die sich gesamtwirtschaftlich positiv auswirken, hierzu Grundmann in Grundmann, FSWulf-Henning Roth 2015, 2015, S. 181, 195 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 55 f. 119 In diese Richtung, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 158 f. 120 Hingegen wird eine Entscheidung im Falle einer günstigen Rechtsauffassung des Gerichts forciert, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 61. 121 Allerdings können sich frei nach dem Sprichwort „bad publicity is better than no publicity“ grundsätzlich auch negative Nachrichten umsatzfördernd auswirken; kritischer Hess, ZZP 2005, 427, 439. 122 Dies gilt nicht nur für Verfahren im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie, vgl. Vallines Garcı´a, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 79, 85; Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 440; s. auch schon Thomas, C.J.Q. 1988, 206, 215 f. 123 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 13.34 f.; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 123. 124 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 127. 125 § 6 Abs. 2 S. 1 VSBG.
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Kapitel 1: Einleitung und Untersuchungsgegenstand
lischen als „ADR official“126 bezeichnet. In der Praxis geläufiger sind die Bezeichnung als Schlichter oder Ombudsperson (ombudsman).
126 reg. 5 ADR C&I Regulations. Dieser Begriff hat jedoch keinen Eingang in die ADRPraxis gefunden.
Kapitel 2
ADR-Landschaften in England und Deutschland Die Untersuchung zu den Zielen und Funktionen von ADR sowie zu den Rückwirkungen auf die Rechtssysteme verlangt zunächst nach einem Überblick über die, durch unterschiedliche Streitkultur geprägten, ADR-Landschaften in England und Deutschland. Die folgenden Ausführungen beleuchten vor diesem Hintergrund die Entwicklung der existierenden ADR-Strukturen in Verbrauchersachen, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Implikationen der Umsetzung der ADR-Richtlinie für beide Rechtsordnungen.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten Die Bedeutung alternativer Streitbeilegung für die Rechtsordnung, besonders aber die zugrunde liegende Streitkultur der Bevölkerung, divergiert stark zwischen England und Deutschland. Während ADR insbesondere in Form der Mediation in England auf höchster Ebene als rechtspolitisches Instrument zur Entlastung der Zivilgerichte gefördert wird, entwickelt sich ADR in Deutschland nur zaghaft. Grund hierfür ist nicht zuletzt ein starkes deutsches Zivilgerichtssystem, das Verbrauchern bessere Zugangsmöglichkeiten bietet, als sein englisches Pendant. Mithin spielt ADR zur Verbesserung des Zugangs zum Recht in Deutschland eine weniger bedeutende Rolle als in England.
I. Bedeutung von ADR in England Das Gerichtssystem in England und Wales genießt – gerade für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten – weltweit eine hohe Reputation. Auch der internationale Schiedsgerichtsort London hat Konjunktur. Dennoch wird das gerichtliche Endurteil als schärfstes Schwert des Richters und als ultima ratio des Zivilprozesses auf der letzten Eskalationsstufe eines Konflikts angesiedelt. Traditionell wird ADR daher als rechtspolitisches Instrument zur Entlastung der Zivilgerichte und des Staatshaushalts eingesetzt. Bis heute wird die ADR-Kultur in England nachhaltig durch die von Lord Woolf und Lord Jackson bestimmten Reformen des Zivilprozessrechts geprägt und bekam durch die Reformvorschläge von Lord Briggs neue Impulse.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
1. Historische Hintergründe Die außergerichtliche Streitbeilegung von Wirtschafts- und Handelsstreitigkeiten durch Mediation und Schiedsverfahren hat in England lange Tradition. Schiedsinstitutionen wie der London Court of International Arbitration (LCIA), dessen Geschichte bis ins 19. Jahrhundert reicht, genießen weltweit hohe Reputation. Vorangetrieben wurden die ADR-Entwicklungen durch die Vertraulichkeit und Kostenvorteile der außergerichtlichen Verfahren. ADR wurde jedoch auch von staatlichen Akteuren früh als ein Instrument zur Verbesserung des Zugangs zum Recht und als integraler Bestandteil des Verbraucherschutzsystems gesehen.1 Ausgangspunkt für diese Entwicklungen sind auch hier hohe Rechtsverfolgungskosten im Zivilprozess, gepaart mit der sehr restriktiven Gewährung von Prozesskostenhilfe (legal aid). Für die hier untersuchten Verbraucherstreitigkeiten steht keine legal aid zur Verfügung. Die Gerichtsgebühren, besonders aber die nach Stundensätzen abrechnende Anwaltschaft, derer sich Verbraucher meist sowohl eines Solicitors als auch eines Barristers bedienen müssen, verursachen Kosten, welche zu den – in Verbraucherstreitigkeiten typischerweise geringen – Streitwerten außer Verhältnis stehen. Hinzu kommen die Kosten für die Beweisbeibringung, die mit hohen Anforderungen an die Darlegungslast verbundenen sind. Beginnend mit den 1950er-Jahren sollten die Zivilgerichte durch die Gewährung von legal aid für Verbraucher zugänglicher gemacht werden. Diese sozialstaatliche Maßnahme behandelte jedoch nur Symptome, nicht aber das Grundproblem hoher Rechtsverfolgungskosten. Hinzu kam, dass die Anwaltschaft selbst über die Anträge und damit über ihre eigenen Mandate entschied, sodass die Gewährung von legal aid aufgrund explodierender Kosten sukzessive eingeschränkt werden musste.2 Auch die Bewerbung von Rechtsschutzversicherungen vermochte den Zugang zum Recht nicht merklich zu verbessern. Die ersten Versuche eines schnellen und kostengünstigen Streitbeilegungsmechanismus für Streitigkeiten mit geringem Streitwert (small claims) wurden in den 1970er-Jahren mit den Voluntary Arbitration Schemes in London und Manchester unternommen, die Prozessierenden bei der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung halfen.3 Trotz breiter Akzeptanz scheiterte das Konzept mangels finanzieller Planungssicherheit. Gleichzeitig förderte das im Jahr 1973 gegründete Office of Fair Trading (OFT) die Entwicklung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren in bestimmten Wirtschaftssektoren.4 Unternehmen wurden dazu angehalten, Verhal1 Eingehend hierzu Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 261–265. 2 Die These nach einer angebotsinduzierten Nachfrage untersuchend Bevan, C.J.Q. 15 (1996), 98–114; kritisch zur Einschränkung von legal aid, Genn/Riahi/Pleming, in: Steffek/ Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 135, 150 f. 3 Hierzu Thomas, C.J.Q. 1988, 206, 207 f. 4 ADR wurde so in einer Bandbreite von Geschäftsfeldern vom KfZ-Bereich über Reisen bis hin zu Bestattungen etabliert, Thomas, C.J.Q. 1988, 206, 208 f.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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tenskodizes (codes of practice) für Verbraucherbeschwerden aufzustellen.5 Diese sehen, nach einer ersten Kontaktaufnahme mit den Unternehmen, ein für den Verbraucher fakultatives und grundsätzlich kostenloses6 Schiedsverfahren vor, zu dessen Durchführung das Unternehmen kraft des Kodexes verpflichtet ist.7 Diese Standards der Verhaltenskodizes stärkten zunächst den Wettbewerb und führten zu steigenden Verbrauchererwartungen,8 wurden in den 1990er-Jahren jedoch zunehmend als zu unternehmerfreundlich gesehen, was im Ergebnis zu einer Modifizierung der Kodizes mit höheren Verbraucherschutzstandards führte.9 In anderen Wirtschaftsbereichen haben sich seit Anfang der 1980er-Jahre sektorspezifische Ombudsverfahren entwickelt, die nach wie vor die ADR-Landschaft im Vereinigten Königreich prägen.10 Diese Institutionen können sowohl auf rein privater11 als auch auf gesetzlicher12 Basis (statutory ombudsman schemes) beruhen und werden von teilnehmenden Unternehmen finanziert. Die Pflichten in diesen Verfahren sind meist asymmetrisch verteilt. Das bedeutet, dass Unternehmen – die Zustimmung des Verbrauchers vorausgesetzt – zur Teilnahme am Verfahren und zur Einhaltung des Verfahrensergebnisses verpflichtet sind. Die Ombudsverfahren im Finanzsektor wurden 2001 zum gesetzlich statuierten Financial Ombudsman Service (FOS) unter Aufsicht der Financial Services Authority (FAS)13 zusammengeschlossen. Weiterhin wurde mit der „small claim track“ ein Verfahren für geringwertige Forderungen eingeführt sowie die gerichtsinterne Mediation etabliert.14 Die small claim track soll die Prozessabläufe durch vereinfachte informelle Verfahrensstrukturen beschleunigen und somit die Kosten gering halten.15 Weiterhin 5
sec. 124 Fair Trading Act 1973. Der Verbraucher hat nur eine Registrierungsgebühr zu entrichten, die er im Erfolgsfall erstattet bekommt; im Übrigen obliegt die Finanzierung dem Unternehmen. 7 Schiedsrichter ist dabei in der Regel ein Mitglied des Chartered Institute of Arbitrators (CIArb). 8 Creutzfeldt, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 223, 227. 9 Creutzfeldt, in: Hodges/Stadler (Hrsg.), Resolving Mass Disputes, 2013, S. 223, 228; Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 312. 10 Thomas, C.J.Q. 1988, 206, 91–94. 11 Etwa das Insurance Ombudsman Bureau und das Private Insurance Arbitration Scheme (PIAS) für den Versicherungssektor sowie das Banking Ombudsman Scheme im Bankenwesen. 12 Hierzu gehören der Financial Ombudsman Service, Legal Services Ombudsman, der Pensions Ombudsman sowie der Building Society Ombudsman. 13 Nach Reform der Aufsicht über den Finanzsektor durch den Financial Services Act 2012 übernahm 2013 die neu gegründete Financial Conduct Authority (FCA) die regulatorischen Aufgaben der FAS. 14 Die small claim track ist in Part 27 der Civil Procedure Rules (CPR) geregelt. 15 Diese Art von Verfahren wurde bereits im Jahr 1973 für Prozesse vor County Courts unter dem Namen „small claims arbitration“ eingeführt, Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 254. 6
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
können die Parteien eine kostenfreie Mediation in Anspruch nehmen.16 Im Zuge der Access-to-Justice-Bewegung entwickelten sich seit Mitte der 1990er-Jahre zahlreiche Modelle gerichtsnaher und -interner Mediation.17 Ziel dieser Bestrebungen ist es, Streitigkeiten durch eine frühestmögliche und kostengünstige gütliche Einigung von den Gerichten fernzuhalten. Überdies sahen Regierung und Gesetzgeber erhebliches Einsparungspotenzial bei der Gewährung von legal aid.18 2. Woolf-Reformen Bis Mitte der 1990er-Jahre erzielten die ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zum Recht für Verbraucher keine durchgreifenden Erfolge. Aufgrund explodierender Kosten wurde das Budget für legal aid für den Zivilprozess zugunsten des Budgets für den Strafprozess gekürzt.19 Sowohl für Verfahren mit niedrigen als auch mit hohen Streitwerten waren Rechtsverfolgungskosten unverhältnismäßig hoch und schwer kalkulierbar.20 Vor diesem Hintergrund wurde Lord Harry Woolf zur Erarbeitung längst überfälliger Reformvorschläge für den Zivilprozess beauftragt,21 die im Erlass der zum 26. April 1999 in Kraft getretenen Civil Procedure Rules 1998 (CPR) mündeten. Die gleichnamige ADR-Bewegung aufgreifend, unterstützten die Access-to-Justice-Berichte Woolfs aus den Jahren 1995 und 1996, schnelle, kostengünstige und einvernehmliche Konfliktlösungsansätze und damit auch ADR.22 Woolf entwickelte dabei fünf Leitziele der Reformen, nach denen Verfahren effizienter, das heißt schneller, zugänglicher und kostengünstiger, gestaltet werden sollten, die Vorschriften sprachlich vereinfacht werden sollten und nach denen im
16 Zur Mediation in small claims in England und Wales, Prince, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 79, 91–94. 17 Zu den rechtspolitischen Erwägungen zur Förderung von ADR und verschiedenen Mediationsmodellen, Genn/Fenn/Mason u.a., Twisting arms, 2007, Rn. 3–25. 18 Genn/Riahi/Pleming, in: Steffek/Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 135, 139; vgl. auch Ingleby, MLR 53 (1993), 441, 448. 19 Zum diesem Kampf um die staatlichen Ressourcen, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 38–45. 20 Eingehend zu den Problemen der Zivilgerichtsbarkeit und deren Ursachen, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 3, die unerschwinglichen Prozesskosten würden bei Einzelklägern gar zu einer Verweigerung des Zugangs zum Recht führen; Zuckermann, MLR 59 (1996), 773, 773 f.; Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 255. 21 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Introduction; vgl. auch Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 399. 22 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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Zivilprozess speziell eine frühestmögliche, einvernehmliche Streitbeilegung gefördert werden sollte.23 Dabei sah Woolf vor allem eine effektive Verfahrensverwaltung (case management) des Gerichts als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Kontrolle der Rechtsverfolgungskosten.24 Die damit einhergehende aktivere Rolle des Richters stellte eine kleine Revolution des englischen Zivilprozesses dar.25 Dieses neue Rollenverständnis umfasst insbesondere auch die Aufgabe des Richters, die Parteien zur Nutzung von ADR zu ermutigen.26 Die Förderung von ADR erfolgte vor dem Hintergrund, dass Streitigkeiten dem gerichtlichen Verfahren möglichst ferngehalten werden sollen.27 Hierfür wurden insbesondere vermittelnde ADR-Verfahren als ein probates Mittel gesehen.28 Das richterliche Urteil soll die Ausnahme und das letzte Mittel der Konfliktlösung darstellen.29 Woolf erachtete dabei auch kostenlose und leicht zugängliche Ombudsverfahren, deren Ermittlungsbefugnisse weiter reichen als die der Gerichte, als für Verbraucher vorteilhaft.30 Zwar sollen die Parteien ausdrücklich nicht zur Nutzung von ADR gezwungen werden, jedoch soll die unangemessene Verweigerung von ADR durch eine nachteilige Kostenentscheidung sanktioniert werden können.31
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Andrews, The modern civil process, 2008, Rn. 2.13. Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 5, Rn. 1 f. 25 Roberts, MLR 63 (2000), 739, 741 f.; Genn/Riahi/Pleming, in: Steffek/Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 135, 141. 26 „[T]he court will encourage the use of ADR at case management conferences and pretrial reviews, and will take into account whether the parties have unreasonably refused to try ADR or behaved unreasonably in the course of ADR.“, Woolf, Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Section I, Rn. 9 und Kap. 1, Rn. 16; der Förderung von ADR ist bereits im Zwischenbericht ein ganzes Kapitel gewidmet, ders., Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18. 27 Insbesondere sollen die Parteien vor Eskalation des Konflikts alle möglichen und zumutbaren Mittel ausschöpfen oder zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 33; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Kap. 18, Rn. 7; hierzu auch Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 93. 28 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 25, mit Bezug zur Mediation; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Kap. 1, Rn. 7 und Kap. 18, Rn. 7. 29 Woolf, Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Kap. 1, Rn. 7. 30 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 16 f., wobei der Erfolg dieser Verfahren von ihrer Stellung außerhalb des Gerichtssystems abhänge. 31 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice 24
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
3. Jackson-Reformen Die Woolf-Reformen führten statt einer erhofften Senkung zunächst zu einer Steigerung der Prozesskosten,32 weshalb Lord Rupert Jackson mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Bewältigung der Kostenproblematik beauftragt wurde. Neben Kostensteigerungen durch die Einführung von erfolgsabhängigen Honorarvereinbarungen für Anwälte (conditional fee agreements), erwies sich das aktive Case Management als ineffizient.33 Dabei erachtet auch Jackson ADR und speziell die Mediation als geeignetes Mittel zur Senkung der Verfahrenskosten.34 Die Mediation sei meist günstiger und für die Parteien befriedigender als das zivilgerichtliche Verfahren. Oftmals würde die Mediation mangels Bewusstseins aller Akteure über ihre Vorteile jedoch vorschnell verworfen, sodass die Reformen für entsprechende Information und Aufklärung sorgen sollen.35 Zwar sei die Mediation kein Allheilmittel („universal panacea“), solle jedoch eine bedeutendere Rolle im Zivilprozess als Schlüsselbaustein für die Verbesserung des Zugangs zum Recht einnehmen.36 Wie auch Woolf, lehnt Jackson jedoch eine obligatorische Mediation ab.37 4. Jüngere Entwicklungen und Briggs-Reformen Unterstützer fand der Einsatz von ADR nicht nur in der Legislative und der Justiz, die sich teilweise sogar einer Anti-Adjudication-Rhetorik38 bedienten, system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 34, Interim Recommendation 71; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Recommendation 41; von einem positiv formulierten „Anreiz“ kann freilich nur gesprochen werden, wenn man von der Angemessenheit von ADR überzeugt ist. Gerade Kostensanktionen für die sich gegen ADR sträubende Partei, kann aber einen Widerspruch zur Freiwilligkeit von ADR-Verfahren bilden, in diese Richtung Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 94 f.; zum Druck der Gerichte zur Nutzung von ADR noch unten unter Kap. 4 C. V. 32 Zu diesem Ergebnis kommt Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, Rn. 1.2. 33 Der aus den Reformen folgende vorprozessuale Verwaltungsaufwand der Richter führte vielmehr dazu, dass die Verfahrenskosten kopflastiger wurden. 34 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 1.2; vgl. Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 1.13. 35 Lord Jackson empfahl auch die Erstellung eines Lehrbuchs zum Thema ADR, welches als maßgebliches Handbuch für Anwälte und Richter gelten sollte, Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 3.8 und 4.2. Das wurde durch ein Handbuch, welches seinen Namen trägt verwirklicht, Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 1.13 f. 36 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 3.2; vgl. Brady, Arbitration 76 (2010), 251, 256. 37 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 3.4. 38 In diesem Zusammenhang wurde insbesondere die sich bereichernde Anwaltschaft für die Kostenexplosionen des Zivilgerichtssystems verantwortlich gemacht, vgl. nur Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 3, Rn. 3–11; zur „urteilsfeindlichen“ Rhetorik Brunsdon-Tully, C.J.Q.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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sondern auch bei privaten Institutionen. In diesem Zusammenhang wurde etwa im April 2003 der unabhängige Civil Mediation Council gegründet, der über ADR-Verfahren informiert und Mediatoren ausbildet. Die National Mediation Helpline und eine Online-Plattform, helfen Bürgern bei der Suche nach geeigneten Mediatoren und ADR-Institutionen.39 Zudem sind Fortbildungen zum Thema ADR längst Bestandteil der universitären und anwaltlichen Ausbildung.40 Im Zivilprozess werden die Parteien vor Eröffnung des Verfahrens mittels eines „directions questionnaire“ über ihre Vergleichsbereitschaft befragt.41 In Verfahren der small claim track wird den Parteien angeboten, den gerichtsnahen und kostenfreien Small Claim Mediation Service in Anspruch zu nehmen. Die Mediation bleibt für die Parteien jedoch freiwillig.42 Die Möglichkeiten von ADR wurden erneut im Zuge des Erlasses der ADRRichtlinie diskutiert. Neben Aufklärungsmaßnahmen für Verbraucher, wurde zu diesem Zwecke ein überparteilicher parlamentarischer Ausschuss zum Thema ADR eingesetzt (All Party Parliamentary Group on ADR), der ein Forum für den Diskurs um ADR bietet.43 In diesem Zusammenhang wird auch die Förderungswürdigkeit von ADR im Zivilprozess sowie die potenziellen Kostenvorteile beleuchtet.44 Die größte Kontroverse im ADR-Diskurs der Post-Woolf-Ära besteht jedoch in der Frage, ob und wenn ja inwieweit die Teilnahme der Parteien an ADRVerfahren durch gerichtliche Kostensanktionen faktisch erzwungen werden kann.45 Die Diskussion wurde durch die offene Einstellung der Regierung und 28 (2009), 218, 219; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 121; von “anti-litigation rhetoric” sprechend, Thornberg, C.J.Q. 30 (2011), 74, 75. 39 Brady, Arbitration 76 (2010), 251, 262. NMH wurden nunmehr durch eine vom Justizministerium und CEDR betriebene Online-Plattform abgelöst, abrufbar unter https://civilme diation.justice.gov.uk/ sofern nicht anders angegeben, wurden alle URLs zuletzt am 7.6.2022 abgerufen). 40 Brady, Arbitration 76 (2010), 251, 256. 41 Der Directions questionnaire (Small Claims Track) ist abrufbar unter https://www.gov. uk/government/publications/form-n180-directions-questionnaire-small-claims-track; der Directions questionnaire (Fast track and Multi-track) ist abrufbar unter https://www.gov.uk/ government/publications/form-n181-directions-questionnaire-fast-track-and-multi-track. 42 Prince, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 79, 92 f.; Girolamo, C.J.Q. 35 (2016), 162, 168 f. 43 Girolamo, C.J.Q. 35 (2016), 162, 170; weitere Informationen und Audioaufnahmen der Sitzungen sind abrufbar unter https://www.ciarb.org/policy/uk-appg-on-adr. 44 Vgl. Department for Business, Innovation and Skills, Government response to the call for evidence on EU proposals on alternative dispute resolution (ADR), 2012, S. 11; dass., Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 8. 45 Dies zutreffend als „implied compulsory mediation“ beschreibend, Ahmed, C.J.Q. 31 (2012), 151, 164–169; näher zum gerichtlichen Druck in England noch unten unter Kap. 4 C. V. 1.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
der Legislative sowie der diesbezüglich offenen Formulierungen der WoolfEmpfehlungen entfacht.46 Ein etwaiger implizierter Zwang zur Mediation wurde daher in der Wissenschaft47 und der Rechtsprechung48 kontrovers diskutiert. Abzuwarten sind die Auswirkungen des künftigen Online Courts für England und Wales, der auf Empfehlungen der Civil Courts Structure Review von Lord Justice Briggs bis zum Jahr 2020 eingeführt werden soll.49 Das geplante dreistufige Verfahren soll auf litigants in person, das heißt auf Parteien ohne anwaltliche Vertretung zugeschnitten sein und somit unverhältnismäßig hohen Prozesskosten für geringwertige Klagen entgegenwirken.50 Geplant ist ein dreistufiges Online-Verfahren mit eigenen Verfahrensregeln.51 Ziel ist auch hier eine frühestmögliche Streitbeilegung, gegebenenfalls unter Nutzung von ADR.52
II. Bedeutung von ADR in Deutschland Die Bedeutung von ADR und die Innovationsfreude in diesem Bereich sind in Deutschland vergleichsweise gering. Noch kurz vor Erlass der ADR-Richtlinie wurde die ADR-Landschaft in Deutschland mit derjenigen des Vereinigten Kö-
46 Vgl. Girolamo, C.J.Q. 35 (2016), 162, 163; Prince, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 79, 93. 47 Hierzu gehören viele kritische Stimmen, Ingleby, MLR 53 (1993), 441 ff.; Nolan-Haley, NC.J. Int’l L. & Com. Reg. 37 (2012), 981 ff.; Genn, Judging Civil Justice, 2010, 106–108; Shipman, C.J.Q. 30 (2011), 163 ff. m. w. N. Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 407–409; Ahmed, C.J.Q. 31 (2012), 151 ff.; aber auch befürwortende Stimmen, Koo, C.J.Q. 34 (2015), 77, 94; Lightman, Mediation: An Approximation to Justice, 26.6.2007, Rn. 8; Clarke, The Future of Civil Mediation, 2008, Rn. 15–22; für eine einseitige Bindung von Unternehmen, Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 265 f. 48 Eingehend zur Rechtsprechung auf diesem Gebiet, Suter, Arbitration 81 (2015), 2 ff.; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 11.01–11.67. 49 „The development of the Online Court (,OC‘) is the single most radical and important structural change with which this report is concerned.“, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.1; zu den Hintergründen der Reform, s. Sorabji, C.J.Q. 36 (2017), 86, 87 f. 50 Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.5, der hierin das erste Gerichtsverfahren sieht, das von vorne bis hinten ohne Beteiligung von Anwälten konzipiert ist. Jedoch wurde bereits die small claims track ursprünglich als Verfahren ohne Beteiligung von Anwälten entworfen, hierzu auch Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 122 f.; ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 59–61. 51 Die drei Stufen zusammenfassend, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.7. 52 Etwa in Form einer telefonischen Mediation, neutraler richterlicher Evaluation (early neutral evaluation) oder andere existierender ADR-Mechanismen. Eingehend zu den Aufgaben des Case Officers sowie die Anforderungen an diesen, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 7.1–38; ders., Civil Courts Structure Review: Final Report, 2016, Rn. 7.1–38; näher zum geplanten Online Court für England und Wales unten unter Kap. 4 C. V. 1. und Kap. 5 A. I. 2.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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nigreichs vor den Woolf-Reformen der 1990er-Jahre verglichen.53 Auch wenn sich das Portfolio an ADR-Möglichkeiten für Verbraucher mit Umsetzung der ADR-Richtlinie vergrößert hat, bleibt die Akzeptanz und Nutzung von ADR weit hinter dem englischen Niveau zurück. Dies spiegelt sich auch in dem – selbst bei Juristen54 – immer noch niedrigen Bekanntheitsgrad von ADR. Es ist die traditionell starke Zivilgerichtsbarkeit, welche die ADR-Landschaft in Deutschland nachhaltig prägt55 und die Nutzung von ADR eben nicht faktisch alternativlos erscheinen lässt. 1. Historische Hintergründe Die ersten Bestrebungen des Einsatzes alternativer Streitbeilegung für privatrechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands sind bereits Anfang des 19. Jahrhunderts zu erkennen. Die Bestellung von Friedensrichtern in Preußen und der spätere Erlass der ersten Schiedsmannsordnung im Jahre 1827 begründeten die noch heute bestehende Institution des gemeindlichen Schiedswesens.56 Zwar fungieren die gemeindlich organisierten Schiedsämter beziehungsweise Schiedsstellen,57 die sachlich für kleinere zivilrechtliche – besonders nachbarschaftsrechtliche – Streitigkeiten zuständig sind, in einigen Ländern als Gütestelle im Sinne des § 15a EGZPO,58 jedoch ist ihre Bedeutung heute verschwindend gering.59 Die Welle der Access-to-Justice-Bewegung zeitigte jedoch auch in Deutschland Ende der 1970er-Jahre erste Wirkungen. „Die bis dahin nur in den esoterischen Zirkeln der Rechtssoziologie geführte Diskussion“60 um ADR, wurde um ein breiteres rechtssoziologisches Fachpublikum ergänzt, wobei die traditionelle Rechtswissenschaft zunächst weitestgehend unbeteiligt blieb.61 In diesem Rah53
Benöhr/Hodges/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012,
73. 54 Dieser niedrige Bekanntheitsgrad ist nicht zuletzt der verschwindend geringen Bedeutung der Thematik in der juristischen Ausbildung geschuldet; vgl. hierzu auch Gottwald, FRP 2004, 163, 166. 55 Vgl. Benöhr/Hodges/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, 73. 56 Zur Geschichte des gemeindlichen Schiedswesens, s. die (empirische) Begleitforschung zur Schiedsmannsordnung NRW von Jansen/Schwarz, 1987, S. 1, 8–16; s. auch Klein, 1995, S. 27, 29–35; eingehend Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, 2001, S. 35–48; s. auch Internetauftritt des Bunds Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen e.V., abrufbar unter https://www.schiedsamt.de/. 57 Insofern variiert die Terminologie zwischen den Ländern. Die Schiedsstellen und -ämter bestehen aus gewählten, ehrenamtlich tätigen Schiedsmännern und -frauen. 58 Vgl. Schmidt, 2003, 434 ff. 59 Zu den Gründen für die abnehmende Bedeutung, vgl. Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, 2001, S. 41–48; zur abnehmenden Bedeutung bereits in den 1980erJahren, s. Siegel, 1982, S. 55, 57–59. 60 Röhl, 1982, S. 15, 16. 61 Röh, 1982, S. 15, 17.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
men wurden neben dem gemeindlichen Schiedswesen andere bestehende ADRMöglichkeiten, etwa die Gütestellen der Handwerksinnungen und -kammern sowie die Schlichtungsstellen der Industrie- und Handelskammern, untersucht.62 Das Thema Verbraucherschutz durch ADR landete bereits Anfang der 1970er-Jahre auf der politischen Agenda der Bundesrepublik, welche die Errichtung (paritätisch besetzter) Schieds- und Schlichtungsstellen befürwortete.63 Infolgedessen wurde ADR von verschiedenen Verbänden der Industrie, des Handels, des Handwerks sowie der freien Berufe – freilich mit Rücksicht auf die Interessen der Mitglieder – angeboten. Als Ausdruck gewachsener Kundenorientierung sollten die errichteten Güte- und Schlichtungsstellen Streitigkeiten zwischen Kammermitgliedern und deren Kunden schnell und kostengünstig beilegen.64 Im weiteren Verlauf verschob sich der Fokus auf die Förderung der Mediation,65 die persönliche und soziale Konflikte der Parteien nachhaltig bewältigen soll.66 Sie wurde daher vor allem dort als Mittel der Wahl gesehen, wo der sozialen Frieden der Parteien – wie etwa in Familienstreitigkeiten67 – einen ganz besonderen Wert hat.68 Da der Erfolg der Mediation – im Vergleich zu anderen ADRVerfahren – in gesteigertem Maße von der Verhandlungsparität der Parteien ab-
62 Hierzu Miletzki, Formen der Konfliktregelung im Verbraucherrecht, 1982, S. 35; Reich, 1982, S. 219 ff.; Falkenstein, Die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken durch Verbraucherverbände, 1977, Rn. 212–225. 63 Erster Bericht zur Verbraucherpolitik, BT-Drucks. VI/2724 Ziff. III. 7.5; der zweite Bericht zur Verbraucherpolitik betont die Zweckmäßigkeit einer paritätischen Besetzung, BT-Drucks. 7/4181, Ziff. II. 3.10; vgl. auch Reich, 1982, S. 219, 221. 64 Überdies können Streitigkeiten der Kammermitglieder untereinander geklärt werden, Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, 2001, S. 51–55. 65 Zum Teil wurde ADR auch auf das Verfahren der Mediation reduziert, Gottwald, FRP 2004, 163, 164; Trenczek, ZfRSoz 26 (2005), 227, 233. Ausdrücklich ein weites Verständnis von „Verbrauchermediation“ anlegend, Hess, ZZP 2005, 427, 429. Zur Entwicklung der Mediation im deutschsprachigen Raum, Trenczek/Berning/Lenz, 2013, S. 1, 3 ff. 66 Anknüpfungspunkt hierfür sind die selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und kostengünstigen Verfahrensstrukturen, Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 845. 67 Schutter, 1982, S. 199 ff. Zur Mediation in Familiensachen, Mähler/Mähler, 32016, 1–105; Paul, 2014, 1–32; Breidenbach, Mediation, 1995, S. 259–295. 68 Trotz des Interesses der Unternehmen an einer hohen Kundenzufriedenheit nimmt die Beilegung sozialer Konflikte in Verbraucherstreitigkeiten jedoch eine untergeordnete Bedeutung ein. Entsprechend ist auch eine international eher untypische Orientierung und Spezialisierung der Mediation entlang klassischer Rechtsgebieten zu erkennen, vgl. Gottwald, FRP 2004, 163, 164.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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hängt, die in Verbraucherstreitigkeiten jedoch selten erreicht wird,69 ist ihre Bedeutung für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten jedoch eher gering.70 ADR ist dem deutschen Zivilprozess aber keineswegs fremd.71 So betont auch das BVerfG die grundsätzliche Vorzugswürdigkeit einer einvernehmlichen Streitbeilegung.72 Ohnehin hat das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Streits hinzuwirken, § 278 Abs. 1 ZPO. Ferner ist das Gericht befugt, den Parteien eine Mediation oder ein anderes ADR-Verfahren vorzuschlagen und den Zivilprozess zu diesem Zwecke auszusetzen, § 278a ZPO. Es ist ohnehin kein Geheimnis, dass ein großer Teil der zivilgerichtlichen Verfahren durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich beendet wird.73 Mit Einführung der – etwas unglücklichen – Regelung des § 15a EGZPO wurde zudem versucht, gerichtsnahe ADR-Verfahren zu institutionalisieren.74 Die Förderung gerichtsnaher ADR wurde in Deutschland – anders als in England – jedoch nicht zum Katalysator für die gerichtsferne ADR-Landschaft, da das deutsche Zivilprozessrecht keine Sanktionsmöglichkeiten für ein verweigertes ADR-Verfahren kennt.75 Die Entwicklung von ADR in Deutschland wurde durch die bereits angesprochene starke deutsche Ziviljustiz, mit angemessenen Rechtsverfolgungskos-
69 Der Fokus der Mediation auf die Erarbeitung einer eigenverantwortlichen Konfliktlösung im Gegensatz zu einer inhaltlichen Intervention eines neutralen Dritten schränkt die Instrumentarien des Mediators zur Herstellung von Waffengleichheit zwischen den Parteien stark ein, hierzu Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 46–60; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Horst/Wagner, Gerhard (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 77–79; Tonner, FS-Reich 1997, 1997, S. 861, 871. 70 So auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 234. Hinzu kommen die, im Vergleich zu rein dokumentenbasierten ADR-Verfahren, hohen Verfahrenskosten. 71 Zur gerichtsnahen und -internen Mediation in Deutschland, Ade/Alexander, ZKM 2007, 144, 147; Gläßer/Schroeter (Hrsg.), Gerichtliche Mediation, 2011. Zu den gerichtsnahen Schieds- und Konfliktkommissionen in der ehemaligen DDR, die allerdings für Zivilsachen – Arbeitsrechtssachen ausgenommen – keine Bedeutung hatten, Niederländer, 1995, S. 95 ff. 72 „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“, BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01 = NJW-RR 2007, 1073. 73 Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2020 endeten 13,8 % der Verfahren in Zivilsachen vor den Amtsgerichten und 22,4 % vor den Landgerichten (erste Instanz) durch gerichtlichen Vergleich. In der Berufungsinstanz wurde nochmals vor den Landgerichten in 12,7 % und vor den Oberlandesgerichten in 9,7 % der Fälle ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2020, 2021. „Das Zivilverfahren ist kein Garant für volle Rechtsverwirklichung“, Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 66–68. 74 Vgl. Hess/Pelzer, in: Steffek/Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 209, 215; monografisch Schreiber, Obligatorische Beratung und Mediation, 2007; zu aktuellen Entwicklungen, Deckenbrock/Jordans, MDR 2017, 376 ff. 75 Vgl. Gottwald, FRP 2004, 163, 164.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
ten und akzeptabler Verfahrensdauer,76 gebremst.77 Die Bekanntheit von ADR bei Verbrauchern und Unternehmen ist nach wie vor gering.78 Die Scheu vor staatlichen Gerichten scheint bei Verbrauchern in Deutschland aufgrund eines weitverbreiteten Schutzes durch Rechtsschutzversicherungen sowie eines funktionierenden Prozesskostenhilfesystems abgeschwächt. Aus rechtssoziologischer Perspektive erscheint der deutsche Verbraucher mit der Justiz und dem ihr innewohnenden rechtsbasierten und hierarchischen Konzept vertraut zu sein.79 2. Jüngere Entwicklungen Die seit Ende der 1990er-Jahre bestehende Tendenz zur Verrechtlichung von ADR hat der Entwicklung der alternativen Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten neuen Aufschwung verliehen.80 Befördert wurde dieser Progress durch die neu gewonnen Möglichkeiten des Internets und dem damit einhergehenden Diskurs sowie der Innovationsfreude um die Frage, wie man ADR ein Update auf ODR verpassen könne.81 Diese Entwicklungen drückten sich insbesondere in der Institutionalisierung von ADR-Verfahren auf Bestreben einzelner Wirtschaftsbereiche aus, die sich dabei dem englischen Vorbild der Ombudsperson bedienten.82 Federführend wa-
76 2020 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer vor Amtsgerichten 5,4 Monate (2015: 4,8 Monate), bei streitigem Urteil 8,4 Monate (2015: 7,6 Monate). In erster Instanz vor den Landgerichten betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer 10,5 Monate (2015: 9,9 Monate), 13,4 Monate (2015: 14,9 Monate) bei streitigem Urteil, Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2015, 2016 und dass., Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2020, 2021; allerdings übt die Bevölkerung zunehmend Kritik an der langen Verfahrensdauer, Roland-Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ROLAND Rechtsreport 2021, 2021, 16 ff. 77 Vgl. Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 847; vgl. auch Roth, JZ 2013, 637, 643; an der Übertragbarkeit ausländischer Erfahrungen zweifelnd, Schütze, ZVglRWiss 97 (1998), 117, 121–123; Trenczek, ZfRSoz 26 (2005), 227, 238; der Zustand ist auch auf die bis dahin „fehlende politische Steuerung zurückzuführen“, Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 24. 78 Zwar mögen 86 % der Bevölkerung bereits von der Möglichkeit einer außergerichtlichen Streitbeilegung gehört haben, Roland-Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ROLAND Rechtsreport 2021, 2021, S. 20, jedoch bestehen in vielerlei Hinsicht Fehlvorstellungen über ADRVerfahren, hierzu Braun, VuR 2019, 130, 134–136. 79 Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 110 f. 80 Die Tendenz der Verrechtlichung von ADR erkennend, Hess, ZZP 2005, 427, 431; Roth, JZ 2013, 637, 644; Hirsch, NJW 2013, 2088, 2093; Fries, ZKM 2017, 137 ff.; in Bezug auf Verbraucherschiedsverfahren, Wagner/Quinke, JZ 60 (2005), 932, 938. 81 Hess, ZZP 2005, 427, 431; monographisch Hofmeister, Online Dispute Resolution bei Verbraucherverträgen, 2012. Die Wortwahl ist angelehnt an den Untertitel „Upgrading from Alternative to Online Dispute Resolution“ bei Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017. 82 Zu der Geschichte des Begriffs „Ombudsmann“, s. Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 9.
A. Bedeutung von ADR für zivilrechtliche Streitigkeiten
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ren die Initiativen des Banken- und Versicherungssektors,83 während andere Wirtschaftsbereiche, wie der Personenverkehr84 und der Energiesektor85, erst im Zuge der unionsrechtlichen ADR-Förderung nachzogen. Nach einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2009 stelle Deutschland mit 247 verschiedenen ADR-Mechanismen knapp ein Drittel aller Institutionen der Mitgliedstaaten.86 Diese Zahl mag angesichts des tatsächlichen Entwicklungsstands von ADR in Deutschland zunächst überraschen, ergibt sich jedoch aus der Berücksichtigung der zahlreichen Schieds- und Schlichtungsstellen der einzelnen Berufskammern und -innungen.87 Die Anzahl der angestrebten ADR-Verfahren pro Einwohner fällt hingegen ernüchternd gering aus.88 Das Bundesamt für Justiz (BfJ) listet derzeit 28 Verbraucherschlichtungsstellen, die in der Regel auf eine recht junge Vergangenheit zurückblicken.89 Jüngst ergab sich ein neuer Einsatzbereich für ADR aus der Einführung des im Buch 6 der ZPO geregelten Musterfeststellungsverfahrens.90 Anknüpfungspunkt ist die Schadensregulierung für die im Klageregister registrierten Verbraucher im Anschluss an eine erfolgreiche und rechtskräftig abgeschlossene Musterfeststellungsklage, da Verbraucher hier auf die individuelle Durchsetzung ihrer Ansprüche angewiesen sind. Für derartige Streitigkeiten besteht seit 2020 eine
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Monografisch Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000. Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp) nahm ihre Arbeit 2009 auf, näher zur Institution und dem Verfahren der söp noch unten unter Kap. 2 C. II. 4. 85 Die Schlichtungsstelle Energie wurde im September 2011 gegründet, s. auch den Internetauftritt unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/. 86 Alleweldt/Fielder/Alleweldt u.a., Final Report to DG SANCO – Study on the use of Alternative Dispute Resolution in the European Union, 2009, S. 31. Hinzu kommen einige der nach dem VSBG anerkannten ADR-Stellen, die erst nach 2009 gegründet wurden. 87 Vgl. schon Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 89 f. 88 Gemessen am Jahr 2007 kommen auf 1 000 Einwohner nur 0,49 ADR-Verfahren. In diesem Vergleichszeitraum stehen 40 705 ADR-Verfahren 324 402 gerichtlichen Verfahren mit Verbrauchrechtsbezug gegenüber, Alleweldt/Fielder/Alleweldt u.a., Final Report to DG SANCO – Study on the use of Alternative Dispute Resolution in the European Union, 2009, S. 44–48. Zur Konzentrationswirkung großer nationaler ADR-Stellen, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 84. 89 Die Liste der Verbraucherschlichtungsstellen des BfJ ist abrufbar unter https://www.bun desjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Verbraucherschutz/Liste Verbraucherschl ichtungsstellen.pdf? blob=publicationFile&v=65. Die ältesten ADR-Stellen sind dem Finanzdienstleistungsbereich zuzuordnen, wie etwa die 1992 gegründete Verbraucherschlichtungsstelle beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands e.V. Berechtigte Kritik an den mitunter irreführenden Angaben hinsichtlich der Zuständigkeiten der Verbraucherschlichtungsstellen übt Hirsch, VuR 2020, 219 ff. 90 Die nachdrücklichen Forderungen nach überindividuellem Rechtsschutz für die Geltendmachung von Streuschäden durch „Sammelklagen“ wurden auch in Zuge des Erlasses der ADR-Richtlinie laut, so etwa Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 33 f.; Gruppenverfahren für Streuschäden befürwortend, Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1709; Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 396–398. 84
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Zuständigkeit bei der Universalschlichtungsstelle des Bundes, § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG.91
B. Maßgebliche ADR-Formen in der Verbraucherstreitbeilegungspraxis Die in England und Deutschland gebräuchlichen ADR-Formen leiten sich freilich wieder von den beschriebenen Grundtypen der Mediation, der Schlichtung und des Schiedsverfahrens ab. Darüber hinaus wird in England mitunter eine – in Deutschland unübliche – Untergliederung in non-adjudicative ADR, bei der den Parteien die Kontrolle über das Verfahren und dessen Ergebnis verbleibt und adjudicative ADR, an deren Ende eine Entscheidung der neutralen dritten Person steht, vorgenommen.92 Nicht-adjudikative ADR-Verfahren beruhen auf dem Prinzip der freiwilligen Teilnahme und zielen primär auf eine einvernehmliche Streitbeilegung durch Vergleich (compromise agreement) ab. In England kommt der Mediation in dieser Kategorie – sofern man den Blick nicht auf Verbraucherstreitigkeiten beschränkt – eine Schlüsselposition zu. Sie ist aufgrund ihrer simplen und informellen Verfahrensstruktur die am häufigsten benutzte ADR-Form und der krasseste Gegenpol zum Zivilprozess. Die einfache Botschaft der Mediation verspricht nicht nur eine Entlastung des Staatshaushalts, sondern lässt sich auch politisch bei Bürgern gut verkaufen.93 In Verbrauchersachen spielt die Mediation indes nur eine untergeordnete Rolle. Etwas rechtlich geprägter ist die sogenannte Early/Expert Neutral Evaluation (ENE), in der die neutrale dritte Person den Fall faktisch und rechtlich bewertet und so Grundlage für einen Vergleich der Parteien schaffen kann.94 Bestimmt wird die ADR-Landschaft für Verbraucherstreitigkeiten durch die Verfahren der Schlichtung beziehungsweise das Modell der Ombudsperson. In diesen Verfahren versucht die neutrale dritte Person zwar beide Parteien wie ein Mediator zu einem Vergleich zu führen, unterbreitet diesen – sofern eine einvernehmliche Lösung scheitert – jedoch einen rechtsorientierten Lösungsvorschlag, den die Parteien zur Vergleichsgrundlage machen können. In England können Ombudsverfahren sowohl gesetzlich statuiert sein, als auch durch private Institutionen betrieben werden. Darüber hinaus bestehen für Unternehmen in Eng91
Hierzu Röthemeyer, VuR 2019, 87, 89; Hirsch, VuR 2020, 454 ff. Diese Unterscheidung treffend, Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 2 2016, Rn. 2.01–2.29. 93 Genn/Riahi/Pleming, in: Steffek/Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 135, 138. 94 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 2.24 f.; Howell Williams, J.P.L. 2013, 406, 413 f.; Roberts/Palmer, Dispute processes, 22005, S. 287 f. und 328; Rosenberg/Folberg, Stan. L. Rev. 46 (1994), 1487, 1496. 92
B. Maßgebliche ADR-Formen in der Verbraucherstreitbeilegungspraxis
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land regelmäßig asymmetrische Pflichten zur Teilnahme am Verfahren sowie zur Einhaltung eines vom Verbraucher angenommenen Verfahrensergebnisses. Während diese asymmetrische Pflichtenverteilung für englische Unternehmen meist gesetzlicher Natur ist, bilden asymmetrische Bindungen deutscher Unternehmen die Ausnahme und beruhen meist auf einer autonomen Selbstbindung des Unternehmens. Im Vereinigten Königreich unterliegen Ombudsverfahren einer qualitätssichernden Selbstregulierung durch die Ombudsman Association95, die seit dem Jahr 1993 für eine Qualitätssicherung von öffentlichen und privaten Ombudsverfahren sorgt.96 Seit dem 7. April 2015 müssen Unternehmen, die mit dem Begriff „ombudsman“ firmieren, von einer der zuständigen Behörden97 anerkannt worden sein und Mitglied der Ombudsman Association sein.98 Mit Umsetzung der ADR-Richtlinie hat die Terminologie der „Schlichtung“ in Deutschland an Bedeutung gewonnen, da sich das VSBG am Schlichtungsverfahren orientiert und den geschützten Begriff der „Verbraucherschlichtungsstelle“ ausschließlich anerkannten ADR-Stellen vorbehält.99 Neben Ombudsverfahren und der Schlichtung hat sich für Verbrauchersachen in England zudem das Verfahren der adjudication (Adjudikation) etabliert.100 Adjudikationsvereinbarungen stammen ursprünglich aus dem Bausektor101 und sind in Bauverträgen gesetzlich vorgeschrieben.102 Obwohl das Verfahren zwar 95 Die Entscheidung zur Gründung eines Verbandes wurde bereits 1991 im Rahmen einer Ombudsmen Konferenz getroffen, die 1993 durch die Gründung der United Kingdom Ombudsman Association umgesetzt wurde. Durch Erweiterung des Verbands auf Mitglieder aus der irischen Jurisdiktion wurde der Verband 1994 in British and Irish Ombudsman Association umbenannt, bis er im Jahr 2012 den jetzigen Namen Ombudsman Association erhielt, htt ps://www.ombudsmanassociation.org/association-history.php; vgl. auch Creutzfeldt-Banda/ Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 267. 96 Zu der Gründung und den Aufgaben der OA, Hodges/Tulibacka, Civil Justice in England and Wales beyond the courts, 2009, S. 51–53. 97 Gemeint sind zuständige Behörden nach den Bestimmungen der The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute Regulation 2015. 98 Para. 1.86 Companies House Guidance, Annex A; hierzu auch Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 320 f.; Hirst, The Ombudsman Today – An International Perspective, 5.5.2016, Rn. 76; Creutzfeldt, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 101, 110. 99 § 2 Abs. 2 VSBG. 100 Die Terminologie „adjudication“ wird insbesondere in Verfahren verwendet, die durch das private Center for Effective Dispute Resolution (CEDR) betrieben werden; hierzu gehören das Aviation Adjudication Scheme sowie das Communications & Internet Services Adjudication Scheme (CISAS). 101 Hierzu Beckett, Const. L.J. 31 (2015), 254, 258–263; zur englischen construction adjudication aus deutscher Perspektive, Borowsky, ZKM 2007, 54 ff.; Borowsky, ZKM 2007, 54 ff.; Teubner Oberheim/Schröder, NZBau 2011, 257 ff.; Teubner Oberheim, ZKM 2012, 176 ff. 102 sec. 108 Housing Grants, Construction and Regeneration Act 1996 as amended by
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
begrifflich schon zu adjudicative ADR zählt, sind die Unterschiede zu Ombudsverfahren gering. Während beide Verfahren einen – zumindest für den Verbraucher unverbindlichen – Lösungsvorschlag vorsehen, ist lediglich die Vermittlerrolle des Adjudikators auf der ersten Verfahrensstufe weniger stark ausgeprägt als die der Ombudsperson. Adjudikative ADR-Verfahren ähneln dem staatlichen Zivilprozess zwar insofern, als dass sie sich primär auf eine finale Entscheidung ausrichten, sind aufgrund ihrer privatautonomen Basis indes flexibler und vertraulicher als Gerichtsverfahren.103 Hierzu zählt besonders das für Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten renommierte Schiedsverfahren (arbitration), welches mit Erlass eines in seiner Wirkung urteilsähnlichen Schiedsspruchs endet.104 Da Verbrauchern der Weg zu den Gerichten durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung jedoch peremptorisch versperrt wird, unterliegen solche Vereinbarungen hohen Wirksamkeitsanforderungen und bleiben daher die Ausnahme.105
C. ADR-Strukturen In England und Deutschland existieren etablierte ADR-Strukturen meist als Ergebnis selbstregulatorischer Initiativen. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die europäischen Kooperationsnetzwerke zwischen den ADR-Stellen der Mitgliedstaaten, über die sektorspezifischen ADR-Strukturen in England und Deutschland sowie über die Auffangmechanismen, mit denen beide Staaten ihrer Verantwortung zur Gewährleistung eines flächendeckenden Netzes an ADR-Stellen nachkommen.
I. Europäische Kooperationsnetzwerke Mit der Förderung von ADR durch die Europäische Union sind drei verschiedene Kooperationsnetzwerke entstanden, die gerade die Behandlung grenzübergreifender Beschwerden zu verbessern versuchen.106 Das FIN-NET ist ein im Jahr Part 8 of the Local Democracy, Economic Development and Construction Act 2010; hierzu auch Beckett, Const. L.J. 31 (2015), 254, 258. 103 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 2.02. 104 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 25.24–25.26; Roberts/ Palmer, Dispute processes, 22005, S. 265. 105 Näher zur Einschränkung der Privatautonomie beim Abschluss von Schiedsvereinbarungen mit Verbraucherbeteiligung noch unten unter Kap. 4 C. IV. 106 Hierzu auch Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 121. Darüber hinaus ist das European Consumer Centres Network (ECC-Net) als Netzwerk der europäischen Verbraucherzentren nennenswert, welches zwar nicht speziell der Zusammenarbeit von ADR-Stellen gewidmet ist, sich aber maßgeblich mit prozessualem Verbraucherschutz beschäftigt, nähere Informationen zum ECC-Net unter https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/consumers/ resolve-your-consumer-complaint/european-consumer-centres-network en#role-of-the-eccnet.
C. ADR-Strukturen
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2001 von der Kommission ins Leben gerufenes Kooperationsnetzwerk von ADR-Stellen, die sich der Beilegung von Verbraucherbeschwerden im Finanzdienstleistungssektor widmen.107 Das Netzwerk zählt 60 Mitglieder aus 27 Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums und bezweckt in Zusammenarbeit der ADR-Stellen den Zugang zu ADR zu erleichtern und gerade grenzübergreifende Streitigkeiten der richtigen ADR-Stelle zuzuführen. Im Jahr 2017 folgte schließlich die von der Kommission unterstütze Gründung des TRAVEL-NET als Kooperationsnetzwerk der ADR-Stellen für Beschwerden im Zusammenhang mit Verträgen über Reiseleistungen oder aus dem Bereich des öffentlichen Personenverkehrs. Das National Energy Ombudsman Network (NEON) ist ein unabhängiges, das heißt nicht von der Kommission errichtetes, gemeinnütziges, europäisches Netzwerk von ADR-Stellen im Energiesektor.108 Das Netzwerk hat wie auch das FIN-NET zum Ziel, die Interessen der – bislang nur acht – Mitglieder auf europäischer Ebene zu vertreten und den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Praktiken zwischen den Mitgliedern zu erleichtern.
II. Sektorspezifische ADR-Strukturen Strukturell haben sich ADR-Verfahren für Verbrauchersachen in England und Deutschland speziell in regulierten Wirtschaftssektoren etabliert. Hintergrund dieser Entwicklungen war stets ein unzureichender Umgang mit Kundenbeschwerden, wobei diese Notwendigkeit – im Sinne der Selbstregulierung – entweder von Branchenverbänden selbst oder vom Gesetzgeber gesehen wurde. Während ADR in England von privaten, sektorübergreifend agierenden Dienstleistern als Geschäftsfeld entdeckt wurde, werden sektorspezifische ADR-Verfahren in Deutschland meist von einem gemeinnützigen Trägerverein betrieben, dessen Gründung auf der Initiative eines Interessenverbands beruht. 1. Finanz- und Versicherungssektor Streitigkeiten im Zusammenhang mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sind in beiden Rechtsordnungen der traditionell und zahlenmäßig bedeutendste Gegenstand von ADR-Verfahren in Verbrauchersachen, was letztlich auf die hohe Regelungsdichte der verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften für Finanzdienstleistungen zurückzuführen ist.109 Während dieser Wirtschaftsbereich 107 NEON ist als gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht gegründet, dieser Hinweis bei Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 121; vgl. auch die Homepage des FIN-NET, https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/consumer-finance-a nd-payments/consumer-financial-services/financial-dispute-resolution-network-fin-net/finnet-network/about-fin-net de#mitgliedschaft-im-fin-net. 108 Siehe hierzu die Homepage des NEON, https://www.neon-ombudsman.org/. 109 Auch die Kommission hat daher schon früh die Errichtung neutraler ADR-Institutionen im Finanzsektor befürwortet, so zumindest in Bezug auf grenzüberschreitende Finanz-
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
in England durch eine einzige gesetzlich statuierte Ombudsstelle abgedeckt wird, sind die deutschen Strukturen mit 15 privaten und zwei subsidiär zuständigen behördlichen ADR-Stellen unübersichtlich.110 a) Financial Ombudsman Service (FOS) Der Financial Ombudsman Service (FOS) ist die zahlenmäßig bedeutendste ADR-Stelle für Verbraucherstreitigkeiten in England. Seit 2001 vereint der FOS vier, der bereits seit den 1980er-Jahren selbstregulatorisch111 agierenden Ombudsstellen für den Finanz- und Versicherungssektor unter einem Dach.112 Beim FOS handelt es sich um ein sogenanntes statutory ombudsman scheme, das heißt um eine gesetzlich statuierte, aber – als private Limited – staatlich weitestgehend unabhängige ADR-Stelle. Diese gesetzlichen Ombudsstellen, zu denen auch der Legal Ombudsman113 gehört, nehmen gewissermaßen eine hybride Stellung als öffentlich-private Institutionen ein.114 Die gesetzliche Basis des FOS gründet primär auf Schedule 17 des Financial Service and Markets Act 2000 (FSMA 2000)115. Der FOS bezweckt die faire, schnelle und informelle Beilegung von Individualstreitigkeiten zwischen Verbrauchern116 und Finanz- und Versicherungsdienstleistern auf Augenhöhe. Die Ombudsstelle ist integraler Bestandteil des finanzregulatorischen Systems unter Ägide der Financial Conduct Authority117 (FCA), der Aufsichtsbehörde für den Finanzsektor.118 Wenngleich der FCA Mit-
transaktionen die Empfehlung der Kommission v. 14.2.1990 zur Transparenz der Bankkonditionen bei grenzüberschreitenden Finanztransaktionen (90/109/EWG), ABl. EG Nr. L 67/39 v. 15.3.1990. 110 Eine einheitliche ADR-Stelle für den Finanzsektor fordert deshalb Brömmelmeyer, WM 2012, 337, 342. 111 Zur langen, wenn auch abnehmenden Tradition der Selbstregulierung im Finanzsektor im Vereinigten Königreich, MacNeil, MLR 62 (1999), 725–729; Ferran, C.J.Q. 21 (2002), 135, 137–139; Benöhr, European Policy Analysis 2013, 1, 8; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 317. 112 Hierzu gehörten das Insurance Ombudsman Scheme, The Banking Ombudsman, PIA Ombudsman und der Investment Ombudsman. 113 Zur Institution und dem Verfahren des Legal Ombudsman noch unten unter Kap. 2 C. II. 5. 114 So Hodges/Tulibacka, Civil Justice in England and Wales beyond the courts, 2009, S. 78. 115 In seiner durch den Financial Services Act 2012 geänderten Form. 116 Der Verbraucherbegriff ist dabei sehr weit gefasst und schließt auch kleine Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und trusts ein, sofern der jährliche Umsatz bzw. Etat oder Wert GBP 1 Mio. nicht übersteigt, MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 517. 117 Bis zum in Kraft treten des Financial Services Act im Jahr 2013 erfolgte die Finanzaufsicht durch die Vorgängerin der FCA, der Financial Services Authority (FSA). 118 Zum Regulierungskonzept MacNeil, MLR 62 (1999), 725 ff.; Ferran, C.J.Q. 21 (2002), 135–137; Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 273. Die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen der Finanzwirtschaft ergeben sich speziell aus dem sehr ausführlichen FCA Handbook. Dieses ist abrufbar unter
C. ADR-Strukturen
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bestimmungsrechte zukommen,119 erhält der FOS keine finanzielle staatliche Förderung. Der FOS ist von der FCA als ADR-Stelle nach den ADR Regulations anerkannt. Der FOS hat eine zwingende120 und eine freiwillige121 Jurisdiktion, die zusammen die meisten Beschwerden im Zusammenhang mit Finanzprodukten und -dienstleistungen erfassen. Die zwingende Jurisdiktion, der 98 % des Beschwerdeaufkommens zuzurechnen sind, erfasst Streitigkeiten gegen Finanzunternehmen, die von der FCA zugelassen sind. Unternehmen sind zur Teilnahme am Verfahren verpflichtet und sind – die Zustimmung des Verbrauchers vorausgesetzt – asymmetrisch an die Entscheidung einer Ombudsperson bis zu einer Entschädigungshöhe von GBP 350 000 gebunden.122 Wie bei allen ADR-Verfahren in Verbrauchersachen bedingt die Annahme einer Beschwerde die vorherige Kontaktaufnahme des Verbrauchers zum entsprechenden Unternehmen. Sofern die endgültige Antwort des Unternehmens (sogenannter deadlock letter) den Verbraucher nicht zufriedenstellt, kann dieser den Streit innerhalb von sechs Monaten zum FOS bringen. Die auf der ersten Verfahrensstufe des FOS eingesetzten „case handler“ versuchen die Parteien zunächst zu einer einvernehmlichen Lösung zu bringen. Scheitert ein Vergleich, unterbreitet der case handler einen ersten Lösungsvorschlag, den die Parteien freiwillig annehmen können. Andernfalls eskaliert der Streit auf der nächsten Verfahrensstufe, auf der eine Ombudsperson den ersten Lösungsvorschlag rechtsmittelartig überprüft und eine finale Entscheidung (final decision) erlässt. Die Ombudsperson entscheidet die Beschwerde danach, was nach ihrer oder seiner Meinung im konkreten Fall als fair und angemessen (fair and reasonable) erscheint.123 Der FOS finanziert sich ausschließlich durch Beiträge der Unternehmen; für Verbraucher ist das Verfahren kostenlos. Die Finanzierung setzt sich aus einem levy124, das heißt einer jährlichen Abgabe, sowie aus Fallpauschalen (case https://www.handbook.fca.org.uk/handbook; hierzu auch MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515 ff. 119 Der verbleibende Einfluss der FCA ist nicht unerheblich. Sie bestimmt den Vorsitzenden und den Vorstand des FOS und muss dessen Haushaltsplan zustimmen. Zudem wird das Verfahren des FOS durch das FCA Handbook geregelt. Eingehend zum Einfluss der Aufsichtsbehörde auf den FOS, Ferran, C.J.Q. 21 (2002), 135, 141–145; vgl. auch MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 516. 120 sec. 226 FSMA 2000. 121 sec. 227 FSMA 2000. Hierzu gehören gerade auch Unternehmen aus dem europäischen Ausland, die ihr Geschäft auf das Vereinigte Königreich ausgerichtet haben, wie etwa PayPal. 122 DISP 3.7.4R FCA Handbook. Den FOS aufgrund dieser Entscheidungsgewalt als „echten“ Ombudsmann bezeichnend, Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 23. 123 Eingehend zum Fair-and-reasonable-Standard bereits Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 215–221 sowie noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1.; MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 517 f.; hierzu auch Benöhr, European Policy Analysis 2013, 1, 9. 124 Der levy, dessen Höhe je nach Unternehmensgröße zwischen GBP 100 und GBP 300
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
fees)125 für jede angenommene Beschwerde zusammen. Die Unternehmen mit dem größten Beschwerdeaufkommen126 zahlen seit April 2013 ein sogenanntes group-account fee, das auf einer quartalsweisen Schätzung der eingereichten Beschwerden basiert und somit einen konstanten Mittelzufluss gewährleistet.127 Im Geschäftsjahr 2020/2021 erzielte der FOS operative Erträge in Höhe von GBP 245,1 Millionen.128 Im Geschäftsjahr 2020/2021 bewältigte der FOS mit 2 957 Mitarbeitern knapp eine halbe Millionen Anfragen und knapp 250 000 Beschwerden.129 Zuletzt sank das Beschwerdeaufkommen mit Ablauf der bis zum 29. August 2019 laufenden Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Restschuldversicherungen (payment protection insurances, PPIs).130 Die Beschwerden der Verbraucher wurden in 31 % der Fälle aufrechterhalten.131 Nur in etwa jedem zehnten Fall ergeht eine finale Entscheidung durch eine Ombudsperson.132 Der FOS veröffentlicht auf seiner Webseite sämtliche Entscheidungen unter Anonymisierung des Beschwerdeführers, wie auch weitergehende Beschwerdedaten zu spezifischen Unternehmen.133 Zusammen mit den weiteren online zur
000 betragen kann, wird von der FCA zusammen mit den anfallenden Aufsichtsgebühren und den Abgaben für das Financial Services Compensation Scheme (FSCS) unabhängig davon eingetrieben, ob im Geschäftsjahr eine Beschwerde gegen das Unternehmen eingereicht wurde oder nicht, vgl. FOS, strategic plans and budget for 2019/2020, 2018, S. 30. 125 Das case fee beträgt derzeit GBP 550, betrifft allerdings nur weniger als 1 % der Unternehmen, da die Fallgebühr erst ab der jährlich 26. Beschwerde gegen ein Unternehmen erhoben wird. 126 Namentlich Barclays Group, HSBC Group, Lloyds Banking Group, RBS/NatWest Group, Aviva Group, Direct Line Group, Nationwide Building Society Group sowie Santander Group, FOS, strategic plans and budget for 2019/2020, 2018, S. 68–74. 127 Für die ersten 125 Fälle im Jahr fallen keine weiteren case fees an, FOS, strategic plans and budget for 2019/2020, 2018, S. 30. 128 FOS, Annual Report and Accounts, 2021, S. 7. 129 FOS, Annual Report and Accounts, 2021, S. 6–13. 130 PPIs, zu Deutsch Restschuldversicherungen, wurden bis ins Jahr 2012 im Vereinigten Königreich im großen Stil missbräuchlich verkauft. Die hieraus resultierenden Ansprüche machten bis zu 46 % des Beschwerdeaufkommens aus (180 507 Fälle), FOS, Data in more depth 2018/2019, 2019, S. 5; eingehend zu den Funktionen des FOS im Rahmen der PPIThematik noch unten unter Kap. 3 B. I. 4. 131 FOS, Annual Report and Accounts, 2021, S. 7. Die Erfolgsquote variiert dabei stark nach der Thematik der zugrunde liegenden Beschwerde, siehe nur die genauen Beschwerdedaten für das Jahr 2020/21, abrufbar unter https://www.financial-ombudsman.org.uk/data-i nsight/annual-complaints-data. 132 Vgl. FOS, Data in more depth 2018/2019, 2019, S. 12. 133 Abrufbar unter https://www.ombudsman-decisions.org.uk/; zum Aufbau und der Aussagekraft der FOS-Entscheidungen, Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 226 f. Dabei werden nur die Unternehmen gelistet, gegen welche sich halbjährlich mehr als 30 Beschwerden richten und welche mindestens 30 Streitigkeiten gelöst haben, s. https://www.financial-ombudsman. org.uk/data-insight/half-yearly-complaints-data/.
C. ADR-Strukturen
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Verfügung gestellten Informationen soll das Informationsgefälle zwischen Unternehmer und Verbraucher reduziert werden und Verbraucher dazu befähigt werden, ihre Erfolgschancen besser einschätzen zu können.134 Überdies ermöglicht der FOS mit der Erfassung soziodemographischer Merkmale der Antragsteller, wie Alter, Geschlecht und Bildung, Rückschlüsse auf die erreichten Verbrauchergruppen.135 Der FOS verfügt über keine überindividuellen Rechtsschutzmechanismen, wohl aber über die Möglichkeit, einen Musterfall (lead case) für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle zu entscheiden.136 Überdies besteht die Möglichkeit, dem High Court eine bestimmte Rechtsfrage vorzulegen, sofern das Unternehmen für die Verfahrenskosten des Verbrauchers aufkommt, sogenannte test case procedure.137 b) ADR-Stellen für den deutschen Finanzsektor Die Errichtung institutionalisierter ADR-Verfahren für den deutschen Finanzsektor erfolgte ebenfalls aus dem Aspekt der Selbstregulierung heraus, um das angespannte Verhältnis zu den Kunden zu verbessern.138 Mit der Norm des § 14 Abs. 1 Unterlassungsklagengesetz (UKlaG), die verschiedene EU-Richtlinien139 umsetzt, existiert nunmehr eine gesetzliche Grundlage für ADR im Finanzsektor, die Kunden bestimmter Finanzgeschäfte140 das Recht vermittelt, im
134 Vgl. auch Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 277 f. 135 Siehe hierzu, FOS, Data in more depth 2018/2019, 2019, S. 19–22. 136 Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 278 f. 137 Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 279. 138 Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 14–25; Hoeren, NJW 1992, 2727, 2727 f. 139 Die unionsrechtlichen Anforderungen ergeben sich aus Art. 14 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, Art. 24 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, Art. 83 Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG sowie der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten, zur Änderung der Richtlinien 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2000/46/EG, hierzu auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 56 f. 140 Hierzu gehören gem. § 14 Abs. 1 S. 1 UKlaG, Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen, Zahlungsdiensteverträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern, Bankgeschäfte nach § 1 Abs. 1 S. 2 des Kreditwesengesetzes (KWG) oder Finanzdienstleistungen nach § 1 Absatz 1a S. 2 KWG.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Beschwerdefall eine vom BfJ anerkannte private oder behördliche ADR-Stelle anzurufen.141 Die Finanzschlichtungsstellenverordnung (FinSV)142, die nach § 14 Abs. 5 UKlaG erlassen wurde, regelt unmittelbar zwar nur die Organisation und das Verfahren der behördlichen Schlichtungsstellen, wurde jedoch von vielen privaten ADR-Stelle zur Grundlage der eigenen Verfahrensordnung gemacht. 1992 gründete der Bundesverband deutscher Banken die erste Schlichtungsstelle für Kundenbeschwerden, der bis heute zahlenmäßig die größte Bedeutung im deutschen Bankensektor zukommt.143 Der seit 2016 als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannte Ombudsmann der privaten Banken ist für alle Verbraucherbeschwerden zuständig, die sich gegen eines der über 180 Mitglieder richten. Auch hier ist das Verfahren für Verbraucher kostenlos.144 Die Unternehmen verpflichten sich durch die Mitgliedschaft im Trägerverein – anders als beim FOS – freiwillig zur Teilnahme und zur Einhaltung verbindlicher Verfahrensergebnisse, allerdings nur bis zu einem Streitwert in Höhe von EUR 10 000. Weit über die Hälfte der 2021 eingereichten 6 476 Anträge betrafen den Zahlungsverkehr.145 Ähnliche Verfahren werden durch Verbände der Genossenschaftsbanken146, Sparkassen147 sowie anderer öffentlicher148 und privater149 Branchenverbände be-
141 Vor Umsetzung der ADR-Richtlinie nahmen die Schlichtungsstellen die Aufgaben der Deutschen Bundesbank nach § 14 Abs. 1 UKlaG a. F., § 7 Abs. 1 SchlichtVerfV als Beliehene wahr, zur alten Rechtslage, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 57; vgl. Lücke, WM 2009, 102, 103 f. 142 Verordnung über die Verbraucherschlichtungsstellen im Finanzbereich nach § 14 des Unterlassungsklagengesetzes und ihr Verfahren v. 5.9.2016, BGBl. I S. 2140. 143 Eingehend zur Entstehungsgeschichte und zum Verfahren, Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 26–137; Zimmer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland, 2001, S. 63–73; Benöhr/Hodges/ Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 73, 106–108; Hoeren, NJW 1992, 2727 ff.; Hoeren, NJW 1994, 362 ff. 144 Die Kosten werden vom Bankenverband und damit von den Mitgliedern getragen. 145 Ombudsmann der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, 4.1. 146 Die Kundenbeschwerdestelle beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken erhielt 2021 3 322 Beschwerden, BVR, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 25. 147 Bei der Schlichtungsstelle beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband gingen 2021 7 132 Anträge ein, von denen 5 971 in den Zuständigkeitsbereich fielen, Schlichtungsstelle beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, 6 f. Hinzu kommen die Beschwerden bei der Sparkassen-Schlichtungsstelle Baden-Württemberg. 148 Die Verbraucherschlichtungsstelle beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) erhielt 2021 839 Anträge, Ombudsmann der Öffentlichen Banken, Tätigkeitsbericht der Verbraucherschlichtungsstelle 2021, 2022, S. 18. Näher zum Verfahren Lücke, WM 2009, 102, 104 f.; Schmitt, VuR 2015, 134 ff. 149 Hierzu gehören die Ombudsstelle für Investmentfonds des Bundesverbands Investment und Asset Management e.V., die Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen, die Schlichtungsstelle Bausparen des Verbands der Privaten Bausparkassen e.V., die Schlichtungsstelle für gewerbliche Versicherungs-, Anlage- und Kreditvermittlung des Verbands unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V. sowie die VuV-Ombudsstelle des Verbands unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e.V.
C. ADR-Strukturen
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trieben, wobei das Verfahrensergebnis für Unternehmen meist nicht verbindlich ist. Sofern sich ein Finanzdienstleister keiner privaten ADR-Stellen angeschlossen hat, besteht für eine gegen ihn gerichtete Beschwerde, die subsidiäre gesetzliche Zuständigkeit einer der behördlichen Schlichtungsstellen. Während die im August 1999 ins Leben gerufene Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank150 subsidiär für die in § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–5 UKlaG bezeichneten Streitigkeiten zuständig ist,151 erstreckt sich die subsidiäre Zuständigkeit der im Mai 2002 gegründeten Schlichtungsstelle bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf die in § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 und 7 UKlaG bezeichneten Streitgegenstände.152 Die Parteien sind in beiden Verfahren nicht an den Schlichtungsvorschlag gebunden. c) ADR-Stellen für den deutschen Versicherungssektor Die ADR-Strukturen im deutschen Versicherungswesen ähneln stark denen des Finanzdienstleistungssektors.153 Auch hier gibt es mit § 214 VVG eine gesetzliche Grundlage für die Verbraucherschlichtung von Beschwerden aus Versicherungsverträgen sowie im Zusammenhang mit deren Vermittlung durch Versicherungsvermittler oder -berater.154 Als privatrechtlich organisierte Verbraucherschlichtungsstellen sind der Versicherungsombudsmann sowie der Ombudsmann Privater Kranken- und Pflegeversicherung (PKV-Ombudsmann) anerkannt. Der Versicherungsombudsmann e.V. wurde auf Initiative des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Oktober 2001 gegründet und ist mit 18 344155 Anträgen für 2021 eine der zahlenmäßig bedeutendsten
150 Die Bedeutung der Schlichtungsstelle ist mit 513 eingereichten Beschwerden 2021 daher gering, Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 14; vgl. auch Lücke, WM 2009, 102, 103 f.; Benöhr/Hodges/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 73, 103–105. 151 Hierbei handelt es sich um Streitigkeiten in Umsetzung europäischer Richtlinien, u. a. der Richtlinie 2007/64/EG v. 13.11.2007 (Zahlungsdiensterichtlinie) sowie der Richtlinie 2008/48/EG v. 23.4.2008 (Verbraucherkreditrichtlinie). Zum Zuständigkeitsbereich der Schlichtungsstelle, Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, 7 –9. 152 Auch der (Auffangs-)Schlichtungsstelle bei der BaFin kommt mit 409 Eingaben im Jahr 2021 eine geringe Bedeutung zu, BaFin, Tätigkeitsbericht 2021 der Verbraucherschlichtungsstelle bei der BaFin, 2022, S. 10. Zur Organisation und Verfahren der Schlichtungsstelle bei der BaFin, Benöhr/Hodges/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 73, 101–103. 153 ADR sollte auch hier Ausdruck eines kundenorientierten Beschwerdemanagements sein sowie eine schnelle und kostengünstige Streitbeilegungsmethode anbieten, in diese Richtung Lorenz, VersR 2004, 541 ff.; Römer, NJW 2005, 1251. 154 § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Zur vorherigen Rechtslage, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 58. 155 Versicherungsombudsmann, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 5.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
ADR-Stelle in Deutschland.156 Der Versicherungsombudsmann, dem ein hohes Verbrauchervertrauen zugesprochen wird,157 ist für Streitigkeiten aus privaten Versicherungsverträgen – mit Ausnahme von Kranken- und Pflegeversicherungen – sowie für Beschwerden gegen Versicherungsvermittler zuständig.158 Während Versicherungsunternehmen asymmetrisch bis zu einem Streitwert von EUR 10 000 an das Verfahren und die Entscheidungen des Versicherungsombudsmanns gebunden sind,159 ist die Einhaltung des Verfahrensergebnisses für Versicherungsvermittler freiwillig.160 Überdies ist der Versicherungsombudsmann eine der wenigen deutschen ADR-Stellen, die eine Auswahl anonymisierter Lösungsvorschläge veröffentlicht.161 Interessant ist ferner die Möglichkeit für Unternehmen zu beantragen, dass eine Beschwerde mit einer entscheidungserheblichen, grundsätzlichen Rechtsfrage als Musterfall unbeschieden bleiben soll, um die Streitigkeit unter der Bedingung gerichtlich klären zu lassen, dass das Unternehmen die erstinstanzlichen Prozesskosten des Verbrauchers trägt.162 Der PKV-Ombudsmann schlichtet seit 2001 aus privaten Kranken- oder Pflegeversicherungen resultierende Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Versicherern und verzeichnete 2021 6 041 Beschwerden.163 Anders als im Verfahren des Versicherungsombudsmanns sind Versicherungsunternehmen jedoch nicht an Lösungsvorschläge der Ombudsperson gebunden.164 156 Eingehend zum Hintergrund und Verfahren des Versicherungsombudsmanns, Lorenz, VersR 2004, 541 ff.; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 224–240; und von den früheren Ombudsmännern selbst, Römer, NJW 2005, 1251 ff., 1251; Hirsch, VuR 2010, 298 ff.; ders., ZKM 2013, 15, 16 f.; zur entsprechenden Diskussion seit den 1970er-Jahren, Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 20–22. 157 Zum hohen Verbrauchervertrauen in den Versicherungsombudsmann, Creutzfeldt, Vertrauen in außergerichtliche Streitbeilegung, 2015. 158 §§ 1, 2 Abs. 4 lit. b) Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO), abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/verfahr ensordnungen/vomvo/; §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 Verfahrensordnung für Beschwerden im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen (VermVO), abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/verfahrensordnung en/vermvo/. 159 Der Versicherungsombudsmann behandelt Beschwerden bis zu einem Streitwert von EUR 100 000. Bei einem Streitwert von über EUR 10 000 werden jedoch nur für das Unternehmen unverbindliche Empfehlungen ausgesprochen, §§ 2 Abs. 4 lit. a), 10 Abs. 3 VomVO. 160 § 7 Abs. 5 VermVO. 161 Die Entscheidungen und Empfehlungen des Versicherungsombudsmanns sind abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/entscheidungssuche/; zur Struktur von Entscheidungen des Versicherungsombudsmanns bereits Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 227 f. 162 § 9 Abs. 3 VomVO. Bisher haben Unternehmen von solchen Möglichkeiten – soweit bekannt – keinen Gebrauch gemacht, Isermann, VuR 2018, 283, 285. 163 § 3 Statut des Ombudsmanns Private Kranken- und Pflegeversicherung, abrufbar unter https://www.pkv-ombudsmann.de/schlichtungsverfahren/statut/; zum Beschwerdeaufkommen, Ombudsmann Private Kranken- und Pflegeversicherung, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 8; näher zum Verfahren des PKV-Ombudsmanns, Brömmelmeyer, WM 2012, 337, 338 f. 164 § 10 Abs. 3 Statut des Ombudsmanns Private Kranken- und Pflegeversicherung.
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2. Energiesektor Die ADR-Strukturen im Energiesektor sind mit jeweils einer ADR-Stelle in jeder Rechtsordnung übersichtlicher als im Finanzsektor. In England beruht die Etablierung alternativer Streitbeilegung in Verbrauchersachen mit Energieversorgungsunternehmen wiederum auf einer selbstregulatorischen Initiative. Mit den Anforderungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie165 und der Gasbinnenmarktrichtlinie166 besteht nunmehr eine unionsrechtliche Grundlage für ADR im Energiesektor. Der Energy Ombudsman, im Folgenden auch Ombudsman Services: Energy (OS:E), wurde im Juli 2006 auf Anreiz der staatlichen Aufsichtsbehörde, dem Office of Gas and Electricity Markets (Ofgem)167, von den größten Energieversorgern des Landes ins Leben gerufen.168 Die parlamentsgesetzliche Grundlage des Energy Ombudsman bildet der The Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007 (CEAR Act 2007), dessen sec. 47 als Ermächtigungsgrundlage für eine verpflichtende Mitgliedschaft für Energieversorger dient. Seit Oktober 2008 ist der Energy Ombudsman, der eng mit Ofgem zusammenarbeitet,169 die einzige zugelassene ADR-Stelle für den englischen Energiesektor. Außerhalb des Regulierungsbereichs des CEAR Act 2007 können Beschwerden im Energiesektor vor „UtilitiesADR“ gebracht werden.170 Betrieben wird der Energy Ombudsman durch „The Ombudsman Service Limited“ (OS), einer der größten privaten ADR-Anbieter in England. OS betreibt neben dem Energy Ombudsman unter anderem Verfahren in den Bereichen Kommunikation, Immobilien und Urheberrechtslizenzen.171 Mit Umsetzung der ADR-Richtlinie rief OS den „Consumer Ombudsman“ für allgemeine Verbraucherstreitigkeiten ins Leben. 165 Vgl. Art. 3 Abs. 7 S. 5 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG v. 13.7.2009, ABl. L 211 S. 55. 166 Vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 6 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG v. 13.7.2009, ABl. L 211 S. 94. 167 Diese wird wiederum von der Gas and Electricity Markets Authority (GEMA) verwaltet. 168 Damals noch unter dem Namen „Energy Supply Ombudsman“, war die Zuständigkeit zunächst auf Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Energieversorgern im Zusammenhang mit einem Anbieterwechsel beschränkt, hierzu Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 307. 169 Näher zur Kooperation des OS:E mit Ofgem noch unten unter Kap. 3 B. 5. sowie Kap. 5 B. III. 1. 170 UtilitiesADR wird von Consumer Dispute Resolution Ltd (CDRL) betrieben; die Webseite ist abrufbar unter https://www.utilitiesadr.co.uk/. 171 Ferner können Beschwerden gegen den Vermittler von Umzugsdienstleistungen „reallymove.com“ sowie gegen Mitglieder der Asset Based Finance Association, des Double Glazing and Conservatory Ombudsman Schemes und von Home Insulation and Energy Systems (HIES) gerichtet werden.
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Das Verfahren des Energy Ombudsman ähnelt dem des FOS.172 Der Energy Ombudsman kann jedoch nur Entschädigungen bis zu einer Höhe von GBP 10 000 festsetzen. 2021 gingen beim Energy Ombudsman insgesamt knapp 70 000 Beschwerden ein.173 Die 2011 errichtete Schlichtungsstelle Energie e.V. betreibt ADR-Verfahren zwischen Verbrauchern und Energieversorgungsunternehmen (Gas und Strom) und ist die einzige nach § 111b Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und dem VSBG anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle für den deutschen Energiesektor.174 Der Verein wird von Energiewirtschaftsverbänden und des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) getragen und finanziert sich über Fallpauschalen der Unternehmen. Energieversorger sind nach § 111b Abs. 1 S. 2 EnWG zur Teilnahme an der Schlichtung, nicht aber zur Akzeptanz der Schlichtungsempfehlung verpflichtet.175 2021 erreichten die Schlichtungsstelle Energie 7 722 Anträge, wobei die Parteien in etwa 84 % der Fälle eine einvernehmliche Lösung fanden und in nur rund 6 % der Fälle eine Schlichtungsempfehlung erging.176 Wie auch der Versicherungsombudsmann veröffentlicht die Schlichtungsstelle Energie – entsprechend der Regelung des § 111b Abs. 8 EnWG – Empfehlungen von allgemeinem Interesse.177 3. Telekommunikationssektor Wie auch im Finanz- und Energiesektor sind die ADR-Strukturen im Telekommunikationssektor unionsrechtlich geprägt178. Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 34 Universaldienstrichtlinie179 für transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten im Anwendungsbereich der Richtlinie und der RoamingVO180 Sorge zu tragen. 172 Ausführlich zum Verfahren des OS:E, Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 307–311; eingehend. auch lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015. 173 Dies ergibt sich aus den kumulierten Beschwerdedaten für alle vier Quartale. Die Beschwerdedaten sind abrufbar unter https://www.ombudsman-services.org/about-us/annual-r eports/complaints-data/energy-complaints-data. 174 Näher zur Schlichtungsstelle Energie, Benöhr/Hodges/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 73, 114 f.; Berlin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, Überblick zur bestehenden Schlichtungspraxis Rn. 73 ff.; Alexander/Grubert, VuR 2020, 336 ff. 175 Hierzu Kap. 4 D. II. 2. 176 Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 9. 177 Die Empfehlungen sind abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/schli chtungsempfehlungen.html. 178 Näher zum unionsrechtlichen Hintergrund des § 47a Telekommunikationsgesetz (TKG), Büning, in: Geppert/Schütz, TKG, 42013, § 47a Rn. 2–5. 179 Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. L 108 S. 51. 180 Gem. Art. 18 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 531/2012 des Europäischen Parlaments und
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Die Vorgaben der Universaldienstrichtlinie für ADR-Verfahren wurden in England durch die secs. 52, 54 Communications Act 2003 umgesetzt. Demnach obliegt der britischen Medienaufsichtsbehörde, dem Office of Communications (Ofcom), die Anerkennung von ADR-Stellen für den Telekommunikationssektor. Zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Telekommunikationsdienstleistern hat Ofcom bislang zwei ADR-Stellen zugelassen: das Communications and Internet Services Adjudication Scheme (CISAS) sowie Ombudsman Services: Communications (OS:C).181 OS:C wird vorwiegend von Festnetz- und Mobilfunkanbietern genutzt. Für die nicht vom Communications Act 2003 regulierten Streitigkeiten existiert das Verfahren von CommsADR.182 CISAS, das insbesondere Internetanbieter und Mobilfunkanbieter zu seinen Mitgliedern zählt, wird hingegen von dem zweiten großen privaten ADR-Anbieter in England, dem Center for Effective Dispute Resolution (CEDR), betrieben. CEDR wurde bereits 1990 als gemeinnützige Organisation gegründet und steht damit am Anfang der englischen ADR-Bewegung.183 Das Angebot reicht von gerichtsnahen „court mediation schemes“, über die Ausbildung von Mediatoren, bis hin zum Angebot von ADR-Verfahren sowohl für Wirtschafts- als auch für Verbrauchersachen.184 Da Telekommunikationsdienstleister zur Teilnahme an einem der beiden ADR-Verfahren verpflichtet sind, stehen beide Anbieter in direkter Konkurrenz. Beide Anbieter kooperieren jedoch für den Fall, dass sich ein regelwidrig verhaltendes Unternehmen der jeweils anderen ADR-Stelle anschließen möchte.185 Zwar betreibt CISAS eine rein dokumentenbasierte adjudication186 und OS:C ein Ombudsverfahren, jedoch beinhalten beide Verfahren Schlichtungselemente.187
des Rates v. 13.6.2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (RoamingVO), ABl. L 172 S. 10, haben die Mitgliedstaaten ein ADR-Verfahren nach Art. 34 Universaldienstrichtlinie auch für Gegenstände der Verordnung zu gewährleisten. 181 Beide sind auch als ADR-Stellen i. S. d. ADR Regulations gelistet. 182 Dieses ADR-Verfahren wird von CDRL betrieben, https://www.commsadr.co.uk/. 183 Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 92. Unterstützt wird CEDR durch den britischen Industrieverband (The Confederation of British Industry), zahlreiche renommierte Wirtschaftskanzleien, Unternehmen sowie staatliche Behörden. 184 CEDR unterhält einige ADR-Stellen im Sinne der ADR-Richtlinie und ist damit von vier der sieben zuständigen Behörden anerkannt, hierzu gehören neben CISAS, insbesondere das Aviation Adjudication Scheme, Verfahren für das Lotterie- und Glücksspielgewerbe sowie zwei nicht als ADR-Stellen anerkannten Verfahren, das Arbitration und das Conciliation Scheme der Association of British Travel Agents (ABTA). 185 Die Mitgliedschaft bei der anderen Stelle wird so lange verhindert, bis der Regelverstoß behoben ist, Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 303. 186 Adjudication ist die von CEDR für Verbraucherstreitigkeiten am häufigsten benutzte ADR-Form, Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 268. 187 Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 303.
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Für das Geschäftsjahr 2020/2021 verzeichnete CISAS einen Eingang von 23 900 neuen Beschwerden,188 wohingegen den OS:C 2019 62 233 Anfragen erreichten.189 In Deutschland betreibt die behördliche Verbraucherschlichtungsstelle Telekommunikation der Bundesnetzagentur das unionsrechtlich geforderte ADRVerfahren, Art. 47a Abs. 1 TKG. Das Schlichtungsverfahren zielt zwar auf eine schnelle, gütliche und nachhaltige Einigung der Streitparteien ab, jedoch sind Unternehmen nicht an Schlichtungsvorschläge gebunden.190 Die Schlichtungsstelle unterstützt Verbraucher durch Informationen und beabsichtigt die Qualität und Erreichbarkeit des Kundenservices im Sektor zu verbessern.191 Das Beschwerdeaufkommen ist mit 1 622 neuen Anträgen für 2021 – gerade im Vergleich zum englischen Telekommunikationssektor – allerdings erstaunlich gering.192 4. Öffentlicher Personenverkehr Der Bereich des öffentlichen Personenverkehrs unterliegt keinen spezifischen unionsrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf einen Rechtsschutz durch ADR.193 Die ADR-Strukturen erstrecken sich in beiden Ländern auf alle öffentlichen Beförderungsmittel, wobei der Bereich der Zivilluftfahrt in England speziell reguliert ist.
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CISAS, ADR Entity Reporting – Annual Report, 2021, S. 1. Von diesen Anträgen fielen indes nur 40 % in den eigenen Zuständigkeitsbereich, Ombudsman Services, Communications Sector Report, 2019, S. 7. Die später veröffentlichten Daten orientieren sich ausschließlich an den von der Regulierungsbehörde vorgegebenen Kennzahlen und sind insoweit wenig aussagekräftig. 190 Bundesnetzagentur, Tätigkeitsbericht der Tätigkeitsbericht Schlichtungsstelle Telekommunikation 2021, 2022, S. 5–6. 191 Bundesnetzagentur, Tätigkeitsbericht der Verbraucherschlichtungsstelle Telekommunikation 2018, 2019, S. 12. 192 Zum Beschwerdeaufkommen, Bundesnetzagentur, Tätigkeitsbericht der Tätigkeitsbericht Schlichtungsstelle Telekommunikation 2021, 2022, S. 7. 193 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Unterhaltung von Durchsetzungs- und Beschwerdestellen für den Luftverkehr betrifft nicht zivilrechtliche Ansprüche, vgl. Art. 16 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (FluggastrechteVO), ABl. L 46 S. 1 sowie Art. 14 und 15 Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.7.2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität, ABl. L 204 S. 1. Die Durchsetzung- und Beschwerdestelle ist in England die Civil Aviation Authority und in Deutschland das Luftfahrt-Bundesamt. Das Gleiche gilt für nationale Durchsetzungsstellen i. S. d. Art. 28 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.2.2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004. 189
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Die Anerkennungsbehörde für den Bereich der Zivilluftfahrt ist die Civil Aviation Authority (CAA), die sich ausschließlich aus Gebühren der zu beaufsichtigenden Luftfahrtunternehmen finanziert.194 Die CAA listet aktuell zwei ADR-Stellen:195 das von CEDR betriebene Aviation Adjudication Scheme sowie AviationADR, das von Consumer Dispute Resolution Ltd. (CDRL) unterhalten wird. Beide Institutionen kommen zusammen auf eine Eingangszahl von jährlich über 26 000 Beschwerden.196 Die Mitgliedschaft bei einer der ADR-Stelle ist zwar freiwillig, hat sich ein Luftfahrtunternehmen jedoch einem der Verfahren angeschlossen, so besteht eine asymmetrische Bindung der Mitglieder an das Verfahrensergebnis. Für Luftfahrtunternehmen, die sich keiner der beiden privaten ADR-Stellen angeschlossen haben, besteht eine subsidiäre Zuständigkeit eines von der CAA betriebenen Beschwerdemechanismus, das sogenannte Passenger and Advice Complaints Team (PACT), dessen Empfehlungen für Unternehmen allerdings keinen verbindlichen Charakter haben.197 Zugreisende können sich seit Ende 2018 an The Rail Ombudsman wenden, sofern sich das entsprechende Bahnunternehmen zur Teilnahme an diesem Verfahren verpflichtet hat.198 Für Verbraucherbeschwerden gegen Bus- und Fernbusunternehmen ist Bus Users zuständig.199 Sonderzuständigkeiten bestehen für Nordirland, aber auch für den Personenverkehr im Bereich London, in welchem London Travel Watch einen nicht unter den ADR Regulations anerkannten Beschwerdemechanismus unterhält.200 Im Sektor des öffentlichen Personenverkehrs erfreut sich ADR zunehmender Bekanntheit und Beliebtheit. Im Bereich der Zivilluftfahrt besteht für Verbraucher nach den §§ 57–57b Luftverkehrsgesetz (LuftVG) die Möglichkeit, aus der Luftbeförderung resultierende Zahlungsansprüche bis zu EUR 5 000 gegen Luftfahrtunternehmen vor einer privaten oder behördlichen ADR-Stelle geltend zu machen. Dabei besteht nach § 57a LuftVG eine gesetzliche subsidiäre Zuständigkeit der behördlichen Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz
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Näher zur Regulierung durch die CAA, Creutzfeldt/Berlin, C.J.Q. 35 (2016), 148 ff. Erwägungen zur Gründung einer einheitlichen Ombudsstelle für Luftverkehrsstreitigkeiten wurde nicht näher verfolgt, hierzu Hodges, Travel Law Quarterly 2014, 192 ff. 196 Im Geschäftsjahr 2020/2021 verzeichnete das Aviation Adjudication Scheme einen Eingang von 3 114 Beschwerden, CEDR, Annual Report (Apr 20 – Mar 21), 2021, S. 1. Im Geschäftsjahr 2020/2021 verzeichnete AviationADR einen Eingang von 23 623 Beschwerden, CDRL, Annual Activity Report to CAA (2021), 2021, S. 1. 197 Als Anreiz zur Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle, setzt die CAA die Verfahrensgebühren für PACT jedoch sehr hoch, vgl. Creutzfeldt/Berlin, C.J.Q. 35 (2016), 148, 153 f. 198 Die Webseite ist abrufbar unter https://www.railombudsman.org/. 199 Bus Users ist zugleich nationale Durchsetzungsstelle i. S. d. Art. 28 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 181/2011; Bus Users verzeichnete 2020/2021 in Großbritannien ein Geschäftsaufkommen von 451 Beschwerden, Bus Users, Annual Impact Report 2020–21, 2022, S. 5. Die Webseite ist abrufbar unter https://www.bususers.org/. 200 Die Webseite ist abrufbar unter https://www.londontravelwatch.org.uk/. 195
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
für Streitigkeiten gegen Luftfahrtunternehmen, die sich keiner nach § 57 LuftVG anerkannten privaten ADR-Stelle angeschlossen haben.201 Die Anforderungen an die Organisation und das Verfahren privater und behördlicher ADR-Stellen konkretisiert die Luftverkehrsschlichtungsverordnung (LuftSchlichtV)202. Trotz der obligatorischen Zuständigkeit der Schlichtungsstelle Luftverkehr, die 2021 einen Eingang von 3 174 Beschwerden verzeichnete,203 sind die Schlichtungsvorschläge für beide Parteien unverbindlich. Die im Dezember 2009 gegründete Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (söp) ist die einzige private ADR-Stelle für den Luftverkehr, wobei sich die Zuständigkeit der söp darüber hinaus – bis zu einer Streitwertgrenze von EUR 30 000 –204 auf große Teile des Bahn-, Bus-, Schiffs- und Nahverkehrs erstreckt.205 Die söp ist mit rund 400 Mitgliedern und regelmäßig jährlich über 26 000 eingehenden Beschwerden die zahlenmäßig größte deutsche ADR-Stelle.206 Obwohl die Parteien nicht an die Schlichtungsempfehlungen der söp gebunden sind, erzielt die söp eine Einigungsquote von über 80 %,207 was für ein großes Verbrauchervertrauen spricht.208 Die söp veröffentlicht eine Auswahl ihrer Schlichtungsempfehlungen auf ihrer Webseite.209 Ferner gibt es, wie auch im Verfahren des Versicherungsombudsmanns, die Möglichkeit, einen Musterfall mit einer grundsätzlichen Rechtsfrage zum Zwecke der gerichtlichen Klärung, auf Antrag unbeschieden zu lassen.210 Nach Anerkennung als ADR-Stelle durch die Civil Aviation Authority erstreckt sich das Arbeitsfeld der söp nunmehr auch auf das Vereinigte Königreich.211 201 Bailly, 2020, 219–222; vgl. Berlin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, Überblick zur bestehenden Schlichtungspraxis Rn. 70–72. 202 Verordnung nach § 57c des Luftverkehrsgesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr v. 11.10.2013, BGBl. I S 3820. 203 BfJ, Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz für das Jahr 2021, 2022, S. 6. Eingehend zur Organisation und dem Verfahren der Schlichtungsstelle, Bailly, 2020, S. 219 ff. 204 § 2 Abs. 3 lit. a) söp Verfahrensordnung, abrufbar unter https://soep-online.de/wp-con tent/uploads/2022/03/2018 soep-Verfahrensordnung.pdf. 205 Eingehend zur Entwicklung sowie zum Regelungsrahmen, Aufbau und Verfahren der söp, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 241–254; ders., in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, Überblick zur bestehenden Schlichtungspraxis Rn. 63–66; ders., ZKM 2020, 29 ff.; zur Digitalisierung des Schlichtungsverfahrens der söp, Meier/Marschner, ZKM 2021, 245 ff. 206 Die Eingangszahlen schwankten zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie. Das Beschwerdeaufkommen stieg von 26 029 Beschwerden (2019) auf 41 249 Beschwerden (2020), bevor es auf 15 674 Beschwerden abfiel. Zuletzt entfielen 78 % der Beschwerden auf den Bereich Flug, 16 % auf den Bereich Bahn, 4 % auf den ÖPNV und 1 % auf den Bereich Fernbus, söp, Jahresbericht 2021, 2022, S. 11–13. 207 söp, Jahresbericht 2021, 2022, S. 20. 208 So auch die Studie von Creutzfeldt, Vertrauen in außergerichtliche Streitbeilegung, 2015; vgl. söp, Jahresbericht 2017, 29.3.2018, 18 f.; dass., Jahresbericht 2021, 2022, S. 21 209 Diese sind abrufbar unter https://soep-online.de/soep empfehlungen/. 210 Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hätte das Unternehmen zu tragen, § 7 Abs. 2 söp Verfahrensordnung.
C. ADR-Strukturen
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Die ADR-Strukturen werden durch regionale Schlichtungsstellen für den öffentlichen Personennahverkehr ergänzt.212 Die Schlichtungsstelle Nahverkehr e.V. nahm bereits 2002 ihre Arbeit für Streitigkeiten auf dem Gebiet NordrheinWestfalens auf, ist allerdings nicht als Verbraucherschlichtungsstelle nach dem VSBG anerkannt.213 Für Verkehrsbetriebe in den Ländern Hessen, RheinlandPfalz und Saarland bietet die Schlichtungsstelle Nahverkehr Mitte e.V. ein ADRVerfahren an.214 Für die Länder Niedersachsen und Bremen wurde SNUB – die Nahverkehr-Schlichtungsstelle e.V. gegründet, die 2021 180 Beschwerden erhielt.215 Die Entscheidungen der nach dem VSBG anerkannten Schlichtungsstelle sind – bei Zustimmung des Verbrauchers – für Unternehmen bis zu einem Streitwert von EUR 500 verbindlich.216 5. Rechtsdienstleistungen Im Bereich der Rechtsdienstleistungen besteht mit dem englischen Legal Ombudsman ein weiteres statutory ombudsman scheme mit asymmetrischer Pflichtenverteilung. Die Teilnahme am Verfahren der deutschen Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft ist hingegen für beide Parteien freiwillig. Entsprechend den Vorgaben des Part 6 des Legal Services Act 2007 betreibt das Office for Legal Complaints (OLC)217 – seit Oktober 2010 unter dem Namen Legal Ombudsman (LeO) – eine Beschwerdestelle für Verbraucherstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit einer Rechtsdienstleistung entstanden sind. Im Rahmen der Jurisdiktion des LeO besteht, wie auch im Verfahren des FOS, eine asymmetrische gesetzliche Pflicht für Rechtsdienstleister zur Teilnahme am Verfahren und zur Einhaltung der Verfahrensergebnisse.218 211
söp, Jahresbericht 2016, 2017, S. 6; dass., Jahresbericht 2018, 14.3.2019, S. 1. Die Ombudsstelle Nahverkehr Bayern hat ihre Tätigkeit zum 31.11.2016 eingestellt. Die Ombudsstelle Nahverkehr Baden-Württemberg hat ihren Betrieb zum 31.12.2016 eingestellt. 213 Sie wurde als Gemeinschaftsprojekt der Verbraucherzentrale NRW sowie der Landesgruppe NRW des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen gegründet und finanziert sich aus Beiträgen der Verkehrsbetriebe sowie Zuschüssen des Landes Nordrhein-Westfalen, die Webseite ist abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-nahverkehr.de/. 214 Auch die Schlichtungsstelle Nahverkehr Mitte ist nicht als Verbraucherschlichtungsstelle beim Bundesamt für Justiz gelistet. 215 Die Schlichtungsstelle war allerdings nur bei 64 von 181 bearbeiteten Beschwerden zuständig, SNUB, Jahresbericht 2021, 2022, S. 1–2. 216 Verfahren, die einen Streitwert von EUR 500 übersteigen, sind grds. unzulässig, §§ 2 Abs. 5 lit. a), 11 der Verfahrensordnung der SNUB – Die Nahverkehr Schlichtungsstelle, abrufbar unter https://www.nahverkehr-snub.de/fileadmin/snub/downloads/pdf/Satzung.p df. 217 Die Mitglieder des OLC werden wiederum durch das Legal Service Board (LSB), der nicht-staatlichen Aufsicht über den Rechtsdienstleistungssektor in England und Wales, bestimmt. Das LSB wird indes durch das Justizministerium (Ministery of Justice) finanziert. 218 Die Höhe der im Lösungsvorschlag vorgesehenen Entschädigung darf GBP 50 000 nicht übersteigen, sec. 138(1) Legal Services Act 2007. Die Bindung des Unternehmens an 212
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Der LeO ist für Verbraucher kostenlos und finanziert sich wie der FOS durch levies und case fees der Rechtsdienstleister.219 Ferner veröffentlicht der LeO im Interesse der Allgemeinheit und der Verbraucher anonymisierte Beschwerdedaten zum Zwecke der Sicherung und Steigerung der Qualitätsstandards in der Rechtsdienstleitungsbranche.220 Der LeO schloss im Geschäftsjahr 2020/2021 insgesamt 4 562 Beschwerden ab.221 Bemerkenswert ist der Umstand, dass sich der LeO bisher nicht als ADRStelle im Sinne der ADR-Richtlinie hat anerkennen lassen. Ein entsprechender Antrag zu notwendigen Änderungen der Verfahrensordnung wurde auf Eis gelegt.222 Die nach dem VSBG anerkannte Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, die nach § 191f BRAO im Auftrag der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtet wurde, versucht Konflikte zwischen der Anwaltschaft und ihren Mandanten beizulegen, wobei die Mandanten sowohl Verbraucher als auch Unternehmer sein können.223 Die Beschwerde – deren Streitwert EUR 50 000 nicht übersteigen darf –224 kann sich sowohl auf eine anwaltliche Pflichtverletzung als auch auf Gebührenrechnungen beziehen.225 Die Schlichtungsstelle bearbeitete 2021 1 166 Beschwerden, wobei die Durchführung des Verfahrens in 44 % der Fälle insbesondere aufgrund fehlender Zuständigkeit oder mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt wurde.226 Das Verfahren basiert jedoch für beide Parteien auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, sodass die Durch- oder Fortführung des Verfahrens in über 14 % der Fälle von einer der Parteien verweigert wurde.227 Entscheidungen bei Zustimmung des Verbrauchers sieht sec. 140(5) Legal Services Act 2007 vor. 219 Das OLC erzielte 2018/2019 somit ein Budget in Höhe von über GBP 12 Mio., das sich aus etwa GBP 10,7 Mio. gezahlten levies und GBP 1,2 Mio. erhobenen case fees zusammensetzt, OLC, Annual reports and accounts 2018–2019, 2019, S. 54. 220 So sollen gleich gelagerte Beschwerden und negative Entwicklungen frühzeitig erkannt und korrigiert werden. Die Beschwerdedaten des LeO sind abrufbar unter https://www.legal ombudsman.org.uk/raising-standards/data-and-decisions/#ombudsman-decision-data. 221 Dies bedeutet einen deutlichen Rückgang gegenüber den Vorjahren, OLC, Annual report and accounts for the year ending 31 March 2021, 2021, S. 12. 222 Änderungen wären insbesondere mit Blick auf die zu großzügig formulierten Ablehnungsgründe sowie hinsichtlich der Ausschlussfristen und Fristverlängerungen notwendig. 223 Näher zum Verfahren der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft aus der Perspektive einer ehemaligen Schlichterin und ehemaligen Geschäftsführerin, Nöhre/Ruge, BRAKMitt. 2015, 274 ff. 224 § 4 Nr. 2 lit. c) Satzung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, abrufbar unter, https://www.schlichtungsstelle-der-rechtsanwaltschaft.de/sites/default/files/satzung ab 01 0120 pdf.pdf. 225 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 25–33. 226 Von den bearbeiteten Anträgen wurden 2021 156 Anträge mangels fehlender Zuständigkeit und 148 Anträge mangels Erfolgsaussichten eingestellt, Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 23–24. 227 2021 wurden 166 Verfahren durch Erklärung einer der Parteien beendet, Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 25.
C. ADR-Strukturen
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6. Glücksspielsektor Die Gambling Commission, Regulierungs- und Aufsichtsbehörde für den britischen Glücksspiel- und Lotteriesektor,228 macht die Mitgliedschaft in einer anerkannten ADR-Stelle zur Lizenzbedingung für alle Gewerbetreibenden. Unter den neun gelisteten ADR-Stellen kommt Independent Betting Adjudication Service Ltd. (IBAS) mit 5 995 Beschwerden die größte Bedeutung zu.229 In Deutschland existiert indes keine sektorspezifische ADR-Struktur im Glückspielsektor. 7. Schieds- und Schlichtungsstellen der Berufskammern und -verbände In Deutschland wird das Bild alternativer Streitbeilegung durch die Verfahren der Berufskammern und -verbände vervollständigt, die schon früh die Institutionalisierung von ADR in Verbrauchersachen vorangetrieben haben und somit zu den Pionieren in diesem Bereich zählen.230 Gesetzliche Aufträge zur Errichtung von Vermittlungsstellen für Handwerksinnungen und -kammern finden sich in § 53 Abs. 3 Nr. 3 beziehungsweise § 91 Abs. 1 Nr. 11 Handwerksordnung (HwO). Bei der Ausgestaltung der Verfahren wird den etwa 7 000 Handwerksinnungen und 53 Handwerkskammern freie Hand gelassen. Dem Modell der Schlichtung durch das deutsche Kammerwesen fehlt es indes an einheitlichen Standards, mit der Folge, dass es aufgrund seiner unübersichtlichen Strukturen und geringen Bekanntheit als gescheitert angesehen werden kann.231 Hinzu kommen die ADRVerfahren der freien Berufe, wie etwa die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern.232 Am bekanntesten dürften die im Mai 1970 gegründeten Schiedsstellen des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes sein.233 Alle Mitglieder der Kfz-Innung sind zur Teilnahme am Schlichtungsverfahren und zur Einhaltung des Verfahrenser228 Ins Leben gerufen durch den Gambling Act 2005. Nach dem Zusammenschluss mit der National Lottery Commission zum 1.10.2013, ist die Gambling Commission auch für die Regulierung von Lotterien zuständig. 229 IBAS, Comparative Annual Statistical Reporting 2019–2021, 2021, S. 1. 230 Die erste Schlichtungsstelle für Verbraucherbeschwerden der Industrie- und Handelskammern wurde 1972 in Mönchengladbach gegründet. Auf Empfehlung der damaligen Bundesregierung sowie des Deutschen Industrie- und Handelstags weitete sich das Netz der Schlichtungsstellen zunächst rasch aus, Miletzki, Formen der Konfliktregelung im Verbraucherrecht, 1982, S. 35; Reich, 1982, S. 219, 225–226. 231 So bereits Anfang der 1980er-Jahre, Reich, 1982, S. 219, 226. Die Kfz-Schlichtungsstellen bilden mit fünfstelligen Fallzahlen freilich eine Ausnahme. 232 Bundesweit wurden 2018 bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern 10 705 Anträge gestellt, Bundesärztekammer, Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2019, 2020, S. 3. Zur außergerichtlichen Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, Herzog, Mediation im Gesundheitswesen, 2015, S. 140 ff. 233 Eingehend zu Geschichte und Verfahren der Kfz-Schiedsstellen die Arbeit von Kierse, Außergerichtliche Streitbeilegung durch die Schiedsstellen für das Kfz-Handwerk, 2008; hierzu auch Hippel, Verbraucherschutz, 31986, S. 165 f.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
gebnisses verpflichtet.234 Am Ende des Verfahrens steht die Entscheidung einer Schiedskommission235, die den Weg zu den Gerichten für Verbraucher zwar nicht versperrt, wohl aber Bindungswirkung hinsichtlich der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen entfaltet.236 Bei den Kfz-Schiedsstellen wurden 2020 5 885 Beschwerden eingereicht.237
III. Allgemeine ADR-Verfahren Nach Art. 5 Abs. 1 ADR-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ein flächendeckendes Netz an ADR-Stellen zu gewährleisten. Mithin muss die Existenz von ADR-Stellen sichergestellt sein, die sich – gegebenenfalls subsidiär – mit jeglichen Beschwerden beschäftigen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Sowohl in England als auch in Deutschland ist diese staatliche Gewährleistungsverantwortung238 schon durch private allgemeine ADRStellen sichergestellt. Überdies kam und kommt der deutsche Staat seinen Verpflichtungen mit der Förderung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl beziehungsweise der Universalschlichtungsstelel des Bundes nach. In England gewährleistete zunächst der von Ombudsman Services betriebene The Consumer Ombudsman (TCO) mit seiner allgemeinen Zwecksetzung ein flächendeckendes Netz an ADR-Stellen in England. Das Verfahren des TCO ist für Unternehmen jedoch freiwillig, sodass von den im Geschäftsjahr 2016/2017 eingereichten 7 915 Anträgen lediglich 339 Anträge in der Sache bearbeitet werden konnten.239 Die Beschwerden richteten sich dabei weit überwiegend gegen Unternehmen, die sich vorab freiwillig dem Verfahren des TCO unterworfen
234 In einem Zwischenverfahren unterbreitet eine Vorschiedskommission den Parteien zunächst einen Lösungsvorschlag zum Zwecke einer einvernehmlichen Streitlösung. 235 Die paritätisch besetzte Schiedskommission besteht aus einem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt hat, einem Vertreter der Kfz-Innung, einem Vertreter eines Automobilklubs sowie einem Sachverständigen. Eingehend zur Zusammensetzung der Schiedskommission, Kierse, Außergerichtliche Streitbeilegung durch die Schiedsstellen für das KfzHandwerk, 2008, S. 133–148. Kritisch zur eher unternehmerfreundlichen Besetzung der Schiedskommission, Miletzki, Formen der Konfliktregelung im Verbraucherrecht, 1982, S. 60; Reich, 1982, S. 219, 226. 236 Die Feststellungswirkung hängt insbesondere davon ab, ob die Schiedsstelle ein Schiedsgutachten oder ein Sachverständigengutachten mit empfehlendem Charakter anfertigt, hierzu Kierse, Außergerichtliche Streitbeilegung durch die Schiedsstellen für das KfzHandwerk, 2008, S. 148–185. 237 Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V., Jahresbericht 2020/2021, 2021, S. 28. Interessanterweise schließt der Zentralverband von einer rückgehenden Beschwerdezahl ohne Weiteres auf eine zunehmende Kundenzufriedenheit im KfZ-Gewerbe, ders., Jahresbericht 2017/2018, 2018, S. 28. 238 Diese zutreffende Begrifflichkeit bei Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 24–26. 239 Ombudsman Services, Annual Activity Report for: The Consumer Ombudsman July 2016 – June 2017, 2017, S. 2 f.
C. ADR-Strukturen
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haben. Nunmehr existieren einige weitere ADR-Stellen, deren Tätigkeit auf keinen Sektor beschränkt ist, die aber regelmäßig nur tätig werden, wenn der Antragsgegner Mitglied der ADR-Stelle ist.240 In Deutschland gewährleistet das Zentrum für Schlichtung e.V. in Kehl die flächendeckende Verfügbarkeit von ADR mit Inkrafttreten des VSBG seit April 2016.241 Die zunächst als „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“ betriebene Auffangschlichtung finanzierte sich bis Ende 2019 durch Fallpauschalen sowie durch Zuschüsse des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, § 43 Abs. 1 VSBG. Danach hätte die Gewährleistungsverantwortung für ein flächendeckendes ADR-Netz bei den Ländern gelegen, §§ 29–31 VSBG a. F. Nach der neuen Fassung des § 29 Abs. 1 VSBG übernimmt der Bund weiterhin die Verantwortung für eine ergänzende „Universalschlichtungsstelle des Bundes“.242 Inofern hatte das begleitende Forschungsprojekt243 gezeigt, dass die Auffangschlichtung bundeseinheitlich geregelt werden sollte, um die ADR-Strukturen nicht durch weitere Universalschlichtungsstellen der Länder zu verkomplizieren.244 Zudem sei eine geografische Nähe der ADR-Stelle zum Verbraucher – entgegen der ursprünglichen Annahme – aufgrund des ausschließlichen Einsatzes von Fernkommunikationsmitteln und speziell dem Internet nicht erforderlich.245 Planmäßig wurde das Zentrum für Schlichtung e.V. zum 1. Januar 2020 mit der Aufgabe der Universalschlichtungsstelle des Bundes gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 VSBG für die Dauer von vier Jahren beliehen. 240 Hierzu gehören Dispute Resolution Ombudsman, https://www.disputeresolutionombu dsman.org/; ADR Group, https://www.consumer-dispute.co.uk/; die von CDRL betriebenen Consumer Arbitration, https://consumerarbitration.co.uk/sowie RetailADR, https://www.r etailadr.org.uk/; London Arbitration Center, das für das Jahr indes keine Aktivität verzeichnete, https://www.londonarbitrationcentre.com/; NetNeutrals, https://www.netneutrals.uk/ und ProMediate, https://www.promediate.co.uk/. 241 Hierzu bereits Berlin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, Überblick zur bestehenden Schlichtungspraxis Rn. 82–84. 242 Die Einrichtung einer Universalschlichtungsstelle des Bundes wäre aufgrund des existierenden flächendeckenden ADR-Netzes durch private Anbieter zwar nicht erforderlich, jedoch wollte man insofern nicht auf das Fortbestehen der allgemeinen ADR-Stellen ohne staatliche Zuschüsse vertrauen, Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, BTDrucks. 19/10348, S. 17; algemein zur Universalschlichtungsstelle des Bundes, Thole, ZKM 2020, 4 ff. 243 Zwischenbericht zur Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, BT-Drucks. 19/6890; Abschlussbericht zur Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle und der Universalschlichtungsstelle des Bundes in Kehl, BTDrucks. 19/27025. 244 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, BT-Drucks. 19/10348, S. 17 f. 245 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, BT-Drucks. 19/10348, S. 18. Bedenkt man, dass sich die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle auch über Fallpauschalen finanziert, ergibt sich ein erstaunlich hoher Erfüllungsaufwand des Bundes von EUR 1,171 Mio., ibid., S. 26 f.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Die Verfahrens- und Kostenbestimmungen werden durch die Universalschlichtungsverordnung246 (UnivSchlichtV) und ergänzend durch die Verfahrensordnung247 der Universalschlichtungsstelle geregelt. Die sachliche Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle erstreckt sich auf alle Streitigkeiten248 im Anwendungsbereich des VSBG, für die kein branchenspezifisches ADR-Verfahren besteht.249 Seit 2020 wurde diese Zuständigkeit um Streitigkeiten infolge einer abgeschlossenen Musterfeststellungsklage erweitert, § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG. Die Beteiligung am Schlichtungsverfahren, wie auch die Bindung an dessen Ergebnisse, sind für beide Parteien freiwillig. 2021 erreichten die Universalschlichtungsstelle 2 350 Anträge, wobei 59,5 % der bearbeiteten Anträge insbesondere deshalb ergebnislos blieben, weil der Antragsgegner die Durchführung des Verfahrens ablehnte.250 Die Anwaltliche Verbraucherschlichtungsstelle NRW e.V. (AVS NRW), deren örtliche Zuständigkeit auf Unternehmen mit Niederlassung in NRW beschränkt ist sowie die noch junge Außergerichtliche Streitbeilegungsstelle für Verbraucher und Unternehmer e.V. komplettieren das Bild allgemeiner ADR-Stellen in Deutschland.251
D. Rechtliche Rahmenbedingungen ADR ist als traditionell privatautonome Alternative zu staatlichen Gerichten ein klassisch wenig regulierter Bereich. Die Disparität der Ressourcen von Unternehmen und Verbrauchern erfordert indes ein Eingreifen zugunsten des in der Regel schwächeren Verbrauchers.
246 Verordnung zur Regelung der Organisation, des Verfahrens und der Beendigung der Beleihung oder der Beauftragung der Universalschlichtungsstelle des Bundes vom 16. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2817). 247 Verfahrensordnung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e.V, abrufbar unter https://www.verbraucher-schlichter.de/media/file/35.Verfa hrensordnung.pdf. 248 Der Streitwert muss zwischen EUR 10 und EUR 50 000 liegen, § 30 Abs. 2 Nr. 4 VSBG. 249 Zur sachlichen Zuständigkeit und den Ablehnungsgründen, § 30 VSBG, § 5 UnivSchlichtV, §§ 1, 2 Verfahrensordnung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e.V. 250 Die unternehmerische Teilnahmebereitschaft bleibt – wie auch in England – daher gering, vgl. die Zahlen der Universalschlichtungsstelle des Bundes, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 4–7; gleichwohl hat der Übergang der Schlichtungstätigkeit von der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle auf die Universalschlichtungsstelle des Bundes zu einem erheblichen Anstieg der Anträge geführt, Creutzfeldt/Steffek, ZKM 2021, 65, 66. 251 Auch in diesen Verfahren ist von einer geringen Teilnahmebereitschaft seitens der Unternehmen auszugehen. Im zweiten Halbjahr 2018 erreichten die AVS NRW lediglich fünf ordnungsgemäße Anträge, wobei die Durchführung des Verfahrens von allen Antragsgegnern abgelehnt wurde, AVS NRW, Tätigkeitsbericht 2018 nach § 34 VSBG, 2019, S. 1.
D. Rechtliche Rahmenbedingungen
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I. Völkerrechtliche Übereinkommen Multilaterale völkerrechtliche Übereinkommen sollen die grenzüberschreitende Vollstreckung von ADR-Ergebnissen erleichtern. Für die Schiedsgerichtsbarkeit ist das von der United Nations Commission on International Trade and Law (UNCITRAL) ins Leben gerufene New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (NYÜ) heute nicht mehr aus der Praxis wegzudenken.252 UNCITRAL entwickelte zudem das UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration und das UNCITRAL Model Law on Conciliation, wobei ersteres nunmehr Grundlage für die bedeutendsten Schiedsrechtsordnungen bildet.253 Darüber hinaus beschäftigt sich UNCITRAL mit der Anerkennung und Vollstreckung von in Mediationen oder Schlichtungen erzielten einvernehmlichen Einigungen sowie mit ODR.254 Darüber hinaus ist Deutschland Partei weiterer bilateraler und multilateraler Übereinkommen im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit.255
II. Unionsrecht Die ausdrücklichen Bekenntnisse der EU zur Förderung von ADR256 spiegeln sich im Unionsrecht besonders durch ein Dreigestirn bestehend aus der Mediationsrichtlinie, der ADR-Richtlinie und der ODR-VO wider. Im Gesamtkonzept zur Verbesserung des Zugangs zum Recht soll die Mediationsrichtlinie den Zugang zu ADR erleichtern und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren sorgen.257 Die Mediationsrichtlinie enthält mindestharmonisierende Regelungen unter anderem zur Qualität der 252 Dies gilt zumindest in Bezug auf wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Deutschland haben das NYÜ ratifiziert. Schiedssprüche im Anwendungsbereich des NYÜ sind in Verbrauchersachen freilich die Ausnahme. 253 Vgl. die Darstellung auf Internetseite der UNCITRAL, abrufbar unter https://uncitral. un.org/en/texts/arbitration/modellaw/commercial arbitration/status. 254 Vgl. die Dokumente der Working Group II, abrufbar unter https://uncitral.un.org/en/w orking groups/2/arbitration. 255 So etwa dem Europäischen Übereinkommen v. 21.4.1961 über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, BGBl. II 1961, S, 122; zu den Rechtsquellen der deutschen Schiedsgerichtsbarkeit, Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016, S. 27–35. 256 Vgl. insbesondere Grünbuch über Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt KOM(93) 576 endg. v. 16.11.1993; Empfehlung 98/257/EG der Kommission v. 30.3.1998; Mitteilung der Kommission KOM(2011) 0161 endg. (nicht im Amtsblatt abgedruckt); Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht, KOM(2002) 196 endg.; eingehend zu den Regulierungsansätzen der EU im Bereich ADR, Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, S. 68–77; hierzu auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 20–23. 257 Vgl. ErwG 5 und Art. 1 Abs. 1 Mediationsrichtlinie.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Mediation und zur Vollstreckbarkeit der in ihr erzielten Ergebnisse. Die Mediationsrichtlinie wurde im Vereinigten Königreich durch The Cross-Border Mediation (EU Directive) Regulations 2011 und den Civil Procedure (Amendment) Rules 2011 und in Deutschland durch das Mediationsgesetz258 umgesetzt.259 Daran anschließend soll die ADR-Richtlinie in den Mitgliedstaaten für ein Mindestmaß an Qualitätsstandards für ADR in Verbrauchersachen sorgen und das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt stärken.260 Die ODR-VO soll in enger Verbindung mit der ADR-Richtlinie die Koordination zwischen den ADR-Stellen erleichtern, eine Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmen zum Zwecke der außergerichtlichen Streitbeilegung darstellen und Beschwerden letztlich selbst übermitteln.261
III. Englisches Recht Im nationalen englischen Recht bleibt ADR – abgesehen von den Umsetzungen unionsrechtlicher Vorgaben sowie sektorspezifischer Bestimmungen – weitestgehend ungeregelt.262 Schnittstellen zu ADR finden sich in Case Law und in zivilprozessualen Vorschriften. Die Förderung gerichtsnaher und -interner ADR durch die Woolf- und Jackson-Reformen entfachte in der Justiz ein gewisses Mediationsfieber.263 Richter sind nunmehr ermächtigt, die unangemessene Verweigerung von ADR durch eine der Parteien zu sanktionieren. Fokus der jüngeren Rechtsprechung lag daher auf der Frage, wann eine Verweigerung von ADR unreasonable ist.264 Der Präzedenzfall „Halsey“265 und die dort aufgestellten Kriterien zur Beurteilung einer unangemessenen Verweigerung haben nicht nur weitere differenzierende Entscheidungen, sondern auch einen breiten rechtswissenschaftlichen Diskurs aus258
Mediationsgesetz v. 21.7.2012, BGBl. I S. 1577. Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 17.07. 260 Zu den Implikationen der ADR-Richtlinie für die Rechtsordnungen Englands und Deutschlands sogleich unter Kap. 1 D. V. 261 Vgl. speziell Art. 5 Abs. 2, 8 ODR-VO; hierzu auch Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, S. 83 f. 262 Die Umsetzung der ADR-Richtlinie wird sogleich unter Kap. 1 D. V. 1. in den Fokus genommen. Sektorspezifische Regelungen wurden bereits oben Kap. 1 C. II. und noch fortlaufend, etwa unter Kap. 3 B. I., adressiert. 263 In diese Richtung Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 255. 264 Näher hierzu noch unten unter Kap. 4 C. V. 1. 265 Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 [2004]; 1 W.L.R. 3002, Rn. 16: „[...] factors which may be relevant to the question whether a party has unreasonably refused ADR will include (but are not limited to): the nature of the dispute; the merits of the case; the extent to which other settlement methods have been attempted; whether the costs of the ADR would be disproportionately high; whether any delay in setting up and attending the ADR would be prejudicial; whether the ADR had a reasonable prospects of success.“ 259
D. Rechtliche Rahmenbedingungen
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gelöst.266 Die Rechtsprechung wurde überdies intensiv mit der Durchsetzbarkeit von sogenannten escalation clauses267 sowie der Vertraulichkeit von ADR befasst.268 Das englische Schiedsrecht ist im Arbitration Act 1996 geregelt und basiert auf dem UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration.269 Anders als das Model Law ist der Anwendungsbereich des Arbitration Act 1996 nicht auf Handelsstreitigkeiten beschränkt.270 Die Gestaltung des Verfahrens unterliegt weitestgehend der Privatautonomie der Parteien.271 Englische Gerichte setzen wirksame Schiedsvereinbarungen effektiv durch und greifen nur in das Verfahren oder den Schiedsspruch ein, wenn dies das öffentliche Interesse erfordert.272 Gleichwohl können die Eingriffsmöglichkeiten englischer Gerichte schon während des laufenden Schiedsverfahrens durch eine Überprüfung der Zuständigkeit sowie der Klärung einzelner Rechtsfragen des englischen Rechts sehr weit reichen.273 Neben den Schranken für Schiedsklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Verbraucherverträgen ist eine Schiedsvereinbarung, die vor Entstehen der Streitigkeit getroffen wurde, nach englischem Recht auch dann unwirksam, wenn der Streitwert GBP 5 000 nicht übersteigt.274 Verbraucher266 Vertiefend Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 11.01–11.64 m. w. N.; vgl. auch Ahmed, C.J.Q. 31 (2012), 151 ff.; Meggitt, C.J.Q. 33 (2014), 335 ff.; Koo, C.J.Q. 34 (2015), 77 ff. 267 Escalation oder auch multi-tired clauses sehen auf einer ersten Stufe des Konflikts ein vermittelndes Verfahren – etwa eine Verhandlung oder Mediation – vor, dessen Durchführung, je nach Klarheit und Bestimmtheit der Klausel, Bedingung für die Eskalation des Streits zu einem Gericht oder Schiedsgericht ist. Die Bedeutung für Wirtschaftsstreitigkeiten dürfte hier freilich größer sein als für Verbrauchstreitigkeiten; vgl. hierzu Cable & Wireless v IM United Kingdom Ltd, [2002] EWHC 2059 (Comm); [2002] 2 All ER (Comm) 1041 (per Colman J); Sulamerica Cia Nacional de Seguros SA v Enesa Engenharia SA [2012] EWHC 42 (Comm); Wah v Grant Thornton International Ltd [2012] EWHC 3198 (Ch); Andrews, The modern civil process, 2008, Rn. 12.12; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.27–9.35. 268 Vgl. nur Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, 5.01–5.39 m. w. N. 269 Das Gesetz findet nicht nur auf Schiedsverfahren mit Sitz in England und Wales, sondern auch mit Sitz in Nordirland Anwendung, sec. 2(1) Arbitration Act 1996. 270 Andrews, The modern civil process, 2008, Rn. 12.23–12.25. 271 sec. 1 Arbitration Act 1996; vgl. Andrews, The modern civil process, 2008, Rn. 12.30. 272 Der Arbitration Act 1996 gilt daher grundsätzlich als „schiedsfreundlich“, Anselm, Der englische Arbitration Act 1996, 2004, S. 32, 50, 222. Hieran soll auch der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nichts ändern, Trevelyan/Lucy, IBA Global Insight, 2017, 38, 43, die insofern Lord Chief Justice Thomas zitiert: „Far from having any adverse effect on arbitration, there is a strong case that [Brexit] will have a beneficial effect.“; mit gewissen Zweifeln, Wilske/Markert/Bräuninger, SchiedsVZ 2018, 134, 137. 273 Insbesondere secs. 32, 45 und 69 Arbitration Act 1996. Die Regelungen zur Klärung und Überprüfung einzelner Rechtsfragen können die Parteien jedoch abbedingen, Harris/ Planterose/Tecks u.a., The Arbitration Act 1996, 52014, Rn. 69D. 274 sec. 91(1) Arbitration Act 1996 i. V. m. The Unfair Arbitration Agreements (Specified Amount) Order 1999, SI 1999 No. 2167; vgl. auch Harris/Planterose/Tecks, The Arbitration Act 1996, 42007, 91A-91C; Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 65, 68.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
schiedsverfahren mit Verbraucherbeteiligung bleiben unter dem Arbitration Act 1996 daher die Ausnahme. Die Civil Procedure Rules 1998 (CPR) und die Änderungsgesetze hierzu setzen den Rahmen für die Verknüpfung gerichtlicher Verfahren und gerichtsnaher ADR. Gerichte können das Verfahren zum Zwecke der Durchführung eines ADR-Verfahrens aussetzen (stay of proceedings)275 und die unangemessene Verweigerung von ADR sanktionieren. Darüber hinaus haben die Gerichte im Rahmen ihrer Case-management-Aufgaben die Parteien zur Nutzung von ADR zu ermutigen und auf eine einvernehmliche Streitbeilegung hinzuwirken.276 Zudem wurden Teile der Mediationsrichtlinie in Part 78 Section III CPR umgesetzt. Die ADR-Richtlinie wurde für das Vereinigte Königreich einheitlich durch die ADR Regulations277 umgesetzt.278 Die Pflicht zur Umsetzung der ADR-Richtlinie ist mit dem endgültigen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU („Brexit“) zum 1. Februar 2020 entfallen. Die ADR-Regulations sind jedoch weitestgehend unverändert in Kraft geblieben.279 Die Cross-Border Mediation (EU Directive) Regulations 2011, mit denen die Mediationsrichtlinie umgesetzt wurde, sind demgegenüber außer Kraft getreten.
IV. Deutsches Recht Mit Ausnahme des Schiedsrechts ist ADR auch in Deutschland traditionell unreguliert. Die Verrechtlichung von ADR in Verbrauchersachen beruht auf sekundärem Unionsrecht.280 Die bisher fehlende Regulierung – insbesondere der
275
rr. 3.1(2)(f), 26.4 CPR. r. 1.4(2)(e), (f) CPR; Andrews, The modern civil process, 2008, Rn. 11.31–11.37; Blake/ Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.17–9.21. 277 Diese bestehen aus „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Competent Authorities and Information) Regulations 2015“ (im Folgenden „ADR C&I Regulations“), ergänzt und geändert durch die „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Amendment) Regulations 2015 (im Folgenden „ADR Amendment Regulations“) sowie die „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Amendment) (No. 2) Regulations 2015“ (im Folgenden „ADR Amendment No. 2 Regulation“). 278 Die Informationspflichten für Unternehmer in Part 4 und 5 der ADR C&I Regulations traten nach den Änderungen der ADR Amendment Regulations erst zum 1.10.2015 in Kraft. Diese Verspätung erschien dem Gesetzgeber aufgrund der neuen Anforderungen und dem Umstand, dass wesentliche ADR-Stellen bereits im Juli noch nicht gelistet sein werden, für erforderlich, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, Rn. 3.4. 279 Zu den Auswirkungen des Brexit, s. unten Kap. 2 E. I. 6. 280 Hierzu gehören neben den Vorschriften des VSBG, sektorspezifischen Regelungen, unter anderem in den §§ 57–57c LuftVG, § 14 UKlaG, § 214 VVG, §§ 111a – 111c EnWG, § 191f BRAO; hierzu bereits oben unter Kap. 2 B. II. und noch unten unter Kap. 3 B. II. 1. 276
D. Rechtliche Rahmenbedingungen
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Schnittstelle zwischen Justiz und ADR – ist ein weiteres Indiz für die fehlende Etablierung von ADR im deutschen Rechtssystem.281 Das deutsche Schiedsrecht, das zuletzt im Jahr 1997 reformiert wurde, ist im 10. Buch der ZPO geregelt und entspricht weitestgehend dem UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration. Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern unterliegen der besonderen Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO, wonach nur Vereinbarungen wirksam sind, die in einer eigenständigen und eigenhändig unterschriebenen Urkunde abgefasst sind. Überdies unterliegen Schiedsklauseln in AGB einer strengen Inhaltskontrolle.282 Demgemäß sind Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, die vor Entstehung der Streitigkeit geschlossen wurden, regelmäßig nichtig.283 Die praktische Relevanz von Schiedsverfahren mit Verbraucherbeteiligung ist daher verschwindend gering.284 Mit dem Mediationsgesetz285 werden die unionsrechtlichen Vorgaben der Mediationsrichtlinie umgesetzt. Die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens von vier Jahren war verschiedenen Interessenkonflikten zwischen Bund und Ländern sowie Berufsgruppen geschuldet und zeigt die schwierige Stellung, die ADR im deutschen Rechtssystem einnimmt.286 Das Mediationsgesetz setzt insbesondere Verfahrensvorgaben sowie Qualifikationsanforderungen an Mediatoren.287 Um eine einheitliche Gesetzesgrundlage für die Mediation zu schaffen, hat sich der deutsche Gesetzgeber für eine überschießende Umsetzung der Mediationsrichtlinie entschieden und den Anwendungsbereich des Gesetzes weder auf grenzüberschreitende Sachverhalte noch auf Zivil- und Handelssachen beschränkt.288 281 Hierzu Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 19 m. w. N.; ders., JZ 2011, 229, 231. 282 Eingehend zur AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle von Schiedsvereinbarungen, Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, S. 257–320. 283 Zu Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, Wagner/Quinke, JZ 60 (2005), 932 ff.; Mäsch, FS-Schlosser 2005, 2005, S. 529 ff.; Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74 ff.; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013; Graf von Westphalen, ZIP 46 (2013), 2184 ff.; Reich, ERCL 10 (2014), 258 ff.; zu ADRKlauseln mit Verbrauchern, Greger, SchiedsVZ 2016, 306 f. 284 Nach Wagner, FS-Schütze 2014, 2014, S. 679, 690 „wird die Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit weiterhin ein Schattendasein führen bzw. eine Totgeburt bleiben.“ 285 Mediationsgesetz v. 21.7.2012, BGBl. I S. 1577, zuletzt geändert durch Art. 135 der Verordnung v. 1.8.2015, BGBl. I S. 1474. 286 Im Gesetzgebungsverfahren bestanden Konflikte hinsichtlich der rechtlichen Grundlage für gerichtsinterne Mediation gegenüber dem Güterichtermodell sowie hinsichtlich berufsrechtlicher Anforderungen der Mediation, Wagner/Eidenmüller, in: dies. (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, Kap. 1 Rn. 2–3, hierzu auch Busemann, ZKM 2012, 55 ff.; Wagner, ZKM 2012, 110, 112–114. 287 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, Einleitung Rn. 25. Das Mediationsgesetz trifft jedoch keine nennenswerten Regelungen zur Förderung anderer Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung; mit diesbezüglicher Kritik Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, Einleitung Rn. 36; vgl. auch Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff. 288 Wagner/Eidenmüller, in: dies. (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, Kap. 1 Rn. 5; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794, 797 f.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Darüber hinaus wurde das Modell des Güterichters eingeführt, § 278 Abs. 5 ZPO,289 und dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, das Gerichtsverfahren zugunsten der Durchführung eines ADR-Verfahrens auszusetzen, § 278a ZPO.290 Die Vorgaben der ADR-Richtlinie wurden zum 1. April 2016 durch das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG) umgesetzt.291 Mit Wirkung zum 1. Januar 2020 wurde das VSBG mit dem Ziel reformiert, die Verantwortlichkeit des Bundes für die Universalschlichtungsstelle zu verankern.292
E. Implikationen der ADR-Richtlinie Die Umsetzung der ADR-Richtlinie führte sowohl in England als auch in Deutschland zu einem ersten maßgeblichen rechtlichen Rahmen für die alternative Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten. Die Vorgaben der Richtlinie waren der englischen Rechtsordnung aufgrund der schon in den 1990er-Jahren gewachsenen ADR-Strukturen indes nicht völlig neu. Während der englische Gesetzgeber kaum von seinen Ermessensspielräumen Gebrauch machte, geht das deutsche Umsetzungsgesetz über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinaus. Im Folgenden werden die rechtliche Umsetzung der ADR-Richtlinie in beiden Ländern sowie die Implikationen für beide Rechtsordnungen skizziert.
I. Implikationen der ADR-Richtlinie in England Aufgrund der zuvor existierenden ADR-Strukturen in regulierten Wirtschaftssektoren sind die Auswirkungen der Mindeststandards der ADR-Richtlinie auf die ADR-Landschaft begrenzt. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die Eckpunkte der Umsetzungsvorschriften im Vereinigten Königreich.
289 Der Güterichter kann alle Modelle der Konfliktbeilegung und inbesondere Mediation, anwenden. Ähnliche Regelungen finden sich auch im FamFG, ArbGG, SGG, FGO und der VwGO, hierzu Hess/Pelzer, in: Steffek/Unberath/Genn u.a. (Hrsg.), Regulating dispute resolution, 2013, S. 209, 214; Wagner/Eidenmüller, in: dies. (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, Kap. 1 Rn. 5. Zu den praktischen Auswirkungen des Mediationsgesetzes sowie zur geringen Inanspruchnahme der Güteverhandlung, Kilian/Hoffmann, ZKM 2015, 176 ff.; Greger, ZKM 2017, 4 ff. 290 Zur zurückhaltenden Verweisungspraxis der Gerichte, Bushart, ZKM 2021, 180 ff. 291 Das VSBG wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten v. 19.2.2016, BGBl. I S. 254, 1039 beschlossen. 292 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 30. November 2019, BGBl. I S. 1942.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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1. Umsetzung der ADR-Richtlinie in England Die ADR-Richtlinie wurde für das Vereinigte Königreich einheitlich und weitestgehend fristgerecht durch die „ADR Regulations“293 umgesetzt.294 Anstatt die englische ADR-Landschaft umfassend zu reformieren, entschied sich der Gesetzgeber für eine minimale Umsetzung der Richtlinie und für die Beobachtung der weiteren Entwicklungen im ADR-Sektor. Gesetzgeberische Erwägungen zu den ADR Regulations finden sich in den Folgeabschätzungen295 des Department for Business, Innovation and Skills (BIS)296. Demnach verfolgen die ADR Regulations – wie letztlich schon die Richtlinie – das Ziel, den Rechtsschutz für Verbraucher sowie das Vertrauen in die Märkte zu verbessern. Das flächendeckende ADR-Netz soll dabei unter geringstmöglichen Kosten und Hürden für Unternehmen etabliert werden und für Verbraucher möglichst unkompliziert sein. Hinter den ADR Regulations steht das Konzept selbstbewusster Verbraucher, die im Bewusstsein über die Existenz effektiver Rechtsschutzmittel, bewusste Entscheidungen bezüglich der Qualität der Ware und des Anbieters treffen und den Wettbewerb zwischen den Anbietern stimulieren.297 293 Diese bestehen aus „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Competent Authorities and Information) Regulations 2015“ (im Folgenden „ADR C&I Regulations“), ergänzt und geändert durch die „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Amendment) Regulations 2015 (im Folgenden „ADR Amendment Regulations“) sowie die „The Alternative Dispute Resolution for Consumer Dispute (Amendment) (No. 2) Regulations 2015“ (im Folgenden „ADR Amendment No. 2 Regulation“). 294 Die Informationspflichten für Unternehmer in Part 4 und 5 der ADR C&I Regulations traten nach den Änderungen der ADR Amendment Regulations erst zum 1.10.2015 in Kraft. Diese Verspätung erschien dem Gesetzgeber aufgrund der neuen Anforderungen und dem Umstand, dass wesentliche ADR-Stellen bereits im Juli noch nicht gelistet sein werden, für erforderlich, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, Rn. 3.4. 295 BIS, Alternative Dispute Resolution for Consumers: Implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation – Impact Assessment, 2014; BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014; BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014; BIS, Explanatory Memorandum to the Alternative Dispute Resolution for Consumer Disputes (Amendment) Regulations 2015, 2015. 296 Das BIS war bis zum Zusammenschluss mit dem Department of Energy and Climate Change (DECC) im Juli 2016 zuständiges Ministerium. Seit Juli 2016 liegt diese Zuständigkeit nun beim neu geschaffenen Department for Business, Energy and Industrial Strategy (BEIS). 297 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 4; dass., Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 34.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Die ADR-Landschaft im Vereinigten Königreich stellte sich für das BIS aufgrund der zahlreichen zwingenden und freiwilligen sektorspezifischen ADRMechanismen als unübersichtlich dar. Die insgesamt 70 verschiedenen ADRAnbieter vermochten keinen flächendeckenden Zugang für Verbraucher zu ADR zu gewährleisten.298 Die konsultierten Optionen des BIS reichten von der Errichtung einer Auffangschlichtung bis hin zu einer starken Rationalisierung der existierenden Strukturen.299 Die ADR Regulations entsprechen letztlich einer Minimalumsetzung der Richtlinie unter Schaffung einer Auffangschlichtung sowie einer Auskunftsstelle für Verbraucher (consumer helpdesk). Zwar wurde die Notwendigkeit einer simplen ADR-Landschaft gesehen, jedoch wurde von einer Rationalisierung der Strukturen aufgrund des ungewissen Erfüllungsaufwands für Staatshaushalt und Unternehmen sowie rechtlicher Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Limitierung privater ADR-Anbieter Abstand genommen.300 Zudem fand eine solche Option, die einer umständlicheren Umsetzung durch Primärrecht (primary legislation) bedurft hätte, unter den Interessenvertretern – darunter viele ADRAnbieter – keinen Anklang.301 Im Hinblick auf eine Simplifizierung der Strukturen hat sich das BIS überdies mit der grundsätzlichen Frage einer gesetzlichen Teilnahmepflicht für Unternehmen auseinandergesetzt. Mit der Einführung eines ADR-Zwangs wäre indes mit einem erheblichen Anstieg der ADR-Verfahren und damit auch der Kosten für Unternehmen zu rechnen gewesen, die wiederum wohl letztlich auf die Verbraucher abgewälzt worden wären. Das BIS kam letztlich nicht zu der Überzeugung, dass die Vorteile einer ADR-Verpflichtung die aus ihr resultierenden Kosten rechtfertigen würden.302 Weitergehende Maßnahmen zur Vereinfachung der 298 „Option 1: Do Nothing/Baseline“ wurde daher nicht als ernsthafte Variante in Erwägung gezogen, BIS, Alternative Dispute Resolution for Consumers: Implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation – Impact Assessment, 2014, S. 4. 299 Das BIS zog im Einzelnen folgende drei Handlungsoptionen in Erwägung: Erstens, die minimale Umsetzung der ADR-Richtlinie durch die Schaffung einer subsidiär zuständigen ADR-Stelle (residual ADR scheme), die bestehende ADR-Lücken schließt, zweitens, die Schaffung eines residual ADR schemes sowie einer Auskunftsstelle, die Verbraucher über die ADR-Möglichkeiten informiert (consumer helpdesk) und, drittens, die Vereinfachung der ADR-Landschaft durch die Schaffung einer einheitlichen ADR-Stelle unter Beibehaltung des FOS sowie des Legal Ombudsman; zu den einzelnen Handlungsoptionen, BIS, Alternative Dispute Resolution for Consumers: Implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation – Impact Assessment, 2014, S. 16–25. 300 Gleiches gilt für eine Vereinfachung durch die Integration verschiedener ADR-Stellen unter eine Dachorganisation (umbrella body) als zentrale Anlaufstelle für alle Verbraucherstreitigkeiten, hierzu BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 44. 301 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 34. 302 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the con-
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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ADR-Strukturen wurden bis auf weitere Erkenntnisse zurückgestellt. Das BIS sieht die ADR Regulations dennoch als Anfang einer langfristigen Reform der ADR-Landschaft. Hinsichtlich der Anerkennung von ADR-Stellen entschied man sich für ein horizontales Aufsichtsmodell mit verschiedenen zuständigen Behörden, das auf die existierenden sektorspezifischen Regulierungsbehörden zurückgreift.303 Bei den ADR Regulations handelt es sich rechtstechnisch um Verordnungen des BIS und damit um Sekundärrecht (secondary legislation). Die Verordnungen unterlagen der sogenannten negative resolution procedure, bei der die Legislative den Rechtsakt lediglich mittels Widerspruchs verhindern kann, sec. 2(2) European Communities Act 1972. Die ADR C&I Regulations gelten einheitlich für das Vereinigte Königreich.304 Die Umsetzung erfolgte in zwei Tranchen.305 Die ADR C&I Regulations beinhalten Ermächtigungen für zuständige Behörden, Anerkennungsvoraussetzungen für ADR-Anbieter sowie Informationspflichten für Unternehmer. Diese Bestimmungen traten bereits zum 7. April 2015 in Kraft, um die Zulassung von ADR-Stellen bis zum Ende der Umsetzungsfrist zu ermöglichen. Demgegenüber regeln die ADR Amendment Regulations, die pünktlich zum 9. Juli 2015 in Kraft traten, unter anderem die fortwährenden Pflichten der gelisteten ADR-Stellen sowie die etwaige Fesselung des Verbrauchers an ADR-Verfahren und deren Ergebnisse. Um die bisherige Nummerierung der Regelungen beizubehalten, entschied sich das BIS, die ADR C&I Regulations – ungeachtet der zahlreichen Anpassungen – zu ändern, anstatt sie zu ersetzen.306 2. Competent authorities Der Secretary of State ist nach reg. 8(4) ADR C&I Regulation die zentrale zuständige Behörde (competent authority). Daneben bestehen sektorspezifische Zuständigkeiten für die in Sch. 1 ADR C&I Regulations gelisteten Behörden.
sultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 15. 303 Von einem vertikalen Aufsichtsmodell mit nur einer zuständigen Behörde wurde Abstand genommen. Eingehend zur staatlichen Aufsicht über den ADR-Sektor in England noch unten unter Kap. 5. 304 Nordirland machte von seiner Kompetenz, eine eigenständige Umsetzung auf dem Gebiet des Verbraucherrechts vorzunehmen, keinen Gebrauch, BIS, Explanatory Memorandum to the Alternative Dispute Resolution for Consumer Disputes (Amendment) Regulations 2015, 2015, Rn. 5.2. 305 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, Rn. 7.4. 306 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, Rn. 3.1.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Die Anerkennung und Aufsicht über den ADR-Sektor ist horizontal auf acht verschiedene Behörden verteilt.307 Der Secretary of State ist für die Aufsicht über den Pension Ombudsman sowie für alle ADR-Stellen in nicht regulierten Sektoren zuständig. Letztere Aufgabe sowie die Funktion als zentrale Anlaufstelle für die Europäische Kommission wurde auf das Chartered Trading Standards Institute (CTSI) übertragen.308 Sektorspezifische Zuständigkeiten bestehen bei der Financial Conduct Authority (FCA), dem Legal Services Board (LSB), der Civil Aviation Authority (CAA), der Gambling Commission, der Gas and Electricity Markets Authority (Ofgem), dem Office of Communications (Ofcom) sowie der zuständigen Behörde für die Zwecke des Estate Agents Act 1979. Die zuständigen Behörden dienen der Qualitätssicherung der regulierten ADR-Landschaft. Zentrale Aufgabe der Behörden ist die Durchführung des Anerkennungsverfahrens, in dessen Rahmen die Konformität der ADR-Anbieter mit den Anforderungen des Sch. 3 ADR C&I Regulations sowie mit weiteren sektorspezifischen Vorgaben überprüft wird.309 Die Behörden sind überdies ermächtigt, von den Antragstellern eine Gebühr für das Zulassungsverfahren sowie weitere laufende Gebühren zu erheben.310 Das CTSI führt eine konsolidierte Liste aller anerkannten ADR-Stellen. Die Anerkennungsvoraussetzungen haben die zuständigen Behörden fortwährend zu überprüfen und ADR-Stellen gegebenenfalls zur Einhaltung der Anforderungen aufzufordern, wobei die ADR Regulations keine Maßstäbe für den Aktivitätsgrad der Behörden setzen. Kommt die ADR-Stelle dieser Aufforderung nicht nach, so steht es im Ermessen der zuständigen Behörden, die Zulassung unter Abwägung der Schwere des Verstoßes zu entziehen.311 Die behördlichen Anerkennungs- und Widerrufsentscheidungen unterliegen der gerichtlichen Kontrolle.312 Die Implikationen der ADR Regulations waren aufgrund der bereits existierenden ADR-Strukturen in regulierten Wirtschaftssektoren überschaubar.313 Neu sind letztlich die subsidiäre Zuständigkeit des CTSI und dessen Funktion als zentrale Anlaufstelle für die Kommission sowie die Berichtspflichten der zuständigen Behörden an das CTSI. 307
Näher hierzu noch unten unter Kap. 5 A. I. reg. 17 ADR C&I Regulations. 309 Dabei muss der ADR-Anbieter im Vereinigten Königreich established sein, das heißt, dass eine natürliche Person das Verfahren örtlich im Vereinigten Königreich ausführen muss bzw. eine juristische Person oder Personenvereinigung ihren Satzungssitz im Vereinigten Königreich haben muss, reg. 9(5) ADR C&I Regulations. 310 Für das CTSI ergibt sich dies aus reg. 15 ADR C&I Regulations. Für die anderen Behörden ergeben sich solche Ermächtigungsgrundlagen aus speziellen Gesetzen. 311 reg. 13 ADR C&I Regulations. 312 Dies folgt aus der Umsetzung der ADR-Richtlinie mittels Sekundärrecht, Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 319. 313 Hierzu bereits oben unter Kap. 2 D. V. 1. 308
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
71
3. ADR entities Zurzeit sind 60 verschiedene ADR entities (ADR-Stellen) von den zuständigen Behörden anerkannt, wobei einige durch den gleichen Anbieter betrieben werden.314 ADR entity bezeichnet dabei jede natürliche oder juristische Person, deren Name bei einer der zuständigen Behörden gelistet ist, reg. 4 ADR C&I Regulations. ADR-Stellen müssen auf eine Vielzahl nationaler und grenzübergreifender Verbraucherstreitigkeiten gerichtet sein.315 Unternehmensinterne ADR-Verfahren sind vom Anwendungsbereich der ADR Regulations ausgeschlossen. Unternehmen könnten mit solchen Mechanismen, die von Verbrauchern nicht in gleicher Weise als unabhängig und unparteiisch wahrgenommen werden, den Zugang zu externen ADR-Verfahren wesentlich erschweren.316 Anders als der Geltungsbereich der ADR-Richtlinie erstrecken sich die ADR Regulations auch auf Streitigkeiten gegen öffentliche Anbieter von Hochschulbildung.317 Zur Beantragung der Zulassung muss ein ADR-Anbieter neben genauen Informationen zur Struktur und zum Verfahren eine Stellungnahme einreichen, die darlegt, wie die Anerkennungsvoraussetzungen eingehalten werden sollen.318 Die ADR Regulations richten sich – zumindest mittelbar – auch an die natürlichen Personen, deren sich die ADR-Stelle zur Durchführung des Verfahrens bedient. Sie werden als „ADR official“ bezeichnet, worunter jede Person gefasst wird, die im Rahmen der Bereitstellung und Durchführung eines Verfahrens einer ADR-Stelle involviert ist; sei es als Bearbeiter des Falls (case handler) oder sei es in leitender Tätigkeit (in a management capacity).319 ADR-Stellen haben ADR officials sorgfältig auszuwählen und sicherzustellen, dass sie die erforderliche Expertise, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aufweisen.320 Diese Anforderungen entsprechen letztlich den Vorgaben des Art. 6 ADR-Richtlinie.321 Nach welchen Kriterien sich die Expertise des ADR official bemisst, lassen die ADR C&I Regulations offen. Eine juristische Ausbildung oder gar die Zulassung als Solicitor oder Barrister wird jedoch nicht vorauszusetzen sein. 314 Die konsolidierte Liste der anerkannten ADR-Stellen des CTSI ist abrufbar unter https://www.tradingstandards.uk/commercial-services/adr-approved-bodies. 315 Die Anforderungen an ADR-Stellen sind in Sch. 3 ADR C&I Regulations festgesetzt. 316 Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 170. 317 Öffentliche Anbieter von Weiter- und Hochschuldbildung sind gem. Art. 2 Abs. 2 lit. i) ADR-Richtlinie ausgenommen. Hintergrund der Ausweitung des Anwendungsbereichs ist die überwiegende Eigenfinanzierung der Studien im Vereinigten Königreich, Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 104. 318 Hierzu Sch. 2 ADR C&I Regulations. 319 reg. 5 ADR C&I Regulations geändert durch reg. 2(5)(a) ADR Amendment Regulations. 320 Die Qualifikationsanforderungen an ADR official regelt Sch. 3 para. 3 ADR C&I Regulations. 321 Hierzu schon Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 24; Weber, J Consum Policy 38 (2015), 265, 279.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
ADR-Stellen müssen zur Wahrung von Zugänglichkeit und Effektivität unter anderem sicherstellen, dass den Parteien rechtliches Gehör verschafft wird, eine rechtliche Vertretung nicht notwendig, wenngleich möglich ist, dem Verbraucher allenfalls symbolische Gebühren anfallen und der ADR official grundsätzlich innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt der vollständigen Unterlagen eine Entscheidung trifft.322 Das für ADR-Stellen kostspielige Anerkennungsverfahren ist der englischen ADR-Landschaft weitestgehend neu. Die Gebühren werden letztlich in Form höhere Verfahrenskosten auf Unternehmen abgewälzt. Zahlreiche Informationspflichten sollen die Transparenz des Verfahrens für Verbraucher gewährleisten. Neben den informativen Anforderungen an die eigene Webseite sind anerkannte ADR-Stellen verpflichtet, einen jährlichen Report (annual activity report) zu veröffentlichen, der Daten zur Anzahl und Art der Streitigkeiten, der Verfahrensdauer sowie der Anzahl der abgelehnten Streitigkeiten und Ablehnungsgründe enthalten muss.323 Da es sich hierbei um Mindestanforderungen handelt, variiert die inhaltliche Tiefe der Berichte in der Praxis stark.324 Während sich einige Reporte auf eine knappe Darstellung der erforderlichen Daten beschränken, stellen andere detaillierte Erwägungen zu systematischen Beschwerden an. Darüber hinaus müssen ADR-Stellen der zuständigen Behörde alle zwei Jahre zusätzliche Informationen über die eigene Effektivität, eine etwaige Beteiligung in einem grenzübergreifenden Netzwerk sowie Fortbildungsmaßnahmen der ADR officials zustellen.325 ADR-Stellen sind zur Beilegung grenzübergreifender Streitigkeiten zur Kooperation und zum Erfahrungsaustausch mit ausländischen ADR-Stellen angehalten.326 4. Informationspflichten für Unternehmer Die Aufklärungspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher wurden in der jetzigen Form erst durch die ADR Amendment Regulations eingeführt. Demnach sind Unternehmen (trader) dazu verpflichtet, Verbraucher über die Möglichkeit der Nutzung von ADR hinzuweisen. Eine etwaig gesetzliche oder anderweitige Teilnahmepflicht an einem ADR-Verfahren haben Unternehmen auf der Webseite und in den AGB offenzulegen.327 Die Internetseiten von 322 Sch. 3 para. 6 ADR C&I Regulations; in komplexen Streitigkeiten kann die Frist jedoch verlängert werden. 323 Sch. 5 ADR C&I Regulations. 324 Diese Befürchtungen schon bei Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 315, der besonders die Vergleichbarkeit der Daten beeinträchtigt sieht. 325 Sch. 6 ADR C&I Regulations. Auch hier wird die Tiefe der Berichte unter den ADRStellen, besonders im Hinblick auf die Bewertung der eigenen Effektivität, stark schwanken. 326 reg. 14A ADR C&I Regulations eingefügt durch reg. 2(8) ADR Amendment Regulations. 327 regs. 19, 19A ADR Amendment Regulations.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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Online-Händlern und Online-Marktplätzen müssen ferner einen Link zur ODRPlattform der Kommission sowie eine E-Mail-Adresse des Händlers zur Verfügung stellen. Für die meisten Akteure in regulierten Wirtschaftsbereichen sind Informationspflichten nicht neu. Da die ADR Regulations anderweitige Informationspflichten nicht berühren, können sich entsprechende Pflichten daher durchaus überschneiden. So besteht etwa für Rechtsdienstleister die Verpflichtung, auf den Legal Ombudsman hinzuweisen und, da dieser keine anerkannte ADR-Stelle ist, gleichzeitig eine weitere anerkannte ADR-Stelle zu benennen. Allerdings erfolgt die Durchsetzung der unternehmerischen Informationspflichten in England nur defizitär.328 5. Kritik an der Umsetzung Die Umsetzung der ADR-Richtlinie durch die ADR Regulations erfolgte im Wesentlichen entsprechend dem mehrheitlichen Meinungsbild der konsultierten Interessengruppen. Dennoch wird die minimale Umsetzung vereinzelt als verpasste Gelegenheit für eine grundlegende Reform der ADR-Strukturen kritisiert.329 Ferner seien die Glaubwürdigkeit von ADR und die Integrität des Rechtsstaats aufgrund der verfahrensunspezifischen Regelungen sowie der schwachen Rolle der zuständigen Behörden nicht ausreichend geschützt.330 Im Wege eines faulen Kompromisses zwischen Verbraucherschutz und geringer Belastung für die Wirtschaft habe man sich für einen Laissez-faire-Ansatz entschieden, der die ADR-Entwicklungen in nicht regulierten Sektoren den Reaktionen der Unternehmer überlassen würde.331 Dies gelte umso mehr, als dass in diesen Bereichen keine Teilnahmepflicht für Unternehmen existiert, sodass zwar die Abdeckung, nicht aber der Zugang zu ADR verbessert werde.332
328 Hierzu Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 306 f., für den die Informationspflichten nicht weit genug gehen, da ihre Befolgung vom guten Willen der Unternehmen abhängig sei; in diese Richtung auch Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 111–114. 329 So etwa Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 444. 330 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 298, der die fehlende Differenzierung zwischen den verschiedenen ADR-Formen insofern kritisch sieht, als dass die Standards den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den ADR-Formen entsprechen, der nicht für alle Verfahrensarten gleich angemessen ist, ibid., S. 392 f.; in diese Richtung auch Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 444. 331 So Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 302. 332 Unternehmen würden ADR bei einer (kurzfristigen) ökonomischen Betrachtung nicht den Vorzug geben, so Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 308–310, der sich letztlich aber nicht klar für obligatorische ADR-Verfahren ausspricht.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Zudem wird beklagt, dass die ADR-Landschaft verkompliziert worden sei, anstatt ihre Sichtbarkeit durch Rationalisierung zu erhöhen.333 Dies gelte auch im Hinblick auf die Verteilung der Aufsicht auf acht verschiedene Behörden, was die Bedeutung der einzelnen Behörde verringern würde und die Kosten von ADR aufgrund der verschiedene Anerkennungsverfahren steigen ließe.334 Die ADR Regulations wiesen den zuständigen Behörden daher keine effektive Rolle zur Aufsicht, Durchsetzung und Verbesserung von ADR-Standards zu.335
II. Implikationen der ADR-Richtlinie in Deutschland Die Vorgaben der ADR-Richtlinie wurden zum 1. April 2016 durch das Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG) umgesetzt.336 Anders als in England erhält die ADRLandschaft in Deutschland mit dem VSBG erstmals einen gesetzlichen Rahmen. Trotz der neuen Anforderungen stellte das VSBG die bestehende ADR-Praxis vor keine sonderlichen Schwierigkeiten. 1. Erwägungen des Gesetzgebers Dem Fraktionsentwurf zum VSBG liegt eine geschätzte Zahl von jährlich 60 000 Verbraucherstreitbeilegungsanträgen zugrunde, die sich nach Inkrafttreten des VSBG verdoppeln sollte. Die Anzahl der ADR-Stellen solle sich – so der Fraktionsentwurf – von den bestehenden 30 privaten ADR-Stellen langfristig auf 80 Einrichtungen steigern.337 Nur 35 % der Verfahren – so die Schätzung – sollen vorzeitig beendet werden, wobei mittelfristig mit einer steigenden Teilnahmebereitschaft gerechnet wird.338
333 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 311; Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 444; nunmehr eine Rationalisierung fordernd, Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 172; im unionsweiten Kontext auch Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 365. 334 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318; Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 444. 335 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 320. 336 Das VSBG wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten v. 19.2.2016, BGBl. I S. 254, 1039 beschlossen. 337 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 43; der Rechtsausschuss geht in seiner Beschlussempfehlung von weniger als 100 ADR-Stellen aus, BT-Drucks. 18/6904, S. 71. 338 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 42.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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Das VSBG ist durch den Grundgedanken der Freiwilligkeit alternativer Streitbeilegung geprägt.339 Das Prinzip der Freiwilligkeit soll die Akzeptanz von ADR-Verfahren sowie der Verfahrensergebnisse bei den Streitparteien steigern und das Vertrauen der Allgemeinheit in ADR stärken.340 In diesem Sinne sollten Verfahren ausgeschlossen werden, die dem Verbraucher eine verbindliche Lösung auferlegen.341 Der Forderung des Bundesrats,342 der Opposition343 sowie einiger Verbraucherverbände344, zumindest größere Unternehmen zur Beteiligung an ADR-Verfahren zu verpflichten, wurde nicht gefolgt. Der Gesetzgeber setzt – wie auch in England – vielmehr darauf, Unternehmen von den Vorteilen der Nutzung von ADR zu überzeugen. ADR soll den gerichtlichen Rechtsschutz aus Sicht des Gesetzgebers nur ergänzen, nicht aber substituieren.345 Die ADR-Landschaft soll vorrangig privat organisiert sein, während behördliche ADR-Stellen nur subsidiär agieren sollen.346 Wie auch die britischen ADR Regulations differenziert der deutsche Gesetzgeber nicht zwischen den ADR-Formen, sondern legt dem VSBG den Regelfall der Schlichtung zugrunde.347 Besonders umstritten waren die Anforderungen an die mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Person, dem sogenannten Streitmittler. Während sich § 6 des Regierungsentwurfs (VSBG-RegE) noch an den weicheren Vorgaben der ADR-Richtlinie orientierte, verlangt das VSBG vom Streitmittler eine Qualifikation als Volljurist oder als zertifizierter Mediator. Die Änderungen gehen auf
339 Dieses Prinzip weitgehender Freiwilligkeit befürwortend, Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87, 92–94. 340 So die Begründung des Fraktionsentwurfs zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 40, „Die Vorteile der Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung können sich nur dann voll entfalten, wenn die Parteien freiwillig an diesen Verfahren teilnehmen [...]. Wer sich freiwillig auf eine einvernehmliche Lösung einlässt, wird diese in der Regel auch respektieren.“ 341 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 41. 342 Der Bundesrat plädierte für eine Einschränkung der Freiwilligkeit für größere Unternehmen und Branchen, die durch eine hohe Anzahl von Verbraucherbeschwerden auffallen und verwies darauf, dass auch bei der Verpflichtung der Unternehmer zur Teilnahme an ADR – wie bei der söp – mit hohen Einigungsquoten zu rechnen ist, Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG-E, BT-Drucks. 18/5760, S. 21. 343 So die Stellungnahmen der Fraktionen Die Linke. und Bündnis 90/Die Grünen in der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 70 f. 344 So der vzbv, Stellungnahme zum Referentenentwurf, 23.1.2015, S. 16 f.; bdv, Stellungnahme zum Referentenentwurf, 2015, S. 6. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht das Prinzip der Freiwilligkeit hingegen mehrmals durchbrochen und die Informationspflichten der Unternehmen als Erpressungspotenzial, DIHK, Stellungnahme zum Referentenentwurf, 2015, S. 4 f. 345 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 38. 346 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/5089, S. 40. 347 Der Begriff „Schlichtung“ soll indes untechnisch verstanden werden und alle einvernehmlichen ADR-Verfahren, wie die Mediation, einschließen, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 41.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Forderungen des Bundesrats348, Sachverständiger349 sowie der Wissenschaft350 zurück. Streitmittler sollen durch paritätisch besetzte Gremien unter Beteiligung von Verbraucherverbänden bestellt werden, um das Vertrauen in die Neutralität der ADR-Stellen zu stärken.351 Erheblicher Streitpunkt zwischen Bund und Ländern, der letztlich auch zur verspäteten Umsetzung der Richtlinie führte, betraf die Kompetenz beziehungsweise die Verantwortung für die Auffangschlichtung.352 Der Gesetzentwurf sah ausschließlich die Schaffung von „Universallschlichtungsstellen“ der Länder vor, um eine ortsnahe Streitbeilegung zu ermöglichen.353 Dieser Vorschlag traf insbesondere aufgrund der Kostenlast der Länder auf enormen Widerspruch im Bundesrat.354 Bundeseinheitliche Strukturen wurden überdies mit Verweis auf eine andernfalls zu befürchtende Rechtszersplitterung befürwortet.355 Die Legislative konnte sich schließlich – zunächst nur bis Ende 2019 – auf eine durch Bundesmittel unterstützte, bundesweite „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“ 348 Dieser ist der Ansicht, dass die Befähigung zum Richteramt für mehr Qualität und Akzeptanz der ADR-Stellen führt, so die Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG-E, BTDrucks. 18/5760, S. 6 f. Die Gegenäußerung der Bundesregierung verweist jedoch noch auf unterschiedliche rechtliche Prägung der verschiedenen Streitigkeiten und Verfahren, BTDrucks. 18/5760, S. 25 f. 349 Die Befähigung zum Richteramt mit Verweis auf die Bewährung dieses Standards in der Praxis befürwortend, Berlin, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 3; unter dem Aspekt der Haftungsprävention auch, Schreiner, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 5; zwischen der Rechtsorientierung des Verfahrens unterscheidend, Braun, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 3; gegen hohe Anforderungen mit Blick auf die Personalkosten, Gössl, Stellungnahme VSBG-E, 2015, S. 3; vorsichtiger Schmidt-Kessel, Stellungnahme, 2015, S. 11 f. 350 So etwa Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1709; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 133–138. 351 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 58; Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 9 VSBG Rn. 6–8. Den Regelungsrahmen des VSBG hinsichtlich der Neutralität und Unabhängigkeit von Streitmittlern und ADR-Stellen für unzureichend erachtend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 119–131. 352 Hierbei ging es angesichts der Kostentragung freilich um ein negatives Kompetenzgerangel, Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 31 f. 353 Den Ländern sollte dabei freistehen, eigene behördliche Schlichtungsstellen zu schaffen oder private ADR-Stellen mit entsprechenden Aufgaben zu beleihen oder zu beauftragen. Die Universalschlichtungsstellen auf Länderebene sollten insbesondere eine ortsnahe Streitbeilegung ermöglichen, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 41 und 68 f.; kritisch zum angeblichen Erfordernis der Ortsnähe, die Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG-E, BT-Drucks. 18/5760, S. 2; in diese Richtung auch Berlin, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 5. 354 Der Bundesrat hielt eine Regelung auf Bundesebene für zwingend geboten, um ein effektives Schlichtungssystem zu etablieren und Rechtszersplitterung zu vermeiden, Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG-E, BT-Drucks. 18/5760, S. 1–4. 355 So etwa Braun, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 5 f.; Gurkmann, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 5; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 133–138.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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einigen. Dieselbe Einrichtung ist nunmehr mit den Aufgaben der Universalschlichtungsstelle des Bundes beliehen.356 2. Verbraucherschlichtungsstellen Nach der Legaldefinition in § 2 VSBG versteht man unter einer Verbraucherschlichtungsstelle jede Einrichtung, die Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung in zivilrechtlichen Streitigkeiten durchführt und als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt, beauftragt oder eingerichtet worden ist. Es handelt sich hierbei um eine rechtlich geschützte Bezeichnung, deren unberechtigte Verwendung bußgeldbewehrt ist.357 Das VSBG trifft eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen privat organisierten Schlichtungsstellen, die einer behördlichen Anerkennung bedürfen und behördlichen Schlichtungsstellen, auf welche die Anforderungen an private ADR-Stellen nur sinngemäße Anwendung finden, § 28 VSBG. Jede private Verbraucherschlichtungsstelle muss von einem Trägerverein getragen werden,358 der seinen Sitz im Inland hat, auf Dauer angelegt ist und finanziell tragfähig erscheint, § 24 VSBG. Wie auch die ADR Regulations schließt das VSBG unternehmensinterne Beschwerdemechanismen aufgrund der mit ihnen verbundenen Neutralitätsbedenken von seinem Anwendungsbereich aus.359 Die sachliche Zuständigkeit der ADR-Stellen kann sich nach § 4 Abs. 1 VSBG auf alle Verbrauchervertragstypen mit Ausnahme von Arbeitsverträgen erstrecken und geht damit weiter als die ADR-Richtlinie, deren Anwendungsbereich nur Kauf- und Dienstleistungsverträge umfasst.360 ADR-Stellen steht es frei, ihren Zuständigkeitsbereich auf bestimmte Wirtschaftsbereiche, Vertragstypen, Unternehmer oder Unternehmer mit Niederlassung in einem bestimmten Land zu
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Zur Auffangschlichtung in Deutschland bereits oben unter Kap. 2 C. III. Die Bezeichnung darf auch von Einrichtungen geführt werden, die in anderen Rechtsordnungen als richtlinienkonform anerkannt wurden, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, § 2 VSBG Rn. 3–5; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2 Rn. 48. Näher zum Bezeichnungsschutz am Beispiel ADR, Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171 ff.; ders., ZKM 2015, 71 ff.; ders., GewArch 2016, 89 ff. 358 Gemeint ist ein eingetragener Verein i. S. d. § 21 BGB. Untersagt ist daher der Betrieb durch eine Einzelperson, etwa einem als Gütestelle anerkannten Rechtsanwalt, vgl. den Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 51. Das Modell entspricht der gängigen Praxis von ADR-Stellen in Deutschland und soll zu einer hohen Qualität beitragen, so die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 71; a. A. wohl Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 3 Rn. 2, der in der Beschränkung auf eingetragene Vereine einen kaum zu rechtfertigenden Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit sieht. 359 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 50; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2 Rn. 33. 360 Meller-Hannich, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 4 Rn. 11; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 4 VSBG Rn. 3; Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 112; vgl. Art. 2 Abs. 1 ADR-Richtlinie. 357
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beschränken, § 4 Abs. 1a VSBG. ADR-Stellen ohne Zuständigkeitsbeschränkung tragen den Namen „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“, § 4 Abs. 2 VSBG. Das Haupttätigkeitsfeld der ADR-Stelle soll zwar in der Beilegung von Streitigkeiten liegen, in denen der Verbraucher Antragsteller ist,361 jedoch kann die ADR-Stelle ihre Tätigkeit in persönlicher Hinsicht erweitern, § 4 Abs. 3 VSBG.362 Das VSBG enthält in den §§ 6–8 zudem Regelungen zur Bestellung, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Streitmittlern. Als Ausdruck hoher Qualitätsstandards müssen Streitmittler die Befähigung zum Richteramt oder eine Zertifizierung als Mediator besitzen.363 Ferner müssen sie über Kenntnisse im Verbraucherrecht sowie in der Durchführung von ADR-Verfahren aufweisen.364 Diese Anforderungen gehen sehr weit, bedenkt man einerseits, dass selbst für die Tätigkeit als Schiedsrichters im Sinne des § 1035 ZPO keine juristischen Qualifikationen erforderlich sind365 und anderseits, dass die Verfahrensdurchführung durch Sachverständige selbst bei rein tatsächlich umstrittenen Fällen ausgeschlossen ist.366 Es erscheint ferner inkonsequent, keinerlei Qualifikationsanforderungen an sonstige Mitarbeiter der ADR-Stelle zu stellen, die in erheblichem Maße bei der Beurteilung der Zulässigkeit und der Erarbeitung erster Lösungsvorschläge eingebunden sind.367
361 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 51; hierzu auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 4 VSBG Rn. 4; Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 4 VSBG Rn. 24–25. 362 Etwa auf Streitigkeiten zwischen Verbrauchern, zwischen Unternehmern oder solchen, in denen der Unternehmer Antragsteller ist, Meller-Hannich, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 4 Rn. 22 und 40; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 4 VSBG Rn. 17. 363 Freilich haben schon vorher einige Verfahrensordnung die Befähigung zum Richteramt vorausgesetzt, Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 135 m. w. N. 364 Eingehend zu den persönlichen und sachlichen Voraussetzungen, Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 6 VSBG 23–30; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2 Rn. 174–200. 365 Dieser Gedanke schon bei Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 6 VSBG Rn. 6, der die Regelung in ihren Konsequenzen daher nicht für ausreichend durchdacht hält. 366 Kritisch gegenüber einer Differenzierung der erforderlichen Fachkenntnisse je nach Grad der Rechtsorientierung des Verfahrens, die zu Rechtsunsicherheit führen würde, Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 135; eine solche Differenzierung befürwortend, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 127 f. 367 Dies schon im Rahmen der Sachverständigenanhörung bemängelnd, Schmidt-Kessel, Stellungnahme, 2015, S. 11; diese Kritik auch bei Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 183–186.
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3. Anforderungen an Verfahren und Verfahrensergebnisse Im Hinblick auf die möglichen Gründe zur Ablehnung einer Beschwerde hat der deutsche Gesetzgeber die durch die ADR-Richtlinie gewährten Ermessensspielräume konkretisiert. § 14 VSBG unterscheidet zwischen zwingenden (Abs. 1) und fakultativen Gründen (Abs. 2) zur Ablehnung der Durchführung des Verfahrens. Der Streitmittler hat offensichtlich unbegründete Anträge abzulehnen.368 Als Regelbeispiele hierfür werden eine geltend gemachte Verjährung des Anspruchs [lit. a)], ein bereits beigelegter Streit [lit. b)] sowie ein wegen unzureichender Erfolgsaussichten abgelehnter Prozesskostenhilfeantrag angeführt [lit. c)]. Besonderes Interesse wirft die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 4 VSBG auf, in welcher die unionsrechtliche Möglichkeit der ADR-Stelle konkretisiert wird, ein Verfahren abzulehnen, das den effektiven Betrieb der ADR-Stellen ernsthaft beeinträchtigen würde.369 Eine solche Beeinträchtigung kann vorliegen, wenn der Sachverhalt oder die Rechtsfragen nur mit einem unangemessenen Aufwand geklärt werden können oder wenn die Streitigkeit eine entscheidungserhebliche, noch ungeklärte, grundsätzliche Rechtsfrage betrifft. Die Regelungen verdeutlichen zwar das Leitbild des VSBG, dass ADR die staatliche Gerichtsbarkeit ergänzen und nicht substituieren soll, jedoch sind sie im Hinblick darauf, dass die Gefährdung des effektiven Betriebs der ADR-Stelle zu befürchten sein muss, sehr eng auszulegen.370 Zum Zwecke hoher Qualitätsstandards entschied sich der deutsche Gesetzgeber schließlich für eine überschießende Umsetzung in Bezug auf die Richtigkeitsgewähr der Verfahrensergebnisse. Während Art. 11 ADR-Richtlinie lediglich fordert, dass dem Verbraucher auferlegte, verbindliche Lösungen kein zwingendes Verbraucherschutzrecht unterlaufen dürfen, sieht § 19 Abs. 1 VSBG sogar vor, dass der Schlichtungsvorschlag an geltendem Recht ausgerichtet sein soll und die zwingenden Verbraucherrechtsgesetze beachten soll.371 Aus einer erforderlichen Begründung sollen sich der zugrunde gelegte Sachverhalt sowie die
368 Mit Blick darauf, dass der Zugang zu ADR für den Verbraucher nicht erheblich beeinträchtigt werden darf, sind die Ablehnungsgründe äußerst restriktiv auszulegen, Gössl, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 67, 70–71, 80; kritisch auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 113 f. 369 Zur möglichen Bedeutung dieses Ausschlussgrundes im Kooperationsgefüge von ADR und Ziviljustiz noch unten unter Kap. 6 B. I. 4. 370 Kritisch auch Gössl, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 67, 84 f., die darauf verweist, dass das Verfahren primär auf eine einvernehmliche Streitbeilegung gerichtet ist und der Weg zu den Gerichten auch nach einem Schlichtungsvorschlag möglich bleibt; zustimmend Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2 Rn. 250; eine enge Auslegung befürwortet auch, Borowski, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 14 VSBG Rn. 100–104. 371 Näher zur Auslegung und den Konsequenzen dieser Regelung noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2.; für eine rechtsvergleichende Perspektive auf Entscheidungsstandards in ADR in England und Deutschland, Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212 ff.
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rechtliche Bewertung ergeben. Die Berücksichtigung von Gerechtigkeits- und Billigkeitserwägungen ist damit jedoch nicht ausgeschlossen.372 4. Informationspflichten für Unternehmen und behördliche Anerkennung von Verbraucherschlichtungsstellen Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine überschießende Umsetzung der Anforderungen des Art. 13 Abs. 1 und 2 ADR-Richtlinie entschieden. Anders als die ADR-Richtlinie, beschränkt § 36 Abs. 1 VSBG die Informationspflichten nicht auf solche Unternehmen, die zur Teilnahme verpflichtet sind, sondern verlangt von allen Unternehmen, die eine Webseite unterhalten oder AGB verwenden, eine Information des Verbrauchers darüber, inwieweit es „bereit ist oder verpflichtet ist, an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen“.373 Ein Vorschlag im Rechtsausschuss, den Informationspflichten einen prominenteren Platz im Vertrag einzuräumen, wurde abgelehnt.374 Die Information muss für Verbraucher nach dem Wortlaut der Norm „klar und verständlich“ sein. Die Erklärung muss daher erkennen lassen, ob beziehungsweise unter welchen genauen Kriterien das Unternehmen bereit ist, sich auf ein Verfahren vor einer ADR-Stelle einzulassen.375 Angaben, nach denen ein Unternehmen „im Einzelfall“376 oder „grundsätzlich bereit“377 ist, an einer Verbraucherschlichtung teilzunehmen, erfordern eine Nachfrage der Verbraucher und genügen daher nicht dem Sinn und Zweck des § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG. Das Bundesamt für Justiz ist die subsidiär zuständige Behörde für die Anerkennung privater ADR-Stellen und zentrale Anlaufstelle für die Europäische Kommission, § 27 Abs. 1 VSBG. Die Bundeszuständigkeit nach Art. 87 Abs. 3 GG wurde besonders auf Bestreben der Länder normiert, die eine Regelung auf Bundesebene für zwingend geboten hielten, um ein effektives und vertrauens-
372 Der Streitmittler soll gerade auch andere Parameter berücksichtigen, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 5; näher zu legitimen Ersatzkriterien auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 149–152. 373 Diese überschießende Umsetzung bezweckt ein höheres Maß an Verbraucherschutz und ist damit gem. Art. 2 Abs. 3 S. 2 ADR-Richtlinie zulässig, zutreffend BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 (Rn. 29, 36). Von der Informationspflicht ausgenommen sind Unternehmer mit nicht über zehn Beschäftigten, § 36 Abs. 3 VSBG. Sofern die AGB eines Unternehmens auf dessen Webseite abrufbar sind, sind die Informationen in den AGB selbst aufzunehmen, sodass Informationen allein im Impressum oder in anderen Dokumenten, etwa einem Preis- und Leistungsverzeichnis nicht ausreichen, EuGH, Urt. v. 25.6.2020 – C-380/19, ECLI:EU:C:2020:498 = BeckRS 2020, 13489 – Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände/Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG. Eingehend zu den Mitteilungspflichten der Unternehmer, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 68–73. 374 Gössl, ZKM 2020, 55, 56. 375 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 49. 376 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 49. 377 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 263/18 MDR 2019, 1370 Rn. 55 = WM 2019, 2078.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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würdiges ADR-System zu schaffen.378 Spezialgesetzliche Zuständigkeiten nach § 27 Abs. 2 VSBG bestehen unter anderem beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für den Bereich der Energieversorgung,379 beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur für den Eisenbahn- und Busverkehr sowie die Schifffahrt380 und beim Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz für den Luftverkehr.381 Darüber hinaus existieren sechs behördliche Verbraucherschlichtungsstellen,382 die keiner gesonderten Anerkennung bedürfen, da sie ohnehin der Kontrolle durch eine staatliche Aufsichtsbehörde unterliegen.383 5. Kritik an der Umsetzung Die Kritik in der Umsetzungsphase der ADR-Richtlinie war grundsätzlicher Natur und betraf in erster Linie das Konzept von ADR für Verbrauchersachen als solches und weniger die konkrete Ausgestaltung des VSBG.384 Umso überraschender war es, dass diese konzeptionelle Kritik erst sehr spät am Ende des EU-Gesetzgebungsprozesses aufkam.385 Dies zeigt einerseits, dass die EU-Gesetzgebung nur stiefmütterlich behandelt wurde und andererseits, dass es in Deutschland bis dato an einem rechtspolitischen Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR für Verbraucherstreitigkeiten fehlte.386
378 Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG-E, BT-Drucks. 18/5760, S. 1–4; ähnlich die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 71; näher zu den Vorteilen einer Bundeszuständigkeit, Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 2 2021, § 27 Rn. 2–6. 379 Die Zuständigkeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ergibt sich aus § 111b EnWG. 380 Die Zuständigkeiten ergeben sich aus § 37 Abs. 2 EVO, § 6 Abs. 3 EU-FahrgRBusG und § 6 Abs. 3 EU-FahrgRSchG. Die Anerkennung erfolgt jeweils im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. 381 Die Anerkennung von ADR-Stellen erfolgt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, § 57 Abs. 1 LuftVG. 382 Namentlich die Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz, die Schlichtungsstellen bei der Deutschen Bundesbank und der BaFin, die Schlichtungsstellen Telekommunikation und Post bei der Bundesnetzagentur sowie die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. 383 Diese hat auch die Anforderungen nach dem VSBG zu überwachen, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 68; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2 Rn. 418; hierzu auch Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 28 Rn. 1–28. 384 Kritik an der „tautologischen Definition“ des Anwendungsbereichs des VSBG übt jedoch, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 77. 385 Kritisch zum späten Zeitpunkt der Kritik und des Anstoßes eines rechtspolitischen Diskurses, Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 160; ders., ZKM 2015, 141 ff.; zustimmend, Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, 140. 386 Mit Kritik an der vernachlässigten Aufgabe der Rechtswissenschaft, insbesondere unionsrechtliche Gesetzgebung zu begleiten, Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 160 f.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
Als opportunistisch und als den Subsidiaritätsgrundsatz verletzend, wurde bereits das Abstellen des europäischen Gesetzgebers auf die Binnenmarktkompetenz kritisiert, da die Richtlinie so auch Geltung für Inlandssachverhalte beansprucht.387 Ebenso wurde die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für eine bundeseinheitliche Regelung bezweifelt,388 aber gleichwohl befürwortet. Die wohl etwas schwarzmalerische Kritik sprach im Zusammenhang mit der Etablierung von ADR von „Verbraucherschutz zweiter Klasse“389, einer „ZweiKlassen-Justiz“390, einem „Paralleluniversum“391 oder sah ADR als „trojanisches Pferd für den Verbraucherschutz“392. Verbraucher würden massenhaft in eine „Schlichtungsfalle“ gelockt, in der sie zum Abschluss „fauler Kompromisse“ gezwungen würden.393 Der Zugang für Verbraucher zum Recht würde unter ADR gar leiden.394 Überdies sei ein Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit und des Verbraucherschutzes zu befürchten.395 Befürworter von ADR betonen hingegen den niedrigschwelligen Zugang sowie die Komplementarität von staatlicher Gerichtsbarkeit und ADR.396 Das proklamierte Prinzip der Freiwilligkeit, die verschärfte Bindung an Recht sowie die Umsetzung der Kritik am Referentenentwurf zum VSBG, nahmen den Befürchtungen einer parallelen Schattenjustiz ein wenig den Wind aus den Segeln.
387 Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707 bezeichnen die ADR-Richtlinie und die ODR-VO gar als ultra-vires-Rechtsakte; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 7 m. w. N.; mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz zweifelnd, Roth, JZ 2013, 637, 642; MellerHannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 19, 25–27. 388 Engel, NJW 2015, 1633, 1634; vgl. auch die Erwägungen von Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 31 f. in Bezug auf die Auffangschlichtung. 389 So etwas polemisch Roth, JZ 2013, 637, 642; ders., DRiZ 2015, 24 ff.; das Risiko einer „Streitbeilegung zweiter Klasse“ nicht ausschließend, Hess, JZ 2015, 548, 551; ähnlich Frank/ Henke/Singbartl, VuR 2016, 333, 337. 390 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 38. 391 Roth, JZ 2013, 637, 644; ders., DRiZ 2015, 24, 25; von einer „justizähnlichen Parallelstruktur sprechend, Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1710. 392 Eidenmüller/Engel, FAZ 12.7.2013, 7; Wagner, CML Rev. 51 (2014), 165 ff. 393 So Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707. 394 Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704. Dies hängt freilich auch davon ab, was man unter „Zugang zum Recht“ versteht, hierzu sogleich unten unter Kap. 3 A. II. 395 Insbesondere könnten Gerichte ihren Aufgaben der Rechtsklärung und -fortbildung nicht mehr nachkommen, so Roth, JZ 2013, 637, 641 und 644; zuletzt – wenngleich ohne schwarzmalerische Perspektive – Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 237 f. Hierbei kann jedoch bereits bezweifelt werden, ob Rechtsfortbildung überhaupt die Aufgabe von (kompromissorientierter) ADR ist, da eben keine tatsächliche Rechtsanwendung erfolgt, ablehnend Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 11. 396 In diese Richtung etwa Isermann/Berlin, VuR 2012, 47 ff.; Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163–166; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 83 f.; interessant auch die Reaktion von Nöhre/Ruge, BRAK-Mitt. 2015, 274, 275 f., als Vertreterinnen der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft auf die Kritik von Limperg, BRAK-Mitt. 2015, 225 ff.; s. auch Lemmel, ZKM 2015, 22, 25.
E. Implikationen der ADR-Richtlinie
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Bedauerlicherweise nimmt das VSBG – wie auch die britischen ADR Regulations – keine Differenzierung zwischen den verschiedenen ADR-Formen vor, sondern konzentriert sich auf das Modell der Schlichtung. In der Praxis hat diese Ausrichtung des VSBG zur Folge, dass ADR auf den Begriff der Schlichtung verkürzt und die Kreativität bezüglich anderer ADR-Formen gebremst wird.397 Überdies wäre eine Vereinheitlichung398 der Begrifflichkeiten des VSBG sowie eine Differenzierung der Anforderungen an den Streitmittler nach der zugrunde liegenden Verfahrensart wünschenswert gewesen. Schließlich wurden die Eingriffsbefugnisse der zuständigen Behörden als unzureichend kritisiert.399 Den Behörden stehen letztlich nur die Instrumente der Anerkennung als ADR-Stelle und deren Widerruf nach vorheriger Abmahnung zur Verfügung. Da der Widerruf der Anerkennung und dessen Androhung anlassbezogen ausgestaltet sind und die Behörden über keinerlei Ermittlungsbefugnisse verfügen,400 sind diese maßgeblich auf die von den ADR-Stellen selbst erstellten Berichte angewiesen.401
397 Von ihrem Grundmodell her, mag die Schlichtung zwar in den meisten Verbraucherstreitigkeiten das geeignete Verfahren sein, eine gewisse Diversität des Leistungsangebots hätte der ADR-Landschaft aber sicherlich nicht geschadet. Umgekehrt lässt sich anführen, dass eine einheitliche Schlichtungslandschaft bei Verbrauchern für weniger Verwirrung sorgt. 398 So spricht die Gesetzesbezeichnung von „alternativer Streitbeilegung“, unter anderem in § 1 Abs. 1 VSBG hingegen von „außergerichtlicher Streitbeilegung“ und „Konfliktbeilegungsverfahren“. Kritisch zur verwendeten Terminologie auch die Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG, BT-Drucks. 18/5760, S. 4 f. Die Bundesregierung verweist in ihrer Gegenäußerung ablehnend darauf, dass sich keine einheitliche Terminologie herausgebildet hätte, BT-Drucks. 18/5760, S. 25. Zudem wurde der Begriff der Universalschlichtungsstelle kritisiert, der eine umfassende und nicht nur subsidiäre Zuständigkeit suggeriere, so schon die Stellungnahme des Bundesrats zum VSBG, BT-Drucks. 18/5760, S. 15; ähnlich Braun, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 5, der für die Bezeichnung „Auffangschlichtungsstelle“ plädiert; so auch Schreiner, Stellungnahme zum VSBG-RegE, 2015, S. 9. 399 Für eine praxisgerechte Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten, etwa für sofortige Maßnahmen, Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 16; kritisch zu den begrenzten Befugnissen der Anerkennungsbehörde Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 211–213; eingehend hierzu noch unten unter Kap. 5 C. 400 Hierzu der Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66; Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 212; ähnlich Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 23, der eine freie Entscheidung der Aufsicht sieht, aktiv oder reaktiv tätig zu werden. 401 In diese Richtung Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 211–213; ähnlich Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 24, der daher davon ausgeht, dass überwiegend konkrete Beschwerden von Verfahrensbeteiligten oder Verbänden zum Tätigwerden der Aufsicht führen.
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Kapitel 2: ADR-Landschaften in England und Deutschland
6. Auswirkungen des Brexits Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU am 31. Januar 2020 lässt den durch die ADR Regulations gesetzten Rechtsrahmen weitestgehend unberührt. Die ADR-Strukturen für Verbraucherstreitigkeiten waren in England bereits vor der Umsetzung der ADR-Richtlinie fest etabliert. In Umsetzung der ADR-Richtlinie wurde im Wesentlichen nur eine zentrale Behörde mit subsidiärer Zuständigkeit in Ergänzung zu den bereits agierenden sektorspezifischen Behörden eingerichtet und Informationspflichten für Unternehmen geschaffen. Mit weitreichenden Änderungen war daher ohnehin nicht zu rechnen. Im Kern ergeben sich aus den The Consumer Protection (Amendment etc.) (EU Exit) Regulations 2018 folgende Konsequenzen des Brexit: Alle grenzüberschreitenden Verpflichtungen sind weggefallen. Dies betrifft insbesondere die bis dahin geltenden Verpflichtung der ADR-Stellen, Unionsbürgern Rechtsschutz zu gewähren sowie die Berichtspflichten der zentralen Behörde an die Europäische Kommission. Die ODR-Verordnung beansprucht mit dem Brexit keine Geltung mehr. Gleiches gilt für die diesbezüglichen Informationspflichten für Unternehmen, deren Einhaltung aber ohnehin nicht nennenswert kontrolliert wurde. Die Informationspflichten über Teilnahmepflichten an ADR-Verfahren auf der Webseite und den AGB eines Unternehmens blieben hingegen erhalten.
Kapitel 3
ADR als politischökonomisches Steuerungsinstrument Ausgangspunkt von ADR in Verbrauchersachen ist das Bestreben, den Zugang zum Recht für die normale Bevölkerung zu verbessern.1 Die ADR-Richtlinie bezweckt die Förderung des Binnenmarktes durch die Verbesserung des Zugangs zu hoch qualitativer ADR. Die Ziele und Funktionen von ADR erschöpfen sich jedoch keineswegs in dieser Zwecksetzung, sondern sind genauso vielfältig, wie die möglichen ADR-Formen selbst.2 Sie entziehen sich jedoch einer einheitlichen Definition und bleiben daher bisweilen unklar.3 Mit der Verrechtlichung von ADR tritt nunmehr auch der Staat als Akteur mit einem eigenen ADR-Konzept auf, nach dem ADR potenziell als funktionales Instrument zum Erreichen politischer Regulierungsziele verstanden werden kann. Das Regulierungsverständnis muss sich nicht in der Verbesserung des Zugangs zum Recht erschöpfen, sondern kann durch sozialstaatliche Elemente bestimmt sein oder intendieren, unternehmerisches Verhalten zu lenken. Dieses Kapitel beleuchtet den wissenschaftlichen Diskurs um das Ziel- und Funktionsverständnis von ADR sowie den Einfluss des individuellen Verständnisses vom Zugang zum Recht für die Beurteilung des Einsatzes von ADR. Anschließend wird anhand der Erwägungen von Legislative und Exekutive sowie der ADR Praxis untersucht, inwieweit ADR als politisches, ökonomisches und soziales Steuerungsinstrument greifen kann und soll.
1 ADR ist die sog. third wave (dritte Welle) im Rahmen der Access-to-jusitce- -Bewegung, Cappelletti/Garth/Trocker, RabelsZ 40 (1976), 669, 704–717; Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 222–227. 2 Der Zweck der Verfahren kann je nach Verfahrensablauf und angestrebten Ergebnis stark divergieren. 3 So, wenngleich mit negativer Konnotation bezüglich des Einsatzes von ADR als Instrument zur Rechtsdurchsetzung, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 15. Unklarheit über die Ziele und Funktionen von ADR besteht nicht nur für die Verfahrensbeteiligten, sondern auch in der Wissenschaft.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR Der Diskurs um die Funktionen von ADR als effizientes Streitbeilegungsinstrument und meist einzige Rechtsschutzmöglichkeit für Verbraucher sowie die damit einhergehende Debatte um die Bedeutung der Ziviljustiz prägen seit den 1990er-Jahren den rechtspolitischen und akademischen Diskurs im Vereinigten Königreich. Die europäischen Entwicklungen haben eben jenen Diskurs – besonders aus rechtssoziologischer Perspektive – beflügelt. Die Debatten in der deutschen Rechtsordnung, in der ADR noch keinen festen Platz im Rechtsschutzsystem gefunden hat, nahm erst mit den europäischen Entwicklungen Fahrt auf und beschränkte sich zunächst auf emotionale und leicht polemische Beiträge über das Für und Wider von ADR im Vergleich zum Zivilprozess. Zunehmend gehen Literatur und Praxis jedoch von einer Komplementarität von ADR und Ziviljustiz aus und heben die Befriedungsfunktionen von ADR hervor. Anders als in England üben alle Interessengruppen hingegen Zurückhaltung im Hinblick auf das regulatorische Potenzial von Beschwerdedaten.4 Aus der englischen Perspektive soll ADR nicht nur eine Quasi-Ersatzfunktion für die schwer zugängliche Ziviljustiz zukommen, sondern in bestimmten Wirtschaftssektoren integraler Bestandteil des Regulierungssystems sein. Demgegenüber wird ADR im deutschen Diskurs kaum aus rechtssoziologischer Perspektive betrachtet, sondern mit zivilprozessrechtlichem Fokus untersucht, sodass der Diskussionsschwerpunkt auf der technischen Umsetzung der ADR-Richtlinie sowie dem Aspekt der Verwirklichung von Verbraucherrechten liegt.
I. Konkurrenz oder Komplementarität von ADR und Ziviljustiz In England hat ADR die Zivilgerichtsbarkeit in Teilbereichen der Verbraucherstreitigkeiten faktisch verdrängt. Diese Verdrängungswirkung ist jedoch nicht Ergebnis eines erbitterten Konkurrenzkampfes, sondern rechtspolitisch erwünscht, um die Zivilgerichte zu entlasten. Gleichwohl spricht sich der akademische Diskurs für eine ergänzende Funktion von ADR aus. In Deutschland besteht – mit etwas zeitlichem Abstand zur Umsetzung der ADR-Richtlinie – überwiegend Einigkeit über die Komplementarität der beiden Rechtsschutzmöglichkeiten. Dennoch wird ADR – anders als in England – weiterhin am hohen Maßstab gerichtlicher Rechtsdurchsetzung gemessen.5 4 Insofern feststellend, dass Anfragen über die Bereitstellung von Daten zu Verbraucherstreitigkeiten zu Forschungszwecken vermutlich sehr selten gestellt werden, Schmidt-Kessel/ Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016, S. 63; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303, 330; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017, S. 107. 5 Gaier, NJW 2016, 1367, 1369 hält die gerichtliche Rechtsfindung von vornherein als ungeeignete Vergleichsgruppe für ADR-Verfahren.
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR
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1. Entlastung oder Verdrängung der Ziviljustiz Schon ausgehend von der Terminologie nimmt ADR, wie auch der Zivilprozess, eine Streitbeilegungsfunktion wahr. ADR dient der interessengerechten Konfliktlösung zwischen Verbrauchern und Unternehmen.6 In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Streitbeilegung überwiegend pragmatisch verstanden, das heißt, dass es bei ADR mehr um die effiziente Konfliktbefriedung des Einzelfalls geht, als um ein gerichtsähnliches, rechtsstaatliches Verfahren, das individualgerechte Lösungen verfolgt.7 Das Ziel, die staatlichen Gerichte durch die Nutzung von ADR zu entlasten, wurde in England primär von politischer Seite proklamiert,8 jedoch wurde diese Funktion auch im deutschen Diskurs identifiziert.9 ADR solle eine Vorschaltund Entlastungsfunktion für Zivilgerichte zukommen.10 Kritiker sehen in ADR hingegen nicht nur eine Entlastung für die Justiz, sondern deren „Outsourcing“11 auf private Anbieter, das eine Parallel- beziehungsweise Nebenjustiz erwarten ließe.12 Den Befürchtungen eines Konkurrenzkampfs der Rechtsschutzsysteme wird jedoch entgegengehalten, dass ADR den gerichtlichen Rechtsschutz gerade 6 Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 36, sieht die Streitbeilegung als Hauptaufgabe von ADR an. Mitunter wird indes argumentiert, dass es bei ADR mindestens genauso um Marktregulierung, wie um Streitbeilegung ginge, so Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 353, „[...] CDR is at least as much about market regulation as it is about dispute resolution.“; vgl. auch ders., in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 355. 7 Dieses Verständnis etwa bei Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 313; Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 360; Creutzfeldt, Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 442. 8 Hierzu bereits oben unter Kap. 2 A. I. und unten unter Kap. 3 D. I. 9 Tonner, FS-Reich 1997, 1997, S. 861, 872; hierzu auch Höland/Meller-Hannich, 2016, 11, die darauf hinweisen, dass ADR in der rechtspolitischen Diskussion der 1970–90er-Jahre als Filterinstrument gesehen wurde, um die Prozessflut vor staatlichen Gerichten bewältigen zu können; Brömmelmeyer, WM 2012, 337, 340; Riehm, NJW 2017, 113 ff.; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 38 sieht die Entlastung der Justiz sogar als primäres Ziel einer funktionierenden ADR-Landschaft; in diese Richtung auch der Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 3, der von einer Entlastung der Gerichte spricht. 10 Hess, ZZP 2005, 427, 428. 11 Hess, ZZP 2005, 427, 440, 450 sieht eine weitreichende Delegation staatlicher Aufgaben auf private Anbieter. 12 Roth, JZ 2013, 637, 638, 644, für den es in der Sache nicht weniger als um eine Substitution des Zivilprozesses durch eine Teilprivatisierung der Justiz gehe, spricht von einem „Paralleluniversum“; ders., DRiZ 2015, 24, 25; in diese Richtung auch Martinek, ZVertriebsR 2016, 343, 345; von einer justizähnlichen Parallelstruktur sprechend Eidenmüller/ Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1710; ähnlich Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 29; ders., GPR 2014, 122, 127.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
in Situationen komplementiere, in denen der Bürger Letzteren nicht in Anspruch genommen hätte.13 2. Ersatzfunktionen für schwer zugängliche Ziviljustiz Ungeachtet dieser komplementären Stellung wird diskutiert, ob ADR geeignet ist, ureigene Funktionen der Zivilgerichtsbarkeit zu übernehmen. In diesem Zusammenhang werden ADR die Aufgaben zugeschrieben, sowohl individuelle Rechtsdurchsetzung als auch überindividuellen Rechtsschutz zu bezwecken sowie rechtliches Gehör und die Weiterentwicklung des Rechts zu gewährleisten. Diese Diskussion dient nicht nur dazu, die Kritik an ADR abzuschwächen, sondern ist erforderlich, um das Potenzial und die Funktionsmöglichkeiten von ADR vollständig zu untersuchen. Oftmals wird ADR die Aufgabe der individuellen Rechtsdurchsetzung zugesprochen; eigentlich eine klassische Funktion der Ziviljustiz. Diese Beschreibung ist primär im deutschen Diskurs zu erkennen, in welchem ADR tendenziell als Instrument zur Durchsetzung von Verbraucherforderungen gesehen wird.14 Zwar stellen vorangehende europäischen Dokumenten noch einen Konnex zwischen Rechtsdurchsetzung und ADR her,15 jedoch erwähnen weder die ADR-Richtlinie noch ihre Begleitdokumente das Ziel der Rechtsdurchsetzung.16 Vielmehr werde eine etwaige Rechtsdurchsetzungsfunktion durch die Zwecke der Binnen-
13 Diese Einwendungen kommen insbesondere aus der Schlichtungspraxis, Hirsch, ZKM 2013, 15, 16; ders., FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163; zustimmend Berlin/Braun, ZKM 2014, 149, 151; Berlin, ZKM 2015, 26, 28; Nöhre/Ruge, BRAK-Mitt. 2015, 274, 275; die unterschiedlichen Präferenzen der Verbraucher für beide Rechtsschutzmöglichkeiten zeigt auch das Beispiel aus dem Fluggastrecht bei Isermann, VuR 2018, 283, 284 f.; ähnlich aber auch Greger, ZZP 128 (2015), 137, 139; Riehm, JZ 2016, 866, 873. 14 Freilich nicht im Kontext der ADR-Richtlinie, bezeichnet Hess, ZZP 2005, 427, 440–442 die Durchsetzung von Verbraucherrechten und eben nicht das Ziel einer einvernehmlichen Lösung, als primäres Ziel von ADR; nach Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1705 sollen die europäischen Akte zur Förderung von ADR die „Durchsetzung von Verbraucherrechten erleichtern“; nach Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 96 sei die Durchsetzung von Ansprüchen aus Verbraucherverträgen ein hehres Ziel von ADR; s. auch Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 12; Rühl, ZRP 2014, 8; aus der Praxis Isermann/Berlin, VuR 2012, 47 ff., die neben dem Ziel einer „effektiven Durchsetzung von Verbraucherrecht“ aber auch das Ziel einer einvernehmlichen Lösung betonen; Basedow, VersR 2008, 750, 751, hebt neben der Funktion der Rechtsdurchsetzung die soziale Befriedungsfunktion hervor. 15 Die Entschließung des Europäischen Parlaments v. 25.10.2011 spricht in lit. C. und D. im Zusammenhang mit ADR von der „Verteidigung materieller subjektiver Rechte“ sowie der „Durchsetzung von Rechten“; zu dieser Akzentverschiebung der EU-politischen Agenda, Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 12–14, 33; für Roth, DRiZ 2015, 24 wird jedoch der Zugang zum Recht „durch die bloße Hoffnung auf erleichterten Zugang zum Binnenmarkt ersetzt.“ 16 Dies zutreffend erkennend, Riehm, JZ 2016, 866, 867; ähnlich Gsell, ZZP 128 (2015), 189, 191.
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR
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marktförderung und der Streitbeilegung überlagert.17 In diesem Zusammenhang überrascht die klare – im Kontext wenig differenzierte – Schlussfolgerung der Kommission, ADR und ODR für Verbraucher seien zu einem integralen Bestandteil des Instrumentariums der EU für die „öffentliche und private Durchsetzung des Verbraucherrechts“ geworden.18 Sofern ADR im englischen Diskurs mit Rechtsdurchsetzung in Verbindung gebracht wird, geschieht dies meist unter dem Begriff „consumer redress“19, unter welchem jedoch eine im Einzelfall faire und angemessene Entschädigung des Verbrauchers verstanden wird. Von Termini wie „enforcement of consumer rights“20 oder „vindication of rights“21, die mehr eine Rechtsdurchsetzung im Sinne einer objektiven Rechtsanwendung bedeuten, wird nur selten Gebrauch gemacht. Der Umstand, dass ADR im deutschen Diskurs dennoch ein Rechtsdurchsetzungsversprechen entnommen wird,22 könnte den justizähnlichen Prinzipien der ADR-Richtlinie sowie den gerichtsähnlichen Verfahren deutscher ADRStellen geschuldet sein.23 Überdies basieren viele deutsche Beiträge auf der Annahme, dass Verbraucher zuvörderst an der Durchsetzung ihrer Rechte interessiert seien,24 während der englischen Rechtsordnung die Verfolgung außerrecht17 So zutreffend Gsell, ZZP 128 (2015), 189, 191 f.; ähnlich Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 17–19; dass es der EU eher um Verbraucherzufriedenheit geht, scheinen letztlich auch Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707 zu erkennen. 18 Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 19. 19 So schon die Überschriften bei Ramsay, 2003, S. 17 ff.; Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438 ff.; Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351 ff.; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017. 20 Etwa benutzt bei Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 265; hinsichtlich der Durchsetzung regulatorischer Anforderungen, Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 367; eingangs auch Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, 17. 21 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 420. 22 Dieses Versprechen ginge sowohl vom Europäischen Gesetzgeber, Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1705, als auch von den Schlichtungsstellen aus, dies., ZZP 128 (2015), 149, 151. 23 Mit insoweit berechtigtem Einwand, Roth, DRiZ 2015, 24, 25, der von einer „Nachahmung von Justizstrukturen“ spricht; mit Kritik auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 227; ähnliche Erwägungen bei Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 382; zur gerichtsähnlichen Ausrichtung von ADR-Verfahren in Deutschland, Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 225–230. 24 So Hess, ZZP 2005, 427, 438, „Das primäre Interesse des Verbrauchers gilt der raschen
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
licher Interessen nicht fremd ist.25 Eine weitere Differenzierung wird durch den Begriff der Rechtsverwirklichung vorgenommen, der nur die Realisierung einer von den Parteien als gerecht empfundenen Lösung in Abgrenzung zur zwangsweisen Durchsetzung von Rechtspositionen bedeute.26 Rechtsordnungsübergreifend besteht indes Einigkeit, dass die Funktionen der Rechtsdurchsetzung und der Weiterentwicklung des Rechts der staatlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten bleiben sollen.27 Der Geltungsanspruch des materiellen Rechts dürfe – gerade im Falle etwaiger Verdrängungswirkung durch ADR – nicht leerlaufen, sodass ADR immer auch mit der Funktion der Rechtsdurchsetzung verknüpft bleibt.28 Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs ist – wie auch in staatlichen Gerichtsverfahren – elementares Prinzip von ADR-Verfahren und ergibt sich aus dem Gebot eines fairen Verfahrens.29 Beide Parteien haben einen Anspruch, ihren Fall in angemessener Weise vorzutragen; ihr Vorbringen ist im Rahmen der Lösungsfindung zu berücksichtigen.30 In der Regel ist ADR in VerDurchsetzung seines materiellen Anspruchs.“; ähnlich Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149, 151, „Das Verbrauchervertrauen konzentriert sich auf die Rechtsdurchsetzung, wenn auch auf einem eher nicht-formalen und bisweilen unkonventionellen Weg.“ Gleichzeitig versuchten ADR-Verfahren den außerrechtlichen Interessen von Unternehmen, etwa an einem kundenfreundlichen Image, zu entsprechen. 25 Zwischen der Durchsetzung materiellen Rechts und der (außerrechtlichen) Wahrnehmung von Verbraucherinteressen differenziert Riehm, JZ 2016, 866, 867, für den ADR-Stellen daher keine jurisdiktionellen Aufgaben wahrnehmen. Dass ADR-Verfahren eben nicht auf die strikte Anwendung materiellen Rechts ausgerichtet sind, konnotiert Wagner, in: Zekoll/ Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 384 hingegen negativ mit „law enforcement light“; zustimmend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 218; ähnlich Wagner, ZKM 2013, 104, 105, der die Begrifflichkeit „rough justice“ einwirft; in diese Richtung, aber mit weniger kritischem Ton, Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 94. 26 Gaier, NJW 2016, 1367, 1369 f.; zustimmend Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 257. 27 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 415; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 313, für den ein realisierbarer Zugang zu gerichtlicher Streitbeilegung ein Schlüsselelement zur Verhinderung sinkender Standards ist; in diesem Zusammenhang prangert Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 64, 77–80, die Vernachlässigung von „collective interests“ an und argumentiert, dass die Entscheidung von Präzedenzfällen nicht nur als reines Nebenprodukt der gerichtlichen Rechtsverfolgung gesehen werden dürfe. 28 Hierzu Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 34 f., der in diesen Bereichen von gesteigerter Einhaltung von Verbraucherschutzrecht ausgeht. 29 Darüber hinaus ist der Anspruch auf rechtliches Gehör in § 17 Abs. 2 VSBG verankert, hierzu Isermann/Berlin, VuR 2012, 47, 53; Hess, JZ 2015, 548, 550 f.; vgl. auch Art. 9 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie. Dies mag freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das rechtliche Gehör bei Gericht einen höheren Gehalt hat, so Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 159. 30 Kritisch zur Berücksichtigung des Vorbringens und zu möglichen vertraulichen Einzel-
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brauchersachen jedoch dokumentenbasiert, sodass eine mündliche Verhandlung im Sinne eines „day in court“ die Ausnahme ist.31 Insofern sei der schriftliche oder telefonische Kontakt allerdings meist ausreichend, um den emotionalen Bedürfnissen der Verbraucher nach Respekt und Anerkennung zu genügen.32 Überdies nehme ADR mit der Gewährung rechtlichen Gehörs eine soziale Befriedungsfunktion wahr.33 Grundsätzlich sind ADR-Verfahren in beiden Rechtsordnungen auf individuelle Verbraucherstreitigkeiten zugeschnitten.34 Da sich gerade sektorspezifische ADR-Stellen nicht selten mit einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle konfrontiert sehen, wird vorgebracht, dass ADR auch dazu geeignet sei, überindividuelle Massenbeschwerden zu bewältigen.35 Zwar bestehen keine formellen, überindividuellen Rechtsschutzverfahren, jedoch könnten ADR-Stellen, wie etwa der FOS, gleich gelagerte Fälle identifizieren und einen Testfall entscheiden, der Orientierung für weitere Verfahren gibt.36 Entscheidungserhebliche ungeklärte gesprächen, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 156–159. Zum Bedürfnis der Verbraucher nach rechtlichem Gehör und fairer Behandlung, Creutzfeldt, Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 442. 31 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 420. Ferner können die persönlichen Argumente in den Sachbericht der Schlichtungsempfehlung aufgenommen werden, damit für den Antragsteller die Gewährung rechtlichen Gehörs erkennbar wird, so für die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, Nöhre, 2016, S. 34, 38; s. auch Stadler, ZZP 128 (2015), 165, 180 f.; Fries, ZKM 2017, 137, 139. 32 Gilad, Law & Policy 30 (2008), 227, 248, dieser Effekt kann durch rhetorische Mittel und das Entgegenbringen von Empathie verstärkt werden und Vertrauen in das ADR-Verfahren bilden; in diese Richtung auch Schliebener, 2020, S. 229, 235. 33 Nicht der „Kampf ums Recht“, sondern die Befriedung stehe bei ADR im Vordergrund, Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 166; ders., NJW 2013, 2088, 2094; so auch Brömmelmeyer, WM 2012, 337, 340, der von einer im hohen Maße friedensstiftenden Wirkung von Ombudsverfahren spricht; für Isermann, VuR 2018, 283, 286 ist die Streitbefriedung immanenter Auftrag einer jeden ADR-Stelle; s. auch Hubig, ZKM 2014, 167, 169, für die eine nachhaltige Befriedung indes abhängig von der Freiwilligkeit von ADR-Verfahren ist; für Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 62 können die Begriffe des Rechtsfriedens und der Verbraucherzufriedenheit aufgrund ihrer subjektiven Bedeutung allenfalls Folgeerscheinung der Konfliktlösung, aber nicht deren vorrangiges Ziel sein. 34 Dass es sich um eine Form des Individualrechtsschutzes handelt, machen Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 12 und Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 34 deutlich. 35 So ausdrücklich Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 409; Hodges, ERA Forum 13 (2012), 11, 23. Im deutschen Diskurs wird die Bewältigung von Massenschäden oder einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle nur vereinzelt als mögliche Funktion von ADR gesehen, nach Hess, ZZP 2005, 427, 443, 447 sei ADR auf die „effiziente Beilegung einer Vielzahl ähnlicher Ansprüche angelegt (mass claim processing)“. 36 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 410; nach Graham haben private ADR-Mechanismen indes nie überindividuelle Untersuchungen wahrgenommen, sodass er den FOS als Ausnahme hervorhebt, Graham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 427, 444.
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Rechtsfragen könnten zum Zwecke der gerichtlichen Klärung vorgelegt werden. Anders als staatliche Gerichte seien ADR-Mechanismen dabei nicht an formelle Verfahrensregeln gebunden und könnten die Maßnahmen intern nach eigenem Ermessen bestimmen.37 Aus deutscher Perspektive solle der kollektive beziehungsweise überindividuelle Rechtsschutz Aufgabe der Justiz bleiben.38 Mit der Befürchtung, Verbraucherstreitigkeiten würden der Rechtsprechung entzogen, ist häufig die Besorgnis verbunden, dass die Weiterentwicklung und Fortbildung des Verbraucherrechts gefährdet sei.39 Wie bereits erwähnt, soll die finale Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen zwar der Gerichtsbarkeit vorbehalten bleiben, jedoch wollen jüngere Beiträge ein Potenzial von ADR erkennen, der Fortentwicklung des Rechts mittels der Veröffentlichung von Informationen und Beschwerden dienlich sein zu können.40 Ausgehend von der Prämisse, dass eine funktionierende ADR-Landschaft dazu führt, dass insgesamt mehr Beschwerden gerichtlich und außergerichtlich behandelt werden, könnten potenziell mehr grundsätzliche Rechtsfragen identifiziert und der richterlichen Recht-
37 ADR-Mechanismen könnten, wie auch Gerichte, bei Massenverfahren im Hinblick auf Effektivität und Konsistenz der Verfahrensergebnisse schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen, sodass auch die Inanspruchnahme der Ressourcen und Erfahrung ähnlicher ADR-Mechanismen aus dem gleichen Sektor oder entsprechenden Netzwerken wie EEC-Net oder FINNet zu erwägen sei, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 409–411. 38 So Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 34, die befürchteten, dass ADR und ODR installiert würde, anstatt die Möglichkeiten des des kollektiven Rechtsschutzes auszubauen; ADR könne Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes nicht ersetzen, so MellerHannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45, 60 f.; Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1709; Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 395–398; Frank/Henke/ Singbartl, VuR 2016, 333, 337–339. Demgegenüber mit Kritik am Verzicht auf kollektive Rechtsschutzinstrumente im Rahmen des VSBG, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 225. 39 Sich auf diese Gefahr fokussierend, Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59 ff.; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 20–24; Roth, JZ 2013, 637, 644; ders., DRiZ 2015, 24, 27; Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 96; Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 28 f.; Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333, 337; mit Bedenken auch Limperg, BRAK-Mitt. 2015, 225, 227 f.; Lindblom, ERPL 2008, 63, 72. 40 So Hess, JZ 2015, 548, 553; ähnliche Vorteile sieht Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 94, die jedoch bedenkt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen gerade ein zweites, von den ADR-Stellen geprägtes System hervorbringen könnten; mit Bezug zum FOS, MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 518. Zutreffend weisen Gaier, NJW 2016, 1367, 1369 und Isermann, VuR 2018, 283, 285 darauf hin, dass es aufgrund einer Konsensorientierung auch im gerichtlichen Verfahren und dem Instanzenzug letztlich ohnehin allein die Entscheidung der unterlegenen Partei sei, ob sie eine Streitigkeit höchstrichterlich klären lassen möchte und somit einen Beitrag zur Rechtsfortbildung und -vereinheitlichung leisten will.
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sprechung zugeführt werden.41 Im Interesse der Allgemeinheit könne ADR mittelbar zur Sicherung der Rechtsfortbildung beitragen.42
II. ADR und der Diskurs um den Zugang zum Recht Im Zentrum der ADR-Entwicklungen steht – wie bereits erwähnt – die Accessto-Justice-Bewegung, also die Idee, mit ADR den Zugang zum Recht für die normale Bevölkerung zu verbessern. Nach Garth und Cappelletti stellt die Förderung von ADR die dritte Welle dieser Bewegung dar und soll Rechtsschutz in Situationen anbieten, in denen der Zivilprozess nicht die adäquateste Lösung darstellt.43 Die Terminologie „access to justice“ entzieht sich einer klaren Definition. Hinter ihr verbirgt sich vielmehr ein Konzept, dem individuelle Idealvorstellungen zugrunde liegen.44 Demgemäß scheidet meist das persönliche Verständnis vom Zugang zum Recht den Diskurs um ADR in befürwortende und kritische Stimmen. Dies gilt gerade dann, wenn es um die Frage geht, ob und inwiefern ADR dazu geeignet ist, den Zugang zum Recht für Verbraucher zu verbessern. 1. Zugang zu was eigentlich? Eine einheitliche Definition der Begrifflichkeit access to justice ist schon aufgrund der Mehrdeutigkeit des Wortes „justice“ – gerade im internationalen Kontext aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten – nicht möglich.45 Die Frage, zu was genau der Zugang eigentlich eröffnet oder verbessert werden soll, bedarf daher näherer Kontur. Die Access-to-Justice-Terminologie legt ursprünglich den Fokus auf die Aufgabe des Rechtssystems, der normalen Bevölkerung den Zugang zu Rechtsschutzmechanismen zu gewährleisten, in deren Rahmen sie Rechte unter staatlichem Schutz durchsetzen und/oder Konflikte beilegen können.46 Dieser Rechts41 So Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 41; näher zu etwaigen Beträgen von ADR für die Weiterentwicklung des Rechts noch unten in Kap. 6. 42 So Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 41; unmittelbar kann jedoch nur die Justiz selbst Rechtsfortbildung betreiben, Tonner, FS-Reich 1997, 1997, S. 861, 872; so auch Weber, J Consum Policy 38 (2015), 265, 281. 43 Die Koexistenz von ADR und Ziviljustiz sei insofern erstrebenswerter als der „Kampf um’s Recht“, Cappelletti, MLR 56 (1993), 282, 287; ähnlich zuvor schon Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 225; Cappelletti/Garth/Trocker, RabelsZ 40 (1976), 669, 707–709; hierzu auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 4 f. 44 So bereits im Vorwort, Wrbka, European Consumer Access to Justice Revisited, 2015, S. xiii. 45 Ebenfalls eine uneinheitliche Begriffsverwendung feststellend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 52 f. 46 So die Beschreibung bei Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 182; vgl. Macdonald, Windsor Y.B. Access Just. 10 (1990), 287, 294 f.
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schutz wird traditionell durch die Ziviljustiz gewährleistet.47 Der Fokus liegt dabei primär auf der Gewährleistung der Gleichheit des Zugangs als Voraussetzung für das sekundäre Streben nach individuell und sozial gerechten Ergebnissen in einem fairen Verfahren.48 Das Wort justice kann im Englischen sowohl technisch, als auch wertaufgeladen verstanden werden.49 Im technischen Sinne wird der Justizapparat als solches bestehend aus allen Institutionen der Rechtspflege bezeichnet.50 Wertaufgeladen versteht man unter justice subjektive Vorstellungen von Gerechtigkeit, die sich nicht nur in der formal gleichen Anwendung materiell gerechter Normen erschöpfen muss, sondern auch sozial- und politikwissenschaftliche sowie philosophische Ideen umfassen kann.51 Im Deutschen wird access to justice mit „Zugang zu den Gerichten“52, „Zugang zur Justiz“53 und überwiegend mit „Zugang zum Recht“54 übersetzt. Das Wort „Recht“ lässt in diesem Kontext wiederum üppigen Interpretationsspielraum, fokussiert indes deutlich weniger auf Gerechtigkeitsvorstellungen als auf den Aspekt der Durchsetzung materiellen Rechts.55
47 Cappelletti/Garth/Trocker, RabelsZ 40 (1976), 669, 670 f.; Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 183; kritisch zu dieser Annahme im Gros der deutschen Untersuchung alternativer Streitregelung der 1980er-Jahre, die sozialwissenschaftliche Arbeit von Eidmann, Schlichtung, 1994, S. 12. 48 So die Grundkonzeption bei Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 182. 49 Insofern greift die Annahme zu kurz, „justice“ ließe sich mit Gerechtigkeit übersetzen, so aber Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 56. 50 Wrbka bezeichnet dies als „non-valuing justice“, Wrbka, European Consumer Access to Justice Revisited, 2015, S. 6; dies als „narrow concept“ bezeichnend, Ramsay, 2003, S. 17, 19. Ein solches Verständnis liegt auch den Berichten von Lord Jackson zugrunde, der access to justice wie folgt definiert: „The ability of a person to obtain legal advice and representation, and to secure the adjudication through the courts of their legal rights and obligations.“, Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, S. vi. 51 Ein solches Verständnis unter dem Begriff „value-oriented justice“ zugrunde legend, Wrbka, European Consumer Access to Justice Revisited, 2015, S. 6–8; ähnlich Ramsay, 2003, S. 17, 19, der dies als „broad concept“ versteht. 52 So etwa im Bereich des Umweltrechts die deutsche Übersetzung der Aarhus-Konvention (Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten). Überdies wird die Terminologie benutzt, wenn es gerade um die Zugänglichkeit des Gerichtswegs geht, statt vieler Creutzfeldt, ZKM 2016, 12, 15. 53 Diese Terminologie bei Schwarze, EuR 2009, 717 ff. Klare Trennung zwischen Zugang zur Justiz und zum Recht bei Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 4 f., der darauf verweist, dass der Zugang zum Recht in der Vergangenheit fast ausschließlich über die Justiz führte. 54 So schon Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle, 1976; Bierbrauer/Falke/Giese u. a. (Hrsg.), Zugang zum Recht, 1978. 55 So auch Wrbka, European Consumer Access to Justice Revisited, 2015, S. 19, wenngleich neben positiven Recht auch Normen der Moral und Sitte unter den Begriff Recht gefasst werden können.
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Innerhalb von vier Jahrzehnten hat sich das Access-to-Justice-Konzept weiterentwickelt. Schon der Blick auf außergerichtliche Streitbeilegungsformen und alle anderen Mechanismen der Streitprävention und -bewältigung im Rahmen der dritten Welle greift weiter als der vorherige, etwas eindimensionale, prozessrechtliche Fokus auf gerichtlichen Rechtsschutz.56 Unter der Annahme, dass das Konzept hoher Verbraucherzufriedenheit nur im Zusammenspiel von prozessualen Möglichkeiten und materiellem Verbraucherrecht verwirklicht werden kann, erweitert sich die Perspektive auf den Zugang zum Recht um diese weitere Dimension, ein Konzept, das Wrbka als „access to justice 2.0“ bezeichnet.57 2. Mehr Zugang zum Recht durch Verbraucher ADR – eine Frage der Perspektive Entsprechend den unterschiedlichen technischen und wertaufgeladenen Verständnismöglichkeiten vom Zugang zum Recht sind im Diskurs um ADR tendenziell zwei Strömungen zu erkennen. Beiträge, die den Zugang zu Konfliktlösungsmethoden im Blick haben, die den – auch außerrechtlichen – Interessen der Parteien gerecht werden, stehen ADR mit Verweis auf die ergänzenden Rechtsschutzmöglichkeiten meist positiv gegenüber. Beiträge, die hingegen ein technisches Verständnis von „Recht“ zugrunde legen, messen ADR am Maßstab der Durchsetzung materiellen Rechts. Da ADR indes nicht auf Rechtsdurchsetzung ausgerichtet ist, sehen diese Beiträge in ADR konsequenterweise eine Gefahr für die grundsätzlich vorzugswürdige Ziviljustiz. Die jeweiligen Erwartungen an ADR sind ferner rechtskulturell58 geprägt und durch die Stellung der staatlichen Justiz im Rechtsschutzsystem bedingt.59 a) Zugang zu interessengerechter Streitbeilegung Die meist rechtssoziologische oder praxisgeprägte Literatur versteht ADR als auf Verbrauchersachen zugeschnittenes Instrument zur effizienten und effektiven Streitbeilegung. Die Berücksichtigung rechtssoziologischer Aspekte, die im klassisch rechtswissenschaftlichen Diskurs in Deutschland noch die Ausnahme bildet, ist integraler Bestandteil des englischsprachigen Diskurses um ADR sowie 56 Aufgrund dieses gesamtheitlichen Ansatzes der dritten Welle, nennen Garth und Cappelletti diesen daher auch den „access-to-justice-approach“, Cappelletti/Garth/Trocker, RabelsZ 40 (1976), 669, 705; Garth/Cappelletti, Buffalo Law Review 18 (1978), 181, 223. 57 Wrbka, European Consumer Access to Justice Revisited, 2015, S. 29. 58 Die Erwartungen der Bevölkerung an ADR korrelieren dabei mit den Erwartungen an die Ziviljustiz, so zutreffend Creutzfeldt, ZKM 2016, 12, 15; dies., Ombudsmen and ADR, 2018, S. 107–114. 59 Die Stellung der Ziviljustiz ist insbesondere mit der Frage verknüpft, inwieweit das jeweilige Zivilgerichtssystem tatsächlich dazu geeignet ist, Verbraucherstreitigkeiten effizient und effektiv zu bewältigen. Verhindern hohe Prozesskosten ohnehin den Gang zu staatlichen Gerichten, steht primär der Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten im Fokus. Je niedrigschwelliger der Zugang für Verbraucher zu Gerichten ist, desto eher wird sich der Fokus auf umfängliche Rechtsdurchsetzung verschieben.
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der Bedeutung der Ziviljustiz. In diesem Zusammenhang wird ADR in Verbrauchersachen mit der Bezeichnung Consumer Dispute Resolution (CDR) als separate Welt mit eigenständigen Strukturen von den übrigen ADR-Formen abgegrenzt.60 ADR biete in Situationen Rechtsschutz, in denen finanzielle und soziale Barrieren den Weg zu staatlichen Gerichten versperren würden.61 Betont werden daher die Kostenvorteile62 alternativer gegenüber gerichtlicher Streitbeilegung sowie der niedrigschwellige Zugang zu schnellen ADR-Verfahren.63 Kernaufgabe von ADR sei dabei nicht Rechtsdurchsetzung, sondern die interessengerechte Befriedung des Konflikts.64 Die Prämisse, dass sich das Interesse der Verbraucher auf Rechtsdurchsetzung und einen verrechtlichten Konflikt beschränke, sei falsch.65 ADR sei nicht auf die erstmalige Klärung komplexer Rechtslagen ausgerichtet; dies falle in die Zuständigkeit der Gerichte.66 Vielmehr sei ADR auf die Beilegung in tatsächlicher Hinsicht umstrittener Beschwerden ausgelegt,67 deren 60 So die Forschung des Center for Socio-Legal Studies der Universität Oxford rund um Hodges, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 398; Hodges, ZKM 2012, 195; hierzu auch die von dieser Schule geprägte Einleitung bei Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 31. 61 So etwa Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 63; Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, ERA Forum 13 (2012), 199, 219, „delivering some justice is better than no justice“; Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 34 f. 62 Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 599; Hirsch, ZKM 2015, 141, 142. 63 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 396; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 300; für Berlin/Braun, ZKM 2014, 149, 151; ergänze ADR durch Konsensorientierung und Kostenerleichterung das Zivilverfahren um sozialstaatliche Elemente und ist Instrument zur Erhaltung des sozialen Friedens, so Hirsch, NJW 2013, 2088, 2094. 64 So Hirsch, NJW 2013, 2088, 2094; gleichwohl spricht Hirsch ADR – jedenfalls in Deutschland – die Rolle eines „spezifischen verfahrensrechtlichen Instrument zur schnellen, kostengünstigen und barrierefreien Durchsetzung des materiellen Verbraucherschutzrechts“ zu, ders., ZKM 2015, 141, 142; hierzu auch Nöhre/Ruge, BRAK-Mitt. 2015, 274, 275; Riehm, JZ 2016, 866, 867, spricht von einer Funktion „nicht der Verbraucherrechtsdurchsetzung, sondern der Interessenwahrnehmung“. 65 In diese Richtung gehend, Blankenburg, ZfRSoz 1980, 33, 54 und 59, der Rechtsdurchsetzung nur dort als Ziel einer Prozesspartei sieht, wo sich der Konflikt aufgrund fremder Sozialbeziehungen verrechtlicht und der Fall einen vorhersehbaren Ausgang und Erfolgschancen hat. Rechtsbindung würde nur zu Lösungen von der Stange führen“, die nicht den individuellen Interessen der Parteien entsprechen muss, so Riehm, JZ 2016, 866, 869; kritisch auch Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 358. 66 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 415 f., sprechen sich daher für ein Vorlageverfahren von ADR-Stellen an staatliche Gerichte aus. So auch Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 165; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 313 f. 67 „CADR is good for facts whereas courts are good for law“, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-
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Lösungen auf Billigkeitserwägungen ausgerichtet sein können.68 Die Bedeutung der Ziviljustiz wird nicht verkannt, sondern die Komplementarität beider Systeme angestrebt.69 Für jeden Konflikt soll der passende Streitbeilegungsmechanismus gefunden werden.70 Den Wörtern „justice“ beziehungsweise „Recht“ wird daher eher ein individueller Gerechtigkeitssinn gegeben, der die Berücksichtigung außerrechtlicher Interessen und Billigkeitserwägungen nicht ausschließt. Der Zugang zum Recht definiert sich daher nicht durch die Erreichbarkeit der Justiz, sondern durch die Existenz effizienter Rechtsschutzmöglichkeiten, selbst wenn diese im Ergebnis zu Abstrichen materieller Rechtspositionen führen können. b) Zugang zu Rechtsdurchsetzungsmechanismen Die zweite Strömung im Diskurs um ADR legt den Fokus mehr auf das Recht, als auf den Zugang hierzu.71 Unter Recht beziehungsweise justice werden im technischen Sinne die Bestimmungen des materiellen Rechts verstanden.72 GerichtBanda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 415. Diese Ansicht kann sich je nach Rechtssystem unterscheiden. Erfordert die Sachlage eine Beweisaufnahme, so kann aus Perspektive des Civil Law das staatliche Gerichtsverfahren notwendig sein, vgl. Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 61 f.; Hirsch/Gerhardt, ZRP 2016, 28, 29. 68 Die geltende Rechtslage sei der Ausgangspunkt für den Lösungsvorschlag, der durch Billigkeitserwägungen ergänzt werden kann, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 332 f. 69 Ohnehin sei ein Vergleich, ob ADR- oder Gerichtsverfahren für bestimmte Streitigkeiten besser oder schlechter sind aufgrund der Diversität der Verfahren und konkreten Streitigkeiten sehr schwierig, so Menkel-Meadow, 2013, S. 596, 599; hierzu auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 63, der betont, dass es vielmehr auf die konkrete Gestaltung von ADR und ihres komplementären Verhältnisses zur Ziviljustiz ankomme; nach Hirsch sei kein Verdrängungswettbewerb zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren nur ansatzweise zu erkennen; ADR komplettiere den Zugang zum Recht, Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163–166; ders., ZKM 2015, 141, 142; anders hingegen Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 605 f., der bereits eine Verdrängung der Zivilgerichte durch ombudsman schemes sieht und die Frage stellt, ob diese Konkurrenz beibehalten werden soll oder Gerichte für solche Ansprüche gar ausgemustert werden sollen. 70 Diese Beachtung systemrelevanter und persönlicher Bedürfnisse bezeichnet MenkelMeadow als „process pluralism“, Menkel-Meadow, Geo L.J. 94 (2006), 553, 555; dies., 2013, S. 596, 597; wohl auch Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 125, die allerdings vom Vorrang der Zivilgerichtsbarkeit ausgeht; Corte´s, Online dispute resolution for consumers in the European Union, 2011, S. 183, definiert access to justice als “[...] the right to obtain redress through the most appropriate dispute resolution mechanism [...]“. 71 Sofern der Zugang zum Recht als Bewertungsmaßstab für Streitbeilegungsverfahren gemacht wird, erscheint es daher plausibel, mit Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 62 f. zwischen den Ausdrucksbestandteilen „Zugang“ und „Recht“ zu differenzieren. 72 So das Verständnis bei Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 4; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 35; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 122, „Justice is conceived of as the remedy that the substantive law offers.“; ähnlich Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, vi.
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liche und außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen werden unter dem Aspekt der Rechtsdurchsetzung betrachtet.73 Den Untersuchungen liegt mithin die Prämisse zugrunde, dass Verbraucher primär an der Durchsetzung der objektiven Rechtslage interessiert sind.74 Der staatliche Zivilprozess sei aufgrund des vorrangigen Verfahrenszwecks der Durchsetzung materiellen Rechts, hoher rechtsstaatlicher Verfahrensstandards und des Öffentlichkeitsgrundsatzes das am besten geeignete Instrument zur Rechtsdurchsetzung.75 Hingegen sei ADR aufgrund mangelnder Ziel- und Funktionstransparenz, rechtsferner Verfahren sowie fehlender rechtlicher Autorität nur begrenzt zur Verbraucherrechtsdurchsetzung geeignet.76 Der Zugang zum Recht könne daher nur durch den Zugang zur Justiz gewährleistet werden.77 Tendenzielle Folge der Anwendung dieses einheitlichen Maßstabs für beide Streitbeilegungsformen ist die Annahme, dass ADR nicht komplementär zur Ziviljustiz sei, sondern deren Konkurrent.78 Ein Vollzugsdefizit materiellen Verbraucherrechts wird als Grundproblem des eingeschränkten Zugangs zum Recht gesehen. Der Zugang zum Recht kann aus dieser Perspektive daher nur durch Verfahren erreicht werden, die eine Rechtsdurchsetzungsfunktion erfüllen. Diesem Anspruch habe auch ADR in Verbrauchersachen zu genügen.
73 Unter Rechtsdurchsetzung wird der Ausgleich eines Interessenkonflikts entsprechend des geltenden materiellen Rechts verstanden, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 16; vgl. Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 115, die sich freilich den Vorteilen von ADR in bestimmten Fällen bewusst ist. 74 So Hess, ZZP 2005, 427, 438; Die Rechtsdurchsetzung habe für den Verbraucher gewichtige, aber begrenzte Bedeutung, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 62, der den Begriff der Verbraucherzufriedenheit indes zu diffus hält, um ihn als Verfahrensziel anzuerkennen; beispielhaft auch Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 122. 75 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 254. 76 Mit eingehender Untersuchung, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 195–233; Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 117 f., die der gerichtsnahen Mediation nur eine Befriedungsfunktion zuweist. 77 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 256. Damit ergibt sich die Annahme der Vorrangigkeit staatlicher Gerichtsverfahren, Menkel-Meadow bezeichnet diese Autoren, sofern sie sich grundsätzlich gegen einvernehmliche Streitbeilegung richten, als „litigation romanticists“, Menkel-Meadow, Cornell L. Rev. 80 (1995), 1159, 1172; dies., 2013, S. 596, 605; mit dieser Tendenz auch Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 31–33. Eine strikte Trennung zwischen den Begrifflichkeiten „Zugang zum Recht“ und „Zugang zur Justiz“ erscheint vor diesem Hintergrund wenig praktikabel, diese Differenzierung aber bei Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 59. 78 Insbesondere sei die Verlagerung von Verbraucherstreitigkeiten weg von der staatlichen Justiz hinzu privaten ADR-Anbietern zu befürchten, so Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1087–1090; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 123; Roth, DRiZ 2015, 24, 27, der in ADR eine Preisgabe der Gerichtshoheit in Verbrauchersachen sieht; ähnlich Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 38.
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c) Strukturelle Auswirkungen der Perspektiven Die Access-to-Justice-Terminologien lassen Raum für beide Konzeptvorstellungen, ohne in ihrer rhetorischen Schlagkraft beeinträchtigt zu werden. Entsprechend dieser Ergebnisoffenheit verbietet es sich, Partei für eine der gleichberechtigten Perspektiven zu ergreifen. Die strukturellen Auswirkungen beider Konzepte – die im Folgenden beispielhaft beschrieben werden – machen eine Vergewisserung über die jeweils eingenommene Perspektive indes unentbehrlich. Die Argumentationen und Ergebnisse beider Ansätze müssen sich dabei nicht zwingend diametral widersprechen. Aus Warte der Rechtsdurchsetzung wird kritisch angeführt, dass der kompromissorientierte Lösungsansatz in ADR-Verfahren mit der Kürzung materieller Rechtsposition des Verbrauchers einhergehen könne und ADR daher „mehr Zugang zu weniger Recht“ verschaffe. Diese Argumentation muss von Befürwortern des Konzepts interessengerechter Lösungen nicht zwingend als Kritik an ADR aufgefasst werden. Vielmehr können Kompromisse in ADR-Verfahren als wichtiges Werkzeug verstanden werden, um rechtliche oder tatsächliche Unsicherheiten handhabbar zu machen.79 „Mehr Zugang zu weniger Recht“ betone dann vielmehr die Stärken der ADR,80 eine interessengerechte Lösung für Streitigkeiten zu finden, für die der Gerichtsweg praktisch nicht zugänglich gewesen wäre. Die Perspektiven wirken sich auch auf die Frage der Rechtsbindung von ADR-Ergebnissen aus. Legt man den Maßstab der Rechtsdurchsetzung an, so müssen Lösungen in ADR-Verfahren zwingend der Anwendung materiellen Rechts entsprechen, um den Geltungsanspruch des Verbraucherrechts zu verwirklichen.81 Verfolgt man hingegen den Ansatz interessengerechter Lösungen, stellt die Rechtsbindung als solche nicht das ideale Kriterium dar, da angenommen wird, dass die Parteien auch außerrechtliche Interessen verfolgen können.
III. ADR als sozialer und prozeduraler Verbraucherschutz ADR fungiert nicht lediglich als Ergänzung des gerichtlichen Rechtsschutzes, sondern ihre Funktion liegt gerade darin, ökonomische und soziale Barrieren durch leicht zugängliche Rechtsschutzmechanismen abzubauen und somit der rationalen Apathie der Verbraucher entgegenzuwirken. ADR soll damit ein prozessuales Schutzinstrument in Ergänzung zum materiellen Verbraucherrecht darstellen, das einerseits Waffengleichheit zwischen den Parteien herstellen und andererseits sozialen Frieden durch eine konsensuale Lösung befördern soll.
79 Unsicherheiten, die in ADR-Verfahren aufgrund der beschränkten Beweisaufnahme regelmäßig bestehen, werden in den Lösungsvorschlag „eingepreist“. Zur wirtschaftlichen Aufteilung des Sachverhaltsrisikos, Riehm, JZ 2016, 866, 870–873. 80 So einleitend Riehm, JZ 2016, 866. 81 Zu diesem Ergebnis kommt auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 200.
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1. Überwindung rationaler Apathie durch niedrigschwelligen Zugang und Waffengleichheit ADR soll Verbraucher durch informale und kostengünstige Verfahren zur Geltendmachung ihrer Beschwerden ermutigen. Die Kostenfreiheit von ADR für Verbraucher ist dem Abbau ökonomischer Hemmnisse zu dienen bestimmt.82 Mittels einfacher, informeller und emotional weniger aufreibender Abläufe im Rahmen der Antragstellung und der Verfahrensdurchführung sollen Verbraucher – gegebenenfalls unter Hilfestellung der ADR-Stelle – dazu befähigt werden, selbst das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.83 Gleichwohl erreicht das ADR-Angebot in England und Deutschland bislang primär gebildete Bevölkerungsgruppen, die sich in England häufig durch Inkassounternehmen und in Deutschland durch Rechtsanwälte vertreten lassen.84 Untrennbar mit dem Abbau rationaler Apathie ist das Ziel verbunden, der – zumindest empfundenen – strukturell unterlegenen Verhandlungsposition der Verbraucher gegenüber Unternehmen entgegenzuwirken und Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen.85 Dabei gelte es wiederum die Disparität der finanziellen Ressourcen sowie die durch Unerfahrenheit bedingte schlechtere Verhandlungsposition der Verbraucher zu überwinden. Die Herstellung von Verhandlungsparität bezwecke letztlich schon das materielle Verbraucherrecht,86 das 82 So auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 33; Zweifel an der Prämisse ineffizienter staatlicher Gerichtsverfahren aufgrund hoher Kosten und langer Verfahrensdauer aus deutscher Perspektive hingegen bei Roth, JZ 2013, 637, 641 f. 83 Es gehe daher um eine „faire, schnelle belastungsarme und kostengünstige Lösung von Alltagskonflikten“, Greger, ZZP 128 (2015), 137, 139; ADR-Verfahren müssen daher auf den Verbraucher zugeschnitten werden und für ihn transparent sein, Hess, ZZP 2005, 427, 442. Für Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 227 wirke sich die Verbraucherstreitbeilegung – zumindest grenzübergreifend – hingegen nicht positiv auf das Phänomen der rationalen Apathie aus. 84 So die Daten von Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 56 und 114. Ein typischer Antragsteller sei demnach männlich, über 50 Jahre alt, gebildet und gehe einer Beschäftigung nach, dies., Trusting the middle-man: Impact and legitimacy of ombudsmen in Europe, 2016, S. 19. Daten zum eigenen Beschwerdepublikum, die diese Annahmen untermauern, liefert auch der FOS, FOS, Data in more depth 2018/2019, 2019, 19–23. 85 So Morris, J.B.L. 2008, 785; Corte´s, C.T.L.R. 21 (2015), 257, 258; ders., in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 21; Creutzfeldt, Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 444; Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 452; s. auch Creutzfeldt/Bradford, Law & Soc’y Rev. 50 (2016), 985, 987, die im Ausgleich von Machtungleichgewichten den grundlegenden Zweck für die Errichtung von Ombudsverfahren sehen; eingehend zu den strukturellen Schwächen der Verbraucher, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 30–51; hierzu auch Hess, ZZP 2005, 427, 445, der die Herstellung von Verhandlungsparität als wesentliches Anliegen von ADR bezeichnet; Hirsch, ZKM 2013, 15; a. A. Hirtz, NJW 2012, 1686, 1687, für den sich ADR-Methoden grundsätzlich schwer täten, Waffengleichheit zu ermöglichen. 86 Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 40 f.
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in ADR ein prozessuales Pendant zur Effektivierung des Verbraucherschutzes findet. Prozessual gehe es jedoch um die Vereinfachung der Prozessabläufe und die Angleichung der Verhandlungspositionen durch beratende Tätigkeiten sowie die gezielte Ermittlung des Sachverhalts durch Mitarbeiter der ADR-Stellen.87 Anknüpfungspunkt hierfür könne schon die Informationsstrategie im Vorfeld des Verfahrens beziehungsweise im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme sein.88 Hierzu gehört auch, dass die ADR-Strukturen die Einschaltung rechtlichen Beistands seitens des Verbrauchers entbehrlich machen.89 Diese sozialstaatlichen Elemente in ADR-Verfahren ergänzen damit den gerichtlichen Rechtsschutz besonders für ungleichgewichtige Vertragsbeziehungen.90 Schnelle Verfahren verhindern, dass sich die Verhandlungsposition des Unternehmens dadurch stärkt, dass der Verbraucher auf eine schnelle Entschädigung angewiesen ist.91 Ferner könnten ADR-Stellen etwaige Ermessensspielräume des materiellen Rechts zugunsten des Verbrauchers ausnutzen,92 solange dies freilich nicht die Unparteilichkeit der Institution infrage stellt. 2. Orientierung an Parteienzufriedenheit und Förderung konsensorientierter Streitkultur Die Förderung von ADR solle ferner dazu dienen, die Streitkultur in Europa, die im Grunde keine kontradiktorische sei, nachhaltig dahingehend zu verändern, dass eine konsens- und kompromissbasierte Gesellschaft etabliert wird.93 In Eng87 So auch Hess, ZZP 2005, 427, 445; Riehm, JZ 2016, 866, 871 spricht von einer „Funktion der abstrakten Rechtsberatung für Verbraucher“; s. zur Rechtsberatung durch ADR-Stellen auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 227–230; aus der Praxis Braun, ZKM 2013, 168, 169; Nöhre, 2016, S. 34, 36. 88 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354. 89 So etwa durch eine aktive Rolle bei der Prüfung der Beschwerde, Thomas/Frizon, Resolving disputes between consumers and financial businesses: Fundamentals for a financial ombudsman, 2012, S. 16. 90 Hirsch, NJW 2013, 2088, 2094; ders., FS-Lorenz, 2014, S. 159, 166; in diese Richtung auch Isermann, VuR 2018, 283, 286 f. 91 Der Verbraucher wird die Gegenleistung im Regelfall nämlich schon geleistet haben. Diese Ungleichgewichte beschreibend, damit aber gleichwohl gegen eine Vergleichskultur argumentierend, Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1076; ähnliche Befürchtungen mit Bezug zur Mediation bei Sander/Rozdeiczer, Harv. Negot. L. Rev. 11 (2006), 1, 29. 92 So Morris, J.B.L. 2008, 785. 93 Dies bezeichnet Minor, Leiterin der Vertretung der Kommission im Vereinigten Königreich, als Motivation der Kommission zur Förderung von ADR, wiedergegeben von Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 365; ders., in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 367; vgl. auch die Summary Notes der CDR Konferenz, abrufbar unter https://www.fljs.org/content/ec-head-representation-outlines-new-vision-con sumer-dispute-resolution-across-europe.
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land wird eine solche Vergleichskultur ohnehin spätestens seit den Woolf-Reformen gefördert, die streitige Gerichtsentscheidungen zur Ausnahme machen sollen.94 Die Förderung einer schnelleren, einvernehmlichen Streitbeilegung erfolge letztlich aus Effizienzgesichtspunkten.95 Ferner sollen einvernehmliche Lösungen, mit denen beide Parteien zufrieden sind, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern nachhaltig schonen, da es – anders als bei einem Urteil üblich – keinen klaren Verlierer gibt.96 Darüber hinaus könnten die durch ADR ermöglichten kreativen und flexiblen Lösungen, den Interessen der Parteien besser Rechnung tragen.97 3. Beratung und Vertretung von Verbrauchern Die Beratung von Verbrauchern über ihre Rechte und den Umgang mit Beschwerden kann Bestandteil der Funktion sein, Waffengleichheit zwischen Unternehmen und Verbrauchern herzustellen.98 ADR-Stellen sollen durch Informationen auf ihren Webseiten sowie telefonischer oder elektronischer Beratung als zentrale Anlaufstellen für Verbraucher fungieren können.99 Kunden sollen so einen besseren Überblick über ihre Rechte und Rechtsschutzmöglichkeiten bekommen und selbstbewusst darüber entscheiden können, ob sie ihre Beschwerden weiterverfolgen.100 94 So würden über 95 % der Gerichtsverfahren einvernehmlich beigelegt werden, Roberts, Oxford Journal of Legal Studies 29 (2009), 457, 475; hierzu auch Corte´s, C.J.Q. 32 (2013), 42, 64 f., der von einer „settlement cultur“ spricht; zu der Frage, ob die rückgängigen Fallzahlen der Gerichte auf einen Wandel der Streitkultur zurückzuführen sind, Wolf, NJW 2015, 1656 ff. 95 Die Effizienz soll besonders bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten gesteigert werden, in diese Richtung Corte´s, C.J.Q. 32 (2013), 42, 65 f. 96 Vgl. Corte´s, C.J.Q. 32 (2013), 42, 64. Aufgrund der positiven Wirkung von ADR auf der Beziehungsebene, wird ADR besonders dann bevorzugt, wenn intensive persönliche Beziehungen zwischen den Parteien bestehen, während formelle Verfahren bevorzugt werden, wenn keine gemeinsamen Werte zwischen den Parteien bestehen, Galanter, Law & Soc’y Rev. 9 (1974), 95, 133–135. 97 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 312; ähnlich Riehm, JZ 2016, 866, 868. 98 In diesem Sinne gingen auch die Verbrauchererwartungen dahin, dass ADR die Verhandlungspositionen angleicht, so Creutzfeldt, Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 444; dies., Ombudsmen and ADR, 2018, S. 100–103. Zu möglichen rechtlichen Hinweisen zur Angleichung der Verhandlungsparität, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 163–165. Insofern verwundert auch nicht die enge Zusammenarbeit zwischen Verbraucherberatungsstellen und ADR-Stellen in einigen Ländern, hierzu Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 306. 99 Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 597; ders., in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336 ff., „In other words, CDR bodies are being used for triage and legal advice.“; ders., in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354, 366; Thomas/Frizon, Resolving disputes between consumers and financial businesses: Fundamentals for a financial ombudsman, 2012, S. 11.
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Die Beratungsfunktion entspricht dem Bedürfnis vieler Kunden, sich an eine neutrale, unternehmensexterne Stelle wenden zu können.101 Ombudsstellen nach englischem Vorbild seien für eine solche Beratungsfunktion prädestiniert, da der Sachverhalt, anders als bei einer Mediation, rechtlich bewertet wird.102 Der dem Verbraucher im Rahmen einer ersten Beratung entgegengebrachte Respekt könne wiederum auf der emotionalen Ebene positiv wirken und das Selbstwertgefühl des Verbrauchers steigern.103 Weiterhin sollen ADR-Stellen Kommunikationsbarrieren durchbrechen können, in dem sie für Verbraucher als Dolmetscher für die Stellungnahmen von Unternehmen agieren und deren Bedeutung vermitteln.104 Über eine reine Beratungsstelle hinaus, werden ADR-Stellen – zumindest von Verbrauchern – als aktive Vertreter von Verbraucherinteressen wahrgenommen.105 Eine solche Stellung als Advokat des Verbrauchers könne auch durch rhetorische Mittel suggeriert werden.106 Die Grenzen zwischen Beratung und Vertretung sind dabei fließend und verschwimmen etwa dort, wo Verbraucher nicht nur über die Beschwerdemöglichkeiten und gar Erfolgsaussichten informiert, sondern auch bei der Formulierung der Beschwerde unterstützt werden.107 Die äußerste Grenze der Vertretung von Verbraucherinteressen bildet die Neutralitätspflicht der neutralen dritten Person beziehungsweise der ADR-Stelle.108
100 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354; Gill/Hirst, Defining Consumer Ombudsmen: A Report for Ombudsman Services, 2016, S. 52. 101 So auch Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 408 f.; dies ist letztlich auch eine Kostenfrage besonders für ADR-Stellen, die sich durch Fallgebühren finanzieren, Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 456. Unternehmenseigene Beschwerdemechanismen werden eine solche Beratungsfunktion in der Regel schon aus Eigeninteresse nicht ausüben, Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 355. 102 Hierzu Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 597. Die rechtliche Beratung solle jedoch bei der materiellrechtlichen Prüfung aufhören, um in einem späteren Verfahren nicht den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken, Gill/Hirst, Defining Consumer Ombudsmen: A Report for Ombudsman Services, 2016, S. 54. 103 Gilad, Law & Policy 30 (2008), 227, 249 f. 104 Creutzfeldt, Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 444 f., die dem Ombudsmann insofern die Rolle eines Dolmetschers zuschreibt; dies., Ombudsmen and ADR, 2018, S. 100–101. 105 Es entspreche den Erwartungen der Verbraucher, dass sie im Verfahren durch Ombudsleute unterstützt werden und durch sie gegenüber Unternehmen eine Stimme bekommen, so die Studie von Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 101–103, nach der Verbraucher insoweit einen Vertreter („advocate“) oder einen Verbündeten („ally“) erwarten, hierzu schon dies., Int. J.L.C. 12 (2016), 437, 445 f. 106 Etwa durch den Ausdruck von Empathie für die Situation des Verbrauchers oder die Distanzierung von Unternehmen, so in Bezug auf den FOS, Gilad, Law & Policy 30 (2008), 227, 236–242. 107 Hierzu Gill/Hirst, Defining Consumer Ombudsmen: A Report for Ombudsman Services, 2016, S. 48, die in letzterer Tätigkeit eine gewisse Vertretungsfunktion sehen. 108 So in Bezug auf Ombudsverfahren, Gill/Hirst, Defining Consumer Ombudsmen: A
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IV. ADR als Instrument der Selbst- und Marktregulierung Schon in einem frühen Entwicklungsstadium wurde erkannt, dass sich das Potenzial von ADR in Verbrauchersachen nicht in der Funktion der Streitbeilegung erschöpft. In England wird ADR mitunter als integraler Bestandteil der Wirtschaftsregulierung gesehen. Dieses System sei primär darauf ausgerichtet, Marktund Unternehmerverhalten zu steuern, während die Streitbeilegungsfunktion nur ein nachgelagertes Element sei.109 ADR soll einerseits Wirtschaftswachstum und Wettbewerb fördern und andererseits zur Lenkung des Verhaltens der Wirtschaftsakteure beitragen. Ein solches System kann entweder durch Selbstregulierung durch Unternehmens- oder Branchenverbände selbst oder durch Regulierung staatlicher Behörden geprägt sein. 1. Stimulation des Handels und des Binnenmarkts Schon ausweislich der Binnenmarktkompetenz, auf die sich die ADR-Richtlinie stützt, soll ADR wirtschaftsfördernd wirken. Dies gilt nicht nur für den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der Union, sondern auch im Hinblick auf Wettbewerbsanreize für die nationalen Märkte. Die Entwicklung gut funktionierender ADR-Systeme ist ausweislich der ADR-Richtlinie notwendig, um das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt zu erhöhen und das Potenzial grenzübergreifenden Handels voll auszuschöpfen.110 Dieser Erwägung liegt die Annahme zugrunde, dass die unionsweiten Unterschiede im Zugang und der Qualität von ADR ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr darstellen, da weder Verbraucher noch Unternehmer auf eine effiziente Streitbeilegung im Beschwerdefall vertrauen könnten.111 Allein die Existenz und Akzeptanz eines Streitbeilegungsverfahrens mit sozialer Befriedungsfunktion steigere das wechselseitige Vertrauen der Marktteilnehmer und sei Grundlage für Marktwachstum.112 Insbesondere dem Bereich des Online-Handels fehle es aufgrund der Lücken im Zugang zu ADR an Verbrauchervertrauen.113 Die so bestehenden Rechtsschutzlücken untergrüben das Vertrauen in das Unionsrecht.114 Eine einheitliche Report for Ombudsman Services, 2016, S. 54; ähnlich auch Corte´s, C.T.L.R. 21 (2015), 257, 261; ders., in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 65, 72. 109 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 422. 110 ErwG 15 ADR-Richtlinie. 111 So ErwG 6 ADR-Richtlinie, nach welchem Unternehmen sogar ihre Marktpräsenz von der Existenz hochwertiger ADR-Mechanismen abhängig machen würden. 112 So im Hinblick auf den Versicherungssektor, der Beiratsvorsitzende des Trägervereins des Versicherungsombudsmanns, Basedow, VersR 2008, 750, 751. 113 Zum binnenmarktfördernden Motiv der ADR-Richtlinie, Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 35–38. 114 Benöhr, J Consum Policy 36 (2013), 87, 88.
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und funktionierende ADR-Landschaft innerhalb der EU soll das Misstrauen der Verbraucher bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausräumen, die Nachfrage im Binnenmarkt steigern und folglich zu wirtschaftlichem Wachstum beitragen.115 Eine funktionierende ADR-Landschaft soll zudem den nationalen und unionsweiten Wettbewerb zwischen Unternehmen stimulieren. Im Bewusstsein über die Existenz effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten, sollen Verbraucher dazu befähigt werden, selbstbewusste Entscheidungen zugunsten des qualitativ höchstwertigsten Angebots zu treffen.116 Unternehmen befänden sich angesichts selbstbewusster Verbraucher sowie der Berichtspflichten der ADR-Stellen über sektorspezifische Missstände im Zugzwang, die Qualität ihres Angebots zu steigern, Preise zu senken oder sich einem ADR-Verfahren zu unterwerfen.117 Darüber hinaus stünden Unternehmen nun auch im internationalen beziehungsweise unionsweiten Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen, deren Angebot für Verbraucher aufgrund effektiver ADR-Strukturen im Sitzstaat des Unternehmens attraktiv sein mögen. 2. ADR als Instrument der Selbstregulierung Akteure in Wirtschaftssektoren mit schlechtem Image erkannten außergerichtliche Beschwerdemechanismen früh als Mittel, um das Vertrauen der Kunden in die eigene Arbeit zu stärken. Ziel der selbstregulatorischen Maßnahmen war und ist es, die Kundenbeziehungen und die Reputation der Unternehmen und des Sektors zu verbessern. Selbstregulatorische Initiativen bestimmter Wirtschaftssektoren sind, wie bereits beschrieben, Ausgangspunkt vieler ADR-Stellen in England und Deutschland.118 Wirtschafts- oder Unternehmensverbände schufen, ergänzend zu den bestehenden Regulierungsbehörden, private ADR-Mechanismen unter staatlicher Aufsicht. 115 BIS, Alternative Dispute Resolution for Consumers: Implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation – Impact Assessment, 2014, S. 2; Corte´s, Legal Studies 35 (2015), 114; zur Frage ob ADR-Stellen zu wirtschaftlichem Wachstum beitragen können, Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 596–599. 116 So die gesetzgeberischen Erwägungen im Vereinigten Königreich, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 33. 117 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 33; ähnlich dass., Alternative Dispute Resolution for Consumers: Implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation – Impact Assessment, 2014, S. 5; Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 35. 118 Gerade im Vereinigten Königreich hat sich aus der Politik und Kultur der Selbstregulierung heraus eine eigenständige Welt der Verbraucher-ADR gebildet, Creutzfeldt-Banda/ Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, 253.
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Wichtige Komponente der Selbstregulierung in England sind sektorspezifische Verhaltenskodizes (Codes of Practice), die mitunter die obligatorische Teilnahme der Branchenakteure an ADR-Verfahren vorsehen.119 Alle Ebenen des selbstregulatorischen Systems, von den Verbänden als Träger der Kodizes über die Regulierungsbehörden bis hin zur Legislative, unterliegen öffentlicher Transparenz, sodass eine hinreichende Informationsgrundlage für Kaufentscheidungen der Verbraucher gewährleistet ist.120 Für den Staat bietet das System der Selbstregulierung besonders Kostenvorteile, da regulatorische Aufgaben ausgelagert werden, der Umfang der Marktaufsicht gleichwohl hochgehalten wird.121 Die Aufsicht über Selbstregulierungsorgane betrachtet dabei mehr das Gesamtbild der Marktsituation und der Streitbeilegung, als Einzelfallentscheidungen zu kontrollieren.122 Auf Ebene der Selbstregulierungsorgane, also der Verbände, entscheiden unabhängige Gremien über die Durchsetzung und Sanktionierung der Verhaltenskodizes.123 Im unternehmerischen Interesse kann ADR ferner eingesetzt werden, um Kunden langfristig an das eigene Unternehmen zu binden.124 Besonders die vermittelnden Elemente in ADR-Verfahren seien für die Pflege und den Erhalt der Kundenbeziehungen förderlich und gegenüber einem richterlichen Streitentscheid vorzugswürdig.125 Einvernehmliche Lösungen vermögen regelmäßig die grundlegenden Interessenkonflikte der Parteien nachhaltig zu lösen und etwaig zerrüttete Beziehungen zu reparieren.126 Die aktive Befassung mit einer Be119 Das Prinzip der Selbstregulierung der Wirtschaft ist dazu geeignet, das Vertrauen der Unternehmen in das Regulierungssystem zu erhöhen und selbstwertdienliche Verzerrung (self-interest bias), das heißt zu positive Reflektion des eigenen Handelns bei gleichzeitiger Projektion eigener Misserfolge auf äußere Umstände, zu minimieren. Eingehend zu den codes of practice im Vereinigten Königreich, Hodges, ZKM 2012, 195, S. 312–337 und 402 f. 120 Black, MLR 59 (1996), 24 ff.; Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 264; hierzu auch Bertle/Vass, Self-Regulation and the Regulatory State, 2005, S. 5 f. 121 Regulierung soll somit effizienter und effektiver werden, Bertle/Vass, Self-Regulation and the Regulatory State, 2005, S. 48. 122 Vgl. Bertle/Vass, Self-Regulation and the Regulatory State, 2005, S. 53. 123 Diese Gremien werden zwar von den Verbänden verwaltet, ihre Mitglieder sollen indes zum größten Teil vom betroffenen Wirtschaftssektor unabhängig sein und anderen Interessengruppen, wie etwa Verbraucherorganisationen, angehören, weshalb sie den paritätisch besetzten Gremien in der Praxis deutscher Verbraucherschlichtungsstellen ähneln. Näher zur Selbstregulierung im Vereinigten Königreich Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 264. 124 Vgl. Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 35. 125 Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 166, 173; Brömmelmeyer, WM 2012, 337, 340; Hirsch, 2020, S. 207, 209; in diese Richtung auch Gössl, NJW 2016, 838, 839; Isermann, VuR 2018, 283, 286 f. 126 So Gill/Williams/Brennan u.a., Legal Studies 36 (2016), 438, 457; Hodges/Benöhr/ Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 421; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 299.
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schwerde hinterlasse beim Kunden, unabhängig vom Ergebnis des Verfahrens, einen positiven, vertrauensbildenden Eindruck, der nachhaltiger sein könne, als eine beschwerdefreie Transaktion.127 Diese Aufmerksamkeit sei gerade für Kunden mit sozial und finanziell schlechteren Verhandlungspositionen Ausdruck der Würde und des Respekts.128 ADR wird daher auch als „verlängerter Arm der Kundenzufriedenheit für Unternehmen“ bezeichnet.129 Von Unternehmen oder ganzen Wirtschaftssektoren kann ADR als Marketinginstrument zur Steigerung der Reputation und damit auch des Umsatzes eingesetzt werden.130 Die unternehmerische Selbstverpflichtung zur Teilnahme an ADR-Verfahren gilt, sofern diese von Verbrauchern akzeptiert wird, als Ausdruck kundenfreundlichen Beschwerdemanagements.131 Gegenüber unternehmensinternen Mechanismen erwecken externe ADR-Stellen den Eindruck erhöhter Neutralität. Umgekehrt kann sich die Verweigerung von ADR negativ auf die Reputation eines Unternehmens oder Sektors auswirken und zu einem Kundenverlust führen, sollte ein defizitäres Beschwerdemanagement in eine öffentliche Frustration der Kunden umschlagen.132 3. Öffentliche Warnsignale durch Datenerhebung und -aggregation Die Erhebung und Aggregation von Daten ist, sofern man gewichtigen Stimmen im englischen Diskurs um ADR folgt, Kernaufgabe von ADR-Systemen und bildet die Grundlage für die Regulierung unternehmerischen Verhaltens. Der Diskurs in Deutschland beschäftigt sich hingegen nur zurückhaltend mit dem Regulierungspotenzial von ADR sowie dem intensiven Austausch von Beschwerdedaten.133 127 So zumindest im Bezug auf unternehmensinterne Beschwerdemechanismen, Rule, UALR L. Rev. 34 (2012), 767, 772–776, demzufolge Vertrauen auch dann gebildet werden kann, wenn das Verfahren für den Verbraucher nachteilig endet. 128 In diese Richtung argumentierend, Ramsay, 2003, S. 17, 32 f.; hierzu aus psychologischer Perspektive, Tyler, Journal of Personality and Social Psychology 67 (1994), 850, 852 f. 129 Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Vor- und Nachteile von ADR, Isermann/ Berlin, VuR 2012, 47, 52; Riehm, JZ 2016, 866, 867 spricht bei der Einschaltung einer ADRStelle von einem Warnsignal für das Unternehmen. 130 Die Einstufung als Marketing-Instrument kann auf Verbraucherseite jedoch auch Misstrauen hervorrufen, Tonner, FS-Reich 1997, 1997, S. 861, 872; Gössl, NJW 2016, 838, 839; Schmitt, VuR 2015, 134, 139; Kotzur, VuR 2015, 243, 251; kritisch hingegen Martinek, ZVertriebsR 2016, 343, 349; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 231 erkennt zutreffend, dass der Ursprung der verbandsgetragenen Ombudsstellen in der Selbstregulierung und Marketinginteressen liegt, sodass es konsequent erschiene, ADR-Stellen nicht als Privatgerichte, sondern als freiwilliges Beschwerdemanagement von Unternehmen einzuordnen. 131 Hierzu Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 596; Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 314; Smith/Martinez, Harv. Negot. L. Rev. 14 (2009), 123, 130. 132 So Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 447, 449. 133 Ursächlich hierfür ist letztlich auch das Prinzip der strikten Trennung zwischen der
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
a) Erhebung und Aggregation von Beschwerdedaten durch ADR-Stellen Innerhalb des wirtschaftlichen Regulierungssystems soll ADR die Aufgabe der Datenerhebung und -aggregation zukommen. Die umfängliche Erfassung von Beschwerdedaten sei entscheidend für die effektive Regulierung des Marktverhaltens.134 Die durch ADR-Stellen gesammelten Beschwerdeinformationen haben ihren Puls am Marktgeschehen und können daher wichtiges Feedback für Aufsichtsbehörden, Regulierungsbehörden und andere Wirtschaftsakteure darstellen. Die durch ADR-Stellen gewonnenen Erkenntnisse (lessons learned) könnten so wieder in die entsprechenden Wirtschaftssektoren eingespeist werden.135 ADR unterstütze die behördliche Aufsichtsfunktion, indem es als eine Art Frühwarnsystem für sektorspezifische Missstände und Entwicklungen fungiere.136 Interessant seien nicht nur Beschwerdedaten aus formell durchgeführten Beschwerdeverfahren, sondern bereits sämtliche Informationen, die auf Beratungsebene erfasst wurden und Auskunft über Umstände geben, die Verbraucher verwirren oder beunruhigen.137 Dabei wird gerade das regulatorische Potenzial von ADR gegenüber der Ziviljustiz hervorgehoben. Letztere sei zwar primär auf Rechtsanwendung und die Klärung von Rechtsfragen ausgerichtet, jedoch würde nur ein geringer Anteil der Fälle, speziell solche in denen ein Urteil ergeht, öffentliche Aufmerksamkeit erregen.138 ADR-Stellen könnten die Informationen vieler verschiedener Einzelfälle effizient und kostengünstig zusammentragen und so missbräuchliche Geschäftspraktiken oder gesetzliche Regelungslücken identifizieren.139 Um das Marktverhalten vollständig abzubilden, sei ein flächendeckendes Netz möglichst homogener ADR-Stellen erforderlich.140 Zudem sollten die Daten Streitbeilegungsfunktion von ADR und den Aufgaben des Ordnungsrechts, eingehend hierzu noch unten unter Kap. 5 C. III. 134 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 355; ders., in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 355; vgl. auch Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 314, der von einer quasi-regulatorischen Rolle von Ombudsstellen spricht. 135 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 314 f. 136 Mit Bezug auf Ombudsverfahren, Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 598. 137 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 355. 138 Dies gilt umso mehr, als dass etwa 95 % der Gerichtsverfahren in Common-Law-Jurisdiktionen mit einem Vergleich enden, hierzu Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 598; s. auch Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 423. 139 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 423; Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 355; in diese Richtung auch Brönneke, 2020, S. 419, 427. 140 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 355; wohl auch Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 315.
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR
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der ADR-Stellen mit den korrespondierenden Informationen der Regulierungsbehörden zusammengeführt werden.141 Zudem könne eine horizontale (grenzübergreifende) Zusammenarbeit der verschiedenen ADR-Stellen sowie eine vertikale Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden hinzutreten. Die Öffentlichkeit des Marktgeschehens soll durch die Berichte der ADRStellen sowie der Regulierungsbehörden hergestellt werden. In den Berichten könnten sowohl wiederkehrende Themen als auch Einzelfälle, gegebenenfalls unter Nennung des konkreten Unternehmens, behandelt werden.142 Überdies könne Transparenz durch die Veröffentlichung anonymisierter Lösungsvorschläge geschaffen werden. Der Umfang und die Details der veröffentlichten Daten soll jeweils von den Gegebenheiten im jeweiligen Wirtschaftssektor und der ADR-Stelle abhängen.143 Die Anforderungen an ADR-Stellen in Umsetzung der ADR-Richtlinie waren gering, sodass das Ausmaß der Datenverarbeitung entweder von der Eigeninitiative der ADR-Stellen oder den sektorspezifischen Anforderungen der Aufsichtsbehörden abhängt.144 Anders als im Vereinigten Königreich wird der Austausch von Beschwerdedaten und deren potenziellen Einsatzmöglichkeiten in Deutschland sehr restriktiv diskutiert.145 Trotz des Wunsches nach transparenter ADR sollen ADR-Stellen im Hinblick auf ihre Neutralitäts- und Verschwiegenheitspflicht Zurückhaltung in ihrer Informationspolitik üben. Der Informationsaustausch zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen wird mit dem Argument einer strikten Trennung von Ordnungsrecht und Streitbeilegung kritisch gesehen und nur vereinzelt als positiver Beitrag zur Verschränkung von ADR und Wirtschaftsaufsicht gesehen.146 Gleiches gilt für ein Frühwarnsystem für systematisch missbräuchliches Verhalten, über welches ADR-Stellen Verbraucherverbände oder Aufsichtsbehörden informieren könnten.147 141 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 423; Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 355. 142 Jedenfalls sofern dies datenschutzrechtlich zulässig ist, Hodges/Benöhr/CreutzfeldtBanda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 423. 143 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 424. 144 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 315, der die unklare Rolle der zuständigen Behörden bei der Datenerhebung sowie das fehlende Erfordernis, einzelne Unternehmen namentlich zu erwähnen, hervorhebt. 145 Das Potenzial der Erfassung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten stellte bisher lediglich für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ein Desiderat dar, weshalb dieser eine Explorationsstudie in Auftrag gab, Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017. 146 So etwa Becklein, GPR 2012, 232, 233; für eine Ausweitung des Auskunftsrechts plädierend, Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333, 338 f. 147 Diese Forderung bei Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333, 339.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
b) Verhaltenssteuerung durch Regulierungsbehörden und ADR-Stellen Ausgehend vom Gedanken, dass die durch ADR-Stellen gesammelten Beschwerdedaten regulierungsbedürftige Fehlentwicklungen aufdecken, komme ADR zumindest mittelbar die Funktion zu, die zuständigen Stellen der Exekutive zu Regulierungsmaßnahmen zu veranlassen.148 Regulierungsbehörden könnten etwa auf einfachem Wege durch die Veröffentlichung unternehmerischen Fehlverhaltens öffentlichen Druck auf bestimmte Unternehmen ausüben und diese zu einer Verhaltenskorrektur bewegen.149 Solche Eingriffe wären für Behörden einfacher umzusetzen als formelle Maßnahmen und seien gleichzeitig dazu geeignet, die Reputation der sich regelkonform verhaltenden Unternehmen desselben Wirtschaftssektors zu schützen.150 Jedoch könnten die Folgen solcher Enthüllungen unter Umständen sogar irreführend und damit unverhältnismäßig teuer für ein Unternehmen sein.151 Der Verdacht oder die Offenbarung missbräuchlicher Geschäftspraktiken könnte ferner Anlass zu näheren Untersuchungen oder formellen Maßnahmen der zuständigen Behörde geben.152 Letztlich sollen das hohe Maß an Transparenz und der große Umfang an Marktinformationen an sich schon zu mehr Compliance der Wirtschaftsakteure führen.153 ADR-Stellen seien ferner in der Lage, durch repressive und präventive Maßnahmen unmittelbar auf das unternehmerische Verhalten einzuwirken. So könnten sie bestimmte Geschäftspraktiken oder AGB repressiv als rechtswidrig beurteilen.154 Präventiv könne das „shaming and blaming“ der ADR-Stellen eine ausreichende Drohkulisse für andere betroffenen Unternehmen aufbauen.155 Eine solche Position würde etwa dem FOS im Vereinigten Königreich zukommen, der eine obligatorische Jurisdiktion ausübt, eng mit den Regulierungsbehörden zusammenarbeitet und eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit genießt. 148 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354. 149 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 424; Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 336, 367. 150 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 424; Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 598. 151 In diesem Sinne weisen Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 424 beispielhaft darauf hin, dass etwa Beschwerdedaten einer staatlichen Agentur auf ein Problem mit Motorrädern hinwiesen, die genaue Analyse der Daten jedoch ergab, dass es sich bei den aufgeführten Beschwerdefällen lediglich um Anfragen handelte. 152 Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 598. 153 Hodges, ERA Forum 15 (2014), 593, 598. 154 So Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354, mit Beispiel direkter Maßnahmen durch den FOS. 155 Hinzu kommen der erhebliche Druck und die Sanktionsmöglichkeiten, die ADR-Stellen und Unternehmensverbände gegenüber ihren Mitgliedern einsetzen können, vgl. Hodges/ Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 422 f.
A. Diskurs um die Ziele und Funktionen von ADR
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c) Verhaltenssteuerung durch Rechtsdurchsetzung Die englische Idee, unternehmerisches Verhalten durch das umfangreiche Erheben und Austauschen von Daten zu lenken, ist der deutschen Rechtswissenschaft eher unzugänglich.156 Wenig neu ist hingegen die Erkenntnis, dass sich das Verhalten der Marktakteure am tatsächlichen Maß der Rechtsdurchsetzung ausrichtet. Vollzugsdefizite, speziell solche, die durch die rational apathische Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Verbraucherforderungen entstehen, verleiten Unternehmen zu kalkulierten Rechtsbrüchen.157 Auch wenn man bezweifeln darf, dass die Rechtstreue von Unternehmen allein von wirtschaftlichen Rationalitätserwägungen geleitet wird,158 sinken Anreize für unternehmerisches Fehlverhalten, wenn Verbraucher daraus resultierende Ansprüche effektiv geltend machen.159 Damit erkennt auch der deutsche Diskurs eine mittelbar verhaltenssteuernde Wirkung von ADR, vorausgesetzt, eine funktionierende ADRLandschaft bewirke, dass bislang nicht verfolgtes Fehlverhalten aufgedeckt und verfolgt würde.160 Dieser Umstand rechtfertige jedenfalls eine Debatte über Verhaltenssteuerung durch staatliche Intervention.161 Die Möglichkeiten überindividuellen Rechtsschutzes werden indes als effektiver gesehen, um verhaltenssteuernde Wirkungen zu erzielen.162 Die umfängliche Veröffentlichung von Beschwerdedaten bezweckt nach Hodges nicht nur die Durchsetzung bestehender Regelungen, sondern habe weitergehend sogar zum Ziel, Marktstandards zugunsten der Verbraucher zu verbessern.163 So könnte die Enthüllung missbräuchlicher Geschäftspraktiken oder Ge156 Zur Prävention und Verhaltenssteuerung durch materielles Recht in der deutschen Rechtsordnung, Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff., der Verhaltenssteuerung in diesem Zusammenhang als „heiße Kartoffel des Rechtssystems“ bezeichnet (360). 157 Eingehend Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 29–31. 158 Mit dem trefflichen Hinweis darauf, dass das Modell des Homo oeconomicus auch dann bezweifelt werden kann, wenn man nicht von der „romantischen Vorstellung eines ehrbaren Kaufmanns ausgeht“, Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 30. 159 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 31; interessant auch das Beispiel bei Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 393; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 164 f. 160 Diese Erwägungen bei Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 41. In diesem Sinne intendiert bereits das materielle Verbraucherrecht eine Verhaltenssteuerung, die erst durch die Geltendmachung in ADRVerfahren effektuiert wird; so schon Hess, ZZP 2005, 427, 440; Wagner, in: Zekoll/Bälz/ Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 392 f. 161 So Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 31. 162 So wohl Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 35; Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute Resolution, 2014, S. 369, 396–398. 163 Hodges, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and Flexibilisation in Dispute
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
setzeslücken auf verschiedenen Ebenen von Selbstregulierungsorganen über Regulierungsbehörden bis hin zur Legislative, Anstoß geben, um Lücken zu schließen, unzureichende Regelungen zu verschärfen und somit eine Anhebung der Marktstandards zu bewirken.164 Weiterhin könnten ADR-Stellen eigenständig und in Abweichung von der materiellen Rechtslage für den Verbraucher günstigere Standards anlegen, sofern dies erforderlich erscheint, um eine faire und angemessene Konfliktlösung zu ermöglichen.165 Schließlich solle der durch hohe Transparenz verschärfte Wettbewerb zu verbraucherfreundlicheren Marktbedingungen führen.166 Von transparenten Märkten sollen besonders kleine und mittelständige Unternehmen profitieren, da sie dazu befähigt würden, sich leichter über aktuelle Markttrends zu informieren, das Verhalten der Konkurrenz zu analysieren und ihr Angebot besser an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten.167
V. Erklärungsansätze für die Diskursdivergenz Unterschiede in der englisch- und deutschsprachigen Debatte um ADR, wie sie speziell im Zuge des Erlasses und der Umsetzung der ADR-Richtlinie zu erkennen sind, resultieren sowohl aus der unterschiedlichen Bedeutung und Akzeptanz von ADR sowie aus unterschiedlichen Streitkulturen in beiden Rechtsordnungen. Da die Umsetzung der Richtlinie im Vereinigten Königreich nur wenige Änderungen erwarten ließ und daher gefasst aufgenommen wurde, gaben die EU-Maßnahmen Anlass für Beiträge zu den strukturellen Effekten und der gesellschaftlichen Wirkung des Einsatzes von ADR. In Deutschland ist der Diskurs hingegen von der Befürchtung geprägt, ADR untergrabe prozessuale und materiell-rechtliche Standards und stelle die Ziviljustiz in Frage.
Resolution, 2014, S. 336, 355, „CDR systems can, if so designed, deliver very significant regulatory controls on market behaviour, and drive up market standards.“; ders., ERA Forum 15 (2014), 593, 598, „[...] collation of market information that can be put to good use in regulating and improving market behaviour.“; ders., in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354, „improving market behaviour.“; etwas vorsichtiger Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 17, 35. 164 Etwa durch die Änderung der Verhaltenskodizes der einzelnen Wirtschaftssektoren, hierzu Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 413 f. 165 Mit dieser Idee, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 413 f., die gleichwohl auf die damit einhergehenden verfassungsrechtlichen Probleme hinweisen. Näher zu den Ermessensgrenzen der Ombudspersonen unten unter Kap. 4 E. IV. und Kap. 4 F II. 3. 166 Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 354. 167 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 424 f.
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Während Verbraucher und Unternehmen in Deutschland noch wenig mit dem Einsatz von ADR in Verbrauchersachen vertraut sind, ist gerichtsnahe und -ferne ADR, nicht zuletzt aufgrund ihrer Förderung durch den Gesetzgeber, essenzieller und allseits akzeptierter Bestandteil des englischen Rechtsschutzsystems geworden. Unterschiede bestehen in der Zugänglichkeit der Ziviljustiz, die für englische Verbraucher aufgrund hoher Anwalts- und Prozesskosten168 schwer zugänglich ist.169 Der Zugang zu niedrigschwelliger ADR stellt in England daher meist die einzige Rechtsschutzmöglichkeit für Verbraucher dar. In Deutschland ist ADR sowohl für Verbraucher als auch für Juristen ein noch eher unbekanntes und skeptisch betrachtetes Terrain. Anders als im Vereinigten Königreich zeigen sich Verbraucher durchaus bereit, den Weg vor Gericht beziehungsweise den vorgeschalteten Gang zum Anwalt zu beschreiten. Die wirtschaftlichen Zugangsbarrieren zu den deutschen Gerichten sind dank Rechtsschutzversicherungen, Beratungs- und Prozesskostenhilfe sowie einer Rechtsanwaltsvergütung nach dem RVG geringer. Die englische Perspektive auf ADR und den Zugang zum Recht ist rechtssoziologischer und pragmatischer. In der Debatte steht eher der Zugang zu effizienten Streitbeilegungsmechanismen im Fokus, als dass dem Inhalt des Verfahrensergebnisses Bedeutung zukäme. Im Ergebnis solle es letztlich um einen fairen und angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien gehen. Ein höheres Maß an Rechtsdurchsetzung wird nur mittelbar bezweckt. Ausgangspunkt des deutschen Diskurses ist demgegenüber der absolute Geltungsanspruch des materiellen Rechts. Die hierin enthaltenen verbraucherschützenden Elemente sind Ausdruck marktidealer Zustände, die durch einen prozessualen Mechanismus effektuiert werden sollen. ADR wird in der Debatte daher mit der Verwirklichung materiellen Verbraucherrechts verknüpft. Gleichwohl wird zunehmend auf sprachliche Genauigkeit geachtet, sodass im Zusammenhang von ADR nur noch zurückhaltend von Rechtsdurchsetzung gesprochen wird. Der rechtlich fokussierte Blick auf ADR wird ferner durch das institutionelle Konzept deutscher ADR-Stellen mit Volljuristen und ehemaligen, renommierten Richtern befördert. Es würde den meisten Streitmittlern wohl widerstreben, Verfahren und Entscheidungen schlicht nach billigem Ermessen zu bestimmen, anstatt – wie gewohnt – Recht und Gesetz anzuwenden. Nach außen suggerieren die ADR-Stellen damit gerichtsähnliche Verfahrens- und Entscheidungsstandards.170 Eine solche Verrechtlichung findet sich in den vom Prinzip der Fairness
168 In Verfahren der small claim track haben die Parteien ihre Rechts- und Prozesskosten selbst zu tragen, r. 27.14 CPR. 169 Die zuvor ergriffenen Maßnahmen durch Prozesskostenhilfe (legal aid) und Rechtsschutzversicherungen vermochten das Kostenproblem nicht nachhaltig zu lösen. Unterschiede in der Zugänglichkeit der Ziviljustiz zwischen England und Deutschland sieht auch Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 24–26. 170 Gar von der Nachahmung des formellen Justizsystems sprechend, Creutzfeldt, Om-
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
geleiteten und nicht notwendigerweise von Juristen durchgeführten ADR-Verfahren im Vereinigten Königreich nicht wieder.171 Die Unterschiede im Diskurs zwischen beiden Rechtsordnungen sind ferner streitkulturell bedingt. Verbraucher in England erwarten primär eine effiziente und interessengerechte Konfliktlösung, um mit dem Problem pragmatisch abzuschließen und fortzuschreiten. Sie möchten mit ihrer Beschwerde respektiert und gehört werden und unternehmerisches Fehlverhalten entschuldigt wissen.172 Verbraucher in Deutschland scheinen demgegenüber – zumindest im Hinblick auf die vollständige Realisierung ihrer Forderungen – streitlustiger zu sein. Die möglichen Vorzüge konsensorientierter Verfahren, gerade für Konflikte mit geringem Streitwert, sind im gesellschaftlichen Denken noch nicht verankert. Mit den Worten Jhering’s scheint der „Kampf um’s Recht“ nicht nur im Auftrag der Allgemeinheit, sondern gerade im Individualinteresse dominant zu sein. Entsprechend zielen die Verbrauchererwartungen an ADR in Deutschland auf ein rechtliches, individualgerechtes Ergebnis ab.173 Dies ist mitunter darauf zurückzuführen, dass sich deutsche Verbraucher in ADR-Verfahren häufig anwaltlich vertreten lassen, sodass ihre Vorstellungen durch den Einfluss ihres Rechtsbeistands mitgeprägt sind.174 Im Kern steht der britische Entwurf möglichst effizienter, interessengerechter Streitbeilegung der deutschen Idee gegenüber, in ADR-Verfahren möglichst wenig Individualgerechtigkeit aus Effizienzgründen zu opfern. Zum anderen stehen die Konzepte erwarteter Verfahrensgerechtigkeit (procedural justice) und erwarteter formeller Gerechtigkeit (formal justice) gegenüber. Die englische Streitkultur setzt damit vermehrt auf einvernehmliche Ergebnisse, die den Interessen der Parteien entsprechen und am Ende eines fairen Verfahrens stehen sollen. Demgegenüber entspricht es eher der deutschen Streitkultur, Gerechtigkeit durch einen formellen, auf Rechtsanwendung basierenden Streitentscheid zu lösen. budsmen and ADR, 2018, S. 111; ähnlich Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 213. 171 Dies bedeutet keineswegs, dass sich ADR in England im rechtsfreien Raum bewegt. Zum Fair-and-reasonable-Standard in englischen ADR-Verfahren schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 215–220 und noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. 172 Die Erwartungen der Verbraucher in Deutschland sind damit rechtlicher formuliert, als die der Verbraucher im Vereinigten Königreich. Zum „typischen“ britischen Beschwerdeführer, Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 112–114; ähnlich dies., Trusting the middleman: Impact and legitimacy of ombudsmen in Europe, 2016, S. 22 f. 173 Den gewöhnlichen Beschwerdeführer in Deutschland zeichnend, Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 110 f.; ähnlich dies., Trusting the middle-man: Impact and legitimacy of ombudsmen in Europe, 2016, S. 22 f. 174 Nach den empirischen Ergebnissen von Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 56, sei es nicht unüblich, dass sich Verbraucher in Deutschland anwaltlich vertreten lassen. Empirisch scheint das VSBG daher nicht auf ein faktisch anwaltloses Verfahren hinzuwirken, so die rein rechtlich plausible Vermutung von Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 196. Obwohl für außergerichtliche Rechtskosten nach dem VSBG kein Ersatz verlangt werden kann, könnte die häufige anwaltliche Vertretung mit dem üblichen Rechtsversicherungsschutz der deutschen Verbraucher zu erklären sein.
B. Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen
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B. Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die vielschichtigen, in der Literatur diskutierten, Wirkungsweisen und Versprechen von ADR tatsächlich Rückhalt in den gesetzlichen Regelungen und der ADR-Praxis finden oder doch eher von einer ADR-Utopie geprägt sind. Während die englische ADR-Landschaft durchaus als Regulierungsinstrument wahrgenommen wird, funktioniert ADR in Deutschland mehr als ein gerichtsähnliches Streitbeilegungsinstrument.
I. ADR als Regulierungsinstrument in England Das Rechtssystem im Vereinigten Königreich ist mit der Nutzung von ADR in Verbrauchersachen vertraut. Ausweislich der abstrakten gesetzgeberischen Erwägungen scheint der Zweck von ADR nicht weit über die Aufgabe effektiver Streitbeilegung hinauszugehen. Verschiebt man den Blick hingegen auf die ADRPraxis, so lassen sich – ausgehend vom Potenzial zur Datenerhebung – einige der in der Literatur aufgeführten Funktionsweisen wiedererkennen. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die Reflektion von ADR in der englischen Gesetzgebung sowie der Rechtsprechung und zeigen die potenziellen Aufgaben von ADR-Stellen anhand zweier Praxisbeispiele auf. 1. ADR in den Civil Justice Reports Die bereits einleitend dargestellten Woolf-Reformen vergrößerten Mitte der 1990er Jahre schlagartig die Bedeutung von ADR. Seither treffen die Civil Justice Reports Aussagen zu den Funktionen und Aufgaben von ADR, wenngleich diese freilich mehr auf gerichtsnahe als auf gerichtsferne ADR gemünzt sind. In den Woolf-Reporten wird ADR wie auch den Gerichten zunächst die Funktion zugeschrieben, für eine faire, angemessene und effektive Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten zu sorgen.175 ADR könne primär die Justiz und den Staatshaushalt entlasten und weise gegenüber dem Zivilprozess Effizienzvorteile auf.176 ADR trage durch eine frühestmögliche und einvernehmliche Streitbeilegung dazu bei, die Einschaltung der Gerichte möglichst zu verhindern beziehungsweise den Zivilprozess um kooperative Elemente zu ergänzen, die einen Vergleich zwischen den Parteien fördern.177 Ferner betont Woolf die größere Flexibilität gerichtsferner ADR aufgrund weiterreichender Ermittlungsbefugnisse
175 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 1. 176 ADR sei speziell günstiger, schneller und zugänglicher als Gerichtsverfahren, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 2. 177 Woolf, Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Sec. I, Rn. 9 f.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
der Ombudspersonen sowie der Möglichkeit interessengerechter Verfahrensergebnisse, die bei strikter Rechtsanwendung nicht immer möglich wären.178 Richter sollen die Nutzung von ADR streitwertunabhängig fördern.179 Der Erfolg privater Ombudsstellen hänge zwar von deren unabhängigen Stellung außerhalb des Gerichtssystems ab, jedoch begrüßt Woolf ausdrücklich eine Kooperation mit der Ziviljustiz, etwa im Rahmen eines Vorlageverfahrens für Rechtsfragen.180 In der Post-Woolf-Ära wurde ADR primär als essenzielles Instrument zur effizienten Streitbeilegung und Entlastung der Justiz gesehen. In diesem Sinne spricht auch Jackson speziell einvernehmlichen ADR-Formen, wie der Mediation und der Verhandlung, eine entscheidende Rolle für eine Reduzierung der Prozesskosten zu.181 Zudem hebt er, wie auch Woolf, die Möglichkeit interessengerechter Lösungen hervor, die eben kein Abbild der materiellen Rechtslage zu sein haben.182 Nach diesem Verständnis bezweckt ADR nicht Rechtsdurchsetzung, sondern eine effiziente Streitbeilegung mit hoher Parteienzufriedenheit. Jackson sieht ADR daher nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz für die Zivilgerichtsbarkeit.183 Parteien sollen zwar zur Nutzung von ADR ermutigt, aber keinesfalls gezwungen werden.184 Den Briggs-Reporten zu der Struktur der englischen Zivilgerichtsbarkeit lässt sich eine negative Abgrenzung der Funktionen von ADR entnehmen, die sich daraus ergibt, dass die Zwecke der Ziviljustiz gegenüber ADR hervorgehoben werden. Vor dem Hintergrund, dass mehr Streitigkeiten durch einen stark wachsenden ADR-Markt als durch die Zivilgerichte bewältigt würden,185 müsse eine zugängliche Ziviljustiz Garant für Rechtsstaatlichkeit bleiben.186 Dies folge aus der Stellung der staatlichen Gerichtsbarkeit als verfassungsmäßiger Garant für den Geltungsanspruch der Rechtsordnung und für die Anwendung und Weiter-
178 Interessanterweise wird die fehlende Rechtsbindung nicht negativ konnotiert, obwohl der Report ja gerade eine Reform der Zivilgerichtsbarkeit und Förderung ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zum Ziel hat, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 10 f. und 17. 179 Nachdruck soll den richterlichen Empfehlungen durch Kostensanktionen für die unangemessene Verweigerung von ADR verliehen werden, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 34; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Recommendation 41. 180 Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Kap. 18, Rn. 18, Interim Recommendation 64. 181 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Executive Summary, Rn. 6.3, Kap. 36, Rn. 1.2 f. 182 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, Kap. 4, Rn. 2.1; ders., Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 46, Rn. 1.2. 183 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, Kap. 4, Rn. 3.2; ders., Review of Civil Litigation Costs: Preliminary Report, 2009, Kap. 4, Rn. 2.4. 184 Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 3.4. 185 Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 2.22. 186 Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 2.23 und 2.93.
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entwicklung des Rechts sowie als Lückenschließer für Bereiche ohne ADRAbdeckung.187 Demnach übt die Ziviljustiz vor allem eine rechtsstaatliche Funktion aus, indem sie Individualgerechtigkeit gewährleisten soll, anstatt nur für Streitbeilegung zu sorgen.188 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sich der Zweck von ADR aus dieser Perspektive bereits in der Streitbeilegungsfunktion erschöpft. 2. Gesetzgeberische Erwägungen zur Förderung und Integration von ADR Das durch die Zivilprozessreformen gesteigerte Interesse an ADR führte in verschiedenen Wirtschaftsbereichen zur Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die bis dahin oft selbstregulatorisch organisierten ADR-Strukturen. Die Gesetzgebungsvorhaben lassen, sofern sie nicht ausschließlich von der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben geprägt sind, die Motive und Gedanken des Gesetzgebers zur Förderung von ADR sowie zur Stellung von ADR im Rechtssystem erkennen. Leitbild der englischen Gesetzgebung ist das Ombudsverfahren. Der Financial Services and Markets Act 2000 (FSMA 2000) setzt einen rechtlichen Rahmen für die Zusammenlegung der seinerzeit bestehenden acht ADRMechanismen im Finanzsektor unter dem Dach des Financial Ombudsman Service (FOS). Entsprechend dem verbraucherschützenden Regulierungsziel des Gesetzes soll der FOS, als einzige ADR-Stelle mit weitestgehend zwingender Jurisdiktion, eine effiziente Beilegung von Verbraucherbeschwerden ermöglichen.189 Diese Beschwerdemöglichkeit sei notwendig, da kein Regulierungssystem die ausnahmslose Befolgung der Regeln sicherstellen könne.190 Die Rationalisierung der ADR-Strukturen solle Verwirrungen über die einzelnen Zuständigkeitsbereiche beseitigen.191 Die asymmetrische Teilnahmeverpflichtung von Unternehmen gewährleiste, dass Verbrauchern im Beschwerdefall tatsächlich zugänglicher Rechtsschutz zur Verfügung steht. Der verbraucherberatenden Funktion von ADR-Stellen ist insofern Rechnung getragen, als dass der FOS ermächtigt wird, Informationen, Hinweise und Empfehlungen nach eigenem Ermessen zu veröffentlichen.192 Der englische Ge-
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Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 2.23. „[...] the civil courts exist primarily, and fundamentally, to provide a justice service rather than merely a dispute resolution service.“, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 2.87. 189 Vgl. sec. 225(1) FSMA 2000, Explanatory notes zum Financial Services and Markets Act 2000, Rn. 32, 441, abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2000/8/notes/c ontents. 190 Joint Committee on Financial Services and Markets, First Report, 1999, Rn. 282. 191 Great Britain Treasury, Financial Services and Markets Bill: A Consultation Document, 1998, Rn. 10.1. 192 Sch. 17 para. 8 FSMA 2000; Explanatory notes zum Financial Services and Markets Act 2000, Rn. 835, abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2000/8/notes/conte nts. 188
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setzgeber intendierte den Verbraucherschutz im Finanzsektor mit der Errichtung des FOS zu stärken und zielte zumindest mittelbar darauf ab, Unternehmen angesichts einer effektiven Rechtsschutzmöglichkeit zu rechtskonformen Verhalten zu bewegen. Mit dem Regulierungsziel des Verbraucherschutzes weitet der Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007 (CEAR Act 2007) die ADR-Strukturen auf den Energie- und Postsektor193 sowie den Bereich der Immobilienvermittlung aus, wobei sich der Gesetzgeber an den existierenden ADR-Strukturen im Finanzund Telekommunikationssektor orientierte.194 Im Telekommunikationssektor hatte sich ADR infolge des Communications Act 2003 etabliert, welchem jedoch neben den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie)195 kaum eigenständige gesetzgeberische Erwägungen zugrunde liegen. Beim Erlass des CEAR Act 2007 sah der Gesetzgeber einfache und effektive Rechtsschutzmöglichkeiten als grundlegende Voraussetzung für mündige Verbraucher und kompetitive Märkte an. Im Gesetzgebungsverfahren sprachen sich dementsprechend fast alle angehörten Interessenvertreter für die Etablierung von ADR aus.196 Selbstvertrauen sollen Verbraucher daraus schöpfen, dass sie auf die Beilegung ihrer Beschwerden und – sofern berechtigt – auf Entschädigungszahlungen vertrauen dürfen.197 Eine asymmetrische Teilnahmepflicht198 für Unternehmen wurde vor dem Hintergrund getroffen, dass Beschwerden bis dato durch sektorspezifische Verbraucherorganisationen, wie „Energywatch“, behandelt wurden, diese jedoch nicht dazu ermächtigt waren, Energieanbietern Entschädigungen aufzuerlegen.199 Überdies setzte das vorherige System keine Anreize für ein unternehmensinternes Beschwerdemanagement, da dessen Finanzierung unabhängig von der Anzahl der Beschwerden durch allen Unternehmen erfolgte. Entsprechende Anreize sollten nunmehr durch ADR-Mechanismen gesetzt werden, die sich größtenteils durch Fallgebühren finanzieren.200 193
Zum Anwendungsbereich des Gesetzes, sec. 42 CEAR Act 2007. Mit Bezügen zu beiden Sektoren, FOS, redress (URN 06/682), 2006, S. 23. 195 Insbesondere Art. 34 Universaldienstrichtlinie. 196 Department for Business, Enterprise & Regulatory Reform, Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007: Impact assessment for extension of redress schemes to the gas, electricity and postal services sectors (URN 08/1243), 2008, S. 8. 197 Hierzu FOS, redress (URN 06/682), 2006, S. 23 f.; Department for Business, Enterprise & Regulatory Reform, Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007: Impact assessment for extension of redress schemes to the gas, electricity and postal services sectors (URN 08/1243), 2008, S. 19 und 24. 198 Die Pflicht zur Mitgliedschaft bei einer anerkannten ADR-Institution ergibt sich für den Energiesektor aus sec. 47 CEAR Act 2007 i. V. m. sec. 3 Gas and Electricity Regulated Providers (Redress Scheme) Order 2008. 199 FOS, redress (URN 06/682), 2006, S. 23 f. 200 Department for Business, Enterprise & Regulatory Reform, Consumers, Estate Agents and Redress Act 2007: Impact assessment for extension of redress schemes to the gas, electricity and postal services sectors (URN 08/1243), 2008, S. 6 f. 194
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ADR komme die Kernaufgabe zu, Beschwerden zu untersuchen, aufzuklären und mittels einer Empfehlung des ADR-Anbieters einer Lösung zuzuführen.201 Hervorgehoben wird die Bedeutung der Neutralität des ADR-Mechanismus für den Zweck der Streitbeilegung.202 Die Beratung und Interessenvertretung von Verbrauchern sollte daher nicht zur Aufgabe von ADR werden, sondern starken Verbraucherorganisationen vorbehalten bleiben.203 Im gleichen Jahr wurde das System zur Regulierung des Rechtsdienstleistungssektors reformiert. Durch den Legal Services Act 2007 wurde neben dem Legal Service Board, dem politisch und finanziell unabhängigen Aufsichtsorgan des Sektors, das Office for Legal Complaints (OLC) gegründet, das den Legal Ombudsman (LeO) betreibt. Hintergrund der Reform war die Intransparenz der bestehenden Strukturen, im Rahmen derer die Aufgaben auf eine Vielzahl kleinerer Selbstregulierungsorgane verteilt waren, sodass dem Bedürfnis der Verbraucher nach klarer und branchenunabhängiger Regulierung nicht ausreichend Rechnung getragen wurde.204 Zuvor stand Verbrauchern nur der Beschwerdeweg zu den Berufsverbänden offen, in deren unabhängige Streitbeilegung kein hinreichendes Vertrauen bestand.205 Nach Ansicht des englischen Gesetzgebers sollten sich die neuen Strukturen auf Verbraucherinteressen fokussieren und dabei keinerlei Zweifel an der Unabhängigkeit des Systems aufkommen lassen.206 Neben dem Angebot effizienter Streitbeilegung207 sollte der ADR-Mechanismus zudem die Standards im Rechtsdienstleistungssektor identifizieren und vereinheitlichen.208 Darüber hinaus unterstützt das zuständige Ministerium nachdrücklich, dass der ADR-Mechanismus die Öffentlichkeit durch die Publikation von Beschwerdedaten über die Qualität der Rechtsdienstleister informiert.209 Die Informati201
FOS, redress (URN 06/682), 2006, S. 23. Vgl. FOS, redress (URN 06/682), 2006, S. 24. 203 Neben der Kontaktstelle „Consumer Direct“ wurde der „National Consumer Council“ durch den CEAR Act 2007 geschaffen, der die sektoralen Verbraucherorganisationen, wie Energywatch und Postwatch, zusammenführte, später unter dem Namen „Consumer Focus“ bzw. „Consumer Futures“ agierte und nunmehr im Netzwerk Citizens Advice integriert ist. 204 Das zuständige Ministerium bezeichnet die damals existierenden Strukturen als „regulatory maze“ (frei übersetzt: Regulierungslabyrinth), Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 19. 205 Von den Berufsverbänden (teilweise) abgelehnte Beschwerden konnten indes vor den Legal Services Ombudsman gebracht werden, Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 23. 206 So ist einer der Leitgedanken der Reformen „Putting Consumers First“, Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 19. Vertrauen in die Unabhängigkeit des OLC soll besonders dadurch geschaffen werden, dass die Gremienmitglieder keine Anwälte sind. 207 Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 63. 208 Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 23. 209 Diese Transparenz liege nicht nur im Interesse der Verbraucher, sondern kompensiere 202
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onen sollen mit den Berufsverbänden geteilt werden, um systematische Probleme identifizieren zu können und eine Dopplung des Ermittlungsaufwands zu vermeiden.210 Das zuständige Ministerium erkannte bei Erlass des Legal Services Act 2007 daher das enorme Datenerhebungspotenzial von ADR-Mechanismen sowie die Bedeutung dieser Daten für Verbraucher und Regulierungsaufgaben. Mit den ADR Regulations bezweckte die Regierung des Vereinigten Königreichs primär die aus der ADR-Richtlinie erwachsende Umsetzungsverpflichtung zu erfüllen.211 Entsprechend den unionsrechtlichen Mindestvorgaben soll der Zugang für Verbraucher zu ADR verbessert werden. Demgegenüber stellten die Zivilgerichte aus Sicht des zuständigen Ministeriums nur eine für Verbraucher abschreckende und teure Rechtsschutzmöglichkeit dar.212 ADR sei als effizientes Streitbeilegungsinstrument wichtiger Bestandteil der Verbraucherschutzlandschaft.213 Offen bleibt nach den gesetzgeberischen Erwägungen, ob ADR darüber hinausgehende verbraucherschützende Aspekte, wie die Beratung oder Vertretung von Verbraucherinteressen, verfolgen soll.214 Das durch ADR gestärkte Verbrauchervertrauen in die Märkte solle den Wettbewerb zwischen Unternehmen sowie das Wirtschaftswachstum fördern.215 Da die Marktstellung der Verbraucher verbessert werden soll, wirken die Maßnahmen mittelbar verhaltenssteuernd. In Wirtschaftsbereichen, in denen keine asymmetrische Teilnahmepflicht besteht, sind diese Steuerungswirkungen – wenn überhaupt vorhanden – gering und eher Ausdruck sich ändernder Marktdie Informationslücke der einzelnen Berufsverbände, die durch den Wegfall des eigenen Beschwerdemanagements entstünde, Department for Constitutional Affairs, The Future of Legal Services: Putting Consumers First CM 6679, 2005, S. 64. 210 Überschneidungen können sich insofern ergeben, dass Verhalten von Rechtsdienstleistern sowohl für Verbraucherbeschwerden als auch für die Sanktionierung von berufsrechtlichen Fehlverhalten durch die Berufsverbände relevant sein kann. 211 BIS, Alternative Dispute Resolution – Impact assessment, 2014, S. 8; hierzu bereits oben unter Kap. 2 D. V. 1. a). 212 Dementsprechend würde nur ein kleiner Teil der Verbraucherbeschwerden die Gerichte erreichen, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 15; dass., Alternative Dispute Resolution – Impact assessment, 2014, S. 7. 213 BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 33; dass., Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 14. 214 Zum Zwecke der Verbraucherberatung wurde jedoch ein von Citizens Advice betriebener „consumer helpdesk“ geschaffen, dessen Webseite ist abrufbar unter https://www.citiz ensadvice.org.uk/consumer/alternative-dispute-resolution/settling-out-of-court. 215 BIS, Alternative Dispute Resolution – Impact assessment, 2014, S. 8. Verbraucher würden auf die besten Angebote zurückgreifen und Anreize für Unternehmen setzen, innovativ um Kunden zu kämpfen, dass., Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 33.
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verhältnisse als des in der Literatur postulierten regulatorischen Potenzials von ADR. Der Konsultationsprozess berücksichtigt das Datenerhebungspotenzial der ADR-Stellen nicht und geht daher nicht auf etwaige Funktionen von ADR als Frühwarnsystem oder Instrument zur Verbesserung der Marktstandards ein.216 3. Reflektion gesetzlicher Ombudsstellen in der Rechtsprechung Aufgrund ihrer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage üben die statutory ombudsman schemes eine öffentlich-rechtliche Funktion aus, sodass ihre Handlungen und damit auch ihre Entscheidungen in den engen Grenzen der judicial review gerichtlich überprüfbar sind.217 Zwar fokussieren die gerichtlichen Entscheidungen primär auf die konkreten tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen, lassen jedoch vereinzelt den Blick des Gerichts auf gerichtsferne ADR erkennen.218 Entsprechend den gesetzlichen Grundlagen weisen die gerichtlichen Entscheidungen zunächst auf die Funktion und Aufgabe der Ombudsstellen zur effizienten und effektiven Streitbeilegung hin.219 Die englische Rechtsprechung respektiert die spezifischen Charakteristika von ADR, anstatt ADR als ungewollten Fremdkörper zu betrachten. So berücksichtigen einige Entscheidungen die inquisitorische Natur von ADR-Verfahren im Vergleich zum kontradiktorischen Zivilprozess220 sowie die Untersuchungsbefugnisse der Ombudspersonen.221 Beweisstücke müssen, anders als im Zivilprozess, nicht im Rahmen eines Kreuzverhörs (cross-hearing) angreifbar sein; die Notwendigkeit einer mündli216 Hierbei handelt es sich ohnehin um Details, die für die einheitliche Umsetzung der ADR-Richtlinie für die gesamte vielfältige ADR-Landschaft im Vereinigten Königreich keine erhebliche Rolle spielt. 217 Die Möglichkeit der judicial review besteht in England und Wales bei der Administrative Bench des High Court. Der judicial review unterliegen u. a. die Entscheidungen des Financial Ombudsman Service, des Pensions Ombudsman sowie des Legal Ombudsman, hierzu noch unten unter Kap. 4 D. II. 1. b). 218 Eine Untersuchung der durch die englische Rechtsprechung festgesetzten Ermessensgrenzen folgt unten unter Kap. 4 E. IV. 1. d). Zur gerichtlichen Behandlung des Fair-andreasonable-Standards schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 217–221. 219 Hillsdown Holdings Plc v The Pensions Ombudsman [1997] 1 All ER 862, [1996] Pens. L.R. 427 Rn. 12 f.; R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 20. 220 Der Argumentation des FOS insofern folgend, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 15 und 23; zustimmend R. (on the application of Keith Williams) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWHC 2142 (Admin), 2008 WL 3909395 Rn. 26; Dolphin Packaging Materials Ltd v The Pensions Ombudsman (1995) OPLR 331, [1996] Pens. L.R. 95 Rn. 18; Hillsdown Holdings Plc v The Pensions Ombudsman [1997] 1 All ER 862, [1996] Pens. L.R. 427 Rn. 105. 221 Der Pensions Ombudsman hätte insofern auch eine „important fact-finding role“ deren Ausübung in seinem Ermessen steht, R (on the application of Richard Parish) v The Pensions Ombudsman [2009] EWHC 32 (Admin), [2009] Pens. L.R. 91 Rn. 8.
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chen Verhandlung kann sich allenfalls dann ergeben, wenn sie zum Zwecke einer fairen Streitbeilegung unerlässlich ist.222 Ferner berücksichtigen und akzeptieren die Gerichte die abweichenden Beweisregeln in Ombudsverfahren, die unter anderem die Verwertung von Beweisen zulassen, die im Zivilprozess nicht verwertet werden könnten.223 Der Maßstab der gerichtlichen Überprüfung von ADR-Entscheidungen ist sehr eng und begrenzt sich auf die Frage, ob das Verfahren oder die Entscheidung der Ombudsstelle im konkreten Fall irrational oder willkürlich war.224 Die Hürde ist umso höher, berücksichtigt man das weite Ermessen der Ombudspersonen, die eine Beschwerde danach entscheiden, was sie im konkreten Fall als fair und angemessen (fair and reasonable) bewerten.225 Die englischen Gerichte zeigen sich mithin zurückhaltend, Entscheidungen von Ombudspersonen aufzuheben und achten ihre subjektiven Auffassungen sowie die spezifischen Umstände226 der Entscheidungsfindung. Die Rechtsprechung respektiert, dass sich die Entscheidungen in ADR-Verfahren auch außerhalb des materiellen Rechts bewegen dürfen.227 Schon dem Namen nach sollen ADR-Verfahren ja gerade eine Alternative zum gerichtlichen Verfahren darstellen.228 Deshalb seien die Entscheidungen mit einem gewissen
222 R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 61; hierzu auch R. (on the application of Chancery (UK) LLP) v The Financial Ombudsman Service Ltd and another [2015] EWHC 407 (Admin), 2015 WL 685409 Rn. 129. 223 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 18 and 20. Näher zu den Beweisregeln in Ombudsverfahren noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. d) ee). 224 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 21 m. w. N.; Ejiofor t/a Mitchell and Co Solicitors v Legal Ombudsman and another, High [2016] EWHC 1933 (Admin), [2016] 4 Costs L.R. 759 Rn. 42. 225 Insoweit kann gerade auch das subjektive Empfinden der Ombudsperson zum Tragen kommen, R. (on the application of IFG Financial Services Ltd v Financial Ombudsman Services Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 13; R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 20 f. 226 Die Aufgabe des Ombudsmanns sei keine Leichte, da sich trotz der Vorgabe einer günstigen und schnellen Streitbeilegung, die Notwendigkeit einer vorsichtigen Bewertung und Begründung des Falls ergibt; gerade wenn es um Beschwerden geht, deren Implikationen über den Einzelfall hinausgehen, R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v The Financial Ombudsman Service Ltd (formerly Building Societies Ombudsman Company Limited) [2002] EWHC 2379 (Admin), 2002 WL 31476397 Rn. 79. 227 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 36 f., R. (on the application of IFG Financial Services Ltd v Financial Ombudsman Services Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 13; R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 36. 228 „There is no requirement that processes (or indeed decisions) should mirror those of the courts. On the contrary this is an alternative method of resolving disputes.“, Westscott Fi-
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Maß an Wohlwollen zu lesen.229 Der Fair-and-reasonable-Standard wird dabei nicht als willkürlich oder unvorhersehbar betrachtet.230 Nach Auffassung des Court of Appeal sei es sogar möglich, in der Fair-and-reasonable-Jurisdiktion (des FOS) nicht nur einen alternativen Streitbeilegungsservice, sondern eine wichtige neue Rechtsquelle zu sehen.231 Sofern die untersuchten gerichtlichen Entscheidungen das größere Regulierungskonzept der Wirtschaftssektoren in den Blick nehmen, komme ADR – wie bereits eingangs erwähnt –232 eine dem Verbraucherschutz dienende Streitbeilegungsfunktion zu.233 Regulatorische Aufgaben werden ADR jedoch nicht zugeschrieben. Vielmehr wird – wie im Falle des FOS – die Unabhängigkeit des ADRMechanismus von der Regulierungsbehörde als wesentliches Merkmal hervorgehoben.234 Keineswegs sei ADR grundsätzlich ungeeignet, auch einer Vielzahl komplexer Streitigkeiten zu klären.235 4. Funktionsweisen des Financial Ombudsman Service am Beispiel der PPIThematik Die Aufarbeitung des Skandals des englischen Finanzsektors im Zusammenhang mit dem Verkauf von Restschuldversicherungen, sogenannten Payment Protection Insurances (PPIs), stellten den FOS236 vor enorme organisatorische Heraus-
nancial Services Ltd, CBHC LLP, DTE Risk and Financial Management Ltd v The Financial Ombudsman Service Ltd [2014] EWHC 3972 (Admin), 2014 WL 6686167 Rn. 36. 229 „Ombudsman’s decisions are to be read with a degree of benevolence and should not be construed as if they were statutes or judgments nor subjected to pedantic exegesis.“, R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 25 f. 230 Hierzu R. (on the application of Chancery (UK) LLP) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2015] EWHC 407 (Admin), 2015 WL 685409 Rn. 126: „I am not persuaded either that the concept of an outcome which is ,just, fair, and reasonable‘ is intrinsically worrying, or properly encapsulated as a ,rule of thumb‘, with connotations of a crude or casual assessment.“; mit beiläufiger Kritik am unscharfen Fair-and-reasonable-Standard hingegen, R. (on the application of Aviva Life & Pensions (UK) Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2017] EWHC 352 (Admin), 2017 WL 00737358 Rn. 73 (per Jay J). 231 „Ultimately, of course, it will be for Parliament to decide on changes, if any, to our law. However, it is possible to see in the ,fair and reasonable‘ jurisdiction of the ombudsman the source not merely of an alternative dispute resolution service but of an important new source of law.“, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 88. 232 Siehe etwa Kap. 1 A. I. 1. 233 Zu den Zielen des Legal Services Act 2007, R. (on the application of Kerman & Co LLP) v The Legal Ombudsman [2014] EWHC 3726 (Admin), [2015] 1 W.L.R. 2081 Rn. 61 f. 234 So ausdrücklich, R. (on the application of Calland) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2013] EWHC 1327 (Admin), 2012 WL 7870291 Rn. 24 f. 235 So im Ergebnis, R. (on the application of Chancery (UK) LLP) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2015] EWHC 407 (Admin), 2015 WL 685409 Rn. 126. 236 Zum FOS bereits oben unter Kap. 2 C. II. 1. a).
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forderungen. Die Bewältigung der Beschwerden und der Problematik durch den FOS in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regulierungsbehörden237 porträtiert eindrücklich die vielfältigen Funktionen des FOS und dessen drei zentralen Rollen im Rahmen des bestehenden Regulierungskonzepts im Finanzsektor. Gleichwohl sind die Ergebnisse immer vor dem Hintergrund zu betrachten, dass es sich beim FOS nicht nur um eine der größten und renommiertesten ADRStellen, sondern um eine gesetzlich statuierte Institution mit weitestgehend zwingender Jurisdiktion handelt. Zwar verbietet sich eine allgemeine Übertragung der Erkenntnisse auf andere ADR-Stellen, jedoch werden die potenziellen Funktionen solcher Mechanismen anhand dieses Beispiels deutlich. a) Hintergrund der PPI-Thematik Der systematische, missbräuchliche Verkauf von PPIs stellt einen der größten Skandale des Finanzdienstleistungssektors im Vereinigten Königreich dar. Bei PPIs handelt es sich um zusätzliche Kreditsicherheiten, die das Ausfallrisiko des Kreditnehmers, etwa im Falle seines Todes, krankheitsbedingten Arbeitsausfalls oder der Arbeitslosigkeit, decken sollen. Besichert wurden zumeist Hypotheken (mortgages), Kreditkarten oder andere unbesicherte Darlehen. Getrieben von der hohen Rentabilität des Produkts wurden im Vereinigten Königreich, hauptsächlich zwischen 1990 und 2010, insgesamt etwa 64 Millionen PPIs verkauft, deren Prämienzahlungen sich auf etwa GBP 45 Milliarden beliefen.238 Die zugrunde liegenden Verkaufspraktiken waren aus verschiedenen Gründen missbräuchlich.239 Teilweise waren sich Kunden des Abschlusses einer PPI nicht bewusst, da diese beim Verkauf des zu besichernden Produkts nicht gesondert ausgewiesen wurden. Des Weiteren wurden Kunden entweder zum Abschluss einer PPI gedrängt oder es wurde der Eindruck erweckt, der Abschluss der PPI sei obligatorisch. Nicht selten überstieg die maximal zu erwartende Auszahlung aus der PPI nur knapp deren Kosten. Überdies war die Aufklärung über die Reichweite der PPI sowie deren Ausschlusstatbestände in vielen Fällen unzureichend.240 Zwar wurde der FOS erstmals im April 2001 auf PPIs aufmerksam,241 jedoch wurde die Tragweite der Problematik erst 2005 deutlich.242 Von besonderer Be237 Zunächst erfolgte die Zusammenarbeit mit der Financial Services Authority (FAS) und seit April 2013 dann mit ihrer Nachfolgerin, der Financial Conduct Authority (FCA). 238 So die Daten der FCA, wiedergegeben von FOS, ombudsman news – issue 142, 2017, S. 1–3; s. auch die Informationen zu PPIs auf der Webseite der FCA, abrufbar unter https://w ww.fca.org.uk/ppi/ppi-explained. 239 Zu den nachfolgenden Gründen die widerlegbaren Vermutungen für missbräuchliche Transaktionen DISP App. 3.6.1G FCA Handbook. 240 Die Erfahrungen des FOS zeigen, dass die mangelnde Aufklärung oft durch fehlenden Sachverstand der Verkaufspersonen in diesem Bereich geschuldet war, FOS, ombudsman news – issue 50, 2005, S. 1. 241 Erste Beschwerden ließen bereits erkennen, dass die Kunden meist nur unzureichend aufgeklärt wurden oder der Abschluss einer PPI für sie ungeeignet war, FOS, ombudsman
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deutung für die Aufarbeitung der PPI-Verkäufe war die Einleitung des Widerimplications-Verfahren durch den FOS, der die FSA offiziell auf die weitreichenden Folgen der Geschäftspraktiken aufmerksam machte.243 Insbesondere erschien es nicht sachgerecht, Verbrauchern die Beweislast aufzuerlegen und sich bei der Geltendmachung von Beschwerden auf die Eigeninitiative der Kunden zu verlassen. In der Folge nahm die FSA Änderungen in ihrem Handbook vor, die den beaufsichtigten Unternehmen Anleitungen zum Umgang mit PPI-Beschwerden und den relevanten Entscheidungsgrundlagen gab sowie unter bestimmten Voraussetzungen widerlegbare Vermutungen für missbräuchliche Verkäufe aufstellte.244 Darüber hinaus wurden den Finanzdienstleistern eine sogenannte root cause analysis auferlegt, in deren Rahmen die Unternehmen intern missbräuchliche Verkäufe aufdecken sollten und anschließend aktiv auf betroffene Kunden zwecks einer möglichen Entschädigung zuzugehen hatten.245 Der Verkauf von PPIs mit Einmalprämie (single premium policies) wurde 2009 untersagt.246 Die Maßnahmen der FAS und das Beschwerdemanagement des FOS, das den Beschwerden der Kunden in den weit überwiegenden Fällen stattgab, stieß bei den Finanzinstituten zunächst auf Gegenwehr.247 Die British Bankers Association leitete für ihre Mitglieder gerichtliche Maßnahmen gegen die Tätigkeiten der FAS und des FOS ein, die jedoch im April 2011 durch Entscheidung des High Courts abgewiesen wurden,248 woraufhin sich die Mitglieder des Bankenverbands den regulatorischen Anforderungen beugten. Die Plevin-Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahr 2014 befeuerte die Thematik nochmals.249 Dem Supreme Court zufolge, könne sich die Missbräuchlichkeit des Verkaufs einer PPI auch daraus ergeben, dass dem Verbraucher übermäßig hohe Provisionen des Kreditgebers nicht offengelegt wurden. Sofern die Provision über 50 % der Gesamtkosten der PPI-Police ausmachten, konnten Verbraucher den Betrag der überschießenden Provision zuzüglich Zinsen ersetzt verlangen.250 news – issue 4, 2001; zuvor gab es bereits 1995 Bestrebungen durch Citizens Advice, die jedoch zunächst ungehört blieben. 242 Neben der FSA wurde auch „Citizens Advice“ aktiv und reichte eine „super complaint“ beim „Office for Fair Trading“ (OFT), einer damaligen Verbraucherschutzorganisation, ein, Citizens Advice, Annual report and accountants 2015/2016, 2016, S. 7. 243 Der offizielle Brief des FOS an die FSA ist online nicht mehr abrufbar. 244 DISP App. 3 FCA Handbook. 245 Die root cause analysis ist in DISP App. 3.4 FCA Handbook geregelt. 246 FCA, TR14/14 Redress for payment protection insurance (PPI) mis-sales, 2014, S. 8. 247 Zumal die bis dahin bestehenden Regeln des Verhaltenskodizes keine spezifischen Aufklärungspflichten gegenüber Verbrauchern beim Verkauf von PPIs enthielten. Zur Gegenwehr der betroffenen „High Street Banks“, FOS, Annual Review 2010/2011, 2011, 40 f. 248 R. (on the application of British Bankers Association) v Financial Services Authority [2011] EWHC 999 (Admin), [2011] A.C.D. 71. 249 Plevin v Paragon Personal Finance Ltd [2014] UKSC 61, [2014] 1 W.L.R. 4222. 250 Hiervon sind auch bereits abgewiesene Beschwerden betroffen, mit denen ein miss-
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
Insgesamt behandelte der FOS weit über zwei Millionen PPI-Beschwerden und sprach Verbrauchern Entschädigungen in Höhe von GBP 33 Milliarden zu.251 Hinzu kommen – zumindest für die sechs hauptsächlich betroffenen Finanzdienstleister252 – die Verfahrenskosten, die internen Kosten für die root cause analysis sowie Rückstellungen für weitere Entschädigungen. Aufgrund des enormen Ausmaßes der PPI-Beschwerden entpuppte sich deren Durchführung als lukratives Geschäftsfeld für Inkassounternehmen, sogenannter claim management companies (CMCs). Beim FOS werden etwa 80 % der Beschwerden durch CMCs, die sich von Verbrauchern in Form eines großzügigen Erfolgshonorars zwischen 15–30 % vergüten lassen, geltend gemacht.253 Schätzungsweise gingen so bereits bis zu GBP 5 Milliarden der gezahlten Entschädigungen an CMCs.254 Von offizieller Seite werden die Geschäftspraktiken der CMCs insofern scharf kritisiert, als dass sie für den Verbraucher keinen Mehrwert brächten255 und eine sehr aufdringliche Akquise verfolgten, die neben TVund Radiowerbung die ungefragte Kontaktaufnahme zu potenziell betroffenen Verbrauchern beinhaltet. Um einen Schlussstrich unter die PPI-Thematik zu setzen, setzte die FCA eine Ausschlussfrist zum 29. August 2019 fest, mit Ablauf derer PPI-Beschwerden präkludiert sind.256 Diese Schlussphase von zwei Jahren wurde von umfangreichen – von den Hauptverursachern des Skandals finanzierten – Werbekampagnen der FCA begleitet. b) Der FOS als Frühwarnsystem für den Finanzsektor Als der FOS im April 2001 erstmals über Beschwerden im Zusammenhang mit „loan payment protection insurances“257 berichtete, drehte sich der Vorwurf zunächst nicht um missbräuchliche Verkaufspraktiken, sondern um die Verweige-
bräuchlicher Verkauf geltend gemacht wurde. Entsprechende Änderungen des FCA Handbooks wurden mit Wirkung zum August 2017 in DISP App 3 vorgenommen. 251 Stand August 2017; s. auch die Informationen der FCA, abrufbar unter https://www. fca.org.uk/ppi/ppi-explained. 252 Beschwerden gegen PPIs richten sich hauptsächlich gegen die Lloyds Gruppe, Barclays, Royal Bank of Scotland, HSBC, Santander und die Nationwide Building Society. 253 Während der Anteil der durch CMCs eingereichten PPI-Beschwerden in den Vorjahren bei etwa 80 % lag, ist dieser Wert im Geschäftsjahr 2016/2017 auf 84,5 % angestiegen und zuletzt auf 76 % gesunken; hingegen werden im Übrigen nur 4 % der Beschwerden durch CMCs geltend gemacht, FOS, Annual Review 2016/2017, 2017, S. 40; ders., Data in more depth 2018/2019, 2019, S. 18. 254 Treanor, The Guradian 27.10.2016, abrufbar unter https://www.theguardian.com/mon ey/2016/oct/27/ppi-mis-selling-scandal-bill-tops-40bn-pounds. 255 Weder würde der Beschwerdevorgang für Verbraucher erleichtert, noch führe die Inanspruchnahme einer CMC zu einer schnellen Entschädigung. 256 Freilich nur sofern der Anspruch nicht ohnehin bereits verjährt sein sollte. 257 Dieser Begriff bzw. der Begriff „loan protection insurance“ wird in den Dokumenten des FOS bis 2007 benutzt.
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rung der Prämienzahlung unter Berufung auf die Ausschlusstatbestände in den Versicherungsverträgen.258 Diese waren für die Lebenssituation der Versicherten entweder ungeeignet oder schlossen die Leistung für Umstände, die auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind, weitreichend aus. Den FOS erreichten zwischen 2001 und März 2005 jährlich nur etwa 800 Beschwerden.259 Von den ersten Untersuchungen und Testkäufen des OFT 2005 erhoffte sich der FOS eine breitere Aufmerksamkeit für die Thematik und einen Anstieg der Beschwerdeeingänge, um das Ausmaß der PPI-Geschäfte besser beurteilen zu können.260 In der Folge bemerkte der FOS, dass die Geschäftspraktiken systematisch missbräuchlich waren, sodass sich der Beschwerdegrund im Geschäftsjahr 2006/2007 weg von den Ausschlusstatbeständen, hin zum ursprünglichen Verkauf und der Verwaltung der PPIs verlagerte.261 Im Geschäftsjahr 2007/2008 versechsfachte sich gar die Beschwerdeeingangszahl von 1 832 Anträgen im Vorjahr auf 10 652 Anträge.262 Diese Entwicklungen bestätigten systematische Probleme, sodass die Einleitung des Wider-implications-Verfahrens erforderlich wurde.263 Im weiteren Verlauf ließ sich die Problematik im Wesentlichen auf „single premium policies“ begrenzen,264 deren Verkauf intransparenter war als der von PPIs mit monatlichen Prämienzahlungen.265 Verschärft wurde die Thematik durch den Umstand, dass PPIs nicht nur der Besicherung von Krediten oder Hypotheken, sondern auch von Kreditkarten dienten.266 Die Entwicklungen in der PPI-Thematik, von ersten Berichten über PPIBeschwerden bis hin zur Einleitung des Wider-implications-Verfahrens, zeigen, dass der FOS durch die Auswertung von Beschwerdedaten als Frühwarnsystem beziehungsweise Warnsignal für den Finanzsektor fungieren kann. Die Publikation erster Erkenntnisse stimulierte das Interesse der Regulierungsbehörde und der Öffentlichkeit, das zu steigenden Fallzahlen führte. Diese ermöglichten es wiederum, systematisch missbräuchliche Geschäftspraktiken aufzudecken. Gleichwohl werden der Effektivität und der Schnelligkeit einer solchen Warnfunktion durch die Notwendigkeit belastbarer Daten Grenzen gesetzt. Erst nach knapp acht Jahren konnte die Systematik der PPI-Beschwerden erkannt werden; 258
FOS, ombudsman news – issue 4, 2001. So die Daten für die Geschäftsjahre 2003/2004 und 2004/2005, FOS, Annual Review 2004/2005, 2005, S. 11. 260 So der Chief Ombudsman Merricks, FOS, ombudsman news – issue 50, 2005, S. 2. 261 FOS, Annual Review 2007/2008, 2008, S. 36. 262 Bereits im ersten Quartal 2008 wurden so viele PPI-Beschwerden eingereicht, wie im gesamten Vorjahr, FOS, Annual Review 2007/2008, 2008, S. 36 f. 263 FOS, Annual Review 2008/2009, 2009, S. 51. 264 Diese Produktart wird vom FOS als besonders problematisch hervorgehoben, FOS, Annual Review 2008/2009, 2009, S. 50; ders., Annual Review 2009/2010, 2010, S. 47. 265 Die Intransparenz war bei dieser Produktart speziell aufgrund des gleichzeitigen Abschlusses des zu besichernden Geschäfts sowie der einmaligen Prämienzahlung möglich. 266 FOS, Annual Review 2009/2010, 2010, S. 47. 259
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
der Verkauf der problematischen Produkte konnte gar erst nach knapp zwei Jahrzehnten unterbunden werden. Belastbare Daten erfordern ein großes Beschwerdeaufkommen, das zwangsläufig erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand zum Verkauf eines Produktes entstehen kann. Wenngleich die Tätigkeit des FOS nicht monokausal für die Aufdeckung der PPI-Thematik war, so zeigt sich die Bedeutung der Datenerhebung und -verwertung zur Identifizierung von Markttrends für die Feedbackfunktion des FOS. Die Wirksamkeit dieser öffentlichkeitswirksamen Arbeit drückt sich nicht zuletzt im Mobilisierungseffekt für Beschwerden aus; Verbraucher wären sich ihren Ansprüchen andernfalls nicht bewusst gewesen. Der FOS fungierte im Rahmen des PPI-Skandals ferner als Frühwarnsystem für die Geschäftspraktiken von CMCs, da er die schlechte Qualität vieler durch CMCs eingereichter PPI-Anträge schon früh erkannte.267 Zur Verbesserung des oftmals unzulänglichen Beschwerdemanagements nahm der FOS sowohl Kontakt zu den betroffenen CMCs als auch zur zuständigen Regulierungsbehörde auf.268 Die Bewältigung der PPI-Thematik war von besonders intensiver Zusammenarbeit zwischen dem FOS und der Finanzaufsicht geprägt. Schon früh informierte der FOS die FSA über die Häufung der PPI-Beschwerden und leitete später das formelle Wider-implications-Verfahren ein, das umfassende Regulierungsmaßnahmen zur Folge hatte.269 Die Maßnahmen sollten insbesondere verhindern, dass Verbraucher aufgrund rationaler Apathie oder Unkenntnis auf ihren Schäden sitzen bleiben. Da dieses systematische Problem aus Sicht des FOS nicht durch Individualbeschwerden zu lösen war, ermutigte dieser die FSA dazu, Unternehmen zu verpflichten, benachteiligte Kunden eigenverantwortlich zu entschädigen. Im weiteren Verlauf kooperierte der FOS mit der Finanzaufsicht im Rahmen von Gesprächen, des weiteren Datenaustauschs sowie der Änderung des gemeinsamen Regelwerks, dem FCA Handbook.270 Überdies verfolgten beide Akteure eine gemeinsame Informationsstrategie gegenüber Unternehmen und versuchten die Entschädigung der Verbraucher auf Unternehmensebene durch entsprechende Seminare und einem kontinuierlichen Kontakt zu verbessern.
267 Ein großer Teil der Beschwerden wurde in Form eines Standardformulars mit generellen Behauptungen, anstatt spezifischer Informationen und Argumente für den konkreten Einzelfall eingereicht, FOS, Annual Review 2008/2009, 2009, S. 50 f.; ders., Annual Review 2009/2010, 2010, S. 47 f. 268 FOS, ombudsman news – issue 50, 2005, S. 2; ders., Annual Review 2008/2009, 2009, S. 51. 269 Der offizielle Brief des FOS an die FSA ist online nicht mehr abrufbar. 270 Zuletzt bezüglich der Implikationen der Plevin-Entscheidung sowie der zweijährigen Frist zur Geltendmachung von PPI-Beschwerden, FOS, Annual Review 2015/2016, 2016, S. 108.
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Das Wider-implications-Verfahren wurde 2011 durch das sogenannte Coordination Comittee des FOS und der FCA ersetzt.271 Hauptaufgabe des gemeinsamen Komitees war es, im Sinne eines Frühwarnsystems, Geschäftspraktiken mit hohem Schädigungspotenzial frühestmöglich zu identifizieren und die Informationen innerhalb des Komitees effektiv auszutauschen.272 Ausweislich des Memorandum of Understanding zwischen der FCA und dem FOS, sollte die Kooperation und Kommunikation zwischen den Akteuren zum Vorteil von Verbrauchern und Finanzdienstleistern wirken, indem sie zur effizienten Funktion des Regulierungssystems und der Streitbeilegung im Finanzsektor beitragen soll.273 Das Memorandum sollte die jeweiligen Rollen klar abstecken und sicherstellen, dass beide Akteure komplementäre und konsistente Ansätze verfolgen und sich über Thematiken im beidseitigen Interesse informieren.274 Zur weiteren Zusammenarbeit gehört die Budgetabstimmung275 des FOS sowie Untersuchungen zur Rolle von CMCs in der PPI-Thematik.276 Schließlich werben beide Akteure öffentlichkeitswirksam für die Dienste des FOS unter Verzicht auf die Inanspruchnahme von CMCs.277 Die Zusammenarbeit des FOS mit der Finanzaufsicht in der PPI-Thematik zeigt, dass ADR-Stellen eine integrale Stellung im Regulierungssystem eines Wirtschaftssektors einnehmen können. Kernaufgabe des FOS war dabei die Erhebung und Analyse von Beschwerdedaten, die im Bedarfsfall regulierungsbehördliches Handeln veranlassen kann und soll. Es entspricht daher dem Selbstverständnis des FOS, Probleme im Finanzsektor als eine Art Frühwarnsystem zu identifizieren und deren Eskalation durch eine enge Kooperation mit der FCA zu verhindern.278 Ferner führte die Veranlassung regulatorischen Handelns zu einer Verbesserung der Marktstandards durch das Verbot von PPIs mit einer single premium policy sowie durch verschärfte Anforderungen an das unternehmensinterne Beschwerdemanagement.
271 An diesem waren zunächst noch Vertreter des Office of Fair Trading (OFT) bis zu dessen Einstellung beteiligt, vgl. FOS, Annual Review 2010/2011, 2011, S. 130. 272 sec. 16 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 273 Darüber hinaus arbeiten beide Parteien im Rahmen bilateraler Gespräche sowie der Teilnahme des FOS am FCA Oversight Comittee zusammen. 274 sec. 14 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 275 sec. 7(c) und 13 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 276 Die FCA hat unter anderem die Rolle der CMCs im Rahmen der PPI-Beschwerdebewältigung untersuchen lassen, ESRO, Understanding PPI redress from a consumer perspective, 2015, S. 14–18; hierzu auch FCA, CP15/39, 2015, S. 21–23. 277 MoJ/FCA/FOS u.a., Claims Management Companies and Financial Services Complaints, 2014; FOS, Annual Review 2016/2017, 2017, S. 40. 278 FOS, Annual Review 2015/2016, 2016, S. 11 und 28.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
c) Selbstregulierung durch eigenverantwortliches Beschwerdemanagement und Implementierung von lessons learned Die Vorgänger des FOS sind mit der Bestrebung entstanden, Kundenbeziehungen und Marktstandards durch ADR zu verbessern, sodass dem FOS das Prinzip der Selbstregulierung inhärent ist. Der Umstand, dass die Verfahrensregeln und Verhaltenskodizes im FCA Handbook nunmehr durch die Regulierungsbehörde festgesetzt werden, ändert nichts an der grundlegenden – im gesamten Vereinigten Königreich geltenden – politischen Ausrichtung geringstmöglicher staatlicher Wirtschaftsregulierung. In der PPI-Thematik kommt das Prinzip der Selbstregulierung durch die root cause analysis zur Geltung, die Unternehmen dazu verpflichtete, Verbraucher eigenverantwortlich zu entschädigen. Dies hatte – gepaart mit der obligatorischen Kontaktaufnahme zum Unternehmen im Vorfeld eines ADR-Verfahrens – zur Folge, dass Unternehmen bis 2015 schätzungsweise achtmal so viele Beschwerden zu bewältigen hatten als der FOS.279 Dabei gaben Unternehmen den Beschwerden in über 70 % der Fälle statt und zahlten zwischen 2011 und 2015 Entschädigungen in Höhe von etwa GBP 17,9 Milliarden an ihre Kunden aus.280 Wenngleich dies ein recht hohes Maß an selbstregulatorischer Eigenverantwortung der Unternehmen zeigt, handelt es sich um Verpflichtungen der Finanzaufsicht, deren Einhaltung sie überwacht und durchsetzt. Hieraus lässt sich eine Agenda des FOS und der Finanzaufsicht entnehmen, staatliche Eingriffe in den Entschädigungsprozess zu vermeiden. Darüber hinaus stand der FOS stets im ständigen Dialog mit Finanzdienstleistern, damit sich diese ihrer eigenen Entschädigungspraxis vergewissern konnten.281 Weiterhin zeigte sich der FOS hinsichtlich der Fristen für Unternehmen zur Beantwortung von Verbraucherbeschwerden verhandlungsbereit.282 Ferner wurden die Unternehmen bei den grundlegenden Änderungen des FCA Handbooks konsultiert, etwa im Hinblick auf die Reform der Verfahrensgebühren. Seit April 2013 werden die acht Finanzunternehmen mit dem größten Beschwerdeaufkommen (etwa 60 % aller Beschwerden) auf Basis eines group-accounts berechnet, der die Gebühr proportional zu den Kosten des FOS berechnet.283 279 Unternehmen bearbeiteten bis 2015 etwa 12,5 Mio. Beschwerden, während der FOS nur etwa 2 Mio. Beschwerden zu verzeichnen hatte, ESRO, Understanding PPI redress from a consumer perspective, 2015, S. 4. 280 ESRO, Understanding PPI redress from a consumer perspective, 2015, S. 4. 281 So konsultierten Unternehmen den FOS vor der Entscheidung über eine Kundenbeschwerde, um eine erste Einschätzung darüber zu bekommen, wie der FOS über die Beschwerde befinden würde, FOS, ombudsman news – issue 127, 2015, S. 1 f. 282 Grund für die Bitte um Verlängerung der festgesetzten acht Wochen Frist war ein Rückstau von Kundenbeschwerden, der während der gerichtlichen Überprüfung der Maßnahmen der FSA und des FOS entstand. Der FOS betonte dennoch die Bedeutung einer vollständigen und fristgerechten Beantwortung der Beschwerden, FOS, Annual Review 2011/2012, 2012, S. 31. 283 FOS, Annual Review 2012/2013, 2013, S. 15; ders., Annual Review 2013/2014, 2014, S. 16 f.
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Selbstkritisch erkannten die Akteure, dass die Bewältigung der PPI-Thematik auch Verbesserungspotenzial bürgte, weshalb sie als „lessons learned“ in zukünftige Arbeitsabläufe integriert werden sollten. Dies gälte besonders im Hinblick auf die Prävention und Bewältigung von Massenbeschwerden (mass claims).284 Die Finanzaufsicht musste lernen, dass die anfänglichen Warnungen und Bußgelder unzureichend waren, um das Verhalten der Unternehmen zu korrigieren.285 Zukünftig intendiert die FCA die Errichtung eines aufsichtsrechtlichen Rahmens für die Geschäftsmodelle der größten Unternehmen, um besorgniserregende Entwicklungen früher zu untersuchen. Als weitere lesson learned sollen Verbraucher ermutigt werden, Beschwerden direkt beim Unternehmen und dem FOS geltend zu machen, um die Inanspruchnahme von CMCs zu verringern.286 Der von Verbrauchern wahrgenommene Bedarf an CMCs könne dadurch verringert werden, dass der Wirtschaftssektor – anders als in der PPI-Thematik – früh Verantwortung übernimmt und aktiv auf betroffene Kunden zugeht.287 Hierfür sollen Beschwerdeverfahren robuster, effizienter und ergebnisorientierter ausgestaltet werden.288 Diese Erkenntnisse wurden etwa bei der Errichtung eines Mechanismus für Beschwerden aus dem missbräuchlichen Verkauf von Kreditkartenversicherungen,289 als zentrale Anlaufstelle mit kohärentem Verfahrensansatz, in die Praxis umgesetzt.290 Zum Zwecke der Selbstregulierung des Finanzsektors sieht es der FOS als essenziell an, die Erkenntnisse aus den behandelten Beschwerden mit den anderen Akteuren zu teilen, um künftigen Problemen vorzubeugen.291 In diesem Sinne verlangt das FCA Handbook ausdrücklich, dass Unternehmen die Feststellun-
284 Der Begriff „mass claims“ bezeichnet dabei eine große Anzahl der selben oder ähnlichen Beschwerden über dasselbe Thema, FOS/FSA/OFT, DP10/1: Consumer complaints (emerging risks and mass claims), 2010, S. 20–26. 285 Hierzu FCA, TR14/14 Redress for payment protection insurance (PPI) mis-sales, 2014, S. 8 f. und 24. 286 Mit sehr scharfer Kritik an CMCs unter der Überschrift „How CMCs cause consumer detriment“, Citizens Advice, The cost of redress, 2014, S. 12–21. Ein teils fehlender Mehrwert für Verbraucher kann sich daraus ergeben, dass CMCs die Einreichung der Beschwerde meist nicht erleichtern, ihre Gebühren hierfür unverhältnismäßig hoch sind oder die Beschwerde nachlässig verwaltet werde. Überdies sollen die aufdringlichen Werbepraktiken der CMCs unterbunden werden. 287 So Citizens Advice, The cost of redress, 2014, S. 4. 288 FCA, TR14/14 Redress for payment protection insurance (PPI) mis-sales, 2014, S. 24. 289 Sogenannte CCPs (Card Protection Plan) oder Card Protection Insurances. 290 Citizens Advice, The cost of redress, 2014, S. 31; weiterhin hat die FCA ihre lessons learned bei der Konzeption des Beschwerdemechanismus für Beschwerden über Zinsderivate (Interest Rate Hedging Products, IRHP) berücksichtigt, FCA, TR14/14 Redress for payment protection insurance (PPI) mis-sales, 2014, S. 24. 291 FOS, Annual Review 2010/2011, 2011 unter „key facts“; s. auch ders., Annual Review 2012/2013, 2013, S. 12.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
gen des FOS bei gleich gelagerten Beschwerden anzuwenden haben.292 Die lessons learned fließen wiederum in das FCA Handbook ein.293 Das Prinzip der Selbstregulierung beansprucht im englischen Finanzsektor trotz der aktiven Rolle der Finanzaufsicht weiterhin Geltung. Der FOS versteht sich letztlich auch als Dienstleister für die Unternehmen, die das System finanzieren und die damit auch berechtigte Erwartungen in ein gutes Preis-LeistungsVerhältnis haben dürfen.294 Ferner entspricht es einem selbstregulatorischen Konzept, Feedback in Form von lessons learned in den Finanzsektor zurückzuführen, um Kundenbeziehungen und Marktstandards zu verbessern. d) Wahrnehmung von Verbraucherinteressen und Bewältigung von Massenbeschwerden Mit dem erklärten Ziel, möglichst vielen durch PPIs benachteiligten Verbrauchern zu Entschädigungen zu verhelfen, nimmt der FOS unverblümt Verbraucherinteressen wahr. Zu diesem Zwecke sollten Verbraucher über mögliche Ansprüche informiert und zu deren Geltendmachung mobilisiert werden. Zu den Maßnahmen des FOS gehörten Werbekampagnen sowie Informationen auf der Webseite in leichter Sprache, die sich durch eine Anwendung vertonen, übersetzen und besser lesbar machen lassen.295 Die Verfahrensabläufe wurden im Einzelnen erklärt und Verbraucher dazu ermutigt, ihre Beschwerde, gegebenenfalls mithilfe geschulter Fallbearbeiter, in eigene Worte zu fassen. Erleichtert wurde die Antragstellung durch einen dreiseitigen Fragebogen speziell für PPI-Beschwerden. Der FOS versuchte somit soziale Barrieren abzubauen und seine Dienste für alle Verbraucher zugänglich zu machen.296 Für Verbraucher sollte die Kommunikation so einfach und komfortabel wie möglich gestaltet werden, indem sie ihre Sicht der Dinge schildern können, ohne sich verunsichert oder eingeschüchtert fühlen zu müssen.297 Hierzu gehört der inquisitorische Ermittlungsstil des FOS, der weit über die traditionelle Rolle englischer Richter hinausgeht. Weiterhin kann der FOS Umstände berücksichtigen, die den Verbraucher im konkreten Fall besonders schutzbedürftig erscheinen lassen oder ihn für immaterielle Schäden kompensieren.298 Gleichwohl stellt der FOS ausdrücklich klar, dass dieser
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DISP 1.3.2A G FCA Handbook. Statt vieler, FOS, Annual Review 2006/2007, 2007, S. 70. 294 FOS, Annual Review 2013/2014, 2014, S. 16. 295 Der FOS benutzt das Programm „browsealoud“. 296 FOS, Annual Review 2013/2014, 2014, S. 28. 297 FOS, Annual Review 2013/2014, 2014, S. 29; ders., ombudsman news – issue 91, 2011, S. 18. 298 Faktoren, die die Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern begründen, können unter anderem Alter und Gesundheit sowie einschneidende Lebensereignisse wie Arbeitslosigkeit, Trennung oder Todesfall sein. Eingehend hierzu die Fallstudie bezüglich Verbrauchern in schutzbedürftigen Situationen, FOS, ombudsman news – issue 127, 2015, S. 3–18. 293
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– entgegen verbreiteter Verbrauchererwartung – weder eine Verbraucherschutzorganisation noch eine Regulierungsbehörde sei, sondern eine faire und unparteiliche Streitbeilegung zu gewährleisten habe und daher im gleichen Maße den Interessen der Unternehmen verpflichtet sei.299 Die Bewältigung der mehr als zwei Millionen PPI-Beschwerden hat gezeigt, dass der FOS dazu geeignet ist, eine Vielzahl gleich gelagerter Beschwerden zu bewältigen. Ungeachtet der PPI-Thematik stellen Massenbeschwerden, die meist durch CMCs geltend gemacht werden, sogar den größten Teil der beim FOS eingereichten Beschwerden dar.300 Gleichwohl handelt es sich stets um Individualbeschwerden. Möglichkeiten überindividuellen Rechtsschutzes im Sinne eines Gruppenverfahrens existieren nicht. Lediglich für ungeklärte Rechtsfragen besteht für den FOS – das Einverständnis der Parteien vorausgesetzt – die Möglichkeit, einen Musterfall (test case) gerichtlich prüfen zu lassen.301 Um eine konsistente Entscheidungspraxis zu gewährleisten, orientiert sich der FOS an eigenen „Präzedenzfällen“, die in Form von Fallstudien und ausgewählter Entscheidungen öffentlich zugänglich sind.302 Die Kohärenz der Entscheidungen wird dadurch gefördert, dass sich Ombudspersonen regelmäßig mit Beschwerden gegen denselben Antragsgegner befassen, mit dessen Geschäftspraktiken sie bereits vertraut sind. Ferner werden Unternehmen und CMCs über das Vorgehen des FOS informiert und aufgefordert, entsprechend der veröffentlichten Praxis zu verfahren.303 Im Regulierungssystem kommt der Finanzaufsicht bei Massenbeschwerden damit die primäre Verantwortung zu, Maßnahmen zur angemessenen Entschädigung betroffener Verbraucher einzuleiten.304 Der FOS ist auf der zweiten Ebene für die Individualbeschwerden der Verbraucher zuständig, denen Unternehmen nicht entsprochen haben.305 Es ist damit einerseits Aufgabe des FOS, Massenbeschwerden zu bewältigen und sie andererseits frühestmöglich zu erkennen. 299 FOS, ombudsman news – issue 91, 2011, S. 17 f.; ders., Annual Review 2013/2014, 2014, S. 29; ders., Annual Review 2014/2015, 2015, S. 121. 300 Gerade bei Massenbeschwerden vermögen CMCs die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu erregen und deren Beschwerden beim FOS geltend zu machen, FOS/FSA/OFT, DP10/1: Consumer complaints (emerging risks and mass claims), 2010, S. 22. 301 DISP 3.4.2R und 3.4.3G FCA Handbook. 302 Die dort beschriebenen Maßstäbe werden nicht nur von den Adjudikatoren auf der ersten Verfahrensstufe, sondern ausdrücklich auch von den Ombudspersonen bei der Entscheidungsfindung aller PPI-Beschwerden berücksichtigt. Seit 2015 wird in den Entscheidungen über PPI-Beschwerden beispielsweise mit folgendem Passus ausdrücklich auf die auf der Homepage beschriebenen Maßstäbe verwiesen: „We’ve set out our general approach to complaints about the sale of PPI on our website and I’ve taken this into account in deciding Mr C’s case.“ 303 Entsprechend nutzt der FOS neben individuellen Gesprächen auch Präsentationen und offene Briefe an Finanzunternehmen und CMCs, um ihnen gegenüber Erwartungen zu formulieren und über die Vorgehensweise zu informieren. 304 Hierzu FOS/FSA/OFT, DP10/1: Consumer complaints (emerging risks and mass claims), 2010, S. 22 f. 305 Die Kapazitäten der Regulierungsbehörden zur Überprüfung von Individualbe-
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
e) Die drei zentralen Rollen des FOS Die Untersuchung der Rolle des FOS in der PPI-Thematik zeigt, dass dem FOS im Regulierungssystem des englischen Finanzsektors drei zentrale Rollen zukommen, die weit über die Funktion der Streitbeilegung hinausgehen. Als Frühwarnsystem fungiert der FOS als wichtiger Kooperationspartner der Finanzaufsicht sowie als Mechanismus zur Bewältigung von Massenbeschwerden. In der ersten Funktion dient der FOS durch die umfassende Erhebung und Auswertung von Beschwerdedaten als Warnsignal für missbräuchliche Geschäftspraktiken. Eine Warnung aller Interessengruppen erfolgt durch die Veröffentlichung der Daten und Ergebnisse sowie der Einschaltung der Finanzaufsicht. Mit einer solchen Warnung entledigt sich der FOS quasi-regulatorischer Aufgaben und zieht eine Grenze zum Verantwortungsbereich der Regulierungsbehörden. Der Abschluss der ersten Aufgabe leitet zugleich die zweite Funktion ein – die der intensiven Kooperation mit der Finanzaufsicht. Letztere ist bei der Prüfung behördlicher Maßnahmen und materieller oder prozessualer Rechtsänderungen auf die Daten und Expertise des FOS angewiesen. Ferner gilt es, in Kooperation mit der Finanzaufsicht, alle Interessengruppen über das Marktgeschehen zu informieren und Verbraucher zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zu mobilisieren. Drittens fungiert der FOS als Mechanismus zur Bewältigung von Massenbeschwerden, das heißt einer Vielzahl gleich gelagerter Individualstreitigkeiten. Die Aufgabe, die letztlich auch regulatorische Ziele verfolgt, besteht darin, für die Durchsetzung der behördlichen Maßnahmen zu sorgen und Gerechtigkeit im Einzelfall herzustellen.306 Zwar bietet der FOS keinen überindividuellen Rechtsschutz, jedoch sollen einheitliche Maßstäbe für größtmögliche Kohärenz sorgen. Die Rollen des FOS sind – trotz des größer werdenden Einflusses der Finanzaufsicht – in einem selbstregulatorischen System eingebettet. Hierzu gehört es auch, das Unternehmen gelernte Lektionen in zukünftige Geschäftsabläufe integrieren. Die vom FOS und der FCA postulierten lessons learned scheinen dabei aber vornehmlich der Prävention und Bewältigung von Skandalen, anstatt dem oftmals postulierten Ansinnen höherer Marktstandards Rechnung zu tragen. Das hohe regulatorische Potenzial des FOS beruht nicht zuletzt auf dessen hybrider Stellung als privates Instrument der Selbstregulierung einerseits und als gesetzlich statuierte, quasi-behördliche ADR-Stelle andererseits. Seine zwingende Jurisdiktion über große Finanzdienstleister sowie die enge Kooperation
schwerden seien insofern unzureichend, FOS/FSA/OFT, DP10/1: Consumer complaints (emerging risks and mass claims), 2010, S. 24. 306 Auch wenn angesichts der über zwei Millionen PPI-Beschwerden vor dem FOS schwerlich von Einzelfällen gesprochen werden kann, zeigt die Relation zu den unternehmensinternen Beschwerdezahlen, dass nur ein relativ kleiner Teil aller Beschwerden den Weg zum FOS finden.
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mit der Finanzaufsicht machen den FOS zu einem der weltweit bedeutendsten ADR-Dienstleister in Verbrauchersachen. Die Erkenntnisse aus der PPI-Thematik lassen sich daher weder national noch international uneingeschränkt auf andere – besonders private – ADR-Stellen übertragen. Das Konzept des FOS ließe sich mangels gesetzlicher Jurisdiktionen von ADR-Stellen sowie aufgrund der strikten Trennung zwischen Streitbeilegung und Ordnungsrecht aktuell nicht in der deutschen ADR-Landschaft implementieren. Mit der Wahrnehmung faktischer Regulierungstätigkeiten zeigt der FOS indes, dass die Arbeit von ADRMechanismen – unabhängig davon ob man dies begrüßt – auf das Verhalten von Behörden und Wirtschaftssektoren ausstrahlt und damit politisch-ökonomische Steuerungswirkungen zeitigen kann. Frei nach Hodges307 lässt es sich für die britische ADR-Landschaft daher nicht von der Hand weisen, dass der Idee der Marktregulierung zumindest die gleiche Bedeutung zukomme, wie dem Zweck der Streitbeilegung. 5. Die drei Funktionen des Energy Ombudsman Ofgem, die Regulierungsbehörde im Energiesektor, ließ 2015 die Aufgaben des Energy Ombudsman (OS:E)308 sowie dessen Stellung im Regulierungssystem untersuchen. Anlass für den vom Beratungsunternehmen lucerna partners erstellten strategischen und zukunftsorientierten Bericht, gaben die Anforderungen der ADR Regulations sowie die des CEAR Act 2007. Der Bericht kristallisiert drei wesentliche Funktionen des OS:E heraus und hebt insbesondere das Potenzial und die Bedeutung der Datenerhebung hervor. Dem Bericht zufolge sei die Kultur des OS:E zuvörderst auf die parteiunabhängige Beilegung individueller Streitigkeiten ausgerichtet.309 Das System, die Abläufe und die Fähigkeiten des OS:E seien auf effektive Streitbeilegung getrimmt.310 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit seien dabei die wesentlichen Merkmale des OS:E. Jedoch würde nur ein kleiner Teil der Verbraucherschaft von der Streitbeilegungsfunktion profitieren, da den OS:E schätzungsweise nur fünf Prozent der potenziellen Beschwerden erreichen würden.311 Die beiden anderen Funktionen fokussieren hingegen auf die Bewältigung systemischer Probleme und verkörpern damit ein weites Rollenverständnis des OS:E. In der zweiten Funktion soll der OS:E auf die Verbesserung des unternehmensinternen Beschwerdemanagements hinwirken. In diesem Sinne solle der 307 „The best CDR systems are not just about dispute resolution. Their designers and operators recognize that CDR is at least as much about market regulation as it is about dispute resolution.“, Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 353. 308 Zum OS:E bereits oben unter Kap. 2 C. II. 2. 309 Dies sieht auch der OS:E selbst als Kernziel des eigenen Wirkens, so lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 18. 310 lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 22. 311 lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 19.
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OS:E Verbesserungspotenziale identifizieren und den regulierten Unternehmen dahin gehende Empfehlungen aussprechen.312 Alternativ könne der OS:E mittels der erhobenen Daten regulatorisches Handeln veranlassen. Der OS:E würde somit auch für die vielen Verbraucher wirken, die von seiner Streitbeilegungsfunktion keinen Gebrauch machen.313 Von der dritten Funktion des OS:E, der Identifizierung systematischer branchenweiter Probleme, solle schließlich die gesamte Verbraucherschaft profitieren.314 Diese Rolle ist aufgrund potenzieller Überschneidungen mit den Kompetenzen von Ofgem am schwierigsten zu definieren. Ausgangspunkt dieser Funktion ist die strukturierte Erhebung von Beschwerdedaten, die es in einem zweiten Schritt ermöglichen soll, Grundursachen systematischer Branchenprobleme zu identifizieren und diese Erkenntnisse mit Ofgem zu teilen.315 Überdies könne der OS:E die Industrie direkt konfrontieren. Der OS:E akzeptiert die drei ihm im lucerna partners-Bericht zugewiesenen Funktionen und hat dieses Rollenverständnis – in Absprache mit Ofgem – in den Mittelpunkt seiner Strategie gerückt.316 Hauptziel sei es, den Kundendienst und die Situation schutzbedürftiger Verbraucher im Energiesektor in intensiver Zusammenarbeit mit allen Interessengruppen zu verbessern.317 Dabei komme es darauf an, Verbraucherstreitigkeiten nicht nur beizulegen, sondern die Beschwerdeursachen zu analysieren.318 Aufgrund des bisherigen Fokus auf die Streitbeilegungsaufgabe bedurfte es zum Zwecke der zwei weiteren Funktionsverständnisse des OS:E eines neuen Konzepts zur Verbesserung der Datenerfassung und -auswertung.319 Durch fort312 lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 19; Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 24. 313 Nach Schätzung von Ombudsman Services betrug die Anzahl der Beschwerden im Energiesektor im Jahr 2017 in etwa 5,5 Mio., womit ein Rückgang um 2,4 Mio. Beschwerden im Vergleich zu 2014 zu verzeichnen wäre. Der Beschwerderückgang wird auf die Verbesserung des Kundenservices zurückgeführt, Ombudsman Services, Consumer Action Monitor report, 2017, S. 4. 314 lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 20 und 43. 315 Daraufhin könnte Ofgem selbst regulatorisch eingreifen, lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 20; zur Thematik der Datenerhebung sogleich unter Kap. 3 C. IV. 316 Zur Umsetzung der lucerna-Empfehlungen verständigten sich OS:E und Ofgem auf 17 Zielvorgaben, Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 5, 16–24; hierzu auch lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 4. 317 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 6. 318 Ombudsman Services sieht in diesem systemischen und präventiven Ansatz einen Konkurrenzvorteil über den Energiesektor hinaus, der gegenüber der günstigeren ADR-Anbietern einen Mehrwert schaffen soll, Ombudsman Services, 2016–2018 Corporate Strategy, 2016, S. 6. 319 Lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 29; Ombudsman
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währende Kontrolle und Analyse sollen Genauigkeit und Qualität der Daten320 sowie deren Auswertung verbessert werden.321 In diesem Rahmen sollen die drei Institutionen OS:E, Ofgem und Citizens Advice ihre Daten nunmehr untereinander austauschen, um ihren Datensatz zu vergrößern.322 Entsprechend der überarbeiteten Strategie soll der OS:E das Verhalten der Industrie und der Regulierungsorgane zur Verbesserung der Verbrauchersituation beratend mitgestalten.323 Ein direkter Kontakt zwischen OS:E und Unternehmen soll die Zusammenarbeit stärken und Unternehmen bei der Verbesserung des internen Beschwerdemanagements unterstützen.324 Aufgrund dieser quasi-regulatorischen Einflussnahme im Energiesektor bedurfte es einer Abstimmung zwischen OS:E und Ofgem, um die Kompetenzen beider Institutionen auch nach außen hin transparent abgrenzen zu können. Das überarbeitete Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und Ombudsman Services sieht die Hauptrolle des OS:E weiterhin in der Beilegung von Verbraucherbeschwerden.325 Gleichwohl erkennt Ofgem an, dass OS:E in Regulierungsfragen eine wichtige Informationsquelle für Verbraucherthemen ist.326 Alle Trends und besorgniserregenden Entwicklungen sollen daher an Ofgem berichtet werden.327 Beide Institutionen tragen somit Verantwortung, die Situation für Verbraucher im Energiesektor zu verbessern.328 Gegenüber Energieunternehmen habe OS:E allerdings keine regulierende Rolle.329 Diese formale KompetenzabServices, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 8. 320 Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Informationen zum Ausgang der Fälle, Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 10 und 12; ähnlich auch die Empfehlungen von lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 43 f. 321 Lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 44; Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 2. 322 Hierfür hat OS:E die Beschwerdekategorien an die von Citizens Advice angepasst, Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 8 f. 323 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 9. 324 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 10–12. 325 sec. 3.3 Memorandum of Understanding between The Gas and Electricity Authority and The Ombudsman Services Ltd. 326 sec. 7.1 Memorandum of Understanding between The Gas and Electricity Authority and The Ombudsman Services Ltd. 327 sec. 7.2 Memorandum of Understanding between The Gas and Electricity Authority and The Ombudsman Services Ltd. 328 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 17. 329 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 19.
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grenzung mag aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem OS:E mit der Erhebung und Auswertung von Beschwerdedaten quasi-regulatorische Aufgaben zu teil werden. Dieses Rollenverständnis empfiehlt nicht nur der lucerna partners-Bericht, sondern ist von Ofgem anerkannt und intendiert. Inwieweit der OS:E zukünftig versuchen wird, das Verhalten der Marktteilnehmer zu steuern, wird erst die Praxis zeigen. Der gemeinschaftliche Datenaustausch soll OS:E, Ofgem und Citizens Advice dazu befähigen, Frühwarnsignale für unzureichendes unternehmerisches Beschwerdemanagement zu identifizieren.330 Der direkte Kontakt mit dem betroffenen Unternehmen soll früh weiteren Nachteilen für Verbraucher vorbeugen,331 anstatt auf die Eigeninitiative der benachteiligten Verbraucher zu vertrauen. Auch in dieser Hinsicht ist der OS:E damit integraler Bestandteil des Regulierungssystems, das planmäßig auf die Verbesserung des Kundenservice und der Marktstandards im Energiesektor zielt.
II. ADR als gerichtsähnliches Streitbeilegungsinstrument in Deutschland In Deutschland steht der Einsatz von ADR für Verbraucherstreitigkeiten im Vergleich zur Situation im Vereinigten Königreich noch am Anfang der Entwicklung und ist längst nicht im Bewusstsein der Bevölkerung sowie den Berufsgruppen der Rechtspflege verankert. Entsprechend bieten nur die gesetzgeberischen Erwägungen zur Regulierung von ADR sowie das Selbstverständnis der ADRStellen Anhaltspunkte für die Reflektion des akademischen Diskurses um ADR. 1. Gesetzgeberische Erwägungen Einen Regulierungsrahmen erhielt ADR in Deutschland durch die Umsetzungsgesetze der Mediations- und der ADR-Richtlinie. Darüber hinaus erließ der deutsche Gesetzgeber sektorspezifische ADR-Regelungen. Die Richtlinie332 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher fordert in ihrem Art. 14 die Mitgliedstaaten zur Förderung außergerichtlicher Streitbeilegung im Finanzsektor auf.333 Aus dieser Vorgabe heraus, entschied
330 Die Etablierung eines Frühwarnsystems soll ferner durch monatliche Treffen der Arbeitsgruppe, die sich aus Beteiligten aller drei Institutionen zusammensetzt, gefördert werden, Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 14. 331 Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 8. 332 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG. 333 Gleichwohl ergibt sich hieraus keine Verpflichtung zur Etablierung von ADR für Verbraucherstreitigkeiten, shz. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks. 15/2946, S. 17.
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sich der deutsche Gesetzgeber 2004 für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für – die damals bereits bestehenden – ADR-Einrichtungen im Finanzsektor (§ 14 UKlaG) und im Versicherungssektor (§ 48e VVG a. F., § 214 VVG n. F.).334 Die gesetzgeberischen Erwägungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, der Förderungsobliegenheit aus der Richtlinie zu entsprechen. Allerdings wird auch ein Bedarf an ADR für Beschwerden über Finanz- und Versicherungsgeschäfte gesehen, da diese Streitigkeiten regelmäßig sehr komplex seien und der Gerichtsweg für Verbraucher meist unkalkulierbare Kostenrisiken bürge.335 Durch die nach § 191f BRAO336 vorgesehene Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer, sollte die bereits existierende regionale Schlichtungstätigkeit der Anwaltskammern gestärkt werden. Ausweislich des Regierungsentwurfs soll die Schlichtungsstelle ein Ombudsverfahren implementieren und Ausdruck einer dienstleistungs- und kundenorientierten Anwaltstätigkeit sein.337 Die Etablierung einer ADR-Einrichtung soll das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Anwaltschaft stärken und die Gerichte entlasten.338 Mit den Regelungen der §§ 111a – 111c EnWG339 wurde die gesetzliche Grundlage für die Errichtung einer Schlichtungsstelle für Verbraucherstreitigkeiten im Energiesektor geschaffen. Sie soll Verbrauchern ergänzend zum unternehmensinternen Beschwerdemanagement und dem Gerichtsweg eine weitere Streitbeilegungsmöglichkeit an die Hand geben. Der Gesetzgeber intendiert mit der Förderung von ADR eine effektive Entlastung der Gerichte, die durch eine Teilnahmepflicht für Unternehmen unterstrichen wird. Bemerkenswerterweise wird diese – für die deutsche Rechtsordnung unübliche – asymmetrische Teilnahmepflicht damit begründet, dass sie die Anwendungssicherheit und Verlässlichkeit einer zentralen Schlichtungsstelle sicherstellen soll.340 Der Gesetzgeber schien mithin davon auszugehen, dass die zu errichtende Schlichtungsstelle regen Zuspruch finden wird und eine einheitliche Spruchpraxis etabliert, die unterm Strich zu einem mehr an Rechtsanwendung führt. Das Mediationsgesetz (MediationsG)341 ist maßgeblich von der Erwägung geleitet, die Mediation und andere ADR-Verfahren zu fördern und die bislang
334 Art. 4 und 6 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2.12.2004, BGBl. I S. 3102. 335 So der Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/2946, S. 17. 336 Eingeführt durch Art. 1 Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften v. 30.7.2009, BGBl. I S. 2449. 337 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/11385, S. 31 und 44. 338 So der Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/11385, S. 44. 339 Eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften v. 28.7.2011, BGBl. I 2011, S. 1554. 340 Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 17/6072, S. 95. 341 Eingeführt durch Art. 1 Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung v. 21.7.2012, BGBl. I S. 1577.
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ungeregelten Formen der gerichtsinternen, -nahen und -externen Mediation auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.342 Das Gesetz zielt darauf ab, ADR-Verfahren und insbesondere die Mediation „im Bewusstsein der Bevölkerung und der in der Rechtspflege tätigen Berufsgruppen stärker zu verankern“.343 Insgesamt soll durch die Förderung der Mediation die Streitkultur in Deutschland insofern verbessert werden, als dass die Eigenverantwortlichkeit der Parteien für die Konfliktlösung in den Vordergrund gerückt werden soll.344 Die Streitkultur könne durch die vermehrte Nutzung bereits existierender ADR-Möglichkeiten verbessert werden.345 Insofern verweist die Gesetzesbegründung auch auf die Rechtsprechung des BVerfG, nach welcher eine einverständliche Lösung der Parteien gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung grundsätzlich vorzugswürdig sei.346 Durch die Anreize zur Durchführung einer Mediation verspricht sich der Gesetzgeber, die Konfliktlösung zu beschleunigen, den Rechtsfrieden nachhaltig zu fördern und staatliche Gerichte zu entlasten.347 Auch der Bundesrat begrüßte die Förderung konsensualer Streitbeilegung aus Effizienzgründen sowie unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.348 Der in diesem Zuge eingeführte § 278a ZPO räumt dem Gericht die Möglichkeit ein, den Parteien die Durchführung einer Mediation oder eines anderen ADR-Verfahrens vorzuschlagen. Diese Regelung, welche die Arbeit der Gerichte zu entlasten bezweckt, soll besonders dann greifen, wenn der Konflikt gerichtlich nicht oder nur unzureichend gelöst werden kann.349 Das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr, das sich an bereits bestehenden sektorspezifischen Regelungen orientiert,350 etablierte Regelungen zur Anerkennung privat organisierter Schlichtungsstellen sowie eine asymmetrische, subsidiäre Jurisdiktion einer behördlichen Schlichtungsstelle für Beschwerden gegen Luftfahrtunternehmen, die sich nicht freiwillig dem Verfahren einer anerkannten privaten Schlichtungsstelle unterworfen haben, §§ 57–57c LuftVG.351 Im Vorfeld des Gesetzesentwurfs erklärten sich die deutschen und einige organisierte auslän-
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Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/5335, S. 1. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/5335, S. 11. 344 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/5335, S. 10 f. 345 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/5335, S. 11. 346 „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“, BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01 = NJW-RR 2007, 1073. 347 So der Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/5335, S. 11. 348 Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Drucks. 60/1/11, S. 2. 349 Als Beispiel führt der Regierungsentwurf ausdrücklich den Erhalt einer langfristigen persönlichen oder geschäftlichen Beziehung an, BT-Drucks. 17/5335, S. 20. In der Praxis wird der Verweisungsmechanismus allerdings nur selten genutzt, Bushart, ZKM 2021, 180 ff. 350 Hierzu gehören die Regelungen des § 14 UKlaG, des § 214 VVG, der §§ 41a, 51TKG sowie der BRAO. 351 Unternehmen sind indes nur zur Teilnahme an einem Verfahren verpflichtet, jedoch nicht an den Schlichtungsvorschlag der ADR-Stelle gebunden, § 57b Abs. 4 LuftVG. 343
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dische Luftfahrtunternehmen gegenüber der Bundesregierung zu einer freiwilligen Teilnahme am Verfahren der söp bereit. Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergab sich für den Gesetzgeber daraus, dass Luftfahrtunternehmen von den sektorspezifischen ADR-Strukturen, anders als Bahnunternehmen, bis dato keinen Gebrauch gemacht hatten. Ferner wird der Einsatz von ADR im Luftfahrtsektor als besonders geeignet angesehen, da den meist geringwertigen Beschwerden regelmäßig ein einfacher Streitgegenstand zugrunde liegen würde.352 Die Nichtbeförderung, die Annullierung oder die Verspätung von Flügen sowie Schäden am Gepäck seien einfach zu beurteilende Lebenssachverhalte.353 Überdies verspricht sich der Gesetzgeber wiederum eine Entlastung der Gerichte.354 Zudem biete die Nutzung von ADR auch für Unternehmen Kostenvorteile gegenüber einem Zivilprozess und sei – eher als eine gerichtliche Streitentscheidung – dazu geeignet, Kunden an das Unternehmen zu binden.355 Ausweislich des Fraktionsentwurfs zum VSBG soll ADR die Rechtsschutzund Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten staatlicher Gerichte ergänzen, nicht aber substituieren.356 ADR solle besonders für geringwertige Streitigkeiten Bedeutung gewinnen, für die Verbraucher den Gerichtsweg aufgrund der Kosten und Risiken oft scheuen.357 Hinsichtlich der Ziele und Funktionen von ADR sind die Erwägungen indes wenig aussagekräftig. Bemerkenswert ist, dass die Gesetzesbegründung ADR, anders als die ADR-Richtlinie, ausdrücklich als eine Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung bezeichnet.358 Wie auch in anderen Gesetzgebungsverfahren wird betont, dass eine einvernehmliche Konfliktlösung die Kundenzufriedenheit erhöhen würde, sodass sich Unternehmen durch die Nutzung von ADR ein werbewirksames Image aufbauen könnten.359 Das etwas widersprüchliche Verhältnis zwischen ADR als angebliches Instrument der Rechtsdurchsetzung einerseits und als einvernehmlicher Streitbeilegungsmechanismus andererseits bleibt jedoch im Unklaren.
352 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/11210, S. 10 f. Interessant und etwas widersprüchlich ist die Begründung insofern, als dass noch im Hinblick auf die Regelungen für den Finanzsektor betont wurde, dass sich ADR für die im Sektor anzutreffenden komplexen Streitigkeiten eignen würde. 353 Personenschäden sowie Ansprüche, die nicht auf Geld gerichtet sind, können im Schlichtungsverfahren daher nicht geltend gemacht werden, Regierungsentwurf, BTDrucks. 17/11210, S. 11. 354 Regierungsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 17/11210, S. 1. 355 Regierungsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 17/11210, S. 10. 356 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 38. 357 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 38. 358 So der Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 38. Interessanterweise wird im selben Atemzug darauf hingewiesen, dass eine ausführliche Aufklärung der Sach- und Rechtslage meist nicht notwendig wäre. 359 Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 38.
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Das Nebeneinander von Ziviljustiz und ADR findet jedoch im Rahmen der Ablehnungsgründe des § 14 VSBG Ausdruck. Insbesondere soll eine ADR-Stelle die Befassung mit einer Beschwerde ablehnen dürfen, wenn dies den effektiven Betrieb der ADR-Stelle beeinträchtigen würde, § 14 Abs. 2 Nr. 4 VSBG. Nach Ansicht des Gesetzgebers sei ADR, entgegen früheren Erwägungen für die Schlichtung im Finanzsektor, zur effizienten Beilegung einfacher Sachverhalte, nicht aber für komplexe Streitigkeiten geeignet.360 Der Zivilprozess sei vorzugswürdig, sofern Streitigkeiten die Klärung komplexer Sachverhalte rechtlicher Vorfragen oder ungeklärter Rechtsfragen erfordere.361 Das Potenzial von Beschwerdedaten blieb dem Gesetzgeber entweder verborgen oder sollte bewusst nicht ausgenutzt werden.362 Ebenso unberücksichtigt bleiben etwaige Steuerungswirkungen für unternehmerisches Verhalten durch die Nutzung von ADR sowie das Ziel, Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen. Auf eine intensive Kooperation zwischen Behörden und ADR-Stellen wurde mit dem Verweis auf die strikte Trennung zwischen Streitbeilegungszweck und Ordnungsrecht bewusst verzichtet.363 2. Reflektion von ADR in der Rechtsprechung Das Thema ADR in Verbrauchersachen findet nahezu keinen Eingang in die deutsche Rechtsprechung. Lediglich vereinzelte Entscheidungen befassen sich mit der Verletzung unternehmerischer Informationspflichten nach den §§ 36 f. VSBG oder mit Streitigkeiten, die zuvor bereits durch eine ADR-Stelle behandelt wurden.364 Das VG Berlin hatte im Rahmen eines auf § 1 Abs. 1 IFG gestützten Auskunftsbegehrens die Behördeneigenschaft des Versicherungsombudsmann e.V. beziehungsweise die Übertragung behördlicher Aufgaben auf diesen, zu prüfen.365 Eine Befassung mit den Zielen und Funktionen von ADR war hierfür jedoch nicht erforderlich. 360 So der Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 61. Entsprechend sollen die ursprünglich geplanten Universalschlichtungsstellen der Länder die Behandlung von Beschwerden mit einem Streitwert von über EUR 5 000 ablehnen, BT-Drucks. 18/5089, S. 69. 361 Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 61. 362 Interesse an Daten im Zusammenhang mit Verbraucherstreitigkeiten hat bisher nur der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen bekundet, s. hierzu Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017. 363 Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 73 f. 364 Zu den unternehmerischen Informationspflichten, BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 263/18, MDR 2019, 1370 = WM 2019, 2078; BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588; OLG Celle, Urt. v. 24.7.2018 – 13 U 158/17, VuR 2018, 434; OLG München, Urt. v. 22.9.2016 – 29 U 2498/16, BeckRS 2016, 108898 = VuR 2017, 155; für Streitigkeiten, die zuvor durch eine ADR-Stelle behandelt wurden, S. OLG Oldenburg, Urt. v. 10.3.2011 – 8 U 56/10 –, juris sowie LG München I, Urt. v. 5.2.2014 – 32 O 9841/13 zur verjährungshemmenden Wirkung eines ADR-Verfahrens; OLG Jena, Urt. v. 19.10.2010 – 5 U 821/08 = NJOZ 2011, 251 zu anschließenden Zinsforderungen. 365 Zutreffend geht das VG Berlin davon aus, dass der Staat ADR dem privaten Sektor
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Eine Ausnahme hiervon bilden Streitigkeiten über die Verfassungsmäßigkeit und Angemessenheit der Kostenordnung der Schlichtungsstelle Energie. In erster Instanz vor dem LG Köln machte die Schlichtungsstelle Energie erfolgreich Verfahrensgebühren gegen ein zur Teilnahme verpflichtetes Energieunternehmen geltend.366 Im Berufungsverfahren vor dem OLG Köln griff das beklagte Energieunternehmen das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung an, es sei durch die asymmetrische Kostenlast nach § 111b Abs. 6 EnWG in ihren justiziellen Grundrechten sowie in der durch Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG gewährleisteten Berufsfreiheit verletzt.367 Zur Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigte sich das OLG Köln kurz mit den Aufgaben und Funktionen von ADR in Abgrenzung zu denen der Ziviljustiz. Während die Rechtsprechung die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in geregelten Verfahren bezwecke,368 diene die Schlichtung der Befriedung privater Streitigkeiten.369 Da die Schlichtungsstelle keine verbindlichen Entscheidungen treffen könne, sei das Verfahren indes weder auf rechtskräftige Feststellungen noch auf die Durchsetzung von Individualrechten gerichtet, sodass durch sie keine Rechtsprechungsaufgaben wahrgenommen würden.370 Das Gericht sieht den Gesetzgeber ferner dazu ermächtigt, die Konfliktlösung durch die Förderung von ADR zu beschleunigen, Rechtsfrieden zu stärken und die Gerichte zu entlasten.371 Verbrauchern würde mit ADR ein effektiver Schutz ihrer vor Gericht nur schwer verfolgbaren Interessen verschafft.372 Darüber hinaus überlassen hat, sodass es sich beim Versicherungsombudsmann um eine privatrechtliche Instanz ohne hoheitliche Gewalt handelt, VG Berlin, Urt. v. 19.12.2019 – VG 2 K 4.19, r + s 2020, 194 (zum Anspruch gegen das Bundesministerium); VG Berlin, Urt. v. 19.12.2019 – VG 2 K 178.19 (zum Anspruch gegenüber dem Versicherungsombudsmann), r + s 2020, 195; so auch Hirsch, 2020, S. 207, 210. 366 LG Köln, Urt. v. 22.5.2014 – 88 O 78/13 = BeckRS 2014, 15383; zur (Un-)Angemessenheit der Verfahrensgebühren der Schlichtungsstelle Energie, schon LG Berlin, Urt. v. 13.1.2014 – 93 O 114/12 = EnWZ 2014, 226 und im Nachgang LG Düsseldorf, Urt. v. 1.8.2017 – 37 O 87/16 –, juris. Die Teilnahmeverpflichtung ergibt sich aus § 111b Abs. 1 S. 2EnWG, die Ermächtigung zur Erhebung von Entgelten in § 111b Abs. 6 EnWG. 367 OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180. Im Detail machte die Berufungsklägerin Verletzungen des in Art. 92 Hs. 1 GG geregelten Richtervorbehalts, des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 102 GG, des Justizgewährleistungsanspruchs, der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG sowie des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots geltend. 368 OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 46. 369 OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 47; das LG Köln spricht vom Ziel der „effektiven Befriedung von Verbraucherbeschwerden“, LG Köln, Urt. v. 22.5.2014 – 88 O 78/13 = BeckRS 2014, 15383. 370 Mithin ist auch der Anwendungsbereich der Justizgrundrechte nicht berührt, OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 47. 371 OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 50 und 54. 372 Dies sei ein vernünftiger Gemeinwohlbelang, der die Einschränkung der unternehme-
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erkennt das Gericht, dass ADR den Ausgleich der meist ökonomisch bedingten strukturellen Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber ihren Energieversorgern fördern soll.373 Die Schlichtung ist nach Ansicht des Gerichts daher komplementär zur Ziviljustiz und ziele nicht auf Rechtsdurchsetzung, sondern bezwecke, vorgeschaltet zu den Gerichten, eine Streitbefriedung sowie die Wahrnehmung von Verbraucherinteressen. 3. Selbstverständnis der ADR-Stellen In Deutschland beschränkt sich die Wirkung von ADR-Verfahren meist auf die Streitparteien und den Einzelfall. Die Reflektion des Diskurses um ADR in der Praxis lässt sich daher nur anhand des Selbstverständnisses bedeutender deutscher ADR-Stellen aufzeigen. a) Versicherungsombudsmann Der Versicherungsombudsmann e.V.374 ist eine der zahlenmäßig bedeutendsten ADR-Stellen in Deutschland. Entsprechend seiner Satzung bezweckt der Verein „die Förderung der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten mit Verbrauchern, insbesondere aus einem Versicherungsvertrag oder im Zusammenhang mit der Vermittlung eines solchen“ durch die Errichtung und den Erhalt einer ADRStelle.375 Der Versicherungsombudsmann ist von den Aspekten des Verbraucherschutzes sowie der Streitbefriedung geleitet. Die Institution des Versicherungsombudsmanns soll dem Schutze der Verbraucher dienen, wenngleich diese Zielsetzung mit der Neutralitätspflicht der Institution kollidiert. Daher ist es vielmehr das Ziel, eine die Ziviljustiz ergänzende Rechtsschutzmöglichkeit zu etablieren, mittels derer Verbraucher im Streitfall die Rechtslage ohne Kostenrisiko sollen einschätzen können.376 Das gerichtsähnliche Verfahren des Versicherungsombudsmanns soll Verbrauchern bei der Durchsetzung ihrer Rechte und Interessen helfen. Insofern ist der Prüfungsmaßstab der Gleiche wie im Zivilprozess, nämlich „Recht und Gesetz“.377 Der gerichtsähnlichen Ausrichtung des Verfahrens wird zudem durch die Person des Versicherungsombudsmanns Nachdruck verliehen,378 dessen frühere rischen Berufsfreiheit, trotz der Kostenlast von ADR-Verfahren, rechtfertige, OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 54. 373 OLG Köln, Beschl. v. 17.2.2016 – 18 U 127/14, EnWZ 2016, 180, 181 = BeckRS 2016, 06398, Rn. 54. 374 Zum Verfahren und der Institution des Versicherungsombudsmanns bereits oben unter Kap. 2 C. II. 1. c). 375 § 2 der Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e.V. 376 Im schlechtesten Fall hätten Verbraucher trotz der Ablehnung ihrer Ansprüche eine Beurteilung der Rechtslage, auf deren Basis sie ihre Prozesschancen und – risiken einschätzen können, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 10. 377 Entscheidungen und Empfehlungen beruhen daher auf einer gründlichen juristischen Prüfung, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 12. 378 Seit April 2019 übernimmt Prof. Dr. Wilhelm Schluckebier, ehemaliger Richter am
B. Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen
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richterliche Autorität, zumindest in der Außenwahrnehmung, weiterhin deutlich auf die Institution ausstrahlt. Auffällig sind überdies die Parallelen der Entscheidungen des Ombudsmanns zum Aufbau und der Begründung von Gerichtsurteilen.379 Die Entscheidungen des Versicherungsombudsmanns sind derart fundiert und praxisrelevant, dass sie in Fachzeitschriften veröffentlicht und in Gerichtsurteilen zitiert werden.380 Individualstreitigkeiten können daher eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zeitigen. Das zweite Hauptziel des Versicherungsombudsmanns ist es, durch eine sachliche Klärung der Meinungsverschiedenheit, den sozialen Frieden zwischen den Unternehmen und Verbrauchern zu fördern und die Kundenzufriedenheit zu steigern.381 Die Befriedung des Konflikts kann ferner durch sofortige Abhilfe des Unternehmens382 oder durch Rücknahme des Beschwerdeantrags erfolgen.383 Der Versicherungsombudsmann versucht den Konflikt selbst dann zu befrieden, wenn die Streitigkeit nicht justiziabel ist.384 Im Sinne des Verbraucherschutzes soll der Versicherungsombudsmann die strukturelle Asymmetrie zwischen Unternehmen und Versicherungsnehmern ausgleichen.385 Waffenungleichheit bestehe – selbst wenn sie nur als solche wahrgenommen wird – besonders dann, wenn Verbraucher das Produkt kaum vollständig bewerten können oder die Vertragsbedingungen einseitig vom Unternehmen diktiert werden.386 Das verbraucherorientierte Verfahren des Versicherungsombudsmanns wirkt sozialen Barrieren dadurch entgegen, dass Verbraucher so beraten werden, dass eine rechtliche Vertretung entbehrlich wird.387 Ein solch einseitiger Beistand stehe der Neutralitätspflicht der ADR-Stelle nicht entgegen, da sie die Ressourcen lediglich anzugleichen versucht.388
BGH und BVerfG, die Tätigkeit als Versicherungsombudsmanns; Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2019, 2020, S. 8. Zur Person des früheren Versicherungsombudsmanns, Prof. Dr. Günter Hirsch, ehemaliger Richter am EuGH und Präsident des BGH, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2018, 2019, S. 8. 379 Dies gilt zumindest für die Begründung aufrechterhaltener Beschwerden, hierzu schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 227 f.; näher hierzu auch noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2. b). 380 Eine nicht repräsentative Auswahl der Entscheidungen ist abrufbar unter https://www. versicherungsombudsmann.de/entscheidungssuche/; hierzu noch unten unter Kap. 6 B. I. 381 Dies gälte besonders dann, wenn die rechtlichen Positionen beider Parteien gut begründbar sind, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 7. 382 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2019, 2020, S. 12. 383 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 103. 384 Ein förmliches Verfahren findet in diesem Fall jedoch nicht statt, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 14. 385 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 6. 386 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 6. 387 Die Beratung gilt sowohl für eine Unterstützung bei der Antragstellung, Fragen zu den Verfahrensabläufen und Beweislastregeln sowie für versicherungsrechtliche Fragestellungen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2018, 2019, S. 11. 388 Unternehmen hätten für eine solche Beratung schlichtweg genügend eigene Ressourcen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2019, 2020, S. 11.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
Weiterhin unterscheidet sich die Bescheidungsform je nach Adressat.389 Die das Verbraucherbegehren abweisenden Entscheidungen versuchen Verbraucher von ihrer Richtigkeit durch eine allgemein verständlich abgefasste Begründung zu überzeugen, die den üblichen Versicherungsjargon vermeidet und daher dennoch geeignet ist, den Streit zur beiderseitigen Zufriedenheit beizulegen.390 Entscheidungen zulasten des Versicherers gleichen indes Gerichtsurteilen, um Versicherern eine juristisch überzeugende Begründung liefern zu können.391 Obwohl das Verfahren des Versicherungsombudsmanns auf Individualstreitigkeiten ausgelegt ist, sind neuerdings auch Massenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Widerspruchsrecht von Lebensversicherungen sowie im Zuge der Dieselthematik bezüglich der Leistungspflicht von Rechtsschutzversicherungen aufgekommen.392 Das Verfahren des Versicherungsombudsmanns kann bei Massenbeschwerden an seine Grenzen stoßen, da für Beschwerdegegner von zunächst individuellen Vergleichen faktisch starke Multiplikationseffekte mit unkalkulierbaren Folgekosten für weitere Beschwerden ausgehen können. Gleichwohl kann ein Einzelfall auch Anlass zu einer flexiblen beschwerdeübergreifenden Lösung geben, die auch im Interesse des Beschwerdegegners sein kann.393 Schließlich könnte der Versicherungsombudsmann durch die Veröffentlichung von Daten, insbesondere im Jahresbericht, mittelbar zur Verbesserung von Marktstandards beitragen, indem Marktakteure sowie der Gesetzgeber auf systematische Probleme aufmerksam gemacht und Letzterer zum Erlass korrigierender Maßnahmen veranlasst wird. Vorbildhaft hierfür sind die Stellungnahmen des Versicherungsombudsmanns bezüglich der schwierigen Rechtsfragen und -probleme im Zusammenhang mit Restschuldversicherungen. Restschuldversicherungen liegt eine komplizierte Dreieckskonstruktion zugrunde, im Rahmen derer Verbrauchern keine Informations- und Beratungspflichten zugutekamen.394 Ähnlich zu der Situation mit PPIs im Vereinigten Königreich erfolgte die Aufklärung der Verbraucher über Restschuldversicherungen
389 Die Bescheidungsform unterscheide sich je nach Adressat, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, 14 f. 390 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2018, 2019, S. 12 und 15. 391 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 14. 392 Bei beiden Thematiken sind es spezialisierte Anwaltskanzleien, die eine Vielzahl gleich gelagerter Verbraucherbeschwerden einreichten. Insofern wird ein defizitäres Verfahrensverhalten einiger Anwälte angeprangert, die sich das vereinfachte und verbraucherfreundliche Verfahren zunutze machen wollen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 20 f. 393 Im Falle der Rechtsschutzversicherungen von möglicherweise geschädigten DieselKunden konnte zwischen der Kanzlei und der Versicherung eine Regulierungsvereinbarung zur Deckung der Prozesskosten getroffen werden, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 19. 394 Der Verbraucher ist in diesen Konstellationen nämlich nur Versicherter, nicht aber Versicherungsnehmer. Eingehend zu den Problemen solcher Dreiecksverhältnisse, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2015, 2016, S. 18–21.
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daher oftmals unzureichend.395 Der Appell des Versicherungsombudsmanns an den Gesetzgeber, die Position des Verbrauchers zu stärken, mündete in der Vorschrift des § 7d VVG, die sicherstellt, dass Verbrauchern die gleichen Aufklärungspflichten und Rechte zugutekommen, wie der Bank als Versicherungsnehmerin.396 Freilich standen Restschuldversicherungen auch bei Verbraucherverbänden in der Kritik und die gesetzgeberischen Erwägungen beziehen sich nicht ausdrücklich auf die Forderungen des Versicherungsombudsmanns.397 Dennoch kommt dem Versicherungsombudsmann in der Branche eine hohe Autorität zu, die bei entsprechender Außenwirkung Einfluss auf gesetzliche Standards zeitigen kann. Einer Kooperation mit den Behörden zur Verbesserung der Marktstandards steht der Versicherungsombudsmann hingegen kritisch gegenüber.398 b) söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr Die söp399, die zweite bedeutende deutsche Schlichtungsstelle, trifft in ihren Jahresberichten weniger detaillierte Informationen zu ihren Aufgaben und Funktionen. Die zwei Tragsäulen der söp sind die Wahrung von Recht und Gesetz sowie die Bewirkung eines befriedenden Interessenausgleichs.400 In den Verfahren der söp erfolgt eine volle rechtliche Überprüfung der Beschwerde.401 Die Klärung von Rechtsfragen sei hingegen nicht Aufgabe der söp, sondern der Rechtsprechung, weshalb die Schlichtung kein Paralleluniversum, sondern eine sinnvolle Ergänzung zum Gerichtssystem darstelle.402 Der heiß diskutierte Begriff der „Rechtsdurchsetzung“ wird von der söp in ihren Stellungnahmen indes vermieden.403
395 Freilich nicht in einem solchen systematischen und breiten Ausmaß wie im Vereinigten Königreich, hierzu Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 16 f.; zur Problematik der Restschuldversicherungen (PPIs) im Vereinigten Königreich, s. bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4. 396 Dies gilt für Restschuldversicherungen auf Basis von Gruppenverträgen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 17. 397 Vgl. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BTDrucks. 18/13009, S. 53. 398 Siehe nur die Kritik an der Aufsichtstätigkeit des BfJ, wenngleich diese nicht Regulierungsbehörde für den Versicherungssektor ist, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 22 f. 399 Zum Verfahren und der Institution der söp bereits oben unter Kap. 2 C. II. 4. 400 So der ehemalige Leiter der söp, Isermann, RRa 18 (2016), 106, 106, 111. 401 Folglich sollten Empfehlungen der söp bei klarer Sach- und Rechtslage denselben Entscheidungsinhalt haben, wie das hypothetische Urteil eines staatlichen Gerichts. 402 söp, Jahresbericht 2012, 2013, S. 12 f.; dass., Jahresbericht 2016, 2.3.2017, S. 10 f.; Berlin, RRa 22 (2014), 210, 215. Dies galt zuletzt insbesondere auch im Hinblick auf ungeklärte, pandemiebedingte Rechtsfragen, söp, Jahresbericht 2021, 2022, S. 8. 403 So etwa die Aussage, dass „ADR-Verfahren eine niedrigschwellige und effektive Möglichkeit zur Durchsetzung von Verbraucherrechten bieten können“, Isermann/Berlin, VuR 2012, 47, 52.
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Mehr noch als beim Verfahren des Versicherungsombudsmanns, geht es bei der söp darum, „gemeinsam eine Lösung zu finden“404, da die Empfehlungen der söp nur durch die Zustimmung beider Parteien verbindlich werden. Bei unklarer Sach- oder Rechtslage wirkt das Verfahren auf eine einvernehmliche Lösung hin, die flexibel und sofern es dem Parteiinteresse entspricht, kumulativ oder alternativ zu einer Geldzahlung auch Reisegutscheine beinhalten kann.405 Im unternehmerischen Interesse strebt die söp ferner die (Wieder-)Herstellung der Kundenzufriedenheit mit den Leistungen der Verkehrsträger an.406 Verbraucher sollen sich ernstgenommen fühlen. Hierzu gehöre eine klare und verständliche Kommunikation und eine Begründung der Sach- und Rechtslage, die auch dann zur Befriedung des Konflikts führen soll, wenn die Empfehlung zum Nachteil des Verbrauchers ausfällt.407 Die söp verfolgt daher einen „Schlichtungsdreiklang“ aus juristischer Präzision, Effizienz und Empathie.408 Schließlich nimmt die söp als Kompetenzzentrum für Passagier- und Fahrgastrechte eine verbraucherberatene Tätigkeit wahr.409 Dies gilt sowohl im Hinblick auf das mediale Interesse410 an der söp als auch für die veröffentlichten Informationen und Schlichtungsempfehlungen auf der eigenen Webseite. Einer Veröffentlichungspflicht von unternehmensbezogenen Geschäftspraktiken steht die söp hingegen kritisch gegenüber, da sie ein Verlust des Vertrauens der Unternehmen in die Neutralität der Schlichtungsstelle befürchtet.411 Die söp scheint ihre Aufgaben mithin nicht in einer Art Frühwarnsystem für den Markt oder in der Verbesserung von Marktstandards zu sehen. Dies ist freilich vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Vielfalt der Produkte und Beschwerdegründe im Personenverkehr wesentlich geringer ist als im Versicherungssektor.412 c) Ombudsmann der privaten Banken Der Bankenombudsmann413 gibt sich neutral beziehungsweise bedeckt hinsichtlich seiner Funktionen und Ziele. Als ADR-Stelle des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., der Stimme der privaten Finanzwirtschaft, ist die Huldigung 404
So das Gründungsmotto der söp, Isermann, RRa 18 (2016), 106. söp, Jahresbericht 2012, 2013, S. 12 f.; dass., Jahresbericht 2021, 2022, S. 9; Isermann, RRa 18 (2016), 106, 112. 406 Die nachhaltige Steigerung der Kundenzufriedenheit habe Vorrang vor einer Steigerung der Fallzahlen, söp, Jahresbericht 2014, 2015, S. 2; Isermann, RRa 18 (2016), 106, 114. 407 söp, Jahresbericht 2015, 2016, S. 2; dass., Jahresbericht 2016, 2.3.2017, S. 17; Berlin, RRa 22 (2014), 210, 215. 408 söp, Jahresbericht 2018, 14.3.2019, S. 16. 409 Hierzu söp, Jahresbericht 2016, 2.3.2017, S. 10. 410 Zum hohen medialen Interesse, söp, Jahresbericht 2018, 14.3.2019, S. 8. 411 söp, Jahresbericht 2014, 2015, S. 2. 412 Im Wesentlichen liegen den Beschwerden mit einer Beförderungsleistung ein simples Produkt zugrunde, die durch eine Verspätung oder Annullierung der Beförderung oder der Beschädigung des Gepäcks begründet sind. 413 Zum Verfahren und der Institution des Bankenombudsmanns bereits oben unter Kap. 2 C. II. 1. b). 405
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verbraucherschützender Aspekte freilich nicht zu erwarten. Wie alle ADR-Verfahren, soll das Verfahren des Bankenombudsmanns einen langwierigen Gerichtsprozess vermeiden und einen gerechten, konfliktbefriedigenden Interessenausgleich zwischen den Parteien bewirken.414 Die Schlichtungsvorschläge enthalten eine urteilsähnliche Prüfung der Beschwerde und basieren auf Gesetz und Rechtsprechung.415 Ferner wird den Parteien rechtliches Gehör gewährt.416 Im Tätigkeitsbericht werden zwar themenspezifische Schlichtungsvorschläge veröffentlicht, jedoch konnten bislang keine systematischen und problematischen Geschäftspraktiken entdeckt werden. d) Schlichtungsstelle Energie e.V. Primäres Ziel der Schlichtungsstelle Energie e.V. ist es, Verbrauchern ein modernes, einfaches und kostenfreies Verfahren zur Behandlung ihrer Beschwerden anzubieten, um eine zufriedenstellende Einigung zwischen Unternehmen der Energiebranche und Verbrauchern zu erzielen.417 Auf diesem Wege soll die Kundenzufriedenheit im Sektor verbessert und langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden.418 Der Beurteilungsmaßstab der Schlichtungsstelle ist grundsätzlich Recht und Gesetz, wobei sie nach eigenem Ermessen auch Billigkeitserwägungen berücksichtigen kann,419 sodass auch der Vorteil des Verbrauchers eines vereinfachten und kostenlosen Verfahrens mit in die Erwägung einbezogen werden darf.420 Die Teilnahmepflicht der Unternehmen, gepaart mit der Kostenlast für das Verfahren, habe der Schlichtungsstelle zufolge dazu geführt, dass viele Unternehmen in ihr internes Beschwerdemanagement und die Qualität ihrer Stellungnahmen im Schlichtungsverfahren investiert haben.421 Seit Gründung der
414
Vgl. Ombudsmann der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2015, 2016, S. 14. Ombudsmann der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2018, 2019, S. 33. Darüber hinaus werden auch Billigkeitserwägungen berücksichtigt, § 6 Abs. 4 der Verfahrensordnung. 416 Beiden Parteien können den gegnerischen Vortrag zur Kenntnis nehmen und sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht äußern, Ombudsmann der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2015, 2016, S. 32. Demgegenüber sieht Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 156 das rechtliche Gehör in ADR-Verfahren schon deshalb nicht gewährleistet, weil die abgegebenen Äußerungen nicht berücksichtigt werden müssten. 417 Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2019, 2020, S. 3. 418 So die Antwort in den FAQs, abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/ faq.html. 419 Die Schlichtungsstelle übt ihr Ermessen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus, § 8 der Verfahrensordnung Schlichtungsstelle Energie. 420 In diese Richtung Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2014, 2015, S. 7. 421 Investitionen in das unternehmensinterne Beschwerdemanagement seien deutlich zu erkennen, Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2017, 2018, S. 1; dies., Tätigkeitsbericht 2018, 2019, S. 1; dies., Tätigkeitsbericht 2019, 2020, S. 1; dies., Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 1. 415
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Schlichtungsstelle sei zu erkennen, dass sich ein großer Teil der Beschwerden nur gegen einen kleinen Teil der Unternehmen und Konzerne richtet.422 Verbraucherberatung sieht die Schlichtungsstelle mit Blick auf ihre Neutralitätspflicht indes nicht als ihre Aufgabe.423 Der Internetauftritt umfasst hingegen ein breites Informationsangebot zum Thema Energieschlichtung.424 Hingegen zeigt sich die Schlichtungsstelle offener, wenn es darum geht, unerwünschte Geschäftspraktiken anzuprangern. Dies gilt speziell für das systematische Verhalten einiger Energieunternehmen, die im Zuge des Schlichtungsverfahrens eine negative Feststellungsklage gegen den Beschwerdeführer anhängig, nicht aber rechtshängig machten, um eine Beendigung des Schlichtungsverfahrens herbeizuführen, ohne aber das Gerichtsverfahren weiter zu verfolgen.425 Seit Änderung der Verfahrensordnung 2018 erfolgt die Ablehnung eines Verfahrens nur noch im Falle der Rechtshängigkeit eines Gerichtsverfahrens.426 Diese missbräuchliche Praxis gab Anlass zu einer entsprechenden Änderung des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VSBG.427 e) Universalschlichtungsstelle des Bundes beim Zentrum für Schlichtung e.V. Die Universalschlichtungsstelle des Bundes soll – wie alle ADR-Stellen – einen Beitrag zur außergerichtlichen Konfliktlösung zwischen Unternehmen leisten.428 Das Verfahren wird dabei von der Grundidee getragen, rechtliche Klarheit und nachhaltigen Rechtsfrieden zu schaffen.429 Die Tätigkeitsberichte enthalten hingegen kaum Informationen zu den Aufgaben und den Zielen des Verfahrens. Mit dem Schlichtungsvorschlag stehe am Ende des Verfahrens – sofern keine einvernehmliche Lösung erzielt werden konnte – eine Ausarbeitung der objektiven Rechtslage. Als neutraler Vermittler sei es der Schlichtungsstelle indes nicht möglich, im Vorfeld eine Rechtsberatung vorzunehmen. Bei der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle handelte es sich daher um keine Verbraucherschutzeinrichtung, die einseitig Interessen wahrgenommen hätten.430 422 So betrafen 2019 etwa 53 % aller Beschwerden ein Unternehmen, das insolvent gegangen ist, Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2019, 2020, S. 8; im Jahr 2016 waren es 30 %, dies., Tätigkeitsbericht 2016, 2017, S. 1. 423 Dies gilt zumindest in Bezug auf allgemeine energiewirtschaftliche Themen, s. hierzu die FAQs, abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/faq.html. 424 Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2015, 2016, S. 1. 425 Dieses Vorgehen war für Unternehmen besonders deshalb interessant, weil sie keinen Gerichtskostenvorschuss zu zahlen hatten. Zu dieser missbräuchlichen Verfahrenspraxis, Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2017, 2018, S. 2; dies., Tätigkeitsbericht 2018, 2019, S. 10 f. 426 § 4 Abs. 4 Nr. 2 Verfahrensordnung Schlichtungsstelle Energie e.V., abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/files/sse/content/pdf/Verfahrensordnung 2018.p df. 427 Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des VSBG, S. 30 f. 428 So die Angaben auf der Webseite der Universalschlichtungsstelle des Bundes, abrufbar unter https://www.verbraucher-schlichter.de/start. 429 Vgl. Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle, Ein Konzept setzt sich durch, 2017.
B. Reflektion des Diskurses in den Rechtssystemen
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III. Zusammenfassung Das Thema ADR ist im gesamten englischen Rechtssystem allgegenwärtig. Die staatliche Förderung alternativer Streitbeilegungsmethoden sorgt dafür, dass ADR in Verbrauchersachen kein Fremdkörper im Rechtssystem darstellt, sondern integraler Bestandteil desselben ist. In Deutschland wäre hingegen eine Änderung der Streitkultur notwendig, damit ADR Akzeptanz bei Unternehmen und Verbrauchern findet und einen festen Platz im Rechtsschutzsystem finden kann. Die frühere aufgeregte und emotionale Stimmung des ADR-Diskurses hat sich indes nicht auf die ADR-Praxis übertragen. ADR hat sich bislang jedenfalls nicht als Schreckgespenst für die Ziviljustiz entpuppt, sondern soll eine komplementäre Stellung zu ihr einnehmen. In beiden Rechtsordnungen wird ADR primär die Funktion effizienter Streitbeilegung zugesprochen. In England soll ADR die Ziviljustiz sowie den Staatshaushalt als rechtspolitisches Instrument entlasten. Gleichzeitig respektieren sowohl Gesetzgeber als auch Gerichte die speziellen Charakteristika informeller ADR-Verfahren, die mehr auf Schnelligkeit und Kosteneffizienz als auf Individualgerechtigkeit ausgerichtet sind. ADR soll eben nicht der Rechtsdurchsetzung und Weiterentwicklung des Rechts verschrieben sein, sondern ihr Potenzial als Alternative zum staatlichen Zivilprozess durch flexible und interessengerechte Verfahren ausschöpfen. In der deutschen Literatur und Praxis zeigt sich deutlich, dass ADR keine Rechtsprechungsaufgaben wahrnehmen und insbesondere keine Rechtsfragen klären soll. Anders als in England, wo ADR auf einen angemessenen Interessenausgleich fokussiert, soll Verbrauchern in deutschen ADR-Verfahren zumindest, das heißt, wenn keine Einigung erreicht werden kann, mit einer Analyse der Rechtslage gedient werden, anhand derer sie ihre Erfolgschancen vor Gericht einschätzen können. In der Folge sind ADR-Verfahren in Deutschland stärker am Idealbild des Zivilprozesses ausgerichtet. Der Verbraucherschutz ist das Leitbild aller gesetzgeberischen Maßnahmen zur Förderung von ADR. Als prozedurales Verbraucherschutzinstrument soll ADR sowohl in England als auch in Deutschland dem Abbau sozialer und ökonomischer Barrieren sowie struktureller Ungleichgewichte zwischen Verbraucher und Unternehmen dienen und Verbraucher zur Geltendmachung ihrer Beschwerden mobilisieren. ADR-Stellen sehen sich in beiden Rechtsordnungen zur Neutralität verpflichtet. Die von ADR angestoßene Verbesserung unternehmensinterner Beschwerdevorgänge soll sogar dafür sorgen, dass die Durchführung eines ADR-Verfahrens überflüssig wird. In der deutschen ADR-Praxis wird die Befriedungsfunktion von ADR hervorgehoben. Das Verfahrensziel einer einvernehmlichen Lösung soll eine nachhaltige Konfliktlösung bewirken, die die Kundenbeziehungen schont und die Verbraucherzufriedenheit steigert. 430
Vgl. Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle, Ein Konzept setzt sich durch, 2017.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
Darüber hinaus hat die ADR-Praxis in England, anders als in Deutschland, das regulatorische Potenzial von ADR unlängst erkannt. Die Bemühungen zur Abgrenzung der Aufgaben sektorspezifischer ADR-Stellen zu denen der Regulierungsbehörden zeigen, dass sich alle Akteure der verschwimmenden Grenzen zum regulatorischen Handeln bewusst sind. Dreh- und Angelpunkt der quasiregulatorischen Tätigkeit ist, wie bereits vom Gesetzgeber des Legal Services Act 2007 erkannt wurde, die Erhebung und Auswertung von Beschwerdedaten. Sowohl der FOS als auch der OS:E sollen als Frühwarnsysteme agieren, um systemische branchenweite Probleme frühestmöglich zu identifizieren. Interessanterweise richtet sich der Fokus des FOS dabei auf missbräuchliche Geschäftspraktiken, während sich die Aufmerksamkeit des OS:E speziell auf unzulängliches Beschwerdemanagement richtet.431 Je nach Qualität der Datenauswertung können diese Erkenntnisse – wie am Beispiel der PPI-Thematik zu sehen ist – dem aktuellen Marktgeschehen hinterherhinken. Der stetigen Kooperation mit den Regulierungsbehörden messen ADR-Stellen nicht zuletzt deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil sie Anreize für behördliche Regulierungsmaßnahmen setzen kann. Ferner soll die Veröffentlichung von Daten Unternehmen dabei helfen, die aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse als lessons learned in die eigene Geschäftspraxis zu integrieren. Während ADR-Mechanismen in England zumindest mittelbar auf die Steuerung unternehmerischen Verhaltens zielen, werden Steuerungseffekte in Deutschland allenfalls als mittelbarer Effekt eines erhöhten Maßes an Rechtsverwirklichung angesehen. Unternehmen sollen zu mehr Kundenfreundlichkeit und Compliance mit den rechtlichen Rahmenbedingungen couragiert werden. Reflexartig dient ADR damit auch den Zielen der Rechtsdurchsetzung; weniger im Sinne der Durchsetzung von Individualansprüchen als zur Durchsetzung des bestehenden Regelwerks zugunsten der gesamten Verbraucherschaft und gesetzestreuen Konkurrenz. Dass ökonomische Steuerungswirkungen in der deutschen ADR-Praxis nicht offenkundig sind, liegt auch an der noch eher begrenzten Bedeutung der meisten ADR-Stellen. Dennoch scheint das Potenzial von ADR, Marktstandards verbessern zu können, vereinzelt durch. So sorgten die öffentlichen Appelle beziehungsweise Informationen des Versicherungsombudsmanns und der Schlichtungsstelle Energie für die Verbraucherschaft begünstigende Gesetzesänderungen im Bereich der Dreieckskonstellationen bei Restschuldversicherungen sowie im Hinblick auf den Ablehnungsgrund eines anhängigen Gerichtsverfahrens. Ferner sieht die Schlichtungsstelle Energie Steuerungseffekte für Investitionen in unternehmensinternes Beschwerdemanagement allein durch die eigene Präsenz und Aktivität bewirkt.
431 Die Vielfalt und Kreativität der Produkte sowie die Verkaufssituationen machen den Finanzsektor freilich weitaus anfälliger für missbräuchliche Geschäftspraktiken als den Energiesektor.
C. Steuerungseffekte durch ADR
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Erwägungen zu überindividuellen Rechtsschutzaufgaben von ADR finden sich nur vereinzelt. ADR ist zwar letztlich dazu geeignet, eine Vielzahl gleich gelagerter Beschwerden zu bewältigen, bietet jedoch keine eigenen überindividuellen Rechtsschutzmöglichkeiten im Sinne eines Gruppenverfahrens an.
C. Steuerungseffekte durch ADR Die Diskurse um ADR sowie die ADR-Praxis in beiden Rechtsordnungen zeigen, dass ADR nicht bloß effizientes Instrument zur Beilegung privater Individualstreitigkeiten sein muss, sondern Marktverhalten beeinflussen kann. Im Folgenden werden potenzielle und tatsächliche politische, ökonomische und soziale Steuerungswirkungen von ADR aufgezeigt.
I. Politisch intendierte Entlastung der Gerichte Beide Rechtsordnungen beabsichtigen mit der Förderung von ADR eine Entlastung der Gerichte. Die Ziviljustiz soll aus Kostengründen um einfache und geringwertige Streitigkeiten entlastet werden.432 Es gilt die Botschaft, dass eine einvernehmliche Lösung der Parteien gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung, die die ultima ratio und das schärfste Schwert der Ziviljustiz darstellt, vorzugswürdig sei. Die Förderung von ADR zur Entlastung der Justiz wird im Vereinigten Königreich offener kommuniziert und stringenter verfolgt als in Deutschland. Zugang zu ADR soll der staatlichen Verantwortung zur Gewährleistung zugänglicher Rechtsschutzmöglichkeiten Rechnung tragen und den Zugang zum Recht für Verbraucher verbessern. Der englische Gesetzgeber scheint gar vor der Aufgabe, soziale und wirtschaftliche Zugangshemmnisse zu den Zivilgerichten abzubauen, kapituliert und den Rechtsschutz für Verbraucher in die Verantwortung privater Institutionen ausgelagert zu haben.433 Ob die gesetzliche Förderung von ADR tatsächlich zu einer Entlastung der Zivilgerichte führt, lässt sich kaum beurteilen.434 Klar dürfte sein, dass etablierte ADR-Strukturen die Gerichtsbarkeit nicht in die Bedeutungslosigkeit führen werden. Zumindest in Deutschland zeigt sich, dass Verbraucher für zur Geltendmachung gleich gelagerter Streitgegenstände sowohl ADR als auch den Gerichtsweg, gegebenenfalls mittels Forderungsabtretung an Inkassounternehmen, wäh432 Gerade im Vereinigten Königreich gilt es, die begrenzten Haushaltsressourcen etwa in Form der Prozesskostenhilfe, primär in der Strafgerichtsbarkeit einzusetzen, in der sich der Bürger in einer Verteidigungsposition befindet und das Rechtsstaatsprinzip ein faires Verfahren gebietet. 433 Dies gilt besonders mit Blick auf die asymmetrischen Teilnahmeverpflichtungen für Unternehmen an ADR-Verfahren, hierzu sogleich unten unter Kap. 4 C. II. 434 So auch Isermann, VuR 2018, 283, 284.
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
len.435 Der Rückgang der Falleingangszahlen bei den Zivilgerichten wird kaum der zunehmenden Bedeutung von ADR zugeschrieben werden können.436 Letztlich ist davon auszugehen, dass die politischen Steuerungswirkungen auf die Wahl der Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Förderung von ADR aktuell eher gering sein dürften. Entweder der Zivilprozess stellt keinen gangbaren Weg dar oder die ADR-Möglichkeiten sind unzureichend etabliert. Größer ist hingegen die von ADR ausgehende Mobilisierungswirkung. Dies bedeutet, dass Verbraucher ADR zur Geltendmachung solcher Rechte nutzen, die sie gerichtlich aufgrund zu hoher Zugangsbarrieren nicht verfolgt hätten. Weiterhin kann die Förderung von ADR freilich dazu beitragen, das Bewusstsein von Verbrauchern über die Existenz und die Möglichkeiten von ADR zu schärfen.
II. Ökonomische Steuerungswirkungen Schon ausweislich des Ziels der ADR-Richtlinie, den Binnenmarkt durch ein flächendeckendes ADR-Netz zu fördern, soll ADR ökonomische Steuerungswirkungen zeitigen. Hierunter werden im Folgenden Effekte auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und auf das Verhalten von Marktakteuren verstanden. Eine ökonomische Steuerungswirkung ist bereits darin zu sehen, dass Unternehmen die Kostenlast für ADR-Verfahren tragen, sodass die Rechtsverfolgungskosten der Verbraucher – zumindest auf den ersten Blick – auf Unternehmen abgewälzt werden. Potenziell kann die Existenz von ADR-Stellen, besonders solcher mit zwingenden Zuständigkeiten, zudem eine Steigerung des Wettbewerbs sowie die Verbesserung von Marktstandards bewirken. Das größte Potenzial von ADR liegt indes darin, mehr Compliance der Unternehmen mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben sowie eine Verbesserung des unternehmensinternen Beschwerdemanagements zu erzielen. Die vom europäischen und den nationalen Gesetzgebern erhoffte Steigerung des Wettbewerbs zwischen Unternehmen, allein durch die Verfügbarkeit und Akzeptanz von ADR, lässt sich hier nicht beurteilen, ist jedoch als gering einzuschätzen.437 Freilich mag schon die Prämisse bezweifelt werden, dass Verbraucher ihre Vertragspartner danach aussuchen, ob ihnen im Streitfall ein ADRVerfahren zur Verfügung steht.438 Primär dürfte hier der Preis des Produkts oder 435 Dies zeigt etwa das Beispiel von Isermann, VuR 2018, 283, 284 f. zur Rechtsverfolgung nach massenhaften Ausfall von Personal einer Fluggesellschaft nach einem „wilden Streik“, in dem Verbraucher ihre Ansprüche sowohl vor die Gerichte als auch zur söp gebracht haben. 436 Hierzu noch unten in Kap. 6. 437 Eine dahin gehende empirische Untersuchung würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. 438 Bei Vertragsschluss werden Verbraucher nur äußerst selten an etwaige Konflikte denken, insofern zutreffend, Wagner, CML Rev. 51 (2014), 165, 184 f.; an der binnenmarktfördernden Wirkung von ADR zweifelnd, Engel, NJW 2015, 1633, 1634. Umtausch- oder Entschädigungsmöglichkeiten sowie ADR spielen bei Verbraucherkaufentscheidungen nur eine untergeordnete Rolle, so der Blick von Hubbard, CML Rev. (SI) 50 (2013), 187, 203 auf die Daten der Eurobarometer Survey.
C. Steuerungseffekte durch ADR
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der Dienstleistung entscheidend sein.439 Sofern Beschwerdemöglichkeiten die Entscheidung eines Verbrauchers beeinflussen sollten, dürfte zuvörderst die Qualität des internen Beschwerdemanagements beziehungsweise das Kulanzverhalten des Unternehmens entscheidungserheblich sein.440 Hinzu kommt, dass ADR speziell in regulierten Wirtschaftssektoren etabliert ist, in denen regelmäßig eine asymmetrische ADR-Verpflichtung für Unternehmen besteht, sodass sich aus der Nutzung von ADR kein Konkurrenzvorteil ergeben kann. In den übrigen Wirtschaftsbereichen spielt ADR – sofern keine verbandsgetragene ADR-Stelle existiert – auch im Verbraucherbewusstsein kaum eine Rolle, sodass der Konkurrenzvorteil durch die Nutzung von ADR gering sein dürfte, zumal den Bedürfnissen der Verbraucher durch ein kulantes Beschwerdemanagement eines Unternehmens besser entsprochen werden kann. ADR-Stellen können nicht nur zu einem erhöhten Maß an Rechtsverwirklichung beitragen, sondern potenziell auch steuernd verbraucherfreundliche materiell-rechtliche Standards bewirken. Unmittelbare Steuerungsversuche von ADR-Stellen sind in der Form denkbar, dass der Entscheidungsmaßstab für Beschwerden, in Abweichung zur relevanten Rechtsprechung und Rechtslage, systematisch höhere Standards an Unternehmen setzt. Verbandsgetragene ADRStellen können überdies auf die Anpassung branchenspezifischer Verhaltenskodizes hinwirken. Solch unmittelbare Eingriffe gefährden freilich das Vertrauen in die Neutralität der ADR-Stelle und bilden daher eine seltene Ausnahme.441 Mittelbar können ADR-Stellen Marktstandards zu steuern versuchen, indem sie öffentlichen Druck auf Legislative und Exekutive ausüben. Die Veröffentlichung missbräuchlicher Geschäftspraktiken und Informationen über Missstände und Gesetzeslücken kann, bei entsprechendem Gewicht der ADR-Stelle, Regulierungsbehörden und Gesetzgeber dazu veranlassen, die materielle Rechtslage anzupassen. Beispielhaft hierfür ist etwa das von FOS veranlasste Handeln der britischen Finanzaufsicht in der PPI-Thematik442 sowie die Gesetzesänderung hinsichtlich der Aufklärungspflichten bei Restschuldversicherungen nach entsprechendem Appell des Versicherungsombudsmanns.443
439
So auch Wagner, CML Rev. 51 (2014), 165, 184 f. Die Einschätzung der Qualität kann dabei auf eigenen Erfahrungen sowie der Reputation eines Unternehmens beruhen. Dem Online-Handelsriesen Amazon ist es etwa möglich, höhere Preise als die Marktkonkurrenz zu verlangen, da sich die Kunden auf das äußerst kulante Beschwerdemanagement des Unternehmens verlassen, vgl. Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 207; Rosenbach, ZKM 2017, 168, 172; Specht, MMR 2019, 153, 155. 441 Kaum vorstellbar ist eine solche Praxis in der deutschen ADR-Landschaft, deren Verfahrensergebnisse an geltendem Recht auszurichten sind, hierzu noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2. 442 Der Druck führte gar zum Verbot von PPIs mit einer single premium policy, s. hierzu bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4. 443 Hierzu oben unter Kap. 3 B. II. 3. a). 440
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
Für solch mittelbare ökonomische Steuerungswirkungen bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen ADR-Stellen und Behörden, mit der speziell in den regulierten Wirtschaftssektoren im Vereinigten Königreich zu rechnen ist. Die lessons learned aus der PPI-Thematik zeigen indes, dass die Verbesserung von Marktstandards nur zweitrangig sein kann und der Fokus vorrangig auf der Prävention weiterer Skandale sowie der Verbesserung der Beschwerdebewältigung liegt.444 Das Steuerungspotenzial deutscher ADR-Stellen ist hingegen gering. Mangels asymmetrischer Verpflichtungen zur Teilnahme am Verfahren und Befolgung des Ergebnisses ist die Bedeutung und das Druckpotenzial der ADR-Stellen meist gering. Unternehmen könnten sich in diesen Bereichen ohne Weiteres der Einflussnahme einer ADR-Stelle entziehen, die versucht, systematisch auf eine verbraucherfreundliche Rechtslage hinzuwirken. Hinzu kommt die restriktive Veröffentlichungspraxis der deutschen ADR-Stellen. Das größte Potenzial zur Steuerung unternehmerischen Verhaltens erzielt ADR durch ein höheres Maß an Rechtsverwirklichung, welches die wirtschaftlichen Anreize für unternehmerisches Fehlverhalten und kalkulierte Vertragsbrüche senkt. Im Falle eines – gegebenenfalls unbewussten – Fehlverhaltens kann ein Unternehmen sein künftiges Verhalten entsprechend der Beurteilung der ADR-Stelle korrigieren. ADR-Stellen haben damit großen Einfluss auf die Verbesserung des unternehmensinternen Beschwerdemanagements. Unternehmen können versuchen, Verbraucherbeschwerden nach Maßgabe früherer Beurteilungen der ADR-Stelle zu kompensieren, um die Eskalation in ein ADR-Verfahren, dessen Kosten das Unternehmen zu tragen hätte, zu verhindern. Nicht selten verbessert sich hierdurch auch die Qualität der Stellungnahmen des Unternehmens. Diese sind Ausdruck kundenfreundlichen Verhaltens und tragen dafür Sorge, dass sich Verbraucher ernstgenommen fühlen. Bedingung hierfür ist eine asymmetrische Teilnahmepflicht für Unternehmen sowie eine Finanzierung der ADR-Stelle durch Fallpauschalen.445 Zudem können die Gebührenordnungen der ADR-Stellen die Entschädigungsbereitschaft der Unternehmen durch finanzielle Anreize für ein sofortiges Anerkenntnis erhöhen.446
444
Hierzu oben unter Kap. 3 B. I. 4. Anreize zur Bewältigung von Beschwerden bereits auf Unternehmensebene würden bei einer Finanzierung der ADR-Stelle abhängig vom jeweiligen Marktanteil des Unternehmens oder durch die bloße Erhebung von Mitgliedsbeiträgen fehlen. 446 Zu starke Gebührennachlässe für sofortige Anerkenntnisse können hingegen den gegenteiligen Effekt bewirken, dass es sich für Unternehmen wirtschaftlich lohnt, abzuwarten, ob sich ein Verbraucher tatsächlich an eine ADR-Stelle wendet oder von der weiteren Verfolgung seiner Ansprüche absieht. Bemerkenswert ist der große Anteil der sofortigen Anerkenntnisse bei der söp von 30 %, im Bereich Flug sogar von 42 %, söp, Jahresbericht 2021, 2022, S. 22. 445
C. Steuerungseffekte durch ADR
157
Im Vereinigten Königreich werden weitere Anreize zu kundenfreundlichem Verhalten dadurch gesetzt, dass Verbraucher von einigen ADR-Stellen für immaterielle Schäden, wie erlittene Unannehmlichkeiten, entschädigt werden, die auch aus einem unzureichenden Beschwerdemanagement des Unternehmens resultieren können. Schließlich ist es – zumindest für die englische Rechtsordnung – denkbar, dass ADR-Stellen als Frühwarnsystem für schlechtes Beschwerdemanagement agieren und betroffene Unternehmen bei der Verbesserung der internen Prozesse im Interesse aller Stakeholder beraten.447 Die Veröffentlichungspraxis bedeutender ADR-Stellen zeigt, dass eine Verbesserung des unternehmensinternen Beschwerdemanagements nicht nur intendiert, sondern auch erreicht wird.448 In diesem Zusammenhang ist die Steuerung der unternehmensinternen Beschwerdeprozesse durch die Finanzaufsicht und den FOS in der PPI-Thematik als beispielhaft zu betrachten, wenngleich sie einen raren Sonderfall darstellt. Genaue Leitlinien für Unternehmen sowie die obligatorische root cause analysis führten dazu, dass der weitüberwiegende Teil der Beschwerden bereits auf Unternehmensebene gelöst wurde.449 ADR ist kein Rechtsdurchsetzungsinstrument. Weder ist es Aufgabe und Funktion von ADR, Recht durchzusetzen, noch sind die Verfahrensstrukturen hierauf ausgelegt; insofern fehlt es schon an der Möglichkeit, Zwangsmittel anzuwenden.450 Im Hinblick auf die ADR-Richtlinie überlagert der Streitbeilegungszweck Bedürfnisse des materiellen Verbraucherrechts.451 Dennoch bezweckt ADR mittelbar und nachrangig, rechtskonformes Verhalten der Unternehmen durch konsequente Entschädigungen der Verbraucher zu bewirken. Rechtsverwirklichung ist damit zumindest Reflex funktionierender ADR-Strukturen. ADR bleibt damit, egal ob dem Geltungsanspruch des materiellen Rechts rein faktisch oder intendiert Rechnung getragen wird, immer auch 447
So in Bezug auf den OS:E, oben unter Kap. 3 B. I. 5. So etwa im Energiebereich, Schlichtungsstelle Energie, Tätigkeitsbericht 2017, 2018, S. 1; lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 19; Ombudsman Services, Review of the Ombudsman Services response to the Lucerna report of Ombudsman Services: Energy, 2016, S. 24. 449 So etwa in der PPI-Thematik, s. bereits oben unter Kap. 3 B. I. 5. 450 Mit der insofern zutreffenden Untersuchung, dass ADR, insbesondere die Schlichtung, nicht zur Rechtsdurchsetzung geeignet ist, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 195–233, wobei es fraglich erscheint, ADR an eben diesem Maßstab zu bewerten und außerrechtliche Interessen weitestgehend außer Acht zu lassen. 451 In diese Richtung auch Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 17 f.; wohl auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 262; zum Verhältnisses des Verbraucherschutzes zur materiellen Rechtsbindung auch noch unten unter Kap. 4 F. Dass die ADR-Richtlinie die Durchsetzung von Verbraucherrecht mit keinem Wort erwähnt, erkennt zutreffend Riehm, JZ 2016, 866, 867. Gleichwohl ist das Vollzugsdefizit materiellen Verbraucherrechts Ausgangspunkt der Förderung von ADR, Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, die gleichwohl kritisiert, dass es für eine solche Annahme an Begründung und Empirie fehle; vgl. Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 29–31. 448
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
mit dem Begriff der Rechtsdurchsetzung verbunden. Entsprechend der gerichtsähnlichen Ausrichtung deutscher ADR-Stellen soll ADR mehr zur Wahrung von Recht und Gesetz beitragen als im Vereinigten Königreich, in welchem eine interessengerechte Streitlösung fokussiert wird.452
III. ADR als soziales Steuerungsinstrument Die in ADR verankerten sozialen Elemente bezwecken die Mobilisierung von Verbrauchern. Das soll durch den Abbau – zumindest gefühlter – wirtschaftlicher und sozialer Hemmnisse und dem Ausgleich struktureller Asymmetrien in Verbraucherstreitigkeiten erreicht werden. ADR fungiert, in Ergänzung zum materiellen Verbraucherrecht, als Instrument zur Herstellung von Waffengleichheit zwischen den Streitparteien. ADR ist mithin prozessuales Instrument des Verbraucherschutzes, dass wirtschaftliche und soziale Ungleichgewichte zwischen Unternehmen und Verbrauchern auszugleichen versucht.453 Dabei ist es unerheblich, ob eine strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers – wie dies für die deutsche Rechtsordnung teilweise bezweifelt wird –454 tatsächlich besteht oder nur als solche wahrgenommen wird. Im Ergebnis ist es entscheidend, ob der Verbraucher von der Verfolgung seiner Ansprüche angesichts der (empfundenen) Übermacht des Unternehmens absieht, selbst wenn Außenstehende diese Apathie nicht als rational beurteilen würden.455 Offenkundig zielen die für Verbraucher meist kostenlosen ADR-Verfahren darauf ab, die wirtschaftliche Überlegenheit der Unternehmen auszugleichen. Der Einsatz moderner Kommunikationsmedien sowie der Verzicht auf mündliche Verhandlungen reduzieren die Rechtsverfolgungskosten. Zudem soll die Entbehrlichkeit rechtlichen Beistands den wirtschaftlichen Aufwand für Verbraucher gering halten. Die strukturelle soziale Unterlegenheit der Verbraucher soll unter anderem durch die Beratung von Verbrauchern und die Simplifizierung der Verfahrensstrukturen, kompensiert werden. Die Neutralitätspflicht der ADR-Stellen gebietet es, die etwaigen Ungleichgewichte nur auszugleichen, nicht aber eine überlegene Stellung der Verbraucher zu bewirken.456 452 Aus Perspektive der englischen Politik soll Verhaltenssteuerung jedoch primär durch eine Wettbewerbssteigerung und öffentlichen Druck durch die Veröffentlichung missbräuchlicher Geschäftspraktiken erfolgen, die Verhaltenssteuerung durch Rechtsverwirklichung erfolgt daher eher reflexartig. 453 Das betrifft sowohl die ungleichen finanziellen Ressourcen als auch die Unerfahrenheit der Verbraucher als „single shotter“ gegenüber Unternehmen als „repeat player“. 454 Nicht von einer grundsätzlichen, sondern nur situativen Unterlegenheit sprechen wollend, Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 35 f.; zustimmend Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 40 f.; mit Zweifeln an einer Unterlegenheit des Verbrauchers im deutschen Zivilprozess, Roth, JZ 2013, 637, 641 f. 455 Für den Verbraucher selbst ist das Desinteresse durchaus rational, wenn er den Aufwand der Rechtsverfolgung als zu hoch einstuft.
C. Steuerungseffekte durch ADR
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Anknüpfungspunkt für den Ausgleich sozialer Nachteile stellt bereits der Abbau von Informationsasymmetrien dar. Die Informationsstrategie vieler ADRStellen besteht darin, Verbraucher schon im Vorfeld eines Verfahrens über ihre Rechte und Rechtsschutzmöglichkeiten zu informieren, um sie zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zu ermutigen. Wie die gemeinsame Werbekampagne der britischen Finanzaufsicht und des FOS zeigte, kann es schon darum gehen, Verbraucher über missbräuchliche Geschäftspraktiken und etwaige daraus resultierende Ansprüche aufzuklären sowie auf die Existenz von ADR aufmerksam zu machen.457 Entsprechende Informationen stellen ADR-Stellen auf ihren Webseiten zur Verfügung. Darüber hinaus stehen die Mitarbeiter der ADR-Stellen Verbraucheranfragen grundsätzlich mittels Fernkommunikationsmitteln zur Verfügung und unterstützen Beschwerdeführer bei der Formulierung ihres Begehrens. Im Hinblick auf die Neutralitätspflicht der ADR-Stelle problematisch zu sehen, wäre hingegen die Unterstützung der Verbraucher im Sinne einer eingehenden Rechtsberatung, da das Verfahren freilich nicht schon vor dessen Einleitung vorweggenommen werden soll. Die Praxis der ADR-Stellen in England und Deutschland divergiert insofern, als dass englische ADR-Stellen dazu neigen, die Grenzen der Neutralität weiter auszulegen als ihre deutschen Pendants. Eine soziale Unterlegenheit des Verbrauchers tritt in erster Linie im Verfahren selbst auf. Während der Verbraucher regelmäßig zum ersten Mal ein ADRVerfahren bestreiten wird, sind Unternehmen mit dem Verfahren vertraut oder verfügen über die nötigen Ressourcen, um sich mit den Gegebenheiten bekannt zu machen. Gegenüber dem Zivilprozess sind Antragstellung und die Abläufe der ADR-Verfahren einfacher und informeller ausgestaltet. Hinzu kommt eine verstärkt inquisitorische Verfahrensleitung der neutralen dritten Person, die Verbraucher dazu anleitet, effektiv zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Zudem werden die Beweisregeln in dokumentenbasierten ADR-Verfahren zugunsten der Verbraucher mitunter sehr flexibel gehandhabt.458 Des Weiteren wird der Unerfahrenheit der Verbraucher dadurch Rechnung getragen, dass sie über die Verfahrensschritte und gegebenenfalls über sachdienliche Verfahrensmaßnahmen aufgeklärt werden. Im Falle der Vermittlung einer einvernehmlichen Lösung steht die neutrale dritte Person als Garant dafür, dass Verbraucher in Unkenntnis der tatsächlichen Rechtslage nicht durch das Verhandlungsgeschick der Unternehmen sprichwörtlich „über den Tisch gezogen“ werden. Überdies dienen die Mitarbeiter der ADR-Stelle als Kommunikations-
456 Die Neutralitätspflicht der neutralen dritten Person bildet wie bei Gerichtsverfahren die Grenze zulässiger rechtlicher Hinweise, so auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 164. 457 Insbesondere soll verhindert werden, dass Verbraucher – aus Sicht der ADR-Stellen unnötigerweise – Inkassounternehmen mit der Geltendmachung ihrer Forderungen beauftragen. 458 Näher hierzu noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. d) ee).
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Kapitel 3: ADR als politisch-ökonomisches Steuerungsinstrument
hilfe zwischen beiden Parteien, indem die jeweiligen Positionen mittels einfacher Sprache deutlich gemacht werden. Die einfache Sprache kann sich auch in der Begründung des Verfahrensergebnisses niederschlagen. Die Neutralitätspflicht einer ADR-Stelle steht der Beratung der Verbraucher grundsätzlich nicht entgegen, da die sozialen Verfahrenselemente lediglich dazu dienen, die Parteien möglichst auf Augenhöhe begegnen zu lassen. Unternehmen bedürfen hingegen keiner Beratung durch die ADR-Stelle beziehungsweise können ein Informationsdefizit durch eigene Ressourcen kompensieren. ADR ist auf die Beilegung von Individualbeschwerden ausgerichtet und bietet keinen überindividuellen Rechtsschutz, wenngleich letzterer gerade dazu geeignet ist, wirtschaftliche und soziale Hemmnisse abzubauen. Die einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle zugrunde liegenden systematischen Probleme können nur schwer durch Individualbeschwerden geklärt werden. Jedenfalls der europäische Gesetzgeber wird den überindividuellen Rechtsschutz künftig in Form einer Verbandsklage qualifizierten Einrichtungen in die Hände geben.459 Ob ADR-Mechanismen dennoch dazu geeignet sind, Massenbeschwerden zu bewältigen, ist im Wesentlichen eine Frage der Kapazität und Autorität der jeweiligen ADR-Stelle. Im Vereinigten Königreich wird die Bewältigung von Massenbeschwerden primär als Aufgabe der Regulierungsbehörden gesehen, während ADR nur auf sekundärer Ebene für Gerechtigkeit im Einzelfall sorgen kann und soll.
IV. Bedeutung von Beschwerde- und Marktdaten Das Potenzial von ADR-Stellen, Beschwerdedaten und Marktinformationen in Echtzeit zu sammeln, bildet im Vereinigten Königreich den Ausgangspunkt für ökonomische Steuerungswirkungen. Durch die Aggregation und den Austausch der Daten mit Behörden können ADR-Stellen viele Individualfälle zusammenführen und ein vollständiges Bild über das Marktgeschehen in bestimmten Wirtschaftssektoren abliefern. ADR-Stellen können systematisch missbräuchliche Geschäftspraktiken oder problematische Produkte identifizieren und Regulierungsbehörden um einen – andernfalls notwendigen – eigenen Ermittlungsaufwand entlasten.460 Weiterhin mobilisiert die Veröffentlichung missbräuchlicher Geschäftspraktiken weitere Verbraucherbeschwerden. Da Beschwerden erst mit einem zeitlichen Abstand zum Vertragsschluss aufkommen, handelt es sich freilich um einen langwierigen Prozess. Die Erhebung und Veröffentlichung von Beschwerdedaten sowie deren Austausch wird in Deutschland sowohl vom Gesetzgeber als auch der ADR-Praxis im Hinblick auf das Vertrauen in die Neutralität der ADR-Stellen kritisch gese459 Vorschlag v. 11.4.2018 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie2009/22/EG, COM(2018) 184 final. 460 Diese Aspekte wurden letztlich sogar vom englischen Gesetzgeber aufgegriffen, hierzu bereits oben unter Kap. 3 B. I. 2.
C. Steuerungseffekte durch ADR
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hen.461 Das Neutralitätsgebot steht hier dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Transparenz gegenüber. Das Potenzial der Verwertung der dennoch durch ADRStellen gesammelten Daten im Rahmen der Sekundärforschung bleibt nicht zuletzt aufgrund unikativer Datensätze und mangels soziodemographischer Merkmale ungenutzt.462 Inwiefern – ungeachtet der datenschutzrechtlichen Bestimmungen463 – Nutzen von den gesammelten Beschwerdedaten gemacht werden kann, wird davon abhängen, ob Geschäftspraktiken Rückschlüsse auf einzelne Unternehmen zulassen, weshalb die Beurteilung je nach Streitgegenstand und Wirtschaftssektor stark variieren kann.464 Jedenfalls sollte berücksichtigt werden, dass die Vertraulichkeit desto weniger schützenswert ist, desto schwerer das Fehlverhalten des Unternehmens wiegt. Ferner steigt das Bedürfnis nach Transparenz und Informationen für die Öffentlichkeit mit zunehmender Bedeutung der ADRStelle.465
461
Eingehend hierzu noch unten unter Kap. 5 C. III. Hierzu Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303 ff.; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017, S. 113–115. 463 Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017, S. 87–104. 464 So lässt unternehmerisches Fehlverhalten im Finanzsektor weniger Rückschlüsse auf das Unternehmen zu, als dies im Bahnverkehr der Fall wäre. 465 So im Ergebnis auch Stadler, ZZP 128 (2015), 165, 182. 462
Kapitel 4
Handlungslast, Ergebnisbindung und Rechtsbindung in ADR-Verfahren Idealbild der Streitbeilegung ist der sich auf das Gewaltmonopol des Staates stützende und nach Individualgerechtigkeit strebende Zivilprozess mit symmetrischen Rechten und Pflichten der Streitparteien. Demgegenüber weicht ADR den Dreiklang des Zivilprozesses, bestehend aus Handlungslast, Ergebnisbindung und Rechtsbindung, durch flexible und effiziente Verfahrensgestaltung auf. Diese erklärungsbedürftigen Abweichungen vom justiziellen Idealbild können regelmäßig mit der Privatautonomie der Parteien begründet werden. Erklärungsbedürftig sind zudem, die aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers vorgesehenen, asymmetrischen Pflichtenkonstellationen, die Unternehmen enger an das ADR-Verfahren und Verfahrensergebnisse binden als den Verbraucher. Eine zwingende ADR-Jurisdiktion vermag Unternehmen im Ergebnis den Zugang zu den Gerichten versperren und tritt in Konflikt mit dem grundrechtlich garantieren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Dieses Kapitel untersucht die Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren und deren Ergebnisse sowie die materielle Rechtsbindung des Inhalts der Ergebnisse. Dabei liegen der Untersuchung zwei Annahmen zugrunde: Die erste Hypothese geht davon aus, dass die Kumulation der Fesselung an Verfahren und Ergebnis, die einer Justizpflichtigkeit im Zivilprozess ähnelt, die Rechtsbindung des Inhalts des Verfahrensergebnisses zur Folge haben muss. Die zweite Hypothese geht davon aus, dass die Rechtsbindung des Ergebnisinhalts umso höher ist, desto klarer die zugrunde liegende Sach- und Rechtslage ist.
A. Handlungslast, zwingendes Urteil und Rechtsbindung – der traditionelle Dreiklang der Ziviljustiz Die zwangsweise Durchsetzung von Rechten ist die Grundvoraussetzung für die Existenz einer jeden Privatrechtsordnung,1 um den durch sie vermittelten Rechten und Pflichten absoluten Geltungsanspruch zu verleihen. Um das staatliche 1 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1 Rn. 9; in diese Richtung auch Bingham, The rule of law, 2010, S. 85; ähnlich mit Bezügen zu Hayek, Loveland, Constitutional Law, Administrative Law, and Human Rights, 62012, S. 57; Bremer Vulkan Schiffbau und Maschinenfabrik v South India Shipping Corp [1981] AC 909 Rn. 976 (per Lord Diplock):
A. Handlungslast zwingendes Urteil und Rechtsbindung
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Gewaltmonopol aufrecht zu halten und um Selbstjustiz versagen zu können, stellt der Staat, als Träger der Justizhoheit,2 selbst gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Dementsprechend besteht der Zweck des Zivilprozesses in der Verwirklichung und Feststellung subjektiver Rechte.3 Die Verwirklichung dieses Prozesszwecks erfordert einen Dreiklang der Ziviljustiz aus Handlungslast, zwingendem Urteil und materieller Rechtsbindung. Handlungslast4 beziehungsweise Einlassungs- oder Teilnahmepflicht5 bedeutet, dass die Parteien an das Verfahren gebunden sind. Zwar können sie nicht zur Teilnahme gezwungen werden, jedoch hat ihre verweigerte Mitwirkung Folgen.6 Sie ist erforderlich, da die zwangsweise Rechtsdurchsetzung nicht vor der Mitwirkung der anderen Partei abhängen darf. Effektive Rechtsdurchsetzung bedingt überdies ein verbindliches und mit Zwang durchsetzbares Urteil. Die Wirkung der Entscheidungen und ihre Vollstreckungsmöglichkeiten ruhen auf der öffentlichen Gewalt des Staates, der die Parteien unterworfen sind.7 Die Bindung gerichtlicher Urteile an materielles Recht folgt primär aus dem Prozesszweck der Durchsetzung subjektiver Rechte. Die Rechtsbindung ergibt sich für die deutsche Rechtsordnung aus der Unterwerfung der richterlichen Gewalt unter das Gesetz, Art. 97 Abs. 1 GG und § 1 GVG.8 In England folgt die Bindung aus Recht und Gesetz aus den Doktrinen der rule of law sowie der judicial precedents.9 „Every civilised system of government requires that the state should make available to all its citizens a means for the just and peaceful settlement of disputes between them as to their respective legal rights. The means provided are courts of justice to which every citizen has a constitutional right of access.“ 2 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 3 Rn. 1; nur eine verbindliche Entscheidung kann im Interesse der Parteien und der Allgemeinheit Selbstjustiz verhindern, Bingham, The rule of law, 2010, S. 85. 3 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1 Rn. 12; BGH, Urt. v. 8.10.1953 – III ZR 206/51, BGHZ 10, 333 = NJW 1953, 1830, 1831; BGH, Urt. v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138 = NJW 2005, 291, 293; so im Grunde auch Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 11, die jedoch eher auf den öffentlichen Nutzen der Ziviljustiz fokussiert. 4 Den Begriff Handlungslast bevorzugend, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 2, Rn. 11, da keine Pflicht zum Handeln bestünde, die unmittelbar erzwungen werden könnte, Untätigkeit jedoch regelmäßig zum Verlust des Prozesses führen wird; im Anschluss an Goldschmidt, Neudruck der Ausgabe Berlin 1925, 1962, S. 100. 5 Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 2014, S. 24, der bewusst von einer „Pflicht“ spricht, da der Ausdruck „Last“ dazu verleite, die maßgeblichen Gesichtspunkte und Zusammenhänge zu vernachlässigen und der sich somit der Argumentation von Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, 1939, S. 325–333 anschließt. 6 Hierzu gehören die Folgen der Säumnis, §§ 330–347 ZPO bzw. Part 12 CPR sowie die Geständnisfunktion durch Nichtbestreiten, § 138 Abs. 3 ZPO. 7 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1, Rn. 35; die Notwendigkeit verbindlicher Urteile betonend, Bingham, The rule of law, 2010, S. 85. 8 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1, Rn. 31. 9 Eingehend hierzu Hayek, The Road to Serfdom, 22001, S. 75–90; sich insofern auf Hayek
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Gerichtliche Urteile verfolgen damit das Konzept einer Individualgerechtigkeit, die aus einer strikten Rechtsanwendung gepaart mit einer rechtskonformen Ausübung des Ermessens besteht, das durch Verfahrensvorschriften, Generalklauseln sowie Billigkeitstatbeständen – wie etwa § 242 BGB – gewährt wird. Dem Konzept individualgerechter Lösungen liegt damit selbst ein unauflösbares Spannungsverhältnis zwischen materiellem Recht und Billigkeitskriterien zugrunde. Dieses Spannungsverhältnis besteht gerade, aber eben nicht nur, in ADR-Verfahren. Die Spannung zwischen Recht und Billigkeit findet in der englischen ADR-Landschaft durch den Fair-and-reasonable-Standard10 und in Deutschland durch das Rechtsorientierungsgebot11 des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG Ausdruck. Zum subjektiven Rechtsschutz gehört die Parteiherrschaft über das Verfahren und damit auch die Befugnisse der Parteien über das Verfahren einseitig zu disponieren sowie den Streit einvernehmlich beizulegen.12 Die Fairness eines Verfahrens, in welchem symmetrische Rechte und Pflichten der Parteien bestehen und über welches die Parteien die Herrschaft ausüben, ist indes nur gewährleistet, wenn ein Gleichgewicht zwischen den Ressourcen der Parteien besteht.13 Da eine solche Parität in der Realität nur selten besteht, kennt der Zivilprozess sozialstaatliche Elemente, die der Beförderung von Waffengleichheit zu dienen bestimmt sind. Hierzu gehören Beratungs- und Prozesskostenhilfe beziehungsweise legal aid sowie Elemente, die den Prozess effizienter gestalten und insbesondere die Dauer und Kosten des Verfahrens beschränken sollen.14 Die mit erhöhter Effizienz einhergehende Senkung der Rechtsverfolgungskosten dient dem Schutz der wirtschaftlich schwächeren Partei.15 Diese Maßnahmen sind zwar aus sozialstaatlichen Gründen erforderlich, befördern jedoch eine Asymmetrie der Pflichtenkonstellationen im Zivilprozess beziehungsweise schränken die Herrschaft der Parteien über das Verfahren ein.
beziehend, Loveland, Constitutional Law, Administrative Law, and Human Rights, 62012, S. 57. 10 Eingehend zum Fair-and-reasonable-Standard noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. 11 Eingehend hierzu noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2. 12 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1 Rn. 13. Dieser Grundsatz ist auch im englischen Zivilprozess anzutreffen und folgt letztlich aus dem Prinzip kontradiktorischer Verfahren, sog. adversary procedure, eingehend zum „adversary system“ Glasser, MLR 56 (1993), 307 ff.; Lightman, C.J.Q. 17 (1998), 373, 388–391; zutreffend auch Jacob, The fabric of English civil justice, 1987, S. 12–15; „[...] under the adversary system, the passive role of the court becomes the active role of the parties and their lawyers.“; vgl. auch Schmitthoff, JZ 1972, 38, 41. 13 Bingham, The rule of law, 2010, S. 90. 14 Etwa Regelungen zur Begrenzung der Beweisaufnahme, wie die Fokussierung auf ein gerichtliches Gutachten und Vorkehrungen zur Verhinderung einer Prozessverzögerung. 15 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1 Rn. 14. Dies ist letztlich auch Raison des rationalisierenden Case Managements der Woolf-Reformen, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 55; in diese Richtung auch Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117, 128.
B. ADR und Justizgewährungsansprüche
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Mithin liegt dem Zivilprozess seither ein Spannungsverhältnis zwischen der Symmetrie von Rechten und Pflichten sowie der Gewährleistung von Waffengleichheit der Parteien zugrunde, die grundsätzlich nur im Falle symmetrischer Ressourcen der Parteien gegeben ist. Des Weiteren tritt das Konzept der Individualgerechtigkeit, das größtmögliche Gründlichkeit unter Ausschöpfung jeglicher Beweismittel voraussetzt, in Konflikt mit der Notwendigkeit erhöhter Effizienz durch die Beschleunigung und Vergünstigung des Verfahrens. Wird die Beweisaufnahme aus Effizienzgründen beschränkt und bestehen damit Unsicherheiten, kann Individualgerechtigkeit nicht mehr sichergestellt werden. Mithin stellt sich sowohl für die Ziviljustiz als auch für ADR die Frage, ob und wenn ja inwieweit die Individualgerechtigkeit der Effizienz zu weichen hat. Es wäre daher falsch, würde man den Begriff der Individualgerechtigkeit allein mit der Justiz und den der Effizienz allein mit ADR gleichsetzen. ADR ist durchaus in der Lage Individualgerechtigkeit herzustellen und mag in ihrer evaluativen Form bei klarer Sach- und Rechtslage sogar hierzu angehalten sein.16 Es sind diese grundsätzlichen Spannungsverhältnisse, die sich nicht nur in ADR-Verfahren stellen, sondern gerade ihrer Förderung zugrunde liegen. Die Abkehr von der Aufgabe der – im Zivilprozess verfolgten – Rechtsdurchsetzung erlaubt es ADR, noch flexiblere und effizientere Streitbeilegung anzubieten und die Rechte und Pflichten im Verfahren zwischen den Parteien asymmetrisch und zugunsten der schwächeren Partei zu verteilen. Die weitergehende Entfernung vom Idealbild des gerichtlichen Rechtsschutzes macht die Unterschiede zugleich erklärungsbedürftig. Dies gilt besonders dann, wenn asymmetrische Pflichten der Unternehmen in ADR-Verfahren den Gerichtsweg faktisch substituieren können, das Verfahren indes eher auf Beschleunigung als auf Gründlichkeit ausgerichtet ist. Die Spannungsverhältnisse zwischen Symmetrie und Waffengleichheit sowie zwischen Gründlichkeit und Effizienz in ADR-Verfahren hat jede Rechtsordnung und ADR-Stelle für sich zu beantworten. Während sich ADR in England an größtmöglicher Effizienz und asymmetrischer Pflichtenkonstellationen orientiert, scheuen deutsche ADR-Stellen eine Entfernung vom formalen Zivilprozess.
B. ADR und Justizgewährungsansprüche Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist sowohl im Europarecht als auch im nationalen Verfassungsrecht verankert. Mit der Förderung von ADR wird die eigentlich staatliche Verantwortung zur Gewährleistung von Rechtsschutz ge-
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Hierzu unten unter Kap. 4 f. IV.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
wissermaßen auf private Stellen verlagert.17 Da der Zugang zu den Gerichten für Verbraucher bis zuletzt offen bleibt, berührt ADR nicht den Justizgewährungsanspruch der Verbraucher. Unternehmen hingegen, die asymmetrisch an Verfahren und Ergebnisse außergerichtlicher Streitbeilegung gebunden sind, kann der Gerichtsweg im Ergebnis versperrt und ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz stark beschränkt werden.
I. Grundsatz der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Europarecht Effektiver Rechtsschutz und insbesondere der Zugang zu den Gerichten wird im Europarecht durch Art. 6 und 13 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)18 sowie Art. 47 Europäische Grundrechtecharta (GRCh)19 gewährleistet. Diese justiziellen Verfahrensgarantien beschränken zugleich die Etablierung obligatorischer ADR-Verfahren. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Deutschland haben die EMRK ratifiziert. 1. Recht auf wirksame Beschwerde, Art. 6 und 13 EMRK Art. 13 EMRK garantiert jeder Person das Recht auf einen wirksamen – nicht notwendigerweise gerichtlichen –20 Beschwerdemechanismus im Falle der plausiblen Behauptung einer Konventionsrechtsverletzung durch einen Akt öffentlicher Gewalt.21 Die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs erfordert nicht, dass dieser Erfolg hat, sondern ist bereits dann gegeben, wenn das Verfahren zugänglich und geeignet ist, die Fortdauer der behaupteten Konventionsverletzung zu beenden oder erlittenen Verletzungen angemessen abzuhelfen.22
17 Rechtsschutz im verfassungsrechtlichen Sinne können private Institutionen freilich nur wahrnehmen, sofern sie „Gericht“ sind, hierzu sogleich unter Kap. 4 B. I. 3. c). 18 Bekanntmachung der Neufassung der Konvention v. 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 17.5.2002, BGBl. 2002 II S. 1054. 19 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 326 v. 26.10.2012, S. 391. 20 Insofern kommt den Vertragsstaaten der EMRK ein Ermessensspielraum zu, EGMR, Urt. v. 27.1.2015 – Nr. 36925/10 u.a., Rn. 182 – Neshkov u.a./Bulgarien; EGMR, Urt. v. 26.4.2007 – Nr. 25389/05, Slg 07-II, Rn. 53 – Gebremedhin/Frankreich; Rainey/Wicks/ Ovey, Jacobs, White and Ovey, 72017, S. 139; Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 6.79. 21 Meyer-Ladewig/Renger, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 13 Rn. 6–8 m. w. N.; Wadham/Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 7.541; Rainey/Wicks/Ovey, Jacobs, White and Ovey, 72017, S. 138. 22 Meyer-Ladewig/Renger, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 13 Rn. 9 m. w. N.; EGMR, Urt. v. 26.10.2000 – Nr. 30210/96, NJW 2001, 2694, 2700 – Kudła/Polen; EGMR, Urt. v. 15.1.2015 – 62198/11, NJW 2015, 1433, 1437 – Kuppinger/ Deutschland; vgl. auch Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 6.81.
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Für Zivilsachen ist Art. 6 Abs. 1 EMRK, der weitergehende Garantien enthält, lex specialis.23 Demnach hat jede Person das Recht, dass über ihre zivilrechtlichen Ansprüche in einem fairen Gerichtsverfahren entschieden wird.24 Garantiert wird das Recht auf ein unabhängiges, unparteiisches und gesetzlich statuiertes Gericht sowie der effektive Zugang zu diesem.25 Ein gewisser Instanzenzug beziehungsweise ein Rechtsmittelgericht wird jedoch nicht garantiert.26 Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Art. 6 und 13 EMRK können nach Ermessen der Konventionsstaaten gesetzlich eingeschränkt werden, sofern die Beschränkungen berechtigte Interessen verfolgen, verhältnismäßig sind und die Garantien nicht in ihrem Wesensgehalt antasten.27 2. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, Art. 47 GRCh Die Norm des Art. 47 Abs. 1 GRCh baut zwar auf dem Wortlaut des Art. 13 EMRK auf, begrenzt die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes jedoch nicht auf eine innerstaatliche Instanz.28 Art. 47 Abs. 1 GRCh garantiert einerseits den
23 Etwas anderes gilt nur bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund eines überlangen Verfahrens, gegen welches nach nationalem Recht kein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, EGMR, Urt. v. 26.10.2000 – Nr. 30210/96, NJW 2001, 2694, 2699–2701 – Kudła/ Polen; s. auch Meyer-Ladewig/Renger, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 13 Rn. 41 f.; Rainey/Wicks/Ovey, Jacobs, White and Ovey, 72017, S. 144. 24 Dies konstituiert zugleich eine Pflicht der Konventionsstaaten, ihre Justiz entsprechend der Kriterien des Art. 6 EMRK auszurichten, Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: MeyerLadewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 2, 33; EGMR, Urt. v. 31.5.2001 – Nr. 37591/97, NJW 2002, 2856, 2857 – Metzger/Deutschland. 25 EGMR, Urt. v. 18.2.1999 – Nr. 26083–94, Slg 99-I Rn. 59 = NJW 1999, 1173 – Waite und Kennedy/Deutschland; Wadham/Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 7.129–7.134. Das Gericht muss daher über alle relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen entscheiden können, EGMR, Urt. v. 7.11.2002 – Nr. 37571/97, Rn. 70 – Veeber/Estland. Es muss sich nicht um ein ordentliches Gericht handeln, sondern kann auch in einem justizförmigen Spruchkörper bestehen, Meyer-Ladewig/ Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 66; EGMR, Urt. v. 29.4.1988 – Nr. 10328/83, Rn. 64 – Belilos/Schweiz. 26 Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 59; Wadham/Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 7.126. 27 Zu Art. 6 EMRK, EGMR, Urt. v. 18.2.1999 – Nr. 26083–94, Slg. 99-I Rn. 59 = NJW 1999, 1173, 1174 – Waite und Kennedy/Deutschland; s. auch Meyer-Ladewig/Harrendorf/ König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 36; zu Art. 13 EMRK, Meyer-Ladewig/Renger, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4 2017, Art. 13 Rn. 11; Rainey/Wicks/Ovey, Jacobs, White and Ovey, 72017, S. 287; Wadham/ Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 7.129. 28 Charta-Erläuterungen, ABl. 2007 C 303/29; Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 2 und 9; eingehend zu den Unterschieden zwischen Art. 47 GRCh und Art. 13 EMRK, Alber, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 47 Rn. 2–8; Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 2–6.
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Zugang zu einem Gericht und bindet andererseits die EU und ihre Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung von Unionsrecht.29 Unter „Gericht“ beziehungsweise „court or tribunal“ in der englischen Fassung, werden nicht nur ordentliche Gerichte, sondern gesetzlich statuierte, ständige Einrichtungen verstanden, die unabhängig und obligatorisch über Rechtsfragen in einem streitigen Verfahren entscheiden.30 Ein wirksamer Rechtsbehelf wird nicht nur für Verletzungen der GRCh gewährleistet, sondern umfasst alle – in vertretbarer Weise behaupteten – Verletzungen der durch das Unionsrecht garantierten Rechte und Freiheiten.31 Diese Rechte können sich aus allen Normen des Unionsrechts sowie aus für die EU verbindlichen völkerrechtlichen Verträgen ergeben, sodass damit besonders auch Sekundär- und Tertiärrecht sowie Vorschriften der Mitgliedstaaten erfasst sind, die zur Durchführung oder Umsetzung von Unionsrecht ergangen sind.32 Für den größten Teil des mittlerweile unionsrechtlich harmonisierten Verbraucherrechts ist der sachliche Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 47 Abs. 1 GRCh daher eröffnet. Die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs erfordert neben dem ausreichenden Zugang zu einem Gericht, die Beachtung der zentralen Verfahrensvorgaben des Abs. 2 sowie erforderlichenfalls die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach Abs. 3.33 Der Rechtsbehelf muss eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsverletzung eröffnen, zumindest schriftlich rechtliches Gehör gewähren und gegebenenfalls eine adäquate Abhilfe ermöglichen.34 Die Mitgliedstaaten 29
Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 4. Insofern gelten die Anforderungen an ein Gericht i. S. d. Art. 267 AEUV, hierzu EuGH, Urt. v. 29.11.2001 – C 17/00, Slg. 2001, I-9445 Rn. 10 – De Coster/Colle`ge des bourgmestere et e´chevins de la commune de Watermael-Boitsfort; EuGH, Urt. v. 31.1.2013 – C-175/11, ECLI:EU:C:2013:45, Rn. 83 = NVwZ-RR 2013, 334, 336 – D. und A./Irland; hierzu auch Alber, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 47 Rn. 27–31; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 22; Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 5 2019, Art. 47 GRCh Rn. 31–33; hierzu auch Shelton/Dinah, in: Peers/Jervey/Kenner/Ward, 2014, Art. 47 CFREU Rn. 47.18. Wie auch die Verfahrensgarantien der EMRK, gewährleistet Art. 47 GRCh keinen bestimmten Rechtsweg oder gar Instanzenzug, Blanke, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 10; Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 5 2019, Art. 47 GRCh Rn. 31. 31 GA Trstenjak, C-411/10, 22.9.2011, Rn. 159; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 13; Shelton/Dinah, in: Peers/Jervey/Kenner/ Ward, 2014, Art. 47 CFREU Rn. 47.44; mit Verweis darauf, dass die analoge Anwendung der vom EGMR entwickelten Maßstäbe hilfreich sein könnte, Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 19. 32 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 7; Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 6; Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 18; Alber, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 47 Rn. 26; hierzu auch EuGH, Urt. v. 22.9.1998 – C-185/97, Slg. 1998, I-5199 Rn. 24 = EuZW 1999, 43, 44 – Belinda Jane Coote/Granada Hospitality Ltd. 33 Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 1; Alber, in: Stern/ Sachs, GRCh, 2016, Art. 47 Rn. 1; vgl. Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 13. 34 Eine Erfolgsgarantie wird auch von Art. 47 GRCh nicht verlangt, 30
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haben nach dem Effektivitätsgrundsatz zu gewährleisten, dass nationale Regelungen die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen und nach dem Äquivalenzgrundsatz sicherzustellen, dass die prozessualen Vorschriften die Geltendmachung von Unionsrecht nicht schlechter stellen als die Verfolgung nationalen Rechts.35 Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf kann nur unter den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh eingeschränkt werden und darf insbesondere nicht die Standards der Verfahrensgarantien aus Art. 6 Abs. 1 und 13 EMRK unterschreiten.36 Insbesondere muss der Wesensgehalt des Grundrechts geachtet werden (S. 1), die Beschränkung Ziele des Allgemeininteresses verfolgen (S. 2) sowie verhältnismäßig sein.37 3. Implikationen für obligatorische ADR-Verfahren Die unionsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes steht mit nationalen Regelungen in Konflikt, welche die Durchführung eines ADR-Verfahrens für beide Parteien obligatorisch machen. Der EuGH fokussiert dabei auf das Recht auf effektiven Rechtsschutz des besonders schützenswerten Verbrauchers, nicht aber auf das des Unternehmers. a) Rechtssache Alassini In der Rechtssache Alassini, hat sich der EuGH im Jahr 2010 mit der Frage eines für den Verbraucher obligatorischen Mediationsverfahrens auseinandergesetzt.38 Gegenstand des Vorlageverfahrens war eine italienische Regelung in Umsetzung der Universaldienstrichtlinie, nach der eine Klage eines Verbrauchers gegen italienische Telekommunikationsbetreiber unzulässig war, bevor nicht ein obligatorischer Schlichtungsversuch vor dem Regionalbeirat für das KommunikatiEser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 11; Blanke, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 1; andersherum ist damit nicht gemeint, dass ein Rechtsbehelf nur eingelegt werden könne, wenn er erfolgreich ist Alber, in: Stern/Sachs, 2016, Art. 47 Rn. 34 und 37. 35 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08-C-320/08, Slg. 2010, I-2213 = EuZW 2010, 550, 552 f. – Rosalba Alassini/Telecom Italia SpA u.a.; Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6 2022, Art. 47 GRCh Rn. 8. 36 Nach Art. 52 Abs. 3 haben die Grundrechte der GRCh zumindest die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie die der EMRK. 37 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 18 f.; EuGH, Urt. v. 2.4.2009 – C-394/07, Slg. 2009, I-2582 = NJW 2009, 1938, 1939 – Marco Gambazzi/DaimlerChrysler Canada Inc. u.a.; eingehend hierzu auch Hofmann, in: Peers/Jervey/Kenner/Ward, 2014, Art. 47 CFREU Rn. 47.82 ff.; die Beschränkung muss daher zur Erreichung des legitimen Ziels geeignet, erforderlich, mildestes Mittel sowie angemessen sein, EuGH, Urt. v. 11.7.1989 – Rs. 265/87, Slg. 1989, 2237, Rn. 21 – Schräder/Hauptzollamt Gronau. 38 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08-C-320/08, Slg. 2010, I-2213 = EuZW 2010, 550 – Rosalba Alassini/Telecom Italia SpA u. a.
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onswesen unternommen wurde.39 Alternativ hätten die Parteien den obligatorischen Schlichtungsversuch auch mittels elektronischer Kommunikation vor einer anderen ADR-Einrichtung durchführen können.40 Der EuGH überprüfte die Regelung anhand des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes sowie Art. 47 GRCh und sah in ihr keine Verletzung des Grundsatzes effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Den Äquivalenzgrundsatz sah das Gericht durch die unterschiedslos geltenden italienischen Regelungen nicht berührt.41 Hinsichtlich des Effektivitätsgrundsatzes berühre das Zulässigkeitskriterium eines vorherigen Schlichtungsversuchs zwar die Ausübung der durch die Universaldienstrichtlinie verliehenen Rechte des Einzelnen, sei aber nicht dazu geeignet, die Ausübung praktisch unmöglich zu machen.42 Die Ausübung der Rechte der Universaldienstrichtlinie sei nur kritisch beeinträchtigt, wenn der Zugang zum ADR-Verfahren nur auf elektronischem Wege möglich wäre.43 Ferner müsste das ADR-Verfahren in Ausnahmefällen den Erlass von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gestatten.44 Die Vorschaltung eines obligatorischen ADR-Verfahrens beschränkt zwar das Recht auf effektiven Rechtsschutz, kann jedoch zur verhältnismäßigen Förderung von dem Gemeinwohl dienenden Zwecken gerechtfertigt sein. Die von der italienischen Regierung vorgetragene Zweckverfolgung einer schnelleren und kostengünstigeren Streitbeilegung sowie der Entlastung der Gerichte, erkennt der EuGH als Ziele des Allgemeininteresses an.45 Ohne nähere Prüfung der Verhältnismäßigkeit kommt der EuGH zu dem Schluss, dass diese Ziele in keinem offensichtlichen Missverhältnis zu den möglichen Nachteilen von ADR stehen.46
39 Art. 3 und 13 der Verordnung über die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Kommunikationsdienstanbietern und Endnutzern (Schlichtungsverordnung). Ist das Verfahren nicht innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Einleitung des Schlichtungsverfahrens abgeschlossen, können die Parteien ohne Rücksicht auf den Verfahrensstand gerichtliche Klage erheben, Art. 3 Abs. 3 der Schlichtungsverordnung. 40 Art. 3 Abs. 2 und 13 Abs. 1 der Schlichtungsverordnung. 41 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 50 f. = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini. 42 Das Ergebnis des Schlichtungsversuchs binde weder die Parteien noch werde die Klageerhebung aufgrund der 30 Tage Frist wesentlich verzögert. Überdies werde die Verjährung der Ansprüche für die Dauer der Schlichtung gehemmt und es entstünden keine (erheblichen) Kosten, EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 53–57 = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini. 43 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 58 = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini. 44 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 59 = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini. 45 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 64 = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini. 46 EuGH, Urt. v. 18.3.2010 – C-317/08 u. a., Slg. 2010, I-2213, Rn. 65 = EuZW 2010, 550, 553 – Alassini.
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Mithin kann eine nationale Regelung, die ein obligatorisches ADR-Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten vorsieht jedenfalls dann mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes vereinbar sein, wenn das Verfahrensergebnis nicht bindend ist und das Verfahren die gerichtliche Klage nicht wesentlich verzögert, die Verjährung der Ansprüche hemmt, keine wesentlichen Kosten verursacht, nicht nur mittels elektronischer Kommunikationsmittel erreichbar ist und vorläufigen Rechtsschutz gestattet. Die als Allgemeininteresse anerkannten Ziele schneller Streitbeilegung und Entlastung der Gerichte werden sich alle Vorschriften, die obligatorische ADR-Verfahren vorsehen, zu eigen machen können. b) Rechtssache Menini Der EuGH hatte sich 2017 in der Rechtssache Menini erneut im Rahmen eines Vorlageverfahrens mit italienischen Regelungen zu beschäftigen, die eine obligatorische Mediation zum Zulässigkeitskriterium für eine gerichtliche Klage machten.47 Das vorlegende Gericht sah in der Regelung einen Verstoß gegen die ADR-Richtlinie, da eine nach Art. 5 Abs. 2 Mediationsrichtlinie mögliche obligatorische Mediation im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie nicht möglich sei.48 Weiterhin hatte der EuGH zu beurteilen, ob eine obligatorische Mediation gegen die ADR-Richtlinie verstößt, wenn der Verbraucher zu diesem Zwecke einen Anwalt beiziehen muss und das Verfahren nicht bedingungslos abbrechen kann.49 Das Verhältnis zwischen Mediations- und ADR-Richtlinie lässt der EuGH offen.50 Unter der Annahme, dass die Streitigkeit in den Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie fällt,51 prüft der EuGH weiter, ob Art. 1 S. 2 ADR-Richtlinie, wonach Verbraucher ihre Beschwerden „auf freiwilliger Basis“ zu einer ADRStelle bringen können, einer obligatorischen Mediation entgegensteht. Wie aus Erwägungsgrund 13 zu entnehmen sei, bestehe die Freiwilligkeit von ADR nicht
47 Art. 5 und 8 des Gesetzesdekrets Nr. 28/2010; EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457 = EuZW 2017, 736 – Menini. 48 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457 = EuZW 2017, 736, Rn. 23 – Menini. 49 Siehe auch die Vorlagefragen, EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU: C:2017:457 = EuZW 2017, 736, Rn. 26 – Menini. 50 Trotz der überschießenden Umsetzung des italienischen Gesetzgebers bleibe die Mediationsrichtlinie für nationale Streitigkeiten nicht anwendbar, sodass kein Anlass zur Klärung ihres Verhältnisses zur ADR-Richtlinie bestand, EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 34 f. = EuZW 2017, 736, 737 – Menini; kritisch zur formalen Argumentation des EuGH, Ulrici, EuZW 2017, 739, 740. 51 Diesbezügliche Zweifel bestanden insbesondere, weil das von den Verbrauchern angeführte Widerspruchsverfahren nur Folge des durch den Unternehmer eingeleiteten Mahnverfahrens war, Art. 1 S. 1 ADR-Richtlinie, ihren Anwendungsbereich jedoch nur für Beschwerden eröffnet, die der Verbraucher gegen einen Unternehmer richtet. Überdies war fraglich, ob es sich bei der Mediationseinrichtung um eine ADR-Stelle i. S. d. Richtlinie handelte. Diese Beurteilung des nationalen Rechts oblag allerdings dem vorlegenden Gericht.
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in der Entscheidung zur Teilnahme am Verfahren, sondern vielmehr darin, dass „die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich sind und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden können“.52 Unter Bestätigung und Anwendung der Erwägungen aus Alassini verneint der EuGH – angesichts der fehlenden Bindungswirkung des Ergebnisses sowie der vorgesehenen Verjährungshemmung – eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz.53 Hingegen verletzte der durch die italienische Vorschrift festgesetzte Anwaltszwang Art. 8 lit. b) ADR-Richtlinie, wonach ADR-Verfahren explizit ohne einen Rechtsanwalt zugänglich sein müssen.54 Weiterhin beschränke eine Regelung, die dem Verbraucher den sanktionslosen Abbruch des ADR-Verfahrens nur unter Darlegung eines rechtfertigenden Grundes gestattet, das Recht auf Zugang zum Gerichtssystem, da ein Abbruch des Verfahrens keine negativen Folgen für den Verbraucher haben dürfe.55 Der EuGH zieht in seiner Begründung auch Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie heran, der für Verfahren in denen ein Lösungsvorschlag ergeht, zumindest für Verbraucher das Recht vorsieht, das Verfahren jederzeit abzubrechen.56 Zwar war die Regelung im konkreten Fall nicht anwendbar,57 jedoch sei der zugrunde liegende Gedanke a maiore ad minus übertragbar.58 Anders sei die Lage nach Ansicht des EuGH jedoch dann zu beurteilen, wenn die Sanktion nur an die Nichtteilnahme an der Mediation, nicht aber an den Abbruch nach einer ersten Sitzung mit dem Mediator geknüpft sei.59 Der Wortlaut der ADR-Richtlinie ist insofern, anders als Art. 5 Abs. 2 Mediations-
52 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 50 = EuZW 2017, 736, 738 – Menini. 53 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 52–61 = EuZW 2017, 736, 738 f. – Menini. 54 Hierüber seien die Parteien nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) ADR-Richtlinie zu unterrichten, EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 64 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini. 55 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 66 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini. 56 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 67 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini. 57 Die vorgesehene Mediation sah eben keinen Lösungsvorschlag vor. Insofern kritisch, Ulrici, EuZW 2017, 739, 740, der den Rekurs auf Art. 9 Abs. 2 lit. a) für verfehlt hält. Da der EuGH jedoch ausdrücklich darauf verweist, dass die Vorschrift für Verfahren mit Lösungsvorschlag gilt, scheint der EuGH, entgegen Ulrici, nicht zu verkennen, dass die Regelung vorliegend nicht direkt anwendbar war. 58 Wenn die Parteien jederzeit ein Schlichtungsverfahren abbrechen können, in welchem den Parteien sogar ein Lösungsvorschlag unterbreitet wird, so muss dies erst recht für die Mediation gelten, deren Erfolg allein von der einvernehmlichen Lösung der Parteien abhängt. Der einschränkende Wortlaut schließt insofern nur Schiedsverfahren aus. So wohl auch Dendorfer-Ditges, IWRZ 2018, 35, 36. 59 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 70 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini.
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richtlinie, offen. Um der Freiwilligkeit der Mitwirkung des Verbrauchers im ADR-Verfahren Rechnung zu tragen, scheint ein Sanktionsverbot indes konsequent.60 Folglich bleiben nationale Regelungen, die obligatorische ADR-Verfahren vorschreiben, auch im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie möglich. Die Verpflichtung zur Teilnahme an ADR-Verfahren erstreckt sich indes nur auf die ursprüngliche Aufnahme des Verfahrens, nicht aber auf die spätere Mitwirkung im Verfahren, das zumindest vom Verbraucher jederzeit beendet werden kann. Ausweislich der expliziten Berücksichtigung des Art. 47 GRCh in den Erwägungsgründen 45, 49 und 61 sollen die Regelungen der ADR-Richtlinie jedenfalls nicht gegen den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes verstoßen.61 c) Keine unmittelbare Anwendbarkeit der justiziellen Verfahrensgarantien auf ADR-Verfahren Die justiziellen Grundrechte des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 GRCh erschöpfen sich nicht nur im bloßen Recht auf Zugang zu den Gerichten. Zusätzlich wird die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte gefordert und Vorgaben für ein faires Verfahren gemacht. Vor dem Hintergrund, dass Staaten ihre Verantwortung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch die mit der Förderung von ADR einhergehende politisch intendierte Entlastung der Ziviljustiz abzuschwächen versuchen, stellt sich die Frage, ob die institutionellen und prozessualen Anforderungen auf ADR-Einrichtungen und -Verfahren anwendbar sind.62 Der Wortlaut der justiziellen Grundrechte legt nahe, dass ihr Anwendungsbereich auf Gerichte beschränkt ist.63 Unmittelbar sind die Grundrechte jedoch allenfalls auf ADR-Verfahren mit Rechtsprechungsfunktion, das heißt solcher mit zwingender Entscheidung, nicht aber auf Verfahren mit einvernehmlichen Charakter anwendbar.64 Darüber hinaus finden die Grundrechte nur auf Institutionen mit gesetzlicher Grundlage Anwendung, wie etwa behördliche Schlich-
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So auch Dendorfer-Ditges, IWRZ 2018, 35, 36. Insofern ist Hess, JZ 2015, 548, 550 zuzustimmen, dass es sich bei der Bezugnahme im ErwG 61 nicht um eine bloße Formalie handelt, sondern Art. 47 GRCh bei der Umsetzung der ADR-Richtlinie zu berücksichtigen ist. In diese Richtung auch Fejös/Willet, ERPL 24 (2016), 33, 50. 62 Eingehend zu prozessualen Mindestgarantien in ADR-Verfahren, Hess, JZ 2015, 548 ff. 63 So auch Hess, JZ 2015, 548, 549; Tochtermann, Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 36–39, der zutreffend feststellt, dass der englische und der französische Wortlaut mit „tribunal“ weiter als die deutsche Fassung geht und daher auch Schiedsgerichte umfassen könnte. 64 Nach EGMR, Urt. v. 23.10.1985, Nr. 8848/80 – Benthem v Netherlands ist Art. 6 EMRK auf bloße Empfehlungen oder Ratschläge nicht anwendbar, selbst wenn eine solche Empfehlung für gewöhnlich befolgt wird. Bei gerichtlichen Vergleichsbemühungen ist der Richter allerdings an grundlegende Verfahrensgarantien gebunden. 61
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tungsstellen. Eine Bindung privater ADR-Stellen an die justiziellen Grundrechte des Art. 47 GRCh im Wege einer unmittelbaren horizontalen Drittwirkung kommt nicht in Betracht.65 d) Keine grundsätzliche mittelbare horizontale Drittwirkung justizieller Verfahrensgarantien für ADR-Stellen Für eine mittelbare Anwendbarkeit der justiziellen Grundrechte auch auf private ADR-Stellen könnte sprechen, dass ADR im heutigen Sinne zum Zeitpunkt der Formulierung des Art. 6 EMRK nicht existierte und damit auch nicht berücksichtigt werden konnte; Art. 47 GRCh wiederum baue letztlich nur auf dem Wortlaut der EMRK auf.66 Zumindest für Schiedsgerichte gelten die justiziellen Grundrechte insofern, als dass ihre Grundwertungen nicht selten die Aufhebungsgründe für Schiedssprüche nach dem nationalen Schiedsrecht prägen und von der Ziviljustiz im Rahmen von Verfahren zur Aufhebung und zur Anerkennung beziehungsweise Vollstreckung von Schiedssprüchen zu berücksichtigen sind.67 Die Mediation und die Schlichtung unterscheiden sich jedoch insofern fundamental von Schiedsverfahren, als dass sie keine Rechtsprechung im funktionalen Sinne ausüben. Die in ihnen erzielten Vergleiche und angenommenen Schlichtungsvorschläge stehen in ihrer Wirkung, anders als Schiedssprüche, staatlichen Gerichtsurteilen grundsätzlich nicht gleich.68 Der EuGH selbst meidet die Begriffe der mittelbaren und unmittelbaren Horizontal- oder Drittwirkung. Jedoch können nach der Rechtsprechung des EuGH Grundrechte der GRCh in einem Rechtsstreit zwischen Privaten als solches69 gemacht werden. Dies setzt voraus, dass das Grundrecht hinreichend konkret formuliert70 ist und der Vorschrift eine unmittelbare Bindung von Privaten zu entnehmen ist.71 Diese direkte Geltendmachung führt letztlich zu einer unmittel-
65 Die GRCh bindet insoweit nur die EU und ihre Mitgliedstaaten, Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. 66 Hess, JZ 2015, 548, 549, der insofern auf die Funktion von ADR abstellt, ein faires und interessengerechtes Verfahrensergebnis in Form einer Entscheidung oder eines Kompromisses zu erzielen. 67 Für eine solch mittelbare Geltung der EMRK in Schiedsverfahren im Ergebnis auch Tochtermann, Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S. 39 f. 68 In Deutschland hat der Schiedsspruch gem. § 1055 ZPO inter partes die Wirkung eines rechtskräftigen Gerichtsurteils. In England und Wales ist der Schiedsspruch für die Parteien final und bindend, sec. 58 Arbitration Act 1996. Der Schiedsspruch wird gem. sec. 66(1) Arbitration Act 1996 wie ein staatliches Gerichtsurteil vollstreckt. 69 EuGH, Urt. v. 14.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rn. 76 – Egenberger. 70 Vgl. EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rn. 74– Max-Planck-Gesellschaft; EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft; EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-596/16, NZA 2018, 1467 – Bauer. 71 Vgl. EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rn. 79– Max-Planck-Gesellschaft, wonach die Bindung des Arbeitsgebers aus dem Wesen des Art. 31 Abs. 2 GRCh folge;
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baren Bindung Privater. Der EuGH hat eine unmittelbare Drittwirkung daher bislang nur zu Lasten von Arbeitgebern angenommen, so etwa im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 GRCh72 sowie im Hinblick auf Art. 31 Abs. 2 GRCh73, der ausdrücklich bezeichnet, dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Urlaub haben.74 Im Hinblick auf Art. 47 GRCh geht der EuGH davon aus, dass das aus dieser Vorschrift folgende Grundrecht hinreichend konkret ist und aus sich heraus Wirkung entfaltet.75 Man wird jedoch schwerlich argumentieren können, dass der Vorschrift eine unmittelbare Bindung Privater zu entnehmen ist. Die Verpflichtung zu einem fairen Verfahren wird gerade einem zuvor durch Gesetz errichteten Gericht auferlegt. Es wäre in sich widersprüchlich, würde man einerseits proklamieren, dass Teilnahmepflichten an ADR-Verfahren im Hinblick auf Art. 47 GRCh den Weg zu den Gerichten beschränken, da ADR-Stellen eben kein Gericht darstellen, aber andererseits eben diese privaten ADR-Stellen unmittelbar durch die Verfahrensgrundrechte gebunden sehen würde. Zudem fehlt es, anders als im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, an einer wirtschaftlichen oder sozialen Abhängigkeit im Verhältnis der Parteien zur ADR-Stelle, die eine Anwendung der Grundrechte rechtfertigen könnte. Außerdem sind die Verfahrensgarantien Ausdruck der gesetzlich statuierten Rechtsprechungsgewalt über die Parteien. An einer solchen Autorität fehlt es ADR-Stellen gegenüber den Parteien jedenfalls dann, wenn keine der Parteien gesetzlich zur Einhaltung des Verfahrensergebnisses verpflichtet wird. Die Entscheidung der Parteien, zunächst auf ein formelles Verfahren und dessen rechtsstaatlichen Garantien zugunsten einer effizienten Streitbeilegung zu verzichten, ist Ausfluss ihrer Privatautonomie.76 ADR-Verfahren, denen sich die Parteien jederzeit entziehen können, substituieren nicht den Zivilprozess.77 Schließlich sind privat getragene ADR-Stellen grundsätzlich selbst Gundrechtsträger, gerade im Hinblick der grundrechtlich durch Art. 16 GRCh gewährleisteten unternehmerischen Freiheit. Etwas anderes könnte jedoch für ADR-Verfahren gelten, in denen eine asymmetrisch-heteronome Pflicht für Unternehmen zur Teilnahme und Einhaltung des vom Verbraucher angenommenen Verfahrensergebnisses besteht. In diesem vgl. EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft; EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-596/16, NZA 2018, 1467 – Bauer. 72 EuGH, Urt. v. 14.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 – Egenberger. 73 EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft; EuGH, Urt. 6.11.2018 – C-596/16, NZA 2018, 1467 – Bauer. 74 Siehe auch Art. 24 Abs. 2 GRCh, nach welchem bei „privaten Einrichtungen“ bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss; Recht auf Kollektivverhandlungen, Art. 28 GRCh. 75 EuGH, Urt. v. 14.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rn. 78 – Egenberger. 76 Mit der Anmerkung, dass auch die ADR-Richtlinie von einer solchen Vorstellung auszugehen scheint, Hess, JZ 2015, 548, 549. 77 Von dieser Prämisse aber ausgehend, Hess, JZ 2015, 548, 549.
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Falle substituiert das ADR-Verfahren für das Unternehmen – die Annahme des Lösungsvorschlags vorausgesetzt – faktisch den Gerichtsweg. Während in Deutschland kein Unternehmen heteronom an Verfahrensergebnisse gebunden ist, besteht eine solche Fesselung in England insbesondere im Verfahren des FOS.78 Der gesetzlich statuierte FOS wurde daher sowohl im Verfahren des Court of Appeal als auch des EGMR im Fall Heather Moor als court or tribunal im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK behandelt, mit der Folge, dass die Verfahrensgarantien des Abs. 1 auf den FOS anwendbar waren.79 Die Gerichte selbst hatten die Anwendung des Art. 6 EMRK zwar nicht zu diskutieren, da diese zwischen den Parteien unstreitig war,80 jedoch stimmte der EGMR dieser Ansicht zu, da der FOS über die Rechte und Pflichten der Parteien entschieden habe.81 Die Verfahrensgrundsätze des Art. 6 EMRK erfordern jedoch weder eine rechtsgebundene Entscheidung noch eine mündliche oder öffentliche Verhandlung noch eine Veröffentlichung der Entscheidungen.82 Es ist anzunehmen, dass Art. 6 EMRK auf weitere Ombudsverfahren mit ähnlicher gesetzlicher Statuierung, wie dem Legal Ombudsman und den Pension Ombudsman, Anwendung findet.83 Ähnliches könnte für Verfahren gelten, in denen zumindest funktional eine heteronome Fesselung der Unternehmen besteht. Diese Verfahren unterscheiden sich jedoch insofern von denen des FOS, als dass die Entscheidungen dieser Institutionen keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen und deren Durchsetzungsmöglichkeiten schwächer sind.84 Eine mittelbare Geltung der Grundwerte der justiziellen Grundrechte lässt sich schließlich für obligatorische ADR-Verfahren argumentieren, die keine Al-
78 Sec. 228(5) FSMA 2000; zu asymmetrischen Ergebnisbindungen in ADR-Verfahren noch sogleich unter Kap. 4 D. II. 79 R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642; EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom; EGMR, Urt. v. 26.6.2012 – Nr. 30802/11, (2011) 53 E.H.R.R. SE20 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/ United Kingdom. 80 R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642 Rn. 42; EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 38 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom. 81 EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 38 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom. 82 So R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642; EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 31–48 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom, überdies sei anzunehmen, dass FOS ein unabhängiges und unparteiliches Verfahren gewährleistet. Da der Antragsteller eine entgegengesetze Argumentation nicht bereits im nationalen Gerichtsverfahren geltend gemacht hatte, trifft der EGMR hierzu keine weiteren Ausführungen, Rn. 35. 83 Vgl. die ähnlichen Erwägungen im Bezug auf die Res-judicata-Wirkung von ADRErgebnissen unten unter Kap. 4 D. IV. 1. b). 84 Zu den speziellen Durchsetzungsmöglichkeiten und zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von ADR-Entscheidungen noch unten unter Kap. 4 D. II. 1. b).
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ternative zum Zivilprozess darstellen, sondern Bestandteil der Ziviljustiz sind.85 In diesem Sinne könnte die staatliche Pflicht darin liegen, ein faires Verfahren zu gewährleisten, wobei im Hinblick auf die freiwilligen Verfahrensergebnisse ein großes Ermessen zu berücksichtigen bliebe. Ohnehin tut der Gesetzgeber gut daran, die essenziellen Verfahrensgarantien, wie Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der ADR-Einrichtung, bei der Förderung von ADR zu achten, um hohe Qualitätsstandards zu gewährleisten und das Vertrauen der Verbraucher in ADR zu stärken. Die Vorgaben der ADR-Richtlinie sind ohnehin an den Garantien des Art. 47 GRCh ausgerichtet.86 Außerhalb des Anwendungsbereiches der ADRRichtlinie besteht indes keine Eingriffspflicht des Staates, die justiziellen Verfahrensgarantien in privaten ADR-Verfahren durchzusetzen.
II. Recht auf Zugang zu den Gerichten nach nationalem englischen Recht Im englischen Rechtssystem ist ein Recht auf effektiven Rechtsschutz freilich nicht geschriebenes Verfassungsrecht.87 Das englische Verfassungsrecht speist sich vielmehr aus Maximen, die sich aus generellen Aussagen der Rechtsprechung und der Parlamentsgesetze entnehmen lassen.88 Eine äquivalente Rechtsschutzgarantie resultiert allerdings aus den zwei grundlegenden verfassungsrechtlichen Doktrinen, der parliamentary sovereignty (parlamentarische Souveränität) und der rule of law (Herrschaft des Rechts). Weiterhin beanspruchen die Verfahrensgrundrechte der EMRK im Vereinigten Königreich – zumindest derzeit – noch Geltung. 1. Parliamentary Sovereignity und Rule of Law Der Inhalt der Doktrin der parliamentary sovereignity ist umstritten und unterscheidet sich je nach historischer und politischer Sichtweise.89 Im Kern bedeutet parlamentarische Souveränität, dass dem Parlament die unbeschränkte Macht 85 Der Alassini-Entscheidung, die Hess, JZ 2015, 548, 549 zur Begründung einer staatlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Verfahrensgarantien in alternativen Streitbeilegungsverfahren heranzieht, liegt eben ein solches obligatorisches Schlichtungsverfahren zugrunde. 86 In diese Richtung auch Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 21 f. 87 Das englische Rechtssystem kennt kein geschriebenes Verfassungsrecht, das die Macht der Staatsorgane den Bürgern gegenüber begrenzen würde oder die institutionelle Ordnung untermauern würde. Dem Einzelnen werden verfassungsrechtlich gesehen seine Rechte nicht gesondert verliehen, sondern ihm ist jedes Handeln erlaubt, das nicht rechtlich untersagt ist. Diese illustrative Erklärung bei Cram, Judicial remedies for individuals before the highest jurisdictions, a comparative law perspective: The United Kingdom, 2017, S. 1. 88 Was genau Verfassungsrecht (constitutional law) ist, entzieht sich daher ebenfalls einer genaueren Definition, Loveland, Constitutional Law, Administrative Law, and Human Rights, 62012, S. 4. 89 Eingehend zum Prinzip der parlamentarischen Souveränität, Goldsworthy, The sovereignty of Parliament, 2001.
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zukommt, Gesetze zu beschließen, zu ändern oder aufzuheben.90 Parlamentsgesetze können weder von der Exekutive noch von der Legislative unterlaufen werden.91 Der legislativen Gewalt wird auch nicht durch eine gerichtliche oder verfassungsrechtliche Überprüfung der erlassenen Gesetze Grenzen gesetzt.92 Die Judikative hat allen Parlamentsgesetzen unabhängig vom Ergebnis der Rechtsanwendung, Wirksamkeit zu verleihen, sofern kein Verstoß gegen Unionsrecht festgestellt werden kann. Da das Prinzip der parlamentarischen Souveränität bedeutet, dass kein Akt der Exekutive den Willen des Parlaments unterlaufen darf, erfordert die Doktrin zwangsläufig die Existenz von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Exekutivakte. Diese werden im Vereinigten Königreich durch sogenannte tribunals93, der judicial review94 sowie durch zivilgerichtliche Rechtsbehelfe im Bereich des Deliktsrechts (tort) gewährleistet.95 Ein Rechtsschutzanspruch für zivilrechtliche Streitigkeiten lässt sich aus dem Prinzip der parlamentarischen Souveränität indes nicht herleiten.
90 Der Begriff „parliament“ umfasst nicht nur das House of Commons und das House of Lords, sondern auch die Monarchin, Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, 1982, S. 3 f.; ein umfassender Versuch einer Definition auch bei Goldsworthy, The sovereignty of Parliament, 2001, S. 9–16. 91 Etwa durch die Schaffung oder Anwendung abweichender Regelungen, Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, 1982, S. 4; Goldsworthy hingegen hält dieses negative Kriterium für überflüssig, da seine Aussage schon von der positiven Formulierung umfasst sei, Goldsworthy, The sovereignty of Parliament, 2001, S. 10. Zum „onemeaning-principle“, das heißt, der Prämisse, dass Gesetze nur eine einzige verbindliche Bedeutung haben können, noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. d) cc). 92 Ohnehin basieren die Kompetenzen der Gerichte allein auf Parlamentsgesetzen. Im Hinblick auf die fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit sind zwei Ausnahmen zu nennen. Im Bereich der auf die Parlamente Schottlands, Nordirlands und Wales übertragenen Gesetzgebung übernimmt der Supreme Court mit der Überprüfung, ob die Gesetze innerhalb übertragener Kompetenzen erlassen wurden, eine quasi-verfassungsrechtliche Funktion. Das Privy Council übernimmt die Funktion eines Verfassungsgerichts für verfassungsrechtliche Streitigkeiten, die sich aus den der britischen Krone unterstellten Kanalinseln, einigen Commonwealth Gebieten, mit Neuseeland assoziierten Staaten, sowie britischen Überseegebieten ergeben, hierzu Cram, Judicial remedies for individuals before the highest jurisdictions, a comparative law perspective: The United Kingdom, 2017, S. 5 f. 93 Für diese bestehen gesetzliche Jurisdiktionen und stellen daher kein ADR im engeren Sinne dar. Ein guter Überblick über die bestehenden tribunals bei Cram, Judicial remedies for individuals before the highest jurisdictions, a comparative law perspective: The United Kingdom, 2017, S. 6–10. 94 Hiermit überprüfbar ist das Verhalten von Institutionen, die mit öffentlichen Aufgaben betraut sind. Zur judicial review von gesetzlichen Ombudssystemen noch unten unter Kap. 4 D. II. 1. b). 95 Diese Rechtsbehelfe sind jedoch primär auf die Entschädigung des Opfers gerichtet. Auch hierzu in gebotener Kürze Cram, Judicial remedies for individuals before the highest jurisdictions, a comparative law perspective: The United Kingdom, 2017, S. 29–30.
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Die Doktrin der rule of law (Herrschaft des Rechts) besagt – wenngleich die genaue Bedeutung auch hier umstritten ist –, dass alle Menschen und Behörden innerhalb des Staates, egal ob öffentlich oder privat, gleichermaßen an geltendes Recht gebunden sind, aus diesem Rechte herleiten können und der Jurisdiktion ordentlicher Gerichte unterworfen sind.96 Mit dem Prinzip der Rechtsbindung der Staatsgewalt ähnelt die Rule-of-law-Doktrin dem deutschen Rechtsstaatsprinzip.97 Die Rule-of-law-Doktrin etabliert – kurz und vereinfacht gesagt – eine Steuerung menschlichen und behördlichen Verhaltens durch Regeln, mit anderen Worten: eine Rechtsbindung sowohl von Privatpersonen als auch staatlichen Akteuren.98 In einem viel zitierten und gepriesenen Werk versucht der frühere Senior Law Lord Bingham dieser zunächst recht unbestimmt anmutenden Doktrin durch acht Prinzipien Konturen zu verleihen.99 Das Recht habe demnach unter anderem hinreichend zugänglich, das heißt verständlich und vorhersehbar zu sein, für alle gleich zu gelten, in rechtlichen Streitigkeiten angewendet zu werden und Schutz für fundamentale Menschenrechte zu bieten.100 Der Staat, insbesondere die Exekutive, habe seine Macht in gutem Glauben auszuüben und im Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen zu handeln.101 Zwei Prinzipien betreffen die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Nach Bingham sei es Inhalt der Rule-of-law-Doktrin, dass zugängliche Streitbeilegungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen, die ein faires Verfahren gewährleisten.102 Vor dem Hintergrund, dass jeder an Recht und Gesetz gebunden sei, müsse es letztlich für jedermann möglich sein, seine Ansprüche und Rechte gerichtlich klären zu lassen.103 Dieses Prinzip richte sich dabei ausdrücklich nicht gegen ADR-Verfahren, die für bestimmte Fälle als die beste Form der Streitbeilegung wahrgenommen werden.104 Nach Bingham sei das Recht auf einen fair trial elementare Zutat der Ruleof-law-Doktrin und gelte für alle staatlichen adjudikativen Zivil- und Strafverfahren. Fairness soll sowohl durch Waffengleichheit der Parteien als auch durch
96 Bingham, The rule of law, 2010, S. 8; Dicey, Introduction to the study of the law of the constitution, 1982, S. 114; vgl. zu den verschieden Konzepten der Rules-of-law-Doktrin auch Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 384–389. 97 So Bingham, The rule of law, 2010, S. 7. 98 Siehe nur Neuberger, Justice in an Age of Austerity, 2013, Rn. 2; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377–402; Fuller, The Morality of Law, 1969, 209 f. 99 Bingham, The rule of law, 2010; vgl. zur Rezeption des Werks, Neuberger, Justice in an Age of Austerity, 2013, Rn. 3; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 398. 100 Prinzipien 1, 2, 3 und 5, Bingham, The rule of law, 2010, S. 66–84. 101 Prinzipien 4 und 8, Bingham, The rule of law, 2010, S. 110–129. 102 Prinzipien 6 und 7, Bingham, The rule of law, 2010, S. 85–109. 103 Bingham, The rule of law, 2010, S. 85. 104 Bingham, The rule of law, 2010, S. 85 f. betont dabei die Möglichkeit einer konsensualen Lösung, die den Interessen der Parteien mehr Rechnung tragen kann als eine auferlegte Konfliktlösung.
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unabhängige und unparteiische Entscheidungsträger gewährleistet werden.105 In Zivilprozessen verlange das Prinzip der Fairness, dass beide Parteien mit offenen Karten spielen und im Rahmen einer umfänglichen disclosure alle relevanten Dokumente offenlegen.106 Der Schluss, ein Recht auf Zugang zu den Gerichten lasse sich unmittelbar aus der Rule-of-law-Doktrin herleiten, ist keineswegs zwingend.107 Denn die Frage, ob die Rule-of-law-Doktrin Privatpersonen einen Anspruch auf Zugang zu Gerichten vermittelt, hängt maßgeblich von der Frage beziehungsweise der Beurteilung ab, ob man die staatliche Ziviljustiz für erforderlich erachtet, um die Einhaltung der rechtlichen Regelungen eines Staates sicherzustellen. Aus einer rechtstheoretischen Perspektive könnte man insoweit einwenden, dass ein gerichtliches Forum obsolet ist, wenn nur die Rechtsregeln hinreichend klar und verständlich sind. Letztlich folgt aus der Rule-of-law-Doktrin nach weitgehender Auffassung selbst, dass das Recht für normale Bürger zugänglich zu sein hat, das heißt klar und vorhersehbar sein muss.108 Ein Streitentscheid durch einen neutralen Dritten wäre unter folgenden Prämissen entbehrlich: Erstens, sowohl das Gesetzesrecht als auch das Richterrecht müsste für alle Personen derart hinreichend zugänglich, klar und verständlich sein, dass Zwistigkeiten zwischen den Menschen ohne Weiteres – und ohne Einschaltung von Rechtsberatung – eindeutig durch einen Blick in „das Recht“ beigelegt werden können.109 Zweitens, dürften Menschen kein wesentliches Interesse an kalkulierten Rechtsbrüchen haben, etwa weil moralische Vorstellungen die Einhaltung der Rechtsregeln gebieten.110 Drittens, müsste in rein tatsächlicher Hinsicht schließlich noch die Prämisse ergänzt werden, dass der Sachverhalt der Zwistigkeit zwischen den Parteien derart unstreitig ist, dass sich der Sachverhalt mit Leichtigkeit unter das verständliche Recht subsumieren lässt. In der Realität wird keine dieser Prämissen erfüllt sein. Aufgrund der Notwendigkeit auslegungsbedürftiger Normen, die eine Vielzahl von Fällen erfassen, ist die Beurteilung der Rechtslage normalen Bürgern in meisten Fällen schlichtweg nicht möglich. Jedenfalls bestehen wirtschaftliche Anreize zu kalkulierten Vertragsbrüchen und zu einem Streit um den Sachverhalt. Die Einhaltung recht105
Bingham, The rule of law, 2010, S. 90–96. Dies gilt vor dem historischen Hintergrund, dass die Parteien im Vereinigten Königreich ihre Argumente und Beweise früher bis zur mündlichen Verhandlung zurückhalten konnten, Bingham, The rule of law, 2010, S. 100–103. 107 Mit dieser Kritik, Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 398–402. 108 Black-Clawson International Ltd. v. Papierwerke Waldhog-Aschaffenburg AG [1975] AC 591, 638 D; Neuberger, Justice in an Age of Austerity, 2013, Rn. 2; Etherton, The Rule of Law and Discrimination, 26.6.2014, Rn. 64; Fuller, The Morality of Law, 1969, S. 212; Bingham, The rule of law, 2010, S. 37–47; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 384 ff. m. w. N. 109 Nach Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 397 könne eine Konnexität durch die Komplexität des Rechtssystems hergestellt werden. 110 Mit ähnlicher Prämisse, Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 40 (2020), 377, 397. 106
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licher Regelungen kann mithin nur durch die Möglichkeit eines Streitentscheids eines neutralen Dritten sichergestellt werden. Dieser Mechanismus könnte letztlich auch privater Natur sein, beispielhaft wären Schiedsverfahren in Wirtschaftsstreitigkeiten. Faktisch ist aber auch hier eine Teilnahmepflicht der Parteien erforderlich; eine freiwillige Teilnahme an einem Verfahren wird nicht der Regelfall sein. Da die Partei, zu deren Lasten ein Streitentscheid getroffen wurde, aber auch wirtschaftliche Interessen haben kann, dem Entscheidungsergebnis nicht nachzukommen, bedarf es wiederum einem Damoklesschwert in Form der Möglichkeit staatlicher Vollstreckungsmaßnahmen. Die Rule-of-law-Doktrin setzt damit jedenfalls mittelbar die Existenz von Streitbeilegungsmechanismen voraus, die Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols sind. Da die Doktrin auch die Rechtsbindung privater Personen verlangt, gilt dies auch für zivilrechtliche Streitigkeiten. Dass faktisch eine Notwendigkeit des Zugangs zu staatlichen Gerichten zur Durchsetzung des geltenden Rechts besteht, brachte der UK Supreme Court in der Sache Unison v Lord Chancellor im Jahr 2017 wie folgt auf den Punkt: „The constitutional right of access to the courts is inherent in the rule of law.“111 Die konkreten Konturen eines solchen Anspruchs auf Zugang zu den Gerichten lassen sich der Rule-of-law-Doktrin jedoch nicht in aller Deutlichkeit entnehmen und bleiben daher eine Auslegungsfrage. Dieses neuere Verständnis der Doktrin scheint sich an dem justiziellen Grundrecht des Art. 6 EMRK zu orientieren. Ihre verfassungsrechtlichen Garantien reichen jedoch nicht über die europarechtlichen Gewährleistungen hinaus. Obligatorische ADR-Verfahren mit Verbraucherbeteiligung würden daher keinen Verstoß gegen die Rule-of-lawDoktrin darstellen, selbst wenn die unangemessene Verweigerung von ADR im Rahmen der Kostenentscheidung sanktioniert werden könnte. 2. Human Rights Act 1998 Individualrechte, die aus völkerrechtlichen Verträgen und Konventionen resultieren, entfalten im Vereinigten Königreich erst mit Überführung ins nationale Recht unmittelbare Geltung.112 Mit dem Human Rights Act 1998 wurde der überwiegende Teil der Rechte aus der EMRK ins nationale Recht eingefügt. Die umgesetzten Regelungen der EMRK, inklusive der Entscheidungen des EGMR, sind daher bei der richterlichen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.113 Daran hat der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – jedenfalls bislang – nichts geändert.
111 R (on the application of UNISON) v. Lord Chancellor [2017] UKSC 51 Rn. 66 = [2017] 3 W.L.R. 409. 112 Die fehlende Umsetzung in nationales Recht hatte daher eine Vielzahl von Verletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich vor dem EGMR zur Folge, Wadham/Mountfield/ Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 1.12–1.15. 113 sec. 2 Human Rights Act 1998.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Parlamentsgesetze sind, soweit möglich, konventionskonform auszulegen.114 Art. 6 EMRK wurde – anders als Art. 13 EMRK – in nationales Recht überführt.115 Gerichte können im Fall einer Verletzung jedoch nur die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit der EMRK feststellen, dieses aber nicht für nichtig erklären.116 Um dem Prinzip der parlamentarischen Souveränität Rechnung zu tragen, müssen hinreichend bestimmte Gesetze auch dann angewendet werden, wenn das im Ergebnis eine Konventionsverletzung zur Folge hätte.117 Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 GRCh beansprucht als europäisches Primärrecht seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU keine unmittelbare Geltung mehr.118 Englische Gerichte rekurrierten aber ohnehin meist auf Art. 6 EMRK, dessen Anwendungsbereich in Zivilsachen weiter geht als der des auf Unionsrecht beschränkten Art. 47 GRCh.119
III. Recht auf Zugang zu den Gerichten nach nationalem deutschen Recht In Deutschland sichern der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete allgemeine Justizgewährungsanspruch sowie die speziellen justiziellen Grundrechte ein Recht auf effektiven Rechtsschutz. Darüber hinaus kommt der Gerichtsbarkeit ein verfassungsrechtlich garantiertes Rechtsprechungsmonopol zu. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte ist in Deutschland als Kernelement des Rechtsstaats verfassungsrechtlich verankert und bildet die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols.120 Während sich
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sec. 3 Human Rights Act 1998. sec. 1 (1)(a) Human Rights Act 1998; Rechtsschutz gegen rechtsverletzende Akte öffentlicher Gewalt sollte nach Intention des Parlaments jedoch durch secs. 7–9 Human Rights Act 1998 gewährleistet werden, Scott (Procurator Fiscal, Dunfermline) and another v Brown [2001] 2 WLR 817, [2003] 1 A.C. 681, 715; so auch Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 6.78. Allerdings sieht sec. 4 Human Rights Act 1998 keine Möglichkeit vor, die Exekutive oder Legislative zur Änderung von Rechtsnormen zu zwingen, deren Unvereinbarkeit festgestellt wurde. Zudem sieht die Regelung keine Entschädigungsmöglichkeiten im Falle einer Verletzung vor, EGMR, Urt. v. 29.6.2004 – Nr. 37212/02 – Walker/UK; hierzu auch Wadham/ Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 3.78 f., 7.554 f.; Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 2.74 ff., 6.85. 116 Wadham/Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, 1.28; Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 2.77. 117 Wadham/Mountfield/Prochaska u.a., Blackstone’s guide to the Human Rights Act 1998, 72015, Rn. 1.30; Coppel, The Human Rights Act 1998, 1999, Rn. 2.74 f. 118 sec. 5 (4) European Union (Withdrawal) Act 2018. 119 Cram, Judicial remedies for individuals before the highest jurisdictions, a comparative law perspective: The United Kingdom, 2017, S. 37. Der restlicher Inhalt des Art. 6 EMRK wird als mit Art. 47 GRCh identisch betrachtet, Benkharbouche and another v Embassy of the Republic of Sudan [2015] EWCA Civ 33, Rn. 71. 120 Kehrseite deshalb, weil aus dem staatlichen Gewaltmonopol das Verbot der Selbstjustiz folgt, Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 218; vgl. auch BVerfG, Urt. 115
B. ADR und Justizgewährungsansprüche
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die Gewährleistung des gerichtlichen Rechtswegs gegen Akte der öffentlichen Gewalt bereits aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt, leitet das BVerfG aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip, den sogenannten allgemeinen Justizgewährungsanspruch121 her, der einen wirkungsvollen Rechtsschutz auch für zivilrechtliche Streitigkeiten garantiert.122 Die beiden Formen des Justizgewährungsanspruchs unterscheiden sich letztlich nur in ihrem Anwendungsbereich.123 Vom persönlichen Anwendungsbereich umfasst sind alle natürlichen Personen unabhängig von deren Nationalität sowie juristische Personen.124 Ferner können sich sowohl der Kläger als auch der Beklagte auf den Justizgewährungsanspruch berufen.125 Gewährleistet wird der Zugang zu den Gerichten, eine umfassende tatsächliche und rechtliche Bewertung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche richterliche Entscheidung.126 Inhaltlich wird der Justizgewährungsanspruch durch die speziellen Justizgrundrechte der Art. 101 ff. GG ergänzt.127 Rechtsmittel- oder v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41; BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Band IV/2, 2011, S. 1880; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 832022, Art. 19 Abs. 4 Rn. 16; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 3 2010, 1. 121 Zur uneinheitlichen Terminologie, Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, 218, Fn. 9 m. w. N., die die Verwendung der Begriffe „Justizgewährungsanspruch“, „Justizgewährleistungsanspruch“, „Justizgewähranspruch“ und „Justizanspruch“ aufzeigt. Darüber hinaus ist mitunter auch von Justizgewährungspflicht die Rede, so BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673. 122 BVerfG, Urt. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41; BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673; BVerfG, Beschl. v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03 = NJW 2006, 3701, 3702 Rn. 53; zum Teil wird zusätzlich auf Art. 2 Abs. 1 GG bzw. relevante Einzelgrundrechte rekurriert, so etwa BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 = NJW 1993, 1635; BVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 117 = NJW 1995, 3173; Enders, in: BeckOK GG, 502022, Art. 19 Rn. 58. 123 BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02, BVerFGE 107, 395, 403 = NJW 2003, 1924, 1925; differenzierter Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Band IV/2, 2011, S. 1879–1884; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, 832012, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 17; Ramsauer, in: Stein/Denninger/Hoffmann-Riehm, AK-GG, 32001, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 29. 124 Umstritten ist, ob der Schutzbereich nur für inländische oder auch ausländische juristische Personen eröffnet ist, für eine Gleichbehandlung ausländischer juristischer Personen, Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 172022, Art. 19 Rn. 48; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/ Scholz, 832022, Art. 19 Abs. 4 Rn. 40; mit Zweifeln Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Band IV/2, 2011, S. 1893. 125 Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 240; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, 1970, S. 15 f. m. w. N. 126 BVerfG, Urt. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41; BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673. 127 Die speziellen Justizgrundrechte, die letztlich die Existenz des Justizgewährungsanspruchs voraussetzen, betreffen indes mehr die Durchführung des Gerichtsverfahrens als den
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Instanzenzüge werden, wie auch von den unionsrechtlichen Grundrechten, nicht gewährleistet.128 Justizgewähr bedeutet damit Rechtsschutz durch den Richter und kann – anders als im Rahmen des Art. 6 EMRK – nicht durch andere staatliche Organe oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen gewährt werden.129 Der allgemeine Justizgewährungsanspruch vermittelt als Leistungsgrundrecht nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern gewährleistet auch die Effektivität des Rechtsschutzes.130 Bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes kommt dem Gesetzgeber zwar ein weiter Spielraum zu,131 jedoch darf der Zugang zu den Gerichten nicht in unverhältnismäßiger, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden.132 Die gerichtliche Rechtsverfolgung darf damit nicht durch unverhältnismäßig hohe Prozesskosten unbillig beschränkt werden.133 In zeitlicher Hinsicht darf die richterliche Entscheidung nicht verweigert oder unverhältnismäßig verzögert werden.134 Das durch Art. 92 GG garantierte Rechtsprechungsmonopol setzt die äußerste Grenze der staatlichen Förderung von ADR. Dieses verbietet zwar nicht Zugang zu diesem, hierzu Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, 1970, S. 116; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 224–226; vgl. auch Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 32010, 1–5. 128 BVerfG, Urt. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41; BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673; vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, 832022, Art. 20 Rn. 141; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 32010, 1, 8; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Band IV/2, 2011, S. 1940 f. 129 Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 32010, 1, 12; ähnlich Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, S. 35; vgl. BVerfG, Urt. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41. 130 BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118 = NJW 1993, 1635; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, 1970, S. 115–117. 131 BVerfG, Urt. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39, 41; BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 = NJW 1992, 1673; Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 221; Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, S. 15. 132 BVerfG, Beschl. v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 = NJW 1960, 331; BVerfG, Beschl. v. 2.12.1987 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 = NJW 1988, 1255, 1256; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, 832018, Art. 20 Rn. 135. 133 BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992 – 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337, 346 = NJW 1992, 1673; die Aspekte der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechtsschutzgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG gebieten daher, Vorkehrungen zu treffen, die auch Unbemittelten einen weitestgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen; BVerfG, Beschl. v. 6.6.1967 – 1 BvR 282/65, BVerfGE 22, 83, 86 = NJW 1967, 1267; BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979 – 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217 = NJW 1979, 1345, 1346; BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347 = NJW 1991, 413. 134 Wobei dem Gesetzgeber auch hier wieder erheblicher Spielraum zukommt, BVerfG, Beschl. v. 30.5.1990 – 1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126, 155 = NJW 1990, 2246, 2249; BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 249/92; BVerfGE 88, 118, 124 = NJW 1993, 1635; BVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, 107 = NJW 1995, 3173, 1375; Papier, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 32010, 1, 19, 22.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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die Streitbeilegung durch private Gerichte, garantiert jedoch, dass der Judikative der Kern traditioneller Rechtsprechungsaufgaben vorbehalten bleibt.135 Andersherum ist es dem Staat verwehrt, sich aus dem Kernbereich der Rechtspflege zurückzuziehen.136 Die derzeitige deutsche ADR-Landschaft stellt keine Bedrohung für das Rechtsprechungsmonopol der Ziviljustiz dar. ADR selbst nimmt keine Rechtsprechungsaufgaben wahr, sondern ist komplementär zur Ziviljustiz.137 Massenhafte Verdrängungswirkungen von ADR sind aufgrund der gegenüber ADR geübten Zurückhaltung von Verbrauchern und besonders Unternehmen nicht zu erwarten.138 Ein Konflikt wäre allenfalls durch die Einführung obligatorischer ADR-Verfahren oder eines implizierten ADR-Zwangs durch Kostensanktionen nach englischem Vorbild vorstellbar.139 Im Falle erheblicher Zugangsschwellen zu staatlichen Gerichten dürfte indes bereits eine Verletzung des allgemeinen Justizgewähranspruchs im Raum stehen.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren Eine Fesselung der Parteien an ein ADR-Verfahren in dem Sinne, dass die Aufnahme eines Verfahrens und dessen Fortführung nicht im Belieben der Parteien steht, kann aus einer freiwilligen, vertraglichen Vereinbarung der Parteien herrühren – gegebenenfalls unter Einbeziehung einer ADR-Institution – oder Folge einer heteronomen gesetzlichen Teilnahmepflicht sein. Zum Schutze der Verbraucher werden der Privatautonomie der Parteien Grenzen gesetzt und asymmetrische Teilnahmepflichten für Unternehmen aufgestellt. Demnach können zwei grundsätzliche Unterscheidungen getroffen werden. Zum einen entsprechend der Rechtsnatur danach, ob die Parteien freiwillig (autonom) oder unfreiwillig (heteronom) an ein ADR-Verfahren gefesselt sind. Zum anderen danach, ob die Parteien gleichermaßen an das Verfahren gefesselt sind
135 Detterbeck, in: Sachs, GG, 92021, Art. 92 Rn. 28; vgl. BVerfG, Urt. v. 8.2.2001 – 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111 = NJW 2001, 1048, 1053; private Gerichte sind nach Art. 92 GG weder erlaubt noch verboten, BGH, Urt. v. 3.7.1975 – III ZR 78/73, BGHZ 65, 59, 61 = NJW 1976, 109. 136 Detterbeck, in: Sachs, GG, 92021, Art. 92 Rn. 29; vgl. auch das Sondervotum von Mehrenholz, BVerfG, Beschl. v. 28.6.1983 – 2 BvR 539, 612/80, BVerfGE 64, 261 = NJW 1984, 33, 38. 137 Ausführlich hierzu Kap. 6. Trotz der Annahme eines komplementären Verhältnisses einen Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit und des materiellen Verbraucherrechts erkennen wollend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 237 f. 138 Hierzu noch unten unter Kap. 6 B. 139 In diese Richtung Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3, 10 f.; kritisch auch Roth, JZ 2013, 637, 644; Stürner, ZZP 2014, 271, 320; zum Druck englischer Gerichte zur Nutzung von ADR noch unten unter Kap. 4 C. V. 1.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
und damit eine Symmetrie der Pflichten besteht oder ob eine asymmetrische Pflichtenkonstellation dazu führt, dass eine der Parteien stärker an das Verfahren gefesselt ist.
I. Unionsrechtliche Vorgaben Das Unionsrecht kennt keine heteronomen Pflichten zur Teilnahme an ADRVerfahren. Privatpersonen sind kraft ihrer Privatautonomie dazu befähigt, vertragliche Bindungen zur Durchführung eines ADR-Verfahrens einzugehen.140 Das Unionsrecht setzt dieser Privatautonomie jedoch zum Schutze der Verbraucher Grenzen, die sich mittelbar aus den Grundrechten, besonders aber aus Sekundärrecht ergeben können. 1. Mittelbare Wirkung von Grundrechten Privatpersonen sind nicht grundrechtsverpflichtet.141 Eine Vereinbarung zwischen Privatpersonen, vertragliche Streitigkeiten unter (vorläufigen) Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit einem ADR-Verfahren zu unterwerfen, verletzt daher nicht das Recht der Parteien auf Zugang zu den Gerichten. In Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen können Grundrechte jedoch mittelbar zur Geltung kommen,142 indem grundrechtswidrige privatrechtliche Unionsnormen oder nationale Normen der Mitgliedstaaten nicht angewendet werden.143 Noch bedeutender ist die Verpflichtung der Gerichte zur grundrechtskonformen Auslegung abgeleiteten Unionsrechts.144 Diese könnte etwa dann zur Geltung kommen, wenn eine unionsrechtliche oder nationale Regelung, die Verbraucher oder Unternehmen an ein ADR-Verfahren bindet, im Lichte des Art. 47
140 EuGH, Urt. v. 9.3.2006 – C-499/04, Slg. I 2006, 2397, Rn. 23 – Werhoff; EuGH, Urt. v. 20.5.2010 – C-434/08, Slg. I 2010, 4447, Rn. 36 – Harms. 141 Die GRCh bindet unmittelbar nur die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht, Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh. Die Frage der unmittelbaren oder mittelbaren bzw. horizontalen Wirkung der Grundrechte unter Privaten ist bislang ungeklärt, hierzu Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 51 GRCh, Rn. 36–41; Ward, in: Peers/Jervey/Kenner/Ward, 2014, Art. 51 CFREU 51,42 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 51 GRCh Rn. 21; Schwerdtfeger, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 51 GRCh Rn. 57–59; Jarass, ZEuP 2017, 310, 315. 142 Die deutsche Begrifflichkeit wäre hier die der „mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten“, während im Englischen von „horizontal indirect effect“ gesprochen wird, ähnlich auch Jarass, ZEuP 2017, 310, 330; vgl. aber Benkharbouche and another v Embassy of the Republic of Sudan [2015] EWCA Civ 33 Rn. 76–81, in welcher das Gericht Art. 47 GRCh unmittelbare horizontale Wirkung („horizontal direct effect“) zuspricht. 143 Erhebliche Zweifel an der Konformität der hier zentralen ADR-Richtlinie sowie der relevanten Umsetzungsgesetzgebung bestehen vorliegend nicht. Zur Ungültigkeit und Nichtanwendung grundrechtswidriger Privatnormen, Jarass, ZEuP 2017, 310, 317–319. 144 Siehe nur die gelungene Darstellung von Jarass, ZEuP 2017, 310, 319–321.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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GRCh restriktiv auszulegen wäre.145 Die Grundrechtspositionen der Parteien sind dabei – analog zu der Beschränkungsregelung des Art. 52 Abs. 1 GRCh – derart in Ausgleich zu bringen, dass keiner der Positionen in ihrem Wesensgehalt angetastet oder unverhältnismäßig beschränkt würde.146 Die Parteien können jedoch auf ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz verzichten.147 Ein solcher Verzicht ist wirksam, wenn er freiwillig und informiert getroffen wurde und wenn keine Schutzpflichten des Staates sowie öffentliche Interessen entgegenstehen.148 Der Abschluss einer ADR-Vereinbarung drückt daher auch den (bedingten) Verzicht auf den Zugang zu den Gerichten aus. 2. Klauselrichtlinie 93/13/EWG Mit verbraucherschützender Zielrichtung begrenzt die Klauselrichtlinie149 die Privatautonomie der Parteien hinsichtlich der Ausgestaltung allgemeiner Geschäftsbedingungen. ADR-Vereinbarungen in AGB können missbräuchliche oder überraschende Klauseln darstellen und damit unwirksam sein. Eine AGB ist nach Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie „als mißbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben, zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“ Dem Hinweis in Nr. 1 lit. q) des Anhangs der Klauselrichtlinie zufolge, kann eine Klausel als missbräuchlich erachtet werden, die dem Verbraucher – insbesondere durch Verweis auf ein Schiedsverfahren – das Recht entzieht oder erschwert, Rechtsbehelf bei staatlichen Gerichten einzulegen. Da der Hinweis jedoch nicht bindend ist,150 bleibt den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen hinsichtlich der Frage, ob ADRVereinbarungen in AGB als missbräuchlich zu erachten sind.151 Allerdings ist die Klauselrichtlinie im Lichte der Rechtsschutzgewährleistung des Art. 47 Abs. 1 GRCh auszulegen, sodass die Maßstäbe des EuGH zu der Frage, wann Verbrauchern der Weg zu den Gerichten wesentlich erschwert wird, die äußerste Grenze
145 Ferner ist ein angemessener Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten der Parteien herzustellen, Jarass, ZEuP 2017, 310, 324–326. 146 Jarass, ZEuP 2017, 310, 326–328. 147 So zu Art. 47 GRCh, EuGH, Urt. v. 26.2.2013, C-399/11, ECLI:EU:C:2013:107, Rn. 49 f. = NJW 2013, 1215 – Melloni, zum Recht persönlich zur Verhandlung zu erscheinen; EuGH, Urt. v. 21.2.2013, C-472/11, ECLI:EU:C:2013:88, Rn. 29, 35 = EuZW 2013, 263 – Banif Plus Bank, zum Verzicht der Berücksichtigung einer – wegen Art. 47 GRCh von Amts wegen zu berücksichtigenden – missbräuchlichen Klausel. 148 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 52 GRCh, Rn. 18; Jarass, ZEuP 2017, 310, 328–330. 149 Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ABl. Nr. L 095 v. 21.4.1993 S. 29–34. 150 Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149, 157. 151 In Bezug auf Schlichtungsklauseln, Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149, 158.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
zulässiger Klauseln ziehen. Demnach sind zumindest den Gerichtsweg ausschließende Schiedsklauseln in AGB bei Verbraucherbeteiligung unwirksam.152 Aus dem Umstand, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sein sollen, Art. 6 Abs. 1 Klauselrichtlinie, und ihre Verwendung zu unterbinden ist, Art. 7 Abs. 1 Klauselrichtlinie, folgert der EuGH eine Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte, die Missbräuchlichkeit von Klauseln von Amts wegen zu prüfen.153 Diese Prüfung ermögliche den Gerichten, die schwächere Verhandlungsposition des Verbrauchers gegenüber dem Gewerbetreibenden auszugleichen und die Ziele der Richtlinie effektiv umzusetzen.154 Diese Prüfungspflicht geht sogar so weit, dass ein nationales Gericht im Rahmen einer Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs, missbräuchliche Schiedsklauseln zu berücksichtigen und den Schiedsspruch aufzuheben hat, selbst wenn die Zuständigkeit des Schiedsgerichts erst im Aufhebungsverfahren geltend gemacht wird.155 Der zwingende Charakter des Art. 6 Abs. 1 Klauselrichtlinie sowie das zugrunde liegende öffentliche Interesse am Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers, rechtfertige nicht nur in außergewöhnlichen Fällen eine erhöhte Prüfungskompetenz der Gerichte zur Aufhebung eines Schiedsspruchs.156 Die Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes erfordert allerdings nicht, dass ein nationales Gericht der Bindung eines Verbrauchers an eine nichtige Schiedsklausel auch dann abhelfen muss, wenn der Verbraucher völlig untätig geblieben ist und auch den Schiedsspruch nicht angreift.157 Etwas anderes gilt im Hinblick auf 152
So auch Amro, Arbitration 82 (2016), 265, 268 f. EuGH, Urt. v. 27.6.2000 – C-240/98–244/98, Slg. I 2000, 4941, Rn. 25–29 – Oce´ano Grupo. 154 Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Verbraucher die Missbräuchlichkeit einer Klausel wegen Unwissenheit nicht geltend macht und folglich – entgegen den Zielen der Richtlinie – an die Klausel gebunden wird. 155 EuGH, Urt. v. 26.10.2006 – C-168/05, Slg. I 2006, 10437, Rn. 30–39 = NJW 2007, 135 – Mostaza Claro. Dass die Verbraucherin die Nichtigkeit der Schiedsklausel im konkreten Fall erst im Aufhebungsverfahren geltend machte, war deshalb besonders brisant, da sie sich zuvor rügelos auf das Schiedsverfahren eingelassen und Argumente zur Sache vorgebracht hatte, Rn. 17. 156 EuGH, Urt. v. 26.10.2006 – C-168/05, Slg. I 2006, 10437, Rn. 52–54 = NJW 2007, 135 – Mostaza Claro, demgegenüber hat das Bedenken, dass die Wirksamkeit von Schiedssprüchen beeinträchtigt sein könnte, wenn der Verbraucher die Nichtigkeit schon im Schiedsverfahren geltend machen muss, zurückzustehen. Der EuGH verweist in Rn. 36 auch darauf, dass ein Gericht, dass den Schiedsspruch wegen Verletzung nationaler Vorschriften, die zur öffentlichen Ordnung gehören, aufheben kann, dies auch tun muss, wenn entsprechende unionsrechtliche Vorschriften verletzt werden. Zwar trifft der EuGH keine explizite Aussage zur Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 Klauselrichtlinie, die Entscheidung impliziert jedoch in bedenklicher Weise, dass die Vorschrift zum unionsrechtlichen ordre public zählt. Diese berechtigte Kritik bei Lieber, CML Rev. 45 (2008), 545, 554; kritisch auch Wagner, SchiedsVZ 2007, 49, 51. 157 EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – C-40/08, Slg. I 2009, 9602, Rn. 39–48 = EuZW 2009, 852 – Asturcom. Im Ausgangsverfahren hatte sich die Verbraucherin nicht am Schiedsverfahren 153
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den Äquivalenzgrundsatz dann, wenn das mitgliedstaatliche Gericht nach den nationalen Verfahrensvorschriften verpflichtet ist, einen Verstoß einer Schiedsklausel gegen zwingende Vorschriften des nationalen Rechts von Amts wegen zu prüfen.158 Der EuGH hat den Schutz vor missbräuchlichen Klauseln mithin als Bestandteil des unionsrechtlichen ordre public verankert.159 Sollten ADR-Vereinbarungen in AGB nach nationalem Recht als missbräuchlich oder intransparent angesehen werden, haben staatliche Gerichte jede ihnen zur Verfügung stehende Möglichkeit zu nutzen, einer Bindung des Verbrauchers an die nichtige Klausel abzuhelfen. Mediations- und Schlichtungsvereinbarungen, die den Weg zu den Gerichten nur dilatorisch beschränken, sind hierbei freilich nicht in gleichem Maße betroffen, wie Schiedsklauseln, die den Gerichtsweg peremptorisch ausschließen. 3. Mediationsrichtlinie 2008/52/EG Der Anwendungsbereich der Mediationsrichtlinie erstreckt sich nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte, für welche die Parteien nach Entstehen der Streitigkeit eine Mediationsvereinbarung getroffen haben, Art. 2 Abs. 1 lit. a) Mediationsrichtlinie.160 Nationale Vorschriften, welche die Parteien zur Durchführung eines Mediationsverfahrens vor oder nach Einleitung des Gerichtsverfahrens verpflichten, bleiben unberührt, Art. 3 lit. a), 5 Abs. 2 Mediationsrichtlinie. 4. ADR-Richtlinie 2013/14/EU Die ADR-Richtlinie steht vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen zur Nutzung von ADR in den Grenzen des Art. 47 Abs. 1 GRCh nicht entgegen. Zwar erstreckt sich der Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie auf Streitigkeiten, die der Verbraucher auf freiwilliger Basis gegen den Unternehmer bringt, Art. 1 S. 1 ADR-Richtlinie, die Freiwilligkeit bezieht sich indes nur auf die Mitwirkung am Verfahren, nicht aber auf die ursprüngliche Teilnahme an einem ADR-Verfahren.161
beteiligt und hatte keinen Antrag auf Aufhebung des aus dem Verfahren resultierenden Schiedsspruchs gestellt, sodass dieser rechtskräftig wurde, Rn. 33. Hierin sieht der EuGH auch den Unterschied zur Rechtssache Mostaza Claro, in welcher der Schiedsspruch angegriffen und die Nichtigkeit der Schiedsklausel zumindest im Aufhebungsverfahren geltend gemacht wurde. 158 EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – C-40/08, Slg. I 2009, 9602, Rn. 53 = EuZW 2009, 852 – Asturcom. 159 Eingehend, Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74, 78–80; Farah/Oliveira, ERPL 24 (2016), 117, 132; vgl. auch Reich, ERCL 10 (2014), 258, 269 f. 160 Mediationsvereinbarungen, die vor Entstehung der Streitigkeit getroffen wurden, fallen folglich nicht in den Anwendungsbereich der Mediationsrichtlinie. 161 ErwG 13 ADR Richtlinie; EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 50 = EuZW 2017, 736, 738 – Menini.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Nach Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie sind ADR-Vereinbarungen für den Verbraucher nicht verbindlich, wenn sie mit dem Unternehmer vor Entstehen der Streitigkeit getroffen wurden und dem Verbraucher das Recht entziehen, die Gerichte anzurufen. Diese Regelungen wurden vor dem Hintergrund getroffen, dass dem Verbraucher keine informierte Entscheidung über den Verzicht auf gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zugetraut wird, sofern die Streitigkeit nicht schon besteht. Ausgehend vom Wortlaut der Norm, der nur vom Entzug des Rechts, die Gerichte anzurufen, spricht, scheinen nur Abreden von Verfahren mit verbindlicher Lösung erfasst zu sein – kurz gesagt Schiedsvereinbarungen.162 Nichts anderes kann aber für Vereinbarungen gelten, die den Zugang zu Gerichten zwar nicht entziehen, aber wesentlich erschweren oder verzögern und damit unverhältnismäßig beeinträchtigen. Dieser indirekte Verweis auf den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes ist vielmehr als Verweis auf den gesamten Schutzgehalt des Art. 47 Abs. 1 GRCh zu verstehen.163 Richtigerweise lässt sich der Regelung des Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie aber auch kein Gebot der Zulässigkeit von Mediations- und Schlichtungsklauseln entnehmen.164 Zumindest Verbraucher können ADR-Verfahren, in denen den Parteien ein Lösungsvorschlag unterbreitet wird, jederzeit beenden, wenn sie die Durchführung oder den Ablauf des Verfahrens als unbefriedigend empfinden, Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie. Von diesem Recht müssen die Parteien im Vorfeld unterrichtet werden. Das Recht, das Verfahren jederzeit und bedingungslos zu beenden, beinhaltet dem EuGH zufolge wohl auch die Gewähr, dass aus dem Abbruch des ADR-Verfahrens für den Verbraucher keine Nachteile oder Sanktionen – etwa in Form einer nachteiligen Kostenentscheidung – resultieren dürfen.165 Zwar gilt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur für Schlichtungsverfahren, jedoch kann auch eine Mediation jederzeit abgebrochen werden.166 Die ADR-Richtlinie geht nicht so weit, Unternehmer zur Teilnahme an ADRVerfahren zu verpflichten oder diese an Verfahrensergebnisse zu binden. Um den Zugang von Verbrauchern zu Rechtsbehelfen sicherzustellen, zielt die Richtlinie jedoch darauf ab, Unternehmer zur Teilnahme an ADR-Verfahren zu ermutigen, und lässt daher auch nationale Vorschriften unberührt, die eine entsprechende 162 So wohl Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707. Insofern besteht aber freilich Gleichlauf mit der Missbräuchlichkeit von Schiedsklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen nach der Klauselrichtlinie. 163 Dementsprechend finden auch die oben unter Kap. 4 B. I. 3. ausgeführten Kriterien des EuGH Anwendung. 164 Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149, 158; vgl. aber die offenen Formulierungsmöglichkeiten bei Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 20; so wohl aber Meller-Hannich/ Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 26. 165 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 50 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini. 166 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3.; wohl auch EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457, Rn. 67 = EuZW 2017, 736, 739 – Menini.
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Teilnahmeverpflichtung oder Bindung an Verfahrensergebnisse für den Unternehmer statuieren.167
II. Asymmetrisch-heteronome Teilnahmepflicht für Unternehmen Sowohl die englische als auch die deutsche Rechtsordnung kennen nur gesetzliche Bestimmungen, die nur Unternehmen einer ADR-Jurisdiktion unterwerfen. Für Verbraucher bestehen für die hier untersuchten Streitigkeiten keine ADRVerpflichtungen. Die Heteronomie, das heißt die Unfreiwilligkeit der Teilnahmeverpflichtung, wird dabei in einem funktionalen Sinne verstanden und muss auf einer Rechtsnorm der Legislative oder Exekutive beruhen.168 1. Teilnahmeverpflichtung als Voraussetzung effektiven ADR-Rechtsschutzes in England In England sind asymmetrisch-heteronome Teilnahmeverpflichtungen für Unternehmen in regulierten Wirtschaftsbereichen die Regel. Angesichts der hohen Zugangsschwellen der gerichtlichen Rechtsverfolgung soll eine zwingende Teilnahme des Unternehmens die Effektivität des – praktisch oftmals alternativlosen – ADR-Rechtsschutzes sicherstellen. Die bedeutendste zwingende Jurisdiktion übt der FOS im Finanzsektor aus. Unternehmen sind sowohl zur Teilnahme als auch zur Einhaltung des Verfahrensergebnisses verpflichtet, sofern der Verbraucher diesem zugestimmt hat.169 Diese zwingende Jurisdiktion ist zugleich mit einer Handlungslast beider Parteien verbunden, da die Nichtteilnahme der Parteien nicht folgenlos bleibt, sondern nach Ablauf gesetzter Fristen die Fortführung oder Beendigung des Verfahrens nach sich ziehen kann.170 Eine ähnliche zwingende Jurisdiktion besteht beim Legal Ombudsman für Beschwerden gegen Rechtsdienstleister.171 Der Pension Ombudsman verfügt über zwei zwingende Jurisdiktionen und weist eine derart starke gesetzliche Verankerung auf, dass sich das Verfahren von dem hier angelegten ADR-Verständnis entfernt.172 Die Befugnisse sowie die Re167
ErwG 49, Art. 9 Abs. 2 lit a) S. 2, Abs. 3, 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie. Umfasst sind damit auch Fälle, in denen Unternehmen gegenüber einer ADR-Stelle eine vertragliche Selbstverpflichtung erklären, die Teilnahmepflicht aber letztlich darauf beruht, dass eine rechtliche Verpflichtung zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren besteht, wobei wiederum nur ADR-Stellen anerkannt sind, die eine asymmetrische Teilnahmeverpflichtung des Unternehmens vorsehen. 169 secs. 226, 226a und 228 FSMA 2000. 170 DISP 3.5.14R und DISP 3.5.15R FCA Handbook. 171 In die Jurisdiktion des vom Office for Legal Complaints betriebenen Legal Ombudsman fallen alle autorisierten Rechtsdienstleister, wobei die Beschwerde nicht im Zusammenhang mit einer der Rechtsdienstleistungsbranche vorbehaltenen Tätigkeit stehen muss, sec. 125 Legal Services Act 2007. Aus r. 5.32 Legal Ombudsman Scheme Rules folgt, dass die Nichtteilnahme am Verfahren für die Parteien nicht folgenlos bleibt. 172 sec. 209–218 Pensions Act 2004. Bedeutend ist insbesondere die Jurisdiktion für Strei168
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gelungen zum Verfahren und zur Durchsetzung von Verfahrensergebnissen sind durch Verordnungen der Exekutive konkretisiert.173 Überdies sind die Verfahrensergebnisse des Pension Ombudsman sowohl für den Verwalter der Altersvorsorge als auch für den Verbraucher final und bindend.174 Jedoch kann der Verbraucher das Verfahren in der Regel jederzeit durch eine Rücknahme der Beschwerde beenden.175 Im Energiesektor beruht die Verpflichtung zur Mitgliedschaft der Energieunternehmen bei einer ADR-Stelle nicht direkt auf Gesetz, sondern auf einer in sec. 47 CEAR Act 2007 vorgesehenen Verfügung des zuständigen Ministers.176 Da OS:E die einzige anerkannte ADR-Stelle im regulierten Energiesektor ist und deren Verfahren für Unternehmen obligatorisch ist,177 ergibt sich bei funktionaler Betrachtung auch hier eine heteronome Teilnahmepflicht. Ähnliches gilt für regulierte Tätigkeiten im Immobiliensektor.178 Im Telekommunikations- und Glücksspielsektor ist die Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle Lizenzbedingung für Unternehmen. Für Telekommunikationsanbieter besteht eine Pflicht zur Mitgliedschaft bei einer der zwei von Ofcom anerkannten ADR-Stellen. Diese heteronome Teilnahmepflicht resultiert aus den General Conditions von Ofcom, die auf Basis der secs. 52, 54 Communications Act 2003 erlassen wurden und Rahmenbedingungen für die Streitbei-
tigkeiten im Zusammenhang mit Rentenprodukten, wobei deren missbräuchlicher Verkauf in die Jurisdiktion des FOS fällt, hierzu Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 286. 173 Personal and Occupational Pension Schemes (Pensions Ombudsman) Regulations 1996 zur Jurisdiktion und den Befugnissen, Personal and Occupational Pension Schemes (Pensions Ombudsman) (Procedure) Rules 1995 zum Verfahren und County Court (Pensions Ombudsman) (Enforcement of Directions and Determinations) Rules 1993 zur Durchsetzung der Verfahrensergebnisse. 174 sec. 151(3) Pension Schemes Act 1993. 175 sec. 4 The Personal and Occupational Pension Schemes (Pensions Ombudsman) (Procedure) Rules 1995. 176 Von der Möglichkeit der obligatorischen Teilnahme von Unternehmen wurde in sec. 3 The Gas and Electricity Regulated Providers (Redress Scheme) Order 2008 Gebrauch gemacht. 177 Ziff. 2.1[c], 3.1 OS Terms of Reference in Verbindung mit Ziff. 1.1 Membership Rules for Participating Companies. 178 Ein Zwang zur Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle besteht für Akteure im Bereich der Vermittlung von Immobilienmiet- und kaufverträgen (letting agency und estate agency work) sowie im Bereich der Immobilienverwaltung (property management work), sec. 53 und Sch. 6 CEAR Act 2007 in Verbindung mit der The Redress Schemes for Lettings Agency Work and Property Management Work (Requirement to Belong to a Scheme etc) (England) Order 2014. Als ADR-Stellen anerkannt sind „The Property Ombudsman“ und „The Property Redress Scheme“, die beide eine Pflicht der Unternehmen zur Teilnahme und zur Einhaltung angenommener Verfahrensergebnisse vorsehen.
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legung von Kundenbeschwerden sowie die Anerkennung von Streitbeilegungsmechanismen aufstellen.179 Der Wortlaut des Communications Act 2003 selbst sieht keinen ADR-Zwang vor, suggeriert einen solchen jedoch.180 Im Glücksspielsektor ist die Nutzung mindestens einer anerkannten ADRStelle Bedingung für die Lizenz eines Unternehmens. Auch hier folgt diese Teilnahmepflicht nicht unmittelbar aus dem regulierenden Gesetz, hier dem Gambling Act 2005, sondern aus den Licence conditions and codes of practice,181 welche die Gambling Commission als Regulierungsbehörde aufstellt.182 2. Primat der Freiwilligkeit von ADR in Deutschland In der deutschen Rechtsordnung soll dem Prinzip der Freiwilligkeit von ADR größtmögliche Geltung eingeräumt werden. Zwar wird mit Blick auf die zurückhaltende Inanspruchnahme von ADR die Notwendigkeit erkannt, Unternehmen zur Nutzung von ADR zu ermutigen, jedoch werden heteronomen ADR-Verpflichtungen, die das Freiwilligkeitsprinzip konterkarieren, anders als in England, weitestgehend eine Absage erteilt. Nur vereinzelt bestehen gesetzliche Teilnahmeverpflichtungen für Unternehmen. So etwa für Energieversorgungsunternehmen für Verfahren der Schlichtungsstelle Energie e.V., § 111b Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EnWG, sowie für Anbieter von Postdienstleistungen bei der Schlichtungsstelle Post der Bundesnetzagentur, § 18a Abs. 2 S. 2 PostG. Für Luftfahrtunternehmen ergibt sich eine Teilnahmepflicht an ADR-Verfahren aus der subsidiären Zuständigkeit der behördlichen Schlichtungsstelle Luftverkehr beim BfJ nach § 57a Abs. 1 LuftVG. Die Schlichtungsstelle ist zuständig, sofern sich Luftfahrtunternehmen nicht einer privaten ADR-Stelle, wie der söp, angeschlossen haben. Die Handlungslast der Unternehmen ist jedoch schwächer ausgestaltet als in England. Zwar sind die Schlichtungsstellen befugt, auch ohne aktive Mitwirkung des Unternehmens Schlichtungsvorschläge nach Aktenlage zu erlassen,183 jedoch sind Unternehmen nicht an die Verfahrensergebnisse gebunden, sodass über ei-
179 General Conditions 14.4 und 14.5. Zu den Hintergründen dieser Regelungen, Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 295–303. 180 So hat Ofcom unter anderem sicherzustellen, dass die regulierten Unternehmen dem Streitbeilegungsmechanismus folgen, sec. 52(3)(c) Communications Act 2003. Außerdem sollen anerkannte ADR-Mechanismen befugt sein, awards gegen die Unternehmen anzuordnen, sec. 54(2)(f) Communications Act 2003. 181 Insbesondere Social responsibility code provision 6 der Licence conditions and codes of practice (LCCP). 182 Grundlage für die Lizenzbedingungen sind secs. 24–25 Gambling Act 2005. 183 Dies ergibt sich für die Schlichtungsstelle Luftverkehr aus § 13 Abs. 2 LuftSchlichtV und für die Schlichtungsstelle Energie aus § 7 Abs. 1 Verfahrensordnung Schlichtungsstelle Energie e.V.
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ner verweigerten Mitwirkung nicht das scharfe Schwert einer verbindlichen Entscheidung pendelt. Eine asymmetrisch-heteronome Bindung an das Verfahrensergebnis, das sei hier vorweggenommen, kennt das deutsche Recht nicht. Aus § 68 TKG ergibt sich keine gesetzliche Teilnahmepflicht für Telekommunikationsunternehmen. Zwar ist die Verweigerung des Unternehmens nicht als Grund für die Verfahrensbeendigung aufgelistet, vgl. § 68 Abs. 2 TKG, jedoch ergibt sich aus § 6 Abs. 2 der Schlichtungsordnung, dass eine nicht fristgerechte Antragserwiderung als Verweigerung der Zustimmung zum Verfahren gilt, sodass dieses nicht durchgeführt werden kann.184
III. Asymmetrisch-autonome Teilnahmepflicht für Unternehmen Neben gesetzlichen ADR-Verpflichtungen haben sich autonome Teilnahmepflichten für Unternehmen etabliert. Diese einseitigen Verpflichtungen können sich sowohl aus einer Verbandsmitgliedschaft, der Mitgliedschaft bei einer ADRStelle, einer einseitigen vertraglichen Erklärung des Unternehmens und sogar aus gesetzlicher Fiktion ergeben. Gewohnt pragmatisch geht es der englischen Rechtsordnung jedoch mehr darum, ein Unternehmen im Ergebnis zur Teilnahme zu verpflichten als um die rechtliche Qualifikation dieser Pflicht. 1. Teilnahmepflicht englischer Unternehmen in selbstregulierten Wirtschaftsbereichen Asymmetrisch-autonome Pflichtkonstellationen gehen in England oftmals auf selbstregulatorische Initiativen zurück und sind damit meist Folge einer Mitgliedschaft in einem Branchenverband beziehungsweise der Bindung an branchenspezifische codes of practice (Verhaltenskodizes).185 Alternativ hierzu existieren opt-in Varianten, bei denen die Unterwerfung unter das brancheneigene ADR-Verfahren einer gesonderten Erklärung des Unternehmens bedarf.186 Diese ADR-Mechanismen sind meist nicht als ADR-Stelle im Sinne der Richtlinie anerkannt. 184 Zutreffend erkannt von Büning, in: Geppert/Schütz, TKG, 42013, § 47a Rn. 19 (zu § 47a TKG a.F.); vgl. Lueg, in: BeckOK InfoMedienR, 352022, § 68 TKG 2021 Rn. 6. 185 Beispiele hierfür sind das ABTA Arbitration Scheme, The Glazing Arbitration Scheme für Mitglieder der Glass and Glazing Federation, der conciliation service der Carpet Foundation für Beschwerden gegen ihre Mitglieder, The Property Ombudsman für Verfahren gegen Mitglieder der British Association of Removers, der complaints mediation and arbitration service der British Healthcare Trades Association (BHTA), der conciliation service des Institute of Professional Willwriters sowie das Estate Planning Arbitration Scheme, The Motor Ombudsman und der Zugang zum National Conciliation Service für Mitglieder der Retail Motor Industry Federation (RMI). Siehe auch die Übersicht bei Creutzfeldt-Banda/ Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 315–320. 186 Eine opt-in Möglichkeit, sich der Verfahren von The Glazing Arbitration Scheme zu unterwerfen, besteht etwa für Mitglieder des Fenestration Self-Assessment Scheme (FENSA).
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Ferner können sich Unternehmen der Jurisdiktion eines ADR-Mechanismus durch einen zweiseitigen Vertrag mit einem ADR-Anbieter unterwerfen.187 Die nach englischem Vertragsrecht erforderliche consideration188 für das unternehmerische Versprechen zur Teilnahme an kostenpflichtigen ADR-Verfahren besteht im Versprechen des ADR-Anbieters, im Beschwerdefall ein faires und angemessenes ADR-Verfahren durchzuführen. Schließlich kann eine Teilnahmepflicht aus einer Selbstverpflichtung des Unternehmens gegenüber der ADR-Stelle erwachsen. Nach englischem Recht sind solche einseitigen Versprechen, denen es an consideration fehlt, nur durchsetzbar, wenn diese in einem deed poll (Urkunde) getroffen werden.189 Einen beurkundeten deed poll müssen etwa Unternehmen abgeben, die sich einem Verfahren von Ombudsman Services unterwerfen und sich dazu verpflichten, die terms of references sowie die vom Verbraucher angenommenen Verfahrensergebnisse zu befolgen.190 Zweck des deed poll ist es, Verbrauchern die Durchsetzung von Verfahrensergebnissen zu erleichtern, sodass die Konstellation einem Vertrag zu Gunsten Dritter ähnelt.191 2. Selbstverpflichtung deutscher Unternehmen als Ausdruck freiwilliger ADR Aufgrund der Zurückhaltung in Deutschland, ADR für Unternehmen obligatorisch zu gestalten, sind asymmetrische Teilnahmepflichten meist freiwilliger Natur. Wie auch in England, bilden selbstregulatorische Bestrebungen oftmals den Ausgangspunkt solcher Bindungen. Hinzu kommt die Selbstbindung der Unternehmen durch ihre AGB. Aufgrund der deutschen Konzeption, nach der Träger der ADR-Stelle ein eingetragener Verein sein muss, kann eine einseitige Teilnahmepflicht aus der Satzung des Trägervereins erwachsen, welche die Mitgliedsunternehmen bindet. Die Ablehnung eines Verfahrens durch das Unternehmen ist in diesen Fällen für dessen Fortführung unbeachtlich, § 15 Abs. 2 VSBG.192 Darüber hinaus kann der 187 Beispielhaft hierfür seien Mitgliedschaften bei den von CEDR betriebenen ADRVerfahren, unter anderem AviationADR, Independent Betting Adjudication Service Ltd. (IBAS) und Bacta ADR. 188 Eingehend Beatson/Burrows/Cartwright, Anson’s law of contract, 302016, S. 96 ff.; Currie v Misa (1875) L.R. 10 Ex. 153, 162; Andrews, Contract law, 22015, Rn. 5.10 ff. 189 Zu den Formerfordernissen bei unter dem Companies Act 2006 eingetragenen Gesellschaften, sec. 44 Companies Act 2006; Beatson/Burrows/Cartwright, Anson’s law of contract, 30 2016, S. 81; vgl. zum Thema „deed“, Andrews, Contract law, 22015, Rn. 5.03 und 5.10. 190 Der Deed Poll Ombudsman Services ist online nicht mehr abrufbar. 191 Nicht umsonst verweist der deed poll in Rn. 3.1 ausdrücklich auf Zwecke des Contracts (Rights of Third Parties) Act 1999. 192 Vgl. auch den Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 18/5089, S. 61 f. Viele Verfahrensordnungen sehen daher die Möglichkeit vor, Lösungsvorschläge auch ohne Mitwirkung des Unternehmens nach Aktenlage zu erlassen, etwa wenn die Beschwerde ohne die Stellungnahme des Unternehmens nicht entscheidungsreif ist; § 7 Abs. 1 Verfahrensordnung Satzung SNUB – Die Nahverkehr-Schlichtungssselle e.V.; § 7 Abs. 1 Verfahrensordnung Schlichtungsstelle
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Versicherungsombudsmann Ordnungsgelder gegen Unternehmen verhängen, sollte die Beschwerde ohne dessen Stellungnahme nicht entscheidungsreif sein.193 Dem Verbraucher wird mit der Durchsetzung der Teilnahmepflicht primär geholfen sein, wenn das Verfahrensergebnis für den Unternehmer verbindlich ist.194 Diese Einschränkung des Grundsatzes der Freiwilligkeit gilt nicht für die jederzeit abbrechbare Mediation.195 Teilnahmeverpflichtungen in Satzungen der Trägervereine und Verfahrensordnungen der ADR-Stellen finden sich im Banken-196, Versicherungs-197 und Personenverkehrssektor.198 Anders als in England sind ADR-Verpflichtungen, die aus der Mitgliedschaft in einem Branchenverband herrühren, eine Seltenheit.199 Nur selten verpflichten sich deutsche Unternehmen zur Nutzung von ADR in ihren AGB. Dass AGB jederzeit eine unternehmerische Selbstverpflichtung enthalten können, ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 309 Nr. 14 BGB, wonach nur ein dilatorischer Klageverzicht des Verbrauchers unwirksam ist.200 Dies entspricht letztlich dem Zweck des VSBG, ADR in Verbrauchersachen zu fördern.201 Auch § 30 Abs. 6 S. 1 VSBG sieht ausdrücklich vor, dass der Unternehmer seine Teilnahmebereitschaft an Verfahren der Universalschlichtungsstelle des Bundes sowohl auf der Webseite als auch in den AGB erklären kann. Erforderlich ist eine allgemeine oder individuelle Erklärung; ein bloßes In-AussichtStellen der Teilnahme begründet demgegenüber keine Bindung.202 Begrenzungen der Teilnahmebereitschaft sind zu beachten.203 Energie e.V.; § 6 Abs. 1 Satzung Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft; vgl. § 6 Abs. 5 Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken; § 12 Abs. 2 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds; § 6 Abs. 4 söp Verfahrensordnung. 193 Siehe § 7 Abs. 4 VomVO. 194 Zu denken wäre außerdem an die Durchsetzung einer Pflicht zur aktiven Mitwirkung mittels Zwangsgeld nach § 888 Abs. 1 ZPO, wobei dieses Vorgehen in der Praxis regelmäßig außer Verhältnis zum Durchsetzungsinteresse stehen dürfte. 195 Die Regelung des § 2 Abs. 5 MediationsG bleibt unberührt, Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 5 Rn. 178; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2, Rn. 273. 196 So etwa § 7 Satzung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen (e.V.); vgl. Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Bausparen des Verbandes der Privaten Bausparkassen e.V.; Mitglieder des BVR können ihre Teilnahmebereitschaft gegenüber der Kundenbeschwerdestelle erklären, BVR, Tätigkeitsbericht 2021, 2022, S. 14. 197 § 5 Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e.V. 198 § 4 söp Satzung; § 6 Satzung SNUB – Die Nahverkehr-Schlichtungsstelle e.V. 199 Deutsche Beispiele hierfür sind die obligatorischen Verfahren der Kfz-Schiedsstellen für Mitglieder des Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V. sowie der Schlichtungsstelle des Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V. 200 Unternehmen sollen sich jederzeit entsprechend binden können, so auch Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 15 Rn. 24; a. A. wohl Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2, Rn. 271. 201 Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 13. 202 Eine entsprechende Formulierung beinhaltete noch der auf Vorschlag des Bundesrats geänderte Fraktionsentwurf, s. hierzu die Kritik des Bundesrats, BR-Drucks. 258/15(B) so-
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Da die Regelung des § 30 Abs. 6 VSBG ihrem Wortlaut nach nur auf Verfahren von Universalschlichtungsstellen anwendbar ist, wird argumentiert, dass Unternehmen nicht an Erklärungen zur Teilnahmebereitschaft an (sektorspezifischen) ADR-Verfahren im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG auf der Webseite oder in AGB gebunden seien.204 Diese Auffassung scheint auch der BGH zu vertreten, der in der Erklärung nach § 36 Abs. 1 VSBG eine von Unternehmen im Vorfeld von Geschäftsabschlüssen zu treffende, für die Zukunft revidierbare, Entscheidung über die Teilnahmebereitschaft und deren Reichweite sieht.205 Die Befürchtungen, dass das Verbrauchervertrauen in entsprechende Erklärungen enttäuscht würde, lassen sich jedoch weitestgehend ausräumen. Die Erklärung der Teilnahmebereitschaft eines Unternehmens stellt ein Angebot zum Abschluss einer Schlichtungsabrede mit dem Verbraucher dar, das konkreter Vertragsinhalt wird, sofern es in AGB enthalten ist oder sich bei Veröffentlichung auf der Webseite an einen unbestimmten Personenkreis richtet (Offerte ad incertam personam).206 Dieses Angebot kann der Verbraucher, unter Verzicht einer ausdrücklichen Erklärung, konkludent gegenüber dem Unternehmer durch Antragstellung annehmen, vgl. § 151 S. 1 BGB.207 Die unterschiedliche Behandlung einer ausdrücklich erklärten Teilnahmebereitschaft, allein aufgrund der in Bezug genommenen ADR-Stelle, scheint weder geboten noch gerechtfertigt. Sofern der BGH im Zusammenhang der vorvertraglichen Erklärung über die Teilnahmebereitschaft von einer „für die Zukunft revidierbaren Entscheidung“ spricht, so wird der achte Senat primär die Konstellation einer Erklärung über die fehlende Teilnahmebereitschaft bei Vertragsschluss im Sinn gehabt haben, die für den Verbraucher als solche kein schutzwürdiges Vertrauen begründet.208 Die wie die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/5760, S. 29, hierzu auch Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 30 Rn. 38; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 30 Rn. 50. 203 Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 30 Rn. 39; Greger, MDR 2016, 365, 368 f.; die Erklärung zur Teilnahme an einem Verfahren einer nicht anerkannten ADREinrichtung weist hingegen freilich keinen Bezug mehr zum VSBG auf, vgl. Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 30 Rn. 51. 204 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 5 Rn. 182; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 32 VSBG Rn. 1; a. A. Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 2 2021, § 30 Rn. 39, für den die Erklärung nach Sinn und Zweck der Vorschrift so zu verstehen sei, dass sich die Teilnahmebereitschaft zumindest auch auf die Universalschlichtungsstelle erstreckt; ähnlich Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 30 Rn. 51; wohl Fuchs, ZUM 2016, 398, 407. 205 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 44. 206 So zutreffend Greger, MDR 2016, 365, 368; ders., in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 36 VSBG Rn. 13. 207 Greger, MDR 2016, 365, 368, ders., in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 36 VSBG Rn. 13. Eine rechtliche Beurteilung dieses Konstrukts mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen lassend, OLG Celle, Urt. v. 24.7.2018 – 13 U 158/17, MMR 2019, 393 Rn. 20. 208 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 40.
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Auffassung des BGH, einer vor Vertragsschluss erklärten (teilweisen) Teilnahmebereitschaft nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG käme lediglich ein unverbindlicher Informationswert zu, sodass es für eine Teilnahmepflicht einer „(gesonderten) rechtsgeschäftlichen Erklärung“ bedarf,209 vermag jedoch nicht vollkommen zu überzeugen. Die Annahme eines reinen Informationswerts der Erklärung nach § 36 Abs. 1 VSBG würde dem vom achten Senat zutreffend herausgearbeiteten Gesetzeszweck, nach welchem dem Verbraucher eine „verlässliche Informationen“ über die Teilnahmebereitschaft des Unternehmens als Entscheidungshilfe für den Vertragsschluss an die Hand gegeben werden soll, widersprechen und dem schutzwürdigen Vertrauen des Verbrauchers in die Teilnahmebereitschaft des Unternehmens nicht gerecht werden.210 Soweit der BGH zutreffend die grundsätzliche Freiwilligkeit von ADR unter dem VSBG betont, ist jedoch zuzugestehen, dass eine erklärte Teilnahmebereitschaft keine Teilnahmeverpflichtung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG begründet.211 Einem Unternehmen, das weder gesetzlich noch vertraglich gegenüber einer ADR-Stelle teilnahmeverpflichtet ist, steht es offen, die Teilnahme im Nachhinein zu verweigern, obwohl der Verbraucher das Angebot einer Schlichtungsabrede durch Antragstellung angenommen hat.212 Da Unternehmen, die sich einer sektorspezifischen ADRStelle anschließen, zumeist auch gegenüber der ADR-Stelle zur Teilnahme verpflichtet sein werden, sind die Auswirkungen für die Praxis indes gering. Auf widersprüchliche Erklärungen kann sich ein Unternehmen freilich nicht berufen.213 Fraglich ist hingegen, wie lange Unternehmen in zeitlicher Hinsicht an frühere Teilnahmebekenntnisse auf der eigenen Webseite gebunden sind. Ausgehend von der Klassifizierung einer im Internet veröffentlichten Teilnahmeerklärung als Publikumsofferte, wäre das erklärende Unternehmen an das Angebot schon mit Zugang beim Verbraucher unwiderruflich gebunden, § 145 BGB. Zugang und Annahme des Angebots können somit zeitlich weit auseinanderliegen.214 Die An209 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 40 mit kritischer Anmerkung von Ruge. 210 In diese Richtung gehend, auch die kritische Anmerkung von Ruge zu BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588, 3593. 211 BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 263/18, MDR 2019, 1370 Rn. 37–45 = WM 2019, 2078; BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588 Rn. 40. 212 Der Verbraucher könnte insofern allenfalls ein Schadensersatzanspruch aus vorvertraglicher Pflichtverletzung (c. i. c.) oder deliktsrechtlicher Haftung geltend machen, wobei auf Verbraucherseite regelmäßig kein kausaler bzw. nur ein schwer feststellbarer materieller Schaden verursachen wird, hierzu auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 72. 213 Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 30 Rn. 40; vgl. Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 30 Rn. 52. 214 Während das Angebot zum Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung dem Verbraucher bereits schon vor oder bei Vertragsschluss zugehen kann, erfolgt die Annahme zwangsweise erst im zeitlich (weit) nachgelagerten Streitfall. Sich daher für eine interessengerechte Auslegung der §§ 145 ff. BGB aussprechend, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016,
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nahmefrist ist in diesen Fällen daher nach dem Willen des Antragenden zu bestimmen, § 151 S. 2 BGB. Dieser Wille lässt sich aus den Umständen entnehmen und ist dahingehend auszulegen, dass die Annahme des ADR-Angebots nur bis zur Änderung der öffentlichen Erklärung auf der Internetseite erfolgen kann. Ein willkürliches Hin und Her der Teilnahmebereitschaft kann im Hinblick auf den verbraucherschützenden Zweck des § 30 Abs. 6 VSBG – zumindest in Bezug auf die Universalschlichtungsstelle – freilich nicht akzeptiert werden. Eine Besonderheit bildet die gesetzliche Fiktion des § 30 Abs. 5 S. 2 VSBG, die das Schweigen des Unternehmers auf einen Schlichtungsantrag der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle als Zustimmung zum Verfahren wertet. Der Unternehmer hat seine Teilnahmeverweigerung binnen drei Wochen nach Zugang des Schlichtungsantrags zu erklären.215 Sofern der Unternehmer nicht aktiv mitwirkt, kann die Universalschlichtungsstelle des Bundes einen Schlichtungsvorschlag nach Aktenlage unterbreiten, § 30 Abs. 5 VSBG.
IV. Symmetrisch-autonome vertragliche Teilnahmevereinbarungen Verbrauchern soll der Weg zu den Gerichten nicht versperrt werden. ADR-Vereinbarungen mit Verbrauchern, die vor Entstehen der Streitigkeit getroffen werden, sind in England und Deutschland daher die Seltenheit. In der Praxis sind ADR-Vereinbarungen letztlich auch deshalb selten, weil die Abreden meist Verfahren beträfen, die allein Verbrauchern gegenüber Unternehmen Rechtsschutz bieten. 1. Beschränkung peremptorischer Klageverzichte des Verbrauchers nach englischem Recht Den Parteien eines Vertrages steht es nach englischem Recht grundsätzlich frei, sich auf die Durchführung eines ADR-Verfahrens unter vorläufigem oder endgültigem Ausschluss des Gerichtswegs zu einigen. Differenzierungen sind danach vorzunehmen, ob die Vereinbarung den Gerichtsweg ausschließt oder nicht, sowie danach, ob die Vereinbarung vor oder nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wurde.
§ 36 VSBG Rn. 14. Für Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 30 Rn. 41 handelt es sich um eine Frage des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, wie dem Verbreitungsgrad der Erklärung und ggf. späterer Erklärungen. 215 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 30 Rn. 54; Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 30 Rn. 43. Die ADR-Stelle hat den Unternehmer über die Rechtsfolgen seines Schweigens sowie die einhergehenden Verfahrensgebühren zu unterrichten, § 30 Abs. 5 S. 3 VSBG.
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a) ADR-Vereinbarungen mit peremptorischen Klageverzicht Der Vereinbarung von ADR-Verfahren, die auf einen finalen Streitentscheid unter endgültigem Verzicht auf den Gerichtsweg zielen, sind zum Schutze des Verbrauchers Grenzen gesetzt. Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, die vor Entstehen der Streitigkeit getroffen werden, sind nach englischem Recht regelmäßig unwirksam. Im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie sind sie unzulässig.216 Neben dem Schriftformerfordernis217 ist bei Verbraucherbeteiligung sec. 89 Arbitration Act 1996 zu beachten, die den Anwendungsbereich des englischen AGB-Rechts218 auf Schiedsklauseln erstreckt. Demnach wird unwiderlegbar vermutet, dass Schiedsvereinbarungen, die einen Anspruch mit einem Streitwert unterhalb von GBP 5 000 betreffen, unfair und damit unwirksam sind.219 Ausweislich des Wortlauts der Norm betrifft dies nicht nur AGB, sondern auch individual ausgehandelte Schiedsvereinbarungen. Weiterhin erstreckt sich der Begriff des Verbrauchers auf juristische Personen für Geschäfte, die außerhalb ihrer gewerbsmäßigen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit liegen.220 Sollte der Mindeststreitwert von GBP 5 000 überschritten sein, kann sich die Unwirksamkeit einer Schiedsklausel auch nach allgemeinem AGB-Recht ergeben, wenn sie ein ungerechtfertigtes Missverhältnis des Vertragsverhältnisses verursacht.221 Wie auch die Klauselrichtlinie enthält der Consumer Rights Acts 2015 den nicht verbindlichen Hinweis, dass eine Klausel als missbräuchlich betrachtet werden kann, die das Recht des Verbrauchers auf Zugang zu den Gerichten oder jedem anderen Rechtsbehelf entzieht oder beschränkt, insbesondere eine Pflicht des Verbrauchers vorsieht, Streitigkeiten ausschließlich einem nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendem Schiedsverfahren zu unterwerfen.222 216 reg. 14B ADR C&I Regulations, eingefügt durch reg. 2(8) ADR Amendment Regulations. 217 sec. 5(1) Arbitration Act 1996. Der Arbitration Act 1996 gilt für alle Schiedsverfahren mit Sitz im Vereinigten Königreich mit Ausnahme Schottlands, vgl. sec. 2(1) Arbitration Act 1996. 218 Hierzu gehören die Regelungen des Part II des Consumer Rights Act 2015. 219 sec. 91 Arbitration Act 1996 und Unfair Arbitration Agreements (Specified Amounts) Order 1999 (SI 1999/2167). 220 sec. 90 Arbitration Act 1996; hierzu auch Heifer International v Christiansen [2007] EWHC 3015(TCC), [2008] 2 All ER (Comm) 831 Rn. 249 f., bzgl. eines Vertrags zwischen einem dänischen Bauunternehmer und einer Gesellschaft mit Sitz auf den British Virgin Islands über die Renovierung eines in England belegenen Grundstücks. Letztere, die das Eigentum treuhänderisch für die Nutzungsberechtigten hielt, wurde als Verbraucher eingestuft, da der Vertrag nur dazu diente, das Grundstück für die Nutzungsberechtigten bewohnbar zu machen. 221 sec. 62(4) Consumer Rights Act, der insofern dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie entspricht; hierzu auch Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 65, 69. 222 Sch. 2 para. 20 lit. a) Consumer Rights Act 2015. Auch hier ist der Wortlaut an die Klauselrichtlinie angelehnt, vgl. Nr. 1 lit. q) des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 der Klauselrichtlinie.
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Die Frage nach der Missbräuchlichkeit einer Schiedsvereinbarung, bleibt daher einer Einzelfallbetrachtung überlassen, für die der Verbraucher die Beweislast trägt.223 Eine Schiedsklausel ist damit wirksam, wenn der Verbraucher weder einen fehlenden Einfluss auf den Vertragsinhalt noch einen Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben darlegen kann.224 Als unfair wurde hingegen eine Schiedsklausel in einem Bauvertrag bewertet, die sich nur auf einen Teil der möglichen vertraglichen Ansprüche erstreckte.225 Ferner kann eine Schiedsklausel unfair sein, deren Auswirkungen sich für den Verbraucher nicht erschließen lassen226 oder wenn die Kosten des Schiedsverfahrens außer Verhältnis zum – die Mindestgrenze von GBP 5 000 nur knapp übersteigenden – Streitwert stehen.227 Kommt es zu einer Streitigkeit, befindet sich der Verbraucher nicht mehr in gleicher Weise in einer schutzbedürftigen Lage. Er kann die Auswirkungen einer Schiedsvereinbarung nun wesentlich besser absehen. Unklar ist, ob der Mindeststreitwert von GBP 5 000 auch für Schiedsvereinbarungen gilt, die nach Entstehen der Streitigkeiten getroffen wurden. Der Wortlaut der sec. 89(1) Arbitration Act 1996, der sich sowohl auf Vereinbarungen bezüglich gegenwärtiger als auch künftiger Streitigkeiten („present and future disputes“) erstreckt, suggeriert die zeitlich unabhängige Anwendbarkeit der secs. 89–91 Arbitration Act 1996 und damit auch der Streitwertgrenze.228 Der Gesetzgeber ging bei der Ausweitung des Anwendungsbereichs des AGB-Rechts auf Schiedsklauseln hingegen von der Situation aus, dass dem Verbraucher eine Schiedsklausel zusammen mit anderen Vertragsbestimmungen unterbreitet wird, ohne dass dieser Einfluss auf den Vertragsinhalt hat.229 Für Schiedsvereinbarungen nach Entstehen der Streitigkeit scheint daher eine re-
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Harris/Planterose/Tecks u.a., The Arbitration Act 1996, 52014, S. 436. Heifer International v Christiansen [2007] EWHC 3015(TCC), [2008] 2 All ER (Comm) 831 Rn 304–308. 225 Eine solche Klausel führe im Zweifelsfall dazu, dass der Verbraucher zur Geltendmachung seiner Rechte zwei verschiedene Verfahren bestreiten muss, Zealander & Zealander v Laing Homes Ltd. (2000) 2 T.C.L.R. 724 Rn. 729 f. 226 Mylcrist Builders Ltd v Buck [2008] EWHC 2172 (TCC), [2008] BLR 611 Rn. 56. Etwas anderes kann sich daher ergeben, wenn Verbraucher bei Vertragsschluss externe, kompetente und objektive Beratung erhielten, Westminster Building Company Co. Ltd v Beckingham [2004] EWHC 138 (TCC) Rn. 31; Allen Wilson Shopfitters v Buckingham [2005] EWHC 1165 (TCC) Rn. 43. 227 Mylcrist Builders Ltd v Buck [2008] EWHC 2172 (TCC), [2008] BLR 611 Rn. 55. 228 Corte´s sieht die Einbeziehung von Schiedsvereinbarungen nach Entstehen der Streitigkeit unzutreffend durch den Terminus „future disputes“ impliziert, Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 65, 69. Eine Vereinbarung über „future disputes“ müsste allerdings notwendigerweise vor Entstehen der Streitigkeit getroffen werden. Richtigerweise suggeriert die Begrifflichkeit „present disputes“ daher die Anwendbarkeit auf Vereinbarungen bezüglich bestehender Streitigkeiten. 229 Vgl. die Erwägungen im House of Lords, HL Deb 02 April 1996 vol 571 cc151– 9 151; hierzu auch Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 4 2016, Rn. 26.70, die allerdings keine klare Abgrenzung vornehmen. 224
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striktive Auslegung angebracht.230 Hierfür spricht auch, dass reg. 14B ADR C&I Regulations Schiedsvereinbarungen, die nach Entstehen der Streitigkeit getroffen wurden, eben nicht für unwirksam erklärt. In der Praxis hat dies die im Vereinigten Königreich etablierten Verbraucherschiedsverfahren jedenfalls noch nicht berührt.231 b) ADR-Vereinbarungen mit dilatorischem Klageverzicht Die Mediation und die Schlichtung beziehungsweise Ombudsverfahren zielen hingegen nicht auf einen urteilsersetzenden Streitentscheid und beschränken den Gerichtsweg für Verbraucher nur dilatorisch. Wenngleich das englische Recht der Privatautonomie der Parteien beim Abschluss von Mediations- oder Schlichtungsvereinbarungen kaum Grenzen setzt, haben solche Abreden aufgrund der erforderlichen Mitwirkung beider Parteien nur geringe Verbindlichkeit. Es stellt sich daher mehr die Frage nach der Durchsetzbarkeit von ADR-Vereinbarungen. Unternehmen machen im Vereinigten Königreich nur selten von der Möglichkeit Gebrauch, Mediations- und Schlichtungsklauseln in Verbraucherverträge zu integrieren. Die Zurückhaltung der Unternehmen bei der Nutzung von ADR wird unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass kostenlose ADR-Verfahren für Verbraucher ohnehin oft die einzige rational zugängliche Rechtsschutzmöglichkeit bieten.232 Da die Unternehmen die Kosten des ADR-Verfahrens tragen müssten, besteht auch wenig Anreiz, Verbraucher zur Inanspruchnahme von ADR zu motivieren. Anders wäre die Situation dann, wenn ADR-Einrichtungen den Unternehmen die Möglichkeit bieten würden, ihre Ansprüche gegenüber Verbrauchern durchzusetzen. Da der Verbraucher an Lösungsvorschläge in ADR-Verfahren nicht gebunden ist, gewinnt das Unternehmen durch eine ADRVereinbarung in der Regel keine effektive und effiziente Rechtsschutzmöglichkeit. ADR-Vereinbarungen werden daher weitüberwiegend nach Entstehen der Streitigkeit zusammen mit der ADR-Einrichtung geschlossen. Mediations- oder Schlichtungsvereinbarungen stellen regelmäßig einen dreiseitigen Vertrag zwischen den Parteien und dem Mediator dar und beinhalten die Rahmenbedingun-
230 Dem Verweis auf gegenwärtige Streitigkeiten würde dann freilich keine Bedeutung mehr zukommen, so im Ergebnis auch Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 65, 69, der nunmehr von einer Zeitpunkt unabhängigen Anwendbarkeit des Mindeststreitwerts auszugehen scheint, ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 30. 231 Hierzu gehört etwa das seit über 40 Jahren bestehende ABTA Arbitration Scheme oder The Glazing Arbitration Scheme. Da der Anwendungsbereich nicht auf AGB begrenzt ist, müssten dem Wortlaut zufolge auch Vereinbarungen von geringwertigen Verbraucherschiedsverfahren unwirksam sein. 232 So spricht Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 265 davon, dass ADR zur „primary form of consumer redress“ heranwächst.
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gen des Verfahrens.233 Die Verfahrensordnung der ADR-Einrichtung wird Vertragsbestandteil und setzt den Rahmen für die notwendigen Mitwirkungshandlungen der Parteien sowie für den Ablauf und die Beendigung des Verfahrens. Je bestimmter die Vereinbarung ist, desto eher wird sie gerichtlich durchsetzbar sein.234 c) Durchsetzbarkeit von ADR-Vereinbarungen Sollte eine Streitigkeit entgegen einer wirksamen ADR-Vereinbarung der Parteien vor Gericht gelangen, setzt das Gericht das Verfahren von sich aus oder auf Antrag einer der Parteien aus.235 Parteianträge auf Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens werden nur abgelehnt, wenn die Schiedsvereinbarung der Parteien unwirksam ist.236 Anders als nach deutschem Recht konstituiert die Schiedseinrede daher kein Prozesshindernis, sodass die Klage zwar zulässig bleibt, das Verfahren aber ausgesetzt werden muss.237 Die Bestimmtheit der Vereinbarung ist elementare Voraussetzung für ihre Durchsetzbarkeit. So sind Vereinbarungen zur Durchführung lediglich bilateraler Verhandlungen zu unbestimmt, als dass ihnen ein rechtsverbindlicher Charakter zukäme.238 Dagegen sind Klauseln, die auf ein ADR-Verfahren unter Beteiligung Dritter verweisen, hinreichend bestimmt.239 Aus der Vereinbarung muss 233 Bezüglich der Mediation, Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 15.30. 234 Zu den möglichen Inhalten nicht-adjudikativer ADR-Vereinbarungen, Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 26-014; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 14.42–14.46; Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 15.28–15.32. 235 Gesetzliche Ermächtigungen des Gerichts bestehen sowohl für ADR-Verfahren im Allgemeinen als auch speziell für Schiedsverfahren, r. 26.4 CPR sowie sec. 9(1) Arbitration Act 1996; s. auch Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 4 2016, Rn. 7.78 ff. 236 Birse Construction Ltd v St David Ltd [2000] B.L.R. 57; Sun Life Assurance Co of Canada v CX Reinsurance Co Ltd [2003] EWCA Civ 283; Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 26-026 ff. m. w. N.; eingehend Andrews, Arbitration and Mediation, 2013, Rn. 10.03 ff. Eine Consent Order wird dabei zugleich als Antrag auf Aufhebung der Aussetzungsverfügung behandelt, r. 26.4(4) CPR. 237 Die Schiedsvereinbarung kann im Common Law die Zuständigkeit der Gerichte nicht verdrängen („oust“), Anselm, Der englische Arbitration Act 1996, 2004, S. 49; Doleman & Sons v Ossett Corporation (1912) 3 KB 257 Rn. 16. 238 Courtney & Fairbairn Ltd v Tolaini Brothers (Hotels) Ltd [1975] 1 W.L.R. 297, 301; Walford v Miles, [1992] 2 A.C. 128, 138, [1992] 1 All ER 453. In jüngster Zeit zeigen sich die Gerichte bei der Durchsetzung von Klauseln, die zu Verhandlungen in guten Glauben anleiten, jedoch großzügiger, so etwa Emirates Trading Agency LLC v Prime Mineral Exports Private Ltd [2014] EWHC 2104; hierzu auch Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.29 m. w. N. 239 Cable and Wireless Plc v IBM United Kingdom Ltd [2002] EWHC 2059 (Comm Ct); Balfour Beatty Construction Northern Ltd v Modus Corovest (BlackpooI) Ltd [2008] EWHC 3029 (TCC) Rn. 15.
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ein hinreichend bestimmtes Bekenntnis zur Nutzung von ADR hervorgehen, das die erforderlichen Mitwirkungshandlungen der Parteien bis zum Abbruch oder der Beendigung des Verfahrens erkennen lässt.240 Der Kläger hat das Gericht über den Ausgang des ADR-Verfahrens zu informieren.241 Endet das Verfahren durch einen bindenden Vergleich der Parteien, kann diesem durch eine Consent Order oder Tomlin Order Wirkung verliehen werden.242 Bleibt das ADR-Verfahren ergebnislos, müssen die Parteien die Aufhebung der Aussetzungsverfügung und die Fortsetzung des Gerichtsverfahrens beantragen.243 2. Beschränkung von ADR-Vereinbarungen mit Verbrauchern in AGB in Deutschland Die deutsche ADR-Landschaft wird – wie bereits erwähnt – vom Prinzip der Freiwilligkeit geprägt. Gleichwohl wird die Privatautonomie bei Verbraucherbeteiligung noch stärker beschränkt als in England. ADR-Klauseln in AGB von Verbraucherverträgen sind weitestgehend unwirksam. Ob die ADR-Vereinbarung zeitlich vor oder nach Entstehen der Streitigkeit getroffen wird, spielt dagegen keine wesentliche Rolle. a) ADR-Vereinbarungen mit peremptorischen Klageverzicht Schiedsvereinbarungen, mit denen der Verbraucher peremptorisch auf den Gerichtsweg verzichtet, sind im Grundsatz wirksam. Zum Schutz des Verbrauchers greifen indes besondere Formvorschriften sowie AGB-Recht ein. Die Bedeutung von Schiedsverfahren mit Verbraucherbeteiligung ist in Deutschland verschwindend gering.244 Im Anwendungsbereich des VSBG sind Schiedsverfahren gar ausgeschlossen, § 5 Abs. 2 VSBG.245 Die deutsche Regelung
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Wah v Grant Thornton International Ltd [2012] EWHC 3198 (Ch) Rn. 60]. r. 26.4(4) CPR. 242 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.25. 243 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.25; Blake/Browne/ Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 7.81. Wenn der Wirkungszeitraum der Aussetzungsverfügung ohne Information über das Ergebnis des ADRVerfahrens abgelaufen ist, kann das Gericht das Verfahren nach eigenem Ermessen fortführen, r. 26.4(5) CPR. 244 Alleweldt/Fielder/Alleweldt u.a., Final Report to DG SANCO – Study on the use of Alternative Dispute Resolution in the European Union, 2009, S. 200–244; nach Wagner, FSSchütze 2014, 2014, S. 679, 690, wird die Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit auch nach Umsetzung der ADR-Richtlinie „weiterhin ein Schattendasein führen bzw. eine Todgeburt bleiben“; Mäsch, FS-Schlosser 2005, 2005, 529; Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215, 236; vgl. Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 92. 245 Dies gelte auch für ein Adjudikationsverfahren, das zu einer zumindest vorläufigen Bindung des Verbrauchers an die Entscheidung des Adjudikators führt, BT-Drucks. 18/5089, S. 55; Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 5 Rn. 8. 241
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geht damit über die Anforderungen der ADR-Richtlinie hinaus, nach deren Art. 10 Abs. 1 lediglich Vereinbarungen vor Entstehung der Streitigkeit unwirksam sind, die einen peremptorischen Klageverzicht des Verbrauchers beinhalten.246 Die Vereinbarung von Schiedsverfahren mit Verbraucherbeteiligung außerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie bleibt möglich,247 unterliegt jedoch den verschärften Formerfordernissen des § 1035 Abs. 5 ZPO. Um unerfahrene Verbraucher vor überraschenden Schiedsvereinbarungen „im Kleingedruckten“ zu schützen,248 können Schiedsvereinbarungen nur ausdrücklich, schriftlich249 und eigenständig getroffen werden.250 Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern in den AGB des Hauptvertrags sind daher unwirksam.251 Umstritten ist hingegen, ob Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie auch außerhalb des Anwendungsbereichs des VSBG Geltung beansprucht und folglich alle Schiedsvereinbarungen unwirksam sind, die vor Entstehen der Streitigkeit getroffen wurden.252 Zwar würde der durch die ZPO gewährte prozessuale Verbraucherschutz erweitert werden,253 jedoch ist der ebenfalls angeführte Wertungs-
246 Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 133; MellerHannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 26; Wagner, FS-Schütze 2014, 2014, S. 679, 683; Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215, 239; Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 2; a. A. Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 20, der auch einen dilatorischen Klageverzicht für nicht vereinbar mit dem Wortlaut und der Intention der ADR-Richtlinie hält; ähnlich Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 73. 247 So ausdrücklich der Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 55; Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 5 Rn. 11. 248 BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = NJW 2005, 1125, 1126; BGH, Beschl. v. 24.7.2014 – III ZB 83/13, BGHZ 202, 168, 179 f. = NJW 2014, 3652, 3655; Wagner/ Quinke, JZ 60 (2005), 932, 934; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1031 Rn. 67. 249 Die Schriftform nach § 126 BGB kann durch die elektronische Form nach § 126a BGB ersetzt werden, § 1031 Abs. 5 S. 2 ZPO. Überdies kann die Schriftform durch notarielle Beurkundung, vgl. § 1031 Abs. 5 S. 3 Hs. 2 ZPO, oder gerichtlichen Vergleich surrogiert werden, Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1031 Rn. 66; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 72005, Kap. 5, Rn. 19; vgl. Wolf/Eslami, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1031 ZPO Rn. 21. 250 Eine Schiedsvereinbarung ist daher nur wirksam, wenn sie räumlich von den anderen Vertragsbestimmungen abgegrenzt und unterzeichnet ist, Münch, in: MüKo ZPO, 62020, § 1031 ZPO Rn. 67 m. w. N.; vgl. BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 162 f. = NJW 1963, 203, 204. Schon § 1029 Abs. 2 ZPO unterscheidet zwischen Schiedsabreden (Alt. 1) und Schiedsklauseln (Alt. 2). 251 Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016, Rn. 286; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 72005, Kap. 5, Rn. 18. Freilich kann es sich bei eigenständigen Schiedsabreden um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung und damit um eine AGB handeln, vgl. § 305 Abs. 1 BGB. 252 So, ohne nähere Begründung, wohl Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 2 2021, § 5 Rn. 11. 253 Dies befürwortend Gsell, ZZP 128 (2015), 189, 205 f., in diese Richtung auch Reich, ERCL 10 (2014), 258, 272–274.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
widerspruch254 zwischen der Unwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen im Anwendungsbereich der Richtlinie und der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen außerhalb des Geltungsbereichs der Qualitätsstandards und Garantien der Richtlinie nicht zu erkennen beziehungsweise unzureichend, um eine erweiterte Anwendung zu begründen. Denn die Anerkennung als ADR-Stelle ist von vornherein fakultativ ausgestaltet, sodass ADR-Stellen auf das mit der staatlichen Anerkennung verbundene „Gütesiegel“ verzichten können. Überdies bewegen sich Verbraucherschiedsverfahren keineswegs im rechtsfreien Raum. Die ZPO enthält prozessuale Mindestgarantien, wie die Gebote der Gleichbehandlung und der Gewährung rechtlichen Gehörs, § 1042 Abs. 1 ZPO, und stellt die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Schiedsgerichts durch die Vorschriften über die Bestellung und Ablehnung von Schiedsrichtern sicher, §§ 1034 ff. ZPO.255 Andernfalls wäre das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit von Schiedsverfahren und deren Gleichwertigkeit256 mit dem staatlichen Zivilprozess nicht zu rechtfertigen.257 Eine Ausnahme zur grundsätzlichen Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern besteht für den Wertpapierhandel, § 101 WpHG (§ 37h WpHG a. F.).258 Demnach sind Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten nur verbindlich, wenn beide Parteien Kaufleute oder juristische Personen des öffentlichen Rechts sind. Von dieser Regelung unberührt bleibt die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, die nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wurden.259 Das Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit des § 309 Nr. 14 BGB,260 nach dem der Gerichtsweg nicht durch eine Teilnahmepflicht an einem ADR-Verfahren bedingt sein darf, gilt richtigerweise nicht für Schiedsverfahren.261 Die Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO sowie die Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in AGB sind insofern vorrangig.262 Eine Mindeststreitwertgrenze nach englischem Vorbild existiert nicht. Zwar lässt sich anführen, dass die Vorschrift über die Nichtigkeit dilatorischer Klageverzichte erst recht für peremptorische Klageausschlüsse gelten müsse,263 jedoch erfasst der Wortlaut des 254
Kritisch insoweit Gsell, ZZP 128 (2015), 189, 205. Vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = NJW 2005, 1125, 1127. 256 Schiedssprüche stehen in ihrer Wirkung gerichtlichen Urteilen gleich, § 1055 ZPO. 257 So auch Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215, 241 f.; im Ergebnis auch Becker, in: BeckOK BGB, 612022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 16; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 192018, § 1031 Rn. 6. 258 Wagner/Quinke, JZ 60 (2005), 932, 939 halten diese Regelung zutreffend nicht nur für entbehrlich, sondern sehen sie in unauflösbarem Widerspruch zu § 1031 Abs. 5 ZPO, der Schiedsverfahren für Verbraucher gerade ermöglichen soll. 259 Siehe hierzu Niedermaier, SchiedsVZ 2012, 177, 179. 260 Hierzu sogleich noch unten unter Kap. 4 C. IV. 2. 261 Zutreffend Lapp/Salamon, in: jurisPK-BGB, 92022, § 309 Rn. 276. 262 Zutreffend Gössl, NJW 2016, 838, 839; Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/ Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 8. 263 So Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 132022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 2 255
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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§ 319 Nr. 14 BGB nur Verfahren, die auf eine gütliche Einigung zielen. Eine Anwendung auf Schiedsklauseln gebietet auch nicht der Schutzzweck der Norm, der primär zu verhindern versucht, dass Verbrauchern der Gerichtsweg dadurch erschwert wird, dass sie „massenhaft“ in Mediations- und Schlichtungsverfahren gedrängt werden.264 Schiedsvereinbarungen, die in den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB fallen, unterliegen jedoch der Klauselkontrolle nach § 307 BGB.265 Der BGH erachtet Schiedsvereinbarungen jedenfalls nicht per se als unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers.266 Eines besonderen Bedürfnisses zur Einsetzung eines Schiedsgerichts aufseiten des Verwenders bedarf es nicht.267 Die Frage nach der Missbräuchlichkeit einer Schiedsabrede beurteilt sich daher nicht nach dem „Ob“ eines Schiedsverfahrens, dies richtet sich nach § 1031 Abs. 5 ZPO, sondern nach dem „Wie“ des Verfahrens, also dessen Ausgestaltung.268
und 15; Hau, MDR 2017, 853, 854; zunächst auch Becker, in: Herbert/Hau/Poseck (Hrsg.), 61 2022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 3. Die Gesetzesbegründung der erst durch den Rechtsausschuss eingebrachten Norm bezieht sich generell auf alle Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung, wenngleich der Blick auf die nach dem VSBG möglichen Verfahrensarten, Mediation und Schlichtung, gerichtet gewesen sein dürfte, BT-Drucks. 18/6904, S. 74. 264 So die Anregungen von Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707–1709, die sich übrigens nicht auf Schiedsvereinbarungen, sondern auf Schlichtungsklauseln beziehen. Für eine Anwendung auch auf Vereinbarungen mit peremptorischen Klageverzicht im Wege eines argumentum a fortiori, Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 132022, § 309 Nr. 14 BGB 2, 15; Hau, MDR 2017, 853, 854; Becker, in: Herbert/Hau/Poseck (Hrsg.), 61 2022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 3; Lapp/Salamon, in: jurisPK-BGB, 92022, § 309 Rn. 275. 265 Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 192018, § 1031 Rn. 6; Spieker, ZIP 1999, 2138, 2139; die Klauselkontrolle wird nicht durch die schiedsverfahrensrechtliche Inhaltskontrolle verdrängt Haas/Hauptmann, SchiedsVZ 2004, 175, 178–181; eine Inhaltskontrolle als notwendig erachtend, Wagner/Quinke, JZ 60 (2005), 932, 934; Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, S. 257 f.; der Schutz des § 1031 Abs. 5 ZPO mache eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht obsolet, Hau, in: Wolf/ Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 72020, Klauseln (S) S 54; so aber Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 72005, Kap. 5, Rn. 14; ähnlich Mäsch, FS-Schlosser 2005, 2005, S. 529, 535 f., der den Anwendungsbereich für denkbar gering hält; die Anwendbarkeit des AGB-Recht ablehnend, Sieg, NJW 1993, 2992, 2993. 266 Gleichwohl hat der BGH bisher offen gelassen, ob Schiedsvereinbarungen der AGBKontrolle unterliegen, BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = NJW 2005, 1125, 1126 f.; BGH, Urt. v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466; zum kaufmännischen Verkehr, BGH, Urt. v. 10.10.1991 – III ZR 141/90, BGHZ 115, 324 = NJW 1972, 575, 576. 267 BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = NJW 2005, 1125, 1126; BGH, Urt. v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466; a. A. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, AGB-Recht, 132022, Teil 2 (40) Rn. 4; für die generelle Unwirksamkeit gegenüber Nichtkaufleuten, Gildeggen, Internationale Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in Allgemeinen Geschäfts-bedingungen vor deutschen Gerichten, 1991, S. 223; Spieker, ZIP 1999, 2138, 2141. 268 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 72005, Kap. 6, Rn. 14; das „Ob“ stehe völlig außer Frage, so Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1029 Rn. 27; zustimmend Mäsch, FS-Schlos-
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
b) ADR-Vereinbarungen mit dilatorischem Klageverzicht Der Spielraum für wirksame Mediations- und Schlichtungsvereinbarungen, die nur einen dilatorischen Klageverzicht des Verbrauchers begründen, ist mit Umsetzung der ADR-Richtlinie deutlich enger geworden. Verbraucher sollen noch nach Entstehen der Streitigkeit frei entscheiden können, ob sie den Gerichtsweg oder ADR nutzen. Bis zur Umsetzung der ADR-Richtlinie waren Mediations- und Schlichtungsvereinbarungen mit Verbrauchern – selbst solche in AGB – grundsätzlich wirksam. Anders als Schiedsvereinbarungen unterliegen solche ADR-Vereinbarungen keinen speziellen Formvorschriften.269 Die §§ 305 ff. BGB finden – ungeachtet der umstrittenen Rechtsnatur solcher Vereinbarungen – Anwendung.270 Ein dilatorischer Klageverzicht als solcher, begründet keine unangemessene Benachteiligung,271 sofern er sich nicht als faktisch peremptorisch erweist.272 Mangels einschlägiger Klauselwertungen bestimmte sich die Wirksamkeit einer ADR-Vereinbarung bisher danach, ob sie den Verbraucher im Einzelfall unter Berücksichtigung der Ausgestaltung des Verfahrens unangemessen benachteiligt.273 Diese Rechtslage hat sich mit Einführung des § 309 Nr. 14 BGB drastisch verändert. Entsprechend diesem Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit ist eine Bestimmung, unabhängig vom Zeitpunkt ihres Entstehens, „wonach der andere Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender gerichtlich nur geltend machen darf, nachdem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat“, unwirksam. ser 2005, 2005, S. 529, 536; s. auch Hau, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 72020, Klauseln (S) S 54. Da Schiedsvereinbarungen mit Verbraucherbeteiligung in der Praxis die Ausnahme bleiben, sind die diesbezüglichen Maßstäbe erst noch zu entwickeln, näher hierzu Wagner/Quinke, JZ 60 (2005), 932 ff.; Haas/Hauptmann, SchiedsVZ 2004, 175 ff.; eingehend zur AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle von Schiedsvereinbarungen, Niedermaier, Schiedsund Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, S. 257–320. 269 Gleichwohl wird teilweise für eine analoge Anwendung des § 1031 Abs. 5 ZPO plädiert bzw. die Eigenständigkeit der Vereinbarung gefordert, so Risse, 32016, 1, 65; Hau, in: Wolf/ Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 72020, Klauseln (S) S 53, S 56; ablehnend Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 33; hierzu auch Unberath, NJW 2011, 1320, 1322. 270 Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 32 f.; Unberath, NJW 2011, 1320, 1323; Hau, in: Wolf/ Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 72020, Klauseln (S) S 52; Risse, Wirtschaftsmediation, 2003, § 3, Rn. 16. 271 Eingehend Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 34 f.; Unberath, NJW 2011, 1320, 1323; Risse, Wirtschaftsmediation, 2003, § 3, Rn. 18. 272 Etwa dadurch, dass die Einhaltung prozessualer Ausschlussfristen durch das vorgeschaltete ADR-Verfahren konterkariert wird, Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001, S. 14–16; Hau, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7 2020, Klauseln (S) S 57. 273 Anhaltspunkten für missbräuchliche Klauseln bei Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 34–36; Unberath, NJW 2011, 1320, 1323; am Beispiel des Sports, Haas/Hauptmann, SchiedsVZ 2004, 175 ff.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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Die Regelung des § 309 Nr. 14 BGB richtet sich gerade gegen Vereinbarungen von ADR-Verfahren, die mit dem Ziel einer gütlichen Einigung betrieben werden und einen dilatorischen Klageverzicht bewirken.274 Bedauerlicherweise ist die konkrete Ausgestaltung der Klausel oder des Verfahrens genauso unerheblich, wie der Umstand, ob das VSBG Anwendung findet oder nicht.275 Das Klauselverbot soll Ausdruck des Prinzips der Freiwilligkeit von ADR sein und eine Wahlfreiheit des Verbrauchers zwischen ADR und dem Gerichtsweg276 gewährleisten.277 Befürchtet wurde insbesondere ein missbräuchliches Taktieren der Unternehmen dahingehend, dass Verbraucher durch ein vorgeschaltetes, nur teilweise erfolgreiches ADR-Verfahren von der gerichtlichen Rechtsverfolgung abgehalten werden.278 Letztlich führt die Unwirksamkeit von ADR-Vereinbarungen jedoch nicht zu einer Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbraucher, sondern bewirkt vielmehr, dass sich Unternehmen einem ADRVerfahren im Streitfall verschließen und den Verbraucher zur Klageerhebung zwingen.279 Bloße Appelle an Verbraucher zur Nutzung bestimmter vom Unternehmen unterstützter ADR-Verfahren in AGB bleiben hingegen zulässig.280 Nach alledem können ADR-Vereinbarungen, die einen (dilatorischen) Klageverzicht des Verbrauchers begründen, nur mittels Individualabrede wirksam getroffen werden.281 Möglich bleibt weiterhin ein einseitiger Klageverzicht des 274 Die Vorschrift gilt daher nicht für Schiedsvereinbarungen, a. A. Schmidt, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, 132022, § 309 Nr. 14 BGB 2, 15; Hau, MDR 2017, 853, 854; Becker, in: Herbert/Hau/Poseck (Hrsg.), 612022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 3; Lapp/Salamon, in: jurisPK-BGB, 92022, § 309 Rn. 276. 275 Hau, MDR 2017, 853, 854; Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 10. 276 Der Begriff des gerichtlichen Verfahrens ist weit zu verstehen und umfasst neben Mahnverfahren und den Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes wohl auch Schiedsverfahren, Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 132022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 13; Becker, in: Herbert/Hau/Poseck (Hrsg.), 612022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 4; Hau, MDR 2017, 853, 854. 277 So die Stellungnahme des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 74; Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 132022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 3. 278 Stellungnahme des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 74; diese Bedenken besonders bei Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707, die befürchten, dass der Verbraucher „tendenziell den Spatzen akzeptieren und die Taube fliegen lassen“ wird; s. auch dies., ZZP 128 (2015), 149, 156–162; Roth, DRiZ 2015, 24 ff. 279 Mit zutreffender Kritik Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 182, der § 309 Nr. 14 BGB als in übertriebener Fürsorge geschaffene Regelung bezeichnet, die in vielen Fällen zuungunsten des Verbrauchers wirke. Freilich vermeidet ein solches Verbot jedoch Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der Wirkung von ADR-Vereinbarungen, was Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 4 zutreffend erkennen. 280 Hau, MDR 2017, 853, 854; Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13 2022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 2; Becker, in: Herbert/Hau/Poseck (Hrsg.), 612022, § 309 Nr. 14 BGB Rn. 6. 281 Zutreffend Hau, MDR 2017, 853, 854; Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 15 Rn. 24.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Unternehmens durch die Selbstverpflichtung zur Teilnahme an einem ADRVerfahren, da die Rechtsschutzmöglichkeiten des Verbrauchers hierdurch nur erweitert werden.282 c) Durchsetzbarkeit von ADR-Vereinbarungen Wirksame Schiedsvereinbarungen können durch den Beklagten mittels der in § 1032 Abs. 1 ZPO geregelten Schiedseinrede bis vor Beginn der ersten mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden.283 Die Schiedseinrede konstituiert ein Prozesshindernis, sodass die Klage – anders als im Common Law – als unzulässig abzuweisen ist.284 Zugleich steht mit Rechtskraft des Prozessurteils eine Schiedsbindung fest.285 Im Falle der Verbraucherbeteiligung kann es nach der Rechtsprechung des EuGH286 geboten sein, die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung in einem späteren Exequaturverfahren nach § 1060 ZPO von Amts wegen zu überprüfen.287 Wirksame ADR-Vereinbarungen bewirken einen dilatorischen Klageverzicht, sodass die fehlende Durchführung des ADR-Verfahrens ein Prozesshindernis darstellt.288 Eine ungeachtet der ADR-Vereinbarung erhobene Klage ist vom Gericht auf Einrede289 des Beklagten als derzeit unzulässig abzuweisen.290 282
Borowski/Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2016, Art. 6 VSBGEG Rn. 13; zu asymmetrisch-autonomen Teilnahmeverpflichtungen von Unternehmen bereits oben unter Kap. 4 C. III. 283 Der Einrede kann der Arglisteinwand nach § 242 BGB entgegengehalten werden, etwa aufgrund widersprüchlichen Verhaltens, BGH, Urt. v. 20.5.1968 – VII ZR 80/67, BGHZ 50, 191 = NJW 1968, 1928, 1929; BGH, Beschl. v. 30.4.2009 – III ZB 91/07 = NJW-RR 2009, 1582, 1583; oder mangelnder finanzieller Mittel, BGH, Urt. v. 12.11.1987 – III ZR 29/87, BGHZ 102, 199 = NJW 1988, 1215; hierzu auch Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1032 Rn. 11–13; Wolf/Eslami, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1032 Rn. 19. 284 Hierzu Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1032 Rn. 27–29; vgl. RG, Urt. v. 8.12.1897 – I 272/97, RGZ 40, 401, 404; BGH, Beschl. v. 18.6.2014 – III ZB 89/13 = NJW 2014, 3655, 3657 Rn. 16; zu den prozessualen Wirkungen der Schiedsvereinbarung, Münch, in: MüKo ZPO, 6 2022, § 1029 Rn. 137; Wolf/Eslami, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1029 Rn. 18. Zur „Schiedseinrede“ im englischen Recht, soeben unter Kap. 4 C. IV. 1. a). 285 RG, Urt. v. 8.12.1897 – I 272/97, RGZ 40, 401, 403 f.; BGH, Beschl. v. 18.6.2014 – III ZB 89/13 = NJW 2014, 3655, 3657 Rn. 17; vgl. BGH, Beschl. v. 30.4.2009 – III ZB 91/07 = NJW-RR 2009, 1582 Rn. 5 f.; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1032 Rn. 29; dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den behandelten Streitgegenstand, so aber Wolf/Eslami, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1032 Rn. 23; a. A. Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 1032 Rn. 9, die keine rechtskräftige Entscheidung über das Bestehen der Schiedsvereinbarung erkennen. 286 EuGH, Urt. v. 26.10.2006 – C-168/05, Slg. I 2006, 10437 = NJW 2007, 135 – Mostaza Claro; EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – C-40/08, Slg. I 2009, 9602 = EuZW 2009, 852 – Asturcom. 287 Dies folgt aus der Einordnung des Schutzes vor missbräuchlichen Klauseln als unionsrechtlichen ordre public. Zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf das deutsche Recht, Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74, 80 f. 288 Unberath, NJW 2011, 1320, 1321 f.; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 199. 289 Die Einrede ist in entsprechender Anwendung des § 1032 Abs. 1 ZPO vor Beginn der
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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Die Berufung auf die ADR-Vereinbarung ist im Sinne des § 242 BGB treuwidrig, wenn der Beklagte die Beteiligung am ADR-Verfahren zuvor abgelehnt hatte oder erforderliche Kostenvorschüsse nicht entrichtet hat.291 Die Klage kann indes nach erfolgloser Durchführung292 oder Aufkündigung293 des vereinbarten ADRVerfahrens erneut erhoben werden. Denkbar wäre ferner, das Ruhen des gerichtlichen Verfahrens zur Durchführung des ADR-Verfahrens in analoger Anwendung des § 278a Abs. 2 ZPO anzuordnen.294 Unberührt von einer ADR-Vereinbarung bleiben in der Regel die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes.295 Entgegenzutreten ist der Ansicht, die Durchführung eines ADR-Verfahrens wäre eine nicht zu berücksichtigende bloße Förmelei,296 da der Kläger das ADRVerfahren, insbesondere im Falle einer Mediation, nach dessen Einleitung alsbald abbrechen könne. Dilatorische Klageverzichte und das dahinterliegende Prinzip der Freiwilligkeit von ADR würden andernfalls ad absurdum geführt.297
ersten mündlichen Verhandlung zu erheben, Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 32; zu § 1027a ZPO a. F., OLG Oldenburg, Urt. v. 5.11.1986 – 3 U 133/86 = MDR 1987, 414 und OLG Köln, Urt. v. 12.3.1990 2 – W 30/90 = MDR 1990, 638. 290 So die h. M., für Schlichtungsklauseln: BGH, Urt. v. 4.7.1977 – II ZR 55/76 = NJW 1977, 2263; BGH, Urt. v. 23.11.1983 – VIII ZR 197/82 = NJW 1984, 669, 670; BGH, Urt. v. 18.11.1998 – VIII ZR 344–97 = NJW 1999, 647, 648; BGH, Urt. v. 29.10.2008 – XII ZR 165/06 = NJW-RR 2009, 637 Rn. 19; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 199; Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 32 m. w. N.; Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 852 f.; Risse, Wirtschaftsmediation, 2003, § 3, Rn. 17; Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001, S. 12–14; eingehend Hilbig-Lugani, ZZP 2013, 463, 470–480, die feststellt, dass die instanzgerichtliche Rechtsprechung ADR-Vereinbarungen zunehmend weniger Verbindlichkeit zuspricht; a. A. Abweisung als zur Zeit unbegründet, OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.11.1973 – 11 U 64/73 = ZfgG 25 (1975), 228, 230 m. ablehnender Anm. Schwab. Für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 251 ZPO analog anstatt einer Klageabweisung, Walter, ZZP 1990, 141, 163. 291 Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 32; zur Nichtzahlung des anteiligen Gebührenvorschusses, BGH, Urt. v. 18.11.1998 – VIII ZR 344–97 = NJW 1999, 647, 648. 292 Zu den Voraussetzungen eines ernsthaften Versuchs einer Mediation, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 200; Unberath, NJW 2011, 1320, 1322. 293 Nach Einleitung der Mediation oder Schlichtung kann die Aufkündigung jederzeit erklärt werden, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 201; Unberath, NJW 2011, 1320, 1322; etwas anderes könnte sich gegebenenfalls aus der Schlichtungsordnung ergeben. 294 So ohne nähere Begründung Hau, MDR 2017, 853, 855, wobei starke Zweifel sowohl am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke als auch einer vergleichbaren Interessenlage bestehen. 295 Der Streitgegenstand ist hier nicht der Anspruch selbst, sondern nur dessen zwangsweise Sicherung, so Friedrich, SchiedsVZ 2007, 31, 35; Unberath, NJW 2011, 1320, 1321. 296 So zu Unrecht OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 12.5.2009 –14 Sch 4/09 = NJW-RR 2010, 788, 789; LG Heilbronn, Urt. v. 10.9.2010 – 4 O 259/09 Ko = ZKM 2011, 29 mit ablehnender Anmerkung Wagner. 297 In diese Richtung auch Hau, MDR 2017, 853, 855, für den es nicht angeht, dass im Rahmen der AGB-Inhaltskontrolle die Möglichkeit des einseitigen Abbruchs verlangt wird
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
V. Einschränkung der Privatautonomie durch gerichtlichen Druck Die Privatautonomie kann umgekehrt auch dadurch eingeschränkt sein, dass die Rechtsordnung die Parteien zur Nutzung von ADR drängt. Der Druck der englischen Rechtsordnung, welche die Streitigkeiten möglichst von Gericht fernzuhalten versucht, ist dabei weitaus höher als der unter der deutschen Rechtsordnung, die den Parteien eine Wahlfreiheit der Streitbeilegungsmethode belässt. 1. Druck englischer Gerichte zur einvernehmlichen Streitbeilegung Seit den Woolf-Reformen haben die englischen Gerichte die Parteien zu einer schnellstmöglichen einvernehmlichen Streitbeilegung anzuhalten. Richter sollen die Parteien nach eigenem Ermessen zur Nutzung von ADR ermutigen und ihren Empfehlungen durch Kostensanktionen Nachdruck verleihen. a) Gerichtliche Ermutigung zum Gebrauch von ADR Die zunehmende Bedeutung eines aktiven Case Managements der englischen Richter bietet viele Möglichkeiten zur Förderung von ADR. In diesem Rahmen sind die Parteien zu einer gesteigerten Kooperation, der Nutzung von ADR sowie zu einer einvernehmlichen Streitbeilegung anzuhalten.298 Darüber hinaus können existierende ADR-Vereinbarungen konsequent und großzügig durchgesetzt werden.299 Pre-action protocols machen den Parteien vor Klageerhebung deutlich, dass der gerichtliche Rechtsweg das letzte Mittel der Streitbeilegung darstellt.300 Es wird von den Parteien daher erwartet, die Streitigkeit, gegebenenfalls unter Nutzung von ADR, einvernehmlich beizulegen.301 Selbst nach Scheitern eines Vergleichs haben die Parteien im Zivilprozess die Möglichkeit eines Vergleichs im Auge zu behalten.302 Die Einhaltung des relevanten pre-action protocols wird kontrolliert und Verstöße gegebenenfalls durch nachteilige Kostenentscheidungen sanktioniert.303 Für geringwertige Vertragsstreitigkeiten und insbesondere
und einer solchen Klausel gerade hieraus im Prozess ein Strick gedreht würde. Zudem zeigt die Erfahrung, dass die Teilnahme an ADR-Verfahren auch zunächst unwillige Parteien zu einer einvernehmlichen Lösung bewegen kann, so Unberath, NJW 2011, 1320, 1322; vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2008 – XII ZR 165/06 = NJW-RR 2009, 637 Rn. 39; Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek, 22016, § 1 MediationsG Rn. 199. 298 r. 1.4(2)(a), (e), (f) CPR. ADR-Verfahren sollen durchaus auch gerichtsintern, etwa in Form einer Early Neutral Evaluation, durchgeführt werden, r. 3.1(2)(m) CPR. 299 Dies gilt speziell im Hinblick auf recht unbestimmte Klauseln. 300 Der Gerichtsweg soll nur bestritten werden, wenn die Streitigkeit wirklich nach einer finalen adjudikativen Entscheidung verlangt, vgl. Practice Direction-Pre-action Conduct and Protocols, Rn. 8. 301 Practice Direction – Pre-action Conduct and Protocols, Rn. 3(c), (d), 10. 302 Practice Direction – Pre-action Conduct and Protocols, Rn. 9. 303 Practice Direction – Pre-action Conduct and Protocols, Rn. 11; Nelson’s Yard Manage-
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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für die small claim track bestehen indes keine pre-action protocols, sodass sie in Verbrauchersachen kaum eine Rolle spielen.304 Die Ermutigung der Parteien zur Nutzung von ADR dient ferner dazu, die Prozesskosten nicht ausufern zu lassen.305 Aus der gerichtlichen Aufgabe, die Parteien erforderlichenfalls zu mehr Kooperation aufzurufen,306 folgt die Verpflichtung der Parteien, sich auf ein ADR-Verfahren einzulassen, für das hinreichende Erfolgsaussichten bestehen.307 Die Gerichte sind jedoch nicht dazu befugt, die Nutzung von ADR zu erzwingen.308 Gerichte können durch eine sogenannte Ungly Order oder Jordan ADR Order allenfalls bewirken, dass die Parteien über die Vorteile einer Mediation aufgeklärt werden und sich dazu verpflichten, ernsthaft über eine Mediation nachzudenken.309 Auch die englische Rechtsprechung hält einen Mediationszwang für eine unzumutbare Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten im Sinne des Art. 6 EMRK.310 Zwar wäre nach der Rechtsprechung des EuGH eine Teilnahment Co v Eziefula [2013] EWCA Civ 328 Rn. 43–47. Ausnahmen zur Einhaltung der preaction protocols gibt es für die Fälle, dass eine Klageerhebung notwendig ist, um die Verjährung der Ansprüche zu verhindern oder um Informationen über das Vorgehen an die gegnerische Partei die Effektivität des Rechtsschutzes beeinträchtigen können, etwa wenn im Vollstreckungsverfahren eine freezing-injunction beantragt werden soll, Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 8.24. 304 Eine Liste der existierenden pre-action protocols ist abrufbar unter, https://www.justice. gov.uk/courts/procedure-rules/civil/protocol. 305 „Parties sometimes need to be encouraged by the court to embark on an ADR. [...] The form of encouragement may be robust“, Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 Rn. 11; „Today sufficient should be known about ADR to make the failure to adopt it, in particular when public money is involved, indefensible.“ (per Lord Woolf); R. (on the application of Cowl) v Plymouth City Council [2001] EWCA Civ 1935 Rn. 25; hierzu auch Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 7.84 ff. 306 „I am required to provide the parties with robust encouragement to explore all ways of resolving their differences without a trial.“, Brookfield Construction (UK) Ltd v Mott MacDonald Ltd [2010] EWHC 659 (TCC) Rn. 53; „I think it is no longer enough to leave the parties the opportunity to mediate and to warn of costs consequences if the opportunity is not taken. [...] I do not see why [...] directing the parties to take (over a short defined period) all reasonable steps to resolve the dispute by mediation before preparing for a trial should be regarded as an unacceptable obstruction on the right of access to justice.“, Bradley v Heslin [2014] EWHC 3267 (Ch) Rn. 24. 307 PGF II SA v OMFS Co 1 Ltd [2013] EWCA Civ 1288 Rn. 27. 308 Die Reformen des Zivilprozessrechts haben sich stets gegen einen Mediationszwang ausgesprochen, Woolf, Access to Justice: Interim Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1995, Ch 18, Rn. 34; ders., Access to justice: Final Report to the Lord Chancellor on the civil justice system in England and Wales, 1996, Recommendation 41; Jackson, Review of Civil Litigation Costs: Final Report, 2009, Kap. 36, Rn. 3.4. 309 Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 7.53 ff.; eine eingehende Studie zu ADR orders in Zivilprozessen, Genn, Court-based ADR Initiatives for Non-family Civil Disputes, 2002; Practice Direction 29 – The MultiTrack, Rn. 4.10(9). 310 Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 Rn. 9; hierzu auch
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
mepflicht auch des Verbrauchers an einer ersten Mediationssitzung möglich,311 jedoch gibt es im Vereinigten Königreich keine Pläne, obligatorische ADR-Verfahren einzuführen.312 Druck wird auf wirtschaftlich schwächere Verbraucher jedoch durch die restriktive Gewährung von Prozesshilfe (legal aid) ausgeübt.313 So wird legal aid nur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden ADR-Möglichkeiten gewährt.314 In Verfahren der small claim track – immerhin mit einem Streitwert von bis zu GBP 10 000 – soll ebenfalls keine rechtliche Vertretung gewährt werden.315 b) Kostensanktionen für die Verweigerung von ADR Der Druck möglicher Kostensanktionen für die Verweigerung von ADR kann die Parteien jedoch mittelbar in ein ADR-Verfahren zwingen. In diesem Zusammenhang wurde daher schon von „implied compulsory mediation“ gesprochen.316 Im englischen Zivilprozess hat die unterliegende Partei grundsätzlich die Verfahrenskosten der obsiegenden Partei zu tragen.317 Von dieser Regel kann das Gericht nach eigenem Ermessen abweichen, wenn eine der Parteien die Nutzung von ADR unangemessen verweigert hat.318 In diesem Sinne kann eine Partei entweder einer gerichtlichen ADR-Verfügung nicht nachgekommen sein oder sich einer Einladung der anderen Partei zur Durchführung eines ADR-Verfahrens vor oder nach Klageerhebung verschlossen haben.319
Mann v Mann [2014] EWHC 537 (Fam) Rn. 34–36, wonach eine Mediationsvereinbarung, welche die Durchführung einer Mediation als zwingende Voraussetzung für einen gerichtlichen Vollstreckungsantrag vorschreibt, nicht wirksam ist, da sie den Zugang zu den Gerichten versperren würde. Gleichzeitig ließ das Gericht indes eine Ungley Order ergehen, um die Parteien zu einer Mediation zu ermutigen. 311 EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457 = EuZW 2017, 736 – Menini; hierzu bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3. b). 312 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 9.10. 313 Kritisch zur schrittweisen Kürzung von Prozesskostenhilfe für zivilrechtliche Ansprüche, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 38–45; dies., Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 403; Thornberg, C.J.Q. 30 (2011), 74, 79–82; Koo, Legal Studies 2018, 1, 9 f.; Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 67; Higgins, C.J.Q. 34 (2015), 221, 226; Shipman, C.J.Q. 32 (2013), 470, 473 f. 314 reg. 39(d) The Civil Legal Aid (Merits Criteria) Regulations 2013: „An individual may qualify for legal representation only if the Director is satisfied that [...] the he individual has exhausted all reasonable alternatives to bringing proceedings including any complaints system, ombudsman scheme or other form of alternative dispute resolution“. Zu den entsprechenden vorangehenden Anweisungen der Legal Service Commission, statt vieler Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 403; Koo, Legal Studies 2018, 1, 9 f. 315 reg. 39(f) The Civil Legal Aid (Merits Criteria) Regulations 2013. 316 So Ahmed, C.J.Q. 31 (2012), 151 ff. 317 Im Sinne der Regel „costs follow the event“, r. 44.2(2)(a) CPR. 318 Die Entscheidung hat unter Betrachtung aller Umstände des Falls inklusive des Verhaltens der Parteien zu erfolgen, r. 44.2(2)(b), (4)(a), (5) CPR. 319 Es ergeben sich damit drei denkbare Konstellationen, Blake/Browne/Sime, The Jackson
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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Die Loser-pays-Regelung gilt hingegen nicht für die small claim track, in der die Parteien ihre eigenen Kosten zu tragen haben. Nur Gerichts-, Reise- und Sachverständigenkosten sind im begrenzten Maße erstattungsfähig.320 Dies hat auch zur Folge, dass eine große Anzahl der Verbraucher das Gerichtsverfahren als litigant in person, also ohne rechtliche Vertretung bestreiten.321 Dementsprechend spielen Kostensanktionen wegen ADR-Verweigerung für die hier untersuchten Verbraucherstreitigkeiten nur eine untergeordnete Rolle, spiegeln jedoch die Einstellung der englischen Ziviljustiz wider, Streitigkeiten möglichst einer einvernehmlichen Streitbeilegung zuzuführen. Das Gericht kann der obsiegenden Partei den Ersatz ihrer Prozesskosten vorenthalten, die Kosten der unterliegenden Partei ganz oder teilweise auferlegen322 oder die Kosten gar auf voller Entschädigungsbasis (indemnity basis) festsetzen.323 Nachteilige Kostenentscheidungen können sich bereits aus der Nichteinhaltung eines relevanten pre-action protocols ergeben.324 Bedeutender sind Sanktionen der obsiegenden Partei aufgrund einer unangemessenen Verweigerungshaltung gegenüber ADR. Nach dem Präzedenzfall Halsey325 ist bei der Beurteilung, ob eine Verweigerung unangemessen war, insbesondere und nicht abschließend, die Natur der Streitigkeit, die Erfolgsaussichten der Klage und des ADR-Verfahrens, anderweitige Vergleichsversuche sowie die Kosten des ADR-Verfahrens zu berücksichtigen.326 Da geringwertige Streitigkeiten ohnehin zum frühestmöglichen Zeitpunkt beigelegt werden sollen, sind
ADR Handbook, 22016, Rn. 11.01; Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 8.05. 320 r. 27.14 CPR; Practice Direction 27 – Small Claims Track, Rn. 7.1–7.3. 321 Prince, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 79, 92, obwohl das Verfahren von den Prozessierenden als kompliziert wahrgenommen wird. 322 r. 44(6)(a),(b) CPR; Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 11.02. 323 Üblich ist hingegen eine Entschädigung auf standard basis, nach welcher die Kosten mit Blick auf den Streitgegenstand verhältnismäßig sein müssen, wobei im Zweifel zugunsten der zahlenden Partei zu entscheiden ist, während bei der indemnity basis im Zweifel zugunsten der zu entschädigenden Partei zu entscheiden ist. Letzteres kommt indes nur in Betracht, wenn die Verweigerung von ADR im hohen Maße unangemessen war, hierzu Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 11.52–11.58 m. w. N. Weiterhin kann die Kostenentscheidung einen höheren Zinssatz anwenden oder Zinsforderungen komplett abweisen, r. 44(6)(g) CPR. 324 Thornhill v Nationwide Metal Recycling Ltd [2011] EWCA Civ 919 Rn. 45–48; Thornhill v Nationwide Metal Recycling Ltd [2011] EWCA Civ 919 Rn. 21. Eine Klage kann jedoch nicht allein deshalb abgewiesen werden, weil sie unter Verstoß des pre-action protocol eingereicht wurde, Pell Frischmann Consultants Ltd v Prabhu [2013] EWHC 2203 (Ch) Rn. 56. 325 Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576; bestätigt in Couwenbergh v Valkova [2004] EWCA Civ 676 Rn. 55. 326 Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 Rn. 16. Die Darlegungs- und Beweislast trägt die andere Partei Rn. 28.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
potenziell hohe Kosten einer Mediation indes unerheblich.327 Darüber hinaus können Gerichte die Nichteinhaltung gerichtlicher ADR-Verfügungen berücksichtigen, wobei die Verweigerung desto weniger angemessen ist, je stärker die Verfügung formuliert war.328 Die Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags der später obsiegenden Partei nach Part 36 CPR schließt eine Kostensanktion nicht aus.329 Ein solches Angebot ist kein angemessenes Substitut zu einem vermittelnden Streitbeilegungsverfahren unter Leitung eines Mediators.330 Die Part 36 offer findet in der für Verbraucherstreitigkeiten relevanten small claims track indes keine Anwendung.331 Schließlich kann das Gericht Fehlverhalten beider Parteien dadurch sanktionieren, dass es überhaupt keine Kostenentscheidung erlässt.332 Ein beiderseitiges Verschulden kann vorliegen, wenn der Kläger mit einem erheblichen Teil der Klage keinen Erfolg hat, der Beklagte allerdings einen klägerischen Vorschlag eines ADR-Verfahrens ablehnt oder selbst kein Vergleichsangebot gemacht hat.333 c) Implizierter Zwang zur Teilnahme an Consumer ADR schemes? Dem primären Ziel des gerichtlichen Case Managements, eine schnelle Streitbeilegung zu erreichen, könnte es ferner entsprechen, wenn Verbraucher aufgrund drohender Sanktionen mittelbar zur Nutzung bestehender gerichtsferner, sektorspezifischer ADR-Strukturen gedrängt werden könnten. Der Verbraucher müsste vor Klageerhebung dann sowohl die unternehmensinternen Beschwerdeprozesse als auch das relevante ADR-Verfahren bestreiten. Im Zusammenhang mit der PPI-Thematik334 sahen sich Gerichte bereits dazu veranlasst, das
327 Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 8.50; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 11.18. 328 Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 Rn. 29–33; Gaston, Bughton v Courtney [2004] EWHC 600 (Ch); Dunnett v Railtrack Plc [2002] EWCA Civ 303 Rn. 15; Williams v Seals [2014] EWHC 3708 (Ch) Rn. 48. 329 Dunnett v Railtrack Plc [2002] EWCA Civ 303 Rn. 14–16; P4 Ltd v Unite Integrated Solutions Plc [2006] EWHC 2924 (TCC), in der eine Kostensanktion gegen den Beklagten wegen der Verweigerung einer Mediation verhängt wurde, obwohl dieser ein Vergleichsangebot unterbreitet hatte, das in der Summe höher war, als das, was dem Kläger gerichtlich zugesprochen wurde. 330 P4 Ltd v Unite Integrated Solutions Plc [2006] EWHC 2924 (TCC) Rn. 37; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 11.30. 331 r. 27.2(1)(g) CPR. 332 Rolf v De Guerin [2011] EWCA Civ 78 Rn. 48 f.; Longstaff International Ltd v Evans [2005] EWHC 4 (Ch) Rn. 43. 333 Seff v Ho [2011] EWCA Civ 186 Rn. 49, hinsichtlich der Verweigerung der Mediation; Abbott v Long [2011] EWCA Civ 874 Rn. 17, hinsichtlich eines fehlenden Vergleichsangebots. 334 Eingehend zur PPI-Thematik bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4.
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Verfahren zur Durchführung des „FSA scheme“335 auszusetzen oder eine Klage ohne Sachentscheidung abzuweisen. In Andrew & Ors v Barclays Bank Plc336 setzte das Gericht das Verfahren, unter der Bezeichnung „Scheme stay“, auf Antrag der Beklagten für eine Dauer von acht Wochen aus, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, das ADR-Verfahren nach dem FSA scheme durchzuführen.337 Das Gericht scheint dabei verkannt zu haben, dass das FSA scheme nur ein unternehmensinterner Beschwerdeprozess ohne Einschaltung einer neutralen dritten Person darstellt, der sich allerdings nach den genauen Kriterien und Maßstäben der FSA richtet.338 Mit Blick auf die öffentliche Bedeutung von PPI-Beschwerden trifft das Gericht bewusst auch grundsätzliche Aussagen.339 Unter Anwendung der HalseyKriterien340 hält das Gericht PPI-Beschwerden ihrer Natur nach hervorragend für ADR-Verfahren geeignet.341 Die Erfolgsaussichten eines PPI-Anspruchs seien derart hoch, dass ein Vergleich unvernünftig erschiene. Ferner sei zu berücksichtigen, dass das FSA scheme für Verbraucher kostenlos sei und den Gerichtsprozess nur geringfügig verzögere.342 Das Gericht kommt daher zum Ergebnis, dass für eine Person mit einem PPI-Anspruch, die sich nicht auf das FSA scheme einlässt, sondern direkt den Gerichtsprozess einleitet, grundsätzlich die konkrete Gefahr einer nachteiligen Kostenentscheidung besteht, auch wenn die Klage Erfolg haben sollte.343 Einer gerichtlichen Aussetzungsverfügung für die Dauer des FSA scheme stehe das Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht entgegen, da das Gericht den Kläger letztlich nicht dazu zwingen könne, das Verfahren nach dem FSA scheme in Anspruch zu nehmen.344 Dabei lässt das Gericht leider unklar, ob nach erfolgloser Durchführung des FSA scheme eine erneute Aussetzungsverfügung zugunsten des Verfahrens des
335 Gemeint ist das Verfahren nach DISP Appendix 3 FCA Handbook im Rahmen der sogenannten root cause analysis, hierzu bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4. 336 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile). 337 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 2. Die Antragstellerin hatte zur Begründung ihres Aussetzungsantrags lediglich darzulegen, dass eine nutzbare – nicht notwendigerweise rechtlich vorteilhafte – Alternative zum Zivilprozess existiert Rn. 17. 338 Nach dem dieser Arbeit zugrunde liegenden ADR-Verständnis handelt es sich daher um kein ADR-Verfahren. Zweifelsohne befördert der Beschwerdemechanismus jedoch eine schnelle Streitbeilegung. 339 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 19. 340 Näher hierzu sogleich unter Kap. 4 C. V. 1. b). 341 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 25. 342 Das Gericht untermauert die Vertrauenswürdigkeit des FSA scheme ferner mit der Begründung, dass es auf einem ausgefeilten Konzept der Regulierungsbehörde beruhe, das der gerichtlichen Überprüfung standgehalten hat. Überdies beschäftigte die Beklagte eigens für die Durchführung des FAS scheme 2 000 zusätzlich eingestellte Mitarbeiter, Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 10. 343 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 27, 36. 344 Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 28–29, 32.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
FOS in Betracht kommt. Schließlich ist das Regulierungskonzept darauf ausgelegt, dass vom Unternehmen abgewiesene Beschwerden durch den FOS geklärt werden können. Das Gericht zieht – bewusst oder unbewusst – die Inanspruchnahme des FOS nicht in Erwägung.345 Gleichwohl sind die Ausführungen des Gerichts geeignet, allgemeine Grundsätze zur Aussetzung eines Zivilprozesses zugunsten gerichtsferner ADR abzuleiten. Die Aussagen lassen sich auf vergleichbare gesetzlich statuierte ADRMechanismen übertragen, die – wie der FOS und der Legal Ombudsman – ebenfalls Bestandteil eines Regulierungskonzepts sind. Wendet man die Halsey-Kriterien – parallel zu den Ausführungen in Andrew – auf diese Verfahren an, wird man zum Ergebnis kommen, dass sich die zugrunde liegenden Streitigkeiten ihrer Natur nach für ADR eignen. Die Verfahren sind für Verbraucher kostenlos und führen in der Regel zu einer maximalen Verzögerung des Zivilprozesses von drei Monaten. Die Ombudsverfahren bieten ferner hinreichende Erfolgsaussichten, zumal Unternehmen asymmetrisch an die Verfahrensergebnisse gebunden sind, während dem Verbraucher das gerichtliche Verfahren bis zur Annahme des Lösungsvorschlags offensteht. Demnach scheint eine Aussetzung des Verfahrens, gegebenenfalls unter Androhung einer Kostensanktion, geboten, wenn dem Verbraucher alternativ zum Gerichtsweg etablierte ADR-Mechanismen zur Verfügung stehen. Unterschiede bestehen allerdings insofern, als dass das FSA scheme mehr einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen entspricht, die Letzterem die Möglichkeit bietet, der Beschwerde vor Eskalation des Streits abzuhelfen. Eine erste Kontaktaufnahme mit den Unternehmen ist aber auch in ADR-Verfahren obligatorisch. Erst danach bieten ADR- und Gerichtsverfahren zwei gleichwertige Alternativen für den Verbraucher. Kostensanktionen für die Verweigerung gerichtsferner ADR kommen hingegen nicht in Betracht. Zumindest im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie muss der Verbraucher das ADR-Verfahren jederzeit sanktionslos abbrechen können.346 Das Gericht könnte daher nur die anfängliche Verweigerung von ADR sanktionieren, wohl aber auch nur dann, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage bestünde. Darüber hinaus wird zu berücksichtigen sein, ob sich der Verbraucher rechtlich vertreten lässt oder als litigant in person handelt. Letzterem wird schwerlich vorzuwerfen sein, er habe ADR-Möglichkeiten nicht ausreichend in Erwägung gezogen.347 Die Grundsätze zur Inanspruchnahme des FAS 345 Das Gericht stellt daher allein auf den Mechanismus nach DISP Appendix 3 FCA Handbook ab. Gleichwohl sieht das Gericht die Möglichkeit, dass von Unternehmen abgelehnte Beschwerden auch zum FOS gebracht werden können, Andrew & Ors v Barclays Bank Plc [2012] EWHC B13 (Mercantile) Rn. 10. 346 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3; vgl. EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457 = EuZW 2017, 736 – Menini. 347 Sanktionen erscheinen dagegen wahrscheinlicher, wenn Anwälte Verbraucher auf Basis eines Erfolgshonorars in einen unnötigen Gerichtsprozess drängen. Die Sanktion trifft dann letztlich (bewusst) nicht den Verbraucher.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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scheme lassen sich daher wohl nicht auf die Nutzung gerichtsferner ADR übertragen. Die Aussagen in Binns v Firstplus Financial Group Plc348 sind etwas grundsätzlicher gefasst. Nach Ansicht des Gerichts sollten Prozessparteien grundsätzlich ADR-Mechanismen benutzen, die schnelle Gerechtigkeit und komplette Entschädigung anbieten. Sofern ein ADR-Verfahren bereits zur vollständigen Entschädigung geführt hat, ist ein anschließendes Gerichtsverfahren ohne Sachentscheidung abzuweisen.349 Im zugrunde liegenden Fall machten die Kläger PPI-Ansprüche gegen die Beklagte im Rahmen des FSA scheme geltend, infolgedessen die Beklagte den Klägern volle Entschädigung anbot. Diese versuchten jedoch angebliche, darüber hinausgehende Rechtsverfolgungskosten gerichtlich zu erstreiten.350 Das Gericht betont, dass seine Ausführungen, über die PPIThematik hinaus, auf andere ADR-Formen Anwendung finden könnten.351 Dies gilt jedenfalls für die Klageabweisung aufgrund der Ergebnisse eines vorherigen ADR-Verfahrens.352 d) Ermutigung zu ADR durch den Online Court in England Den Empfehlungen der Civil Courts Structure Review von Lord Justice Briggs folgend, soll in England und Wales bis 2023 ein „Online Court“ eingeführt werden.353 Das geplante mehrstufige Verfahren soll komplett auf litigants in person, das heißt auf Parteien ohne anwaltliche Vertretung, zugeschnitten sein und somit unverhältnismäßig hohen Prozesskosten bei Klagen mit geringem und mittlerem Streitwert entgegenwirken.354 348
Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB). „In my judgment the moral of this case is that litigants should ordinarily follow the ADR route when there is a perfectly good scheme that offers (i) speedy justice; and (ii) full redress. In appropriate cases the court should and will strike out cases where there has been full redress already.“, Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB) Rn. 43. 350 Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB) Rn. 2. 351 „The court needs to encourage good ADR and not allow claims that have succeeded to carry on. I dare say this case will be fact specific to the PPI litigation, but there may be wider applicability to other forms of ADR.“, Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB) Rn. 43. 352 Da eine Klageabweisung nur möglich ist, wenn kein vernünftiger Grund zur Klageerhebung besteht, Part 3.4 (2)(a) CPR, sind die Voraussetzungen indes sehr eng und werden praktisch selten relevant sein. 353 „The development of the Online Court (,OC‘) is the single most radical and important structural change with which this report is concerned.“, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.1; zu den Hintergründen der Reform, S. Sorabji, C.J.Q. 36 (2017), 86, 87 f. Der ursprünglich für das Jahr 2020 angekündigte Online Court wird nunmehr nicht vor Dezember 2023 erwartet, Taddia, The Law Society Gazette 6.7.2020. 354 Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.5, der hierin das erste Gerichtsverfahren sieht, das von vorne bis hinten ohne Beteiligung von Anwälten konzipiert ist. Jedoch wurde bereits die small claim track ursprünglich als Verfahren ohne Beteiligung von Anwälten entworfen, Smith, Response for The Legal Education Foundation to 349
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Geplant ist ein dreistufiges Online-Verfahren mit eigenen Verfahrensregeln, die sich vom traditionellen kontradiktorischen Prozess der CPR unterscheiden.355 Die erste voll automatisierte Stufe soll das Verfahren mittels standardisierter Formulare und Beratung einleiten.356 Auf der zweiten Stufe nimmt sich ein Sachbearbeiter (Case Officer) den noch nicht gelösten Konflikten an und empfiehlt den Parteien eine einvernehmliche Streitbeilegung, gegebenenfalls unter Nutzung von ADR.357 Auf dieser Stufe soll die Mehrheit der Verfahren abgeschlossen werden. Können die Parteien dennoch keine Lösung erreichen, wird der Fall auf der dritten Stufe zu einem Richter gebracht, der – sofern möglich – eine rein dokumentenbasierte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung trifft.358 Die Durchsetzbarkeit der Verfahrensergebnisse soll durch die County Courts gewährleistet werden.359 Um die Parteien zur Nutzung von ADR zu ermutigen, könnte der Online Court schon vor Einleitung des Verfahrens über ADR-Möglichkeiten informieren.360 Vorgelagert könnte ferner evaluiert werden, ob die Forderung zwischen den Parteien überhaupt strittig ist.361 Die Plattform des Online Courts könnte die Parteien als zentrale Anlaufstelle bei einer ersten Kontaktaufnahme unterstützen.362 Strikte vorgerichtliche Handlungsanweisungen durch pre-action protocols sollen jedoch nicht in Betracht kommen.363
the Interim Report on the Civil Courts Structure Review, 2016, Rn. 8, S. auch Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 122 f.; ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 59–61. 355 Zu den drei Stufen, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.7. 356 Die rechtliche Beratung soll dabei auf den Streitgegenstand, nicht aber auf den konkreten Sachverhalt des Falls zugeschnitten sein, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.9; weitergehend ein Knotenpunkt für ein Netzwerk an Rechtsberatung fordernd, Sorabji, C.J.Q. 36 (2017), 86, 98. 357 Etwa unter Zuhilfenahme telefonsicher Mediation, neutraler richterlicher Evaluation (early neutral evaluation) oder gerichtsferner ADR. Eingehend zu den Aufgaben des Case Officer sowie den Anforderungen an diesen, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 7.1–7.38; ders., Civil Courts Structure Review: Final Report, 2016, Rn. 7.1–7.38. 358 Falls erforderlich sollen auch Gespräche per Telefon oder Videotelefonie sowie in Ausnahmefällen unter persönlicher Beteiligung der Parteien und des Richters stattfinden. Ferner soll der Richter mehr inquisitorische Befugnisse erhalten als im klassischen kontradiktorischen Gerichtsverfahren, Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.14 f. 359 Man könnte diese Ebene der Durchsetzung daher auch als vierte Stufe verstehen, so Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 61 und 237. 360 Dies könnte im Rahmen der von Briggs vorgeschlagenen „Stage 0“ erfolgen, Briggs, Civil Courts Structure Review: Final Report, 2016, Rn. 6.108. 361 Dies als „Stage 0.5“ bezeichnend, Briggs, Civil Courts Structure Review: Final Report, 2016, Rn. 6.109. 362 Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 123. 363 Handlungsanweisungen seien für litigants in person nicht geeignet, sodass diese Funk-
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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Sicher ist, dass ADR-Verfahren auf der zweiten Verfahrensstufe zentrale Bedeutung erlangen werden.364 Unklar bleibt bislang jedoch die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen gerichtsferner ADR und dem Online Court.365 Dieses Verhältnis wird insbesondere dann relevant, wenn Streitigkeiten auch in die Zuständigkeit sektorspezifischer ADR-Stellen fallen. Der Case Officer wird sicherlich nicht befugt sein, die Parteien zur Nutzung von ADR zu zwingen.366 Allerdings werden Kostensanktionen für die unangemessene Verweigerung einer Partei zur Nutzung von ADR gefordert.367 Sanktionen müssten unter Berücksichtigung der fehlenden anwaltlichen Vertretung indes restriktiv gehandhabt werden.368 Unangemessen könnte die Verweigerung eines Verbrauchers insbesondere dann sein, wenn der Case Officer ein etabliertes ADR-Verfahren vorschlägt, das für den Verbraucher kostenlos ist und an dessen Ergebnisse der Unternehmer asymmetrisch gebunden ist.369 Für die Verweigerung eines Unternehmers gelten uneingeschränkt die Halsey-Kriterien.370 Während die Verweigerung jeglicher Kontaktaufnahme zu der ADR-Einrichtung sanktioniert werden könnte, muss der Verbraucher das ADR-Verfahren – zumindest im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie – jederzeit sanktionslos abbrechen dürfen.371 Nichts anderes kann für gerichtsferne ADR-Verfahren gelten, die nicht nach den ADR Regulations akkreditiert sind.372 Da das Kostensystem vermutlich an die Regeln der small claim track angelehnt sein wird, ginge es ohnehin primär nur um die Verlagerung der Gerichtskosten;373 sodass etwaige Kostensanktionen eine untergeordnete Rolle spielen werden. tion durch die erste Verfahrensstufe ersetzt werden soll, so Briggs, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 237; s. auch Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.11. 364 So auch Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.54. 365 Die Pläne beinhalten keine Integration der existierenden außergerichtlichen ADRLandschaft, Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 123; ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 239. 366 So auch die Erwägungen von Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.13. 367 Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 123 f.; ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 238 f.; Ahmed, C.J.Q. 36 (2017), 12, 20. 368 So Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 238. 369 In diese Richtung auch Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 238. 370 Eine Verweigerung kann demnach sogar dann unangemessen sein, wenn der Unternehmer die Kosten des ADR-Verfahrens allein zu tragen hat. Zu den Halsey-Kriterien, soeben unter Kap. 4 C. V. 1. c). 371 Vgl. hierzu die Entscheidung des EuGH in Menini, s. bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3. b). Etwas anderes könnte, in Anlehnung an Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB), für den Fall gelten, dass das Verfahren ohne schützenswertes Interesse geführt wird. 372 Sofern der Verbraucher akkreditierte ADR-Verfahren sanktionslos verweigern können muss, so muss dies erst recht für ADR gelten, die nicht an die Qualitätskriterien der ADR Regulations gebunden ist. 373 r. 27.14 CPR; in diese Richtung auch Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Ein sinnvoller Anreiz zur frühestmöglichen Streitbeilegung würde durch stufenweise anfallende Gerichtskosten gesetzt.374 Informationen und Verweise auf etablierte ADR-Verfahren sollten daher spätestens auf der ersten Verfahrensstufe erfolgen.375 Eine entsprechende Online-Maske könnte die Streitigkeiten herausfiltern, für die sich sektorspezifische ADR anbietet.376 Zugleich sollten Verbraucherinformation über den Online Court377 differenziert darüber unterrichten, wann eine Streitigkeit für ADR geeignet ist. Nur so kann vermieden werden, dass die Ressourcen der Case Officer unnötig in Anspruch genommen werden und den Parteien Kosten auf der zweiten Verfahrensstufe entstehen. Da sich das System aber selbst finanzieren soll, bleibt für Kostenanreize wenig Spielraum.378 Es ist daher ohnehin zu befürchten, dass Klagen mit geringem Streitwert dem Online Court vorenthalten bleiben.379 Das Verhältnis des Online Courts zu gerichtsferner ADR wird sich daher erst in der Praxis konkretisieren. 2. Ermutigung deutscher Gerichte zur Nutzung von ADR Im deutschen Zivilprozess sollen alternative Streitbeilegungsmethoden dadurch gefördert werden, dass das Gericht zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein soll, § 278 Abs. 1 ZPO. Der richterliche Streitentscheid, der das schärfstes Schwert der Justiz darstellt, soll im Sinne des Rechtsfriedens nur zur Anwendung kommen, wenn dies der Fall oder die Parteiinteressen gebieten.380 Auf eine gütliche Einigung kann sowohl gerichts-
Report, 2015, Rn. 6.52; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 238. 374 Dieses „pay-as-you-go-system“ befürwortend, Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 238. 375 Ähnliche Erwägungen bei Ahmed, C.J.Q. 36 (2017), 12, 19, der die Gefahr sieht, dass die Parteien die erste Stufe lediglich als Einleitung des Verfahrens auffassen könnten. 376 In diese Richtung auch Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.52, wonach eine ADR fokussierte Beratung der Parteien ohne menschliches Eingreifen möglich wäre. Technisch soll eine solche Analyse der Beschwerde und Art der Streitigkeit jedenfalls vorgesehen werden, vgl. hierzu das Beispiel bei Briggs, Civil Courts Structure Review: Interim Report, 2015, Rn. 6.8; Corte´s sieht hingegen die Möglichkeit, dass sich die Parteien bei Klageerhebung gegebenenfalls darüber rechtfertigen müssen, ob die Nutzung von ADR in Erwägung gezogen wurde, Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 125. 377 Etwa durch die Verbraucherorganisation Citizens Advice, hierzu Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 237. 378 Hierbei sind neben den Personalkosten auch die Kosten für die Unterhaltung und Weiterentwicklung der Online-Plattform zu berücksichtigen. Neben der ursprünglichen staatlichen Finanzierung des Systems mit GBP 75 sind keine weiteren Zuschüsse vorgesehen, hierzu Sorabji, C.J.Q. 36 (2017), 86, 88, der weitere Erwägungen zum Thema Ressourcen anstellt (102–104). 379 So Corte´s, C.J.Q. 36 (2017), 109, 123. 380 Die einverständliche Streitlösung sei gegenüber dem richterlichen Streitentscheid sogar vorzugswürdig, so BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01, NJW-RR 2007, 1073, 1074;
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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intern im Rahmen einer Güteverhandlung381 oder des Hauptverfahrens als auch gerichtsfern durch den Vorschlag eines externen ADR-Verfahrens im Sinne des § 278a ZPO hingewirkt werden. Der Vorschlag eines gerichtsfernen ADR-Verfahrens nach den §§ 278 Abs. 1, 278a Abs. 1 ZPO steht im pflichtgemäßen, aber weitem Ermessen382 des Gerichts und kann sich auf das gesamte ADR-Spektrum erstrecken.383 Ein Vorschlag hat zu erfolgen, wenn sich der Konflikt für ADR eignet384 und einen Streitentscheid zumindest teilweise entbehrlich macht.385 ADR soll besonders bei komplexen, langfristigen Rechtsbeziehungen im Sinne einer nachhaltigen Lösung sowie bei strittigen, unklaren Sachverhalten in Betracht kommen.386 Zwar versprechen frühe Vorschläge am meisten Erfolg, jedoch hat das Gericht die Geeignetheit eines Vorschlags während des gesamten Verfahrens zu prüfen.387
a. A. Prütting, in: MüKo ZPO, 62020, § 278 ZPO Rn. 3, der sich gegen einen grundsätzlichen Vorrang ausspricht; in diese Richtung auch Steffek, ZEuP 2013, 528, 530; näher zu den Zielen der im Zuge der Umsetzung der Mediationsrichtlinie geänderten Vorschriften, die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/5335, S. 11 sowie bereits oben unter Kap. 3 B. II. 1. 381 Entweder vor dem Streitrichter, § 278 Abs. 2–4 ZPO oder einem Güterichter, § 278 Abs. 5 ZPO. 382 Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, 802022, § 278a Rn. 8; Hartmann, MDR 2012, 940, 943; Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 8; für eine richterliche Vorschlagspflicht wohl Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 4; für eine Pflicht zur Prüfung der Geeignetheit und einer Vorschlagspflicht bei positivem Ergebnis der Prüfung, Steffek, ZEuP 2013, 528, 537 f.; zustimmend Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, E Rn. 68. 383 Also auch auf ADR-Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs des VSBG, Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 7; Steffek, ZEuP 2013, 528, 538; Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 4. 384 Geeignet scheint ein außergerichtliches Verfahren etwa dann, wenn dieses aufgrund besonderer fachlicher oder methodischer Expertise der neutralen dritten Person oder größeren Zeitrahmens, aussichtsreicher erscheint als ein gerichtsinterner Versuch, Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 3; Gläßer/Schroeter, 2011, S. 415, 419; Bacher, in: BeckOK ZPO, 442022, § 278a Rn. 3; zwar verzichtet der Wortlaut im Gegensatz zu § 278 Abs. 5 S. 2 ZPO auf die Formulierung „in geeigneten Fällen“, jedoch soll dies selbstverständliche Voraussetzung sein, so Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, 802022, § 278a Rn. 7; a. A. Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 8, der einen Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der Falleignung sieht, welche vielmehr durch die neutrale dritte Person zu prüfen sei. 385 Das ADR-Verfahren muss eine ausreichende, nicht aber überwiegend wahrscheinliche Erfolgschance bieten, ein Verstoß gegen die §§ 278 Abs. 1, 278a ZPO ist jedoch nicht sanktionsbewährt und kann mithilfe eines Rechtsbehelfs angegriffen werden, Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 4 und 8. Ob das ADR-Verfahren gegenüber einer richterlichen Entscheidung vorteilhaft ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen, hierzu Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, E Rn. 65–66; Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 6; eingehend auch Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 42013, § 278a Rn. 10–20. 386 Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 9; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, E Rn. 66; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 278a Rn. 2; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/5335, S. 29. 387 Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 4; hierzu auch Assmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, 42013, § 278a Rn. 5; Unberath, JZ 2010, 975, 979.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Wie auch in England, kann das Gericht die Parteien nicht zur Nutzung von ADR verpflichten.388 Da den Parteien eine freie Wahl der Streitbeilegungsmethoden zusteht, ist das Gericht auch nicht dazu befugt, für die Verweigerung von ADR Kostensanktionen nach englischem Vorbild zu verhängen.389 Das Gericht hat Drohungen oder das Ausüben von Druck zu unterlassen und sich auf eine Darstellung der Vorteile und gegebenenfalls der Prozesssituation zu beschränken.390 Lassen sich die Parteien auf das ADR-Verfahren ein, so wird das Ruhen des Gerichtsverfahrens zu diesem Zwecke angeordnet, § 278a Abs. 2 ZPO.391 In der Praxis wird von der Verweisungsmöglichkeit auf gerichtsferne ADR nur wenig Gebrauch gemacht.392 Parteien werden – wenn überhaupt – meist nur auf eine gerichtsinterne Mediation verwiesen.393 Insofern fehlt den Richtern oftmals der Überblick über die komplexen gerichtsfernen ADR-Strukturen.394 Um die weitreichenden Möglichkeiten des § 278a ZPO ausschöpfen zu können, wird zurecht für transparente und praktikable Verweisungsmodelle395, für Leitfäden396 für die Richterschaft sowie für ein bindendes Verweisungsrecht de lege ferenda plädiert.397
388 Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 5; Ahrens, NJW 2012, 2465, 2470; Hartmann, MDR 2012, 940, 943; Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 12; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 278a Rn. 2; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 42013, § 278a Rn. 26. 389 Diese sind im deutschen Recht auch nicht denkbar. So auch Prütting, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157, 165; zu den Kostensanktion in England bereits oben unter Kap. 4 C. V. 1. b). 390 Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 11. 391 Eingehend zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Ruhensanordnung, Ulrici, in: MüKo ZPO, 62020, § 278a Rn. 12–20; entgegen der Ansicht von Ulrici, hält Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 278a Rn. 3 einen entsprechenden Antrag nicht für erforderlich; s. auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, E Rn. 69–71; Löer, in: Klowait/Gläßer, 2 2018, § 278a ZPO Rn. 14–16. 392 So Hommerich/Prütting/Ebers u.a., Rechtstatsächliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Reform des Zivilprozessrechts auf die gerichtliche Praxis, 2006, S. 84–87, denen zufolge nur in 1 % der analysierten Akten eine außergerichtliche Streitbeilegung dokumentiert wurde; Greger, ZKM 2007, 142 ff.; ders., NJW 2008, 3258, 3260; ders., in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, E Rn. 65; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 42013, § 278a Rn. 21; eingehend zur Verweisung in die außergerichtliche Mediation in Familiensachen, Etscheit, 2011, S. 143 ff. 393 Diese ist für die Parteien kostenlos und führt zu keiner erheblichen Verfahrensverzögerung, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, E Rn. 65. 394 So auch Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 19; Gläßer/Schroeter, 2011, S. 415, 419. 395 So Gläßer/Schroeter, 2011, S. 415, 419; Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 20. 396 Bushart, ZKM 2021, 180, 184. 397 Für ein bindendes Verweisungsrecht schon Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737, 2742; Greger, NJW 2008, 3258, 3261 f.; in diese Richtung auch Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51, 88–90.
C. Fesselung der Parteien an ADR-Verfahren
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Fällt der vor Gericht gebrachte Streit in den Zuständigkeitsbereich einer nach dem VSBG anerkannten ADR-Stelle, ist das Ermessen des Gerichts dahingehend zu reduzieren, dass ein Vorschlag des entsprechenden ADR-Verfahrens zu erfolgen hat. Die Liste der Verbraucherschlichtungsstellen des BfJ bietet Richtern einen geeigneten Überblick über die den Qualitätsstandards des VSBG folgenden ADR-Stellen.398 Fällt eine Streitigkeit in die Zuständigkeit einer sektorspezifischen ADR-Stelle besteht grundsätzlich kein Zweifel an der Falleignung, da das ADR-Verfahren ja gerade auf gleichartige Fälle zugeschnitten ist.399 Hierfür müsste freilich eine institutionelle Zusammenarbeit zwischen Gerichten und ADR-Stellen etabliert werden.400 Der Verweisungsvorschlag nach § 278a ZPO böte die Möglichkeit, ADR-Verfahren einfach gelagerte Streitigkeiten zuzuführen, während rechtsgrundsätzliche Fragestellungen der gerichtlichen Klärung überlassen blieben. Ferner muss sichergestellt sein, dass ADR-Stellen die Streitigkeiten trotz Rechtshängigkeit nicht ablehnen, sofern das Gericht eine entsprechende Ruhensanordnung nach § 278a Abs. 2 ZPO getroffen hat.401 Ein bindendes Verweisungsrechts – so sinnvoll dies im Einzelfall auch sein mag – widerspräche der gesetzgeberischen Wertung einer umfassenden Wahlmöglichkeit des Verbrauchers zwischen ADR und Zivilprozess sowie dem Prinzip der Freiwilligkeit von ADR. Konsequente gerichtliche Vorschläge zur Nutzung gerichtsferner ADR würden jedoch die Bekanntheit der Institutionen und das Vertrauen in die Verfahren unabhängig davon stärken, ob die Parteien dem Vorschlag des Gerichtes tatsächlich auch folgen. Um die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht zu beschränken, darf die Gewährung von Prozesskostenhilfe, anders als in England,402 nicht von der vorherigen Durchführung eines ADR-Verfahrens abhängig gemacht werden.403 Dies gilt
398 Mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen hinsichtlich der Gestaltung der Liste des BfJ, Hirsch, VuR 2020, 219 ff.; ggf. kann zusätzlich auf die ODR-Plattform der Kommission zurückgegriffen werden. 399 Etwas anderes kann sich freilich ergeben, wenn das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes einer Verfahrensordnung evident ist, wobei keine eingehende Zulässigkeitsprüfung des ADRVerfahrens durch das Gericht zu erfolgen hat. 400 Für eine Vernetzung der gerichtlichen Praxis mit ADR, Greger, in: Zöller, ZPO, 34 2022, § 278a Rn. 1; zustimmend Löer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 278a ZPO Rn. 20; zur Bestellung von Mediationskoordinatoren in Bayern, Schobel, ZKM 2012, 191, 193; einen Verweisungsmechanismuses der ADR-Stellen zu den Gerichte erwägend, Nürnberg, Die Durchsetzung von Verbraucherrechten, 2020, S. 310. 401 Einige Verfahrensordnung enthalten eine entsprechende Regelung, statt vieler § 2 Abs. 4 lit. d) VomVO; § 4 Abs. 4 Nr. 4 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Energie; § 2.1 lit. f) Verfahrensordnung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e.V. 402 Hierzu soeben unter Kap. 4 C. V. 1. a). 403 So richtigerweise Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157, 165. In diesem Sinne erachtete eine ältere, unterinstanzliche Rechtsprechung eine geplante Klageerhebung als mutwillig im Sinne des § 114 ZPO, wenn der Antragsteller zuvor nicht das unparteiliche und geeignete Verfahren vor der ärztlichen Schlichtungsstelle
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
schon deshalb, weil das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens Auswirkungen auf eine spätere Bewilligung der Prozesskostenhilfe haben kann.404
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses Die Wirkung des Verfahrensergebnisses unterscheidet sich, wie auch bei der Frage der Fesselung an das Verfahren, nach der ADR-Form. Dabei gilt das Interesse abermals den Verfahrensergebnissen im Falle asymmetrischer Pflichtenkonstellationen, die eine Zwischenstellung zwischen einem vertraglichen Vergleich und einem verbindlichen Schiedsspruch einnehmen. Im deutschen Rechtssystem besteht nicht nur Zurückhaltung bei der Bindung des Verbrauchers, sondern auch des Unternehmers an das Verfahrensergebnis. In England wird die Ergebnisbindung der Unternehmen hingegen als konsequente Folge einer asymmetrischen Teilnahmepflicht gesehen. Im Folgenden widmet sich die Untersuchung der Wirksamkeitsvoraussetzungen und der Durchsetzbarkeit der Ergebnisse in ADR-Verfahren.
I. Symmetrisch-heteronome Bindung durch Schiedsspruch Symmetrisch-heteronome Ergebnisbindungen sind in ADR-Verfahren die Seltenheit und kommen regelmäßig nur durch einen Schiedsspruch zustande. Der rechtskräftige405 Schiedsspruch beziehungsweise „award“ ist final und bindet die Parteien ähnlich einem gerichtlichen Urteil.406 Die Entscheidung geht in ihrer Wirkung daher über eine bloße schuldrechtliche Bindung hinaus.407 Die Befugnis des Schiedsgerichts, die Streitigkeit final zu entscheiden, resultiert aus der Schiedsvereinbarung der Parteien.408
bestritten hat, LG Aurich, Beschl. v. 16.3.1984 – 6 O 58/84 = NJW 1986, 792 mit ablehnender Anmerkung Matthies; LG Dortmund, Beschl. v. 3.2.1987 – 17 O 23/86 = JZ 1988, 255 mit ablehnender Anmerkung Giesen. 404 Hierzu OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.11.1992 – 5 W 106/92 = NJW 1994, 807; so auch die Anmerkung von Matthies zu LG Aurich, Beschl. v. 16.3.1984 – 6 O 58/84 = NJW 1986, 792l, 793. 405 Nicht rechtskraftfähig sind Schiedssprüche, die den Rechtsstreit nicht erledigen, wie Zwischenentscheide über die Zulässigkeit oder Vorbehaltsschiedssprüche, s. nur Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 52019, § 1055 Rn. 4; Münch, in: MüKo ZPO, 62020, § 1055 Rn. 7. 406 § 1055 ZPO bzw. sec. 58 Arbitration Act 1996. Das englische Schiedsrecht kennt keine Definition des Begriffs „award“, welcher jedoch von Anweisungen und verfahrensrechtlichen Verfügungen des Schiedsgerichts unterschieden werden kann, St. Sutton/Gill/Gearing, Russell on arbitration, 242015, Rn. 6-002 f. 407 Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 52019, § 1055 Rn. 10; mit Einschränkungen Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1055 Rn. 8 ff. 408 Ergänzt um die gegebenenfalls vereinbarte Schiedsordnung sowie das Recht des (vereinbarten) Schiedsorts (lex loci arbitri), vgl. sec. 47 Arbitration Act 1996. Die Zuständigkeit
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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In England wird der Schiedsspruch, mit gerichtlicher Genehmigung, gleich einem staatlichen Gerichtsurteil vollstreckt.409 Vergleichen sich die Parteien in einem Schiedsverfahren, kann die Einigung in Form eines Schiedsspruchs mit vereinbarten Wortlaut (agreed award) zu Protokoll gegeben werden.410 Die Genehmigung des Gerichts darf nur bei fehlender sachlicher Zuständigkeit des Schiedsgerichts verweigert werden.411 Der Schiedsspruch selbst ist nur unter sehr engen Voraussetzungen gerichtlich angreifbar.412 Die vereinfachten Vollstreckungsmöglichkeiten gelten nur für Schiedssprüche im Anwendungsbereich des Arbitration Act 1996, nicht aber für Ergebnisse eines Adjudikationsverfahrens.413 Des Weiteren resultiert die urteilsähnliche Wirkung des Schiedsspruchs in der Anwendung der Res-judicata-Doktrin414, sodass Schiedssprüche Rechtskraft entfalten können.415 Je nach Ausgestaltung der Schiedsvereinbarung ist auch die Merger-Doktrin anwendbar.416 In Deutschland gründen die Rechtskraftwirkung und die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs auf der Qualifizierung der Entscheidung als antizipiertes Legalanerkenntnis.417 Gleiches gilt für den Schiedsspruch mit vereinbartem Wortdes Schiedsgerichts endet mit Erlass des finalen Schiedsspruchs, Andrews, Arbitration and Mediation, 2013, Rn. 15.21; St. Sutton/Gill/Gearing, Russell on arbitration, 242015, Rn. 6-005. 409 sec. 66(1) Arbitration Act 1996. 410 Dieser hat die gleiche Wirkung wie ein normaler Schiedsspruch, sec. 51(2) Arbitration Act 1996. Auf diese Möglichkeit wird auch in Verbraucherschiedsverfahren hingewiesen, etwa im von CEDR betriebenen The Glazing Arbitration Scheme, r. 3.1.8. Rules of the Independent Arbitration Scheme for the Glass & Glazing Industry, wobei diesem Verfahren unter Umständen ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorausgehen kann; ähnlich r. 8 Consumer Arbitration Rules, der für den Glücksspielsektor zertifizierten ADR Group, wonach die Bestimmungen des Arbitration Act 1996 Anwendung finden. 411 sec. 66(3) Arbitration Act 1996. 412 secs. 67–71 Arbitration Act 1996; hierzu auch St. Sutton/Gill/Gearing, Russell on arbitration, 242015, Rn. 8-060–8-063; Andrews, Arbitration and Mediation, 2013, Kap. 18. 413 A. Cameron Ltd v John Mowlem & Company Plc [1990] 52 B.L.R. 24. Die Ergebnisse eines Verfahrens nach Part 24 CPR lassen sich jedoch im Rahmen eines summarischen Entscheidungsverfahrens gerichtlich durchsetzen, St. Sutton/Gill/Gearing, Russell on arbitration, 24 2015, Rn. 2-035 m. w. N. 414 Eingehend zu den Doktrinen von meger und res judicata noch unten unter Kap. 4 D. IV. 1. 415 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Schiedsgerichte eine private Ersatzgerichtsbarkeit darstellen, vgl. Purslow v Baily (1704) 92 E.R. 190; Smith v Johnson (1812) 15 East 213, 104 E.R. 824; Northern RHA v Derek Crouch Construction Co Ltd [1984] Q.B. 644, 673, wonach ein Schiedsspruch ein issue estoppel im späteren Gerichtsverfahren bewirken könne. 416 Die Anwendbarkeit der Merger-Doktrin ist insofern strittig, als dass die Kompetenz des Schiedsgerichts zum Erlass eines Schiedsspruchs nicht wie bei Gerichten aus einer inhärenten Jurisdiktion, sondern aus der Schiedsvereinbarung selbst resultiert, hierzu Telfair Shipping Corp v Inersea Carriers SA [1983] 2 Lloyd’s Rep. 351; Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 44–46 m. w. N.; Malek/Phipson, Phipson on evidence, 182013, Rn. 43–22. 417 So Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit bei antezipiertem Legalanerkenntnis des Schiedsspruchs, 2010, S. 14; zustimmend Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 52019, § 1055 Rn. 7.
228
Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
laut nach § 1053 ZPO. Diesem liegt zwar ein materiell-rechtlicher Vergleich zugrunde, stellt jedoch ein absolutes prozessuales Gebilde dar, das in seiner Wirkung über den Prozessvergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hinausgeht.418 Zur Durchsetzung des Schiedsspruchs bedarf es einer vorherigen Vollstreckbarerklärung gemäß § 1060 Abs. 1 ZPO, die allerdings nur in den engen Grenzen der §§ 1060 Abs. 2, 1059 Abs. 2 ZPO versagt werden darf.419 Erst die rechtskräftige oder für vorläufig vollstreckbar erklärte gerichtliche Vollstreckbarerklärung selbst ist Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO.420 Gegen die Entscheidung im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist die Rechtsbeschwerde zum BGH statthaft, § 1065 Abs. 1 ZPO. Ferner besteht für die unterlegene Partei die Möglichkeit, einen Schiedsspruch mittels Aufhebungsantrag nach § 1059 ZPO anzugreifen und gerichtlich überprüfen zu lassen.421 Schiedssprüche sind nur unter den engen Voraussetzungen des § 1059 Abs. 2 ZPO überprüfbar.
II. Asymmetrische Bindung an das Verfahrensergebnis für Unternehmen Bei der Bedeutung asymmetrischer Bindungen der Unternehmen an Verfahrensergebnisse, denen nur der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat, tritt das Bedürfnis nach effektivem Rechtsschutz durch ADR wiederum in Konflikt mit dem Prinzip der Freiwilligkeit von ADR. Während die asymmetrische Ergebnisbindung des Unternehmens in England als konsequente Folge der asymmetrischen Teilnahmeverpflichtung gesehen wird, löst die deutsche Rechtsordnung diesen Konflikt zugunsten des Freiwilligkeitsprinzips auf. 1. Befolgungspflicht von Unternehmen nach englischem Recht In England geht die Teilnahmepflicht von Unternehmen mit einer Verpflichtung zur Einhaltung der Verfahrensergebnisse und Anordnungen der ADR-Stellen einher. Unerheblich ist, ob sich Unternehmen einem ADR-Verfahren heteronom oder autonom unterworfen haben. Ferner können diverse ADR-Stellen auf spezifische Durchsetzungsmechanismen zurückgreifen.
418 Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1055 Rn. 44 f.; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 2019, § 1055 Rn. 9 und 19; vgl. auch Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit bei antezipiertem Legalanerkenntnis des Schiedsspruchs, 2010, S. 58–62. 419 Die Entscheidung des zuständigen OLGs ergeht in der Regel ohne mündliche Verhandlung, sofern kein Aufhebungsgrund ersichtlich ist, § 1063 Abs. 1 ZPO. Zur Vollstreckbarerklärung inländischer Schiedssprüche, Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016, Rn. 650–686; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1060 Rn. 1–35. 420 Wolfsteiner, in: MüKo ZPO, 62022, 794 ZPO Rn. 129; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 794 Rn. 47. 421 Hierzu statt vieler, Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016, Rn. 749–793. 5
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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a) Asymmetrische Ergebnisbindung von Unternehmen Die Verpflichtung zur Befolgung eines Verfahrensergebnisses, unabhängig davon, ob der Unternehmer dem Ergebnis zugestimmt hat, ergeben sich zumindest mittelbar aus dem Gesetz. Im Zuständigkeitsbereich gesetzlich statuierter Ombudsstellen, wie dem FOS und dem Legal Ombudsman, sind Unternehmen gesetzlich an Anordnungen und Verfahrensergebnisse gebunden, denen der Beschwerdeführer zustimmt.422 Anordnungen, festgesetzte Entschädigungsleistungen sowie einvernehmliche Vergleiche sind unverzüglich umzusetzen.423 Eine heteronome Ergebnisbindung kann sich auch aus einer gesetzlichen Pflicht zur Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle ergeben, die eine vertragliche Unterwerfung des Unternehmers unter alle Verfahrensergebnisse vorsieht. Funktional betrachtet ist die Bindung auch in diesen Fällen unfreiwillig. So etwa im Energiesektor, in welchem Unternehmen verpflichtet sind, sich der Jurisdiktion einer akkreditierten ADR-Einrichtung zu unterwerfen.424 Insofern besteht für Unternehmen allerdings eine Art Kontrahierungszwang mit OS:E, der einzigen anerkannten ADR-Stelle. Die im Verfahren des OS:E bestehende asymmetrische Ergebnisbindung scheint der Gesetzgeber allerdings bereits bei Erlass des CEAR Acts 2007 intendiert zu haben.425 Ähnliches gilt für den Telekommunikationssektor, in welchem die zwei anerkannten ADR-Stellen, CISAS426 und OS:C427, eine asymmetrische Ergebnisbindung vorsehen. Die Bindung folgt hier bereits aus den General Conditions der Regulierungsbehörde und ist daher eine Art Lizenzbedingung für alle Telekommunikationsdienstleister im Vereinigten Königreich.428 Ofcom kommt bei der Ausgestaltung der General Conditions zwar ein weites Ermessen zu, jedoch ist eine asymmetrisch-heteronome Ergebnisbindung schon in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage angelegt.429
422 Für den FOS, sec. 228(5) FSMA 2000; für den Legal Ombudsman, sec. 140(5) Legal Services Act 2007. 423 DISP 3.7.12 FCA Handbook bzw. r. 5.49 Legal Ombudsman Scheme Rules. 424 Diese Pflicht folgt aus einer Verordnung des zuständigen Ministeriums, para. 3 The Gas and Electricity Regulated Providers (Redress Scheme) Order 2008. 425 Nach sec. 49(3)(d), (7) CEAR Act 2007 hat die Verfahrensordnungen der ADR-Einrichtung die Entscheidungsbefugnisse der neutralen dritten Person sowie die Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber Unternehmen zu regeln; zu den gesetzgeberischen Erwägungen bereits oben unter Kap. 3 B. I. 2. 426 r. 1.3 und 4.5.4 CISAS Rules. 427 para. 10.9 Ombudsman Service Terms of Reference. 428 General Conditions of Entitlement para. C4.3, abrufbar unter https://www.ofcom.o rg.uk/ data/assets/pdf file/0021/112692/Consolidated-General-Conditions.pdf. 429 Vgl. hierzu sec. 54(2) Communications Act 2003, „(2) OFCOM are not to approve dispute procedures unless they are satisfied that the arrangements under which the procedures have effect – [...] (f) include provision conferring power to make awards of appropriate compensation; and (g) are such as to enable awards of compensation to be properly enforced.“
230
Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Im Glückspielsektor ist die Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle ebenfalls Lizenzbedingung.430 Die Gambling Commission erwartet als Regulierungsbehörde, dass Unternehmen ADR-Verfahren nutzen, deren Entscheidung einseitig bindend ist, sofern der Streitwert GBP 10 000 nicht übersteigt.431 Darüber hinaus können sich Unternehmen den Lösungsvorschlägen einer ADR-Stelle freiwillig unterwerfen. Entsprechende Verpflichtungen können sich aus den Mitgliedschaftsbedingungen oder Verfahrensordnungen der ADR-Einrichtungen ergeben.432 Ferner kann die asymmetrische Ergebnisbindung aus der Mitgliedschaft in einem Handels- oder Berufsverband oder aus entsprechenden Verhaltenskodizes (codes of conduct) folgen.433 b) Rechtlicher Charakter von Ergebnissen in Ombudsverfahren und deren Durchsetzung Die rechtliche Natur von Lösungsvorschlägen in Ombudsverfahren, die durch die Zustimmung des Verbrauchers für beide Parteien endgültig und verbindlich (final and binding) werden, bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Einvernehmliche Lösungen, die nicht auf einem finalen Vorschlag der Ombudsperson beruhen, sind als Vergleich (compromise contract)434 der Parteien zu behandeln. Für gesetzlich statuierte Ombudsstellen ist die Bindungswirkung angenommener Lösungsvorschläge indes gesetzlich vorgesehen und entspricht dem gesetzlichen Zweck dieser Verfahren, Streitigkeiten zwischen den Parteien beizulegen (to resolve). Demgemäß wurde der FOS bereits als Gericht (court or tribunal) im Sinne des Art. 6 EMRK435 sowie als gerichtliches Entscheidungsgremium im Sinne der Doktrinen von merger und res judicata eingestuft.436 Bei den Lösungsvorschlägen handele es sich um richterliche Entscheidungen (judicial decision), die der Rechtskraft fähig sind.437 Ferner unterliegen die finalen Lösungsvorschläge einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (judcial review) und lassen sich wie Urteile eines County Court durchsetzen.438 430 Dies ergibt sich aus secs. 23–24 Gabling Act 2005 und Social responsibility code provision 6.1.1 LLCP, vgl. bereits oben unter Kap. 4 C. II. 1. 431 „We expect you to offer ADR which is binding (if accepted by the customer) for disputes which would otherwise be taken to the small claims court (disputes of not more than GBP10,000).“, https://www.gamblingcommission.gov.uk/for-gambling-businesses/Complia nce/General-compliance/ADR/Alternate-Dispute-Resolution-ADR.aspx. 432 So etwa in allen Verfahren von Ombudsman Services (auch in nicht regulierten Bereichen), para. 10.12 Terms of Reference of Ombudsman Services; beispielhaft für Verfahren von CEDR, r. 4.5.4 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules; Gleiches gilt für Verfahren von CDRL, https://www.cdrl.org.uk/. 433 Zu den verschiedenen Verhaltenskodizes, vgl. bereits oben unter Kap. 4 C. III. 1. 434 Näher hierzu noch unten unter Kap. 4 D. III. 1. 435 r. bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3 c). 436 Hierzu noch unten unter Kap. 4 D. IV. 1. 437 Dies ist Ergebnis der Anwendung der Merger-Doktrin und der Res-judicata-Doktrin, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 82. 438 Näher hierzu sogleich unter Kap. 4 D. II. 1 a).
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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Unklar ist, ob auch Lösungsvorschläge privater ADR-Stellen judicial decisions darstellen.439 Für eine solche Einstufung würde der Umstand sprechen, dass sich die tatsächlichen Verfahrensabläufe und -zwecke nicht unterscheiden und auch Schiedsgerichte, als rein private Institution, einen Streit urteilsähnlich beilegen können. Entscheidend dagegen spricht jedoch, dass die Entscheidungen gesetzlich nicht statuierter ADR-Stellen keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen und nicht urteilsgleich durchsetzbar sind. Die vom Verbraucher angenommenen Lösungsvorschläge rein privater ADR-Stellen sind daher als Vergleich (compromise agreement) zu qualifizieren.440 Einige ADR-Stellen mit asymmetrischer Ergebnisbindung haben in ihrer Verfahrensordnung Mechanismen zur Durchsetzung von Verfahrensergebnissen entwickelt. Auf gesetzlicher Basis errichtete ADR-Stellen können dabei auf stärkere Instrumentarien zurückgreifen als private ADR-Anbieter. Der stärkste Durchsetzungsmechanismus besteht für Ergebnisse, die im Verfahren des Pension Ombudsman erzielt wurden. Die Anordnungen des Pension Ombudsman sind den Urteilen eines County Courts gleichgestellt.441 Dies ist freilich auch der hybriden Sonderstellung des Pensions Ombudsman als Streitbeilegungsstelle für privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Konflikte geschuldet.442 Ähnliches gilt für Entschädigungen in Geld (money award), die der FOS getroffen und registriert hat; auch sie sind in England wie ein Urteil des County Courts durchsetzbar.443 Sofern der FOS keinen award, sondern eine direction (Anweisung) gegen das Unternehmen zur Entschädigung des Beschwerdeführers erlassen hat, ist diese mittels einer injunction (Verfügung) gerichtlich durchsetzbar.444 Sollte das Unternehmen den Verfahrensergebnissen nicht nachkommen, wird der FOS auf Nachfrage des Verbrauchers Druck auf das Unternehmen ausüben. 439 Diese Qualifizierung ist entscheidend für die Anwendung der Merger-Doktrin und der Res-judicata-Doktrin, hierzu noch unten unter Kap. 4 D. IV. 1. 440 Hierzu sogleich unter Kap. 4 D. III. 1. 441 Die Regelungen zur Durchsetzung gerichtlich festgestellter Geldforderungen finden Anwendung, sec. 151(3) Pension Scheme Act 1993; r. 2 County Court (Pensions Ombudsman) (Enforcement of Directions and Determinations) Rules 1993. Das entsprechende Vollstreckungsverfahren findet sich in Order 25 County Court Rules 1998. 442 Vgl. auch schon oben unter Kap. 4 C. II 1. Ferner besteht hier eine symmetrische Bindung beider Parteien an die Entscheidung des Pension Ombudsman, sec. 151(3) Pension Scheme Act 1993. 443 sec. 229(8)(b) und Sch. 17 para. 16(a) FSMA 2000, 16. „A money award, including interest, which has been registered in accordance with scheme rules may – (a) if a county court so orders in England and Wales, be recovered by execution issued from the county court (or otherwise) as if it were payable under an order of that court“; vgl. auch DISP 3.7.13G FCA Handbook. 444 Ein gesondertes Gerichtsverfahren ist im Gegensatz zu anderweitig geschlossenen Vergleichen nicht mehr notwendig, sec. 229(2)(b), (9) FSMA 2000; s. auch Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 26.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Der Legal Ombudsman setzt dem Beschwerdegegner zunächst eine Frist, verbindliche Verfahrensergebnisse zu befolgen.445 Finale und verbindliche Determinationen des Legal Ombudsman, nicht aber Vergleiche, kann der Beschwerdeführer vor dem High Court oder den County Courts durchsetzen.446 Darüber hinaus ist es dem Legal Ombudsman nach eigenem Ermessen selbst möglich, das Verfahrensergebnis in Einvernehmen mit dem Beschwerdeführer gerichtlich durchzusetzen.447 Das Gericht kann überdies Maßnahmen zur Befolgung einer direction (Anordnung)448 des Legal Ombudsman treffen.449 In allen von Ombudsman Services betriebenen Verfahren wird den Unternehmen eine Frist von 28 Kalendertagen zur Einhaltung verbindlicher Verfahrensergebnisse gesetzt.450 Sofern der Beschwerdegegner dieser Verpflichtung nicht nachkommen sollte, kann Ombudsman Services dadurch Druck ausüben, dass Versäumnisse an Regulierungsorgane oder Handelsverbände berichtet werden können.451 Die asymmetrisch-heteronome Ergebnisbindung für Energieversorger beruht zwar mittelbar auf einer gesetzlicher Grundlage,452 die Bindung der Unternehmen an das Verfahrensergebnis ist jedoch nur vertraglicher Natur. Mithin fehlt es, im Unterschied zum Finanz- und Rechtsdienstleistungssektor, an einer gesetzlichen Grundlage, die eine gerichtliche Durchsetzung der Verfahrensergebnisse erlauben würde. In Verfahren von CEDR453 sind teilnehmende Unternehmen durch ihre Mitgliedschaft vertraglich an Verfahrensergebnisse gebunden. CEDR setzt den Unternehmen eine Frist von 20 Werktagen zur nachweislichen Umsetzung des Verfahrensergebnisses.454 Informiert der Verbraucher CEDR, dass ein Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht fristgemäß nachkommt, trägt CEDR diesen Sachverhalt nach erneuter Fristsetzung zur Führungsebene des Unternehmens.455 Bei anhaltendem Fehlverhalten des Unternehmens kann CEDR dessen Mitgliedschaft suspendieren oder kündigen und das Fehlverhalten an die zuständige Re-
445
r. 5.42 Scheme Rules of Legal Ombudsman. r. 5.56 Scheme Rules of Legal Ombudsman; sec. 141 Legal Services Act 2007. 447 r. 5.57 Scheme Rules of Legal Ombudsman; sec. 141(5), (6) Legal Services Act 2007. Das Verfahrensergebnis ist dann so durchsetzbar, als wäre die Entschädigung in einer gerichtlichen Verfügung festgesetzt, sec. 141(2) Legal Services Act 2007. 448 Gemeint sind directions i. S. d. sec. 137(2) Legal Services Act 2007. 449 sec. 141(3) Legal Services Act 2007. 450 Die Frist beginnt mit in Kenntnissetzung über die Zustimmung des Beschwerdeführers para. 10.12 Terms of Reference of Ombudsman Services. 451 Para. 10.13(a) Terms of Reference of Ombudsman Services. 452 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 C. II. 1. 453 Hierzu gehören CEDR Aviation für den Luftfahrtsektor und CISAS für den Telekommunikationssektor. 454 Insofern werden tatsächlich entsprechende Nachweise vom Unternehmen verlangt, r. 4.6.1 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules; r. 4.6.1 CISAS Rules. 455 Die Frist beträgt 10 Tage, r. 4.6.3 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules; r. 4.6.3 CISAS Rules. 446
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gulierungsbehörde berichten.456 CEDR hat jedoch keine Befugnisse oder Instrumentarien zur zwangsweisen Durchsetzung der Entscheidungen der Adjudikatoren.457 Ähnliches gilt für das von CDRL betriebene „AviationADR“.458 Kraft der Mitgliedschaftsbestimmungen kann die Nichteinhaltung eines Verfahrensergebnisses mit einer Geldstrafe in Höhe GBP 100 sanktioniert werden.459 Im Glücksspielsektor sind Lizenzinhaber an Verfahrensergebnisse mit einem Streitwert von bis zu GBP 10 000 gebunden. Die Verfahrensordnung von IBAS, dem größten ADR-Anbieter im Glücksspielsektor, sieht keine besonderen Durchsetzungsmechanismen vor, jedoch können Glücksspielbetreiber bei anhaltenden Verstößen ausgeschlossen werden.460 IBAS kann die Einhaltung des Verfahrensergebnisses daher nicht erzwingen, dies wäre nach eigener – freilich etwas pauschaler – Aussage in 99 % der Fälle aber ohnehin kein Problem.461 Entscheidungen der statutory ombudsman schemes unterliegen, wie bereits erwähnt, der judicial review vor dem High Court, Part 54 CPR.462 In Verfahren des FOS und des Legal Ombudsman, in denen die Verbindlichkeit der Entscheidung durch die Zustimmung des Verbrauchers bedingt ist, besteht im Grunde nur beim Unternehmer Interesse an einer judicial review. Die Anfechtung der Entscheidungen ist jedoch auf eine Willkürkontrolle nach Maßstäben der „Wednesbury unreasonableness“ begrenzt. Das Gericht wird die Entscheidung des Ombudsmanns daher nur aufheben, sofern sie außerhalb der Bandbreite vernünftiger Antworten auf den Sachverhalt fällt.463 Der den Verfah456
r. 4.6.4 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules; r. 4.6.4 CISAS Rules. r. 4.6.5 CISAS Rules. In Verfahren von CEDR Aviation wurden alle von Verbrauchern akzeptierte Verfahrensergebnisse eingehalten, CEDR, Annual Report (Apr 20 – Mar 21), 2021, S. 4. 458 Teilnehmende Unternehmen sind auch hier vertraglich durch Zustimmung zu den Mitgliedschaftsbestimmungen an endgültige Entscheidungen des Adjudikators gebunden, r. 10(1) „Airline“ Scheme Rules. 459 Es sei denn, die Fluggesellschaft hat eine faire und angemessene Erklärung für den Verstoß, r. 11 „Airline“ Scheme Rules. Auch wenn eine geringe Anzahl der Verfahrensergebnisse in Frage gestellt wurden, wären alle erfüllt worden, CDRL, Annual report 2017, 2017, Rn. 8. 460 paras. 23–26 IBAS Terms of Use, abrufbar unter https://www.ibas-uk.com/how-ibas-w orks/terms-of-use/. 461 „We would strike off our register any company that refused to comply with an IBAS ruling [...] but we have no legal powers to force a company to make a payment. If our Panel adjudicate in your favour we will do everything that we can to ensure that you are paid and there are no problems in 99 % of the cases that we consider.“, https://www.ibas-uk.com/consu mers/consumer-faq/. IBAS weist sogar Befolgungsraten von 100 % (2019/2020) bzw. 92 % (2020/2021) aus, IBAS, Comparative Annual Statistical Reporting 2019–2021, 2021, S. 2. 462 Dies betrifft den FOS; Legal Ombudsman sowie den Pension Ombudsman, hierzu sogleich unter Kap. 4 D. II. 1. b). 463 Hierzu R. (on the application of Cook) v Financial Ombudsman Service [2009] EWHC 426 (Admin), 2009 WL 592557 Rn. 38; R (Crawford) v The Legal Ombudsman [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 21 m. w. N.; Ejiofor v Legal Ombudsman [2016] EWHC 1933 (Admin), [2016] 4 Costs L.R. 759 Rn. 42. 457
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
ren zugrunde liegende Fair-and-reasonable-Standard führt außerdem zu einem denkbar weiten Ermessensspielraum der Ombudsperson.464 Hält die Entscheidung der gerichtlichen Prüfung dennoch nicht stand, hebt das Gericht diese mittels einer quashing order auf und verweiset den Fall zur erneuten Entscheidung zurück an die ADR-Stelle.465 2. Befolgungspflicht des Unternehmers nach deutschem Recht Anders als die Rechtsordnung Englands kennt das deutsche Recht keine asymmetrisch-heteronome Bindung an Ergebnisse aus ADR-Verfahren. Die einseitige Unterwerfung unter Schlichtungsvorschläge wird zwar in § 19 Abs. 4 VSBG vorausgesetzt,466 ist in Deutschland jedoch stets vertraglicher Natur. a) Asymmetrisch-autonome Ergebnisbindung von Unternehmen Wie auch die Teilnahmepflicht kann sich eine asymmetrische Bindung an Schichtungsvorschläge einer ADR-Stelle aus der Satzung deren Trägervereins sowie aus separater vertraglicher Abrede ergeben.467 Nur selten wird sich eine Bindungswirkung allein aus dem Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer ergeben.468 Mit der Zustimmung beider Parteien zur Nutzung von ADR wird die Verfahrensordnung Bestandteil des dreiseitigen Vertrags zur Verfahrensdurchführung zwischen den Parteien und der ADR-Stelle.469 Sieht die Verfahrensordnung eine einseitige Ergebnisbindung vor, wird diese Pflicht des Unternehmens Vertragsbestandteil. Eine einseitige Bindung an Schlichtungsvorschläge besteht, bis zu einem Streitwert von EUR 10 000, in Verfahren des Versicherungsombudsmanns470, des Ombudsmanns der privaten Banken471, der Ombudsstelle für Sachwerte und In464 Hierzu R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Services Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 13; R (Crawford) v The Legal Ombudsman [2014] EWHC 182 (Admin), [2014] 4 Costs L.O. 560 Rn. 20–21. 465 rr. 54.2(c), 54.19 CPR. 466 Zutreffend Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 75; Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 34. 467 So auch Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 76; zu den einseitigen Teilnahmeverpflichtungen von Unternehmen bereits oben unter Kap. 4 C. III. 2. 468 Die Möglichkeit einer solchen vertraglichen Abrede bejahend, Röthemeyer, in: Roder/ Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 76. 469 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 5 Rn. 35–39; Steike, in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 5 Rn. 2; Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 2 2021, § 5 Rn. 6 f. Hingegen nimmt Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 142 f. zwei separate Dienstverträge zwischen der ADR-Stelle einerseits und dem Antragsteller und Antragsgegner andererseits an. 470 Nur in Verfahren gegen Versicherungsunternehmen, § 5 Abs. 2 Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e.V. i. V. m. §§ 10 Abs. 3, 11 Abs. 1 VomVO. 471 § 6 Abs. 5 lit. a) Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken. Im Falle des Bankenombudsmanns muss neben der Mitgliedschaft im Bankenverband eine gesonderte
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vestmentvermögen472 und der Ombudsstelle für Investmentfonds473. Schlichtungssprüche im Schlichtungsverfahren der privaten Bausparkassen sind für Mitglieder bis zu einem Streitwert von EUR 5 000 verbindlich.474 Die Schlichtungsvorschläge der SNUB – Die Nahverkehr-Schlichtungsstelle sind für Unternehmen bis zu einem Streitwert von EUR 500 verbindlich.475 Verkehrsunternehmen können sich den Schlichtungsempfehlungen der söp durch die Abgabe einer Erklärung mit Selbstbindungswirkung unterwerfen.476 „Schiedssprüche“ der nicht nach dem VSBG anerkannten Kfz-Schiedsstelle sind einseitig für KfzBetriebe verbindlich.477 b) Rechtlicher Charakter der Schlichtungsvorschläge mit asymmetrischer Bindung Die Rechtsnatur einer vertraglichen Einigung, die durch Annahme eines Schlichtungsvorschlags, an den das Unternehmen asymmetrisch gebunden ist, zustande kommt, weist Besonderheiten gegenüber einem üblichen Vergleich auf. Nahe liegt die Annahme eines Vergleichs, zu dem das Unternehmen vorab seine Zustimmung erteilt hat. Die Erklärung des Unternehmers, sich den Ergebnissen der ADR-Verfahren zu unterwerfen, geht jedoch weiter und richtet sich auf alle künftigen noch unbekannten Schlichtungsvorschläge, sodass die Erklärung eher prozessuale als materiell-rechtliche Wirkungen entfaltet.478 Die abstrakte Unterwerfung unter die Schlichtungsvorschläge einer ADRStelle wecken unweigerlich Assoziationen zu einem Schiedsvertrag im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO oder einem Schiedsgutachten und damit einer Leistungsbestimmung durch Dritte nach § 317 BGB.479 Aufgrund der Asymmetrie der ErgebnisUnterwerfung unter das Schlichtungsverfahren erfolgen, so richtig erkannt von Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 277. 472 § 7 Abs. 3 Satzung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen (e.V.) i. V. m. § 17 Abs. 4 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen (e.V.). 473 § 15 Abs. 4 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds; näher zur Ombudsstelle für Investmentfonds, Sachse, Kreditwesen 2017, 72 ff. 474 Dies ist zwar nicht der Verfahrensordnung, wohl aber den Informationen auf der Internetpräsenz zu entnehmen, abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-bausparen.de/i ndex.php?id=31. 475 § 6 Abs. 2 Satzung der SNUB – Die Nahverkehr-Schlichtungsstelle e.V. i. V. m. § 11 der Verfahrensordnung der SNUB. Verfahren, die einen Streitwert von EUR 500 übersteigen, sind grundsätzlich unzulässig, § 2 Abs. 5 lit. a) der Verfahrensordnung der SNUB. 476 § 10 Abs. 1 söp Verfahrensordnung. 477 Aufgrund dieser einseitigen Bindung handelt es sich bei dem Verfahrensergebnis trotz entsprechender Bezeichnung nicht um einen Schiedsspruch i. S. d. § 1055 ZPO. 478 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 78. 479 Für eine Einordnung als Schiedsspruch, Jordans, VuR 2003, 253, 260; dahin gehende Erwägungen macht auch Hopt, in: Hopt, HGB, 412022, (7) Bankgeschäfte A/56; für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über das schiedsrichterliche Verfahren, Arendts, ZAP (Fach 8) 1995, 237, 238; vgl. monografisch auch Joussen, Schlichtung als Leistungsbestimmung und Vertragsgestaltung durch einen Dritten, 2005.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
bindung kommt eine (analoge) Anwendung dieser Vorschriften indes nicht in Betracht.480 Richtigerweise kann die Rechtsordnung einem Schlichtungsvorschlag nicht dasselbe Vertrauen entgegenbringen, wie einem gerichtlichen Urteil, sodass eine Einordnung als Schiedsspruch nicht gerechtfertigt ist.481 Gleichwohl liegt es auf der Hand, dass der nur vom Verbraucher angenommene Schlichtungsvorschlag für das Unternehmen rechtlich verbindlich sein muss. Zur Herbeiführung einer materiell-rechtlichen Bindung wird vertreten, dass sich das Unternehmen nach Treu und Glaube, § 242 BGB, unter dem Aspekt des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) an den Schlichtungsvorschlag festhalten lassen muss.482 Ferner kommt eine Einordnung des Schlichtungsvorschlags als vertragliches Schuldanerkenntnis483 nach § 781 BGB sowie als ein Vertrag zugunsten Dritter484 in Betracht. Demnach würde ein einseitig verpflichtender Vertrag zwischen dem Unternehmen und der ADR-Stelle zustande kommen, der eine unbestimmte Anzahl an Verbrauchern begünstigt.485 Eine solche Konstruktion konterkariert jedoch die Prinzipien der Unabhängigkeit und Neutralität von ADR-Stellen, da hierdurch eine engere Beziehung der ADR-Stelle zum Unternehmen als zum Verbraucher begründet würde.486 Letztlich bedarf es jedoch keines abgeleiteten Forderungsrechts des Verbrauchers aus der Unterwerfungserklärung des Unternehmens. Die Verpflichtung zur Ein-
480 So Hoeren, NJW 1992, 2727, 2731; Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 119–124; Röthemeyer, in: Roder/ Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 79; grundsätzlich auch Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 55–89, 108–110, der sich jedoch für eine analoge Anwendung der Vorschriften des Schiedsverfahrens auf den allein schutzbedürftigen Antragsgegner ausspricht. 481 In diese Richtung auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 282, der überdies zutreffend darauf abstellt, dass eine einseitige Bindung für einen Schiedsspruch wesensfremd sei. 482 So Hoeren, NJW 1992, 2727, 2731; wohl auch Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 126 f.; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 283 f. 483 Für eine Qualifikation als bedingtes Schuldanerkenntnis des Antragsgegners, Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 99–101; vgl. hierzu Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 126. 484 Eine drittbegünstigende Wirkung i. S. d. § 328 BGB bejahend, Höche, in: Schimansky/ Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 52017, 1, 98; Thessinga, in: Ebenroth/Boujoung/Jost/Strohn, HGB, 42020, I 1-I 100, A. I Rn. 93. 485 Die Drittbegünstigung liege darin, dass der Verbraucher allein aus dem Schlichtungsspruch klageweise vorgehen könne und die Bank materiell-rechtlich auf die Geltendmachung von Einwendungen aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis verzichtet, Höche, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 52017, 1, 99. 486 Insofern zutreffend Gude, Der Ombudsmann der privaten Banken in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz, 1999, S. 125 f.; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 283.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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haltung von Schlichtungsvorschlägen ergibt sich regelmäßig aus der Verfahrensordnung, die als AGB Bestandteil des dreiseitigen Dienstvertrags zwischen den Parteien und der ADR-Stelle wird.487 Im Falle der Säumnis des Unternehmens kann der Verbraucher aus dem Schlichtungsvorschlag unter Verweis auf den dreiseitigen Schlichtungsvertrag klageweise vorgehen. Zuzustimmen ist daher der Auffassung Röthemeyer’s, nach der durch die Annahme eines den Unternehmer einseitig bindenden Schlichtungsvorschlags ein Vertrag sui generis zustande kommt, auf den das allgemeine Vertragsrecht Anwendung findet.488
III. Symmetrisch-autonome Bindung an das Verfahrensergebnis Eine symmetrisch-autonome Ergebnisbindung bedeutet, dass die Streitigkeit von keiner der Parteien zur finalen Streitbeilegung unterworfen wurde. Den Parteien steht es folglich frei, ihren Streit einvernehmlich durch Vergleich („settlement“) beizulegen, etwa in dem sie sich einen Lösungsvorschlag der ADR-Stelle zu eigen machen. Das Verfahrensergebnis reflektiert einen Vertrag, durch den die Parteien ihr Verhältnis für die Zukunft regeln. 1. Wirkung des Compromise Agreement nach englischem Recht Nach englischem Recht handelt es sich bei einem Vergleich (settlement), um einen vertraglichen Kompromiss der Parteien (contract of compromise). Dessen Wirksamkeit, Interpretation und Durchsetzung richtet sich nach allgemeinem Vertragsrecht.489 Zur Wirksamkeit eines compromise bedarf es daher einer vollständigen und bestimmten Vereinbarung, Rechtsbindungswillen, consideration sowie gegebenenfalls der Einhaltung bestimmter Formerfordernisse.490 Durch den ausdrück-
487 Die Selbstverpflichtung entfaltet insofern materiell-rechtliche Wirkung, als dass sich das Unternehmen der Bindung an das Verfahrensergebnis nicht entziehen kann, sowie prozessuale Wirkung in Form eines peremptorischen Klageausschlusses des Unternehmers gegen die Forderungen des Verbrauchers mittels negativer Feststellungsklage vorzugehen, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 284. 488 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 80; im Ergebnis wohl auch Höche, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 52017, 1, 98. 489 Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 3-01; Blake/ Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 18.07; Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28–037; zu den Vertragsgrundsätzen für Vergleiche, Blake/ Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 17.03. 490 Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 3-01; Vergleiche unterliegen keinen gesetzlichen Formerfordernissen. Ausnahmen gelten nur für Grundstücke, Sicherheiten und für den Fall, dass die Parteien ihren Vergleich durch eine offizielle Urkunde schließen, Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 7 2010, Rn. 3-71–3-75; Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28–34. Um Unsicherheiten zu vermeiden, sind Schriftformerfordernisse für Vergleiche in Mediations-
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
lichen Verweis darauf, dass der Vergleich vollständig und endgültig (full and final) ist, machen die Parteien regelmäßig deutlich, dass die Streitigkeit nicht mehr justiziabel sein soll.491 Der unanfechtbare Vergleich tritt damit an die Stelle der Streitigkeit.492 Die nach englischem Recht erforderliche consideration493 liegt bei einem compromise in der Regel darin, dass der Beschwerdeführer den Beschwerdegegner von einem wirksamen Anspruch freistellt und auf dessen weitere Verfolgung verzichtet.494 Dies gilt auch für rechtlich zweifelhafte Ansprüche, da zumindest die Möglichkeit eines Nachteils für den Anspruchssteller und eines Vorteils für den Anspruchsgegner besteht.495 Consideration ist selbst beim Verzicht auf einen unbegründeten Anspruch gegeben, sofern die Forderungen im guten Glauben geltend gemacht werden.496 Dem steht das Versprechen des Beschwerdegegners gegenüber, die vereinbarte Entschädigung zu zahlen.497 Die Parteien können sich vom Vergleich nur lösen und die ursprüngliche Streitigkeit wieder aufleben lassen, wenn dies eine entsprechende Bestimmung im Falle der Nichtleistung vorsieht.498 Weiterhin kann die Wirksamkeit des Ver-
vereinbarung nicht unüblich, Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 18.06; Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28–30. 491 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 18.08 f. Aus dem Wortlaut des Vergleichs sollte klar hervorgehen, ob und inwieweit die Bestimmungen für die Parteien verbindlich sind, Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28–032. Die verglichenen Ansprüche können gerichtlich nicht mehr geltend gemacht werden, Plumley v Horrell (1869) 20 L.T. 473, zitiert in Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 6–01; Knowles v Roberts (1888) 38 Kap. D. 263, 272. 492 Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 6-01; Prudential Assurance Co Ltd v McBains Cooper [2000] 1 W.L.R. 2000 Rn. 19. 493 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 C. III. 1. 494 Callisher v Bischoffsheim (1870) L.R. 5 Q.B. 449, 452; Miles v New Zealand Alford Estate Company (1886) 32 Kap. D. 266, 291; hierzu auch Pullin v Stokes (1794) 2 H.Bl. 312, 315; Bank of Credit and Commerce International SA v Ali [2001] UKHL 8; Satyam Computer Services Ltd v Upaid Systems Ltd [2008] EWCA Civ 487, S. auch Peel/Treitel, The Law of contract, 142015, Rn. 3-034 m. w. N.; Beale/Burrows, Chitty on contracts, 2017, Rn. 4-048; Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 3-03–3-06. 495 Haigh v Brooks (1839) 10 Adol. & El. 309, 113 Eng. Rep. 119; Peel/Treitel, The Law of contract, 142015, Rn. 3–37. 496 Worin genau die consideration in diesem Fall liegt, ist umstritten, hierzu Peel/Treitel, The Law of contract, 142015, Rn. 3-038 m. w. N. Hingegen besteht keine consideration bei Vergleichen über Ansprüche, von denen der Anspruchsinhaber weiß, dass sie nicht bestehen oder unbegründet sind, Jones v Ashburnham (1804) 4 East 455, 468; Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 2–19. 497 Peel/Treitel, The Law of contract, 142015, Rn. 3–34. 498 Der Vergleich muss dies ausdrücklich als Lösung für den Fall der Nichtleistung vorsehen, Smith v Shirley and Bayliss (1875) 32 L.T. 234; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 20.03. Ggf. kann dem Gläubiger dahingehend ein Wahlrecht eingeräumt werden, ob dieser aus dem Vergleich vorgeht oder sich aus diesem entbinden lässt, Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28–45.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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gleichs durch die Leistung einer der Parteien bedingt sein, sodass diese Partei bis zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Vergleich weiter aus den ursprünglichen Ansprüchen verpflichtet bleibt.499 Auch die „Anfechtung“500 eines compromise agreement ist nur unter engen Bedingungen möglich, etwa aufgrund einer arglistigen Täuschung (fraud or misrepresentation),501 eines Irrtums502 oder aufgrund der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Zwangslage (economic duress or undue influence)503. Häufig werden ADR-Verfahren dadurch beendet, dass sich die Parteien Empfehlungen der ADR-Stellen durch ihre (vorab erklärte) Zustimmung zu eigen machen und somit einen Vergleich mit dem Inhalt des Schlichtungsvorschlags schließen. Bei Lösungsvorschlägen gesetzlich statuierter Ombudsstellen, die mit der Zustimmung des Verbrauchers verbindlich werden, handelt es sich indes um richterliche Entscheidung (judcial decision).504 Dabei ist es unerheblich, dass die Entscheidung zum Zeitpunkt ihrer Unterbreitung noch nicht verbindlich ist, entscheidend ist nur, dass sie letztlich verbindlich wird. Das Vorliegen von consideration bei solchen Vergleichen bestimmt sich nach den soeben ausgeführten allgemeinen Regeln und ist nur entbehrlich, sofern das Unternehmen, wie bei Verfahren von Ombudsman Services, die Einhaltung der Schlichtungsvorschläge durch deed poll verspricht.505 Problematisch erscheinen ohnehin nur die Fälle, in denen die Entscheidung der ADR-Stelle eine volle Entschädigung oder sogar eine Überkompensation des Verbrauchers vorsieht, die ein Gericht nicht hätte zusprechen können. Fraglich erscheint insofern, ob der Verzicht des Beschwerdeführers auf die gerichtliche Verfolgung seiner An-
499 British Russian Gazette & Trade Outlook Ltd v Associated Newspapers Ltd [1933] 2 K.B. 616, 654 f.; Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 4 2016, Rn. 23.07. 500 Der Begriff der Anfechtung wird in diesem Kontext untechnisch verwendet und verweist nicht notwendigerweise auf eine Anfechtung einer der Willenserklärungen zum Abschluss des Vergleichs. 501 Im Falle von fraud kommt der betrogenen Partei ein Rücktrittsrecht vom Vergleich zu, während das Gericht bei einer schuldlosen oder fahrlässigen Täuschung Schadensersatz statt einem Rücktrittsrecht zusprechen kann, Sharland v Sharland [2015] UKSC 60 Rn. 31; Blake/ Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 20.08; für den Fall einer consent order bei schuldloser Täuschung, Dietz v Lennig Chemicals Ltd [1969] 1 A.C. 170; s. auch Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 4-37–4-51 m. w. N. 502 Möglich ist ein gemeinsamer Irrtum über tatsächliche Umstände oder die Ausnutzung eines einseitigen Irrtums, Huddersfield Banking Co Ltd v Henry Lister & Son Ltd [1895] 2 Kap. 273, 283 sowie ein gemeinsamer Rechtsirrtum, Brennan v Bolt Burdon [2003] EWHC 2493 (QB) Rn. 41, hierzu auch Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 7 2010, Rn. 4-21–4-29 m. w. N. 503 Auch wirtschaftlicher Druck kann die Voraussetzungen von duress erfüllen, Dimskal Shipping Co SA v International Transport Workers Federation [1992] 2 A.C. 152, 165; s. auch Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 4-62–4-68 m. w. N. 504 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 D. II. 1. b) und sogleich unter Kap. 4 D. IV. 1. 505 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 C. III. 1.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
sprüche einen Nachteil darstellt, da der Zivilprozess gegenüber einem Vergleich offenkundig keine Vorteile böte.506 Gleichwohl wird der Verzicht auf den Zugang zu den Gerichten bei formaler Perspektive für eine hinreichende consideration des Beschwerdeführers ausreichen. Verpflichtungen aus dem compromise agreement sind im Wege gerichtlicher Klage durchzusetzen.507 Vor englischen Gerichten kann auf Schadensersatz, spezifische Leistung sowie Unterlassung geklagt werden.508 Enthält der Vergleich detaillierte Verpflichtungen, etwa in Form der genauen Höhe der zu zahlenden Entschädigung und ein Zahlungsziel, wird die Vertragsverletzung der nicht leistenden Partei in der Regel offenkundig sein.509 Mangels vernünftiger Verteidigungsmöglichkeiten beziehungsweise ernsthaften Erfolgsaussichten des Beklagten, kann das Gericht entweder ein Versäumnisurteil (default judgment) erlassen510 oder nach summarischer Prüfung (summary judgment)511 entscheiden.512 Werden die ursprünglichen Ansprüche ungeachtet des Abschlusses eines wirksamen Vergleichs (weiterhin) gerichtlich geltend gemacht, kann der Beklagte den Vergleich als Verteidigung gegen die Ansprüche einwenden oder die Aussetzung des Verfahrens beantragen.513 Über die Frage, ob ein wirksamer Vergleich besteht, wird üblicherweise in einem Zwischenverfahren entschieden.514 2. Wirkung des Vergleichs nach deutschem Recht Das Ergebnis erfolgreicher Mediations- oder Schlichtungsverfahren richtet sich, wie auch in England, nach allgemeinem Vertragsrecht, sodass das Verfahren regelmäßig mit einem Vergleich der Verfahrensparteien im Sinne des § 779 BGB endet.515 Dieser kann sowohl eigenständig als auch auf Vorschlag der neutralen dritten Person geschlossen werden. 506 Etwas anderes könnte sich noch daraus ergeben, dass die obsiegende Partei Rechtsverfolgungskosten gerichtlich einklagen könnte. 507 Freilich nur insofern, als dass der Vergleich nicht selbst eine ADR-Vereinbarung enthält. 508 Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28-038; zur gerichtlichen Durchsetzung eines compromise agreements, Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Kap. 11. 509 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 20.05; Brown/Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 28-039. 510 Sofern sich der Beklagte nicht innerhalb von 14 Tage nach Zustellung der Klage einlässt, Part 12 CPR. 511 Dies gilt für den Fall, dass sich der Beklagte einlässt, r. 24.2 CPR. 512 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 20.05; zu speziellen und generellen Verteidigungsmöglichkeiten gegen Ansprüche aus einem compromise agreement, Blake/Browne/Sime, A practical approach to alternative dispute resolution, 42016, Rn. 32.15 f. Die Durchsetzung des gerichtlichen Urteils bestimmt sich nach dem englischen Vollstreckungsprozess, hierzu Andrews, Andrews on civil processes, 2013, Kap. 17. 513 Eden v Naish (1878) 7 Kap. D. 781; Snelling v John G Snelling Ltd [1973] Q.B. 87, 99; Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 11-03. 514 Foskett, in: ders. (Hrsg.), The law and practice of compromise, 72010, Rn. 11-03. 515 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 249 und 258; Prütting, in: Altham-
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Der Vergleich kann zum Entstehen und Erlöschen von Rechten und Ansprüchen sowie der Umgestaltung von Schuldverhältnissen führen, wobei grundsätzlich von einem Fortbestehen des ursprünglichen Rechtsverhältnisses auszugehen ist.516 Besteht der Vergleich im Hinblick auf die streitige Forderung in einem gegenseitigen Entgegenkommen, enthält er einerseits einen teilweisen Forderungserlass im Sinne des § 397 BGB und andererseits ein schuldbegründendes Anerkenntnis.517 Der Vergleich beendet den Rechtsstreit, anders als das compromise agreement, zwar nicht endgültig, stellt der weiteren Rechtsverfolgung jedoch materiell-rechtliche Einwände entgegen.518 Analog zur Thematik der consideration nach englischem Recht, stellt sich die Frage, ob ein erforderliches gegenseitiges Nachgeben im Sinne des § 779 BGB auch dann vorliegt, wenn dem Verbraucher seine Ansprüche vollumfänglich zugesprochen werden.519 Teilweise wird angenommen, dass es sich bei einem Verfahrensergebnis ohne jegliche Zugeständnisse nicht um einen Vergleich, sondern um ein Anerkenntnis nach § 781 BGB handelt.520 Dabei ist leicht zu übersehen, dass der Antragsteller mit Abschluss des Vergleichs zugleich auf die weitere gerichtliche Geltendmachung seiner Forderungen verzichtet.521 Das englische Recht behandelt einen solchen Rechtswegverzicht als ausreichende consideration.522 Dieser Gedanke kann auch auf das deutsche Recht übertragen werden, da
mer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 36; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/ Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 63; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 69; Fischer, in: BeckOK BGB, 612022, § 779 Rn. 21; so auch § 10 Abs. 2 söp Verfahrensordnung. 516 Ein Vergleich wirkt regelmäßig nicht schuldumschaffend (Novation), BGH, Urt. v. 25.6.1987 – VII ZR 214/86 = NJW-RR 1987, 1426, 1427; BGH, Urt. v. 7.3.2002 – III ZR 73/01 = NJW 2002, 1503; s. auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 258 und 261. 517 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 261; hierzu auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 201. 518 Zu den prozessualen Wirkungen eines materiell-rechtlichen Vergleichs, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 263;Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 BGB Rn. 39; Hau, in: Staudinger, BGB, 2020, § 779 Rn. 107–109; eingehend BAG, Urt. v. 9.7.1981 – 2 AZR 788/78 = NJW 1982, 788 f.; BGH, Urt. v. 4.7.2014 – V ZR 298/13 = NJW 2014, 3314, 3315; hierzu sogleich unter Kap. 4 D. IV. 2. 519 Ausreichend ist ein irgendwie geartetes, ggf. nur subjektiv wahrgenommenes, Zugeständnis, etwa hinsichtlich der Fälligkeit oder der Zinsen, BGH, Urt. v. 31.1.1963 – III ZR 117/62, BGHZ 39, 60 = NJW 1963, 637; BGH, Urt. v. 6.11.1991 – XII ZR 168/90 = NJW-RR 1992, 363, 364; BGH, Beschl. v. 1.3.2005 – VIII ZB 54/04 = NJW-RR 2005, 1303, 1304; Hau, in: Staudinger, BGB, 2020, § 779 53 ff.; Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 BGB Rn. 27. 520 So Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 63; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 67; wohl auch Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 10. 521 Sofern ein Klageverzicht nicht ausdrücklich im Vertrag aufgenommen wird, steht der Vergleich zumindest materiell-rechtlich einer weiteren Rechtsverfolgung entgegen. 522 Hierzu soeben unter Kap. 4 D. III. 1.
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prozessuale Abreden523 als Vergleichsinhalt keine Besonderheit sind. Gleichwohl dürfte die ausdrückliche Vereinbarung eines Klageverzichts die Ausnahme bleiben.524 Entsprechende Regelungen könnten auch in den Verfahrensordnungen der ADR-Stellen enthalten sein.525 Der Vergleichsvertrag kommt im Falle eines Schlichtungsvorschlags durch die formlose526 Annahmeerklärung beider Parteien gegenüber der ADR-Stelle zustande. Letztere agiert dabei als Empfangsvertreterin der Parteien nach § 164 Abs. 3 BGB.527 Einwendungen und Einreden gegen Pflichten aus einem Vergleich können sich sowohl aus einer Unwirksamkeit des Vergleichs ex tunc als auch einer späteren Lösung vom Vergleich ergeben. Einen speziellen Nichtigkeitsgrund im Falle eines beiderseitigen Irrtums über die tatsächliche Vergleichsgrundlage enthält § 779 Abs. 1 BGB.528 Fehlvorstellungen über Rechtsfragen werden hiervon nicht umfasst,529 sondern sind nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage zu behandeln.530 Daneben sind die Willenserklärungen auf Abschluss eines Vergleichs nach den §§ 119 ff. BGB anfechtbar.531 Da die Parteien über die Wirkung einer Annahmeer523 Zu prozessualen Abreden in Vergleichen, Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 BGB Rn. 16 m. w. N. 524 Vgl. Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 12. 525 Dies könnte einem Umkehrschluss aus § 6 Abs. 5 lit. a) und c) Verfahrensordnung des Bankenombudsmanns zu entnehmen sein, nach welcher der Gerichtsweg nur bei Nichtannahme des Schlichtungsvorschlags offen steht. 526 Formerfordernisse können sich allerdings aus der Verfahrensordnung der ADR-Stelle oder dem zugrunde liegenden Rechtsgeschäft ergeben, hierzu Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 66–67; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 62. 527 Es bedarf keiner Weiterleitung der Annahmeerklärungen an die Parteien, § 130 Abs. 1 BGB. Das Angebot auf Abschluss eines Vergleichs erfolgt durch die zuerst eingegangene Annahmeerklärung, das durch die zweite Annahmeerklärung angenommen wird. Eine nicht fristgemäße erklärte zweite Annahmeerklärung kann ein neues Angebot auf Abschluss eines Vergleichs darstellen, eingehend Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 19 Rn. 64–71; vgl. ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 61; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 10. 528 Dieser kommt nur in Betracht, wenn die Parteien in Kenntnis der Sachlage keinen Anlass zum Abschluss des fraglichen Vergleichs gehabt hätten, Sprau, in: Grüneberg, BGB, 81 2022, § 779 Rn. 17; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 318; Hirsch, ZKM 2015, 141, 143. 529 Dies ist umstritten, für eine Subsumtion unter § 779 Abs. 1 BGB, Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 Rn. 65; Hau, in: Staudinger, BGB, 2020, § 779 BGB Rn. 145; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 212; die Rechtsprechung verneint dies hingegen, RG, Urt. v. 12.4.1938 – VII 220/37, RGZ 157, 266; BGH, Urt. v. 7.6.1961 – VIII ZR 69/60 = NJW 1961, 1460; BGH, Urt. v. 18.12.2007 – XI ZR 76/06 = NJW-RR 2008, 643, 644. 530 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 320; vgl. auch BGH, Urt. v. 23.10.1957 – V ZR 219/55, BGHZ 25, 390 = NJW 1958, 297, 298. 531 Die wirksame Anfechtung hätte gem. § 142 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit des Vertrags ex tunc zur Folge.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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klärung unterrichtet werden, kommen allenfalls Inhaltsirrtümer nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB in Betracht.532 Bei einseitigen Fehlvorstellungen über die Vergleichsgrundlage handelt es sich grundsätzlich um einen unbeachtlichen Motivirrtum.533 Eine Täuschung der neutralen dritten Person, etwa über die Rechtstreue des Schlichtungsvorschlags, die eine der Parteien im Vertrauen hierauf zum Vergleichsschluss bewegt hat, berechtigt gemäß § 123 Abs. 2 S. 1 BGB nur zur Anfechtung, wenn der andere Vertragsteil die Täuschung zumindest kennen musste.534 Führt eine Partei die andere in den Verhandlungen fahrlässig in die Irre, erkennt die Rechtsprechung ein Vertragsaufhebungsrecht aus vorvertragliche Pflichtverletzung an.535 Des Weiteren sind Vergleiche gemäß §§ 134, 138 BGB nichtig, wenn sie gegen ein Verbotsgesetz oder die guten Sitten verstoßen. Mithin ist die Unwirksamkeit eines Vergleichs denkbar, der unter Missachtung zwingenden Verbraucherrechts zustande gekommen ist.536 Zusätzlich kann Verbrauchern beim Abschluss eines Vergleichs ein Widerrufsrecht nach den §§ 355, 312g Abs. 1 BGB zustehen, da sich die Situation für den Verbraucher durch Abänderung des bestehenden Vertrags oder durch Verzichtserklärungen wie bei einem neuen Vertragsabschluss darstellt.537 Anwendbar ist das Widerrufsrecht allerdings nur in den seltenen Fällen, in denen der Vergleich das bestehende Rechtsverhältnis nicht nur modifiziert, sondern eine Schuldumschaffung (Novation) bewirkt.538 Unabhängig davon greift der Schutzzweck der Widerrufsrechte nicht, wenn der Vergleich nach umfassender Unterrichtung einer anerkannten ADR-Stelle vereinbart wird.539 Weitergehend möchte Kotzur Unternehmen im Falle einer asymmetrischen Ergebnisbindung ein prozessuales und materiell-rechtliches Lösungsrecht von
532 Die Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB bleibt von § 779 Abs. 1 BGB unberührt, BGH, Urt. v. 4.5.1983 – VIII ZR 94/82 = BGHZ 87, 227 = NJW 1983, 2034, 2035; Sprau, in: Grüneberg, BGB, 812022, § 779 BGB Rn. 26; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 323. 533 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 322. 534 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 325; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 212; vgl. Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 Rn. 62. 535 Jedenfalls dann, wenn der Vergleich wirtschaftlich belastend ist; der Anspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 i. V. m. 249 Abs. 1 BGB, BGH, Urt. v. 26.9.1997 – V ZR 29/96 = NJW 1998, 302, 303–305; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 326. 536 Dies ist im Einzelnen umstritten, eingehend hierzu noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2. a). 537 Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312 Rn. 8 f.; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, § 2 MediationsG Rn. 293; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.12.2007 – XI ZR 76/06 = NJW-RR 2008, 643, 644; OLG Koblenz, Urt. v. 28.3.2012 – 9 U 1166/11 = MMR 2012, 456, 457 zur Änderung eines bestehenden Vertrags. 538 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 414, str. 539 Zur Bindung an (halb-)zwingendes Verbraucherrecht noch unten unter Kap. 4 E. IV. 2. a).
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Schlichtungsvorschlägen zugestehen, wenn diese offenbar unbillige Folgen zeitigen würden.540 Ausgehend vom Verständnis der Schlichtung als Leistungsbestimmung durch Dritte,541 soll für diese Einschränkung der Bindungswirkung auf § 319 Abs. 1 S. 1 BGB zurückgegriffen werden. Eine offenbare Unbilligkeit der Leistungsbestimmung solle sich sowohl aus unrichtigen Tatsachenfeststellungen als auch einer unbilligen rechtlichen Wirkung ergeben. Ein Rückgriff auf § 319 Abs. 1 S. 1 BGB ist allerdings schon deshalb unpassend, weil der Schlichtungsvorschlag, also die Leistungsbestimmung, nicht, wie von der Norm gefordert, nach billigem Ermessen, sondern entsprechend den rechtsorientierten Entscheidungsstandards der Verfahrensordnungen ergeht. Der Schlichtungsvorschlag ist daher allein am Maßstab der Verfahrensordnung zu überprüfen.542 Mithin solle eine bindende Entscheidung nur dann infrage gestellt werden können, wenn ein Verstoß gegen die Verfahrensordnung vorliegt.543 Ein derartiges Lösungsrecht würde die Rechtsposition der Verbraucher indes unbillig einschränken.544 Insbesondere bestünde die Gefahr, dass Unternehmen ihre Leistungspflicht aus dem verbindlich gewordenen Schlichtungsvorschlag mit dem bloßen Verweis auf die Unbilligkeit der Entscheidung verweigern und Verbraucher in der Folge zur gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche zwingen. Überzeugender ist es daher, vorausgesetzt der Inhalt des Schlichtungsvorschlags verletzt nicht absolut zwingendes Recht, keine Ausnahme von einer asymmetrischen Ergebnisbindung zu machen, sondern Unternehmen auf etwaige Schadensersatzansprüche gegenüber der ADR-Stelle zu verweisen. Als vertragliche Einigung stellt der Vergleich keinen Vollstreckungstitel dar.545 Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es sich bei der angerufenen ADR540 Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 285 f. 541 So die Ergebnisse bei Joussen, Schlichtung als Leistungsbestimmung und Vertragsgestaltung durch einen Dritten, 2005. 542 Insofern zutreffend Lorenz, VersR 2004, 541, 547; zustimmend Hirsch, 2016, S. 29, 37; das Kriterium der Unbilligkeit könne logischerweise nur dort greifen, wo billiges Ermessen als Entscheidungsmaßstab gilt, so Joussen, Schlichtung als Leistungsbestimmung und Vertragsgestaltung durch einen Dritten, 2005, S. 505, der stattdessen für eine Überprüfung entsprechend dem vereinbarten Maßstab plädiert. 543 Demnach könne die Bindungswirkung primär bei prozessualen Verstößen infrage gestellt werden, da eine Entscheidung – bezogen auf den Versicherungsombudsmann – nur dann nicht nach „Recht und Gesetz“ ergehen würde, wenn rechtliche Würdigungen keine Rolle spielen, nicht aber bei einer bloßen fehlerhaften Beurteilung der materiellen Rechtslage, so Lorenz, VersR 2004, 541, 547; ähnlich Hirsch, 2016, S. 29, 37. 544 Diese Gefahr sieht auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 286. 545 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 90; Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 310. bisher indes nur als sonstige Gütestellen i. S. d. § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO anerkannt. So ausdrücklich § 2 Abs. 3 Schlichtungsordnung der Schlichtungsstelle bei der Bundesnetzagentur. Sich für die Aufnahme von nach dem VSBG anerkannten ADR-Stellen als Gütestellen i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aussprechend, Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157, 166;
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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Stelle um eine anerkannte Gütestelle im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handelt. Obwohl der Anerkennung einer Verbraucherschlichtungsstelle als Gütestelle wohl grundsätzlich nichts entgegensteht,546 wurde hiervon bislang kein Gebrauch gemacht.547 Die Qualifizierung eines angenommenen Schlichtungsvorschlags als Gütestellenvergleich böte Verbrauchern den Vorteil einer erleichterten Vollstreckung im europäischen Ausland nach den Art. 58, 60 Brüssel Ia-VO548.549 Demgegenüber will Gürtler550 aus der Vorschrift des § 5 Abs. 2 Alt. 2 VSBG schließen, dass Verbraucherschlichtungsstellen keinen Vollstreckungstitel herbeiführen dürften, da diese die Klage eines Verbrauchers in derselben Sache mangels Rechtsschutzbedürfnis ausschließen. Sofern sich diese Auffassung auf die Erwägungen des deutschen und europäischen Gesetzgebers und insbesondere darauf stützt, dass die Parteien nach ErwG 45 ADR-Richtlinie infolge der Durchführung eines ADR-Verfahrens an der Durchführung eines Gerichtsverfahrens nicht gehindert werden sollen, vermag sie jedenfalls nicht zu überzeugen. Vielmehr bezieht sich ErwG 45 S. 4 ADR-Richtlinie auf den Fall, dass eine Mediation oder ein Vorschlagsverfahren erfolglos blieb, die Streitigkeit also nicht „beigelegt werden“ konnte.551 Schließlich soll dem Verbraucher nach der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 2 VSBG nur eine Entscheidungsfreiheit dahingehend zustehen, „sich auf die von der Schlichtungsstelle vorgeschlagene Lösung einzulassen oder seinen Anspruch auf anderem Wege, beispielsweise vor Gericht weiterzuverfolgen.“552 Die Möglichkeit, den Gerichtsweg nach erfolgreicher der Anerkennung einer ADR-Stelle als Gütestelle stehe grundsätzlich nichts entgegen, so Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 305–310, der für eine Gesetzesänderung dahingehend plädiert, dass die Qualitätsmerkmale der ADR-Richtlinie zur Anerkennungsvoraussetzung auch für Gütestellen gemacht werden sollten. 546 So am Beispiel der landesrechtlichen Regelungen Baden-Württembergs, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 305–308. 547 Verbraucherschlichtungsstellen sind nur als sonstige Gütestellen i. S. d. § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO anerkannt. So ausdrücklich § 2 Abs. 3 Schlichtungsordnung der Schlichtungsstelle bei der Bundesnetzagentur. Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 308 plädiert für eine Gesetzesänderung dahingehend, dass die Qualitätsmerkmale der ADR-Richtlinie zur Anerkennungsvoraussetzung auch für Gütestellen gemacht werden sollten. 548 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 351 v. 20.12.2012, S. 1–32. 549 Möglich wäre dies durch eine Erweiterung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO um Verbraucherschlichtungsstellen als auch durch die Anerkennung als Gütestelle, hierzu Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 308–310. 550 Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 119–122. 551 Eine solche Auslegung steht auch in Einklang mit der Informationspflicht des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ADR-Richtlinie, wonach die Beteiligung als solche – wohl aber eine verfahrensbeendigende Einigung – die gerichtliche Rechtsdurchsetzung nicht ausschließt. 552 Begründung des Fraktionsentwurfs zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 54.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Durchführung eines ADR-Verfahrens zu bestreiten, ist daher weder intendiert noch erforderlich.553 Ein Vollstreckungstitel könnte durch die Umwandlung eines Vergleichs in einen Schiedsspruch mit vereinbarten Wortlaut nach § 1053 ZPO erlangt werden, was – sofern eine Überführung überhaupt möglich sein sollte –554 bei Verbraucherbeteiligung aufgrund der damit verbundenen Komplexität und Formalität kaum in Betracht kommt. Des Weiteren wäre eine Überführung in einen Anwaltsvergleich oder eine vollstreckbare notarielle Urkunde zwar möglich,555 aber aufgrund des informellen Charakters der meist ohne anwaltliche Vertretung durchgeführten ADR-Verfahren kaum praktikabel.556 Mangels Vollstreckungstitel bleibt der aus dem Vergleich berechtigten Partei daher nur die gerichtliche Rechtsdurchsetzung.557 Ein auf Zahlung einer Geldleistung gerichteter Vergleich könnte jedoch durch einen im Wege des Mahnverfahrens nach den §§ 688 ff. ZPO erlangten Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO oder im Urkundenprozess nach den §§ 592 ff. ZPO erleichtert durchgesetzt werden.558 Ein erhebliches Vollzugsdefizit von Vergleichen aus ADR-Verfahren, die nahezu ausschließlich den Unternehmer verpflichten, ist in der Praxis freilich nicht zu befürchten.559 Die Tätigkeits- und Jahresberichte der ADR-Stellen lassen
553 Einwendungen gegen den im Vergleich als Vollstreckungstitel festgestellten Anspruch können noch im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 Abs. 1, 795 S. 1 ZPO geltend gemacht werden, ohne, dass der Verbraucher eine Präklusion seiner Einwendungen nach § 767 Abs. 2 ZPO zu befürchten hätte. 554 Dafür Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001, S. 48–50; dagegen Steffek, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, F Rn. 54; Gläßer, in: Klowait/ Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 317; ablehnend für den Anwendungsbereich des VSBG, Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157, 167; kritisch auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 95. 555 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 94; Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 313 f.; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 202 f. 556 So auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 303–308, der in Bezug auf Anwaltsvergleiche zutreffend auf die zusätzlichen Umstände der Niederlegung des Vergleichs bei einem Amtsgericht und des Erwirkens einer Vollstreckbarkeitserklärung und bezüglich notarieller Urkunden auf den erhöhten Kosten- und Zeitaufwand hinweist. Die Bedeutung des Anwaltsvergleichs ist in der Praxis daher gering, so Wagner, ZKM 2012, 110, 111: „Der Anwaltsvergleich gem. §§ 796a796c ZPO fristet in der Praxis einen Dornröschenschlaf, [...]“; Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 2 2018, § 2 MediationsG Rn. 313. 557 Für Verbraucher ist diese Prozedur freilich nicht attraktiv, so zutreffend Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 183. 558 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 91; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 83. 559 So auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 92, der praktisch nur die Möglichkeit nachfolgender Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung von Vergleichsvereinbarungen sieht.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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ebenfalls nicht auf ein solches Problem schließen.560 Darüber hinaus besteht seitens der ADR-Stellen, wie auch im Vereinigten Königreich, im Falle der asymmetrischen Ergebnisbindung die Möglichkeit, Druck auf Unternehmen als Mitglieder des Trägervereins der ADR-Stelle auszuüben.
IV. Rechtskraft von Verfahrensergebnissen Mit der Frage der Verbindlichkeit eines Verfahrensergebnisses geht unweigerlich die Frage einher, ob die beigelegte Streitigkeit erneut Gegenstand eines späteren gerichtlichen oder außergerichtlichen Verfahrens sein kann oder ob die Entscheidung der ADR-Stelle in Rechtskraft erwächst. Während diese Frage im Hinblick auf Mediations- und Schlichtungsverfahren nach deutschem Recht zu verneinen ist, fällt die Antwort für die englische Rechtsordnung differenzierter aus. 1. Res judicata und merger von Ergebnissen aus ADR-Verfahren Aufgrund der hybriden Stellung von Lösungsvorschlägen mit asymmetrischer Bindung des Unternehmens zwischen Schiedsspruch und Vergleich, lässt sich der rechtliche Charakter dieser Verfahrensergebnisse nicht eindeutig bestimmen. Gleiches gilt für die Frage, ob solche Ergebnisse aus Gründen der Rechtssicherheit rechtlich derart verbindlich sein können, dass sie nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbar sind und die Streitigkeit nicht mehr justiziabel ist. Dieses Prinzip der Rechtskraft wird im Common Law durch die Doktrinen von res judicata und merger geregelt, wonach die Entscheidung eines richterlichen Gremiums (court or tribunal) verhindert, dass der zugrunde liegende Streitgegenstand erneut verfolgt werden kann.
560 Die Berichte nennen – sofern bekannt – keine Fälle, in denen sich die Parteien nicht an das Verfahrensergebnis gehalten haben, wobei davon auszugehen ist, dass sich Verbraucher im Falle der Nichtleistung an die ADR-Stelle wenden würden, vgl. BVR, Tätigkeitsbericht 2017, 2018, S. 20; Verbraucherschlichtungsstelle Telekommunikation, Tätigkeitsbericht 2017, 1.2.2018, S. 13; Ombudsmann der privaten Banken, Tätigkeitsbericht 2017, 2018, S. 26; Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle, Tätigkeitsbericht 2016, 2017, S. 8; Ombudsmann der Öffentlichen Banken, Tätigkeitsbericht der Verbraucherschlichtungsstelle 2021, 2022, S. 19.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
a) Merger und res judicata im Common Law Merger hat zur Folge, dass die gerichtliche Entscheidung an die Stelle des Klageanspruchs (cause of action)561 tritt.562 Ein erfolgreicher Kläger ist dann nur in der Lage, das Urteil durchzusetzen, nicht aber den Klageanspruch weiterhin geltend zu machen.563 Das Prinzip der res judicata geht etwas weiter, besagt aber ebenfalls, dass eine gerichtliche Entscheidung der weiteren Verfolgung der Ansprüche entgegensteht.564 Die Regel ist sowohl auf Entscheidungen über eine cause of action, mit der Folge einer „action estoppel“, anwendbar, gilt darüber hinaus aber auch für Entscheidungen über eine tatsächliche oder rechtliche Angelegenheit (issue), mit der Folge einer „issue estoppel“.565 Die umfangreicheren Voraussetzungen für res judicata erfordern das Vorliegen einer Entscheidung eines zuständigen gerichtlichen Gremiums (judicial decision), die tatsächlich verkündet wurde, in der Hauptsache verbindlich wurde und eine Frage beurteilt, die im späteren Verfahren zwischen denselben Parteien aufgeworfen wird.566 Res judicata umfasst zudem Ansprüche, die bereits im ersten Verfahren hätten geltend gemacht werden müssen, sogenannte Henderson-v-Henderson-Regel.567 Auf Basis dieser – sehr praxisrelevanten – Regel können höhere Gerichte mit inhärenter Zuständigkeit eine Klage wegen Verfahrensmissbrauch abweisen, r. 3.4 CPR.568 Liegen die Voraussetzungen einer der beiden Doktrinen vor, stellt dies ein absolutes Verfahrenshindernis dar.569
561 Der Begriff der cause of action beschreibt verschiedene Kategorien von Sachverhalten, die eine Person berechtigt, Rechtsschutz gegen eine andere Person zu erwirken, Letang v Cooper [1965] 1 Q.B. 232 Rn. 242 f.; Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 5; cause of action kann daher als Mindestmaß dessen gesehen werden, was der Kläger darlegen und beweisen muss, um seinen Anspruch zu begründen, Malek/Phipson, Phipson on evidence, 182013, Rn. 43–17. 562 Der Klageanspruch erlischt, Malek/Phipson, Phipson on evidence, 182013, Rn. 43–17. 563 Einzige Voraussetzungen eines merger sind ein gerichtliches Urteil über eine cause of action, Wright v The London General Omnibus Company (1877) 2 Q.B.D. 271; Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 5. 564 Allgemein zum Prinzip der res judicata, Lemas v Williams [2013] EWCA Civ 1433 Rn. 32–42; Malek/Phipson, Phipson on evidence, 182013, Rn. 42–23 ff. 565 Malek/Phipson, Phipson on evidence, 182013, Rn. 43–40. 566 Zu den Voraussetzungen, Handley/Spencer Bower, Res judicata, 42009, Rn. 1.02; zitiert in R. (on the application of Coke-Wallis) v Institute of Chartered Accountants in England and Wales [2011] UKSC 1 Rn. 34. 567 Die Regel soll potenziell missbräuchliche Folgeverfahren verhindern, Henderson v Henderson (1843) 3 Hare 100. 568 Die inhärente Zuständigkeit beginnt in England und Wales ab dem High Court, während die Zuständigkeit der County Courts nur auf Gesetz beruht. Für alle anderen Courts und Tribunals ist daher eine gesetzliche Kompetenz zur Anwendung der Res-judicata-Doktrin notwendig, Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 43. 569 Auf die Anwendbarkeit der jeweils anderen Doktrin kommt es dann nicht mehr an, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 9–10.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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b) Rechtskraft von Entscheidungen des FOS Entscheidend für die Beurteilung der Rechtskraftwirkung von Verfahrensergebnissen ist die Frage, ob Entscheidungen in Ombudsverfahren als gerichtliche Entscheidung (judicial decision) qualifiziert werden können. Hierbei ist zwischen rein privaten ADR-Stellen und gesetzlich statuierten Ombudsstellen, deren Entscheidungen gerichtlich überprüfbar sind, zu unterscheiden.570 Nach der Entscheidung des Court of Appeal in Clark v In Focus Asset Management & Tax Solution Ltd,571 ist die Res-judicata-Doktrin auch auf Entscheidungen des FOS anwendbar. Im zugrunde liegenden Fall machten die Kläger Schadensersatzansprüche geltend, über die in der Sache schon der FOS final entschieden hatte. Der FOS konnte den Klägern, entsprechend der geltenden Streitwertgrenze, nur Schäden in Höhe von GBP 100 000, anstatt der geforderten GBP 300 000, zusprechen. Trotz des Hinweises der Ombudsperson, dass eine Akzeptanz der Entscheidung der gerichtlichen Geltendmachung weiterer Schäden entgegenstehen könnte, akzeptierte das Ehepaar die Entscheidung unter dem Vorbehalt, weitere Schäden gerichtlich geltend zu machen. Im Zivilprozess beantragte der beklagte Finanzdienstleister die Abweisung der Klage unter Berufung auf die Prinzipien von merger und – später im Rechtsmittelverfahren – res judicata. Im Rechtsmittelverfahren des Court of Appeal, der die Voraussetzungen der Merger-Doktrin nicht prüft, wurde die Anwendbarkeit von res judicata davon abhängig gemacht, ob die Entscheidungen des FOS als gerichtliche Entscheidung (judicial decision) über einen Klageanspruch (cause of action) zu qualifizieren ist.572 Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass eine Beschwerde beim FOS eine cause of action begründet, da die Ombudsperson den Sachverhalt im Hinblick auf das Bestehen rechtlicher Ansprüche prüft. Der zugrunde liegende Entscheidungsmaßstab ist dabei unerheblich.573 Bei den Entscheidungen des FOS handelt es sich nach Ansicht des Gerichts zudem um gerichtliche Entscheidungen, was aus dem Umstand folge, dass die Grundsätze des Art. 6 EMRK in Verfahren des FOS Anwendung fänden.574 Dass
570 In der gerichtlichen Überprüfung geht es freilich um die ursprüngliche Entscheidung, nicht aber um ein zweites Verfahren über den ursprünglichen Streitgegenstand, so zutreffend Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 48. 571 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118. 572 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 50. 573 Demnach ist es unerheblich, dass Verfahren des FOS nicht nach strikter Rechtsanwendung, sondern nach dem Fair-and-reasonable-Standard entschieden werden, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 77, 87. 574 Hierzu R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642 Rn. 42, wobei die Anwendung von Art. 6 EMRK zwischen den Parteien unstreitig war; EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 38 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom; zwar war es
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
die Entscheidung des FOS nicht schon bei Übermittlung an die Parteien, sondern erst durch Zustimmung des Verbrauchers verbindlich werde, sei irrelevant, solange die Entscheidung letztlich verbindlich werde.575 Der Anwendung von res judicata stünden auch die Bestimmungen des FSMA 2000 nicht entgegen, die zwar keinen Bezug zu res judicata herstellen, die Anwendung der Doktrin aber nicht ausschließen.576 Zwar sei nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber intendiert haben soll, Beschwerdeführer darin zu hindern, über die Höchstgrenze hinausgehende Schäden gerichtlich geltend machen zu können.577 Der Court of Appeal begründet die Alternativität von FOS und Zivilprozess jedoch mit dem Wortlaut der sec. 225(1) FSMA 2000, wonach es Verfahrenszweck des FOS sei, Streitigkeiten beizulegen (to resolve).578 Zudem mache die Streitwertgrenze deutlich, dass der Verbraucherschutz über diesen Betrag nicht hinausgehen soll.579 Dieser Argumentation kann jedoch entgegengehalten werden, dass die Verbindlichkeit der Entscheidung von der Zustimmung des Beschwerdeführers abhängt, sodass das von res judicata geschützte Interesse an der Endgültigkeit richterlicher Entscheidungen nur schwach geschützt ist.580 An der Anwendung von res judicata ändere auch der ausdrückliche Vorbehalt der Beschwerdeführer nichts, da die Doktrin nicht abbedungen werden kann.581 Ob die Doktrin im Einzelfall zur Anwendung kommt, wird also maßgeblich davon abhängen, ob die Beschwerde, über die der FOS zu entscheiden hat, ausreichend präzise ist, um eine cause of action zu begründen.582 Die Anwendbarkeit der Merger-Doktrin auf Entscheidungen des FOS wurde in Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd583 geprüft und bejaht. Auch in diesem Verfahren machte der Kläger weitere Schäden geltend, die über den vom FOS gewährten Maximalbetrag von damals GBP 100 000 hinausgingen. Nach Ansicht des Gerichts erfüllt der FOS alle Kriterien eines Gerichts im Sinne der auch im Verfahren vor dem EGMR zwischen den Parteien unstreitig, dass Art. 6 EMRK Anwendung findet, jedoch stimmte der EGMR dieser Ansicht zu, da FOS durch die Festsetzung einer Entschädigung für den Beschwerdeführer über die zivilrechtlichen Rechte und Pflichten des Beschwerdegegners entschieden habe; hierzu bereits Kap. 4 B. I. 3. c). 575 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 91. 576 Die Doktrin kann nur ausdrücklich oder implizit durch Parlamentsgesetz ausgeschlossen werden, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 111, 114; a. A. die Vorinstanz, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 29. 577 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 29. 578 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 118. 579 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 114. 580 So zutreffend die Kritik bei Mills, P.N. 30 (2014), 162, 166. 581 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 108. 582 Ähnlich Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 89; so auch Mills, P.N. 30 (2014), 162, 164, der insofern auch befürchtet, dass es gerade aufgrund dieser Einzelfallbetrachtung zu unerwünschten Folgeprozessen kommen könnte. 583 Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch).
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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Merger-Doktrin.584 Die insofern recht knappe Argumentation stellt wiederum darauf ab, dass der FOS in Heather Moor als Gericht (court or tribunal) im Sinne des Art. 6 EMRK behandelt wurde.585 Dabei sei es unerheblich, dass im informellen Verfahren des FOS nicht notwendigerweise geltendes Recht angewendet werden muss, da die Entscheidungen einer richterlichen Rationalitäts- und Willkürkontrolle unterliegen.586 Für eine judicial decision im Sinne der Doktrin spreche zudem, dass die Entscheidung des FOS mit Zustimmung des Beschwerdeführers final und bindend wird.587 Während die Entscheidung des County Court in Clark die Anwendbarkeit der Merger-Regel unter Verweis auf Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd588 bejahte, hielt der High Court die Doktrin nicht für anwendbar, da ein weiteres gerichtliches Verfahren nicht im Widerspruch zum Verfahrenszweck des FOS stehe.589 Dieser läge in einer schnellen und informellen Streitbeilegung und nicht in einer Rechtsanwendung. Dass die Entscheidung nach Zustimmung des Beschwerdeführers „final“ werde, bedeute daher nur, dass ihr eine verfahrensbeendigende Wirkung zukommt.590 Abgesehen davon, dass die Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK in Heather Moor nicht streitig war, bedeute eine Einstufung des FOS als Gericht im Sinne der EMRK nicht, dass es auch eins im Sinne der Merger-Doktrin ist.591 Darüber hinaus werde in Andrews nicht berücksichtigt, dass es im obiter dictum der Entscheidung in Heather Moor heißt, dass der FOS „complaints“ (Beschwerden) und keine cause of action behandele, was einer Anwendung der Merger-Doktrin entgegenstünde.592 Der High Court lässt in Clark zwar gewisse Kritik an Andrews durchblicken, bejahte die Rechtskraftwirkung jedoch unter Anwendung der Res-judicata-Doktrin. Nicht geklärt ist, ob auch die Henderson-v-Henderson-Regel in Situationen anwendbar ist, in denen der Kläger in einem Gerichtsverfahren Ansprüche geltend macht, die zwar nicht Gegenstand des Ombudsverfahrens waren, in diesem aber hätten geltend gemacht werden können. Der FOS akzeptierte als Streithel-
584
Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch) Rn. 35. Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch) Rn. 36; vgl. R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642 Rn. 42. 586 Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch) Rn. 38. 587 Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch) Rn. 39. 588 Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd [2010] EWHC 2875 (Ch). 589 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 30. 590 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 29. 591 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 26. 592 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 26; s. hierzu nochmals das das Votum von Rix LJ, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642 Rn. 80. 585
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
ferin in Clarks, dass im Falle der Anwendbarkeit von res judicata, nach den Umständen des Falls auch eine Anwendung von Henderson v Henderson in Betracht kommt.593 Der Court of Appeal, der diese Frage nicht zu entscheiden hatte, schien zu einer Anwendbarkeit zu neigen.594 Die Anwendung von Henderson v Henderson wäre jedoch vor dem Hintergrund kritisch zu sehen, dass sich Beschwerdeführer in Verfahren des FOS in der Regel nicht anwaltlich vertreten lassen und die möglichen Klageansprüche regelmäßig nicht umreißen werden.595 Die bereits besprochene Entscheidung in Binns596 scheint – zumindest im Ergebnis – zur Anwendung der Henderson-v-Henderson-Regel zu kommen, da das Gericht die für missbräuchlich erachtete Klage nach r. 3.4 CPR abwies. Das Urteil wird indes insofern kritisiert, als dass r. 3.4(2)(a) CPR falsch angewendet worden wäre und das Gericht nicht erkennen ließe, ob die Henderson-v-Henderson-Regel tatsächlich angewendet wurde.597 Die Anwendung letzterer Regel kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das vorherige Kompensationsangebot nicht vom FOS, sondern von den beklagten Unternehmen selbst kam,598 sodass die Res-judicata-Doktrin nicht anwendbar ist.599 c) Anwendbarkeit auf andere ADR-Entscheidungen Unklar ist, ob die Doktrinen von res judicata und merger über die Entscheidungen des FOS hinaus auch auf Entscheidungen in anderen ADR-Verfahren anwendbar sind. In der Praxis wird sich diese Frage selten stellen, da die Streitwerthöchstgrenzen der relevanten ADR-Stellen für gewöhnlich nicht überschritten werden. Zumindest für Entscheidungen des Legal Ombudsman sollte eine Rechtskraftwirkung zu bejahen sein, da sich die gesetzliche Grundlage der beiden Institutionen kaum unterscheidet. Zweck beider Verfahren ist es, Streitigkeiten beziehungsweise Beschwerden schnell und informell beizulegen.600 Auch der Wort-
593 Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 39. 594 Dies scheint in einigen Ausführungen durch, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2012] EWHC 3669 (QB) Rn. 80 und 90; so auch Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 48. 595 Diese Bedenken drückt auch das Sondervotum von Davis LJ aus, Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 129. 596 Binns v Firstplus Financial Group Plc [2013] EWHC 2436 (QB); hierzu bereits oben unter Kap. 4 C. V. 1. c). 597 So Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 49. 598 Dies verkennt Sime, der von der Festsetzung einer vollen Entschädigung nach den Verfahrensregeln des FOS auszugehen scheint („award of full compensation under the Complaint Handling Procedures of the Financial Ombudsman Service“), ders., C.J.Q. 34 (2015), 35, 49. 599 So aber selbst Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 44; auch Arbeitgeber interne Disziplinarverfahren sind nicht res-judicata-fähig, Christou v Haringey LBC [2013] EWCA Civ Rn. 43, 47. 600 In sec. 125(1) FSMA 2000 und sec. 113(1) Legal Services Act 2007 heißt es: „be resolved quickly and with minimum formality by an independent person“.
D. Wirkung des Verfahrensergebnisses
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laut beider gesetzlicher Grundlagen gleicht sich in Bezug auf die Verbindlichkeit der Entscheidungen.601 Die Entscheidungen beider ADR-Stellen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung (judicial review).602 Eine unterschiedliche Behandlung wäre daher nicht zu rechtfertigen, sodass die Res-judicata-Doktrin anwendbar ist.603 Andere private ADR-Einrichtungen mit ähnlichem Verfahrenszweck sind differenzierter zu betrachten. Ziel der von CEDR betriebenen Verfahren ist die Adjudikation (adjudication) von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen. Zweck der von Ombudsman Services betriebenen Verfahren ist die Beilegung (resolution) ungelöster Beschwerden oder Streitigkeiten. Ist die Betonung des Verfahrenszwecks also wirklich so entscheidend, wie dies in Clark mit der Betonung auf das Wort „resolve“ suggeriert wird, scheint eine unterschiedliche Behandlung kaum gerechtfertigt. Der Sachverhalt und die Anspruchsgrundlagen sollten in der Regel hinreichend präzise sein, um eine cause of action zu begründen. Der Umstand allein, dass andere ADR-Stellen nur eine mittelbare oder gar keine gesetzliche Basis haben, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Denn auch für Schiedssprüche, die das Resultat eines rein privaten Verfahrens sind, wird die Anwendung von res judicata akzeptiert. Anders als ein Gericht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, verlangt res judicata keine gesetzliche Grundlage des gerichtlichen Gremiums. Unterschiede ergeben sich indes bei den Durchsetzungsmöglichkeiten der Entscheidungen und der gerichtlichen Überprüfbarkeit der selbigen. Anders als Entscheidungen des FOS und des Legal Ombudsman sind die Verfahrensergebnisse anderer privater ADR-Einrichtungen gerichtlichen nicht überprüfbar. Die Verfahrensergebnisse lassen sich ferner nicht erleichtert wie Urteile eines County Courts durchsetzen.604 Vor diesem Hintergrund dürfte es den Verfahrensergebnissen am Charakter einer judicial decision fehlen. 2. Rechtskraft von Verfahrensergebnissen nach deutschem Recht Die Frage nach der Rechtskraftwirkung von Verfahrensergebnissen ist nach deutschem Recht leichter und klarer zu beantworten, als dies für die englische Rechtsordnung möglich ist. Vergleiche und andere vertragliche Vereinbarungen erwachsen nicht in Rechtskraft.605 Der Vergleich kann der Weiterverfolgung der 601 sec. 128(5) FSMA 2000 und sec. 140(4) Legal Services Act 2007 lauten: „If the complainant notifies the ombudsman that the determination is accepted by the complainant, it is binding on the respondent and the complainant and is final.“ 602 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 D. II. 1. b). 603 So auch Sime, C.J.Q. 34 (2015), 35, 49. 604 Zu den Durchsetzungsmöglichkeiten der Verfahrensergebnisse schon oben unter Kap. 4. D. II. 1. b). 605 So ausdrücklich für Schlichtungsvorschläge nach dem VSBG, Prütting, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157, 163 f.; Rechtskraftwirkung
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
ursprünglichen Ansprüche in einem späteren ADR- oder Gerichtsverfahren lediglich als materiell-rechtliche Einwendung entgegengesetzt werden.606 Nach den Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen ist eine Beschwerde ohnehin dann abzulehnen, wenn bereits ein ADR- oder Gerichtsverfahren durchgeführt oder die Streitigkeit verglichen wurde.607
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses Eine materielle Rechtsbindung von Verfahrensergebnissen ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich und allenfalls in Schiedsverfahren die Regel. Dennoch stellen rechtliche Kriterien die greifbarsten Entscheidungsstandards dar, sodass auch die Schlichtung und die Mediation keineswegs rechtsfern agieren. Im Folgenden werden die Grenzen des Entscheidungsermessens von Ombudspersonen und Schlichtern ausgelotet und die Bedeutung des materiellen Rechts für den Inhalt der Verfahrensergebnisse untersucht.
I. Europarechtliche Vorgaben Für die Bindung von Verfahrensergebnissen an geltendes Recht gibt es nur wenige rechtliche Vorgaben. Europarechtlich sind die Verfahrensgarantien der EMRK und der GRCh sowie die Vorgaben der ADR-Richtlinie relevant. Die justiziellen Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK finden auf ADR-Einrichtungen Anwendung, sofern diese ein Gericht im Sinn des S. 1 darstellen.608 Hinsichtlich einer Bindung des Entscheidungsinhalts an geltendes Recht trifft der Wortlaut keine explizite Aussage; im weiten Sinne wird nur ein faires Verfahren garantiert. Die „Richtigkeit“ der Entscheidung wird nicht garantiert, sie unterliegt jedoch einem Willkürverbot.609 Entscheidungen sind zu
kommt im Übrigen auch einem Prozessvergleich nicht zu, BGH, Urt. v. 22.12.1982 – V ZR 89/800, BGHZ 86, 184 = NJW 1983, 996, 997; Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 Rn. 82; vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1958 – VII ZR 198/5 BGHZ 28, 171, 175 = NJW 1958, 1970, 1971. 606 BGH, Urt. v. 29.1.1964 – V ZR 39/62 = MDR 1964, 313; Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 Rn. 39; Fischer, in: BeckOK BGB, 612022, § 779 Rn. 30. 607 Statt vieler: § 6 Abs. 1 Nr. 3, 6 und 7 FinSV; § 2 Abs. 3 lit. b) und d) söp Verfahrensordnung. Die Ablehnung einer bereits – gerichtlich oder außergerichtlich – beigelegten Streitigkeit ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) VSBG zwingend, die aufgrund eines zuvor durchgeführten ADR-Verfahrens fakultativ, § 14 Abs. 1 Nr. 1 VSBG. 608 Anwendung findet Art. 6 EMRK wohl auf die zwingende Jurisdiktion des FOS, hierzu bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3. c). 609 Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 88 und 92; EGMR, Urt. v. 11.1.2005 – Nr. 58580/00, Rn. 56 – Blücher/Tschechien.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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begründen610 und dürfen im Sinne der Rechtssicherheit nicht willkürlich zu einer divergierenden Entscheidungspraxis führen.611 Eine Bindung des Entscheidungsinhalts an geltendes Recht folgt hieraus aber nicht. Ein faires Verfahren erfordert allenfalls, dass der Entscheidungsmaßstab vorhersehbar ist. In Heather Moor kam der EGMR zum Ergebnis, dass der Fair-and-reasonable-Standard im Rahmen der zwingenden Jurisdiktion des FOS nicht so vage sei, als dass das Prinzip der Vorhersehbarkeit automatisch verletzt würde.612 Die Verfahrensgarantien des Art. 47 Abs. 2 GRCh reichen mindestens so weit wie die der EMRK,613 gehen über diese im Hinblick auf Entscheidungsmaßstäbe aber auch nicht hinaus. Das Grundrecht ist bei willkürlichen Verfahren verletzt.614 Überdies besteht auch nach Abs. 2 ein Anspruch auf eine Begründung der Entscheidung.615 Der Entscheidungsinhalt muss indes nicht der geltenden Rechtslage entsprechen. Für Fries ergibt sich aus Art. 47 GRCh ein „Gebot der Rechtstreue“, aus welchem der EuGH ein Effektivitätsgebot für europäische Verbraucherrechte ableite, sodass ihre Durchsetzung im Zivilprozess, aber auch in außergerichtlichen Verfahren mit staatlicher Unterstützung, nicht erschwert werden dürfe.616 Während ein solches Rechtstreuegebot für die weit überwiegend privat organisierten ADR-Stellen keine Anwendung findet,617 könnten sich Folgen für gesetz610 Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 103, Pache, NVwZ 2001, 1342, 1345; das Gericht hat eine Antwort auf die aufgeworfenen entscheidungserheblichen Fragen zu geben, EGMR, Urt. v. 15.3.2007 – Nr. 19215/04, Rn. 43 – Gheorghe/Rumänien; EGMR, Urt. v. 24.5.2005 – Nr. 61302/00, Rn. 67 – Buzescu/Rumänien. 611 Dies gilt jedenfalls für die Rechtsprechung des obersten Gerichts, EGMR, Urt. v. 27.1.2009 – Nr. 24428/03, Rn. 34–37 – Stefan u.a./Rumänien. Umgekehrt gibt es keinen Anspruch auf eine konsistente Entscheidungspraxis, die eine Fortentwicklung des Rechts nicht ermöglichen würde, Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 42017, Art. 6 Rn. 93. 612 Der EGMR hielt die Beschwerde gar für offensichtlich unbegründet, EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – Nr. 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 48 – Heather Moor & Edgecomb Ltd/United Kingdom, „The Court considers that the scope of the Ombudsman’s discretion is not so broad as to automatically contravene the principle of foreseeability that is an integral part of the rule of law.“ 613 Das Schutzniveau muss zumindest dem der EMRK entsprechen, Art. 53 GRCh; vgl. auch EuGH, Urt. v. 22.12.2010 – C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rn. 32 – DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH/Bundesrepublik Deutschland. 614 Blanke, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 62022, Art. 47 GRCh Rn. 14; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rn. 49. 615 EuGH, Urt. v. 6.9.2012 – C-619/10, ECLI:EU:C:2012:531, Rn. 53 – Trade Agency; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh, Rndr. 57. 616 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 70; EuGH, Urt. v. 21.2.2013 – C-472/11, EU:C:2013:88, NJW 2013, 987, Rn. 26–36 – Banif Plus Bank; vgl. auch Hofmann, in: Peers/Jervey/Kenner/Ward, 2014, Art. 47 CFREU Rn. 4.77 f. 617 So auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 70 f.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
lich statuierte Ombudsstellen wie den FOS ergeben, sofern diese als „tribunal“ im Sinne des Art. 47 GRCh zu qualifizieren wären. Hierfür spräche zwar die Tendenz, den FOS als tribunal im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK einzustufen618 sowie die gesetzliche Errichtung des FOS, allerdings ist die Jurisdiktion des FOS für Verbraucher nicht zwingend, sondern komplementär zur rechtsgebundenen Ziviljustiz. Selbst wenn Art. 47 GRCh auch für gesetzliche Ombudsstellen gelten sollte, bietet der Fair-and-reasonable-Standard einen vorhersehbaren Entscheidungsstandard, aus welchem zwar keine Rechtsbindung folgt, wohl aber eine ausführliche Begründungspflicht für die Abweichung von zwingendem Verbraucherrecht.619 Art. 11 der ADR-Richtlinie spricht eine Bindung an zwingendes Verbraucherschutzrecht aus, sofern dem Verbraucher, wie in Schiedsverfahren, eine Lösung auferlegt wird.620 Die auferlegte Lösung darf zwingendes Verbraucherrecht des Mitgliedstaates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht unterlaufen.621 Für Lösungen in Mediations- und Schlichtungsverfahren enthält die ADRRichtlinie keine ausdrücklichen Vorgaben. Dennoch hält der europäische Gesetzgeber ein Mindestmaß an juristischem und prozessualem Sachverstand der mit dem Verfahren betrauten Personen für erforderlich.622 Die Stellung des Rechts im Verfahren wurde damit zwar gesehen, auf ein klares Bekenntnis wurde in Folge der mindestharmonisierenden Wirkung der Richtlinie allerdings verzichtet.623 Ergebnisse in ADR-Verfahren, in denen den Parteien ein Lösungsvorschlag unterbreitet wird, müssen allerdings hinreichend vorhersehbar sein. Dies zeigt sich auch in der Pflicht der ADR-Stellen, in eindeutiger und leicht verständlicher Sprache öffentlich darüber zu informieren, auf welche Regelungen sie sich
618 Die englische Fassung der Vorschrift mit „tribunal“ scheint insofern weiter als der deutsche Wortlaut „Gericht“. Zur etwaigen Einstufung des FOS als Gericht i. S. d. Art. 6 EMRK bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3. c). 619 Eingehend hierzu noch unten unter Kap. 4 E. IV. 1. d). 620 Dies gilt freilich nur für Verfahren im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie und damit für Verfahren, die von einer anerkannten ADR-Stelle betrieben werden. Diese Vorgabe ist für die englische Rechtsordnung in Sch. 1 para. 11 ADR C&I Regulations umgesetzt. 621 Die mit dem Verfahren betrauten natürlichen Personen müssen „über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, die für die Arbeit im Bereich der AS oder der gerichtlichen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten erforderlich sind, sowie ein allgemeines Rechtsverständnis besitzen“, Art. 11 Abs. 1 ADR-Richtlinie. Dies gilt sowohl für rein inländische Streitigkeiten [lit. a)], als auch für die Verfolgung grenzüberschreitender Forderungen, deren Recht sich nach Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom I-Verordnung [lit. b)] oder – im Verhältnis zu Dänemark – nach Art. 5 Abs. 1 bis 3 EVÜ [lit. c)] bestimmt. 622 Art. 6 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie. Die Qualifikation für den juristischen Berufsstand soll hingegen nicht erforderlich sein, ErwG 36 ADR-Richtlinie. Die Regelung wurde in England durch Sch. 3 para. 3(a) ADR C&I Regulations und in Deutschland durch § 6 Abs. 2 VSBG umgesetzt. 623 So Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 255.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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bei der Streitbeilegung stützen.624 Als nicht abschließende Beispiele für solche Regelungen werden die üblichen Kriterien, namentlich Rechtsvorschriften, Billigkeitserwägungen und Verhaltenskodizes erwähnt.
II. Entscheidungsstandards in Schiedsverfahren Entsprechend dem Grundsatz der Privatautonomie in Schiedsverfahren bestimmt sich der Entscheidungsmaßstab des Schiedsgerichts nach der Schiedsvereinbarung beziehungsweise der Rechtswahl der Parteien.625 Den Parteien steht es daher auch frei, sich auf Kriterien außerhalb einer Rechtsordnung, wie allgemeine Billigkeitsgrundsätze, religiöses Recht oder lex mercatoria zu einigen.626 Die Rechtswahl der Parteien ist grundsätzlich frei und erfährt nur zum Zwecke des Verbraucherschutzes Einschränkungen, Art. 6 Rom I-VO627.628 Haben die Parteien keine solche Vereinbarung getroffen, wird das Schiedsgericht das anzuwendende Recht nach den Regeln des internationalen Privatrechts bestimmen, die es für anwendbar hält.629 Schiedsgerichte sind wie staatliche Gerichte dazu verpflichtet, das einschlägige materielle Recht anzuwenden.630 Gleichwohl ist diese Rechtsbindung sowie
624
Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-Richtlinie. sec. 46(1) Arbitration Act 1996 bzw. § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Parteien können sowohl das Recht einer nationalen Rechtsordnung als auch nichtstaatliches Recht wählen, Gaier, NJW 2016, 1367, 1369; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1051 Rn. 14; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 192022, § 1051 Rn. 2. Als nichtstaatliches Recht kommen etwa die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts oder die Regeln des Draft Common Frame of Reference (DCFR) in Frage, Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1051 Rn. 4. 626 Harper v Harper [2007] EWCA Civ 291 Rn. 24, 37; Andrews, Arbitration and Mediation, 2013, Rn. 6.20; vgl. auch die Schiedsvereinbarung in Weissfisch v Julius [2006] EWCA Civ 218 Rn. 6. In Schiedsverfahren mit Schiedsort in Deutschland kann eine Billigkeitsentscheidung nur bei entsprechender ausdrücklicher Parteienvereinbarung ergehen, § 1051 Abs. 3 ZPO 627 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung v. 17.6.2008, ABl. L 177 v. 4.7.2008, S. 6, begr. Amtsblatt L 309 v. 24.11.2009, S. 87. 628 So zu dieser hoch umstrittenen Thematik, Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1051 ZPO Rn. 21; Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, 2005, S. 299–302; Wolf/Eslami, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1025 Rn. 29.1; a. A. Voit, in: Musielak/ Voit, ZPO, 192022, § 1051 Rn. 3; s. auch Niedermaier, Schieds- und Schiedsverfahrensvereinbarungen in strukturellen Ungleichgewichtslagen, 2013, S. 294–298, der für eine dahin gehende Prüfung in der AGB-Kontrolle plädiert; eingehend zum Streitstand McGuire, SchiedsVZ 2011, 257, 262–266; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 259 f. 629 sec. 46(3) Arbitration Act 1996 bzw. § 1051 Abs. 2 ZPO. 630 OLG München, Beschl. v. 22.6.2005 – 34 Sch 10/05 = SchiedsVZ 2005, 308, 309; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1051 ZPO Rn. 53; Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO, 44 2022, § 1051 Rn. 12. 625
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
die Vereinbarung der Parteien gerichtlich nur sehr eingeschränkt überprüfbar. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist ein Schiedsspruch nach deutschem Recht nur aufzuheben, wenn der Streitgegenstand nicht schiedsfähig ist oder die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs im Ergebnis zu einer Verletzung des nationalen ordre public führen würde, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.631 Die englische Rechtsordnung geht zwar etwas weiter und erlaubt die gerichtliche Überprüfung von Rechtsfragen, jedoch können Schiedssprüche nur aufgehoben werden, wenn die Entscheidung des Schiedsgerichts offensichtlich falsch war oder – im Falle grundsätzlicher Rechtsfragen – erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestehen.632 In Verbraucherschiedsverfahren in England wird nach Recht und Gesetz entschieden. Im „ABTA Arbitration Scheme“, das Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des britischen Reiseverbands und deren Kunden beilegt, findet das Recht von England und Wales inklusive des Kollisionsrechts Anwendung.633 Für Verfahren des „The Glazing Arbitration Scheme“ gilt der Arbitration Act 1996, das Recht von England und Wales sowie die Schiedsordnung.634
III. Einfluss der Rechtslage in der Mediation Der Einfluss der zugrunde liegenden materiellen Rechtslage auf eine Mediation hängt davon ab, ob es sich um eine vermittelnde (facilitative) oder evaluierende (evaluative) Mediation handelt.635 Im Regelfall agiert der Mediator als reiner Vermittler zwischen den Parteiinteressen, sodass eine Beurteilung der Begründetheit
631 Ein Verstoß kommt daher nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, BayObLG, Beschl. v. 25.8.2004 – 4Z Sch 13/04 = SchiedsVZ 2004, 319, 320; vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 18.10.2006 – 1 BvR 2505/06 –, juris; eingehend zum prozessualen und materiellen ordre public, Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1059 Rn. 43–57; Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO, 442022, § 1059 Rn. 60–65. Durch Täuschung erschlichene Schiedssprüche können mittels eines einredeweise erhobenen Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB aufgehoben werden, BGH, Beschl. v. 2.11.2000 – III ZB 55/99, BGHZ 145, 376 = NJW 2001, 373, 374. Fehlentscheidungen sind daher hinzunehmen, vgl. OLG München, Beschl. v. 24.8.2010 – 34 Sch 21/10 = NJOZ 2011, 413, 419; zustimmend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.8.2007 – I-4-Sch-02–06 = SchiedsVZ 2008, 156, 159. 632 Diese Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung können die Parteien jedoch abbedingen, sec. 69 Arbitration Act 1996; Harris/Planterose/Tecks u.a., The Arbitration Act 1996, 5 2014, Rn. 69D. 633 r. 7.1 ABTA Arbitration Scheme Rules. 634 r. 1.4 TGAS Rules. Der Schiedsrichter hat seine Entscheidung unter Berücksichtigung der anwendbaren Verbraucherschutzbestimmungen sowie der Verhaltenskodizes der Branchenverbände zu treffen, r. 3.2 TGAS Rules. Die Verhaltenskodizes sind der GGF Consumer Code of Practice sowie die FENSA Rules. 635 Näher zu den Vorteilen und Risiken beider Mediationsstile, Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, S. 18–24; hierzu auch Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 14.04; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Horst/Wagner, Gerhard (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 4.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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der Ansprüche durch die dahinterstehenden Interessen und Bedenken der Parteien verdrängt wird.636 Ein evaluierender Mediator fokussiert hingegen auf die rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen und nimmt auf Wunsch der Parteien eine rechtliche Bewertung des Falls vor.637 Dies kann bei den Parteien jedoch das Gefühl erwecken, dass der Mediator aufgrund der Präferenz für die Argumentation einer der Parteien nicht unparteilich ist oder versucht, die Parteien zum Abschluss eines Vergleichs zu zwingen.638 Hingegen kann eine Evaluation der Ansprüche, gerade bei Beteiligung eines Verbrauchers als juristischen Laien, zwar hilfreich sein, damit die Parteien ihre einvernehmliche Lösung auf einer informierten Grundlage treffen können, steht jedoch im Spannungsverhältnis zur Neutralitätspflicht des Mediators.639 Allenfalls bei evidenter Unwirksamkeit des Ergebnisses trifft rechtskundige Mediatoren eine entsprechende Hinweispflicht.640
IV. Entscheidungsstandards in Ombuds- und Schlichtungsverfahren Während die englische ADR-Landschaft vom Fair-and-reasonable-Standard geprägt ist, gilt für Schlichtungsvorschläge in Deutschland ein Rechtsorientierungsgebot. Die beiden Entscheidungsstandards, die ihrem Wortlaut nach diametral entgegengesetzte Perspektiven zu vertreten scheinen, erweisen sich mit ihrer primären Fokussierung auf rechtliche Kriterien jedoch als verwandt.
636 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 14.05–14.08; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Horst/Wagner, Gerhard (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 15; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 196. 637 Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 14.09. Grundsätzlich ist der Mediator nicht zur Rechtsberatung, sondern im Gegenteil im Hinblick auf seine Neutralitätspflicht zur Zurückhaltung mit rechtlichen Bewertungen angehalten, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 185; zu den möglichen Äußerungen des Mediators zur Rechtslage, Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 254–272. 638 Die evaluierende Mediation ist daher die Ausnahme, Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 14.11 f.; zur Kritik an Evaluation in der Mediation, S. Brown/ Marriott, ADR principles and practice, 32011, Rn. 18–034–18–039 m. w. N. 639 Der Mediator ist keineswegs verpflichtet, lenkend einzugreifen, so Eidenmüller, in: Eidenmüller, Horst/Wagner, Gerhard (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 77–79; ders., 2015, 9; monografisch zu dieser Thematik, Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013. Einigen sich die Parteien ohne eine realistische Vorstellung über den Wert der geltend gemachten Ansprüche, kann das Ergebnis und damit auch das Verfahren für eine der Parteien enttäuschend sein, s. hierzu Brown/Marriott, ADR principles and practice, 3 2011, 18-021–18-023. 640 Ein solcher Hinweis beeinträchtigt nicht die Neutralität des Mediators, so Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 213 f.; ähnlich Eidenmüller, in: Eidenmüller, Horst/Wagner, Gerhard (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 74.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
1. Subjektiver Fair-and-reasonable-Standard Lösungsvorschläge auf der letzten Stufe des ADR-Verfahrens werden in England zumeist danach ausgerichtet, was die neutrale dritte Person im konkreten Fall für fair und angemessen (fair and reasonable) hält. Dieser flexible Entscheidungsmaßstab gilt sowohl in privaten als auch gesetzlich statuierten ADR-Verfahren und soll Ombudspersonen ein ausreichendes Ermessen zum Zwecke einer interessengerechten Konfliktlösung einräumen. a) Gesetzliche Verankerung Der Fair-and-reasonable-Standard beansprucht in gesetzlich statuierten Ombudsverfahren, wie dem FOS und dem Legal Ombudsman, Geltung. Beschwerden, die in die zwingende Jurisdiktion des FOS fallen, sind danach zu entschieden, was nach der Meinung der Ombudsperson im konkreten Fall als fair und angemessen zu erachten ist.641 Entsprechend der Konkretisierung durch das FCA Handbook hat die Ombudsperson bei ihrer Entscheidung Recht und Gesetz, Regeln, Leitlinien und Standards der Regulierungsbehörde sowie Verhaltenskodizes zu berücksichtigen.642 Gegebenenfalls kann die Ombudsperson auch die zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Kriterien guter Branchenpraxis einbeziehen.643 Die aufgeführten Kriterien sind dabei alle rechtlicher Natur. Hingegen sind Billigkeitskriterien, anders als dies die Formulierung des FSMA 2000 vermuten lässt, nicht ausdrücklich aufgeführt. Ein dahin gehendes Ermessen wird der Ombudsperson jedoch dadurch eingeräumt, dass die Entscheidung explizit ihr subjektives Empfinden widerspiegeln soll.644 Der gleiche Standard gilt für Verfahren des Legal Ombudsman,645 wobei die Ombudsperson ausdrücklich nicht an die konkretisierend aufgelisteten Kriterien gebunden ist. Berücksichtigungsfähig sind eine hypothetische Gerichtsentscheidung, die von der Regulierungsbehörde anerkannten Verhaltensregeln sowie die maßgebliche Branchenpraxis.646 Noch bedeutender ist der Umstand, dass die möglichen Rechtsfolgen einer Ombudsentscheidung von denen eines gerichtlichen Urteils, dessen Rechtsfolgen in England im Wesentlichen auf die Anordnung von Schadensersatz (damages), 641 „A complaint is to be determined by reference to what is, in the opinion of the ombudsman, fair and reasonable in all the circumstances of the case.“, sec. 228(2) FSMA 2000; DISP 3.6.1R FCA Handbook. 642 DISP 3.6.4R(2) FCA Handbook. 643 DISP 3.6.4R(2) FCA Handbook. 644 Dies macht der Wortlaut „in the opinion of the ombudsman“ deutlich. 645 Siehe hierzu den nahezu gleichen Wortlaut der sec. 147(1) Legal Services Act 2007, „A complaint is to be determined under the ombudsman scheme by reference to what is, in the opinion of the ombudsman making the determination, fair and reasonable in all the circumstances of the case.“; r. 5.36 Legal Ombudsman Scheme Rules. 646 r. 5.37 Legal Ombudsman Scheme Rules.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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einer spezifischen Leistung (specific performance) oder einer Verfügung (injunction) beschränkt sind, abweichen können.647 Bemerkenswert ist etwa die Möglichkeit des Legal Ombudsman, Entschuldigungen und die Minderung von Entgelten anzuordnen648 sowie Ersatz für immaterielle Schäden in Form bloßer Unannehmlichkeiten festzusetzen.649 Letztere sind nach englischem Recht, sofern kein krankhafter Zustand festzustellen ist, nicht ersetzbar.650 Die Handlungsmöglichkeiten des FOS umfassen die Festsetzungen von Entschädigungen in Geld (money award), Zinsleistungen (interest award), Kostenersatz (cost award) sowie einer Anordnung (direction) gegen den Beschwerdegegner.651 Entschädigungsleistungen können neben dem Ersatz finanzieller Schäden (inklusive Folgeschäden und entgangenem Gewinne), auch Schmerzensgeld, Ersatz von Reputationsschäden und Entschädigungen für Unannehmlichkeiten und Belastungen umfassen.652 b) Spezifizierung des Fair-and-reasonable-Standards durch öffentliche Aussagen In Umsetzung der ADR-Richtlinie sind anerkannte ADR-Stellen verpflichtet, verständliche Informationen bezüglich der Streitbeilegungskriterien zu veröffentlichen.653 Der Fair-and-reasonable-Standard bekommt hierdurch eine nähere – wenngleich nicht zwingend bindende – Konkretisierung. Der Fokus des FOS liegt auf einer rechtlichen Beilegung der Streitigkeit. Der FOS löse, dem früheren Chief Ombudsman Merricks zufolge, die große Mehrheit der Beschwerden nach Prinzipien, die sich aus dem geltenden Recht, den allgemeinen Geschäftsbedingungen oder regulierungsbehördlicher Vorschriften herleiten ließen.654 Vielen Beschwerden lägen etablierte Prinzipien des Vertrags647 Hierzu Slapper/Kelly, The English legal system, 112010, Rn. 5.9–5.11; die Befugnisse des High Court sind in den secs. 32–43A Senior Courts Act 1981 konkretisiert. 648 sec. 137(2)(a), (b) Legal Services Act 2007; r. 5.38(h) Legal Ombudsman Scheme Rules. Im Falle der Minderung kann auch die (teilweise) Rückzahlung bereits gezahlter Entgelte angeordnet werden, sec. 137(3) Legal Services Act 2007 649 secs. 133(3)(h), 137(2)(c) Legal Services Act 2007; r. 5.38(b), (d), (g) Legal Ombudsman Scheme Rules. Überdies kann der Ombudsmann Zinsen für den Schadensersatz festsetzen, sec. 137(4) Legal Services Act 2007; r. 5.38(c) Legal Ombudsman Scheme Rules. 650 Watts v Morrow [1991] 1 W.L.R. 1421, 1445 (per Bingham LJ), „A contract-breaker is not in general liable for any distress, frustration, F anxiety, displeasure, vexation, tension or aggravation which his breach of contract may cause to the innocent party.“; Merricks, J.B.L. 2001, 654, 658 f. 651 Unabhängig davon, ob ein Gericht eine Entschädigung festsetzen oder bestimmte Maßnahmen anordnen würde, DISP 3.7.1R FCA Handbook; vgl. auch sec. 229(2) FSMA 2000, der nur die zwei Kategorien der Entschädigung in Geld (money award), worunter allerdings auch Zinsen und Kosten fallen, und der Anordnung kennt. 652 DISP 3.7.2R FCA Handbook; vgl. auch die generelle gesetzliche Grundlage in sec. 229(3) FSMA 2000, nach der Entschädigungen für finanzielle Schäden und für andere näher spezifizierten Verluste oder Schäden. 653 Sch. 3 para. 2 ADR C&I Regulations. 654 Merricks, „is the ombudsman fair and reasonable?“, 2004.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
rechts zugrunde. Nur gelegentlich müsse auf eine generellere Auffassung eines fairen Ergebnisses zurückgegriffen werden, etwa bei komplexen Streitigkeiten und beiderseitigem Fehlverhalten. Darüber hinaus sind Fairnesskriterien von Nöten, wenn die Rechtslage mangels Case Law nicht eindeutig bestimmbar ist oder sich das materielle Recht und die relevanten Branchenstandards auseinanderentwickelt haben.655 Rechtsferne Entscheidungen seien aber freilich nicht zu befürchten.656 Die Beschwerde würde stets anhand des konkreten Sachverhalts und nicht nach der Qualität des Parteivorbringens bewertet. Der FOS habe letztlich zu beurteilen, welche Aussagen glaubhafter erscheinen.657 Dabei werden das vertragliche Gleichgewicht und die Beziehungen der Parteien als Ganzes betrachtet.658 Bei Sachverhalten mit grundsätzlicher Bedeutung können schließlich Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt werden.659 Maßgebliches Fairnesskriterium sei die Konsistenz der Entscheidungen.660 Eine strikte Bindung an Präzedenzfälle innerhalb der Ombudsstelle gäbe es jedoch nicht.661 Diese sei auch nicht erforderlich, da der FOS kein Regulierungsorgan sei, das an eine bestimmte Praxis gebunden ist.662 Anders wäre dies zu beurteilen, wenn der FOS als Gericht im Sinne des Art. 6 EMRK zu qualifizieren wäre. Dies hätte zur Folge, dass ein Begründungserfordernis für die Abweichung von der eigenen Entscheidungspraxis existiert.663 Zur Sicherung einer hohen Entscheidungskonsistenz, die der intellektuelle Anspruch der Institution gebiete, antizipiert der FOS die Vielfalt der möglichen Fälle und versucht diese nach einem einheitlichen Konzept zu bewerten.664 Der Ersatz immaterieller Schäden erfolgt nur, wenn der verursachte „distress“665 oder die „inconvenience“666 über kleine Unannehmlichkeiten hinausgeht 655 Letzteres war im Versicherungssektor der Fall, Merricks, „is the ombudsman fair and reasonable?“, 2004; s. auch https://www.financial-ombudsman.org.uk/who-we-are/make-dec isions. 656 Siehe https://www.financial-ombudsman.org.uk/who-we-are/make-decisions. 657 Zu diesem Zwecke kann die Ombudsperson gezielte Nachfragen stellen und Dokumente verlangen, s. https://www.financial-ombudsman.org.uk/who-we-are/make-decisions. 658 Merricks, J.B.L. 2001, 654, 658. 659 Merricks, J.B.L. 2001, 654, 658. 660 Dies erfordert, dass gleiche Fälle gleich behandelt werden sollen und ungleiche Fälle unterschieden werden, Kempson/Collard/Moore, Fair and reasonable, 2004, S. 40. 661 Merricks, J.B.L. 2001, 654, 657; Kempson/Collard/Moore, Fair and reasonable, 2004, S. 14; Hunt, The Hunt Review, 2008, Rn. 4.4. 662 Hunt, The Hunt Review, 2008, Rn. 4.4. 663 Zu den Garantien des Art. 6 EMRK bereits oben unter Kap. 4 B. I. 1. 664 Dies schließe freilich nicht aus, dass es im Einzelfall zu Fehlern und subjektiven Beurteilungen kommen könne, Merricks, „is the ombudsman fair and reasonable?“, 2004; ders., J.B.L. 2001, 654, 657; ders., JFRCJ of Fin Reg and Compliance (Journal of Financial Regulation and Compliance) 15 (2007), 135, 142; divergierende Entscheidungen könnten aber auch auf die konkreten Sachverhaltsumstände zurückzuführen sein, Hunt, The Hunt Review, 2008, Rn. 4.4. 665 Hierunter fallen Beschämung, Angst, Enttäuschung, Aufregung und Stress, s. https://w
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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und in der Gesamtbetrachtung als fair und angemessen erscheint.667 Die Unannehmlichkeiten müssen dem Unternehmen zurechenbar sein.668 In Verfahren, die von Ombudsman Services betrieben werden,669 findet der Fair-and-reasonable-Standard ebenfalls Anwendung.670 Dabei sind der Vertrag der Parteien, einschlägige Rechtsprechung oder Regulierungsvorschriften, Verhaltenskodizes sowie allgemeine Leitlinien von Ombudsman Services zu berücksichtigen.671 Nennenswert ist der explizite Bezug auf Billigkeitserwägungen (equitable conduct) als Entscheidungsmaßstab. Die Entschädigung für immaterielle Schäden darf keine sanktionierenden Elemente (punitive elements) beinhalten.672 Entschädigungen können aber den Zeitaufwand und die Probleme berücksichtigen, die im Rahmen der Beschwerdebewältigung aufgetreten sind.673 Von der Kategorie „troubles“ (Ärger) werden Enttäuschung, Sorgen, Angst und Aufregung umfasst, die durch das Verhalten des Unternehmens verursacht wurden.674 Sofern die Auswirkungen auf den Kunden erheblich waren, werden diese für gewöhnlich mit GBP 100 entschädigt.675 ww.financial-ombudsman.org.uk/consumers/expect/compensation-non-financial-loss. Physische und seelische Leiden hingegen fallen unter die Kategorie „pain and suffering“. 666 Hierunter wird der Zeit- und Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit der Beschwerde berücksichtigt, s. https://www.financial-ombudsman.org.uk/consumers/expect/compensatio n-non-financial-loss. 667 Siehe https://www.financial-ombudsman.org.uk/consumers/expect/compensation-n onfinancial-loss. 668 Nicht zurechenbar sind etwa psychische Belastungen im Rahmen der Geltendmachung von Versicherungsansprüchen nach einem Autounfall oder dem Todesfall eines Angehörigen, s. https://www.financial-ombudsman.org.uk/consumers/expect/compensation-non-financialloss. 669 Hierzu gehören unter anderem OS:E und OS:C; näher zu diesen Verfahren bereits oben unter Kap. 2 C. II. 2. bzw. Kap. 2 C. II. 3. 670 Para. 9.9(b) Ombudsman Services Terms of Reference, „In [...] reaching any Final Decision [...] it shall be the duty of the Ombudsman: [...] (b) to make reasoned decisions in accordance with what is fair and reasonable in all the circumstances having regard to principles of law, good practice, equitable conduct and good administration“. 671 Para. 9.9(e) Ombudsman Services Terms of Reference, „to have regard to the terms of any relevant contract, any relevant judicial authority or regulatory provision, any relevant codes of conduct or practice, any guidance of a general nature given by the Board and what is, in the Ombudsman’s opinion, fair and reasonable in the circumstances and best practice in the handling of complaints“. 672 Eine Überkompensation ist daher zu vermeiden, para. 10.6 Ombudsman Services Terms of Reference. 673 Hierzu gehören unter anderem die Notwendigkeit wiederholter Anrufe, um Problemen abzuhelfen, der zeitliche Aufwand des Kunden zur Problemlösung sowie der Umstand, dass der Kunde die Dienstleitungen oder Versorgung für einen längeren Zeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, Ombudsman Services, Financial awards, 2016, S. 2. 674 Das kann der Fall sein, wenn eine beglichene oder bestrittene Forderung gegen den Kunden an ein Inkassounternehmen abgetreten wird, das Unternehmen eine hohe inkorrekte Rechnung stellt oder das Unternehmen unberechtigt damit droht, die Dienstleistung oder die Versorgung einzustellen, Ombudsman Services, Financial awards, 2016, S. 3.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
In den Verfahrensordnungen der von CEDR betriebenen Adjudikationsverfahren findet der Fair-and-reasonable-Standard keinen Rückhalt. Hiernach trifft der Adjudikator vielmehr eine Entscheidung in Einklang mit dem einschlägigen Recht, etwaigen Verhaltenskodizes sowie dem Vertrag der Parteien. Billigkeitserwägungen oder subjektive Elemente, die dem Adjudikator ein Ermessen einräumen, scheinen dem ersten Anschein nach nicht vorgesehen. Dem Internetauftritt von CEDR Aviation kann indes entnommen werden, dass für beide Parteien ein faires und angemessenes Ergebnis (fair and reasonable outcome) erreicht werden soll.676 Dass die Entscheidungen nicht geltendem Recht entsprechen müssen, zeigen die dem Adjudikator zur Verfügung stehenden Rechtsfolgen, die ein hypothetisches Gerichtsurteil nicht vorsehen könnten. Neben der Festsetzung einer Entschädigung, kann der Adjudikator auch eine Entschuldigung, spezifische Leistungen und praktische Maßnahmen sowie eine Änderung der Rechnung anordnen und sogar über den Antrag des Verbrauchers hinausgehen.677 Der Entscheidungsmaßstab von CEDR ist letztlich nicht weit vom Fair-and-reasonableStandard entfernt, da auch immaterielle Schäden ersatzfähig sind.678 Darüber hinaus gehen die prozessualen, inquisitorischen Ermittlungsmöglichkeiten des Adjudikators weiter als die eines englischen Richters.679 Zwar trifft auch der Adjudikator grundsätzlich eine Entscheidung auf Basis des Parteivorbringens,680 jedoch kann dieser weitere Beweise verlangen und einbeziehen.681 Trotz der formalen, sehr rechtlichen Entscheidungskriterien, können und sollen Entscheidungen – sofern dies im konkreten Fall gerechter erscheint – von einer strikten Rechtsanwendung abweichen und zu anderen Ergebnissen als ein hypothetisches Gerichtsverfahren kommen können. In der Praxis wird es daher wohl kaum Unterschiede zur Anwendung des Fair-and-reasonable-Standards geben. Unterschiede könnten sich hingegen bei der Qualität der rechtlichen Begründung zeigen.682 675
Ombudsman Services, Financial awards, 2016, S. 3. Siehe gleich die Startseite, abrufbar unter https://www.cedr.com/aviation/; so auch Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 268. 677 rr. 5.3 und 5.4 CISAS Rules; rr. 5.3 und 5.4 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules. 678 Die Kategorien und Beispiele sind dabei analog zu denen der anderen ADR-Stellen ausgestaltet, hierzu die ausführliche Fallstudie, CISAS, Guide to Compensation for Inconvenience and Distress, 2019. 679 Die Beweismöglichkeiten des Gerichts sind in Part 32 CPR geregelt. 680 rr. 1.8 und 4.5.1 CISAS Rules; rr. 1.9 und 4.5.1 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules. 681 Selbst wenn diese nicht von den Parteien vorgebracht wurden, rr. 5.2.4 und 5.2.5 CISAS Rules; rr. 5.2.4 und 5.2.5 CEDR Aviation Adjudication Scheme Rules. 682 Die striktere Rechtsorientierung könnte zur Folge haben, dass die relevanten Entscheidungsstandards deutlich benannt werden und der Sachverhalt hierunter subsumiert wird. 676
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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c) Die Entscheidungen des FOS in der Praxis Der FOS ist die einzige Ombudsstelle im Vereinigten Königreich, die alle finalen Entscheidungen (seit April 2013) anonymisiert auf ihrer Internetseite veröffentlicht.683 Da das Verfahren des FOS mehrstufig ist, stellt die Eskalation der Beschwerde zu einer Ombudsperson quasi ein „Rechtsmittel“ gegen den vorherigen unverbindlichen Lösungsvorschlag des adjudicator dar. Auch wenn eine repräsentative Auswertung der weit über 200 000 hochgeladenen Entscheidungen freilich weit über den Gegenstand dieser Untersuchung hinausgeht, lassen sich eine Reihe allgemeiner Aussagen über das Maß an Rechtsorientierung der Entscheidungen und Begründungen treffen.684 Die Entscheidungen sind meist in vier Abschnitte aufgeteilt: Der ursprünglichen Beschwerde, dem Hintergrund der Streitigkeit, der Fallbewertung sowie der finalen Entscheidung der Ombudsperson. Zumeist verweisen die Entscheidungen auf die Schlussfolgerungen des adjudicator beziehungsweise des case handler, die den Parteien auf der vorherigen Verfahrensstufe einen Lösungsvorschlag unterbreitet haben. Oftmals begnügt sich die Begründung daher mit der Feststellung, dass der adjudicator zu einem fairen und angemessenen Ergebnis gekommen sei. Dies liegt nicht zuletzt an den oftmals (zu) hohen Erwartungen der Beschwerdeführer,685 die den Streit eskalieren, um eine noch höhere als die vom Beschwerdegegner oder adjudicator vorgeschlagene Entschädigung zu erzielen. Die Entscheidungen sind in sehr einfacher und informeller Sprache gehalten, die technische und juristische Termini vermeidet, um es Verbrauchern, als typischerweise juristische Laien, so einfach wie möglich zu machen, den Entscheidungsinhalt nachvollziehen zu können.686 Der freundliche persönliche Ton der Begründung soll die Distanz zwischen dem Beschwerdeführer und der Ombudsperson verringern.687 Ferner wird Beschwerdeführern, deren Beschwerde abzuweisen ist, unter Nutzung rhetorischer Mittel Empathie für die schwierige und möglicherweise frustrierende Situation entgegengebracht.688
683 Die Namen der Beschwerdeführer sind anonymisiert, während die Namen der Ombudsperson sowie des Beschwerdegegners zu erkennen sind. 684 Hierzu schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 225–228. 685 Zu den (zu) hohen Erwartungen von Verbrauchern in Ombudsverfahren, Creutzfeldt, Trusting the middle-man: Impact and legitimacy of ombudsmen in Europe, 2016, S. 51. 686 Insbesondere werden die im formalen schriftlichen Englisch unüblichen Abkürzungen verwendet; um ein paar Beispiele zu zitieren: „Taking everything into account I think [the respondent] has acted fairly and I don’t think it’s done anything wrong“ (Ref: DRN6509581); „The first question I’ve looked at is whether [the respondent] did anything wrong. And I think it’s clear that they did“ (Ref: DRN2733587); „I’ve also considered the damage itself though“ (Ref: DRN2555113). 687 Diese Tendenz lässt sich auch bei den Lösungsvorschlägen der adjudicator erkennen, so Gilad, Law & Policy 30 (2008), 227, 235–238. 688 Mit einer empirischen Analyse der rhetorischen Kommunikationsmittel im Verfahren des FOS, Gilad, Law & Policy 30 (2008), 227 ff.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Daraus folgt jedoch, dass rechtliche Standards und Prinzipien nur vereinzelt ausgeführt sind. In den seltensten Fällen nehmen die Entscheidungen zu vorherigen grundsätzlichen Entscheidungen des FOS, Gesetzen oder Gerichtsentscheidungen Bezug.689 Für die Parteien geht aus einer Entscheidung daher in der Regel nicht hervor, wie die Beschwerde rechtlich zu lösen wäre oder gar welche Entscheidung ein Gericht treffen würde. Dennoch erfolgen eine gründliche Beweiswürdigung und eine Auslegung der relevanten Vertragsbestimmungen. Die spärlichen rechtlichen Erwägungen sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass viele Beschwerden überwiegend tatsächliche Schwierigkeiten aufweisen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen der Beschwerdegegner ein missbräuchliches Verkaufsverhalten vorgeworfen wird und die Verkaufssituation – wenn überhaupt – nur noch schwer rekonstruierbar ist. In solchen Fällen ist eine vorsichtige Beweiswürdigung der Ombudspersonen zu erkennen. d) Ermessensgrenzen des Fair-and-reasonable-Standards Maßnahmen der gesetzlich statuierten Ombudsstellen unterliegen der judicial review des High Court.690 Diese gerichtliche Überprüfung steht dabei gerade für regulierte Unternehmen offen, die auch ohne ihre Zustimmung asymmetrisch an Entscheidungen festgehalten werden. Die Rechtsprechung setzt der Ermessensausübung nach dem recht weiten Fair-and-reasonable-Standard damit Grenzen, um willkürliche Ergebnisse zu verhindern. aa) Überprüfungsmaßstab und Ermessen der Ombudsperson Bei der judicial review handelt es sich um eine reine Willkürkontrolle,691 sodass das Gericht weder die Stellung der Ombudsperson einnimmt,692 noch die Ent-
689 Unklar ist, ob die vorherigen Lösungsvorschläge der adjudicator eine rechtliche Bewertung enthalten. 690 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 D. I. 1. b). 691 Die gerichtliche Überprüfung ist auf die Perversität oder Irrationalität (perversity or irrationality) der Entscheidung beschränkt, so das Votum von Rix LJ in R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242, Rn. 80; R. (on the application of Williams) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWHC 2142 (Admin) Rn. 26; vgl. auch Clark v In Focus Asset Management & Tax Solutions Ltd [2014] EWCA Civ 118 Rn. 68. 692 Das Gericht überprüft die Entscheidung nicht so, als würde es selbst die gesetzlichen Befugnisse der Ombudsstelle wahrnehmen, R. (Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), Rn. 21; R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 36.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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scheidung mit einem hypothetischen Gerichtsurteil vergleicht.693 Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Begründung als auch auf das Ergebnis der Entscheidung.694 Der gerichtliche Überprüfungsmaßstab beurteilt sich nach den Kriterien des Präzedenzfalls Wednesbury695, wonach Entscheidungen aufzuheben sind, die außerhalb der Bandbreite vernünftiger, dem Entscheidungsträger offen stehenden Lösungen fallen (sogenannte Wednesbury unreasonableness).696 Unvernünftig ist eine Entscheidung in diesem Sinne auch dann, wenn die Begründung das Ergebnis nicht schlüssig tragen kann.697 Da die Kriterien im Hinblick auf den Zweck der Verfahren zur informellen und raschen Streitbeilegung und dem weiten Ermessensspielraum des Fair-and-reasonable-Standards zu überprüfen sind, ist die Hürde für das Gericht, eine Ombudsentscheidung aufzuheben, enorm hoch.698 Die Befürchtungen, dass die Kriterien in der gerichtlichen Praxis mit der Zeit aufgeweicht würden und sich die judicial review zu einer Überprüfung von Rechtsfehlern entwickele,699 haben sich nicht bewahrheitet. Trotz der massiv angestiegenen Fallzahlen des FOS werden Entscheidungen nur selten gerichtlich überprüft und eine Überprüfung meist nur von kleineren und mittleren Finanzdienstleistern angestrebt. Der Standard einer irrationalen Entscheidung scheint sich – mit Ausnahme vereinzelter Aussagen –700 verfestigt zu haben.701
693 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin), Rn. 21, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 80, „[...] the decision is for the Ombudsman, not for a judge“. 694 R. (on the application of Williams) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWHC 2142 (Admin) Rn. 26. 695 Associated Provincial Picture Houses Ltd v Wednesbury Corp [1948] 1 K.B. 223, 230, „It is true to say that, if a decision on a competent matter is so unreasonable that no reasonable authority could ever have come to it, then the courts can interfere.“ 696 „The decision to impose the general ban is also within the range of reasonable decisions open to a decision maker.“, Boddington v British Transport Police [ 1998] UKHL 13, [1999] 2 AC 143 Rn. 175H; R. (on the application of Aviva Life and Pensions (UK) Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2017] EWHC 352 (Admin) Rn. 58. 697 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 59, 78; bestätigt in R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin) Rn. 21. 698 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin) Rn. 21. 699 So etwa Morris, L.M.C.L.Q. 2009, 353, 365. 700 Zweifel wirft etwa die folgende Formulierung auf „The hurdle [...] is to show that what was said by FOS [...] was unreasonable or discloses an error of law.“, R. (on the application of Cook) v Financial Ombudsman Service Ltd [2009] EWHC 426 (Admin) Rn. 57. Die Aussage impliziert, dass eine rechtsfehlerhafte Entscheidung aufgehoben werden könnte, etwa dann, wenn die Ombudsperson Erwägungen einstellt, die nicht hätten berücksichtigt werden dürfen oder Erwägungen nicht einstellt, die hätten berücksichtigt werden müssen. Dieser Maßstab greift zu kurz und verkennt den grundsätzlichen Test der Irrationalität. 701 Vgl. insbesondere die Überprüfungsmaßstäbe in R. (on the application of Aviva Life and Pensions (UK) Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2017] EWHC 352 (Admin).
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
bb) Alternative Lösungswege Der Fair-and-reasonable-Standard erlaubt es Ombudspersonen, eigene Lösungswege für tatsächliche und rechtliche Fragen zu entwickeln. In Norwich and Peterborough Building Society702 stellt der High Court fest, dass Ombudsstellen berechtigt seien, eigene Kriterien dahingehend zu entwickeln, was als fair und angemessen zu erachten sei. Dies gebiete der weite Wortlaut des Entscheidungsstandards sowie das Erfordernis konsistenter Entscheidungen. Im zugrunde liegenden Verfahren ging es um die unterschiedliche Verzinsung verschiedener Sparkonten bei der Beschwerdegegnerin, die der Beschwerdeführer als unfair empfand.703 Die Ombudsperson hielt die Beschwerde auf Basis eines eigens entwickelten Fairness-Standards, dem „relative onerousness test“,704 sowie einer Auslegung des Banking Codes, für begründet.705 Das Gericht akzeptierte diesen Test, obwohl dieser keine gesetzliche Basis fand, da er zwar einfach und nicht immer eindeutig sei, jedoch nicht als irrationale oder willkürliche Entscheidungsgrundlage bezeichnet werden könne.706 Es steht Ombudspersonen daher frei, von der strikten Anwendung materiellen Rechts abzuweichen und einen eigenen Lösungsansatz zu verfolgen, der aus ihrer Sicht zu einem fairen und angemessenen Ergebnis kommt.707 Von materiellem Recht kann selbst dann abgewichen werden, wenn der Beschwerdegegner unstrittig im Einklang mit dem geltenden Recht sowie allen relevanten Richtlinien und Praktiken gehandelt hat. Der Überprüfungsmaßstab wäre, wie in Aviva Life and Pensions festgestellt, zu eng, sodass eine Beschwerde zwangsläufig abgewiesen werden müsste, nur weil sich der Beschwerdegegner rechtskonform verhalten hat.708 Die Untersuchung unter dem Fair-and-reasonable-Standard ist weitreichender und kann ein Verhalten, unabhängig von dessen Rechtskonformität, als unfair und unangemessen beurteilen. Im konkreten Fall war die Begründung, dies gestand der FOS ein, indes unzureichend, da weder die Abweichung vom materiellen Recht noch die Angemessenheit des gefundenen 702 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin). 703 Für eine verständliche Darstellung des komplexen Sachverhalts, dessen Details hier zweitrangig sind, s. MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 517. 704 Der Test besagt im Kern, dass es unfair ist, wenn ein Finanzinstitut ein Konto niedriger verzinst als das andere, obwohl die Vertragsbedingungen des niedriger verzinsten Kontos belastender sind – hier in Bezug auf Zinsausfälle – als die des Kontos mit höherer Verzinsung, R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 31 und 98; hierzu auch MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 517. 705 Zur Interpretation des Banking Code sogleich unter Kap. 4 E. IV. 1. d). 706 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 107. 707 So zutreffend MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 518. 708 R. (on the application of Aviva Life and Pensions (UK) Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2017] EWHC 352 (Admin) Rn. 59.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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Ergebnisses begründet wurde.709 Ausgehend vom Fokus auf die Begründung der Entscheidung, ist das Begründungserfordernis umso höher, desto klarer die Rechtslage ist, von der das Ergebnis abweicht. Das Gericht hätte sich trotz der spärlichen Begründung wohl großzügiger gezeigt, hätte das Ergebnis die materielle Rechtslage reflektiert. Da Ombudsstellen aufgrund der notwendigen Entscheidungskonsistenz gar verpflichtet seien, eigene Kriterien zu entwickeln, ist Zurückhaltung bei der gerichtlichen Überprüfung geboten.710 Die Entscheidung einer Ombudsperson ist daher nur aufzuheben, wenn ihre Begründung derart unzureichend ist, dass sie der Entscheidung jeder Logik beraubt. Gegen den Fair-and-reasonable-Standard bestehen letztlich auch keine rechtsstaatlichen Bedenken.711 Die zwingende Jurisdiktion der Ombudsstellen gründet auf gesetzlicher Basis, die einen bestimmbaren Test vorgibt, der durch nähere Regeln konkretisiert werden kann und der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.712 Der nach der Rule-of-law-Doktrin erforderlichen Konsistenz und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen sei ausreichend Rechnung getragen.713. Im Gegenteil sei es sogar möglich, in einer Fair-and-reasonable-Jurisdiktion nicht nur eine Möglichkeit alternativer Streitbeilegung, sondern eine neue wichtige Rechtsquelle zu sehen.714 Im Bereich des Versicherungsrechts habe der FOS bereits ein „neues Common Law“ für Verbraucherverträge entwickelt, das sowohl von Gerichten als auch vom Gesetzgeber beachtet werde.715 709 R. (on the application of Aviva Life and Pensions (UK) Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2017] EWHC 352 (Admin) Rn. 53 und 55; vgl. auch die Entscheidung des FOS (Rn. 26). 710 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 77 und 78, „The Court should be very wary of reaching such a conclusion. Its own views as to what would be fair are not to be substituted for the Ombudsman’s views when what is at issue is a question of the substantive merits of a decision as to unfairness.“. 711 R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 48–51; kritisch hingegen zur Klarheit des Standards und dessen Verhältnis zum Recht, R. (on the application of Aviva Life and Pensions (UK) Ltd) v Financial Ombudsman Ltd [2017] EWHC 352 (Admin) Rn. 73 (per Jay J). 712 Votum von Rix LJ in R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 81. 713 Diesbezüglich basierten die Ombudsstellen auf Konzepten, die dem englischen Recht lange bekannt seien, sodass nicht zu befürchten sei, dass sich die Parteien in unbekannten Land wiederfinden, vgl. R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 49 und die Erwägungen im Votum von Rix LJ (Rn. 84–86). 714 So das Votum von Rix LJ in in R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 87. 715 Votum von Rix LJ in R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 87. In diesem Sinne hat die Law Commission ihre Vorschläge zur Reform des Verbraucherversicherungs-
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
cc) Rechtliche Auslegungshoheit der Gerichte Die Rechtsprechung setzt dem Ermessen der Ombudsperson eine klare Grenze im Hinblick auf die Auslegungshoheit der Gerichte über Gesetze und andere rechtliche Normen, wie Verhaltenskodizes. In Norwich and Peterborough Building Society stellte das Gericht hinsichtlich der Erwägungen der Ombudsperson zum Banking Code fest, dass es allein den Gerichten obliege, über die Bedeutungen dieser Bestimmungen zu entscheiden.716 Rechtlichen Vorschriften könnten demnach nur eine einzige Bedeutung zukommen, auch wenn der Wortlaut einer Bandbreite von vernünftigen Auslegungen zugänglich ist, sogenanntes one meaning principle.717 Eine Rechtsauslegung wird daher nicht nur auf ihre Rationalität überprüft.718 Eine Interpretation, die sich von der gerichtlichen Auslegung unterscheidet, ist eine Fehlauslegung mit der Folge, dass die Entscheidung das Recht, als eines der maßgeblichen Entscheidungskriterien, nicht berücksichtigt. Ein Ermessen besteht hingegen bei der Subsumtion des Falls unter die maßgebliche gerichtliche Interpretation einer Rechtsnorm.719 Im konkreten Fall überschritt die Ombudsperson indes ihre Kompetenzen, indem sie ihre eigenen Gerechtigkeitskriterien in den Banking Code hineininterpretierte und dessen rechtlichen Bestimmungen so zum Vehikel ihres eigenen Fairness-Standards machte.720 Umgekehrt bedeutet dies, dass es der Ombudsstelle nach eigenem Ermessen und Standards – hier dem Relative-onerousnessTest“ – freisteht, in Abweichung vom materiellen Recht, zu einem anderen fairen Ergebnis zu kommen.721 Entscheidend ist nur, dass die Entscheidung im Falle recht, die zum Erlass des Consumer Insurance (Disclosure and Representations) Act 2012 geführt haben, auf die Praxis des FOS gestützt. Zu diesem Zwecke hat die Law Commission 250 relevante Entscheidungen des FOS analysiert, vgl. Law Commission, Insurance Contract Law: Misrepresentation, Non-Disclosure and Breach of Warranty by the Insured (TSO, 2007), Law Com. Consultation Paper No. 182, abrufbar unter https://www.lawcom.gov.uk/d ocument/insurance-contract-law-misrepresentation-non-disclosure-and-breach-of-warrantyby-the-insured/ und Law Commission, Consumer Insurance Law: Pre-contract Disclosure and Misrepresentation (TSO, 2009), Law Com. No. 319, abrufbar unter https://www.lawco m.gov.uk/project/consumer-insurance-law-pre-contract-disclosure-and-misrepresentation/. 716 Dabei ist das Gericht beim Banking Code nicht auf die zur Auslegung parlamentarischer Gesetze zulässigen Methoden beschränkt, sondern kann auf verschiedene Auslegungsmethoden und Materialien zurückgreifen und einen breiten, zweckgerichteten und alltagstauglichen Ansatz verfolgen, R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 69. 717 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 71. 718 Diesbezüglich wurde auch ein Anstieg der gerichtlichen Überprüfungen von FOS Entscheidungen hinsichtlich der Auslegungen von Verhaltenskodizes befürchtet, der sich jedoch nicht bewahrheitet hat, diese Bedenken bei Morris, L.M.C.L.Q. 2009, 356. 719 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 72. 720 R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 88. 721 Das Importieren dieses Tests in den Banking Code war nach Ansicht des Gerichts daher
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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einer Fehlinterpretation nicht vorgibt, Ergebnis einer Rechtsanwendung zu sein.722 dd) Abweichung von materiellem Recht ADR-Verfahren und -Ergebnisse müssen nicht denen eines Gerichts entsprechen.723 Entscheidungen sind nicht an materielles Recht gebunden, wenn dieses nach Ansicht der Ombudsperson keine faire Lösung bereit hält.724 Effiziente und informale ADR-Verfahren sollen nicht durch die Auferlegung von Rechtsdogmatik unterdrückt werden.725 Eine Abweichung von einer strikten Rechtsanwendung zugunsten eines fairen Ergebnisses kann auch bei unklarer Rechtslage geboten sein.726 Die Begründung muss allerdings klar machen, dass das Ergebnis nicht dem Ergebnis einer Rechtsanwendung entspricht. In IFG Financial Services wendete sich ein Finanzunternehmen gegen eine Entscheidung des FOS mit der Begründung, dass diese das einschlägige Recht nicht berücksichtige.727 Im zugrunde liegenden Fall wollte ein Ehepaar in einen Fonds mit mittlerem Risiko investieren. Tatsächlich war die Investition mit hohem Risiko behaftet und der Fonds betrügerisch verwaltet. Der FOS entschied auf volle Kompensation des Ehepaars, obwohl das Finanzunternehmen nach englischem Recht – insoweit unstrittig – nicht für die betrügerischen Handlungen des Anlageverwalters haftbar war.728
unnötig, R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 99. 722 Es muss vielmehr nur deutlich werden, ob die Entscheidung auf rechtlichen oder anderweitigen Kriterien beruht, MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 519. 723 „There is no requirement that processes (or indeed decisions) should mirror those of the courts. On the contrary this is an alternative method of resolving disputes.“, Westscott Financial Services Limited v Financial Ombudsman Service Ltd [2014] EWHC 3972 (Admin) Rn. 32. 724 Dies ergibt sich deutlich aus den subjektiven Elementen der sec. 228(5) FSMA 2000 sowie aus den möglichen Rechtsfolgen, die die Entscheidung nach sec. 229(2) FSMA 2000 treffen kann, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 36; R. (on the application of Williams) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWHC 2142 (Admin) Rn. 26. 725 So das Votum von Rix LJ in R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 89. 726 In diese Richtung, R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 91, in der Burnton J festhält, dass eine Abweichung vom Recht im vorliegenden Fall auch deshalb nicht irrational erscheine, weil der Court of Appeal im einschlägigen Präzedenzfall zur Haftung für betrügerisches Verhalten noch zu einem anderen Ergebnis gekommen sei als das House of Lords; s. auch den entsprechenden Folgerung von MacNeil, Law & Fin. Mkt. Rev. 1 (2007), 515, 520. 727 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin). 728 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 38–40.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Der High Court folgerte schon aus dem Wortlaut der sec. 228(5) FSMA 2000, dass Beschwerden nicht in Einklang mit materiellem Recht entschieden werden müssten.729 Die Ombudsperson könne von geltendem Recht zugunsten einer fairen Entscheidung abweichen, sofern er alle in der Verfahrensordnung gelisteten Erwägungen berücksichtigt.730 Aus der Entscheidung müsse nicht hervorgehen, dass von materiellem Recht abgewichen wird oder warum die Rechtslage unfair sei.731 Es sei vielmehr ausreichend, dass die Ombudsperson begründet, dass das gefundene Ergebnis fair und angemessen ist.732 ee) Prozessuale Auswirkungen Der Fair-and-reasonable-Standard zeitigt damit auf den ersten Blick besonders materiell-rechtliche Implikationen, bedingt jedoch auch erhebliche prozessuale Unterschiede zum gerichtlichen Verfahren. Im Gegensatz zum englischen Zivilprozess ist das Ombudsverfahren nicht kontradiktorisch, sondern inquisitorisch.733 Hierzu gehört, dass die Ombudsperson nicht auf die Qualität der Argumente achtet, sondern den vom Beschwerdeführer in eigenen Worten präsentierten Sachverhalt untersucht.734 Noch entscheidender ist die Möglichkeit der Ombudsperson, Erwägungen anzustellen und Beweise zu verwerten, die die Parteien selbst nicht vorgebracht haben oder vor Gericht nicht verwertbar wären.735 Die Ombudsperson kann die Parteien um ergänzende Informationen, Beweise und Meinungen fragen, wobei es ihr nicht obliegt, selbst ein Sachverständigengutachten einzuholen.736 Ferner ist es der Ombudsperson erlaubt, negative Rückschlüsse aus nicht vorgelegten Beweisen zu ziehen, solange dies nicht die einzige Erwägung bleibt.737 Nach Auf729 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 13. 730 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 74–76. 731 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 88. 732 R. (on the application of IFG Financial Services Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2005] EWHC 1153 (Admin) Rn. 90; vgl. auch R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 56. 733 R. (on the application of Williams) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWHC 2142 (Admin) Rn. 26; R. (on the application of Cook) v Financial Ombudsman Service Ltd [2009] EWHC 426 (Admin) Rn. 26; R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 8. 734 R. (on the application of Cook) v Financial Ombudsman Service Ltd [2009] EWHC 426 (Admin) Rn. 39. 735 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin) Rn. 20. 736 R. (on the application of Cook) v Financial Ombudsman Service Ltd [2009] EWHC 426 (Admin) Rn. 41. 737 R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin) Rn. 20.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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fassung des High Courts in der Sache Crawford durfte die Ombudsperson nicht aus dem Umstand allein, dass der Anwalt keine Notizen für eine rechtliche Beratung vorlegen konnte, den Schluss ziehen, die Beratung sei mangelhaft gewesen.738 2. Ausrichtung des Schlichtungsvorschlags an geltendem Recht, § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG In der Praxis imitieren die Struktur und der Inhalt von Schlichtungsvorschlägen der nach dem VSBG anerkannten ADR-Stellen tendenziell den gerichtlichen Streitentscheid. Der Schlichtungsvorschlag „soll“ gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG „am geltenden Recht ausgerichtet sein und soll insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachten.“ Mit dieser Vorschrift bezweckt der deutsche Gesetzgeber, in überschießender Umsetzung der ADR-Richtlinie, rechtsfreie Räume zu verhindern und das Vertrauen der Verbraucher in ADR zu steigern, ohne dabei die Flexibilität von ADR zu stark einzuschränken. Flankiert wird die Vorschrift von der Pflicht zur Begründung des Schlichtungsvorschlags (S. 3) sowie der Qualifikationsanforderung an den Streitmittler nach § 6 Abs. 2 VSBG. Der zugegebenermaßen schwer zu bewerkstelligende Balanceakt zwischen den Bedürfnissen nach schneller, informeller Streitbeilegung einerseits und dem Verlangen nach Individualgerechtigkeit anderseits, führte im Ergebnis zur Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die den Rechtsanwender über den genauen Umfang der Rechtsbindung im Unklaren lassen.739 a) Auslegung des Rechtsorientierungsgebots des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG Im Folgenden sollen dem recht unbestimmten Wortlaut des Rechtsorientierungsgebots konkrete Konturen verliehen werden. Im Wesentlichen verlangt das Rechtsorientierungsgebot, wie auch der englische Fair-and-reasonable-Standard, keine Rechtsanwendung, wohl aber eine Begründung für Abweichungen von der materiellen Rechtslage. Die Vorschrift des § 19 VSBG gilt nur für Verfahren, in denen der Streitmittler den Parteien kraft der geltenden Verfahrensordnung einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit zu unterbreiten hat.740 Im Umkehrschluss gilt das Rechts-
738 Die Existenz von Notizen war im konkreten Fall auch nicht zu erwarten, R. (on the application of Crawford) v The Legal Ombudsman and Noor [2014] EWHC 182 (Admin) Rn. 24–28. 739 In diese Richtung Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 27, demzufolge „man auf große, fast unüberwindbare Schwierigkeiten“ treffe, wolle man die praktischen Folgen der Vorschrift ihrem Wortlaut entnehmen; s. auch Gössl, RIW 2016, 473, 474; die Vorschrift nicht für gelungen haltend, Gsell, ZZP 128 (2015), 189, 206. 740 So schon die Begründung des Fraktionsentwurfs zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 62.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
orientierungsgebot nicht für Vorschläge eines Mediators, wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann.741 Zurückhaltung ist bei der Qualifizierung einer informalen Empfehlung als Schlichtungsvorschlag geboten. Teilweise sehen Verfahrensordnungen – gerade von Ombudsstellen – vor, dass die neutrale dritte Person zunächst auf eine informale gütliche Einigung der Parteien im Rahmen einer Konfliktmoderation hinwirkt, die auch Empfehlungen oder Anregungen des Streitmittlers umfassen kann.742 Entscheidend ist, ob der Vorschlag aus Sicht der Parteien das Ende des Verfahrens bildet. Im Falle informaler Vorschläge sollten Parteien daher darüber unterrichtet werden, dass ein finaler Schlichtungsvorschlag noch folgt, sollte eine einvernehmliche Lösung scheitern.743 Würden informelle Vergleichsvorschläge in Schlichtungsverfahren von § 19 Abs. 1 VSBG umfasst, hätte dies nicht nur die Rechtsbindung dieser Vorschläge zur Folge – deren Geltung noch durchaus plausibel erscheinen mag –, sondern würde unter anderem auch das Begründungserfordernis des § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG nach sich ziehen und damit die Möglichkeit informeller Einigungsversuche unterbinden. aa) Ausrichtung des Schlichtungsvorschlags an geltendem Recht Die Rechtsorientierung des Schlichtungsvorschlags soll die Qualität von ADR steuern.744 Dabei hatte der Gesetzgeber die deutsche ADR-Praxis vor Augen, in der Schlichtungsvorschläge oftmals mit einer ausgefeilten rechtlichen Begründung ehemals hochrangiger Richter versehen sind. Von diesen Schlichtungsvorschlägen geht daher eine gewisse Richtigkeitsgewähr aus, die für Verbraucher eine faktische Bindungswirkung zur Folge hat.745 Das geltende Recht im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG umfasst alle materiell-rechtlichen Normen, nicht aber das formelle Recht, das sich nach der jeweiligen Verfahrensordnung bestimmt.746
741 Detailliert zum Anwendungsbereich des § 19 VSBG mit entsprechenden Leitlinien, Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 3–19, der maßgeblich auf die Verpflichtung des Streitmittlers zum Erlass eines Schlichtungsvorschlags abstellt. 742 In diesem Sinne ist der Schlichtungsvorschlag mehr als das Eruieren von Lösungsmöglichkeiten im Rahmen der Konfliktmoderation, Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/ Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 5. 743 Empfehlenswert wäre insbesondere eine sprachliche Differenzierung zu „Schlichtungsvorschlägen“. Sofern es sich um einen finalen Lösungsvorschlag handelt, kommt es auf die Bezeichnung als „Schlichtungsvorschlag“ freilich nicht an, zutreffend Röthemeyer, in: Roder/ Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 16 und 19. 744 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 24. 745 Von einer faktischen Bindungswirkung spricht Gössl, NJW 2016, 838, 841; dies., RIW 2016, 473, 479 zustimmend Kotzur, VuR 2015, 243, 246; Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2, Rn. 318; in diese Richtung auch Pelzer, ZKM 2015, 43; auf den Begriff der Richtigkeitsgewähr abstellend, Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 19; zustimmend Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 267. 746 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 30.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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Zwar kommt den unbestimmten Rechtsbegriffen „ausrichten“ und „beachten“ keine feste Bedeutung in der deutschen Rechtswissenschaft zu, jedoch erfordert ein „Ausrichten“ am Recht weniger Präzision als eine Rechtsanwendung.747 Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung, nach welcher der Streitmittler, der nur einen Vorschlag unterbreitet, nicht in derselben Weise wie ein Gericht gebunden ist, das ein verbindliches Urteil fällt.748 Trotz dieser Unterscheidung zwischen ADR und Zivilprozess wird der Regelung mitunter eine sehr strikte Rechtsbindung des Streitmittlers entnommen.749 Der Streitmittler würde im Vergleich zum Richter nur dadurch entlastet werden, dass er weder eine umfassende Auswertung der Rechtsprechung und Literatur noch eine rechtsfortbildende Tätigkeit vorzunehmen habe.750 Die Ausgestaltung des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG als Sollvorschrift weiche die Rechtsbindung nicht auf.751 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen, da eine Rechtsbindung die Flexibilität des Streitmittlers, die Interessenlage der Parteien und außerrechtliche Aspekte zu berücksichtigen, zu stark einschränkt.752 Das Recht ist für den Schlichtungsvorschlag damit lediglich Richtschnur.753 Andernfalls wäre die Hinweispflicht des § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG darauf, dass der Vorschlag vom Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann, weitestgehend überflüssig.754 Freilich bleibt es
747 So zutreffend Gössl, RIW 2016, 473, 479: „Ausrichten am Recht ist sprachlich ein Minus zur Rechtsanwendung.“; ähnlich Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 147; zustimmend Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/ Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 29; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 168. 748 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 63. So auch Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 168 f. 749 Für ein weitgehendes Prinzip der Rechtsbindung bzw. Rechtmäßigkeit, Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 40; vgl. Roth, JZ 2013, 637, 642 f. 750 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 10 f. 751 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 13; von einer Rechtsbindung spricht auch Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2, Rn. 318; a. A. Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 33. 752 Die Flexibilität und den Pragmatismus von ADR hervorhebend, Kramme, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 150; in diese Richtung auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 41; eine Rechtsanwendung daher für sinnwidrig haltend, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 5; s. auch Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, 139 f.; a. A. Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 15, der außerrechtliche Aspekte und Parteieninteresse ohnehin besser in einer Mediation aufgehoben sieht. 753 Die sich in der Rechtslage widerspiegelnden Gerechtigkeitsvorstellungen sind als Orientierungshilfe in den Schlichtungsvorschlag einzubeziehen, so Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 5. 754 So Gössl, RIW 2016, 473, 479, wobei dem entgegengehalten werden kann, dass sich das Ergebnis trotz strikter Rechtsanwendung dennoch aufgrund einer, mangels Beweisaufnahme abweichenden, tatsächlichen Beurteilungsgrundlage unterscheiden kann. Für Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 10 f. verdeutliche der Hinweis den Par-
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
den ADR-Stellen überlassen, eine noch engere Rechtsbindung in ihren Verfahrensordnungen vorzusehen.755 Richtigerweise ist dem Streitmittler zumindest der Ermessensspielraum einzuräumen, der einem Richter in der Güteverhandlung zukommt, weshalb außerjuristische Aspekte, wie wirtschaftliche und psychologische Elemente, berücksichtigungsfähig bleiben.756 Dem mag freilich entgegenzuhalten sein, dass ein begründeter Schlichtungsvorschlag mehr Autorität ausstrahlt, als der – gegebenenfalls sogar mündlich geäußerte – Vergleichsvorschlag eines Richters.757 Das Rechtsorientierungsgebot garantiert daher nicht die Rechtsbindung eines Schlichtungsvorschlags, sondern stellt nur sicher, dass die Parteien auf Basis der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung des Falls eine informierte Entscheidung über die Annahme des Schlichtungsvorschlags treffen können, sogenanntes Prinzip der informierten Autonomie.758 Das Ergebnis muss aber freilich im Einklang mit etablierten Rechtsgrundsätzen stehen.759 Hier kann auf den Gedanken der englischen Rechtsprechung zu gesetzlichen Ombudsstellen zurückgegriffen werden, wonach die Ombudsperson zwar berechtigt ist, von materiellem Recht abzuweichen, dies aber begründen muss.760 Abweichungen von geltendem Recht sind dabei umso erklärungsbedürftiger, desto klarer die Sach- und Rechtslage
teien lediglich, dass das Gericht selbstverständlich nicht an die Rechtsauffassung der ADRStelle gebunden sei. 755 So der Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 63; vgl. Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 44. Beispielhaft hierfür ist die Entscheidungsgrundlage des Versicherungsombudsmanns: „Recht und Gesetz“, § 6 Abs. 4 S. 1 Vom VO. 756 Zutreffend Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 29; ders., in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 34; Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, 139; zuletzt Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 169 f.; Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, S. 268. 757 Dies sieht letztlich auch Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 29, der jedoch auf die persönliche Autorität des Richters und die antizipatorischen Erwägungen der Parteien über den Einfluss einer Ablehnung des Vergleichsvorschlags auf das weitere Verfahren verweist. 758 Diese Begrifflichkeit geht zurück auf Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, 139; zustimmend Wiese/Hörnig, ZKM 2016, 56, 60; Isermann, RRa 18 (2016), 106, 111; Riehm, JZ 2016, 866, 871; Berlin, 22016, 64; Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 31; ders., in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 33; Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, S. 266–268; in diese Richtung auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 152; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 265–267. 759 Vgl. Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 151; zurückhaltender Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 42. 760 Das Maß der Rechtsbindung ist in England gleichwohl geringer als nach § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG; zur englischen Rechtsprechung s. bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d) und Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 217–220.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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ist.761 Schließlich ist damit auch gesagt, dass der Schlichtungsvorschlag – anders als in der ADR-Praxis im Vereinigten Königreich –762 nur in Ausnahmefällen zugunsten des Verbrauchers abweichen wird.763 Welche Konsequenz die Unterscheidung zwischen dispositivem Recht und zwingendem Verbraucherschutzgesetzen zeitigt, lassen sich weder dem Wortlaut noch dem Telos des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG entnehmen.764 Eine striktere Bindung an zwingendes Recht ist aufgrund der damit einhergehenden Abgrenzungsschwierigkeiten nicht praktikabel und auch nicht geboten.765 Es ist nicht einzusehen, warum zwingende Normen des Verbraucherschutzes mehr Geltung beanspruchen sollen als anderes dispositives oder zwingendes Recht.766 Im Hinblick auf die verbraucherschützende Zielrichtung der ADR-Richtlinie wird vertreten, dass die zwingenden Normen tatsächlich absolut zwingend seien.767 Dem Wortlaut dieser „Soll“-Regel ist ein solcher absoluter Geltungsanspruch zwingenden Verbraucherrechts allerdings nicht zu entnehmen.768 761 So auch Pelzer, ZKM 2015, 43, 45, der Abweichungen von der gesetzlichen Lösung bei klarer Sach- und Rechtslage für rechtswidrig hält. In diese Richtung gehend, spricht Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 230 davon, dass „die Durchsetzung materiellen (Verbraucher)rechts proportional zur Genauigkeit der Sachverhaltsaufklärung abnimmt“. Entgegenzutreten ist daher der Auffassung bei Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 97, nach der die Erarbeitung von Kompromisslösungen durch den Streitmittler unter Abwägungen von Wahrscheinlichkeiten nicht die Voraussetzungen des § 19 VSBG erfülle, das VSBG also in sich widersprüchlich sei. 762 Hierzu zählt insbesondere die Kompensation für nicht pathologische Unannehmlichkeiten, hierzu bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. 763 So auch Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 11, der über die Ansprüche des Verbrauchers hinausgehende Kulanzlösungen nur etwa bei Unsicherheiten im Sachverhalt für möglich hält. 764 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 31; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 33; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 151; insoweit zustimmend Prütting, in: Althammer/ Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 12, der allerdings von einer weitgehenden Rechtsbindung ausgeht. 765 So Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 151; Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 33; ders., in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 31. 766 Zutreffend Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 151. 767 So etwa Gössl, RIW 2016, 473, 479 f., die die Vorschrift dahingehend auslegt, dass deutsches zwingendes Verbraucherschutzrecht unabhängig vom sonst geltendem Recht anwendbar sei und somit zu international zwingenden Normen erhoben werden würden. Für eine Verpflichtung zur Anwendung zwingenden Rechts, Pelzer, ZKM 2015, 43, 45; für eine strenge Bindung an zwingende Normen zumindest auf Tatbestandsebene plädierend, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 263; eine Pflicht zur Anwendung halbzwingenden und zwingenden Rechts sieht, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 171–177, der eine Ausnahme nur bei unklarem, selbst durch Zivilgerichte nicht aufklärbaren Sachverhalt zugesteht. 768 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Inhalt des Schlichtungsvorschlags selbst
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
bb) Berücksichtigung ausländischen Rechts Umstritten ist überdies, inwiefern der Schlichtungsvorschlag ausländisches Recht zu berücksichtigen hat. Die Gesetzgebungshistorie weist klar darauf hin, dass das geltende Recht in grenzüberschreitenden Fällen grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Kollisionsrechts zu bestimmen ist.769 Mit Rücksicht auf den – potenziell unverhältnismäßig – hohen Kosten- und Zeitaufwand, der mit der Ermittlung ausländischen Rechts verbunden ist, wird vertreten, dass ADRStellen von der Berücksichtigung ausländischen Rechts sollen absehen können, um Schwierigkeiten in der Praxis vorzubeugen.770 Dies könne insbesondere in der Verfahrensordnung sowie durch entsprechende Unterrichtung der Parteien klargestellt werden.771 Des Weiteren wird argumentiert, dass sich die überwiegend vollharmonisierten verbraucherrechtlichen Standards der Mitgliedstaaten kaum unterscheiden würden und das deutsche Verbraucherschutzniveau ohnehin überdurchschnittlich sei.772 Da verschiedene Rechtsordnungen dennoch zu untergegen zwingendes Recht verstößt, hierzu sogleich unter Kap. 4 E. IV. 2. Entsprechend spricht Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 6 davon, dass der Schlichtungsvorschlag nicht gegen allgemein zwingendes Recht, wie die §§ 134, 138 BGB verstoßen dürfe, scheint im Übrigen aber keine relevante Differenzierung zwischen geltendem Recht und Verbraucherschutzvorschriften zu sehen. 769 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 62 f. Relevant wird dies insbesondere für das auf Verbraucherverträge anwendbare Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers nach Art. 6 Rom I-VO, da regelmäßig die bestehende ADR-Struktur am Sitz des Unternehmers zuständig ist, hierzu Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 35. 770 So Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 153, der zurecht darauf hinweist, dass ADR-Stellen die sprachlichen und rechtlichen Kenntnisse in der Praxis fehlen dürften und der einen Widerspruch zwischen dem Ermessensspielraum des Streitmittlers bei Inlandssachverhalten und der zwingenden Anwendung ausländischen Rechts sieht; so auch Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 35; ders., in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 35; Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 12; Wiese/Hörnig, ZKM 2016, 56, 60, die einen Unterrichtung über die fehlende Prüfung ausländischen Rechts, entsprechend § 17 Abs. 3 BeurkG für ausreichend halten; dieser Gedanke auch bei Gössl, RIW 2016, 473, 480, die eine entsprechende Rechtswahl der Parteien nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO für möglich hält. 771 Für einen Ausweg über die Verfahrensordnung, Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 153; zur Unterrichtung der Parteien, Höxter, VuR-Sonderheft 2016, 29, 32; Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 35. 772 So Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 35; ders., in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 35; in diese Richtung, aber mit Bedenken, Pelzer, ZKM 2015, 43, 45, der insbesondere fordert, dass der erhöhte Aufwand bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten nicht zur Ablehnung der Beschwerden führen dürfe; diese Bedenken auch bei Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 153. Diesen Ansatz als „undogmatisch“ bezeichnend, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 179. Hierzu auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 334.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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schiedlichen Ergebnissen kommen können, wird mitunter für die Ermittlung des anwendbaren Rechts im Einzelfall plädiert.773 Hierbei könnten ADR-Stellen durch das Netz der europäischen Verbraucherzentren774 unterstützt werden.775 Je nach Art und Wert des Streitgegenstands wird man von ADR-Stellen die Anwendung ausländischen Rechts – sowohl auf Tatbestands- als auch der Rechtsfolgenebene – nicht verlangen können, sodass für spezielle Regelungen in den Verfahrensordnungen der ADR-Stellen zu plädieren ist.776 cc) Keine Aufspaltung von Tatbestand und Rechtsfolgen Um das Bedürfnis der Parteien nach einer rechtsgebundenen Bewertung ihres Falls sowie die nötige Flexibilität von ADR-Stellen in ein Gleichgewicht zu bringen, schlägt Kotzur777 ein zweistufiges Verfahren vor. In einem ersten Schritt solle sich das Verfahren im Sinne einer Prozessrisikoanalyse an Rechtsvorschriften ausrichten, um den Verbraucher über seine Ansprüche aufzuklären778. Die Flexibilität des ADR-Verfahrens könnte nachgelagert auf der zweiten Ebene der Rechtsfolgen ausgespielt werden. Der Verbraucher würde so eigenverantwortlich entscheiden können, ob er sich mit einem Schlichtungsvorschlag zufriedengibt, der zwar auf Tatbestandsebene rechtsgebunden ist, aber von den vorgesehenen Rechtsfolgen abweicht.779 Zweifelsfrei bietet gerade die Rechtsfolgenebene in ADR-Verfahren genügend Flexibilität, um vom materiellen Recht zugunsten einer interessengerechten Lösung abzuweichen.780 Jedoch wirkt es etwas gekünstelt, aus zwei Gliedern des 773 Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 267 hält dies zumindest auf Tatbestandsebene für erforderlich, während ADR-Stellen im Rahmen der schwieriger zu bestimmenden Rechtsfolgen ihre Flexibilität ausspielen können sollen. Nach Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 173 dürfe das internationale Privatrecht de lege lata aufgrund des Prinzips der Mindestharmonisierung nicht vollständig außer Acht gelassen werden. Die Anwendung zwingender Kollisionsnormen für notwendig erachtend, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 178 f. 774 Gemeint ist das European Consumer Centres Network (ECC-Net). 775 Kotzur, VuR 2015, 243, 245; ders., Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 267; Gössl, RIW 2016, 473, 480, die jedoch das Risiko sieht, dass die Kommunikation zwischen nationalen Verbraucherzentralen bei unklarer Rechtslage nicht neutral ist. 776 So auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 35. 777 Insbesondere Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 253–267. 778 So, mit Bezug auf die Begründung des Schlichtungsvorschlags, auch Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 181. 779 Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, 257 und 265. 780 Siehe nur die Beispiele bei Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 258; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141, 150; Riehm, JZ 2016, 866, 870.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Anspruchs (Tatbestand und Rechtsfolge) beziehungsweise des Lösungsvorschlags (Bewertung und Ergebnis) zwei Verfahrensstufen zu entwickeln. Die zweite Verfahrensstufe würde sich letztlich nur im Kopf des Schlichters abspielen; für die Parteien, denen ein einheitlicher Lösungsvorschlag übermittelt wird, ist eine solche Verfahrensaufteilung daher nicht erkennbar. Noch entscheidender – dies erkennt auch Kotzur781 – lassen sich die Rechtsfolgen einer Norm nicht getrennt von ihrem Tatbestand betrachten. Ferner ist es nicht einzusehen, warum der Tatbestand und die Rechtsfolgen materiell-rechtlicher Normen unterschiedlich zu behandeln sein sollen; im Ergebnis kann es auch hier zur – durchaus nachvollziehbaren – Abweichung von der materiellen Rechtslage kommen. Während mit einer Aufspaltung daher nur wenig gewonnen wäre, würde die Flexibilität des ADR-Verfahrens ungerechtfertigterweise auf die Rechtsfolgenebene beschränkt. Die Begründung könnte Verbraucher auch so über die tatbestandlichen Voraussetzungen des materiellen Rechts unterrichten. Wenngleich der Fair-and-reasonable-Standard keine Rechtsbindung verlangt, zeigt die englische Rechtsprechung, dass faire und interessengerechte Lösungen durchaus Abweichungen vom Tatbestand, etwa im Rahmen der Haftungsbegründung, gebieten können.782 In Deutschland könnte ein pragmatischer, an Billigkeitskriterien orientierter Ansatz auf Tatbestandsebene für Rechtsfragen von Bedeutung sein, zu dem verschiedene unterinstanzliche Gerichte unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben, die materielle Rechtslage also unklar oder sofern die Anwendung der Rechtslage schon tatbestandlich zu einem unbefriedigenden Ergebnis führt.783 dd) Unsicherheiten im Sachverhalt Aufgrund der sehr eingeschränkten Beweismöglichkeiten in weitestgehend dokumentenbasierten ADR-Verfahren784 sind Zweifel oder Unsicherheiten hinsichtlich des Sachverhalts üblich.785 Für Unsicherheiten, die auch im Falle einer 781 Es könne daher behauptet werden, dass die vorgeschlagene Lösung letztlich eine teilweise Missachtung zwingender Normen darstellt, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 265. 782 Zu den durch die Rechtsprechung gesetzten Ermessengrenzen bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d). 783 Letzterer Fall dürfte in Deutschland freilich die Ausnahme bilden, da nicht anzunehmen ist, dass sich ADR-Stellen über eine eindeutige Rechtslage hinwegsetzen würden und Unternehmen solche Entscheidungen mangels asymmetrischer Ergebnisbindung kaum akzeptieren würden. 784 Hierzu Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 21–26; Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 5 Rn. 209–212; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 200–203. 785 Zutreffend spricht Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 160 davon, dass es dem Charakter der Verbraucherschlichtung entspreche, dass ein schnelles und schriftliches Verfahren nicht in gleichem Maße wie das Gerichtsverfahren für die gründliche Aufklärung des Sachverhalts sorgen kann.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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hypothetischen gerichtlichen Beweisaufnahme nicht beseitigt werden könnten, greifen die materiell-rechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln.786 Schwierigkeiten ergeben sich allerdings dann, wenn ein rechtsorientierter oder gar rechtsgebundener Schlichtungsvorschlag auf einem unklaren oder streitigen Sachverhalt fußen soll, obwohl geeignete Beweismittel zur Verfügung stünden. Bei der Prognose des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme ist Zurückhaltung geboten, da der Schlichtungsvorschlag – je nach Spekulation des Streitmittlers – weit vom Ergebnis eines hypothetischen Gerichtsverfahrens abweichen könnte.787 Der Schlichtungsvorschlag sollte Unklarheiten im Sachverhalt ausdrücklich ansprechen und im Sinne eines Relationsgutachtens jeweils getrennte rechtliche Bewertungen auf Basis der Parteivorträge vornehmen.788 Die dargelegten Unsicherheiten sind dann gewissermaßen in den Vergleichsvorschlag „einzupreisen“, indem das Sachverhaltsrisiko zwischen den Parteien aufgeteilt wird.789 Hierbei bleibt dem Streitmittler freilich genügend Spielraum, die Glaubwürdigkeit und Plausibilität des Parteivorbringens zu bewerten.790 Die Flexibilität von ADRVerfahren könnte ferner im Rahmen der Darlegungslast genutzt werden. Ähnlich der Möglichkeiten vieler Ombudsstellen im Vereinigten Königreich,791 könnte die ADR-Stelle negative Rückschlüsse aus einer Säumnis der Parteien ziehen, bestimmte tatsächliche Umstände oder Dokumente darzubieten.792 786 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 37; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 49; Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 14. 787 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 37; vgl. aber auch ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 50, der dort noch von einer Beweisprognose des Streitmittlers spricht; vgl. auch Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 19 Rn. 14. 788 Zutreffend Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136, 139; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 38 f., der von einem „Einstieg in die Prozessrisikoanalyse“ spricht; noch zurückhaltender ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 49; ähnlich mit Bezug auf die aktuelle Schlichtungspraxis Gössl, NJW 2016, 838, 841; dies., RIW 2016, 473, 479; für eine Verdeutlichung von Beweisrisiken und -unsicherheiten, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 4; zustimmend Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 175. 789 Zutreffend Riehm, JZ 2016, 866, 870; ähnlich Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, § 19 VSBG Rn. 4; s. aber auch Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 11, der Kulanzlösungen zugunsten des Verbrauchers für möglich hält; für Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 176 führe der auf eine ungenaue Sachverhaltsaufklärung beruhende Schlichtungsvorschlag zu einem qualitativen Manko der Verbraucherschlichtung. 790 Ähnlich Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 19 VSBG Rn. 4. 791 Siehe bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d) ee). 792 Dies sollte freilich nur dann möglich sein, wenn die neutrale dritte Person bei der Partei zuvor entsprechend nachgehakt hat. Mit dieser Einschränkung wohl auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 37, der negative Schlüsse dann für kontraproduktiv hält, wenn diese aus einem bloß fehlenden Vortrag resultieren, ohne dass der Streitmittler entsprechend nachgehakt hätte.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
b) Das Rechtsorientierungsgebot in der deutschen ADR-Praxis Die Erwägungen des deutschen Gesetzgebers zur Einführung eines Rechtsorientierungsgebots für Schlichtungsvorschläge beruhte auf der etablierten Praxis sektorspezifischer ADR-Stellen, die sich stark an das gerichtliche Verfahren anlehnt. Für existierende ADR-Stellen bestand daher – wenn überhaupt – nur wenig Anpassungsbedarf.793 Demgemäß ist der Entscheidungsmaßstab der meisten ADR-Stellen, wie bei einem Gericht, Recht und Gesetz mit dem Zusatz, dass Billigkeitserwägungen berücksichtigt werden können. Für die behördlichen Schlichtungsstellen bei der Deutschen Bundesbank und der BaFin definiert § 9 Abs. 2 S. 1 FinSV, in starker Anlehnung an den Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG, den Begriff des Schlichtungsvorschlags und konkretisiert das Rechtsorientierungsgebot. Demnach ist der Schlichtungsvorschlag „ein Vorschlag, wie die Streitigkeit von den Beteiligten nach geltendem Recht, insbesondere unter Beachtung von zwingenden Verbraucherschutzgesetzen und unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, angemessen beigelegt werden kann.“794 Zwar folgt hieraus eine grundsätzliche Rechtsbindung des Vorschlags, jedoch wird durch die Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie dem Ziel einer angemessenen Streitbeilegung, der Raum für Billigkeitserwägungen geöffnet. Es handelt sich letztlich um eine treffende Konkretisierung der Vorgaben des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG. Dieser Standard gilt nicht nur für Verfahren der behördlichen Schlichtungsstellen nach § 14 Abs. 1 S. 2 UklaG, sondern wurde darüber hinaus von vielen Verfahrensordnungen der ADR-Stellen im Finanzsektor mit gleichem oder ähnlichem Wortlaut übernommen.795 Entscheidungsmaßstab im Verfahren des Versicherungsombudsmanns ist wie bei einem staatlichen Gericht „Recht und Gesetz“, § 6 Abs. 4 S. 1 VomVO.796 Daneben können allgemeine, versicherungsrelevante Wettbewerbsrichtlinien berücksichtigt werden (S. 2). In diese Richtung geht auch der Entscheidungsstandard des PKV-Ombudsmanns, für dessen Beurteilung der „Inhalt des Versiche793 Zumal die Verfahrensordnungen der ADR-Stellen eine noch striktere Rechtsbindung vorsehen können, so die Begründung des Fraktionsentwurfs zum VSBG, BTDrucks. 18/5089, S. 63. 794 Ein nahezu identischer Beurteilungsmaßstab gilt für das Verfahren der behördlichen Verbraucherschlichtungsstelle Telekommunikation bei der Bundesnetzagentur, § 13 Abs. 2 S. 3 SchliO. 795 Siehe für eine wörtliche Übernahme § 9 Abs. 2 S. 1 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle beim DSGV; § 7 Abs. 2 S. 1 Verfahrensordnung der Kundenbeschwerdestelle beim BvR; § 15 Abs. 1 S. 1 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds; § 17 Abs. 2 S. 1 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen; § 9 Abs. 2 S. 1 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Bausparen; § 13 Abs. 2 Verfahrensordnung der VuV-Ombudsstelle; III. (3) Verfahrensordnung für die Schlichtung von Beschwerden im Bereich des VÖB; für eine wortähnliche Übernahme S. § 6 Abs. 4 Verfahrensordnung des Bankenombudsmanns: „auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen.“. 796 So das ausdrückliche Ziel, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 7.
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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rungsvertrages, das Gesetzesrecht sowie die dazu ergangene Rechtsprechung maßgeblich“ sind.797 Die Berücksichtigung von Billigkeitskriterien sucht man sowohl in der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns798 als auch in den veröffentlichten Schlichtungsentscheidungen vergeblich.799 Dies ist letztlich auch dem Umstand geschuldet, dass die Beschwerden aufgrund der starken Regulierung des Versicherungsvertragsrechts gerade in rechtlicher Hinsicht streitig sind. Die Begründung der Entscheidung variiert danach, ob die Beschwerde aufrechterhalten oder abgelehnt wird. Obsiegt der Verbraucher, ist der Schlichtungsvorschlag sehr juristisch und urteilsähnlich ausgestaltet, um dem Versicherungsunternehmen die Haftungsgründe ausführlich zu erläutern.800 Bleibt die Beschwerde des Verbrauchers indes erfolglos, ist der Schlichtungsvorschlag hingegen laienverständlich geschrieben und verzichtet auf juristische und versicherungstypische Fachbegriffe.801 Sofern Unklarheiten bezüglich des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehen, versucht der Versicherungsombudsmann auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken,802 anstatt spekulative Prognosen über den Ausgang einer hypothetischen Beweisaufnahme anzustellen. Die Schlichtungsstelle Energie trifft Empfehlungen nach Recht und Gesetz, wobei dem Streitmittler ein Ermessen verbleibt, dass er nach Treu und Glauben auszuüben hat.803 Die Schlichtungsempfehlungen sind urteilsähnlich strukturiert und formuliert und unterteilen sich in Sachverhalt, Begründung und Kostenentscheidung. Die Empfehlungen, von denen eine Auswahl veröffentlicht ist, sind eng am geltenden Recht unter Bezugnahme auf relevante Rechtsprechung ausgestaltet. Für Unsicherheiten im Sachverhalt gelten regelmäßig die relevanten Darlegungs- und Beweislastregeln.804 Das Verfahren selbst ist zunächst auf eine
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§ 10 Abs. 1 S. 1 Statut des Ombudsmanns Private Kranken- und Pflegeversicherung. Ausweislich der Informationen auf der Internetpräsenz des PKV-Ombudsmanns, Kompromisse in Fällen zu erreichen, in denen das „formaljuristisch Richtige unbillig erscheint“, abrufbar unter https://www.pkv-ombudsmann.de/service/haeufige-fragen/. 799 Sofern der Grundsatz von Treu und Glauben als Ausdruck von Billigkeitserwägungen berücksichtigt wird, wird das durch Rechtsprechung untermauert, hierzu schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 227. 800 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 14; s. auch Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212, 227. 801 Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 12. 802 So die Internetpräsenz des Versicherungsombudsmanns, abrufbar unter https://www. versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahren/. 803 § 8 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Energie. 804 Vgl. AZ: 2675/17, https://www.schlichtungsstelle-energie.de/schlichtungsempfehlunge n.html?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/03.07.2017 Empfehlung%20zum%20Vertr agsabschluss%20am%20Telefon Kuendigung%20ohne%20Vorlage%20einer%20Vollmac ht.pdf; AZ: 3190/17, https://www.schlichtungsstelle-energie.de/schlichtungsempfehlungen.h tml?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/08.11.2017 Empfehlung%20zum%20fehlgesch lagenen%20Lieferantenwechsel.pdf; AZ: 2183/12, https://www.schlichtungsstelle-energie.de/ schlichtungsempfehlungen.html?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/04-07-2012-Empfe 798
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
einvernehmliche Streitbeilegung ausgerichtet,805 weshalb Lösungsvorschläge auf der ersten Verfahrensstufe Auswirkungen auf die spätere Schlichtungsempfehlung zeitigen können.806 Vereinzelt und in geringem Maße wird von einer strikten Rechtsanwendung abgesehen.807 Die Schlichtung der söp erfolgt ebenfalls „in Rahmen von Recht und Gesetz“.808 Für den Bereich des Luftverkehrs sind zusätzlich die Vorgaben des § 14 Abs. 1 S. 2 LuftSchlichtV zu berücksichtigen, wonach der Schlichtungsvorschlag dem geltenden Recht folgt und geeignet sein muss, den Streit der Beteiligten angemessen beizulegen. Die rechtliche Bewertung in den veröffentlichten Empfehlungen der söp sind im Sinne eines Relationsgutachtens aufgebaut, sodass zunächst die Aspekte, die zugunsten der beiden Parteien zu berücksichtigen sind, getrennt untersucht werden, bevor eine Gesamtabwägung des Falls in einen Schlichtungsvorschlag mündet. Dabei werden die relevanten Vertragsbestimmungen, Normen und Rechtsprechung zitiert. Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht werden aufgezeigt und in Form eines Abschlags auf die Gesamtforderung eingepreist.809 Die Schlichtungsempfehlungen der söp zeigen sich damit ungleich flexibler und informaler.810 hlung-zur-Schadensersatzpflicht-des-Netzbetreibers-nach-Versorgungsunterbrechung-undUEberspannungsereignissen.pdf. 805 Sog. Moderationsverfahren nach § 6 Abs. 2 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Energie. 806 Der Inhalt der Schlichtungsempfehlung kann sich an ein vorheriges Angebot der Beschwerdegegnerin anlehnen, vgl. AZ: 4292/17, https://www.schlichtungsstelle-energie.de/sch lichtungsempfehlungen.html?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/24.11.2017 Empfehl ung%20zum%20Recht%20zur%20ausserordentlichen%20Kuendigung%20bei%20vorausg egangener%20falscher%20Auskunft.pdf. 807 Dies gilt allerdings nur in geringem Umfang, wie etwa für den Verzicht auf Mahn- und Inkassokosten sowie für ein kulantes Zahlungsziel, S. AZ: 4330/17, https://www.schlichtung sstelle-energie.de/schlichtungsempfehlungen.html?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/ 06.02.2018 Empfehlung%20zum%20erhoeten%20Verbrauch bestandene%20Befundpruef ung Richtigkeitsvermutung.pdf; vgl. AZ: 3120/17, https://www.schlichtungsstelle-energie.d e/schlichtungsempfehlungen.html?file=files/sse/content/pdf/empfehlungen/09.11.2017 Emp fehlung%20zur%20Hoehe%20der%20Abschlaege.pdf; Kulanzregelungen können auch im Rahmen des Mediationsverfahrens vorgeschlagen werden, seitens des Schlichters, AZ: 2184/15, https://www.schlichtungsstelle-energie.de/schlichtungsempfehlungen.html?fil e=files/sse/content/pdf/13-10-2015 Empfehlung%20zum%20Anspruch%20auf%20Schaden sersatz%20wegen%20eines%20Schadens%20an%20einer%20Waermepumpenheizung%20n ach%20einem%20Stromausfall.pdf; als auch seitens der Beschwerdegegnerin, AZ: 1743/15, h ttps://www.schlichtungsstelle-energie.de/schlichtungsempfehlungen.html?file=files/sse/conte nt/pdf/13-10-2015 Empfehlung%20zum%20Anspruch%20auf%20Schadensersatz%20weg en%20eines%20Schadens%20an%20einer%20Waermepumpenheizung%20nach%20ein em%20Stromausfall.pdf. 808 Ohne nähere Konkretisierung, § 6 Abs. 1 söp Verfahrensordnung. 809 Dabei wird auch die Glaubhaftigkeit des Parteivortrags berücksichtigt. Beispielhaft wurden einem Verbraucher 60 % seiner Forderungen zugesprochen, weil im Rahmen der summarischen Prüfung unklar blieb, ob ein Haftungsausschlussgrund nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vorlag, nach welchem die Ansprüche des Verbrauchers gänzlich ausgeschlossen gewesen wären, s. https://soep-online.de/wp-content/uploads/2021/03/Versp%C
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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Ausdrückliches Ziel einer jeden Schlichtung ist ein angemessener Interessenausgleich.811 Trotz der ausdrücklichen Rechtsbindung können Empfehlungen vereinzelt von der Rechtslage zugunsten des Verbrauchers abweichen, wenn eine strikte Rechtsanwendung zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen würde. Hierzu gehört die Berücksichtigung nicht-justiziabler Aspekte, wie Unannehmlichkeiten und Emotionen.812 So etwa in einem Fall, in dem ein betagter Beschwerdeführer Stornierungskosten für ein Hotelzimmer geltend machte, die ihm durch eine frühere Abreise entstanden, die vor dem Hintergrund erfolgte, dass er und seine schwer behinderten Frau die Strapazen eines drohenden Bahnstreiks am geplanten Reisetag zu umgehen versuchten.813 Die söp erkannte zwar, dass rechtlich kein Anspruch besteht, stellte jedoch die hypothetische Erwägung an, dass die Beschwerdegegnerin bei planmäßiger Abreise streikbedingt wohl zu einem ähnlich hohen Schadensersatz verpflichtet gewesen wäre, sodass sie die Beschwerdegegnerin bat, die Stornierungsgebühren aus Kulanz zu erstatten. Des Weiteren kann die söp in geringem Maße zu Kulanzleistungen zur Kompensierung entstandener Unannehmlichkeiten und zum Zwecke der Kundenzufriedenheit anregen, die nach deutschem Recht nicht erstattungsfähig sind.814 Die Verrechtlichung der Schlichtungsempfehlungen variiert je nach Beförderungsart. Da die Ansprüche der Verbraucher im Bereich des Luftverkehrs durch die FluggastrechteVO815, der korrespondierenden Rechtsprechung des EuGH sowie dem Montrealer Übereinkommen816 ausdifferenziert geregelt sind, drehen 3%A4tung-Enteisung.pdf; bei erheblichen Zweifeln kann die Quote höher liegen, so etwa 80 % der Forderungen, s. https://soep-online.de/wp-content/uploads/2021/03/Versp%C3%A 4tung-Zweifel-bez%C3%BCglich-Drei-Stunden-Grenze.pdf. Eine Quotelung im Falle unklarer Sach- und Rechtslage, insbesondere im Falle des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nimmt auch die behördliche Schlichtungsstelle Luftverkehr beim BfJ vor, Bailly, 2020, S. 219, 225. 810 Anlehnung an das gerichtliche Verfahren besteht jedoch durch die Betonung der richtergleichen Neutralität und Unparteilichkeit der Schlichter, s. https://soep-online.de/das-sch lichtungsverfahren/. 811 So der Einleitungssatz jeder rechtlichen Bewertung. Für den Luftverkehr ergibt sich diese Voraussetzung letztlich schon aus § 14 Abs. 1 S. 2 LuftSchlichtV. 812 Söp, Jahresbericht 2021, 2022, S. 9. 813 Die entsprechende Schlichtungsempfehlung ist nicht mehr auf der Webseite der söp abrufbar. 814 So etwa Beendigung des BahnCard-Vertrags aus Kulanz, https://soep-online.de/wp-c ontent/uploads/2022/01/Probe-BahnCard-Kuendigung.pdf; der Zuspruch von Reisegutscheinen im Gesamtwert von EUR 20 im Falle nicht erstattungsfähiger Taxikosten, https://s oep-online.de/wp-content/uploads/2022/01/Verspaetung-RailFly-Ticket.pdf; Reduzierung eines erhöhten Beförderungsentgelts im ÖPNV wegen ungültiger Streifenkarte nach Tarifänderung,https://soep-online.de/wp-content/uploads/2022/01/Erhoehtes-BefoerderungsentgeltStreifenkarte-OePNV.pdf. 815 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. Nr. L 46 S. 1. 816 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr v. 28.5.1999.
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sich die Beschwerden meist um die Frage, ob ein Haftungsausschlussgrund nach Art. 4 Abs. 3 FluggastrechteVO greift.817 Diesbezüglich liegen die Schwierigkeiten einerseits darin, dass bestimmte Verspätungs- und Annullierungsursachen richterlich noch nicht beurteilt wurden und der Sachverhalt andererseits nicht mehr vollständig aufgeklärt werden kann. Im Bereich des Bus- und Bahnverkehrs hingegen, sind Sachverhalt und Rechtslage meist deutlich klarer als im Luftverkehr, jedoch führen die gesetzlichen Regelungen im Einzelfall bei enormer Verspätung oder Unannehmlichkeiten nur zu einem unbefriedigenden Ergebnis, sodass Kulanzleistungen angemessen und erforderlich erscheinen. c) Wirksamkeit eines Vergleichs in Abweichung zwingenden Rechts Die Schlichtungsvorschläge deutscher ADR-Stellen sind als solche nicht gerichtlich überprüfbar, sodass eine Verletzung des Rechtsorientierungsgebots nach § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG allenfalls dann Gegenstand eines Gerichtsverfahrens werden könnte, wenn die Unwirksamkeit818 des Vergleichs oder Schadensersatzansprüche gegen die ADR-Stelle geltend gemacht werden.819 Die äußerste Grenze der Rechtsorientierung bildet die Beachtung zwingender820 Normen, deren Verletzung andernfalls die Unwirksamkeit des auf Basis des Schlichtungsvorschlags geschlossenen Vergleichs zur Folge hätte. Demnach sind Vergleiche, deren Inhalt gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) verstoßen, nichtig. Umstritten ist hingegen, ob eine Abweichung von Verbraucherschutzvorschriften zur Unwirksamkeit eines Vergleichs führt oder ob die Parteien privatautonom über die Befolgung (halb-)zwingenden821 Verbraucherrechts disponie817 So für das subsidiäre Verfahren der behördlichen Schlichtungsstelle Luftverkehr auch BfJ, Tätigkeitsbericht der behördlichen Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz für das Jahr 2017, 2018, S. 11. Zuletzt bezogen sich die Beschwerden zudem auf Covid19-Pandemie bedingte Flugausfälle, BfJ, Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz für das Jahr 2021, 2022, S. 17. 818 Möglich wäre dies im Verfahren zur Durchsetzung der Vergleichsansprüche oder im Rahmen einer negativen Feststellungsklage der durch den Vergleich benachteiligten Partei. 819 Zu Haftungsansprüchen der Parteien gegen die ADR-Stelle, Lorenz, VersR 2004, 541, 547 f.; Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 5 Rn. 167 f. und 235–238, nach dem ADR-Stellen ein Haftungsprivileg ähnlich des § 839 Abs. 2 BGB bei rechtlichen Würdigungen, nicht aber bei Verfahrensfehlern zukommen soll. Überzeugender ist es jedoch eine Haftungsprivilegierung abzulehnen, so Pelzer, ZKM 2015, 43, 46, der zutreffend erkennt, dass dem Streitmittler ohnehin ein weiter Ermessensspielraum zukommt; ähnlich Gössl, NJW 2016, 838, 841; in diese Richtung auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 217. Die Haftung der ADR-Stelle kann die Haftung indes in der Verfahrensordnung, die als AGB Teil des Schlichtungsvertrags wird, begrenzen, zutreffend Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 237. 820 Abweichungen vom dispositiven Recht, welche die Privatautonomie der Parteien nicht einschränken, können freilich unproblematisch wirksam vereinbart werden. 821 Unter halbzwingenden Normen sind solche zu verstehen, von denen zuungunsten des Verbrauchers nicht abgewichen werden darf. Hierzu gehören etwa das Widerrufsrecht bei
E. Materielle Rechtsbindung des Verfahrensergebnis
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ren können.822 Im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs lässt sich im Umkehrschluss aus § 476 Abs. 1 S. 1 BGB entnehmen, dass Parteivereinbarungen, die von den gesetzlichen Mängelrechten und verbraucherschützenden Vorschriften abweichen und nach Mitteilung eines Mangels getroffen werden, wirksam sind. Teilweise wird unter Hinweis auf den effet utile des Unionsrechts argumentiert, dass zwingende Verbraucherschutznormen indisponibel seien, da den Parteien insofern die Verfügungsbefugnis über das Rechtsverhältnis fehle.823 Diese Ansicht ist schon deshalb impraktikabel und unzutreffend, weil die Sachlage oftmals unklar ist, sodass der Abschluss eines – möglicherweise gegen zwingendes Recht verstoßenden – Vergleichs vorsorglich unterbleiben müsste.824 Vermittelnd wird daher eine Ausnahme für Vergleiche gemacht, denen eine unklare Sach- oder Rechtslage zugrunde liegt.825 Zutreffende wird halbzwingendes Verbraucherrecht im Zuge der Debatte um Verbraucherstreitbeilegung daher zunehmend als disponibel erachtet.826 Dass zwingenden Verbraucherschutznormen kein absoluter Geltungsanspruch zukommt, folgt schon daraus, dass Verbraucher nicht verpflichtet sind, ihre Ansprüche geltend zu machen und auf ihre Rechte durch Verjährenlassen der Forderungen quasi verzichten können.827 Darüber hinaus zielt das Verbraucherschutzrecht, wie auch § 476 Abs. 1 S. 1 BGB zeigt, primär auf den Schutz des
Fernabsatzverträgen nach den §§ 312 ff. BGB, bestimmte Vorschriften für Teilzeit-Wohnrechteverträge (§ 487 S. 1 BGB) und Verbraucherdarlehensverträge (§ 511 S. 1 BGB). 822 Zum Meinungsstand, Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, 193 ff. 823 So Ewert, Grenzüberschreitende Mediation in Zivil- und Handelssachen, 2012, S. 99 f., der das gesamte ius cogens für indisponibel hält; in diese Richtung gehend auch Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 172, 176, 180, der folgerichtig wenig Spielraum für Streitmittler sieht, von der Rechtslage abzuweichen; Hau, in: Staudinger, BGB, 2020, § 779 Rn. 19, der nur eine Ausnahme für Vergleiche zulassen will, mit denen geklärt wird, ob das zugrunde liegende Verhältnis gesetzes- oder sittenwidrig ist. 824 Beispielhaft könnte im Nachgang unklar sein, ob der Widerruf fristgemäß erfolgte oder ob der Unternehmer alle Informationspflichten erfüllt hat. 825 Das Abweichen von zwingenden Verbraucherschutzvorschriften wäre in diesen Fällen möglich, so Sprau, in: Grüneberg, BGB, 812022, § 779 BGB Rn. 6; Roth, JZ 2013, 637, 643; BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = NJW-RR 2012, 866, 869; Habersack, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 779 Rn. 12, der jedoch eine Rückausnahme für den Fall machen will, dass die Beweislastverteilung zugunsten des Verbrauchers greift; so auch Wendehorst, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2022, § 312k Rn. 6. 826 So unter anderem Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 78; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 70; Pelzer, ZKM 2015, 43, 45; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 414;; Riehm, JZ 2016, 866, 870; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 17 mit Bezug zum unionsrechtlichen Verbrauchervertragsrecht. 827 Zutreffend hebt Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 72 hervor, dass die Disponibilität zwingender Normen letztlich auf dem Grundsatz der privatautonomen Rechtsdurchsetzung bei nur begrenzter staatlicher Lauterkeitskontrolle folgt; diesen Wertungswiderspruch sieht auch Pelzer, ZKM 2015, 43, 45.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
strukturell unterlegenen Verbrauchers bei Vertragsabschluss ab.828 Dieses Schutzbedürfnis entfällt nach Entstehen der Streitigkeit, sodass nicht einzusehen ist, warum Verbraucher nicht selbstbestimmt und eigenverantwortlich auf ihre Ansprüche sollen (teilweise) verzichten dürfen.829 Dies beansprucht für alle Ergebnisse in ADR-Verfahren Geltung, besonders aber in Fällen, in denen die Parteien eine vollinformierte Entscheidung auf Basis eines rechtsorientierten Schlichtungsvorschlags treffen.830 Der Friedensfunktion des Vergleichs ist insoweit Vorrang einzuräumen; der Schlichtungszweck überlagert also den Verbraucherschutzzweck.831 Im Ergebnis sind der Wirksamkeit von Vergleichen zwischen den Parteien nur geringe Grenzen gesetzt.832 Unwirksam sind demnach nur Vereinbarungen, deren Inhalt als völlig unvereinbar mit der Rechtsordnung im Sinne einer Verletzung des ordre public zu sehen ist. Für die Schlichtung stellt das Rechtsorientierungsgebot des § 19 Abs. 1 S. 1 VSBG den strengeren, wenngleich weitaus schwieriger durchzusetzenden Entscheidungsstandard dar. d) Keine unmittelbare gerichtliche Überprüfung von Verfahrensergebnissen Die Verfahrensergebnisse der nach dem VSBG anerkannten ADR-Stellen unterliegen keiner unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle. Die Einhaltung des Rechtsorientierungsgebots ist gerichtlich daher nur schwer durchsetzbar. Akzeptierte Schlichtungsvorschläge und andere Vergleiche sind, anders als ein Schiedsspruch, nicht nach § 1059 Abs. 2 ZPO angreifbar.833 Ob Verfahrensentscheidun828 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 71; zur Schutzrichtung zwingender Verbraucherschutzvorschriften, die besonders im Vorfeld des Vertragsabschlusses die Informationsasymmetrie zwischen den Parteien auszugleichen versuchen und den Verbraucher bei Vertragsschluss vor Überrumpelungssituationen schützen, Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 263 f. 829 Andernfalls würden die Verbraucherschutzvorschriften in eine Bevormundung des Verbrauchers umschlagen, so Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 414. 830 Für diese Fälle sieht es Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 79 mit der grundgesetzlich geschützten (Art. 1 und 2 GG) Privatautonomie als unvereinbar an, wenn der Einigung der Parteien aufgrund der Abweichung von zwingenden Verbraucherschutznormen die Wirksamkeit versagt werden würde; wie hier, auch Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, 201 f. 831 So Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 17–19; hierzu auch Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 74, der Gedanken fürs deutsche Recht insofern fruchtbar machen will, als dass mit dem Prinzip der informierten Autonomie, der Schutzzweck zwingenden Verbraucherrechts bereits strukturell erfüllt sei; ähnlich ders., in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 19 Rn. 80. Nach Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, S. 290 entfalle mit der Sicherstellung der informierten Autonomie die Grundlage für die zwingende Normgeltung. 832 Dies gilt umso mehr, als dass Unsicherheiten im Sachverhalt in meist dokumentenbasierten ADR-Verfahren nicht unüblich sind. 833 Für eine analoge Anwendung fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke,
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gen einer privaten ADR-Stelle einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen, erschien Gerichten bisher zweifelhaft, blieb jedoch im Ergebnis offen.834 Eine gerichtliche Kontrolle des Verfahrensergebnisses – abgesehen von der Beurteilung der Wirksamkeit eines erzielten Vergleichs – kommt daher nur in Form einer inzidenten Überprüfung der Unwirksamkeit eines Vergleichs in Betracht, die als Einwendung gegen eine Leistungsklage aus einem Vergleich geltend gemacht werden kann. Denkbar ist auch eine negative Feststellungsklage, die auf das Nichtbestehen einer Leistungspflicht aus einem Vergleich gerichtet ist. Unabhängig von den hohen Grenzen der Unwirksamkeit eines Vergleichs, wäre der gerichtliche Überprüfungsmaßstab indes sehr eng. Zusätzlich könnte die Konformität eines Schlichtungsvorschlags mit dem Rechtsorientierungsgebot im Rahmen von Haftungsansprüchen der Parteien gegen eine ADR-Stelle gerichtlich überprüft werden.835 Das Gebot der Rechtsorientierung ergibt sich aus der Verfahrensordnung der ADR-Stelle, die Vertragsbestandteil des Schlichtungsvertrags wird, sodass eine Verletzung der Verfahrensordnungen zu vertraglichen Ansprüchen der Parteien führen kann. Der Schaden der benachteiligten Partei liegt darin, dass sie aus dem Vergleich auf Grundlage des Schlichtungsvorschlags verpflichtet bleibt, obwohl dessen Inhalt den vorgegebenen Beurteilungsmaßstab verlässt.836 Die praktische Bedeutung dürfte indes
jedenfalls fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage, da Schlichtungsvorschlägen keine urteilsgleiche Wirkung zukommt. Abzulehnen ist daher die Erwägung einer Anfechtung des Schlichtungsvorschlags bei wesentlichen Verfahrensverstößen, so aber Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, 305 f. 834 Hierzu Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2018, 2019, S. 20 f., der auf die Entscheidungen des LG Berlin, Beschl. v. 13.9.2018 – 24 O 165/18 sowie KG Berlin, Beschl. v. 9.10.2018 – 14 W 36/18 verweist. Offen blieb auch, ob überhaupt ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Sachentscheidung durch den Versicherungsombudsmann besteht. 835 Zur Haftung an ADR-Verfahren beteiligter Personen, s. Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek, 22016, D Rn. 217–238; zur Haftung des Streitmittlers, Pelzer, ZKM 2015, 43, 46, der den Streitmittler, zu dem die Parteien keine vertragliche Beziehung haben, neben der ADRStelle allenfalls nach § 826 BGB in der Haftung sieht; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 213. Im Bezug auf das Rechtsorientierungsgebot von einer „Haftungsfalle“ sprechend, Ring, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2016, § 2, Rn. 313. 836 Im Rahmen dieser Beurteilung ist dem weiten Ermessensspielraum des Schlichters freilich angemessen Rechnung zu tragen, was eine Pflichtverletzung im Regelfall ausschließen wird. Für Fries, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 6 Rn. 15 bedarf es hierfür jedoch ein über das Erfordernis des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG hinausgehenden Versprechens eines rechtstreuen Schlichtungsvorschlags; eine Haftung komme demnach nur bei einem einseitigen Rechtsirrtum über die Rechtstreue des Schlichtungsvorschlags in Betracht, ders., Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 211–213; noch differenzierter Hirsch, ZKM 2015, 141, 143 demzufolge, eine Haftung der neutralen dritten Person nur in Frage komme, wenn er bei den Parteien, bei feststehendem Sachverhalt, durch den Hinweis auf eine unzutreffende Rechtslage einen Rechtsirrtum bewirkt hat und eine der Parteien so zum Abschluss eines für sie nachteiligen, verbindlichen Vergleichs verleitet hat; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 2 2016, D Rn. 217 sieht den Schlichter hingegen nicht verantwortlich dafür, dass der Schlichtungsvorschlag der objektiven Rechtslage entspricht.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
gering sein und allenfalls bei asymmetrischer Ergebnisbindung des Unternehmers in Frage kommen.837 In Betracht kommt schließlich der Verwaltungsrechtsweg gegen Verfahrensergebnisse behördlicher ADR-Stellen, da die Schlichtungstätigkeit durch ein öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis geregelt ist.838 Der Schlichtungsvorschlag ist jedoch kein Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO angegriffen werden könnte.839 Denkbar wäre hingegen eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Feststellung, dass die ADR-Stelle unberechtigt einen Schlichtungsvorschlag mit „rechtsfernem“ Inhalt unterbreitet hat.840 Etwas relevanter dürfte hingegen die zivilgerichtliche Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen sein.841
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass ADR weder rein freiwilliger Natur ist noch in rechtsfreiem Raum agiert. ADR berührt das grundrechtlich gewährleistete Recht auf effektiven Rechtsschutz, bis auf enge Ausnahmekonstellationen, grundsätzlich nur in zu rechtfertigender Weise. Im Folgenden wird ferner untersucht, inwieweit das Konzept des traditionellen Dreiklangs der Ziviljustiz bestehend aus Handlungslast, Ergebnisbindung und Rechtsbindung auch auf ADR übertragbar ist. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob Teilnahmepflichten und Ergebnisbindungen eine materielle Rechtsbindung des Ergebnisinhalts bedingen beziehungsweise ob eine solche unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes erforderlich ist.
837 Andernfalls könnten der Unternehmer und in jedem Falle der Verbraucher die Zustimmung zum Schlichtungs- oder Vergleichsvorschlag verweigern. 838 Zutreffend Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 129. Geregelt wird das Nutzungsverhältnis sowie die Verfahrensgebühren durch Verordnung, so z. B. in der FinSV, LuftSchlichtV, Schlichtungsordnung gemäß § 47a Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes i. V. m. § 5 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (SchliO); Schlichtungsordnung gemäß § 18 Abs. 2 S. 3 Postgesetz (SchliO-Post) oder durch Satzung, wie bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. 839 Der Schlichtungsvorschlag setzt keine konkrete Rechtsfolge, sondern wird nur mit Zustimmung der Parteien verbindlich, sodass es schon an einer Regelungswirkung fehlt. 840 In der Praxis würde auch diese Möglichkeit leerlaufen, da es den Parteien überlassen bleibt, einen Schlichtungsvorschlag abzulehnen. 841 Diese Möglichkeit sieht auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, D Rn. 129.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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I. Keine Verkürzung des Zugangs zu den Gerichten Die Freiwilligkeit von ADR für Verbraucher steht sowohl in England als auch Deutschland außer Frage. Für Unternehmen können obligatorische ADR-Verfahren die Gerichte hingegen substituieren und damit das Recht der Unternehmen auf effektiven Rechtsschutz berühren. 1. Freiwilligkeit von ADR für Verbraucher Die europäischen und nationalen Regelungen kollidieren nicht mit dem Grundrecht des Verbrauchers auf Zugang zu den Gerichten. Für Verbraucher basiert ADR auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Ihnen soll sowohl der gerichtliche als auch der außergerichtliche Rechtsschutz möglichst lange offenstehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine obligatorische Teilnahmepflicht des Verbrauchers daher auf einen ersten Kontakt zwischen den Parteien und der neutralen dritten Person zu begrenzen. Zum Schutze des Verbrauchers wird die Privatautonomie der Parteien zur Vereinbarung von ADR-Verfahren – insbesondere in AGB – stark beschränkt. Kritisch wären indes Befugnisse der Gerichte zu sehen, Verbraucher durch die Androhung von Kostensanktionen zur Durchführung eines ADR-Verfahrens zu drängen.842 2. Einschränkungen des effektiven Rechtsschutzes durch asymmetrischheteronome Bindungen Für den Unternehmer hingegen wird das Prinzip der Freiwilligkeit von ADR durch Verpflichtungen zur Teilnahme am Verfahren und zur Einhaltung der Verfahrensergebnisse eingeschränkt. Der Bedarf nach effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbraucher tritt dann in Konflikt mit dem Recht der Unternehmen auf Zugang zu den Gerichten. Im Folgenden soll untersucht werden, ob ein ADR-Zwang für Unternehmen mit Art. 47 GRCh vereinbar ist. Die Vorgaben der ADR-Richtlinie selbst sehen die Freiwilligkeit von ADR für Unternehmen vor.843 Gleichwohl sieht der europäische Gesetzgeber die Möglichkeit beziehungsweise Notwendigkeit von Teilnahmeverpflichtungen und Ergebnisbindungen für Unternehmen, um einen effektiven Zugang für Verbraucher zu ADR zu gewährleisten. Entsprechende nationale Rechtsnormen bleiben von der Richtlinie daher ausdrücklich unberührt, sofern sie Unternehmen nicht an der Wahrnehmung ihres Rechts auf Zugang zur Justiz gemäß Art. 47 GRCh
842 Diese Befürchtungen bestehen zur Zeit weder für die englische noch die deutsche Rechtsordnung. Einerseits spielen pre-action protocols in gewöhnlichen Verbraucherstreitigkeiten keine Rolle, andererseits könnten sich Kostensanktionen regelmäßig nur auf Gerichtsgebühren beziehen, da die Parteien in Small-claim-Verfahren ihre Prozesskosten selber zu tragen haben. 843 Die Richtlinie schreibt weder eine Teilnahmepflicht noch eine Ergebnisbindung vor, ErwG 45 ADR-Richtlinie.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
hindern.844 Umgekehrt lässt sich der Erwägung des europäischen Gesetzgebers entnehmen, dass eine Ergebnisbindung grundsätzlich in Einklang mit Art. 47 GRCh gebracht werden kann. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 47 GRCh durch einen Teilnahmezwang ist trotz der passiven Position des Unternehmens in Verbraucherstreitigkeiten nicht von vornherein ausgeschlossen, da dem Unternehmen zumindest vorübergehend die Möglichkeit genommen wird, dass Nichtbestehen der Verbraucheransprüche gerichtlich klären zu lassen.845 Fraglich ist hingegen, ob es für eine Rechtsverletzung im Sinne des Art. 47 GRCh ausreicht, dass der Unternehmer behauptet, der gegen ihn im ADR-Verfahren geltend gemachte Anspruch sei unbegründet.846 Unabhängig davon, ob eine Teilnahmepflicht den Schutzbereich des Art. 47 GRCh beeinträchtigt, wäre eine solche Einschränkung unter den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh gerechtfertigt. Heteronome Teilnahmezwänge beruhen sowohl in Deutschland als auch in England auf gesetzlichen Grundlagen.847 Das erforderliche Allgemeininteresse der Grundrechtsbeschränkung liegt im Verbraucherschutz und der Förderung des Binnenmarkts. Eine Teilnahmepflicht ist auch geeignet und angesichts der geringen Teilnahmebereitschaft von Unternehmen erforderlich, um Verbrauchern einen effektiven Zugang zu ADR bieten zu können. Zwar ist seitens der Unternehmen zu berücksichtigen, dass diese grundsätzlich die ADR-Kosten zu tragen haben, jedoch wird der Zugang zu den Gerichten nur um die Dauer des ADR-Verfahrens verzögert. Angesichts des allgemeinen Interesses an effektiven ADR-Strukturen und dem Vollzug von Unionsrecht sind die Einschränkungen durch nationale Teilnahmepflichten letztlich verhältnismäßig und damit gerechtfertigt. Problematisch erscheint jedoch die Kumulation einer heteronomen Teilnahmepflicht und einer heteronomen Bindung an das Verfahrensergebnis. In dieser Situation folgt aus der Zustimmung des Verbrauchers zum Lösungsvorschlag einer ADR-Stelle zugleich ein peremptorischer Klageausschluss für das Unter-
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ErwG 49 ADR-Richtlinie. Der nach Art. 47 Abs. 1 GRCh erforderliche unionsrechtliche Bezug ergibt sich regelmäßig daraus, dass die streitentscheidenden Normen auf unionsrechtliches Verbraucherschutzrecht zurückgehen, hierzu auch Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, 52019, Art. 47 GRCh Rn. 18; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh Rn. 6. 846 Zwar reicht die Behauptung, dass ein Recht durch eine Privatperson verletzt wird, vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh Rn. 12, jedoch wäre der auf Unionsrecht gestützte Anspruch letztlich ein Recht des Verbrauchers. Das Unternehmen hat die Kosten des ADR-Verfahrens unabhängig vom Erfolg der Beschwerde zu tragen. 847 Zu den asymmetrisch-heteronomen Fesselungen an das Verfahren bereits oben unter Kap. 4 C. II. Welche Rechtsnormen dem Gesetzesvorbehalt gerecht werden, bestimmt sich nach nationalem Recht, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 47 GRCh Rn. 26. 845
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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nehmen.848 Während der deutschen Rechtsordnung eine asymmetrisch-heteronome Ergebnisbindung fremd ist, wird diese in den regulierten Wirtschaftsbereichen Englands konsequent eingesetzt. Da dem Unternehmen unfreiwillig der Gerichtsweg versperrt werden kann, ist der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 47 GRCh wesentlich gravierender als bei einer reinen Teilnahmepflicht. Eine Rechtsverletzung kann durch die Behauptung geltend gemacht werden, das ADR-Ergebnis weiche zum Nachteil des Unternehmens von Unionsrecht ab. Zu unterscheiden ist abermals zwischen gesetzlich statuierten Ombudsstellen, wie dem FOS und dem Legal Ombudsman, und rein privaten ADR-Stellen. Sofern Erstere als Gericht im Sinne der Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRCh zu qualifizieren wären,849 läge keine Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs des Unternehmens vor, da die Ombudsstelle bereits den grundrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz böte.850 Hierfür spricht die gesetzliche Jurisdiktion der Ombudsstellen sowie die Res-judicata-Fähigkeit, erleichterte Vollstreckbarkeit und gerichtliche Überprüfbarkeit der Verfahrensergebnisse. Die asymmetrisch-heteronomen Ergebnisbindungen bei sektorspezifischen, privaten ADR-Stellen, etwa im Energie- oder Telekommunikationssektor, sind hingegen – die Eröffnung des Schutzbereichs vorausgesetzt – rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in Art. 47 GRCh. Das verbindliche Verfahrensergebnis verhindert, dass das Unternehmen Einreden aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis gerichtlich geltend machen kann. Überdies unterliegen die Entscheidungen der ADR-Stelle nicht der judicial review. Seitens des Unternehmens ist neben Art. 47 GRCh auch die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit nach Art. 15 GRCh zu berücksichtigen. Für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Beschränkungen im Allgemeininteresse lassen sich das Interesse an einem hohen Verbraucherschutzniveau, das hohe Vollzugsdefizit von Verbraucherrechten, das Ziel der Binnenmarktförderung, das Interesse an der Effektivität von ADR sowie die strukturelle Unterlegenheit der Verbraucher anführen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch ADR-Verfahren den prozessualen Mindestgarantien der ADR-Richtlinie folgen und vornehmlich rechtsorientierte Entscheidungen treffen.
848 Gesetzliche Ombudsverfahren für die deutsche Rechtsordnung daher für unzulässig haltend, Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 23. 849 Sowohl der Court of Appeal als auch der EGMR wendeten Art. 6 EMRK auf die Verfahren des FOS an, wobei die Anwendung zwischen den Parteien unstreitig war, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642 Rn. 42–53; EGMR, Urt. v. 14.6.2011 – 1550/09, (2011) 53 E.H.R.R. SE18, Rn. 38 – Heather Moor/ United Kingdom. 850 Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, S. 23 scheint dennoch, ohne nähere Begründung, von einer Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch Ombudsverfahren mit Entscheidungsgewalt auszugehen, selbst wenn diese die Vorgaben des Art. 6 EMRK berücksichtigt.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Problematisch erscheint jedoch, ob das Recht auf effektiven Rechtsschutz im Falle des heteronomen Entzugs des Gerichtswegs nicht die Wesensgehaltsgarantie des Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh berührt. Der Wesensgehalt des Art. 47 GRCh lässt sich freilich nicht eindeutig bestimmen. Der EuGH sieht den Wesensgehalt eines Rechts gewahrt, wenn dessen Gewährleistung nicht infrage gestellt wird und die Einschränkung nur in „Ausnahmefällen“ greift.851 Insofern lässt sich argumentieren, dass der Gerichtsweg dem Unternehmen nicht bedingungslos entzogen wird. Nach der obligatorischen ersten Kontaktaufnahme zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmen stünde es Letzterem frei, das Nichtbestehen der Verbraucheransprüche gerichtlich feststellen zu lassen.852 Ferner wird dem Unternehmen der Gerichtsweg nicht in allen Tätigkeitsbereichen, sondern nur als Beschwerdegegner für bestimmte regulierte Verbraucheransprüche versperrt. Eigene Ansprüche können Unternehmen uneingeschränkt aktiv gerichtlich verfolgen. Des Weiteren wird der finale Lösungsvorschlag der ADR-Stelle nur in Ausnahmefällen verbindlich, in denen eine vorherige einvernehmliche Streitbeilegung erfolglos blieb und der Verbraucher dem Vorschlag der ADR-Stelle zustimmt. Wenngleich vieles dafür spricht, dass eine asymmetrisch-heteronome Ergebnisbindung eine zu rechtfertigende Einschränkung des Art. 47 GRCh darstellt, könnte dies im Einzelfall unterschiedlich zu beurteilen sein. Dies gilt spezifisch im Hinblick auf die Kombination mittelbarer gesetzlicher Grundlagen und vertraglicher Bindungen gegenüber privaten ADR-Stellen, die – funktional betrachtet – eine heteronome Ergebnisbindung bedeutet.853 Hiervon unberührt bleibt freilich eine rein autonome Unterwerfung eines Unternehmens unter das Verfahren und die Ergebnisse einer ADR-Stelle.
II. Entscheidungsmaßstäbe in ADR-Verfahren: Fair-and-reasonableStandard und Rechtsorientierungsgebot Die Entscheidungsstandards in englischen und deutschen ADR-Verfahren weisen in der Theorie zwar erhebliche Gemeinsamkeiten auf, jedoch zeigen sich in der Praxis enorme Unterschiede. Während die englische ADR-Landschaft durch den subjektiven Fair-and-reasonable-Standard geprägt ist, gilt für Schlichtungsvorschläge in deutschen ADR-Verfahren ein Rechtsorientierungsgebot, das in der Praxis nicht selten eine strikte Rechtsanwendung zur Folge hat.
851 EuGH, Urt. v. 15.2.2016 – C-601/15 PPU, ECLI:EU:C:2016:84, Rn. 52 – J. N.; hierzu Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 42021, Art. 52 GRCh, Rn. 28 f. 852 In England wäre dies durch negative declaratory relief möglich, vgl. r. 40.20 CPR. 853 Die asymmetrische Bindung an das Verfahrensergebnis gründet letztlich auf einer vertraglichen Selbstverpflichtung des Unternehmers, beruht mittelbar jedoch auf der gesetzlichen oder regulierungsbehördlichen Vorgabe, dass die Bindungswirkung für Unternehmen zur Anerkennungsvoraussetzung sektorspezifischer ADR-Stellen gemacht wird.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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1. Verhältnis von Fairness und materiellem Recht Theoretisch liegen der Fair-and-reasonable-Standard und das deutsche Gebot der Rechtsorientierung nahe beieinander, da der primäre Maßstab grundsätzlich durch das materielle Recht vorgegeben wird.854 Der Unterschied der beiden Standards liegt letztlich in divergierenden Perspektiven auf eine faire, interessengerechte Streitbeilegung. Ausgangspunkt des Fair-and-reasonable-Standards ist kein reines „Pi-mal-Daumen-Prinzip“, sondern die Erwägung, dass ein Lösungsvorschlag gerade dann als fair zu erachten ist, wenn er der materiellen Rechtslage entspricht.855 Auf Billigkeitserwägungen soll die Entscheidung nur rekurrieren, wenn Zweifel bezüglich der Entscheidungsgrundlage bestehen oder die strikte Anwendung des Rechts zu einem als ungerecht empfundenen Ergebnis führt. Andererseits erhebt die ADR-Praxis in England, anders als in Deutschland, nicht den Anspruch, Verbrauchern eine fundierte Prozessrisikoanalyse zur Verfügung zu stellen. Vielmehr stehen ein angemessener Interessenausgleich sowie die Steuerung unternehmerischen Verhaltens im Vordergrund. Im Gegensatz hierzu sieht der rechtsorientiertere deutsche Ansatz das Ergebnis einer Rechtsanwendung grundsätzlich als faires und angemessenes Ergebnis an. Dies folgt daraus, dass die objektive Rechtslage, unter der Prämisse ihrer vollständigen Verwirklichung, gerade als Idealvorstellung der Marktverhältnisse betrachtet wird.856 Daneben sind Billigkeitserwägungen nur im Einzelfall hinzuzuziehen, etwa bei unsicherer Sach- oder Rechtslage. In der Praxis geht die Rechtsbindung der deutschen ADR-Stellen über das Rechtsausrichtungsgebot des VSBG hinaus. Nicht zuletzt aufgrund der Schlichtertätigkeit ehemaliger hochrangiger Richter wird der Eindruck erweckt, ADRStellen würden ein niedrigschwelliges Gerichtsverfahren imitieren.857 Die starke Rechtsorientierung scheint aber letztlich dem Bedürfnis deutscher Verbraucher zu entsprechen, da diese ihre Erwartung rechtlicher und ergebnisorientierter formulieren, als britische Verbraucher, die das Verfahren eher unter dem Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit betrachten.858 Da ADR für den deutschen Verbraucher in der Regel Neuland darstellt, kann Vertrauen in die Verbraucherstreitbeilegung am besten mit einem bekannten und zugänglichen Entscheidungsstandard, wie Recht und Gesetz, gewonnen werden. Demgegenüber ist ADR etablierter Bestandteil der englischen Rechtsordnung, in der Gerichte für Verbraucher nur schwer zugänglich sind. 854 Für einen Vergleich dieser beiden Entscheidungsstandards, s. bereits Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212 ff. 855 Dies gilt insbesondere bei eindeutiger Sach- und Rechtslage. 856 Zu dieser rechtspositivistischen Perspektive schon Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 52 f. 857 So Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 111; ähnlich Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 213. 858 Siehe hierzu die Ergebnisse der Studie von Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 81–84, 110–114; dies., Trusting the middle-man: Impact and legitimacy of ombudsmen in Europe, 2016, S. 22.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
2. Methodische Unterschiede zur Verwirklichung der Ziele der ADR-Richtlinie Die unterschiedlichen Perspektiven beider Entscheidungsstandards sind zudem Ausdruck verschiedener methodischer Ansätze zur Erreichung der Regulierungsziele der ADR-Richtlinie, namentlich der Gewährleistung flächendeckender, hoch qualitativer ADR-Verfahren zur Förderung des Binnenmarkts sowie eines hohen Verbraucherschutzniveaus. Der flexible Fair-and-reasonable-Standard entfaltet gerade insofern verbraucherschützende Wirkung, als dass er Abweichungen von materiellem Recht zugunsten einer fairen Streitbeilegung zulässt.859 In enger Zusammenarbeit mit den Regulierungsbehörden können ADR-Stellen daher einen Beitrag leisten, die Marktstandards, aber auch die Rechtskonformität unternehmerischen Handelns sowie internes Beschwerdemanagement zu verbessern. Anreiz zur kulanten Beschwerdebehandlung geben die Kompetenzen der ADR-Stellen, Verbrauchern Entschädigungen für „bloße“ Unannehmlichkeiten zuzusprechen. Dahinter steckt letztlich das Ziel, den (Binnen-)Markt durch erhöhten Wettbewerbsdruck und selbstbewusste Verbraucherentscheidungen zu stärken. Eine zu kulante Entschädigungspraxis birgt jedoch die Gefahr von Fehlanreizen, da Verbraucher motiviert werden könnten, das kostenlose ADR-Verfahren allein zwecks einer Entschädigung für Unannehmlichkeiten anzustreben und eskalieren zu lassen.860 Ferner könnte dieser Ansatz in der Wahrnehmung der Verbraucher zu übersteigerten Erwartungen an das Verfahren führen, die in der Praxis allzu leicht enttäuscht werden könnten. In Deutschland liegt der Fokus eher auf individualgerechten Verfahrensergebnissen als auf der aktiven Steuerung unternehmerischen Verhaltens. Diesem Ansatz liegt die Prämisse zugrunde, dass das Verhalten der Marktakteure mittelbar durch ein hohes Maß an Rechtsverwirklichung gesteuert wird. Das Ziel einer hoch qualitativen ADR-Landschaft soll daher durch Verfahren mit starker Rechtsorientierung erreicht werden, da das Verbraucherschutzniveau des deutschen materiellen Rechts ausreichend sei. Die im Ergebnis gerichtsähnlichen ADR-Verfahren sollen das Vertrauen der Verbraucher in ADR und den (Binnen-)Markt gewinnen, wenngleich der rechtsorientierte Standard verhindert, dass ADR-Mechanismen ihr volles Potenzial als flexible Alternative zu den Gerichten ausspielen können. Die rechtskulturellen Unterschiede beider Rechtsordnungen verbieten eine Beurteilung darüber, welcher der beiden Standards besser geeignet ist, die Ziele der ADR-Richtlinie zu erreichen oder den Bedürfnissen aller Beteiligten besser gerecht zu werden. Tendenziell scheint ein rechtsorientierter Entscheidungsmaß-
859 Die entwickelte Lösung kann und soll über materiell-rechtliche Standards hinausgehen, wenn die gesetzlichen, gegebenenfalls lückenhaften Regelungen oder Marktstandards als zu niedrig empfunden werden. 860 Der Androhung eines ADR-Verfahrens liegt daher auch ein gewisses Erpressungspotenzial des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer zugrunde.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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stab besonders zur Beilegung von Streitigkeiten mit klarer Sach- und Rechtslage geeignet, während der Fair-and-reasonable-Standard seine Stärken bei der Bewältigung sektorspezifischer Missstände und der Verbesserung unternehmerischen Beschwerdemanagements ausspielen kann. Dies zeigt zugleich die Herausforderungen, die sich dem europäischen Gesetzgeber bei der Anpassung und Verbesserung des mindestharmonisierenden Unionsrechts zur Verwirklichung von Verbraucherrechten stellen.861 Etablierte Entscheidungsstandards einer Rechtsordnung lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Situation anderer Mitgliedstaaten übertragen, sondern erfordern die Berücksichtigung rechtskultureller sowie beschwerde- und sektorspezifischer Unterschiede. 3. Grenzen des Entscheidungsermessens Die Entscheidungsstandards in ADR-Verfahren räumen der neutralen dritten Person – selbst bei starker Rechtsorientierung – einen gewissen Beurteilungsund Ermessensspielraum862 ein. Der englischen Rechtsprechung lassen sich Ermessensgrenzen für gesetzliche Ombudsstellen entnehmen. Demnach nimmt das Gericht eine Willkürkontrolle hinsichtlich des Inhalts und der Begründung der Entscheidung vor.863 Abweichungen von materiellem Recht sind unter Anwendung eigens entwickelter Fairnessstandards der Ombudsstelle möglich. Hierfür besteht jedoch ein Begründungserfordernis, gerade bei klarer Sach- und Rechtslage. Überdies darf die Begründung nicht fälschlicherweise den Eindruck erwecken, die Entscheidung sei Ergebnis einer Rechtsanwendung. Schließlich darf die Ombudsperson nur die einzig maßgebliche Rechtsauslegung der Gerichte zugrunde legen, sogenanntes one meaning principle.864 861 Insofern verwundert es nicht, dass es der Kommission nicht möglich war, neben dem Vorhaben, ADR finanziell und kommunikativ zu fördern sowie die ODR-Plattform anzupassen und konkrete Empfehlungen zur Stärkung und Anpassung der nationalen ADRLandschaften zu machen, vgl. Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 2019, S. 20. 862 Da weder die englische Rechtsordnung noch das Unionsrecht eine Trennung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen kennen, wie sie das deutsche Verwaltungsrecht kennt, wird im Folgenden sowohl für Entscheidungsspielräume auf Ebene des Tatbestands als auch auf Rechtsfolgenebene einheitlich von Ermessen gesprochen, eingehend zur Ermessensfehlerlehre im Unionsrecht, welche an die des französischen Rechts angelehnt ist, Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 22005, S. 280 ff.; Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 361–371; vgl. auch Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 1997, S. 215–233. 863 Die Entscheidung darf im Sinne der Kriterien der Entscheidung in Wednesbury nicht willkürlich (unreasonable) sein, eingehend hierzu bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d). 864 Gerichten kommt damit die Auslegungshoheit über Gesetzesrecht zu, R. (on the application of Norwich and Peterborough Building Society) v Financial Ombudsman Service Ltd [2002] EWHC 2379 (Admin) Rn. 71; zu dem sog. one meaning principle bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d) cc).
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Diese Konkretisierung der Ermessensgrenzen der Ombudsperson könnten auch für das deutsche Recht fruchtbar gemacht werden, da die Kriterien der englischen Rechtsprechung Assoziationen zu der aus dem deutschen Verwaltungsrecht bekannten Lehren von Beurteilungsspielräumen und Ermessensfehlern wecken.865 Zwar unterliegen Schlichtungsvorschläge in Deutschland keiner unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle, jedoch kann die Ermessensausübung durch den Schlichter im Rahmen von Haftungsansprüchen gegenüber einer ADR-Stelle relevant werden. Hierbei könnten insbesondere etwaige Verstöße gegen die Verfahrensordnung zu prüfen sein. Im Sinne der Ermessensfehlerlehre könnte ein Schlichtungsvorschlag fehlerhaft sein, wenn die neutrale dritte Person keinen Gebrauch von ihrem Ermessen gemacht hat (Ermessensausfall) oder dieses nicht voll ausgeschöpft hat (Ermessensdefizit), die gesetzlichen Grenzen missachtet wurden (Ermessensüberschreitung) oder wenn der Vorschlag auf unzureichenden oder sachwidrigen Kriterien beruht (Ermessensfehlgebrauch).866 So liegt bei einer Entscheidung, die – im englischen Sinne – außerhalb der vernünftigen Antwortmöglichkeiten liegt, eine Ermessenüberschreitung vor, da eine Rechtsfolge angeordnet wird, die der Ermessensrahmen der neutralen dritten Person gar nicht vorsieht. Die Verletzung des one meaning principles bedeutet, übertragen auf das deutsche Recht, einen Ermessensfehlgebrauch, da relevante Beurteilungskriterien nicht in die Erwägung eingestellt worden sind.867 Selbiges gilt für den Fall, dass ein anderes, in der Verfahrensordnung gelistetes Kriterium nicht berücksichtigt wurde. Ist die Begründung nicht geeignet, das Ergebnis der Entscheidung zu tragen, insbesondere Abweichungen von materiellem Recht zu rechtfertigen, würde dies im deutschen Verwaltungsrecht einer Verletzung der Begründungspflicht von Ermessensentscheidungen gleichkommen.868 Zumindest 865 In diesem Zusammenhang wird der britischen und der deutschen Ermessensfehlerlehre ohnehin eine enge Verwandtschaft nachgesagt, so Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 1997, S. 199. Die Trennung zwischen Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsebene und Ermessen auf Rechtsfolgenebene ist ohnehin umstritten, hierzu statt vieler Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 52018, § 114 Rn. 299 m. w. N. Diese Trennung ergibt für Schlichtungsverfahren, in denen außerrechtlicher Aspekte zu berücksichtigen sind, ohnehin keinen Sinn, da Billigkeitserwägungen nicht nur auf Rechtsfolgen-, sondern schon auf Tatbestandsebene Auswirkungen entfalten können. 866 Für eine Übersicht über die Ermessensfehler, Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 52018, § 114 Rn. 80–84; Decker, in: BeckOK VwGO, 602022, § 114 Rn. 13–25. 867 Nach englischem Recht gilt das materielle Recht dann als nicht berücksichtigt. In diese Richtung geht letztlich auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und des BVerfG, wonach aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass für unbestimmte Rechtsbegriffe die Regeln der nur begrenzten Überprüfung behördlichen Ermessens nicht gelten, sodass sie grundsätzlich gerichtlich voll überprüfbar sind, BVerfG, Beschl. v. 16.10.1957 – 1 BvL 13/56, BVerfGE 7, 129, 154; BVerfG, Beschl. v. 28.6.1983 – 2 BvR 539, 612/80, BVerfGE 64, 261, 279 = NJW 1984, 33, 35; im Einzelfall kann der Behörde jedoch ein Entscheidungsspielraum zuzubilligen sein, wenn dies die hohe Komplexität oder Dynamik der geregelten Materie erfordert, BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, BVerfGE 84, 34, 49 f. = NJW 2007, 2005, 2006; BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07, NVwZ 2011, 1062, 1064. 868 Zur Begründungspflicht folgen aus dem Bedürfnis des Betroffenen, den Grund für die
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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denkbar ist auch ein Ermessensausfall für den umgekehrten Fall, dass außerrechtliche Aspekte nicht berücksichtigt wurden.869 Die Grundsätze zu Beurteilungs- und Ermessensfehlern im Unionsrecht sind hingegen nicht differenziert genug, um hieraus Folgerungen für transnationale Prinzipien zur Überprüfung von ADR-Entscheidungen herzuleiten.870 Dabei kann auch der Grundgedanke der Ermessenfehlerlehre, der darin liegt, dass die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive einen nur begrenzten Überprüfungsmaßstab gebietet, auf das Verhältnis zwischen Staat und ADRStellen übertragen werden. Mit der Anerkennung als ADR-Stelle spricht die Exekutive privaten Institutionen öffentlich ihr Vertrauen aus, rechtsorientierte Schlichtungsvorschläge zu unterbreiten. Mit dieser Auslagerung der Streitbeilegung verzichtet der Staat allerdings darauf, die Schlichtungspraxis der ADRStellen vollumfänglich überprüfen zu können, sei es durch die Judikative oder im übertragenen Sinne einer Rechtsaufsicht durch die Exekutive. Für eine gerichtliche Überprüfbarkeit von ADR-Verfahrensergebnissen besteht letztlich kein Bedarf. Zwar besteht mit § 19 Abs. 1 VSBG ein geeigneter Prüfmaßstab für die deutsche ADR-Praxis, jedoch stellt ein angenommener Schlichtungsvorschlag letztlich eine privatrechtliche Vereinbarung der Parteien dar. Der gebotene Verbraucherschutz erschöpft sich darin, dass Verbrauchern mit dem Schlichtungsvorschlag und dessen Begründung eine hinreichende Grundlage für eine informierte Entscheidung dargelegt wird. Anders wäre der Fall wohl zu beurteilen, wenn eine asymmetrische Ergebnisbindung gesetzlich angeordnet würde.
III. Teilnahmepflichten bedingen keine materielle Rechtsbindung des Ergebnisses Entgegen der ursprünglichen Hypothese konnte keine Korrelation zwischen der Fesselung der Parteien an das ADR-Verfahren und dem Maß der materiellen Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts festgestellt werden. Aus Sicht des Ver-
Entscheidung zu erkennen und damit wiederum aus, Art. 19 Abs. 4 GG, hierzu Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 52018, § 114 Rn. 193–195, 258. Zur Begründung bei Beurteilungsspielräumen, BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87, BVerfGE 88, 40, 60 = NVwZ 1993, 666, 670, wonach die Einschätzung „substanziell und nachvollziehbar begründet“ werden muss; zu Prüfungsentscheidungen, BVerwG, Urt. v. 9.12.1992 – 6 C 3/92, BVerwGE 91, 262 = NVwZ 1993, 677; zur Begründungspflicht von Ermessensentscheidungen, BVerwG, Urt. v. 24.9.1996 – 1 C 9/94, BVerwGE 102, 63, 70 = NVwZ 1997, 1123, 1125. 869 Diese Variante dürfte praktisch kaum relevant werden, da man der Ombudsperson keinen Strick daraus drehen wird, dass sie strikt geltendes Recht angewendet hat. 870 Eingehend zur Ermessensfehlerlehre des Unionsrechts, welche an die des französischen Rechts angelehnt ist und im Übrigen keine Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielräumen und Ermessen trifft, Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 22005, S. 280 ff.; Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 361–371; vgl. auch Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 1997, S. 215–233.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
brauchers liegt dies schon daran, dass seine Teilnahme an ADR-Verfahren freiwillig ist.871 ADR-Obligationen könnten Verbraucher aufgrund deren Rechts auf effektiven Rechtsschutz ohnehin nur zu einem ersten Treffen mit der neutralen dritten Person verpflichten. Des Weiteren ist die Privatautonomie beim Abschluss von ADR-Vereinbarungen zum Schutze des Verbrauchers derart beschränkt, dass sich Verbraucher nur selten vertraglich zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren verpflichtet können. Überdies ist es Verbrauchern im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie stets möglich, Mediations- und Schlichtungsverfahren abzubrechen. Gleiches gilt für die Verbindlichkeit des Verfahrensergebnisses, die zumindest der Zustimmung des Verbrauchers bedingt.872 Die Frage nach dem Maß der Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts kann sich daher denknotwendig nicht nach dem Maß der Fesselung an das Verfahren und das Ergebnis richten, da solche Bindungen für den Verbraucher eben nicht bestehen. Der Verbraucherschutz greift vielmehr schon vor Entstehen der Streitigkeit durch die Beschränkungen der Privatautonomie zum Abschluss von ADR-Vereinbarungen. Davon abgesehen besteht auch kein wirtschaftliches Interesse der Unternehmen an ADR-Vereinbarungen, da Verbrauchern die Rechtsverwirklichung durch kostenlose ADR-Verfahren erleichtert würde. Ein unternehmerisches Interesse bestünde nur dann, wenn das vereinbarte ADR-Verfahren, entgegen der Wirkungsrichtung der ADR-Richtlinie, auch für Ansprüche des Unternehmens gegen Verbraucher gelten würde. Unterschiedlich starke Verfahrensbindungen existieren nur für den Unternehmer, der eine Mediation zwar stets abbrechen kann, jedoch oftmals – autonom oder heteronom – zur Teilnahme an Schlichtungsverfahren oder gar zur Einhaltung der Verfahrensergebnisse verpflichtet ist. Dies begründet auch eine Handlungslast des Unternehmers, da die Verweigerung der Partizipation nicht verhindert, dass die ADR-Stelle einen verbindlichen Lösungsvorschlag nach Aktenlage unterbreiten kann. Dennoch besteht keine Korrelation zwischen Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts und asymmetrischer ADR-Verpflichtungen. Der Entscheidungsmaßstab in Schlichtungsverfahren bleibt der Gleiche, unabhängig davon, ob die Teilnahme am Verfahren und die Befolgung des Ergebnisses für den Unternehmer rein freiwillig oder sogar gesetzlich verpflichtend ist. Im Falle heteronomer Verpflichtungen ist lediglich ein geeigneter Entscheidungsmaßstab erforderlich, der das Verfahrensergebnis vorhersehbar macht. Im Gegenteil soll eine höhere Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts, die durch das VSBG zum Qualitätskriterium von ADR-Verfahren erhoben wird, gerade den Interessen des Verbraucherschutzes Rechnung tragen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Unwirksamkeit von Vergleichen, die nur für den Fall der 871 Weder die englische noch die deutsche Rechtsordnung sehen obligatorische ADRVerfahren für Verbraucher vor. 872 Auch hier sind freilich Ergebnisse von Schiedsverfahren, die in Verbraucherstreitigkeiten eine seltene Ausnahme bleiben, ausgenommen.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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Abweichungen von zwingendem Verbraucherrecht diskutiert wird. Die Interessen des Unternehmers werden dabei trotz der teils sehr starken Fesselung an das Verfahren und das Ergebnis ignoriert. Gleichwohl unterscheidet sich das Maß der materiellen Rechtsbindung freilich zwischen den drei grundlegenden Verfahrensarten, Mediation, Schlichtung und Schiedsverfahren. Im Hinblick auf Schiedsverfahren kann dies in der Tat mit einer stärkeren Bindung der Parteien an das Verfahren, besonders aber an das Verfahrensergebnis, begründet werden. Das Vertrauen der Rechtsordnungen, das Schiedsverfahren aufgrund der Gleichstellung mit staatlichen Gerichtsverfahren entgegengebracht wird, erfordert erhöhte verfahrensrechtliche Mindestanforderungen und impliziert in der Regel die Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts. Für Verbraucherstreitigkeiten ist die Bedeutung von Schiedsverfahren aufgrund der damit verbundenen Einschränkung des Gerichtswegs allerdings verschwindend gering. Sowohl in der Mediation als auch in der Schlichtung besteht eine Rechtsbindung letztlich nur an absolut zwingendes Recht, dessen Nichteinhaltung die Unwirksamkeit des Vergleichs zur Folge hätte. Asymmetrische ADR-Verpflichtungen des Unternehmers ändern nichts an dieser äußeren Wirksamkeitsgrenze beziehungsweise dem erforderlichen Maß der materiellen Rechtsbindung. Die Verrechtlichung von Schlichtungs- und Ombudsverfahren, die sich in Deutschland sogar dem Zivilprozess annähern, ergibt sich damit aus einer Selbstverpflichtung der ADR-Stellen zur Einhaltung ihrer eigenen Verfahrensordnung. Der unterschiedliche Einfluss des materiellen Rechts ist mithin Ausfluss verschiedener Verfahrensziele. Während die Mediation die Parteien vermittelnd zu einer autonomen Streitlösung führen soll, ist die Schlichtung auf einen verfahrensbeendenden Vorschlag der neutralen dritten Person gerichtet, welchem eine entsprechende Richtigkeitsgewähr innewohnt. Das erforderliche Maß der Rechtsbindung richtet sich daher nicht nach den prozessualen Bindungen der Parteien, sondern speziell danach, ob sich aus dem Selbstverständnis und der Verfahrensordnung der ADR-Stelle, eine Richtigkeitsgewähr für die rechtliche Bewertung des Streitfalls entnehmen lässt, welche die Erwartungen der Parteien prägt. Ferner kann eine starke Orientierung am materiellen Recht als hartes Kriterium den Interessen der Parteien nach einer vorhersehbaren Streitlösung Rechnung tragen.
IV. Klarheit von Sach- und Rechtslage bedingt erhöhtes Maß an materieller Rechtsbindung Das erforderliche Maß der materiellen Rechtsbindung korreliert hingegen mit der Verlässlichkeit der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlage. Das erforderliche Maß der Bindung des Entscheidungsinhalts an materielles Recht ist umso größer, desto klarer die zugrunde liegende Sach- und Rechtslage ist.
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Dies ergibt sich daraus, dass Recht und Gesetz sowohl nach dem Fair-andreasonable-Standard als auch nach dem deutschen Rechtsorientierungsgebot primäre Entscheidungskriterien sind. Prämisse für eine strikte Rechtsanwendung ist jedoch, dass die tatsächlichen Gegebenheiten sowie die rechtlichen Fragen vollständig und eindeutig aufgeklärt sind. Der Sachverhalt muss derart aufgeklärt sein, dass ein Rückgriff auf Darlegungs- und Beweislastregeln entbehrlich ist. Aufgrund der aus Effizienzgründen eingeschränkten Beweisaufnahme in ADR-Verfahren lassen sich regelmäßig nicht jegliche Zweifel oder widersprüchliche Parteivorträge auflösen. Zudem sehen sich ADR-Stellen immer wieder mit höchstrichterlich nicht geklärten Fragestellungen konfrontiert.873 Mehr noch als im Zivilprozess muss ein individualgerechter Entscheidungsinhalt zugunsten einer effizienten Streitbeilegung zurücktreten. Stehen Sach- und Rechtslage hingegen fest, ist grundsätzlich kein Motiv erkennbar, den Parteien eine individualgerechte, auf Rechtsanwendung basierende Lösung zu verweigern.874 Sollte eine Abweichung von materiellem Recht dennoch als erforderlich gesehen werden, so besteht zumindest eine erhöhte Begründungspflicht für das gefundene Verfahrensergebnis.875 Dies entspricht auch dem Selbstverständnis englischer und deutscher ADRStellen. So werden im Verfahren des FOS rechtliche Kriterien durch Billigkeitserwägungen nur verdrängt, wenn Unsicherheiten bestehen.876 Für den Versicherungsombudsmann soll sich die Streitbeilegung durch einen Schlichtungsvorschlag gerade bei klarer Sach- und Rechtslage anbieten, was letztlich sogar Voraussetzung für eine verbindliche Entscheidung sei.877 Die Rechtsbindung von ADR-Entscheidungen bei klarer Sach- und Rechtslage ist folglich auch eine vertragliche Pflicht der ADR-Stelle gegenüber den Parteien, die sich aus der Verfahrensordnung ergibt. Die materielle Rechtsbindung von Verfahrensergebnissen bei eindeutiger Entscheidungsgrundlage erfordert zudem die Richtigkeitsgewähr des Lösungsvorschlags gepaart mit dem Geltungsanspruch des materiellen Rechts. Es widerspricht dem jedem Streitbeilegungsmechanismus inhärenten Prinzip eines fairen
873
Hierzu noch unten in Kap. 6. Eine Abweichung vom materiellen Recht ist dann nur gerechtfertigt, wenn die vorgesehenen Rechtsfolgen unstreitig nicht dem Parteiinteresse entsprechen oder die Rechtslage als unbefriedigend gesehen wird. 875 Dahingehend dürfte jedenfalls die englische Rechtsprechung zur Begründungspflicht von Entscheidungen, die von materiellem Recht abweichen, zu interpretieren sein, hierzu schon oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d). 876 So der ehemalige Chief Ombudsman des FOS, Merricks, „is the ombudsman fair and reasonable?“, 2004. 877 Entsprechend heißt es im Jahresbericht 2017, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2016, 2017, S. 24: „Verbindliche Entscheidungen setzen voraus, dass der Sachverhalt klar und keine ungeklärten grundsätzlichen Rechtsfragen entscheidungserheblich sind.“ Wenn hingegen beide Standpunkte rechtlich gut zu begründen sind, soll ein Kompromiss der Parteien befördert werden, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2020, 2021, S. 7. 874
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
303
Verfahrens, würde materielles Recht offenkundig ignoriert werden. Im Ergebnis würde nämlich eine der Parteien bevorzugt werden, sodass die Unparteilichkeit der neutralen dritten Person beziehungsweise der ADR-Stelle infrage gestellt würde. Hierdurch würde letztlich auch das Vertrauen der Parteien in die Integrität des Streitbeilegungsmechanismus nachhaltig beschädigt. Gleichwohl ist ADR gerade darauf ausgerichtet, eine effiziente Streitbeilegung auch dann zu ermöglichen, wenn tatsächliche und rechtliche Unsicherheiten bestehen. Hierbei kommt ADR die gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit erhöhte Flexibilität zugute, die das Verfahren nicht auf eine strikte Rechtsanwendung beschränkt. ADR kann nicht nur auf eine einvernehmliche Streitbeilegung hinwirken, sondern Unsicherheiten – eine entsprechende Begründung vorausgesetzt – durch Forderungsabschlag in das Ergebnis einpreisen.878 Diese Kompromisse sind – entgegen manchen Befürchtungen – nicht faul,879 sondern der durch Effizienzgründen bedingten, eingeschränkten Beweiserhebung geschuldet. Auf diese Situationen sind die materiell-rechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln nicht zugeschnitten, sodass ihre strikte Anwendung oftmals zum Nachteil des Verbrauchers als Anspruchssteller gereichen würde. Das strukturelle Ungleichgewicht der Parteien würde somit durch dokumentenbasierte, rechtsgebundene ADR-Verfahren sogar verschärft.
V. Auswirkungen der Kumulierung mehrerer Bindungselemente Die Kumulierung der prozessualen Bindungen in ADR-Verfahren hat Auswirkung auf die Vollstreckbarkeit der Ergebnisse und steigert das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Überprüfbarkeit des Entscheidungsinhalts. Diese Auswirkungen werden insbesondere bei der Kumulation asymmetrisch-heteronomer Bindungen deutlich, da die Jurisdiktion der ADR-Stellen dann Parallelen zur Ziviljustiz aufweist, die ihre Rechtfertigung nicht mehr in der Privatautonomie der Parteien findet. Die Kumulation asymmetrischer Bindungen führt tendenziell zu erleichterten Vollstreckungsmöglichkeiten der Verfahrensergebnisse.880 Gerade im Falle heteronomer Ergebnisbindung, wie sie in England anzutreffen ist, können Anordnungen der ADR-Stellen gleich einem gerichtlichen Urteil vollstreckt werden. Auch wenn dahinstehen mag, ob dies angesichts der grundsätzlichen Bereitschaft von Unternehmen, verbindliche Verfahrensergebnisse zu befolgen, überhaupt notwendig ist, setzt die Rechtsordnung damit ein gesteigertes Vertrauen in die 878 In diesem Zusammenhang spricht schon Riehm, JZ 2016, 866, 870 davon, tatsächliche Unsicherheiten in den Schlichtungsvorschlag „einzupreisen“. Demgegenüber sieht Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021, 263 f. den neutralen Dritten dazu verpflicht, aktiv auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. 879 So aber Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707; dies., FAZ 12.7.2013, 7. 880 Zu den erleichterten Durchsetzungsmöglichkeiten von Verfahrensergebnissen in England, bereits oben unter Kap. 4 D. II. 1. b).
304
Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
Rechtsstaatlichkeit gesetzlich statuierter ADR-Verfahren. Hinzu kommt die Res-judicata-Fähigkeit solcher Entscheidungen. Mithin rückt ADR mit kumulierten asymmetrischen Bindungen sehr nahe an das Idealbild des Zivilprozesses beziehungsweise des Schiedsverfahrens als private Ersatzgerichtsbarkeit. Diese gesetzliche Auslagerung der Streitbeilegungsaufgaben auf private ADR-Anbieter weckt daher auch das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Willkürkontrolle des Ergebnisinhalts. Dies hängt zum einen mit dem gesteigerten Vertrauen der Rechtsordnung in die Verfahrensergebnisse als auch mit dem Umstand zusammen, dass die ADR-Pflichtigkeit nicht mehr auf einer privatautonomen Entscheidung des Unternehmens gründet, die zu einer Einschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten legitimieren würde. Das Maß der Fesselung der Parteien an das ADR-Verfahren hat, wie bereits beschrieben, hingegen keine Auswirkung auf die materielle Rechtsbindung des Ergebnisinhalts. Ohnehin ergeben sich unterschiedliche Richtungswirkungen. Während prozessuale Bindungen nur für Unternehmen bestehen, ist die Rechtsorientierung von Entscheidungen speziell verbraucherschützenden Aspekten zu dienen bestimmt. Die justiziellen Grundrechte verlangen lediglich die Vorhersehbarkeit des Entscheidungsinhalts. Nur im Falle staatlicher Institutionen ist der effet utile des europäischen Verbraucherrechts sowie das Äquivalenzprinzip zu beachten. Die Aufweichung der materiellen Rechtsbindung in ADR-Verfahren gegenüber dem Zivilprozess ist den Erfordernissen der Effizienz und Flexibilität von ADR geschuldet. Dabei ist kein Unterschied zwischen autonomen und heteronomen Bindungswirkungen zu erkennen. Bei rein freiwilliger ADR können die Abweichungen vom Idealbild des Zivilprozesses darüber hinaus mit Blick auf die Privatautonomie der Parteien gerechtfertigt werden. Ein fairer Interessenausgleich durch ADR wird ferner durch den Umstand sichergestellt, dass ADRAnbieter sowohl Verbrauchern als auch Unternehmen als Finanzierer des Verfahrens gerecht werden müssen.
VI. Verbraucherschutz erfordert keine strikte materielle Rechtsbindung des Ergebnisinhalts Die Belange des Verbraucherschutzes erfordern keine strikte Bindung des Ergebnisinhalts an materielles Recht, selbst dann nicht, wenn zwingendes Verbraucherrecht entscheidungserheblich ist. Die Frage der Rechtsbindung wird letztlich überbewertet. Die Forderung nach unbedingter Rechtstreue von ADR-Entscheidungen verkennt, dass gerichtliche und außergerichtliche Verfahren nicht Früchte aus demselben Garten sind. Der verbraucherschützende Charakter von ADR zielt nicht primär auf (absolute) Rechtsdurchsetzung.881 Ein solches Ver-
881 ADR-Verfahren aber gerade an diesem Maßstab messend, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 70, der in der Folge eine unbedingte Rechtstreue von Verfahrensergebnissen verlangt.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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sprechen trifft weder die ADR-Richtlinie noch das VSBG. Gegen diese Annahme spricht schon das der alternativen Streitbeilegung zugrunde liegende Freiwilligkeitsprinzip von ADR-Verfahren, da das Verfahrensziel ein vertraglicher Vergleich, nicht aber ein verbindlicher Streitentscheid ist. Der Schutzzweck verlangt keine materielle Rechtsbindung, sondern nur, dass Verbrauchern eine informierte Entscheidung über ihre Rechte ermöglicht wird. Die verbraucherschützende Wirkung von ADR erschöpft sich damit in ihrem Streitbeilegungszweck,882 der speziell auch dem Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Ungleichgewichte zwischen Verbraucher und Unternehmen zu dienen bestimmt ist. Die Verbesserung des Vollzugsdefizits materiellen Verbraucherrechts beziehungsweise die Verwirklichung von Verbraucheransprüchen ist demgegenüber zweitrangig und meist nur mittelbarer Effekt der Streitbeilegung. ADR erweitert als niedrigschwellige, das heißt schnelle, informale und kostengünstige Alternative zur Ziviljustiz die Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbraucher gerade für geringfügige Forderungen. Bestehende Unsicherheiten bezüglich der Sach- und Rechtslage sind im Zweifel zugunsten der Verfahrenseffizienz und zulasten der Individualgerechtigkeit in Streitlösungen einzupreisen. In Schlichtungsverfahren endet der Verbraucherschutz mit Erhalt des Schlichtungsvorschlags, dessen Begründung den Verbraucher zu einer informierten Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der empfohlenen Streitlösung befähigt. Ein darüber hinausgehender Schutz ist nicht geboten und würde Verbraucher letztlich bevormunden. Mündige Verbraucher können darüber entscheiden, ob sie sich mit dem Angebot der ADR-Stelle zufriedengeben oder eben den Gerichtsweg bestreiten. Die von Schlichtungsvorschlägen ausgehende Richtigkeitsgewähr verspricht grundsätzlich keine rechtsgebundene Entscheidung.883 Die prozessualen Mindestgarantien von ADR-Verfahren gepaart mit der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit von ADR-Stellen und Entscheidungsträgern gewähren ausreichenden Schutz vor externer, missbräuchlicher Einflussnahme.884 Die Schutzwirkung (halb-)zwingenden Verbraucherrechts ist regelmäßig auf die vorvertragliche Phase sowie den Vertragsabschluss ausgerichtet. So werden Verbraucher etwa durch die Vorschriften der Verbraucherrechterichtlinie885 sowie 882 Insofern sind der Schlichtungszweck und der Verbraucherschutzzweck nicht klar voneinander zu trennen. Zutreffend ist aber, dass der Schlichtungszweck gewissermaßen den Verbraucherschutzzweck des zwingenden Verbraucherrechts überlagern kann, so SchmidtKessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9, 17 f.; wohl auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 261. 883 Etwas anderes gilt freilich dann, wenn die ADR-Stelle in ihrer Verfahrensordnung oder ihrer Webseite verspricht, die Entscheidung nach dem gleichen Maßstab wie ein staatliches Gericht zu beurteilen, nämlich nach Recht und Gesetz, so etwa Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018. 884 Hingegen hält Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 119–131 die Bestimmungen des VSBG hinsichtlich der Neutralität und Unabhängigkeit der Streitmittler und der Verbraucherschlichtungsstelle nicht für weitreichend genug. 885 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 über
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
der Verbraucherkreditrichtlinie886 durch Informationspflichten und durch Widerrufsmöglichkeiten vor Überrumpelungssituationen im geschäftsanbahnenden Verkehr geschützt. Ein angemessenes Maß an Verbraucherschutz erfordert indes nicht die strikte Durchsetzung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen. Sofern die Begründung des Lösungsvorschlags eine hinreichend informative Entscheidungsgrundlage bietet, besteht keine strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers bei der Entscheidung über die Annahme des Schlichtungsvorschlags. Der Abschluss eines Vergleichs auf Basis des Schlichtungsvorschlags – unabhängig von dessen materiellen Rechtsbindung – stellt eine privatautonome Entscheidung des Verbrauchers dar.887 Verbraucher haben Verfügungsbefugnisse über ihre Ansprüche, sodass sie teilweise oder vollständig auf ihre Rechte verzichten können. Nichts anderes gilt für die vorgelagerte Frage der Rechtsverfolgung. Hier steht es Verbrauchern frei, ihre – nur privatrechtlich durchsetzbaren – Ansprüche verjähren zu lassen und damit auf sie zu verzichten. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Stufen ist wertungswidersprüchlich und wäre nur zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber die Verjährung von Verbraucheransprüchen nicht zuließe oder die Durchsetzung von Verbraucherrechten in mehrere Hände gäbe.888 Von einer hinreichend informativen Entscheidungsgrundlage kann freilich nur dann gesprochen werden, wenn der Schlichtungsvorschlag erkennen lässt, warum der Entscheidungsträger zu diesem, aus seiner Sicht „richtigen“, Ergebnis gekommen ist. Die von der ADR-Richtlinie geforderte Begründung hat letztlich die Anwendung der in der Verfahrensordnung spezifizierten Entscheidungskriterien zu erläutern.889 Bei Anwendung des englischen Fair-and-reasonable-Standards muss erkennbar werden, warum das Ergebnis fair und angemessen ist, wobei für Abweichungen von materiellem Recht ein gesteigertes Begründungserfordernis besteht. Das Rechtsorientierungsgebot des § 19 Abs. 1 S. 2VSBG erdie Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304/64. 886 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133/66. 887 Ähnlich Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 72, der darauf abstellt, dass der Schutzgedanken des Verbraucherschutzrechts nur dann noch Berechtigung findet, wenn die strukturelle Überlegenheit des Unternehmers in der Phase nach Vertragsschluss fortwirkt. 888 So zutreffend Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 6 Rn. 72, der den Gesetzgeber insofern in der Pflicht sieht, wollte dieser eine volle Rechtsdurchsetzung nicht allein Verbrauchern überlassen, etwa durch die Schaffung weitere behördliche Kontrollund Eingriffsbefugnisse sowie Verbands- und Sammelklagen. 889 Nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ADR-Richtlinie ist das Ergebnis eines ADR-Verfahrens mit einer Begründung zu versehen. Gem. Art. 7 Abs. 1 lit. i) sind die Entscheidungskriterien, auf die sich die ADR-Stelle stützen kann, auf der Webseite der ADR-Stelle zu veröffentlichen.
F. Verhältnis von Verbraucherschutz und materieller Rechtsbindung
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fordert die Darlegung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Abweichungen von materiellem Recht sind kenntlich zu machen und zu begründen. Diese Anforderungen gehen jedoch nicht soweit, als dass man den Schlichtungsvorschlag im Rahmen einer Art Günstigkeitsvergleich an einem hypothetischen Gerichtsurteil messen müsste.890 Ein solcher Vergleich ist impraktikabel und ungenau, da er allenfalls auf einer Prognose des Entscheidungsträgers von der unbekannten Rechtsmeinung eines Richters und noch bedeutender, einer Prognose der gerichtlichen Beweisaufnahme, beruhen könnte. Das Begründungserfordernis verlangt, dass sich neutrale dritte Personen der materiellen Rechtslage bewusst sind, weshalb sie über substanzielle Rechtskenntnisse verfügen müssen. Erhöhte Qualifikationsanforderungen nach Vorbild des § 6 Abs. 2 VSBG sind daher – trotz fehlender Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses – auch auf unionsrechtlicher Ebene zu begrüßen.891 Bisher vernachlässigt wurden die Qualifikationen und Fähigkeiten der Personen, die von der ADR-Stelle zusätzlich zu den Entscheidungsträgern eingesetzt werden.892 Aufgrund ihrer engen Einbindung in die Verfahrensdurchführung scheinen unionsrechtliche Ergänzungen bezüglich der Mindestqualifikationen dieser Mitarbeiter, etwa durch den Nachweis von Fortbildungen oder branchenspezifischen Kenntnissen, sinnvoll. Rechtsferne Verfahren sind trotz fehlender materieller Rechtsbindung nicht zu erwarten. Der Erfolg von ADR hängt letztlich von der Akzeptanz der Verfahren bei Verbrauchern und Unternehmen ab. Willkürliche, inkonsistente Entscheidungsprozesse unter offenkundiger Missachtung des materiellen Rechts, die gegebenenfalls sogar eine Seite bevorteilen, werden langfristig weder den Erwartungen der Verbraucher noch der Unternehmer gerecht; „schwarze Schafe“ werden sich ohne staatliche Förderung nicht etablieren können. Die untersuchten Rechtsordnungen Englands und Deutschlands zeigen, dass rechtskulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten großen Einfluss auf die Markterwartungen haben, an welchen sich die nationalen ADR-Anbieter ausrichten.893 Ent-
890
Entsprechende Ausführungen können aber freilich förderlich und begrüßenswert sein. Allerdings wäre eine Differenzierung zwischen Schiedsverfahren und Schlichtung einerseits und der Mediation andererseits, die nicht notwendigerweise von einem Juristen, wohl aber von einer Person mit Rechtskenntnissen durchgeführt werden muss. Diesbezüglich ist die Vorschrift des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG dahingehend zu überarbeiten, als dass eine fehlende Differenzierung dem Wortlaut nach dazu führt, dass eine Schlichtung nicht nur von einem Volljuristen, sondern auch von einem zertifizierten Mediator mit Rechtskenntnissen durchgeführt werden kann. 892 Diese können insbesondere auf den ersten Verfahrensstufen zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Beschwerde oder zur Kommunikation eingesetzt werden sowie den Parteien einen ersten Lösungsvorschlag präsentieren. Solche Rollen bekleiden beispielhaft die case handler im Verfahren des FOS oder die vom Versicherungsombudsmann eingesetzten Versicherungskaufleute. 893 So zeichnet sich auch in Deutschland der Trend ab, dass ADR-Verfahren noch stärker rechtsorientiert sind, als dies § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG fordert. 891
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Kapitel 4: Handlungslast und Rechtsbindung in ADR-Verfahren
sprechend steht es Mitgliedstaaten offen, erhöhte rechtliche Standards für ADRVerfahren aufzustellen, auch wenn dies für die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Vorschriften freilich abträglich ist. Dementsprechend wird ein gewisses Maß an Rechtsorientierung von ADR immer unerlässliches Vertrauenskriterium bleiben.
Kapitel 5
Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADRStellen Bislang scheint die Ziviljustiz keine passende Antwort auf die Herausforderung zu finden, zugängliche Rechtsschutzmöglichkeiten für geringfügige Verbraucherstreitigkeiten anzubieten. Das insofern bröckelnde staatliche Justizmonopol wird teilweise durch private ADR-Anbieter ergänzt. Die staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen dient der Qualitätssicherung der ADR-Landschaft. In diesem Zusammenhang musste die Europäische Kommission im Gesetzgebungsverfahren feststellen, dass der ADR-Sektor meist keiner behördlichen Aufsicht1 unterfällt und die essenziellen Kriterien der vorangegangenen Empfehlungen der Kommission aus den Jahren 1998 und 2001, wie Unparteilichkeit, Transparenz und Effektivität, oftmals nicht eingehalten werden.2 Die ADR-Richtlinie stärkt den behördlichen Kontrollrahmen durch eine – zumindest beabsichtigte – kontinuierliche Kontrolle der Qualität anerkannter ADR-Stellen.3 Allerdings waren alle Mitgliedstaaten bereits zuvor verpflichtet, der Kommission die ADR-Stellen mitzuteilen, die im Einklang mit den Kommissionsempfehlungen handeln.4 Aufgrund der nur mindestharmonisierenden Vorgaben der ADR-Richtlinie5 haben sich in den Mitgliedstaaten zwei wesentliche Aufsichtsmodelle entwickelt: das der horizontalen und das der vertikalen Aufsicht. Im Falle der horizontalen 1 Europäische Kommission, Impact Assessment Accompanying the Document the ADR Directive and the ODR Regulation SEC(2011) 1408 final, 2001, S. 25. 2 Europäische Kommission, Impact Assessment Accompanying the Document the ADR Directive and the ODR Regulation SEC(2011) 1408 final, 2001, S. 25. 3 In diese Richtung Biard, ERPL 2018, 171, 179. Die Aufsicht über ADR-Stellen zielt ferner darauf ab, ein Mindestmaß an Verfahrensgerechtigkeit für ADR-Verfahren sicherzustellen. 4 Einige Behörden, wie etwa die FCA, Ofgem oder Ofcom, übten darüber hinaus Berichtsund Aufsichtsfunktionen aus, hierzu Europäische Kommission, Impact Assessment Accompanying the Document the ADR Directive and the ODR Regulation SEC(2011) 1408 final, 2001, S. 67. 5 Zu Unterschieden bei den nationalen zuständigen Behörden, Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die OnlineBeilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 8 f.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Aufsicht werden ADR-Stellen sektorübergreifend von einer zuständigen Behörde anerkannt und beaufsichtigt. Im Modell der vertikalen Aufsicht hingegen, existieren neben der zentralen Anlaufstelle für die Europäische Kommission weitere sektorspezifische Aufsichtsbehörden. Sowohl in England als auch in Deutschland wurde zwar ein vertikales Aufsichtsmodell implementiert, jedoch kommt den englischen Behörden eine wesentlich stärkere Stellung zu. Unterschiede ergeben sich auch im Hinblick auf die Finanzierung der Aufsicht, die im Vereinigten Königreich, anders als in Deutschland, von den ADR-Stellen getragen wird. Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie sich die unterschiedlichen Modelle auf die Qualität der Aufsicht und der ADR-Stellen niederschlägt und ob eine Korrelation zwischen der Steuerungswirkung von ADR und der Aufsicht besteht.
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen Die ADR-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Ernennung einer zuständigen Behörde, welche die in den Art. 19 und 20 ADR-Richtlinie bestimmten Aufgaben wahrnimmt. Die mindestharmonisierende Richtlinie steht sowohl dem horizontalen als auch dem vertikalen Aufsichtsmodell offen gegenüber.6 Diese Offenheit ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass in einigen (damaligen) Mitgliedstaaten, wie etwa dem Vereinigten Königreich, bereits vertikale Aufsichtsstrukturen bestanden.7 Die Mitgliedstaaten haben der Kommission nach Art. 18 ADR-Richtlinie mindestens eine zuständige Behörde zu melden. Sind die Kompetenzen auf mehrere Behörden verteilt, ist eine zentrale Anlaufstelle für die Kommission zu bestimmen.
I. Vertikale Aufsicht in England Die zuständigen Behörden für England werden in den ADR C&I Regulations bestimmt. Mit ihnen wurde ein vertikales Aufsichtsmodell etabliert, das in der Literatur einige Kritik erfährt.
6 Zu den vertikalen und horizontalen Modellen der Aufsicht und dem Umsetzungsstand in den Mitgliedstaaten, Biard, ERPL 2018, 171, 180–182. Mehrere zuständige Behörden sind etwa im Vereinigten Königreich und Italien benannt, während in Frankreich und Belgien nur eine zuständige Behörde für alle ADR-Stellen bestimmt wurde, ders., J Consum Policy 42 (2019), 109, 110. 7 Der erste Entwurf der Richtlinie erlaubte hingegen nur eine Behörde pro Mitgliedstaat, Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 112.
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen
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1. Festigung eines vertikalen Aufsichtsmodells Die ADR Regulations benennen insgesamt acht verschiedene zuständige Behörden, die in drei verschiedene Kategorien aufgeteilt sind. Zu der ersten Kategorie gehören die sektorspezifischen Regulierungsbehörden, die bereits vor Implementierung der ADR-Richtlinie die Aufsicht über anderweitig gesetzlich statuierte ADR-Stellen wahrnahmen.8 Hierzu gehört die Financial Conduct Authority (FCA) für den Finanzsektor, welche die Dienste des Financial Ombudsman Services (FOS) beaufsichtigt sowie das Legal Services Board. Der Legal Ombudsman, der in den Zuständigkeitsbereich des Legal Services Board fällt, hat die Pläne zur Anerkennung als ADR-Stelle jedoch vorerst auf Eis gelegt.9 Zur zweiten Kategorie gehören sektorspezifische Regulierungsbehörden, deren Zuständigkeit sich auf alle ADR-Anbieter erstreckt, die ADR-Verfahren innerhalb der entsprechenden Regulierungsverantwortung anbieten.10 Hierzu gehören die Civil Aviation Authority (CAA) für den Personenluftverkehr, die Gambling Commission für den Glücksspiel- und Wettsektor, die Gas and Electricity Markets Authority (Ofgem) für den Energiesektor, das Office of Communications (Ofcom) für den Telekommunikationssektor sowie die zuständige Behörde11 für die Zwecke des Estate Agents Act 1979(a). Schließlich wurden dem Chartered Trading Standard Institute (CTSI) die Aufgaben des Secretary of State als zuständige Behörde für alle sonstigen ADR-Anbieter übertragen.12 Das CTSI war überdies zentrale Anlaufstelle (single point of contact) für die Europäische Kommission im Sinne des Art. 18 Abs. 1 ADR-Richtlinie. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu den ADR Regulations, mit welchem die ADR-Richtlinie implementiert wurde, stand sowohl ein horizontales als auch ein vertikales Aufsichtsmodell in der Diskussion. ADR-Anbieter sprachen sich für eine Rationalisierung der Aufsichtsstruktur aus, um Doppelungen im Anerkennungsverfahren für sektorübergreifend tätige ADR-Stellen zu vermeiden und eine einheitliche Aufsichtspraxis sicherzustellen.13 Das BIS hingegen befürwortete nach den Erkenntnissen eines entsprechenden call for evidence die 8
Sch. 1 para. 8(2) ADR C&I Regulations. Der vom Office for Legal Complaints betriebene Legal Ombudsman ist die gesetzliche Ombudsstelle für Beschwerden über Rechtsdienstleistungen, secs. 125, 127 Legal Services Act 2007. 10 Sch. 1 para. 8(3) ADR C&I Regulations. 11 Diese Aufgabe nimmt das National Trading Standards Estate Agency Team, Powys County Council wahr. 12 reg. 8(4)(b) ADR C&I Regulations. Beim Secretary of State for Work and Pensions verbleibt indes die Zuständigkeit für die Aufsicht über den Pension Ombudsman, reg. 8(4)(a) ADR C&I Regulations; BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 6. 13 Hierzu BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 38. 9
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Beibehaltung sektorspezifischer Behörden.14 Dabei sollte die branchenspezifische Expertise der Behörden sowie die bisherige Kooperation mit ADR-Anbietern fruchtbar gemacht werden.15 2. Chartered Trading Standards Institute als zuständige Behörde und zentrale Anlaufstelle Dem CTSI wurden – wie bereits erwähnt – vom zuständigen Ministerium die Aufgaben als zuständige Behörde für nicht-regulierte Wirtschaftsbereiche sowie als zentrale Anlaufstelle für die Europäische Kommission übertragen. Dabei mag es überraschen, dass es sich beim CTSI doch um einen privaten Verband für Handelsnorm-Spezialisten und nicht um eine staatliche Institution handelt. Trotz der verbraucherschützenden Zielrichtung des CTSI bestand im Rahmen der Aufgabenübertragung keine Besorgnis der Befangenheit. Als Ausdruck dieser engeren staatlichen Bindung durch diese Art Beleihung wurde dem CTSI zuvor die sogenannte Royal Charter verliehen.16 Die Royal Charter definiert Zweck und Aufgaben des CTSI und begründet gesteigerte staatliche Kontrollmöglichkeiten.17 Die Zulassung und Listung als ADR-Stelle ist im Vereinigten Königreich gebührenpflichtig. Das CTSI ist zur Erhebung kostendeckender Gebühren für die erstmalige Anerkennung sowie für die fortlaufende Aufsichtstätigkeit ermächtigt, reg. 15(1) ADR C&I Regulations.18 Während das CTSI die Kosten einer Anerkennung – auf der Basis von 40 anzuerkennenden ADR-Stellen – auf GBP 6 500–10 500 schätzte,19 wurden die Kosten eines individuellen Audits im 14 Die bisherigen Aufsichtsbehörden der regulierten Wirtschaftssektoren – wie etwa die FCA oder Ofcom – sollten demnach weiterhin für die Aufsicht über die ADR-Stellen des jeweiligen Sektors zuständig sein, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 26; dass., Explanatory Memorandum to the Alternative Dispute Resolution for Consumer Disputes (Amendment) Regulations 2015, 2015, Rn. 8.3. 15 Mit dieser Begründung sprach sich die Mehrheit von 31 Interessenvertretern für die Beibehaltung der sektorspezifischen Regulierungsbehörden aus, BIS, Alternative dispute resolution for consumers: government response to the consultation on implementing the Alternative Dispute Resolution Directive and the Online Dispute Resolution Regulation, 2014, S. 38. 16 Die Royal Charter wurde zum 1.4.2015 durch die Königin auf Anraten des Privy Councils verliehen. Die Royal Charter des CTSI ist abrufbar unter, https://www.tradingstandards. uk/media/documents/governance/ctsi charter.pdf. 17 Im öffentlichen Interesse sind Änderungen der Charter nur mit Zustimmung des Souveräns und Änderungen der Satzung nur mit Zustimmung des Privy Councils möglich. 18 Die erhobenen Gebühren sollen jedoch nicht über den Betrag der vernünftigerweise aufzuwendenden Kosten und Aufwendungen hinausgehen. Kalkuliert werden die Gebühren dabei auf einer Basis GBP 750 (exkl. Mehrwertsteuer) pro achtstündigen Arbeitstag, reg. 15(2) ADR C&I Regulations. 19 CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2015, S. 6; dass., Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2.
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen
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Juli 2016 mit durchschnittlich GBP 4 140 beziffert.20 Nach aktuellen Angaben des CTSI belaufen sich die Kosten für die Anerkennung auf etwa GBP 2 500–3 000.21 Darüber hinaus würden keine Kosten anfallen, sofern kein Anlass für weitere Aufsichtsmaßnahmen bestünde.22 Zunächst rechnete das CTSI noch mit Kosten für die laufende Aufsichtstätigkeit von etwa GBP 3 000, bestehend aus einer Jahresgebühr von GBP 2 000 (periodic fee) sowie den Kosten für ein begrenztes acht bis zwölfstündiges Audit.23 Im Hinblick auf die Jahresgebühr, mit der die Koordinationsaufgaben des CTSI finanziert werden sollten, kam das zuständige Ministerium indes zu dem Ergebnis, dass ADR-Stellen nicht für die Finanzierung weiterer Aufgaben aufkommen müssen.24 Im Gegenzug sagte das Ministerium öffentliche Mittel zur Deckung der Kosten des CTSI zu. Das CTSI ist mithin bestrebt, die Kosten der Anerkennung und Aufsicht so gering wie möglich zu halten. Dieses Anliegen ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass etwaige Kosten für die Aufsicht – wenig überraschend – auf teilnehmende Unternehmen abgewälzt werden, was der Attraktivität des ADRAngebots in nicht regulierten Sektoren abträglich ist.25 Die Reduzierung der Aufsichtskosten soll überdies zur Anerkennung weiterer, im Wettbewerb miteinander stehender ADR-Stellen führen.26 Hierfür nimmt das CTSI auch in Kauf, dass der Umfang und Qualität der jährlichen Audits reduziert wird. Die Kosten für die Aufsichtstätigkeit des CAA setzen sich aktuell aus einer Gebühr für das Anerkennungsverfahren von GBP 5 684 und einer Jahresgebühr von GBP 13 642 zusammen. Das Anerkennungsverfahren von Ofcom, welches
20
CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016,
S. 2. 21 Der Angaben enthalten keine Mehrwertsteuer, CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017, S. 6. 22 Ein solcher Anlass kann sich etwa aus Zweifeln an der Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen ergeben, CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017, S. 6. Ob die Aussage des CTSI, dass grundsätzlich keine laufenden Kosten anfallen würden, so zu verstehen ist, dass neben der Jahresgebühr auch die Kosten für das jährliche Audit wegfallen, bleibt jedoch unklar. 23 Die Jahresgebühr sollte dabei zum Zwecke der Erfüllung der weiteren Aufgaben des CTSI als Koordinatorin aller zuständigen Behörden und als zentrale Anlaufstelle für die Kommission erhoben werden, CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2 und 4. 24 Bereits gezahlte Jahresgebühren wurden erstattet, Department for Business, Energy and Industrial Strategy (BEIS), Alternative Dispute Resolution: letter from Margot James to CTSI regarding fees, 2016; hierzu auch Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 127. 25 CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 3. 26 Insofern werden einige Anbieter von den Kosten der Aufsicht abgeschreckt, CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 5.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
sich allein nach den ADR C&I Regulations bestimmt, ist für ADR-Stellen hingegen mit keinerlei Kosten verbunden.27
II. Sektorunabhängige Anerkennung in Deutschland Die Anerkennung von privaten ADR-Stellen sowie die Aufsicht über den ADRSektor in Deutschland wird – abgesehen von einigen Spezialregelungen – durch das Bundesamt für Justiz (BfJ) ausgeführt, das zugleich zentrale Anlaufstelle für die Kommission ist. Im Gegensatz zur englischen Praxis entstehen den ADRStellen keine Anerkennungskosten. 1. Gesetzgeberische Erwägungen Zentraler Diskussionspunkt im Gesetzgebungsverfahren zum VSBG war das gegenseitige Zuschieben der Kompetenz für die Anerkennungs- und Aufsichtstätigkeit zwischen dem Bund und den Ländern.28 Der Referenten- und der Fraktionsentwurf sahen die Zuständigkeit noch bei den Ländern, die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit auszuführen haben.29 Demnach sollte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der ADR-Stelle bestimmen.30 Der Bundesrat hielt jedoch eine bundeseinheitliche Regelung für „zwingend geboten“.31 In diesem Zusammenhang wurde auf die Gefahren einer Rechtszersplitterung und von Rechtsunsicherheiten hingewiesen, die Resultat länderspezifischer Anerkennungs- und Aufsichtspraktiken sein könnten.32 Für eine Bundeszuständigkeit spreche zudem die bundesweite Tätigkeit der meisten ADRStellen. Verfassungsrechtlich argumentierte der Bundesrat mit Art. 88 Abs. 3 S. 1 GG, wonach selbstständige Bundesoberbehörden für Bundeskompetenzen errichtet werden können.33 Der Rechtsausschuss folgte insofern dem Bundesrat und bestimmte das BfJ als zuständige Behörde, da es ohnehin zentrale Anlaufstelle für die Kommission werden sollte. Zudem entfällt durch die Bundeszuständigkeit der Aufwand zur Koordinierung aller Landesbehörden zwecks Erfüllung der Berichtspflichten gegenüber der Kommission.34
27 Ob die Kostenfreiheit auch für den Hauptanwendungsbereich der Anerkennungstätigkeit nach dem Communications Act 2003 gilt, ist ungewiss, vgl. CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 19. 28 Wie auch bei der Zuständigkeit für die Auffangschlichtung ging es letztlich um die Frage der Kostenlast. 29 Referentenentwurf zum VSBG, S. 41; Fraktionsentwurf zum VSBG, BTDrucks. 18/5089, S. 38. 30 Letztlich also dem Ort, an dem die Streitbeilegungstätigkeit ausgeübt wird, § 27 VSBG-E. 31 Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 258/15(B), S. 2. 32 Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 258/15(B), S. 3 f. 33 Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 258/15(B), S. 4. 34 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6904, S. 72.
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen
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Der Gesetzgeber bediente sich letztlich des vertikalen Modells, da die bestehenden spezialgesetzlichen Zuständigkeiten anderer Behörden unberührt bleiben sollten.35 Dabei hat der Gesetzgeber erkannt, dass es bei einer sektorübergreifenden Zuständigkeit von ADR-Stellen zu behördlichen Zuständigkeitsüberschneidungen kommen könnte. Anders als im Vereinigten Königreich, ist in diesem Fall nicht die Anerkennung jeder einzelnen betroffenen zuständigen Behörde erforderlich, sondern nur die der speziellen zuständigen Behörde.36 Weiterhin bedürfen behördliche Schlichtungsstellen, die bereits zuvor subsidiäre Zuständigkeiten in verschiedenen Sektoren ausübten, keiner Anerkennung. Die Mindestanforderungen sind jedoch im Grundsatz die Gleichen wie für private ADR-Stellen.37 Ein Anerkennungsverfahren für behördliche Schlichtungsstellen wurde indes als „systemfremd und unangemessen“ erachtet, da diese ohnehin der aufsichtsbehördlichen Kontrolle unterliegen, in deren Rahmen die Einhaltung der Anforderungen des VSBG zu überwachen sind.38 Zudem unterliegen behördliche Schlichtungsstellen ohnehin einer unmittelbaren Gesetzesbindung.39 2. Zuständigkeit des BfJ und anderer Ministerien Das BfJ ist – wie bereits beschrieben – gemäß § 27 VSBG subsidiär zuständige Behörde und zentrale Anlaufstelle für die Kommission.40 Im Falle einer spezialgesetzlichen Zuständigkeit einer anderen Behörde richtet sich das Anerkennungsverfahren allein nach den speziellen Bestimmungen, auch wenn die ADRStelle zuständigkeitsübergreifend tätig ist, § 27 Abs. 2 VSBG. Ferner besteht für das BfJ die spezialgesetzliche Kompetenz als Anerkennungsbehörde für ADRAnbieter im Finanz- und Versicherungssektor.41 Die Anerkennung und Aufsicht über private ADR-Stellen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Fluggästen und Luftverkehrsunternehmen obliegt gemäß § 57 LuftVG dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), das im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie handelt. Diese Aufgaben werden ebenfalls durch das BfJ, als eine dem Bundesjustizministerium untergeordnete Bundesoberbehörde, wahrgenommen. Die Anerkennungsvoraussetzungen bestimmen sich nach §§ 57, 57b und 57c LuftVG sowie LuftSchlichtV. Die söp ist die einzige anerkannte ADR-Stelle für Luftverkehrsstreitigkeiten. Streitigkeiten gegen Unternehmen, die nicht am Verfahren 35 Insofern sollten bereits bestehende Strukturen genutzt werden, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 38. 36 Hierzu schon § 27 Abs. 2 des Koalitionsentwurfs, BT-Drucks. 18/5089, S 13. 37 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 68. 38 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 68. 39 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 65. 40 Sog. zentrale Anlaufstelle für Verbraucherschlichtung, § 32 Abs. 1 VSBG. 41 § 14 Abs. 3 S. 1 und Abs. 5 UklaG i. V. m. §§ 11 Abs. 1, 19 FinSV und § 214 Abs. 1 S. 1 VVG.
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der söp teilnehmen, können vor die behördliche Schlichtungsstelle Luftverkehr beim BfJ gebracht werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist Anerkennungsbehörde für ADR-Stellen im Bereich der Energieversorgung, § 111b Abs. 3 S. 1 EnWG. Demnach entscheidet das Ministerium im Einvernehmen mit dem Bundesjustizministerium, für welches wiederum das BfJ handelt.42 Die Anerkennungsvoraussetzungen richten sich dennoch maßgeblich nach dem VSBG, § 111b Abs. 4 EnWG. Bislang ist nur die Schlichtungsstelle Energie als private ADR-Stelle im Energiesektor anerkannt. Ferner hat das BfJ das Einvernehmen des Bundeswirtschaftsministeriums für die Anerkennung von ADR-Stellen nach § 57 Abs. 1 LuftVG einzuholen. Dem Internetauftritt des Ministeriums sind jedoch keine Informationen über die Tätigkeit des Ministeriums als zuständige Behörde zu entnehmen. Zuständige Behörde für den Eisenbahn- und Busverkehr sowie die Schifffahrt ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, § 37 EVO, § 6 EU-FahrgRBusG und § 6 EU-FahrgRSchG. Auch in diesen Fällen entscheidet das Bundesverkehrsministerium in Abstimmung mit dem BMJV und damit dem BfJ. Die Anerkennungsvoraussetzungen richten sich nach dem VSBG, vgl. nur § 37 Abs. 2 und 3 EVO. Zurzeit sind vom Bundesverkehrsministerium drei private ADR-Stellen anerkannt, die speziell Streitigkeiten zwischen Fahrgästen und Beförderern beilegen, namentlich die Schlichtungsstelle Nahverkehr43 für Nordrhein-Westfalen, SNUB – die Nahverkehr-Schlichtungsstelle für Niedersachsen und Bremen sowie die söp. Überdies bedarf es des Einvernehmens des Bundesverkehrsministeriums in den Fällen des § 57 Abs. 1 LuftVG. Der Internetauftritt des Bundeswirtschaftsministeriums enthält wiederum keine detaillierten Informationen über die Aufsichtstätigkeit.
III. Kritik am vertikalen Aufsichtsmodell Die Bevorzugung eines vertikalen Aufsichtsmodells mit vielen zuständigen Behörden gegenüber einem horizontalen Modell mit einer einzigen Behörde stößt in Teilen der englischsprachigen Literatur auf Kritik. So erkennt Kirkham zwar, dass Unternehmen sektorspezifischen Regulierungsbehörden wohl mehr Vertrauen entgegenbringen würden, da auf bereits bestehendes Spezialwissen und Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden würde, sieht jedoch gleich sechs Schattenseiten des vertikalen Aufsichtsmodells.44 42 Die Zuständigkeit erstreckt sich auf die Anerkennung von ADR-Stellen, die Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen über den Anschluss an das Versorgungsnetz, die Belieferung mit Energie sowie die Messung der Energie beilegen, § 111b Abs. 1 S. 1 EnWG. 43 Eingehend zur Tätigkeit der Schlichtungsstelle Nahverkehr, Schliebener, 2020, S. 229 ff. 44 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318.
A. Zuständige Behörden und zentrale Anlaufstellen
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Die Verteilung der Aufsicht in mehrere Hände stufe ihre Bedeutung ab, bedeute einen höheren Verwaltungsaufwand und verhindere, dass sich ein zentraler Wissenspool bilde.45 Zu kritisieren sei auch, dass sektorübergreifend tätige ADRStellen der Anerkennung aller relevanten Behörden bedürfen, die dadurch entstehenden Kosten aber letztlich auf den Verbraucher abgewälzt würden.46 Ein horizontales Modell würde demgegenüber von Skaleneffekten profitieren und die Aufsichtsstandards verbessern. Das vertikale Aufsichtsmodell böte keine Anreize für verbesserte Standards, sondern riskiere sogar ein „race to the bottom“.47 Darüber hinaus bestünde die Gefahr sich auseinanderentwickelnder Aufsichtspraxen, sodass ADR-Stellen dazu geneigt sein könnten, ihre Tätigkeit in den Sektoren mit der lockersten Aufsicht auszuüben.48 Angesichts der gerichtlichen Überprüfbarkeit des eigenen Handelns könnten sich Behörden zudem veranlasst sehen, ihre Aufsichtstätigkeit nur im geringstmöglichen Umfang wahrzunehmen.49 Da die behördliche Anerkennung nicht zwingend erforderlich ist, um ADR für Verbraucherstreitigkeiten anbieten zu dürfen, bestünde schließlich die Gefahr nicht regulierter ADR-Strukturen.50 Komplexe Aufsichtsstrukturen würden ADR für Verbraucher und Unternehmer überdies weniger sichtbar machen.51 Das im Vereinigten Königreich eingeführte vertikale Modell ermögliche keine hinreichende Datengrundlage zum Vergleich bewährter ADR-Praktiken und setze keine Anreize für eine aktive Aufsichtstätigkeit der Behörden.52 Mit nun etwas größerem Abstand zur Implementierung der ADR-Richtlinie lässt sich indes – gerade im englischen Kontext – sagen, dass sich diese Befürchtungen nicht im vollen Umfang zu bewahrheiten scheinen.53 Einige der sektorspezifischen Regulierungsbehörden, wie etwa die FCA oder Ofgem, greifen auf eine lange und sehr intensive Zusammenarbeit mit den jeweiligen ADR-Stellen zurück, sodass sinkende Standards für die Zukunft ohnehin nicht zu erwarten 45 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318. 46 So operiert Ombudsman Services in sechs verschiedenen Sektoren, was die Anerkennung von sechs verschiedenen Behörden erfordert, s. Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318; so auch Biard, ERPL 2018, 171, 185. 47 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318. 48 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318 f.; so auch Biard, ERPL 2018, 171, 185. 49 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 319. 50 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 319. 51 Biard, ERPL 2018, 171, 185. 52 Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 320. 53 So zutreffend auch Biard, ERPL 2018, 171, 186.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
waren und nicht zu erwarten sind. Gleichwohl steht die Wahrnehmung einer aktiven Aufsichtsrolle im freien Ermessen der jeweiligen Behörde.54
B. Aufgaben der zuständigen Behörden Die zuständigen Behörden entscheiden über die Anerkennung eines Antragstellers als ADR-Stelle, Art. 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1 ADR-Richtlinie. Zu diesem Zweck haben die Antragsteller der zuständigen Behörde Informationen über die Gebühren- und Verfahrensordnung sowie über die Verfahrensdurchführung mitzuteilen. Ferner haben Antragsteller eine Art Selbsteinschätzung bezüglich der Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen abzugeben.55 Die Anerkennung ist freiwillig, sodass ADR-Dienstleistungen auch von nicht zertifizierten Einrichtungen angeboten werden können. Diese müssen jedoch auf das mit der Anerkennung einhergehende „Gütesiegel“ als gelistete ADR-Stelle verzichten.56 Der Kommissionsentwurf sah hingegen noch eine Prüfung der Listentauglichkeit von Amts wegen vor.57 Da die Richtlinie auf die existierenden Strukturen aufbauen wollte, wurde hierauf indes verzichtet.58 Im Rahmen der fortlaufenden Kontrolle hat die zuständige Behörde einer ADR-Stelle mitzuteilen, wenn diese die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt und sie zur Abhilfe aufzufordern. Kommt die ADR-Stelle diesem Verlangen nicht innerhalb von drei Monaten nach, erfolgt der Widerruf der Anerkennung, Art. 20 Abs. 2 UA 4 ADR-Richtlinie.59 Die Richtlinie lässt offen, ob die zuständigen Behörden Verstöße von Amts wegen zu ermitteln haben oder ob eine anlassbezogene Aufsicht genügt. Die Vorschriften der Richtlinie sind jedenfalls auf eine kontinuierliche Aufsicht des ADR-Sektors gerichtet, die sich nicht in der einmaligen Anerkennung erschöpft.60 Überdies ist unklar, ob kontrolliert werden muss, dass sich nicht zertifizierte Anbieter nicht widerrechtlich als anerkannte ADR-Stelle ausgeben.
54
Dies richtigerweise erkennend, Biard, ERPL 2018, 171, 186. Art. 19 Abs. 1 lit. i) ADR Richtlinie; Becklein, GPR 2012, 232, 233; Korte, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 174. 56 Von einem „trust-mark“ spricht Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 131. 57 Als Grundlage der Prüfung sollte eine Berichtspflicht aller ADR-Einrichtungen dienen, hierzu Europäische Kommission, Proposal for a Directive on Consumer ADR, COM(2011) 197 final, 2011, Art. 16 und 17; Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 175. 58 Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 175 f. 59 Zwar scheint der Widerruf, ausgehend vom Wortlaut der Richtlinie, nicht im Ermessen der Behörde zu stehen, jedoch ist die Bestimmung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen. 60 Zutreffend Biard, ERPL 2018, 171, 183; der auch Bedenken hinsichtlich des unterschiedlichen Aktivitätsgrads der Behörden äußert, ders., J Consum Policy 42 (2019), 109, 112. 55
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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Der offene Wortlaut und die recht vagen Bestimmungen dieses Teils der Richtlinie sind letztlich den unterschiedlichen Administrationsstrukturen der Mitgliedstaaten geschuldet. Das hat stark divergierende Aufsichtspraxen zwischen den Mitgliedstaaten und – im Falle vertikaler Aufsichtsstrukturen – sogar innerhalb der Mitgliedstaaten selbst zur Folge.61
I. Anerkennung von ADR-Stellen Die Aufgaben der zuständigen Behörden im Vereinigten Königreich und Deutschland entsprechen den Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie. Ein großer Unterschied besteht jedoch darin, dass in Deutschland keine kumulative Anerkennung verschiedener Behörden für eine sektorübergreifende Tätigkeit einer ADR-Stelle erforderlich ist. 1. Sektorspezifische Standards im Vereinigten Königreich Die zuständige Behörde hat alle Antragsteller, die die Voraussetzungen erfüllen, als ADR-Stellen anzuerkennen, ohne dass der Behörde ein Ermessensspielraum zusteht.62 Die minimale Umsetzung der ADR-Richtlinie hindert die zuständigen Behörden nicht daran, gesetzlich schärfere Anforderungen zum Zwecke des Verbraucherschutzes zu statuieren.63 Dies gilt speziell für die weitverbreitete asymmetrische Bindung der Unternehmen an Verfahrensergebnisse.64 Des Weiteren kann die Anzahl der zugelassenen ADR-Stellen gesetzlich limitiert werden.65 In regulierten Wirtschaftsbereichen bedarf es überdies branchenspezifischer Expertise und Fachkenntnisse der Mitarbeiter der ADR-Stelle. Die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens dürfte für die meisten Behörden daher kein laufendes Geschäft sein. Eine größere Anzahl von ADR-Stellen ist nur bei der Gambling Commission sowie dem subsidiär zuständigen CTSI gelistet. Das CTSI hat Richtlinien für das Anerkennungsverfahren als Orientierungshilfe für Antragsteller aufgestellt.66 Zunächst nimmt das CTSI einen ersten Kon61 So auch Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 132; mit Beispielen unterschiedlicher Praxis, ders., ERPL 2018, 171, 187–189. 62 Gleichwohl plädieren zuständige Behörden für Befugnis zu einer Ermessensentscheidung, so die Studie von Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 134 f. Ein Ermessen der Behörde würde aber freilich mit der grundrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit der Antragsteller konfligieren. 63 reg. 9(5) ADR C&I Regulations. 64 Hierzu bereits oben unter Kap. 4 D. II. und III. 65 So ist die FCA nur für die Aufsicht über den FOS zuständig, Sch. 1 ADR C&I Amendment Regulations. Überdies sieht sec. 225 FSMA 2000 nur eine ADR-Einrichtung vor. Im Telekommunikationssektor ist die Anzahl der verschiedenen ADR-Stellen minimal zu halten, sec. 57(7)(c) Communications Act 2003. 66 CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
takt zum Antragsteller bezüglich der typischerweise kritischen Themen auf, wie etwa den Verfahrensgebühren oder der Qualifikationen der Streitmittler.67 Daran schließt sich eine vollumfängliche Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen an, die von einem durch das CTSI bestimmten Prüfer (auditor/certifier) durchgeführt wird.68 Die Prüfung erfolgt nicht rein dokumentenbasiert, sondern umfasst regelmäßig auch einen Besuch beim Antragsteller.69 Dabei werden gegebenenfalls notwendige Änderungen zum Erhalt der Anerkennung diskutiert.70 Ferner nimmt der Prüfer stichprobenartige Einblicke in bereits bearbeitete Beschwerden und kann einen Einblick in die Finanzierungsstruktur der ADR-Einrichtung verlangen.71 Der Bericht wird dann an einen „lead auditor“ weitergereicht, der abschließend über die Anerkennung entscheidet.72 Ziel des CTSI war es zunächst, die Zahl der anerkannten ADR-Stellen zu vergrößern, um einen qualitätssteigernden Wettbewerb zwischen den ADR-Stellen zu befördern.73 Das sollte insbesondere die Verfahrenskosten drücken und hierdurch Unternehmen zur Nutzung von ADR ermutigen. Die Gambling Commission ließ sich zunächst von ähnlichen Vorstellungen leiten, erkannte aber, dass nur die wenigsten Anbieter miteinander in Konkurrenz stehen, sodass die Anzahl der ADR-Stellen durch die Anhebung der Anerkennungsvoraussetzungen reduziert werden soll.74 Ein Blick auf die englischen ADR-Sektoren mit nur wenigen ADR-Stellen zeigte jedoch, dass rationalisierte Strukturen die Sichtbar-
67 Werden Anträge noch zu diesem frühen Zeitpunkt zurückgezogen, so fallen keine Gebühren an, CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2. 68 CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017, S. 4; dass., ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 3. 69 Die Prüfung vor Ort umfasst Diskussionen mit Mitarbeitern der ADR-Stelle. Im Jahr 2016 beschrieb das CTSI das Anerkennungsverfahren hingegen noch als „desk based audit“, CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2. 70 CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017, S. 5. 71 Die stichprobenartige Sichtung von Dokumenten und Beschwerden soll zeigen, ob die zeitlichen Fristen eingehalten werden und die Kompetenzen der Mitarbeiter in der Fallbearbeitung widerspiegeln, CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 3; s. auch die Anforderungen an ADR-Stellen sowie die dazugehörigen detaillierten Anleitungen und Beweismöglichkeiten, CTSI, CTSI Requirements and Guidance on seeking approval as a Consumer ADR Body operating in non regulated sectors, 2017, S. 7–31. 72 Dieser soll die Konsistenz der Anerkennungspraxis sicherstellen, CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2. 73 CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 3. 74 Gambling Commission, Complaints processes in the gambling industry, 2017, Rn. 5.5–5.11.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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keit von ADR bei Verbrauchern und Unternehmen erhöhen.75 Deshalb verlagert sich die englische ADR-Landschaft tendenziell weg von einem freien ADRMarkt hin zu oligo- und monopolistischen Strukturen.76 Die Gambling Commission hielt die Vorgaben der ADR Regulations für unzureichend, sodass sie weitergehende Anerkennungsvorrausetzungen aufstellte.77 Neben einer asymmetrischen Ergebnisbindung von Unternehmen, sind die Vorgaben an die Prinzipien der Ombudsman Association angelehnt und verschärfen unter anderem die Anforderungen an die Transparenz und Neutralität der ADRStelle sowie die Informations- und Berichtspflichten gegenüber Verbrauchern und der Gambling Commission.78 Die CAA betreibt ein rein dokumentenbasiertes Anerkennungsverfahren. Ein unterstützender Sachbearbeiter prüft die Unterlagen auf Vollständigkeit und auf etwaige zur Anerkennung erforderliche Veränderungen, bevor die Unterlagen zur Entscheidung weitergeleitet werden.79 Während Besuche vor Ort die Ausnahme bleiben, soll die Entscheidung auch auf Feedback von Verbraucherorganisationen und Gesprächen mit den Antragstellern gründen.80 Die Anerkennungsvoraussetzungen gehen indes über die Minimalanforderungen der ADR Regulations hinaus. ADR-Stellen müssen ihre Mitglieder sowohl zur Teilnahme am Verfahren als auch zur Einhaltung der vom Verbraucher angenommenen Verfahrensergebnisse verpflichten.81 Des Weiteren müssen ADR-Stellen die häufigsten Arten von Streitigkeiten zwischen Passagieren und Fluggesellschaften abdecken.82 Während die Überprüfung der Kriterien der ADR-Richtlinie meist keinerlei Schwierigkeiten bereitete, gestaltete sich die Überprüfung der strengeren Kriterien komplexer und zeitaufwendiger.83 Ferner ist die CAA bestrebt, sicherzustellen, dass ihre strengeren Anforderungen, speziell die einseitige Bindung von Fluggesellschaften an Verfahrensergebnisse, nicht
75 Dabei sei kein Nachteil für Verbraucher erkennbar, Gambling Commission, Complaints processes in the gambling industry, 2017, Rn. 5.10. 76 Eingehend Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 132–134, der zwischen den Modellen umkämpfter ADR-Märkte, Oligopolen und Monopolen unterscheidet. 77 Gambling Commission, Alternative dispute resolution (ADR) in the gambling industry, 2018, Rn. 2.14. 78 Ferner werden die Gründe zur Ablehnung einer Beschwerde sowie die Entscheidungsstandards näher konkretisiert, hierzu sowie zu den „six principles of good governance“ der Ombudsman Association, Gambling Commission, Alternative dispute resolution (ADR) in the gambling industry, 2018. 79 CAA, ADR Entity Approval and Appeals Process – CAP 1426, 2016, S. 3. 80 Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 123. 81 CAA, Guidance for ADR Applicants – CAP 1324, 22016, S. 8; dass., ADR in the aviation sector – a first review – CAP 1602, 2017, S. 15. 82 Hierzu CAA, Guidance for ADR Applicants – CAP 1324, 22016, S. 10–11; Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 123. 83 Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 124.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
durch die Wahl einer ADR-Stelle eines anderen Mitgliedstaates mit weniger strengen Voraussetzungen unterlaufen wird.84 Im Telekommunikations- und Postsektor richtet sich die Anerkennung als ADR-Stelle durch Ofcom neben den Anforderungen der ADR Regulations auch nach den Bestimmungen des Communications Act 2003.85 Demnach muss das Verfahren für Verbraucher kostenlos sein und die ADR-Stellen zur Festsetzung und Durchsetzung von Entschädigungen ermächtigt sein.86 Zudem wird die Anerkennung dadurch beschränkt, dass Ofcom die Anzahl der ADR-Stellen zum Zwecke konsistenter Verfahren gering zu halten hat.87 2. Anerkennung deutscher ADR-Stellen Der zuständigen Behörde steht in Deutschland, wie auch im Vereinigten Königreich, kein Ermessen bei der Anerkennung von Verbraucherschlichtungsstellen zu, sofern die organisatorischen und fachlichen Anforderungen erfüllt sind, § 24 S. 1 VSBG.88 Die noch im Fraktionsentwurf aufzufindende – ein Ermessen suggerierende – Formulierung, dass die Behörde anerkennen „kann“,89 wurde im Lichte der grundrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit zu einer gebundenen Entscheidung umformuliert.90 Träger der Einrichtung muss ein eingetragener Verein mit Sitz im Inland sein, der auf Dauer eingerichtet ist und eine tragfähige Finanzierung nachweisen kann.91 Zudem muss die Antragstellerin für die zu erwartende Fallzahl verwaltungstechnisch und finanziell gerüstet sein.92 Strengere
84 In diesem Zusammenhang spricht die CAA auch von „regulatory shopping“, CAA, ADR in the aviation sector – a first review – CAP 1602, 2017, S. 15; hierzu Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 124 f. 85 Eine Anerkennung allein nach den ADR C&I Regulations ist nur außerhalb des Regulierungsbereichs des Communications Act 2003 möglich, CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 19. 86 sec. 54(2) Communications Act 2003. 87 sec. 57(7) Communications Act 2003. Dies könnte der Zulassung einer weiteren, dritten ADR-Stelle im Telekommunikationssektor daher entgegenstehen. Ofcom bleibt diesbezüglich jedoch grundsätzlich offen, vgl. Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 7. Für Beschwerden im nicht-regulierten Telekommunikations- und Postsektor sind zudem CDRL, Promdediate und der Postal Redress Service von Ofcom anerkannt. 88 So auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 24 Rn. 22. 89 § 24 des Fraktionsentwurfs zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 12. 90 Vgl. den Einwand des Bundesrats, BR-Drucks. 258/15(B), S. 23; den Aspekt möglicher Rechtsunsicherheiten betonend, Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 24 Rn. 27; noch zu § 22 VSBG-E, Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 192 f., der für die Beibehaltung des Ermessensspielraums zur Behandlung atypischer Konstellationen plädiert. 91 Dies soll die organisatorische Stabilität und Verlässlichkeit der ADR-Stelle sicherstellen, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 65; BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 22 f. 92 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 65.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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Anforderungen aus anderen, spezielleren Rechtsvorschriften bleiben unberührt, § 24 S. 2 VSBG. Der Antrag auf Anerkennung ist zu begründen; die Verfahrens- und Gebührenordnung sowie die Regelungen zur Organisation und Finanzierung der Einrichtung sind beizufügen.93 Für den Antrag auf Anerkennung können ADREinrichtungen auf das detaillierte Antragsformular des BfJ sowie auf die Anlage zur Notifizierung zurückgreifen.94 Das Formular fragt Informationen zum Trägerverein, der Schlichtungsstelle und zu den Anerkennungsvoraussetzungen des § 24 VSBG ab.95 Eine nicht abschließende Konkretisierung der erforderlichen Informationen findet sich in § 1 VSBInfoV beziehungsweise § 11 FinSV. Die Angaben zur Organisationsstruktur und der eingesetzten Streitmittler reichen allein nicht aus, sondern müssen mit entsprechenden Nachweisen belegt werden.96 ADR-Stellen, die bereits vor Erlass des VSBG aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen anerkannt und eingerichtet wurden, mussten die Anerkennung nicht erneut beantragen. Ihre Anerkennung wurde auch für das VSBG, unter der Voraussetzung der Notifizierung des BfJ, beibehalten.97 Entsprechende Pflichten bestanden für die Aufsichtsbehörden behördlicher Verbraucherschlichtungsstellen.98 Die Anerkennung wird mittels Verwaltungsakts ausgesprochen, sodass die Ablehnung der Anerkennung mittels Widerspruchs beziehungsweise Verpflichtungsklage angegriffen werden kann.99 Konkurrenten können nicht gegen die 93 Die Anerkennung ist daher von einem Antrag abhängig, sodass die Anerkennung einer ADR-Einrichtung weder unionsrechtlich noch verwaltungsverfahrensrechtlich aufgedrängt werden kann, Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 191. 94 Der Antrag kann damit grundsätzlich formlos gestellt werden, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 18. Das Antragsformular kann, muss aber nicht verwendet werden, wenngleich die Verwendung empfehlenswert ist, so Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 123. Das Antragsformular des BfJ ist abrufbar unter https://www.bunde sjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Verbraucherschutz/Antrag Anerkennung V erbraucherschlichtungsstelle 24VSBG.pdf? blob=publicationFile&v=5, die Anlage zur Notifizierung unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Verbr aucherschutz/Anlage Notifizierung 24VSBG.pdf? blob=publicationFile&v=8. 95 Näher zu den erforderlichen Angaben und Nachweisen, Braun, in: Roder/Röthemeyer/ Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 123–133. 96 Etwa durch die Dokumentation des Ergebnisses einer Beteiligung von Interessenverbänden, einem genauen Budgetplan und Zeugnissen der Streitmittler. 97 Diese Obliegenheit ergibt sich aus den Übergangsvorschriften des Art. 23 VSBGUmsetzungsgesetzes. Hierfür mussten letztlich nur die nach den §§ 2, 1 Nr. 1 und 5–8 VSBInfoV erforderlichen Informationen übermittelt werden, die zur Erstellung der Liste aller Verbraucherschlichtungsstellen notwendig sind. 98 Hierbei handelte es sich um die Informationen nach § 32 Abs. 3 Nr. 2 VSBG. 99 So auch Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 134; Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 24 Rn. 34; der Anspruch auf Eintragung in die Liste der Verbraucherschlichtungsstellen nach erfolgter Anerkennung, ist hingegen mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen, Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 195.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Anerkennung eines Wettbewerbers vorgehen.100 Die Anerkennung nach dem VSBG ist indes nicht erforderlich, um ADR für Verbraucherstreitigkeiten anbieten zu dürfen, sodass sich ADR-Angebote auch außerhalb der Anforderungen des VSBG bewegen können.101
II. Widerruf der Anerkennung Der Widerruf einer Anerkennung als ADR-Stelle ist sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Deutschland stark an die Vorgaben der ADR-Richtlinie angelehnt. In beiden Rechtsordnungen besteht allerdings eine Erheblichkeitsschwelle für den Widerruf. In England setzt der Widerruf einer Anerkennung nach reg. 3 ADR C&I Regulations, analog zu Art. 20 Abs. 2 UA 4 ADR-Richtlinie, eine Änderungsaufforderung der zuständigen Behörde gegenüber der ADR-Stelle mit einer Frist von drei Monaten voraus. Zusätzlich zu den Bestimmungen der ADR-Richtlinie werden ein etwaiges Verschulden sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt. Demnach ist der Widerruf der Anerkennung nur gerechtfertigt, wenn die notwendige Verhaltenskorrektur im Einflussbereich der ADR-Stelle liegt (within its control) und der Verstoß hinreichend qualifiziert (sufficiently serious) ist.102 Eine formale Änderungsaufforderung erging bisher nur gegenüber einer ADR-Stelle, welche die Missstände jedoch fristgerecht beseitigte.103 Die CAA ist sich im Sinne der Verhältnismäßigkeit bewusst, dass der Widerruf der Anerkennung gegenüber einer informellen Kontaktaufnahme nachrangig ist, das letzte Mittel darstellt und daher nur bei schwerwiegenden Verstößen in Betracht komme.104 Anstatt Fehlverhalten zu sanktionieren, solle der Fokus darauf liegen, die ADR-Stelle wieder zur Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten.105 Um ein verhältnismäßiges Widerrufsverfahren ist auch Ofcom bestrebt, das auf die freiwillige Implementierung der Änderungsaufforderung setzt.106
100 Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 195; so auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 27 VSBG Rn. 5. 101 Betreiber solcher Verfahren dürfen sich jedoch nicht als Verbraucherschlichtungsstelle bezeichnen, § 41 Abs. 1 VSBG. Zum Verhältnis zwischen Verbraucherschlichtungsstellen und anderen Schlichtungsstellen, Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 138–149. 102 reg. 13(2), (3) ADR C&I Regulations. 103 Zwei weitere ADR-Stellen haben ihre Anerkennung bereits vor Erlass einer formalen Änderungsaufforderung zurückgegeben, CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 32. 104 CAA, Withdrawal of ADR Entity Approval Policy – CAP 1427, 2016, S. 6. 105 CAA, Withdrawal of ADR Entity Approval Policy – CAP 1427, 2016, S. 5. 106 Bemerkenswert ist indes, dass der Widerruf der Anerkennung überhaupt ins Spiel gebracht wird, obwohl zuvor festgestellt wird, dass beide ADR-Stellen die Mindestanforderungen der ADR C&I Regulations sowie des Communications Act 2003 erfüllen, Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 28.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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Auch in Deutschland erfordert der Widerruf der Anerkennung als Verbraucherschlichtungsstelle nach § 26 VSBG eine vorherige Änderungsaufforderung der zuständigen Behörde.107 Der Widerruf kann sowohl aufgrund der Nichteinhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen als auch durch die Verletzung der eigenen Verfahrensordnung oder anderer gesetzlicher Vorschriften, wie etwa einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 17 VSBG) oder die Regelungen zum Schlichtungsvorschlag (§ 19 VSBG), erfolgen.108 Eine Erheblichkeitsschwelle, wie sie auch nach englischem Recht existiert, sieht das VSBG insofern vor, als dass die Tätigkeit systematisch gegen gesetzliche Vorschriften oder die Verfahrensordnung verstoßen muss. Ähnlich zur früheren Rechtlage, nach der ein „erheblicher Umfang“ nicht erfüllter Anforderungen verlangt wurde, wird auf die Qualität und die Quantität der Verstöße abzustellen sein.109 Auch wenn der Wortlaut „systematisch“ eher die Quantität der Verstöße im Blick zu haben scheint, werden die Anforderungen der Häufigkeit umso geringer sein, desto bedeutender die verletzte Vorschrift ist.110 Diese Gesetzesänderung diente der Angleichung an § 19 FinSV und sollte dem BfJ lediglich die Prüfung erleichtern, ob Anlass für eine Mängelbeanstandung besteht.111 Nach § 26 Abs. 2 VSBG widerruft die Behörde die Anerkennung, wenn die ADR-Stelle der Änderungsaufforderung nicht binnen drei Monaten Folge leistet. Diese Entscheidung steht nicht mehr im Ermessen der Behörde.112 Es handelt sich daher um eine spezielle Widerrufsvorschrift für Verwaltungsakte, die anders 107 Die Änderungsaufforderung stellt dabei einen selbstständig nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO anfechtbaren Verwaltungsakt dar, Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 10. 108 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 2–5; Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 27 Rn. 8. 109 Die Qualität des Verstoßes wird durch die Bedeutung der verletzenden Norm, die sowohl bloße Ordnungsvorschrift als auch zentrales Verfahrenselement sein kann, bestimmt, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 24; hierzu auch Roder, in: Roder/Röthemeyer/ Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 10; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 26 Rn. 5. 110 Von grundlegender Bedeutung werden der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. § 17 VSBG, die Begründung des Schlichtungsvorschlags nach § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG sowie die Verschwiegenheitspflicht gesehen, Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 10; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 5. Entscheidend ist daher die Intensität des Verstoßes, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 24. Der Widerruf der Anerkennung sei bei restriktiver Auslegung des insofern unklaren Wortlauts auf schwerwiegende Verstöße zu begrenzen, Hirsch, 2020, S. 207, 214. 111 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, BT-Drucks. 19/10348, S. 35. Mit dem Hinweis darauf, dass der Verweis auf „systematische“ Verstöße in § 19 FinSV fehle, sodass der gesetzgeberischer Anlass zur Änderung des § 26 VSBG entfallen sei, Hirsch, 2020, S. 207, 214. 112 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66; BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 24; Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 26 Rn. 12; hierzu auch Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 19; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 13.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
als die generelle Vorschrift des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, keine Gefährdung des öffentlichen Interesses verlangt.113 Die Behörde kann freilich auch auf die generellen Vorschriften zur Rücknahme rechtswidriger beziehungsweise zum Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte zurückgreifen.114 Ein behördliches Ermessen würde nur dann bestehen, wenn die ADR-Stelle den Änderungsaufforderungen teilweise nachkommt, sodass der „erhebliche Umfang“ der Pflichtverletzungen erneut beurteilt werden müsste.115 Die Dreimonatsfrist würde durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Änderungsaufforderung gehemmt, sofern nicht sofortige Vollziehbarkeit angeordnet wurde.116 In Extremfällen ist auch eine sofortige Untersagung der Tätigkeit der ADR-Stelle unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 VwVfG denkbar.117 Folge des Widerrufs ist die Entfernung der ADR-Einrichtung aus der Liste aller Verbraucherschlichtungsstellen des BfJ,118 sodass die Einrichtung ihre Tätigkeiten zwar fortführen kann, sich jedoch nicht mehr als „Verbraucherschlichtungsstelle“ bezeichnen darf.119
III. Laufende Aufsichtstätigkeit Im Vereinigten Königreich liegt der Fokus, gerade der sektorspezifischen Behörden, auf der laufenden Aufsichtstätigkeit, da der Widerruf der Anerkennung die Ausnahme bleiben wird. Insoweit fehlt es den deutschen Behörden schon an Ermittlungs- und Eingriffsbefugnissen. 1. Sektorspezifische Aufsicht in England Die zuständige Behörde hat die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen durch die anerkannten ADR-Stellen laufend zu beaufsichtigen, reg. 12 ADR C&I Regulations. Diesbezüglich kommt den Behörden ein weites Ermessen zu, sodass sich die Aufsichtspraxis insbesondere danach unterscheiden kann, ob nur anlassbezogene oder auch anlasslose Kontrollen stattfinden. 113 Widerruf i. S. d. § 49 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG; Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 19; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 14. 114 Gemeint sind die §§ 48 f. VwVfG, BR-Drucks. 258/15, S. 81; Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 19; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 26 Rn. 19; a. A. Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171, 194, der einen Rückgriff auf § 49 VwVfG aufgrund der Divergenzen in Tatbestand und Rechtsfolge als nicht möglich erachtet. 115 § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO; hierzu auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 10. 116 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 21. 117 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 21. 118 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66; § 32 Abs. 2 Nr. 1 VSBG. 119 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 25; Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 22; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 17.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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Nach den Richtlinien des CTSI handelt es sich bei der Aufsicht über ADRStellen um einen fortwährenden Prozess, der nicht mit der Anerkennung endet.120 Regelmäßige Kontrollen sollen sowohl auf Basis der jährlichen und zweijährigen Tätigkeitsberichte der ADR-Stellen als auch vor Ort vorgenommen werden.121 Die Aufsicht des CTSI folgt dabei einem Drei-Jahres-Zyklus. Nach einer vollumfänglichen Prüfung im ersten Jahr, folgen zwei Jahre, in denen die Überprüfung auf die Kontrolle der Berichtspflichten begrenzt ist, bis der Zyklus wieder mit einem vollumfänglichen Audit beginnt. Auf diesem Wege sollen die Kosten für ADR-Stellen gesenkt werden, das System aber gleichzeitig robust bleiben.122 Es ist davon auszugehen, dass sich die Aktivität des CTSI auf die jährliche Kontrolle beschränkt, sofern nicht von dritter Seite gehäuft Beschwerden über eine ADRStelle herangetragen werden. Der CAA stehen neben der ultima ratio des Widerrufs123 weitere Möglichkeiten zur Verfügung, um die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen sicherzustellen. Hierzu gehören unter anderem informelle Beratungen, Veröffentlichungen von Richtlinien, Mahnschreiben, Auskunftsverlangen sowie die Einholung förmlicher Selbstverpflichtungen der ADR-Stellen.124 Dabei versucht die CAA eine Balance zwischen informellen und formellen Herangehensweisen zu finden. Bei der Wahl der Mittel berücksichtige die CAA die Schwere des Verstoßes, die Geeignetheit der verfügbaren Maßnahmen sowie vorherige Erfahrungen im Umgang mit der ADR-Stelle.125 Die CAA kann von der ADR-Stelle zudem Informationen verlangen, Einsicht in Beschwerdeakten nehmen und die Anerkennung einer ADR-Stelle unter zusätzliche Bedingungen stellen.126 Die Überprüfungen basieren dabei insbesondere auf den jährlichen und zweijährlichen Berichtspflichten der ADR-Stellen. Zusätzlich zu diesen Berichten verlangt die CAA von den ADR-Stellen sehr detaillierte Quartalsberichte, die weitergehende Auskünfte über Namen der Fluggesellschaften, Beschwerdeursachen, Verfahrensergebnisse sowie Zahl der anhängigen und abgeschlossenen Beschwerden enthalten.127
120 Hierzu CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 4; hierzu auch dass., ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 31 f. 121 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 31. 122 CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 4. 123 Zum Widerruf der Anerkennung in England soeben unter Kap. 5 B. II. 124 CAA, Withdrawal of ADR Entity Approval Policy – CAP 1427, 2016, S. 4. 125 CAA, Withdrawal of ADR Entity Approval Policy – CAP 1427, 2016, S. 6. 126 CAA, Withdrawal of ADR Entity Approval Policy – CAP 1427, 2016, S. 7; dass., Information for ADR entities approved by the CAA (including guidance on regulatory and additional information requirements) – CAP 1390, 6.2.2019, S. 9. 127 CAA, Information for ADR entities approved by the CAA (including guidance on regulatory and additional information requirements) – CAP 1390, 6.2.2019, S. 9, S. auch die Vorlage des Quartalsbericht in Appendix C.
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Dass die Aufsichtstätigkeit auch über die bloße Kontrolle der Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen hinausgehen kann, zeigt das Beispiel der Gambling Commission. Diese nahm die ersten Tätigkeitsberichte der ADR-Stellen sowie Informationen weiterer Stakeholder zum Anlass, das Beschwerdemanagement des gesamten Sektors zu bewerten.128 Da das Beschwerdemanagement im Glücksspielsektor sowie die Vorgaben der ADR Regulations als unzureichend erachtet wurden, verschärfte die Gambling Commission die Anerkennungsvoraussetzungen für ADR-Stellen. Hierzu gehören quartalsweise Berichtspflichten der ADR-Stellen, die Auskunft über Art und Umfang der Beschwerde, Erfolgsquoten für Verbraucher und Unternehmer sowie über die Verfahrensdauer geben.129 Des Weiteren kann die Gambling Commission anlassbezogen informelle Maßnahmen ergreifen.130 ADR-Stellen können in diesem Zuge aufgefordert werden, sich über ihre Verfahren und die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen zu erklären. Etwaige Verfahrensänderungen können mittels späterer, stichprobenartiger Kontrolle von Entscheidungen der ADR-Stelle überprüft werden. Die fortlaufende Aufsichtstätigkeit über ADR-Stellen sieht Ofcom als eine aus dem Communications Act 2003 sowie den ADR C&I Regulations erwachsende Pflicht an.131 Um Feedback über die Leistungen von CISAS und OS:C zu sammeln, veröffentlichte Ofcom einen „Call for Input“, auf den 26 Interessenvertreter antworteten.132 Zudem wurde ein unabhängiger Sachverständiger mit der Überprüfung der ADR-Stellen bezüglich der Qualität der Entscheidungen sowie der Konsistenz beider Verfahren beauftragt.133 Die ADR-Verfahren wurden im abschließenden Bericht von Ofcom gegen acht verschiedene Kriterien getestet.134 Zwar hielten beide ADR-Stellen dieser Kontrolle stand,135 jedoch wur-
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Gambling Commission, Complaints processes in the gambling industry, 2017. Gambling Commission, Alternative dispute resolution (ADR) in the gambling industry, 2018, Rn. 6.5. 130 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 33. 131 Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 3. 132 Hierzu gehören Individualpersonen sowie Unternehmens- und Verbraucherverbände, Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 8. 133 Zu diesem Zwecke wurden Fallmaterialien von etwa 80 Fällen einer jeden ADR-Stelle aus dem Zeitraum von Januar und Februar 2017 analysiert, MacDonald, ADR Decision Review, 2017, S. 5 f. 134 Hierzu wurden die Kriterien der Zugänglichkeit, Unabhängigkeit, Fairness, Effizient, Transparenz, Effektivität, Verantwortlichkeit für Fehlverhalten sowie des diskriminierungsfreien Zugangs herangezogen, Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 6. 135 Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017, S. 28. 129
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den Maßnahmen beschlossen, um die Konsistenz und Transparenz der Verfahren zu erhöhen sowie deren Dauer zu verkürzen.136 Wie auch die CAA und die Gambling Commission, basiert Ofcom die laufende Aufsichtstätigkeit nicht nur auf die jährlichen Berichten der ADR-Stellen, sondern auch auf zusätzlich angeforderte Quartalsdaten. Die ADR-Stellen haben Daten über Beschwerden und Verfahrensergebnisse zu veröffentlichen, die Bezug zu Kommunikationsanbietern mit mindestens 1,5 % Marktanteil haben.137 Schließlich fordert Ofcom von CISAS und OS:C die Einhaltung spezifischer, durchaus straffer Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators), welche die schnelle Beantwortung von Anfragen und Entscheidungen angenommener Beschwerden sicherstellen sollen. Über die Aufsichtspflichten der ADR C&I Regulations hinausgehend, ließ auch Ofcom die von ihr anerkannte ADR-Stelle von unabhängiger Instanz bewerten, sogenannter lucerna partners-Bericht.138 OS:E wurde auf die Einhaltung der Voraussetzungen sowohl des CEAR Act 2007 als auch der ADR C&I Regulations überprüft.139 Die laufenden Berichtspflichten des OS:E gegenüber Ofgem, die im gemeinsamen Memorandum of Understanding festgehalten sind, umfassen monatliche, quartalsweise und jährliche Berichte. Die monatlichen Berichte sollen Auskunft über Art und Zahl der eingegangenen Anfragen, die Bearbeitungsdauer von Beschwerden und Anfragen, die Zahl der angenommenen Beschwerden und einen Überblick über die operative Tätigkeit geben.140 Hierzu treten quartalsweise Informationen über die hauptsächlichen Beschwerdearten, das Beschwerdeaufkommen sowie zu den angeordneten Entschädigungen und Handlungsanweisungen.141 Der Jahresbericht enthält Angaben zu den Beschwerden über die Dienste des OS:E selbst und weiteren Besonderheiten im Beschwerdeverfahren.142 Darüber hinaus kann Ofgem von Zeit zu Zeit Daten bezüglich der Leistung des OS:E verlangen, um die Einhaltung der gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben zu überwachen.143 Zudem teilt OS:E mit Ofgem alle Daten, die es selbst, etwa in Bezug auf Kundenzufriedenheit oder Zugänglichkeit der ADR-Stelle,
136
Ofcom, Review of Ofcom’s approval of Alternative Dispute Resolution Schemes, 2017,
S. 29. 137 Die Quartalsdaten von CISAS sind abrufbar unter https://www.cedr.com/consumer/cis as/reports-2/. 138 lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015; hierzu bereits oben unter Kap. 3 B. I. 5. 139 Der Bericht basiert auf detaillierten Daten des OS:E, Gesprächen mit Mitarbeitern von OS:E, zwei teilnehmenden Unternehmen und Ofgem sowie einer kleinen Analyse von etwa 15 Fällen, lucerna partners, Review of ombudsman services: energy, 2015, S. 6. 140 sec. 8.2 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E. 141 sec. 8.3 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E. 142 sec. 8.2 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E. 143 sec. 8.5 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
erhebt.144 Ofgem kann überdies nach eigenem Ermessen weitere Überprüfungen des OS:E, ähnlich wie im Rahmen des lucerna partners-Berichts, vornehmen.145 2. Allgemeine Aufsichtstätigkeiten in Deutschland Neben der Regelung des § 26 VSBG zum Widerruf der Anerkennung verleiht das VSBG den zuständigen Behörden keine Befugnisse zum Zwecke einer laufenden Aufsichtstätigkeit oder zur Korrektur von Verstößen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle. Mithin wird vertreten, dass § 26 VSBG die Aufsichtstätigkeit der zuständigen Behörde abschließend regele, eine allgemeine Aufsichtstätigkeit damit ausgeschlossen sei.146 In der Tat sprechen die gesetzgeberischen Erwägungen nur selten von einer generellen Aufsicht über private ADR-Stellen.147 Der informelle Kontakt zu ADR-Stellen ist zwar möglich,148 aber nicht verpflichtend. Behördliche Schlichtungsstellen, sowie das mit den Aufgaben der Universalschlichtungsstelle des Bundes beliehene Zentrum für Schlichtung e.V. unterliegen der Fach- und Rechtsaufsicht, vgl. § 32 Abs. 3 VSBG beziehungsweise § 29 Abs. 3 S. 2 VSBG. Gegen eine aktive Aufsichtstätigkeit spricht zudem, dass die Aufsicht, ausweislich des Gesetzesentwurfs, anlassbezogen ausgestaltet ist.149 Eine aktive, kooperative Rolle der zuständigen Behörden war nicht intendiert, da auf eine strikte Trennung zwischen Ordnungsrecht und Streitbeilegung geachtet werden soll.150 Insofern soll eine Überprüfung oder Beanstandung einzelner Schlichtungsverfahren oder eines Schlichtungsvorschlages durch die Aufsichtsbehörde nicht stattfinden.151 Als möglichen Anlass zum behördlichen Einschreiten werden „Änderungen anerkennungserheblicher Umstände“, Informationen, die sich aus den Tätigkeits- und Evaluationsberichten der ADR-Stelle ergeben (§ 34 Abs. 1 und 2 VSBG) sowie Hinweise Dritter genannt.152 Da mitteilungspflichtige Änderungen nach § 25 Abs. 2 VSBG wohl selten zur Nichteinhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen führen dürften, werden im Regelfall Beschwerden von Verfahrens144
sec. 8.6 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E. sec. 9.1 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E. 146 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 21; hingegen sieht Hirsch, 2020, S. 207, 213 in der Ermittlung der Voraussetzungen eines Widerrufs bereits eine unzulässige Rechtsaufsicht durch das BfJ. 147 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/5760, S. 25, 30; hierzu auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 20. 148 So bezüglich des informellen Hinweises auf Probleme im Voraus zu einer förmlichen Änderungsaufforderung, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66. 149 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66; Röthemeyer, in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 26 Rn. 21. 150 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 73 f.; näher hierzu noch unten unter Kap. 5 C. III. 151 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, BT-Drucks. 19/10348, S. 35. 152 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 66. 145
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beteiligten oder Verbänden Anlass zum Tätigwerden liefern.153 Die zuständige Behörde wird erst bei einer Vielzahl gleich gelagerter Beschwerden eingreifen. Gleichwohl sollten zuständige Behörden nicht daran gehindert sein, ihre Aufgaben zum Zwecke des Verbraucherschutzes aktiv, anstatt nur reaktiv und anlassbezogen auszuüben. Hierfür fehlen den zuständigen Behörden, die allein auf das Mittel des Widerrufs rekurrieren können, jedoch die geeigneten Befugnisse. Insofern wäre eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der zuständigen Behörden, besonders für Pflichtverstöße, deren Sanktion mittels Widerruf der Anerkennung unverhältnismäßig wäre, wünschenswert.154 Die Gelegenheit zu einer Kompetenzerweiterung hat der Gesetzgeber mit der Änderung des VSBG im Jahr 2020 verpasst. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks einiger Verbraucherschlichtungsstellen, wird das BfJ vorerst auf das Instrument des Widerrufs beschränkt bleiben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Anforderungen, die nicht Gegenstand des Anerkennungsverfahrens sind, wie dem Rechtsorientierungsgebot für Schlichtungsvorschläge, das die Qualität der Schlichtung zwar erhöhen soll, dessen Einhaltung ohne weitergehende Befugnisse der Behörden jedoch kaum sichergestellt werden kann. Die hohen Qualifikationsanforderungen an Streitmittler, die über die Vorgaben der Richtlinie hinaus gehen, sind noch keine Gewähr dafür, dass die Rechte der Verbraucher in Schlichtungsverfahren nicht unterlaufen werden.155 Gleichwohl sind deutsche Schlichtungsverfahren in noch höherem Maße verrechtlicht, als dies nach dem VSBG erforderlich ist,156 sodass es aktuell keine Anhaltspunkte für eine rechtsferne Schlichtungspraxis gibt. Um jegliche Zweifel auszuräumen und das Vertrauen in ADR zu steigern, sollte der Gesetzgeber dennoch zumindest dafür sorgen, dass das äußere Verfahren überprüfbar ist.157 Zuzustimmen ist der Forderung, den zuständigen Behörden Möglichkeiten einzuräumen, stichprobenartige Auskünfte oder Akteneinsicht zu verlangen.158 Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine etwaige strukturelle Unterlegenheit der Verbraucher durch die Verschwiegenheit der ADR-Stelle zum Schutze der Unternehmen verdeckt bliebe.159 Die Verschwiegenheitspflicht der eingebundenen Personen stünde dem nicht entgegen, da abweichende gesetzliche Regelun153
So auch Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 24. Für eine praxisgerechte Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten de lege ferenda plädierend, Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 16. 155 Kritisch zu den Qualifikationsanforderungen an Streitmittler als „Problem“, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 176–186. 156 Hierzu schon Kardos, C.J.Q. 38 (2019), 212 ff. und oben unter Kap. 4 E. IV. 2. b). 157 So zutreffend Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 213. 158 Diese Forderung bei Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 213. 159 So Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 213; vgl. auch Tonner, ZKM 2015, 132, 134. 154
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gen ausdrücklich zulässig sind, vgl. § 22 S. 1 VSBG. Zumindest in den Ausnahmefällen des § 2 EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz160, soll es zuständigen Behörden möglich sein, auch zwischen den jährlichen Tätigkeitsberichten von ADR-Stellen Auskunft zu „schlichtungsrelevanten geschäftlichen Gepflogenheiten“ zu verlangen, § 34 Abs. 4 VSBG.161 Schließlich gibt es auch keinen Anreiz für eine aktive Aufsichtstätigkeit der zuständigen Behörden. Die Aufsicht liegt maßgeblich in der Hand des BfJ, das als neutrale Kontrollinstanz die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen durch die ADR-Stellen prüft. Anders als die sektorspezifischen Behörden im Vereinigten Königreich fungiert das BfJ jedoch nicht als Regulierungsbehörde. Anders als bei einer sektorspezifischen Aufsicht bleiben Synergieeffekte aus, die sich dadurch ergeben, dass mit ADR weitere regulatorische Ziele, wie etwa die Verbesserung von Marktstandards oder unternehmensinterner Beschwerdemechanismen, verfolgt wird. Schließlich kann der erhöhte Verwaltungsaufwand, anders als im Vereinigten Königreich, den ADR-Stellen nicht in Rechnung gestellt werden.
IV. Informationspflichten und Kooperation ADR-Stellen sind ausdrücklich zur Kooperation mit zuständigen Behörden aufgerufen, Art. 17 ADR-Richtlinie. Während sich diese Kooperation in Deutschland auf die Berichtspflichten der ADR-Stellen beschränkt, machen die sektorspezifischen Aufsichtsbehörden in England umfassenden Gebrauch von erhobenen und aggregierten Daten der ADR-Stellen. 1. Informationspflichten der zuständigen Behörden und der zentralen Anlaufstelle Die grundlegende Informationspflicht der Behörden besteht in der Listung aller anerkannten ADR-Stellen. Des Weiteren hat die zentrale Anlaufstelle eines jeden Mitgliedstaats alle vier Jahre einen Bericht über die Entwicklung und die Arbeitsweisen der ADR-Stellen zu veröffentlichen und der Kommission zu übermitteln.162 Dieser soll unter anderem eine Beschreibung bewährter Verfahren, Darlegung statistisch belegter Unzulänglichkeiten des Systems sowie Empfehlungen zur Verbesserung der Effektivität und Effizienz der ADR-Stellen enthalten, Art. 20 Abs. 6 ADR-Richtlinie. Diese Berichte speisen sich nicht zuletzt aus den Informationen der ADR-Stellen zum Ausmaß und der Art des Beschwerdeaufkommens und der Verfahrensdurchführung, die diese alle zwei Jahre an die zuständigen Behörden zu berichten haben. Auf Grundlage der nationalen Infor-
160 EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz v. 21.12.2006, BGBl. I S. 3367, zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 51 des Gesetzes v. 7.8.2013, BGBl. I S. 3154. 161 ADR-Stellen sollen so beitragen, Problemfelder zu erkennen und gegebenenfalls auf diese zu reagieren, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 73 f. 162 Der erste Bericht war bis zum 9.7.2018 einzureichen, Art. 20 Abs. 6 ADR-Richtlinie.
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mationen erstellt die Kommission nach Art. 26 ADR-Richtlinie wiederum einen Bericht über die Entwicklung und Nutzung von ADR sowie über die Auswirkungen der Richtlinie. Angesichts der starken Diversität der ADR-Landschaften der Mitgliedstaaten war es der Kommission in ihrem ersten Bericht jedoch weniger möglich, konkrete Verbesserungsvorschläge zu formulieren, als die bestehenden Unterschiede herauszustellen.163 a) ADR Report des CTSI Das CTSI als zentrale Anlaufstelle für die Kommission hat, beginnend ab dem 9. Juli 2018, alle vier Jahre einen Bericht über die „best practices“, Unzulänglichkeiten der ADR-Strukturen sowie Empfehlungen an die Kommission zu übermitteln, reg. 18(2), (3) ADR C&I Regulations. Zu diesem Zwecke kann das CTSI von den sektorspezifischen Behörden Informationen über die Entwicklung und Funktionsweisen der ADR-Stellen verlangen, reg. 18(4),(5) ADR C&I Regulations. Das CTSI bediente sich bei der Erstellung des ersten ADR-Berichts dem hierfür zur Verfügung gestellten Umfrageformular der Kommission.164 Der Bericht trägt separat die Daten und Antworten aller zuständigen Behörden zum Anerkennungsverfahren, zum Beschwerdeaufkommen, zur Bearbeitung und Ablehnung von Beschwerden, zur Verfahrensdauer sowie zur Einhaltung der Verfahrensergebnisse zusammen.165 Das CTSI stellt eine Steigerung der Transparenz von ADR-Stellen fest, die sich aufgrund der Anforderungen der ADR-Richtlinie zu erheblichen organisatorischen und prozessualen Änderungen gezwungen sahen.166 Es sei auch Folge der Aufsicht, dass viele anerkannte ADR-Stellen vermehrt auf die Schulung ihrer im ADR-Verfahren eingesetzten Mitarbeiter achten und diese detailliert dokumentieren.167
163 Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019. 164 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018. 165 Die Daten beziehen sich dabei auf den Zeitraum seit Aufnahme der Tätigkeit als zuständige Behörde. Hierbei kann es jedoch zu Fehleindrücken kommen, wie etwa an den Angaben der FCA zu sehen ist. Die von der FCA angegebenen 638 969 eingegangenen Beschwerden korrelieren nicht mit dem Beschwerdeaufkommen seit Juli 2015, da der FOS allein in den Geschäftsjahren 2015/2016 und 2016/2017, die jeweils zum 1. April beginnen, 662 182 eingegangene Beschwerden verzeichnete, wobei hiervon die eingegangenen Beschwerden zwischen April und Juni 2015 zu subtrahieren sind. Diese Verzerrung ist wohl dadurch bedingt, dass der FCA die Beschwerdezahlen für das Geschäftsjahr 2017/2018, das erst am 31. März endet, zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht vorgelegen haben. 166 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 22. 167 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 22.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Das CTSI identifiziert die niedrige Teilnahmebereitschaft von Unternehmen als größtes Hindernis zur effektiven Nutzung von ADR.168 Vor diesem Hintergrund sei auch eine nahezu flächendeckende Gewährleistung von ADR wertlos.169 Demnach würden Verbraucher enttäuscht, die von Unternehmen zwar pflichtgemäß auf eine – vielleicht sogar sektorspezifische – ADR-Stelle hingewiesen werden, deren Verfahren für Unternehmen jedoch nicht verpflichtend ist. Die Teilnahmebereitschaft würde zudem durch die praktische Kostenfreiheit170 von ADR für Verbraucher gemindert, da die Verfahrenskosten letztlich auf Unternehmen abgewälzt werden.171 Das CTSI empfiehlt daher die – grundsätzlich zu begrüßende – Kostenfreiheit für Verbraucher zugunsten einer ausgeglichenen Regelung zu überdenken.172 Zudem bedürfe es einer besseren Aufklärung über die Informationspflichten für Unternehmen, die auch Handelsverbände dazu ermutigen soll, eigene ADRMechanismen als ADR-Stelle anerkennen zu lassen.173 Die CAA versucht hingegen durch ein „naming and shaming“ größere Fluggesellschaften zur Nutzung von ADR zu bewegen174 und spricht sich gar für eine Teilnahmeverpflichtung für Unternehmen im Luftfahrtsektor aus.175 b) Verbraucherschlichtungsbericht des BfJ Zum Zwecke des Berichts des BfJ an die Kommission, dem sogenannten Verbraucherschlichtungsbericht, haben die zuständigen Behörden für den privaten ADR-Sektor sowie die Aufsichtsbehörden behördlicher ADR-Stellen dem BfJ alle zwei Jahre eine Auswertung der Evaluationsberichte der ADR-Stellen zu übermitteln.176 Die Berichte stellen unter anderem die Tätigkeit der ADR-Stellen
168
CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 23 und
31. 169
CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 25 f. Die Zugänglichkeit von ADR-Verfahren darf für Verbraucher höchstens durch eine Schutzgebühr eingeschränkt werden, Art. 6 lit. c) ADR-Richtlinie. 171 Die praktische Kostenfreiheit für Verbraucher sei für ADR-Stellen auch die am schwierigsten umzusetzende Anforderung der ADR-Richtlinie gewesen, CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 29 und 34. 172 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 34. 173 Diese Aussage zeigt, dass die Umsetzung der Informationspflichten für Unternehmen nach reg. 19 ADR C&I Regulations bisher keineswegs flächendeckend umgesetzt wird, dass., ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 23. 174 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 23. 175 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 34. 176 Die Berichtspflichten des BfJ als zentrale Anlaufstelle sowie der anderen Behörden an das BfJ folgt aus § 35 VSBG. Die Frage, ob die zuständigen Behörden die Evaluationsberichte auswerten müssen oder diese nur an das BfJ übermitteln müssen, war im Gesetzgebungsverfahren umstritten, hat aufgrund der Etablierung der Aufsicht auf Bundesebene durch das BfJ indes an Brisanz verloren, eingehend hierzu Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 35 Rn. 3–7. 170
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im Bundesgebiet dar und bewerten die Entwicklungen von ADR nach Einführung des VSBG, § 6 VSBInfoV.177 Eine weitergehende Kooperation zwischen dem BfJ als zentraler Anlaufstelle, den anderen zuständigen Behörden sowie den Aufsichtsbehörden behördlicher Schlichtungsstellen sieht das VSBG nicht vor.178 Der erste Verbraucherstreitbeilegungsbericht aus dem Jahr 2018 bewertet das VSBG als gute Grundlage für die Förderung von ADR.179 Besonders branchenspezifische Verfahren fänden Akzeptanz bei Unternehmen.180 Ferner stieg die Anzahl der Schlichtungsanträge in Deutschland auf 68 538 Anträge im Jahr 2017. Mit Rücksicht auf den nur sehr kurzen Bewertungszeitraum seit Inkrafttreten des VSBG sowie dem Umstand, dass viele der ADR-Stellen bereits vorher etabliert waren, konnte das BfJ allerdings noch keine belastbaren Schlussfolgerungen treffen.181 Im Hinblick auf die ODR-Kontaktstelle, dem Europäischen Verbraucherzentrum Deutschland (EVZ) beim Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz e.V. (ZEV)182 stellt der Bericht fest, dass diese nur für ein gutes Drittel der Anfragen zuständig sei, da viele Fälle überhaupt keinen Bezug zur ODR-Plattform aufwiesen. Da sich die Links zur ODR-Plattform pflichtgemäß im Impressum der Unternehmen wiederfänden, würde das ZEV vielmehr mit dem Kundenzentrum des Unternehmens verwechselt werden.183 Den grenzübergreifenden Fällen liegen meist Beschwerden von Verbrauchern aus dem EU-Ausland gegen deutsche Unternehmen, nur selten aber Beschwerden deutscher Verbraucher gegen Unternehmen aus dem EU-Ausland zugrunde.184 Die Darstellung der Tätigkeit der ADR-Stellen zeigt, dass ein großer Teil der Anträge, im Durchschnitt knapp jede fünfte Beschwerde, abgelehnt oder nicht durchgeführt wird.185 Die Ablehnungen werden fast zur Hälfte mit der Unzuständigkeit der ADR-Stelle und zu einem weiteren Viertel mit einer nicht erfolgten vorherigen Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen begründet.186 Dies 177 Darüber hinaus sind statistische Angaben zu etwaigen Hindernissen bei der Behandlung inländischer und grenzübergreifender Streitigkeiten zu machen sowie diesbezügliche Handlungsempfehlungen und Verbesserungsvorschläge für die Entwicklungen von ADR zu formulieren. 178 Auch der Verbraucherstreitbeilegungsbericht adressiert die Zusammenarbeit oder Kommunikation der zuständigen Behörden, anders als der ADR Report des CTSI für das Vereinigte Königreich, nicht. 179 Das BfJ bezeichnet das VSBG gar als neues „Grundgesetz“ der alternativen Streitbeilegung in Deutschland, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 14. 180 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 85. 181 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 9 f. 182 Die Beleihung des EVZ nach § 40 Abs. 2 VSBG erfolgte im Rahmen einer öffentlichen europaweiten Ausschreibung. Zur Arbeit des EVZ, Borsche/Schulze-Wethmar, 2020, S. 295 ff. 183 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 30. 184 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 31. 185 Die durchschnittliche Ablehnungsquote betrug 20 % im Jahr 2016 und 18 % im Jahr 2017, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 64. 186 Die ADR-Stelle war in 44 % (2016) bzw. 47 % (2017) der Fälle nicht zuständig und der Unternehmer wurde in 33 % bzw. 26 % der Fälle nicht vorher vom Antragsteller kontaktiert.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
spricht nicht nur für die Notwendigkeit von noch verständlicheren Informationen für Verbraucher, sondern für eine Rationalisierung der ADR-Landschaft. Weiterhin zeigen die Grafiken, dass die angenommenen Beschwerden – anders als in England – verhältnismäßig oft durch einen Schlichtungsvorschlag, anstatt im Vorverfahren beigelegt werden.187 Die recht hohe Anzahl von Beschwerdeeingängen im ersten Jahr nach Inkrafttreten des VSBG führt das BfJ zutreffend auf die vorherigen ADR-Strukturen besonders im Finanz- und Versicherungssektor zurück.188 Jedoch kommen nur zwei der 25 ADR-Stellen, namentlich der Versicherungsombudsmann und die söp, für mehr als 50 % der Beschwerden auf. Das Beschwerdeaufkommen der anderen ADR-Stellen sowie die Anzahl der grenzüberschreitenden Streitigkeiten ist demgegenüber gering.189 Darüber hinaus erscheint der Anteil der Beschwerden sehr hoch, die mit der Begründung abgelehnt werden, die Verfahrensdurchführung würde den effektiven Betrieb der Verbraucherschlichtungsstelle ernsthaft gefährden.190 Diesbezüglich wären sowohl konkrete Zahlen als auch die Darstellung exemplarischer Fälle wünschenswert gewesen, um den Ausnahmecharakter der Ablehnungsgründe des § 14 VSBG sicherzustellen. Diese dürfen den Zugang der Verbraucher zu ADR nicht erheblich beschränken (S. 2) und sind daher restriktiv auszulegen. Die Ablehnung einer Beschwerde aufgrund einer zu befürchtenden Geschäftsbeeinträchtigung der ADR-Stelle dürfte, entsprechend der gesetzlichen Konkretisierung, zumeist mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Sachverhaltsklärung oder einer entscheidungserheblichen, grundsätzlichen Rechtsfrage begründet sein.191 Damit drängt sich insbesondere die Frage auf, inwieweit abgelehnte Beschwerden mit unklarem Sachverhalt oder grundsätzlichen Rechtsfragen von Verbrauchern tatsächlich zu den Gerichten gebracht werden und wie viele Verbraucher durch die Ablehnung der Verfahrensdurchführung letztlich auf ihren Forderungen sitzen bleiben. Der Bericht legt ferner dar, dass die Hälfte der durchgeführten Verfahren zu einer Einigung der Parteien führt und stellt dabei – nach eigener Aussage erwartungsgemäß – fest, dass die Einigungsbereitschaft der Parteien wesentlich höher ist, wenn Unternehmen freiwillig am Verfahren teilnehmen.192 Der Umstand, dass 187 Dies gilt gerade im Verhältnis zu der Praxis im Vereinigten Königreich, vgl. hierzu oben unter Kap. 2 C. 188 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 60 f. 189 Grenzüberschreitende Streitigkeiten machen weniger als 1 % der Fälle aus, obwohl die ADR-Richtlinie ja gerade auf die Förderung des Binnenmarkts ausgerichtet ist. Freilich sind die Daten noch nicht belastbar, um die Auswirkungen der ADR-Richtlinie auf den Binnenmarkt zu bewerten. Anzumerken ist auch, dass bei fast allen ADR-Stellen ein Anstieg im Jahr 2017 festgestellt werden konnte, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 63. 190 Vgl. die Grafik ohne zahlenmäßige oder prozentuale Angaben, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 65. 191 Dies suggerieren auch die Darstellungen zu den Daten der ADR-Stellen, die in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 FinSV fallen, nach welchem Beschwerden aufgrund der beiden besagten Gründe abgelehnt werden können. 192 Die Einigungsquote, also das Verhältnis zwischen den Verfahren, in denen sich die
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die Einigungsquote aber auch im Falle einer Teilnahmepflicht bei nur knapp 50 % lag, zeigt indes die geringe Signifikanz freiwilliger ADR und damit eine denkbar geringe Teilnahmebereitschaft der Unternehmen.193 Insgesamt werde Verbrauchern mit ADR jedoch ein effektives Instrument zur einfachen, schnellen und günstigen Streitbeilegung an die Hand gegeben.194 Allerdings bemängeln einige ADR-Stellen, dass die Verfahren nach Einführung des VSBG bürokratischer und formaler geworden seien.195 Dies gelte insbesondere für die zahlreichen Informationspflichten, die selbst gegenüber Unternehmen gelten, die mit dem ADR-Verfahren vertraut sind. Hindernisse bei der Behandlung grenzüberschreitender Streitigkeiten sieht das BfJ vor allem in der geringen Nutzung der ODR-Plattform durch deutsche Verbraucher.196 Zur Behebung dieser Hindernisse folgt das BfJ den Empfehlungen des ZEV, Art. 9 Abs. 3 der ODR-Verordnung dahingehend abzuändern, dass Anträge direkt an die zuständige ADR-Stelle weitergeleitet werden können. Solange nämlich nur das Unternehmen von der ODR-Plattform kontaktiert wird, bekommen ADR-Stellen überhaupt keine Kenntnis von der Streitigkeit.197 Dies gilt im Übrigen selbst im Falle einer autonomen oder heteronomen Teilnahmepflicht eines Unternehmens. Die Akzeptanz der ODR-Plattform hänge davon ab, ob eingereichte Beschwerden tatsächlich auch in ADR-Verfahren münden.198 Von der Umsetzung der Informationspflichten für Unternehmen nach den §§ 36 und 37 VSBG erhofft sich das BfJ eine sukzessive Steigerung des Bekanntheitsgrads von ADR bei Verbrauchern.199 Teilweise können die Informationen allerdings dann eine für den Verbraucher nachteilige Situation erzeugen, wenn das Unternehmen über die Nutzung von ADR nicht mehr im konkreten Einzelfall entscheidet, sondern die Teilnahme an ADR-Verfahren pauschal in seinen AGBs und auf der Webseite ablehnt.200 Parteien im Vorverfahren oder nach Erlass eines Schlichtungsvorschlags geeinigt haben, zu den Verfahren, in denen der Schlichtungsvorschlag nicht angenommen wurde, lag bei 61 % (2016) bzw. 50 % (2017). Die Einigungsquote lag bei freiwilligen Verfahren bei 87 % (2016) bzw. 90 % (2017) und bei den übrigen Verfahren bei 59 % (2016) bzw. 41 % (2017). Trotz erheblichen Rückgangs der Quote bei einigen ADR-Stellen, soll sich die Einigungsbereitschaft bei den meisten ADR-Stellen jedoch erhöht haben, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 68 f. 193 Die Teilnahmebereitschaft an Verfahren der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle lag im Jahr 2017 bei 29 %, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 68. Die geringe Teilnahmebereitschaft unter Unternehmen sei auch auf Fehlvorstellungen über ADR-Verfahren zurückzuführen, so Braun, VuR 2019, 130, 133 f. 194 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 70 f. 195 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 70. 196 Auch die ADR-Stellen konnten, wenn überhaupt, nur sehr geringe Verfahrenseingänge von der ODR-Plattform melden, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 76. 197 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 78. 198 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 78. 199 Etwaige Auswirkungen der Informationspflichten auf die Teilnahmebereitschaft von Unternehmen können indes noch nicht beurteilt werden, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 81.
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Hinsichtlich der Teilnahmebereitschaft von Unternehmen erkennt das BfJ zutreffend, dass sich viele große Unternehmen ohnehin sehr kulant gegenüber Kunden zeigen, sodass Beschwerden das interne Beschwerdemanagement oftmals nicht verlassen.201 Angesichts des geringen Bekanntheitsgrads von ADR bei Unternehmen und Verbrauchern seien jedoch Informationen über die Vorteile von ADR erforderlich.202 Insgesamt geht das BfJ realistisch von einem langfristigen Prozess der Etablierung und Nutzung von ADR aus, der ein Umdenken sowohl bei Unternehmen als auch bei Verbrauchern erfordert.203 2. Kooperation zwischen zuständigen Behörden Eine ausdrückliche Pflicht zur Kooperation und Vernetzung der zuständigen Behörden untereinander ist weder der ADR-Richtlinie noch den nationalen Umsetzungsgesetzen zu entnehmen. In Deutschland besteht für eine solche Kooperation, abgesehen von den Entscheidungen, die mehrere Behörden im Einvernehmen zu treffen haben, auch kein Anhaltspunkt. Das CTSI sieht es hingegen als eine vom Ministerium übertragene Aufgabe an, die Konsistenz der Aufsichtspraxen der verschiedenen zuständigen Behörden sicherzustellen.204 Der ADR Report spricht von einer engen Zusammenarbeit und guten Beziehungen zwischen den zuständigen Behörden.205 Im Rahmen regelmäßiger Treffen aller zuständigen Behörden bestehe Bereitschaft, bewährte Verfahrensweisen auszutauschen und über die Vereinheitlichung des Anerkennungsverfahrens sowie der Berichtspflichten zu diskutieren.206 3. Kooperation zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen Nach den Vorgaben der ADR-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass ADR-Stellen und zuständige Behörden miteinander kooperieren, Art. 17 Abs. 1 und 2 ADR-Richtlinie. Diese Kooperationspflicht soll sich dabei nicht in den Berichtspflichten der ADR-Stellen erschöpfen, sondern auch zum Austausch über Geschäftspraktiken führen, die häufiger Gegenstand von Ver-
200 Hierauf führt die Schlichtungsstelle Post den enormen Rückgang der Teilnahmebereitschaft von Unternehmen von 82 % (2016) auf nur noch 44 % (2017) zurück, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 68 und 82. 201 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 83. Diese Vermutung in Bezug auf Unternehmen anstellend, die sich zwar zur Nutzung von ADR bereit erklären, allerdings nur selten Partei eines ADR-Verfahrens sind, Braun, VuR 2019, 130, 132. 202 Unternehmen sollen so zur Teilnahme ermutigt werden und Verbraucher die unternehmerische Teilnahme an ADR-Verfahren einfordern, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 83 f. 203 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 85. 204 CTSI, Alternative Dispute Resolution: annual letter from CTSI regarding fees, 2016, S. 2. 205 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 2. 206 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24.
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braucherbeschwerden sind. Während die Kooperation in England regulatorische Ziele verfolgt, drängt das deutsche Recht auf eine strikte Trennung zwischen Ordnungsrecht und Verbraucherstreitbeilegung. a) Kooperation zwischen ADR-Stellen und Regulierungsbehörden in England Die Ausübung der Kooperationspflicht steht – mangels konkreter Vorgaben der ADR Regulations – im freien Ermessen der zuständigen Behörden. Das Maß der Tätigkeit und Kooperation hängt daher vor allem von den finanziellen und personellen Kapazitäten der Behörden ab. Das Interesse einer Behörde an potenziell missbräuchlichen Geschäftspraktiken wird dabei größer sein, wenn sie als Regulierungsbehörde in einem Wirtschaftssektor fungiert. Wie bereits gezeigt, gehen die potenziellen Funktionen von ADR weit über die der Streitbeilegung hinaus.207 ADR-Stellen können aufgrund ihres enormen Datenerhebungspotenzials eine zentrale Rolle im Regulierungssystem einnehmen. Hierfür sind freilich besonders die sektorspezifischen ADR-Stellen mit hohem Beschwerdeaufkommen prädestiniert. Im Vereinigten Königreich ist daher eine enge Zusammenarbeit zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen in regulierten Wirtschaftssektoren zu erkennen. Das CTSI plant eine Gesprächsrunde mit allen anerkannten ADR-Stellen aus nicht-regulierten Wirtschaftsbereichen zu etablieren. Diese soll eine Plattform für Diskussionen, etwa zu den Themen der Einhaltung von Verfahrensergebnissen, Unternehmer- und Verbraucherbewusstsein sowie dem Austausch bewährter Praktiken dienen.208 Die anerkannten ADR-Stellen sind ferner dazu eingeladen, an einer Umfrage zur Aufsichtstätigkeit des CTSI, zu den Vorteilen einer Anerkennung sowie zur Teilnahmebereitschaft von Unternehmen teilzunehmen.209 Die Zusammenarbeit zwischen der FCA und den FOS ist, wie bereits am Beispiel der PPI-Thematik gezeigt, sehr eng.210 Das Kooperationsverhältnis ist im gemeinsamen Memorandum of Understanding festgehalten, das einen Rahmen für die Kooperation und konstruktive Kommunikation beider Institutionen setzt.211 Die Kooperation zwischen der FCA und dem FOS soll Verwirrungen über die unterschiedlichen Rollen der Akteure verhindern und sicherstellen, dass beide Institutionen, soweit möglich, komplementär und konsistent agieren und sich im 207
Hierzu bereits ausführlich oben in Kap. 3. CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24. 209 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24. 210 Eingehend zur PPI-Thematik bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4. 211 Dieses regelt nur die aus den Bestimmungen des FSMA 2000 resultierenden Funktionen beider Parteien, nicht aber solche, die der Umsetzung der ADR-Richtlinie entspringen, Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS v. 18.12.2015, abrufbar unter https://www.financial-ombudsman.org.uk/files/2627/memorandum of understanding-withFCA-December-2015.pdf. 208
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gegenseitigen Interesse austauschen.212 Die regelmäßige Kommunikation findet auf der Arbeitsebene beider Organisationen sowie im Rahmen bilateraler Gespräche und Sitzungen des Coordination Committees sowie des FCA Oversight Committees statt.213 Die Kooperation dreht sich damit im Kern um den gegenseitigen Austausch von Informationen, dessen Umfang nicht auf die Berichtspflichten des FOS beschränkt ist. Die Erkenntnisse des FOS unterstützen die FCA bei der Erfüllung ihrer operativen Ziele des Verbraucherschutzes und der Gewährleistung funktionierender Märkte.214 Der Austausch soll dazu dienen, das Marktgeschehen bestmöglich abzubilden und systemische Probleme und unerwünschte Geschäftspraktiken frühestmöglich zu erkennen und zu unterbinden.215 Dabei können sich die Informationen des FOS auch auf einzelne Unternehmen beziehen.216 Die Entwicklungen in der PPI-Thematik zeigen,217 dass es sich hierbei nicht um eine bloße Absichtserklärung handelt. Ein ähnliches Memorandum of Understanding regelt auch die Beziehung zwischen Ofgem und dem Energy Ombudsman (OS:E).218 Primär geht es auch hier um den Austausch von Informationen und die Nutzung von Marktdaten des OS:E zu regulatorischen Zwecken. Themen von allgemeiner Bedeutung, Markttrends sowie bedenkenswerte Entwicklungen sollen frühestmöglich Aufmerksamkeit bekommen. Angesichts der monatlichen, quartalsweisen und jährlichen Berichtspflichten ist der Umfang der Informationen, auf dem die Zusammenarbeit beider Organisationen beruht, sehr umfangreich.219 Die CAA verfolgt ebenfalls den Ansatz, durch die Daten der ADR-Stellen, systemische und sektorspezifische Probleme zu identifizieren und diesen entgegenzusteuern. Durch die jährlichen und quartalsweisen Berichte liefern die beiden anerkannten ADR-Stellen einen erheblichen Beitrag zur Arbeit der CAA als Verbraucherschutzorganisation.220 Die ADR-Stellen haben unter anderem häufig auftretende Probleme darzustellen und Lösungsansätze vorzuschlagen. Fer-
212
Para. 14 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. Para. 15 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 214 CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24. 215 Vgl. paras. 14, 16, 19 des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 216 Para. 19(c) des Memorandum of Understanding zwischen FCA und FOS. 217 Ausführlich zur PPI-Thematik bereits oben unter Kap. 3 B. I. 4. 218 Memorandum of Understanding zwischen Ofgem und OS:E, abrufbar unter https://w ww.ofgem.gov.uk/system/files/docs/2017/07/memorandum of understanding - between o fgem ombudsman - signed copy da.pdf. Die Funktionen von OS:E und die Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen wurde bereits an anderer Stelle beschrieben, Kap. 3 B. I. 5. 219 Hierzu auch CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24. 220 Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 125, die Qualifizierung der CAA als „consumer protection agency“ ist im Hinblick auf die Neutralität der Aufsicht freilich sehr bedenklich. 213
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ner versucht die CAA ihre Beziehung mit den ADR-Stellen im Rahmen quartalsweiser Treffen und zwischenzeitlicher Kontaktaufnahmen zu pflegen.221 Für eine bestmögliche Datenerhebung und -auswertung sei aus Sicht der CAA die Konkurrenz beider ADR-Stellen elementar. Der Wettbewerb würde die Standards und bewährten Verfahren verbessern.222 Darüber hinaus könne die CAA die Effektivität der Verfahrensergebnisse besser sicherstellen, als dies mit nur einem Anbieter und damit nur einer Informationsquelle möglich wäre.223 Auch die Gambling Commission sieht das Potenzial der Marktdaten für eine frühe Erkennung systemischer oder sektorspezifischer Probleme.224 ADR-Stellen könnten daher als Instrument zur Verbesserung der Marktstandards für Verbraucher fungieren.225 Einer intensiven Kooperation zwischen Gambling Commission und ADR-Dienstleister steht jedoch noch die große Anzahl an anerkannten ADR-Stellen entgegen.226 Mit der Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen hat die Gambling Commission jedoch einen ersten Schritt zur Rationalisierung der ADR-Landschaft im Glücksspielsektor und damit zu einer engeren Kooperation mit den verbleibenden ADR-Stellen unternommen. b) Keine über die Berichtspflichten hinausgehende Kooperation in Deutschland Die Pflicht zur Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden ist in Deutschland bewusst locker gestaltet und ist im Wesentlichen auf die jährlichen Tätigkeitsberichte und zweijährlichen Evaluationsberichte beschränkt, § 34 Abs. 1–3 VSBG. Im Rahmen der Tätigkeitsberichte müssen ADR-Stellen Angaben zu Problemstellungen machen, die systematisch bedingt sind oder signifikant häufig auftraten und Anlass zur Durchführung eines ADR-Verfahrens gaben, § 4 Abs. 1 Nr. 2 VSBInfoV.227 Die Tätigkeitsberichte sollen die Transparenz und Bekanntheit von ADR zwar steigern, sind hierzu jedoch nicht sonderlich geeignet, da Art und Umfang der Berichte zum großen Teil im Ermessen der ADR-Stellen steht.228 ADR-Stel221
CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 24. Die CAA könnte eine ADR-Stelle etwa dazu verpflichten, neuere, bessere Standards der anderen ADR-Stelle einzuhalten, Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 125 f. 223 Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 126. 224 ADR-Stellen könnten zum Beispiel auf etwaige Lizenzverstöße von Glückspielanbietern aufmerksam machen, CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 25. 225 Gambling Commission, Complaints processes in the gambling industry, 2017, S. 19. 226 Eine enge Kooperation wäre freilich schwierig zu koordinieren und würde möglicherweise durch stetig wechselnde Ansprechpartner erschwert. 227 Der Tätigkeitsbericht ist jeweils bis zum 1. Februar des Folgejahres zu veröffentlichen, § 4 Abs. 2 VSBInfoV. 228 So zutreffend Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 107; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 134. Die Ergebnistransparenz der Verbraucherschlichtung gegenüber der Ziviljustiz daher als defizitär bezeichnend, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 218. 222
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len gehen mit ihren Tätigkeitsberichten zwar oftmals weit über die erforderlichen Angaben hinaus, jedoch mag dies nicht über eine große Inhomogenität229 der Tätigkeitsberichte hinwegtäuschen. Zum Zwecke effektiver empirischer Verbraucherrechtsforschung wären neben multivariaten Datensätzen insbesondere die Erhebung soziodemographischer Merkmale, wie Alter, Geschlecht und Bildungshintergrund von großem Interesse, um Kausalbeziehungen zwischen Verbrauchergruppen und der gewählten Rechtsschutzmöglichkeit herzustellen.230 Datenschutzrechtlich dürfte sowohl die primäre Verarbeitung der Daten als auch die sekundäre Weiterverarbeitung der personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken – jedenfalls in anonymisierter Form – nach § 27 Abs. 1 BDSG zulässig sein.231 ADR-Stellen werden hieran aufgrund der mit der Datenerhebung und -aufbereitung verbundenen Kosten indes regelmäßig kein Interesse haben, sodass dieser Bereich wohl der Primärforschung überlassen bleibt. Überdies soll es den ADR-Stellen nach der gesetzgeberischen Intention freistehen, über Entwicklungen und anonymisierte Schlichtungsvorschläge zu berichten.232 Die Praxis einiger ADR-Stellen, Schlichtungsvorschläge zu veröffentlichen,233 findet weitestgehend Zustimmung,234 wenngleich dafür plädiert wird,
229 Mit dieser Erkenntnis schon Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016, S. 29; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017, S. 52. 230 Diese Forderung schon bei Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016, S. 32 f., 64 f.; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303, S. 313 f.; 329. 231 Insofern dürften die Interessen des Verantwortlichen an der erforderlichen Datenverarbeitung die Interessen der betroffenen Person an einem Ausschluss der Verarbeitung erheblich überwiegen. 232 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 73. 233 So etwa die Entscheidungen bzw. Empfehlungen des Versicherungsombudsmanns, abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/entscheidungssuche/; der söp, abrufbar unter https://soep-online.de/soep empfehlungen/ sowie der Schlichtungsstelle Energie, abrufbar unter https://www.schlichtungsstelle-energie.de/schlichtungsempfehlungen.h tml. 234 Hierdurch wird sich insbesondere gesteigerte Transparenz für Verbraucher sowie mehr Rechtsklarheit und -sicherheit erhofft, so Hess, JZ 2015, 548, 553; für eine Veröffentlichung einer Auswahl an Schlichtungsvorschlägen Tonner, ZKM 2015, 132, 134; dies zum Zwecke einer Verhaltenssteuerung ex ante befürwortend, Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 95; wohl auch Isermann/Berlin, VuR 2012, 47, 53; für exemplarische Zusammenfassungen, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 300; eine Veröffentlichung konkreter Einzelfälle zum Zwecke der größerer Transparenz und zur Anregung der rechtswissenschaftlichen Diskussion befürwortend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 235 f.; a. A. Riehm, JZ 2016, 866, 872 f., der in der Veröffentlichung von Schlichtungsvorschlägen keinen Mehrwert sieht, da es sich nicht um Entscheidungen handele, in denen Recht auf einen Sachverhalt angewendet werde, sondern lediglich um Vergleichsvorschläge, welche auf die individuell-konkreten Parteieninteressen zugeschnitten seien.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
343
nur solche Vorschläge zu veröffentlichen, die für die Schlichtungstätigkeit repräsentativ und typisch sind.235 Die Evaluationsberichte sind hingegen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.236 Diese müssn, ergänzend zum Tätigkeitsbericht, weitere Angaben zur Effektivität des angebotenen ADR-Verfahren, zur Organisations- und Finanzstruktur, zur Zusammenarbeit mit anderen ADR-Stellen sowie Angaben zur Schulung der Mitarbeiter enthalten, § 5 Abs. 1 VSBInfoV. Der Gesetzgeber hat bewusst von einer weitergehenden Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden abgesehen. Das notwendige Vertrauen in die Verschwiegenheit und Neutralität der Streitmittler gebiete eine klare Trennung zwischen Ordnungsrecht und der Verbraucherstreitbeilegung.237 Es stünde im diametralen Gegensatz zur Neutralitätspflicht der ADR-Stellen, zuständigen Behörden Auskunft über einzelne Verfahren oder Unternehmen zu geben.238 Andernfalls, so die Befürchtungen des Gesetzgebers, sinke die Bereitschaft von Verbrauchern und Unternehmen, ADR in Anspruch zu nehmen.239 Die Berichte seien daher auf allgemeine und grundsätzliche Gesichtspunkte zu beschränken.240 Auch in der Praxis findet keine Zusammenarbeit zwischen Behörden und ADR-Stellen statt.241 4. Durchsetzung unternehmerischer Informationspflichten und weiterer nationaler Umsetzungsvorschriften Art. 21 ADR-Richtlinie schreibt ohne jegliche Konkretisierung vor, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen für Verstöße gegen die nationalen Umsetzungsvorschriften festzusetzen und die zu deren Durchsetzung erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben. Dabei werden explizit Verletzungen der unternehmerischen Informationspflichten nach Art. 13 ADR-Richtlinie als Sanktionsgegenstand hervorgehoben. Die Sanktionen sollen nicht nur wirksam und verhältnismäßig sein, sondern auch abschreckende Wirkung entfalten. Gleiches gilt für Verletzungen der ODR-VO, Art. 18 ODR-VO. Art und Weise der Sanktionen 235 So Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 107; Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek, 22016, § 35 VSBG Rn. 1; ohne Begründung gegen eine solche Einschränkung, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 236. 236 Sie sind nur an die zuständigen Behörden bzw. an die Aufsichtsbehörde behördlicher Schlichtungsstellen zu übermitteln, Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 3 Rn. 109. 237 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 73 f. 238 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 74. 239 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 74. 240 Zum Konflikt zwischen der Neutralität der ADR-Stellen und einer Kooperation mit Behörden sogleich unter Kap. 5 C. III. 241 So ausdrücklich für den Bereich des Luftverkehrs: „Es erfolgt keine Zusammenarbeit zwischen Luftfahrt-Bundesamt und söp.“, so die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 18/8469), BT-Drucks. 18/8585, S. 7.
344
Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
und deren Durchsetzung stehen im Ermessen der Mitgliedstaaten. Die Sanktionierung muss daher nicht zwingend durch die zuständigen Behörden erfolgen. a) Durchsetzung durch englische Trading Standards Die ADR Regulations selbst enthalten keine Bestimmungen zur Durchsetzung unternehmerischer Informationspflichten. Die Durchsetzung der ADR Regulations fällt auch nicht in den Kompetenzbereich der zuständigen Behörden.242 Gleichwohl stehen Unternehmen ausführliche Richtlinien für die Umsetzung der Informationspflichten zur Verfügung.243 Die sonstigen Anforderungen der ADR Regulations, die Handelsnormen (trading standards) darstellen, werden durch „civil enforcement actions“ nach Part 8 des Enterprise Act 2002 durchgesetzt. Insbesondere die lokalen Trading Standards offices,244 aber auch andere Behörden wie etwa die CAA,245 konnten Verstöße der auf europäischen Sekundärrecht basierenden Vorschriften als „community infringements“ sanktionieren.246 Sie sind befugt, gerichtliche Vollstreckungsanordnungen gegen Unternehmen zu erwirken und die Einhaltung der Informationspflichten sicherzustellen.247 Verstöße gegen die Informationspflichten können mit Geldbußen und gar Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren sanktioniert werden.248 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird drakonischen Sanktionen freilich entgegenstehen.249 Dieser Durchsetzungsmechanismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Informationspflichten im Vereinigten Königreich nur defizitär vollzogen werden. Zum einen sind die Zuständigkeiten auf zahlreiche Trading Standards verteilt, zum anderen findet regelmäßig keine anlasslose Kontrolle der AGBs, deadlock letter und Webseiten der Unternehmen statt.250 Demgemäß lässt das CTSI in 242 Die Aufgaben der Behörden sind abschließend in Part 2 der ADR C&I Regulations geregelt, die keinerlei Bezug zu den Informationspflichten für Unternehmer nehmen. 243 BIS, Alternative Dispute Resolution Regulations 2015: guidance for business, 29.1.2016. 244 Trading Standards-Stellen werden im Gesetz noch als „local weights and measures authorities“ bezeichnet, sec. 213(1)(b) Enterprise Act 2002. 245 Vgl. sec. 213(5A) Enterprise Act 2002. 246 Bei community infringements handelt es sich um Verstöße gegen Gesetze, die Richtlinien – ggf. sogar überschießend – umsetzen, sec. 212 Enterprise Act 2002. 247 Dies erfolgt in der Regel durch „enforcement orders“ nach sec. 217 Enterprise Act 2002, jedoch können von Unternehmen auch „undertakings“ (Verpflichtungserklärungen) zur Einhaltung der Pflichten akzeptiert werden, sec. 219 Enterprise Act 2002. 248 Dies wären zumindest mögliche Folgen der Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung, BIS, Alternative Dispute Resolution Regulations 2015: guidance for business, 29.1.2016, S. 17 und 31. 249 Ohnehin wird ein informaler Kontakt regelmäßig ausreichen, um Unternehmen zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bewegen; in diese Richtung auch Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 113. 250 Die Trading Standards eines jeden County Councils sind daher auf Hinweise Dritter angewiesen.
B. Aufgaben der zuständigen Behörden
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seinem ADR Report implizit erkennen, dass die Informationspflichten bislang keineswegs flächendeckend umgesetzt wurden.251 Die sektorspezifischen zuständigen Behörden können freilich auch eine aktive Rolle in der Durchsetzung der Informationspflichten einnehmen.252 Beispielhaft könnte hier das Vorgehen der CAA sein, die von allen Fluggesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich eine Erklärung darüber verlangte, ob eine Mitgliedschaft bei einer ADR-Stelle besteht und die Unternehmen aufforderte, entsprechende Nachweise für die Einhaltung der Informationspflichten in den AGB, dem deadlock letter sowie der Website zu erbringen.253 b) Bundesamt für Justiz als Bußgeldbehörde und private Rechtsdurchsetzung Eine Funktion des BfJ, die auch ausdrücklich in den Verbraucherstreitbeilegungsbericht 2018 mit aufgenommen wurde, ist die der Bußgeldbehörde im Falle der missbräuchlichen Verwendung des durch § 2 Abs. 2 VSBG geschützten Begriffs der „Verbraucherschlichtungsstelle“. Zur Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeit ist das BfJ gemäß § 41 Abs. 3 VSBG i. V. m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuständige Verwaltungsbehörde. Bisher wurden noch keine Verstöße festgestellt.254 Ferner können solche ADR-Anbieter durch qualifizierte Einrichtungen und Mitbewerber nach den §§ 3, 3a und 8 UWG in Anspruch genommen werden.255 Unternehmerische Informationspflichten unterliegen in Deutschland der – recht effektiven, wenngleich umstrittenen – privaten Rechtsdurchsetzung, sodass Verstöße mit kostenpflichtigen Abmahnungen sowie Unterlassungs- oder Beseitigungsklagen nach dem UKlaG und dem UWG verfolgt werden.256 Abmahnungen können auch von Mitbewerbern ausgehen.257 Mit den Instrumentarien des UKlaG sind auch Pflichten der ADR-Stellen durchsetzbar.258 251 Das angesprochene Aufklärungsbedürfnis von Unternehmern hinsichtlich der Informationspflichten, zeigt zumindest, dass viele der Unternehmer gar keine Kenntnis von einer solchen Verpflichtung haben, vgl. CTSI, ADR report on functioning of approved ADR bodies in the UK, 2018, S. 23. 252 Eine aktive Rolle der zuständigen Behörden fordernd, Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 113. 253 Vgl. Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 113. 254 BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 31. 255 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 31. 256 Die Informationspflichten der Unternehmer nach den §§ 36 und 37 VSBG sowie Art. 14 ODR-VO sind Verbraucherschutzgesetze i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 12 UKlaG; zudem handelt es sich um marktverhaltensregelnde Vorschriften i. S. d. 3a UWG. Beispielhaft hierfür sind die Klagen des vzbv zur Durchsetzung der Informationspflichten nach § 36 VSBG, S. BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 263/18, MDR 2019, 1370 = WM 2019, 2078, BGH, Urt. v. 21.8.2019 – VIII ZR 265/18, NJW 2019, 3588. Vgl. hierzu Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 36–40; Zieger/Smirra, MMR 2016, 291, 294, die zudem Raum für die Anwendung des § 5a Abs. 4 UWG sehen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte von Sanktionen über diese des UKlaG hinaus, abgesehen werden, Fraktionsentwurf zum VSBG, BTDrucks. 18/5089, S. 74. 257 Wohl auch Braun/Weiser, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 36 Rn. 50; dies für Art. 14 ODR-VO bejahend, LG Bochum, Urt. v. 31.3.2016 – 14 O 21/16, MMR 2016,
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
C. Auswirkungen der Regelungszustände Die Umsetzung beziehungsweise die Beibehaltung eines vertikalen Aufsichtsmodells über ADR-Stellen im Vereinigten Königreich wurde von der Kritik begleitet, dass eine solche Struktur einen Konkurrenzkampf zwischen den zuständigen Behörden zur Folge hätte. Der damit einhergehende Kostendruck für Behörden ließe befürchten, dass die Qualitätsstandards der Aufsicht und in der Folge die Qualität der ADR-Verfahren verwässern würden. Die Aufsicht durch sektorspezifische Regulierungsbehörden weist indes ein erhöhtes Maß an Kooperation zwischen Behörden und ADR-Stellen auf. Diese Zusammenarbeit kann den zuständigen Behörden Einblicke in Beschwerdedaten ermöglichen, die Informationen zum aktuellen Marktgeschehen beinhalten. Insofern ist zu klären, inwiefern eine ADR-Stelle damit als verlängerter Arm der Behörde agieren darf und ab wann eine ADR-Stelle die äußerste, durch ihre Neutralitätspflicht gesetzte Grenze überschreitet.
I. Notwendigkeit von Anerkennung und Aufsicht Die staatliche Aufsicht über ADR-Stellen ist unerlässlich, um die Einhaltung der Qualitätsanforderungen der ADR-Richtlinie gewährleisten zu können. Die Anerkennungsvoraussetzungen sollen das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern in die Glaubwürdigkeit und Legitimität der ADR-Landschaft fördern und sie zur Nutzung von ADR ermutigen.259 Hierfür müssen freilich alle Marktakteure auf die Durchsetzung der geltenden Anforderungen vertrauen können. Da es die reinen Marktkräfte nicht vermögen, die effektive Durchsetzung der Qualitätsstandards sicherzustellen,260 wird die Einbindung rechtsgebundener staatlicher Behörden erforderlich. Hinzu kommt, dass sich die Mitgliedstaaten ihrer Aufgabe, zugänglichen Rechtsschutz für normale Bürger zu gewährleisten, durch die Förderung von ADR zwar nicht notwendigerweise entledigen, sich bei ihrer Bewältigung aber zumindest privater ADR-Anbieter bedienen. ADR übernimmt dabei eine Streitbeilegungs- als auch eine soziale Befriedungsfunktion und verhilft zumindest den zwingenden Grundsätzen des materiellen Rechts zur Wirkung. Die staatliche Aufsicht über den ADR-Sektor ist schon deshalb erforderlich, um den Befürchtungen einer Zwei-Klassen-Justiz entgegenzuwirken. Zudem muss die Neutralität der ADR-Stellen durch eine neutrale Instanz sichergestellt werden, um den
540; LG Mainz, Beschl. v. 1.4.2016 – 11 HK O 18/16; LG Dortmund, Beschl. v. 28.4.2016 – 13 O 35/16. 258 Roder, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 9 Rn. 27–30. 259 Biard, ERPL 2018, 171, 174 f. 260 Biard, ERPL 2018, 171, 178; vgl. auch schon Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht, KOM(2002) 196 endg., Rn. 72.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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Verdacht der Befangenheit zugunsten einer der Parteien erst gar nicht aufkommen zu lassen.261 Die staatliche Aufsicht hat sicherzustellen, dass die Vorteile vielschichtiger ADR-Verfahren in ein Gleichgewicht mit den möglichen Nachteilen privater und vertraulicher Streitbeilegungsmechanismen gebracht werde.262 Die Kontrolle der Einhaltung prozessualer Mindestgarantien soll zudem die Zufriedenheit der Parteien mit ADR-Verfahren stärken.263 Dieser Gedanke basiert auf der Theorie der Verfahrensgerechtigkeit (procedural justice), der die Annahme zugrunde liegt, dass die Zufriedenheit der Parteien mit einem Verfahrensergebnis, unabhängig von dessen Inhalt, maßgeblich davon abhängt, inwiefern die Parteien das Verfahren selbst als fair empfinden.264 Des Weiteren kann die staatliche Aufsicht zumindest teilweise die fehlende Öffentlichkeit und Transparenz vertraulicher ADR-Verfahren kompensieren. Die Rechtsprechung entfaltet ihre gesellschaftliche und politische Sprengkraft erst dadurch, dass sich das Marktverhalten um publik gewordene Rechtsverstöße korrigiert.265 Die Berichtspflichten der ADR-Stellen können dafür Sorge tragen, dass zumindest häufig auftretende missbräuchliche Geschäftspraktiken zutage treten, wenngleich das ADR-System nicht an das Maß der Öffentlichkeit ordentlicher Gerichte wird heranreichen können.266 Eine andere Entwicklung könnte sich nur dann ergeben, wenn ADR-Stellen ihre Verfahrensergebnisse – sei es freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Verpflichtung – veröffentlichen und hierdurch mediale Aufmerksamkeit erzeugen.267 Die Anerkennung als ADR-Stelle soll nach außen hin die Einhaltung prozessualer Mindestgarantien dokumentieren und erhöhte Vertrauenswürdigkeit suggerieren.268 Die Strahlkraft einer Anerkennung ist bedauerlicherweise gering, da die meisten Verbraucher, wenn überhaupt, nur wenig mit der Regulierung von ADR-Anbietern vertraut sind. Die Nutzung von ADR durch Verbraucher wird überwiegend durch die Teilnahmebereitschaft beziehungsweise -pflicht der Unternehmen bedingt sein. Auch der durch § 2 Abs. 2 VSBG geschützte Begriff der
261 Dies gilt besonders für den Fall, dass Einrichtungen von Unternehmens- oder Verbraucherverbänden getragen werden, diesbezüglich kritisch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 122–125. 262 In diese Richtung auch Biard, ERPL 2018, 171, 178. 263 So zutreffend Biard, ERPL 2018, 171, 179. 264 Zur Verfahrensgerechtigkeit in ADR, Creutzfeldt/Bradford, Law & Soc’y Rev. 50 (2016), 985 ff. 265 In diese Richtung Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 53. 266 Zutreffend Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 203; nach Hess, JZ 2015, 548 ff. folge aus dem Öffentlichkeitsprinzip die Notwendigkeit einer demokratischen Kontrolle von Streitbeilegungsinstitutionen durch Dritte, was auf ADR-Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten übertragbar sei; ein Transparenzdefizit hervorhebend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 152, 235. 267 Diese Forderung auch bei Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 235. 268 Vgl. BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 18.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
„Verbraucherschlichtungsstelle“ ist nicht derart einprägsam, als dass das Angebot von ADR ohne ihn nicht möglich wäre.269 Zum Zwecke einer größeren Aufmerksamkeit für hoch qualitative ADR-Verfahren wird daher auch die Einführung eines gesamteuropäischen Vertrauenssiegels für ADR-Stellen und teilnehmende Unternehmen befürwortet.270 Letztlich ist das nicht regulierte Angebot von ADR für Verbraucherstreitigkeiten, zumindest im Vereinigten Königreich und Deutschland, sehr überschaubar, sodass eine marktverschiebende Konkurrenz zwischen anerkannten und nicht anerkannten ADR-Stellen ohnehin nicht erkennbar ist.271
II. Missstände durch mindestharmonisierende Vorgaben der ADR-Richtlinie Die Einführung einer staatlichen Aufsicht über ADR-Dienstleister stellt einen ersten wichtigen Schritt für die Qualitätssicherung von ADR im Rahmen des europäischen Regulierungsgefüges dar. Die mit Rücksicht auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten getroffenen, nur mindestharmonisierenden Vorgaben belassen den Mitgliedstaaten in der Umsetzung der ADR-Richtlinie indes erhebliche Ermessensspielräume. Diese bürgen das Potenzial und die Gefahr signifikant unterschiedlicher Aufsichtsstandards zwischen den Mitgliedstaaten und sogar innerhalb eines Mitgliedstaats selbst. Ermessen besteht sowohl hinsichtlich des Aufsichtsmodells als auch der Aktivität der Behörde. Den Mitgliedstaaten steht es frei, ein vertikales oder horizontales Aufsichtsmodell, gegebenenfalls unter Kostentragung der ADR-Stellen, zu implementieren. Der Grad der Aktivität der zuständigen Behörden kann von einer rein reaktiven anlassbezogenen bis hin zu einer aktiven anlasslosen Aufsichtstätigkeit reichen. Ferner bleibt es den Mitgliedstaaten beziehungsweise den Behörden frei, schärferer Qualitätsanforderungen zu statuieren. Gleiches gilt für die uneinheitlich wahrgenommenen Berichtspflichten der ADR-Stellen sowie denen der Behörden gegenüber der Kommission. In England und Deutschland ist keine defizitäre Erfüllung der Berichtspflichten zu erkennen. In der Praxis gehen gerade ADR-Stellen mit signifikanten Beschwerdeaufkommen, entweder freiwillig aus Marketingzwecken oder aufgrund strengerer Anforderungen der zuständigen Behörden, weit über die Mindestvorgaben der
269 Gleichwohl sieht das BfJ in der Bezeichnung ein „Gütesiegel“, mit welchem sich anerkannte ADR-Stellen abheben können, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 18. 270 Diese wiederholte Forderung bei Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 229–231; Corte´s/Esteban de La Rosa, Fernando, I.C.L.Q. 62 (2013), 407, 434 f.; Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 447, 463. 271 Eine Konkurrenz besteht insofern nicht, als dass nicht anerkannte ADR-Stellen in nicht-regulierten Wirtschaftssektoren agieren und damit keine direkten Kontrahenten anerkannter ADR-Stellen sind.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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ADR-Richtlinie hinaus. Jahres- und Aktivitätsberichte enthalten oftmals detaillierte Statistiken, Angaben über Art der Beschwerden, Fallstudien oder Berichte aus der Schlichtungspraxis. Darüber hinaus findet, zumindest im Vereinigten Königreich, ein regelmäßiger Austausch zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen statt. Die Instrumentarien und Befugnisse der zuständigen Behörden bei Verstößen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle eines Widerrufs sind jedoch in beiden Rechtsordnungen unzureichend. Abgesehen von der Möglichkeit einer Änderungsaufforderung bei erheblichen Verstößen, deren Nichtbefolgung innerhalb von drei Monaten unweigerlich in einem Widerruf der Anerkennung mündet, stehen den Behörden keine formalen Eingriffsbefugnisse zu. Zwar wird die informelle Kommunikation in der Regel ausreichen, um nachweisliche Verstöße auszuräumen, jedoch fehlt es bei reinen Verdachtsmomenten an Ermittlungs- und Aufklärungsbefugnissen. Um die Aufsicht in solchen Fällen nicht zum zahnlosen Tiger verkommen zu lassen, wären ergänzende Instrumente, wie etwa die Einsichtnahme in Fallakten272 oder die Anordnung verschärfter Berichtspflichten, denkbar und begrüßenswert. Überdies könnten je nach Art und Schwere des Fehlverhaltens sanktionsbewehrte Selbstverpflichtungen der ADR-Stellen oder Geldbußen hilfreiche Maßnahmen darstellen. Effektiv sind solche Befugnisse nur im Falle eines aktiven Verständnisses der behördlichen Aufsichtstätigkeit. Erhebliche Unterschiede zeichnen sich auch bei der Durchsetzung der unternehmerischen Informationspflichten ab. Im Vereinigten Königreich sind die genauen Aktivitäten der zahlreichen lokalen Trading-Standards-Büros nicht bekannt, jedoch lässt diese erhebliche Dezentralisation der Durchsetzung eine uneinheitliche Praxis vermuten. Darüber hinaus können zuständige Behörden selbst Unternehmen zur Einhaltung der Informationspflichten anhalten, was nur in Wirtschaftssektoren mit einer überschaubaren Anzahl an Marktteilnehmern umsetzbar erscheint. In Deutschland hingegen haben Unternehmen die Informationspflichten nahezu flächendeckend umgesetzt. Dies ist auf die privatrechtliche Durchsetzung der Informationspflichten mittels der Instrumentarien des UklaG und besonders durch Konkurrenten mit den Mitteln des UWG zurückzuführen. Die Gefahr für Unternehmen von einer „Abmahnwelle“ mitgerissen zu werden, sorgt nicht nur für genügend Anlass, die Pflichten umzusetzen, sondern hat auch eine mediale Aufmerksamkeit zur Folge, die bei Unternehmen in einem ersten Schritt Kenntnis über die entsprechenden Pflichten schafft.273 Die berechtigte Kritik des von 272 Die Forderung nach stichprobenartiger Akteneinsicht auch bei Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 213. 273 Die noch in der Gesetzesbegründung gesehene Möglichkeit der Verbraucher, Unternehmer aus vorvertraglicher und vertraglicher Pflichtverletzung in Anspruch zu nehmen, Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 74, hat jedoch keine praktische Relevanz, so auch Greger, ZZP 128 (2015), 137, 143; Zieger/Smirra, MMR 2016, 291, 294; Steike,
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einigen Anwälten verfolgten Geschäftsmodells der Abmahnung274 steht hier dem Vorteil eines effektiven Rechtsdurchsetzungsinstruments gegenüber, das im europäischen Kontext sogar als positives Beispiel herangezogen wird.275
III. Grenze zwischen Neutralität und der Wahrnehmung quasiregulatorischer Aufgaben Staatliche Aufsichtsbehörden sind sich zunehmend des Potenzials von ADRStellen zur Erhebung und Aggregation von Beschwerdedaten, die Auskunft über das Marktgeschehen geben und Grundlage für verbraucherschutzorientierte Regulierungstätigkeiten sein können, bewusst. Während sich im Vereinigten Königreich, gerade in regulierten Wirtschaftssektoren, enge Beziehungen zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden abzeichnen, sieht der deutsche Gesetzgeber bewusst von einer intensiven Zusammenarbeit ab. Aus Gründen des Vertrauens in die Verschwiegenheit und Neutralität der Streitmittler soll die Kooperation mit Behörden nicht über die Berichtspflichten der ADR-Stellen hinausgehen. Dies wirft die Frage auf, ob und wenn ja inwieweit die Prinzipien der Unabhängigkeit und Neutralität276 sowie der Verschwiegenheit von ADR-Stellen tatsächlich mit einer starken staatlichen Aufsicht konfligieren. Im Folgenden werden die Neutralitäts- und Verschwiegenheitspflichten von ADR-Stellen und neutralen dritten Personen anhand eines Vergleichs mit den entsprechenden Grundsätzen anderer gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegungsformen konkretisiert und die daraus folgenden Grenzen einer Kooperation zwischen ADR-Stellen und Aufsichtsbehörden aufgezeigt. 1. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Streitbeilegungsmechanismen Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit von Entscheidungsträgern und verfahrensleitenden Personen ist für alle Arten der Streitbeilegung essenziell. Ihre Neutralität bestimmt das Vertrauen der Beteiligten in das Verfahren.
in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 36 Rn. 18; Braun/Weiser, in: Althammer/ Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 36 Rn. 51. 274 Zu beklagen ist, dass die durch ein solches „Abmahnungswesen“ ausgehende verhaltenssteuernde Wirkung für Unternehmen sich primär auf die Vermeidung von Formalverstößen richtet, was nicht deckungsgleich mit den Interessen des Verbraucherschutzes sein muss, so zutreffend Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 1 Rn. 40. 275 So etwa bei Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 19. 276 Der Begriff der Neutralität dient als Synonym für die Begriffe der Unparteilichkeit bzw. der Allparteilichkeit, Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 79 und 208; zustimmend Althammer, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 7 Rn. 12. Im Folgenden wird der Begriff der Neutralität mitunter auch als Oberbegriff für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verwendet.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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a) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Anwendungsbereich der ADRRichtlinie Die Anforderungen an die Unabhängigkeit und die Integrität von ADR-Stellen ist primär entscheidungsorientiert und soll das Vertrauen der Bürger in ein faires und unabhängiges Verfahrensergebnis stärken.277 Die Verpflichtung der ADRStellen und Streitmittlern zur Neutralität erwächst aus den Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nach Art. 6 ADR-Richtlinie. Hierzu gehören die Weisungsunabhängigkeit der Streitmittler, die Befangenheitsregelungen für Streitmittler sowie die Sicherstellung der organisatorischen und finanziellen Unabhängigkeit der ADR-Stelle.278 Während die Bestimmungen der ADR Regulations den Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie entsprechen, zielen die Vorschriften des VSBG weitergehend darauf ab, die Arbeit der ADR-Stellen von sachfremden Einflüssen, speziell solcher von Unternehmerseite, fernzuhalten.279 Zudem gilt ein zeitlich bedingtes Berufungsverbot für Streitmittler, die zuvor bestimmte Tätigkeiten im Interesse von Unternehmen oder Verbrauchern wahrgenommen haben.280 Insgesamt kann daher von einem hohen Schutzniveau gesprochen werden, das sogar über das zur Sicherung der Unabhängigkeit staatlicher Richter hinausgehen kann.281 Die Regelungen betreffen sowohl das Grundverhältnis zwischen Streitmittler und ADR-Stelle als auch das Verhältnis des Streitmittlers zu den Parteien. Während für Ersteres das Prinzip der Unabhängigkeit zum Tragen kommt,282 betrifft 277
Vgl. ErwG 32 ADR-Richtlinie. Dies ist in Deutschland durch §§ 3 und 7–9 VSBG und in England durch Sch. 3 para. 3 ADR C&I Regulations geregelt. 279 Insbesondere soll dies durch die finanzielle Unabhängigkeit der ADR-Stellen und die Beteiligung nicht-finanzierender Interessenverbände sichergestellt werden. Eingehend zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der ADR-Stellen und Streitmittler nach dem VSBG, Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 4 Rn. 44–92; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 119–131. 280 § 6 Abs. 3 VSBG. 281 Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 4 Rn. 48, der von einem „sehr weitgehenden Schutzaufwand“ spricht und darauf verweist, dass zum Beispiel für Arbeitsrichter etwa kein Verbot einer Vortätigkeit bei Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften besteht und Verwaltungsrichter über Streitigkeiten entscheiden, in denen ihr Dienstherr, der Staat, Partei des Verfahrens ist. Anders ist dies hingegen mit Blick auf das – wenn auch begrenzte – Weisungsrecht der ADR-Stelle gegenüber dem Streitmittler zu beurteilen, dessen persönliche Unabhängigkeit so weit wie die eines Richters reicht, Greger, in: Greger/ Unberath/Steffek, 22016, § 7 VSBG Rn. 1; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 7 Rn. 7; kritisch zum verbleibenden Weisungsrecht auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 126 f. 282 Die Unabhängigkeit der Streitmittler wird besonders durch das Prinzip der Weisungsfreiheit sichergestellt, das allerdings nur im Kernbereich der Streitmittlertätigkeit gilt und durch die entsprechende Verfahrensordnung eingeschränkt wird, zu den Abgrenzungsfragen Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 4 Rn. 83–88; ders., in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 7 Rn. 5–8; Althammer, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 7 Rn. 7–11. 278
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
das Prinzip der Unparteilichkeit mehr die Neutralität des Streitmittlers bei der Durchführung eines konkreten Verfahrens.283 Über die Unabhängigkeit von Interessenverbänden hinaus, bestehen keine konkreten Neutralitätspflichten für ADR-Stellen. Denkbar – wenn auch äußerst kritisch zu sehen – wäre es daher, wenn eine ADR-Stelle zu Marketingzwecken bei Unternehmen ihre niedrige Erfolgsquote von Beschwerden anführt, um eine unternehmerfreundliche Entscheidungspraxis zu suggerieren.284 Es besteht hingegen keine konkrete Neutralitätspflicht, die eine Kooperation mit zuständigen Behörden beschränken würde. Es ist schwer vorstellbar, dass die Berichterstattung über systemische Probleme bereits abgeschlossener Beschwerden die Unabhängigkeit von ADR-Stellen infrage stellen könnte. Kritische Situationen könnten sich indes dann ergeben, wenn zuständige Behörden versuchen würden, das Entscheidungsverhalten von ADR-Stellen und damit auch das Verhalten der Streitmittler für künftige, gleich gelagerte Fälle zu beeinflussen. b) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit staatlicher Richter Für das Vertrauen der Bürger in die Judikative und deren verbindlichen Entscheidungen ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter essenziell und Wesensmerkmal rechtsstaatlicher Gerichtsbarkeit.285 Die Grundsätze der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sind Bestandteil des europarechtlichen Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh. Die Unabhängigkeit versteht sich auch hier als Weisungsfreiheit, während die Unparteilichkeit als Unvoreingenommenheit zu verstehen ist.286 Im Vereinigten Königreich ist die richterliche Unabhängigkeit Kernbestandteil der Rule-of-law-Doktrin.287 In Deutschland wird die Weisungsfreiheit der Richter durch Art. 97 Abs. 1 GG gewährleistet. Darüber hinaus enthält Art. 101 GG eine Gewähr dafür, dass die richterliche Tätigkeit durch Neutralität und Distanz zur Sache gekennzeichnet ist.288 Die richterliche Unabhängigkeit 283 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 7 Rn. 9–10; Althammer, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 7 Rn. 12 f. 284 Die Neutralitätspflichten werden jedenfalls dann verletzt, wenn eine ADR-Stelle auf entsprechende Entscheidungen hinwirke. Nach Röthemeyer, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 4 Rn. 91 würde das (leere) Versprechen eines etwaigen „Schlichtungsrabatts“ ohne Weiteres die Pflicht zur Achtung der Unabhängigkeit der Streitmittler verletzen. Für Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 122–124 ist die Trägerschaft durch interessengesteuerte Verbraucher- oder Unternehmerverbände der Unabhängigkeit und Neutralität des Streitmittlers abträglich. 285 Hayek, The Road to Serfdom, 22001, S. 124; Bingham, The rule of law, 2010, S. 91–96; vgl. BGH, Urt. v. 5.11.1970 – VII ZR 31/69, BGHZ 54, 392, 398 = NJW 1971, 139; dem zustimmend Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1036 Rn. 2. 286 Klinke, Band 1, 20192014, 91; Alber, in: Stern/Sachs, GRCh, 2016, Art. 47 Rn. 105. 287 Bingham, The rule of law, 2010, S. 91–96; Loveland, Constitutional Law, Administrative Law, and Human Rights, 62012, S. 54 f. 288 BVerfG, Beschl. v. 8.2.1967 – 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139 = NJW 1967, 1123, 1124.
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verbietet es der Exekutive Einzelanweisungen oder allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit zu geben.289 Die Weisungsfreiheit staatlicher Richter geht noch weiter als die für neutrale Dritte im ADRVerfahren, da Erstere „nur dem Gesetze unterworfen“ sind.290 c) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Schiedsverfahren und der Mediation Die Neutralitätspflicht in der Schiedsgerichtsbarkeit sorgt für ein faires Verfahren und ist erforderlich, um die Rechtsprechungsqualität von Schiedsgerichten sicherzustellen. Da die Parteien mit Abschluss der Schiedsvereinbarung auf ihren Anspruch auf Zugang zu den Gerichten verzichten und am Ende des Verfahrens einen durchsetzbaren Schiedsspruch erhalten, tritt das Schiedsgericht an die Stelle der staatlichen Justiz.291 Da die Parteien ihre Schiedsrichter selbst bestimmen, kann die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Schiedsrichtern allerdings als „Achillesferse“ der Schiedsgerichtsbarkeit bezeichnet werden.292 Mithin finden sich sowohl in den bedeutenden Schiedsordnungen293 als auch im nationalen Schiedsverfahrensrecht294 Neutralitätsbestimmungen. Diese Neutralitätspflichten sind wiederum ergebnisorientiert und sollen ein faires Verfahren und einen überparteilichen Schiedsspruch sicherstellen. Konkrete Regelungen zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Schiedsinstitutionen existieren nicht.295 Diese ließen ohnehin nur bedingt Rückschlüsse auf die Neutralitätspflichten von ADR-Stellen zu, da die Beziehung zwischen ADR-Stellen und neutralen dritten Personen enger ist, als die zwischen Schiedsinstitutionen und Schiedsrichtern. Die unparteiische Durchführung der Mediation ist wesentliches Qualitätsmerkmal und sogar Bestandteil der Definition eines Mediators.296 Der Fokus auf 289 Zum Amt der Gemeinderichter BVerfG, Beschl. v. 9.5.1962 – 2 BvL 13/60, BVerfGE 14, 56, 69 = NJW 1962, 1611; jede vermeidbare Einflussnahme der Exekutive auf die Rechtsstellung des Richters ist unzulässig, BVerfG, Beschl. v. 4.6.1969 – 2 BvR 33, 387/66, BVerfGE 26, 79; Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, 832018, Art. 97 Rn. 75. In diese Richtung, wenngleich etwas allgemeiner, Bingham, The rule of law, 2010, S. 92. 290 Da die Tätigkeit des Richters, anders als die des Streitmittlers, auf den Erlass bindender Entscheidungen ausgerichtet ist, wird dieser weitergehende Schutz vor Einflussnahme für wichtiger erachtet, so Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 7 Rn. 7; ders., in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 4 Rn. 88; Greger, in: Greger/Unberath/ Steffek, 22016, § 7 VSBG Rn. 1. 291 Deshalb unterscheidet sich die Schiedsgerichtsbarkeit insofern nicht von der staatlichen Gerichtsbarkeit, BGH, Urt. v. 5.11.1970 – VII ZR 31/69, BGHZ 54, 392, 398 = NJW 1971, 139. 292 Zutreffend Münch, in: MüKo ZPO, 62022, § 1036 Rn. 1. 293 Siehe etwa Art. 11 ICC Arbitration Rules 2017; Art. 5.3–5.5 LCIA Arbitration Rules 2014; Art. 9 DIS-SchO 2018; Art. 11–14 UNCITRAL Arbitration Rules 2013. 294 secs. 24(1)(a), 33(1)(a) Arbitration Act 1996; § 1036 f. ZPO. 295 Gleichwohl ist die Neutralität und Integrität ein wesentliches Qualitätsmerkmale von Schiedsinstitutionen, deren Sicherstellung im Eigeninteresse liegt. 296 ErwG 17 sowie Art. 2 lit. b), 4 Abs. 2 Mediationsrichtlinie.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
die Unparteilichkeit des Mediators, das heißt auf seine verfahrensbezogene Unvoreingenommenheit, ist dem geringen institutionellen Rahmen der Mediation geschuldet. Auch im englischen Recht sind Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dem Begriff der Mediation inhärent.297 Das deutsche Mediationsgesetz sieht die Neutralität des Mediators als dessen fundamentale Vertragspflicht an.298 Die Prinzipien umfassen zum einen das Gebot der Allparteilichkeit, das den Mediator dazu verpflichtet, einen überparteilichen Standpunkt einzunehmen und beiden Parteien in gleichem Maße gerecht zu werden.299 Zum anderen soll gewährleistet werden, dass der Mediator selbst nicht in den Konflikt involviert ist und keine Bindung zu einer der Parteien besteht.300 Die Grundsätze der Neutralität in der Mediation unterscheiden sich jedoch insofern von denen für Gerichte und Schiedsgerichte, als dass sie nicht ergebnisorientiert sind. Hintergrund sind nicht etwaige rechtsstaatswidrige, verbindliche Entscheidungen, sondern der Umstand, dass der Mediator angesichts fehlender Entscheidungsgewalt vertragsrechtlich primär den Parteiinteressen und den Grundsätzen der Mediation verpflichtet ist.301 2. Vertraulichkeit von Streitbeilegungsmechanismen Die Vertraulichkeit in privaten Streitbeilegungsverfahren entstammt primär vertraglicher Natur. Aufgrund der fehlenden Öffentlichkeit kann es zu Konflikten mit dem Bedürfnis nach erhöhter Verfahrenstransparenz kommen.302 a) Vertraulichkeit im Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie Der Vertraulichkeitsgrundsatz kann sich sowohl auf die Verschwiegenheit der Parteien als auch auf die hier maßgebliche Verschwiegenheitspflicht der ADRStelle beziehen. Vertraulichkeit und Privatsphäre sind nach der ADR-Richtlinie
297 Obwohl die Rolle des Mediators nicht klar definiert wird, Scherpe/Marten, in: Hopt/ Steffek (Hrsg.), Mediation, 2013, S. 365, 405; vgl. auch Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 13.34 f. 298 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 3 MediationsG Rn. 37. Die Grundsätze der Unabhängigkeit und Neutralität finden Niederschlag in Art. 2 Abs. 3 S. 1 MediationsG sowie in den Offenbarungspflichten und Tätigkeitsverboten des Art. 3 MediationsG. 299 Der Mediator hat Äquidistanz zu wahren und darf sich daher nicht mit den Interessen einer Partei gemein machen, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 2 MediationsG Rn. 140; ähnlich Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 107 f. 300 Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 106; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 3 MediationsG Rn. 9. 301 Diese Differenzierung auch bei Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 3 MediationsG Rn. 4 und 9; Gläßer, in: Klowait/Gläßer, 22018, § 2 MediationsG Rn. 106; die den Parteien mehr zugewandte Rolle der Mediatoren betonend, Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, S. 295 f. 302 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 132; zustimmend Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 7.
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zwar keine Qualitätskriterien, sollen dennoch jederzeit gewährleistet sein.303 Der europäische Gesetzgeber hatte dabei allerdings nicht die Zusammenarbeit von ADR-Stellen mit zuständigen Behörden, sondern vielmehr spätere Gerichtsverfahren im Blick und befürchtete, dass Aussagen und Zugeständnisse der Parteien im ADR-Verfahren vor Gericht verwertet werden könnten. Während die Vertraulichkeit in den englischen ADR Regulations nicht näher geregelt ist, verpflichtet § 22 VSBG alle in der Durchführung des ADR-Verfahrens beteiligten Personen zur Verschwiegenheit über alle Umstände, die in Ausübung ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind, soweit durch Rechtsvorschrift nicht etwas anderes geregelt ist. Die Regelung des VSBG lehnt sich dabei an die Verschwiegenheitspflicht des Mediators nach § 4 MediationsG an.304 Die Verschwiegenheitspflicht der ADR-Stellen wird zwar grundsätzlich im individuellen Interesse sowohl des beteiligten Unternehmers als auch des Verbrauchers liegen,305 kann für Verbraucher in der Gesamtbetrachtung jedoch nachteilig sein, da missbräuchliche Geschäftspraktiken nicht zutage treten.306 Von der Regelung nicht umfasst sind Verschwiegenheitspflichten der Parteien oder Dritter, die jedoch durch gesonderte Verschwiegenheitsabreden vereinbart werden können.307 Schon ausweislich des Gesetzeswortlauts kann die Verschwiegenheitspflicht der ADR-Stellen durch anderweitige rechtliche Regelungen abbedungen werden. Eine solche Einschränkung besteht, in dem hier untersuchten Verhältnis zwischen zuständigen Behörden und ADR-Stellen, für die Berichtspflichten der ADR-Stellen nach § 34 VSBG. Zur Erstellung dieser Berichte – zumindest, wenn es um die Darlegung missbräuchlicher Geschäftspraktiken geht – ist der Zugriff auf Beschwerdedaten und Erkenntnissen aus einzelnen Verfahren erforderlich.308
303 ErwG 29 ADR-Richtlinie; die Pflichten zur Vertraulichkeit richten sich daher nach den Vorschriften der Mitgliedstaaten, Art. 17 Abs. 4 ADR-Richtlinie. 304 Anders als ein Mediator ist nicht der Streitmittler, sondern der Träger der ADR-Stelle Vertragspartner der Parteien, sodass der Streitmittler der ADR-Stelle gegenüber nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 22 VSBG Rn. 1. 305 Die Vertraulichkeit verhindert zugunsten von Unternehmen, dass etwaige Eingeständnisse von Fehlern Massenwirkung für künftige Verfahren erzeugen, während diese Möglichkeit der freien Einlassung Verbrauchern schneller zu Ihrem Recht verhelfen kann. Zu diesen Vorteilen, Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 2 Rn. 130; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 22 Rn. 2. 306 So auch Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 2 Rn. 134; in diese Richtung auch Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 213; Stadler, ZZP 128 (2015), 165, 181; Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 2 2021, § 22 Rn. 5; kritisch zur Verschwiegenheit im Rahmen der Einigung, Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 22 Rn. 22. 307 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 22 Rn. 19–20; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek, 22016, § 22 VSBG Rn. 2; Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 2 Rn. 131–132; Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 2. 308 Insbesondere § 34 Abs. 1 und 3, 42 Abs. 1 Nr. 4 VSBG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3
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Darüber hinaus können Behörden in Ausnahmefällen Auskünfte über schlichtungsrelevante Gepflogenheiten nach § 2 EG-Verbraucherrechtsdurchsetzungsgesetz verlangen.309 Die Verschwiegenheitspflicht sowie das Datenschutzrecht gebieten es hingegen, dass verfahrensbezogene Informationen, die etwa in Fallstudien oder Schlichtungsvorschlägen enthalten sind, nur in anonymisierter Form weitergegeben und veröffentlicht werden.310 Wenngleich systemische Probleme möglicherweise erkennbar werden, kann die Anonymität schuldtragende Unternehmen davor schützen, in die Verantwortung genommen zu werden. Schließlich steht die Verschwiegenheit auch in einem Spannungsverhältnis zum Bedürfnis nach Transparenz von ADR. Denkbar wäre ein Defizit an Rechtsfortbildung, das durch das Wachstum vertraulicher ADR bei gleichzeitiger Abnahme gerichtlicher Klagen entstehen könnte.311 Das Bedürfnis nach erhöhter Transparenz und damit strengerer behördlicher Kontrolle ist dabei umso höher, desto größer die Bedeutung von ADR gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit ist.312 Die Berichtspflichten und die behördliche Aufsicht kann die fehlende Öffentlichkeit von ADR jedoch nur zu einem gewissen Maße kompensieren. b) Vertraulichkeit in Schiedsverfahren Für die Parteien begründet die Vertraulichkeit der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, das heißt die Nichtöffentlichkeit der Verfahren sowie der Schiedssprüche, einen wesentlichen Vorteil gegenüber dem Zivilprozess.313 Die Pflicht zur Vertraulichkeit kann sich aus den Schiedsvereinbarungen der Parteien, gesonderter Abreden oder institutioneller Schiedsordnungen314 ergeben.315 Die VerschwiegenVSBInfoV. Gleichwohl sind die Berichtspflichten primär auf statistische Angaben beschränkt. Weitergehende Angaben liegen im Ermessen der ADR-Stellen, hierzu Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 7 f. 309 Näher zu den Ausnahmen der Verschwiegenheitspflicht, Röthemeyer, in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 22 Rn. 8–15. 310 Sich gar für eine gesetzliche Veröffentlichungspflicht von anonymisierten Lösungsvorschlägen aussprechend, Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 63–65; Tonner, RRa 22 (2015), 234, 239; Hess, JZ 2015, 548, 553; Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 9. 311 Siehe auch die Erwägungen bei Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2 2021, § 22 Rn. 1; Braun, in: Roder/Röthemeyer/Braun, VSBG, 2017, § 2 Rn. 135. 312 Dies gelte besonders dann, wenn wirtschaftliche Hindernisse den Weg für Verbraucher zu staatlichen Gerichten praktisch versperren, Stadler, ZZP 2015, 165, 182. 313 Hierzu Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 62016, Rn. 538–540; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, Vor § 1025 Rn. 122–123. 314 Siehe etwa Art. 44 DIS-SchO 2018; Art. 30 LCIA Rules 2014. 315 Eine Vertraulichkeitspflicht enthält jedoch weder der Arbitration Act 1996 noch das 10. Buch der ZPO; zur Vertraulichkeit in Schiedsverfahren, Ali Shipping Corp v Shipyard Trogir [1997] EWCA Civ 3054, [1999] 1 WLR 314; Blake/Browne/Sime, The Jackson ADR Handbook, 22016, Rn. 5.34 f.; monographisch Leisinger, Vertraulichkeit in internationalen Schiedsverfahren, 2012.
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heitspflicht erstreckt sich auf die Verfahrensbeteiligten und zumeist auch auf die Mitarbeiter der Schiedsinstitution. Gleichwohl wird beklagt, dass ein zunehmender bereichsspezifischer Entzug von Rechtsstreitigkeiten, gepaart mit der Vertraulichkeit von Schiedsverfahren, zu einem Mangel an Fallmaterial für Gerichte führe und die richterliche Rechtsfortbildung gefährde.316 c) Öffentlichkeitsgrundsatz in staatlichen Gerichtsverfahren In staatlichen Gerichtsverfahren herrscht hingegen der Grundsatz der Öffentlichkeit als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.317 Das Prinzip öffentlich zugänglicher Gerichtsverfahren und Urteilsverkündungen ist sowohl in der englischen318 als auch in der deutschen319 Rechtsordnung sowie in den europäischen Grundrechten320 verankert. Vertrauliche Verfahren sind mithin die Ausnahme. Hingegen werden Urteile in Deutschland, im Gegensatz zur Praxis im Vereinigten Königreich, nur in anonymisierter Form veröffentlicht.321 Richter sind hingegen zur Verschwiegenheit über die ihnen in Ausführung oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten verpflichtet.322 Der vertrauliche Umgang mit Informationen ist erforderlich, um die rechtsstaatlich einwandfreie und unparteiische Arbeit der Gerichte sicherstellen zu können.323
316 Gaier, NJW 2016, 1367, 1369 f.; Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52; s. auch den Beitrag von Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169 ff. mit Vorschlägen zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses; Münch, in: MüKo ZPO, 62022, Vor § 1025 Rn. 127 m. w. N. 317 Andrews, Andrews on civil processes, 2013, Rn. 2.39; überdies entspricht das allgemeine Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie, BVerfG, Urt. v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, BVerfGE 103, 44 = NJW 2001, 1633, 1635; so zum Grundsatz der Budgetöffentlichkeit BVerfG, Urt. v. 14.1.1986 – 2 BvE 14/83, 2 BvE 4/84, BVerfGE 70, 324 = NJW 1986, 907, 909. 318 Sog. Open Justice-Prinzip, zurückgehend auf Scott v Scott [1913] A.C. 417. 319 Insbesondere Art. 169 GVG; BVerfG, Urt. v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95, BVerfGE 103, 44 = NJW 2001, 1633, 1635. 320 Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh. 321 Die Gründe hierfür sind vielfältig und werden sowohl im Zivilprozessrecht, Datenschutzrecht sowie im Verfassungsrecht gesucht, eingehend hierzu Knerr, JurPC 2004, 1–52. Gerichte sind jedoch verpflichtet, Entscheidungen in angemessener Weise zu veröffentlichen, OLG Celle, Beschl. v. 12.6.1990 – 1 VAs 4/90, NJW 1990, 2570; OLG München, Beschl. v. 16.8.1984 – 9 VA 4/83, OLGZ 1984, 477, 479. 322 Dies folgt aus dem Beamtenstatus der Richter, §§ 74 DRiG i. V. m. 37 BeamtStG. 323 Die Verschwiegenheitspflicht gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i. S. d. Art. 33 Abs. 5 GG und hat damit Verfassungsrang, BVerwG, Urt. v. 25.2.1971 – II C 11/70, BVerwGE 37, 265 = NJW 1971, 1229, 1229 f.; BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 – 2 C 91/81, BVerwGE 66, 39 = NJW 1983, 638. Die Bevölkerung darf auf die Vertraulichkeit der Informationen vertrauen, BVerfG, Beschl. v. 28.4.1970 – 1 BvR 690/65, BVerfGE 28, 191 = NJW 1970, 1498, 1499.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
3. Grenzen der Neutralität und Vertraulichkeit für die Kooperation zwischen ADRStellen und zuständigen Behörden Das Potenzial einer engen Kooperation von ADR-Stellen mit staatlichen Aufsichtsbehörden, die bis hin zur Wahrnehmung quasi-regulatorischer Funktionen reichen kann,324 findet ihre Grenzen in den Neutralitäts- und Vertraulichkeitsverpflichtungen der ADR-Stellen. Das Prinzip der Neutralität von Streitbeilegungsmechanismen soll die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze sicherstellen. Gesetzliche Neutralitätspflichten sind zumeist ergebnisbezogen ausgestaltet und versuchen daher Einflüsse befangener oder weisungsgebundener Entscheidungsträger auf das Verfahren und das Verfahrensergebnis zu verhindern. Diese Pflichten betreffen indes nicht die Institutionen, unter deren Dach die Streitbeilegung durchgeführt wird.325 Gemeinsam ist allen Streitbeilegungsmechanismen hingegen, dass die Neutralität, sowohl der neutralen dritten Personen als auch der Institutionen selbst, Voraussetzung für das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit in die Integrität der Streitbeilegung sind. Die Vertraulichkeit von Verfahren und Ergebnissen ist Merkmal von ADR und kann für die Parteien ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem Zivilprozess darstellen. Die Verschwiegenheit des Verfahrens soll den Beteiligten zudem die Angst nehmen, sich einander mit der Zielrichtung einer einvernehmlichen Lösung zu öffnen. Die strikte Vertraulichkeit von ADR über missbräuchliche Geschäftspraktiken liegt freilich nicht im Allgemeininteresse. Mithin steht bei der staatlichen Aufsicht über ADR-Stellen das öffentliche Bedürfnis nach hoher Transparenz durch ausgiebigen Informationsaustausch in einem Spannungsverhältnis mit der Neutralität und Vertraulichkeit der ADRStellen. Der deutsche Gesetzgeber löst dieses Verhältnis zum Nachteil der Transparenz auf und verzichtet bewusst auf eine weitergehende Kooperation zwischen ADR-Stellen und Aufsichtsbehörden. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit des Vertrauens in die Verschwiegenheit und Neutralität der Streitmittler, die eine klare Trennung zwischen der Verbraucherstreitbeilegung und Ordnungsrecht gebiete.326 Es stünde im diametralen Gegensatz zur Neutralitätspflicht der ADR-Stellen, zuständigen Behörden Auskunft über einzelne Verfahren oder Unternehmen zu geben.327 Andernfalls, so die Befürchtungen des Gesetzgebers, sinke die Bereitschaft von Verbrauchern und Unternehmen an ADR-Verfahren teilzunehmen.328 Die Berichte seien daher auf allgemeine und grundsätzliche Gesichtspunkte zu beschränken. 324
Hierzu bereits oben unter Kap. 3 D. Dies ist freilich im Hinblick auf herkömmliche Streitbeilegungsmechanismen nicht verwunderlich, da der Träger staatlicher Gerichtsverfahren letztlich der Staat ist und andere Regelungen, wie etwa das Schiedsrecht, nicht auf institutionelle Verfahren ausgelegt sind. Allerdings enthalten auch die Vorgaben der ADR-Richtlinie nur eingeschränkte Unabhängigkeitsregelungen für verbandsgetragene und unternehmensfinanzierte ADR-Stellen. 326 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 73 f. 327 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 74. 328 Fraktionsentwurf zum VSBG, BT-Drucks. 18/5089, S. 74. 325
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Dem ist entgegengehalten, dass die Verschwiegenheitspflicht kein festgeschriebenes Prinzip der ADR-Richtlinie ist und selbst ausweislich des VSBG gesetzlich abbedungen werden kann. Zudem dient strikte Vertraulichkeit in erster Linie Unternehmen, da sie verhindert, dass Schlichtungsvorschläge aus früheren Verfahren Präjudiz für spätere Verfahren sein können und ist daher für Verbraucher weder erforderlich noch sachgerecht.329 Zwar mag das Bewusstsein über die Vertraulichkeit des Verfahrens die Bereitschaft zu Zugeständnissen seitens der Unternehmen erhöhen,330 jedoch wird dieser potenzielle Vorteil um den Preis erkauft, Unternehmen im Allgemeininteresse durch öffentlichen Druck zu einer Verhaltenskorrektur zu bewegen. Ferner besteht die Gefahr, dass Unternehmen als „Repeat Player“ gegenüber Verbrauchern einen Informationsvorsprung bei der Bewertung der streitigen Forderungen etablieren können. Unabhängig davon, ob und inwieweit weitergehende Informationen tatsächlich zu einer besseren Verhandlungsposition des Verbrauchers führen, sollten sich ADR-Stellen dieser Asymmetrie bewusst sein und ihr entgegenwirken. Mit der bewussten Begrenzung der Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden verzichtet der deutsche Gesetzgeber – bewusst oder unbewusst – zugleich auf die Nutzung des erheblichen Potenzials von Beschwerdedaten. Wie die dargestellten Beispiele der englischen ADR-Landschaft zeigen, können die Daten in Echtzeit einen Einblick in das Marktverhalten verschiedener Wirtschaftsbereiche geben und helfen, systematische Probleme, seien es missbräuchliche Geschäftspraktiken oder Gesetzeslücken, früh zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.331 Hervorzuheben ist ferner der Umstand, dass englische ADR-Stellen vereinzelt ihre Daten auch im Hinblick auf soziodemographische Merkmale aufarbeiten.332 Diese Daten können insbesondere Aufschluss darüber geben, welche Verbrauchergruppen durch die Streitbeilegung erreicht werden und für welche Gruppen nur ein defizitärer Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten besteht. Die Berichtspflichten nach § 34 VSBG, die deutsche ADR-Stellen dazu anhalten, auffällige Geschäftspraktiken zu berichten, sind insofern unzureichend, da ihr Umfang und Inhalt weitestgehend im Ermessen der ADR-Stellen stehen. Der reine Austausch von Informationen über bereits abgeschlossene Verfahren vermag die Neutralität einer ADR-Stelle nicht infrage zu stellen.333 Diese 329
Tonner, ZKM 2015, 132, 134; mit zutreffender Kritik auch Goldhammer, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197, 312–316; kritisch auch schon Isermann/Berlin, VuR 2012, 47, 53; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117, 133; Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 5. 330 In diese Richtung Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 11; wohl auch Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 34 Rn. 9. 331 Hierzu oben unter Kap. 3 B. I. 332 So erhebt der FOS etwa Statistiken zur regionalen Zugehörigkeit sowie zum Geschlecht, Alter, der ethnischen Herkunft, der Bildung und zum Beruf, FOS, Data in more depth 2018/2019, 2019, S. 19–22. 333 Demgegenüber eine staatliche Aufsicht als unvereinbar mit der Unabhängigkeit privater Schlichter ansehend, Hirsch, 2020, S. 207, 211.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Daten haben keinerlei Einfluss auf das Verfahren oder Ergebnis anderer, gegenwärtiger oder zukünftiger Beschwerden. Sie versprechen allenfalls einen grundsätzlich begrüßenswerten Mobilisierungseffekt für Verbraucherbeschwerden334 oder geben Anlass für eine Änderung der Rechtslage. Ein unmittelbarer Einfluss der zuständigen Behörden auf Entscheidungsträger ist nicht zu befürchten, da die Kommunikation regelmäßig auf einer höheren oder anderen Arbeitsebene stattfinden wird. Jedenfalls sind die Mitarbeiter der ADR-Stelle gegenüber der Behörde im Hinblick auf die Verfahrensdurchführung keinesfalls weisungsgebunden.335 Es ist nicht zu befürchten, dass die Neutralität von Streitmittlern, mit teils langjähriger richterlicher Berufserfahrung durch eine engere Kommunikation mit der zuständigen Behörde infrage gestellt werden könnte. Eine kritische Grenze der Kooperation würde freilich dort erreicht, wo ADRStellen nur noch als Werkzeug der Behörden fungieren, wenn also die Behörde mittelbar Einfluss auf die Gestaltung oder den Ausgang des Verfahrens nehmen könnte. Steike sieht das Vertrauen in die Neutralität der ADR-Stellen schon dann gefährdet, wenn nur auffällige Geschäftspraktiken von Unternehmen zulasten von Verbrauchern, nicht aber auch missbrauchsverdächtige Verbraucherpraktiken in den Fokus genommen würden.336 ADR-Stellen würden durch die Berichtspflichten ausdrücklich Instrument des Verbraucherschutzes und verlängerter Arm der Aufsicht über die private Wirtschaft. Mithin gäbe es keinen Anreiz für Unternehmen, sich an ADR-Verfahren zu beteiligen.337 Dem ist entgegenzuhalten, dass ADR-Stellen immer ein Ermessen hinsichtlich des Umfangs und der Präzision der preisgegebenen Informationen verbleibt, sodass aus einem regen Kontakt zwischen Behörden und ADR-Stellen keineswegs geschlossen werden kann, ADR-Stellen würden einseitig verbraucherschützend handeln. Dies gilt speziell im Hinblick darauf, dass viele ADR-Stellen, wie etwa im Banken- und Versicherungssektor, auf selbstregulatorischen Initiativen beruhen, sodass keine überzogene Kritik an der vertretenen Branche oder einzelnen Unternehmen zu erwarten ist. Überdies befassen sich ADR-Stellen auch mit Thematiken im Interesse der Unternehmen, wie etwa der Frage, wie offensichtlich unbegründete Beschwerden frühestmöglich abgelehnt werden können.338 Ohnehin bietet aber das Geschäftsverhalten einer Branche oder spezifischer Un334 Freilich kann es in diesem Zuge auch zur Geltendmachung unberechtigter Forderungen kommen, was angesichts der Kostenlast des Unternehmens für das ADR-Verfahren nicht ganz unbedenklich ist. Allerdings können Unternehmen berechtigten Forderungen der Verbraucher sofort abhelfen, ohne den Streit zu einer ADR-Stelle eskalieren zu lassen. 335 Angesichts der begrenzten Handlungsbefugnisse der zuständigen Behörden könnten diese de lege lata auch kaum Druck hinsichtlich der Spezifika zur Erfüllung der Berichtspflichten der ADR-Stellen ausüben. 336 Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 22021, § 34 Rn. 12. 337 Diese Gefahr sieht auch Berlin, VuR-Sonderheft 2016, 36, 40–42; wohl auch Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich, VSBG, 22021, § 34 Rn. 9 f. 338 Dies spiegelt den Eindruck des Autors bei der 1st ADR Assembly der Europäischen Kommission in Brüssel vom 11.–12. Juni 2018 wider.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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ternehmen potenziell größeren Anlass für systemische Probleme als das in der Regel nicht abgestimmte Individualverhalten der Verbraucher. Die Vertraulichkeit von ADR steht einer engeren Kooperation zwischen Aufsicht und ADR-Stellen nicht entgegen. Zum einen werden die Informationen regelmäßig anonym weitergegeben.339 Zum anderen würden die Daten nicht mit beliebigen Interessenverbänden, sondern mit rechtsstaatlichen Behörden geteilt, die ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Die Außenkommunikation der Behörden im Rahmen der vierjährlichen Berichtspflichten an die Kommission ist ohnehin stark beschränkt. Insgesamt würde eine enge Kooperation zwischen der staatlichen Aufsicht und ADR-Stellen nach englischem Vorbild weder die Neutralitäts- noch die Vertraulichkeitspflichten der ADR-Stellen verletzen. Im Gegenteil ist diese Thematik nicht einmal Gegenstand des englischen Diskurses um ADR. Eine enge Kooperation und ein intensiver Informationsaustausch werden als effektives Instrument zur Gewährleistung und Steigerung der Qualität von ADR gesehen, da sich auf dem Markt letztlich die transparenten Dienstleister durchsetzen werden, die den finanziellen und zeitlichen Aufwand der Behördenkommunikation nicht scheuen. Neutralität und Vertraulichkeit beeinflussen zweifelsohne das Vertrauen der Öffentlichkeit in ADR und beeinflussen die Bereitschaft von Unternehmen und Verbrauchern ADR zu nutzen. Die Berichterstattung über missbräuchliche Geschäftspraktiken schützt nicht zuletzt – gegebenenfalls kleinere – Unternehmen, die sich rechtskonform verhalten und vermag das Vertrauen in die Integrität der ADR-Stellen nicht zu beeinträchtigen. Umgekehrt müsste es für den Gesetzgeber im Hinblick auf die gebotene Unabhängigkeit nur schwer erträglich sein, dass ADR-Stellen von Unternehmer- oder Branchenverbänden finanziert werden können.340 Die Praxis zeigt, dass die Teilnahmebereitschaft von Unternehmen selbst bei loser Kooperation gering ist und vielmehr darauf zurückführen ist, dass die Verweigerung von ADR für Unternehmen unterm Strich nach wie vor wirtschaftlich vorteilhaft ist.341
339 Für den Fall erheblicher und substanzieller Verbraucherschäden durch missbräuchliche und rechtswidrige Geschäftspraktiken einzelner Unternehmen sollten jedoch gesetzliche Ausnahmeregelungen bestehen. 340 Die Neutralität dieser ADR-Stellen soll hier keineswegs bezweifelt werden, jedoch erscheint es aus Warte des Gesetzgebers widersprüchlich, verbandsgetragenen ADR-Stellen, sofern ein nicht finanzierender Verband nach § 9 VSBG beteiligt ist, mehr Vertrauen entgegenzubringen als staatlichen Behörden. Hingegen kritisch zu verbandsgetragenen ADRStellen, Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, S. 299–301; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 120–124. 341 Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass Verbraucher den Weg zu den Gerichten gerade bei geringfügigen Forderungen meiden werden. Hinzu können Fehlvorstellungen der Unternehmen über ADR kommen, hierzu Braun, VuR 2019, 130, 133 f. Demgegenüber führe die Kostenlast nach Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 111 nicht zu einer Verweigerung der Teilnahme durch Unternehmen.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Die Beschwerdedaten und Informationen hinsichtlich systemischer Probleme sind für das BfJ allerdings von weniger Interesse und Nutzen, als das für die sektorspezifischen Behörden im Vereinigten Königreich der Fall ist, da diese in deren Regulierungsverantwortung für das unternehmerische Fehlverhalten stehen. Zwar wurde insofern die unterschiedliche Aufsichtspraxis der zahlreichen Behörden kritisiert, jedoch scheint sich diese, nicht zuletzt aufgrund der Kommunikation der Behörden untereinander, tendenziell anzugleichen.342 Die größte Herausforderung besteht darin, dies ist dem Gesetzgeber zuzustehen, eine klare Grenze zwischen regulatorischer Tätigkeit und neutraler Streitbeilegung zu ziehen. Es überrascht nicht, dass ADR-Stellen in England fälschlicherweise als „consumer watchdog“ wahrgenommen werden und dementsprechende Verbrauchererwartungen schüren.343 In diesem Sinne stellen die Memoranda of Understanding zwischen englischen ADR-Stellen und Aufsichtsbehörden eine gute Basis für eine solche Grenzziehung dar, die schließlich auch nach außen hin zu kommunizieren ist. Jedenfalls sind die bestehenden Grenzen in Deutschland zugunsten erhöhter Transparenz zu verschieben. Das gilt selbst dann, wenn man einen diametralen Gegensatz zwischen Kooperation und Neutralitäts- und Vertraulichkeitsverpflichtungen annehmen wollte. Schließlich wäre es grob fahrlässig, missbräuchliche Geschäftspraktiken aufgrund von Vertraulichkeitsverpflichtungen unter den Teppich zu kehren. Eine spätere mediale Aufdeckung weitverbreiteten, verbraucherbenachteiligenden Marktverhaltens würde eine ADR-Stelle erst recht in eine Glaubwürdigkeitskrise stürzen und den Verlust jeglichen Verbrauchervertrauens riskieren.
IV. Korrelation zwischen Steuerungswirkungen und Aufsicht Die im vierten Kapitel aufgezeigten und in der Praxis vorzufindenden Steuerungswirkungen von ADR, die über die Idee der Streitbeilegung hinausgehen, korrelieren mit der Engmaschigkeit der staatlichen Aufsicht über ADR-Stellen. Ausgangspunkt der möglichen Verhaltenssteuerung durch ADR ist die Erhebung und Aggregation von Beschwerdedaten durch ADR-Stellen. Auf dieser Basis soll insbesondere die Rechtskonformität des unternehmerischen Handels als auch eine Verbesserung der Marktstandards bewirkt werden. Während der deutschen Rechtsordnung solche Ideen befremdlich erscheinen, sind sich Regulatoren und ADR-Stellen in England solchen Steuerungswirkungen bewusst. Dementsprechend zeichnet sich in der englischen Aufsichtspraxis ein wesentlich größeres Interesse der sektorspezifischen Behörden an den Daten der ADR342 Dies gilt etwa im Hinblick auf die zunehmend geforderten Quartalsberichte der ADRStellen, hierzu soeben unter Kap. 5 B. III. 1. 343 Von überzogenen Verbrauchererwartungen aufgrund unzureichender Kenntnisse über Ombudsstellen spricht auch Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 311; ähnlich Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 99 und 126.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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Stellen ab. Zwar liegt der Fokus primär auf der Qualitätssicherung von ADRVerfahren, jedoch sind verhaltenssteuernde Maßnahmen durch die enge Interaktion mit den ADR-Stellen bedingt. Insofern verwundert es nicht, dass einige Behörden, wie etwa die CAA und die Gambling Commission, nunmehr Quartalsberichte der ADR-Stellen verlangen und der Austausch über problematische Geschäftspraktiken ausdrücklich in den Memoranda of Understanding festgehalten ist. Dieser Steuerungsüberschuss bildet sich letztlich auch in der vertikalen Aufsichtsstruktur ab. Die sektorspezifischen Behörden sind im Hinblick auf ihre eigene Regulierungsverantwortung nicht nur zunehmend an Daten interessiert, sondern können die Rufe der ADR-Stellen leichter und verständnisvoller wahrnehmen. Ob der Gesetzgeber die Steuerungswirkungen von ADR bei der Entscheidung über die Aufsichtsstruktur im Blick hatte, kann bezweifelt werden. Vielmehr ging es darum, bereits etablierte Strukturen weiter zu nutzen. Die deutsche Aufsichtsstruktur konterkariert hingegen das Steuerungspotenzial von ADR durch eine strikte Trennung von Streitbeilegung und Ordnungsrecht. Folglich ist die Aufsicht, bis auf wenige spezialgesetzliche Ausnahmen ohne erhebliche Auswirkungen, beim BfJ ohne wirtschaftliche Regulierungsverantwortung konzentriert.
V. Kein Konkurrenzkampf zwischen mehreren zuständigen Behörden Die im Zuge der Umsetzung der ADR-Richtlinie aufgekommenen Befürchtungen, eine vertikale Aufsichtsstruktur führe zu einem Konkurrenzkampf zwischen den zuständigen Behörden, haben sich bislang nicht bewahrheitet. Ein solcher Wettbewerb der Behörden um ADR-Dienstleister ist weder in England noch in Deutschland zu erkennen. Einem Konkurrenzverhältnis wird in England schon dadurch entgegengewirkt, dass die Anzahl der zertifizierten ADR-Stellen in einigen regulierten Wirtschaftssektoren beschränkt ist. Zum anderen ist für eine sektorübergreifende Tätigkeit einer ADR-Stelle die Anerkennung aller regulierungsverantwortlichen zuständigen Behörden erforderlich. Es besteht daher kein Markt dafür, um ADR-Anbieter zu buhlen. Anreize zur Senkung von Aufsichtskosten oder Anerkennungsstandards könnten sich nur dann ergeben, wenn die Anerkennung einer Behörde, wie in Deutschland, ausreichen würde, um sektorübergreifend tätig zu werden. Eine Konkurrenzsituation besteht aber auch in Deutschland nicht, da für die Aufsicht keine Gebühren erhoben werden, sodass das Anerkennungsverfahren letztlich einen Mehraufwand für die Behörde bedeutet.344
344 Ohnehin läge den Befürchtungen eines Kostendrucks die Annahme zugrunde, dass Behörden durch die Erhebung von Aufsichtskosten – unwahrscheinlicher und unlauterer Weise – einen Profit generieren. Gleichwohl könnte es nicht verbeamteten Behördenmitarbeitern freilich um den Erhalt ihrer Anstellung gehen.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
Der deutsche ADR-Markt ist trotz einiger spezialgesetzlicher Kompetenzzuweisungen durch das Prinzip der Anerkennung im gegenseitigen Einvernehmen der Behörden geprägt. In der Außenwirkung tritt ohnehin nur das BfJ als Anerkennungs- und Aufsichtsbehörde auf. Da die Anerkennungsvoraussetzungen des BfJ letztlich die Mindeststandards für ADR-Stellen vorgeben, ist auch nicht zu befürchten, dass ADR-Stellen durch Akkreditierung einer anderen zuständigen Behörde versuchen, einer schärferen Aufsichtspraxis auszuweichen. Die einzig denkbare Konkurrenz zwischen Behörden bestünde also darin, ADR-Anbieter für die Arbeit im eigenen, anstatt in einem anderen Sektor zu begeistern. Diese Entscheidung wird sich für ADR-Anbieter allerdings nicht stellen, da sie dort ihre Leistungen anbieten werden, wo ein offener und wirtschaftlich lukrativer Markt besteht, in welchem sie die Anerkennungsvoraussetzungen werden einhalten können. Die Lukrativität eines Sektors kann freilich auch durch die Höhe der Aufsichtskosten bedingt sein, entscheidender wird aber das voraussichtliche Beschwerdeaufkommen sein. Niedrige Anerkennungsvoraussetzungen und Aufsichtskosten wären daher nur dann zu befürchten, wenn eine Behörde möglichst viele ADR-Stellen anerkennen wollte. Hier tendiert die englische Aufsichtspraxis indes gegenläufig zu oligopolistischen und monopolistischen Strukturen, um die Qualität von ADR zu erhöhen.345
VI. Auswirkungen des Aufsichtsmodells auf Qualitätsstandards Negative Auswirkungen eines vertikalen gegenüber eines horizontalen Aufsichtsmodells auf die Qualität der staatlichen Aufsicht, die sich letztlich auch auf die Qualität von ADR niederschlägt, konnten nicht identifiziert werden.346 Einerseits besteht kein Konkurrenzkampf zwischen den Behörden. Andererseits scheinen die Regulierungsverantwortung der sektorspezifischen Behörden sowie die ureigenen Interessen des CTSI an der Durchsetzung von Handelsnormen, genügend Anreize für mehr als nur eine minimale Aufsichtstätigkeit zu setzen.347 Ungeachtet der durchaus unterschiedlichen Aufsichtspraxis der englischen Behörden gehen die Anerkennungsvoraussetzungen der sektorspezifischen Behörden über die Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie beziehungsweise der ADR Regulations hinaus. Dies zeigt sich insbesondere durch asymmetrische Pflichten zur Teilnahme am Verfahren und zur Einhaltung des Verfahrensergebnisses sowie in Form erleichterter Durchsetzungsmöglichkeiten für Verfahrens-
345 So auch Biard, J Consum Policy 42 (2019), 109, 133; hierzu soeben unter Kap. 5 A. I. und B. III. 1. 346 Für eine abschließende Beurteilung sind auch hier freilich die weiteren Entwicklungen abzuwarten. 347 Dass eine sektorspezifische Regulierungsverantwortung der zuständigen Behörden positive Anreize zur detaillierten Aufsicht geben kann, erkennt wohl auch Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318 f.
C. Auswirkungen der Regelungszustände
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ergebnisse in nahezu allen regulierten Sektoren.348 Während einige Behörden eng mit den ADR-Stellen zusammenarbeiten und diese extern begutachten lassen, setzte die Gambling Commission bewusst höhere Standards, um ADR-Anbieter aus dem Markt zu treiben. Gleichwohl übt die kostenpflichtige Aufsicht einen Kostendruck auf ADRStellen aus. Dieser ist besonders in nicht regulierten Sektoren groß, in denen für Unternehmen keine asymmetrische Teilnahmepflicht besteht. Die Kosten der Aufsicht, die in Form hoher Verfahrenskosten auf Unternehmen abgewälzt werden, sind der Attraktivität von ADR für Unternehmen abträglich. Ansatzpunkt für die Reduzierung der Verfahrenskosten könnte im vermehrten Einsatz von ODR-Technologien zu finden sein.349 Die im Grunde vertikale Aufsichtsstruktur in Deutschland, die aufgrund der Fokussierung auf die Tätigkeit des BfJ einem horizontalen Aufsichtsmodell nahekommt, lässt ebenfalls keine defizitären Standards befürchten. Die Anerkennung folgt jedenfalls den Mindestanforderungen des VSBG. Inwiefern die anlassbezogene Aufsicht des BfJ geeignet ist, die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen sicherzustellen, werden erst die künftigen Entwicklungen zeigen; gegenteilige Anhaltspunkte sind nicht zu erkennen. Die dennoch unterschiedliche Aufsichtspraxis in den Mitgliedstaaten wirft jedoch erneut die Frage auf, ob höhere und einheitliche Standards für die staatliche Aufsicht wünschenswert oder gar erforderlich sind. Eine Rationalisierung der Aufsichtsstruktur im Sinne einer horizontalen Aufsicht würde dem ADRSektor, gerade in Mitgliedstaaten in denen ADR noch wenig Bekanntheit unter der Bevölkerung genießt, zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und ein verständlicheres Gesamtbild für Unternehmen abgeben. Gleichzeitig scheint das vertikale Aufsichtsmodell aufgrund der Regulierungsverantwortung sektorspezifischer Behörden höhere Anreize für eine aktive Aufsichtstätigkeit zu setzen. Zwar entgehen einer vertikalen Aufsichtsstruktur Skaleneffekte,350 jedoch könnten bewährte Aufsichtsmethoden und ADR-Praktiken351 durch einen regen Austausch der Behörden untereinander leichter identifizierbar werden, als dies durch die Selbstanalyse einer einzigen Behörde möglich ist. Für die Qualität der Aufsicht kommt es weniger auf ihre horizontale oder vertikale Struktur, sondern vielmehr darauf 348 Zu den asymmetrischen Pflichtenkonstellationen in ADR-Verfahren bereits oben Kap. 4 C. und D. II. 349 Vgl. hierzu auch Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 46–48 und 274, der ODR insofern als die „vierte Partei“ im Verfahren sieht. Der Begriff der „Technologie als vierte Partei“ geht zurück auf Katsh/Rifkin, Online Dispute Resolution, 2001, S. 93 f.; hierzu auch Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, S. 36 f., der begrifflich die Übersetzung mit „Partei“ anstatt mit „Beteiligter“ kritisiert. 350 Diese Befürchtung bei Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 318. 351 Diesbezüglich werden die Evaluationsberichte mehrerer zuständiger Behörden ohnehin für den Bericht der zentralen Anlaufstelle an die Kommission zusammengetragen.
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Kapitel 5: Staatliche Anerkennung von und Aufsicht über ADR-Stellen
an, wie hoch die Bereitschaft der verantwortlichen Behörde(n) ist, höhere, marktgerechte Qualitätsstandards zu setzen und die Aufsichtstätigkeit aktiv wahrzunehmen. Ansatzpunkt für eine unionsweite Vereinheitlichung der Qualität von ADR sollten jedoch nicht Vorgaben für die staatliche Aufsicht, sondern eine Verschärfung der Qualitätsanforderungen an ADR-Stellen und neutrale dritte Personen sein. Zum einen berühren verschärfte Qualitätsstandards weder die Verfahrensautonomie noch die gewachsenen ADR-Strukturen der Mitgliedstaaten. Zum anderen lässt sich der Aktivitätsgrad der Aufsicht kaum durch mindestharmonisierende Vorgaben vereinheitlichen. Insofern ist davon auszugehen, dass es immer Mitgliedstaaten geben wird, die berechtigterweise eine minimale Umsetzung der Richtlinienvorgaben betreiben werden, sodass sich eine Vereinheitlichung der unionsweiten ADR-Landschaft am ehesten durch höhere Anforderungen für ADR-Verfahren erreichen lässt.
Kapitel 6
Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme Der gewisse zeitliche Abstand zur Umsetzung der ADR-Richtlinie und der damit einhergehenden teils emotional geführten Debatte um die Zukunft der Ziviljustiz ermöglicht einen ersten Blick auf die Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme in England und Deutschland. Zwar würde eine, zur abschließenden Beantwortung dieser Frage dringend erforderliche, empirische Forschung den Rahmen dieser Arbeit sprengen,1 jedoch lässt sich bisweilen kein Verdrängungswettbewerb zwischen ADR und Ziviljustiz erkennen. Auch für das Präzedenzrecht besteht, nicht zuletzt aufgrund zivilprozessualer Reformen, ebenfalls keine akute Gefahr. Diese Kapitel zeigt jedoch auch, dass es für eine erfolgreiche Integration von ADR in beide Rechtssysteme eines kooperativen Gefüges mit der Ziviljustiz bedarf, um den Interessen der Allgemeinheit an der Klarheit und Weiterentwicklung des Rechts Rechnung zu tragen.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung In England liegt ADR im Herzen des Rechtssystems.2 Dies folgt sowohl aus der langen Tradition einer einvernehmlichen Streitbeilegung als auch aus der politisch geförderten Integration von ADR – insbesondere der Mediation – in das Zivilgerichtssystem. ADR genießt in England mehr Bekanntheit als in Deutschland. Dennoch scheinen auch die Engländer noch nicht hinreichend mit den verschiedenen ADR-Methoden vertraut zu sein.3 Ein Verdrängungswettbewerb 1 Zu den tatsächlichen und datenschutzrechtlichen Herausforderungen und Beschränkungen der empirischen Forschung zu Verbraucherstreitigkeiten, insbesondere mit Blick auf die Verwendung existierender Daten im Rahmen der Sekundärforschung, Schmidt-Kessel/Larch/ Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303 ff.; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017. 2 Hurst v Leeming [2001] EWHC 1051 (CH), 2002 WL 1039525: „ [...] mediation is not in law compulsory, but alternative dispute resolution is at the heart of today’s civil justice system.“; ähnlich Neuberger, The Fourth Keating Lecture, 19.5.2010, Rn. 43; zustimmend Koo, Legal Studies 2018, 1, 12. 3 So Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 311, der das geringe Verbraucherbewusstsein als allgemeines Problem der Ombudsstellen gerade im Hinblick auf überzogene Verbrauchererwartungen sieht; in diese Richtung auch Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 99 und 126; Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 1.4.1.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
zwischen gerichtsferner ADR und der Ziviljustiz ist aufgrund der meist faktischen Alternativität beider Rechtsschutzmöglichkeiten nicht zu erkennen.
I. Auswirkungen auf den staatlichen Zivilprozess Die Reformbemühungen des englischen Gesetzgebers fokussierten bislang auf die Integration von ADR in den Zivilprozess, um die Ziviljustiz und den Staatshaushalt zu entlasten. Die hier untersuchten Verbraucherstreitigkeiten weisen typischerweise einen geringen Streitwert auf, sodass der weit überwiegende Anteil der Klagen der small claim track (Streitwert bis GBP 10 000) oder der fast track (Streitwert zwischen GBP 10 000 und GBP 25 000) zugeordnet werden. Für diese Klagen, die vor County Courts gebracht werden, existieren, anders als für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten oder „personal injury claims“ (Personenschäden), keine speziellen pre-action protocols. In der small claim track kann kein Gebrauch von der Part 36 offer gemacht werden.4 Zudem sind die Rechtskosten der Parteien, in Abweichung zu der sonst üblichen loser pays-Regel, nicht erstattungsfähig.5 Eine unangemessene Verweigerung von ADR kann das Gericht daher nicht effektiv durch eine nachteilige Kostenentscheidung sanktionieren. Änderungen könnten sich indes durch die Einführung des Online Court ergeben, der in England und Wales bis Ende 2023 eingeführt werden soll. 1. ADR entzieht den Zivilgerichten keine Verbraucherstreitigkeiten Mit Blick auf Verbraucherstreitigkeiten ist in England kein – jedenfalls politisch nicht intendierter – erheblicher Verdrängungswettbewerb außergerichtlicher und gerichtlicher Streitbeilegung zu erkennen. Vielmehr bietet ADR Verbrauchern in Situationen Rechtsschutz, in denen sie angesichts hoher Prozesskosten rationalapathisch auf eine gerichtliche Rechtsverfolgung verzichtet hätten. Die Umsetzung der ADR-Richtlinie bewirkte insofern keine Änderungen, da das sektorspezifische ADR-Angebot bereits zuvor bestand.6 Mit Blick auf die etablierten sektorspezifischen Ombudsstellen mit enormen Beschwerdeaufkommen, speziell dem FOS, ist jedoch zu vermerken, dass nahezu keine Verbraucherstreitigkeiten aus diesen Zuständigkeitsbereichen die Gerichte erreichen. Da den Beschwerden, gerade im Finanz- und Versicherungssektor, partiell beträchtliche Streitwerte zugrunde liegen, ist auch davon auszugehen, dass ein Teil dieser Streitigkeiten vor Gericht landen würde.7 Ein Wettbewerb besteht aber jedenfalls insofern nicht, als dass die Ziviljustiz um die Klärung entsprechender Streitigkeiten werben würde. 4 Die Regelungen der Part 36 offer finden keine Anwendung in small claim track, r. 27.2(g) CPR; hierzu bereits oben unter Kap. 4 C. V. 1. b). 5 Dies regelt r. 27.14(2) CPR für die small claim track. In der fast track erfolgt der Ersatz von Prozesskosten nach streitwertabhängigen Pauschalen, vgl. rr. 45.37–45.40 CPR. 6 Eine Ausnahme bilden insofern nur die ADR-Verfahren zur Bewältigung von Streitigkeiten im Luftfahrtsektor, die erst in Umsetzung der ADR-Richtlinie von der CAA anerkannt wurden. 7 So sprach FOS Verbrauchern im Geschäftsjahr 2016/17 in 15,5 % der finalen Entschei-
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
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Die Quartalsstatistiken der Ziviljustiz8 lassen – wenngleich sie für die vorliegende Fragestellung nur wenig aussagekräftig sind – ebenfalls keinen Verdrängungswettbewerb erkennen. Für die County Courts in England und Wales lag die Klageeingangszahl in den letzten Jahren zwischen 1,5–2 Millionen. Nach einem Tiefpunkt von 1 394 230 Neueingängen im Jahr 2012 sind die Fallzahlen stetig gestiegen und erreichten im Jahr 2018 einen Höhepunkt. Im Jahr 2019 ist die Klageeingangszahl um –2 % auf 2 029 258 gefallen. Da die Statistik nicht zwischen Klagegegenständen und Parteien unterscheidet, lässt sich die Anzahl der Verbraucherstreitigkeiten nicht gesondert identifizieren. Gleichzeitig zeigt die Statistik, dass das Idealbild der Streitbeilegung durch ein streitiges Urteil eher eine romantische Vorstellung bleibt.9 In nur etwa 15 % der Fälle zeigen Beklagte ihre Verteidigungsbereitschaft an. Zu einer mündlichen Verhandlung (trial) kommt es gar nur in etwa 3 % der Klagen. Der größte Teil der Verfahren wird per Versäumnisurteil entschieden oder nach Klageerhebung verglichen.10 Diese Zahlen sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Kosten für die Klageerhebung selbst, die bis zu einem Streitwert von GBP 100 000 nunmehr auch online möglich ist, relativ gering sind.11 Die Klageerhebung, für die es keiner rechtlichen Vertretung bedarf, erweist sich angesichts der hohen Rate von Versäumnisurteilen und Vergleichen daher als effektives Mittel, um den Anspruchsgegner an den Verhandlungstisch zu bringen.12 Eskaliert der Streit, kommen auf die Parteien indes weitere Gerichtskosten sowie Kosten für die rechtliche Vertretung zu. Nur in 15–20 % der Fälle lässt sich keine der Streitparteien anwaltlich vertreten. Schließlich beträgt der Zeitraum zwischen Klagerhebung und trial im Durchschnitt zwischen 33 Wochen (small claim track) und 56 Wochen (fast track und multi track), sodass ein Vergleich der Parteien eine wesentlich schnellere Lösung bieten kann. dungen eine Summe von GBP 1 000-GBP 25 000 zu; in 2,5 % der finalen Entscheidungen waren es sogar mehr als GBP 25 000; unberücksichtigt bleiben dabei die Entscheidungen, in denen Unternehmen aufgetragen wurde, Verbraucher nach einer bestimmten Formel zu entschädigen (46,5 % der finalen Entscheidungen), FOS, Annual Review 2016/2017, 2017, S. 56. 8 Abrufbar unter https://www.gov.uk/government/collections/civil-justice-statistics-quart erly. 9 Diese Vorstellung, dass sich Gerichtsverfahren tatsächlich nur den Zielen der Öffentlichkeit verpflichten, als „litigation romanticism“ bezeichnend, Menkel-Meadow, Cornell L. Rev. 80 (1995), 1159, 1173; dies., Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2669. 10 Etwa 80–90 % der Urteile sind Versäumnisurteile. Die Anzahl der Urteile stieg seit einem Tief im Jahr 2012 (663 457 Urteil) zu einem neuen Spitzenwert im Jahr 2018 (1 291 142 Urteile) an. 11 Die Gerichtskosten für online erhobene Klagen in der small claim track betragen mindestens GBP 25 (bis zu einem Streitwert von GBP 300) bis maximal GBP 410 (bis zu einem Streitwert von GBP 10 000). Die Gebühren für schriftlich eingereichte Klagen sind GBP 10–45 höher, vgl. zu den Gerichtskosten, https://www.gov.uk/make-court-claim-for-m oney/court-fees. 12 So auch Roberts, MLR 63 (2000), 739, 743: „Litigation has come to be the chosen vehicle for settlement-directed negotiations.“.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
2. Keine gerichtliche Verweisung in gerichtsferne ADR-Verfahren Erreicht eine Beschwerde das Gericht, bleibt die Streitigkeit im gerichtlichen Umfeld. Die Entscheidung, ob eine Streitigkeit zu Gericht oder zu einer ADRStelle gebracht wird, entscheidet sich daher schon vor Klageerhebung. Die Verweisung einer Streitigkeit zu einer ADR-Stelle unter Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens wird eine seltene Ausnahme bleiben und wäre ohnehin nur mit Zustimmung aller Parteien möglich.13 Wird der Gerichtsweg bestritten, sollen evaluative ADR-Verfahren nur von Richtern durchgeführt werden.14 Gerichtlich wird in der Regel nur gerichtsinterne oder -nahe, nicht aber gerichtsferne ADR vorgeschlagen. Im Rahmen der small claim track wird Klägern ADR beziehungsweise eine einvernehmliche Streitbeilegung durch den Fragebogen zur Klageallokation [allocation questionnaire (N149)] angeraten15 und empfohlen, vom Small Claims Mediation Service Gebrauch zu machen. Diese einstündige, meist telefonisch durchgeführte Mediation ist für die Parteien kostenlos und weist eine hohe Vergleichsquote und Parteienzufriedenheit auf.16 Weiterhin ist es dem Richter möglich, den Parteien die Durchführung einer Mediation vorzuschlagen, sofern sich die Streitigkeit seines Erachtens für eine Mediation eignet und das Gerichtsverfahren zu diesem Zwecke auszusetzen. Hierzu können die Parteien jedoch nicht gezwungen werden. 3. Änderungen durch den Online Court für England und Wales Die Einführung des Online Courts17 für England und Wales bis Ende 2023 könnte die Beziehungen zwischen Ziviljustiz und gerichtsferner ADR verändern. Denn es ist gerade Ziel des onlinebasierten Verfahrens, Streitigkeiten frühestmöglich passenden ADR-Verfahren zuzuordnen. Die Parteien könnten schon bei Antragstellung oder auf der zweiten Stufe durch den Case Officer auf einschlägige sektorspezifische ADR-Verfahren verwiesen werden. In diesem Zusammenhang sind auch Kostensanktionen für Antragsteller, die ihre Beschwerde nicht zu einer einschlägigen gerichtsfernen Ombudsstelle bringen, nicht auszuschließen.18
13 Siehe etwa DISP 3.3.4R(9) FCA Handbook; para. 7.1 Terms of Reference Ombudsman Service. 14 Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.56. 15 Die Klageerledigung durch einen Vergleich wird hier in den Fokus gerückt, so Roberts, Oxford Journal of Legal Studies 29 (2009), 457, 464, in dessen Studie sich 46 % der Fälle erledigt haben. 16 Vgl. die Studien von Prince, C.J.Q. 32 (2007), 328 ff.; Genn/Fenn/Mason u.a., Twisting arms, 2007; in gebotener Kürze auch Prince, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 79, 91–93. 17 Zum Online Court für England und Wales bereits oben unter Kap. 4 C. V. 1. d). 18 So die fünfte Empfehlung (R5) des Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.14.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
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Etwaige Kostensanktionen für Verbraucher sind in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen beschränken solche Sanktionen wohl in nicht zu rechtfertigenderweise das grundrechtlich durch Art. 6 EMRK und Art. 47 GRCh gewährleistete Recht der Verbraucher auf Zugang zu den Gerichten. Etwas anderes könnte nur für gesetzlich statuierte Ombudsstellen gelten, die von der Rechtsprechung bereits als Gericht im Sinne des Art. 6 EMRK behandelt wurden.19 Zum anderen könnten Kostensanktionen im Widerspruch zu Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie stehen, wonach der Verbraucher jederzeit berechtigt ist, ein Schlichtungsverfahren abzubrechen. Unter Heranziehung der Kriterien des EuGH in Menini20 ließe sich noch argumentieren, dass sich die Freiwilligkeit nicht auf die anfängliche Verfahrenseinleitung bezieht, eine anfängliche Verweigerung daher sanktioniert werden könne. Allerdings ist die Antragstellung in einem Ombudsverfahren deutlich arbeitsund zeitintensiver als ein informales Treffen mit einem Mediator, sodass hiermit eine ungleich wesentlichere Beschränkung des Gerichtswegs einherginge. Überdies zielt das evaluative Ombudsverfahren, anders als die Mediation, nicht nur auf eine Vermittlung des Konflikts, sondern letztlich auf eine rechtsorientierte Streitlösung ab. 4. Entlastung der Gerichte durch ADR Zweifelsohne entlastet ADR, insbesondere durch gerichtsnahe und -interne Mediation, die Gerichte. Die Vergleichsrate nach Klageerhebung ist hoch, was insbesondere den gerichtlichen Maßnahmen geschuldet ist, die Parteien zur Nutzung von ADR zu ermutigen. Es kann in Bezug auf England daher nicht plausibel behauptet werden, dass auf Verbraucherstreitigkeiten zugeschnittene, gerichtsferne ADR-Verfahren eine Gefahr für die Ziviljustiz darstellen, weil sie der Rechtsprechung Streitigkeiten entziehen würden. Im Gegenteil sind etwaige Verdrängungswirkungen, sofern diese überhaupt wesentlich sind, politisch intendiert und von der Ziviljustiz selbst gesteuert. In diesem Sinne wird der Zivilprozess letztlich „ADRized“.21 Sofern man diese Entlastung der Gerichte als problematisch für das Ziviljustizsystem erachtet, so sind es die Gerichte selbst, die ihre Case-Management-Befugnisse als „Werkzeug gegen sich selbst“ einsetzen.
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Vgl. bereits oben unter Kap. 4 B. I. 3. c). EuGH, Urt. v. 14.6.2017 – C-75/16, ECLI:EU:C:2017:457 = EuZW 2017, 736 – Menini; hierzu schon oben unter Kap. 4 B. I. 3. b). 21 So die passende Begrifflichkeit der US-amerikanischen Literatur für die Integration von ADR in das Zivilgerichtssystem, Stempel, Ohio St. J. on Disp. Resol. 11 (1996), 297, 300; Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329, 389. Gleichzeitig erkennen die Autoren eine Tendenz hin zur Verrechtlichung von ADR-Verfahren, die sie als „litigization of ADR“ bezeichnen. 20
372
Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
II. Rückwirkungen auf das Präzedenzrecht und den Rechtsstaat Der Blick auf das englische Common Law wirft zwangsläufig die Frage auf, wie sich die politisch intendierte Verdrängung von Streitigkeiten in die außergerichtliche Streitbeilegung auf die im Allgemeininteresse liegenden rechtsstaatlichen Funktionen der Rechtsprechung auswirkt. Die Etablierung eines umfassenden ADR-Systems für Verbraucherstreitigkeiten könnte insofern die Entwicklung des Präzedenzsystems gefährden und damit an der Maxime der „stare decisis“ als eine der Grundpfeiler der englischen Rechtsordnung wackeln. Die englischsprachige Literatur birgt einen umfangreichen Schlagabtausch über das Für und Wider des Einsatzes von ADR, der jedoch den Spezifika der Verbraucherstreitbeilegung nur begrenzt Rechnung trägt. Der Diskurs ist um die spezifischen Charakteristika der Verbraucherstreitbeilegung, das heißt insbesondere Transparenz, Rechtsorientierung, staatliche Aufsicht und die Berücksichtigung struktureller Ungleichgewichtslagen, zu erweitern. ADR versucht so die Stärken staatlicher Rechtsprechung aufzugreifen und zu kompensieren. 1. Staatliche Rechtsprechung und Präzedenzsystem als öffentliches Gut Die staatliche Gerichtsbarkeit nimmt in einem jeden Rechtssystem Interessen der Allgemeinheit wahr. Ihre Tätigkeit erschöpft sich nicht in der Befriedigung des rein privaten Streitbeilegungsinteresses der Parteien. Vielmehr ist das Zivilgerichtssystem ein öffentliches Gut, dessen Wert im Common Law darin liegt, Recht beziehungsweise streitige Rechtsfragen verbindlich zu klären und Präzedenzfälle zu schaffen.22 Zwar ist die Rechtsprechung kraft ihrer Autorität und verbindlichen Entscheidungsgewalt im besonderen Maße geeignet, Rechtsfrieden zu fördern, jedoch bewirkt die Klarstellung des Rechts nicht nur Frieden inter partes, sondern beeinflusst gleich gelagerte Streitigkeiten und zukünftige Rechtsverhältnisse.23 Die öffentlichkeitswirksame Rechtsprechung steuert damit das Verhalten der Bevölkerung, das sich – den effektiven Vollzug des materiellen Rechts vorausgesetzt – rechtskonform an den gerichtlichen Entscheidungen ausrichtet.24 Eine effektive Rechtsprechung gebietet zudem die Rule-of-law-Doktrin,25 da sie mit ihrem Präzedenzsystem Rechtsklarheit und -sicherheit gewährleistet und somit sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand fördert.26 Da der Präzedenzrecht22 Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2623; durch Rechtsprechung werden staatsbürgerliche Normen und Werte bestätigt, so Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 16–20; vgl. dies., Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397. 23 Landes/Posner, Legal Studies 8 (1979), 235, 236 bezeichnen diese Aufgabe als „rule creation“; Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2623; Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 16–20. 24 Vgl. Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2623. 25 Clarke, A UK Perspective On EU Civil Justice, 2007, Rn. 4; Bingham, The rule of law, 2010, S. 85; eingehend hierzu Koo, Legal Studies 2018, 1, 3–8. 26 Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 397 f.; Neuberger, The Fourth Keating Lecture, 19.5.2010, Rn. 6.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
373
sprechung nicht nur eine reine Klarstellungsfunktion zukommt, sondern letztlich Richterrecht darstellt, erfüllt sie auch eine politische Kontrollfunktion gegenüber der Legislative und der Exekutive.27 Das Zivilgerichtssystem ist folglich nicht nur eine Dienstleistung, sondern selbst integraler Teil des Staats.28 2. Keine Bindung von ADR an Präzedenzsysteme In ADR-Verfahren besteht weder eine Bindung des Ergebnisinhalts an die Präzedenzfälle des Common Law noch existiert ein ADR eigenes Präzedenzsystem.29 Vor diesem Hintergrund befürchten ADR-Kritiker, dass materielles Recht und damit auch gesellschaftliche Werte und Normen nicht zur Anwendung gelangen, sodass die Nutzung von ADR zur Verwässerung rechtlicher Standards führe.30 Die fehlende Bindung an Präzedenzfälle führt allerdings keineswegs zu rechtsfernen Vergleichen,31 in denen die Parteien zu einem „Halbe-Halbe-Kompromiss“ gezwungen werden. Diese Annahme geht schon deshalb fehl, weil die hälftige Geltendmachung von Ansprüchen stets gute rechtliche Positionen auf beiden Seiten sowie gleiche Machtverhältnisse zwischen den Parteien voraussetzt.32 Zudem sind ADR-Stellen bei der Entscheidungsfindung, sofern sie materielles Recht anwenden, entsprechend dem one meaning principle an die gerichtliche Auslegung der Rechtsnormen gebunden.33
27
So, ohne spezifischen Blick auf das Common Law, Lindblom, ERPL 2008, 63, 73. Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, 6 f.; ders., The Fourth Keating Lecture, 19.5.2010, Rn. 6; ähnlich Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 398: „The public courts and judiciary may not be a public service like health or transport systems, but the judicial system serves the public and the rule of law in a way that transcends private interests.“ 29 Landes/Posner, Legal Studies 8 (1979), 235, 248; Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329, 369; Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 27; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 75; Koo, Legal Studies 2018, 1, 8. 30 Derartige Kritik etwa bei Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2639; Lindblom, ERPL 2008, 63, 75; die Bedeutung der Bekräftigung gesellschaftlicher Normen und Werte durch die Rechtsprechung für das Allgemeinwohl hervorhebend, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 143; dies., Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397. 31 So auch das Votum von Rix LJ, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 88: „That ,fair and reasonable‘ jurisdiction may be flexible [...]: nevertheless, these are concepts long familiar to English law, and, given the legal and industry background to which the scheme rules bid the ombudsman to have regard, it is hard to think that the parties to complaints submitted to the ombudsman’s jurisdiction will find themselves in unrecognised country.“ Insofern wirft das Recht seinen Schatten auf ADR-Verfahren, so zutreffend Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329, 366 in Anlehnung an die Terminologie („shadow of the law“) von Mnookin/Kornhauser, Yale L.J. 88 (1979), 950, 997; ähnlich auch Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 360, der von einer erweiterten Rechtsanwendung durch ADR ausgeht. 32 Dies wird zutreffend erkannt von Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2674. 33 Zum one meaning principle bereits oben unter Kap. 4 E. IV. 1. d) cc). 28
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
Des Weiteren sind nicht strikt an Recht gebundene ADR-Verfahren keineswegs prinzipienlos, sondern stellen die Lösungen des materiellen Rechts durch die Berücksichtigung anderer Kriterien, wie etwa den (außerrechtlichen) Interessen der Parteien, gegebenenfalls in Frage, um individuell gerechte Ergebnisse zu erzielen.34 Diese Prinzipien der Entscheidungsfindung sind dem Common Law keineswegs fremd, denn mit Equity hatte sich bereits eine zweite Rechtsprechung etabliert. Equity sollte die Härten des Common Law dadurch ausgleichen, dass im Einzelfall von materiellem Recht zum Zwecke eines fairen beziehungsweise interessengerechten Ergebnisses abgewichen werden konnte.35 Die gleichen Ziele verfolgt letztlich der englische Fair-and-reasonable-Standard in England. Die fehlende Bindung von ADR an das Präzedenzrecht wird daher mitunter als vorteilhaft angesehen, um von veralteten, nicht mehr als gerecht empfundenen, materiell-rechtlichen Standards abweichen zu können.36 Anders als Equity versucht ADR nicht primär die Härten des Common Law auszugleichen, sondern rechtsorientierte faire Ergebnisse zu erzielen. ADR agiert damit nicht zwangsläufig im Schatten des Rechts, sondern nur im Schatten der Gerichte.37 Entscheidender als eine materielle Rechtsbindung ist eine konsistente Entscheidungspraxis in ADR-Verfahren, die unerlässlich ist, um das Vertrauen der Parteien und der Allgemeinheit in ADR zu gewinnen.38 Ungeachtet der fehlenden Präzedenzbindung orientieren sich Verfahrensergebnisse daher sowohl an der eigenen Entscheidungspraxis als auch an der relevanten Rechtsprechung.39 Solche Systeme konsistenter und normsetzender Entscheidungen werden mit der Bezeichnung „ombudsprudence“ gelegentlich sogar in die Nähe eines eigenen, parallel zur Rechtsprechung existierenden Präzedenzrechts gebracht.40
34
Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2676 f.; Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329,
398. 35 Equity folgte damit grundsätzlich dem materiellen Recht. Die höchst interessanten Parallelen zwischen Equity und ADR sowie die Ersatzfunktion von ADR für Equity, zieht Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329, 369–372; eine ähnliche Ergänzung des Common Law durch ADR sieht auch Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2692, die Vergleiche als „another ,principled‘ supplement to our common law system“ sieht. 36 So Buck/Kirkham/Thompson, The Ombudsman Enterprise and Administrative Justice, 2011, S. 37. 37 Zutreffend Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2678. 38 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 427; Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 27 f.; Buck/Kirkham/Thompson, The Ombudsman Enterprise and Administrative Justice, 2011, S. 45. 39 Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2680; Corte´s, The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 75. 40 So Kirkham, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 297, 314; von einem „ombudsman case law“ sprechend, The Law Commission, Insurance Contract Law: Issues Paper 1, Misrepresentation and Non-Disclosure, 2006, 5.24; ein Präzedenzrecht in der Verbraucherstreitbeilegung befürworten auch Hodges/
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
375
Rix LJ spricht insofern von einer „fair and reasonable jurisdiction“ der Ombudsstelle, die nicht nur eine Institution der Streitbeilegung, sondern eine neue Rechtsquelle (new important source of law) sei.41 Dies kann allerdings nur in Bezug auf gesetzlich statuierte Ombudsstellen gelten, deren Entscheidungen gerichtlich überprüfbar sind. Als anerkannte Rechtsquelle42 oder persuasive authority wurden die entwickelten Prinzipien und Standards von Ombudsstellen bislang – wenig überraschend – noch nicht herangezogen.43 Entscheidungen von Ombudsstellen könnten aufgrund des Beibringungsgrundsatzes im englischen Zivilprozess ohnehin nur bei entsprechendem Parteivortrag berücksichtigt werden. Trotz des notwendigen Bestrebens nach konsistenten Entscheidungen ist vor einer unnötig strikten Bindung an die eigene Entscheidungspraxis und damit einer Verrechtlichung des Verfahrens zu warnen.44 Einerseits entstünde ein komplexes System an Entscheidungen, dessen Koordinierung zusätzliche Kosten verursacht. Andererseits mag ein Präzedenzsystem wenig sinnvoll sein, wenn Abweichungen hiervon, etwa aufgrund des konkreten Sachverhalts einer Beschwerde oder zu berücksichtigender Unsicherheiten respektive persönlicher Umstände, unschwer möglich wären. Ähnliche Umstände wurden bereits der Equity-Rechtsprechung in den USA zum Verhängnis, die unter der Last der eigenen Präzedenzfälle und zunehmend verrechtlichten Prozessen kollabierte.45 3. Bedeutungsverlust der gerichtlichen Entscheidung Die englischen Ziviljustizreformen, die darauf zielten, Streitigkeiten von den Gerichten fernzuhalten oder schnellstmöglichen zu vergleichen, haben kontinuierlich sowohl zu einem zahlenmäßigen als auch ideellen Bedeutungsverlust finaler Gerichtsentscheidungen geführt.46 Traditionell wird der weit überwiegende AnBenöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 423, 445; ein Verweis auf den Begriff „ombudsprudence“ findet sich auch bei Stürner, in: Stürner/ Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 29. 41 Votum von Rix LJ, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 87. 42 Zu den herkömmlichen Rechtsquellen der englischen Rechtsordnung gehören insbesondere Gesetzesrecht (legislation), Case Law, Equity sowie die Books of Authority. 43 Zumindest sind dem Autor keine solchen Gerichtsentscheidungen bekannt. Dies verwundert, angesichts der restriktiven Tradition englischer Gerichte im Umgang mit nicht zwingend zu berücksichtigenden Rechtsquellen, kaum. 44 So das Votum von Rix LJ, R. (on the application of Heather Moor & Edgecomb Ltd) v The Financial Ombudsman Service Ltd [2008] EWCA Civ 642, 2008 WL 2311242 Rn. 89, der die Flexibilität des Entscheidungsstandards der Ombudsstelle als Voraussetzung für wertvolle neue Ideen sieht: „[...] an efficient and cost-effective and relatively informal type of alternative dispute resolution should not be stifled by the imposition of legal doctrine“. 45 So Main, U. Cin. L. Rev. 74 (2005), 329, 398 f. m. w. N., der deshalb vor einer zunehmenden Verrechtlichung von ADR warnt. 46 So spricht Roberts, Oxford Journal of Legal Studies 29 (2009), 457, 479 davon, dass
376
Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
teil rechtshängiger Ansprüche nicht verteidigt oder verglichen. Die finale Streitentscheidung bleibt die Ausnahme und wird nur selten in der nächsten Instanz angegriffen.47 Ideell scheint das private Streitbeilegungsinteresse das öffentliche Interesse an Präzedenzbildung zu überlagern, das daher mitunter auch als bloßes Nebenprodukt der gerichtlichen Tätigkeit wahrgenommen wird.48 Der Einsatz gerichtsnaher oder -interner ADR zum Zwecke einer einvernehmlichen Streitbeilegung stellt als solche noch keine Gefahr für die Weiterentwicklung des Rechts dar. Streitigkeiten bergen nur vereinzelt Präzedenzpotenzial und Parteien wird ohnehin meist das Interesse an der Eskalation eines langwierigen, kostspieligen Rechtsstreits durch mehrere Instanzen fehlen.49 Ein Mehr an ADR bedeutet damit nicht zwangsläufig ein weniger an Präzedenzfällen. Vielmehr ist die Ziviljustiz so zu strukturieren, dass der Rechtsprechung rechtsgrundsätzliche Fragestellungen zugeführt werden.50 Der englische Zivilprozess bietet durchaus Möglichkeiten, Streitigkeiten mit allgemeinbedeutenden Fragestellungen zu identifizieren. So sind Fälle mit rechtsgrundsätzlicher Fragestellung im Rahmen der Entscheidung über die Klagezuweisung zu einer track stets als für ADR ungeeignet einzustufen. Gleiches gilt für die Beurteilung der Verweigerung von ADR nach den Halsey-Kriterien.51 Im Falle einer rechtsgrundsätzlichen Streitigkeit steht es den Parteien mithin frei, die Teilnahme an einem ADR-Verfahren sanktionslos zu verweigern. Praktisch werden die Richter der County Courts nur wenig Zeit haben, Fälle intensiv auf rechtsgrundsätzliche Fragestellungen zu beleuchten.52 Dies würde detaillierte, unverzüglich abrufbare Kenntnisse über die konkrete Rechtslage voraussetzen.53 Dies gilt umso mehr, als dass wichtige Argumente und Rechtsfragen bei geringem Streitwert nur selten in einer Klageschrift herauskristallisiert
Gerichte zunehmend lediglich einen symbolischen Charakter einnehmen, in denen Richter nur noch zeremoniellen Zwecken dienten. 47 Vgl. oben Kap. 2 A. I. 48 Hierzu Landes/Posner, Legal Studies 8 (1979), 235, 236; Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 63 f. 49 Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 63; ähnlich mit Bezug zum Interesse am Ergebnisinhalt, Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2676. 50 Zutreffend Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 74 f. 51 Demnach ist die Verweigerung von ADR nicht unangemessen, wenn bei der Streitigkeit die Klärung einer Rechtsfrage oder die Schaffung eines Präzedenzfalls sinnvoll erscheint, Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576, [2004], 1 W.L.R. 3002 Rn. 17 (per LJ Dyson), wobei die meisten Fälle ihrem Wesen nach nicht ungeeignet für ADR seien. 52 Hinzu kommt, dass keine Rechtsbehelfe gegen Zuweisungsentscheidungen zur Verfügung stehen, Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 67. 53 Das Gericht kann im Verfahren jedoch einen „advocate to the court“ hinzuziehen, wenn es befürchtet, dass die relevanten Argumente zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht vollständig beigebracht werden, s. hierzu Lord Goldsmith, Advocate to the Court, Law Society Gazette (London, 1.2.2002), abrufbar unter https://www.lawgazette.co.uk/news/not ice/36039.article; Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 66.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
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sein werden, speziell wenn Kläger ohne rechtliche Vertretung als litigant in person agieren.54 Angesichts des hohen Anteils nicht verteidigter Klagen im englischen Zivilprozess, scheinen frühe rechtliche Ausführungen ohnehin überflüssig. Dennoch sind bei der Entscheidung über die Klagezuweisung die Komplexität des Sachverhalts sowie die Bedeutung der Klage für nicht am Verfahren beteiligte Dritte zu berücksichtigen.55 Im Zweifelsfall entscheiden sich Richter – nicht zuletzt im Anblick der eigenen Arbeitslast – eher für als gegen ADR.56 Nur die wenigsten Fälle erreichen die oberen gerichtlichen Instanzen. Die politischen Bemühungen, die Appeal-Strukturen zu rationalisieren, führten zu einem vorgeschalteten Zulassungsverfahren, das durchaus dazu geeignet ist, die bedeutenden Fälle herauszufiltern.57 Die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidungen des Court of Appeal ist jedoch eine seltene Ausnahme, sodass der Supreme Court auf der zweiten Rechtsmittelinstanz jährlich nur über 80–90 handverlesene Fälle entscheidet.58 Verbesserungswürdig sind jedoch die Kriterien zur Nutzung der nur selten in Anspruch genommenen Sprungrevision (leapfrog procedure) sowie zur Identifizierung von Fällen mit Präzedenzpotenzial.59 Etwas widersprüchlich erscheint es, dass ADR selbst auf der Rechtsmittelinstanz durch das Mediation Scheme des Court of Appeal Bedeutung erlangt, obwohl die nur in engen Grenzen zugelassenen Rechtsmittel besonders auch öffentliche Zwecke verfolgen. Die geringe Resonanz des Mediationsangebots bei den Parteien verwundert daher nicht.60 Die gerichtsinternen Strukturen zur Identifizierung präzedenzträchtiger Fälle greifen freilich nur, wenn Streitigkeiten ihren Weg zu den Gerichten finden, wofür Individualklägern jedoch nur wenig Anreize geboten werden. Die fehlende Attraktivität des englischen Zivilprozesses ist nicht zuletzt der sehr restriktiven Gewährung von legal aid (Prozesskostenhilfe) geschuldet.61 Legal aid wird weder 54 Die Allokation eines Verfahrens zur small oder fast track mag daher die Entwicklung von präzedenzsetzenden Argumenten ernsthaft behindern, Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 66. 55 r. 26.8(c), (g) CPR. 56 Im Zweifelsfall seien Streitigkeiten eher geeignet als ungeeignet für ADR, so Halsey v Milton Keynes General NHS Trust [2004] EWCA Civ 576 [2004], 1 W.L.R. 3002 Rn. 17 (per LJ Dyson); hierzu auch Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 70. 57 Auch hier bedeuten weniger Fälle nicht gleich weniger Präzedenzfälle, sofern der Appeal in den wichtigen Fällen zugelassen wird, zumal den Court of Appeal in der Vergangenheit viele Fälle ohne wirkliche Erfolgschance erreicht haben, Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 75. 58 Drewry/Blom-Cooper/Blake u.a., The Court of Appeal, 2007, S. 149; Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 75. 59 Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 75. 60 Mit einer eingehenden Studie zum Mediation scheme des Court of Appeal, Genn, Courtbased ADR Initiatives for Non-family Civil Disputes, 2002, S. 69–99, nach der die Parteien die Verweigerung einer Mediation zumeist darauf stützen, dass ein Urteil im öffentlichen Interesse liegt oder zur Klärung einer Rechtsfrage dienen soll. Diesen Aspekt ebenfalls hervorhebend, Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 76. 61 Kritisch zur schrittweisen Kürzung von Prozesskostenhilfe für zivilrechtliche Ansprü-
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
in Verfahren der small claim track62 noch dann gewährt, wenn sich alternativ eine sektorspezifische Ombudsstelle oder andere ADR-Mechanismen der Streitigkeit annehmen könnten.63 Angesichts hoher Anwaltskosten erreichen Streitigkeiten durchschnittlicher Verbraucher die Gerichte daher meist nur, wenn diese als litigants in person klagen. Die englische Ziviljustiz hat daher in der Tat mit einem Bedeutungsverlust für Verbraucherstreitigkeiten in bestimmten Wirtschaftsbereichen, wie etwa im Finanzsektor, zu kämpfen.64 Dieser ist jedoch weniger auf eine starke ADR-Landschaft als auf den politisch beabsichtigten Druck zurückzuführen, Streitigkeiten von den Gerichten fernzuhalten. 4. ADR: der nur gefühlte Feind des Präzedenzsystems Gerne wird ADR kurzerhand als Gefahr für das Präzedenzsystem und damit für den Rechtsstaat dämonisiert. Wenngleich die private, nicht rechtsgebundene Streitbeilegung die Bildung neuer Präzedenzfälle zweifelsohne nicht sicherzustellen vermag, läge es, wie bereits gezeigt, an der englischen Ziviljustiz, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um einer Prozessflucht vorzubeugen und Streitigkeiten mit Präzedenzpotenzial der oberinstanzlichen Rechtsprechung zuzuführen. Es greift zu kurz, jeden verglichenen Anspruch als verpasste Gelegenheit für das Präzedenzrecht zu betrachten. a) Spezifika des rechtsordnungsübergreifenden angelsächsischen Diskurses Im Diskurs über die Stellung von ADR im Rechtsschutzsystem in verschiedenen angelsächsischen Rechtsordnungen scheinen die Fronten in den USA weitaus verhärteter, als dies im Vereinigten Königreich der Fall ist. Während der angloamerikanische Diskurs auf beiden Seiten von scharfer Rhetorik und überspitzten Darstellungen geprägt ist, wird im englischen Diskurs die Bedeutung des Ziviljustizsystems in weniger emotionaler Weise hervorgehoben, die Notwendigkeit von ADR angesichts hoher Prozesskosten indes nicht verkannt.
che, Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 38–45; dies., Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 403; Thornberg, C.J.Q. 30 (2011), 74, 79 ff.; Koo, Legal Studies 2018, 1, 9 f.; s. auch die Kritik bei Mulcahy, Oxford Journal of Legal Studies 33 (2013), 59, 67; Higgins, C.J.Q. 34 (2015), 221, 226; Shipman, C.J.Q. 32 (2013), 470, 473 f. 62 reg. 39(f) The Civil Legal Aid (Merits Criteria) Regulations 2013. 63 reg. 39(d) The Civil Legal Aid (Merits Criteria) Regulations 2013: „An individual may qualify for legal representation only if the Director is satisfied that [...] the he individual has exhausted all reasonable alternatives to bringing proceedings including any complaints system, ombudsman scheme or other form of alternative dispute resolution“. Zu den entsprechenden vorangehenden Anweisungen der Legal Service Commission, statt vieler Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 403; Koo, Legal Studies 2018, 1, 9 f. 64 Etwas zu weit geht hingegen die Aussage von Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 362, der behauptet, dass Gerichte und Anwälte im C2B-Bereich in vielen Mitgliedstaaten, einschließlich des Vereinigten Königreich, bereits obsolet seien.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
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Die verschärfte Pro-Vergleichs-Rhetorik US-amerikanischer ADR-Befürworter ist der – im Vergleich zu England – heftigen Kritik an der Ziviljustiz und speziell den Praktiken der Anwaltschaft geschuldet.65 Anders als im Vereinigten Königreich beziehen sich die Kritiker von Vergleichen besonders auf die gängige Praxis, Massenverfahren vertraulich und ohne Klärung von Rechtsfragen zu vergleichen und heben daher ein Transparenzproblem von ADR hervor.66 Die Rückwirkungen von Vergleichen in Massenverfahren mit allgemeiner Bedeutung können potenziell daher ungleich größer sein. b) ADR-Systeme entsprechen rechtsstaatlichen Vorgaben Die nach den Vorgaben der ADR-Richtlinie beziehungsweise der ADR Regulations anerkannten ADR-Stelle begründen als solche keine Gefahr für den Rechtsstaat. Die gegensätzliche Kritik beruht auf der These, das Präzedenzsystem und damit auch der Rechtsstaat würden dadurch gefährdet, dass unzureichende Transparenz, Rechtsbindung und Qualitätsstandards zu einer Benachteiligung der schwächeren Parteien führten. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Vorgaben der ADR-Richtlinie ausreichen, um rechtsstaatliche Mindestgarantien zu gewährleisten. Hierzu gehören unter anderem die Anforderungen an die Qualifikation sowie an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der verfahrensleitenden Personen. Die Transparenz der ADR-Stellen wird gegenüber dem – vorliegend nur wenig bedeutenden – nicht regulierten ADR-Sektor durch jährliche Berichtspflichten erhöht, die zwar verschärft werden könnten, allerdings von vielen ADR-Stellen über das obligatorische Maß hinaus erfüllt werden und Einsicht in Entscheidungen und Verfahrensabläufe geben. Eine konsistente Entscheidungspraxis ist unerlässlich für das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern. Aus gleichem Grunde ist die Entscheidungsfindung grundsätzlich rechtsorientiert, wenngleich Unsicherheiten im Sachverhalt und der Rechtslage in das Verfahrensergebnis mit eingepreist werden. Hervorzuheben sind die Bemühungen, Verbrauchern mit ADR eine niedrigschwellige Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen. Die informellen Verfahrensstrukturen und die Kostenfreiheit für Verbraucher sind darauf ausgerichtet und dazu geeignet, eine gegebenenfalls bestehende soziale und wirtschaftliche Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber Unternehmen zu kompensieren.67 Die Kritik, dass ADR die schwächere Partei benachteilige, weil sie ihre Erfolgschancen 65 Dies umfasst unter anderem die Kritik an einer klagewütigen und unzivilisierten Anwaltschaft; zum Einfluss der Ressentiments gegen die Anwaltschaft auf die Entwicklung von ADR in den USA, Stempel, Ohio St. J. on Disp. Resol. 11 (1996), 297, 313–315; mit Kritik an der Monetarisierung der Streitigkeiten durch Anwälte, Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2642; vgl. auch Main, 333, 359 m. w. N. 66 Hierzu Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2666; Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2631; Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1080. 67 Siehe oben unter Kap. 3 C. III.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
nicht in gleichem Maße einschätzen könne, auf schnelles Geld angewiesen sei und einen alternativen Prozess nicht finanzieren könnte,68 greifen daher nicht in gleichem Maße, wie für nicht regulierte, rein vermittelnde ADR-Verfahren. Die in der Regel evaluativen Verfahren gewährleisten, dass sich ein Vergleich der Parteien primär an materiellem Recht und Billigkeitserwägungen orientiert und eben nicht die Verhandlungsstärke einer der Parteien entscheiden lässt. c) Kompensation fehlenden Präzedenzrechts ADR-Mechanismen können und sollen die Ziviljustiz nicht substituieren.69 Die allein der Gerichtsbarkeit vorbehaltenen öffentlichen Funktionen, das Recht verbindlich zu interpretieren und begründet festzustellen sowie öffentlichkeitswirksame Präzedenzfälle zu schaffen, sind unbestritten.70 Weder kann ADR diese staatliche Autorität ersetzen noch dient ADR primär der Rechtsdurchsetzung.71 Gleichwohl ist ADR geeignet, einige Funktionen der Rechtsprechung zu übernehmen und verbessert somit nicht nur den Zugang zum Recht für normale Bürger, sondern leistet damit auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einen positiven Beitrag für die Rechtsordnung, anstatt ihr zu schaden. Die Kritik an ADR, dass Vergleiche nur ein unzureichendes Substitut für staatliche Gerichtsurteile und nicht zur Herstellung von „substantive justice“ (materieller Gerechtigkeit) geeignet seien, greift zu kurz.72 Diese Vorwürfe sind einerseits durch das zumindest simplifizierte Idealbild geprägt, der Zivilprozess führe – ungeachtet der hohen Vergleichsquote – zielgerichtet zu einem rechtsgebunden Streiturteil. Anderseits bezieht sich die Kritik primär auf rein vermittelnde ADR-Verfahren, wie die Mediation, in denen rechtliche Kriterien durch die Parteieninteressen überlagert werden. Zudem unterliegen solche Mechanismen keiner staatlichen Aufsicht. Dass ADR die gerichtliche Streitbeilegungsaufgabe samt ihrer sozialen Befriedungsfunktion wahrnehmen kann, dürfte kaum bezweifelt werden. 68 So die Kritik und Begründung bei Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1076; in diese Richtung auch Lindblom, ERPL 2008, 63, 75: „equality of arms cannot be guaranteed“. Schon diese grundlegende Annahme, dass „litigation“ besser geeignet sei, Waffengleichheit zu gewährleisten, kritisiert Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2687 f., da es auch in Gerichtsverfahren meist die privaten und nicht die öffentlichen Ressourcen oder der öffentliche Diskurs über den Ausgang des Verfahrens entscheiden. Den grundsätzlichen Einfluss privater Ressourcen auf das Gerichtsverfahren sieht auch Galanter, Law & Soc’y Rev. 9 (1974), 95 ff. 69 Die Aufgaben der Zivilgerichtsbarkeit gehen damit weiter, insofern zutreffend, Landes/ Posner, Legal Studies 8 (1979), 235, 238–240; Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2647; Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1085; Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, 11–14. 70 In diese Richtung auch Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 362. 71 So auch Basedow, JZ 2018, 1, 7: „Rechtsdurchsetzung ist dann ein Reflex der Streitbeilegung.“ 72 Derartige Kritik bei Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1088; Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 411.
A. Rückwirkungen auf die englische Rechtsordnung
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In evaluativen Ombudsverfahren, die primär an rechtlichen Kriterien ausgerichtet sind, kann durchaus Individualgerechtigkeit hergestellt werden. Liegt dem Vergleich der Parteien ein rechtlich fundierter Lösungsvorschlag zugrunde, ist das Ergebnis nicht nur auf eine „Ersatzgerechtigkeit“ fixiert. Rechtsanwendung ist damit nicht nur bloßer Zufall.73 Insofern wird vermittelnd angeführt, dass ADR ein individuelles Gerechtigkeitskonzept vertrete und Werte wie „procedural, subjective, preventive“ und „practical justice“ zu verfolgen versuche.74 In der Tat verfolgt ADR, gerade in England, primär das Ziel der Verfahrensgerechtigkeit sowie pragmatische Lösungen, da aber auch diesen Lösungen zuvörderst materielle-rechtliche Kriterien zugrunde liegen, muss dies einem individualgerechten Ergebnis nicht widersprechen.75 Dies gilt gerade in Fällen mit klarer Sachund Rechtslage. In Fällen mit unklaren Fakten mag man dagegen von einer „precise justice“76 sprechen, da eine Schlichtungslösung Unsicherheiten einpreisen kann und damit nicht zwangsläufig zwischen Gewinner und Verlierer unterscheiden muss.77 Die notwendige Effizienz von ADR erfordert einen pragmatischen und flexiblen Umgang mit Unsicherheiten, der über eine individualgerechte Lösung gestellt wird. Differenzierter sind freilich die Verfahren zu betrachten, in denen die Streitlösung zwar mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt, ein informaler, rechtlich wenig fundierter Lösungsvorschlag dies aber weder für die Parteien noch für die Öffentlichkeit erkennen lässt. Damit von einem Lösungsvorschlag überhaupt Indizwirkung für künftige Streitigkeiten und für rechtskonformes Verhalten ausgehen kann, sollten die zur Anwendung kommenden rechtlichen Prinzipien klar benannt werden. Andernfalls bestünde in der Tat die Gefahr, dass nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die juristische Sprache verloren ginge.78 Sofern rechtliche Entscheidungsbegründungen öffentlich wahrnehmbar sind, kann ADR in begrenztem Maße die wichtige Aufgabe des Präzedenzsystems kompensieren, das Verhalten der Öffentlichkeit durch Rechtsklarheit und Rechtsverwirklichung zu lenken. Die Untersuchung hat gezeigt, dass der Einsatz von ADR in Verbrauchersachen zumindest mittelbar unternehmerisches Verhalten über den Einzelfall hinaus steuert. Hierfür ist freilich eine entsprechende Teilnahmebereitschaft oder -pflicht der Unternehmen von Nöten. Trotz der feh73
So aber die generelle Kritik am Vergleichen von Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2639. So Koo, Legal Studies 2018, 1, 8; in diese Richtung auch Luban, Geo L.J. 83 (1995), 2619, 2647 ff. 75 Dass ADR-Verfahren sowohl procedural als auch substantive justice herstellen können, erkennt Koo, Legal Studies 2018, 1, 13, zumindest für rechtsorientierte und richterliche Kontrolle unterliegenden Schiedsverfahren. 76 Diese Begrifflichkeit findet sich bei Coons, NW. U. L. Rev. 58 (1964), 750, 754–773; mit Verweis auf Coons, Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2674. 77 In einem Gerichtsverfahren kann „präzise Gerechtigkeit“ freilich durch einen üblichen gerichtlichen Vergleich hergestellt werden. 78 Diese, im Hinblick auf die englische ADR-Praxis nicht von der Hand zu weisende, Befürchtung hegt Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 417. 74
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
lenden Bindung an gerichtliche Präzedenzfälle sind ADR-Systeme auf eine konsistente, rechtsorientierte und transparente Entscheidungspraxis angewiesen.79 Gepaart mit einer öffentlichkeitswirksamen Meldung von Verstößen oder missbräuchlichen Verhaltens seitens Unternehmen oder Verbrauchern, kann ADR daher zur Klärung von Rechtsfragen anregen und beitragen. Dabei sollte vor Augen geführt werden, dass ADR gerade Verbraucher zu mobilisieren vermag, die andernfalls rational-apathisch auf die Wahrnehmung ihrer Rechte und damit möglichicherweise auch auf die Klärung einer Rechtsfrage verzichtet hätten. Mithin verfolgt ADR in Verbrauchersachen durchaus kollektive Interessen und ist nicht allein den Individualinteressen der Parteien verpflichtet. d) Zuführung potenzieller Präzedenzfälle zu den Gerichten Für eine gesunde Entwicklung der Rechtsordnung ist damit nicht eine rechtliche Gängelung von ADR notwendig, sondern entscheidend, dass Fälle mit Präzedenzpotenzial die Ziviljustiz erreichen. Denn nur einem sehr geringen Teil aller Verbraucherstreitigkeiten werden rechtsgrundsätzliche Fragestellungen zugrunde liegen.80 Entscheidender sind regelmäßig die tatsächlichen Umstände, etwa über den konkreten Ablauf einer Beratungssituation oder einer behaupteten Schlechtleistung. Ohnehin ist die englische Rechtsordnung seither mit dem Umstand vertraut, dass der Großteil aller Fälle einvernehmlich beigelegt wird. Ein Lösungsansatz für die gerichtliche Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragestellungen sind Verweisungsmechanismen von ADR-Stellen zu den Gerichten. In diesem Zusammenhang ist es sowohl denkbar, einem Gericht nur einzelne Rechtsfragen – etwa nach Vorbild des Rechtswegs zu den europäischen Gerichten – im Rahmen eines Vorlageverfahrens vorzulegen oder aber die gesamte Streitigkeit zu verweisen. Im Vereinigten Königreich besteht für gesetzlich statuierte Ombudsstellen die Möglichkeit, eine Rechtsfrage einem Gericht vorzulegen oder das Ombudsverfahren zu beenden und die Streitigkeit an ein Gericht als „test case“ zu verweisen.81 Solche Mechanismen könnten insbesondere für geringfügige Streitigkeiten interessant sein, die aufgrund ihres Streitwerts ohne den Umweg über ein ADR-Verfahren nicht zu den Gerichten gelangen würden.82
79 Sofern behauptet wird, dass ADR keine verhaltenssteuernden Elemente aufweise, sind den Spezifika von Schlichtungsverfahren nach der ADR-Richtlinie nur wenig Rechnung getragen, so etwa die Kritik bei Lindblom, ERPL 2008, 63, 72. 80 Ähnlich Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 364. 81 Der Legal Ombudsman kann von beiden Möglichkeiten Gebrauch machen, sec. 133(3)(b) Legal Services Act 2007 und r. 5.9–5.11 Scheme Rules Legal Ombudsman; die Möglichkeit einer Verweisung der Streitigkeit als „test case“ besteht für den FOS, DISP 3.4.2R; der Pensions Ombudsman kann dem High Court Rechtsfragen vorlegen, sec. 150(7) Pension Schemes Act 1993. 82 Allerdings ist der Streitwert der Beschwerde Kriterium für die Beurteilung der Ombudsstellen, ob ein Fall zu verweisen ist, wobei ein geringer Streitwert aus Gründen der Verhält-
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Allerdings wird von diesen Verweisungsmechanismen nur unter engen Voraussetzungen Gebrauch gemacht. Der Streitigkeit muss insbesondere eine entscheidungserhebliche, neuartige, wichtige und folgenreiche Rechtsfrage zugrunde liegen.83 Die Beendigung eines Ombudsverfahrens zugunsten einer gerichtlichen Verweisung ist nur mit Zustimmung des Beschwerdeführers möglich. Des Weiteren dürfte die langwierige und kostspielige Vorlage von Rechtsfragen oder gar die gerichtliche Verweisung nur selten im Interesse beider Parteien liegen.84 Vorlage- und Verweisungsmechanismen sollten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur in Fällen greifen, in denen die Klärung der Rechtsfrage für die Beschwerde nicht nur entscheidungserheblich, sondern zentral ist und sofern sich die Rechtslage in einer nicht unerheblichen Anzahl gleich gelagerter Fälle stellen könnte. Da die Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragestellungen primär im öffentlichen Interesse liegt, erscheint es zudem unbillig, die Kosten hierfür allein auf die Parteien abzuwälzen. Der Zivilprozess könnte daher unter Beteiligung von Interessenverbänden auf Verbraucher- und Unternehmerseite erfolgen.85 Überdies scheint eine staatliche Subventionierung solcher Ausnahmefälle zumutbar. Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Ombudsstellen selbst scheinen angesichts der asymmetrischen Bindung von Unternehmen an das Verfahrensergebnis opportun, würden aber die Streitbeilegung erheblich verzögern und unweigerlich in Konflikt mit dem Ermessen der Ombudsperson treten.86 Dies gilt zumindest dann, wenn sich das Gericht nicht nur auf eine Willkürkontrolle beschränkt, sondern konkrete Rechtsfragen klären soll. Noch essenzieller als die Details möglicher Vorlage- und Verweismechanismen sind jedoch die Prozesse zur Identifikation rechtsgrundsätzlicher Fragen. Die damit verbundene grobe rechtliche Prüfung des Falls bedeutet auch für die Ziviljustiz eine große Herausforderung. Vor diesem Hintergrund scheinen Anforderungen an die rechtliche Qualifikation des Personals von ADR-Stellen wiederum begrüßenswert. Zumindest sollten feste Vorgaben für case handler bestehen, wann eine Streitigkeit die Konsultation rechtskundiger Mitarbeiter bedarf.87
nismäßigkeit gegen eine Verweisung spricht, vgl. DISP 3.4.2(4)G und r. 5.11(f) Scheme Rules Legal Ombudsman. 83 Vgl. die Kriterien in den Verfahrensordnungen, DISP 3.4.2R, DISP 3.4.2G und r. 5.9–5.11 Scheme Rules Legal Ombudsman. 84 So auch Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 364. 85 So wohl die Erwägungen von Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 364. 86 Die Möglichkeit eines Appeals gegen Entscheidungen des Irish Financial Services Ombudsman führten zu zahlreichen Appeals seitens der Banken und dem damit verbundenen Kosten- und Zeitaufwand, so Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 364. 87 Zur Identifizierung von Markttrends bei FOS, S. auch Creutzfeldt-Banda/Hodges/Benöhr, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 253, 278 f.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
Schließlich gilt es bei der Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen gleich gelagerte Fälle zu koordinieren, die in den unterschiedlichen Foren, ADR und Gericht, geltend gemacht werden.88
III. Rückwirkungen auf die Legislative Die zunehmende Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten durch ADR zeitigt nicht nur für die Judikative, sondern auch für die Legislative Rückwirkungen. Bei erheblichen Beschwerdeaufkommen entwickeln sich ADR-Stellen durch ihre Entscheidungspraxis zu Kompetenzträgern für sektorspezifische Probleme und Rechtsfragen. Die Konsultation dieser bedeutenden Stakeholder in Gesetzgebungsverfahren ist daher unerlässlich, um die Einheitlichkeit der Rechtsordnung sowie Rechtssicherheit zu gewährleisten. Konkret kann der potenzielle Einfluss von ADR-Stellen auf die Gesetzgebung am Beispiel der Überarbeitung des britischen Verbraucherversicherungsrechts bezüglich der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten illustriert werden. Erforderlich wurde eine Gesetzesreform89 aufgrund der von der Law Commission als nicht sachgerecht erachteten materiell-rechtlichen Regelungen der Aufklärungspflichten sowie des Umstands, dass sich die Rechtspraxis in Folge einer eigenständigen, abweichenden Entscheidungspraxis des FOS auseinanderentwickelt hatte.90 Der FOS hatte sich in seinen Entscheidungen zugunsten der Verbraucher von der lückenhaften beziehungsweise unfairen Rechtslage entfernt.91 Dieser Ansatz überzeugte die Law Commission, die ihren Empfehlungen die vom FOS entwickelten Standards zugrunde legte und unverhohlen klarstellt: „These ideas are not new. They reflect the approach already taken by the Financial Ombudsman Service (FOS), and generally accepted good practice within the industry.“92 Zu diesem Ergebnis kam die Law Commission nach einer Analyse von etwa 250 relevante Entscheidungen des FOS.93
88 Die Notwendigkeit einer solchen Koordinierung sieht, mit Blick auf die Group Litigation Order nach r. 19.11 CPR, Hodges, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 351, 363. 89 Diese mündete im Consumer Insurance (Disclosure and Representations) Act 2012. 90 Vgl. insbesondere The Law Commission, Consultation Paper No 182, Insurance Contract Law: Misrepresentation, Non-Disclosure and Breach of Warranty by the Insured, 2007; dass., Consumer Insurance Law: Pre-contract Disclosure and Misrepresentation, 2009. Die Konsultationsdokumente der Law Commission sind abrufbar unter https://www.lawcom.g ov.uk/project/insurance-contract-law/. 91 Diese Entscheidungspraxis beruhte auf eigenständigen Erwägungen des FOS sowie aufsichtsbehördlicher Bestimmungen des FSA Handbook. 92 The Law Commission, Consumer Insurance Law: Pre-contract Disclosure and Misrepresentation, 2009, Rn. 1.4; zum erheblichen Einfluss der FOS-Praxis auf das Gesetzgebungsverfahren, S. auch Hunt, The Hunt Review, 2008, Rn. 7.7. 93 Analysiert wurden 197 von 300 zur Verfügung gestellten Entscheidungen des FOS für
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Die Law Commission hielt eine Gesetzesreform aus Gründen der Rechtsklarheit und -zugänglichkeit für erforderlich.94 Zwar bot der FOS zufriedenstellende Lösungen und Rechtsschutz für die überwiegende Mehrheit der Verbraucher, jedoch konnte eine derartige Rechtszersplitterung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht geduldet werden. Zum einen sind die Dienstleistungen des FOS nicht für jedermann zugänglich,95 sodass die Verfolgung des Gerichtswegs eine materiell-rechtlich schlechtere Position zur Folge hätte.96 Zum anderen bietet das Verfahren des FOS ein unzureichendes Maß an Rechtssicherheit, da sich dessen Entscheidungsstandards jederzeit nach eigenem Ermessen ändern könnten und seine Erwägungen nicht zwingend auf einem öffentlichen Diskurs oder umfassenden Konsultationen beruhen.97 In der Tat befürchtete der FOS selbst, dass sich die eigene Aktivität negativ auf die Entwicklung des Common Law ausgewirkt haben könnte.98 Bei hinreichender Bedeutung beziehungsweise hohem Beschwerdeaufkommen einer ADR-Stelle, gerade in regulierten Wirtschaftsbereichen, ist die Berücksichtigung ihrer Erfahrungen und Entscheidungspraxis für die Legislative unerlässlich, um die Einheit der Rechtsordnung sicherzustellen. Der Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren ist dabei umso größer, desto höher die Akzeptanz der ADR-Stelle ist. Allerdings bleibt die Legislative aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten weiterhin in der Pflicht, Missstände zu korrigieren.
The Law Commission, Consultation Paper No 182, Insurance Contract Law: Misrepresentation, Non-Disclosure and Breach of Warranty by the Insured, 2007, Appendix C und 47 weitere Entscheidungen für dass., Consumer Insurance Law: Pre-contract Disclosure and Misrepresentation, 2009, Appendix C. 94 The Law Commission, Insurance Contract Law: Issues Paper 1, Misrepresentation and Non-Disclosure, 2006, Rn. 5.16–5.18. 95 Freilich nur in den seltenen Fällen, dass die sehr hohe Streitwertgrenze des FOS überschritten wird oder sich die Streitigkeit nicht für ein ADR-Verfahren eignet. 96 The Law Commission, Insurance Contract Law: Issues Paper 1, Misrepresentation and Non-Disclosure, 2006, Rn. 5.10–5.12 und 5.19–5.21. 97 The Law Commission, Insurance Contract Law: Issues Paper 1, Misrepresentation and Non-Disclosure, 2006, Rn. 5.22. 98 Zitiert von The Law Commission, Insurance Contract Law: Issues Paper 1, Misrepresentation and Non-Disclosure, 2006, Rn. 5.20: „We are concerned that the development of the common law has been impeded by our activities and by the very limited chance of success that any consumer may have in pursuing a non-disclosure case or misrepresentation issue in the courts.“
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
B. Rückwirkungen auf die deutsche Rechtsordnung Die Verbraucherstreitbeilegung fristet in Deutschland, mit Ausnahme einiger sektorspezifischer ADR-Stellen, bislang ein Schattendasein. Angesichts eines vergleichsweise zugänglichen Gerichtssystems und des institutionellen Set-ups der ADR-Stellen, entfernen sich die deutschen ADR-Verfahren weniger vom traditionellen Zivilprozess als ihre englischen Pendants. Entsprechend sind die Verfahren noch mehr am Ziel der Individualgerechtigkeit orientiert, als dass Rationalisierungen zum Zwecke erhöhter Verfahrenseffizienz akzeptiert werden würden. Eine Verdrängungswirkung der Gerichtsbarkeit durch ADR ist schon mangels unternehmerischer Teilnahmebereitschaft kaum spürbar. Dennoch wirken sich die Erkenntnisse der ADR-Stellen auch auf die Zivilgerichte sowie die Legislative aus.
I. Rückwirkungen auf die Ziviljustiz Der von vielen ADR-Kritikern befürchtete Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit durch die Etablierung von ADR ist bislang ausgeblieben. Die seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich sinkenden Falleingangszahlen der deutschen Zivilgerichte lassen sich nicht monokausal dem Einsatz von ADR zuschreiben. Die Verwirklichung des öffentlichen Interesses an der Weiterentwicklung des Rechts obliegt der staatlichen Gerichtsbarkeit, wenngleich die Praxis bedeutender ADR-Stellen zu berücksichtigen ist. Auch in Deutschland muss daher sichergestellt werden, dass rechtsgrundsätzliche Fragestellungen der Ziviljustiz zugeführt werden. 1. Keine Verdrängung des Zivilprozesses durch ADR Ein Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten ist seit den 1990erJahren zu erkennen. Die Gründe hierfür sind multikausal und wenig erforscht.99 Für ADR-Kritiker scheint die Förderung der Verbraucherstreitbeilegung diese, aus ihrer Sicht negative, Entwicklung zu befeuern und die Ziviljustiz für Verbraucherstreitigkeiten in die Bedeutungslosigkeit zu führen oder gar zu substituieren.100 Für andere schien der befürchtete Konkurrenzkampf zwischen ADR 99 Zu den negativen Entwicklungen der Klageeingangszahlen und den möglichen Ursachen, Höland/Meller-Hannich, 2016, S. 11 ff., die auch das Fehlen empirischer Rechtsforschung auf diesem Gebiet bemängeln; s. auch Schubert, in: Höland, Armin/Meller-Hannich, Caroline (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016, S. 21 ff.; von der Multikausalität der Ursachen spricht auch Graf-Schlicker, AnwBl. 2014, 573, 576. 100 Einen Bedeutungsverlust für die Zivilgerichtsbarkeit als Institution als auch für das materielle Verbraucherschutzrecht befürchtend, Roth, JZ 2013, 637, 638, 641; für den es in der Sache „um die Substitution von Zivilprozessen und um eine Teilprivatisierung der Justiz“ geht; dahin gehende Bedenken auch bei Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 38;
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und dem Zivilprozess zu einer Parallel- beziehungsweise Zwei-Klassen-Justiz zu führen.101 Die möglichen Effizienzvorteile niedrigschwelliger ADR sollten den als sicher erwarteten „Bedeutungsverlust der höchstrichterlichen Rechtsprechung“ nicht aufwiegen können.102 Die Behauptung, dass die existierenden ADR-Strukturen der Ziviljustiz in erheblichem Maße Streitigkeiten entziehen,103 lässt sich kaum verifizieren.104 Von einem Verdrängungswettbewerb kann in Deutschland schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die ADR-Entwicklungen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.105 Dies liegt insbesondere am fehlenden Bewusstsein über die ADR-Möglichkeiten bei Verbrauchern sowie der geringen Teilnahmebereitschaft von Unternehmen.106 Der Normenkontrollrat ging noch von einer Verdoppelung der Anbieter auf 60 ADR-Stellen und damit einhergehend von einer Verdoppelung der zum damaligen Zeitpunkt ermittelten 60 000 Streitanträge aus.107 Bislang sind jedoch nicht mehr als 27 Verbraucherschlichtungsstellen gelistet, die im Jahr 2017108 kumuliert einen Eingang von 68 538 Anträgen und im Jahr 2018109 von knapp 85 0000 Anträgen verzeichneten. Das BfJ geht indes von der Einrichtung weiterer ADR-Stellen und steigenden Antragszahlen aus.110 ähnlich, mit weniger Pessimismus, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 218 f., 237 f. 101 Von einer „justizähnlichen Parallelstruktur neben der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit“ sprechen Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1710; ein „parallel system of ,adjudication‘“ betont Stürner, GPR 2014, 122, 127; von einem „Paralleluniversum“ spricht letztlich auch Roth, JZ 2013, 637, 644; Eine „Zwei-Klassen-Justiz“ postulieren, Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8, 38; ein „Rechtsschutz zweiter Klasse“ prophezeit Roth, DRiZ 2015, 24, 27; diese Kritik für nachvollziehbar haltend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 209. 102 So ausdrücklich Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 12; hingegen erwartet Silberzahn, Die ADR-Richtlinie als neuer Weg der verbraucherrechtlichen Konfliktmittlung, 2016, S. 115 keinen Bedeutungsverlust der Gerichte, sondern nur eine Veränderung deren Arbeitsweise. 103 So ist der deutliche Rückgang der Fallzahlen vor Amtsgerichten für Wolf, NJW 2015, 1656, 1559 f. Ausdruck der Etablierung von ADR-Verfahren. 104 So Isermann, VuR 2018, 283, 284, freilich aus der Sicht eines ADR-Praktikers; s. auch Graf-Schlicker, AnwBl. 2014, 573, 576; im Ergebnis auch Nürnberg, Die Durchsetzung von Verbraucherrechten, 2020, S. 300. 105 Auch für Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163 ist ein Verdrängungswettbewerb „nicht ansatzweise zu erkennen“. Ähnlich Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 234. 106 So zutreffend auch Roder, ZKM 2018, 200, 202 f. 107 Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrats zum VSBG, BR-Drucks. 258/15, S. 6. 108 Die Entwicklung wird dabei als deutlich positiv bezeichnet, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass sich die Fallzahl der ADR-Stellen im Jahr 2017 um 6 844 Anträge im Vergleich zum Vorjahr (61 694 Anträge) erhöht hat, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 78 f. 109 Eine Zusammenstellung der Eingangszahlen ist abrufbar unter https://www.schlichtu ngs-forum.de/dateien/2019/03/Statistische-%C3%9Cbersicht-2018.pdf.
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Diesem geringen Anstieg der Fallzahlen – zwischen den Prognosen aus 2015 und den Daten aus 2017 – um weniger als 9 000 Schlichtungsanträgen steht ein Rückgang der neu eingereichten Klagen von –156 475 bei den Amtsgerichten und –22 317 bei den Landgerichten gegenüber.111 Wenngleich sich der ein oder andere Verbraucher für die Durchführung eines sektorspezifischen ADR-Verfahrens anstatt einer gerichtlichen Klage entschieden haben mag, kann der Klagerückgang nicht plausibel auf eine etwaige Sogwirkung der Verbraucherstreitbeilegung zurückgeführt werden.112 Ein Blick auf die Entwicklungen im Zeitraum von 2004 bis 2017 zeigt, dass der Rückgang der Fallzahlen bei den Amtsgerichten mit typisch ADR relevanten Streitgegenstand, wie Ansprüchen aus Versicherungsverträgen, mit –24,47 % deutlich geringer ausfällt, als der Rückgang erledigter Verfahren insgesamt (–37,48 %).113 Vor dem Landgericht ist die Zahl der erledigten Versicherungssachen sogar um 237,17 % im Vergleich zum Jahr 2010 gestiegen.114 Angesichts dieser rein mengenmäßigen Erfassung der Fallzahlen kann die reale Verdrängungswirkung durch ADR freilich allenfalls grob geschätzt werden. Zum Zwecke der empirischen Forschung und rechtspolitischen Bewertung von ADR ist es daher dringend erforderlich, Verbraucherstreitigkeiten separat in den Justizstatistiken aufzuführen.115 Eine abschließende Beurteilung der Wechselwirkungen zwischen ADR und Zivilgerichtsbarkeit bedürfte einer Verknüpfung und Vereinheitlichung der jeweiligen Statistiken; ein Vorhaben, das angesichts des aktuellen Regelungszustands und des scheinbar geringen Interesses an empirischer, rechtssoziologischer Forschung indes utopisch erscheint. Abgesehen hiervon bedeutet ein Anstieg der ADR-Fallzahlen nicht zwangsläufig, dass diese Streitigkeiten der Ziviljustiz entzogen werden.116 Zum einen
110 Hingegen geht Braun, VuR 2019, 130, 131 davon aus, dass sich die Prognosen mittel- bis langfristig als zutreffend erweisen könnten und zeigt anhand eines interessanten Vergleichs zu den Fallzahlen der etablierten ADR-Systeme in den Niederlanden und Schweden, dass die Fallzahlen der noch jungen deutschen ADR-Landschaft im Vergleich nicht zu verstecken brauchen. 111 Vgl. hierzu die Justizstatistik des Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, 2018. 112 So auch Schubert, in: Höland, Armin/Meller-Hannich, Caroline (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016, S. 21, 30. 113 2004 wurden 1 523 527 und 2017 952 413 Verfahren vor den Amtsgerichten erledigt; 2020 waren es nur noch 856 035 Verfahren. Vgl. auch die Zahlen im Bezugszeitraum 2004–2012 bei Schubert, in: Höland, Armin/Meller-Hannich, Caroline (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016, S. 21, 22–27. 114 2017 wurden 13 952 und 2010 nur 4 138 Verfahren, denen Ansprüche aus Versicherungsverträgen (ohne Unfallsachen) zugrunde lagen, vor den Landgerichten in erster Instanz erledigt; 2020 waren es sogar 15 291 Verfahren. 115 Mit dieser Forderung bereits Schmidt-Kessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Verbraucherschutzrecht, 2016, S. 69; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303, 332; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017, S. 119. 116 Dies verkennt „grundlegend das Verhältnis der gerichtlichen zur außergerichtlichen
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wird die Verfahrensdurchführung in knapp einem Fünftel der Fälle durch die ADR-Stellen abgelehnt.117 Diese Möglichkeit besteht speziell für Beschwerden, die sich aufgrund ihrer Komplexität oder ungeklärter Rechtsfragen nicht für ein ADR-Verfahren eignen.118 Zum anderen benutzen Verbraucher den niedrigschwelligen Zugang zu ADR besonders dann, wenn die gerichtliche Rechtsverfolgung aus ihrer Sicht keine gangbare Option darstellt.119 Der Streitwert liegt in ADR-Verfahren regelmäßig weit unter der Schwelle, ab der Verbraucher bereit sind, den Aufwand und das Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens auf sich zu nehmen.120 Der Gerichtsweg steht Verbrauchern sowohl theoretisch als auch in der Praxis vor und nach der Nutzung von ADR offen.121 Folglich kann mehr von einer Mobilisierungswirkung durch ADR und einer Komplementarität zur Ziviljustiz als von einem Verdrängungswettbewerb die Rede sein. 2. Rechtsfortbildung als anerkannte und durch ADR ungefährdete Aufgabe der Rechtsprechung Es bestehen keine ernsthaften Zweifel daran, dass es allein Aufgabe der staatlichen Gerichtsbarkeit ist, das Recht im überindividuellen Interesse verbindlich auszulegen und zu entwickeln.122 Mit den Erwartungen einer gegenüber der gerichtlichen Streitbeilegung dominierenden ADR-Landschaft ging die verständliche Sorge einher, dass die Rechtsprechung ihre Funktion zur Rechtsfortbildung in Verbrauchersachen mangels Fallmaterial wird nicht mehr ausreichend nachkommen können. ADR, so die Befürchtungen, werde der Ziviljustiz Fälle mit rechtsgrundsätzlichen Fragestellungen vorenthalten und sogar die durch Art. 95 GG gewährleistete revisionsrechtliche Funktion des BGH in Frage stellen.123 Streitbeilegung“, so aus der Praxis Hirsch FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163; ähnlich Isermann, VuR 2018, 283, 284; Braun, VuR 2019, 130, 131; aus der Wissenschaft Höland/Meller-Hannich, 2016, S. 11, 13. 117 Durchschnittlich werden 18 % der Beschwerden von den ADR-Stellen abgelehnt, BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 64. 118 Vgl. bereits oben unter Kap. 2 D. V. 2. c) und sogleich unter Kap. 6 B. I. 4.; hierzu aus Praktikersicht, Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 165; Isermann, VuR 2018, 283, 285 f. 119 Verbraucher würden andernfalls auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichten. So auch Gaier, NJW 2016, 1367, 1368; Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 163 f.; Berlin, RRa 22 (2014), 210, 214; eine gegenteilige Entwicklung vermutet Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 215. 120 Nach dem Roland-Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ROLAND Rechtsreport, 2014, S. 36 sind Verbraucher im Durchschnitt erst bei einem Streitwert von EUR 1 950 bereit, ein gerichtliches Verfahren anzustreben; nur 27 % würden dies auch bei einem Streitwert von EUR 1 000 machen. 121 Gaier, NJW 2016, 1367, 1368 f. So mit einem Praxisbeispiel aus dem öffentlichen Personenverkehr, Isermann, VuR 2018, 283, 284 f.; a. A. Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707, die Verbraucher faktisch zur Annahme des Schlichtungsvorschlags gezwungen sehen; in diese Richtung auch Roth, JZ 2013, 637, 643. 122 So selbst eine Stimme aus der ADR-Praxis, Isermann, VuR 2018, 283, 287.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
Von der deutschen ADR-Landschaft geht – wie soeben gezeigt – keine Sogwirkung aus, sodass sie die Rechtsprechung nicht daran hindert, im Interesse der Allgemeinheit eine einheitliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung sicherzustellen.124 Die Prämisse, jede der Gerichtsbarkeit entzogene Streitigkeit ist eine verpasste Gelegenheit zur Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen, geht genauso fehl wie die Annahme, jede außergerichtlich beigelegte Streitigkeit wäre der Ziviljustiz entzogen worden. Wie auch in England, wirft in Deutschland nur ein geringer Teil der Verbraucherstreitigkeiten ungeklärte Rechtsfragen auf. Zwar ist die Urteilsquote im deutschen Zivilprozess deutlich höher als in England, jedoch ergeht nur in jedem vierten Fall ein streitiges Urteil.125 Die Klärung von Rechtsfragen bleibt daher im gerichtlichen Verfahren – auch ohne ADR – die Ausnahme.126 Ohnehin überlässt es die Rechtsordnung im Zivilprozess allein den Parteien, ob sie einen Beitrag zur Rechtsfortbildung und -vereinheitlichung im Interesse der Allgemeinheit leisten wollen.127 Die Parteien können jederzeit einen gerichtlichen Vergleich schließen oder auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichten.128 Prozesstaktisch ist es nicht unüblich, Urteile in letzter Sekunde durch einen Vergleich – der teils sogar über das klägerische Begehr hinausgeht – abzuwenden, um eine nachteilige Festschreibung der Rechtslage zu verhindern.129 Hinzu kommt,
123 Insbesondere Roth, JZ 2013, 637, 644; kritisch auch Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff.; Stürner, in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 28; Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 9, 15; Limperg, BRAK-Mitt. 2015, 225, 228; Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333, 337; mit Bedenken hinsichtlich der materiell-rechtlich intensiv geregelten und häufig vorkommenden Konflikte, Höland/Meller-Hannich, 2016, S. 11, 15 f. 124 Auch Gaier, NJW 2016, 1367, 1368 sieht die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung nicht beeinträchtigt; ebenso Rott, EuCML 2018, 121, 125. Mit der – hier nicht vertretenen – Prämisse, die Anwendung (halb-)zwingenden Verbraucherrechts durch die ADR-Stelle sei gerichtlich voll überprüfbar, Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 212. 125 2020 wurden 24,6 % (2017: 25,4 %) der Verfahren vor den Amtsgerichten und 34,4 % (2017: 27,8 %) der Verfahren vor den Landgerichten durch streitiges Urteil erledigt, Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, 2018 und dass., Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2020, 2021. Diese Realität hervorhebend, Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 67. 126 Isermann, VuR 2018, 283, 285; ähnlich Riehm, JZ 2016, 866, 872. 127 So Gaier, NJW 2016, 1367, 1368, der deshalb die Befürchtung, Rechtsstreite mit geringem Streitwert könnten nicht mehr in ausreichender Zahl vor die staatlichen Gerichte gelangen, für abwegig hält; zustimmend Isermann, VuR 2018, 283, 285. 128 So wurden vor den Amtsgerichten 2020 42,2 % (2017: 40,6 %) der Verfahren durch Vergleich, Klagerücknahme, Verzicht- oder Anerkenntnisurteil oder Erledigterklärung nach § 91a ZPO beendet, Statistisches Bundesamt, Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, 2018 und dass., Zivilgerichte – Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2020, 2021. Mit ähnlichen Zahlen für 2013, Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 67. 129 Auf diese Praxis hinweisend, Isermann, VuR 2018, 283, 285. Beispielhaft sei hier die
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dass der Zivilprozess grundsätzlich keine Rechtsmittel für geringwertige Streitigkeiten unterhalb der Berufungssumme von EUR 600 vorsieht, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zwar ist die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO für Rechtssachen unterhalb der Berufungssumme zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder zur Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern, jedoch muss sich auch hier der erstinstanzliche Amtsrichter zunächst einmal über die Bedeutung des Rechtsstreits im Klaren sein. Bemerkenswert ist, dass der Rückgang der Klageeingangszahlen nicht unweigerlich mit den Entwicklungen der Fallzahlen der Rechtsmittelinstanzen korreliert, was für die Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtsprechung spricht. Zwar sind im Bezugszeitraum von 2004 bis 2017 auch die Verfahrenszahlen beim Landgericht als Rechtsmittelinstanz, wie auch bei den erstinstanzlichen Klagen vor den Amtsgerichten und Landgerichten, stark rückgängig (–36,16 %), jedoch ging der Geschäftsanfall in Berufungssachen bei den Oberlandesgerichten unterdurchschnittlich um „nur“ –18,69 % zurück. Die Zahl der eingegangenen Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden bei den Zivilsenaten des BGH im Jahr 2017 sind im Vergleich zum Jahr 2008 um 27,77 % gestiegen.130 Ein Zuwachs verzeichnet auch der für Rechtsstreitigkeiten über Versicherungsverhältnisse zuständige IV. Zivilsenat sowie der für Rechtsstreitigkeiten über Personenbeförderungsverträge zuständige X. Zivilsenat des BGH. Umgekehrt ist die Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen keine Kernkompetenz der ADR-Stellen.131 Es steht nicht im Fokus ihrer Arbeit, eigene Beiträge zur Rechtsklarheit und -sicherheit zu leisten. Dennoch plädiert Hess für eine Pflicht der ADR-Stellen, wichtige Lösungsvorschläge in anonymisierter Form zu veröffentlichen, um ein „einheitliches System von Präzedenzfällen“ zu schaffen, welches der „Fortentwicklung des Rechts“ dienen könne.132 Dem ist insofern zuzustimmen, als dass die Veröffentlichung bedeutender Schlichtungsvorschläge zu Strategie der VW angeführt, sich mit mutmaßlich geschädigten Diesel-Fahrern in der Berufungsinstanz zu vergleichen, um etwaige nachteilige gerichtliche Feststellungen zu vermeiden, vgl. FAZ, Diesel-Urteile per Vergleich verhindert (30.8.2018), abrufbar unter https://www.f az.net/aktuell/wirtschaft/diesel-affaere/abgasskandal-vorwurf-gegen-vw-diesel-urteile-verhi ndert-15762743.html. 130 Zieht man die Zahlen von 2016 heran, ergibt sich gar ein Anstieg der Neuzugänge um 40,71 %, s. hierzu Bundesgerichtshof, Übersicht über den Geschäftsgang bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs im Jahr 2017, 2018. 131 In diese Richtung auch Gürtler, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutzrecht, 2020, S. 233. 132 Hess, JZ 2015, 548, 553; mit ähnlicher Erwägung, Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 299; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 63–65; Tonner, RRa 22 (2015), 234, 239; Lohr, in: Althammer/MellerHannich, VSBG, 22021, § 22 Rn. 9; kritisch hingegen Rühl, ZZP 127 (2014), 61, 94, die befürchtet, dass sich durch eine Veröffentlichungspflicht ein zweites durch ADR-Stellen geprägtes System des Verbraucherschutzrechts entwickeln könnte; ähnlich Stürner, in: Stürner/ Gasco´n Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S. 11, 29.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
mehr Transparenz der Rechtspraxis beiträgt und wertvollen Diskussionsstoff für rechtspolitische Debatten liefert.133 Die Veröffentlichung sämtlicher Schlichtungsvorschläge würde jedoch, wie das Beispiel des FOS zeigt, zu einem unübersichtlichen Wust an Informationen führen, in welchem die wirklich interessanten Entscheidungen untergehen und die Bemühungen um mehr Rechtsklarheit konterkariert würden. Mithin sollte ein Ermessen bei den ADR-Stellen verbleiben, nur Schlichtungsvorschläge mit allgemeiner Bedeutung veröffentlichen zu müssen. Dieses Ermessen könnte durch weitere Kriterien, wie etwa die Anzahl (potenziell) gleich gelagerter Fälle, eingeschränkt werden.134 Inwieweit die Rechtsprechung oder die Legislative Schlichtungsempfehlungen, die weder Justiz noch Verbraucher binden können, rezipieren, liegt letztlich außerhalb der unmittelbaren Einflusssphäre der ADR-Stellen. 3. Rezeption von Schlichtungsvorschlägen in der Rechtsprechung Traditionell nehmen deutsche Gerichte zum Zwecke der Rechtsfindung und -auslegung weitaus mehr Bezug zu unterinstanzlicher Rechtsprechung und Literatur, als dies im englischen Zivilprozess der Fall ist. Vermehrt bedienen sich die Gerichte auch der Expertise bedeutender ADR-Stellen und greifen auf die in den Schlichtungsvorschlägen formulierten Rechtsansichten zurück. So wurde der frühere Versicherungsombudsmann Römer vom BVerfG als Sachverständiger zu rechtlichen Fragen im Bereich der Lebensversicherungen gehört.135 Darüber hinaus untermauern Gerichte ihre rechtlichen Bewertungen mit Schlichtungsempfehlungen des Versicherungsombudsmanns, die in einem Zuge mit Gerichtsurteilen zitiert werden.136 Dies verwundert angesichts des hohen Ansehens der Persönlichkeiten, die die Position des Versicherungsombudsmanns bekleiden, kaum, ist aber nicht zuletzt der Entwicklung geschuldet, dass Empfehlungen des Versicherungsombudsmanns – analog zu gerichtlichen Entschei-
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So auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 235 f. In diese Richtung auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 272 f., der nur Fälle mit einer gewissen Häufigkeit gleich gelagerter Beschwerden der Diskussion zuführen möchte. 135 Genauer ging es um rechtliche Fragen zur Übertragung des Bestands von Lebensversicherungsverträgen sowie zu den gesetzlichen Regelungen im Bereich der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung, BVerfG, Urt. v. 26.7.2005 – 1 BvR 782/94, BVerfGE 114, 1–72, Rn. 119; BVerfG, Urt. v. 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, BVerfGE 114, 73–104, Rn. 52. 136 Verweise auf Schlichtungsempfehlungen des Versicherungsombudsmanns finden sich in folgenden Entscheidungen: OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2003 – 8 W 0781/0 3–, juris, Rn. 14 = NJW-RR 2004, 1078, 1080; OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.7.2016 – 12 U 85/16 –, juris = NJW 2016, 3792 Rn. 8; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.10.2017 – I-4 U 232/15 –, juris, Rn. 60; LG Dortmund, Beschl. v. 9.11.2009 – 2 S 36/09 –, juris, Rn. 1; LG Berlin, Beschl. v. 31.10.2012 – 23 S 46/12 –, juris = VersR 2013, 1115; AG München, Urt. v. 7.11.2012 – 281 C 10621/12 –, juris, Rn. 42 = NJW-RR 2013, 95, 97. 134
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dungen – in Fachzeitschriften137 veröffentlicht werden und Eingang in die Kommentarliteratur138 finden. Eingang in die Rechtsprechung finden vereinzelt auch die Empfehlungen der Schlichtungsstelle Energie,139 die auch Gegenstand von Besprechungen sind.140 Die weit größere ADR-Landschaft, die ihre Empfehlungen allerdings auch nicht veröffentlicht, bleibt damit allerdings unberücksichtigt. Das dem Versicherungsombudsmann und der Schlichtungsstelle Energie entgegengebrachte Interesse der Rechtsprechung und Literatur könnte jedoch weitere ADR-Stellen ermutigen, der Allgemeinheit anonymisierte Empfehlungen zugänglich zu machen. Die Veröffentlichungspraxis birgt nicht nur potenzielle Einflussnahme auf die Auslegung materiellen Rechts, sondern auch einen beachtlichen Marketingeffekt durch Zitierungen in Fachzeitschriften. Die Argumentation, die Veröffentlichung von Schlichtungsempfehlungen rechtfertigte keinen Mehraufwand, da sich aus ihnen keine Leitsätze für die Lösung zukünftiger Konflikte ableiten ließen,141 trifft vor diesem Hintergrund nicht zu. Zwar lässt sich der Sachverhalt in ADR-Verfahren oft nicht vollständig aufklären, sodass teilweise eine Risiko- und Wahrscheinlichkeitsabwägung erforderlich wird, dies bedeutet jedoch keineswegs, dass sich Empfehlungen zwangsläufig konkreten Auffassungen zu materiell-rechtlichen Fragestellungen verschließen müssen. 4. Allokation rechtsgrundsätzlicher Fragestellungen zur Ziviljustiz Im Kern stellt sich – analog zur Situation im Vereinigten Königreich – die Frage, wie Streitigkeiten mit grundsätzlichen Rechtsfragen ihren Weg zu den Gerichten finden. Entscheidend sind nicht die Klageeingangszahlen, sondern der Umstand, dass bedeutenden Streitigkeiten im Interesse der Allgemeinheit durch die (oberinstanzlichen) Gerichte entschieden werden. ADR-Stellen können entsprechend § 14 Abs. 2 Nr. 4 VSBG die Behandlung einer Streitigkeit ablehnen, wenn der Sachverhalt oder die rechtlichen Fragen nur mit einem unangemessenen Aufwand geklärt werden können [lit. a)] oder der 137 Siehe etwa Versicherungsombudsmann, r+s 2004, 198; r+s 2007, 73; VersR 2009, 913; VersR 2009, 1359; VersR 2009, 1487; VersR 2012, 1251; ZFS 2012, 454. 138 Vgl. Rixecker, in: Langheid/Rixecker (Hrsg.), 72022, § 28 VVG Rn. 24; Mönnich, in: Langheid/Wandt (Hrsg.), 32022, § 165 VVG Rn. 17; Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 31 2021, Art. 3 EGVVG Rn. 4. 139 Etwa zur Frage, ob zwischen dem Jahresende und dem Entfalten der Rechtsfolge der Kündigung eine logische Sekunde liegt, was die Schlichtungsstelle Energie bejaht, AG Bonn, Urt. v. 30.4.2012 – 111 C 253/11 –, juris, Rn. 20; dabei lässt das AG Bad Neuenahr-Ahrweiler, Urt. v. 3.4.2013 – 31 C 633/12 –, juris, Rn. 21 die abweichende Rechtsprechung des BGH sogar unerwähnt; vgl. auch AG Rosenheim, Urt. v. 29.1.2013 – 15 C 546/12 –, juris, Rn. 16. 140 Schlichtungsstelle Energie e.V., IR 2013, 115; IR 2013, 213; IR 2013, 232; IR 2014, 45; IR 2014, 71; IR 2014, 138; IR 2015, 67; IR 2015, 281. 141 So die Argumentation von Riehm, JZ 2016, 866, 872 f., der den Schlichtungsvorschlag insofern mit einem Vergleichsvorschlag im Zivilprozess vergleicht, der aufgrund seines Zuschnitts auf die individuell-konkrete Interessenlage der Parteien nicht publiziert wird.
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Streitigkeit eine entscheidungserhebliche, grundsätzliche Rechtsfrage zugrunde liegt [lit. b)]. Obwohl die Regelung – ausweislich ihres ersten Halbsatzes – nicht die richterliche Rechtsfortbildung, sondern den effektiven Betrieb der ADRStellen im Blick hat,142 enthält sie zugleich die deutliche Botschaft, dass sich komplexe Streitigkeiten nicht für ADR eignen und der Ziviljustiz zu überlassen sind.143 Diesen Ablehnungsgrund übernahmen viele ADR-Stellen sinngemäß in ihre Verfahrensordnungen und machen von dieser Art der Verfahrensbeendigung immer häufiger Gebrauch.144 Des Weiteren wird Unternehmen als Beschwerdegegner durch einige Verfahrensordnungen die Möglichkeit eingeräumt, Streitigkeiten mit rechtsgrundsätzlichen Fragestellungen unbeschieden zu lassen und als „Musterfall“ vor Gericht zu verweisen.145 In diesem Falle verpflichtet sich der Beschwerdegegner, die erstinstanzlichen Rechtskosten des Antragstellers unabhängig vom Ausgang des Zivilprozesses zu tragen. Von dieser Möglichkeit, die ursprünglich auf entsprechende Forderungen von Unternehmen zurückgeht, wurde jedoch – wenn überhaupt – nur selten Gebrauch gemacht; zu groß sind die Risiken eines nachteiligen Urteils mit Leitfunktion.146 Dieser Verweisungsprozess vermag daher nicht sicherzustellen, dass ungeklärte Rechtsfragen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugeführt werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Verbraucher in erster Instanz verlieren sollte und nicht gewillt ist, das Kostenrisiko für die Rechtsmittelinstanzen zu übernehmen.147 142 Die ernsthafte Gefährdung des effektiven Betriebs der ADR-Stelle ist im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 5 Abs. 4 lit. f) ADR-Richtlinie auch erforderlich. In den Ablehnungsgrund muss daher hineingelesen werden, dass die Klärung der Rechtsfrage einen erheblichen Mehraufwand bei der Verfahrensdurchführung bedeuten würde, Gössl, NJW 2016, 838, 841. Der Vorwurf, ADR würde dem BGH die revisionsrechtliche Funktion entziehen, ginge daher ins Leere, so Hirsch, FS-Lorenz, 2014, S. 159, 165. 143 Für eine Verpflichtung der ADR-Stellen plädierend, Fälle mit grundsätzlicher Bedeutung zu den Gerichten zu tragen, Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 12; sich sogar für eine direkte Weiterleitung des Antrags durch die ADR-Stelle an das Gericht – die Erlaubnis des Verbrauchers vorausgesetzt – aussprechend, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 216; in diese Richtung auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 317. 144 Vgl. die Grafik vom BfJ, Verbraucherschlichtungsbericht 2018, S. 66; die deutliche Appellfunktion des VSBG sowie den vormals restriktiven Gebrauch des Ablehnungsgrunds hervorhebend, Isermann, VuR 2018, 283, 285 f. Entsprechend soll die Schlichtung beim Bankenombudsmann abgelehnt werden, „wenn die Schlichtung die Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage beeinträchtigen würde“, § 2 Abs. 2 Verfahrensordnung des Ombudsmanns privater Banken. 145 § 9 Abs. 3 VomVO; § 7 Abs. 2 söp Verfahrensordnung; I. (2) Verfahrensordnung für die Schlichtung von Beschwerden im Bereich des VÖB. 146 Diese Realität hebt Isermann, VuR 2018, 283, 285 hervor. Wenngleich die Interessen der Unternehmen nicht verschwiegen werden, trägt die Regelung für den Versicherungsombudsmann „dem Verbraucherschutzgedanken in besonders ausgeprägter Weise Rechnung“, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 19. 147 Sich vor dieser Problematik nicht verschließend, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2017, 2018, S. 19 f.
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Ferner ist die Ablehnung von Streitigkeiten mit grundsätzlichen Rechtsfragen ein zweischneidiges Schwert. Nach Ablehnung des ADR-Verfahrens ist der Antragsteller auf sich allein gestellt, sodass die gerichtliche Verfolgung seiner Ansprüche keinesfalls gewiss ist.148 Damit es im Ergebnis nicht zu einer Beschränkung des Rechtsschutzes für Verbraucher kommt, sollten und dürfen grundsätzliche Rechtsfragen an sich kein Hindernis für ADR konstituieren.149 Wenngleich in diesem Zusammenhang zurecht hinterfragt werden darf, ob der individuelle Verbraucher überhaupt für die politische Funktion der Rechtsfortbildung eingespannt werden sollte,150 sind Verbraucher dazu zu ermutigen, rechtsgrundsätzliche Fragestellungen gerichtlich und gegebenenfalls oberinstanzlich prüfen zu lassen. Wie bereits für die englische Rechtsordnung vorgeschlagen,151 sollte im Sinne der Verhältnismäßigkeit die Bedeutung der Streitigkeit für die Klärung der materiell-rechtlichen Frage sowie das Ausmaß ähnlich gelagerter Fälle berücksichtigt werden. Die Verfahrenskosten des Verbrauchers sollten dabei nicht allein den Unternehmen zur Last fallen; es leuchtet nicht ein, Unternehmen schlechter zu stellen als im Falle einer ihrerseits betriebenen negativen Feststellungsklage. Unterstützung könnten Verbraucher insbesondere durch Verbraucherverbände erfahren, die hinreichend bedeutende Fälle zum Anlass für eine Musterfeststellungsklage oder eine Verbandsklage nehmen könnten.152
II. Auswirkungen auf die Legislative Der Einfluss von ADR-Stellen auf die Gesetzgebungsprozesse der Legislative sind empirisch kaum zu beurteilen. Im Regelfall wird es nicht dem Selbstverständnis deutscher ADR-Stellen entsprechen, Einfluss auf die Gestaltung materiell-rechtlicher Vorschriften zu nehmen. Ihren Satzungen lassen sich keine entsprechenden Zwecksetzungen entnehmen. Öffentlichkeitswirksame Forderungen zur Änderung der Rechtslage zugunsten von Verbrauchern oder Unternehmen erscheinen ohnehin mit dem Neutralitätsgebot der ADR-Stellen zu konfligieren. Ferner könnten – trotz aller Unabhängigkeit – Interessenkonflikte mit Unternehmensverbänden als Träger der ADR-Stelle auftreten. Die Einfluss148
Diese Gefahr sieht auch Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 217. So Isermann, VuR 2018, 283, 286; zustimmend auch Roder, ZKM 2018, 200, 204. Im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 5 Abs. 4 lit. f) ADR-Richtlinie muss die ungeklärte Rechtsfrage ohnehin den effektiven Betrieb der ADR-Stelle ernsthaft gefährden. 150 Ablehnend Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 68, die den Verbraucher auch nicht für das Erstreiten von Grundsatzurteilen gewappnet sehen. 151 Hierzu oben unter Kap. 6 A. II. 4. 152 Hingegen plädiert Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU), 2014, S. 12 dafür, „Fragen von grundsätzlicher Bedeutung von vornherein vor die Gerichte zu bringen.“ Auch Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung, 2015, S. 55, 68 sehen Verbraucherorganisationen in Deutschland prädestiniert dafür, kollektive Interessen in Rahmen von Verbandsklagen geltend zu machen. 149
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
nahme auf die Legislative bleibt damit zuvörderst Aufgabe von Verbraucher- und Unternehmensverbänden. Dennoch zeigt ein Beispiel des Versicherungsombudsmanns, dass ADR-Stellen auch in Deutschland das Potenzial haben, Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen. Dieser richtete im Rahmen seiner Jahrespressekonferenz im Mai 2017 einen Appell an den Gesetzgeber, eine gesetzliche Fehlkonstruktion bei Restschuldversicherungen zu beseitigen.153 Für Banken, als Vermittler und Versicherungsnehmer von Restschuldversicherungen, sollte gegenüber Verbrauchern als Versicherte die gleichen Informations- und Beratungspflichten gelten, wie diese für den Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer bestehen. Die Vorschläge des Versicherungsombudsmanns wurden im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Versicherungsvertriebsrichtlinie) und zur Änderung weiterer Gesetze aufgenommen und mündeten in der neuen Regelung des § 7d VVG. Inwieweit das Tätigwerden des Gesetzgebers tatsächlich auf die Forderung des Versicherungsombudsmanns oder auch auf die von anderer Stelle geäußerte Kritik154 zurückzuführen ist, lässt sich nicht beurteilen. Der Appell des Versicherungsombudsmanns sowie der Vorschlag zur Einführung des § 7d VVG erfolgten erst im laufenden Gesetzgebungsverfahren, weshalb die Vorschrift in den Erwägungen des Regierungsentwurfs gänzlich unbeachtet bleibt.155 Die Stellungnahme des Versicherungsombudsmanns bezieht sich hingegen nur auf den Einfluss des Gesetzesvorhabens auf die eigene Streitbeilegungstätigkeit.156 Des Weiteren wurde der frühere Versicherungsombudsmann Römer schon im Jahr 2007 als Sachverständiger zum Entwurf eines Gesetzes zur Reformierung des VVGs angehört.157 Die Anregungen des Versicherungsombudsmanns zur Änderung des VSBG aus dem Jahr 2019 blieben zunächst unberücksichtigt.158 Demgegenüber fand die Kritik an der Bezeichnung der zuständigen Behörde als „Aufsichtsbehörde“ so-
153 Zu den problematischen Dreiecksverhältnissen bei Restschuldversicherungen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2015, 2016, S. 18–21; ders., Jahresbericht 2017, 2018, S. 16–18. Nach Änderung der Rechtslage wurden noch keine Beschwerden eingereicht, welche die problematische Konstellation betreffen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2018, 2019, S. 35. 154 So kam im laufenden Gesetzgebungsverfahren auch die Kritik der BaFin an der fehlenden unmittelbaren Geltung des § 7 VVG auf, s. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Ergebnisbericht zur Marktuntersuchung Restschuldversicherungen, 21.6.2017, S. 31 f. 155 Vgl. den Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie, BTDrucks. 18/11627. 156 Vgl. Versicherungsombudsmann, Stellungnahme zum Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie, 2016. 157 BT-Drucks. 16/5862, S. 95. 158 Dies sei wohl auf die Dringlichkeit des Vorhabens zurückzuführen, Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2019, 2020, S. 16.
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR
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wie der geplanten Verschärfung der Möglichkeit des Widerrufs der Anerkennung bei Verstößen gegen das Gesetz oder die Verfahrensordnung Gehör, mit der Folge, dass ein Widerruf nur bei „systemischen Verstößen“ in Betracht kommt.159 Im Ganzen bleiben die Auswirkungen von ADR auf die Legislative damit gering. Mehr Gehör könnten sich sektorspezifische ADR-Stellen – sofern dies überhaupt gewünscht sein sollte – verschaffen, indem sie durch die Veröffentlichung von Berichten, Aufmerksamkeit für problematische Rechtslagen oder ungeklärte Rechtsfragen schaffen und sich als branchenspezifische Know-howTräger präsentieren.
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR Im Verhältnis von ADR zur Ziviljustiz spiegelt sich das Spannungsverhältnis zwischen einer gebotenen Effizienz des Einsatzes staatlicher Ressourcen und dem individuellen und kollektiven Interesse, geltendes Recht durchzusetzen und weiterzuentwickeln. Der Einsatz von ADR vermag dieses – letztlich immerwährende – Spannungsverhältnis nicht aufzulösen. Lediglich die Auswirkungen dieses inneren Konflikts der Justiz auf die Zugänglichkeit des Rechtsschutzes für den Bürger können gemildert werden. Ungeachtet der noch überschaubaren Auswirkungen der gerichtsfernen Streitbeilegung auf die Rechtsordnungen Englands und Deutschlands ist nur eine Komplementarität von Ziviljustiz und ADR denkbar. Ein einheitlicher Ansatz in Fragen des Verbraucherschutzes verlangt indes nach einer Zusammenarbeit der Akteure aus beiden Lagern.
I. Erweiterter Zugang zu Rechtsschutz außerhalb der gerichtlichen Wahrnehmung Der Einsatz von ADR in Verbrauchersachen, insbesondere solchen mit geringem Streitwert, führt in einigen Wirtschaftsbereichen – bei entsprechender Verfügbarkeit von ADR – zu einer Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten für normale Bürger und damit auch zu einer Verbesserung des Zugangs zum Recht. Darüber hinaus bewirkt ein erhöhtes Maß an Rechtsverwirklichung die Verbesserung unternehmensinterner Beschwerdemechanismen und hält Unternehmen zu rechtskonformen Verhalten an. Hingegen sind die Rückwirkungen des Einsatzes von ADR auf die Ziviljustiz sowie auf die Rechtsordnungen Englands und Deutschlands, wenngleich diese empirisch nur sehr schwer zu beurteilen sein mögen,160 gering. ADR spricht ge-
159
Versicherungsombudsmann, Jahresbericht 2019, 2020, S. 16–18; vgl. § 26 Abs. 1 VSBG. Insofern gestaltet sich in Deutschland insbesondere die Sekundärforschung mangels Verwendbarkeit der Daten oder aufgrund univariater Datensätze als schwierig, SchmidtKessel/Larch/Erler u.a., Explorationsstudie zu vorhandenen und fehlenden Daten im Ver160
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
rade Verbraucherbeschwerden an, die der Justiz unlängst entrinnen. Denn gerichtsferne ADR kommt besonders dort zum Einsatz, wo Verbraucher aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Hindernisse von der gerichtlichen Verfolgung ihrer Ansprüche absehen. Vor diesem Hintergrund wird man gegen die Förderung von ADR schwerlich einen etwaigen Bedeutungsverlust der Rechtsprechung einwenden können. Die Zugänglichkeit der Ziviljustiz auch für geringwertige Ansprüche bedingt vielmehr eine Reform des Zivilprozesses161 beziehungsweise effektive Kooperationsmechanismen zwischen Ziviljustiz und ADR. Sofern es staatliches Ziel sein sollte, in Verbrauchersachen auf breiter Ebene Individualgerechtigkeit durch gerichtliche Rechtsanwendung sicherzustellen, läuft dies zwangsläufig auf die Notwendigkeit einer staatlichen (Quer-)Subventionierung solcher Prozesse hinaus. Jede Rechtsordnung hat daher für sich zu entscheiden, wie hoch ihre Investitionsbereitschaft für ein zugängliches Gerichtssystem in Relation zur Bedeutung geringfügiger – zum größten Teil nicht rechtsgrundsätzlicher – Streitigkeiten für die Allgemeinheit ist. Bislang ist eine Verdrängung der Ziviljustiz durch gerichtsferne ADR nur vereinzelt zu erkennen, wie etwa im Vereinigten Königreich zugunsten des FOS für finanz- und versicherungsrechtlicher Verbraucherstreitigkeiten. Doch auch hier wird die staatliche Verantwortung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht auf einen rein privaten Dienstleister abgewälzt. Die Institution des FOS ist gesetzlich statuiert, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle, versucht die Konsistenz seiner Entscheidungspraxis sicherzustellen und entspricht im Ergebnis wohl einem „tribunal“ im Sinne des Art. 6 EMRK und Art. 47 GRCh. Zukünftig dürfte die Rationalisierung von Streitbeilegungskosten für die Zugänglichkeit der Zivilgerichte weiterhin – in England noch mehr als in Deutschland – entscheidend sein. Ansatzpunkt hierfür wird insbesondere die herausfordernde Integration moderner Kommunikationsmedien und intelligenter Software in das Justizsystem sein.162 Diese informalen Kommunikationswege, die unlängst Standard in ADR-Verfahren sind, versprechen nicht nur eine Kostensenkung, sondern entsprechen oftmals den Präferenzen der Parteien.163 So kön-
braucherschutzrecht, 2016; dies., in: Micklitz, Hans-Wolfgang/Reisch, Lucia A. u.a. (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 303 ff.; dies., Daten zu Verbraucherstreitigkeiten, 2017. 161 Entsprechende Reformvorschläge bei Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 220–234. 162 Seit 2022 müssen alle Schriftsätze nebst Anlagen bei Gerichten elektronisch eingereicht werden, s. Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013. Ab 2026 besteht nach § 298a Ia S. 1 ZPO eine Pflicht zur Führung elektronischer Akten, s. Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz v. 5.7.2017. Näher zum gerichtlichen elektronischen Rechtsverkehr, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 21, Rn. 9–15; zur Anwendung künstlicher Intelligenz im Recht, Heil, ITAnwendung im Zivilprozess, 2020. 163 Das gilt besonders dann, wenn das zugrunde liegende Vertragsverhältnis ebenfalls online abgeschlossen wurde. Bei der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl wurden 64 % der Anträge mittels Webseiten-Formular eingereicht, das aufgrund der automatisierten
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR
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nen Geldforderungen, anders als in Deutschland, mittels eines Online-Formulars vor englische Gerichte gebracht werden. Der neue Online Court für England und Wales, der erst auf letzter Verfahrensebene die Einbeziehung eines Richters vorsieht, stellt einen weiteren Schritt in diese Richtung dar. Abzuwarten bleibt indes, ob der Online Court lediglich als Plattform zur Allokation von Klagen in ADRVerfahren dient oder Mechanismen beinhaltet, die grundsätzliche Rechtsfragen der Rechtsprechung zuführt.
II. Notwendige Komplementarität von Ziviljustiz und ADR Ein funktionierendes Ziviljustizsystem ist unerlässlich für eine gesunde Rechtsordnung, in der geltendes Recht nicht nur durchgesetzt, sondern im Interesse der Allgemeinheit verbindlich geklärt und unter Berücksichtigung sich ändernder gesellschaftlicher Gegebenheiten und Veränderungen weiterentwickelt wird. Diese Funktionen der Rechtsdurchsetzung und -fortentwicklung können nur durch die Autorität des staatlichen Rechtsprechungsmonopols inklusive der allein ihr zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln wahrgenommen werden.164 Folglich kann ADR zwar nicht als Ersatzgerichtsbarkeit fungieren, verfolgt mit ihrem primären Streitbeilegungszweck und ihrer Befriedungsfunktion jedoch ebenfalls ein soziales Gut.165 Die Streitparteien werden im Konfliktfall zuvörderst die privaten Interessen der Konfliktbefriedung und der Realisierung von Ansprüchen verfolgen, als im überindividuellen Interesse Rechtsfragen klären zu wollen. Dieser Streitbeilegungszweck verlangt nicht notwendigerweise nach einem staatlichen Monopol, sondern kann sowohl durch gerichtliche als auch außergerichtliche Verfahren erfüllt werden. Hierbei können ADR-Verfahren, gerade aufgrund der eingeschränkten Beweisaufnahme, einen erheblichen Effizienzvorteil gegenüber der Ziviljustiz ausspielen. Wenngleich eine starke ADR-Landschaft ein adäquates Mittel ist, um speziell in tatsächlicher Hinsicht umstrittene Streitigkeiten zu lösen, stellt sie für die Bewältigung geringwertiger Beschwerden kein Allheilmittel dar. Im Hintergrund bedarf es stets einer zugänglichen Gerichtsbarkeit,166 die unter Wahrung ihrer Neutralitätspflicht wirtschaftliche Hindernisse durch verhältnismäßige Rechts-
Datenübertragung die kostengünstigste Eingangsform ist, Abschlussbericht zur Funktionsweise der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle und der Universalschlichtungsstelle des Bundes in Kehl, BT-Drucks. 19/27025, S. 60 f. Die Einführung elektronischer Prozess- und Aktenführung erfolgt letztlich zur Straffung des Justizapparates und in der Hoffnung auf Kostenersparnis, so Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1, Rn. 2. 164 In diesem Sinne ist der Zivilprozess Teil des Staates und eben nicht wie ADR eine bloße Dienstleistung, so zutreffend Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, 11. 165 Dass die Streitbeilegung ein soziales Gut darstellt, betont Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, 34. 166 So auch Lindblom, ERPL 2008, 63, 89.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
kosten(risiken) sowie soziale Barrieren durch vereinfachte Verfahrensgestaltung abzubauen versucht. Andernfalls kann nicht von einer Erweiterung, sondern allenfalls von einer Substituierung des Rechtsschutzes gesprochen werden. Den Vorteil einer freiwilligen und einvernehmlichen Streitbeilegung mit dem Ergebnis einer hohen Parteienzufriedenheit kann ADR nur ausspielen, wenn der alternative Zugang zu den Gerichten wie ein Damoklesschwert über dem Konsens der Parteien hängt.167 Andernfalls ist der Kosens der Parteien, der den vertraglichen Vergleich gegenüber einer gerichtlichen Streitentscheidung gerade legitimieren soll, mangels praktikablen Handlungsalternative – zumindest aus Sicht der schwächeren Partei – faktisch erzwungen.168 Ziviljustiz und Gesetzgeber seien daher gewarnt, vor den Herausforderungen geringwertiger Verbraucherstreitigkeiten zu kapitulieren. Die Zivilgerichtsbarkeit darf sich ihrer für die Rechtsordnung bedeutenden Aufgaben durch die Verlagerung auf private Akteure zwar entlasten, nicht aber entledigen.169 In Ermangelung eines zugänglichen Zivilprozesses bestünde die Gefahr, dass die strukturell schwächere Partei allzu oft zähneknirschend die Taube auf dem Dach für den Spatzen in der Hand fliegen lässt. Die Komplementarität von Ziviljustiz und ADR ist damit zwingend. ADR muss im Rechtssystem seinen Platz als effektive Alternative und Ergänzung zum Zivilprozess finden.170 Umgekehrt darf die Ziviljustiz Streitigkeiten nicht um jeden Preis in gerichtsnahe oder -interne ADR drängen, sondern Mechanismen entwickeln, die Streitigkeiten mit Präzedenzpotenzial identifizieren und Anreize zur richterlichen Streitentscheidung setzen. ADR wird nur dann zu einem Problem für den Rechtsstaat, wenn sich die Ziviljustiz selbst ihrer Bedeutung dadurch beraubt, dass das Urteil als ultima ratio des Zivilprozesses durch einen implizierten ADR-Zwang unerreichbar wird, selbst dann, wenn die Parteien ein
167 In diese Richtung schon Genn, Judging Civil Justice, 2010, S. 80: „[...] the background threat of litigation is necessary to bring people to the negotiating table.“; Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117, 128. 168 Den Vergleichsdruck der ressourcenschwächeren Partei kritisch hervorhebend, Fiss, Yale L.J. 93 (1984), 1073, 1075 f. Es brauche wirklichen Konsens, der nicht bestünde, wenn sich für eine der Parteien keine wirkliche Alternative ergibt, Menkel-Meadow, Geo L.J. 83 (1995), 2663, 2694. 169 Insofern sieht Lindblom, ERPL 2008, 63, 89 ADR metaphorisch als ein verschreibungspflichtiges Beruhigungsmittel mit Nebenwirkung, das nicht alle Defizite der Ziviljustiz heilen kann und bei missbräuchlicher Nutzung eine Intensivbehandlung des Zivilprozesses erforderlich werden lassen kann. 170 Entsprechend postuliert Lindblom, ERPL 2008, 63, 68: „The choice between OCL and ADR should not be a choice between plague and cholera, but rather between cream and butter.“; in diesem Sinne auch Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, 3.5; „Not only does ADR not supplant the court process but ADR provision only works as an adjunct to an efficient system of adjudicative justice.“
C. Zwingende Komplementarität von Ziviljustiz und ADR
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solches anstreben.171 Dies hätte ein Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit der Justiz zur Folge. Die Stärken und Schwächen der gerichtlichen und außergerichtlichen Streitbeilegung sind unterschiedlich veranlagt.172 Der Zivilprozess ist adäquates Mittel zur Rechtsdurchsetzung. ADR vermag hingegen die daneben erstrebenswerten Ziele zu erreichen, eine effiziente Konfliktbefriedung zu bewirken und eine Lösung zu erzielen, die einem individuellen, an Parteiinteressen orientierten Gerechtigkeitskonzept folgt.173 Beide Streitbeilegungsmechanismen sollten daher ihren eigentümlichen Charakter bewahren. Vor einer Verrechtlichung von ADR, die Verfahren letztlich die Rolle einer Ersatzgerichtsbarkeit aufzwängt ist daher ebenso zu warnen, wie vor einer qualitätssenkenden Rationalisierung des Zivilprozesses um jeden Preis. Je mehr sich die Verfahren durch Verrechtlichung einerseits und Rationalisierung aus Gründen der Effizienz andererseits angleichen, verschwindet ihr eigentlicher Wert für die Rechtsordnung. Zudem bedarf es einer Entschärfung der antagonistischen Perspektive auf beide Rechtsschutzmöglichkeiten. Angesichts der hohen Vergleichsrate im Zivilprozess ist eine gedankliche Distanz zur Idealvorstellung des Zivilprozesses erforderlich, nach der das Verfahren stets zu Individualgerechtigkeit durch Rechtsanwendung führt. Demgegenüber orientieren sich ADR-Verfahren keineswegs an einem rechtsfernen aber effizienten „Halbe-Halbe“ der Ansprüche, sondern legen der Streitbeilegung zuvörderst rechtliche Kriterien zugrunde.
III. Kooperatives Gefüge von Ziviljustiz und ADR Die Integration einer starken gerichtsfernen ADR-Landschaft in ein Rechtssystem kann nur durch ein Zusammenspiel von ADR und Ziviljustiz erfolgen. Anspruchsvolles Ziel sollte es sein, Streitigkeiten, je nach ihrem Gegenstand und den Parteiinteressen, dem konkret geeigneten Forum zuzuführen. Die Etablierung von ADR kann die Justiz um geringfügige Verbraucherstreitigkeiten entlasten, die vor allem in tatsächlicher Hinsicht umstritten sind. Um eine sachgerechte Allokation von Streitigkeiten zu gewährleisten, bedarf es bereits auf erster Stufe entweder einem einheitlichen Zugangspunkt, sogenannter single point of entry174 171 Insofern kritisiert Genn, Yale J.L. & Human. 24 (2012), 397, 409, dass die gerichtliche Determination von Streitigkeiten in England vermehrt als Fehler, anstatt als eigentliche Aufgabe des Gerichts wahrgenommen wird. 172 In diese Richtung gehend auch, Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 112 f. 173 Wenngleich Gerechtigkeitskonzepte, wie etwa die Orientierung am Kriterium der Verbraucherzufriedenheit, ungleich schwieriger zu definieren sind. Mit Kritik an der Orientierung am diffusen Kriterium der Verbraucherzufriedenheit, Eidenmüller/Engel, ZIP 36 (2013), 1704, 1707; Engel, NJW 2015, 1633, 1635. 174 Die Vorteile eines effektiven einheitlichen Zugangs für alle Rechtsschutzmöglichkeiten betonend, Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, in: dies. (Hrsg.), Consumer ADR in Europe, 2012, S. 389, 432; Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
oder zumindest umfassender und leicht zugänglicher Informationen über ADR für Verbraucher, Unternehmen und letztlich auch für die in der Justiz beschäftigten Personen.175 Ein einheitlicher Zugangspunkt könnte zudem die wichtige Aufgabe wahrnehmen, systemübergreifend Daten der Verbraucherstreitigkeiten zu verarbeiten, um die Wechselwirkungen gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegung zu erfassen. Die ODR-Plattform der Kommission in ihrer bisherigen Form vermag diese Aufgabe nicht zu erfüllen, da sie die Möglichkeiten der nationalen Ziviljustiz außer Betracht lässt. Überdies können Beschwerden nicht direkt an zuständige ADR-Stellen weitergeleitet werden.176 Streitparteien sollten frühestmöglich neutrale Informationen über die sich ihnen bietenden Möglichkeiten bekommen. Eine Integration von ADR in die Rechtsordnung – sofern diese überhaupt gewollt ist – kann nur funktionieren, wenn der Bekanntheitsgrad von ADR steigt. Denkbar wären öffentlichkeitswirksame Maßnahmen im Rahmen eines staatlich finanzierten Bürgerportals, das mittels eines Online-Formulars unter Angaben zu Art und Wert der Streitigkeit sowie dem Streitgegner Auskunft über die zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gibt.177 Der Online Court für England und Wales, der bis Ende 2023 eingeführt werden soll, birgt das Potenzial, zu solch einem Verbindungsglied zwischen Ziviljustiz und ADR zu werden. Als zentraler Zugangspunkt für alle Rechtsschutzmöglichkeiten könnte der Online Court Streitigkeiten dem geeigneten Forum zuführen. Dabei ist, anders als im Rahmen des herkömmlichen richterlichen Case Managements, nicht nur gerichtsnahe und -interne, sondern auch gerichtsferne ADR zu berücksichtigen.178 Die bisherigen Pläne lassen jedoch erkennen, dass dispute resolution, 2016, S. 17, 38; Verhage, in: Corte´s (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 229, 247. In diesem Zusammenhang besteht auch die Vorstellung eines „multi-door courthouse“; zurückgehend auf Sander, FRD 79 (1976), 111; mit Bezug zum englischen Online Court, Corte´s, in: ders. (Hrsg.), The new regulatory framework for consumer dispute resolution, 2016, S. 447, 452; ders., The law of consumer redress in an evolving digital market, 2017, S. 236. Steffek, ZKM 2021, 142 ff. spricht sich für Integration von ADR in die ZPO aus. 175 Sich für eine neutrale Stelle, die den Verbraucher über Rechtsschutzmöglichkeiten unterrichtet, aussprechend, Nürnberg, Verbraucherschlichtung, 2016, S. 69; zustimmend Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 214; schlägt Richtlinien für die Richterschaft aus, Bushart, ZKM 2021, 180, 184. 176 Den Umstand, dass sich die Parteien vor Weiterleitung der Streitigkeit auf eine ADRStelle einigen müssen, sieht auch die Kommission als Mangel des gesetzlich vorgeschriebenen Workflows der Plattform an, Europäische Kommission, Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, COM(2019) 425 final, 25.9.2019, S. 17. 177 Mehr Informationen über den Zivilprozess und ADR fordernd, Neuberger, LNS(A) 1 (2012), 1, 30; für Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, 2019, S. 214 müsse das Verhältnis zwischen Verbraucherschlichtung und Gerichtsverfahren deutlicher gemacht werden. 178 Bislang beziehen sich Empfehlungen der Gerichte nur auf gerichtsinterne und -nahe
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das mehrstufige Verfahren des Online Court primär bezwecken soll, Streitigkeiten so weit und so früh wie möglich einer einvernehmlichen Streitbeilegung zuzuführen und eine richterliche Entscheidung zu vermeiden. Es werden gar Kostensanktionen für Antragsteller erwogen, die sich der Nutzung eines ADR schemes verweigern.179 Für Verbraucher sollte die freiwillige Teilnahme an ADRVerfahren indes nicht angetastet werden. Darunter würde das Vertrauen der Verbraucher in das Rechtssystem und in ADR gefährdet und Befürchtungen einer Zwei-Klassen-Justiz Vorschub geleistet. Für bestimmte Situationen kann ADR für Verbraucher allerdings gegenüber dem Zivilprozess vorzugswürdig sein, ohne die Interessen der Allgemeinheit an der Klarstellung und Weiterentwicklung des Rechts zu beeinträchtigen. Ein weiterer Konnex zwischen Ziviljustiz und ADR könnte durch Verweisungs- und Vorlagemechanismen hergestellt werden.180 Potenziell könnte die Zusammenarbeit mit ADR-Stellen, gepaart mit dem Mobilisierungseffekt von ADR, sogar dafür sorgen, dass im Ergebnis mehr präzedenzträchtige Streitigkeiten die Gerichte erreichen. Beispielhafte Mechanismen existieren sowohl in England als auch in Deutschland, kommen jedoch nur selten zur Anwendung. Hintergrund sind die von den Parteien zu tragenden Gerichtskosten sowie die unternehmerische Scheu vor Präzedenzfällen. Die Funktionsfähigkeit dieser Mechanismen steht allerdings in zweierlei Hinsicht vor Herausforderungen. Zum einen bedeutet die Identifizierung und Koordinierung präzedenzträchtiger Streitigkeiten einen erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand. Die Bereitschaft der ADR-Stellen zur Tragung dieser Kosten, die letztlich auf die Unternehmen abgewälzt werden müssten, dürfte gering sein und Unternehmen nicht zur Nutzung von ADR ermutigen. Zum anderen bedarf es finanzieller Anreize für die Parteien, über ihre Streitigkeiten oberinstanzlich richten zu lassen. Ungeachtet jeglicher Kostenanreize wird es für Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll sein, gerade geringfügige Ansprüche der Verbraucher zu vergleichen, selbst wenn es nur darum gehen sollte, keine Öffentlichkeit zu erregen. Schließlich ist der Einsatz von ADR auch im Anschluss an den Zivilprozess denkbar. Insofern ist die neu geschaffene Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle des Bundes für Streitigkeiten, die sich nach rechtskräftigem Abschluss einer Musterfeststellungsklage ergeben, zu begrüßen. Der Zweck eines solchen Verfahrens liegt dann in der Subsumtion des Sachverhalts unter die richterlichen
ADR. Eine große Förderung von ADR durch den Online Court erhofft sich die Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.52. 179 Dahingehend die Empfehlung des Civil Justice Council ADR Working Group, ADR and Civil Justice: Interim Report, 2017, Rn. 9.14, die im Hinblick auf Art. 6 EMRK und des Freiwilligkeitsprinzips der ADR-Richtlinie durchaus kritisch zu hinterfragen ist. Überdies stellt sich die Frage, welche Kosten überhaupt in den small claim track, in der die Parteien ihre eigenen Kosten tragen, anderweitig verteilt werden sollen. 180 Mit der kurzen Andeutung, dass ein Vorlageverfahren an den EuGH auch von ADRStellen ausgehen könnte, Basedow, EuZW 2015, 1, 2.
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Kapitel 6: Rückwirkungen von ADR auf die Rechtssysteme
Feststellungen beziehungsweise unter die Bestimmungen eines Vergleichs. Dieser Mechanismus ist allerdings nur bei angemessenen Kostenstrukturen attraktiv, die es dem Unternehmen ermöglichen, die Ansprüche des Verbrauchers zu befriedigen, ohne dass Verfahrenskosten anfallen. Rechtsmittel gegen ADR-Entscheidungen sind indes abzulehnen. Sie könnten einerseits zu einer Verzögerung bei der Entschädigung von Verbrauchern führen und andererseits die Ressourcen der Ziviljustiz erheblich belasten. Überdies könnte in der Praxis eine variierende Überprüfungsdichte das Ermessen von ADR-Stellen unangemessen einschränken. Die Aufhebung von Vergleichen, die auf Schlichtungsvorschlägen beruhen, könnte zudem zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in ADR führen.
Kapitel 7
Fazit Die Ergebnisse der Untersuchung werden im Folgenden jeweils kapitelspezifisch dargestellt, bevor abschließend ein übergreifendes Gesamtfazit gezogen wird. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die Entwicklung von ADR für Verbraucherstreitigkeiten ab.
A. Geringer Einfluss der Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie Das zweite Kapitel gibt Aufschluss über die Hintergründe und Strukturen der ADR-Landschaften in England und Deutschland. In England haben sich sowohl gerichtsnahe als auch gerichtsferne ADR zur Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten fest als integraler Bestandteil des Rechtsschutzsystems etabliert.1 In Bezug auf Verbrauchersachen ersetzt ADR indes tendenziell das Zivilgerichtssystem, als dieses zu komplementieren. Grund hierfür sind – im Verhältnis zum Streitwert – oft unverhältnismäßig hohe Rechtsverfolgungskosten. Das englische Legal-aid-System, dessen Kosten explodierten, vermochte die Zugänglichkeit der Gerichte nicht zu verbessern. Die durch die Woolf- und Jackson-Reformen angestoßene Förderung des Einsatzes von ADR soll nunmehr die Effizienz der Streitbeilegung fördern, den Zugang zum Recht für Verbraucher verbessern und die Gerichte entlasten.2 Im Gegensatz hierzu ist die ADR-Landschaft in Deutschland weniger stark verwurzelt.3 Eine an Maßstäben der Individualgerechtigkeit orientierte Streitkultur, gepaart mit einem vergleichsweise effektiven und durch Prozesskostenhilfe und Rechtsschutzversicherungen zugänglichen Zivilgerichtssystem, machen ADR nicht zwingend erforderlich, um Verbrauchern Zugang zum Recht zu ermöglichen. Das spiegelt sich nicht zuletzt in dem Umstand wider, dass die anwaltliche Vertretung deutscher Verbraucher in ADR-Verfahren keine Seltenheit darstellt.4 Die englische ADR-Landschaft erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Unterschiedliche Entwicklungen in regulierten Wirtschaftssektoren sorgen für
1
Kap. 2 A. I. Kap. 2 A. I. 3. und 4. 3 Kap. 2 A. II. 4 So die empirischen Erkenntnisse bei Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 56. 2
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Kapitel 7: Fazit
eine Vielfalt an Verfahrensarten mit typischerweise asymmetrischen Pflichtenverteilungen und heteronomen Bindungen der Unternehmen.5 Gerichtsferne ADR ist besonders durch Ombuds- und Adjudikationsverfahren geprägt, die letztlich auf einem Schlichtungsmodell basieren. Der Charakter der ADR-Stellen reicht von rein privaten Einrichtungen bis hin zu gesetzlich statuierten ombudsman schemes. Der ADR-Sektor in Deutschland ist am Leitbild der Schlichtung ausgerichtet. Dabei basiert ADR auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, sodass asymmetrische Pflichtenkonstellationen und heteronome Bindungswirkungen – besonders im Hinblick auf einseitige Bindungen an Verfahrensergebnisse – die Ausnahme bilden. Unterschieden wird zwischen privaten ADR-Stellen und behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen mit meist subsidiärer Zuständigkeit. Im Finanzdienstleistungs- und Versicherungssektor hat eine Vielzahl selbstregulatorischer ADR-Initiativen zu einem recht unübersichtlichen Bild an ADR-Stellen mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen geführt.6 Ausschlaggebend für die Relevanz der ADR-Stellen und ihrer Sichtbarkeit auf dem deutschen Markt ist eine Medienpräsenz sowie ein erfolgreiches Marketing durch die Veröffentlichung von Rechtsansichten zu systematischen Problemen. Die divergierenden institutionellen und verfahrensspezifischen Strukturen der ADR-Landschaften in beiden Rechtsordnungen sind Ausdruck der unterschiedlichen Erwartungen von Unternehmen und Verbrauchern an ADR.7 Während der englischen Streitkultur die Idee einer einvernehmlichen Konfliktlösung nicht fremd ist, stellt ADR in Deutschland ein jüngeres Phänomen dar, mit welchem die Akteure des deutschen Marktes weniger vertraut sind als mit dem Konzept eines rechtsgebundenen und verbindlichen Streitentscheids. In England fokussiert ADR daher eher auf die Gerechtigkeit des Verfahrens selbst, während sich deutsche ADR-Mechanismen stark am Zivilprozess ausrichten und daher auf individualgerechte Ergebnisse mit einem hohen Maß an Rechtsbindung abzielen.8 Dieser Eindruck verstärkt sich angesichts des Umstands, dass viele deutsche ADR-Stellen von ehemaligen renommierten Richtern geleitet werden. Traditionell galt ADR bislang als wenig gesetzlich regulierte Materie.9 Die Mediationsrichtlinie und die ADR-Richtlinie stecken einen mindestharmonisierenden rechtlichen Rahmen bezüglich der Verfügbarkeit und Qualität von ADR ab. Im Vereinigten Königreich wurde die ADR-Richtlinie einheitlich durch die ADR Regulations umgesetzt, die sich an den Mindestvorgaben der Richtlinie orientieren; eine Reform der ADR-Strukturen wurde aufgeschoben.10 Die Richt-
5
Kap. 2 C. II. Kap. 2 C. II. 1. b) und c). 7 So auch die empirischen Erkenntnisse von Creutzfeldt, Ombudsmen and ADR, 2018, S. 110–115. 8 Zu den streitkulturellen Unterschieden noch unten unter Kap. 3 A. V. 9 Kap. 2. D. I.-IV. 10 Kap. 2 D. V. 1. 6
B. Streitbeilegung und und datenbasierte Steuerungswirkungen durch ADR
407
linie zeitigt daher nur begrenzte Auswirkungen auf den englischen ADR-Sektor. Neu sind – jedenfalls in dieser Art – die Informationspflichten aller Akteure. Darüber hinaus wurden die möglichen Gründe für eine Ablehnung der Verfahrensdurchführung für einige ADR-Stellen eingeschränkt. Der deutsche Gesetzgeber hat die ADR-Richtlinie mit dem VSBG umgesetzt, das nicht nur im Hinblick auf den Anwendungsbereich, sondern auch speziell in Bezug auf die Qualifikationsanforderungen an Streitmittler sowie dem Gebot der Rechtsorientierung von Schlichtungsvorschlägen über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinausgeht.11 Der deutsche Gesetzgeber verspricht sich davon höhere Qualitätsstandards sowie ein größeres Vertrauen aller Marktteilnehmer in die Verbraucherschlichtung. Dennoch waren die Implikationen der Richtlinie – trotz des neuen förmlichen Anerkennungsverfahren sowie der Informationspflichten – überschaubar. Insofern waren auch die deutschen ADR-Anbieter bereits zuvor weitestgehend auf die Qualitätskriterien eingestellt. Im Gegensatz zum Gebot der Rechtsorientierung in Deutschland werden Beschwerden in England weitestgehend nach dem Fair-and-reasonable-Standard entschieden, der den Einfluss verschiedener Interessensparameter der Parteien in den Vordergrund zu rücken scheint. Die verschiedenen Herangehensweisen tragen nicht zuletzt den unterschiedlichen Erwartungen der Akteure an ADR in beiden Rechtskulturen Rechnung. Die Aufsicht über den ADR-Sektor ist in beiden Rechtsordnungen horizontal auf mehrere Behörden verteilt. Im Gegensatz zum deutschen Anerkennungsverfahren ist die Anerkennung als ADR-Stelle im Vereinigten Königreich mit erheblichen Kosten für die ADR-Stelle verbunden. Die Entwicklung und Akzeptanz von ADR in nicht regulierten Bereichen hängt in beiden Rechtsordnungen maßgeblich von der Hoffnung ab, Unternehmen von den Vorteilen von ADR überzeugen zu können.
B. Streitbeilegung und datenbasierte Steuerungswirkungen durch ADR Die Untersuchung in Kapitel 3 zu den Zielen und Steuerungseffekten von ADR hat gezeigt, dass ADR primär eine Streitbeilegungsfunktion wahrnimmt.12 Ein niedrigschwelliger Zugang zu ADR soll Verbrauchern eine zusätzliche, zur Ziviljustiz komplementäre,13 Rechtsschutzmöglichkeit bieten. Gegenüber der gerichtlichen Streitbeilegung ist ADR – je nach nationaler Ausgestaltung – mehr 11
Kap. 2 D. V. 2. Vgl. Kap. 3 A. I. 13 Diese Komplementarität gilt hingegen nicht im Falle asymmetrischer Pflichten der Unternehmen zur Teilnahme am ADR-Verfahren und zur Befolgung des Verfahrensergebnisses. Dann nämlich kann das ADR-Verfahren – die Zustimmung des Verbrauchers zum Verfahrensergebnis vorausgesetzt – für den Unternehmer den Gerichtsweg substituieren. 12
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Kapitel 7: Fazit
oder weniger auf Effizienz getrimmt, weshalb ADR-Verfahren auf eine schnelle, einvernehmliche Lösung des Konflikts zielen. Aus diesem Effizienzgebot folgt ein grundsätzlich rein schriftliches Verfahren und eine eingeschränkte Beweisaufnahme. Dahinter hat eine – im Sinne größtmöglicher Individualgerechtigkeit verfolgte – vollumfängliche Aufklärung des Sachverhalts und der Rechtslage zurückzutreten. Diese Verschiebung des Fokus, weg von Individualgerechtigkeit hin zu interessengerechten Lösungen, findet in beiden Rechtsordnungen sowohl die Akzeptanz der Gesetzgeber als auch der Justiz.14 Der anfangs emotional aufgeladene Diskurs um ADR in der deutschen Literatur, der sich zunehmender Differenziertheit erfreut, hat sich insofern nicht auf die ADR-Praxis übertragen. Neben der Funktion der Streitbeilegung wohnt ADR eine wichtige soziale Befriedungsfunktion inne.15 Die in ADR-Verfahren verfolgte konsensuale Lösung soll besonders nachhaltig wirken, indem sie die Zufriedenheit der Parteien mit dem Verfahrensergebnis steigert und die Beziehungen zwischen Verbrauchern und Unternehmen schont. Der englische Gesetzgeber bewirbt und intendiert mit der Förderung von ADR offensiv eine Entlastung der Ziviljustiz.16 Diese Maßnahme ist letztlich auch als teilweise Kapitulation zu sehen, niedrigschwelligen Zugang für Verbraucher zu den Zivilgerichten zu schaffen. Die Einführung des Online Courts für England und Wales bis Ende 2023 soll dieser Entwicklung wiederum entgegenwirken. Der Einsatz von ADR soll auch aus deutscher Perspektive die Ziviljustiz um geringwertige Streitigkeiten entlasten, für die eine umfängliche Beweisaufnahme ohnehin nicht opportun wäre.17 Die von diesen Maßnahmen ausgehenden politischen Steuerungseffekte auf die Wahl des Rechtsschutzes sind gleichwohl als gering einzustufen. Größere Bedeutung kommt der von ADR ausgehenden Mobilisierungswirkung für die Verfolgung solcher Rechte zu, auf deren gerichtliche Geltendmachung Verbraucher aufgrund zu hoher Zugangshindernisse abgesehen hätten. Ökonomische Steuerungswirkungen18 stehen der ADR-Richtlinie mit dem erklärten Ziel der Binnenmarktförderung quasi auf der Stirn geschrieben.19 Die erhoffte Steigerung des grenzüberschreitenden Handels sowie des Wettbewerbs kann jedoch als gering eingestuft werden. Die Preissensitivität des Verbrauchers wird gegenüber der Bereitschaft eines Unternehmens zur Teilnahme an einem ADR-Verfahren überwiegen. Insofern werden sich Verbraucher ohnehin erst im Falle einer Streitigkeit Gedanken über die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten machen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Ver-
14
Kap. 3. B. Kap. 3 A. III. 2. 16 Kap. 3 B. I. 1 und 2. 17 Kap. 3. B. II. 1. 18 Hierunter werden Effekte auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und auf das Verhalten von Maktakteuren verstanden. 19 Vgl. Kap. 3 A. IV. 15
B. Streitbeilegung und und datenbasierte Steuerungswirkungen durch ADR
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fügbarkeit von ADR für Verbraucher insbesondere im Falle asymmetrischer Teilnahmepflichten der Unternehmen – seien sie gesetzlich angeordnet oder durch eine Verbandsmitgliedschaft bedingt – gegeben ist. Da diese Pflichten jedoch für alle Akteure der jeweiligen Branche bestehen, ergibt sich aus der Nutzung von ADR regelmäßig kein Konkurrenzvorteil. Ein großes Potenzial ökonomischer Steuerungswirkungen liegt jedoch in der Existenz zugänglicher ADR-Mechanismen. Allein die erhöhte Inanspruchnahme einer niedrigschwelligen Rechtsschutzmöglichkeit durch Verbraucher kann Unternehmen zu mehr Compliance mit den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sowie zu Investitionen in das unternehmensinterne Beschwerdemanagement bewegen.20 Diese Anreize werden speziell durch die Kostenlast in ADR-Verfahren gesetzt, die unabhängig vom Ausgang der Streitigkeit das Unternehmen trifft. In der Verlagerung der Rechtsverfolgungskosten kann ein eigenständiger ökonomischer Steuerungseffekt gesehen werden, der indes die Gefahr in sich trägt, dass die hierdurch verursachten Kosten durch Preissteigerungen an Verbraucher weitergeben werden. ADR zeitigt ferner insoweit ökonomische Steuerungswirkungen, als dass sich das Marktverhalten der Akteure am Maß der Rechtsdurchsetzung orientiert. ADR ist weder als Rechtsdurchsetzungsinstrument geeignet noch hierzu bestimmt. Insofern stehen ADR-Stellen schon keine Zwangsmittel zur Durchsetzung der Verfahrensergebnisse zur Verfügung. Eine untrennbare Verknüpfung zum Gedanken der Rechtsdurchsetzung ergibt sich allerdings daraus, dass ein größerer Umfang interessengerecht beigelegter Verbraucherstreitigkeiten reflexartig ein erhöhtes Maß an Rechtsdurchsetzung beziehungsweise -verwirklichung bewirkt. Entscheidend ist insofern weniger die Realisierung von Individualansprüchen als der Umstabd, zugunsten der Verbraucherschaft einen Bedeutungsgewinn des gesetzlichen Regelwerks durch ein erhöhtes Maß an Rechtsverwirklichung zu erreichen. ADR muss letztlich darauf abzielen, kalkulierte Vertragsbrüche angesichts zugänglicher Rechtsschutzmöglichkeiten denkbar unrentabel erscheinen zu lassen. All dies bedingt über ADR informierte Verbraucher. Das Ziel, durch ADR steuernd auf eine Verbesserung der Marktstandards im Sinne eines höheren materiell-rechtlichen Verbraucherschutzniveaus einzuwirken, scheint demgegenüber ein Steckenpferd der englischen ADR-Landschaft zu sein.21 Anknüpfungspunkte hierfür sind Lösungsvorschläge, die von der materiellen Rechtslage zugunsten der Verbraucher abweichen. In diesem Kontext ist auch die Praxis vieler ADR-Stellen zu nennen, Verbraucher für reine Unannehmlichkeiten zu entschädigen, die im Zusammenhang mit erfolgten Pflichtverletzungen oder dem unternehmensinternen Beschwerdemanagement entstanden sind. Dieser Ansatz, der eine Gefahr für die Neutralität einer ADR-Stelle in der Außenwahrnehmung darstellt, scheitert in Deutschland bereits daran, dass sich ADR-Stellen den Maßstäben von Recht und Gesetz verpflichtet sehen. 20 21
Kap. 3 B. I. 4 und 5; Kap. 3 B. II. 3. Vgl. Kap. 3 A. IV. 3.
410
Kapitel 7: Fazit
Es sollte daher mehr Gewicht auf den Ansatz gelegt werden, dass ADR-Stellen durch ihre Beschwerdepraxis missbräuchliche Geschäftspraktiken, gesetzliche Regelungslücken und Unzulänglichkeiten des materiellen Rechts aufdecken und auf Basis ihrer Erkenntnisse Druck auf Exekutive und Legislative ausüben und so Korrekturmaßnahmen bewirken können. Eindrucksvolles Beispiel für dieses Potenzial ist die Aufdeckung und Bewältigung der PPI-Thematik durch den FOS.22 Für die Verwirklichung deises Potenzials ist insofern ein zahlenmäßig repräsentatives Beschwerdeaufkommen der ADR-Stelle, eine öffentlichkeitswirksame Verbreitung der Erkenntnisse sowie ein guter Draht zu den politischen Akteuren erforderlich. Dass auch die diesbezüglich eher zurückhaltenden deutschen ADR-Stellen auf systematische Problematiken hinweisen können, ohne ihre Unabhängigkeit und Neutralität zu gefährden, haben bereits der Versicherungsombudsmann und die Schlichtungsstelle Energie unter Beweis gestellt.23 Darüber hinaus ist ADR ein Instrument des prozessualen Verbraucherschutzes mit sozialen Steuerungswirkungen. ADR-Verfahren sind durch soziale Elemente geprägt, die durch den Abbau – wenn auch nur empfundener – sozialer und wirtschaftlicher Hemmnisse versucht, strukturelle Asymmetrien zwischen den Streitparteien auszugleichen.24 Wirtschaftlichen Barrieren werden durch die unternehmerische Kostenlast für ADR-Verfahren sowie die Entbehrlichkeit einer anwaltlichen Vertretung entgegengewirkt. Soziale Barrieren werden durch eine vereinfachte Antragstellung unter möglicher Verwendung der Kommunikationsmedien des ursprünglichen Vertragsabschlusses verringert. Entscheidend ist ferner der Ausgleich von Informationsaasymmetrie durch eine verständliche Aufklärung des Verbrauchers über das Verfahren und über seine Rechte. Bei der Präzision des Antrags kann dem Verbraucher später noch durch die ADR-Stelle geholfen werden. Angesichts der Neutralitätspflicht der ADR-Stellen stellt eine erreichte Verhandlungsparität die zulässige Grenze der unterstützenden Verbraucherberatung dar. Entscheidend ist nicht die tatsächliche Existenz gerichtlicher Zugangsbarrieren, sondern die Überwindung rationaler Apathie. Die staatliche Förderung von ADR ist damit nicht zuletzt eine sozialpolitische Maßnahme.25 ADR entfaltet jedoch keine sozialen Steuerungswirkungen durch überindividuelle Rechtsschutzmöglichkeiten, wenngleich diese gerade dazu prädestiniert sind, wirtschaftliche und soziale Hemmnisse abzubauen.26 ADR hat vielmehr auf die Beilegung von Individualbeschwerden und damit auf Einzelgerechtigkeit hinzuwirken. Ausgangspunkt jeglicher Steuerungswirkungen von ADR ist die Erhebung und Auswertung von Beschwerdedaten.27 Hiermit birgt ADR das Potenzial, als 22
Kap. 3 B. I. 4. Kap. 3 B. II. 3. a) und d). 24 Kap. 3 A. III. 25 Kap. 3 C. III. 26 Vgl. Kap. 3 A. I. 2. 27 Kap. 3 C. IV. 23
C. ADR im Kontext des Justizgewährungsanpruchs und der Rechtsorientierung 411
Frühwarnsystem für missbräuchliche Geschäftspraktiken und unzureichendes unternehmerisches Beschwerdemanagement zu fungieren. ADR-Stellen sind daher angehalten, sich im Rahmen der Bewältigung von Individualbeschwerden ein Gesamtbild über das Marktgeschehen zu verschaffen, das sie in der Folge mit Regulierungsbehörden oder dem Gesetzgeber teilen sollten, um diese zum Handeln zu veranlassen. Wenngleich das Gesamtbild regelmäßig das Ergebnis eines langwierigen Prozesses von der Ausübung missbräuchlicher Geschäftspraktiken bis hin zu deren Beschwerdebewältigung darstellen wird, kann ADR somit einen Beitrag leisten, die rechtliche und tatsächliche Marktsituation für Verbraucher zu verbessern. Inwiefern von diesem Potenzial Gebrauch gemacht wird, hängt von der – gegebenenfalls sogar gesetzlichen – Autorität einer ADR-Stelle, ihres öffentlichkeitswirksamen Auftretens sowie der Kooperationsbereitschaft zwischen ADR-Stellen und Regulierungsbehörden ab. Die Erhebung und Aggregation von Beschwerdedaten liegt im Verantwortungsbereich der ADR-Stellen. Die Daten sind dabei umso aufschlussreicher, je mehr sie dazu geeignet sind, miteinander verknüpft zu werden. Die Erhebung soziodemographischer Merkmale würde Rückschluss auf die erreichten beziehungsweise betroffenen Verbrauchergruppen zulassen. Die Veröffentlichung von Entscheidungsvorschlägen und systematisch auftretender Beschwerdefälle befördert die Außenwahrnehmung einer ADR-Stelle. Dabei sollten ADR-Stellen auch nicht vor einer sachlichen Medienpräsenz zurückschrecken. Anders als in England wird der Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständigen Behörden mit Misstrauen begegnet. Der Vergleich mit der englischen Rechtsordnung zeigt, dass die deutschen Akteure das Spannungsverhältnis zwischen Unabhängigkeit und Neutralität der ADR-Stellen und dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Transparenz zunehmend zugunsten der Transparenz auflösen sollten. Das Beispiel der PPI-Thematik zeigt, dass eine sachliche Kooperation auf Augenhöhe für beide Seiten vorteilhaft ist, ohne die Integrität einer ADRStelle in Frage zu stellen.28
C. ADR im Kontext des Justizgewährungsanpruchs und der Rechtsorientierung Wie die Untersuchung in Kapitel 4 gezeigt hat, verkürzt ADR weder für Verbraucher noch für Unternehmen den Zugang zu den Gerichten in nicht zu rechtfertigender Weise. Für Verbraucher gilt das Primat der Freiwilligkeit von ADR. Sie können in den unionsrechtlichen Grenzen allenfalls zu einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen und einer neutralen dritten Person verpflichtet werden.29 Parallel hierzu bewirken die verbraucherschützenden Beschränkungen
28 29
Kap. 3. B. I. 4. Kap. 4 B. I. 3.
412
Kapitel 7: Fazit
der Privatautonomie einen faktischen Ausschluss von ADR-Vereinbarungen mit Verbraucherbeteiligung.30 Eingriffe in das Recht der Unternehmen auf effektiven Rechtsschutz durch asymmetrisch-heteronome Verfahrensbindungen sind unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes und der Binnenmarktförderung zu rechtfertigen.31 Kritischer ist die Kumulation einer asymmetrisch-heteronomen Verfahrensbindung und einer asymmetrisch-heteronomen Ergebnisbindung zu sehen, die zwar in England, nicht aber in Deutschland anzutreffen ist. In diesem Fall resultiert aus der Zustimmung des Verbrauchers zum Lösungsvorschlag einer ADR-Stelle ein peremptorischer Klageausschluss für das Unternehmen. Ob die Kumulation von Teilnahmepflicht und Ergebnisbindung eine Verletzung des Rechts eines Unternehmens auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 GRCh darstellt, kann aufgrund der mannigfaltigen spezialgesetzlichen Grundlagen nur im Einzelfall beurteilt werden. Das Gleiche gilt für die Frage, ob entsprechende gesetzliche Bindungen den Wesensgehalt des Art. 47 GRCh berühren. Insofern könnten ADR-Mechanismen wie der FOS oder der Legal Ombudsman aufgrund ihrer gesetzlichen Statuierung selbst den unternehmerischen Justizgewährungsanspruch erfüllen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass ADR keineswegs rechtsfern ist.32 Zum einen werden prozessuale Mindestgarantien gewährleistet, die sich in den prozessualen Vorschriften der Verfahrensordnungen widerspiegeln. Zum anderen reflektiert der Inhalt von Empfehlungen und Entscheidungen der ADR-Stellen in beiden Rechtsordnungen zuvörderst rechtliche Kriterien. Das zivilprozessuale Idealbild einer strikten materiellen Rechtsbindung weichen sowohl der englische Fair-and-reasonable-Standard33 als auch das deutsche Rechtsorientierungsgebot des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG34 durch ein zusätzliches Ermessen der Entscheidungsträger auf, das notwendig ist, um die gewöhnlichen Unsicherheiten bezüglich der Sach- und Rechtslage effizient handhabbar zu machen. Während der Fokus englischer ADR-Stellen auf einem angemessenen Interessenausgleich liegt, ist es der Anspruch deutscher ADR-Stellen, Verbrauchern eine Prozessrisikoanalyse zu unterbreiten, sodass die (Selbst-)Bindung deutscher ADR-Stellen an Recht und Gesetz in der Praxis über das Rechtsorientierungsgebot hinausgeht.35 Angesichts der mangelnden ADR-Erfahrung der deutschen Akteure scheint eine strikte Rechtsbindung aber auch erforderlich, um Vertrauen in ADR zu begründen. Die Entscheidungsstandards beider Rechtsordnungen bieten unterschiedliche Vorteile zur Erreichung der Ziele der ADR-Richtlinie.36 Während eine starke
30
Kap. 4 C. IV und Kap. 4 F. I. 1. Kap. 4 F. I. 2. 32 Kap. 4 E. IV. 33 Kap. 4 E. IV. 1. 34 Kap. 4 E. IV. 2. 35 Kap. 4 F. II. 36 Kap. 4 F. II. 2. 31
C. ADR im Kontext des Justizgewährungsanpruchs und der Rechtsorientierung 413
Rechtsbindung für Streitigkeiten mit klarer Sach- und Rechtslage prädestiniert ist, vermag der Fair-and-reasonable-Standard Unsicherheiten effektiv zu bewältigen und eine Verbesserung des unternehmensinternen Beschwerdemanagements zu bewirken. Es lässt sich überdies festhalten, dass sich die Entscheidungsstandards einer Rechtsordnung aufgrund rechtskultureller Unterschiede nicht ohne Weiteres transplantieren lassen. Das hat die notwendigerweise vorsichtigen mindestharmonisierenden Vorgaben des Europäischen Gesetzgebers zur Folge. Die von der englischen Rechtsprechung aufgestellten Ermessensgrenzen gesetzlich statuierter Ombudsstellen,37 die Assoziationen zur Ermessensfehlerlehre des deutschen Verwaltungsrechts wecken, könnten auch auf die deutsche ADRLandschaft übertragen werden.38 Die Notwendigkeit eines begrenzten Überprüfungsmaßstabs ergibt sich schon aus dem Umstand, dass Legislative und Exekutive unabhängigen privaten ADR-Stellen die Aufgabe der Streitbeilegung anvertraut haben. Gleichwohl besteht kein Bedarf für die gerichtliche Überprüfung materiell-rechtlich wirksamer Verfahrensergebnisse. Der gebotene Verbraucherschutz erschöpft sich darin, Verbraucher zu einer informierten Entscheidung über die Annahme oder die Ablehnung eines Lösungsvorschlags zu befähigen. Demgegenüber bestimmt sich das Maß der materiellen Rechtsbindung des Ergebnisinhalts nicht nach dem Maß der Fesselung der Parteien an das Verfahren und das Ergebnis.39 Hierfür fehlt es bereits an einer korrelierenden Fesselung der Verbraucher an ADR-Verfahren. Eine Handlungslast besteht insofern allenfalls für Unternehmen, die sich trotz verweigerter Partizipation – im Falle einer asymmetrischen Pflichtenkonstellation – nicht einem Verfahrensergebnis nach Aktenlage entziehen können. Aber auch dieser Aspekt begründet keine Korrelation zwischen Rechtsbindung und prozessualen Bindungen, da der Grundsatz eines fairen Verfahrens letztlich nur verlangt, dass das Ergebnis aufgrund der vorgegebenen Entscheidungsstandards vorhersehbar ist.40 Der Entscheidungsmaßstab in ADR-Verfahren bleibt unabhängig von den zugrundeliegenden Pflichtenkonstellationen der Gleiche und wird maßgeblich durch die Erwartungen der Parteien geprägt. Die äußere Grenze des materiell-rechtlich möglichen Entscheidungsinhalts bildet die Wirksamkeit des Verfahrensergebnisses.41 Das Maß der Rechtsbindung hängt vielmehr davon ab, wie viel Vertrauen eine Rechtsordnung dem Ergebnis eines ADR-Verfahrens im Vergleich zum gerichtlichen Urteil entgegenbringt. Eine entscheidende Korrelation besteht hingegen zwischen der Klarheit der zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage und dem erforderlichen Maße der materiellen Rechtsbindung.42 Bestehen keinerlei Zweifel hinsichtlich des Sach37
Kap. 4 E. IV. 1. d). Kap. 4 F. II. 3. 39 Kap. 4 F. III. 40 Vgl. Kap. 4 E. I. 41 Kap. 4 D. III. und Kap. 4 E. IV. 2. c). 42 Kap. 4 F. IV. 38
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Kapitel 7: Fazit
verhalts und der Rechtsfragen, was in der ADR-Praxis die Ausnahme ist, bietet eine strikte Rechtsbindung regelmäßig die einzige individualgerechte und der Verfahrensordnung einer ADR-Stelle genügende Lösung. Eine Ignoranz gegenüber dem materiellen Recht widerspräche diametral dem Grundsatz eines fairen Verfahrens, da in dieser Konstellation eine der Parteien offenkundig benachteiligt werden würde. Das würde das Vertrauen der Beteiligten in die Integrität des ADR-Verfahrens erschüttern. Bewusste Abweichungen von materiellem Recht lösen zumindest eine erhöhte Begründungspflicht der neutralen dritten Person aus.43 Für den Fall tatsächlicher und rechtlicher Unsicherheiten ist es indes nicht zu beanstanden, dass ADR-Stellen ihre – im Vergleich zur Ziviljustiz – hohe Flexibilität dadurch zur Geltung bringen, dass sie Unsicherheiten in den Lösungsvorschlag einpreisen, anstatt mit den materiell-rechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln zu einem Alles-oder-Nichts-Ergebnis zu kommen. Das Einpreisen von Unsicherheiten stellt dabei auch keinen faulen Kompromiss dar, da die Parteien insoweit über die Abweichung von materiellem Recht informiert werden. Vielmehr ist das Einpreisen von Unsicherheiten der aus Effizienzgründen eingeschränkten Beweisaufnahme geschuldet. Die Kumulation prozessualer Bindungen in ADR-Verfahren für Unternehmen, speziell eine asymmetrisch-heteronome Ergebnisbindung, die so nicht in der deutschen Rechtsordnung anzutreffen ist, steigert jedoch das Bedürfnis an einer gerichtlichen Überprüfbarkeit des Entscheidungsinhalts.44 Im Ergebnis kann eine solche Bindung, die nicht auf einer privatautonomen Dispositionsentscheidung beruht, einen peremptorischen Klageausschluss für Unternehmen bewirken und den Gerichtsweg substituieren. Das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Willkürkontrolle scheint noch größer, wenn man die erleichterten Vollstreckungsmöglichkeiten45 asymmetrisch-heteronom bindender Verfahrensergebnisse berücksichtigt. Eine unbedingte materielle Rechtsbindung zum Zwecke des Verbraucherschutzes ist weder sinnvoll noch grundrechtlich oder unionsrechtlich angezeigt.46 Verbraucher sind über ihre Ansprüche verfügungsberechtigt. Eine eingeschränkte Dispositionsbefugnis stünde im Widerspruch zu dem Umstand, dass Verbraucher auf ihre Forderungen faktisch verzichten können, indem sie diese verjähren lassen. Der Verbraucherschutz endet in Schlichtungsverfahren mit dem Erhalt des begründeten Lösungsvorschlags, der Verbraucher in die Lage versetzt, informiert und verantwortungsbewusst zwischen einem Vergleich und einer nachgelagerten gerichtlichen Rechtsverfolgung zu entscheiden. Im Rahmen der Entscheidung über die Annahme des Schlichtungsvorschlags besteht keine strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers, sodass es für die Anbahnung eines Vergleichs eines darüberhinausgehenden speziellen, den Verbraucher letztlich bevormundenden, materiell-rechtlichen Schutzes bedarf. 43
Vgl. Kap. 4 E. IV. Kap. 4 F. V. 45 Kap. 4 D. II. 1. b). 46 Kap. 4 F. VI. 44
D. Qualitätssicherung durch laufende Aufsichtstätigkeit
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Von einer informierten Entscheidungsbasis kann nur gesprochen werden, wenn aus der Begründung hervorgeht, dass der Entscheidungsinhalt von zwingendem materiellen Verbraucherrecht abweicht.47 Eine Art Günstigkeitsvergleich des Lösungsvorschlags mit einem hypothetischen Gerichtsurteil, der allenfalls auf der vagen Prognose einer Einzelperson beruhen würde, ist indes nicht erforderlich. Eine Trennung zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen erscheint48 gerade im unionsrechtlichen Kontext nicht sinnvoll. Während die beiden Kategorien im deutschen Recht nicht selten verschwimmen, sind sie anderen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten fremd. Eine solche Differenzierung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge wäre unionsweit daher kaum praktikabel. Die verbraucherschützende Wirkung von ADR erschöpft sich damit in den Zwecken der Streitbeilegung sowie des Ausgleichs struktureller Ungleichgewichte zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Die Verwirklichung des materiellen Verbraucherrechts ist demgegenüber nur mittelbarer Effekt eines größeren Umfangs an Streitbeilegung. Rechtsferne ADR-Verfahren sind auch ohne strikte Rechtsbindung gleichwohl nicht zu befürchten. Ein gewisses Maß an Rechtsorientierung ist notwendig, um den Erwartungen der Parteien an ein faires Verfahren gerecht zu werden und unerlässlich, um das Vertrauen aller Akteure in ADR-Verfahren zu gewinnen.
D. Qualitätssicherung durch laufende Aufsichtstätigkeit Die Untersuchung im fünften Kapitel verdeutlicht, dass die Einbindung einer rechtsgebundenen staatlichen Anerkennung und Aufsicht über ADR unerlässlich ist, um Gewähr für die Qualitätsstandards der ADR-Richtlinie leisten zu können. Sie wirkt überdies den Befürchtungen rechtsferner und parteilicher Verfahren entgegen. Die staatliche Aufsicht über die Erfüllung der Berichtspflichten birgt ferner das Potenzial, die Öffentlichkeit und Transparenz vertraulicher ADR-Verfahren zu erhöhen.49 Die Anerkennung der Behörden als solche hat sich bislang jedoch weder in England noch in Deutschland als Vertrauen schaffendes Gütesiegel erwiesen. Die vorsichtigen, mindestharmonisierenden Vorgaben der ADR-Richtlinie für die fortlaufende staatliche Aufsichtstätigkeit haben zu sehr unterschiedlichen Anerkennungs- und Aufsichtspraktiken zwischen den Mitgliedstaaten und – wie das Beispiel des Vereinigten Königreichs zeigt – innerhalb der Mitgliedstaaten selbst geführt. Sowohl die Wahl zwischen den Modellen der vertikalen und der horizontalen Aufsicht als auch die Entscheidung zwischen einer anlassbezogenen
47
Vgl. Kap. 4 E. IV. So der Ansatz bei Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, S. 265–267. Hierzu Kap. 4 E. IV. 2. a) dd). 49 Kap. 5 B. IV. 48
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Kapitel 7: Fazit
und anlasslosen Aufsichtstätigkeit stehen im Ermessen der Mitgliedstaaten. Das deutsche BfJ sieht sich auf die anlassbezogene Überprüfung von erheblichen Verstößen gegen die Anerkennungsvoraussetzungen sowie systematischen Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften oder die Verfahrensordnung beschränkt.50 Demgegenüber verschärfen englische Behörden zunehmend die Berichtspflichten für ADR-Stellen und nehmen Einsicht in deren Beschwerdebearbeitung.51 Den zuständigen Behörden fehlt es insbesondere an Befugnissen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle52 einer Änderungsaufforderung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 UA 4 ADR-Richtlinie, die bei fehlender Mitwirkung der ADRStelle unweigerlich den Widerruf der Anerkennung zur Folge hat.53 Eine unionsrechtliche Konkretisierung der Rolle der zuständigen Behörde im Rahmen einer fortlaufenden Aufsichtstätigkeit, die Mitgliedstaaten dazu veranlassen würde, weitere Ermittlungs- und Handlungsbefugnisse für Verstöße unterhalb der Erheblichkeitsschwelle zu schaffen, wäre erforderlich und begrüßenswert. Als ergänzende Instrumente sind die Möglichkeit der Einsichtnahme in Fallakten, verschärfte Berichtspflichten und, je nach Art und Schwere des Fehlverhaltens, sanktionsbewehrte Selbstverpflichtungen der ADR-Stellen oder Geldbußen denkbar. Zu unbestimmt beziehungsweise zu zurückhaltend sind auch die Kooperationspflicht der ADR-Stellen mit den zuständigen Behörden nach Art. 17 ADRRichtlinie sowie die Anforderungen an die Berichtspflichten der ADR-Stellen. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass einer solchen Kooperation ein Spannungsverhältnis zwischen Transparenz, Neutralität und Vertraulichkeit von ADR zugrunde liegt.54 Der deutsche Gesetzgeber löste dieses Spannungsverhältnis mit dem Verzicht auf eine enge Kooperation zwischen ADR-Stellen und zuständiger Behörde zum Nachteil der Transparenz auf.55 Dieser Ansatz verkennt indes, dass eine strikte Vertraulichkeit primär unternehmerischen Interessen dient und die Informationsasymmetrie zwischen Verbrauchern und Unternehmen vertiefen kann. Die Neutralität alternativer Streitbeilegung, die sich vor allem auf die Einflussfreiheit des Ergebnisses bezieht, wird durch eine Kooperation mit den Behörden hingegen nicht beeinträchtigt.56 Der Austausch – gegebenenfalls anonymer – Daten zu abgeschlossenen Verfahren vermag keinen unmittelbaren Einfluss der Behörden auf gegenwärtige und zukünftige Verfahren zu bewirken. Das
50
Kap. 5 B. III. 2. und Kap. 5 B. IV. Kap. 5 B. III. 1. und Kap. 5 B. IV. 52 Eine gewisse Erheblichkeit des Verstoßes wird vom Wortlaut der Richtlinie zwar nicht vorausgesetzt, ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit behördlichen Handelns jedoch immanent. 53 Kap. 5 C. II. 54 Kap. 5 C. III. 55 Kap. 5 B. IV. 3. b). 56 Kap. 5 C. III. 3. 51
E. Notwendige Verzahnung von ADR und Ziviljustiz
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Beispiel der englischen ADR-Landschaft veranschaulicht, dass das erhebliche Potenzial von Beschwerdedaten zur Identifizierung missbräuchlicher Geschäftspraktiken und Gesetzeslücken genutzt werden kann, ohne dass die Erfüllung der Neutralitäts- und Vertraulichkeitspflichten der ADR-Stellen bezweifelt werden würden. Die Herausstellung einer klaren Grenze zwischen regulatorischer Tätigkeit und neutraler Streitbeilegung ist gleichwohl essenziell, um keine falschen Erwartungen der Beteiligten zu schüren. Diese Grenze ist in der deutschen ADRLandschaft jedoch zugunsten erhöhter Transparenz zu verschieben, da das öffentliche Interesse an missbräuchlichen Geschäftspraktiken und anderen Marktentwicklungen das private Vertraulichkeitsinteresse überwiegt. Die Untersuchung zeigt ferner, dass die Wahl zwischen einem horizontalen und vertikalen Aufsichtsmodell nicht maßgeblich für die Qualität von ADR und der staatlichen Aufsicht ist.57 Ein qualitätssenkender Konkurrenzkampf zwischen den zuständigen Behörden ist durch ein vertikales Aufsichtsmodell nicht zu befürchten.58 Während eine zentralisierte, horizontale Aufsicht geeignet ist, einem ADR-Sektor mehr Sichtbarkeit zu verleihen, setzt ein vertikales Aufsichtsmodell durch sektorspezifische Behörden größere Anreize für eine aktive Aufsichtstätigkeit. Die Qualität der Aufsicht ist vielmehr durch den Aktivitätsgrad der Behörde bedingt, das heißt dem Umstand geschuldet, ob die Aufsicht aktiv anlasslos oder passiv anlassbezogen ausgestaltet ist. Da sich der Aktivitätsgrad der staatlichen Aufsicht aufgrund der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten jedoch immer unterscheiden wird, ist es für die Qualität von ADR entscheidender, dass die qualitativen Mindestvorgaben der ADR-Richtlinie verschärft werden. Eine Anhebung der Standards würde letztlich auch zu einer Rationalisierung der ADR-Landschaft in einigen Mitgliedstaaten führen und die Sichtbarkeit von ADR erhöhen.
E. Notwendige Verzahnung von ADR und Ziviljustiz Das sechste Kapitel hat das Spannungsverhältnis effizienter Streitbeilegung durch ADR sowie Rechtsdurchsetzung und Rechtsentwicklung durch die Ziviljustiz beleuchtet. Es kann festgestellt werden, dass ADR sich in beiden Rechtsordnungen bislang nicht als Feind der Ziviljustiz entpuppt hat. Ein ganzheitlicher Verdrängungswettbewerb zwischen ADR und Ziviljustiz ist weder erkennbar noch in der Zukunft zu erwarten.59 Allenfalls der englische FOS, der wohl aber selbst als „tribunal“ im Sinne des Art. 47 GRCh zu qualifizieren ist, vermag den Zivilgerichtsprozess für englische Verbraucher in Finanz- und Versicherungssachen faktisch zu substituieren.
57
Kap. 5 C. VI. Kap. 5 C. V. 59 Kap. 6 A. I. und Kap. 6 B. I. 1. 58
418
Kapitel 7: Fazit
Der Förderung von ADR kann nicht vorgeworfen werden, sie bahne den Weg für einen Bedeutungsverlust der Ziviljustiz. Vielmehr mobilisiert ADR vorwiegend Verbraucherbeschwerden, auf deren gerichtliche Geltendmachung Verbraucher aus rationalem Desinteresse andernfalls verzichtet hätten. Die Ziviljustiz bringt sich daher durch zu hohe Zugangsbarrieren allenfalls selbst um ihre Bedeutung. Jede Rechtsordnung hat selbst über ihre Bereitschaft zu entscheiden, in einen niedrigschwelligen Zugang zu den Gerichten zu investieren. Sowohl in England als auch in Deutschland sollte daher einer Rationalisierung der Kosten der gerichtlichen Streitbeilegung, etwa durch die Integration von Informationstechniken, Bedeutung zugemessen werden. Der geplante Online Court für England und Wales hat das Potenzial, diesen Weg zu beschreiten.60 Die Entscheidungspraxis von ADR-Stellen ist unlängst auf dem Radar von Literatur, Gesetzgebern und der Rechtsprechung gelandet und findet in die eigenen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen Eingang.61 Wie auch für die Ziviljustiz gilt für die Veröffentlichungspraxis von ADR-Stellen, dass nicht die Quantität, sondern die Qualität der Entscheidungen und Informationen zählt. ADR-Stellen sollten sich daher auf die Publikation rechtsgrundsätzlicher oder allgemeinbedeutender Erkenntnisse und Lösungsvorschläge beschränken, um für die Rechtslehre und -praxis leichter wahrnehmbar zu bleiben. Mit einer gelungenen Publikationsstrategie sind ADR-Stellen in der Lage, das Interesse der Allgemeinheit an der Rechtsprechung, dass darin liegt, für Klarheit und Weiterentwicklung des Rechts zu sorgen, ansatzweise zu kompensieren. Dies gilt sowohl für den Fall, dass eine Verbraucherstreitigkeit der Ziviljustiz entzogen wurde als auch für Situationen, in denen die Streitigkeiten die Zivilgerichte aufgrund einer rationalen Apathie der Verbraucher nicht erreicht hätte. ADR und Ziviljustiz stehen damit nicht nur in einem komplementären Verhältnis.62 Eine funktionierende, breit anerkannte ADR-Landschaft verlangt vielmehr nach einer zugänglichen Gerichtsbarkeit. Andernfalls wird die Teilnahmebereitschaft von Unternehmen in nicht regulierten Sektoren aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin gering bleiben. Umgekehrt ist gerade die englische Ziviljustiz davor zu warnen, geringwertige Streitigkeiten partout in ADR-Verfahren zu drängen. Dies wäre nur zu akzeptieren, wenn wirksame Mechanismen bestehen, die Streitigkeiten mit Präzedenzpotenzial identifizieren und einem gerichtlichen Urteil zuführen. In ihrem komplementären Verhältnis sollten sowohl ADR als auch die Ziviljustiz ihren ursprünglichen Charakter bewahren, um die Vorteile beider Mechanismen vollumfänglich zur Geltung zu bringen. In der Folge ist sowohl von einer zu weitreichenden Verrechtlichung von ADR als auch von einer qualitätsgefährdenden Kostenrationalisierung des Zivilprozesses zu warnen.
60
Kap. 6 A. I. 3. Kap. 6 A. I. und III. und Kap. 6 B. I. 3. 62 Kap. 6 C. III. 61
F. Gesamtfazit und Ausblick
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Da nur die Rechtsprechung letztverbindlich über Rechtsfragen entscheiden kann, verlangt eine Integration von ADR überdies die Etablierung von Vorlageund Verweisungsmechanismen zwischen ADR und der Ziviljustiz, die sicherstellen, dass Gerichte einerseits nicht mit einfach gelagerten Verbraucherstreitigkeiten überlastet werden und rechtsgrundsätzliche Fragen, andererseits, der richterlichen Klärung zugeführt werden.63 Die existierenden Mechanismen in vereinzelten Verfahrensordnungen der ADR-Stellen bieten gerade für Unternehmen nur wenig Anreiz, die Streitigkeit an ein Gericht zu verweisen und werden daher unzureichend genutzt. Begehrenswert wäre zudem ein einheitlicher Zugangspunkt für alle Verbraucherbeschwerden, der die Rechtsstreitigkeiten nach Art und Gegenstand einem sachgerechten Forum zuweist. Gerichtliche Rechtsmittel gegen ADR-Entscheidungen sind abzulehnen. Sie bergen die Gefahr, die Entschädigung des Verbrauchers zu verzögern und den Beurteilungs- und Ermessensspielraum der ADR-Stellen zu weit einzuschränken.
F. Gesamtfazit und Ausblick Die Erkenntnisse dieser Arbeit lassen sich übergreifend und in Ergänzung zu den soeben gezogenen kapitelspezifischen Fazits wie folgt zusammenfassen: 1. Die mindestharmonisierenden Vorschriften der ADR-Richtlinie haben in England und Deutschland nur geringe Auswirkungen gezeitigt.64 Die ADRLandschaften beider Rechtsordnungen waren, mit Ausnahme der allgemeinen Verbraucherschlichtung, bereits auf die Qualitätsanforderungen der Richtlinie eingestellt. Die Offenheit der Richtlinienvorgaben hinsichtlich der konkreten Funktionen von ADR, der materiellen Rechtsbindung von Lösungsvorschlägen sowie der staatlichen Anerkennung von und Aufsicht über den ADR-Sektor haben nicht nur in England und Deutschland, sondern unionsweit die Entwicklung stark divergierender ADR-Landschaften befördert. Im Rahmen der Anpassung und Verschärfung der Vorgaben der ADR-Richtlinie wird sich der europäische Gesetzgeber erneut vor die große Herausforderung gestellt sehen, den streitkulturellen Unterschieden der verschiedenen Rechtsordnungen sowie der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten hinreichend Rechnung zu tragen. 2. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Funktionen von ADR nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis nicht auf den Aspekt der Streitbeilegung reduzieren lassen.65 Politisch ist mit der Förderung von ADR, zumindest in England, eine Entlastung der Gerichte intendiert. Als prozedurales Verbraucherschutzinstrument dient ADR dazu, strukturelle Ungleichgewichte zwischen
63
Kap. 6 A. I. 4. und Kap. 6 B. I. 4. Zu den Implikationen der ADR-Richtlinie auf beide Rechtsordnungen unten unter Kap. 2 D. V. 65 Vgl. hierzu die Erkenntnisse aus Kap. 4. 64
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Kapitel 7: Fazit
Verbrauchern und Unternehmen durch das Angebot niedrigschwelliger, das heißt insbesondere kostenloser und informaler, Streitbeilegung abzubauen.66 Ausgehend vom Potenzial der ADR-Stellen, Beschwerdedaten zu erheben und zu aggregieren, zeitigt ADR ökonomische Steuerungswirkungen,67 welche die Rechtskonformität unternehmerischen Handelns und Beschwerdemanagements steigern und zu einer Verbesserung materiell-rechtlicher Standards für Verbraucher führen können. Diese Steuerungsüberschüsse sind sowohl bei der Frage der materiellen Rechtsbindung des Inhalts von Lösungsvorschlägen als auch im Rahmen der staatlichen Aufsicht über ADR abgebildet. a) Die Entscheidungsstandards in ADR-Verfahren mit Lösungsvorschlag, wie sie durch den englischen Fair-and-reasonable-Standard und das deutsche Rechtsorientierungsgebot verkörpert sind, entsprechen primär rechtlichen Kriterien, lassen neutralen dritten Personen indes genug Ermessensspielraum, um außerrechtliche Erwägungen zugunsten einer fairen Streitbeilegung berücksichtigen zu können.68 Eine Rechtsbindung des Entscheidungsinhalts, wie sie im Falle klarer Sach- und Rechtslagen sogar geboten ist,69 bewirkt ein höheres Maß an Rechtsverwirklichung, an dem Unternehmen ihr geschäftsmäßiges Handeln sowie ihr Beschwerdemanagement ausrichten. ADR steuert damit mittelbar – sei es intendiert oder nur reflexartig – unternehmerisches Verhalten. Gleichzeitig ermöglicht die Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen Abweichungen vom materiellen Recht. Dieses Ermessen dient nicht nur dem sachgerechten Einpreisen von Unsicherheiten, sondern auch der Verbesserung von Verbraucherschutzstandards im Falle einer Gesetzeslücke oder einer als unfair erachteten Rechtslage. Das Entscheidungsermessen ist damit zugleich Ausdruck eines sozialen Steuerungselements. b) Der Steuerungsüberschuss ist ferner in der englischen Aufsichtspraxis über den ADR-Sektor abgebildet. In England setzen die zuständigen Behörden für spezifische Wirtschaftssektoren im Bewusstsein über das Datenerhebungspotenzial gerichtsferner ADR auf eine enge Kooperation mit anerkannten ADR-Stellen in Form eines intensiven Datenaustauschs.70 Dieser ist wiederum Ausgangspunkt für regulatorische Maßnahmen und damit ökonomischer Steuerungswirkungen. Eine solch enge Kooperation findet in Deutschland mit Blick auf die für diametral gegensätzlich erklärten Bedürfnissen nach Neutralität und Vertraulichkeit von ADR einerseits und erhöhter Öffentlichkeit im Allgemeininteresse andererseits nicht statt.71 Die Untersuchung zeigt, dass dieses Spannungsverhält-
66
ADR ist damit soziales Steuerungsinstrument, Kap. 3 C. III. Kap. 3 C. II. 68 Kap. 4 E. IV. 69 So das Ergebnis unter Kap. 4 F. IV. 70 Vgl. Kap. 3 B. I. und Kap. 5. 71 Eine enge Kooperation mit zuständigen Behörden steht als solche nicht im Widerspruch mit der Neutralitätspflicht der ADR-Stellen und neutraler dritter Personen, hierzu Kap. 5 C. III. 67
F. Gesamtfazit und Ausblick
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nis zugunsten erhöhter Transparenz aufgelöst werden kann und soll, ohne die Integrität von ADR in Mitleidenschaft zu ziehen.72 3. Die gerichtliche wie auch die außergerichtliche Streitbeilegung ist durch das Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher Individualgerechtigkeit durch Rechtsanwendung und der besonders im Hinblick auf die Waffengleichheit der Parteien erforderlichen Effizienz der Streitbeilegung geprägt.73 Diese Ambivalenz spiegelt sich bereits in der Struktur von ADR-Stellen wider, die sich in der Spitze personell und institutionell durch eine hohe Sach- und Rechtskompetenz auszeichnen, aber zwangsläufig auf Mitarbeiter ohne fundierte juristische Qualifikationen zurückgreifen müssen, um das Beschwerdeaufkommen zu verhältnismäßigen Kosten bewältigen zu können. Ähnliches gilt für die bereits erwähnten Entscheidungsstandards in der Schlichtung, die zuvörderst einer individualgerechten Rechtsanwendung zu dienen bestimmt sind, aus Gründen der Effizienz indes genügend Flexibilität bieten, um tatsächliche und rechtliche Unsicherheiten beherrschen zu können. Unsicherheiten, die speziell deshalb bestehen, weil ADR auf eine ausführliche Beweisaufnahme zugunsten höherer Effizienz verzichtet. Die im Vergleich zum Zivilprozess vorgenommene Verschiebung der Parameter in ADR-Verfahren zugunsten erhöhter Effizienz und zum Nachteil der Individualgerechtigkeit findet ihre Rechtfertigung in der verbleibenden Privatautonomie des Verbrauchers, in Kenntnis der entscheidungserheblichen Kriterien und Unsicherheiten, den Lösungsvorschlag einer ADR-Stelle anzunehmen oder den Gerichtsweg zu bestreiten.74 Tendenziell ist ADR daher einem prozeduralen und der Zivilprozess mehr einem materiellen Verbraucherschutz zu dienen bestimmt. 4. Gerichtsferne ADR ist, das zeigt die Untersuchung für beide Rechtsordnungen, weder Gefahr noch Feind der Ziviljustiz und aufgrund mangelnder Teilnahmebereitschaft von Unternehmen vorrangig ein sektorspezifisches Phänomen.75 a) Etwaige Verdrängungseffekte für Verbraucherstreitigkeiten sind marginal und lassen sich nicht auf ein Konkurrenzverhältnis zurückführen. Ohnehin ginge die Annahme fehl, jede abgeworbene Streitigkeit würde die Rechtsprechung in Frage stellen; nur die wenigsten Verbraucherstreitigkeiten sind präzedenzträchtig. Aufgrund des üblicherweise geringen Streitwerts ist vielmehr von einem Mobilisierungseffekt für geringwertige Verbraucherstreitigkeiten durch niedrigschwellige ADR auszugehen. Wenngleich gerichtsferne ADR als Freund und Chance betrachtet werden sollte, fehlt es bislang an einer Strategie zur Integration von ADR in das staatliche Rechtsschutzsystem.
72
Kap. 5 C. III. Vgl. Kap. 4 A. 74 Vgl. Kap. 4 F. 75 Hierzu insbesondere Kap. 6. 73
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Kapitel 7: Fazit
b) Für eine solche Integrationsstrategie bedarf es jedoch fundierter Erkenntnisse zu den tatsächlichen Wechselwirkungen zwischen ADR und der Ziviljustiz, sodass dieses Gebiet dringend nach eingehender empirischer Forschung verlangt. Das gilt sowohl für etwaige Verdrängungseffekte als auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Erwartungen der Parteien an beide Rechtsschutzmöglichkeiten, die unternehmerische Teilnahmebereitschaft sowie für die Frage, inwieweit gerichtliche und außergerichtliche Streitbeilegung – je nach Art und Wert der Streitigkeit – für die Parteien praktisch nur alternativ oder auch kumulativ zur Verfügung stehen. Das im September 2020 vom BMJV in Auftrag gegebene Forschungsvorhaben zum Rückgang zivilgerichtlicher Verfahren ist insofern ein erfreulicher Schritt in die richtige Richtung. Rational können die Wechselwirkungen nur im Wege der Sekundärforschung mittels der Daten von ADR-Stellen und denen der Ziviljustiz erkundet werden. Hierfür bedürfte es einerseits der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit personenbezogener Daten im Rahmen der Primär- und Sekundärforschung. Andererseits müssten die Methoden der Erhebung und Aufbereitung der erhobenen Daten vereinheitlicht werden. Zur Erforschung von Ursachen- und Wirkungszusammenhängen bedarf es einheitlicher Kategorien zu dem zugrundeliegenden Streitgegenstand sowie multivariater Datensätze. Zur Erforschung der Wechselwirkungen sollte die Ziviljustiz darüber hinaus Daten zu der Frage erheben, ob eine Streitigkeit bereits Gegenstand eines Verfahrens einer bestimmten ADRStelle war. 5. Zukünftig wird die Integration von ADR in die Rechtssysteme Englands und Deutschlands davon abhängen, inwieweit es gelingt, ein Kooperationsgefüge zwischen Ziviljustiz und gerichtsferner ADR zu etablieren. Als Anknüpfungspunkte für ein erfolgreiches Komplementaritätsverhältnis bieten sich Vorlage- oder Verweisungsmechanismen, ein einheitlicher Zugangspunkt für alle Rechtsschutzmöglichkeiten sowie eine Rationalisierung der ADR-Landschaft durch verschärfte Qualitätsanforderungen an. a) Die Rechtsprechung würde im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten durch Vorlagemechanismen der ADR-Stellen zu Zivilgerichten gestärkt, da durch die Mobilisierungswirkung von ADR rechtsgrundsätzliche Fragestellungen geklärt werden könnten, welche die Justiz aufgrund eines geringen Streitwerts nicht erreicht hätten.76 Eine gerichtliche Vorlage wäre, angelehnt an das Vorabentscheidungsverfahren des EuGH nach Art. 267 AEUV, aus Kosten- und Zeitgründen auf entscheidungserhebliche Rechtsfragen mit allgemeiner Bedeutung zu beschränken. In der öffentlichen Klärung von Rechtsfragen liegt das entscheidende Allgemeininteresse, während die Subsumtion der Rechtsprechung unter den Sachverhalt, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen, weiterhin ureigene Aufgabe von ADR-Stellen bleiben sollte. Eine ausführliche gerichtliche Beweisaufnahme würde das Ziel effizienter Streitbeilegung durch
76
Hierzu dies Ausführungen in Kap. 6.
F. Gesamtfazit und Ausblick
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ADR konterkarieren, selten im Interesse der Parteien liegen und regelmäßig zum Streitwert unverhältnismäßige Kosten verursachen. Da eine gerichtliche Klärung vorrangig im Interesse der Allgemeinheit erfolgt, sind die Rechtskosten der Parteien zu subventionieren. Andernfalls, dies zeigen die bisher ungenutzten existierenden Verweisungsmechanismen in ADR-Verfahren, dürften Parteien kaum für eine Vorlage zu begeistern sein. Die Vorlage sollte nicht zur Pflicht einer ADR-Stelle werden, sondern in ihrem Ermessen liegen. Eine gerichtliche Überprüfung von ADR-Entscheidungen brächte demgegenüber keinen nennenswerten Mehrwert, da mit ihr nur eine Willkürkontrolle, nicht aber eine Klärung von Rechtsfragen vorgenommen werden könnte. Hierbei sind freilich etwaige Überschneidungen mit nationalen oder unionsrechtlichen überindividuellen Klagemöglichkeiten nicht ausgeschlossen und zu beachten. Der Einsatz von ADR im Anschluss an Entscheidungen oder Vergleichen aus Musterfeststellungsverfahren ist begrüßenswert, wird aber allenfalls bei entsprechenden Kostenanreizen seitens der ADR-Stellen auf eine Teilnahmebereitschaft der Unternehmen stoßen. Die zukünftige EU-Verbandsklage soll mittels eines „Abhilfebeschlusses“ für eine unmittelbare Kompensation der betroffenen Verbraucher sorgen, sodass ein Rückgriff auf ADR im Nachgang des Verfahrens nicht erforderlich sein wird. b) Ein einheitlicher Zugangspunkt für alle Streitbeilegungsmethoden („single point of entry“ oder „multi-door courthouse“) würde das Bewusstsein der Bevölkerung und der Justiz für ADR stärken. Mittels einer Onlinemaske könnte ein Großteil der Streitigkeit dem für sie passenden Forum zugeleitet werden. Die ODR-Plattform der Kommission ist für diese Aufgabe allerdings ungeeignet, da sie den Rechtsschutz durch die nationale Ziviljustiz unbeachtet lässt. Der Online Court77 für England und Wales birgt das Potenzial eines single point of entry, sodass die Entwicklungen mit großem Interesse zu verfolgen sein werden. c) Eine Rationalisierung der teils unübersichtlichen ADR-Landschaften in den Mitgliedstaaten ist erforderlich, um die Sichtbarkeit von ADR für die Bevölkerung zu erhöhen. Die Anzahl der ADR-Stellen ist allerdings nicht gesetzlich zu limitieren, sondern sollte mittelbar durch verschärfte national- und unionsrechtliche Qualitätsstandards reguliert werden. Es wäre sinnwidrig, bereits etablierte und renommierte ADR-Stellen aus dem Markt zu drängen. Der mit verschärften Anforderungen verbundene Mehraufwand darf die Kosteneffizienz der ADR-Stellen zwar nicht gefährden, das Geschäftsfeld für Anbieter mit geringem Beschwerdeaufkommen allerdings unattraktiver machen. Insofern wären gestufte rechtliche Qualifikationen an die Mitarbeiter einer ADR-Stelle desiderabel. Opportun wäre zudem eine unionsrechtliche Klarstellung der Rolle zwingenden materiellen Verbraucherrechts in der Mediation und für Lösungsvorschläge in Schlichtungsverfahren.
77
Hierzu Kap. 4 C. V. 1. d) und Kap. 6 A. I. 3.
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Kapitel 7: Fazit
6. Ausblickend wird die Entwicklung von ADR in Verbrauchersachen, speziell in nicht regulierten Wirtschaftsbereichen, vom nationalen Vertrauen in diese Art der Streitbeilegung sowie der Bereitschaft eines jeden Mitgliedstaats abhängen, ADR – ohne Kosten zu scheuen – in das eigene Rechtsschutzsystem zu integrieren. Die Erkenntnisse dieser Untersuchung zeigen, dass ADR das Potenzial birgt, zugunsten der Verbraucher, aber auch im Interesse der Allgemeinheit, soziale und ökonomische Wirkungen zu entfalten; die Arbeit plädiert dafür, ADR nicht als Gefahr, sondern als Chance zu betrachten. Angesichts der geringen Teilnahmebereitschaft mag die noch junge Pflanze ADR weiterer intensiver Pflege bedürfen, bevor sie ihren Platz zwischen den großen Bäumen der Ziviljustiz finden kann. Es wäre jedoch ein Fehler, würde man ADR aus Angst allzu leichtfertig in Quarantäne verkümmern lassen.
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Register Access to Justice 2, 8, 33, 93–99 Access-to-Justice-Bewegung Siehe Acces to Justice Adjudikation 39, 51, 253, 264 ADR – Bedeutung 25–38 – Befriedungsfunktion 96, 346 – Berufskammern und -verbände 57 – Energiesektor 49 f., 192, 229 – Ersatz für Ziviljustiz 88 – Finanz- und Versicherungssektor 41, 139 – Förderung 29, 153 – Formen 15, 38–40 – Frühwarnsignal 138 – Glücksspielsektor 57, 233 – Integration 1, 9, 117, 225, 367 f., 398, 401 f., 418 f., 421 f. – Komplementarität zur Ziviljustiz 417 – Kooperation mit Ziviljustiz 401 – Kraftfahrzeuggewerbe 57 – Marketinginstrument 107 – Mobilisierungswirkung 23, 154, 389, 408, 422 Siehe auch Mobilisierungseffekt – Neutralität 23, 119, 148, 151, 158–161, 350–354, 358–362, 409–411, 416 f. – öffentlicher Personenverkehr 52 – Rationalisierung 320 – rechtliche Rahmenbedingungen 60 – Rechtsdienstleistungen 55 f. – Rechtsdurchsetzungsfunktion 88, 90, 98 – Rechtstaatlichkeit 379 – Regulierungsinstrument 115 – Selbstregulierung 105, 130, 132 – soziale Befriedungsfunktion 91, 408 – soziales Steuerungsinstrument 158 – staatliche Gewährleistungsverantwortung 58 – Steuerungseffekte 153 – Streitbeilegungsfunktion 87, 104, 117, 123, 135 f., 407
– Strukturen 40 – Telekommunikationssektor 50–52, 118, 229, 322 – Transparenz 109–112, 161, 333, 341, 347, 356, 358, 379, 415–417 – Unabhängigkeit 23, 78, 173, 206, 236, 305, 350–354, 361, 410 f. – Unparteilichkeit 23, 78, 135, 173, 177, 206, 305, 309, 350–354 – Verdrängungswirkung 368, 386 – Verfahrensergebnis 79 – Vertrauen 331 – Vertraulichkeit 23, 26, 63, 161, 354–362, 416 – Ziele und Funktionen 86 ADR-Jurisdiktion 162, 191 ADR Regulations 43, 64, 67–74, 311, 344, 406 ADR Report 333 f., 338, 354 ADR-Richtlinie 18, 32 f., 61 f., 104, 154, 171–173, 189 f., 245, 309–311, 317 f. – Implikationen 66–84 – Mindestharmonisierung 406–408 – Mindestvorgaben 319 – rechtstaatliche Mindestgarantien 379 – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit 351 – Verschwiegenheit 359 – Vertraulichkeit 354 – Ziele 296 ADR-Stellen – Anerkennung 72, 311–315, 319–324, 363, 407 – Antragsformular 323 – Kooperation mit Behörden 358–362, 411, 420 – Kostendruck 365 – Neutralitätspflicht 158, 160, 343, 358, 410 – Rationalisierung 68, 74, 117, 336, 365, 401, 417 f., 422 f. – Selbstverständnis 144
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Register
– Widerruf der Anerkennung 324 f., 331 ADR-Vereinbarung 23, 187, 202–204, 208–211 – Durchsetzbarkeit 203, 210 AGB 72, 80, 110, 187–189, 195–197, 200 f., 204–209, 237 Amicable Dispute Resolution 13 Änderungsaufforderung 324–326, 349, 416 Anerkenntnis, sofortiges 156 Appropriate Dispute Resolution 13 Auffangschlichtung 59, 68, 76 Aufsicht 309 – anlassbezogene 331 – Berichtspflichten 327, 341, 361 – Ermessen 326 – Ermittlungsbefugnisse 349 – Fachaufsicht 330 – förmliche Selbstverpflichtung 327 – gebührenpflichtig 312 – Handlungsanweisungen 329 – Horizontale 310, 317, 364 – informeller Kontakt 330 – kontinuierliche 318, 326 – Kooperation 332 – Kosten 313, 363 – Kostendruck 346 – Listung ADR-Stellen 332 – Notwendigkeit 346 – Qualitätssicherung 348 – Rechtsaufsicht 330 – sektorspezifische 326, 346, 362 – Skaleneffekte 365 – Synergieeffekte 332 – Verhaltenssteuerung 362 – vertikale 310, 315 f., 346, 364 Aufsichtsbehörden 83, 109, 310 – Aufgaben 318 – Konkurrenz 363 – Kooperation 338 Beibringungsgrundsatz 375 Berichtspflichten der ADR-Stellen 105, 327–329, 332, 338, 347–350, 416 Berufsfreiheit 143, 293, 322 Beschwerdedaten 107–111, 129, 142, 160 f., 350, 359, 362, 410 f., 420 Beschwerdemanagement 129 f., 138 f., 296, 328, 338, 409, 411
Beschwerdemechanismus, unternehmens interner 16, 22, 77, 107, 151 f., 155 Beurteilungsspielraum 298 Beweislast 125, 201, 281, 414 Billigkeitserwägungen 80, 97, 263 f., 282 f., 295, 302, 420, 422 Binnenmarkt 1, 82, 85, 105, 292 – ~förderung 89, 293, 296, 408, 412 – ~kompetenz 104 Brexit 64, 84 Bundesamt für Justiz 80, 314–316, 323, 331 f., 362–365, 387 – Bußgeldbehörde 345 – Verbraucherschlichtungsbericht 334– 338, 345 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 315 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 316 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 316 Cause of action 248–251, 253 Center for Effective Dispute Resolution 51, 53, 232, 253, 264 Civil Aviation Authority 53, 313, 321, 327, 329, 334, 340 f., 344 f. Civil Procedure Rules 28, 64, 216, 220, 233, 248, 252 Claim Management Company 126, 129, 131 Common Law 210, 247 f., 269, 372–374 Compromise agreement Siehe Vergleich Consent Order 204 Consideration 195, 237–241 Consumer Dispute Resolution 14 Court of Appeal – Clark v In Focus Asset Management & Tax Solution Ltd 249 – Halsey 62, 215, 221, 376 – Heather Moor 251 CTSI 70, 311–313, 319 f., 327, 333 f., 338 f., 344, 364 Daten – Veröffentlichung 146 Datenerhebung 107 f., 115, 121, 128, 135 f., 339, 341 f., 350 Datenverarbeitung 342
Register Department for Business, Innovation and Skills 67–69, 311 Drittwirkung 174 – Grundrechte 186 – mittelbare 174–177 Early/Expert Neutral Evaluation 38 Effektivitätsgrundsatz 169, 255, 287 Effet utile Siehe Effektivitätsgrundsatz EGMR – Heather Moor 176, 255 Einmalprozessierer 20 Einvernehmliche Lösung 106 EMRK 166 f., 169, 173, 176 f., 181 f., 184, 254–256 Energy Ombudsman 41, 49 f., 135, 340 – Funktionen 135 Ergebnisbindung 226–254, 290, 292, 412 – asymmetrisch-autonome 234 – asymmetrisch-heteronome 232, 293 f., 414 – asymmetrische 228–231, 236, 243 f., 290, 299, 321 – heteronome 229, 303 – symmetrisch-autonome 237–247 – symmetrisch-heteronome 226 Erheblichkeitsschwelle 324 f., 330, 349, 416 Ermessensfehler 298 Ermessensgrenzen 413 EuGH 169–172, 174 f., 188–190, 210, 422 – Alassini 169 – Menini 171, 371 Europäische Kommission 3, 13, 70, 80, 84, 309–312, 333 Fair-and-reasonable-Standard 122 f., 255 f., 259–273, 294–297, 374 f., 407, 412, 420 – Ermessensgrenzen 266 – Prozessuale Auswirkungen 272 – Fairnesskriterien Siehe Billigkeitserwägungen FIN-NET 40 f. Financial Conduct Authority 42 f., 70, 126, 128–131, 134, 311, 317, 339 Financial Ombudsman Service (FOS) 42– 45, 117 f., 123–135, 176, 229–231, 260–263, 266–269, 384 f. – drei zentrale Rollen 134
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– Entscheidungen 265 – Frühwarnsystem 126 – Kooperation mit FCS 339 f. – Rechtskraft von Entscheidungen 249– 256 FluggastrechteVO 285 Freiwilligkeit 7, 75, 171–173, 193, 196, 198, 204, 209, 228, 291 Frieden, sozialer 145 Gambling Commission 320 f., 328, 341 Gerechtigkeit 94, 97, 134, 160, 219, 406 – formelle 114 – Individual~ 114, 117, 164 f., 398, 401, 405, 408, 421 – materielle 380 – Verfahrens~ 114, 295, 347, 381 Gerichtliche Überprüfung 122, 176, 230 f., 253, 269 Geschäftspraktiken, missbräuchliche 108, 110 f., 125–129, 133 f., 148–150, 159–160, 338–340, 358–363, 410 f. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes 166 f., 169, 171, 173, 179, 182, 398 Gewährung rechtlichen Gehörs 90, 149, 206 Gewaltenteilung 299 Gewaltmonopol, staatliches 162 f., 182 GG 80, 143, 163, 183 f. GRCh 166–170, 173–175, 177, 182, 187, 189 f., 254 f., 291–294 Günstigkeitsvergleich 307, 415 Güterichter 66 Gütesiegel 318 Gütestelle 33, 245 Handlungslast 10, 162 f., 191, 193, 290, 300, 413 Henderson-v-Henderson-Regel 248, 251 f. High Court 266 – Andrew & Ors v Barclays Bank Plc 217 – Andrews v SBJ Benefit Consultants Ltd 250 – Aviva Life and Pensions 268 – Binns v Firstplus Financial Group Plc 219, 252 – Crawford 273 – IFG Financial Services 271 – Norwich and Peterborough Building Society 268, 270
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Register
Human Rights Act 1998 181 Informationsasymmetrien 159 Informationspflichten 69, 80, 84, 142, 306, 332, 334, 337, 407 – Durchsetzung 343–345, 349 – gegenüber Behörden 72 – der zuständigen Behörden 332–338 Jackson-Reformen 30, 62 Jordan ADR Order 213 Judicial Review 121, 178, 230, 233, 253, 266 f., 293 Justizgewährungsanspruch 166, 182–184, 411 f. Justizgrundrechte 176 Justizhoheit 163 Justizmonopol 309 Kampf um’s Recht 114 Key Performance Indicators 329 Klage 169, 171, 188, 203, 210 f., 215 f., 240, 245 Klageausschluss, peremptorischer 412 Klageverzicht 209 – dilatorischer 202, 208 – peremptorischer 199, 204, 292 Klauselrichtlinie 187 f., 200 Kollektiver Rechtsschutz 92, 133 Komplementarität 82, 86, 97, 389, 397, 399 f. Kosten – Anwalts~ 378 – Rationalisierung 398 – Rechtsverfolgungs~ 19, 26, 28 f., 154, 158, 164, 219, 409 – Sachverständigen~ 215 Kostenlast 76, 143, 149, 154, 409 f. Kostenrisiko 19, 144, 389, 394, 400 Kostensanktion 216, 218, 221, 224, 291, 371, 403 Kreuzverhör 121 Kundenzufriedenheit 22, 107, 141, 145, 148 f., 285, 329 Law Commission 384 f. legal aid Siehe Prozesskostenhilfe
Legal Ombudsman 55, 119, 191, 232 f., 252 f., 260 f., 293, 311 Legislative 30–32, 69, 75 f., 85, 106, 112, 155, 178 – Rückwirkungen 384, 395 Lizenzbedingung 57, 192, 229 f. Lucerna Review 329 Marktstandards 111, 129 f., 146–148, 152–156, 296, 332, 341, 362, 409 Marktverhalten 108, 153, 347, 359, 409 Massenbeschwerden 91, 131–134, 146, 160 Mediation 15, 25–32, 34 f., 38, 202, 254, 258, 380 – gerichtsnahe 371 – obligatorische 30, 171 – Rechtsbindung 301 – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit 354 Mediationsgesetz 4, 62, 65, 139, 354 f. Mediationsrichtlinie 61, 64 f., 171, 173, 189, 406 Merger-Doktrin 227, 249–251 Methodik 9 Mindestharmonisierung 256, 309, 348 Mobilisierungseffekt 128, 360, 403, 421 Musterfeststellungsklage 37, 60, 395, 403, 423 Novation 243 ODR-Kontaktstelle 335 ODR-Plattform 73, 335, 337, 402, 423 ODR-Verordnung 3, 61 f., 84, 337, 343 Ofcom 51, 192, 229, 311, 313, 322, 324, 328 f. Öffentlichkeitsgrundsatz 357 Office for Legal Complaints 119 Ofgem 49, 70, 135–138, 311, 317, 329 f., 340 Ombudsman Association 39, 321 Ombudsmann der privaten Banken 46, 148 Ombudsperson 15, 24, 43 f., 121 f., 260, 268, 270, 276 – Ermessen 266 – Ermessensgrenzen 298 – Sachverhaltsermittlung 272 Ombudsprudence 374 Ombudsverfahren 27, 38 f., 122, 139, 260, 272, 371, 382
Register – Verfahrensergebnis 230 – Verrechtlichung 301 One meaning principle 270, 297, 373 Online Court 219–222, 368, 370, 399, 402, 418, 423 Ordnungsrecht 109, 135, 142, 330, 339, 343, 358, 363 Parliamentary sovereignity 177 Part 36 offer 216, 368 Payment Protection Insurance 123–135, 155–157, 216 f., 219, 339 f. Pension Ombudsman 70, 176, 191, 231 PKV-Ombudsmann 47 f., 282 Präzedenzrecht 367, 372, 374 f., 377 f., 380 Prinzip der parlamentarischen Souveränität Siehe Parliamentary sovereignty Privatautonomie 63, 185–187, 204, 257, 291, 303 f., 412, 421 – Beschränkung 300 – Einschränkung 212 Prozesshindernis 203, 210 Prozesskostenhilfe 26, 28, 36, 113, 164, 168, 225, 405 Prozessrisikoanalyse 279, 295, 412 Qualitätssicherung 22, 39, 70, 309, 348, 363, 415 Rationale Apathie 2, 20, 99 f., 382, 410, 418 Rationales Desinteresse Siehe Rationale Apathie Rechtsanwendung 89, 108, 139, 164, 178, 271, 302 f., 401, 421 Rechtsbindung 163, 274, 300, 304, 379, 406, 412 – klare Sach- und Rechtslage 301 – materielles Recht 6 f., 99, 162 f., 254–290, 299–302, 304 f., 374, 413 f. Rechtsbruch, kalkulierter 111, 156, 180 Rechtsdurchsetzung 6 f., 88–90, 96–99, 163, 304, 399, 409 – private 345 – Verhaltenssteuerung 111 f. Rechtsfragen – grundsätzliche 92, 376, 382 f., 389, 391, 394 f.
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– ungeklärte 92 Rechtsfrieden 140, 143, 150, 222, 372 Rechtsorientierungsgebot 273–289, 294, 302, 306, 331, 411 f., 420 – ausländisches Recht 278 – Auslegung 273 Rechtsprechungsgewalt 175 Rechtsprechungsmonopol 182, 184 f. Rechtsschutzbedürfnis 245 Rechtsschutzlücken 104 Rechtsschutzversicherung 20, 113, 146 Rechtsstaatsprinzip 179, 182 f., 357 Rechtsverwirklichung 90, 152, 155–157, 300, 381, 397, 409, 420 Rechtszersplitterung 76, 314, 385 Regulierungsmaßnahmen 108, 110, 128, 152 Relative-oneroneous-Test 268, 270 Repeat Player 359 Res-judicata-Doktrin 227, 247–250, 252 f., 293 Restschuldversicherung 44, 123, 146 f., 152, 155, 396 Richter 116, 184, 212, 225, 274–276, 295, 357, 406 – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit 352 – Weisungsfreiheit 352 Richterrecht 180, 373 Ruhensanordnung 225 Rule-of-law-Doktrin 179–181, 269, 372 Schiedsverfahren 15 f., 181, 187, 200, 204, 254, 257, 357 – Entscheidungsstandard 257 – Rechtsbindung 301 – Schiedseinrede 203, 210 – Schiedsklausel 188, 201 – Schiedsspruch 16, 174, 188, 226–228, 236, 246 f., 258, 353 – Schiedsvereinbarung 63, 65, 201, 203, 205–208, 210, 226 f., 353 – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit 353 – Vertraulichkeit 3 56 Schlichtung 15, 38 f., 75, 83, 142 f., 174, 202, 244, 254 – informale Empfehlung 274 – Rechtsbindung 301 Schlichtungsabrede 197 f.
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Register
Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank 47 Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft 55 f. Schlichtungsstelle Energie 50, 143, 149, 152, 193, 283, 316, 393, 410 Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (söp) 54, 141, 147 f., 193, 235, 284 f., 315 f., 336 Schlichtungsvorschlag 15, 234–237, 244, 275, 277, 281 f., 290, 299 – anonymisiert 342 – ausländisches Recht 278 – Begründung 276 – Begründungspflicht 298, 306 – Ermessensfehler 298 – nach Aktenlage 199 – Rechtsorientierung 273 – Relationsgutachten 284 – Richtigkeitsgewähr 274, 302, 305 – Unsicherheiten im Sachverhalt 280 – Urteilsähnlichkeit 283 – Veröffentlichung 343, 391 Single point of entry 401, 423 Small claim track 27, 31, 213–215, 221, 368–370, 378 Sprungrevision 377 Steuerungswirkung – ökonomische 10, 154, 156 – soziale 10 Steuerungwirkung 152 – politische 10 Streitbeilegung 6–9, 74–77, 95 f., 114–117, 133–140, 165 f., 215 f., 418 – angemessene 282 – Befriedung 148 – effektive 95, 121 – effiziente 95, 121, 302 f. – faire 296 – informelle 251, 267, 273 – interessengerechte 95, 114, 295 – schnelle 171 Streitkultur 8, 25, 101, 114, 140, 151, 405 f. Streitmittler 23, 75, 83, 113, 275 f., 281, 283, 323 – Berufsverbot 351 – Neutralität 343, 352, 358, 360 – Qualifikation 78, 320
– Qualifikationsanforderungen 273, 307, 331 – Unparteilichkeit 352 Streitwert 46, 48, 55 f., 63, 200 f., 214, 219 – geringer 222 – Rechtsmittel~ 391 Strukturelle Unterlegenheit 158, 293, 306, 331, 414 Subsidiaritätsgrundsatz 82 Supreme Court 125, 377 – Plevin 125 – Unison 181 Teilnahmebereitschaft 3, 196–199, 292, 334, 337–339, 343, 386 f., 421 Teilnahmepflicht 68, 139, 149, 185, 228, 234, 292 f., 337 – asymmertisch-autonome 194–199 – asymmetrisch-heteronome 191–194 – asymmetrische 156, 226, 364 f., 409 – Verbraucher 291 Teilnahmevereinbarung 199–212 Tomlin Order 204 TRAVEL-NET 41 Überindividueller Rechtsschutz 160 Siehe Kollektiver Rechtsschutz UNCITRAL 61, 63, 65 Ungly Order 213 Universaldienstrichtlinie 50 f., 118, 169 f. Universalschlichtungsstelle des Bundes 59 f., 66, 77, 150, 196, 199, 330, 403 Unternehmer 21 Verbraucher 17 – ~begriff 18 – ~beratung 102, 119, 150 – ~leitbild 18 – ~vertrauen 48, 54, 104, 120, 197 – Interessen 18, 103, 114, 132 – strukturelle Unterlegenheit 162 – Unerfahrenheit 159 Verbraucherschlichtungsstelle 39, 58–60, 77 f., 150, 199, 245, 325 f., 348 – behördliche 52 f. – missbräuchliche Verwendung 345 Verbraucherschutz 4, 34, 73, 81 f., 118, 123, 299 f., 304–308, 413 f.
Register – materieller 421 – prozeduraler 151, 158 – Rechtsbindung 290 – Streitbeilegungszweck 305 Verbraucherschutzniveau 278, 293, 296 Verbraucherschutzrecht – Geltungsanspruch 287 – halbzwingendes 286, 305 – materielles 158 – Vollharmonisierung 278 – zwingendes 79, 243, 256, 301, 304 Verbraucherverbände 75, 109, 395 Verfahrensautonomie 3, 348, 366, 417 Verfahrensergebnis – gerichtliche Überprüfung 288 – Indizwirkung 381 – Rechsbindung 254 – Rechtskraft 247, 253 – Veröffentlichung 347 – Vollstreckbarkeit 303 – Wirkung 226 Verfahrensgrundrechte 183 Vergleich 4, 38, 237-246, 259, 286 – Abweichung von zwingendem Recht 286 – Anfechtung 239, 242 – Anwaltsvergleich 246 – Einwendungen und Einreden 242 – Friedensfunktion 288 – gegenseitiges Nachgeben 241 – Nichtigkeit 243 – Pro-Vergleichs-Rhetorik 379 – unklare Sach- oder Rechtslage 287 – Unwirksamkeit 286, 289, 301 Verhaltenskodex 27, 106, 130, 155, 194, 230, 263 f. Verhaltenssteuerung 110 f., 296, 362 Verhältnismäßigkeit 170, 293, 324, 383, 395 Verhandlungsparität 34, 100, 410 Veröffentlichungspraxis 156 f., 393, 418 Versäumnisurteil 240, 369 Versicherungsombudsmann 47, 142, 144–147, 196, 283, 302, 392 f., 396 Verweisung – an ADR-Stellen 370
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– an Gerichte 383, 394, 418 – Präzedenzfälle 382 Vollzugsdefizit 98, 246, 293 Vorlageverfahren 116, 169, 171, 382 Waffengleichheit 7, 99 f., 102, 142, 145, 158, 164 f., 179, 421 Wednesbury unreasonableness 233, 267 Weiterentwicklung des Rechts 5, 88, 92, 151, 367, 376, 386, 403, 418 Wesensgehalt 167, 169, 187, 294, 412 Wider-implications-Verfahren 127 Willkürkontrolle 233, 251, 266, 297, 304, 383, 414, 423 Woolf-Reformen 28, 33, 62, 115, 212 Ziviljustiz 5 f., 93–98, 116, 162 f., 309, 382, 393 f., 403, 421 – Bedeutungsverlust 82, 375, 378, 386 f., 398, 418 – Entlastung 87, 141, 153, 171, 173, 371, 408 – Falleingangszahlen 369, 388, 391 – Herausforderung 383 – öffentliche Funktion 380 – Quartalsstatistiken 369 – Rechtsdurchsetzung 401 – Rechtsfortbildung 389 f., 395, 399 – Rückwirkungen 386, 397 – Schlichtungsvorschläge 392 – Verdrängungswirkung 86, 90, 386, 388 – Verhältnis zu ADR 86 – Zugänglichkeit 113, 398 – Zukunft 367 Zugang zu den Gerichten 94, 166, 173, 177, 180–184, 240, 291 f., 411 – Beschränkung 304 Zugang zum Recht 2, 85, 93–99, 113, 153, 380, 405 Zugangshindernisse 154, 408 – justizielle 19 – soziale 96, 99, 132, 145, 151 – wirtschaftliche 1, 96, 99 f., 151