Die Ersten im Kreis: Herrschaftsstrukturen und Generationen in der SED (1946–1971) [1 ed.] 9783737006606, 9783847106609


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Die Ersten im Kreis: Herrschaftsstrukturen und Generationen in der SED (1946–1971) [1 ed.]
 9783737006606, 9783847106609

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Tilman Pohlmann Die Ersten im Kreis Herrschaftsstrukturen und Generationen in der SED (1946---1971)

Berichte und Studien Nr. 73 herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.

Tilman Pohlmann

Die Ersten im Kreis Herrschaftsstrukturen und Generationen in der SED (1946–1971)

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Erich Höhne und Erich Pohl, Helmut Potzka, Roger Rössing und Renate Rössing Bildredaktion und Bearbeitung: Marta Pohlmann-Kryszkiewicz Die vorliegende Dissertation wurde von Prof. Dr. Günther Heydemann und Prof. Dr. Werner Müller betreut, am 18. Dezember 2015 verteidigt und von der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig angenommen.

1. Aufl. 2017 © 2017, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden ISSN 2366-0422 ISBN 978-3-7370-0660-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Dank

Mein Dank gilt an erster Stelle meinen Betreuern Prof. Dr. Günther Heydemann an der Universität Leipzig und Prof. Dr. Werner Müller an der Universität Rostock. Prof. Heydemann hat meine Forschungen über viele Jahre hinweg begleitet. Bereits während meines Studiums stand er am Historischen Seminar der Universität Leipzig meinen Fragestellungen an die DDR-Geschichte aufgeschlossen und interessiert gegenüber und hat mich stets gefördert und nachhaltig unterstützt. Gleiches gilt für die Zeit am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden (HAIT), wo ich die Zusammenarbeit mit ihm als dortigem Institutsdirektor fortsetzen konnte. Als Promotionsstipendiat des HAIT erhielt ich über einen Zeitraum von drei Jahren nicht nur die finanziellen Fördermittel für meine Arbeit und die abschließende Drucklegung, sondern ich profitierte zugleich außerordentlich von der offenen und fachlich-professionellen Atmosphäre am Institut. Zahlreichen Freunden und Kollegen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Francesca Weil, Andreas Kötzing, Mike Schmeitzner und Clemens Vollnhals haben Teile des Manuskripts gelesen und mir mit ihren wertvollen inhaltlichen und formalen Anregungen maßgeblich weitergeholfen. Gedankt sei ebenfalls Evelyn Brock, Hannelore Georgi, Gabriele Schmidt und Claudia Naumann für ihre unermüdliche Hilfe und Geduld in jeglichen Organisations- und Recherchefragen. Auch die zahlreichen externen Bibliotheks- und Archivmitarbeiter mit ihrem Engagement bei der Bearbeitung meiner Anfragen waren für das Gelingen der Arbeit unerlässlich. Insbesondere danke ich in diesem Zusammenhang Birgit Giese und Antje Reißmann vom Staatsarchiv Leipzig. Nadine Schmidt, Michael Thoß und Manja Preissler am HAIT halfen mit ihrem gewissenhaften und gründlichen Lektorat, Ilona Görke mit dem Satz. Der Verlag V&R unipress hat sich um die Drucklegung gekümmert, hierfür sei den Mitarbeitern in Göttingen ebenfalls gedankt. Kaum auszudrücken ist der Wert der Unterstützung meiner Familie. Meine Frau Marta hat mir durch ihre Zuversicht und ihr Vertrauen den entscheidenden Impuls geliefert, ein Projekt wie dieses anzugehen. In produktiven Phasen

6

Dank

brachte sie immer Verständnis für meine Abwesenheit(en) auf und wenn es nicht lief wie erhofft, gab sie mir Kraft zum Weitermachen. Unseren Kindern Ignaz und Emil bin ich unheimlich dankbar, dass sie mir immer wieder Räume der Ablenkung, Erholung und Freiheit verschafft haben. Meinem Vater sei gedankt dafür, dass er immer ein offenes Ohr für mich hatte. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter, die viel zu früh verstorben ist und so dessen Fertigstellung nicht mehr erlebt hat. Leipzig, den 24.10.2016 Tilman Pohlmann

Inhaltsverzeichnis

I.

II.

Einleitung

11

1. Fragestellung und Untersuchungszeitraum

11

2. Forschungsstand

13

3. Quellen

15

4. Aufbau der Arbeit

17

Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung der SED-Kreisleitungen in der Ulbricht-Ära

21

1. Erste Schritte kommunistischer Machtdurchsetzung in den Kreisverbänden der SED (1946–1947)

21

2. Der Wandel von den SED-Kreisvorständen zu SED-Kreisleitungen »Neuen Typs« (1948–1951) 42 2.1 Instrumentarien des stalinistischen Parteikonzepts: Einrichtung der Kreisparteiaktive und Kreisparteikontrollkommissionen (1948) 2.2 Reorganisation der SED-Kreisleitungen (1949–1950) 3. Veränderungen der SED-Kreisleitungen im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform (1952) 3.1 Organisatorischer Epilog: SED-Stadtbezirksleitungen in den sächsischen Großstädten und Organisationskomitees der SED-Kreisleitungen 3.2 Territorialstruktur der Kreise in den neuen Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig 3.3 Einsetzung der neuen SED-Kreisleitungen, Reformdefizite und Konflikte

51 62 75

78 87 90

8

Inhaltsverzeichnis

4. Krisenhafte Konsolidierung der 1950er-Jahre und Veränderungen in den SED-Kreissekretariaten (1954–1960) 5. Reform und Restauration: Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip und deren Scheitern in den sächsischen Kreisparteiorganisationen (1963–1971) 5.1 Rahmenbedingungen im Vorfeld des NÖSPL 5.2 Neue Führungsinstanzen der SED-Kreisleitungen: Büros für Industrie und Bauwesen bzw. Landwirtschaft und Ideologische Kommissionen 5.3 Abstimmungsprobleme und Kritik der neuen Leitungsstrukturen 5.4 Sukzessive Rückname der Reformen und Restituierung der Leitungsstrukturen der 1950er-Jahre III. Soziografie der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

V.

105 105

109 110 118

123

1. Eingrenzung des Sozialprofils

126

2. Soziale und politische Herkunft

126

2.1 2.2 2.3 2.4

IV.

98

Beruf des Vaters Politische Bindung der Elternhäuser Sozialräumliche Herkunft, dörfliche und städtische Milieus Schule, Ausbildung und Berufseinstieg

128 130 133 136

3. Prolepse zu Geschlechterrelationen an der Spitze der SED-Kreisleitungen

142

Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

149

1. Kurzvorstellung der politischen Generationen

153

2. Erste politische Generation (Jahrgänge bis 1902)

157

3. Zweite politische Generation (Jahrgänge 1903–1916)

166

4. Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917–1925)

177

5. Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926–1932)

189

Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

199

1. (Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen in die SED-Kreisleitungen zwischen 1945 und 1953

199

Inhaltsverzeichnis

9

2. Rekrutierungsperiode zwischen 1952 und 1958

209

3. Rekrutierungsperiode zwischen 1958 und 1963

212

3.1 Generationenkonflikt im Bezirk Leipzig 3.2 Kaderkarrieren und berufliche Mobilität

213 216

4. Rekrutierungsperiode zwischen 1963 und 1971

217

VI. Zusammenfassung

221

VII. Anhang

237

1. Übersichten

237

2. Unveröffentlichte Quellen

239

2.1 Merkmalübersicht erhobener Daten der Datenbank

241

3. Gedruckte Quellen und Erinnerungen

242

4. Literaturverzeichnis

244

5. Abkürzungsverzeichnis

257

6. Personenverzeichnis

259

I.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit zur Geschichte der 1. Kreissekretäre der SED und »ihrer« Kreissekretariate in den sächsischen Bezirken der Ulbricht-Ära ist angelegt als eine Untersuchung, die den Blickwinkel institutionengeschichtlicher Fragestellungen durch eine Sozialgeschichte der lokalen Träger des Staatssozialismus zu erweitern sucht. Auf diese Weise soll ein Beitrag zu einer differenzierten Herrschaftsgeschichtsschreibung über die DDR im regionalen Rahmen geleistet werden. In Anlehnung an und Erweiterung von Max Webers Beschreibung von Herrschaft als »[…] Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden [...]«1, werden die Voraussetzungen und Bedingungen eben dieser Chance ausgelotet. Anhand der Analyse der institutionellen Ordnungsrahmen innerhalb der Binnenstrukturen sächsischer SED-Kreisleitungen in Kombination mit einer kollektivbiografischen Verortung der verantwortlichen Akteure soll der Problematik entgegengewirkt werden, dass bei der Mehrheit der Untersuchungen zur DDR-Diktatur im Allgemeinen und zur Staatspartei SED im Besonderen Struktur- und Erfahrungsgeschichte bis dato noch immer weit auseinanderklaffen.2

1. Fragestellung und Untersuchungszeitraum Erst die Zusammenführung der strukturellen und personellen Binnenperspektivierung macht die Wirkungszusammenhänge regionaler SED-Herrschaft nachvollziehbar. Die Analyse zu den Kreissekretariaten und deren 1. Sekretären in den sächsischen Kreisen muss in Anbetracht der Komplexität der Thematik jedoch notwendigerweise Schwerpunkte setzen. Daher erfolgt die Erschließung des Themas analog zur Einordnung in die bestimmenden Gegenstandsbereiche 1 2

Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 38. Vgl. Sabrow, Künstlicher Konsens, S. 201.

12

Einleitung

in drei Blöcke, die sich sowohl in Bezug auf die Art der Darstellung als auch auf die Reichweite der zeitlichen Betrachtung unterscheiden. Die verschiedenen Ebenen eint jedoch die übergeordnete Fragestellung nach den streng innerparteilichen Faktoren und Ursachen für die hohe Stabilität der SED-Parteiherrschaft in der Ulbricht-Ära. Erstens geht es um die Erschließung der Phasen des Aufbaus, der Konsolidierung und der Stabilisierung der SED-Leitungsgremien in den sächsischen Kreisen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Ende der Amtszeit Walter Ulbrichts. Anhand der Analyse der organisationsstrukturellen Binnenordnungen in den sächsischen Kreissekretariaten wird eruiert, welche strukturellen Leitungsprinzipien in den Augen der Führung der Staatspartei dazu geeignet gewesen waren, vor Ort den umfassenden Herrschaftsanspruch umsetzen zu können und nicht zuletzt auch, wie sich diese Leitungsprinzipien im Laufe des Untersuchungszeitraums wandelten. Ergänzt wird diese Analyseebene durch die Beleuchtung von Konflikten, Umsetzungsproblemen und Grenzen der politischen Herrschaftspraxis bei der Durchsetzung struktureller Modifikationen in den regionalen Parteiorganisationen. Zweitens rücken mit den 1. Kreissekretären die politisch verantwortlichen Akteure bzw. Systemträger der SED als soziale Gruppe in den Vordergrund. Damit wendet sich die Untersuchung dezidiert gegen Deutungen, nach denen die kommunistische Parteiherrschaft in der DDR als ein monolithisches, eindimensional überformtes Apparat-System gedeutet wird. Hier wird davon ausgegangen, dass auch die Funktionseliten der 1. Kreissekretäre soziale und politische Individuen waren. Sie richteten ihre Handlungspraxis nach eigenen Wertmaßstäben, Bewusstseins- und Handlungspotenzialen aus, die sie während der verschiedenen lebensgeschichtlichen Phasen politischer, beruflicher und familiärer Sozialisation entwickelt und ausgebildet haben. Dieser Annahme wird mit der Analyse ihres Sozialprofils und ihrer generationellen Schichtung Rechnung getragen. Daraus folgt zugleich, dass der erfahrungsgeschichtliche Untersuchungsrahmen sich über die engere Phase der SBZ/DDR-Zeit hinaus ausdehnt. Orientiert an den Entwicklungsspannen der kollektiven Lebensläufe der 1. Kreissekretäre wird das Zeitfenster der Betrachtung bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein ausgeweitet. Drittens schlägt die Studie in einem letzten Schritt den Bogen wieder zurück in die Zeit der SBZ/DDR und thematisiert die Prozesse des Elitenauf- und -umbaus in der Ulbricht-Ära. Durch die Einteilung in chronologische Rekrutierungsperioden wird die gestaffelte Verteilung der vier politischen Generationen 1. SED-Kreissekretäre in den sächsischen Kreissekretariaten herausgearbeitet. Zu fragen ist dabei, welche spezifische Verbindung zwischen den kaderpolitischen Qualifikationsanforderungen der Parteispitze an die regionalen Führungskader und deren heterogene generationelle Profile bestand und inwiefern sich diese

Forschungsstand

13

Anforderungen über die ersten 25 Jahre der SED-Herrschaft veränderten. Auf diese Weise werden die Bezüge zwischen dem übergeordneten Interesse des staatssozialistischen Regimes an dauerhafter Machtsicherung unter wechselnden äußeren politischen Bedingungen und den soziokulturellen und generationellen Profilen der politischen Führungsgruppen in den regionalen sächsischen Kreisparteileitungen herausgearbeitet.

2. Forschungsstand »Alles schon erforscht, wenn es um die Geschichte der DDR geht?« Diese Frage wird in der zeithistorischen Forschung zur DDR vielfach diskutiert. Dies verwundert kaum, wenn man sich knapp 25 Jahre nach der Öffnung der Archive die enorme Bilanz an Publikationen vergegenwärtigt, die sich auf die Geschichte des Staatssozialismus im östlichen Teil Deutschlands zwischen 1945 und 1989 beziehen.3 Jedoch ist »die Geschichte« – und das schließt freilich die Forschung zur DDR-Geschichte ein – nicht etwas durch quantitative Forschungsbemühungen abschließbares. Tatsächlich gibt es nach wie vor eine ganze Reihe Forschungsdesiderata, gerade in Bezug auf die SED als führende Staatspartei.4 Im Hinblick auf die übergreifende Geschichte der SED liegen mittlerweile etliche Darstellungen vor.5 Die Untersuchung von Spezialthemen der DDR- und SED-Geschichte begann nach 1990 zunächst mit der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission.6 Mit dem 1997 erschienenen Handbuch »Die SED«7 wurden weitere Teile, besonders der Organisationsstrukturen, der SED beschrieben. Diese Untersuchungen hatten vornehmlich die zentralen Bereiche der Parteihierarchie im Blick, es mangelte hingegen an Darstellungen zu den mittleren und unteren Parteiebenen.8 Ende der 1990er-Jahre begann dann zunächst mit den Arbeiten von Helga Welsh, die anhand funktionaler und kaderpolitischer Zugänge die 3 4 5

6 7 8

Jessen, DDR-Forschung, S. 1052. Einen systematisierenden Überblick über den Stand zur SED-Forschung bieten Jessen/Wentker, Umrisse eines Forschungsfeldes, S. 7–16. Für die Zeit vor 1990 sind hier vor allem zu nennen Schultz, Funktionär; Stern, Bolschewistische Partei; Förtsch/Mann, Die SED; Weber, Sozialistische Einheitspartei. Für die Zeit nach 1990 siehe Malycha, Stalinisierung; Amos, SED-Zentrale; Malycha, Geschichte der SED. Vgl. Kaiser, Herrschaftsinstrumente; Deutscher Bundestag, Materialien Enquete-Kommission. Prieß, SED-Parteiorganisation. Zu DDR-Zeiten erschienen für den internen Dienstgebrauch drei Veröffentlichungen des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED zum organisationsstrukturellen Wandel der Partei, die auch die Kreis- und Bezirksstrukturen der SED zum Gegenstand hatten. Wegen der mangelhaften Quellenverweise, weiteren fehlenden Angaben und der tendenziösen Darstellung sind diese Arbeiten jedoch von erheblich eingeschränktem Wert. Vgl. Uebel/Woitinas Parteiaufbau 1946–1954; Woitinas/Geder, Parteiaufbau 1954–1963; Lautenschlag, Parteiaufbau 1963–1967.

14

Einleitung

Herrschaftsorganisation der SED auf der Ebene der Bezirke untersuchte, eine vermehrte Hinwendung zu den regionalen Mittelinstanzen der Partei.9 Heinz Mestrup legte im Jahr 2000 mit seiner umfangreichen Darstellung zur Kaderpolitik, Mitgliederbewegung und Herrschaftspraxis der SED im Bezirk Erfurt eine erste regionalgeschichtliche Studie vor, die zudem die bis dato wenig beleuchtete Phase der 1970er- und 1980er-Jahre erhellte.10 An den Ansatz, sich über die räumliche Begrenzung des Gegenstandes auf einen empirisch besser zu operationalisierenden Ausschnitt der Parteigeschichte zu konzentrieren, knüpften dann 2002 Mike Schmeitzner und Stefan Donth mit ihrer Studie zur »Diktaturdurchsetzung« der KPD/SED in Sachsen an.11 Die Autoren untersuchten dabei anhand einer dichten Beschreibung die Frühphase der SED-Parteigeschichte sowohl auf dem organisationsstrukturellen Feld als auch auf dem Gebiet der gesellschaftspolitischen Praxis. Der an die Regionalgeschichte zur SED in Thüringen anknüpfende Sammelband von Heinrich Best und Heinz Mestrup erweiterte 2003 die herrschaftspolitischen Fragestellungen um organisationssoziologische Analysen besonders für die Kreis- und Ortsebene der SED. In dieser Veröffentlichung wurden auch erste gruppenbiografische Befunde zu 1. und 2. Kreissekretären in den Bezirken Erfurt, Gera und Suhl vorgestellt.12 Weitere Aufschlüsse über die Handlungsspielräume der SED-Bezirksleitungen als Mittelinstanzen13 und deren leitende Funktionäre als kollektive Akteure lieferte Mario Niemann mit seiner Studie zu den SED-Bezirkssekretären auf dem gesamten Gebiet der DDR zwischen 1952 und 1989.14 Niemann erweiterte außerdem zusammen mit Andreas Herbst mittels der lexikalischen Zusammenstellung von Kurzbiografien der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen der SED die Kenntnisse zu dieser für die flächendeckende Herrschaftsorganisation so wichtigen politischen Akteure.15 Seit einigen Jahren rückt in verschiedenen Einzeluntersuchungen zunehmend auch eine gesellschaftshistorische Betrachtung der SED-Parteigeschichte in den Vordergrund,16 die den Mentalitäten und Einstellungen der SED-Nomenklatura 9 10 11

12 13

14 15 16

Welsh, Macht und Ohnmacht; Dies., Kaderpolitik auf dem Prüfstand. Mestrup, Die SED. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung. Vgl. darüber hinaus auch die Untersuchungen zur Etablierung der kommunistischen Herrschaft in Sachsen von 1945–1952 in dem 2003 erschienenen Sammelband Behring/Schmeitzner, Genese der kommunistischen Herrschaft. Best/Mestrup, Sekretäre. Vgl. zur kollektivbiografischen Analyse S. 485–507. Die Bezirke der DDR als Gegenstand rückten nun immer stärker ins Zentrum des Forschungsinteresses. Der Sammelband Richter/Schaarschmidt/Schmeitzner, Länder, Gaue und Bezirke bündelte 2007 wichtige Untersuchungen zu verschiedenen Facetten dieser SED-Mittelinstanzen. Vgl. darin die folgenden Beiträge von Mestrup/Gebauer, Erste Sekretäre; Rowell, »Bezirksfürsten«; Niemann, Kaderpolitik in Sachsen; Kurzweg/Werner, SED und Staatsapparat. Niemann, Sekretäre. Niemann, SED-Kader. Ebenfalls versammelt sind in dem Lexikon die Kurzbiografien der Ministerpräsidenten der Länder bis 1952 sowie der Vorsitzenden der Räte der Bezirke. Bahr/Pannen, Soziale Wirklichkeit; Bahr, Parteiherrschaft.

Quellen

15

Rechnung trägt.17 Zumeist bilden jedoch allgemeinere soziale und generationelle Einteilungen, die anhand früherer Untersuchungen der Eliten- und Generationenforschung gewonnen wurden, die Ausgangspunkte für die vornehmlich auf die Kaderpolitik der SED in der unmittelbaren DDR-Zeit bezogenen Darstellungen.18 Die vorliegende Untersuchung setzt hingegen einen anderen Schwerpunkt: Erstmals wird der systematische Versuch unternommen, anhand kollektivbiografischen Datenmaterials die politische Sozialisation, die mentalen Prägungen und das spezifische generationelle Profil der 1. SED-Kreissekretäre bis in die Frühphase des 20. Jahrhunderts zurückzuverfolgen, um damit den sozial- und erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund kommunistischer Herrschaftsorganisation auf der unteren Parteiebene herauszuarbeiten.19

3. Quellen Die Untersuchung zur Organisationsentwicklung und den Institutionalisierungsprozessen innerparteilicher Herrschaftsdurchsetzung auf der Ebene der SED-Kreisleitungen basiert zu einem Großteil auf der Überlieferung der regionalen Leitungsinstanzen der SED-Kreisparteiorganisationen sowie dem Quellenmaterial der übergeordneten Bezirks- bzw. Landesleitungen und des ZK der SED. Besonders die Bestände auf Kreis- und Bezirksebene geben Einblick in die vielfältigen politischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse vor Ort. Anhand der Protokolle der Sekretariats- bzw. Bürositzungen der SED-Kreisleitungen lassen sich sowohl die größeren Linien der vom Zentralkomitee der SED vorgegebenen organisationspolitischen Ziele und Vorgaben ablesen als auch die Potenziale, Konflikte und Grenzen von deren praktischer Umsetzung innerhalb der regionalen und lokalen Parteieinheiten reflektieren. Während die Beschlussoder Arbeitsprotokolle der zentralen Parteiebene kaum Einblick in die Entscheidungsfindungen innerhalb dieses Leitungsgremiums zulassen, sind die Sekretariatssitzungen der sächsischen SED-Kreisleitungen vielfach in stenografischer Form überliefert. Dadurch können vielfach unterschiedliche Haltungen und Positionen der leitenden Funktionäre zu verschiedenen politischen Fragen nachvollzogen 17 18

19

Bergien, »Parteiarbeiter«; Meenzen, »Gutes Klassenbewusstsein«. Zur Elitenforschung über SED- und DDR-Leitungsfunktionäre vgl. Ludz, Parteielite; Meyer, DDR-Machtelite; Bauerkämper/Danyel/Hübner, Führungsgruppen der DDR; Ettrich, Eliten im Staatssozialismus; Hornbostel, Sozialistische Eliten; Salheiser, Parteitreu, plangemäß, professionell?. Zur Generationenforschung über die DDR vgl. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte; Fulbrook, Generationen und Kohorten; Wierling, Jahr Eins. Zum Phänomen der politischen Generationen unabhängig von der engeren DDR-Forschung vgl. Fogt, Politische Generationen; Reulecke, Generationalität und Lebensgeschichte. Zur Untersuchung der politischen Sozialisation während der DDR anhand autobiografischer Gruppengespräche mit Angehörigen der »Intelligenz« vgl. Geulen, Politische Sozialisation.

16

Einleitung

werden. Die regionale Aktenüberlieferung der SED-Kreisleitungen, besonders des Bezirks Leipzig, enthält neben den Protokollen der Leitungssitzungen eine Vielzahl normativer Quellen wie etwa parteiinterne Strukturvorgaben, Richtlinien, Arbeitspläne, auf besondere Vorkommnisse bezogene Informations- und Instrukteurberichte sowie Einschätzungen über einzelne Parteifunktionäre. Die Bestände weisen insgesamt zwar eine große Materialfülle auf, gleichwohl kann weder von einer kontinuierlichen noch von einer lückenlosen Überlieferungspraxis der SED für den gesamten Untersuchungszeitraum gesprochen werden. Der ansonsten so überbetont auf formalen Organisationsstrukturen basierenden Herrschaft der SED fehlte in diesem Punkt über weite Strecken das zentrale Element bürokratischer Praxis: die »Zurechenbarkeit«.20 Zusammengenommen bieten die Bestände jedoch äußerst anschauliche Einblicke in die politischen Gegebenheiten am unteren Rand des SED-Systems, die eine kritische Beurteilung der parteiinternen Entwicklungsprozesse politischer Herrschaftsorganisation in den 25 Jahren der Ulbricht-Ära ermöglichen. Die angesprochenen Unzurechenbarkeiten in der Überlieferungspraxis der SED wogen für die Recherche zu denjenigen Abschnitten der Studie, die sich mit dem sozialen und generationellen Profil der 1. SED-Kreissekretäre beschäftigen, wesentlich schwerer. Das Ziel war es, eine Datenbank mit umfassenden Angaben zur sozialen und politischen Herkunft, den schulischen und beruflichen Qualifikationen sowie zur politischen Sozialisation und den Generationsschichtungen dieser Funktionäre zu erstellen. Da weder in der Forschungsliteratur noch innerhalb der einzelnen Archivbestände der ehemaligen SED-Bezirksparteiarchive gebündelte Aufstellungen der 1. Kreissekretäre vorhanden sind, wurde zunächst über eine umfangreiche Recherche eine Liste mit den Namen, Amtszeiten und Einsatzorten dieser Gruppe erstellt. Als Grundlage dafür dienten die überlieferten Unterlagen zu den SED-Kreisdelegiertenkonferenzen, die Protokolle der SED-Kreis- und Bezirksleitungen und die Arbeits- und Beschlussprotokolle des Sekretariats des ZK der SED. Leider sind die Personalakten der 1. SED-Kreissekretäre in der zentralen Abteilung für Kaderfragen äußerst lückenhaft überliefert. Lediglich zehn Prozent dieser für das biografische Profil so wichtigen Quellengattung waren in dem Bestand zu den 1. SED-Kreissekretären in Sachsen vorhanden. In den ehemaligen SED-Bezirksparteiarchiven, die nach 1990 in das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden bzw. die Staatsarchive Chemnitz und Leipzig überführt wurden, sowie in der »Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR« im Bundesarchiv konnten zusätzlich weitere 24 Prozent Kaderakten ausfindig gemacht werden. Die relevanten biografischen Informationen zu den 66 Prozent 20

Lüdtke, Akten, S. 23. Vgl. des Weiteren zur Aktenüberlieferung der SED als historische Quelle Wolle, Aktenüberlieferung, S. 211–219.

Aufbau der Arbeit

17

der 1. Kreissekretäre, deren Kaderakten nicht überliefert sind, wurden zu einem Großteil aus verschiedenen parteiinternen Überlieferungszusammenhängen der Bestände der erwähnten sächsischen Regionalarchive gewonnen. Aus Dokumentengruppen wie Lebensläufen, Delegiertenbögen, Charakteristiken und Einschätzungen wurden so weit als möglich die noch fehlenden biografischen Informationen ermittelt. Die so zusammengestellte Datenbank umfasst letztlich 313 während der Ulbricht-Ära amtierende 1. SED-Kreissekretäre. Zu jedem Funktionär wurden Angaben über die soziale Herkunft, die Schul- und Berufsausbildung, die politische Sozialisation, Haft- und Kriegserfahrungen und die Laufbahnstationen außer- und innerhalb der SED gesammelt.21 Durch das Zusammentragen der kollektivbiografischen Informationen aus den genannten Beständen und Quellengattungen konnte in puncto Eintragsvollständigkeit für jeden erfassten 1. SED-Kreissekretär der hohe Wert von knapp 80 Prozent erreicht werden, d. h. bei keinem der hier untersuchten Funktionäre fehlen mehr als sechs von 23 Werten der gesamten Variablenausprägung. Ein quellenkritisch positiver Effekt, der sich aus der heterogenen Überlieferungssituation ergab, war der Vergleich der Kaderinformationen in den verschiedenen Dokumentengattungen. Dies kam der Genauigkeit der Einträge letztlich zu Gute. Durch das Abgleichen der Daten konnten Unregelmäßigkeiten, falsche Angaben und Erfassungslücken minimiert werden. Bei den Analysen der Datenbankeinträge kommt es freilich punktuell zu unterschiedlichen Graden an Repräsentativität, da je nach Fragestellung auch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Merkmalsquantitäten der Funktionäre variiert. Bei der Erfassung der 1. SED-Kreissekretäre stand jedoch nicht die absolute Vollständigkeit im Sinne einer Totalerhebung im Zentrum der Recherchebemühungen. Es sollte mit der Gesamtzahl der ermittelten Funktionäre in den sächsischen Bezirken für die Zeit bis 1971 eine Quote erreicht werden, die ein hohes Maß an empirischer Repräsentativität beanspruchen kann und die es ermöglicht, den sozialen Wandel innerhalb der SED auf Kreisebene nachzuvollziehen.

4. Aufbau der Arbeit Die Studie befasst sich im ersten Hauptkapitel mit der organisationsstrukturellen Entwicklungsgeschichte der SED-Kreisleitungen in der Ulbricht-Ära. Anhand einer Kombination aus strukturanalytischer und herrschaftspolitischer Perspektivierung werden in chronologisch deutlich abgegrenzten Perioden der

21

In den angemerkten Punkten erschöpft sich die Variablenbasis der Datenbank jedoch keinesfalls. Unter Kapitel 7.2.1 ist die vollständige Auflistung der erhobenen Merkmale verzeichnet, die nach Möglichkeit für jeden einzelnen 1. SED-Kreissekretär erhoben wurden.

18

Einleitung

SED-Parteigeschichte die politischen Rahmenbedingungen, Gestaltungsmöglichkeiten- und grenzen der Institutionalisierung politischen Herrschaftsanspruches in der Organisationspraxis des eigenen »Kreisapparates« ausgelotet. Gerade die Spitzengremien auf der unteren Ebene der Parteihierarchie hatten aufgrund ihrer unmittelbaren Präsenz »im Territorium« zentrale Bedeutung für die Umsetzung des herrschaftspolitischen Gestaltungswillens der SED und waren daher zwischen 1946 und 1971 oftmals primärer Ansatzpunkt für Strukturreformen auf der Suche nach der Optimierung zentral gelenkter diktatorischer Herrschaftsorganisation. Zunächst ging es 1946 noch hinter vorgehaltener Hand darum, innerhalb der »zwangsvereinigten« Einheitspartei den Prozess kommunistischer »Diktaturdurchsetzung«22 moderat in die Wege zu leiten. Mit der proklamierten Umformung der SED zur »Partei neuen Typus« wurde dann ab 1948 die offene Transformation durchgesetzt und schließlich im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform das strukturelle Grundgerüst regionaler SED-Parteiherrschaft in den Kreisen der drei sächsischen Bezirke vervielfacht und ausgebaut. Die wesentlichen Rahmenbedingungen organisationspolitischer Herrschaft waren nun aufgebaut. Während der Konsolidierungsphase der SED gegen Mitte der 1950er-Jahre initiierte die Parteiführung Umformungen der Spitzengremien der Kreissekretariate, die zur Vereinfachung politischer Leitungsprozesse durch die SED bei gleichzeitigem Autonomieverlust der kommunalen Instanzen beitragen sollten. Der abschließende Abschnitt des ersten Kapitels nimmt schließlich die Auswirkungen in den Blick, die die »Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip« in den 1960er-Jahren mit sich brachte. Im Besonderen wird danach gefragt, ob es der SED in dieser Phase gelang, die Erfordernisse »ökonomischen Eigensinns«23 einer modernen Industriegesellschaft mit dem eigenen Macht- und Kontrollbedürfnis in Einklang zu bringen. Hier zeigte sich auf der Ebene der Kreise jedoch, dass es dem SED-Führungspersonal diesbezüglich an Reformwillen fehlte und die Partei bald zum Maximum parteipolitischer Kontrollstrukturen zurückkehrte. Im zweiten Kapitel steht die Sozialgeschichte der 1. SED-Kreissekretäre als politische Elite im Fokus. In einer systematischen Herangehensweise werden über die Kollektivbiografien quantitative Daten zu den wichtigsten Aspekten des Sozialprofils ausgewertet. Die soziale und politische Herkunft als sozialisatorisches Grundgerüst der späteren Funktionäre wird analysiert anhand von Querschnittsauswertungen zu folgenden Aspekten: den Berufen der Väter, den parteipolitischen Bindungen in den Elternhäusern und der sozialräumlichen Herkunft. Daran schließt sich eine Auswertung der Bildungs- und Berufsvoraussetzungen der Gruppe sowie deren unterschiedliche Berufseinstiege als be22 23

Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 12. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 202.

Aufbau der Arbeit

19

stimmende Erfahrungen im Bereich der sekundären Sozialisation an. Das Kapitel schließt ab mit einem Exkurs zu den Geschlechterrelationen in den regionalen SED-Kreisparteiapparaten zwischen 1946 und 1971. Im dritten Hauptkapitel werden die 1. SED-Kreissekretäre durch die Einteilung in »politische Generationen«24 aus dem Blickwinkel der Erfahrungsgeschichte heraus betrachtet. So rücken deren vielschichtige kollektive Lebensverläufe in den Vordergrund. Über eine an der Abfolge der Generationen orientierte diachrone Darstellung wird nachvollzogen, wie die Angehörigen der vier vorgestellten Jahrgangskohorten in ihren formativen politischen Prägungsphasen von verschiedenen Kollektiverlebnissen geprägt wurden, welche mentalen Dispositionen sie ausbildeten und was für politische Bindungen und dauerhafte Wertvorstellungen sie entwickelten. Untersucht wird, ob gerade die auf den ersten Blick so heterogenen Sozialisationsmuster und Erfahrungswelten der einzelnen politischen Generationen vor 1945 bei genauerem Hinsehen nach der Epochenzäsur von 1945 für den Machtapparat der SED zu mehr habituellen Anschlussfähigkeiten, Kontinuitäten und Konvergenzen führen sollten, als zunächst anzunehmen wäre. Im letzten Kapitel wird schließlich nachvollzogen, wie sich die Konfiguration des herausgearbeiteten Generationenprofils der 1. SED-Kreissekretäre in den sächsischen Kreisen zwischen 1946 und 1971 wandelte. Die Veränderungsprozesse bei der Auswahl der regionalen Spitzenkader werden in vier Rekrutierungsperioden nachvollzogen. Vor diesem Hintergrund treten zum einen die diskontinuierlichen Kriterien der SED-Kaderpolitik zur optimalen Umsetzung ihrer herrschaftspolitischen Vorgaben in den Vordergrund. Zum anderen wird die Frage erörtert, ob es der SED gelang, den Generationswandel in den regionalen sächsischen Kreisleitungen fließend zu gestalten oder ob die Kaderpolitik auf diesem Feld nicht vielmehr durch abrupte Rekrutierungsschübe gekennzeichnet war. Behandelt werden abschließend ebenso die typischen Karrierewege der 1. Kreissekretäre und deren Wandel sowie die bestimmenden Muster ihrer beruflichen Mobilität.

24

Fogt, Politische Generationen, S. 21.

II. Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung der SED-Kreisleitungen in der Ulbricht-Ära

1. Erste Schritte kommunistischer Machtdurchsetzung in den Kreisverbänden der SED (1946–1947) Dass die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im April 1946 gerade zu Ostern vollzogen worden ist, entbehrt nicht der Ironie eines symbolischen Kurzschlusses. Zwar beteuerte Walter Ulbricht auf dem Vereinigungsparteitag am 21. und 22. April 1946 in der Staatsoper in Berlin, es habe nicht nur eine »einfache Vereinigung« von Sozialdemokraten und Kommunisten stattgefunden, sondern eine »Neugeburt der deutschen Arbeiterbewegung«.1 Die von theatralischer Suggestivität getragene Einheitsinszenierung in Form des Händedrucks der »von links« und »von rechts« auf die Bühne des Admiralspalastes tretenden, sich »in dieser Mitte« treffenden Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD) sollte dies wirkungsvoll unterstreichen.2 Im Verlauf des Jahres 1946 bestimmten in Sachsen jedoch erste interne Weichenstellungen die Parteiorganisationsentwicklung der SED auf Landes- und auf Kreisebene, die eher einer »Wiederauferstehung« organisationsstruktureller KPD-Prinzipien zugeordnet werden können als dem so pathetisch proklamierten gemeinsamen Neubeginn. Formal hatte der Vereinigungsparteitag mit dem neuen Parteistatut die Grundlage für den Organisationsaufbau der SED gelegt.3 Anhand dessen sollten die organisatorischen Grundlinien der SED erkennbar gemacht werden. Es war jedoch unterlassen worden, für die Gremien der untergeordneten Parteiorgane im Einzelnen – und hier besonders für die Kreise – genauere Richtlinien aufzustellen, die das Praxishandeln der Funktionäre hätten strukturieren können. 1 2 3

Protokoll des Vereinigungsparteitages, S. 161. Ebd., S. 12. Parteistatut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert), ebenso abgedruckt in Dokumente der SED, Band I, S. 11–23.

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Ausdruck dessen war der § 11 des Statuts, der die Struktur der Kreisparteiorganisationen der SED festlegen sollte. Darin hieß es: »Aufbau und Aufgaben der Ortsgruppen und der Kreise regelt das Kreisstatut (§ 25)«. § 25 hatte jedoch ebenfalls Verweischarakter und kündigte lediglich eine erst noch vorzunehmende organisationspolitische Festlegung von sogenannten Sonderstatuten an: »1. Aufbau, Aufgaben, Tätigkeit und Finanzen der Gliederungen werden durch besondere Statuten der Kreise und der Landes- (Provinzial-)Verbände geregelt. 2. Das Sonderstatut und seine Änderungen beschließt die Delegiertenkonferenz der Gliederung. Die Beschlüsse der Kreise bedürfen der Zustimmung des Landes- (Provinzial)-Verbandes […]. 3. Der Parteivorstand stellt Muster für die Sonderstatuten auf.«4 Eben dieser Parteivorstand nahm jedoch zunächst bewusst keine Ausformulierung der Organisationsprinzipien anhand der angekündigten Sonderstatuten vor. Die Kreisvorstände konnten sich deshalb nicht auf explizite statuarische Ordnungsvorgaben in ihrem Alltagshandeln berufen. Die »Anleitung« der Grundorganisationen in den Kreisen durch die Kreisvorstände trug somit starke Züge von politischer Willkür. Im praktischen Vollzug der politischen Organisationsarbeit der SED-Kreisverbände zeigte sich 1946 bald, dass aus der Partei eine »straffe Klassenkampforganisation« werden sollte, wie sie den Kommunisten als Leitbild bereits weit vor der Vereinigung vorgeschwebt hatte.5 Immer lauter wurden in den Monaten nach der Gründung der Partei die Stimmen aus einzelnen Bezirks-, Kreis- und Ortsvorständen, die das Fehlen der im Statut angekündigten Festlegungen monierten. Besonders ehemalige SPD-Mitglieder vermuteten in diesem organisatorischen Schwebezustand ein gezielt verdecktes Leitungsprinzip, das den übergeordneten Parteiinstanzen durch die Mitglieder nicht legitimierte, autoritäre Eingriffsmöglichkeiten in die Angelegenheiten der unteren Gebietskörperschaften ermöglichte. Auf einer Bezirksvorstandssitzung der SED in Leipzig fasste der ehemalige Bornaer SPD-Unterbezirkssekretär und spätere Vorsitzende des paritätischen Kreisvorstandes der SED in Leipzig, Heinrich Bretthorst, seine Bedenken wie folgt zusammen: »Wenn wir die Geschichte durchgehen [seit der Gründung der SED im April 1946, T.P.], so finden wir überall die Weigerung, für diese Organisation Statuten zu schaffen, das heißt, dass wir Ortsstatuten schaffen wollten, Kreisstatuten […]. Es ist hingewiesen worden auf den § 25 […]. Diese Statuten haben wir überhaupt nicht bekommen. Ich muss sagen, dass ich den Verdacht habe, dass wir sie gar nicht

4 5

Dokumente der SED, Band I, S. 23. Vgl. Arbeitsplan der KPD-Kreisleitung Dresden für März 1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.5.001, Bl. 62–68). Die verschiedenen Konfliktlinien und Aushandlungsprozesse im Vorfeld der Gründung der SED auf regionaler Ebene in Sachsen beschreiben umfassend Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 215–245. Zur zentralen Ebene der Parteiführung vgl. Krusch/Malycha, Sechziger-Konferenzen, S. 175–186.

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bekommen werden […] Warum lässt man sie einfach fort? Warum schafft man sie nicht? Ob sich daraus nicht eine Art unerwünschter Zentralismus entwickeln könnte […]?«6 Dieser freilich nur aus dem diskursiveren Politikverständnis der SED-Mitglieder sozialdemokratischer Tradition als solcher empfundene »unerwünschte« Zentralismus war bei der Formulierung des Statuts, das bewusst auf programmatische und organisationspolitische Härten des KPD-Flügels gegenüber der SPD verzichtet hatte, zumindest auf der Textoberfläche noch nicht vorgesehen.7 Was im kommunalpolitischen Alltag mit Unterstützung der Sowjetischen Militäradministration (SMA) bereits seit Mitte 1945 besonders im personellen Verwaltungsaufbau in den sächsischen Kreisen durchgeführt worden war, sollte hingegen bald auch organisationsstrukturell innerhalb der Partei umgesetzt werden.8 Bereits auf der ersten zentralen Arbeitstagung der SED-Organisationsleiter im Sommer 1946 wurde deutlich, dass es im Anschluss an die Vereinigung sehr wohl darum ging, die Leerstellen zu schließen, die aus dem »Kompromisscharakter«9 des SED-Parteistatuts entstanden waren. Jedoch nicht anhand von Praktiken innerparteilicher Willensbildung und demokratischer Aushandlungsprozesse innerhalb von gestaffelten, selbstbestimmten und faktisch beschlussfähigen Parteigliederungen – so hatte es der in der SPD sozialisierte Bretthorst noch eingefordert – sondern sukzessive anhand von autoritativen Vorgaben und Eingriffen der übergeordneten Leitungen, die bedingungslosen Gehorsam und Folgebereitschaft verlangten. Dieses kommunistische innerparteiliche Interaktionsverständnis sollte uneingeschränkt gelten, auch auf die Gefahr hin, dass »einige Genossen sagen, ein solches Vorgehen sei Diktatur des Parteivorstandes«, wie Ernst Wabra, der stellvertretende Leiter der Abteilung Organisation des SED-Landesvorstandes Sachsen, in seiner Analyse über die organisatorischen

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Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). Bretthorst bezieht sich auf den § 25 zu den Sonderstatuten, der auf dem Vereinigungsparteitag in das Statut aufgenommen wurde, später jedoch nicht mehr zur Anwendung kam. Als stellvertretendes Element ist hier im Besonderen das aus der sozialdemokratischen Tradition stammende Ortsgruppenprinzip zu nennen, das erst nach heftigen Diskussionen schließlich in das Statut der SED aufgenommen wurde. Vgl. für die Verhandlungen über die Grundeinheiten der SED im Allgemeinen Krusch/Malycha, Sechziger Konferenzen, S. 269 f. Die Auseinandersetzungen über die Frage der Einteilung der SED-Grundeinheiten in Orts-, Wohnbezirks- und Betriebsgruppen in Sachsen schildern besonders Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 233 f. Zur Situation von SPD und KPD in Sachsen in der Phase vor der Gründung der SED, gerade auch der Personalpolitik der KPD und der Einsetzung von Kommunisten in führende Positionen in den Kommunalverwaltungen Sachsens vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 188–214. Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 60; Malycha, Stalinisierung, S. 45.

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und herrschaftspraktischen Zustände in den Kreisparteiorganisationen Anfang August 1946 betonte.10 Die Reorganisation der Parteistrukturen in Sinne leninistischer Leitungsprinzipien stand aus der Sicht der Parteiführung der SED in der zweiten Jahreshälfte sogar im Zentrum der parteiinternen Agenda.11 Paradoxerweise katalysierte die Reorganisation gerade ein politisches Phänomen, dem sich die SED im Jahr 1946 zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal stellen sollte: die legitimatorische Absicherung ihres Herrschaftsanspruches in der Bevölkerung durch die »freien« Wahlen zu den Gemeindevertretungen sowie den Kreis- und Landtagen. Unter der terminologischen Maxime der »Durcharbeitung der Partei«12 wurde eine erste Transformationsphase initiiert, die sich bis Ende Januar 1947 hinzog und mit der »Erweiterung der Kreisvorstände der SED«,13 der Auflösung der Bezirksvorstände der SED14 und dem Beschluss über die »Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED«15 ihren formalen Abschluss finden sollte. Bereits die »Generalprobe«16 für die Herbstwahlen in Form des am 30. Juni 1946 in Sachsen abgehaltenen Volksentscheids zur »Überführung der Betriebe von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes«17 war ein wichtiger Ausgangspunkt für parteiinterne Weichenstellungen. Die Abstimmung diente formal dazu, die Enteignung von gewerblichen und industriellen Betrieben gesetzlich zu legitimieren. Die SED trat mit massiver Unterstützung der SMA in der Öffentlichkeit als Initiator der populären Kampagne auf. Die Partei wollte sich durch das Referendum den Zuspruch breiter Bevölkerungsteile sichern und das sächsische Wahlvolk gerade auch in Hinblick auf die anstehenden Kreis- und Landtagswahlen mobilisieren.18 10

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Stenografische Niederschrift über die Arbeitstagung der Organisationsleiter und Kassierer der Landes- und Provinzialvorstände vom 13. und 14.8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/76, Bl. 42). Vgl. Begrüßungsworte von Otto Grotewohl (ebd., Bl. 2 ff.). Stenografische Niederschrift über die Organisationskonferenz der SED vom 27. und 28.11.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/26, Bl. 14). Beschluss des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 16.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/ BV/16, unpaginiert). Beschluss des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 18.1.1947 (ebd.). Vgl. Beschluss des Zentralsekretariats der SED über die »Richtlinien für den Organisatorischen Aufbau der SED« vom 24.12.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/5/29, unpaginiert). Bouvier, Ausgeschaltet, S. 78. Vgl. Antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 288 f. Der Volksentscheid legalisierte die endgültige und entschädigungslose Enteignung des Vermögens der NSDAP und deren aktiver Mitglieder, der Kriegsverbrecher und Rüstungsprofiteure aufgrund der SMAD-Befehle Nr. 124, 154 und 181. Vgl. auch Creuzberger, Klassenkampf, S. 119. Der Volksentscheid war als Blockantrag der vier sächsischen »antifaschistisch-demokratischen Parteien« bei der Landesverwaltung Sachsen eingereicht und von dieser gebilligt worden. Vgl. besonders Thüsing, Landesverwaltung, S. 184 ff. Creuzberger, Klassenkampf, S. 122. Creuzberger beschreibt eingehend die sowjetische Einflussnahme auf das Zustandekommen des Referendums. Vgl. besonders den Bericht Walter

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Über diese nach außen gerichteten Aspekte gesellschaftlicher Legitimation und wahlkampftaktischer Erwägungen hinaus diente die erste großangelegte Kampagne der SED parteiintern zweierlei: Der mit der Gründung entstandene haupt- und ehrenamtliche Funktionärsapparat der unteren Parteiebenen sollte auf eventuelle Steuerungs- und Organisationsdefizite hin analysiert werden. Im gleichen Zuge sollten daraufhin auch neue Instrumente zentralistischer Führung und institutionalisierter Kontrolle implementiert werden. Die Organisationsdefizite der im SED-Bezirksverband Westsachsen zusammengefassten Grundeinheiten der Kreise traten während der Zeit des Volksentscheids besonders offen zu Tage.19 Ein Vierteljahr nach der Gründung der SED auf Landesebene bestand die vermeintliche Einheitspartei in den Grundeinheiten oftmals nur auf dem Papier. Ein Mitglied des Leipziger SED-Vorstandes berichtete auf einer Sekretariatssitzung Anfang Juli aus dem Kreis Grimma, »dass die Zusammenarbeit innerhalb der Organisationen nicht so ist, wie sie sein sollte. Das fängt bei der Kreisleitung an und wirkt sich aus bis in die Ortsgruppen. Unsere Organisation ist nicht zusammengewachsen, ist nicht eine Einheit. Das sieht man bei allen Zusammenkünften. Über die bekanntesten Fragen, die grundsätzlichsten Fragen gibt es Meinungsverschiedenheiten und das spiegelt sich in der Arbeit wider. Unsere erste Aufgabe muss es sein, innerhalb der Organisationen diese Einheit zu schaffen.«20 Die Differenzen gingen teilweise so weit, dass auf lokaler Ebene – besonders in ländlichen und kleinstädtischen Gebieten, in denen die SED vornehmlich über das von der SPD durchgesetzte Wohnbezirks- oder Ortsgruppenprinzip strukturiert war – noch immer getrennte Konferenzen von ehemaligen KPD- und SPD-Mitgliedern stattfanden, »ohne dass jeweils ein Genosse der gegenüberstehenden Partei [sic!] vertreten« war.21 Als Reaktion auf die chaotischen Organisationszustände und die Integrationsschwierigkeiten der unteren Parteieinheiten kam es in der Tat zunächst nicht zu der im Statut angekündigten Ausarbeitung von Kreis- und Ortsstatuten unter Mitwirkung der jeweiligen Kreisvorstände. Vielmehr folgte ein breit angelegter Einsatz von hauptamtlichen Parteifunktionären, die im gesamten sächsischen Landesgebiet als operative Einsatzstäbe der Vorstände die »Anleitung« der ihnen unterstellten Parteigliederungen übernahmen. Diese hatten die Einführung der von der Parteispitze festgelegten Leitungsmethoden umzusetzen und für eine einheitliche politische »Linie« zu sorgen.

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Ulbrichts über eine Beratung bei Stalin am 6.2.1946, abgedruckt in Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 68 f. Der Bezirksverband Westsachsen der SED umfasste die sechs Kreisverbände der SED in Borna, Döbeln, Grimma, Leipzig, Oschatz und Rochlitz. Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 16.9.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 3.7.1946 (ebd.). Ebd.

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Diese im Rahmen der Volksentscheid-Kampagne erstmals als verlängerte Arme der Parteiführung agierenden Instrukteure, die nicht durch Wahl der Mitglieder legitimiert, sondern durch Führungsbeschluss der übergeordneten Organisationsebenen durchgesetzt worden waren, arbeiteten vornehmlich gebietsweise.22 So war beispielsweise je ein »Dezernent« des Bezirksvorstandes Westsachsen einem der Kreise Borna, Döbeln, Grimma, Leipzig, Oschatz und Rochlitz zugeteilt. Als Dezernenten wurden 1946 im SED-Bezirksverband Leipzig zunächst noch die später Abteilungsleiter genannten hauptverantwortlichen Funktionäre für die einzelnen Aufgabengebiete der Sekretariate der SED bezeichnet. Die verschiedenen Funktionsbezeichnungen stellten bis 1947 ein nicht zu unterschätzendes Organisationsproblem dar, dem sich auch der Parteivorstand der SED widmete. So äußerte der Leiter der Abteilung Organisation im Zentralsekretariat des SED-Parteivorstandes Josef König auf der Arbeitstagung der Organisationsleiter in Berlin: »Genossen, es hilft nichts: Ihr müsst Euch von den alten Bezeichnungen trennen und Euch an die halten, die die Satzung vorschreibt, um so nach außen zu zeigen, dass wir zwar ein neues Gebilde aus ehemals zwei Parteien, aber jetzt nur noch eine Partei sind. Vielleicht nehmen die Instrukteure Gelegenheit, auch hierin in den Parteikörperschaften aufklärend zu wirken.«23 Die hauptamtlichen Parteifunktionäre wurden bei der »Durchorganisierung« der unteren Kreisparteiorganisationen durch Schüler der Landesparteischule der SED »Fritz Heckert« in Ottendorf unterstützt.24 Die Instrukteure arbeiteten überall dort besonders intensiv, wo Berichten von Arbeitsgebietsleitern zu Folge die fehlende Einheit der Ortsgruppen und Kreise sich »zu einem schwelenden Feuer unter der Oberfläche weiter gefressen [hat], und die Menschen zu einer gemeinsamen Zusammenarbeit nicht gekommen [sind].« Sie hatten den Auftrag, im Bedarfsfall eine »gründliche Reinigung« vorzunehmen und Kommissionen einzusetzen, »die die volle Vollmacht [sic!]« besaßen, »gründlich aufzuräumen«.25

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Ebd. Zur Integration der hauptamtlichen Instrukteure in den formalen Aufbau aller Leitungsinstanzen innerhalb der Partei von der Spitze des ZK an bis in die Kreisleitungen der SED vgl. auch die Beschreibung des »Instrukteursystems« besonders in der Zeit bis 1956 bei Schultz, Funktionär, S. 191 f. Stenografische Niederschrift über die Arbeitstagung der Organisationsleiter und Kassierer der Landes- und Provinzialvorstände vom 13. und 14.8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/76, Bl. 100). Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 3.7.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). Zur Gründungsgeschichte der Landesparteischule Ottendorf und dem Parteischulungssystem in Sachsen von 1945–52 vgl. die Darstellung bei Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 475 ff. sowie Schmeitzner, Schulen der Diktatur. Redebeitrag von Heinrich Bretthorst auf der Sekretariatssitzung zur Analyse der Volksentscheid-Kampagne. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 3.7.1946 (ebd.).

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Dabei stand während der ersten konzertierten Kampagne der neu entstandenen Partei das für das Zustandekommen der Vereinigung von SPD und KPD so zentrale Prinzip der Parität in einigen Kreisverbänden bereits im Jahr des Zusammenschlusses zur Disposition. Die Instrukteure des Leipziger SED-Bezirksvorstandes wurden von dessen Vorsitzenden Ernst Lohagen explizit dazu angehalten, in den Kreisen Funktionäre abzusetzen, die sich nicht der Parteidisziplin unterwarfen. Dazu müsse besonders »die Paritätssucht bis zur letzten Scheuerfrau« aufgegeben werden, da es nicht darauf ankomme, aus welcher Parteitradition die Funktionäre kämen, sondern hauptsächlich »wie die Genossen arbeiten«. Beachtet werden sollte laut Lohagen lediglich, »dass eine gewisse Parität gewahrt bleibt«.26 Auf der Ebene der Kreisparteiorganisationen der SED und deren untergeordneten Ortsgruppen wurde diese Maxime vielfach umgesetzt. Besonders ehemalige SPD-Funktionäre, die »kurz vor der Vereinigung gegen die Vereinigung öffentlich auftraten und dann die Vereinigung selber darstellten«, bescherten der SED während des Volksentscheids und den darauffolgenden Kommunalwahlen massive Glaubwürdigkeitsprobleme.27 Die Spannung, die sich daraus in den Kreisvorständen ergab und die »hinausgetragen wird bis in die einzelnen Ortsgruppen«, sollte »abgestellt« werden, indem die Instrukteure des Bezirks- und Landesvorstandes an den Kreisvorstandssitzungen teilnahmen und mit der Autorität der von ihnen verkörperten übergeordneten Instanz »vorschlugen«, Absetzungen zu beschließen.28 Trotz der zu dieser Phase der Parteientwicklung noch möglichen, vergleichsweise offenen Kritik an diesem Vorgehen, besonders aus den Reihen der ehemaligen SPD-Mitglieder – das Kreisvorstandesmitglied Otto Curtian (SPD/KPD) etwa bezeichnete solche Eingriffe in die Verantwortungsbereiche des Kreisvorstandes durch die Bezirksverwaltung im Zusammenhang mit der Praxis der Personalselektion als »Genossen-Abschlachten«29 – ordneten sich die Kreisorgane letztlich der Parteidisziplin unter und folgten den Anweisungen. Die zumeist aus den Reihen der ehemaligen KPD stammenden Instrukteure nutzten bei der Durchsetzung der Parteilinie auch ihre engen, teilweise inoffiziellen Beziehungen zu den politischen Offizieren der Kreiskommandanturen der SMA. Die Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht ließen bereits seit dem Frühjahr des Jahres bei entsprechenden Hinweisen der Instrukteure Verhöre durchführen, Redeverbote erteilen und die Überwachung der Post einzelner Parteifunktionäre und sogar gesamter Kreisvorstände durchführen.30 26 27 28 29 30

Redebeitrag von Ernst Lohagen, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 15.7.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). Bericht über die Sitzung des SED-Kreisvorstandes Borna vom 7.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/02/007, unpaginiert). Ebd. Ebd. Ebd.

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Der mangelnde Organisationsgrad der Kreisparteiorganisationen untermauerte dabei faktisch die Autorität der Instrukteure, deren Rolle und Kompetenzumfang parteiintern noch nirgendwo festgeschrieben war. Franz Dahlem umschrieb diesen Prozess der zunehmend zentralistisch geleiteten Politikdurchsetzung im August 1946 mit folgenden Worten: Wenn »unten die Organisation noch nicht funktioniert, wird sie [die SED-Parteiführung in Berlin, T.P.] zur Erledigung vorübergehender Aufgaben qualifizierte Genossen hinunterschicken. Im Übrigen reguliert die tägliche Arbeit selbst solche Dinge. Wo gute Instrukteure sich in einem Kreis festgesetzt haben, werden sie von ganz von selbst Kreissekretäre.«31 Das willkürliche Eingreifen stand in klarem Widerspruch zu dem im Statut in § 11, Satz 5 festgelegten Prinzip der Wahl der Mitglieder und Vorsitzenden der Kreisvorstände durch die Kreisdelegiertenkonferenzen. Es wurde jedoch auf regionaler Ebene im organisationspolitischen Herrschaftsalltag bereits im Jahr der Gründung der SED praktiziert. Diese Praxis war also üblich lange bevor die statuarische Festschreibung des »demokratischen Zentralismus«, der das diktatorische Eingreifen als Prinzip der »innerparteilichen Demokratie« ab 1950 formal legitimierte, in der SED offiziell proklamiert worden war.32 Das Abstimmungsergebnis des Volksentscheids wurde sowohl von der sowjetischen Militäradministration als auch von der SED-Führung als großer Erfolg für die Partei bewertet.33 Auch bei den Kommunalwahlen in den Kreisen schien das Kalkül aufgegangen zu sein, durch die Kampagne neben der Bevölkerung auch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Parteiapparates zu mobilisieren. So berichtete ein für den Kreis Oschatz zuständiger Instrukteur des Bezirksvorstandes, der Kreisvorstand habe in Folge seiner Anordnung direkt nach dem Volksentscheid eine »allgemeine Funktionärssitzung durchgeführt, die erstaunlicherweise so gut besucht wurde, wie sie überhaupt noch nicht besucht gewesen ist. Wir können überhaupt feststellen, dass auf Grund des Volksentscheids die Aktivität innerhalb der Partei wesentlich gestiegen ist. Wir haben diese Feststellung nicht nur an einem Ort machen können, sondern in verschiedenen Orten unseres Kreises.«34 Jedoch mehrten sich in den Tagen und Wochen nach dem Referendum gerade auch bei der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 31 32 33

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Eröffnungsrede von Franz Dahlem auf der zentralen Organisationskonferenz der SED in Berlin vom 27.11.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/26, Bl. 12). Zur Verankerung des Demokratischen Zentralismus im II. Statut der SED vgl. Dokumente der SED, Band III, S. 162–176, hier 167. Die Wahlbeteiligung lag bei 94 %. 77,6 % der abstimmungsberechtigten Bevölkerung votierte für die geplanten Enteignungen, lediglich 16,5 % sprachen sich dagegen aus. Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 3.7.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). In der Forschungsliteratur werden leicht abweichende Zahlen genannt, die jedoch nur Unterschiede im Dezimalbereich ausmachen. Vgl. Creuzberger, Klassenkampf, S. 129; Braun, Wahlen, S. 381. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 19.7.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 64).

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die Stimmen, dass die Abstimmung ebenfalls »die organisatorischen Schwächen der SED« habe deutlich werden lassen.35 In den Reihen der Partei begann man im Anschluss, die gesammelten Erfahrungen sowohl im Hinblick auf die im September und Oktober anberaumten Wahlen, als auch besonders auf die generelle innerparteiliche »Reorganisierung« und »Durcharbeitung« hin auszuwerten. Die zu diesem Anlass eigens einberufene Arbeitstagung mit den SED-Landes- und Provinzialvorständen und deren Organisationsleitern vom 13. und 14. August 1946 machte eines deutlich: Dem zentralen Parteivorstand kam es nun vor allem darauf an, von der Parteispitze aus »die Herstellung eines einheitlichen Aufbaus und die Anwendung einheitlicher Arbeitsmethoden in der Parteiorganisation« festzuschreiben und durchzusetzen. Josef König, der Leiter der Abteilung Parteiorganisation im Parteivorstand der SED, verwies darauf, dass besonders die »Erfahrung mit den Instrukteuren« beim Volksentscheid in Sachsen die Partei gelehrt hätte, dass diese »neuen Arbeitsmethoden« willig aufgenommen und in den Kreisen durchgeführt worden seien. Diese Tatsache gebe der Parteiführung den Mut, so König weiter, die »dringend notwendige Vereinheitlichung in Angriff zu nehmen«, zumal die »Mängel«, die vor allem darin bestanden hätten, dass »jeder Landes- bzw. Provinzialvorstand den Parteiaufbau nach eigenen Methoden vollzog«, durch die Instrukteure aufgefangen werden könnten. König schlug daraufhin vor, einen »ständigen Instrukteursapparat in unsere Parteiorganisation einzubauen und in den Organisationsabteilungen der Verbände anzugliedern. Diese Instrukteure sollen in allen Einheiten beratend eingreifen.«36 In Bezug auf die Durchsetzung von einheitlichem politischem Handeln standen besonders die den Kreisparteiorganisationen übergeordneten Bezirksverbände als aus der SPD-Tradition übernommene regionale Instanzen unterhalb der Landesverbände der SED in der Kritik. Die SED in Sachsen war 1946 unterteilt in die fünf Bezirke Bautzen, Chemnitz, Dresden (Ostsachsen), Leipzig (Westsachsen) und Zwickau.37

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Dies äußerte der politische Berater der SMAD Vladimir Semenov in einem Informationsbrief über die politische Lage in Deutschland vom 7.6.–7.7.1946. Zit. nach Creuzberger, Klassenkampf, S. 129. Vgl. das Referat von Josef König zu dem Thema Instrukteure. Stenografische Niederschrift über die Arbeitstagung der Organisationsleiter und Kassierer der Landes- und Provinzialvorstände vom 13. und 14.8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/76, Bl. 92). Die Umsetzung dieser Forderung fand in der Praxis noch während des Jahres 1946 statt, die formale Festschreibung der Integration des Instrukteursapparates in die Organisationsabteilungen der SED sollte aber erst drei Jahre später erfolgen. Vgl. Entschließung des Parteivorstandes der SED »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei« vom 21.7.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/ IV/2/1/68, Bl. 5–12). Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 146). Diese Strukturierung gründete auf der ehemaligen Territorialstruktur der Amtshauptmannschaften und korrespondierte mit den Bezirkskom-

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Bereits während des Volksentscheids deutete sich in Leipzig exemplarisch an, dass das Verhältnis von Kreis- und Bezirksvorstand von massiven Koordinationsund Kompetenzproblemen geprägt war. Es entstand »ein Nebeneinanderarbeiten und ein Gegeneinanderarbeiten, ein unbewusstes Gegeneinanderarbeiten in den Aufgaben, die den Kreis betrafen und die einfach im Bezirk noch einmal behandelt und bearbeitet worden sind«.38 Während der Vorbereitung zur Volksentscheid-Kampagne kam es etwa bei der Ausarbeitung von sogenannten A-, B- und C-Listen, die für die Einteilung der Betriebe in verschiedene Enteignungseinstufungen verwendet wurden, in der Leipziger Kreis- und Bezirksleitung dazu, dass sich »eine Kommission beim Bezirk gebildet hat und auf der anderen Seite war dieselbe Kommission beim Kreis«. Beide Kommissionen kamen »zu ganz anderen Ergebnissen und Vorschlägen«. Die fehlende Koordination war besonders brisant, da Kreis- und Bezirksleitung bis zum Herbst 1946 noch gemeinsam im Europahaus in Leipzig untergebracht waren, was im Vergleich zur Koordination mit den ländlichen Kreisen eigentlich einen räumlichen Vorteil bot. Dennoch wusste, so die Kritik eines Kreisleitungsmitgliedes der SED, »der erste Stock nicht, was im fünften oder sechsten Stock geschieht, der fünfte nicht, was im ersten geschieht und der sechste nicht, was im fünften Stock vor sich geht«.39 Eine auf der zentralen Arbeitstagung im August 1946 eingesetzte Kommission unter der Leitung von Erich Kops40, die für den »Aufbau der Leitungen und des Parteiapparates« zuständig war, kam nach der Auswertung der Erfahrungen des Volksentscheids besonders auf den Vorschlag der »sächsischen Genossen« hin zu folgendem Ergebnis: Die die Kreisparteiorganisationen anleitenden »Bezirksverbände […] bilden ein Zwischending, das die Partei mehr oder weniger belastet«. Man schlug vor, »die große Verwaltung, die man im Bezirksverband aufgebaut hat, abzubauen und zu liquidieren, um sie in Instrukteursorganisationen umzubauen«.41

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mandanturen der SMAD. Vgl. Foitzik, SMAD, S. 153. Zur Bezirksverwaltungsstruktur der SBZ zwischen 1945 und 1947 vgl. Schreckenbach, Bezirksverwaltungen. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 193). Ebd., Bl. 194. Erich Kops war von 1946–1950 Mitglied des Parteivorstandes der SED und Leiter der Abteilung Organisation und Personalpolitik beim Landesvorstand der SED in Thüringen. Vgl. Herbst/ Stephan/Winkler, SED, S. 1001. Bericht von der 4. Kommission zum Aufbau der Leitungen und des Parteiapparates Stenografische Niederschrift über die Arbeitstagung der Organisationsleiter und Kassierer der Landesund Provinzialvorstände vom 13. und 14.8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/76, Bl. 92). Allein der Leipziger Bezirksverband SED-Westsachsen zählte bei seiner Gründung insgesamt 15 Abteilungen, die allesamt neben dem jeweiligen Dezernenten als verantwortlichem Leiter über Hauptgeschäftsführer und mehrere Mitarbeiter verfügten. Die Gesamtzahl der hauptamt-

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Analog zum Volksentscheid wurden die in Sachsen am 1. September und 20. Oktober 1946 abgehaltenen Gemeinde-, Kreistags- und Landtagswahlen von der SED nach außen hin offiziell als ein Erfolg verbucht.42 Intern wurde im Parteivorstand und im sächsischen Landesvorstand dennoch sehr wohl erkannt, dass die neu geschaffene Partei organisationspolitisch nicht in der Lage war, sich ohne massive Unterstützung der SMAD und ohne eine Reorganisation des Parteiaufbaus sowohl in der Bevölkerung als auch unter den SED-Mitgliedern eine ausreichende Legitimations- und damit Handlungsgrundlage für ihre Politik zu erarbeiten. Die SED konnte die Gemeindewahlen in Sachsen mit insgesamt 53,7 Prozent der Stimmen für sich entscheiden. Die absolute Mehrheit konnte sie jedoch nur durch die vielfache Nichtanerkennung der Ortsgruppenverbände der CDU und LDP in kleineren Städten und Gemeinden durch die SMAD erreichen. In den Kreisstädten und besonders in den Großstädten wie Dresden, Leipzig oder Plauen verfügten die Fraktionen der »bürgerlichen Parteien« über die absolute Mehrheit der Sitze in den Gebietskörperschaften. Da jedoch nur diejenige Partei den Bürgermeisterposten beanspruchen konnte, die in einer Gemeinde die meisten Stimmen erhalten hatte, waren in Sachsen von den 2 410 Gemeindevertretungen 2009 Bürgermeisterposten mit SED-Mitgliedern besetzt. Die Kreistags- und Landtagswahlen, bei denen aufgrund der Listenwahl auch ortsgruppenunabhängige Kandidaten von CDU und LDP gewählt werden konnten, fielen für die SED bereits schlechter aus. Konnte die SED bei den Kreistagswahlen gerade auch mithilfe der Frauenlisten 50,8 Prozent erreichen, so verfehlte sie die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen mit 49,2 Prozent. Hier verhalfen die »Hilfslisten« der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) und der Kulturbund der Partei zur Mehrheit im Landesparlament. 43 Der Frage der »Liquidierung der Bezirksverbände« widmete sich die Parteiführung ab November 1946 mit zunehmender Entschlossenheit. Ein wichtiger Grund dafür war, dass sich die ehemaligen SPD-Mitglieder in den Vorständen dieser aus der sozialdemokratischen Tradition in das Statut eingebrachten Organisationseinheiten während der Herbstwahlen und in der folgenden Umstrukturierungsphase als legitime Vertreter der Kreis-, Orts- und Betriebsgruppeneinheiten verstanden. Diesem Selbstverständnis sollte mit der Abschaffung der organisationsstrukturelle Boden entzogen werden. Die Forderungen und Interessen dieser unteren Gremien wurden durchaus kontrovers gegenüber dem

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lichen Mitarbeiter belief sich auf »50 bis 70 Leute«. Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 9.4.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/04, unpaginiert). So besonders Wilhelm Koenen im Beschluss-Protokoll der Landessekretariatssitzung der SED Sachsen vom 21.10.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 232 f.). Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 251 f.; Hajna, Landtagswahlen, S. 195 f. Zur Rolle der SMAD bei der Beeinflussung der Abstimmungen vgl. Creuzberger, Sowjetische Besatzungsmacht S. 44–111.

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Landesvorstand formuliert. So berichtete der Vorsitzende des Bezirksvorstandes der SED-Westsachsen Stanislaw Trabalski, er habe »in Dresden wiederholt vertreten, dass man bezirkliche Organisationseinrichtungen, die in jahrzehntelanger Arbeit organisch gewachsen sind, nicht auflösen soll, damit die innere Parteidemokratie besser gewährleistet bleibt und damit sie auch aktionsfähig ist«.44 Der zentrale Parteivorstand verdeutlichte jedoch, dass bei der Reorganisation des Parteiaufbaus mediäre Repräsentationsorgane von innerparteilich-diskursiven Willensbildungsprozessen für die Funktionsfähigkeit der zentralistisch angelegten Gesamtpartei als hinderlich angesehen wurden. Fritz Großes Einordnung der Rolle der Bezirksvorstände spiegelte das entgegenstehende, dirigistische Organisationsverständnis der Parteiführung paradigmatisch wider: »Entweder die Bezirksleitungen sind nur Briefträger, die die Post von uns nach unten weitergeben, oder man braucht, wenn man dort ernst arbeiten will, nicht nur ein Sekretariat, sondern einen ganzen Apparat, der dann die Tendenz hat, sich aufzublähen.«45 Den Bezirksvertretungen kam demnach nur noch die Umsetzung der im zentralen Parteivorstand initiierten und vom Landesvorstand für die weiteren Parteigliederungen übersetzten politischen Linie zu. Eine Repräsentation regionaler und lokaler Eigeninteressen war für diese Gremien bereits 1946 nicht mehr vorgesehen. Die Initiative zur endgültigen Abschaffung dieser Struktureinheit wurde von höchster Stelle ergriffen und stellte ein Musterbeispiel dafür dar, wie überlegen der »Dispositionsspielraum«46 des Parteivorstandes gerade in der strukturell wenig gefestigten Parteiorganisation war. Im Sekretariat des Leipziger SED-Bezirksvorstandes kam es am 15. November 1946 zu einer gemeinsamen Aussprache aller sächsischen Bezirksvorstände. Diese Zusammenkunft leiteten jedoch nicht die direkt übergeordneten Landesvorstandsvorsitzenden, sondern Walter Ulbricht als damaliger stellvertretender Vorsitzender des Parteivorstandes. Ulbricht stellte sich »auf den Standpunkt, Bezirksvorstände können wir auflösen, und ge-

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Referat von Stanislaw Trabalski über die Erweiterung der Kreisvorstände und die Reorganisierung der Parteileitung, Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 150). Die herausgehobene Bedeutung der Bezirksvorstände der SPD in Sachsen – gerade in Bezug auf das Verhältnis zur Landesvertretung – schildert Trabalski im Referat wie folgt: »Wir wollten Bezirke haben, wir wollten eine Reichseinheit herstellen, und die Bezirksvorstände wurden nach vielen und langen Diskussionen erhoben und bestanden in der alten SPD. Dort war eine gewisse Tradition vorhanden, im Lande kamen nur die einzelnen Bezirksvorstände zusammen, um Beschlüsse herbeizuführen« (ebd.). Stenografische Niederschrift über die Organisationskonferenz der SED vom 27. und 28.11.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/26, Bl. 56). Hradil, Macht, S. 22.

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rade Leipzig, da der Bezirk am meisten versagt hat«.47 Dieses Versagen bestand laut Ulbricht zum einen in der mangelhaften bzw. zum Teil fehlenden Koordination der operativen Parteiarbeit. Zum anderen wurden die Bezirksvorstände, die besonders für die Leitung der sächsischen Großstädte zuständig waren, für das schlechte Wahlergebnis bei den Kommunal- und Landtagswahlen verantwortlich gemacht.48 Daraufhin begann nur einen Tag später der Dresdener SED-Landesvorstand mit der Umsetzung von Ulbrichts Forderung. Trotz reger Diskussion und kritischer Einschätzungen, besonders von Seiten ehemaliger Sozialdemokraten innerhalb des Landesvorstandes, beschloss dieser bereits am 16. November 1946 einstimmig die zentrale Regieanweisung für die Bezirksverbände zur »Reorganisierung der Partei«.49 Die Bezirksvorstände sollten laut Beschluss auf den für Dezember eigens angesetzten Bezirksdelegiertenkonferenzen die »sofortige Auflösung aller Abteilungen der Bezirksvorstände« umsetzen und die Notwendigkeit zur »Beibehaltung von besonderen Bezirksvorständen in Sachsen […] verneinen«.50 Als die beiden paritätischen Vorsitzenden Ernst Lohagen und Stanislaw Trabalski in der folgenden Woche den versammelten Bezirksvorstand Leipzig über den Beschluss des Landesvorstandes informierten und diesen zur Abstimmung brachten, brach eine offene »Kontroverse über organisationspolitische Grundsätze«51 unter den Mitgliedern des Vorstandes aus. Ernst Lohagen hatte zu Beginn der Sitzung den Eindruck, »als wenn jetzt ganz schroffe Gegensätze vorhanden sind. Es hat den Anschein, als wenn zum ersten Male ganz klar die Gegensätze zwischen der ehemaligen KPD und der ehemaligen SPD zum Ausdruck kommen sollten.«52 Der Diskussionsverlauf sollte diese Einschätzung bestätigen. Der sozialdemokratische Teil der SED-Vorstandsmitglieder ließ sich nicht unmittelbar überzeugen, die Auflösung zu beschließen, und hielt zunächst am Strukturelement des Bezirksverbands fest. Lediglich die Verkleinerung des Bezirksvorstandes durch die Auflösung der Abteilungsuntergliederungen wurde 47

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Zusammenfassender Bericht von Stanislaw Trabalski über die Aussprache der sächsischen Bezirksvorsitzenden mit Walter Ulbricht in Leipzig am 15.11.1946 in der Sekretariatssitzung des SED-Bezirksvorstandes Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 148). Die These des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen den Ergebnissen der Herbstwahlen und der Auflösung der Bezirksverbände vertritt Malycha, Transformation, S. 436. Nur zwei Vorstandesmitglieder enthielten sich der Stimme. Vgl. Protokoll über die Sitzung des Landesvorstandes der SED Sachsen vom 16.11.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/775, unpaginiert). Ebd. Der noch im August von Josef König eingebrachte Vorschlag, die Bezirksvorstände in feste Instrukteursstäbe umzubauen, war inzwischen nicht mehr vorgesehen. Malycha, Stalinisierung, S. 154. Redebeitrag von Ernst Lohagen zur Diskussionseröffnung im Protokoll über die Sitzung des Bezirksvorstandes der SED Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 153 f.).

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von den sozialdemokratischen Mitgliedern unterstützt, da Kompetenzüberschneidungen in der Organisationsarbeit »tatsächlich häufig« vorkamen und eine Umstrukturierung auch von ihrer Seite als nötig angesehen wurde. Zugleich plädierten sie jedoch für den Fortbestand und betonten, dass der Bezirksverband, »wenn er verkleinert wird, ein sehr guter und sehr notwendiger Motor der Partei sein« könne.53 Neben diesem sachbezogenem Vorbehalt gegenüber der vollständigen Auflösung der Bezirksstrukturen gab es im Besonderen massive Widerstände gegen die Art und Weise, wie die übergeordneten Parteigremien ihre Politik durchsetzten. Heinrich Bretthorst schilderte die Ohnmacht des Bezirksverbandes, gegen das bereits verselbstständigte Weisungsprimat des Landesvorstandes anzukommen: »Als ich von dem Beschluss hörte, der in Dresden gefasst worden war […] wusste ich genau, wohin die Reise geht. Damit wurden den Bezirken, möchte ich sagen, die Beine weggeschlagen.«54 Bereits als direkte Folge der Arbeitstagung der Organisationsleiter im August 1946 hatte der SED-Landesvorstand damit begonnen, den Bezirksverbänden sukzessive die politische Handlungsgrundlage zu entziehen. Dies geschah, indem eine »Reihe von Maßnahmen getroffen worden sind«, die nach Meinung des Leiters der Personalpolitischen Abteilung des Leipziger Bezirksvorstandes und ehemaligen Sozialdemokraten Richard Füchsel den Anschein erweckten, »als wären sie getan worden um zu beweisen, dass der Bezirk keine Berechtigung mehr zum Leben hat«.55 Unmittelbar nach der Forderung Ulbrichts und dem Beschluss des Landesvorstandes vom 16. November 1946 verschärfte sich die zentralistische Initiative des Landesvorstandes bis zur Bezirkszusammenkunft am 21. November 1946, indem »einzelne Vertreter im Landesvorstand im Lande herumreisen und sagen, ausgerechnet der Bezirk wird aufgelöst«. Man habe, so Füchsel weiter, kein Interesse daran gehabt, »auf einer regulären Bezirksdelegiertenkonferenz diese Dinge zur Klärung zu bringen, sondern in der gleichen Weise, weil man gewohnt ist, auf Anordnungen zu arbeiten, versucht man jetzt diese Frage in ganz schneller Form zu einer Entscheidung zu bringen. Man macht es in der Form, wie man glaubt, den größten und schnellsten Erfolg zu haben, nicht so, dass man den Bezirksvorstand und das Sekretariat zusammenfasst, nein, das wird so gemacht, wie das früher von uns immer gegeißelt worden ist. Man bestellt den einen oder anderen ein, man versucht ihn festzulegen, man hat nicht die Möglichkeit, mit anderen sich auszutauschen über diese Frage, um jeden einzelnen festzulegen. […] Ich glaube nicht, dass wir in politischer Arbeit einen Schritt weiterkommen, wenn wir von oben her irgendwelche Dinge abbauen, die irgendwie eine Beschneidung der Rechte der Mitgliedschaft darstellen.«56 53 54 55 56

Diskussionsbeitrag von Otto Bauer im Protokoll über die Sitzung des Bezirksvorstandes der SED Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 183). Diskussionsbeitrag von Heinrich Bretthorst (ebd., Bl. 169). Diskussionsbeitrag von Richard Füchsel (ebd., Bl. 201). Ebd., Bl. 204 ff.

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Von Seiten der ehemaligen KPD-Mitglieder hingegen bestanden weder Vorbehalte gegenüber dem geschilderten diktatorischen Verfahren zur Durchsetzung der politischen Linie, noch gegenüber dem inhaltlichen Ziel der Auflösung der Bezirke als solchem. Der frühere KPD-Funktionär und Vorsitzende des Leipziger SED-Kreisvorstandes Max Rölz trat offensiv dafür ein, ohne langes Zögern das umzusetzen, »was politisch notwendig ist und [wie, T.P.] wir politisch am schlagkräftigsten sind. Mit einem solchen Misstrauen heranzugehen an die Funktionen der Landesverwaltung oder der Parteileitung überhaupt, das ist darum schlecht, weil die Partei einer ungeheuren Belastung ausgesetzt werden würde.«57 Rölz repräsentierte mit diesem Standpunkt das hierarchische Kontrollverständnis der Kommunisten im Bezirks- und Landesvorstand und forderte, »dass über das ganze Land einheitlich Beschlüsse gefasst werden. Es muss einheitlich organisiert werden.«58 Damit ordnete er die Wahl der Mittel klar dem vorgegebenen Ziel der Parteiführung unter und verdeutlichte, dass Normen wie Pluralismus, Partizipation und innerparteiliche Willensbildung als Grundsätze politischen Handelns nur mehr als »Belastung« verstanden wurden und fortan kein Kriterium politischer Entscheidungsfindung innerhalb der SED mehr darstellen sollten. Auf der Sachebene begründeten die Kommunisten die Auflösung der Bezirksverbände neben dem Argument der Einheitlichkeit der Organisationsstruktur vor allem mit der vom Landesvorstand beschlossenen Maßnahme zur »Ergänzung bzw. Erweiterung der Kreisvorstände«.59 Es hieß, dass »es für die Kreisleitungen nur von Vorteil sein kann, wenn wir es ermöglichen, hier im Interesse der Durcharbeitung der Partei, im Interesse der Festigung der Partei für die kommenden heftigen Auseinandersetzungen die Kreisleitungen zu stärken.«60 Die Entscheidung des Landesvorstandes vom 16. November 1946 folgte also einer doppelten Strategie: Der Zentralisierung politischer Entscheidungsfindung durch den Abbau der »hemmenden« Mittelinstanzen sollte die personelle Ausweitung, die strukturelle Konzentration und die Ausdifferenzierung des Organisationsgeflechts innerhalb der Kreisverbände zur Seite gestellt werden. Diese sollten als alleinige übergreifende Parteiinstanzen in den Regionen für eine reibungslosere Politikdurchsetzung Sorge tragen. Dies brachte im Übrigen auch – als einziges integratives Element der ansonsten verhärteten Fronten zwischen ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten – einen Konsens in der Diskussion des Bezirksvorstandes, in dem nach § 13 des Vereinigungsstatuts sämtliche Kreisvorsitzenden vertreten waren. Es bestand durchaus Einigkeit in der Auffassung, dass, wie Richard Füchsel im Anschluss an seine Kritik der vollständigen 57 58 59 60

Diskussionsbeitrag Max Rölz (ebd., Bl. 185). Ebd., Bl. 186. Vgl. Protokoll über die Sitzung des Landesvorstandes der SED Sachsen vom 16.11.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/775, unpaginiert). Diskussionsbeitrag von Helmut Holtzhauer, Protokoll über die Sitzung des Bezirksvorstandes der SED Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 162).

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Auflösung der Bezirksstrukturen betonte, »die Kreise in entsprechender Weise verstärkt werden sollten, […] dass eben nicht die richtigen Männer am richtigen Platz sind, dass man in der ganzen inneren Personalpolitik eine Umorganisierung vornehmen muss«.61 Auch abstimmungstaktisch sollte sich der Landesvorstand durch die Erweiterung der Kreisverbände die für die Umsetzung der »Reorganisierung der Partei« gewünschte Unterstützung auf den Kreisdelegiertenkonferenzen sichern, deren Zusammenkunft laut Beschluss für den Zeitraum vom 1. bis zum 15. Dezember 1946 angeordnet wurde. Nachdem sich der Leipziger Bezirksvorstand der SED nicht auf die vom Landesvorstand geforderte sofortige Selbstauflösung festlegen konnte, wurde die Abstimmung darüber den Kreisdelegiertenkonferenzen verordnet.62 Dieses taktische Verfahren im Sinne eines »Teile und herrsche«63 verfehlte seine Wirkung nicht. Sämtliche Kreise Westsachsens verfassten Resolutionen für die vollständige Auflösung des Bezirksverbandes.64 Die Beschlüsse der Kreisdelegiertenkonferenzen waren von der Bereitwilligkeit getragen, die Stärkung der Struktureinheit der Kreisverbände im Organisationsgefüge der SED zu sanktionieren, und folgten ohne nennenswerte Abweichungen dem einheitlichen Argumentationsmuster des Beschlusses des Landesvorstandes: Die »versammelten Delegierten des Kreises stellen fest«, so der Resolutionsentwurf des Kreisverbands der SED Döbeln, »dass sich der bisherige Bezirksvorstand mit der Zeit als überflüssig erwiesen hat. Die anfallenden Fragen lassen sich in direkter Verbindung mit dem Landesvorstand durch die Schaffung von verstärkten Kreisvorständen leichter und schneller lösen. Deshalb beschließt die Kreisdelegiertenkonferenz einstimmig die Auflösung des Bezirksvorstandes.«65 61 62

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Diskussionsbeitrag Richard Füchsel (ebd., Bl. 206). Ebd., Bl. 239. Der Beschluss des Bezirksvorstandes vom 16.11.1946 im Einzelnen lautete: »1. Der Bezirksvorstand wird reorganisiert, die Abteilungen werden aufgelöst. 2. Der Vorschlag des Landesvorstandes auf endgültige Auflösung der Bezirksvorstände wird von den Kreisdelegiertenkonferenzen bzw. Bezirksdelegiertenkonferenzen zur Diskussion und Beschlussfassung gestellt.« Zit. nach dem Beschluss des Bezirksvorstandes im Protokoll über die Sitzung des Bezirksvorstandes der SED Westsachsen vom 21.11.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/02, Bl. 239). Zwischenruf eines Diskussionsteilnehmers zur Kritik des Vorgehens des Landesvorstandes bei der Abschaffung der Bezirksstrukturen (ebd., Bl. 185). Vgl. die überlieferten Beschlussprotokolle der Kreisdelegiertenkonferenzen des Bezirksverbandes der SED Westsachsen vom 1.–15.12.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Zur Auflösung der Bezirksverbände in den übrigen Bezirken Sachsens und den übrigen Ländern bzw. Provinzialverbänden der SBZ vgl. die ausführliche Darstellung bei Malycha, Stalinisierung, S. 149–163. Malycha beschreibt darin konzise den Prozess der Zentralisierung durch die Auflösung der Bezirksstrukturen, bezweifelt jedoch die politische Wirkung der »Verstärkung der Kreise« und lässt damit die Verdichtung der Herrschaftsstrukturen auf lokaler und regionaler Ebene im Zuge der Reorganisation der Partei im Jahr 1946 außer Acht. Resolution anlässlich der Kreisdelegiertenkonferenz der SED des Kreises Döbeln vom 14.12.1946. (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). In der Akte sind alle weiteren Beschlüsse der SED-Kreisdelegiertenkonferenzen des Bezirkes Westsachsen überliefert.

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Ein weiterer wesentlicher Grund für die breite Zustimmung zur Auflösung auf den Kreisdelegiertenkonferenzen bestand darin, dass die Kreisvorsitzenden daraufhin die Umsetzung von § 15, Satz zwei des Organisationsstatuts einfordern konnten, der ihnen die ständige Integration in den 40-köpfigen Landesvorstand der SED und damit einen unmittelbaren Aufstieg in der Parteihierarchie zusicherte. Diese aktive Beteiligung auf Landesebene war ihnen bis Dezember 1946 in der Praxis durch die häufigen Unterredungen einzelner Mitglieder des Landesvorstandes mit den Vorsitzenden der übergeordneten Bezirksverbände auf den Sekretariatssitzungen in Dresden bis dato häufig verwehrt geblieben.66 In den sächsischen Kreisvorständen waren auf Geheiß des Landesvorstandes bereits vier Wochen vor den Kreisdelegiertenkonferenzen »Reorganisierungskommissionen« ins Leben gerufen worden, die unter anderem die »Unterbringung« der im Bezirksvorstand beschäftigten Funktionäre »in den einzelnen Kreisen« sicherzustellen hatten.67 Bereits vor der Entscheidung über die endgültige Auflösung der Bezirksvorstände auf den Bezirksdelegiertenkonferenzen war damit anhand der Resolutionen der Kreisdelegiertenkonferenzen der generelle Wegfall dieser Mittelinstanzen im organisationspolitischen Arbeitsalltag der Kreisverbände vorweggenommen. Durch den Abbau der haupt- und ehrenamtlichen Mitglieder der Abteilungen der Bezirke standen den Kreisverbänden personelle Ressourcen zur Verfügung, die vor allem dafür genutzt wurden, die Leitungsstrukturen und Steuerungselemente auf der Ebene der regionalen Kreisverbände zu verdichten. Die Arbeitsgebietsleitungen der einzelnen Kreisverbände, die bis dato laut Statut über eine Kannbestimmung als »Hilfsorgane der Kreisleitung[en]« in »räumlich ausgedehnten Kreisen« fungierten, etablierten sich im Zuge dessen als entscheidendes Instrument der Kreisvorstände zur Lenkung der Parteiarbeit. Noch auf der Organisationskonferenz der SED am 27. und 28. November 1946 in Berlin betonte Walter Beling, dass eine wirksame »Anleitung« der einzelnen Kreisverbände, die je nach Größe bis zu 250 Ortsgruppen umfassten, durch die jeweiligen Vorstände nur noch anhand der Arbeitsgebietseinteilung umzusetzen war. Den Arbeitsgebietsleitungen sollten nur »besonders erfahrene Genossen« vorstehen, die direkt »vom Kreisvorstand eingesetzt und auch besoldet werden, also nicht gewählt«. Der Entwicklungsgang bei der Bildung der Arbeitsgebiete, die idealiter »nicht mehr als zehn Orte« umfassen sollten, zeige jedoch im November 1946 noch einen »Übelstand«, der bei dem »Mangel an geschulten Funktionären im

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Vgl. den Antrag des Kreises Borna zur Durchsetzung des §15, Satz 2 des Organisationsstatuts vom 18.1.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Protokoll über die Sitzung des Landesvorstandes der SED Sachsen vom 16.11.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/775, unpaginiert).

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Augenblick nicht zu umgehen ist«.68 De facto waren bislang den hauptamtlichen Arbeitsgebietsleitern der Kreisverbände oftmals mehr als 30 Ortsgruppen zugeteilt, eine strukturelle Überforderung, durch die die jeweiligen Kreisvorstände »jede Kontrollmöglichkeit über die Organisationsarbeit« verloren hatten.69 Die anstehende Auflösung der Bezirksverbände gab den Kreisvorständen die Möglichkeit, dieses Defizit zu überwinden. In den Kreisverbänden der SED konnte die Anzahl der Arbeitsgebiete durch die Halbierung der diesen zugeordneten Ortsverbänden verdoppelt und zusätzlich die »Sitze der Arbeitsgebietsleitungen an strategisch geeignetere Orte« verlegt werden.70 Im Zuge der »Reorganisierung« konnte darüber hinaus auch die Umsetzung der vom Parteivorstand der SED auf dessen 5. Tagung am 18. und 19. September 1946 verabschiedeten »Richtlinien für den Aufbau der Wohnbezirksgruppen« in der Organisationspraxis der Kreisverbände intensiviert werden. Die Richtlinien sahen eine Begrenzung dieser ebenfalls aus sozialdemokratischer Tradition in das Statut aufgenommenen Gebietseinteilung auf maximal 50 Mitglieder vor. Dies bedeutete faktisch vor allem eine Schwerpunktverlagerung der Parteiarbeit auf die Betriebsgruppe, die fortan allein für die wichtige Kassierung der Mitgliedsbeiträge zuständig war.71 Der Einfluss der Wohnbezirksgruppen konnte damit bei gleichbleibender personeller Besetzung der Leitungen sowohl marginalisiert, als auch besser kontrolliert werden.72 Im Januar 1947 erstatteten die Vorsitzenden der sächsischen Kreisverbände erstmalig über den Stand der Reorganisation ihrer Struktureinheiten auf den Bezirksdelegiertenkonferenzen Bericht.73 Als formales Muster für die Ausgestaltung hatten ihnen die am 24. Dezember 1946 vom Zentralsekretariat beschlossenen »Richtlinien für den Organisatorischen Aufbau der SED« gedient. Deren Inhalt hatte den Kreisverbänden der SED in Form von Arbeitsbeschlüssen der Zentralen Organisationskonferenzen bereits seit spätestens Ende November 1946

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Referat Walter Beling zum »organisatorischen Aufbau der Partei von den Grundeinheiten bis zu den Landesprovinzial-)verbänden«, Stenografische Niederschrift über die Organisationskonferenz der SED vom 27. und 28.11.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/26, Bl. 49). Bericht der Abteilung Organisation des Kreisvorstandes der SED Grimma und der Vorsitzenden der Ortsverbände Wurzen sowie Colditz zur »Reorganisation« nach dem Beschluss der Kreisdelegiertenkonferenz vom 28.12.1946 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Ebd. Bei der Neuordnung der Arbeitsgebietsleitungen wurde offensichtlich besonders darauf geachtet, dass diese an Orte verlegt wurden, an denen auch die Kreiskommandanturen der SMAD ansässig waren. Ebd. Zu den Widerständen der Wohnbezirksgruppen und dem dennoch nur schleppend vorankommenden Ausbau der Betriebsgruppen bis zum II. Parteitag der SED vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 139 f. Zur weiteren Einordnung der Richtlinien im Rahmen der SED-Politik des Jahres 1946 vgl. ebd. Vgl. exemplarisch die Tagesordnung der Bezirksdelegiertenkonferenz der SED Westsachsen vom 19.1.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert).

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vorgelegen.74 Darin wurde nun erstmals seit der Gründung der SED eine Vereinheitlichung der bisherigen »Vielfalt der Organisationsformen, Arbeitsmethoden und der Bezeichnungen« vorgenommen, die es der SED ermöglichen sollte, »das Kampfinstrument [zu sein], das jederzeit eingesetzt werden kann, wenn die Partei […] ihre Politik durchsetzen muss«.75 Neu festgelegt wurden in den Richtlinien sowohl der vertikale Aufbau der Partei von den Grundeinheiten bis zur Parteispitze als auch die innere Aufgliederung der jeweiligen Leitungsstrukturebenen. Die Kreisvorstände wählten demnach aus ihrer Mitte ein achtköpfiges Sekretariat zur »Erledigung der laufenden Arbeit«.76 Dessen Mitglieder wurden nur dann als Sekretäre bezeichnet, wenn sie für die Parteiarbeit als hauptamtliche Funktionäre »freigestellt« und besoldet waren. Ins Sekretariat gewählte Ehrenamtliche galten als einfache Mitglieder des Sekretariats. Die dem Sekretariat vorstehenden paritätischen Kreisvorsitzenden trugen die politische und organisatorische Verantwortung für alle nun eingerichteten elf Abteilungen, deren Leiter 1947 noch »weitestgehend ehrenamtlich« beschäftigt werden sollten. Die Formulierung »weitestgehend« traf dabei in der Praxis jedoch wohl in den seltensten Fällen zu. Laut einer Aufstellung des sächsischen Landesvorstandes der SED umfassten die 30 sächsischen Kreisvorstände – ausgenommen die Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz, deren besoldeter Leitungsapparat aus doppelt so vielen Mitarbeitern bestand – im Durchschnitt 20 besoldete Sekretäre und Abteilungsleiter.77 Die Abteilungen wiederum wurden in bis zu sechs Sachgebiete (Referate) untergliedert, deren verantwortliche Leiter »Sachverständige aus den entsprechenden Abteilungen der Verwaltung, aus den zuständigen Massenorganisationen, Einrichtungen, Betriebe usw.« waren.78 In den Kreisverbänden bildeten die Wohnbezirksgruppen und die Betriebsgruppen laut § 9 des Statuts die Grundeinheiten der Partei. Dies blieb auch im

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Vgl. die Kommissionsberichte von Walter Beling und Richard Leppi in der Stenografischen Niederschrift über die Organisationskonferenz der SED vom 27. und 28.11.1946 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/26, Bl. 43 ff.). Rede von Franz Dahlem auf der Tagung des SED-Parteivorstandes vom 23.1.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/14, unpaginiert). Abschrift der Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED des Kreisvorstandes der SED Leipzig, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Vgl. Zusammensetzung der besoldeten Funktionäre der SED-Kreisvorstände in Sachsen, undatiert (SächsHStAD, SED-BPA, A/1404, unpaginiert). Die einzelnen Abteilungen nannten sich fortan Werbung und Presse; Kultur und Erziehung; Wirtschaft; Landwirtschaft; Arbeit und Sozialfürsorge; Verwaltung und Kommunalpolitik; Frauensekretariat; Organisation; Personalpolitik; Kasse und Geschäftsabteilung. Vgl. Abschrift der Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED des Kreisvorstandes der SED Leipzig, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Ebd.

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

Zuge der Umsetzung der »Richtlinien« unangetastet. Die Zusammenschlüsse der Grundeinheiten in Ortsgruppen, also den Einheiten, die hierarchisch unmittelbar unterhalb der Kreisvorstände angesiedelt waren und bislang als Gremien in »allen politischen Fragen ihres Bereichs«79 relativ unabhängige Entscheidungen hatten treffen können, erfuhren jedoch eine tiefgreifende Beschränkung ihrer praktischen Entscheidungsbefugnisse. Sie wurden zu bloßen Mitgliederversammlungsorganen degradiert, die fortan »nur einen informatorischen Charakter« trugen.80 In Kombination mit der Zusammenfassung dieser Ortsgruppen zu Arbeitsgebieten, die nunmehr »in allen Kreisen, ungeachtet ihrer räumlichen Ausdehnung« eingerichtet und von direkt durch den Kreisvorstand eingesetzten und hauptamtlichen Leitern kontrolliert wurden, beschnitten die Richtlinien die Partizipationsmöglichkeiten der Parteibasis massiv.81 In Städten mit mehr als 1000 Parteimitgliedern lehnte sich die Organisation der SED an die kommunalpolitische Struktur der Stadtbezirke an und bildete Stadtbezirksparteiorganisationen, die »in ihrem Charakter genau der untergliederten Ortsgruppe in den kleineren Städten« entsprachen. Diesen übergeordnet waren in mittleren Städten die Stadtleitungen, in Großstädten wie Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Plauen waren die Einheiten der Stadtbezirke noch einmal zu Stadtteilorganisationen der SED unterhalb der Stadtleitung zusammengefasst. Neben der institutionellen Homogenisierung der Partei wurde auch der in der Praxis bereits gängige Einsatz von Instrukteuren in den »Richtlinien« offiziell festgelegt.82 Damit wurde neben dem Institut der Arbeitsgebietsleitungen das zweite dirigistische Element in die Organisationsstruktur der Kreisverbände implementiert, das der Legitimation durch demokratisch gefasste Mitgliederbeschlüsse der Grundeinheiten entbehrte und die Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten der Vorstände erweiterte. Die Bezirksdelegiertenkonferenzen im Januar 1947 dienten neben der Annahme der Berichte der Reorganisationskommissionen gleichfalls dazu, den seit November 1946 forcierten Ausschaltungsprozess der Bezirke zu einem formalen 79

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§ 10 des Statuts, Dokumente der SED, Band I, S. 13 f. In Orten mit 100–1000 Mitgliedern konnten zudem von den Grundeinheiten ehrenamtliche Ortsgruppenvorstände gewählt werden. Vgl. auch die Abschrift der Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED des Kreisvorstandes der SED Leipzig, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Ebd. Vgl. im Besonderen Malycha, Stalinisierung, S. 145 f. Abschrift der Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED des Kreisvorstandes der SED Leipzig, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Ende 1947 waren in den 30 SED-Kreisverbänden Sachsens 226 Mitarbeiter in den Arbeitsgebietsleitungen beschäftigt. Im Durchschnitt leiteten die Kreisvorstände pro Kreis demnach rund acht für die Arbeitsgebiete verantwortliche politische Kräfte an. Vgl. Zusammensetzung der besoldeten Funktionäre der SED-Kreisvorstände in Sachsen, undatiert (SächsHStAD, SED-BPA, A/1404, unpaginiert). Ebd.

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Abschluss zu bringen. Zentral- und Landesvorstand der SED hatten sich durch die Aufwertung der Kreisvorstände zu alleinigen Vertretungsorganen und Schaltzentralen der regionalen Parteiinstanzen die Zustimmung zur Auflösung der Bezirksstrukturen auf den Kreisdelegiertenkonferenzen gesichert. Fortan sahen schließlich auch die Bezirksvorstände – namentlich besonders die der Auflösung kritisch gegenüberstehenden ehemaligen SPD-Mitglieder in den Vorständen – keine Möglichkeit des Widerstands mehr. Der Bezirksvorstand Westsachsen etwa, der sich noch Ende November zu keiner einheitlichen Position zur Auflösung des Bezirks hatte festlegen können, formulierte einen Tag vor der Bezirksdelegiertenkonferenz in Leipzig: »Nach einer eingehenden Diskussion beschloss der Bezirksvorstand seine Auflösung. Der Bezirksvorstand der SED Westsachsen empfiehlt der Bezirksdelegiertenkonferenz, diesen Beschluss vorzutragen und die Auflösung des Bezirksvorstandes Westsachsen zu beschließen.«83 Sowohl in Leipzig als auch auf den übrigen Delegiertenkonferenzen in Bautzen, Chemnitz, Dresden und Zwickau wurde am 19. Januar 1947 einhellig die Auflösung aller Bezirksverbände in Sachsen beschlossen. Mit der nur wenige Tage später folgenden Zustimmung des Parteivorstands zu den »Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED« auf dessen 8. Tagung im Januar 1947 wurden die umfassenden organisationspolitischen Weichenstellungen des Jahres 1946 offiziell festgeschrieben.84 Dem Parteivorstand der SED war es in dieser ersten Transformationsphase des Jahres 1946/47 gelungen, einen dualen Prozess in Gang zu setzen: Die Zentralisierung politischer Entscheidungsfindung bei paralleler Regionalisierung und Homogenisierung der Parteieinheiten als Ausführungs- und Kontrollinstanzen ganz im Sinne kommunistischer Organisationsvorstellungen. Die ungeordneten Organisationszustände auf der Ebene der untergeordneten Parteieinheiten begünstigten 1946 die Einführung und Durchsetzung diktatorischer Steuerungselemente und den Abbau innerparteilicher Partizipationsinstanzen. Die zu dieser Phase der Parteientwicklung noch notwendige Zustimmung der Kreisverbände – namentlich der ehemaligen Mitglieder der SPD – zur Beschneidung von Mitund Selbstbestimmungsrechten sicherte sich die Parteiführung letztlich auch durch das Angebot des politischen Bedeutungszuwachses der Kreisvorstände und deren Vorsitzenden im Gesamtgefüge der Parteihierarchie.

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Beschluss des Bezirksvorstandes der SED Westsachsen vom 18.1.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Die übrigen sächsischen Bezirke beschlossen ebenfalls im Laufe des Januars 1947 auf den Bezirksdelegiertenkonferenzen ihre Selbstauflösung. Beschluss über die Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED vom 21. und 22.1.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/15, unpaginiert).

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

2. Der Wandel von den SED-Kreisvorständen zu SED-Kreisleitungen »Neuen Typs« (1948−1951) 1947 befand sich die SED in einer Übergangsphase, in der die KPD-Eliten sich besonders in den unteren Gliederungen der Partei weiterhin mit pluralistisch-demokratischen Politikvorstellungen der ehemaligen Sozialdemokraten konfrontiert sahen. Der 1946 eingeleitete Prozess der organisationspolitischen Vereinheitlichung wurde daher im Laufe des Jahres durch die Intensivierung der Bemühungen zur »Gleichschaltung« der leitenden Funktionäre auf ideologischem Gebiet flankiert. Um dies zu erreichen, sollte das parteiinterne Schulungssystem sowohl alle eine Funktion ausübenden Parteimitglieder, als auch besonders alle »Kreisvorstände in ihrer Gesamtheit befähigen, die Linie der Partei einheitlich und intuitiv durchzuführen« und dadurch das »ideologisch-politische Können eines jeden Sozialisten« erhöhen.85 Daher wurde im Anschluss an die Schließung der Bezirksparteischulen nach dem Wegfall der Bezirksverbände damit begonnen, das »flächendeckende Netz von Kreisparteischulen« der SED in Sachsen auszubauen.86 Die Kreisverbände konnten besonders bei diesem Vorhaben auf institutionelle Kontinuitäten in der Kaderschulung der KPD von vor – und auch nach 1945 setzen, die auch im Anschluss an die Gründung der SED »in struktureller, personalpolitischer und ideologischer Hinsicht« weiterexistiert und funktioniert hatte.87 Während die leitenden Funktionäre der Kreisvorstände vornehmlich in die Kaderschulung der sächsischen Landesparteischule in Ottendorf eingebunden wurden,88 die ab 1947 von der Abteilung Parteischulung, Kultur und Erziehung des sächsischen Lan-

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Resolution anlässlich der Kreisdelegiertenkonferenz der SED des Kreises Leipzig vom 31.8.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/01, Bl. 288). Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 489. Der erste zentrale Beschluss zum allgemeinen »Aufbau des Schulungssystems in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« war bereits im Mai 1946 gefasst worden. Vgl. Dokumente der SED, Band I, S. 41–43. Bereits wenige Monate später wurde im Parteivorstand anhand des Beschlusses vom 25.10.1946 »über die Bildungsarbeit der SED« Kritik an der ungenügenden Umsetzung der Schulungsarbeit geübt. Vgl. ebd., S. 113. Dies führte dazu, dass in der neuerlichen Entschließung über »Die Schulungs- und Bildungsarbeit der SED« vom 23.1.1947 die strikte Einhaltung der »zentralen Dispositionen« gefordert wurde und besonders die »Kreisschulen nach dem gedruckten Lehrplan für Kreisschulen der SED« inhaltlich vorzugehen hatten. Vgl. Dokumente der SED, Band I, S. 156–157. Die allgemeine Parteischulungsarbeit der SED von 1945–1961 beschreibt ausführlich Kluttig, Parteischulung. Die »Anfänge der innerparteilichen Schulung« beschreibt Malycha, Stalinisierung, S. 207 ff. Zum Schulungssystem von KPD/SED speziell in Sachsen bis 1952 vgl. Schmeitzner, Schulen der Diktatur. Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 472. Vgl. Beschluss des Parteivorstandes der SED vom 29.7.1948. In: Dokumente der SED, Band II, S. 86. Die Landesparteischule diente zuvor bereits als Bezirksparteischule der KPD der »Durchschulung« der Parteifunktionäre. Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 476.

Der Wandel von den SED-Kreisvorständen zu SED-Kreisleitungen »Neuen Typs«

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desvorstands der SED unter der Führung des Leipziger Kommunisten Gerhard Ellrodt koordiniert wurde,89 oblag den Sekretariaten der Kreisvorstände selbst die Lenkung und Beschickung der Kreisparteischulen mit der »Mitgliedschaft und dem unteren Funktionärskörper« in ihrem unmittelbaren Verantwortungsbereich.90 Die Umsetzung des Vorhabens, sämtliche Funktionäre der Grundeinheiten der Partei auf Kreisebene durch die 14-tägigen Kurse zu schleusen, stellte sich vielfach als schwierig heraus. Den Kreisverbänden wurden vom Landesvorstand konkrete Sollvorgaben zur Teilnehmerzahl an den Kreisparteischulkursen übermittelt, die durch die Organisationsabteilungen der Kreisvorstände erfüllt werden mussten.91 Diese gliederten dazu die Gesamtzahl der Teilnehmer für den Schulbesuch auf die unteren Koordinierungsinstanzen der Arbeitsgebietsleitungen ihrer Kreise auf, an die wiederum die Orts- und Betriebsgruppen geeignete Kandidaten zu melden hatten.92 Wenn absehbar war, dass die Zahl der sich freiwillig zum Parteischulbesuch meldenden Teilnehmer unter der geplanten Quote lag, wurden von den Arbeitsgebietsleitern in der Praxis auch Teilnehmer ohne deren Einverständnis für die Kreisparteischule gemeldet.93 In Härtefällen der Verzögerung oder Verweigerung eines Schulbesuchs bedienten sich einzelne Kreisvorstände auch Methoden offenen Zwangs, indem sie etwa berufliche Vorgesetzte der Kommunalverwaltung oder der Polizei mit der doppelten Autorität von Arbeitgeber und Parteivorgesetztem anwiesen, die Unwilligen zur Teilnahme an den Kursen unmittelbar zu verpflichten.94 Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es den Organisationsabteilungen der sächsischen Kreisvorstände bis Ende November 1947 knapp 12 000 Funktionäre

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Schmeitzner, Schulen der Diktatur, S. 77. Zum Lebenslauf von Gerhard Ellrodt vgl. dessen Kaderakte (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/2/v/359). Kluttig, Parteischulung, S. 149. Der Besuch der Kreisparteischulen, der Betriebsparteischulen und ländlichen Spezialparteischulen durch Funktionäre der Grundeinheiten zum einen und die verbindliche »Beschulung« aller Funktionäre der Kreisvorstände zum anderen wurde dann im Beschluss des Parteivorstandes der SED vom 29.7.1948 festgeschrieben. Vgl. Dokumente der SED, Band II, S. 88. Rundschreiben des Sekretariats des Kreisvorstandes der SED Altenburg zur »Meldung für die Kreisparteischule« vom 25.3.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21124 Altenburg, Akte Nr. 94, unpaginiert). Ebd. In dem Rundschreiben des Sekretariats des Kreisvorstandes Altenburg vom 25.3.1947 hieß es: »4. Die Bereitschaft des Vorgeschlagenen: Bevor die Meldung an die Arbeitsgebietsleitungen und von diesen an das Kreissekretariat gemacht werden, muss der betreffende selbst unterrichtet werden und seine Zustimmung geben« (ebd.). Die explizite Erwähnung, sich an die Zustimmung des Vorgeschlagenen zu halten, deutet auf die Praxis der Zwangsrekrutierung für die Kreisparteischulen bei Untererfüllung der Sollzahlen der jeweiligen Kreise hin. Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 18.11.1947 (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, A/760, Bl. 210 ff.), hier zit. nach Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 492.

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und Mitglieder in den Kreisparteischulen ideologisch zu schulen.95 Der Inhalt des von der Abteilung Werbung und Schulung herausgegebenen Lehrplans,96 der von Ende 1946 bis Anfang 1948 unverändert blieb, changierte ideologisch noch »zwischen dem ›Minimalprogramm‹ und dem ›Maximalprogramm‹ der früheren KPD«.97 Ändern sollte dieser sich dann radikal im Verlauf der Jahre 1948/49, den Jahren, in denen das stalinistische Parteikonzept der »Partei neuen Typs« ideologisch und organisationsstrukturell in vollem Umfang auf den Weg gebracht und in den Kursen vermittelt werden sollte. Die Organisationsentwicklung der SED war in den Jahren 1946 und 1947 noch wesentlich von der Notwendigkeit zur Wahrung inner- und außerparteilicher scheindemokratischer Legitimationsstrategien im Rahmen der auf einen möglichen gesamtdeutschen Staat zielenden Deutschlandpolitik der SED-Führung und der KPdSU-Spitze in Moskau bestimmt. Während dieser ersten Transformationsphase wurden zwar bereits Steuerungselemente eines verdeckten »demokratischen Zentralismus«98 in das Organisationsgefüge der Kreisleitungen implementiert. Diese Maßnahmen bewegten sich jedoch noch im »weiteren« Bereich des vom Gründungsstatut vorgegebenen politischen Gestaltungsrahmens und hatten eher Reform- als Revolutionscharakter. Die strukturelle Organisationsentwicklung der SED in den Jahren 1948 bis 1950 war auch von den sich seit Ende 1947 rasch ändernden wirtschafts- sowie innen- und außenpolitischen Gesichtspunkten in den Besatzungszonen beeinflusst. Die Sowjetunion hatte in Fragen der Deutschlandpolitik bis Mitte 1947 zunächst einen »ambivalenten Kurs« verfolgt. Dieser changierte zwischen den Polen der dezidierten Durchsetzung politscher und sozialökonomischer Umbauprozesse in der SBZ nach sowjetischem Muster und einer selbstverordneten Rücksichtnahme auf sicherheits- und außenpolitische Erwägungen zur Realisierung einer gesamtdeutschen Staatenlösung.99 Auf die ökonomische Integration der westlichen Besatzungszonen, die mit dem Ausbau der Bizone und der Annahme des Marshallplanes zentrale Impulse erhalten hatte, war auf dem Gebiet der SBZ besonders mit der Bildung und 95

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Entschließung des Landesvorstandes Sachsen der SED zum Bericht über die einjährige Tätigkeit der Kreisparteischulen (Entwurf) vom 18.11.1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/546, Bl. 43). Lehrplan für Kreisschulen der SED 1947. Hg. vom Zentralsekretariat der SED, Abteilung Werbung und Schulung, Berlin 1947. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 493. Die straffe Ausrichtung des Lehrplaninhaltes an den ideologischen Prämissen der Kommunisten stellte den Hauptgrund für die »Verweigerungshaltung« der ehemaligen Sozialdemokraten zur Integration in das Schulungssystem der SED dar. Vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 211. Die offizielle Verankerung des demokratischen Zentralismus als Grundsatz des Parteiaufbaus und dessen formale Definition erfolgte im zweiten Statut der SED, das vom III. Parteitag 1950 verabschiedet wurde. Vgl. Dokumente der SED, Band 3, S. 162–176, hier 167. Steiner, Plan, S. 56.

Der Wandel von den SED-Kreisvorständen zu SED-Kreisleitungen »Neuen Typs«

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Etablierung der »Deutschen Wirtschaftskommission« (DWK) als zentrale Koordinierungs- und Lenkungsinstanz anhand der SMAD-Befehle Nr. 138 und 32100 reagiert worden. Dies bedeutete eine vertiefte strukturelle Einbindung in das sozialistische staatliche Planungssystem nach dem Vorbild der Sowjetunion.101 Als Stalin auf der Gründungskonferenz des »Kommunistischen Informationsbüros« (Kominform) Ende September 1947 durch Andrej Shdanow die Theorie verkünden ließ, gemäß der sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Welt zwei Lager herausgebildet hätten, ein »antidemokratisches«, unter dem Einfluss der USA stehendes westliches Lager sowie ein »demokratisches« östliches unter der Führung Moskaus, hatte der sich anbahnende Kalte Krieg gewissermaßen sein ideologisches Grundsatzprogramm erhalten.102 Die sich abzeichnende Teilstaatenbildung wurde seit Ende 1947 immer offensichtlicher und konnte auch von den durch die SED propagandistisch aufgeladenen Einheitskampagnen, wie beispielsweise der »Volkskongressbewegung« im Vorfeld der Londoner Außenministerkonferenz, kaum noch übertönt werden.103 Das Scheitern der Außenministerkonferenz, die faktische Auflösung des Alliierten Kontrollrates durch den Ausstieg der sowjetischen Vertreter im März 1948 und die getrennt voneinander umgesetzten Währungsreformen des Jahres 1948 mit der anschließenden Berlin-Blockade ließen das gesamtdeutsche Wirtschaftsgebiet auseinanderbrechen. Damit rückte auch die Aussicht auf eine gesamtstaatliche Lösung in der Deutschlandfrage in weite Ferne.104 Das sowjetische Hegemoniestreben fand nicht zuletzt mit dem »Staatsstreich«105 von Prag im Februar 1948 und den Auseinandersetzungen der Moskauer Führung mit Tito und der Kommunistischen Partei Jugoslawiens seinen bis dahin drastischsten Ausdruck und machte folgendes deutlich: Fortan würden innerhalb des volksdemokratischen Lagers im Allgemeinen und in der SBZ im Besonderen weder staatliche noch parteipolitische Emanzipationsbestrebungen von Moskau, d. h. vom politischen Machtzentrum der KPdSU toleriert werden. In diesem Zusammenhang setzte die SED-Parteiführung der Entwicklung eines »kontrollierten und institutionell eingehegten«106 Übergangs der Jahre 1946 und 1947 ein Ende und initiierte unter der Maxime der Umwandlung der SED in eine »Partei neuen Typs« einen Prozess der fundamentalen programmatischen und strukturellen Neuausrichtung, der sich bis zur formellen Sanktionierung 100 Ebd. S. 57. 101 Vgl. zur Gründung und Vorgeschichte der DWK anhand des SMAD-Befehls Nr. 32 vom 12.2.1948 sowie zur zentralen Wirtschaftsplanung in der SBZ/DDR insgesamt Steiner, Deutsche Wirtschaftskommission S. 85–105 sowie ders., Wirtschaftslenkung in der SBZ, S. 32–39. 102 Kleßmann, Doppelte Staatsgründung, S. 180 f. 103 Ebd., S. 187–188. 104 Vgl. zur »reaktiven Mechanik« des Kalten Krieges ebd., S. 177–222. 105 Bouvier, Ausgeschaltet, S. 116. 106 Jessen, Herrschaftsmechanismen, S. 30.

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anhand des 2. Parteistatuts im Jahr 1950 hinzog.107 An dessen Beginn stand die unmittelbare Einflussnahme der Sowjetunion auf die parteiinterne Entwicklung der SED. In einem strategischen Papier des Leiters der Informationsverwaltung der SMAD, Oberst Sergej Tjul’panow108, das Anfang Mai 1948 direkt an Wilhelm Pieck ging, wurde eine neue Grundorientierung für die »Funktion« und den »Charakter« der SED in der SBZ festgelegt,109 deren Ausarbeitung im Laufe des Jahres 1948 zunächst durch eine Reihe von zentralen Parteivorstandstagungen (10. bis 16. Tagung) vorgenommen und schließlich von der 1. Parteikonferenz Ende Januar 1949 sanktioniert worden war.110 Tjul’panow vertrat in Einklang mit der Moskauer Führung der Ansicht, die Veränderungen der politischen und staatsrechtlichen Situation der Sowjetzone im Jahr 1948 würden einen Wechsel im »Stil der Parteiführung« diktieren. Dem könne, so Tjul’panow, nur durch eine »drastische Hebung« des Niveaus der organisatorischen und ideologischen Arbeit der Partei entsprochen werden. Nachdem die Aufteilung Deutschlands in zwei Teile faktisch zustande gekommen sei, könne die Partei die Verantwortung ihrer nun »herrschenden staatlichen Stellung« nur wahrnehmen, indem sie ein »festes, diszipliniertes Parteiaktiv« zusammenschmiede, das der Führung »unweigerlich ergeben ist und sich ihr voll und ganz zur Verfügung stellt.«111 Ausgerichtet am nun offenen Bekenntnis zum Leninismus als organisatorisch-ideologischem Leitfaden in der praktischen Arbeit und als »Trennungsstrich zur Reaktion«, sollte der Charakter einer parlamentarisch-demokratischen Partei aufgegeben werden zugunsten einer am »Klassenkampf« ausgerichteten Partei, die die »Diktatur des Proletariats« durchzusetzen im Stande sei.112 Der »demokratische Zentralismus«,113 der als Prinzip 107 Zur Umwandlung der SED in eine Partei neuen Typs grundlegend Malycha, Stalinisierung sowie ders., Transformation, S. 433–456. Zur Phaseneinteilung der Stalinisierung der SED vgl. Hurwitz, Stalinisierung, S. 409 ff. 108 Zur sowjetischen Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. die Aufzeichnungen von Sergej Tjul’panow, in: Wettig, Tjul’panov-Bericht. 109 Das »strategische Papier«, das auch als »Tjul’panow-Memorandum« bezeichnet wird, ist vermutlich als Redemanuskript von Tjul’panow mit direkter Anrede an Pieck verfasst worden und diesem am 8.5.1948, unmittelbar vor der 10. (24.) Tagung des Parteivorstands der SED am 12. und 13.5.1948, zugegangen. Es ist vollständig abgedruckt in Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 216–227, hier 217. 110 Wesentliche Teile der stenografischen Niederschriften von der 10. Tagung des Parteivorstandes der SED im Mai 1948 bis zu der 15. Tagung im Oktober 1948 sind veröffentlicht in Friedrich/ Hübner/Maier/Wolf, Entscheidungen der SED. Zur Beschreibung und Einordnung der einzelnen Tagungen des Jahres 1948 vgl. Malycha, Stalins Gnaden, S. 102 ff. 111 Zit. nach Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 216 f. Zur Zwei-Lager-Theorie von Shdanow vgl. Kleßmannn, Doppelte Staatsgründung, S. 183 f. 112 Zit. nach Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 216 f. Zum Begriff der »Diktatur des Proletariats« zuletzt Schmeitzner, Proletariat, S. 67–72. Zur Faszination der Phrase bereits in der Frühphase der Weimarer Republik vgl. Schmeitzner, Ambivalenzen. 113 Zur statuarischen Definition des »demokratischen Zentralismus« vgl. das II. Statut der SED, in Dokumente der SED, Band II, S. 162–176, hier 167 f.

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des Organisationsaufbaus und der innerparteilichen Diktatur zwei Jahre später im II. Statut der SED festgeschrieben werden sollte, zeichnete sich hier bereits in seinen Kernpunkten ab. Am 12. Mai 1948 stellte Wilhelm Pieck in seinem Referat auf der 10. Tagung des Parteivorstandes die Prämissen des Tjul’panow-Berichtes vor und entwarf damit die prinzipiellen inhaltlichen Entwicklungsschritte auf dem Weg hin zur »Partei neuen Typs«, wobei Pieck sich »in entscheidenden Passagen fast wörtlich an Tjul’panows Ausführungen anlehnte«.114 Organisationsstrukturell war die SED bereits auf die sich nun zu vollziehende Transformationsphase vorbereitet. Franz Dahlem betonte im Anschluss an die Ausführungen Wilhelm Piecks, dass die Umwandlung zur »Partei neuen Typs« in erster Linie »von der richtigen Organisierung der Arbeit der oberen Parteileitungen« abhinge, und dies gelte im Besonderen für die »Kreissekretariate«.115 Sein Referat mit dem Titel »Neue Probleme der Organisationsarbeit und der Personalpolitik« vermittelte die gebündelten Ergebnisse einer zwölftägigen Organisationskonferenz der SED, die von Januar bis Anfang Februar 1948 stattfand. Die Konferenz hatte anhand eines »Erfahrungsaustausches« der Organisationsleiter der unteren Parteileitungen zentrale »Richtlinien zur Verbesserung der Organisationsarbeit« festgelegt, die nach Abschluss der 10. Tagung am 13. Mai 1948 mit dem Beginn der offiziellen Umwandlungsphase der SED zur »Partei neuen Typs« bestätigt und anschließend von der Organisationsabteilung des Zentralsekretariats der SED in gedruckter Form den Parteileitungen vom Landessekretariat bis zu den Wohnbetriebsgruppen zur »Durchführung« übergeben wurden. Das direkteste Mittel zur Behebung der von Pieck in seinem Referat als »Schwäche« der Parteiorganisation bemängelten, fehlenden »inneren Disziplin in Bezug auf die Ausführung von Beschlüssen und Direktiven der Parteileitungen und in Bezug auf das Fehlen einer genügenden Kontrolle darüber«,116 stellten die »Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen« dar.117 114 Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 227. 115 Referat von Franz Dahlem über »Neue Probleme der Organisationsarbeit und der Personalpolitik« auf der 10. (24.) Tagung des Parteivorstandes der SED vom 13.5.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/46, Bl. 96). 116 Stenografische Niederschrift über die 10. (24.) Tagung des Parteivorstandes der SED am 12. und 13.5.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/46), hier zit. nach Friedrich/Hübner/Maier/ Wolf, Entscheidungen der SED, S. 76. 117 Auf die Bedeutung der lokalen Ebene zur Umsetzung des zentralistisch gelenkten Herrschaftsanspruches der SED in der 1948 anbrechenden Transformationsphase deuten gerade diese vier Richtlinien symptomatisch hin. Im Einzelnen waren dies folgende: 1. Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen, 2. Richtlinien zur Verbesserung der Arbeit der Betriebsgruppen, 3. Richtlinien für die Verbesserung der Arbeit der ländlichen Ortsgruppen, 4. Anweisungen für die Verbesserung der Arbeit der ländlichen Ortsgruppen. Alle Richtlinien wurden von der Organisationsabteilung des Zentralsekretariats als Schriftenreihe unter dem Titel »Aus der Praxis – für die Praxis« im Jahr 1948 veröffentlicht.

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Durch die Angleichung der Parteieinheiten nach der »Reorganisation« der Kreisverbände Ende 1946 waren bereits einheitliche Rahmenstrukturen zur Zentralisierung und damit zum schrittweisen Abbau von Instanzen eigensinniger Politikgestaltung geschaffen worden. Die »Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen« führten ein diesen Rahmen ausfüllendes, verbindliches Instrumentarium institutionalisierter Anleitung und Kontrolle für die Arbeitspraxis in den Leitungsebenen der Kreisverbände ein. Die SED-Kreisvorstandsmitglieder wurden durch das horizontale Prinzip der »kollektiven Verantwortung« verbindlich zur Umsetzung der »politischen Linie« verpflichtet.118 Dadurch sollte eine gegenseitige Kontrolle auf der Ebene dieser Gremien sichergestellt werden. Die Mitglieder der Sekretariate der Kreisvorstände waren darüber hinaus noch durch die »persönliche Verantwortung« für die ihnen unterstehenden Abteilungen und Kommissionen in den einzelnen Sachgebieten doppelt verpflichtet, die »Durchführung der Beschlüsse« sicherzustellen.119 Um die vertikale Steuerung der untergeordneten Grundeinheiten von Orts-, Betriebs- und Wohnbezirksgruppen der SED und deren Vorständen durch die Sekretariate der Kreisvorstände zu realisieren, legten die »Richtlinien« fest: Grundsätzlich erhalte jede Einheit ihre »Anleitungen bzw. Beschlüsse« von der nächsthöheren Ebene und sei dieser gegenüber für die Durchführung verantwortlich. Diese Einheit sollte zum einen in personalisierter, zum anderen in institutionalisierter Form vorgenommen werden. Die personalisierte Verbindung zwischen den oberen und unteren Vorständen sollte »in allererster Linie in enger persönlicher Fühlungnahme und Aussprache« bestehen, schriftliche Kommunikation in Form von Rundschreiben und Briefwechseln hatte »auf das allernotwendigste beschränkt« zu bleiben.120 In der Praxis realisierte sich diese vermeintlich kooperative Methode der politischen Leitung jedoch keineswegs so, wie es die euphemistische Formulierung der »Fühlungnahme« suggerieren sollte. Vielmehr war in der Parteiarbeit das subordinierende Element im Verhältnis zwischen über- und untergeordneter Leitung an der Tagesordnung, das in den »Richtlinien« unter Ordnungspunkt fünf als »Kontrolle der Durchführung der Beschlüsse« aufgeführt war. Danach hatten die Kreisvorstandsmitglieder »in regelmäßigen Abständen Kontrollen in den unteren Parteileitungen und Einheiten vorzunehmen und ab und zu unangemeldet Stichproben [zu] machen,« um festzustellen, ob die Beschlüsse der Partei »rasch von oben bis unten in allen Parteileitungen« durchgeführt wurden.121

118 Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen. In: SED, Probleme der Organisationsarbeit, S. 1 f. 119 Ebd., S. 2. 120 Ebd., S. 3. 121 Ebd., S. 4.

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Diese Zentralisierungs- und Abkoppelungsmechanismen der Kreisvorstände etablierten sich in der Alltagspraxis zunehmend in Form von »Aussprachen« in Sitzungen der Kreissekretariate und sorgten – jedenfalls noch in der Frühphase der Umwandlung zur »Partei neuen Typs« – in den Grundorganisationen für teilweise heftige Kritik. In einer Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Altenburg, zu der der Vorsitzende des Ortsvorstandes Altenburg geladen war, beklagte dieser die Rolle des Ortsgruppenvorstandes als der nur »mehr oder weniger ausführende Teil hinsichtlich der Beschlüsse des Kreisvorstandes« und forderte das Sekretariat des Kreisvorstandes auf, der Ortsgruppe »ein gewisses Eigenleben« zuzubilligen. Das Sekretariat des Kreisvorstandes würde »hinter verschlossenen Türen« über Probleme des Ortsvorstandes beraten, ohne diesen mit einzubeziehen. Die Mitglieder der unteren Parteieinheiten wollten »mitarbeiten, aber keine Hausknechte sein«.122 Die lapidare Erwiderung des Vorsitzenden des SED-Kreisvorstandes Oskar Thieme, dass »der Ortsvorstand nicht über alle Dinge unterrichtet werden kann«, weil es im »Sekretariat des Kreisvorstandes Dinge vorzubesprechen und vorzubereiten gilt, die durchaus noch keine fertigen Probleme sind«, verdeutlicht die seit Frühjahr 1948 gängige Herrschaftspraxis. Den Grundeinheiten wurde kaum noch Eigeninitiative in politischen Fragen überlassen.123 Das »Mitmachen« der SED-Grundeinheiten auf Kreisebene reduzierte sich im Zuge der Umwandlung der Partei auf ein bloßes Umsetzen von Leitungsbeschlüssen der Kreissekretariate. Zur institutionalisierten Form der Steuerung der Parteieinheiten wurden in den »Richtlinien« die Festlegungen auf verbindliche Arbeitspläne und die permanente Berichterstattung über deren Realisierung in die Parteiarbeit aufgenommen, wodurch das institutionelle Element gegenüber dem personellen faktisch massiv ausgeweitet wurde.124 Jede Parteileitung hatte einen vierteljährlichen Arbeitsplan aufzustellen, dessen »Linie« verbindlich auf den Arbeitsplan des sächsischen Landesvorstandes bzw. der Kreisvorstände bezogen war.125 Die Sekretariate der Kreisvorstände verteilten die Schwerpunkte des Arbeitsplanes zur konkreten Ausarbeitung auf die einzelnen Abteilungen und Kommissionen. Nachdem diese die »organisatorische Durchführung« entsprechend den »lokalen Verhältnissen«

122 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Altenburg vom 22.3.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, Nr. 008, Bl. 28). 123 Ebd. 124 Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen. In: SED, Probleme der Organisationsarbeit, S. 3 f. 125 Die Quartalsarbeitspläne der sächsischen Kreisvorstände wurden in gedruckter Form allen Grundeinheiten als Muster zugesandt. Als Beispiel für einen der ersten Arbeitspläne einer sächsischen SED-Kreisleitung aus dem Jahr 1948 in Folge des Beschlusses der »Richtlinien« vgl. den »Arbeitsplan des Kreisvorstandes der SED Oschatz für den Zeitraum vom 1. August bis zum 20. September 1948«, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/10/ 17, unpaginiert).

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konkretisiert hatten – hierin lag folglich der einzige Handlungsspielraum zur Politikgestaltung – gaben sie ihren Gesamtentwurf an die Organisations-Abteilungen der Sekretariate der Kreisvorstände weiter. Erst nach der Überprüfung durch diese Instanz wurden die Arbeitspläne schließlich »zur kollektiven Beratung und endgültigen Beschlussfassung« an die Sekretariate der Kreisvorstände übergeben, wo es in der Praxis vielfach vorkam, dass mit dem Kugelschreiber die ausgearbeiteten Konzeptionen durchgestrichen und zur vollständigen Neubearbeitung noch einmal zurückgegeben wurden.126 Diese Zentralisierung und Bürokratisierung politischer Initiative wurde flankiert von der Einführung der monatlichen Berichterstattungspflicht jeder Grundeinheit gegenüber den Sekretariaten der Kreisvorstände. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass die im Arbeitsplan oder »auf Grund aktueller Ereignisse neu hinzugekommenen« Aufgaben auch umgesetzt wurden. Die Einführung speziell gedruckter Berichtsbogen in allen Kreisen diente der Formalisierung dieses Kontrollverfahrens.127 Die Berichte hatten einem genau festgelegten, dreiteiligen Schema zu folgen. Einem kursorischen Überblick der Vorsitzenden der Grundeinheiten über »die Durchführung der wichtigsten Aufgaben im betreffenden Gebiet« folgten zusammenfassende Berichte der einzelnen Abteilungen über den Stand der Erfüllung des Arbeitsplanes auf ihren Sachgebieten. Abgeschlossen wurden die Dokumente von dem organisatorischen Teil über den »Stand der Parteiorganisation, die Mitgliederbewegung, der Kassierung, der Werbekampagne für die Partei usw. entsprechend der zentralen Richtlinien«128. Einen besonderen Stellenwert im innerparteilichen Berichtssystem auf Kreisebene nahmen auch hier die Organisations-Abteilungen der Sekretariate der Kreisvorstände ein. Die Berichte wurden von der Organisations-Abteilung auf wesentliche Kernpunkte zusammengefasst und erst in dieser komprimierten Form den Sekretariatsmitgliedern des Kreisvorstands übermittelt. Diese wurden dann in ihren Abteilungen »einer gründlichen Bearbeitung« unterzogen und »wenn nötig in Form von weiteren Beschlüssen den Absendern zur Kenntnis« gebracht.129 Mit der Realisierung der »kollektiven Verantwortung« für die Umsetzung der vorgegebenen politischen »Linie«,130 der Subordination der Parteivorstände un126 Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen. In: SED, Probleme der Organisationsarbeit, S. 3 f. 127 Die gedruckten Berichtsbogen waren seit der Verabschiedung der »Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen« auf der 10. Tagung des Parteivorstands auch in allen weiteren Parteileitungen »bis hinauf ins Zentralsekretariat« auszufüllen. Vgl. Richtlinien zur Verbesserung der Arbeitsmethoden der Parteileitungen. In: SED, Probleme der Organisationsarbeit, S. 5. 128 Ebd. 129 Ebd. 130 Ebd., S. 1.

Der Wandel von den SED-Kreisvorständen zu SED-Kreisleitungen »Neuen Typs«

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ter die nächsthöhere Leitungsebene, der Planung der Parteiarbeit und dem umfassenden Kontroll- und Berichtssystem hatte die SED im Mai 1948 bereits einen wesentlichen Schritt zur von der SMAD geforderten und von Walter Ulbricht vorangetriebenen »organisatorischen Festigung der Partei« getan.131 Dies bezog sich vor allem auf das organisationspolitische Instrumentarium der Kreisverbände. Franz Dahlem sah in diesem Instrumentarium »zur operativen Lösung der vor der Partei stehenden Aufgaben« den erfolgreichen Auftakt notwendiger Veränderungen in den Parteileitungen. Diese seien nun »im Stande, die Arbeit der Funktionäre und Mitglieder, die verantwortliche Positionen auf allen Teilgebieten in Staat und Wirtschaft innehaben, anzuleiten, zu lenken und zu kontrollieren.« Genau das, so Dahlem, bedeute die »Realisierung der führenden Rolle« im Zuge der Umwandlung der SED zur »Partei neuen Typs«.132

2.1 Instrumentarien des stalinistischen Parteikonzeptes: Einrichtung der Kreisparteiaktive und Kreisparteikontrollkommissionen (1948)

Der Transformationsprozess der sächsischen SED-Kreisleitungen wurde im Sommer des Jahres 1948 weiter vorangetrieben. Es kam im Zuge des zentralen Beschlusses vom 12. (26.) Parteivorstandsplenum unter dem Titel »Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen«133 sowie den »Ausführungsbestimmungen«134 der Entschließung zur 13. (27.) Tagung des Parteivorstandes zur Einsetzung zweier organisationspolitischer Strukturelemente innerhalb der Parteileitungen der Kreisverbände: den Parteiaktiven und den Parteikontrollkommissionen. Die Maßnahmen sollten den SED-Apparat befähigen, anhand der »Merkmale einer gut organisierten, revolutionären Partei« ein »fest organisierter Trupp der Arbeiterklasse zu sein, in sich tragend eine feste, straffe Parteidisziplin«.135

131 So die Forderung von Tjul’panow. Vgl. Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 217. 132 Referat von Franz Dahlem über »Neue Probleme der Organisationsarbeit und der Personalpolitik« auf der 10. (24.) Tagung des Parteivorstandes der SED vom 13.5.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/46, Bl. 75). 133 Die endgültige Form des Beschlusses ist erstmalig überliefert in der Anlage Nr. 2 zum Protokoll der 12. (26.) Tagung des Parteivorstandes der SED unter dem Titel »Anweisungen für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 28. und 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/51, Bl. 5–9). Der Beschluss wurde veröffentlicht in Dokumente der SED, Band II, S. 83–88. 134 Entschließung der 13. (27.) Tagung des Parteivorstandes vom 16.9.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/52, unpaginiert). Die Ausführungsbestimmungen zum Beschluss des Parteivorstandes über die Schaffung der Parteikontrollkommissionen sind auch veröffentlicht in: Dokumente der SED, Band II, S. 97 ff. 135 Vgl. Referat Ernst Lohagen im Protokoll der Sitzung des erweiterten SED-Kreisvorstandes Leipzig vom 7.10.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/24, Bl. 49 f.).

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

Die Kreisparteiaktive waren als ein Instrument der weiteren Zentralisierung und Lenkung der Parteiarbeit auf Kreisebene konzipiert. Unter der Leitung der SED-Kreisvorsitzenden wirkten sie als »politische Kerntrupps« zur »schnellen und wirksamen« Gestaltung der Politikdurchsetzung im Kreisgebiet. Sie sollten dies erreichen durch die Mobilisierung der Parteifunktionäre »aus den Betrieben, aus den Organen von Staat und Wirtschaft, aus den Gewerkschaften und Massenorganisationen, aus den öffentlichen und kulturellen Einrichtungen«.136 Die Kreisparteikontrollkommissionen (KPKK) hingegen fungierten als reine Sanktions- und Repressionsinstanzen zur Disziplinierung sämtlicher Parteimitglieder der Kreisgebiete, auch denjenigen, die keine unmittelbare Funktion ausübten.137 Obwohl die 11. (25.) Tagung des Parteivorstandes der SED vom 29. und 30. Juni 1948 vor allem im Zeichen des radikalen wirtschaftspolitischen Wandels innerhalb der SBZ stand und mit der Annahme des Zweijahrplanes den Auftakt für die »Etablierung der Planwirtschaft« in der SBZ/DDR bedeutete,138 nahm Walter Ulbricht bereits dort den für die Parteiaktive konstitutiven Begriff des »Funktionärkörpers«139 auf, dessen Konturen auf dem folgenden 12. (26.) Plenum geschärft werden sollten.140 Der Zweijahrplan diente im Laufe des Jahres 1948 allgemein als eines der wesentlichen Legitimationselemente, als parteiinterne Begründungsformel für die Umwandlung der SED zur »Partei neuen Typs«, und bereitete damit zugleich den Boden für die Einführung der Parteiaktive. Laut Ulbricht könne der Zweijahrplan nur mit Erfolg durchgeführt werden, wenn die Entwicklung der SED zur »Partei neuen Typs« durch die »Schaffung eines ideologisch festen, disziplinierten Funktionärkörpers« gelänge, da »unsere Parteileitungen zum ersten Mal in Verbindung mit der Annahme dieses Planes vor der Aufgabe stehen, zusammenhängend die gesamte politische, wirtschaftliche und organisatorische Arbeit nicht nur der Partei, sondern des Wirtschafts- und Staatsapparates systematisch zu leiten«.141 136 Dokumente der SED, Band II, S. 87. 137 Zur Entwicklung, Struktur und Aufbau der Parteikontrollkommissionen mit Schwerpunkt auf der zentralen Ebene vgl. ausführlich Klein, Innerparteiliche Kontrollorgane; ders., Parteikontrolle, S. 152–161; Malycha, Stalinisierung, S. 364–372; Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 70 f. Zu den Parteikontrollkommissionen auf Landes- und Kreisebene in Sachsen vgl. Schmeitzner/ Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 399–403. 138 Die sozialökonomische Transformation der SBZ/DDR und die Errichtung staatlicher Strukturen zur Wirtschaftslenkung von 1948–1953 beschreibt Steiner, Plan, S. 56 ff., hier 56. 139 Friedrich/Hübner/Maier/Wolf, Entscheidungen der SED, S. 126 f. 140 Der Begriff »Funktionärkörper« fand bereits auf dem II. Parteitag der SED Eingang in die Rhetorik der Parteiführung. Vgl. den organisatorischen Bericht Erich Gniffkes. In: Protokoll des II. Parteitages, S. 117 f. Zum Parteiaktiv äußerte sich bereits Tjul’panow in seinem Vortrag vom 8.5.1948. Vgl. das »Tjul’panow-Memorandum«. In: Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 217. 141 Friedrich/Hübner/Maier/Wolf, Entscheidungen der SED, S. 126 f.

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Dieser Argumentation folgend, entwarf Franz Dahlem in seinem Referat auf der 12. (26.) Tagung des Parteivorstandes ein Bild der »Anatomie« dieses neuen »Funktionärkörpers«, dessen endgültige Form mit dem Beschluss »Für die organisatorische Festigung der Partei« sanktioniert und in den Folgemonaten anhand von Vorstandsbeschlüssen zur »Bildung von Parteiaktiven«142 in den sächsischen Kreisverbänden als festes Strukturelement innerhalb der Kreisverbände institutionalisiert wurde. Die Funktionäre der SED wurden fortan anhand der Dichotomie von »allgemeinem Funktionärkörper« und »festem Funktionärstab« in zwei hierarchisch gestufte »Dienstklassen«143 untergliedert und kategorisiert. Den allgemeinen »Funktionärkörper« bildeten laut Beschluss »alle aktiven Mitglieder, die eine fest umrissene, verantwortliche Funktion« innehatten.144 Dies waren im Einzelnen die Mitglieder der Vorstände der Grundeinheiten und deren Funktionäre einschließlich der Zehnergruppenleiter auf der unteren Parteiebene. Hinzu kamen dann die Mitglieder aller übergeordneten Parteileitungen inklusive aller politischen Mitarbeiter der Abteilungen bzw. Kommissionen sowie im Besonderen alle Mitglieder, die »in Staat, Wirtschaft, Verwaltung, in allen Massenorganisationen, in parlamentarischen Körperschaften, in öffentlichen und kulturellen Einrichtungen eine verantwortliche Funktion bekleiden und dort die Linie der Partei vertraten.«145 Der »feste Funktionärsstab« unterschied sich aus positionsanalytischer Perspektive überhaupt nicht vom allgemeinen Funktionärkörper. Alleiniges Differenzkriterium für die Aufnahme in diesen engeren Herrschaftszirkel der Kreisparteispitze war die unbedingte Loyalität und Folgebereitschaft der »politisch klarsten« und »parteiergebensten Funktionäre«.146 Der Auswahlprozess der in die Leitungsstäbe zu integrierenden Parteimitglieder oblag dabei ausschließlich den Kreisparteileitungen. Er war damit der »demokratischen Kontrolle«147 entzogen und entbehrte einer durch die jeweilige Mitgliederschaft in den Parteieinheiten hergestellten Legitimation durch Wahlen.148 142 Als Beispiel für die Installation eines Parteiaktivs in den Kreisverbänden vgl. das Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Torgau vom 29.10.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/12/09, unpaginiert). 143 Solga, Klassenlose Gesellschaft, S. 69 f. Solga teilt die »Klassenlagen der DDR-Gesellschaft« ein anhand der Verfügbarkeit des Zuganges zu den »strategischen, strukturbestimmenden Ressourcen«, in diesem Fall der »politischen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel«. Die »Parteielite« selbst untergliedert die Autorin im Wesentlichen in eine administrative und eine operative Dienstklasse, die sich durch die höhere bzw. die niedrigere politische Verfügungsgewalt voneinander unterscheiden. Vgl. ebd. 144 »Anweisungen für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 28. und 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/51, Bl. 8). 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Bouvier, Ausgeschaltet, S. 121. 148 Vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 301.

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Die Parteiaktive repräsentieren paradigmatisch wie kaum eine andere Instanz auf der Ebene der SED-Kreisverbände die kaderpolitische und organisationsstrukturelle Transformation im Rahmen der Schaffung der »Partei neuen Typs«. Diese Gremien waren als institutionalisierte innere »Stäbe« darauf ausgerichtet, Fügsamkeit der Parteimitglieder durch unmittelbare »Unterwerfung« unter die Linie der Partei kontinuierlich sicherzustellen. 149 Ihre Existenz verdeutlicht sowohl terminologisch als auch organisatorisch die autoritative Politikvermittlung der an Gefolgschaft innerhalb der leninistischen »Kampforganisation« und nicht mehr an pluralistischer Interessenvermittlung orientierten Organisation. Die Entkoppelung von diktatorischer Leitungs- und demokratischer Vertretungsfunktion der »auserwählten« Kader in der nunmehr »unerschütterlich und kompromisslos auf dem Boden des Marxismus-Leninismus« stehenden »Kampfgemeinschaft« fand hier ihren symbolträchtigsten Ausdruck.150 Wie umfassend die »Militarisierung«151 der Parteiarbeit und die damit einhergehende personelle Durchdringung aller staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ebenen der Kreisgebiete durch die Einsetzung der Parteiaktive als Lenkungsinstanz neben den Sekretariaten der Kreisvorstände in der politischen Praxis vorangeschritten war, belegen exemplarisch die Aufzeichnungen des SED-Mitglieds Herbert Dahls aus dem Kreis Döbeln.152 Dahls hatte in einem an Arno Henning gesandten Dossier die organisatorische Leitungspraxis in den Kreisparteiaktivsitzungen skizziert und leitende Funktionsträger des örtlichen Leitungsstabes charakterisiert. Die Kreisparteiaktivsitzungen fänden den Berichten Dahls’ zufolge regelmäßig »jeden Sonnabend um 7 Uhr früh im großen Sitzungszimmer des Parteihauses« statt und dienten vornehmlich der »Befehlsausgabe« durch die vertretenen Mitglieder des Kreisvorstandes. Erscheinen würden »alle Parteimitglieder in leitender Stellung in den Verwaltungen und Betrieben, die Betriebsratsvorsitzenden bzw. die Betriebsgewerkschaftsgruppenleiter und SED-Betriebsgruppenleiter der großen Betriebe und Verwaltungen, die Gewerkschaftssekretäre des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), die Leiter der Freien Deutschen Jugend 149 Zum Verwaltungsstab und dessen herrschaftssoziologischer Bedeutung vgl. besonders Weber, Herrschaft, S. 221 f. 150 Protokoll der Sitzung des SED-Kreisvorstandes Leipzig vom 13.08.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV /5/1/23, Bl. 69 f.). 151 Jurich, Staatssozialismus, S. 10. Zur Militarisierungsthese in der staatssozialistischen Theorie vgl. Ettig, Militarisierungsthese, S. 12–28 sowie Schultz, Funktionär, S. 106. 152 Anlage zum Schreiben von Herbert Dahls an Arno Henning vom 11. bzw. 13.1.1949 (AdSD, NL Arno Henning, Band 3, unpaginiert). Dahls war als Leiter des Döbelner Postamtes regelmäßig in den Parteiaktivsitzungen in Döbeln anwesend. In der Überlieferung der sächsischen SED von vor 1952 tauchen keine intern verfassten Protokolle von Kreisparteiaktivsitzungen auf. Die überlieferten stenografischen Niederschriften zu den Parteiaktivkonferenzen können in diesem Zusammenhang nicht zur Analyse herangezogen werden, da diese im Gegensatz zu den regelmäßig stattfindenden Parteiaktivsitzungen mehr eine parteiintern-propagandistische denn eine organisationspolitisch-herrschaftstechnische Funktion hatten.

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(FDJ) und des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD), der Volkssolidarität, des Ausschusses für Einheit und gerechten Frieden, die Stadtteil- und die Kreisvorstandssekretäre der SED und die Parteivertrauensleute der Kriminalpolizei.« Insgesamt seien in der Regel etwa fünfzig Personen anwesend, die »vornehmlich aus Döbeln-Stadt« kämen und deren ständige Teilnahme »genau überwacht« würde. Der engere Leitungszirkel der Sitzungen bestünde aus dem in das Kreisgebiet entsandten Instrukteur vom sächsischen SED-Landesparteivorstand Max Heine, den beiden SED-Kreisvorstandsvorsitzenden Johannes (Hans) Vogelsang und Max Brosselt, dem Landrat Kurt Kränkel, dem Leiter der Kriminalpolizei und einer dreiköpfigen Gruppe von Funktionären der sowjetischen Kreiskommandantur und des Sicherheitsdienstes NKWD.153 Der Instrukteur des Landesvorstandes Max Heine sei zuständig für die Verkündung der gegenwärtigen »Parteilinie«, hielte sich während der Sitzungen »lauernd« im Hintergrund und sei von den Kreisvorstandssekretären und Angestellten im Parteihaus ebenso gefürchtet wie von den Kreisvorsitzenden, »die sich bei den sonnabendlichen Befehlsausgaben« im Beisein des Instrukteurs des Landesvorstandes »besonders radikal« gebärdeten, um »ihm den Nachweis ihrer Linientreue zu erbringen«.154 Dem einleitenden Referat anhand der »Täglichen Rundschau« folgte die unmittelbare Weitergabe von »Berichten und Anweisungen des Landesvorstandes« durch denjenigen Kreisvorstandsvorsitzenden, der auch Mitglied des Landesparteivorstandes war und damit über Informationen »aus erster Hand« verfügte.155 In den Sitzungen seien »abgelaufene Aktionen analysiert, neue Aktionen vom Kreisvorstand angesagt und die Richtlinien dazu ausgegeben« worden.156 Ein diskursives Element fehlte laut Dahls in den Sitzungen vollkommen, Widerspruch sei »unmöglich« und wurde von dem Leitungszirkel »als ein Abweichen von der Parteilinie, als Schwäche, Unzuverlässigkeit und Nichteignung als Funktionär gebrandmarkt«.157 153 Im Einzelnen waren dies der Leiter der Kreiskommandantur der SMA Major Laskow, der Leiter der Nachrichtenabteilung des NKWD Leutnant Smirnow und ein hauptamtlicher Angestellter des Außendienstes der Kriminalpolizei Döbeln Haensch. Vgl. ebd. 154 Ebd. 155 Die Ämterhäufung und damit einhergehende Überbelastungen der Funktionäre als gravierendes Problem von Ineffizienz in der Organisationsarbeit der SED benennt bereits früh Franz Dahlem vor dem Berliner Parteivorstand: »Man kann diesen Funktionärkörper auf ganz natürliche Weise erweitern […] durch die Aufteilung von Funktionen, der Überbelastung vieler Funktionäre mit drei, vier Funktionen. Wir haben Beispiele, dass ein Funktionär 21 Funktionen hat. (Zuruf: das ist Rekord!). Das ist wahrscheinlich noch nicht der Rekord. Es gibt solche Diktatoren, besonders in kleinen Städten, die alles in ihrer Hand absorbieren«, Redebeitrag Franz Dahlem auf der 12. Tagung des Parteivorstandes der SED vom 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/50, Bl. 249). 156 Anlage zum Schreiben von Herbert Dahls an Arno Henning vom 11. bzw. 13.1.1949 (AdSD, NL Arno Henning, Band 3, unpaginiert). 157 Ebd.

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Die Einsetzung der Parteiaktive als Leitungsinstrumente spielte sich vor dem Hintergrund des Diskurses über das Selbstverständnis der SED als einer Kaderoder Massenpartei ab.158 Folgt man der parteiinternen Argumentation, die von der Dichotomie »einer aktiv am Parteileben teilnehmenden Gesamt-Mitgliedschaft« und den »ideologisch fortgeschrittensten und aktivsten Mitgliedern« ausging,159 repräsentierten die Kreisparteiaktive das exklusive Element der Kaderpartei.160 Die Kreisparteiaktive als institutionalisierte Konsequenz des Beschlusses der 12. (26.) Tagung des SED-Parteivorstandes sollten die Lenkung der Parteiarbeit verbessern und die Effektivität des »Funktionärkörpers« im Kreisgebiet durch die Mobilisierung seiner »Aktivität und Schlagkraft« erhöhen.161 Jedoch nicht nur die Erhöhung der Aktivität in der Partei spielte eine Rolle, sondern es galt im Umkehrschluss im Zuge der Umwandlung zur »Partei neuen Typs« gleichermaßen, die »Passivität eines Teiles der Parteimitgliedschaft zu überwinden und hemmende und feindliche Kräfte, die in die Partei eingedrungen sind, auszumerzen«.162 Dieses zweite Element war die wesentliche Begründung zur Einrichtung der Parteikontrollkommissionen im Anschluss an die 13. (27.) Tagung des Parteivorstandes vom 15. und 16. September 1948. Mit dem »Ausmerzungs«-Beschluss163 war bereits der erste inhaltliche Kanon von parteifeindlichem Verhalten, das fortan zum Ausschluss aus der SED führen sollte, festgeschrieben: Ein Ausschlussverfahren war einzuleiten gegen »Mitglieder, die eine parteifeindliche Einstellung vertreten; Mitglieder, die eine sowjetfeindliche Haltung bekunden; Mitglieder, die an Korruptionsaffären, Schiebereien, kriminellen Verbrechen direkt oder indirekt beteiligt sind; Mitglieder, die über ihre Vergangenheit in der Nazizeit wahrheitswidrige Angaben gemacht haben; Mitglieder, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie im 158 Vgl. Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 69 sowie Malycha, Stalinisierung, S. 301. 159 So Otto Grotewohl auf der Parteivorstandssitzung am 29.6.1948, zit. nach »Anweisungen für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 28. und 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/51, Bl. 5). 160 Während Malycha das Problem der Massen- bzw. Kaderpartei mit dem Begriff des »institutionalisierten Widerspruchs« beschreibt, verwendet Kaiser die Formulierung des »Doppelcharakters«. Vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 301 sowie Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 69. 161 So Otto Grotewohl auf der Parteivorstandssitzung am 29.6.1948, zit. nach »Anweisungen für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 28. und 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/51, Bl. 5). 162 Ebd. 163 An der Terminologie des Beschlusses – und keineswegs nur dort – lässt sich eine deutliche Analogie zur Sprachstilistik im Nationalsozialismus feststellen. Dazu bemerkte bereits im Juni 1945 Viktor Klemperer: »Ich muss allmählich anfangen, systematisch auf die Sprache des vierten Reiches [der kommunistischen Machthaber in der SBZ, T. P.] zu achten. Sie scheint mir manchmal weniger von der des dritten unterschieden als etwa das Dresdener Sächsische vom Leipziger.« Zit. nach Klemperer, Zwischen allen Stühlen, S. 26. Zur Sprachkritik des Nationalsozialismus vgl. Sennebogen, Gleichschaltung der Wörter, S. 165 f.

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Interesse parteifeindlicher Kräfte (Agenten des Ost-Sekretariats der SPD) oder als Spione und Saboteure fremder Dienste in der Partei wirken«.164 Mit den »Ausführungsbestimmungen zum Beschluss des Parteivorstandes über die Schaffung der Parteikontrollkommissionen«165 wurde dann anschließend das organisationsstrukturelle Gründungsdokument dieser Disziplinierungs- und Repressionsinstanzen beschlossen. Sie wirkten als ständige innerparteiliche Kontrollorgane, die vor allem die Einhaltung des genannten Kanons zu überwachen hatten. Deren einheitliche Konstituierung zog sich dann in den sächsischen Kreisen über einen Zeitraum von September 1948 bis Mai 1949 hin. Bei der Einrichtung von Parteikontrollkommissionen auf der Kreisebene konnte die SED auf strukturelle Vorläufer in der personalpolitischen Arbeitspraxis aufbauen. Die sächsischen SED-Kreisverbände verfügten bereits seit Frühjahr 1947 über regelmäßig tagende Gremien in den Kreisvorständen, die sich ausschließlich mit Fragen der Schiedsgerichtsbarkeit beschäftigten.166 Die unter verschiedenen Bezeichnungen, wie etwa »Kommission des Kreisvorstandes zur Tätigung von Ausschlüssen«,167 »Personalkommission«168 oder Kreiskommission169, firmierenden Instanzen wurden stets von einem eigens dafür abgestellten hauptamtlichen Mitarbeiter aus den Reihen des Kreisvorstandes geleitet. Die anderen Kommissionsmitglieder waren einer der beiden Kreisvorstandsvorsitzenden, der Leiter der Abteilung Personalpolitik und mindestens zwei von dessen Abteilungsmitarbeitern.170 Diese Gremien fungierten als Appellations- und Entscheidungsinstanzen für die Ausschlussanträge der untergeordneten Parteieinheiten. Die Ausschlüsse mussten zwar noch vom Kreisvorstand bestätigt werden, dies war jedoch faktisch meist eine reine Formalität.171

164 »Anweisungen für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 28. und 29.7.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/51, Bl. 6). 165 Vgl. die »Ausführungsbestimmungen« in Dokumente der SED, Band II, S. 97 ff. Die strukturelle Entwicklung und der Aufbau der Parteikontrollkommissionen werden ausführlich geschildert bei Klein, Innerparteiliche Kontrollorgane sowie ders., Parteikontrolle; Malycha, Stalinisierung, S. 364 f.; Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 70 f. 166 Parteistatut der SED, § 5 Absatz 4. In: Dokumente der SED Band I, S. 12. 167 Berichte der »Kommission des Kreisvorstandes zur Tätigung von Ausschlüssen« des Leipziger SED-Kreisverbandes (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/260). 168 Protokoll der Sekretariatssitzung des Kreisvorstandes der SED Altenburg vom 23.8.1948 (StAL, SED-BPA, Nr. 8, Bl. 108). 169 Ebd. 170 In dieser personellen Zusammensetzung tagte etwa die »Kommission des Kreisvorstandes zur Tätigung von Ausschlüssen« des Leipziger SED-Kreisverbandes vom 20.3.1947−30.8.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/260, unpaginiert). 171 Auf die geringe Anzahl der positiv durch die Landesschiedsgerichte beschiedenen Einsprüche gegen die von den Grundeinheiten der SED ausgesprochenen Ausschlüsse verweist Malycha, Stalinisierung, S. 365.

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Bereits im Sommer des Jahres 1947 wurde deutlich, dass die Kapazitäten der »Kreiskommissionen« bei den Kreisvorständen für die Erledigung der zu behandelnden Ausschlussverfahren nicht ausreichten. In Folge dessen kam es zur Einrichtung von »Untersuchungskommissionen«, die laut einem Beschluss des Zentralsekretariats vom Juni 1947 von den Schiedsgerichten für »Recherchen« bei der »Bearbeitung von Problemfällen« im Kreisgebiet eingesetzt werden sollten.172 In der Praxis entwickelten sich die Untersuchungskommissionen jedoch vielmehr zu organisationstechnischen Filtern zwischen den Parteileitungen der Grundeinheiten, die die Ausschlussanträge stellten und den »Ausschlusskommissionen« der Kreisvorstände. Im städtischen Bereich bündelten die Untersuchungskommissionen mehrere Stadtbezirksparteiorganisationen, in räumlich ausgedehnteren, besonders in ländlichen Regionen die entsprechenden Arbeitsgebietsleitungen.173 Behandelt wurden sowohl Ausschlussanträge dieser territorial gegliederten Grundeinheiten von der Wohnbezirksgruppe aufwärts, als auch die Angelegenheiten der Betriebsgruppen der Kreisgebiete. In enger Zusammenarbeit mit den Kreisstaatsanwaltschaften und den Kreispolizeiämtern waren die Ausschlussverfahren innerhalb der Untersuchungskommissionen zumeist bereits so weit abgeschlossen, dass die Kreiskommissionen den Sekretariaten der Kreisvorstände deren Ergebnisse nur noch zur Bestätigung vorzulegen hatten.174 Bereits vor dem Beschluss vom 16. September 1948 zur Einrichtung der Parteikontrollkommissionen existierte demnach ein dichtes Netz an innerparteilichen Instanzen für zu verhängende Parteistrafen in den Kreisverbänden der SED. Im Zuge der Transformation der SED in eine »Partei neuen Typs« sollten diese Instanzen jedoch einen entscheidenden Charakterwandel vollziehen: Die Erweiterung ihrer Kompetenzen von einer reinen Appellations- hin zu einer Investigationsinstanz. Die Kreisparteikontrollkommissionen hatten neben der fortlaufenden Untersuchung von allen ihnen bekannt werdenden Fällen von Vergehen einzelner Parteimitglieder gegen die Grundsätze der Partei nun auch insbesondere »selbstständig Nachforschungen« durchzuführen und wurden zusätzlich zu dieser Zuständigkeitserweiterung auch in die Lage versetzt, ohne Bestätigung der

172 Vgl. den Beschluss des Zentralsekretariats über »Richtlinien für die Organisation und Durchführung der Untersuchungs- und Schiedsverfahren« vom 10.6.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.1/98, unpaginiert), zit. nach Malycha, Stalinisierung, S. 365. 173 Der Kreis Leipzig etwa, der 1947 in 14 Stadtbezirksparteiorganisationen der SED eingeteilt war, verfügte bis Ende 1948 über vier Untersuchungskommissionen. Vgl. die Untersuchungsverfahren der Leipziger »Kommission des Kreisvorstandes zur Tätigung von Ausschlüssen« (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/260, unpaginiert). 174 Ebd.

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Kreisvorstände bestimmte Parteistrafen, wie Rüge, strenge Rüge und Ausschluss aus der Partei, zu beschließen.175 Propagandistisch und organisatorisch vorbereitet worden war dieser Funktionswandel bereits unmittelbar nach dem »Säuberungsbeschluss« vom 29. Juli 1948. In einer vom sächsischen Landesvorstand breit angelegten Kampagne, die mit Kreisparteiaktivistenkonferenzen unmittelbar nach dem 12. Plenum des zentralen Parteivorstandes und einer anschließenden Versammlungskampagne der »unteren Einheiten« die »örtlichen Verhältnisse in Verbindung mit den Beschlüssen« vom 29. Juli bringen sollte,176 wurden in den einzelnen Kreisvorständen sogenannte Sonderkommissionen einberufen. Ziel war, dass diese Einheiten »die Beschlüsse und Anträge zur Festigung und Reinigung der Parteiorganisation von parteifeindlichen und klassenfremden Elementen schneller durchführen« sollten, als dies den bisherigen Kreiskommissionen gelungen war.177 Das prominenteste Beispiel stellte die im Leipziger Kreisvorstand angesiedelte »Sonderkommission zur beschleunigten Durchführung von Ausschlussverfahren gegen Schädlinge und Parteifeinde« dar, die von der Parteiaktivkonferenz am 1. August 1948 eingesetzt wurde.178 Diese Instanz ermittelte vor allem gegen den sogenannten Leipziger Volkshauskreis, der von dem Vorsitzenden der Sonderkommission Erich Richter als ein Zusammenschluss bezeichnet wurde, »in dem sich alle parteifeindlichen Elemente ein Stelldichein geben«.179 Faktisch handelte es sich beim »Volkshauskreis« jedoch um eine vom Leipziger SED-Kreisvorstand und der Sonderkommission willkürlich konstruierte Personengruppe, die der sich in Sachsen seit Sommer 1948 verschärfenden »Sozialdemokratismus«-Kampagne der SED zum Opfer fiel.180 Zuallererst ging es der SED im unmittelbaren Vorfeld der Gründung der Parteikontrollkommissionen darum, die Initiativfunktion der Sonderkommissionen auf Kreisebene als ein »Kampfmittel« in der kaderpolitischen Parteiarbeit durchzusetzen. Ernst Lohagen betonte am 13. August 1948 im Zuge der Untersuchungen gegen den »Volkshauskreis« ausdrücklich, dass besonders »die Schwächen und die Kreise, die in den unteren Einheiten eine passive oder eine zersetzende 175 »Ausführungsbestimmungen zum Beschluss des Parteivorstandes über die Schaffung der Parteikontrollkommissionen« vom 16.9.1948. In: Dokumente der SED, Band II, S. 99. Die Bestätigung der von den KPKK getätigten Parteiausschlüsse oblag nun dem Landessekretariat der SED. 176 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Leipzig vom 10.9.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/23, Bl. 166). 177 Entschließung des Sekretariats des Kreisvorstandes der SED Leipzig vom 1.12.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/24, Bl. 246). 178 Vgl. ebd. 179 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Leipzig vom 10.9.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/23, Bl. 190). 180 Vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 384. Zum Begriff des »Sozialdemokratismus« besonders Bouvier, Ausgeschaltet, S. 155 f. Die Vorgänge um den Leipziger »Volkshauskreis« schildert ausführlich Adam, Erich Schilling, S. 186–202.

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Rolle spielen oder die sich negativ auswirken« gezielt untersucht werden müssten, und sich nicht leichtfertig auf den Personenkreis konzentriert werden dürfte, »der auf der Parteiaktivistenkonferenz im Vordergrund« stehe.181 Während die Zentrale Parteikontrollkommission beim Parteivorstand der SED in Berlin sowie die sächsische Landesparteikontrollkommission in Dresden erst im Anschluss an die 1. Parteikonferenz aufgebaut wurden,182 konnten die Kreisparteikontrollkommissionen in vielen sächsischen Kreisen bereits im September 1948, unmittelbar nach der 13. Tagung des Parteivorstandes der SED, ihre Arbeit aufnehmen.183 Obwohl es besonders in der Zeit bis Mai 1949 noch vereinzelt zu personellen Umbesetzungen innerhalb der sächsischen Kreisparteikontrollkommissionen kam, bestand durch die Verankerung von Kreiskommissionen bei den Kreisvorständen eine strukturelle Kontinuität, ganz im Gegensatz zur Landes- und Zentralebene. Dies bedeutete einen entscheidenden Vorteil für die rasche Arbeitsaufnahme der Kontrollorgane auf Kreisebene.184 Die aus drei Mitgliedern und zwei Kandidaten bestehenden Kreisparteikontrollkommissionen wurden von den Kreisvorständen aus deren Mitte gewählt. Die Auswahl der Mitglieder und die von den Kreisparteikontrollkommissionen gefassten Beschlüsse bedurften der Bestätigung der unmittelbar übergeordneten Parteihierarchieebene der sächsischen SED-Landesleitung.185 Aufgabe der KPKK war es laut Satzung, »den Kampf gegen die Tätigkeit feindlicher Agenten, insbesondere gegen Beauftragte des Hannoverschen Ostbüros [der SPD, T. P.] in der Partei zu führen, gegen Korruptionserscheinungen, gegen den Missbrauch von Parteifunktionen und staatlichen Funktionen, gegen Karrierismus wie gegen die Verbreitung feindlicher Gerüchte in der Partei.« Sie hatten ferner die »Entfernung von SED-Mitgliedern aus Partei- und Staatsfunktionen« vorzunehmen, wenn

181 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Leipzig vom 13.8.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/23, Bl. 69 f.). 182 Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 400. 183 Die KPKK der SED Torgau nahm ab dem 21.9.1948 ihre Arbeit auf. Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Torgau vom 29.9.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/12/09, Bl. unpaginiert). Schmeitzner/Donth verweisen darüber hinaus auf die Aufnahme der Arbeit in den KPKK in den Kreisen Annaberg im Oktober 1948 und Chemnitz im November 1948. Vgl. dies., Diktaturdurchsetzung, S. 401 f. In Oschatz bestand die KPKK seit Dezember 1948. Vgl. Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Oschatz vom 28.12.1948 (StAL, SED-BPA IV/4/10/17, unpaginiert). 184 In der Überlieferung der Kreiskommission des SED-Kreisvorstandes Leipzig werden die kontinuierliche Arbeit und die nahtlose Überführung hin zur Tätigkeit der »Kreisparteikontrollkommission« besonders offensichtlich. In den in Form von Beschlussprotokollen überlieferten Dokumenten wird lediglich eine Umbenennung im Dokumententitel vorgenommen, Form und Inhalt der Dokumente weisen jedoch formal sehr ähnliche Strukturen auf. Vgl. die Protokolle der »Kommission des Kreisvorstandes zur Tätigung von Ausschlüssen« vom 20.3.1947−30.8.1948 bzw. 6.1.1949−3.5.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/260, 261, unpaginiert). 185 Dokumente der SED, Band II, S. 98.

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diese »das Ansehen der Partei schädigen und den Aufbau hindern«.186 Mit der Festlegung, dass die Kontrollkommissionen durch die »Sicherung der Sauberkeit in der Partei« auch ein »moralisch einwandfreies Verhalten« sicher zu stellen hatten, wurde der Sanktionskatalog weit ausgedehnt. Über den engeren parteipolitischen Zuständigkeitsbereich hinaus umfasste er nun auch die moralische Dimension der Disziplinierung im privaten Umfeld der Parteimitglieder. Das verschaffte der willkürlichen und totalitären Instrumentalisierung noch weitreichendere Sanktionsspielräume.187 Nachdem die Kreisparteikontrollkommissionen mit dem Wegfall der Parteischiedsgerichte188 und der Untersuchungskommissionen189 deren Funktion und Aufgaben auf Kreisebene absorbiert hatten, wurden sie von den Kreisvorständen kaum noch als Berufungsinstanz eingesetzt, sondern vornehmlich als »Werkzeug zur Durchsetzung der Prinzipien des sowjetischen Parteityps«.190 In den Grundorganisationen der Kreisverbände nahm man sie dann auch zunehmend als ein »Polizeiorgan« wahr, das sich sowohl mit Parteistrafen gegen einzelne Mitglieder befasste, als auch zunehmend »darauf achtet, dass die Parteibeschlüsse der unteren Einheiten durchgeführt werden«.191 Diese in der Praxis bereits etablierte Kompetenzerweiterung wurde den Kreisparteikontrollkommissionen dann ab dem Jahr 1950 auch offiziell zugeteilt. Sie wurden mit dem auf dem III. Parteitag verabschiedeten neuen Statut der SED explizit in das System der generellen Überwachung des Arbeitsalltags untergeordneter Parteieinheiten in den Kreisen einbezogen.192 Mit der Bildung der Kreisparteiaktivs und der Kreisparteikontrollkommissionen bei den Kreisvorständen der sächsischen SED waren im Sommer 1948 die beiden bedeutsamsten organisatorischen Strukturelemente zur Realisierung der zentralistischen Lenkung der Parteiarbeit und der Unterdrückung von der Parteilinie entgegenstehenden Politikvorstellungen auf Kreisebene installiert worden.

186 Ebd., S. 97. 187 Ebd. Vgl. auch Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 71. 188 Vgl. den Beschluss des Parteivorstandes der SED über »Innerparteiliche Maßnahmen« vom 24.1.1949, Dokumente der SED, Band II, S. 217. 189 Anlage Nr. 2 zum Protokoll der Entschließung des Parteivorstandes der SED »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei« vom 21.7.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/68, Bl. 11). Ohne die quellenkritisch wichtigen Unterstreichungen ist die Entschließung außerdem veröffentlicht in Dokumente der SED, Band III, S. 279–284. 190 Malycha, Stalinisierung, S. 371. 191 Diskussionsbeitrag Walter Keil im Protokoll über die SED-Kreisdelegiertenkonferenz Grimma vom 19. und 20.11.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/1, Bl. 114). 192 Vgl. das »Zweite Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« vom 24.7.1950. In: Dokumente der SED, Band III, S. 162–176, hier 171.

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Eine vollständige Reorganisierung der Leitungsebene der Kreisvorstände sollte deren Organisationsentwicklung im Laufe der Jahre 1949 und 1950 bestimmen und die Transformation der bis dato paritätisch besetzten Kreisvorstände193 zu an das stalinistische Parteikonzept der KPdSU angeglichenen Kreisleitungen »neuen Typs« zum Abschluss bringen.

2.2 Reorganisation der SED-Kreisleitungen (1949−1950)

Einen Sattelpunkt im Transformationsprozess der SED stellte die 1. Parteikonferenz der SED vom 25. bis 28. Januar 1949 dar. Sie diente zum einen der Fixierung des bis dato entwickelten ideologischen Merkmalkanons des Konzeptes der »Partei neuen Typs« sowie der Sanktionierung der organisationspolitischen Weichenstellungen des Jahres 1948. Zum anderen sollten auf dieser Konferenz weitere »vorwärtstreibende Impulse« gesetzt werden,194 die besonders das Herrschaftsmonopol innerhalb der Leitungsgremien der Parteigliederungen weiter ausbauen und die politischen Partizipationsmöglichkeiten der »Nur-Mitgliederschaft« und auch der erweiterten Kreisvorstände abschaffen sollten.195 Otto Grotewohl sprach in diesem Zusammenhang im Februar 1949 auf der Kreisdelegiertenkonferenz der SED in Leipzig in unmittelbarer Anlehnung an die Beschlüsse der 1. Parteikonferenz von der Aufgabe des Vollzuges eines »endgültigen Schnitts« in der Organisationsentwicklung der SED. Die Partei könne fortan »keine politische Arbeiterpartei mehr sein, die nach den Formen und Ausdrücken eines alten sozialdemokratischen Wahlvereins versucht, ihre Aufgaben zu erfüllen«. Diese »politische Richtung des Opportunismus« habe, so Grotewohl weiter, nicht die Kraft besessen, »die deutsche Arbeiterklasse auch nur einen Zentimeter mit diesen politischen Organisationsmethoden näher an den Sozialismus heranzubringen«.196 193 Bereits vor der offiziellen Abkehr von dem Paritätsprinzip durch die Beschlüsse der 1. Parteikonferenz der SED zu Beginn des Jahres 1949 hatte sich in den sächsischen Kreisverbänden faktisch bereits lediglich »nur noch eine formale Parität« erhalten. Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 398. 194 Grotewohl, Protokoll der 1. Parteikonferenz, S. 364. 195 Auf die fehlende parteiinterne Legitimation der Beschlüsse der Parteikonferenz, die nach dem Vereinigungsstatut der SED von 1946 nicht als beschlussmächtige Versammlungsform vorgesehen war, verweisen Malycha, Stalinisierung, S. 306, und Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 384. 196 Referat Otto Grotewohls »Über die Politik der Partei und die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typs«, stenografisches Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 19. und 20.2.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 118 f.). Die inhaltliche Ausrichtung dieses Punktes im Referat Grotewohls nimmt unmittelbar Bezug auf die von der 13. Tagung des Parteivorstandes am 15. und 16.9.1948 verabschiedeten Thesen über die »Novemberrevolution und die Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« und die »Theoretische

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Mit der nun offiziellen Verkündung des Prinzips des »demokratischen Zentralismus« als dem bestimmenden Grundsatz organisierten »Gehorsams«197 und wesentlichem »Kennzeichen einer Partei neuen Typs« wurde die innerparteiliche Diktatur der sich als »Kampfpartei des Marxismus-Leninismus« bezeichnenden SED endgültig ausgerufen. Die Parteibeschlüsse der höheren Organe hatten fortan »ausnahmslos für alle Parteimitglieder Gültigkeit, insbesondere auch für die in Parlamenten, Regierungen, Verwaltungsorganen und in den Massenorganisationen tätigen Parteimitglieder«. Die Unvereinbarkeit der »Duldung von Fraktionen und Gruppierungen innerhalb der Partei« mit ihrem »marxistisch-leninistischen Charakter« machte deutlich, dass die Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit nicht mit dem Mehrheitsprinzip demokratischer Parteien vergleichbar war, sondern sich in Kombination mit der Verbindlichkeit der Einhaltung der zentralen Parteibeschlüsse und der straffen Parteidisziplin in ihr Gegenteil verkehrte.198 Das »demokratische« Element des Prinzips erwies sich in der Praxis als bloße propagandistische Etikette und trat völlig hinter die Norm des Gehorsams als dem bestimmenden Grundsatz der Organisationskultur der SED zurück. Zur Durchsetzung dieser neuen Transformationsstufe in der Organisationsentwicklung der SED war die 1. Parteikonferenz von einer Kampagne in allen unteren Gliederungen der Partei gerahmt worden. Nach der Regieanweisung des Zentralsekretariates vom 27. September 1948 hatten die Landesvorstände der SED im Vorfeld der 1. Parteikonferenz »Entschließungsentwürfe« über die Umsetzung der Politik der Partei und die Entwicklung der SED zu einer »Partei neuen Typs« nach den Kriterien der 11., 12. und 13. Parteivorstandstagung auszuarbeiten, die, so der Wortlaut des Beschlusses, als »Grundlage der Diskussion auf den Kreisdelegiertenkonferenzen« zu dienen hatten. Es wurde ein 22 Punkte umfassender Fragenkatalog über die Umsetzung der Normen der »Partei neuen Typs« festgelegt, dessen Beantwortung von den Landesverbänden in den Entschließungsentwürfen vorzunehmen und an die Kreisverbände »durchzureichen« war.199 Die vom 6. bis zum 20. November 1948 in den sächsischen Kreisverbänden abgehaltenen Delegiertenkonferenzen machten deutlich, wie weit das und praktische Bedeutung der Entschließung des Informbüros der Kommunistischen Parteien über die Lage der KP Jugoslawiens und die Lehren für die SED«, durch die die Anerkennung der Vorbildfunktion der Sowjetunion bzw. der KPdSU als alleingültige Richtschnur für die SED fixiert wurde. Dies war zugleich mit der Abkehr von der These Anton Ackermanns über einen »besonderen deutschen Weg zum Sozialismus« verbunden. Vgl. zur 13. Tagung des Parteivorstandes, der Selbstkritik von Ackermann und der ideologischen Ausrichtung der SED an der KPdSU besonders Hurwitz, Stalinisierung, S. 439 f. 197 Den demokratischen Zentralismus beschreibt mit der Phrase »Gehorsam als Organisationsprinzip« bereits Schultz, Funktionär, S. 105. 198 Entschließung der 1. Parteikonferenz über »Die nächsten Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« vom 28.1.1949. In: Dokumente der SED, Band II, S. 183–199, hier 196. 199 Beschluss »Über die Vorbereitung der Parteikonferenz. An alle Parteileitungen der SED!« vom 27.9.1948. In: Dokumente der SED, Band II, S. 131–135.

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Prinzip des »demokratischen Zentralismus« bereits in der Partei etabliert war. Es zeigte sich, wie diszipliniert sich die Mitglieder im Fall von Abstimmungen zu zentralen Fragen bereits in Gehorsam übten. Die von den Kreisdelegierten verabschiedeten Entschließungen der Kreisdelegiertenkonferenzen degenerierten zu reinen Affirmationsdokumenten. Die sächsischen Kreisverbände bekundeten darin unisono, dass sie sich »rückhaltlos hinter die Beschlüsse des Zentralvorstandes« stellen würden und bewiesen ihre Subordination unter den »von oben« diktierten »Parteiwillen«.200 Um die Kreisdelegiertenkonferenzen dennoch – und dies bereits weit im Vorfeld – gegen spontane Willensbildungsprozesse »von unten« abzusichern, ergänzten die Kreisvorstände die Kampagnenpläne zur Propagierung der zentralen Beschlüsse in den Grundorganisationen durch den flächendeckenden Einsatz von »verantwortlichen Instrukteuren«.201 Sämtliche Mitglieder der Kreisvorstandssekretariate und ausgewählte Kreisvorstandsmitglieder wurden den Versammlungen zur Delegiertenentsendung in den Stadtbezirks- und Arbeitsgebietsorganisationen der Kreise zugeteilt und dafür verantwortlich gemacht, die »Durchführung mit den Leitungen der Einheiten sicherzustellen«. Die Instrukteure hatten dabei, wie es der 1. Kreissekretär der Stadtleitung Leipzig formulierte, »als Feuerwehr im Hintergrund zu bleiben« und nur in die Diskussion einzugreifen, »wenn irgendwie ein Brand ausbrechen sollte«.202 Auf dem erweiterten Plenum des SED-Landesvorstandes Sachsen von Anfang Februar 1949 wurde – analog zur Methodik der »Durchstellung« der zentralen Parteibeschlüsse in der Kampagne vom November 1948 – die verbindliche Zustimmung der sächsischen Kreisverbände zu den auf der 1. Parteikonferenz vom 25. bis 28. Januar 1949 beschlossenen »innerparteilichen Maßnahmen«203 und

200 Resolution der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Döbeln vom 13.11.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/5/01, unpaginiert). Vgl. ebenso die Resolutionen der Kreisdelegiertenkonferenzen in Borna vom 13.11.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/2/01, unpaginiert), Döbeln vom 13.11.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/5/01, unpaginiert), Grimma vom 19.11.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/01, unpaginiert) und Leipzig vom 14.11.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/02, unpaginiert). Seit dem Beschluss des Parteivorstandes der SED »Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen« vom 29.7.1948 war die »Kritik und Selbstkritik« als ritualisierte Form der Unterwerfung unter die »Linie der Partei« formal verankert. Zur Funktion und Wirkungsweise kommunistischer Selbstkritik mit starkem Fokus auf die Entstehung in der Sowjetunion siehe besonders die Vergleichsstudie von Unfried, »Ich bekenne«, S. 149–357. 201 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Leipzig vom 7.10.1948 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/24, Bl. 116). 202 Ebd., Bl. 119. 203 So der Titel des Beschlusses des 16. (30.) Plenums des Parteivorstandes der SED vom 24.1.1949 und der 1. Parteikonferenz der SED vom 25.−28.1.1949. In: Dokumente der SED, Band II, S. 213–217.

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den »nächsten Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands«204 auf eigens dazu einzuberufenden Kreisparteidelegiertenkonferenzen angeordnet.205 Diese sollten nach den Worten des Leipziger SED-Vorsitzenden Bretthorst »im Kreismaßstabe« den Abschluss jener »großen Konferenzen und Tagungen« bilden, die sich »im Anschluss an die Referate und Beschlüsse der 11., 12. und 13. Parteivorstandssitzungen« und der »so bedeutungsvollen Parteikonferenz« als »notwendig erwiesen« hätten. Die Sekretariate der SED-Kreisvorstände hatten zuvor auf Anweisung des Dresdener SED-Landesvorstands bereits »zur Parteikonferenz Stellung genommen« und Resolutionen ausgearbeitet, die auf den Parteikonferenzen von den Delegierten nicht mehr diskutiert, sondern nur noch »angenommen« werden sollten.206 Getreu der propagandistischen Parole »Vorwärts unter dem unbesiegbaren Banner von Marx, Engels, Lenin und Stalin«207 wurden von den sächsischen SED-Kreisdelegiertenkonferenzen Ende Februar 1949 sämtliche zentralen Beschlüsse der 1. Parteikonferenz übernommen, die unmittelbare Relevanz für die Kreisverbände besaßen. Dazu gehörte die Einführung einer obligatorischen »Kandidatenzeit« bei der Neuaufnahme von Parteimitgliedern. Diese Maßnahme sollte den Mitgliedern der Partei »helfen«, ihre Rolle als »Avantgarde der Arbeiterklasse und Führerin

204 So der Titel der Entschließung der 1. Parteikonferenz der SED vom 25.–28.1.1949. In: Dokumente der SED, Band II, S. 183–212. 205 Protokoll der erweiterten Landesvorstandssitzung der SED Sachsen vom 5. und 6.2.1949 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/785, unpaginiert). Die Konferenzen der sächsischen Kreisverbände wurden innerhalb einer Woche vom 12. und 13. Februar bis zum 19. und 20. Februar 1949 durchgeführt. Vgl. exemplarisch die Kreiskonferenzen der SED in Borna (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/01, unpaginiert), Grimma (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/01, unpaginiert), Leipzig (StAL, SED-BPA, IV/5/5/02, unpaginiert) und Oschatz (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/10/01, unpaginiert). Schmeitzner/Donth verweisen unter Heranziehung eines Informationsberichtes der Abteilung Information der SMAS darauf, dass in den Kreisverbänden Dresden und Marienberg keine den übrigen Kreisen entsprechenden Parteikonferenzen stattgefunden haben. Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 389 f. 206 Protokoll der SED-Kreisparteidelegiertenkonferenz Leipzig vom 19. und 20.2.1949 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 6). Die Wahl der Delegierten zu den Kreisdelegiertenkonferenzen war bestimmt von einem relativen Übergewicht der Betriebsgruppendelegierten. Der Vorrang des »Produktionsprinzips« vor dem »Territorialprinzip« der Parteiarbeit wirkte sich bei den sächsischen Kreisdelegiertenkonferenzen bereits im November 1948 aus. Den Kreisverbänden war ein anderer Wahlschlüssel »vorgeschrieben« worden, weil man von der Parteiführung aus »Wert darauf legt[e]«, dass »möglichst viele Betriebsgruppendelegierte« an den Delegiertenkonferenzen vorrangiges Stimmrecht in den »Stadtbezirks- und Arbeitsgebietsdelegiertenkonferenzen« erhielten. Vgl. Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Leipzig vom 7.10.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/24, Bl. 116). Seit dem Beschluss der 14. (28.) Tagung des Parteivorstandes vom 21.10.1948 »zur Verbesserung der Arbeit der Parteibetriebsgruppen in den Großbetrieben« war die »entscheidende Rolle« der Betriebsgruppen bei der »Durchführung der Politik der Partei« offiziell festgelegt. Vgl. Malycha, Gnaden, S. 106. 207 Resolution der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 20.2.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 175 f.).

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der werktätigen Massen« zu sichern.208 Sie wirkte faktisch freilich als »Disziplinierungstechnik«209 gegenüber neu aufgenommenen Parteimitgliedern. Während der Kandidatenzeit standen die Neulinge zum einen unter dauerhafter Beobachtung durch die anderen Mitglieder ihrer Parteigruppen. Zum anderen mussten sie häufig besondere Parteiaufträge erfüllen, um ihre unbedingte Loyalität zu beweisen und sich der Vollmitgliedschaft als »würdig« zu erweisen. Eine weitere wichtige Veränderung war die nun offizielle Aufhebung der »paritätischen Besetzung« der Vorstände der Parteileitungen, die von Otto Grotewohl als personalpolitischer »Luxus« der Vergangenheit bezeichnet wurde. Der Parteivorsitzende begründete die Abschaffung der Parität auf der Kreisdelegiertenkonferenz der SED in Leipzig am 20. Februar 1949 zum einen mit personalpolitisch-organisatorischen Engpässen »bei dem wachsenden Aufgabenkreis« der Parteiarbeit, zum anderen verwies er auf ein Leistungsselektionsprinzip, das mit der Aufhebung der Parität besser umzusetzen wäre: »Der Anspruch auf eine verantwortliche Tätigkeit ergibt sich nicht mehr aus der Vergangenheit, sondern er ergibt sich daraus, wie sich der einzelne Genosse in der Gegenwart und Zukunft zur Erfüllung unserer Aufgabe verhält und verhalten wird«, so Grotewohl. Diese Aufgabe bestünde vor allem darin, »eine straffe Organisation der Partei« sicherzustellen. 210 Die von der Parteikonferenz beschlossene Schaffung einer »Zentralen Parteikontrollkommission« fand keine Erwähnung in den Resolutionen der Kreisdelegiertenkonferenzen, da diese Organe auf Kreisebene bereits installiert worden waren. Mit der Bildung des »Politbüros« und des »kleinen Sekretariats« im zentralen Parteivorstand der SED war auf der 1. Parteikonferenz die »Entmachtung« von Zentralsekretariat und Parteivorstand als politische Entscheidungsgremien beschlossen worden.211 Dieser Restrukturierung des führenden Leitungsgremiums der SED wurde mit der Bildung »kleiner Sekretariate« in den Landesvorständen der SED die Anpassung an die zentrale Führungsstruktur zur Seite gestellt,212 die gut zwei Wochen später, am 16. Februar 1949, im Landessekretariat der sächsischen SED nachvollzogen wurde.213 Zunächst fanden diese Maßnahmen keine unmittelbare Entsprechung auf der organisationspolitischen Ebene der SED-Kreisvorstände. Die Entschließung der 1. Parteikonferenz hatte eine Reorganisation der Kreisvorstände und Kreissekretariate ausdrücklich nicht behandelt. 208 Dokumente der SED, Band II, S. 235 sowie ausführlich Malycha, Stalinisierung, S. 306 f. 209 Jessen/Gieseke, SED, S. 53. 210 Redebeitrag von Otto Grotewohl, Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 20.2.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 119 f.). 211 Vgl. ausführlich Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 72 f. sowie Malycha, Stalinisierung, S. 310 f. 212 Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 73. 213 Zur Bildung des »Kleinen Sekretariates« im sächsischen Landessekretariat der SED vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 384 f.

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Dementsprechend verkündete der Leipziger SED-Kreisvorstand mit der Resolution auf der Kreisdelegiertenkonferenz zwar die bereits erfolgte Orientierung der »Arbeit des Kreissekretariates« an den »auf der Parteikonferenz in Berlin hervorgehobenen sechs marxistisch-leninistischen Organisationsprinzipien«214 und eine »stärkere, mit den unteren Einheiten und den Massenorganisationen verbundene operative Arbeit des Kreissekretariats«. Die Ausarbeitung der dazu »notwendigen Arbeitsmethoden« sollte der Kreisvorstand jedoch erst noch vornehmen.215 Auch ohne einen offiziellen Beschluss der 1. Parteikonferenz wurde in den Ausführungen Grotewohls deutlich, dass dies auf eine Umbildung nach dem Muster der Parteileitungsgremien auf Zentral- und auf Landesebene hinauslief. Der Parteivorsitzende betonte in Leipzig, dass in Folge der Restrukturierungen der »oberen« Leitungsgremien auch die Sekretariate der Kreisvorstände in einer »strafferen und engeren Form zusammengelegt« werden sollten: »Eine solche Partei mit den Aufgaben, die wir uns gestellt haben, kann nicht mehr in ihren führenden Körperschaften sich zusammensetzen aus großen Gesellschaften, die großartige Reden halten und kleine Parlamente darstellen, sondern sie muss knapp, kurz, bestimmt und entschieden alle die Voraussetzungen schaffen, die zu einer fruchtbaren Erfüllung unserer Arbeit notwendig sind.«216 Es käme fortan darauf an, so Grotewohl weiter, die »aktivsten, entschlossensten und ideologisch sichersten« Funktionäre in »kleine Führungskörperschaften« zu setzen, um eine »größere Bewegungsmöglichkeit der Partei in jeder Kreisorganisation« zu erreichen.217 Die vollständige Reorganisation der Leitungsgremien in den Kreisvorständen, denen »als leitendes und kontrollierendes Organ« in der Region eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der »Parteilinie« der SED zukam,218 wurde dann 214 Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 20.2.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 175). Die erwähnten marxistisch-leninistischen Organisationsprinzipien wurden in der Entschließung der 1. Parteikonferenz unter Punkt IV.2 als »Kennzeichen einer Partei neuen Typs« festgelegt: »1. Die marxistisch-leninistische Partei ist die bewusste Vorhut der Arbeiterklasse. 2. Die marxistisch-leninistische Partei ist die organisierte Vorhut der Arbeiterklasse. 3. Die marxistisch-leninistische Partei ist die höchste Form der Klassenorganisation des Proletariats. 4. Die marxistisch-leninistische Partei beruht auf dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus. 5. Die marxistisch-leninistische Partei wird durch den Kampf gegen den Opportunismus gestärkt. 6. Die marxistisch-leninistische Partei ist vom Geiste des Internationalismus durchdrungen.« Vgl. Dokumente der SED, Band II, S. 195 ff. 215 Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 20.2.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/02, Bl. 175). 216 Referat Otto Grotewohl (ebd., Bl. 120). 217 Ebd. 218 Referat Otto Schön, Protokoll der 1. Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 145).

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auch seit März 1949 zu einem der wichtigsten Reformgegenstände in der Organisationsarbeit der SED und sollte nach einer Umsetzungsphase von rund einem halben Jahr mit der Neuwahl der Kreisvorstände ihren formalen Abschluss finden. Nach den Kreisdelegiertenkonferenzen im Februar 1949 wurden durch vier Kommissionen des Politbüros in der gesamten SBZ die Strukturen der Leitungen, die Arbeitsweise und Arbeitsmethoden zweier Landesverbände (Thüringen und Brandenburg), mehrerer Kreissekretariate und verschiedener Grundorganisationen in den Kreisverbänden exemplarisch auf die Umsetzung der Beschlüsse der 1. Parteikonferenz hin überprüft.219 Parallel dazu begann in Sachsen durch die Instrukteure der neu gebildeten Organisations-Instrukteurabteilung des SED-Landessekretariates eine knapp drei Monate andauernde Phase zur Überprüfung der Struktur der Leitungen der Kreissekretariate und deren Arbeitsmethoden. Die Abteilungsmitglieder wurden nach den Worten des Leiters der Organisations-Instrukteurabteilung beim SED-Landesvorstand in Dresden, Otto Schön, »gezwungen, von ihren Schreibtischen wegzukommen und in die Partei hineinzusteigen[sic!]«.220 Die Auswertungen dieser großangelegten Überprüfungsaktion bildeten die Grundlage für die vom Politbüro am 31. Mai 1949 beschlossene »Direktive zu einigen Fragen unserer organisatorischen Arbeit«,221 deren Beratung auf der 1. Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8. Juni 1949 in Berlin stattfand.222 Dort wurden die Kreisvorstandssekretariate gerade anhand der »Kontrollen in Sachsen« durch Otto Schön einer verheerenden Generalkritik unterzogen. Die Überprüfungen hätten ergeben, dass die Parteileitungen auf Kreisebene einen »verfehlten Aufbau« hätten, »falsche Arbeitsmethoden« anwenden würden und damit einen »den heutigen Aufgaben nicht mehr entsprechenden Charakter« aufwiesen, so Schön weiter. Dies habe zur Folge, dass die »Initiative und Selbstständigkeit« der unteren Parteieinheiten gehemmt werde. Die Sekretariate in den Kreisen seien »zu schwerfällig und zu unbeweglich«, »zu groß« und gar zu »Behörden« geworden, mit der Tendenz, die Arbeit der Wirtschafts- und Verwaltungsorgane der Kreisgebiete »durch Übernahme von deren Arbeiten in die Leitung« selbst zu erledigen.223 219 Vgl. zur Kommissionsarbeit des Politbüros Uebel/Woitinas, Parteiaufbau, S. 50. Vgl. exemplarisch zur Überprüfung der Parteiarbeit durch die zentrale Kommission in Sachsen den Bericht des Sekretariates des SED-Kreisvorstandes Grimma im Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 2.7.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 219–249). 220 Referat Otto Schön, Stenografische Niederschrift über die 1. Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 149). 221 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Grimma vom 12.6.1949 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 91). 222 Referat Otto Schön, Stenografische Niederschrift über die Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 145). 223 Ebd.

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Diese organisatorischen Steuerungsdefizite stellten gewissermaßen die Kehrseite des durch die »Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED«224 von Anfang 1947 auf Kreisebene angestoßenen und durch die »Dominanz der Betriebsgruppen im Organisationsgefüge der Partei«225 festgeschriebenen Allzuständigkeitsanspruchs auf »Dauerintervention« der Parteileitungen in »sämtlichen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen«226 Feldern der Kreise dar. Als Konsequenz sollten die Kreissekretariate und deren leitende Funktionäre, anstatt »am Schreibtisch die Aufgaben der Verwaltungs- oder Wirtschaftsorgane erledigen zu müssen«227 fortan entsprechend der im Politbüro festgelegten »Generallinie nach sorgfältiger Untersuchung der Bedingungen in ihrem Arbeitsbereich« die zu lösenden politischen Aufgaben »konkret formulieren […] hinausgehen, untersuchen, überprüfen, anleiten und kontrollieren.« Es wurde zur Maxime der zentralistischen Leitungsmethodik erklärt, die Parteimitglieder »in den Massenorganisationen und in den Verwaltungen und sonstigen Organen« anzuleiten und »sie arbeiten zu lassen, anstatt selber alles zu machen« und wo es nötig sei, »einzugreifen«. Um dies in der Praxis umsetzen zu können, wurden auf der Konferenz unter der Zielvorgabe der »Überwindung des individualistischen Ressortgeistes« und der Verstärkung der »Kollektivarbeit« strukturelle Umstellungen an der Leitungsspitze der Kreisvorstände entwickelt.228 Bereits wenige Tage nach der Organisationskonferenz waren diese Zielstellungen im Zusammenspiel der Organisations-Instrukteurabteilung des zentralen Parteivorstandes mit den Landesvorständen konkretisiert, unter der Federführung Otto Schöns auf einer Organisationsberatung in Dresden den Organisationssekretären der Kreisvorstände zunächst vermittelt und im Anschluss während der Monate Juni bzw. Juli 1949 in den Kreisvorstandssekretariaten beraten worden.229 Bei der »Bearbeitung der Kreise« sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Paul Verner unterstrich auf der 20. (34.) Tagung des Parteivorstandes am 21. Juli 1949, die die Strukturveränderungen mit der Entschließung »Über die Verbesserung 224 Beschluss über die Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED vom 21. und 22.1.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/15, unpaginiert). 225 Malycha, Stalinisierung, S. 303. Diese Dominanz war verankert in der Entschließung des Parteivorstandes der SED auf dessen 14. (28.) Tagung »Zur Verbesserung der Arbeit der Parteibetriebsgruppen in den Großbetrieben« vom 21.10.1948 sowie in der Erklärung des ZK mit dem Titel »Verstärkung der Betriebsgruppenarbeit« vom 9.12.1948. Vgl. Dokumente der SED, Band II, S. 140–145 bzw. 163–167. 226 Jessen, Herrschaftsmechanismen, S. 30. 227 Referat Otto Schön, Stenografische Niederschrift über die 1. Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 144). 228 Ebd., Bl. 147. 229 Vgl. den Bericht von des Kreissekretariatsmitgliedes Walter Schreiber auf der erweiterten Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Grimma über die wenige Tage zuvor stattgefundene Organisationsberatung beim SED-Landesvorstand vom 12.6.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 110 f.).

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der Organisationsarbeit der Partei« festschreiben sollte, 230 dass man bei der Umsetzung der Reorganisation der Kreissekretariate und Kreisvorstände »keinen Unsinn machen« und in den verschiedenen Landes- und Kreisverbänden keine »falschen Auslegungen« auftreten dürften. Die Sekretariate der Kreisvorstände sollten »keine große Politik« machen, sondern sich auf die »Durchführung der Beschlüsse und Anweisungen der Gesamtpartei entsprechend den Verhältnissen des Kreises« konzentrieren, da sie sonst »niemals die operativen Führungsorgane« werden würden, »die wir so notwendig wie das tägliche Brot brauchen«.231 Diesem autoritativen Dirigismus folgend, wurde nach der genauen Festlegung der künftigen Sekretariats- und Kreisvorstandsstrukturen vom sächsischen Landesvorstand am 5. August 1949 die »Direktive betreffend der Reorganisation der Kreissekretariate« beschlossen,232 deren Umsetzung in jedem Kreis in unmittelbarer Präsenz eines Instrukteurs des Landesvorstands zu erfolgen hatte.233 Die Sekretariate der Kreisvorstände, die sich »bislang in der Mehrheit aus Ressort-Sekretären« mit einer klaren Zuordnung zu den verschiedenen Abteilungen der Kreisvorstände zusammengesetzt hatten, wurden völlig neu strukturiert.234 Sie bestanden fortan aus fünf bis neun Mitgliedern, die »in ihrer Gesamtheit für alle Aufgaben« verantwortlich waren. Die Sekretäre konnten zwar untereinander eine zweckmäßige »Arbeitsteilung«235 vornehmen, sollten aber anders als zuvor nun im Kollektiv »sämtliche Fragen behandeln, beschließen und nach außen hin vertreten«.236 Die Leitung der Sekretariate oblag von nun an einem »1. Kreissekretär« sowie dessen Stellvertreter, dem »2. Kreissekretär«. Mit diesen Funktionsbezeichnungen wurde dem neuen Kollektivitätsdogma der Sekretariate entsprochen und auch terminologisch die Umgestaltung nach dem Muster der KPdSU vollzogen.237 Darüber hinaus markierte diese Bezeichnung auch sprachlich die endgültige Abkehr von der auf der 1. Parteikonferenz offiziell aufgehobenen Parität.238 Den Sekretariaten der Kreisvorstände gehörten nun offiziell auch 230 Entschließung des Parteivorstandes der SED »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei« vom 21.7.1949. In: Dokumente der SED, Band II, S. 279–284. 231 Rede von Paul Verner »Über die Arbeitsweise des Parteiapparates« auf der 20. (34.) Tagung des Parteivorstandes der SED vom 21.7.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/67, Bl. 51 f.). 232 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Döbeln vom 8.8.1949 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/4/5/10, Bl. 15 f.). 233 So geschehen etwa bei Otto Schön in seiner Rolle als Instrukteur des sächsischen SED-Landesvorstandes bei seinem Einsatz im Kreis Grimma, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/43, Bl. 43). 234 Ebd. 235 Entschließung des Parteivorstandes der SED »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei« vom 21.7.1949. In: Dokumente der SED, Band II, S. 279. 236 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SEDBPA, IV/4/8/42, Bl. 43). 237 Zur KPdSU und deren Funktionsbezeichnungen vgl. Hildermeier, Sowjetunion, S. 209–219. 238 Vgl. die Rede von Paul Verner »Über die Arbeitsweise des Parteiapparates« auf der 20. (34.) Tagung des Parteivorstandes der SED vom 21.7.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/67, Bl. 52).

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die Bürgermeister bzw. die Landräte an.239 Die damit erreichte Einbindung der Vertreter der wichtigsten kommunalen Staats- bzw. Verwaltungsämter in den unmittelbaren Parteileitungsapparat auf Kreisebene, die der Integration der Ministerpräsidenten in die Landesvorstandssekretariate entsprach,240 begründete im Zuge der sich anbahnenden Staatsgründung der DDR das staatssozialistische Herrschaftsprinzip der »Personalunion zwischen Partei- und Staatsämtern«.241 Als »wichtigen Körper«, der mit der Reorganisation der Kreissekretariate neu entstand, bezeichnete Otto Schön das zu schaffende zweistufige Instrukteursystem.242 Dieses »operative Organ«243 der Kreisvorstände wurde als Bindeglied zwischen die Sekretariate der Kreisvorstände und die Leitungen der Grundeinheiten eingeschoben.244 Diese Instrukteure fungierten als Beauftragte des kollektiven Sekretariates und gliederten sich auf in die »Instrukteure des Kreisvorstandes« und die »Instrukteure der Arbeitsgebiete«.245 Die Anzahl der »Instrukteure des Kreisvorstandes« variierte von Kreis zu Kreis und hing vor allem von der Anzahl der vorhandenen sogenannten Schwerpunkte im Organisationsgebiet ab.246 Die parteiintern als »Kreisinstrukteure« bezeichneten Funktionäre bildeten einen flexibel einsetzbaren Operationsstab für die Kreisvorstandssekretariate, die sich im Zuge der Reorganisation verstärkt als Koordinierungsinstanz verstanden. Die kaderpolitische Direktive war, dass diese »Kreisinstrukteure« wegen ihrer wichtigen Funktion nur aus »den politisch klarsten und besten Genossen des Kreises« rekrutiert werden sollten.247 Die Instrukteure mussten, wie Willy König, 239 Entschließung des Parteivorstandes der SED vom 21.7.1949 »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei«. In: Dokumente der SED, Band II, S. 281. 240 Vgl. den Beschluss des Parteivorstandes der SED über »Innerparteiliche Maßnahmen« vom 24.1.1949, Dokumente der SED, Band II, S. 216. 241 Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 73. Zu diesem Teil der politischen Entwicklung in der SBZ vor der Staatsgründung vgl. Staritz, Geschichte der DDR, S. 24–37. Die Integration von Partei- und Staatsämtern war auf den Parteiaktiven auf Kreisebene bereits zuvor gängige Praxis. Mit der offiziellen Einbindung der Staatsfunktionäre mit SED-Parteibuch in die Kreisvorstandssekretariate erhielt die Entdifferenzierung von Partei- und Staatsebene jedoch einen weiteren Schub. 242 Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 43). 243 Dokumente der SED, Band II, S. 280. 244 Vgl. zum Instrukteursystem besonders Schultz, Funktionär, S. 191–194, hier 191. 245 Dokumente der SED, Band II, S. 280 f. 246 Die Festlegung der Anzahl der »Instrukteure des Kreisvorstandes« war in der Reorganisationsphase häufig Gegenstand von Diskussionen zwischen den Vertretern des Landesvorstandes und der Sekretariate der Kreisvorstände. Dabei konnte der vom Landesvorstand festgelegte Strukturplan durchaus variabel behandelt werden. So wurde durch Otto Schön bei der Reorganisation des Kreisvorstandes Grimma entgegen den Vorgaben des Landesvorstandes im Einklang mit den Sekretariatsmitgliedern festgelegt, dass »für den Kreis Grimma zwei Kreisinstrukteure zu wenig sind. Ich denke, dass wir hier 5−6 Genossen einsetzen müssen.« Vgl. Diskussionsbeitrag Otto Schön, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 45). 247 Redebeitrag Fritz Radzei, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 9.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/43, Bl. 19).

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Sekretariatsmitglied der SED-Kreisleitung in Grimma, es formulierte, gestandene »Bolschewiken sein, Genossen, denen der Kompass genügt, den ihnen die Partei in die Hand drückt und die die gegebenen Aufträge rücksichtslos durchführen«. Die Kreisinstrukteure sollten nach dem Willen des Parteivorstandsmitgliedes Otto Schön jedoch »nicht den Auftrag [bekommen, T. P.], die anderen Genossen anzuleiten«, sondern nur »ganz spezielle Aufträge«.248 Sie hatten nicht hauptsächlich die »Anleitung« der Grundorganisationen im Kreisgebiet vorzunehmen, sondern im Wesentlichen die »Überprüfung der Arbeit der Gemeindeverwaltungen, der Arbeit der Ortsvorstände, der Interessengemeinschaften (IG)249, der Schulungsarbeit usw.«, also der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen im Kreisgebiet.250 Organisatorisch zusammengefasst waren die Kreisinstrukteure zwar in den Organisations-Instrukteurabteilungen der Kreisvorstände, sie hatten aber anhand spezifischer Parteibefehle aus dem Kreisvorstandssekretariat sogar auch »die Arbeiten der Sekretäre des Kreisvorstandes mit zu übernehmen«.251 Die »Instrukteure der Arbeitsgebiete« ersetzten die bisherigen Arbeitsgebietsleiter bzw. Arbeitsgebietssekretäre.252 Die Gliederung der Kreise in territoriale Arbeitsgebiete, die sich seit Ende 1946 zunehmend etabliert hatten, wurde zur verbindlichen Basisstruktur aller sächsischen Kreisverbände der SED. Mit der Ersetzung durch die von den oberen Parteiinstanzen eingesetzten Instrukteure verloren die Grundeinheiten eine aus ihrer Mitte bestimmte innerparteiliche Repräsentationsinstanz. Bis dato hatte der Arbeitsgebietssekretär die zusammengefassten Ortsgruppenvorstände geleitet und als ihr Verbindungsmann zu der Kreisvorstandsebene gewirkt. Diese Funktion wurde mit der Institution der »Arbeitsgebietsinstrukteure« abgeschafft. Der Instrukteur sei laut Otto Schön keine Vertretungsperson der unteren Parteieinheiten mehr, sondern ein Funktionär, der ausschließlich »nach Direktiven des Kreisvorstands bestimmte Aufgaben zu erfüllen hat. Dazu bedient er sich des dort zu bildenden Parteiaktivs.« Die Aufgaben wurden ihm allein »vom Sekretariat« des Kreises übertragen,253 er erhielt seine konkreten »Direktiven vom ersten oder zweiten Sekretär« und hatte seinen ständigen »Sitz im Arbeitsgebiet«.254

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Redebeitrag Willy König vom 9.8.1949 (ebd.). Gemeint sind die IG als lose Zusammenschlüsse verschiedener Personen auf lokaler Ebene. Redebeitrag Otto Schön vom 9.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/43, Bl. 43). Redebeitrag Willy König, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 9.8.1949 (ebd., Bl. 19). 252 Die Bezeichnungen Arbeitsgebietsleiter und Arbeitsgebietssekretär wurden zu dieser Zeit synonym verwendet. 253 Redebeitrag Otto Schön, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 43). 254 Dokumente der SED, Band II, S. 280.

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Zur Steuerung der Parteiarbeit im Einsatzgebiet hatten die Arbeitsgebietsinstrukteure das Recht, sämtlichen leitenden »Funktionären im Arbeitsgebiet, wie Mitgliedern von Ortsgruppenleitungen, Genossen Direktoren oder Kulturdirektoren der MAS [Maschinen-Ausleih-Stationen, T. P.], Genossen Traktoristen usw. konkrete Parteiaufträge« zu erteilen.255 Neben der zunehmenden diktatorischen Steuerung der Grundeinheiten bei gleichzeitigem Verlust innerparteilicher Repräsentationsorgane diente das Instrukteursystem vor allem auch einer Konzentration der politischen Führung in den Kreisvorstandssekretariaten im Allgemeinen und bei deren 1. und 2. Sekretären im Besonderen. Analog zum Bedeutungsverlust des Zentralsekretariates durch die Einrichtung des Politbüros und dessen »Kleinem Sekretariat« an der Parteispitze256 und der zunehmenden »Machtfülle« des Sekretariates im sächsischen Landesvorstand der SED257 wurden auf Kreisebene die Kreisvorstände durch die Kreisvorstandssekretariate entmachtet, da, so Otto Schön, »keine Abteilung im Kreisvorstand« den Arbeitsgebietsinstrukteuren »einen Auftrag erteilen« dürfe, dies mache »nur das Sekretariat«.258 Zum Ausdruck kam die zunehmende Marginalisierung der Vorstandsgremien allein schon durch den Tagungsrhythmus. Während das Sekretariat als das eigentliche Machtzentrum mehrmals wöchentlich zusammenkam und den Großteil der zu behandelnden Punkte in kleiner Runde entschied, tagte der Vorstand höchstens einmal in der Woche.259 Auch die von den »neuen« Sekretariaten gelenkten Abteilungen der Kreisvorstände erfuhren eine umfassende Umstrukturierung. Die seit Ende 1946 bestehenden neun bis zwölf Ressorts der Kreisvorstände260 wurden 1949 auf nur noch 255 Ebd., S. 281. 256 Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 72 f. Die »Kleinen Sekretariate« bei den Landesvorständen wurden jedoch noch im Jahr 1949 aufgehoben, da diese »bereits die Funktion des Sekretariates« ausübten. Zit. nach Malycha, Stalinisierung, S. 310. 257 Zur Reorganisation des Landesvorstandes im Zuge der 1. Parteikonferenz vgl. besonders Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 384 f. 258 Otto Schön, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 43). Auf der 1. Organisationstagung der SED vom 7. und 8.6.1949 ging Schön gar so weit zu erklären, dass »alle Mitarbeiter eines Landes- bzw. Kreisvorstandes als Instrukteure zu betrachten« seien, die auf Anweisung der Sekretariate »sowohl auf ihrem Sachgebiet wie auch für Gesamtaufgaben einer Leitung hinausgehen und mit einem bestimmten Ziel Untersuchungen und Überprüfungen anstellen« sollten. Vgl. die stenografische Niederschrift über die 1. Organisationskonferenz der SED vom 7. und 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 148). In der Praxis setzte sich hingegen mit dem festgelegten Instrukteursstab in den Landes- und Kreisvorständen eine auf einzelne Mitglieder der Vorstände explizit beschränkte Funktionszuschreibung durch. 259 Vgl. zum Rhythmus des Zusammentretens der höchsten Parteigremien der SED Kaiser, Zentrale der Diktatur, S. 75. 260 Im Einzelnen waren dies die Abteilungen für Werbung und Presse, Kultur und Erziehung, Wirtschaft, Landwirtschaft, Arbeit und Sozialfürsorge, Verwaltung und Kommunalpolitik, Frauensekretariat, Organisation, Personalpolitik, Kasse und Geschäftsabteilung. Einzelne Kreisvorstände gliederten etwa die Abteilungen Verwaltung und Kommunalpolitik, Kultur und Er-

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vier reduziert. Im Einzelnen waren dies die Organisations-Instrukteurabteilung, die Personalpolitische Abteilung, die Abteilung für Parteischulung, Massenagitation und Kultur und die Abteilung für staatliche und Wirtschaftliche Verwaltung.261 Die »alte« Leitungsstruktur und der hohe Personalbestand der Abteilungen sollten, wie Otto Schön martialisch formulierte, »liquidiert« werden.262 In den Abteilungen gab es fortan nur noch »einen Abteilungsleiter und höchstens drei Mitarbeiter«.263 Von dieser Umstellung versprach sich der zentrale Parteivorstand der SED die »Konzentration der Arbeit des Parteiapparates und jeder ihrer Abteilungen auf die Hauptaufgaben – die Durchführung der von den leitenden Organen gefassten Beschlüsse«.264 Schön schilderte den zu verändernden Arbeitsstil der Abteilungen wie folgt: »Bisher war es so, wenn keine Wohnungen vorhanden waren, kam man zur Partei, der Genosse von der Abt. Arbeit und Sozialpolitik suchte Wohnungen und der Genosse vom Wohnungsamt machte das nicht. Das fällt nun weg. Die Aufgabe der Abteilung ist es«, so Schön weiter, »dafür zu sorgen, dass das Wohnungsamt richtig arbeitet. Die Aufgabe der Partei besteht nicht darin, dessen Arbeit zu machen, sondern die Behörde anzuleiten.«265 Die für die Führungsstruktur der Kreisvorstandssekretariate »neuen Typs« zentrale Abteilung war die Organisations-Instrukteurabteilung. Sie entwickelte sich zur Schaltzentrale des Instrukteursystems als »bürokratische[r] Außendienst«266 der Kreissekretariate und koordinierte die gesamte personelle Leitungsarbeit der Kreisvorstände im Kreisgebiet.

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ziehung sowie Kasse und Geschäftsabteilungen in eigenständige Abteilungen auf, wodurch bei der Abteilungsanzahl Schwankungen auftreten konnten. Vgl. Abschrift der Richtlinien für den organisatorischen Aufbau der SED des Kreisvorstandes der SED Leipzig, undatiert (StAL, SEDBPA Leipzig, IV BV/16, unpaginiert). Die Aufgabengebiete der abgeschafften Abteilungen wurden im Zuge der Reform in die neuen Abteilungen integriert. So umfasste die Organisations-Instrukteurabteilung die Unterabteilung Parteifinanzen, die Abteilung staatliche Verwaltung und Wirtschaft die Ressorts Landwirtschaft, Arbeit und Sozialfürsorge, Kommunalpolitik und Justiz. Bei den großen Kreisverbänden wie Leipzig, Dresden und Halle sollte »eine Abteilung für Kultur und Erziehung bestehen bleiben.« Die Presseabteilungen bei den Kreisvorständen, die die Propagandaarbeit hauptsächlich über die Lokalseiten der Parteizeitungen umsetzten, unterlagen fortan direkt »dem Sekretariat des Kreisvorstandes bzw. dem 1. Kreissekretär.« Vgl. den Beschluss des Parteivorstandes der SED »Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei« vom 21.7.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/68, Bl. 5–12, Bl. 7). Otto Schön, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstands Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 43). Ebd. Vgl. den Entwurf zu der Entschließung des Parteivorstandes der SED über »Maßnahmen zur Verbesserung der organisatorischen Arbeit der Partei« vom 2. und 3.6.1950 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/81, Bl. 59–72, Bl. 68). Otto Schön, Protokoll der Sekretariatssitzung des SED-Kreisvorstandes Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/42, Bl. 44). Schultz, Funktionär, S. 191.

Veränderungen der SED-Kreisleitungen im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform

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Mit den Parteiwahlen zwischen dem 1. September und dem 15. Dezember 1949 wurde der neuen Gesamtstruktur der Leitungen der SED-Kreisverbände formal durch die Kreisdelegiertenkonferenzen der Anstrich innerparteilicher Legitimität verschafft. Zur Sicherung der Zustimmung der Gesamtmitgliedschaft war in Sachsen von den bereits arbeitsfähigen Organisations-Instrukteurabteilungen des Landesverbandes und der Kreisverbände die enorme Anzahl von über 12 000 Instrukteuren in den Grundeinheiten eingesetzt.267 Mit der erreichten Organisationsstruktur der sächsischen Kreissekretariate als »operative Organe« zur Gesamtkoordination der Parteiarbeit im Territorium, an deren Spitze die 1. Kreissekretäre den Parteiapparat führten und unmittelbaren Einfluss auf sämtliche kommunalpolitischen Felder nehmen konnten, hatte die SED nahezu vollständig die Führungsstrukturen ihres sowjetischen Vorbildes der KPdSU auf Kreisebene umgesetzt. Verankert wurden dann schließlich mit dem auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 verabschiedeten neuen Statut nahezu sämtliche organisationspolitischen Strukturveränderungen der vergangenen Jahre. Bis auf geringfügig Anpassungsmaßnahmen blieben die Strukturen der neuen Kreisleitungen der SED in den kommenden zwei Jahren nahezu unverändert.268 Die nächsten Weichenstellungen kündigten sich jedoch bereits an. Ab dem Jahr 1952 gerieten nun auch die staatlichen Strukturen der DDR ins Visier der Chefplaner der SED, was wiederum zu umfangreichen Veränderungen in den sächsischen Parteiorganisationen auf Kreisebene führen sollte.

3. Veränderungen der SED-Kreisleitungen im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform (1952) Eine tiefgreifende Zäsur im politischen Transformationsprozess der DDR markierte die Annahme des Gesetzes »über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik« durch die Volkskammer am 23. Juli 1952.269 Bei der Staatsgründung von 1949 noch offiziell als Bundesstaat verfasst, brach die DDR 267 Schmeitzner/Donth verweisen für das sächsische Gebiet auf den Einsatz von 12 398 Instrukteuren in 14 071 Grundeinheiten. Vgl. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 409. 268 Im Frühsommer des Jahres 1951 wurden vom ZK der SED noch einmal neue Strukturpläne für die Landes- und Kreisleitungen beschlossen. Die darin festgelegten Veränderungen bezogen sich jedoch nur auf marginale Veränderungen innerhalb der Abteilungen der SED-Kreisleitungen sowie auf die Ersetzung der Sektoren durch selbstständige Instrukteursgebiete. Vgl. Uebel/ Woitinas, Parteiaufbau, S. 85 f. sowie Best/Mestrup, Sekretäre, S. 88. 269 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 99, 24.7.1952. Vgl. zur Bildung der Bezirke am Beispiel des Bezirkes Chemnitz/Karl-Marx-Stadt grundlegend Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 37–74 sowie Kotsch, Land Brandenburg, S. 31–141. Die Bezirksbildung in sämtlichen Ländern der DDR beschreiben Hajna, Länder-Bezirke-Länder sowie Mielke, Auflösung. Aus der Sicht der DDR-Geschichtsschreibung vgl. Hajna, Bezirke in der DDR.

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1952 mit dem föderalen Staatsaufbau. Durch Inkrafttreten des Gesetzes wurde die Beendigung der Tätigkeit aller fünf Landtage von Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mark Brandenburg sowie von Mecklenburg und deren Landesregierungen beschlossen. Die parallele Implementierung von 14 neu gebildeten Bezirken und die umfassende Erweiterung der Kreisverwaltungen, deren Anzahl von 145 auf 217 Einheiten anwuchs,270 vervollständigte eine Entwicklung hin zu einem zentralistisch verfassten Einheitsstaat, die bereits in den Jahren zuvor sukzessive vorangetrieben worden war.271 Nachdem der demokratische Zentralismus offiziell seit der Verabschiedung des II. Statuts der SED 1950 innerhalb der Partei durchgesetzt worden war, wurde mit der Kreis- und Verwaltungsreform vom Sommer 1952 die Übertragung dieses grundlegenden leninistischen Organisations- und Führungsprinzips von der Sphäre der Parteiorganisation auf den Bereich des »neuen sozialistischen Staates« durchgesetzt.272 Im Passus des Gesetzblattes der DDR noch vage und prozesshaft als »weitere Demokratisierung« chiffriert,273 sollte dieser Schritt de facto nichts weniger als die Durchsetzung eines identitären und organisationspolitischen Paradigmenwechsels der gesamtstaatlichen Konstitution bedeuten – in offener Analogie zum Sowjetsystem und dessen Modell einer sozialistischen Verwaltung und Staatsverfassung. Die Vorbildrolle des politischen Systems der Sowjetunion betonte zuletzt Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED am 12. Juli 1952, kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes zur »weiteren Demokratisierung« mit den Worten: »Wir können die großen Erfahrungen des Kampfes um den Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen Volksdemokratien auswerten, wir haben

270 Dieser Wert wurde von Otto Grotewohl bereits am 12.6.1952 in seinem Diskussionsbeitrag auf der 2. Parteikonferenz der SED knapp zwei Wochen vor dem Erlass des Gesetzes »über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik« genannt. Vgl. Grotewohl, Für einen starken Staat, S. 778 sowie außerdem Mielke, Auflösung, S. 100 f. 271 Bereits zuvor fand freilich eine kontinuierliche Aushöhlung föderaler Selbstverwaltungsrechte statt. Die 1947 gebildete DWK, die seit 1948 in den Ländern und Kreisen anhand von Kontrollkommissionen die Umsetzung der Wirtschaftspläne verantwortete, markiert am deutlichsten die Existenz zentralistischer Leitungsstrukturen auf staatlicher Ebene. Mit dem Gesetz über die Reform des öffentlichen Haushaltswesens vom 15.12.1950 hatten Länder, Kreise und Gemeinden dann vollständig ihre Haushaltshoheit an den einheitlichen Staatshaushalt verloren. Zum Wortlaut des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Haushaltswesens vgl. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 142, 15.12.1950. Die zentralistische Staatsgliederung wurde erst 15 Jahre später in den Verfassungstext der DDR integriert. Vgl. Kotsch, Land Brandenburg S. 33. 272 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 99, 24.7.1952. 273 In rechtsnormativer Weise erstmals offiziell formuliert wurde der Begriff des demokratischen Zentralismus als grundlegendes Organisationsprinzip des Staatsaufbaus mit dem »Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsgewalt« vom 18.1.1957. Vgl. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, 18.1.1957.

Veränderungen der SED-Kreisleitungen im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform

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das herrliche Beispiel des Aufbaus des Kommunismus in der Sowjetunion täglich vor unseren Augen.« 274 Die parlamentarischen Vertretungskörperschaften, nach der Gesetzespräambel »noch vom kaiserlichen Deutschland« her stammend, seien, so hieß es im Wortlaut, »zu einer Fessel der neuen Entwicklung« geworden.275 Die Parlamente verloren fortan ihren Charakter als eigenständige Rechtssubjekte. Sie wandelten sich dem sozialistischen Staatsverständnis gemäß zu ausschließlich »vollziehend-verfügenden« Erfüllungskörperschaften,276 deren Existenz in der Hauptsache durch die Ermöglichung der »wirksamen Anleitung und Kontrolle« durch die übergeordneten staatlichen Instanzen legitimiert war.277 Diese »örtlichen Organe der Staatsgewalt« manifestierten das Ende der Gewaltenteilung, indem die »Einheit von Beschlussfassung und Durchführung«278 in den neu zu bildenden Bezirks- und Kreistagen bzw. in den diese Organe leitenden Räten der Bezirke und der Kreise konzentriert wurden. Der Staat wurde damit offiziell zum politischen Hebel der SED umfunktioniert und diente fortan auch de jure als »eines der wichtigsten Instrumente des Aufbaus des Sozialismus«.279 Der parteiideologische Diskurs über den instrumentellen Charakter des Staates wurde auf der 2. Parteikonferenz der SED vom 9. bis 12. Juli 1952 programmatisch durch die beiden Vorsitzenden präsentiert. Die SED-Führung war zuvor noch von der zögernden Haltung der Sowjetunion in Bezug auf eine offene Übernahme des sowjetischen Staatsmodells in der DDR »gebremst« worden. Die Zerschlagung föderaler Strukturen hätte die Moskauer Bemühungen zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland im Anschluss an die sogenannte Stalin-Note konterkariert.280 Walter Ulbricht diktierte in seiner Rede, was das Gesetz vom 23.7.1952 wenige Tage später fast wörtlich nachvollziehen sollte: »[D]er Aufbau des Sozialismus« sei nun zur Aufgabe geworden, da die »Schaffung der Grundlagen des Sozialismus« den »Bedürfnissen der ökonomischen Entwicklung und den Interessen der Arbeiterklasse« entspräche, so Ulbricht. Die Staatsmacht habe die Aufgabe, als »Hauptinstrument« wirksam zu werden, indem sie die »Organisierung des Aufbaus des Sozialismus« übernehme.281 Otto Grotewohl konkretisierte Ulbrichts Ausführungen in seinem Referat mit dem 274 275 276 277 278 279 280

Ulbricht, Die gegenwärtige Lage, S. 741. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 99, 24.7.1952. Hoeck, Verwaltung in der DDR, S. 154. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 99, 24.7.1952. König, Verwaltungssystem der DDR, S. 27. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 99, 24.7.1952. Vgl. zur außenpolitischen Rahmung der Kreis- und Verwaltungsreform und der Rolle der Sowjetunion Mielke, Auflösung, S. 69 ff. sowie Kotsch, Land Brandenburg, S. 35 f.; zuletzt auch Werner, Mobilisierung, S. 311–316. Speziell zur Stalin-Note in Verbindung mit der Verkündung des Aufbaues des Sozialismus in der DDR vgl. besonders Wettig, Stalin-Note, S. 172 f. 281 Ulbricht, Die gegenwärtige Lage, S. 739.

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

sprechenden Titel »Für einen starken Staat der Werktätigen unserer Republik«. Er erläuterte im Vortrag die Ziele der kommenden Kreis- und Verwaltungsreform. Diese bestünden darin, »dass von der Spitze des Staatsapparates bis zu seiner Basis, also bis zu den Gemeinden und Kreisen, ein kurzer und schneller Weg« für die Realisierung der (Partei)-Politik geschaffen werde.282 Das Argumentationsmuster zum Aufbau von Bezirksverwaltungen ähnelte dabei paradoxerweise der Begründung zur Auflösung der ehemaligen Bezirksverbände der sächsischen SED im Winter des Jahres 1946. Waren diese damals in der überkommenen Staatsverfassung noch die hemmenden Struktureinheiten – also ein organisationsstrukturelles Problem – innerhalb der Partei, die die Politikdurchsetzung behinderten, sollte die Einrichtung der »neuen« Mittelinstanzen mit »neuen« Menschen283 auf parteistruktureller und staatlicher Ebene in Verbindung mit der Abschaffung der Länderadministration nun zur besseren Umsetzung der staatssozialistischen Herrschaftsabsichten dienen.

3.1 Organisatorischer Epilog: SED-Stadtbezirksleitungen in den sächsischen Großstädten und Organisationskomitees der SED-Kreisleitungen

Die SED hatte den gravierenden Verwaltungsumbau bereits seit Februar 1952 vorbereitet. Unmittelbar nach der 8. Tagung des ZK der SED ließ Walter Ulbricht auf einer zentralen Konferenz der 1. SED-Kreissekretäre am 27. Februar 1952 in Berlin erkennen, dass die Parteiführung bei der Transformation des Staatsaufbaus zunächst »das Hauptgewicht auf den Kreis« legen wollte.284 Ulbricht kritisierte, dass die bestehenden Staats- und Parteistrukturen besonders auf Kreisebene grundlegende Mängel hätten und so verändert werden müssten, dass die Beschlüsse der SED-Kreisleitungen »maßgebend für alle Genossen in der Kreisverwaltung, im Kreisrat und für alle Genossen im Kreistag« würden. Der »erste Parteisekretär und der Landrat«, so Ulbricht weiter, würden in vielen Fällen »nebeneinander arbeiten« und die ineffizienten Verwaltungsstrukturen führten dazu, dass sich die »Kreisorgane« in der »Behandlung von tausend Einzelheiten« verlieren würden.285 Daher habe das Politbüro beschlossen, dass »im Parteiapparat und im Staatsapparat strukturelle Änderungen durchgeführt« würden mit dem Ziel, dass »die richtige Politik, die von der Partei ausgearbeitet ist, wirklich ins Leben umgesetzt« werde.286 282 Grotewohl, Staat der Werktätigen, S. 778. 283 Ebd. 284 Stenografische Niederschrift des Referates von Walter Ulbricht auf der Konferenz des ZK mit den 1. Kreissekretären der SED vom 27.2.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/1.01/185, Bl. 19). 285 Ebd., Bl. 23. 286 Ebd., Bl. 17. Ulbricht zitiert hier, wie er in der Rede selbst bemerkt, die Ausführungen von Stalin, die dieser laut Ulbricht auf der 15. Moskauer Gebietskonferenz im Jahr 1927 getätigt haben soll.

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Strategisch unternahm die SED die künftige Neuausrichtung des Partei- und Staatsaufbaus stufenweise, und zwar zunächst auf der Ebene der Großstädte. Gewissermaßen als »experimentelle Vorstufe«287 für die spätere vollständige Zentralisierung des politisch-administrativen Systems mit den Kreisleitungen der SED als untersten Relaisstationen der politischen Herrschaftsdurchsetzung hatte das ZK der SED am 24. März 1952 im Anschluss an die Ankündigungen Ulbrichts zweierlei beschlossen: Sowohl die Bündelung der relativ lose zusammengeschlossenen SED-Stadtteilorganisationen der Großstädte Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Plauen, als auch die anschließende Zweiteilung der Großstadtparteiorganisationen mit eigenständigen Stadt- und Landkreisleitungen. Leipzig und Dresden bildeten gewissermaßen Modellfälle, da diese Umstrukturierungen zunächst nur dort durchgeführt wurden. Während in Leipzig vierzehn Stadtbezirksleitungen eingerichtet werden sollten, waren es für das Dresdener Stadtgebiet neun. Ähnliche Neueinteilungen sollten in Chemnitz, Plauen und Zwickau erst ab dem 15. April 1952 vorgenommen werden, nachdem die Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen des ZK in Zusammenarbeit mit den Sekretariaten der Kreisleitungen der Städte die »Erfahrungen über die Neustrukturierung« in Dresden und Leipzig ausgewertet haben würde. Chemnitz wurde schließlich in sieben Stadtbezirksleitungen eingeteilt, Plauen und Zwickau in je drei. Zur Bildung von Stadtbezirksleitungen kam es darüber hinaus, außerhalb des ehemaligen sächsischen Gebietes, in den Städten Halle, Magdeburg, Erfurt, Potsdam, Rostock und Gera. Getrennte Stadt- und Landkreise wurden zudem auch in Rostock und Erfurt eingerichtet.288 Die Notwendigkeit zu dieser Umstrukturierung ergab sich vor allem daraus, dass die von Ulbricht monierte fehlende »Anleitung« der staatlichen Spitzenfunktionäre durch die SED-Kreissekretariate überwunden werden sollte. Das bestehende Organisationsmodell mit seiner hohen Zahl an anzuleitenden städtischen Grundorganisationen innerhalb der Kreisparteistrukturen hatte dazu geführt, dass die Kreisleitungen der SED in den Großstädten faktisch kaum mehr in der Lage waren, den »allseitigen und systematischen« Führungsanspruch der Partei in die Praxis umzusetzen.289

287 Hajna, Bezirke, S. 82. 288 Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 24.3.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/260, Bl. 4 ff.). 289 Referat von Karl Hübner, 2. Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Leipzig vom 2.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/26, Bl. 317). Bereits auf der Konferenz der Kreissekretäre hatte Paul Fröhlich als 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig herausgestellt, er sei zwar seit »eineinviertel Jahr in Leipzig«, jedoch nicht so »vermessen zu sagen«, dass er »den Kreis Leipzig schon richtig kenne.« Vgl. Stenografische Niederschrift des Diskussionsbeitrages von Paul Fröhlich auf der Konferenz der Kreissekretäre vom 27.2.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/185, Bl. 54).

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Die Bildung der Stadtbezirksleitungen und die Teilung in Stadt- und Landkreisleitungen der SED betrafen wegen deren Größe und politischer Bedeutung als regionale Koordinationszentren besonders die künftigen Bezirksstädte. Ohne dass die Bemühungen um eine grundlegende Reorganisation der Staats- und Parteiverwaltungen in den Großstädten durch die SED-Führung in einen expliziten Zusammenhang mit der kommenden Bezirksbildung gebracht wurden, bestand jedoch ein konzeptueller Zusammenhang: Bei der sich anschließenden Ausdifferenzierung der Länder in Bezirke und der damit einhergehenden Veränderung der Kreise sollte es ebenfalls um eine Multiplikation von Einfluss- und Kontrollinstanzen der Partei im Territorium gehen.290 Mit dem Beschluss vom 24. März 1952 waren zugleich Musterstrukturpläne der zu bildenden SED-Landkreis- und Stadtbezirksparteileitungen präsentiert worden.291 Diese resultierten aus einer umfangreichen »Überprüfung der Arbeit der Kreisleitungen« durch Instrukteure des ZK, die an »Kreisleitungssitzungen, Parteiaktivtagungen, Leitungssitzungen und Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen« unter anderem in Leipzig teilgenommen hatten. Sie hatten den Auftrag, im Anschluss an die Überprüfung bis zum 1. März 1952 Vorschläge zur »Reorganisation der Partei in den Kreisen« auszuarbeiten und dem ZK »die Anzahl der hauptamtlichen Sekretäre und Mitarbeiter in den Stadtbezirksorganisationen« und den umzustrukturierenden bzw. neu zu schaffenden Stadt- und Landkreisen der Großstädte vorzuschlagen.292 Eine Woche nach der Sekretariatssitzung des ZK der SED trat in Sachsen, am 2. April 1952, die SED-Kreisleitung Leipzig zusammen, um die Beschlüsse und die konkreten Bestimmungen zur Umsetzung der »Reorganisation der Parteiorganisation« in Leipzig entgegenzunehmen.293 Das ZK hatte festgelegt, dass generell allen Sekretariaten der Kreisund Stadtbezirksleitungen der SED mindestens ein Instrukteur für die Kontrolle und Anleitung von maximal 20 Grundorganisationen zur Verfügung stehen sollte.294 So ergab sich je nach Anzahl dieser Grundeinheiten in den Parteileitungen der einzelnen Stadtbezirke und der Kreise Leipzig-Stadt und Leipzig-Land eine 290 Gegen den Zusammenhang zwischen den Beschlüssen des ZK der SED vom 24.3.1953 und der von der Volkskammer verabschiedeten »großen« Verwaltungsreform vom 24.7.1952 argumentiert Scheller mit dem Vorbehalt, dass dies wegen des frühen Zeitpunktes der Umgestaltung in den Großstädten »unwahrscheinlich« sei. Vgl. Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 58. 291 Vgl. den Strukturplan der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt und der vierzehn SED-Stadtbezirke in Leipzig in der Anlage 1 zum Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 24.3.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/277, Bl. 15 f.). 292 Neben Leipzig erstreckte sich die Parteistrukturüberprüfung auf die Städte Berlin, Halle, Magdeburg und Rostock. Vgl. Anlage Nr. 2 zum Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 25.2.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/271, Bl. 2). 293 Referat von Karl Hübner, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Leipzig vom 2.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/26, Bl. 320). 294 Vgl. den Beschluss über »Struktur und Aufgaben der Kreissekretariate« im Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 24.3.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/260, Bl. 3).

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politische Mitarbeiterzahl zwischen 23 im größten Stadtbezirk Leipzig I und deren 16 im Stadtbezirk Leipzig XIV,295 sowie zusammen 51 in Leipzig-Stadt und deren 56 in Leipzig-Land.296 Die neuen SED-Stadtbezirksleitungen erhielten, wie im neuen Statut festgelegt, die Rechte eigenständiger Kreisleitungen und näherten sich diesen auch vom inneren Aufbau her strukturell an. Dadurch sollte die Steuerung der Grundorganisationen der Partei im Stadtgebiet effizienter gemacht werden. Sie bildeten ein eigenes Sekretariat mit drei hauptamtlichen Sekretären an der Spitze, denen die drei Abteilungen Partei und Massenorganisationen, Propaganda und Agitation sowie staatliche und wirtschaftliche Verwaltung zugeordnet waren. Nach dem vom ZK verabschiedeten Strukturplan waren jedoch nur zwei Sekretäre in Personalunion mit ihren jeweiligen Sekretärsposten für die direkte Leitung der drei Abteilungen zuständig.297 Im Gegensatz zu den Stadt- und Landkreisleitungen der SED sollten die Stadtbezirksleitungen nicht über eigene hauptamtliche Abteilungsleiter verfügen.298 Das hatte zur Folge, dass die Position des 1. Sekretärs ohne direkte Abteilungszuordnung exponierter und ungebundener angelegt war. Dies sollte zum einen dazu führen, dass für die 1. Sekretäre Kapazitäten bei der Arbeit in »Schwerpunktbereichen« der Grundorganisationen entstehen können. Zum anderen sollte das Ziel der Umstrukturierung darin bestehen, die Rückkoppelung mit den übergeordneten Instanzen der Stadtkreisleitungen zu verbessern. Alle Stadtbezirksleitungen installierten darüber hinaus neben den Sekretariaten eigene Parteikontrollkommissionen sowie eigene Revisionskommissionen mit dem Recht, über Aufnahmeanträge von Parteimitgliedschaftsanträgen zu entscheiden und Ausschlüsse aus der Partei in den Parteileitungen der Grundorganisationen zu bestätigen. Die Stadtbezirksleitungen sollten sich zu vollwertigen lokalen Leitungsinstanzen entwickeln, anhand derer die zuvor bemängelte »ungenügende Anleitung« der untersten Parteieinheiten durch die Stadtkreisleitungen in den Großstädten beendet werden sollte.299 295 Referat von Karl Hübner, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Leipzig vom 2.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/26, Bl. 318). 296 Die Strukturpläne der SED-Kreisleitungen Leipzig-Land, Dresden-Land, Erfurt-Land und Rostock-Land änderten sich nach dem 24.3.1952 noch mehrmals, die endgültige Struktur und Anzahl der politischen Kreisleitungsmitglieder wurde schließlich am 30.5.1952 vom ZK der SED bestätigt. Vgl. die Strukturpläne der Kreisleitungen Dresden-Land und Leipzig-Land in der Anlage zum Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 30.5.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/294, Bl. 22 f.). 297 Ebd. 298 Referat von Karl Hübner, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Leipzig vom 2.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/26, Bl. 318). Die Stadtbezirksleitungen der SED waren zwar mit den vollständigen institutionellen Merkmalen aller übrigen SED-Kreisleitungen ausgestattet, stellten jedoch durch ihre Unterstellung unter die Kreisleitung der Großstadt lediglich Kreisleitungen zweiter Klasse mit von der Stadtleitung abgeleiteten, eingeschränkten Befugnissen dar. 299 Ebd., Bl. 317.

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Für die praktische Umsetzung der Restrukturierungen in den großstädtischen Kreisparteiapparaten wurde durch das ZK der SED die Einsetzung von verantwortlichen »Organisationsbüros«300 in allen neu zu bildenden Struktureinheiten festgelegt. Diese hatten dafür Sorge zu tragen, dass unter »Anleitung der bisherigen Kreisleitung« zusammen mit den Landesleitungen und der Abteilung Leitende Organe beim ZK der SED die »kadermäßigen und organisatorischen Voraussetzungen für die Arbeit der künftigen Kreisparteiorganisationen wie Leipzig-Land und der Stadtbezirke« geschaffen werden.301 In den aus fünf bis zehn Mitgliedern bestehenden Organisationsbüros waren bereits »im Prinzip die Genossen tätig, die nach den Delegiertenkonferenzen in diesen Leitungen als Sekretäre gewählt oder als politische Mitarbeiter« eingesetzt werden sollten.302 Innerhalb kürzester Zeit wurden durch eigens eingerichtete Kaderkommissionen in den SED-Stadtkreisen unter der Leitung der zweiten Sekretäre die Funktionärskandidaten »in den Grundorganisationen vorüberprüft und besprochen«, die für einen Einsatz in den Organisationsbüros der künftigen Stadtbezirksleitungen und der Landkreise in Frage kamen.303 Neben der Anwerbung von Leitern aus Grundorganisationen der SED wurde für die Deckung des mit der Umstrukturierung einhergehenden Kaderbedarfs besonders auf neu rekrutierte »Genossen, die von der Schule kommen« zurückgegriffen.304 Nachdem die Organisationsbüros gebildet und von der Kreis- und Landesleitung der SED bestätigt worden waren, hatten diese neben der zentralen Frage der weiteren Personalrekrutierung besonders die räumliche Unterbringung der neuen Leitungen im Stadt- und Landkreisgebiet zu klären, die Sicherungsmaßnahmen für den Gebäudeschutz zu organisieren und die vollständige Übernahme der verschiedenen Parteidokumente von der Stadtkreisleitung zu gewährleisten.305 Die Organisationsbüros der Großstädte und Stadtbezirke beendeten ihre Tätigkeit schließlich mit der Neuwahl der Stadtbezirksleitungen bzw. der Neuwahl der Kreisleitungen der Landkreise durch den obligatorischen Legitimierungsakt auf den verschiedenen Parteidelegiertenkonferenzen der SED.306

300 Vgl. den Beschluss Nr. 3 im Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 24.3.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/260, Bl. 5). 301 Beschluss der SED-Kreisleitung Leipzig zur »Reorganisation der Parteiorganisation Leipzig« vom 3.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/326, unpaginiert). 302 Beschluss Nr. 3 im Protokoll der Sekretariatssitzung des ZK der SED vom 24.3.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/260, Bl. 5). 303 Referat von Karl Hübner, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Leipzig vom 2.4.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/26, Bl. 318). 304 Ebd., Bl. 319. 305 Ebd. 306 Vgl. etwa die Protokolle der Stadtbezirksdelegiertenkonferenzen in Leipzig vom 13.−15.6.1952 (StAL, SED-BPA IV/5/1/05, unpaginiert) sowie das Protokoll der Kreisdelegiertenkonferenz der SED Leipzig-Land vom 20.–22.6.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/9/1, Bl. 253 f.).

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Die Restrukturierung des Parteiapparates in den Großstädten hatte zugleich den Charakter eines »Testlaufes« für den bevorstehenden umfassenden Partei- und Staatsumbau.307 Dies wurde den 1. Kreissekretären der SED von Ulbricht unter Ausschluss der weiteren Parteiöffentlichkeit auf einer eigens einberufenen Konferenz des ZK im Parteikabinett in Berlin am 4. Juni 1952 verkündet: »Das war ein erster Schritt. Diesem Schritt müssen jetzt eine Reihe weiterer Maßnahmen folgen, die die Leitung und Kontrolle der Arbeit der staatlichen Organe an der Basis ermöglichen und deren Arbeit bedeutend verbessern, die Durchführung der Gesetze besser gewährleisten und größere Hilfe an die Organe in den kleineren Städten und Kommunen geben.«308 Ulbricht bezog sich damit auf einen bereits am 11. April 1952 vom Politbüro gefassten Beschluss, der als das Gründungsdokument für die anvisierte vollständige Zentralisierung des Staatsaufbaus der DDR gelten kann. In diesem hieß es in enger Anlehnung an den zukünftigen Gesetzestext: »Zur Beseitigung der noch aus der feudalen Zeit überlieferten Gliederung der Länder und Kreise und im Interesse einer besseren Anleitung und Kontrolle der unteren staatlichen Organe werden anstelle der fünf Länder etwa fünfzehn demokratische Gebietsorgane geschaffen, die großen Kreise in zwei oder mehrere Kreise aufgeteilt und die Grenzen der Gebiete und Kreise entsprechend der politischen, wirtschaftlichen, verkehrstechnischen und militärischen Zweckmäßigkeiten festgelegt.«309 Dieser Beschluss war zunächst nur im ZK der SED und im Politbüro kommuniziert worden. Es sollte zum einen abgewartet werden, zu welchen Empfehlungen die für die territoriale Aufgliederung des Staatsgebietes durch das Politbüro der SED eingesetzte »Zentrale Kommission« kommen würde.310 Zum anderen mussten 1952 die konzeptionellen Vorbereitungen der Kreis- und Verwaltungsreform zudem auch noch ausschließlich auf dieses Organ beschränkt bleiben. Dies lag darin begründet, dass sich die SED-Führung aus taktischen Gründen solche fundamentalen staatspolitischen Grundsatzentscheidungen – gerade in einer Phase wie der der ersten Hälfte des Jahres 1952 im Anschluss an die Diskussionen um die Stalin-Note der Sowjetunion vom 10. März 1952 – einzeln von der Sowjetischen Kontroll-Kommission (SKK) bestätigen lassen musste. Der von 307 Diese These vertreten ebenso Hajna, Länder Bezirke Länder, S. 81 f., der den Begriff des »Testlaufes« verwendet sowie Werner, Mobilisierung, S. 303–322, hier 311. 308 Referat Walter Ulbrichts auf der Konferenz des ZK mit den 1. Kreissekretären in Berlin am 4.6.1952 (SAPMP-BArch, DY 30/IV 2/1.01/195, Bl. 25). 309 Zit. nach Mielke, Auflösung, S. 70. 310 Die zentrale Regierungskommission wurde ab dem 29.4.1952 eingesetzt und bestand aus den SED-Mitgliedern Anton Plenikowski, Hans Warnke, Werner Eggerath, Ernst Lange und Klaus Sorgenicht. Vgl. Anlage Nr. 1 zum Protokoll Nr. 109 der Sitzung des Politbüros vom 29.4.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2/209, Bl. 16 f.). Zur Kommissionsarbeit der staatlichen Stellen bei der Vorbereitung der Kreis- und Verwaltungsreform vgl. ausführlich Kotsch, Land Brandenburg, S. 42–50.

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Pieck vorgestellten Neueinteilung der Länder und Kreise in der DDR wurde dann von Seiten der SKK schließlich nicht widersprochen, der kurze Aktenvermerk in den Gesprächsaufzeichnungen zwischen den SKK-Vertretern und Wilhelm Pieck lautete zu dem Vorgang kurz und bündig: »1) Einteilung der DDR: keine Einwände, einige Kreise zu groß«.311 Erst nach der Freigabe durch die sowjetischen Vertreter wurden die von der Zentralen Kommission erarbeiteten Ergebnisse von Ulbricht nach dem Beschluss des ZK vom 30. Mai 1952 über die »Bildung der Bezirke und der neuen Kreise« nun auch an die 1. Kreissekretäre weitergegeben,312 jedoch zunächst ausschließlich an diese. Ulbricht legte dezidiert Wert darauf, dass über das Ausmaß der staats- und parteipolitischen Strukturveränderungen »nicht auf den Kreiskonferenzen berichtet werden« sollte. Dies sei »eine Frage ernster organisatorischer Arbeit und eine Frage, über die man auf Konferenzen nicht diskutiert, aber selbstverständlich müssen die 1. Kreissekretäre [der SED, T. P.] wissen, wie es weitergeht«. Sowohl durch die »staatlichen Organe des Innenministeriums« als auch durch das ZK der SED und die Instanzen auf Länderund Kreisebene sei, so Ulbricht, »die Sache gründlich und solide und nicht etwa überhastet durchzuführen«.313 Erst im Anschluss an diese Zusammenkunft in Berlin zwischen ZK-Vertretern und den 1. Kreissekretären der SED wurden auf zentralen Landeskonferenzen auch die Landesinnenminister und die Landräte der Kreise als regionale staatliche Akteure in den Vorgang der Doppelreform von Staats- und Parteistrukturen einbezogen. Die mittlerweile weit fortgeschrittenen Planungen über die »territoriale Aufteilung« und die »sich daraus ergebenden strukturellen Veränderungen« in den sie betreffenden Kreisen konnten von diesen nur noch hingenommen, aber nicht mehr verändert werden.314 Unmittelbar nachdem die Spitzenfunktionäre des Partei- und dann des Staatsapparates in den Kreisen zentral instruiert worden waren, begannen die praktischen Arbeiten zur Umsetzung der »großen« Kreis- und Verwaltungsreform. Die SED-Landesleitung Sachsen setzte entsprechend dem »Vorschlag« des Sekretariats des Zentralkomitees am 5. Juni 1952 Kommissionen für die »einzurichten-

311 Vgl. die Gesprächsnotizen von Wilhelm Pieck über die Unterredung mit den Vertretern der SKK Tschuikow und Semjonow vom 7.5.1952. In: Badstübner/Loth, Aufzeichnungen, S. 400–403. Zur Rolle der Sowjetunion im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform vgl. besonders Kotsch, Land Brandenburg, S. 34–42. Zur Debatte über Bedeutung der Stalin-Note in der Sowjetischen Deutschlandpolitik vgl. besonders Wettig, Stalins Deutschland-Politik, S. 139–196. 312 Beschluss des Sekretariates des ZK der SED zur »Bildung der Bezirke und neuen Kreise« vom 30.5.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/277, Bl. 143 ff.). 313 Referat Walter Ulbricht auf der Konferenz des ZK mit den 1. Kreissekretären in Berlin am 4.6.1952 (SAPMP-BArch, DY 30/IV 2/1.01/195, Bl. 28). 314 Vgl. den Bericht des Landrates von Delitzsch über die Landrätekonferenz in Sachsen-Anhalt, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 11.6.1952 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/4/4/50, Bl. 198).

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den Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig« ein.315 Diese unterstanden direkt der Zentralen Regierungskommission und sollten als deren regionale Pendants den Prozess der Reorganisation vor Ort übernehmen. In den Bezirkskommissionen wurden Funktionäre aus verschiedenen Bereichen wie etwa der sächsischen Landesregierung, der Landeskommission für Staatliche Kontrolle, der SED, der Kommunalverwaltung und der Gewerkschaft zusammengefasst.316 Im gleichen Zuge erging auch an die Kreisleitungen der SED und die größtenteils mit SED-Mitgliedsbuch ausgestatteten Landräte in den sächsischen Kreisen der »Parteiauftrag«, Kreiskommissionen nach demselben Schema zu bilden.317 Sowohl die Bezirks- als auch die Kreiskommissionen wurden in mehrere Unterkommissionen aufgegliedert, die für die Durchsetzung der Restrukturierungsvorgaben innerhalb der einzelnen Sachgebiete der Territorien vorgesehen waren. So bestand beispielsweise die Kreiskommission Delitzsch aus die Unterkommissionen Kader, Volksvertretung, Gebäude, Überleitung und das Organisationskomitee der SED.318 Obwohl diese Organisationskomitees der SED dem Organigramm nach auf einer unter- und nebengeordneten Position angesiedelt waren, bildeten sie die eigentlichen Koordinations- und Entscheidungsinstanzen in den Kommissionen zur Realisierung der Verwaltungsreform, und dies sowohl auf Bezirks- als auch auf Kreisebene. Sie wurden von den künftigen 1. und 2. Bezirks- bzw. Kreissekretären der zu etablierenden Parteistruktureinheiten vertreten, die in Personalunion gleichzeitig den Bezirks- und Kreiskommissionen vorstanden. Sie erhielten ihre Anweisungen unmittelbar vom Sekretariat des ZK der SED319 oder der Abteilung Leitende Organe und Massenorganisationen320 und bildeten damit sowohl den Organisationsstab zur Vorbereitung und Umsetzung der staatlich-administrativen Reform als auch den struktur- und personalpolitischen Nukleus der zukünftigen parteipolitisch-administrativen Gliederungen der SED auf Bezirks- und Kreisebene. Über diese Gremien konnte die SED den zweifach gerichteten Prozess der Liquidierung der Länderstrukturen mittels des

315 Beschluss Nr. 897 des Sekretariates der SED-Landesleitung Sachsen vom 5.6.1952 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/ 798, Bl. 120). 316 Vgl. etwa die Überlieferung der Zusammensetzung der Bezirkskommission Chemnitz in den Unterlagen der SED-Landesleitung Sachsen, undatiert (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/813, Bl. 77). 317 So die Formulierung des Landrates von Delitzsch, Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 11.6.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/4/50, Bl. 198). 318 Protokoll der Sekretariatssitzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 21.6.1952 (ebd., Bl. 207). 319 Vgl. die Abschrift der »Direktive für die Überleitung der Staatlichen Organe in die neuen Bezirke und Kreise« des ZK der SED vom 3.7.1952 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/813, Bl. 64–70). 320 Vgl. Punkt 3 der Anweisungen der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen zur Arbeit der »vollständigen Kommissionen« und der »Unterkommissionen in den Bezirken und Kreisen« vom 19.6.1952 (ebd., Bl. 2 f.).

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Aufbaus der Bezirkseinheiten auf der einen und der Multiplikation der Kreisstruktureinheiten in allen weiteren staats-, partei- und gesellschaftspolitischen Organisationsstrukturen auf der anderen Seite lenken.321 Die Konturen der Aufteilung des Landes Sachsen in die drei Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig sowie die Kreisneueinteilung hatten in ihren wesentlichen Grundzügen bereits spätestens seit dem 29. April 1952 festgestanden. Schnell war klar gewesen, dass diese drei »großstädtischen Ballungskerne« die künftige Basis der Bezirkseinteilung Sachsens bilden würden.322 Die von der SED eingesetzte Zentrale Kommission Sachsens hatte das gesamte staatliche Gebiet der DDR den Worten Walter Ulbrichts zu Folge nach zwei Hauptkriterien einzurichten: »es soll eine solche Festlegung dieser Bezirke erfolgen, und es sollen die neuen Kreisgrenzen so gestaltet werden, dass sie den Bedingungen der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung entsprechen.« Diese Maßnahmen sollten »die Durchführung des Plans erleichtern und zugleich eine bessere Anleitung der staatlichen Organe an der Basis ermöglichen«.323 Sicherheitspolitische Erwägungen, die im Besonderen für die Verwaltungseinheiten im Großraum Berlin bzw. dem »Grenzbezirk« Suhl an der südwestlichen Grenze der DDR zu Bayern bestimmend waren, spielten auf sächsischem Gebiet nahezu keine Rolle.324 Die gebietstechnischen Veränderungen, die durch die Bildung der drei neuen sächsischen Verwaltungsbezirke mit den Reorganisationszielen der Parteispitze einhergingen, fußten wesentlich auf zwei territorial-administrativen Maßnahmen. Zum einen wurden Land- bzw. Stadtkreise, die nach der Verwaltungsgliederung von 1950 zu den Ländern Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt gehört hatten, in das Gebiet der drei neuen sächsischen Bezirke integriert. Zum anderen wurde die Anzahl der Kreise insbesondere durch die Teilung der bestehenden größeren Kreisverwaltungseinheiten erhöht.

321 Analog zur Reform der staatlichen Struktur und der Struktur der Staatspartei SED wurden auch die Strukturen der weiteren in der DDR formal vorhandenen Parteien und Massenorganisationen nach demselben Strukturmuster den neuen Gegebenheiten angepasst. 322 Auf eine Trennung der Ballungsräume Chemnitz und Zwickau in zwei eigenständige Bezirke wurde verzichtet, um die drei wichtigsten natürlichen Industriezweige der Steinkohlegewinnung und des Erzbergbaues sowie die industrielle Produktion im Textilgewerbe nicht unter zwei Verwaltungen stellen zu müssen. Alle drei Sparten spielten sowohl in der Region Chemnitz und Zwickau eine bestimmende Rolle der Wirtschaftsleistung. Vgl. Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 71 f. sowie Die Bezirke, S. 249 f. 323 Referat Walter Ulbricht auf der Konferenz des ZK mit den 1. Kreissekretären in Berlin am 4.6.1952 (SAPMP-BArch, DY 30/IV 2/1.01/195, Bl. 26). 324 Mielke, Auflösung, S. 96. Lediglich die Kreise Plauen und Oelsnitz im Bezirk Chemnitz hatten direkten Grenzkontakt zur BRD.

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3.2 Territorialstruktur der Kreise in den neuen Bezirken Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig

Der neu gegründete Bezirk Dresden dehnte sich auf 6 727 Quadratkilometer aus und wurde damit zur größten territorialen Verwaltungseinheit in Sachsen.325 Im Jahr 1952 lebten dort 1 942 000 Einwohner.326 Er ging hervor aus den Kreisen Meißen, Kamenz, Löbau, Dippoldiswalde und Zittau, deren Gebietseinteilung ohne nennenswerte Veränderungen der administrativen Einteilung von 1950 entsprach.327 Zusätzlich wurden neue Kreisverwaltungen durch die Aufwertung von vormaligen Stadtkreisen zu Landkreisen mit erheblichen Gebietsvergrößerungen errichtet. Die neuen Landkreise Bischofswerda, Riesa, Freital und Sebnitz entstanden durch die Aufteilung der bestehenden Kreisgebiete Bautzen, Großenhain, Dresden-Land und Pirna. Während Riesa und Freital als ehemalige »bezirksfreie« Stadtkreise bereits über gut ausgebaute Kommunalverwaltungen verfügten,328 mussten diese in Bischofswerda und Sebnitz im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform erst aufgebaut werden. Letzteres galt auch für den Kreis Niesky, der als einziger im Bezirk Dresden durch eine länderübergreifende Teilung des ehemaligen Großkreises Weißwasser zwischen Sachsen und Brandenburg entstanden war. Während kleinere Teile des Kreises Weiswasser ab 1952 dem Bezirk Cottbus zugeordnet wurden, entstand im Bezirk Dresden der neue Kreis Niesky. Eine Reihe von Gemeinden, die zuvor zum Kreis Weißwasser gehörten, wurde dem Landkreis Görlitz angegliedert. Mit den Stadtkreisen Dresden und Görlitz, die gleichzeitig auch der Verwaltungssitz der Landkreise Dresden-Land und Görlitz-Land waren, verfügte der Bezirk Dresden schließlich über 17 Kreisverwaltungen und dementsprechend auch über 17 Kreisparteiorganisationen der SED. Da Dresden nicht durch »einen eindeutig überragenden Wirtschaftszweig gekennzeichnet« war,329 lag die Motivation zur Aufteilung der Kreise im Bezirk Dresden vornehmlich in der verwaltungstechnischen »Idealverteilung« von etwa 15 Kreiseinheiten pro Bezirk. Anhand dieser gleichmäßigen Verwaltungsstrukturierung sah die Zentrale Kommission die systematische und 325 Das Land Sachsen bestand verfassungsrechtlich bis zur endgültigen Abschaffung 1958 anhand des Gesetzes über die Auflösung der Länderkammer der DDR vom 8.12.1958 weiter, spielte in der politischen Praxis jedoch keine Rolle mehr. Vgl. Gesetzblatt der DDR vom 8.12.1958, S. 865. 326 Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 13. 327 Im Einzelnen waren dies Meißen Stadt- und Landkreis, Kamenz Landkreis, Löbau Landkreis, Dippoldiswalde Landkreis, Zittau Stadt- und Landkreis. 328 Oettel, Verwaltungsgliederung Sachsen, S. 81. Die sogenannten bezirksfreien Städte verfügten ihrer relativen Größe wegen über vollständig strukturierte Kommunalverwaltungen und waren in Sachsen ab 1924 aus dem Administrationsverbund mit den Amtshauptmannschaften ausgegliedert worden. Sie unterstanden direkt den größeren Gebietsverwaltungseinheiten der Kreishauptmannschaften. 329 Hajna, Länder-Bezirke-Länder, S. 120. Zur ökonomischen Geografie des Bezirkes Dresden in den 1950er-Jahren vgl. Die Bezirke, S. 229–249.

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umfassende politische »Anleitung und Kontrolle« der Kreise durch die Bezirke im Sinne des »demokratischen Zentralismus« als am ehesten realisierbar an. 330 Im Zuge der Neugliederung hatte der mit 4 970 Quadratkilometer kleinste sächsische Bezirk Leipzig mit im Jahr 1955 1 582 200 Einwohnern die größten territorialen Veränderungen der Kreisgebietsstruktur zu verzeichnen.331 Dessen Kern bildeten die historisch zur Kreishauptmannschaft Leipzig gehörenden Kreise Leipzig, Leipzig-Land, Borna, Grimma, Oschatz und der Kreis Döbeln.332 Während der Kreis Rochlitz im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform als einzige Gebietsabgabe in den Bezirk Chemnitz integriert wurde, gewann der Bezirk Leipzig im Norden mit den Kreisen Torgau und Delitzsch relativ große Gebiete von Sachsen-Anhalt hinzu. Im Süden kam der ehemals zu Thüringen gehörende Kreis Altenburg zum neuen Leipziger Bezirk. Damit wurde insgesamt eine Fläche von über 2 000 Quadratkilometer mit 334 000 Einwohnern unter die Verwaltungshoheit des Leipziger Bezirks gestellt. Während allein die Kreise Torgau und Oschatz in ihrer Gebietsstruktur unverändert blieben, wurden in allen weiteren »Leipziger« Kreisen Teilungen der Territorien vorgenommen. Im Kreis Delitzsch wurde aus dem ehemaligen Stadtkreis Eilenburg ein neuer Landkreis geschaffen, Altenburg wurde aufgegliedert in die Kreise Altenburg und Schmölln, der Kreis Borna verkleinerte sein Gebiet zu Gunsten der Entstehung des neuen Kreises Geithain und der vormals zum Großkreis Grimma gehörende Stadtkreis Wurzen erhielt den Status eines eigenständigen Landkreises. Völlig neu aufgebaut werden mussten im Bezirk Leipzig die Kreisverwaltungen von Geithain und Schmölln, bei den Kreisen Eilenburg und Wurzen konnte auf die bestehenden Verwaltungsstrukturen der Stadtkreise zurückgegriffen werden.333 Anders als beim Bezirk Dresden traten bei der Bildung des fortan in 13 Kreise gegliederten Leipziger Bezirkes die wirtschaftspolitischen Gliederungskriterien deutlicher zum Vorschein. Durch die Integration der vornehmlich agrarisch geprägten Kreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau nördlich von Leipzig wurde die Lebensmittelversorgung des Ballungsgebietes unter »Bezirkshoheit« gestellt. Vor allem die östlich von Leipzig gelegenen Gebiete um Wurzen, Grimma und Oschatz waren auf Grund ihres industriellen Mischcharakters mit relativ geringer landwirtschaftlicher Produktion zuvor kaum geeignet, um ausreichend landwirtschaftliche Erzeugnisse für den Bezirksbedarf zu liefern.334 Noch deutlicher wurde dem »ökonomischen

330 331 332 333 334

Mielke, Auflösung, S. 94. Statistisches Jahrbuch der der DDR 1956, S. 13. Vgl. Oettel, Verwaltungsgliederung Sachsen, S. 83. Ebd., S. 84 ff. Die Bezirke, S. 205. Im Kreis Delitzsch entstand wenige Wochen nach dem in Kraft treten des Gesetzes zur weiteren Demokratisierung die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) des Bezirks, die LPG »7. Oktober«. Vgl. Jann, Chronik der SED Leipzig, S. 6.

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Prinzip«335 zur Bezirksbildung durch die Integration des Thüringischen Kreises Altenburg Rechnung getragen. Gemeinsam mit dem Kreis Borna wurde dadurch eine Konzentration der Braunkohleförderung und -verarbeitung vorgenommen und die darauf aufbauenden Wirtschaftsbereiche der Brennstoff-, Energie- und Chemieindustrie als ein wesentlicher Pfeiler der wirtschaftlichen Spezifik des Bezirkes im Südraum von Leipzig entwickelt.336 Der eine Fläche von circa 6 028 Quadratkilometern umfassende Bezirk Chemnitz entstand im Südwesten des Landes Sachsen und war 1952 mit 2 218 000 Einwohnern der am dichtesten besiedelte Bezirk der gesamten DDR.337 Aufgrund dieser außerordentlich hohen Bevölkerungskonzentration wurden die auf den ehemaligen Regierungsbezirken Chemnitz und Zwickau aufbauenden Kreise im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform wesentlich kleinteiliger strukturiert als in den übrigen Bezirken.338 Von der Anzahl der Kreisverwaltungen her stand der Bezirk Chemnitz dadurch an der Spitze aller neu gebildeten Bezirke.339 Anders als bei den Bezirken Dresden und Leipzig wurden für den Aufbau des Bezirks Chemnitz ausschließlich Gebiete des ehemaligen Landes Sachsen zur Bezirkskonstitution herangezogen.340 Während Annaberg, Chemnitz, Marienberg, Oelsnitz und Stollberg in ihrer territorialen Zusammensetzung kaum verändert wurden, waren der bestehende Stadtkreis Aue sowie die Landkreise Auerbach, Flöha, Glauchau, Plauen, Rochlitz und Zwickau starken Gebietsumstrukturierungen unterworfen. Aus Letzteren entstanden durch Gebietsaufteilungen die völlig neu aufzubauenden Landkreise Klingenthal, Zschopau, Hainichen und Hohenstein-Ernstthal sowie die zuvor als Stadtkreise eingerichteten Landkreise

335 Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 72. 336 Die Bezirke, S. 213. In den 1950er-Jahren waren ca. 75 % aller Industriebeschäftigten des Bezirkes Leipzig in den Kreisen Borna und Altenburg tätig. Das zusammenhängende Industriegebiet umfasste etwa 20 % der Braunkohlenvorräte der DDR. Zu den wirtschaftlichen Hintergründen der Kreis- und Verwaltungsreform in Sachsen vgl. Richter, Hintergründe Verwaltungsreform. 337 Statistisches Jahrbuch der DDR, 1956, S. 13. 338 Vgl. zur ökonomischen Geografie der drei Bezirke Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), Dresden und Leipzig in den 1950er- und 1960er-Jahren Scheller, Regionale Staatsmacht, Die Bezirke, S. 203–272. 339 Diese Spitzenstellung behielt der am 10.5.1953 auf Beschluss der Regierung der DDR in KarlMarx-Stadt umbenannte Bezirk auch nach der Zusammenführung der Stadtkreise Johanngeorgenstadt und Schneeberg mit den Landkreisen Schwarzenberg und Aue im Jahr 1957 bzw. 1958. Vgl. Oettel, Verwaltungsgliederung Sachsen, S. 86 f. 340 Die Auslagerung des aus einem Stadt- und Landkreis bestehenden Gebietes von Plauen in den auf Thüringischem Gebiet liegenden neuen Bezirk Gera ist diskutiert worden, um die Textilindustrie im Bezirk Gera zu stärken. Wegen der hohen Konzentration dieses Industriezweiges auch um die Stadt Chemnitz herum ist jedoch davon abgesehen worden, da »damit das gewünschte Ziel, die Textilindustrie unter eine Verwaltung zu bringen« nicht erreicht worden wäre. Vgl. die »Begründung der Abteilung Staats- und Rechtsfragen des ZK der SED zur territorialen Einteilung der Bezirke«, undatiert (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, Bl. 259), zit. nach Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 72.

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Reichenbach und Werdau.341 Wie tiefgreifend die Veränderungen zum Teil waren, belegt das Beispiel des Landkreises Schwarzenberg, der durch die radikale Verkleinerung seines Gebietes beinahe zwei Drittel seiner Fläche verlor.342 Die Bezirkszuordnung des Stadt- und Landkreises Freiberg, aus dessen Territorium die Kreise Freiberg und Brand-Erbisdorf entstanden, stellte ein besonderes Beispiel für die zentralistische Planungshoheit der SED-Spitze dar. Freiberg hatte ursprünglich zum Regierungsbezirk Dresden-Bautzen gehört und sollte laut eines Beschlusses der Landesleitung der sächsischen SED auch in den Bezirk Dresden eingegliedert werden. Obwohl das ZK der SED diesem Beschluss am 12. Juni 1952 zunächst noch zugestimmt hatte, wurden Freiberg und Brand-Erbisdorf nach persönlicher Intervention Walter Ulbrichts dennoch dem Bezirk Chemnitz zugeteilt.343 Die »Bergakademie in Freiberg und damit auch der Kreis Freiberg« besäßen eine »enge Verbindung zu den Steinkohle- und Uranbergbaugebieten« des Chemnitzer Bezirkes und müssten somit auch zu diesem Bezirk gehören.344 Mit der Beibehaltung der selbstständigen Stadtkreise Chemnitz, Plauen, Zwickau Johanngeorgenstadt und Schneeberg waren dem Bezirk Chemnitz im Sommer 1952 schließlich insgesamt 26 Kreisverwaltungseinheiten untergeordnet.

3.3 Einsetzung der neuen SED-Kreisleitungen, Reformdefizite und Konflikte

Die Besetzung der Spitzenpositionen der neuen sächsischen SED-Kreisleitungen war im Wesentlichen innerhalb eines knappen Monats erfolgt. Die ZK-Abteilung Leitende Organe und Massenorganisationen legte für die neu zu bildenden Kreise fest, dass bis spätestens drei Wochen vor der 2. Parteikonferenz am 21. Juni 1952 die Personalentscheidungen für die »Landräte sowie die 1. und 2. Kreissekretäre für alle Kreise« abgeschlossen sein sollten. Für den Aufbau der vollständigen Parteiapparate mussten die SED-Kreisleitungen bzw. deren Organisationskomitees eine Frist bis zum 17. Juli 1952 einhalten. Darüber hinaus hatte die sächsische SED-Landesleitung noch vor Ablauf des Monats Juli auch sämtliche Personalvorschläge für die Besetzung der künftigen Vorsitzenden und aller weiteren Mitglieder der Bezirksräte sowie der Mitglieder der Bezirkstage zu bestätigen. Gleiches galt für die Entscheidungen über die Kadervorschläge zu den Sekretariaten der Massenorganisationen wie der Nationalen Front (NF), dem FDGB, der FDJ, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), dem Kulturbund der

341 Hajna, Länder-Bezirke-Länder, S. 140. 342 Zum Flächenvergleich des Landkreises Schwarzenberg zwischen dem Jahr 1949 und 1952 vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 13 und Oettel, Verwaltungsgliederung Sachsen, S. 84. 343 Vgl. Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 72 f. 344 Ebd. S. 73. Scheller bezieht sich auf eine Hausmitteilung Walter Ulbrichts an Otto Schön, die in Kopie auch an den Leiter der Zentralen Kommission Anton Plenikowski ging.

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DDR (KB), der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), dem DFD und dem Friedenskomitee.345 Die Hauptarbeit machte in dieser Zeit jedoch der weitere personelle Ausbau der gesamten Kreisleitungsapparate durch »die Aufteilung der gewählten Mitglieder der Landes- und Kreisleitungen auf die neuen Bezirke und Kreise« sowie die Vorbereitungen der »Neu- bzw. Ergänzungswahlen« der SED auf Kreis- und Bezirksebene aus.346 Bereits vorfristig konnten die sächsischen SED-Kreisleitungen diesen engen Zeitplan erfüllen. Das Sekretariat der Landesleitung bestätigte bis zum 8. Juli 1952 – einen Tag vor dem Beginn der 2. Parteikonferenz – sämtliche Mitglieder der neuen Kreissekretariate in den drei Bezirken. Obwohl es durch die Aufteilung der SED-Leitungsmitglieder »in Kreisen, in denen ein neuer Kreis entsteht« noch bis in den August hinein zu einzelnen nachträglichen personellen Anpassungsmaßnahmen kam, konnte das Gros der frühzeitig von der Parteizentrale festgelegten SED-Kreiskader nach den in Sachsen erfolgten Delegiertenkonferenzen im Laufe des Monats August im Amt bestätigt werden.347 Der organisationspolitische Aufwand wurde begleitet von einer breit angelegten Popularisierungskampagne für die Ziele der radikalen Partei- und Staatsreform, die sich sowohl an die SED-Mitgliederschaft als auch an die Bevölkerung generell richtete.348 Die Parteispitze machte auf den eigens einberufenen Tagungen der Stadtparteiaktive, die den Kreisdelegiertenkonferenzen der zukünftigen Bezirksstädte vorgeschaltet waren, durch prominente Vertreter des ZK die versammelten örtlichen Funktionsträger mit der Reform vertraut und schwor sie damit auf die wichtigsten Ziele, die die Staatspartei mit der Reform verfolgte, ein. In Leipzig etwa stellte Hermann Axen am 13. August 1952 im Kultursaal der Baumwollspinnerei vor 1 300 Teilnehmern heraus, dass »der Beschluss der 2. Parteikonferenz, planmäßig den Sozialismus aufzubauen, auch in der Arbeiterstadt Leipzig einen starken Wiederhall gefunden habe« und dass es in der Folge die Aufgabe der Partei sei, der Bevölkerung zu erläutern, dass es sich bei den Reformanstrengungen »nicht um eine bloße Verwaltungsreform handelt, sondern um eine weitgehende Demokratisierung«.349 In seiner Rede konnte Axen 345 Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung der SED Landesleitung Dresden vom 22.7.1952 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/798, Bl. 242 ff.). 346 Vgl. Punkt 1 der Anweisungen der Abteilung Leitende Organe der Partei- und Massenorganisationen zur Arbeit der »vollständigen Kommissionen« und der »Unterkommissionen in den Bezirken und Kreisen« vom 19.6.1952 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/813, Bl. 2 f.). 347 Im Sekretariat der SED-Landesleitung am 17.7.1952 diskutierte Abschrift des »Plans für die Überleitung der Arbeit in die Bezirke und die neu zu bildenden Kreise« vom 3.7.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/22, Bl. 121–127). 348 Zur den Auswirkungen der Kreis- und Verwaltungsreform auf die Gemeinden anhand einer Mikroanalyse des Kreises Annaberg vgl. Weil, Entmachtung im Amt, S. 253–265. 349 Organisator des Aufbaus, S. 151.

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zurückgreifen auf Argumentationsmuster, die er im Einklang mit dem Politbüro kurz zuvor in einem Zeitungsartikel formuliert hatte. Zu Beginn der ersten Augustwoche wurde die Öffentlichkeit durch die überregionalen Tageszeitungen wie etwa »Tägliche Rundschau« oder »Neues Deutschland« mit dem durch die Volkskammer erlassenen Gesetz konfrontiert. In Axens Artikel vom 3. August 1952 für »Neues Deutschland« benannte er offen den politischen Kern, der nach dem Willen des Politbüros hinter der doppelten Reform des Staats- und Parteiwesens stand und so auch kommuniziert werden sollte: »Das erste, das man den Delegierten erklären muss, ist […] der große politische Sinn der Reorganisierung. Indem neue kleinere Kreisgebiete unter der Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse geschaffen worden sind, ist ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der politischen Aufklärung, Erziehung und Organisation der Massen durch die Partei und der Grundorganisationen der Partei durch die Kreisleitungen getan worden. Damit wird die führende Rolle der Partei an der Basis gestärkt.«350 Diese Ausführungen machten deutlich, dass es sich bei der Kreis- und Verwaltungsreform nicht so sehr um den vermeintlichen und im Zusammenhang mit der öffentlichen Legitimationsstrategie ins Feld geführten Topos der verstärkten »Einbeziehung der Werktätigen in die Leitung des Staates«351 handelte. Vielmehr ging es der SED darum, eine politische Herrschaftstechnologie der räumlichen Verdichtung zu implementieren, die die Partei in die Lage versetzen sollte, ihren Zugriff bis auf die Basisränge der Gesellschaft weiter auszubauen. Formal hatte die sächsische Landesleitung der SED in Folge des Politbüro-Beschlusses vom 29. Juli 1952 ihre Tätigkeit bereits zum 1. August eingestellt. Die laufenden Arbeiten leitete seitdem »in jedem Bezirk das Organisationsbüro«.352 Die personelle »Besetzung der Bezirksräte und der Bezirksleitungen der Partei« hatte sich das Politbüro exklusiv vorbehalten.353 Während auf Parteiseite die Posten der 1. Bezirkssekretäre der SED in Chemnitz mit Fritz Buchheim, in Dresden mit Hans Rießner und in Leipzig mit Karl Schirdewan noch auf konstituierenden Bezirksdelegiertenkonferenzen, die bis Ablauf des Monats Oktober in Chemnitz, Dresden und Leipzig abgehalten wurden, von den Mitgliedern bestätigt werden mussten, sparten sich die Machthaber in Berlin diesen Legitimationsakt bei den Spitzenfunktionären der staatlichen Ebene. Als Räte der Bezirke wurden für

350 Wie bereitet eine Kreisleitung das Referat für die Kreisdelegiertenkonferenz vor? In: Neues Deutschland vom 3.8.1952. 351 Die Arbeitsweise der neuen staatlichen Organe in den Bezirken. In: Neues Deutschland vom 3.8.1952. 352 Beschluss im Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 29.7.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2/223, Bl. 5). 353 Anlage Nr. 8 aus dem Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 29.6.1952 (ebd., Bl. 60 f.).

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Chemnitz Max Müller, für Dresden Rudolf Jahn und für Leipzig Karl Adolphs ohne vorherige Wahl kooptiert.354 Beim Aufbau der staatlichen Verwaltungsstrukturen in den Stadtbezirken und den von den Großstädten getrennten Landkreisen kam es teilweise zu erheblichen Verzögerungen. Obwohl die Beschlüsse zur Stadtbezirks- und Landkreisbildung in den Stadtbezirks- und Stadtverordnetenversammlungen der Großstädte nach dem Willen der SED-Parteiführung am 1. September 1952 gefasst und die neuen Einheiten ab dem 15. September 1952 arbeitsfähig sein sollten,355 konstituierten sich diese teilweise erst zu Beginn des Jahres 1953.356 Darüber hinaus kam es zwischen Partei- und Staatsapparat auch zu Umsetzungsschwierigkeiten im personalpolitischen Bereich. Die Kehrseite der durch die Kreis- und Verwaltungsreform begonnenen Verdichtung des politischen Raumes und des intensivierten Zugriffs der Parteieinheiten auf das Territorium im Sinne des kommunistischen »space building«357 war, dass die zuständigen staatlichen Akteure ihre Arbeit partiell einstellten, da sie – gerade im Bereich der Kaderpolitik – die Verantwortung für einzelne Bereiche ausschließlich in den Händen der örtlichen SED wähnten. In einem Bericht des Leipziger Organisationskomitees heißt es in diesem Zusammenhang: »Außerdem war die falsche Meinung im Org.-Komitee insofern entstanden, als man nach Rücksprache mit der Kreisleitung unserer Partei festgelegt hatte, dass die Kandidaten unserer der [sic! Streichung im Original, T. P.] Parteien und Massenorganisationen für die Stadtbezirksversammlung ausnahmslos nur durch die Stadtbezirksleitungen unserer Partei benannt werden. Dieser irrige Standpunkt wurde […] dahin gehend geändert, dass festgelegt wurde, dass es nicht Aufgabe der Partei sein kann, Kandidaten auszuwählen und zu benennen, sondern dass dies ausschließlich Aufgabe der staatlichen Organe sei.«358 Diese Irritation stand paradigmatisch für eine Herrschaftsdurchsetzung der SED »auf dem Papier«. Die zunehmende Zentralisierung politischer Entscheidungen in den Gremien der SED-Parteileitungen auf allen staatlich-administrativen Hierarchiestufen führte zur Hemmung von 354 Ebd. 355 Vgl. Mielke, Auflösung, S. 111. 356 In Leipzig etwa traten die Stadtverordnetenversammlung Leipzig, Leipzig-Land und die 14 Stadtbezirksverordnetenversammlungen erst am 20.1.1953 zusammen. Vgl. den Bericht des Leipziger Oberbürgermeisters Erich Uhlig an den Ministerrat über die »Weitere Demokratisierung in Leipzig«, undatiert (Stadtarchiv Leipzig, StVuR, 1502, Bl. 117 f.). 357 Vgl. zum Begriff des »space building« als heuristisches Konzept sowie zur Differenzierung des Raumbegriffes als Kategorie für die geschichtswissenschaftliche Forschung Jureit, Ordnen von Räumen, S. 7–30, hier 14. 358 Bericht des Org.-Komitees der Stadt Leipzig über den derzeitigen Stand der weiteren Demokratisierung der staatlichen Organe der Stadt Leipzig vom 12.1.1953 (Stadtarchiv Leipzig, StVuR, 1501, Bl. 94 f., hier 95). Der Bericht bezieht sich auf eine Sitzung des Org.-Komitees von Ende 1952, an der von Seiten der Partei je ein Vertreter der Bezirksleitung, der Stadtleitung und der Parteileitung der Parteiorganisation beim Rat der Stadt teilnahm.

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Aktivität und Eigeninitiative der staatlichen Akteure. Die Ausdifferenzierung des Herrschaftsraumes im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform hatte zwar die erleichterte »Durchherrschung«359 der Gesellschaft anvisiert, der mit der 2. Parteikonferenz proklamierte »Aufbau des Sozialismus« litt jedoch unter erheblichen Konstruktionsfehlern. Der Anspruch der SED, mit der Reform den territorialen Staats- und Parteiaufbau nach Kriterien der Übersichtlichkeit und parteieigenen Ordnungsvorstellungen radikal umzugestalten, ignorierte gewachsene politische, kulturelle und geografische Binnenstrukturen. Dies führte dazu, dass sich die intendierte »Reduktion von Komplexizität, die Einebnung von Unsicherheiten und die Schaffung einer stabilen Ordnung«360 im Sinne des »demokratischen Zentralismus« kaum einstellte. Das »sozialistische« Verwaltungsmodell erzeugte in der Praxis eher Unklarheiten, Abstimmungsprobleme und Kompetenzschwierigkeiten in den Schnittbereichen staatlicher Verwaltung und den entsprechenden Gliederungen der Parteiorganisation.361 Diese Schwierigkeiten traten nicht nur im Interaktionsfeld zwischen Staatsund Parteiinstanzen auf, sondern gerade auch innerhalb der Staatspartei selbst. An dem Beispiel der Leipziger SED lässt sich illustrieren, dass räumliche Verdichtung der Herrschaftsinstanzen nicht automatisch zu verbesserten organisationspolitischen Abläufen im Sinne der intendierten Steuerungsansprüche führte. Im Süden der Stadt entstand nach einem Beschluss des Sekretariats der SED-Landesleitung Anfang August 1952 das Machtzentrum des eben gegründeten Leipziger Bezirkes. Direkt neben das Gebäude der ehemaligen Oberpostdirektion in der Karl-Liebknecht-Straße 145, in das der neu geschaffene Rat des Bezirkes Leipzig einzog, nahm die SED in den Räumlichkeiten des ehemaligen Finanzamtes in der Karl-Liebknecht-Straße 143 Quartier.362 In dem Gebäude waren fortan die Parteiapparate der SED-Bezirksleitung, der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt sowie einer SED-Stadtbezirksleitung unter einem Dach versammelt.363 Gingen die formal-bürokratischen Abläufe, wie etwa die Übergabe diverser Materialien des Dresdener Sekretariates der SED-Landesleitung an das Sekretariat der neuen Bezirksleitung in Leipzig, noch weitestgehend reibungslos vonstatten,364 trat in vielen Fällen 359 Kocka, Durchherrschte Gesellschaft, S. 552. 360 Jureit, Das Ordnen von Räumen, S. 13 f. 361 In diesem Zusammenhang vertritt Jay Rowell die These der Entwicklung einer »progressiven Entspannung der Beziehungen zwischen den staatlichen Organen und der SED im Territorium« über den gesamten Zeitraum der DDR hinweg. Vgl. Rowell, Bezirkssekretär, S. 214 f. 362 Besprechung der Kommission zur »Überleitung« in der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 6.8.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/22, Bl. 224). 363 1952 befand sich in dem Gebäude ebenfalls die Parteileitung der SED Leipzig-Land, diese bezog jedoch später ein gesondertes Quartier. Vgl. die Akte zu Strukturplänen der SED in Leipzig von 1952–1963 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/326, unpaginiert). 364 An der Inventur der als »übergabewürdig« eingestuften Materialien und Schriftstücke lässt sich die bereits im Jahr 1952 wesentlich auf bürokratischen Herrschaftstechniken fußende (Alltags-) Organisation des SED-Herrschaftsapparates ablesen. Die 30 Punkte umfassende Liste beinhal-

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jedoch die noch unzureichende Abstimmung innerparteilicher Kompetenzbereiche zwischen neuem Bezirk und neuem Stadtkreis hervor. Darüber hinaus waren die sozialen Beziehungen der leitenden Funktionäre in dieser Umbruchsituation von Unsicherheiten gekennzeichnet und daher äußerst angespannt, nicht zuletzt weil mit den Umstellungsprozessen der Kreis- und Verwaltungsreform auch sie kaderpolitisch auf dem Prüfstein standen. Dieser Befund trat im von starken Differenzen geprägten Verhältnis zwischen dem Sekretariat der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt, mit dem »intelligenzfeindlichen Radikalinski«365 Paul Fröhlich an der Spitze, und dem Sekretariat der SED-Bezirksleitung, dem der vormalige 1. Sekretär der SED-Landesleitung Karl Schirdewan als 1. Sekretär vorstand, offen hervor. In einer Aktennotiz der 2. Sekretärin der SED-Bezirksleitung Luise Bäuml von Anfang Dezember 1952 wird eine Auseinandersetzung um die Gestaltung der politischen Herrschaftspraxis geschildert, bei der zur Schlichtung gar die SMAD-Leitung in Person von Oberstleutnant Makaruschin in parteiinterne Angelegenheiten eingreifen musste. Bäuml beklagte sich bei der sowjetischen Führung, dass es »eine Tendenz gebe der Nichtanerkennung der Bezirksleitung durch das Kreissekretariat«. Fröhlich, der offenbar keineswegs von der Kritik der Bezirksleitung eingeschüchtert gewesen war, gab daraufhin zurück, dass es »vom Bezirkssekretär Beschlüsse gebe, die nicht exakt waren« und erhob seinerseits den unvermittelten Vorwurf, die Bezirksleitung würde »direkt in die Arbeit der Stadtbezirksleitungen eingreifen, ohne die Kreisleitung zu informieren«. Dies wirke sich nach Fröhlich vor allem im Bereich der Kaderpolitik negativ auf die Arbeit der Kreisleitung aus, vereinzelte »Beispiele des Eingreifens in die Arbeit der Betriebsparteiorganisationen« gäbe es darüber hinaus ebenfalls zu Hauf.366 Dass Fröhlich, der innerhalb der SED über ein außerordentliches Durchsetzungsvermögen verfügte und 1958 auf dem V. Parteitag zum Kandidaten des Politbüros der SED aufsteigen sollte, so offen Kritik an der übergeordneten Leitung üben konnte, war einerseits sicher seiner Person und seinen Verbindungen über die Ebene der Bezirksleitung hinaus zu

tete vor allem kader-, organisations- und sicherheitspolitisch relevante Materialien. Vgl. Protokoll der Arbeitsbesprechung des Org.-Büros bei der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 11.8.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/22, Bl. 204). 365 So bezeichnete Karl Schirdewan den ihm Ende 1952 in das Amt des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Leipzig nachgefolgten und vormalig 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt, Paul Fröhlich in seiner 1998 erschienenen Autobiografie. Ob das schwierige Verhältnis der beiden zueinander, das sich in der autobiografischen Rückschau Schirdewans deutlich zeigt, auf die Kompetenzverteilungsproblematik der Kreis- und Verwaltungsreform zurückzuführen ist, konnte hier nicht weiter untersucht werden. Vgl. Schirdewan, Jahrhundert, S. 240. 366 Aktennotiz von Luise Bäuml, 2. Sekretärin der SED-Bezirksleitung Leipzig, über die Aussprache zwischen ihr, Oberstleutnant Makaruschin und Paul Fröhlich vom 8.12.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/322, Bl. 10 f.).

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verdanken.367 Vor seiner Wahl zum 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Leipzig Stadt im Jahr 1950 hatte er durch besonders hartes Durchgreifen im Zuge der zweiten großen Parteiüberprüfung auf sich aufmerksam gemacht, als er rigoros die »Parteisäuberungen als Kaderpolitik«368 im Kreis Bautzen durchgeführt und sich so vor der Landesleitung und besonders auch vor dem ZK der SED als Hardliner profiliert hatte.369 Im Vordergrund steht jedoch, dass der Konflikt zwischen Fröhlich und Schirdewan paradigmatisch für das Kompetenz-Strukturproblem steht, das unmittelbare Folge der Neuordnung des regionalen Herrschaftsapparates war. Als eine der ersten Handlungen sandte das Sekretariat der Bezirksleitung Leipzig auf Geheiß des ZK der SED eine Instrukteurbrigade in ausgewählte, ihr untergeordnete Parteileitungsgremien aller Hierarchieebenen im Bezirksgebiet. Dies hatte zum einen das Ziel, eventuelle in der Praxis auftauchende Funktionsfehler der Kreis- und Verwaltungsreform gleich zu Beginn parteiintern analysieren und falls möglich sofort abstellen zu können. Zum anderen sollte ein demonstratives Zeichen der Autorität der neu eingerichteten Bezirksleitungen gesetzt werden. Unter dem von Otto Schön auf einer Beratung mit politischen Mitarbeitern beim ZK Ende August 1952 ausgerufenen Motto »Auf neue, auf bolschewistische Art leiten und führen lernen!«370 hatte das ZK auf dem gesamten Gebiet der DDR die neuen Bezirksleitungen vor den Bezirksdelegiertenkonferenzen »mobilisiert«.371 In Leipzig zählte die eingesetzte Instrukteurbrigade »21 Genossen, und untergliederte sich in 4 Unterbrigaden. Untersucht wurde die Kreisleitung Leipzig-Stadt, SED-Stadtbezirk 13, die BPO [Betriebsparteiorganisation, T. P.] SAG-Bleichert und die Parteiorganisation Handel und Versorgung im Rat der

367 Zuletzt wurde Paul Fröhlich in einem Aufsatz zur Wirtschaftspolitik des Leipziger Bezirkes zwischen 1956−1961 pointiert als ein »Jongleur der Macht« umschrieben. Vgl. Werner, Jongleur, S. 68–76, hier 68. 368 Vgl. zu den Parteisäuberungen und deren unterschiedliche Phasen und Funktionen zwischen 1948 und 1953 besonders Mählert, Parteisäuberungen, S. 351–458, des Weiteren Bouvier, Ausgeschaltet sowie Malycha, Geschichte der SED, S. 79–92. 369 Diese Profilierung führte dazu, dass Fröhlich bei der Besetzung des Postens des 1. Sekretärs der Kreisleitung der SED in Leipzig bereits 1950 den Vorzug gegenüber dem Mitbewerber, Arno Hering, erhielt. Dies geht aus der Kaderakte von Hering hervor, in der Kurt Kohn als Leiter der Kaderabteilung der Landesleitung der SED eine Beurteilung über den, zu dem Zeitpunkt noch als Personalleiter in der Landesregierung angestellten, 1. Kreissekretär der SED von Bautzen und Dresden-Stadt abgab und sich dabei auch auf Fröhlich bezog. Aktennotiz Kurt Kohn vom 4.10.1950 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/2/v/390, Bl. 104). 370 Otto Schön, »Auf neue, auf bolschewistische Art leiten und führen lernen!«. In: Neuer Weg, 19 (1952), S. 5–8. 371 Zur Übertragung des Konzeptes der »Mobilisierung«, das in der NS-Forschung gegenwärtig eine wichtige Rolle spielt, auf die Untersuchung der DDR siehe zuletzt Werner, Mobilisierung, S. 303–324, hier 315.

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Stadt.«372 Dort sollte, wie es im Parteijargon hieß, »eine Untersuchung der Arbeit […] vom Standpunkt der allseitigen Führung auf der Grundlage des Beschlusses der 2. Parteikonferenz« vorgenommen werden. Die »allseitige Führung« bedeutete, dass das ZK die Brigade der Bezirksleitung für die Zeit ihres Einsatzes mit nahezu unbegrenzten Vollmachten ausgestattet hatte, die es ihr erlaubten, alle im Statut verankerten Regelungen zu ignorieren und dieses punktuell außer Kraft zu setzen. Die Überprüfung war »auf 10 Tage festgelegt« und brachte außer der Machtdemonstration keine nennenswerten Ergebnisse hervor.373 Dennoch wurden am Einsatz dieser Maßnahme vor allem zwei Charakteristika der Kreis- und Verwaltungsreform unter der Regie der SED deutlich. Es zeigte sich, dass auch unter den Rahmenbedingungen der neu zugeschnittenen Bezirksstrukturen in der DDR die SED weiterhin auf die Herrschaftstechnik der »dynamischen Parteibürokratie« in Form der Instrukteurbrigaden nicht verzichten konnte. Nur so sah sich die SED-Führung in der Lage, die zur Disziplinierung und Einschüchterung der verantwortlichen Parteifunktionäre notwendige permanente Unsicherheit zu erzeugen, auf deren Grundlage sie ihre Herrschaft aufbaute. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich: Weder die neuen Struktureinheiten noch der organisationspolitische Zuschnitt der neuen Territorien sowie deren institutionelle Verzahnung untereinander hatten die Staatspartei nach dem formalen Abschluss der Reform in die Lage versetzt, die verschiedenen Funktionsschwierigkeiten, Konflikte und Zuständigkeitsverteilungen so zu strukturieren, dass das »politbürokratische« Ideal reibungsloser top-down- Herrschaftsdurchsetzung in der Praxis erfüllbar werden konnte. Das zeigte sich sowohl bei der Personalauswahl374 als auch im Jahr 1954, als nach dem Schock des Aufstandes vom 17. Juni 1953 die nächste Umbildung innerhalb der SED-Führungsgremien auf Kreisebene durch die Organisationsplaner in der Parteiführung angeordnet wurde. Schließlich bleibt festzuhalten, dass mit der organisationsstrukturellen Zäsur des Jahres 1952/53 so etwas wie ein »verspäteter Gründungsakt der DDR« stattgefunden hat.375 Die verwaltungs- und parteistrukturelle Manifestation des »Demokratischen Zentralismus« bildete schließlich das administrative Grundgerüst des DDR-Staatssozialismus bis zu dessen Ende. Obwohl auch mit diesem »Modell der ›sozialistischen‹ Verwaltung und Verwaltungspraxis«376 keineswegs der enthusiastische ideologische Anspruch der SED zur »allseitigen Führung« bis in die kleinsten Bereiche von Staat und Gesellschaft eingelöst werden konnte, 372 Rechenschaftsbericht der 1. SED-Bezirksdelegiertenkonferenz Leipzig vom 3.−4.10.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/1/1, Bl. 363). 373 Ebd. 374 Vgl. Kapitel V. 2. 375 Die zitierte Phrase im englischen Original lautet »late founding act of the GDR«, Palmowski, Limits of Democratic Centralism, S. 505. 376 Rowell, Bezirkssekretär, S. 215.

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hatte die Multiplikation der Kreise und SED-Kreisparteiorganisationen das Netz der Parteiherrschaft dennoch enger gesponnen und die Zugriffsmöglichkeiten potenziell höher werden lassen als in den Jahren zuvor.

4. Krisenhafte Konsolidierung der 1950er-Jahre und Veränderungen in den SED-Kreissekretariaten (1954−1960) Die Neugestaltung der administrativen Strukturen in Staat und Partei schloss einen ideologischen und politischen Prozess ab, der sowohl die letzten föderalen Traditionen in der DDR zerstörte als auch die organisationsstrukturelle Anlehnung der Gebietsverwaltungen an das System der Sowjetunion weit voranbrachte. Nicht umsonst war 1952 eigens eine »Delegation zum Studium des Staatsapparates in der Sowjetunion« gewesen, um die sowjetischen Strukturen zu analysieren und dann möglichst originalgetreu in die Konzeption der Kreis- und Verwaltungsreform in der DDR einfließen lassen zu können.377 Die Machthaber im ZK und Politbüro verfügten fortan über Staats- und Parteistrukturen, die im Jargon der »parteikonformen Juristen«378 als Hebel zur Umsetzung der »Herrschaft der Arbeiterklasse« dienen sollten, was de facto nichts anderes bedeutete als die Herrschaft der Parteispitze der SED. Die verschiedenen »Organe der Staatsmacht« in den Bezirken und Kreisen waren nicht am Prinzip der Gewaltenteilung orientiert. Im Gegenteil: Ganz im Sinn des revolutionären kommunistischen Vorbilds folgten sie der Tradition der Räte (Sowjets) der Sowjetunion, die sich »als ›politische Kampforgane‹ in der Oktoberrevolution ›ohne Umschweife […] in die neuen Staatsorgane‹ verwandelt« hätten.379 Dass während der Ereignisse in den Tagen um den Aufstand des »17. Juni 1953«380 diese imaginierte »Herrschaft der Arbeiterklasse« erstmals gegen reale Arbeiter und das gesamte Volk in Chemnitz, Dresden und Leipzig sowie in vielen weiteren Bezirken der DDR gerichtet wurde, wirkt dabei wie ein zynischer nachträglicher Kommentar zur Parteipropaganda der ersten Dekade der SED-Regentschaft. Walter Ulbricht war es bis Januar 1954 dennoch gelungen, aus der legitimatorischen Niederlage des SED-Regimes im Sommer 1953 personalpolitische Vorteile zu ziehen. Er festigte sogar seine Führungsposition an der Parteispitze, zu377 Vgl. Anmerkungen zur Struktur und Stellenplan einer Bezirksverwaltung und zur Struktur und Stellenplan einer Landkreisverwaltung, undatiert, (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/13/50, unpaginiert). 378 Lüdtke, 17. Juni 1953, S. 261. 379 Zit. nach ebd., S. 262. 380 Die Forschungsliteratur über den Volksaufstand des »17. Juni 1953« ist mittlerweile kaum mehr zu überblicken. Genannt sei hier aus regionalgeschichtlicher und gewalttheoretischer Perspektive besonders die Studie zu Sachsen von Roth, 17. Juni in Sachsen und zu dem Aspekt der (Staats-)Gewalt Lüdtke, 17. Juni 1953.

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mal außenpolitisch »der Entschluss der Sowjetunion, die DDR als Staat auf Dauer zu betrachten« durch die aufgewühlte Situation des Sommers 1953 »katalysiert« worden war.381 Die Herrschaftsstabilisierung innerhalb der Staatspartei wurde im Wesentlichen durch den Einsatz zweier Handlungsstrategien bestimmt: Die Konstruktion einer angeblichen oppositionellen Fraktion innerhalb der Parteispitze des ZK der SED, der »Herrnstadt-Zaisser-Fraktion«382 und durch weitere umfassende innerparteiliche Säuberungen im gesamten Parteiapparat. In deren Verlauf wurden viele einfache Mitglieder, aber auch führende Köpfe des Parteiapparates zum Ziel der innerparteilichen Repressions- und Verfolgungspraxis.383 Im Kreis Altenburg wurden sogar der 1. Kreissekretär und sämtliche Mitglieder des Sekretariats der SED-Kreisleitung aufgrund eines ZK-Beschlusses abgelöst.384 Diese Verfolgungslogik, die ganz wesentliche Züge einer permanenten, ausdrücklich nicht an diesen Krisenfall gebundenen Freund-Feind-Perzeption zeigte und einer Wahrnehmung des politischen als Kampf verpflichtet gewesen war, prägte die Atmosphäre in den Parteigremien bis zu den kleinsten Einheiten der SED-Grundorganisationen. Die typischen vom ZK vorgegebenen Metaphern waren in ihrer Funktion als Instrumente einer sozialen »Praxis, die Herrschaft produziert«,385 gerade Anfang des Jahres 1954 wesentlicher Bestandteil der Funktionärsreden in den Parteiversammlungen.386 Als das ZK alle 1. Sekretäre der SED-Kreisparteiorganisationen der gesamten DDR am 11. Januar 1954 im »Großen Haus«387 in Berlin zu einer Konferenz zusammenrief, um die Parteilinie »über die Lage in der Deutschen Demokratischen 381 Wilke/Voigt, Zweite Staatsgründung, S. 121. 382 Zur Einordnung der Konflikte um Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser in der SED-Führung vgl. Görldt, Machtsicherung, darin zu der Zuspitzung nach dem 17. Juni S. 258–292; Wilke, Satelliten, S. 102–107. 383 In der Bezirkshauptstadt Leipzig etwa mussten sowohl der 1. Kreissekretär der SED-Stadtleitung, Karl Hübner, als auch der Parteiorganisator des Zentralkomitees und 1. Sekretär der Universitätsparteileitung der Karl-Marx-Universität Reinhard Fischer in Folge der alle Parteiinstanzen umfassenden Säuberungswelle ihre Posten wegen »Fehlverhaltens« während und nach dem in der SED als Putschversuch verklärten Volksaufstand räumen. Zu Karl Hübner vgl. StAL, SED-BPA Leipzig, Kaderakte Karl Hübner Nr. 995. Zu Reinhard Fischer vgl. das Protokoll der Sitzung der Universitätsparteileitung, 25.9.1953 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/4/14/11, Bl. 146 f.). 384 Vgl. in diesem Zusammenhang besonders das Verfahren gegen den 1. Kreissekretär Karl Strömsdörfer und die »Aussprache« mit Mitgliedern des ZK, der Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) und Strömsdörfer am 6. und 23.10.1953 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/2/4/347, Bl. 340–368). 385 Lüdtke, Sprache und Herrschaft, S. 13. 386 Zur Tradition des »Kampf«-Begriffes bereits in der KPD der Weimarer Republik siehe u. a. die anschauliche Edition der Rundschreiben des ZK der KPD an die Bezirke in den Jahren 1929–1933 in der Edition von Weber, Generallinie. 387 So die Bezeichnung für das Gebäude des ZK in der Torstraße am Rande des heutigen Kollwitzkiezes und nach dem Umzug 1959 an den Werderschen Markt in Berlin, die Hans Modrow später als Titel für seine »Insiderberichte« aus dem Führungsgremium der SED diente. Vgl. Modrow, Großes Haus, S. 11.

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Republik und die Aufgaben der Parteiorganisationen«388 im Vorfeld des für April angesetzten IV. Parteitages der SED und den damit verbundenen Delegiertenkonferenzen zu verkünden, klang der Freund-Feind-Diskurs aus dem Mund von Hans Wetzel, dem 1. Kreissekretär der SED in Döbeln, wie folgt: »Die nächste Feststellung, die wir getroffen haben, war die, dass dort, wo wir offensiv in der Parteiorganisation die Feinde bekämpften, sie entlarvten und auch außerhalb der Parteiorganisation Feinde in den Betrieben aufstöberten und sie herausbrachten, die besten Ergebnisse […] waren. Das herausragende Beispiel dieser Art ist die Stadt Roßwein in unserem Kreis, eine kleine Stadt mit dem großen Schmiedewerk ›Hermann Matern‹, auf das sich der Feind in der Vergangenheit außerordentlich konzentriert hat seit dem 17. Juni [1953, TP], wo es kurzzeitig zu Arbeitsniederlegungen kam. Aus diesem Betrieb haben wir in der offensiven Massenarbeit mit Unterstützung der Staatsorgane eine ganze Reihe von feindlichen Gruppen, Agentengruppen, Diversanten und Mördern herausgeholt.«389 Wetzels Funktionärsgenosse und 1. Kreissekretär der SED Zwickau-Stadt Kurt Benda konnte in seinem Redebeitrag der ZK-Parteispitze in diesem Punkt ebenfalls Vollzug vermelden. Unter seiner Führung wurden die, wie Benda es formulierte, »Nester des Ostbüros in unserer eigenen Kreisleitung Zwickau, im Rat der Stadt, im Rat des damaligen Landkreises […] entlarvt und liquidiert und aus ihren Positionen entfernt.«390 Für die geplante statuarische Festschreibung der von der 2. Parteikonferenz der SED angestoßenen Veränderungen des Parteiapparats im Zuge des propagierten »Aufbaus des Sozialismus« wirkten jedoch der 17. Juni 1953 und dessen parteiinterne »Nachwirkungen« zunächst noch als retardierendes Moment. Erst im Frühling 1954, als trotz der in vielen Organisationsbereichen fehlenden »Reformfähigkeit«391 das Herrschaftsgefüge der DDR insgesamt gefestigt war, trat der totale Anspruch der SED, die Leitungsstrukturen in Staat und Gesellschaft möglichst vollständig zu kontrollieren, wieder offener zutage. Hatte die Kreis- und Verwaltungsreform zunächst eine quantitative Vervielfältigung von Staats- und Parteistrukturen insgesamt bedeutet, wurde nun in einem weiteren Schritt versucht, die Führungsgremien der SED selbst, und zwar besonders auf Bezirks- und Kreisebene, qualitativ den neuen Partei- und Staatsapparaten ent388 Referat von Walter Ulbricht auf der Konferenz des ZK der SED mit den 1. Kreissekretären der SED am 11.1.1954 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/245, Bl. 4–53). 389 Diskussionsbeitrag von Hans Wetzel, 1. Kreissekretär der SED in Döbeln auf der Konferenz des ZK der SED mit den 1. Kreissekretären der SED in Berlin, 11.1.1954 (ebd., Bl. 111 f.). 390 Diskussionsbeitrag von Kurt Benda, 1. Kreissekretär der SED in Zwickau-Stadt auf der Konferenz des ZK der SED mit den 1. Kreissekretären der SED in Berlin, 11.1.1954 (ebd., Bl. 117 f.). 391 Ohne auf die Ursachen einzugehen, wurde der »17. Juni 1953« von der SED-Führung als »faschistischer Putsch-Versuch« deklariert. Das ZK war in keiner Weise bereit, seine Parteilinie prinzipiell zu verändern oder kritisch zu reflektieren. Zur Frage, ob die SED überhaupt reformfähig sein konnte, vgl. Malycha, Reformansätze, S. 136–162.

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sprechend zu verändern und zu optimieren. Der IV. Parteitag, der vom 30. März bis zum 6. April 1954 abgehalten wurde, traf in diesem Zusammenhang wichtige Entscheidungen. Zentral war die Verabschiedung eines neuen Parteistatuts, das zum einen den verschiedenen organisationspolitischen Veränderungen, die im Zusammenhang mit der 2. Parteikonferenz und der Umsetzung der Beschlüsse über den Aufbau des Sozialismus seit Anfang 1952 gefasst worden waren, Rechnung trug. Zum anderen wurde über diese nachträgliche Sanktionierung hinaus aber auch ein neues und verändertes Strukturmodell für die Parteileitungsgremien der Kreise und Bezirke in das Organigramm der SED eingeschrieben, das konkret die qualitative Führungsarbeit verbessern sollte. Seit der Kreis- und Verwaltungsreform war es verstärkt zu Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Parteileitungsgremien gekommen. Ein Beispiel aus der SED-Grundorganisation beim Rat des Kreises Grimma kann dies verdeutlichen: »Die bisherige Struktur der Sekretariate der Kreisleitungen, sowie als nächsthöhere Parteiinstanz, die Bezirksleitung, garantierte nicht mehr, dass alle wichtigen Schwerpunkte und Arbeitsabschnitte intensiv von allen verantwortlichen Sekretariatsmitgliedern durchgeführt werden konnten. Anstatt alle Kraft auf die Organisierung der Sache zu legen, vergeudete man sie in einer Unmasse von Sitzungen und führte schrankenlosen Papierkrieg, anstatt zur Durchführung der Beschlüsse des ZK an Ort und Stelle in die Betriebe zu gehen.«392 Diese symbolische Formulierung des »In-die-Betriebe«-Gehens war freilich eine Metapher. Eine in diesem Zusammenhang ganz wesentliche jedoch, da sie auf ein Phänomen hindeutete, das sich aus der grundlegenden Verfasstheit des politischen Systems der DDR – und auch vieler anderer kommunistischer Staaten des Warschauer Pakts – ergab: Die Parallelität von Staats- und Parteiapparat und die damit verbundenen Koordinations- und Spannungsverhältnisse zwischen den Führungsgremien von Partei, Staat und Massenorganisationen. Der ehemalige 1. Sekretär der SED-Landesleitung Sachsens, Karl Schirdewan, der seit 1953 die ein Jahr zuvor neu gegründete »Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen des ZK der SED« leitete,393 warf in seinem Referat auf dem IV. Parteitag den Sekretariaten der Partei mangelnde »Kollektivität«, »ressortmäßige Aufgliederung der Arbeit«, »Bürokratismus« und besonders die häufige »Übernahme von Verwaltungsfunktionen« vor und begründete so die

392 Auszug aus der Parteileitungssitzung der SED-Grundorganisation beim Rat des Kreises Grimma vom 2.8.1954 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/7/78/2, unpaginiert). 393 Beschluss des Politbüros des ZK der SED über die »Bildung der ›Abteilung Leitende Organe der Partei und der Massenorganisationen‹ beim ZK der SED und bei den Landesleitungen und der ›Abteilung Partei und Massenorganisationen‹ in den Kreisleitungen« vom 15.1.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2/187, Bl. 13–18).

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»Änderungen am Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands«.394 In § 58 des neuen Statuts wurden diese Änderungen der Leitungsgremien in den Kreisen dann wie folgt festgeschrieben: »Die Stadt- oder Kreisleitung wählt ein Büro mit sieben bis neun Mitgliedern und zwei bis drei Kandidaten und aus den Mitgliedern des Büros entsprechend den Instruktionen des Zentralkomitees die Sekretäre der Stadt- oder Kreisleitung.«395 Diese Büros, die die vorherigen Sekretariate der Kreisleitungen als »Organe der kollektiven Führung« ablösten, sollten die neuen Machtzentren der Kreise werden. Ihre Mitglieder und Kandidaten sollten »gleichermaßen die Verantwortung zwischen den Plenartagungen« tragen und sich folgenden Kernaufgaben widmen: Zum einen der »Organisierung und Kontrolle der Durchführung der Beschlüsse des Büros und der straffen Führung des Apparates des betreffenden leitenden Parteiorgans«, zum anderen der »Gewährleistung der Organisierung der Auswahl, Erziehung und Verteilung der Kader« und schließlich der »exakten Vorbereitung der Sitzungen des Büros, der Vorbereitung von Beschlüssen, Materialien usw.«396 Von entscheidender Bedeutung für die Tragweite der Veränderungen in der Führungsstruktur der Kreisparteileitungen war jedoch nicht so sehr das allgemeine Aufgabenprofil, das in dem Beschluss nur in grob gefasstem Parteijargon skizziert wurde. Die Besetzung der einzelnen Mitglieder- und Kandidatenposten in den neuen Parteiinstanzen spielte eine viel wesentlichere Rolle. Die Büros sollten fortan führende Funktionsträger der wichtigsten Bereiche der Kreise institutionell in einem viel stärkeren Maße in den engsten Führungsbereich der Partei integrieren, als das es bis dato der Fall gewesen war. Gleichzeitig verfolgten die Strukturreformer das Ziel, durch diese personelle Erweiterung letztlich eine Bündelung herrschaftspolitischer Verantwortung in einem engeren politischen Zirkel von Funktionseliten des Kreises unter Ausschluss der weiteren Kreisleitungsmitglieder zu erreichen. Allein dieses Gremium sollte sich fortan um die politische Führung kümmern. Die Impulse aus diesem exklusiven Leitungsgremium sollten über dessen Mitglieder und Kandidaten an alle entscheidenden Bereiche der Kreise weitergegeben werden. Das vom Politbüro verbindlich festgelegte Personal der neuen Büros der SED-Kreisleitungen stellte entsprechend das »Who is Who« der Funktionseliten aller relevanten Leitungsgremien von Wirtschaft, gesellschaftspolitischen 394 Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 30. März bis 6. April 1954 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Band 2 Berlin (Ost) 1954, S. 954, hier zit. nach Niemann, Sekretäre, S. 38. 395 Dokumente der SED, Band V, S. 90–115, hier 107 f. Der Passus geht zurück auf die Beschlussvorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und der Massenorganisationen an das Politbüro des Zentralkomitees vom 13.4.1954, die vom Politbüro verabschiedet wurde. Vgl. den Beschluss über die »Bildung, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Büros der Kreis- und Bezirksleitungen« vom 13.4.1954 (SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/2A/345, Bl. 29–33). 396 Ebd., Bl. 29.

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Organisationen, Legislative, Exekutive und Judikative der Kreise dar. Neben den drei bis fünf hauptamtlichen Parteisekretären397 und den Vorsitzenden der Kreisparteikontrollkommission waren dies: Die Vorsitzenden der Räte der Kreise, die Vorsitzenden der wichtigsten Industriegewerkschaften der Kreise bzw. der Städte als Leiter der organisierten vermeintlichen Arbeiterinteressenvertretung, die Sekretäre der Parteiorganisationen der größten Betriebe der Kreise bzw. leitende Funktionäre aus den wichtigsten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) oder den bestimmenden Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) sowie die Leiter der Kreisdienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bzw. in Ausnahmefällen auch die Leiter der Volkspolizei-Kreisämter (VPKA) als Repräsentanten des Sicherheitsapparates bzw. der Exekutive. Die Kandidaten der Büros der Kreisleitungen waren immer der 1. Kreissekretär der Freien Deutschen Jugend (FDJ) sowie ein bis zwei Sekretäre von Parteiorganisationen wichtiger industrieller Betriebe oder landwirtschaftlicher Einrichtungen im Kreis. Dies hing von den ökonomischen Schwerpunkten in den jeweiligen Kreisen ab. Entsprechend der Struktur der Kreise konnte etwa in Hochschulstädten wie Leipzig und Dresden der leitende Parteisekretär der Universität Kandidat des Büros sein.398 Allein der Kreisstaatsanwalt als Vertreter der Judikative nahm offiziell nicht an den Bürositzungen teil. Dennoch war auch diese staatliche Gewalt – zwar nicht unmittelbar personell, aber dennoch über die Abteilungsstruktur des neuen Parteileitungsgremiums und dessen Verbindung zu der SED-Parteiorganisation beim Kreisgericht in ihrer Parallelität zur staatlich-kommunalen Struktur – direkt an das Büro angebunden. So lässt sich aus der Überlieferung der SED-Grundorganisation beim Rat des Kreises Grimma, Abteilung Staatliche Organe, und der Grundorganisation beim Kreisgericht Grimma rekonstruieren, dass routinemäßig »einmal im Quartal der Kreisstaatsanwalt, der Direktor des Kreisgerichts und der Parteisekretär des Kreisgerichts« Bericht an die Parteileitung zu erstatten hatten und diese Berichte umgehend in der Kreisleitung verwertet werden konnten.399 Von »ad-hoc«-Teilnahmen der Vertreter der Judikative an den Bürositzungen der Kreisleitung ist ebenfalls auszugehen, zumal diese

397 Neben dem 1. Sekretär, der verantwortlich war für die gesamte politische Arbeit sowie die Anleitung der Staatsorgane, und dem 2. Sekretär, dessen Verantwortungsbereich sich vor allem auf die Bereiche Organisation und Kaderarbeit bezog, gab es in den Büros der Kreisleitungen einen Sekretär für Propaganda und Agitation, einen Sekretär für Wirtschaft und/oder einen Sekretär Landwirtschaft bzw. Kultur, je nach Profil des Kreises. Vgl. Geder/Woitinas, Parteiaufbau, S. 26 sowie daran anknüpfend Best/Mestrup, Sekretäre, S. 103. 398 Zur Geschichte der Transformation der Universität Leipzig nach 1945 unter den Rahmenbedingungen der SBZ/DDR vgl. Heydemann, Sozialistische Transformation, S. 335–565. Zur Geschichte der SED-Parteiorganisation an der Karl-Marx-Universität Leipzig vom Kriegsende bis zum Mauerbau vgl. Pohlmann, Parteiorganisation an der Universität. 399 Vgl. die Informationsberichte der Parteiorganisation der SED beim Rat des Kreises Grimma von 1953–1961 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/7/78/2).

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ab Ende der 1950er-Jahre mit der Einrichtung von »Sicherheitsbesprechungen beim 1. Sekretär der Kreisleitung« schließlich auch offiziell bei den Bürositzungen mit am Tisch saßen.400 Die »Binnenrealität kommunaler Politik« lief fortan ausschließlich über die neuen Büros der Kreisleitungen der SED.401 Diese »Organe der kollektiven Führung« wurden 1954 zu Herrschaftsgremien entwickelt, die als »Verbund aller Akteure im Rahmen der geforderten und geförderten Gewaltenkonzentration« wirkten und das politische »Monopol« für potenziell unbeschränkte institutionelle Handlungsspielräume im Kreis inne hatten.402 Innerhalb der Büros stellten dann die hauptamtlichen Sekretäre einen »engeren Führungszirkel« dar, der jedoch, im Gegensatz zu den Büros der Bezirksleitungen, in den Kreisleitungen der Partei nicht noch eigens unter der Bezeichnung des »Kleinen Sekretariates« zusammengefasst gewesen ist.403 Im Wesentlichen blieb die Besetzung der Büros der Kreisleitungen bis zum Beginn der 1960er-Jahre in dieser Form erhalten. Im Jahr 1958 stießen im Anschluss an die Bildung der territorialen Wirtschaftsräte, die im Zuge der Umsetzung des »Gesetzes über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates der DDR« unter dem Dach der Räte der Kreise gebildet worden waren,404 zunächst deren Vorsitzende zu den Büros der Kreisleitungen hinzu.405 Ab 1960 wurde dann stattdessen der Vorsitzende der Kreisplankommission als ständiges Mitglied in das Machtzentrum der Kreisleitung integriert.406

400 Informationsschreiben des Amtsleiters des VPKA Delitzsch an Stellvertreter Operativ der Bezirksbehörde der Volkspolizei Leipzig vom 17.3.1960 (StAL, SED-BPA Leipzig Akte 24/197, unpaginiert). 401 Neckel, Lokales Staatsorgan, S. 261. 402 Lüdtke, 17. Juni 1953, S. 261 f. 403 Kotsch, Land Brandenburg, S. 155. Vgl. Strukturplan und Kaderspiegel der SED-Kreisleitung Altenburg im Anhang unter 7.1. a und b). 404 Dass die Institutionen in den Kreisen die Umstrukturierung des »Staatsapparates« größtenteils begrüßten und die im Gesetzestext geforderte gesteigerte »politische« Aufgabe ihrer Einrichtungen sehr ernst nahmen, geht aus einem Schreiben des Kreisgerichtes Delitzsch an die SED-Kreisleitung von 1958 hervor. Vgl. Informationsschreibung, undatiert (StAL, SED-BPA Leipzig IV/4/4/105, Bl. 27 ff.). Das vollständige Gesetz ist abgedruckt in Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, 11.2.1958. 405 Zur Rolle und Funktion der Vorsitzenden der Wirtschaftsräte auf regionaler Ebene am Beispiel des Bezirkes Chemnitz/Karl-Marx-Stadt vgl. Scheller, Regionale Staatsmacht, S. 346–367. Vgl. auch die »Direktive zur Vereinfachung der Struktur der Apparate der Kreisleitungen« vom 2.11.1957 (SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3A/589, Bl. 40–49). 406 In den Abteilungsstrukturen der Kreisleitungen gab es nach 1954 eine Reihe von Detailveränderungen, die jedoch kaum Einfluss auf die Funktionsweise des Führungsgremiums hatten. Auch die Anzahl der politischen Mitarbeiter nahm bis in die 1960er-Jahre noch geringfügig zu. Vgl. im Detail Geder/Woitinas, Parteiaufbau sowie Best/Mestrup, Sekretäre, S. 99–131.

Reform und Restauration

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5. Reform und Restauration: Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip und deren Scheitern in den sächsischen Kreisparteiorganisationen (1963−1971) 5.1 Rahmenbedingungen im Vorfeld des NÖSPL

Anfang der 1960er-Jahre befand sich die DDR in einer tiefen ökonomischen, sozialen und politischen »Bestandskrise«.407 Unmittelbar nach dem V. Parteitag der SED im Juli 1958, auf dem die SED-Führung das Ziel des forcierten Aufbaus des Sozialismus ausgab und die Entwicklung der Ökonomie zur »Hauptaufgabe«408 ausrief, besonders auch um im deutsch-deutschen Vergleich bis 1961 die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch aller wichtigen Lebensmittel und Konsumgüter zu überholen, schien es noch so, als ob ein entsprechendes politisch induziertes Wachstum und die damit verbundenen Verbrauchssteigerungen tatsächlich möglich seien. Einen weiteren Impuls zu den euphorischen Wachstumserwartungen der Parteispitze brachte der 1959 verabschiedete Siebenjahrplan mit sich, anhand dessen die DDR zu einem »großen Sprung«409 in der Entwicklung ihrer Volkswirtschaft ansetzen wollte. Trotz eines durch die wirtschaftspolitischen Anstrengungen des SED-Regimes erreichten kurzfristigen Wachstumsschubes der DDR-Volkswirtschaft und der damit einhergehenden Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung wurde eines bald deutlich: Die Investitionen reichten »im Vergleich zur Bundesrepublik und auch zu den anderen Ostblockländern« 410 nicht aus, um die ambitionierten Wettbewerbsziele zu erreichen. Als dann im selben Jahr die Parteispitze der SED die »Kollektivierung der Landwirtschaft erneut forcierte und im April 1960 zum Abschluss brachte«,411 zeigte sich der Preis, den die Planer um Walter Ulbricht zu zahlen hatten: Die wirtschaftspolitischen (Repressions-)Maßnahmen bewirkten einen massiven

407 So die Einschätzung des Soziologen M. Rainer Lepsius in einem Gespräch mit dem ehemaligen persönlichen Referenten von Günter Mittag, Claus Krömke, in Berlin am 18.10.1993. Das gesamte Protokoll ist als Interview mit dem Titel: »Innovationen – Nur gegen den Plan« abgedruckt in Pirker, Plan als Befehl, S. 37. 408 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 10. bis 16. Juli 1958, Berlin (Ost) 1959, S. 68. 409 Herbst/Stephan/Winkler, SED, S. 1153. 410 Steiner, Plan, S. 125. 411 Heydemann, Innenpolitik, S. 20. Erster »vollgenossenschaftlicher Kreis« in der gesamten DDR, d. h. ein Kreis, in dem durch massiven Einsatz von politischem Druck und staatlicher Gewalt die vollständige Enteignung der Bauern in der Landwirtschaft erreicht wurde, war der im Bezirk Leipzig gelegene Kreis Eilenburg. Vgl. das Dokument »1 Jahr vollgenossenschaftlicher Kreis Eilenburg« vom 12.12.1960 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/2/4/353, Bl. 211). Zur Kollektivierung der Landwirtschaft vgl. auch die Regionalstudie von Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft sowie Schöne, Frühling auf dem Lande.

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Legitimitätsverlust der Parteiführung und bedeuteten ein gesellschaftspolitisches Desaster für die SED. Die ab der ersten Hälfte des Jahres 1960 – nach einem kurzzeitigen Rückgang im Jahr 1959 – wieder in die Höhe schnellenden »Republikfluchten«412 waren ein deutliches Zeichen. Die zentralistisch gesteuerten ordnungspolitischen Übermächtigungen hatten das Limit dessen erreicht, was gesellschaftspolitisch – auch unter den Bedingungen der durch die Sowjetunion militärisch stabilisierten Diktatur – noch zu rechtfertigen und bei offener innerdeutscher Grenze auch wirtschaftlich noch zu tragen war, ohne das Regime zu destabilisieren. Aus einem Schreiben der für die »Republikfluchten« zuständigen Abteilung bei der SED-Bezirksleitung Leipzig an das Büro der Bezirksleitung geht hervor, dass allein aus dem Bezirk Leipzig »in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1960 14 422 und im Januar 1961 1 448 Personen« die DDR gen Westen verlassen hatten. Im Zeitraum vom Januar bis Dezember 1959 waren es noch insgesamt 4 721 Personen weniger gewesen.413 Unter den Republikflüchtigen des Leipziger Bezirks befand sich sowohl ein »erheblicher Teil von Facharbeitern«, als auch eine hohe Zahl von Nachwuchskräften aus dem für die weitere ökonomische Entwicklung und die Verwirklichung der Modernisierungsvorstellungen des Siebenjahrplans wichtigen akademischen Milieu der Nachwuchskräfte der Hoch- und Fachschulen. Diese Gruppe belegte nach den erwähnten Facharbeitern und den Angestellten den dritten Platz in der Statistik des Leipziger Bezirks.414 Diese Zahlen verdeutlichen, dass »das Experiment, diesen Sozialismus in einem halben Lande aufzubauen«, bereits gut zehn Jahre nach der Gründung der DDR zu scheitern drohte.415 Die Wucht der »Fluchtwelle von Ärzten und hochqualifizierten Teilen der Bevölkerung«,416 die sich dem sich parallel in der BRD vollziehenden wirtschaftlichen Aufschwung und dem offenen Gesellschaftsmodell nicht mehr länger entziehen wollten, ließ auch die Parteispitze spüren: »Irgendwie lag in der Luft, dass etwas geschehen muss.«417 Dieses Geschehnis war dann der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 und die gewaltsame Abriegelung der Grenze zu Westdeutschland. Die DDR-Führung reagierte damit auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemstellungen – ihrer systemimmanenten Logik folgend – mit einer repressiven politischen Maßnahme. Die seit 1961 mit Staatsgewalt durchgesetzte »Abschottungspolitik« des rigidesten Grenzregimes aller Staaten des Ostblocks, dessen »menschenrechtswidriger Charakter« bis zum Jahr 412 Informationsbericht der Abteilung Org.-Kader an das Büro der SED-Bezirksleitung Leipzig »über die Entwicklung der Republikfluchten in der Zeit vom 1.1.1960 bis 31.1.1961« vom 7.2.1961 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/2/12/593, Bl. 57 f.). 413 Ebd. 414 Ebd., Bl. 59. 415 Staritz, Geschichte der DDR, S. 147. 416 So Claus Körmke in Pirker, Plan als Befehl, S. 37. 417 Ebd.

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1989 Bestand haben sollte, forderte allein an der sächsischen Grenze neuesten Untersuchungen zufolge 21 Todesopfer.418 Ganz anders als zur Zeit des Volksaufstandes im Jahr 1953 – der ersten legitimatorischen Bankrotterklärung des SED-Regimes, als sich Staat und Partei in der misslichen Lage befanden, strategisch »den Geschehnissen plötzlich ›hinterherzuhinken‹«419 – hatte die Parteiführung beim Mauerbau umfangreiche Vorbereitungen treffen können, um zunächst die Partei und im Anschluss auch die Bevölkerung propagandistisch auf die bevorstehenden Entwicklungen einzustimmen. Durch die eigens ins Leben gerufenen »Bezirkskommissionen zum Schutze der Bürger der DDR und der Unterbindung des Menschenhandels« wurden streng vertrauliche Argumentationen gegen die »Bonner Kopfjäger« in die unteren Parteigliederungen getragen. Es wurde verkündet, dass sich »der deutsche Imperialismus […] in seinem Hass gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR und zur Vorbereitung einer Aggression gegen die sozialistischen Staaten vor allem auch der barbarischen Methode des Menschenhandels« bediene.420 Nach den Ausführungen Walter Ulbrichts über die zunächst geplanten Einschränkungen des freien Reiseverkehrs zwischen der DDR/Ostberlin und der BRD/Westberlin und zur »Unterbindung des Grenzgängerunwesens« wurden in außerordentlichen Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen der SED in den Kreisen »die Argumentationen der Bezirksleitung vorgelesen und weitere Erläuterungen dazu gegeben, zum Teil anhand örtlicher Erfahrungen«.421 Die Informationsberichte des Parteiapparates gaben ausschließlich die affirmativen Haltungen der einfachen Parteimitglieder an die übergeordneten Leitungsebenen der SED wieder. »Genosse Wolf« von der LPG Großwig/Torgau etwa wurde wie folgt zitiert: »Ich begrüße die Maßnahmen sehr. Wir haben im Westen zwar auch Verwandte, doch wenn sie uns sehen wollen, kommen sie in die DDR.«422 Aussagen wie diese waren sicherlich mehr Teil des parteiinternen Kommunikationsrituals in Form der »Autosuggestion«423 des Apparates als objektive Wiedergabe der Stimmung in der Bevölkerung. Dass die Willensäußerungen der Bevölkerung für die Entscheidungen der SED ohnehin kaum handlungsleitende Bedeutung hatten, wurde mit dem Schritt zur »geschlossenen« DDR nach dem 418 Gülzau, Grenzopfer, S. 5. Zur Thematik in Bezug auf das gesamte Staatsgebiet der DDR siehe besonders Hertle/Sälter, DDR-Grenzregime, S. 667–676. 419 Diesener, Knotenpunkte der DDR-Geschichte, S. 277. 420 Argumentation der Leipziger Bezirkskommission zum Schutze der Bürger der DDR und der Unterbindung des Menschenhandels zum internen Parteigebrauch vom 5.8.1961 (StAL, SEDBPA Leipzig IV/2/12/594, Bl. 1). 421 Informationsbericht über die »Durchführung der außerordentlichen Mitgliederversammlungen zu den Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Bürger der DDR gegen den Menschenhandel« vom 9.8.1961 (ebd., Bl. 2 f.). 422 Ebd. 423 Jessen, Kommunikative Praxis, S. 73.

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13. August klar. Die Parteiführung zeigte sich nun umso entschlossener, den innerhalb ihres Herrschaftsbereichs »im halben Lande« entstandenen maximalen politischen Gestaltungsspielraum rigoros auszunutzen. Die Gefahr massenhafter Abwanderung hatte sie ja nun nicht mehr länger zu fürchten. Doch trotz des verkündeten Sieges der »sozialistischen Produktionsverhältnisse« und der Parole der »Störfreimachung«424 blieb die Bundesrepublik mit ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit die zentrale Referenzfolie. Die DDR sah sich umso mehr gezwungen, nicht nur ihr Sicherheitsregime auszubauen, sondern gerade auch ihre Wirtschaft einer »umfassenden Modernisierung«425 zu unterziehen, um im Systemwettstreit nicht völlig abgeschnitten zu werden. Ein weiteres Stagnieren der ökonomischen Entwicklung hätte auch ein Erodieren einer weiteren wichtigen Legitimationsressource der Partei bedeutet. Seit Ende der 1950er- und die gesamten 1960er-Jahre hindurch war von der SED nach der antifaschistischen Meistererzählung verstärkt auf die Verheißungen einer spezifisch »technokratischen Wissenschafts- und Planungsgläubigkeit«426 in Verbindung mit ökonomischem Wachstumsstreben als Legitimationsquelle gesetzt worden. Die umfassende Modernisierung und Produktivitätssteigerung sollte mit dem »Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft« (NÖSPL) erreicht werden.427 Erste Impulse zur inhaltlichen Ausgestaltung dieses Reformkonzepts kamen aus der Sowjetunion, wo bereits 1962 von dem Wirtschaftswissenschaftler Liberman angestoßene Innovationsstrategien für die effizientere Lenkung der Industriebetriebe entwickelt und breit diskutiert, aber dann letztlich von der Parteispitze verworfen worden waren.428 Die bestimmenden Leitlinien des Konzepts bildeten einmal das Zugestehen größerer Eigenverantwortlichkeit für die Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und für die ihnen unterstellten Betriebe durch die Änderung der Pläne, die nicht mehr jedes Detail vorgaben, sondern sich nunmehr »auf wichtige Eckdaten und mittelfristige Vorgaben zu konzentrieren« hatten.429 Daneben verschob sich der zentrale Fluchtpunkt und Leistungsmaßstab der Betriebe von der bis dato zentralen Bruttoproduktion hin zur Gewinnerwirtschaftung. Dazu musste die »Arbeitsproduktivität auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes, der Rationalisierung, Spezialisierung, Konzentrierung und Kombinierung der Produktion […] stetig und ständig gesteigert werden«.430 Dass die SED-Führung bei 424 425 426 427 428 429 430

Lindenberger, Staatsgewalt, S. 160. Vgl. außerdem Steiner, Spiel der Kräfte, S. 46. Steiner, Plan, S. 139. Sabrow, Macht und Herrschaft, S. 41. Vgl. hierzu besonders Steiner, Plan, S. 146–151. Vgl. dazu und zum »Reformpaket der sechziger Jahre« Malycha, Geschichte der SED, S. 170 ff. Steiner, Plan, S. 149. Referat von Hans Wetzel, 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig bei der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretären der Kreisleitungen im Kultursaal der Bezirksleitung am 26.6.1963 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/2/3/169, Bl. 10).

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der Umsetzung der Reform dennoch nicht darüber hinauskam, marktwirtschaftliche Mechanismen »zu simulieren, ohne die Grundlagen einer Marktwirtschaft einzuführen«, sollte sich im Laufe der Umsetzung der Reformbemühungen zeigen. An der »Dominanz des Volkseigentums« und besonders an der Prärogative der Partei sollte auch im Rahmen des NÖSPL nicht gerührt werden.431 5.2 Neue Führungsinstanzen der SED-Kreisleitungen: Büros für Industrie und Bauwesen bzw. Landwirtschaft und Ideologische Kommissionen

Folgerichtig wurden im ZK der SED, den Bezirksleitungen und den Kreisleitungen der SED im Jahr 1963 tiefgreifende strukturelle Veränderungen vorgenommen, um die Leitung und Kontrolle von Wirtschaft und Gesellschaft durch die SED trotz der im NÖSPL verankerten Liberalisierungsmaßnahmen auch weiterhin sicherstellen zu können.432 Das Politbüro legte im Anschluss an die wirtschaftspolitische Stoßrichtung des VI. Parteitages der SED am 26. Februar 1963 mit dem »Beschluss zur Organisierung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip« das ambitionierteste Modernisierungskonzept seit dem Bestehen der SED auf. Das Ziel war nun darauf ausgerichtet, zur »produktionsmäßigen Leitung der Industrie und Landwirtschaft durch die Partei überzugehen«.433 Das Leitmotiv des Beschlusses klang – im Gegensatz zur utopischen Zukunftsvorstellung des Kommunismus, in der der Markt und dessen wirtschaftliche Mechanismen ebenso wie der Staat einmal überflüssig werden sollten – bis auf den ersten Punkt des folgenden Zitats nahezu wie aus einem kapitalistischen Lehrstück: »Maßstab der Parteiarbeit«, so die Formulierung in einem Schreiben des ZK an die Kreisleitungen der SED, »ist die Erfüllung des Volkswirtschaftsplans, die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten und die Erreichung der höchsten Qualität der Erzeugnisse.«434 Um diesen Maßstab zu erreichen, wurden analog zu den Strukturveränderungen beim ZK und den Bezirksleitungen in den Kreisleitungen für die einzelnen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Felder spezifische Büros und Kommissionen eingesetzt, die nach dem Grundsatz des »Produktionsprinzips«, also nicht mehr nach territorial-räumlichen Kriterien, 431 Steiner, Plan, S. 149. 432 Zu den organisatorischen Veränderungen im Parteiapparat mit dem Schwerpunkt auf der Zentralen Ebene sowie den Bezirksleitungen in den 1960er-Jahren vgl. Kaiser, Machtwechsel, S. 41–55. Speziell zu den Bezirksleitungen in dieser Zeit siehe auch Niemann, Sekretäre, S. 40–43. Zu den thüringischen SED-Kreisleitungen in den 1960er-Jahren siehe ferner Best/ Mestrup, Sekretäre, S. 132–166 sowie Göttlicher, SED vom VI. bis IX. Parteitag, S. 368–375. 433 Schreiben des ZK der SED an die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen mit dem Beschluss des Politbüros des ZK über die Leitung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 1). 434 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (ebd., Bl. 38).

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sondern nach inhaltlich-sachlichen Kriterien verschiedener Ressorts aufgeteilt und geordnet waren. Im Einzelnen handelte es sich um das Büro für Industrie und Bauwesen, das Büro für Landwirtschaft, die Ideologische Kommission, die Westkommission, die Frauenkommission und die Kommission für Jugend und Sport.435 Als für die Umsetzung der wirtschaftspolitischen Planvorgaben wichtigsten neuen Gremien fungierten das Büro für Industrie und Bauwesen sowie das Büro für Landwirtschaft. Je nach ökonomischer Struktur hatten die einzelnen Kreisleitungen eigenständig zu entscheiden, ob und welches der beiden als Kernstücke der Parteireform zu verstehenden Gremien jeweils eingerichtet werden sollte. Die Parteiführung zielte darauf ab, so war es in dem Beschluss kommuniziert worden, ihren Apparat in den Kreisen möglichst funktional und effektiv zu strukturieren. In Kreisen mit »überwiegendem Industriecharakter« war dementsprechend nur ein Büro für Industrie- und Bauwesen einzurichten und auf ein Büro für Landwirtschaft zu verzichten, in »ausgesprochen landwirtschaftlichen Kreisen« galt dasselbe in Bezug auf ein Büro für Industrie und Bauwesen. In Kreisen mit gemischter Struktur wurde den Kreisleitungen vom ZK »empfohlen«, jeweils ein Büro für Industrie und Bauwesen und ein Büro für Landwirtschaft einzurichten.436 Die Binnendifferenzierung der Kreisparteistrukturen sollte sich sogar über die Kreisgrenzen hinweg ausdehnen. In landwirtschaftlichen Produktionsgebieten, die »sich über den Raum mehrerer Kreise erstrecken«, sollte das Büro für Landwirtschaft gar aus dem Gebäude der Kreisleitung ausgelagert werden und seinen »Sitz im Schwerpunkt des Gebietes, wo auch der Landwirtschaftsrat seinen Sitz hatte« installieren.437 In dieser hier auch räumlich unmittelbar greifbaren Form der partiellen Dezentralisierung des Parteiapparates wird am stärksten deutlich, mit welch großem Reformanspruch die Planer um Walter Ulbricht den Umstrukturierungsprozess angegangen waren. 5.3 Abstimmungsprobleme und Kritik der neuen Leitungsstrukturen

Doch bereits in der Frühphase der anvisierten Implementierung neuer Parteistrukturen, die der Leitung nach dem Produktionsprinzip folgten, zeigte sich die große Verunsicherung der lokalen Apparate bei der Umsetzung des Reformanspruchs in die Praxis. Organisationspolitischer Eigensinn – von Beginn an innerhalb der Partei unterdrückt und mit dem demokratischen Zentralismus sowohl theoretisch als auch faktisch in den Statuten abgeschafft – hätte dazugehört, um das für die Wirtschaft vorgegebene Modernisierungstempo auch innerhalb der Parteiorganisationen der Kreise mitgehen zu können. Dies jedoch stellte sich auf 435 Ebd., Bl. 5 f. 436 Ebd. Bl. 6. 437 Ebd. Bl. 3.

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Kreisebene faktisch nicht ein: »Es gibt nicht wenige«, so berichtete der in der Bezirksleitung Leipzig für den Bereich Organisation und Kader zuständige Sekretär Hans Wetzel, »die schon jetzt von diesem System [dem NÖSPL, T. P.] reden, es im Munde führen. Nimmst Du aber einen und fragst ihn, dass er erläutern soll, worin die Methode, die Grundsätze und Merkmale bestehen usw., steht nichts dahinter. Ich sage das jetzt nicht im Sinne einer Kritik«, so Wetzel weiter, »sondern es zeigt uns, dass wir jetzt in die Probleme tiefer eindringen müssen«.438 Die Kreissekretariate und deren Sekretäre waren von der Parteireform schlichtweg überfordert. Ein Indiz dafür ist die geringe Zahl der Kreisparteiorganisationen in den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig, deren Kreisleitungen die in den Beschlüssen eingeforderte Differenzierung der Organisationsformen nach Büros in Verbindung mit den jeweiligen Strukturschwerpunkten der Kreise eingeleitet haben. Von 15 Kreisleitungen im Dresdner Bezirk konnten nur Großenhain und Kamenz, von 13 Kreisleitungen im Bezirk Leipzig nur Geithain und Leipzig-Land sowie im Bezirk Karl-Marx-Stadt nur ZwickauStadt und Zwickau-Land sowie der Kreis Hohenstein-Ernstthal diesbezüglich Vollzug melden. Alle übrigen Kreisleitungen entschieden sich vorsichtshalber, eine »Normalverteilung« vorzunehmen, da sie damit kein größeres Risiko eingingen – war doch in jedem Kreis ein zumindest geringer Teil Industrie als auch Landwirtschaft vorhanden – sowohl ein Büro für Industrie und Bauwesen als auch eines für Landwirtschaft einzurichten.439 Die in nahezu allen Kreisen eingerichteten Büros trugen »in ihrer Tätigkeit die volle Verantwortung für die Durchführung der Beschlüsse des ZK auf dem Gebiet der Industrie und Landwirtschaft gegenüber der Kreisleitung und dem Sekretariat«.440 Die damit einhergehende Abnahme von Entscheidungsbefugnissen und unmittelbaren Anleitungsmöglichkeiten der Sekretariate wurde zwar insofern gemindert, als dass die Büros »unter der Leitung eines Sekretärs der Kreisleitung« und eines ihm zur Seite stehenden Stellvertreters aus der Mitte der Kreisleitung standen,441 die im Bedarfsfall das Sekretariat der Kreisleitung umgehend unterrichten konnten. Dennoch, trotz der Besetzung der Führungspositionen der Büros mit Sekretariatsmitgliedern, wurden die Einflussmöglichkeiten der Sekretariate als Führungsgremien und der 1. Kreissekretäre als deren Verantwortliche abgeschwächt. Sie verloren mit der Einrichtung der viele Funktionen an sich 438 Referat von Hans Wetzel, 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig bei der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretären der Kreisleitungen im Kultursaal der Bezirksleitung, 26.6.1963 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/2/3/169, Bl. 14). 439 Anlage Nr. 9 zum Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED vom 20.3.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3/871, Bl. 62 ff.; Bl. 100 ff.; Bl. 168 ff.). 440 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 4). 441 Ebd.

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ziehenden Büros den direkten Zugang zu Entscheidungsprozessen in der alltäglichen politischen Herrschaftspraxis.442 Die personelle Besetzung der Büros hatte nach den Vorstellungen des Politbüros des ZK der SED so zu erfolgen, dass sie »in die Lage versetzt werden, die ökonomischen, politischen und kulturellen Aufgaben in ihrem Bereich zu lösen«.443 Diese Aufgabenbeschreibung steht als ein weiteres Indiz für zwei verschiedene Phänomene der Parteireform. Zum einen belegt sie die strukturell zunehmende Eigenständigkeit der Büros, die Emanzipation vom Sekretariat als besonders für die politische Führung verantwortliches »Organ«, zum anderen aber auch ein wesentliches Problem, mit dem die neu geschaffenen Gremien zu kämpfen hatten: Der ursprüngliche Anspruch, mit den Büros besonders auf wirtschaftlichem Gebiet versierte und professionelle fachkompetente Gremien zu generieren, die zuallererst Rationalitäts- und Effizienzkriterien für ihr Handeln als »Maßstab« heranzogen, wurde bereits in deren Gründungsdokument aufgeweicht. Dessen dehnbar formulierte Aufgabenschwerpunkte konnten je nach politischer Interessiertheit der Büros verschieden ausgelegt werden.444 Die aus neun bis elf Mitgliedern bestehenden Büros, deren Funktionäre durch die gewählte Kreisleitung berufen wurden, jedoch nicht notwendigerweise Mitglieder des gewählten Organs sein mussten, sollten durch diese Integration »ehrenamtlicher Kräfte« ihren hauptamtlichen Mitarbeiterstab verkleinern und rationalisieren und sich als Gremium dennoch zugleich personell-fachlich professionalisieren, um die von der Partei vorgegebenen Schwerpunktaufgaben der Ressorts realisieren zu können. Diese personalpolitische Leitlinie entsprach der auf dem VI. Parteitag getroffenen und von der Abteilung Parteiorgane kurze Zeit später ausgearbeiteten Festlegung, dass die Besetzung verantwortungsvoller Positionen im Parteiapparat »mit politisch und fachlich hoch gebildeten Menschen« erfolgen solle.445 Das dies eher politischem Wunschdenken als der Realität geschuldet war, lässt sich anhand der Bildungsabschlüsse der 1. Kreissekretäre 442 Schon Ludz konstatierte, die Besetzung der Führungspositionen habe die organisatorische Selbstständigkeit der Büros »zum Teil wieder neutralisiert«. In der Alltagspraxis dürfte die Dezentralisierung in den Kreisleitungen dennoch zu einem verstärkten »Eigenleben« der Büros und Kommissionen geführt haben. Vgl. Ludz, Parteielite im Wandel, S. 78. 443 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 4). 444 Ludz sah in diesem Faktum ein Spiegelbild des Gegensatzes der von ihm in der Parteiführung vermuteten und für die Konzeption der Reform verantwortlichen verschiedenen politischen Lager, die er mit den umstrittenen Begriffen der »institutionalisierten Gegenelite« und der »strategischen Clique« versah. Vgl. Ludz, Parteielite im Wandel, S. 79 f. Zur Kritik des Phänomens einer an die Macht gelangten Gegenelite im ZK vgl. zuletzt Gieseke, Modernisierungstheorie, S. 112. 445 So lautete es in dem Schreiben »Richtlinien für die Arbeit mit der Nomenklatur der SEDBezirksleitung« der Abteilung Org./Kader der SED-Bezirksleitung vom 30.5.1963 (StAL, SEDBPA Leipzig IV/A/2/11/403, Bl. 1).

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als Leiter der Büros klar belegen. Zwar stiegen im Laufe der 1960er-Jahre die nachträglichen Bildungsabschlüsse vieler Funktionäre, von fachlicher Professionalisierung lässt sich dennoch kaum sprechen.446 Diese Schwerpunktaufgaben sollten darin bestehen, »die Tätigkeit der Genossen in den staatlichen Organen des Kreises, deren Parteiorganisationen in der Industrie bzw. in der Landwirtschaft, einschließlich der Grundorganisationen aller Einrichtungen der Volksbildung und Kultur sowie der wissenschaftlichen Institute auf ihrem Gebiet« in ihrem Handeln zu instruieren und zu kontrollieren.447 Mit der zusätzlichen Verantwortung für die »Entwicklung einer wirkungsvollen Produktionspropaganda, Agitationsarbeit sowie […] der Förderung und Entwicklung der Kader«, wie es in dem Aufgabenprofil hieß,448 war die Überfrachtung der Büros der Kreisleitungen komplett. In der Praxis konnte ein Modell mit einer solchen Masse an umverteilten und verdichteten Aufgabengebieten kaum funktionieren. Besonders die Profilüberschneidung der Büros im Bereich der politischen Handlungsfelder Agitation und Propaganda mit der neu eingerichteten Ideologischen Kommission barg große Schwierigkeiten und stellte eine »Konkurrenzsituation«449 dar, die zu großen Schwierigkeiten in der Parteiarbeit der SED auf Kreisebene führte. Schon zur Besetzung der Ideologischen Kommissionen hatte das ZK nur äußerst rudimentäre Vorgaben gemacht. Sie sollten, wie es hieß, »unter der Leitung eines Sekretärs der Kreisleitung« stehen, dem ein Stellvertreter »zur Seite steht«.450 Für die Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig waren dies in der Regel die vorigen Sekretäre für Agitation und Propaganda, es sei denn, es kam zu einer Neubesetzung. Dann rückten jedoch ebenfalls mit der Materie vertraute Parteifunktionäre zumeist aus dem Sektor Parteischulung oder Volksbildung auf die neuen Posten nach.451 446 Vgl. Kapitel V 3. 447 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 4). 448 Ebd. 449 Ludz, Parteielite im Wandel, S. 81. 450 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 5). 451 Vgl. etwa für den Bezirk Dresden die Kreisleitung Kamenz, in der Günther Richter als vorheriger Instrukteur der Abteilung Volksbildung der Bezirksleitung Dresden die Leitung der Ideologischen Kommission übernahm. Bis auf die weiteren Kreisleitungen Bautzen und Sebnitz, in denen der vorige Bürgermeister der Stadt bzw. der vorige Sektorenleiter Kultur der Bezirksleitung der SED Dresden auf die Posten der Leiter der Ideologischen Kommissionen wechselten, wurde im Bezirk diese Position ausschließlich mit den vorigen Sekretären für Agitation und Propaganda besetzt. Vgl. zum Bezirk Dresden sowie auch zu den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Leipzig die Vorlagen der Abteilung Parteiorgane an das Sekretariat des ZK der SED vom 14.3.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/942, unpaginiert).

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Die Profilüberschneidungen der Ideologischen Kommission mit den Büros wurden früh und offen von den hauptamtlichen Funktionären kritisiert. Gerhard Imm, Sekretär für Organisation und Kader in Leipzig, mahnte kurz nach der Einführung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip: »Wir müssen aufpassen, dass es zu einer strikten Abgrenzung der Verantwortungsbereiche kommt. Zurzeit ist es doch noch so, da geht in bestimmten Beziehungen doch noch etwas durcheinander.«452 Vage Zuständigkeitsbeschreibungen waren nach 1946 innerhalb des Parteiapparates zwar als »traditionelles Herrschaftsmittel«453 gezielt eingesetzt worden, um den übergeordneten Parteigremien den Eingriff in die untergeordneten Ebenen zu ermöglichen.454 Hier zeugte dieses Phänomen jedoch sicherlich mehr von einer ineffizienten Konzeption der Organisationsstrukturen für die neuen Parteieinheiten als von intendierter Herrschaftsmethodik. Über den Büros und Kommissionen stand hierarchisch zwar noch immer das einmal wöchentlich zusammentretende Sekretariat der Kreisleitung, das zwischen den Tagungen der Kreisleitung die »Gesamtheit der politischen Arbeit« leiten sollte. Es blieb weiterhin für die »Durchführung der Beschlüsse« des ZK und der Bezirksleitung politisch verantwortlich. Jedoch befasste sich das Führungsgremium in der Arbeitspraxis wesentlich weniger mit Entscheidungen über Sachfragen der verschiedenen Ressorts. Vom ZK war festgelegt worden, dass die Sekretariate fortan nur noch die »grundsätzlichen Fragen« zu behandeln hatten. Die Hauptaufgabe der Sekretariate der Kreisleitungen sollte darin bestehen, als Koordinationsgremium455 die Büros und Kommissionen bei der »Durchführung wichtiger Aufgaben« anzuleiten.456 Die bis Februar 1963 noch vorhandene Organisationsstruktur mit den Sekretariaten und an deren Spitze den personell erweiterten Büros der Kreisleitungen, von welchen das letztere im Grunde ein Kontrollgremium aller wesentlichen Funktionseliten der Kreise darstellte, wurde zugunsten des nunmehr nur noch aus den hauptamtlichen Sekretären bestehenden, stark reduzierten Sekretariats aufgegeben.457 Neben den Grundsatzaufgaben waren dem Sekretariat explizit lediglich die Abteilung Organisation und Kader sowie die Mitarbeiter für Sicherheit zugeordnet. Den Kontakt mit den Vorsitzenden der Massenorganisationen und der Staatsorgane hatten die Sekretäre 452 Diskussionsbeitrag von Gerhard Imm, 1. Kreissekretär der Stadtbezirksleitung Leipzig-Südwest, Stenografisches Protokoll der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung Leipzig mit allen Sekretariaten der Kreisleitungen vom 26.6.1963 (StAL, SED-BPA IV/A/2/3/169, Bl. 88). 453 Ludz, Parteielite im Wandel, S. 82. 454 Vgl. Kapitel II 1. 455 Zur Beschreibung des ZK der SED als Koordinations-, Transformations- und Kooperationsgremium vgl. bereits Ludz, Parteielite im Wandel, S. 92 f. 456 Anlage Nr. IX zum Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED mit »Empfehlungen für die Änderung der Arbeitsweise der Kreisleitungen zur Leitung nach dem Produktionsprinzip« vom 26.2.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/869, Bl. 38 ff.). 457 Vgl. den Strukturplan des Sekretariats der SED-Kreisleitung Klingenthal im Anhang unter 7.1. c).

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nur noch »in regelmäßigen Zeitabständen« zu halten. Über die Nationale Front schließlich sollte das Sekretariat systematisch der »führenden Rolle« der Partei bei der politischen Arbeit in den Wohngebieten »gerecht werden«.458 Diese massive Aufgabenreduktion, die Auslagerung wichtiger fachpolitischer Aufgaben in die neuen Büros und Kommissionen und die Schrumpfung des »Leitenden Organs« der Kreisleitungen bedeutete eine Zäsur in der Geschichte der Partei. Aus Sicht der an einen autoritären und hierarchisch klar geordneten Führungsstil gewöhnten 1. Kreissekretäre konnte dies nur schwerlich akzeptiert werden. Für sie war es üblich gewesen, dass nur bei ihnen die Fäden zusammenliefen und sie in allen wichtigen politischen Fragen des Kreises in den Bürositzungen unmittelbare Anleitung geben konnten. Während einer Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretariatsmitgliedern der Kreisleitungen des Bezirks Leipzig im Sommer 1963 gab der 1. Sekretär der Kreisleitung Eilenburg und spätere Minister für Kultur Hans-Joachim Hoffmann einen konkreten Einblick in die Probleme der Kreisleitungen bei der organisatorischen Herrschaftspraxis im Zuge der Parteireform. In einer hitzigen Diskussion dieser versammelten regionalen Spitzenfunktionäre reagierte er als Parteirepräsentant auf die Aussage eines Staatsfunktionärs mit folgenden Worten: »Der 1. Sekretär hat auch allerhand Leute, die er anleiten muss. Früher hatte er im Büro alle zusammen. Da wurde die Richtung gegeben, aber nun, mein lieber Mann aus dem Staatsapparat, gehe ich hin und mache etwas draus. Ganz bestimmte Beschlüsse und Grundsatzfragen stellen wir dem [Mitarbeiter des Staatsapparates, T. P.] schon zu. Aber dem muss ich ja jetzt den ganzen Zusammenhang erläutern, warum ist das gemacht worden. Dann kommt der FDGB-Mann. Ich kann niemals den Ratsvorsitzenden und den FDGB-Mann gleichzeitig anleiten. Das geht einfach nicht mehr […] Dann kommt der Staatsanwalt und der VPKA-Chef.459 Ich spreche gar nicht von der Absprache zwischen den Sekretariatssitzungen. Das heißt, ich bin gezwungen, ganz bestimmte fachliche Probleme gründlich zu studieren, wenn ich heute richtig leiten will. Das heißt, wenn ich mir eingebildet habe, die ganze Geschichte wird dadurch [die Einführung der Leitung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip, T. P.] ein bisschen leichter, muss ich sagen: Bisher habe ich eher voll zu tun, um diese ganzen Dinge, die wir früher zusammen hatten, auf einen einheitlichen Nenner zu bringen. Aber das sind auch Probleme, wie es den 1. Sekretären ums Herz ist. Diese Fragen stehen, und wir tun die ersten zögernden Schritte.«460 458 Speziell dem 1. Sekretär war daneben noch die Arbeit mit den »befreundeten Parteien, die Anleitung des Kreisvorstandes FDGB und die Kreispresse« zugeordnet. 459 Gemeint sind hier die Leiter der Kreisorganisationen des FDGB, des Rates des Kreises (RdK), des der Kreisstaatsanwaltschaft und des Volkspolizeikreisamts. 460 Diskussionsbeitrag von Hans-Joachim Hoffmann, Stenografisches Protokoll der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung Leipzig mit allen Sekretariaten der Kreisleitungen vom 26.6.1963 (StAL, SED-BPA IV/A/2/3/169, Bl. 97 f.). Im Jahr 1988 sollte Hoffmann dann gegenüber Refor-

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Derart offene Kritik an der organisationspolitischen Linie der SED kam in anderen Phasen der Parteigeschichte nur selten vor und macht deutlich, wie umstritten der Umbau des Parteiapparates bei einem Großteil der leitenden Funktionäre war, insbesondere bei den 1. Kreissekretären und deren Stellvertretern. Sie befürchteten die »Verselbstständigung« des fachlichen Personals in den ihrem unmittelbaren Einfluss zunehmend entzogenen Abteilungen der Büros und den staatlichen und gewerkschaftlichen Parallelinstanzen. Das fachlich qualifiziertere Personal war inhaltlich für die Sekretäre kaum noch fassbar: »Jetzt wird alles kompliziert«, 461 rief Hans-Joachim Hoffmann über die den Sekretariaten nun abverlangte Leitungstätigkeit aus. Die gesamte Hierarchie innerhalb der Sekretariate wurde Anfang 1963 derart neu strukturiert, dass es intern wiederholt zu Reibungen und Klärungsbedarf kam. Hans Wetzel, selbst vormaliger 2. Sekretär der Bezirksleitung Leipzig, führte in Bezug auf die Funktion der 2. Kreissekretäre aus: »Die Durchsetzung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip berührt logischerweise den Charakter der Arbeit des 2. Sekretärs. In der alten Art und Weise war der 2. Sekretär für alle Fragen der Stellvertreter des 1. Sekretärs und darüber hinaus verantwortlich für einen bestimmten Aufgabenbereich. D. h. er stand – entschuldigt, wenn man eine solche Stufenleiter einmal gebrauchen will – eine Stufe unter dem 1. Sekretär und eine halbe Stufe höher als die anderen Sekretäre. So sah das aus. Denken wir das Produktionsprinzip ökonomisch zu Ende, heißt das, dass sich das ändern muss. Wenn die Hauptarbeit auf dem Gebiet der Ökonomie geleistet werden muss und diese Tätigkeit in dem Bereich des Büros für Industrie und Bauwesen und Landwirtschaft liegt, dann muss sich auch an dem Charakter der Tätigkeit – wenn Ihr so wollt, an der Rangfolge dieser Sekretäre etwas ändern.«462 Es stieß vielfach auf Unmut, dass diese Änderungen die eingespielten Verhältnisse in den Sekretariaten so stark berührten. Der Ehrgeiz und das Festhalten der Sekretäre an zuvor erarbeitetem Einfluss stellte die Umsetzbarkeit der Reformkonzeption in Frage und verleitete Wetzel zu folgender sarkastischer Situationsbeschreibung: »Das Produktionsprinzip in der Parteiarbeit heißt, logisch zu Ende gedacht, dass es die Funktion des 2. Sekretärs nicht mehr gibt. Also ist er, wenn wir so wollen, mit der heutigen Beratung beerdigt (Heiterkeit) im Bezirk und in den Kreisen. Ihr erlebt also«, so Wetzel weiter, »das Schauspiel, dass er bei seinem men im Rahmen der Perestrojka öffentlich eine wesentlich offenere Haltung demonstrieren, die ihn beinahe das Amt des Ministers für Kultur gekostet hätten. Vgl. Misterek, Polnische Dramatik S. 378. 461 Diskussionsbeitrag von Hans-Joachim Hoffmann, Stenografisches Protokoll der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung Leipzig mit allen Sekretariaten der Kreisleitungen vom 26.6.1963 (StAL, SED-BPA IV/A/2/3/169, Bl. 92). 462 Referat von Hans Wetzel, 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig bei der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretären der Kreisleitungen im Kultursaal der Bezirksleitung, 26.6.1963 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/2/3/169, Bl. 22).

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Begräbnis dabei ist (Heiterkeit) und nicht nur dabei ist, sondern sogar noch die Messe zelebriert (Heiterkeit).«463 In dem Sarkasmus des leitenden Funktionärs zeigte sich eine große Distanz. Die Reaktion der anwesenden »Parteiarbeiter« machte ebenfalls deutliche Abneigung gegenüber den Positionsumverteilungen und Umwertungen im Rahmen der Parteireform deutlich. Die im Anschluss von Wetzel proklamierte Hierarchie, dass nach dem 1. Kreissekretär »von der Bedeutung der Tätigkeit her […] der Sekretär und Leiter des Büros für Industrie und Bauwesen« stehen müsse und »nach ihm […] der Leiter des Büros für Landwirtschaft«, und nach diesem wiederum »der Leiter der Ideologischen Kommission«, berührte ganz unmittelbar Empfindlichkeiten unter den degradierten Sekretären. Diese waren mit der Reform des Jahres 1963 gezwungen, einen Paradigmenwechsel mitzumachen bei dem zum einen innerhalb des Sekretariats die Autorität ihrer Stellung bedroht war und ihnen zum anderen anhand der »fachlich-funktionalen« Ausrichtung der Büros und Kommissionen, in denen »Expertenwissen« vor »Herrschaftswissen« rangieren sollte, Instanzen gegenüber standen, die sich leicht ihrem Einfluss entziehen konnten. Dieser Wandel der Leitungsgrundsätze hin zur überbetont stark am Produktionsprinzip orientierten Parteiausrichtung stellte einen »Einbruch einer fremden Ordnung in die gewachsene Ordnung« der SED dar.464 Die »Dezentralisierung der Macht«465 innerhalb der neuen Parteistrukturen lief den über Jahre hinweg gewachsenen, streng hierarchisch auf die Amtsautorität der Führungsperson hin ausgerichteten zentralistischen Eigenlogiken in der politischen Führungsarbeit diametral entgegen. Daher stießen die Reformen vielerorts auf Ablehnung, war doch das Gegenteil von Eigensinn und Dezentralisierung, der »demokratische Zentralismus«, das Prinzip, das die 1. Kreissekretäre als führende Funktionseliten des Parteiapparates in ihrer Parteikarriere466 verinnerlicht hatten. In den Führungsetagen der Kreissekretariate herrschte deswegen eher Unsicherheit und Skepsis als die ungeteilte Bereitschaft, die von der Parteispitze in Berlin eingeleiteten Reformen engagiert mitzutragen: »Viel von dem, was früher richtig war, was wir richtig gemacht haben und gedacht haben, ist für die neue Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung in der Republik entsprechend der Beschlüsse des Parteitages nicht mehr zuständig [gemeint war wohl »zutreffend«, T. P.].«467

463 464 465 466 467

Ebd., Bl. 23. So bereits Ludz, Parteielite im Wandel, S. 77. Kaiser, Machtwechsel, S. 43. Vgl. Kapitel IV. Diskussionsbeitrag von Wolfgang Nebe bei der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretären der Kreisleitungen im Kultursaal der Bezirksleitung, 26.6.1963 (StAL, SEDBPA Leipzig IV/A/2/3/169, Bl. 77).

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

5.4 Sukzessive Rücknahme der Reformen und Restituierung der Leitungsstrukturen der 1950er-Jahre

Als sich dann im Jahr 1965 zeigte, dass die auf dem ökonomischen Feld erhofften positiven Resultate der Reformen »in Relation zu dem selbst verursachten Erwartungsdruck gering ausfielen, gerieten deren Protagonisten zunehmend unter Rechtfertigungsdruck«.468 Im Politbüro hatte es in Bezug auf die Entscheidung für oder gegen die ökonomische Liberalisierung von Beginn an im Wesentlichen zwei sich gegenüberstehende Positionen gegeben. Für die reformorientierte Richtung standen Walter Ulbricht, Erich Apel, Günter Mittag und Walter Halbritter. Ihnen gegenüber stand nach der Schilderung von Claus Krömke die Gruppe der Bewahrer um Erich Honecker, Willi Stoph und Alfred Neumann, die versuchten, den Öffnungs- und Modernisierungsprozess der Wirtschafts- und Parteistrukturen wieder zurückzunehmen, weil man »erstens alles nur machen wollte, so wie es die Sowjetunion vorgab, und zweitens Furcht hatte, irgendwie die Kontrolle zu verlieren«.469 Bezogen auf den außenpolitischen Rahmen hatte mit der Absetzung von Nikita Chruschtschow Ende 1964 der Reformflügel in der SED einen wichtigen Unterstützer verloren. In der KPdSU wurden umgehend nach Chrustschows Sturz die Büros für Industrie und Landwirtschaft aufgelöst und dessen Reformen zurückgenommen.470 Auch in der SED begann daraufhin ein Prozess des sukzessiven Rückbaus der an den Notwendigkeiten wirtschaftlicher Modernisierung orientierten organisationspolitischen Strukturelemente der Büros und Kommissionen der Kreisleitungen. Am Ende dieses Prozesses stand 1967 die Restituierung der Parteiapparate der Kreisleitungen in der Strukturform, die das Muster traditioneller kommunistisch-leninistischer Leitungspraxis der Jahre vor 1963 neu auflegte. Dies sollte sicherstellen, dass alle staatlichen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Funktionseliten in einem Spitzengremium der örtlichen Parteiorganisation gebündelt sind, um sie unmittelbar politisch anleiten zu können. Im Januar 1965 fasste das Politbüro den ersten Beschluss, der eine Kompetenzbeschneidung der Büros für Industrie und Bauwesen sowie für Landwirtschaft und der Ideologischen Kommissionen bedeutete und den Führungsanspruch der Sekretariate durch die Redelegierung einer Reihe von Zuständigkeiten untermauerte. Die Sekretariate der Kreisleitungen sollten nach dem Willen der

468 Steiner, Spiel der Kräfte, S. 53. 469 So Claus Krömke im Interview. In: Pirker, Plan als Befehl, S. 40. Auch wenn die Begründung von Krömke hier stark verkürzt ist, trifft sie dennoch den zentralen Kern der Auseinandersetzung. Zu analogen Ergebnissen kommen ebenfalls Kaiser, Machtwechsel, S. 45 f., Steiner, Spiel der Kräfte, S. 53 f. sowie Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 202 f. 470 Kaiser, Machtwechsel, S. 49.

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»Traditionalisten« im Politbüro »die von der 7. Tagung des Zentralkomitees geforderte straffe Leitung der politischen und ideologischen Massenarbeit« in die Hand bekommen. Daher war es nach der Diktion des Beschlusses notwendig geworden, »einige organisatorische und strukturelle Veränderungen im Bereich der Abteilungen der Büros« vorzunehmen.471 Am offensichtlichsten erscheint in diesem Zusammenhang die Auflösung verschiedener Abteilungen in den Büros, die nunmehr wieder direkt den Sekretariaten der Kreisleitungen unterstellt waren.472 Darüber hinaus wurden die Parteiapparate in den Großstädten restrukturiert. Im Zuge der Veränderungen der »Leitungen nach dem Produktionsprinzip« waren 1963 die Stadtbezirksleitungen in den Bezirkshauptstädten Dresden, KarlMarx-Stadt und Leipzig sowie jenseits des sächsischen Raumes in den Großstädten Erfurt, Halle und Magdeburg aufgelöst und die meisten Grundorganisationen unmittelbar den SED-Stadtleitungen unterstellt worden. Diese Umstellungen hatten die Stadtleitungen vor organisatorische Probleme gestellt und Reibungen zwischen den Büros und den Sekretariaten verursacht. Durch die Direktanleitung der in den Stadtgebieten befindlichen Grundorganisationen, die Anleitung der Betriebe, deren Aufsicht unter die Regie der Bezirksleitung gestellt war, und die zentral geleiteten »Z-Betriebe« unter dem direkten Einfluss des ZK der SED wurde diese Problematik noch verschärft. Mit der Auflösung der Stadtbezirksleitungen 1963 war zwar, wie der 1. Sekretär der Stadtleitung Leipzig Karl Bauer betonte, »eine gewisse Bürokratie, die sich vorher durch das Bestehen der SBL [Stadtbezirksleitung, T. P.] und Stadtleitung herausgebildet hatte, verschwunden«,473 in der Praxis bereitete der Wegfall den SED-Stadtleitungen jedoch Schwierigkeiten: »Fast zwei Jahrzehnte ist in der Stadt Leipzig nicht anders geleitet worden als durch ein Gremium in der Stadt und der Stadtbezirksleitungen, früher Stadtteile usw.«, betonte Bauer.474 Daher überrascht es kaum, dass die 1. Kreissekretäre die Wiedereinsetzung der Stadtbezirksleitungen in den Großstädten,475 die offiziell in den Sommermonaten des Jahres 1965 vollzogen wurde, einhellig begrüßten. Die Stadtleitungen konnten ihre überfrachteten Arbeitspläne reduzieren und die

471 Anlage Nr. 5 zu den »Maßnahmen, die sich aus den Beschlüssen der 7. Tagung des Zentralkomitees ergeben« im Protokoll der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 12.1.1965 (SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/2/970, Bl. 30). 472 Hier sind besonders die Abteilung Parteiorgane und die Abteilung Ideologische Arbeit zu nennen. Vgl. ebd. Bl. 30 ff. 473 Diskussionsbeitrag Karl Bauer, 1. Sekretär der SED-Stadtleitung Leipzig bei der Beratung des Sekretariats der Bezirksleitung mit allen Sekretären der Kreisleitungen im Kultursaal der Bezirksleitung, 26.6.1963 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/2/3/169, Bl. 110). 474 Ebd. 475 Vgl. zu den Umstrukturierungsabläufen im Zuge der Auflösung der Stadtbezirke für die Stadt Erfurt in Thüringen die anschaulichen Schilderungen bei Best/Mestrup, Sekretäre, S. 142 sowie Lautenschlag, Parteiaufbau, S. 28 f.

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Organisationsentwicklung und parteiinterne Herrschaftsinstitutionalisierung

1. Sekretäre der Stadtbezirksleitungen erlangten wieder die unmittelbarere Kontrolle über ihren angestammten politischen Einflussbereich.476 Die 1. Kreissekretäre der SED und deren Sekretariate avancierten zwischen 1963 und 1967 zu einer der wesentlichsten Instanzen bei der Restauration der alten Parteistrukturen in der Region. Der gegen die Modernisierungsprozesse der Partei im Zuge des NÖSPL arbeitenden Funktionärsgruppe in der SED-Spitze um Erich Honecker gelang mit der Wiederaufwertung der Sekretariate der Kreisleitungen ein wichtiger struktur- und zugleich herrschaftspolitischer Schachzug.477 Mit der Politik der schrittweisen Rezentralisierung politischer Macht in den Sekretariaten der Kreisleitungen der SED sicherten sich die Reformgegner den Rückhalt der regionalen Parteiapparate bei dem Vorhaben, den Reformkurs Walter Ulbrichts sukzessive zu verlassen. Als auf dem VII. Parteitag im April 1967 das neue Parteistatut verabschiedet wurde, fand sich in Punkt 25 der Passus aus dem Jahr 1963 nicht mehr wieder, in dem die Maxime des Produktionsprinzips in der leitenden Parteiarbeit über das Territorialprinzip gestellt und den Leitungen vorgeschrieben worden war, »die Tätigkeit der leitenden Parteiorgane nach dem Produktionsprinzip zu organisieren«.478 Das Reformexperiment innerhalb der SED galt 1967 als gescheitert und die restaurativ eingestellten 1. Kreissekretäre der Kreisparteileitungen der SED hatten daran entscheidenden Anteil. Als Ulbricht in den Jahren 1967 bis 1968 noch einmal ansetzte, auf der staatlichen Ebene mit dem Ökonomischen System des Sozialismus (ÖSS) die Bundesrepublik zu »Überholen, ohne einzuholen«,479 war der Parteiapparat bereits aus dem Rennen ausgestiegen. Es hatte sich zwischen 1963 und 1967 gezeigt, dass die Ambivalenz zwischen dem Machterhaltungsstreben der 1. Kreissekretäre und deren Kreisleitungen einerseits und den Erfordernissen ökonomischen Eigensinns in einer modernen Industriegesellschaft andererseits für die SED als kommunistische Partei nicht zu lösen war. Weil diese »Quadratur des Kreises«480 nicht gelang, wurde schließlich wieder auf das Primat des Machterhalts gesetzt und das Reformprogramm zurückgenommen. Den von den Büros, den Kommissionen und dem Credo der »Leitung nach dem Produktionsprinzip« entledigten neuen Kreisleitungen der SED standen wieder die Sekretariate vor, die über einen 476 Vgl. etwa die Referate der 1. Sekretäre der Stadtbezirksleitungen Leipzig Südost und Leipzig West Hans Stupel und Alfred Gebhardt in den Protokollen der Kreisdelegiertenkonferenzen zur Wieder- bzw. Neuwahl vom 26.6.1965 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/5/6/1, unpaginiert sowie StAL, SED-BPA Leipzig IV/A/5/8/1, unpaginiert). Der Beschluss zur Bildung der zuvor abgeschafften Stadtbezirksleitungen ist verzeichnet im Beschluss des Politbüros vom 12.1.1965 (SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/2/970). 477 Vgl. hierzu und auch zum Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker und die damit einhergehenden Prozesse im ZK und im Politbüro Kaiser, Machtwechsel, 37–56, hier 55. 478 Dokumente der SED, Band IX, S. 311. 479 Vgl. zum ÖSS besonders Steiner, Plan, S. 161–171. 480 Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 202.

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1. und 2. Kreissekretär sowie über die Sekretäre für die verschiedenen Bereiche wie Agitation und Propaganda, Wirtschaft und Landwirtschaft verfügten. Die entsprechenden Abteilungen unterstanden wieder direkt dem Sekretariat. Auch die Praxis, die wichtigsten Funktionsträger der Kreise dauerhaft in die Sekretariate zu integrieren, wurde wieder aufgenommen. Die Vorsitzenden der Räte der Kreise, der Kreisplankommissionen, der Kreislandwirtschaftsräte, der Kreisvorstände des FDGB und die 1. Sekretäre der FDJ-Kreisleitungen saßen wieder aller zwei Wochen im Sekretariat der SED-Kreisleitung zusammen und erhielten die unmittelbare politische Agenda durch die 1. Kreissekretäre.481 Nach dem VII. Parteitag im April 1967 sollten bis zum Ende der Untersuchungszeit 1971 keine Änderungen an den Strukturen der Kreisparteiapparate und deren Sekretariaten mehr vorgenommen werden. Auch in den Jahren bis 1989 wurden auf Kreisebene keine »einschneidenden Entscheidungen« mehr getroffen, die Veränderungen über ein Maß hinaus bedeutet hätten, wie es etwa 1952, 1954 oder auch 1963 zu beobachten war. Mit dem »Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker«482 verband sich eine lange Phase der organisationsstrukturellen Stagnation.

481 Vgl. die »Wahlordnung für die Wahlen der leitenden Parteiorgane, für die Wahlen der Delegierten und den Delegiertenkonferenzen, Parteikonferenzen und zu den Parteitagen.« In: Dokumente der SED, Band XI, S. 172–181, hier 178. 482 Zum Machtwechsel und dessen Vorbereitung am Ende der Ulbricht-Ära vgl. Kaiser, Machtwechsel, S. 370–454.

III. Soziografie der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

Es ging um den Umgang mit Gegensätzen. Nach außen feierte sich die SED mit beinahe »pseudosakralen«1 Gesten, Ritualen und Symbolen als geschlossene Einheit, die im Begriff war, die »Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse« voranzubringen, um so bald wie möglich alle entscheidenden Positionen im »politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben« unter ihre Kontrolle zu bringen.2 Nach innen jedoch waren nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und der erzwungenen Zusammenführung von KPD und SPD kaum ausreichend personelle Ressourcen vorhanden, um die Kluft von intendiertem Herrschaftsanspruch und realpolitischer Praxis unmittelbar überbrücken zu können.3 Mit der organisationsstrukturellen Verschmelzung der beiden Arbeiterparteien zur SED und des Aufbaus der »Partei neuen Typs« war für die hauptsächlich ehemaligen KPD-Mitglieder und neuen Machthaber in der SED-Parteiführung eben nur einer der Grundpfeiler zur Durchsetzung ihrer Herrschaft errichtet. Es blieb jedoch ein wesentliches Problem bestehen, das bereits früh in den Blick der Parteiführung geriet: »Es mangelt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands«, schrieb der im Zentralsekretariat der SED für Organisation und Personalpolitik verantwortliche Spitzenfunktionär Erich W. Gniffke im Jahr 1947 »nicht an Menschen, die den Willen zur Mitarbeit haben, es mangelt ihr jedoch an Menschen, die über notwendige Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten dazu verfügen«.4

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Zur kulturgeschichtlichen Untersuchung der politischen Inszenierungspraxen der SED siehe Gries, Dramaturgie der Utopie, S. 191–214, hier 201. Otto Grotewohl in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der SED-Parteihochschule »KarlMarx« in Kleinmachnow am 8.1.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/72, Bl. 3). Zur quantitativen Entwicklung der SED-Mitgliedschaft, ihren Entwicklungsschüben und Größenordnungen über die gesamte Zeitspanne der SBZ/DDR von 1946–1989 vgl. zuletzt Malycha, Geschichte der SED, S. 409 f. Gniffke, SED Funktionär, S. 44. Gniffke spielt damit zum einen auf das rein personalpolitische Rekrutierungsproblem der SED in der unmittelbaren Nachkriegszeit an. Gleichzeitig klingt in

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Soziografie der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

Der personelle Formations- und Rekrutierungsprozess einer einsatzfähigen, im gesamten Bereich des sächsischen Territoriums wirksamen »Dienstklasse«5 von Parteifunktionären und einer diese »anleitenden«6 Riege von Funktionären für die »Herrschaftsstäbe«,7 an deren Spitze in den Kreisen die 1. Sekretäre der SED stehen sollten, um auch qualitativ die totalitären Allmachtsansprüche der Parteispitze in der täglichen politischen Praxis loyal umzusetzen, stellte im Vergleich zu den machtpolitisch durchsetzbaren Festlegungen zweckgebundener Organisationsstrukturfragen eine bei weitem schwierigere Aufgabe dar. Die SED stand zunächst vor der paradoxen Situation, so kurze Zeit nach Kriegsende mit der flankierenden Militärgewalt der sowjetischen Besatzer zwar mehr als genügend potenzielle politisch-exekutive Zwangsmittel in der Hand zu haben.8 Das Ziel, eine kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung aufzubauen, musste von der Partei jedoch auf der personalen Ebene mit einer kaum ausreichenden Anzahl kommunistisch »vorgebildeter« Kader in Angriff genommen werden.9 Um den personellen Anforderungen des früh auszudifferenzierenden Parteiapparates gerecht zu werden, dessen institutionelles Gerüst von der Spitze des Parteivorstands in Berlin bis in die Parteigruppe des kleinsten vogtländischen

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den Ausführungen zum anderen auch der in dieser Zeit noch virulente und kontrovers diskutierte Grundsatzstreit über die Ausrichtung des Charakters der SED als Avantgarde- und/oder Mitgliederpartei bzw. Kader- oder Massenpartei an. Zur Begriffsbestimmung des Begriffes »Dienstklasse« vgl. Solga, S. 67. Der Begriff hat sich mittlerweile in den Forschungen zum DDR-Herrschaftssystem weitgehend etabliert. Vgl. etwa zuletzt Jessen/Gieseke, SED, S. 23. Der Terminus »Anleitung« bzw. das entsprechende Verbum »anleiten« war im Sprach- bzw. Schriftgebrauch der SED ein inflationär verwendeter Ausdruck, der zum einen die Bereitschaft zum Einfügen in die Über- und Unterordnungsverhältnisse in der Interaktionspraxis des Parteiapparates zum Ausdruck brachte, zum anderen wegen seiner physikalisch-mechanistischen Konnotation semantisch auch viel über die Annahmen der »anleitenden« Kader vom reibungslosem Gelingen kommunikativer Herrschaftspraxis zwischen Sender und Empfänger deutlich macht. Zur sprachlichen Verfasstheit des DDR-Systems und besonders zur Ritualisierung von Sprache in der Herrschaftspraxis der SED vgl. Jessen, Kommunikative Praxis, S. 65 f. Vgl. zum Begriff Jessen, Herrschaftsmechanismen, S. 31. Die Rolle des Militärs als Stabilisierungsfaktor der SED-Herrschaft sollte trotz der hier unternommenen Konzentration auf die sozialen Bedingungsfaktoren und Binnenstrukturen in der Staatspartei als Hintergrundfolie immer mitbedacht werden. Zur Sowjetischen Militäradministration in der SBZ vgl. Froitzik, Militäradministration. Zur Militärgeschichte der DDR bis 1971 vgl. besonders die Studie von Diedrich, Getarnte Armee sowie Wenzke, Ulbrichts Soldaten. Von den 30917 Mitgliedern der KPD, die 1931 für das Gebiet des späteren Landes Sachsen bzw. der drei Bezirke Chemnitz/Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig registriert werden können, dürfte ein Großteil wegen der Entwicklungen nach 1933 durch Verfolgung, Krieg und Exil kaum noch in der Breite als ausreichende Kaderreserve zur Verfügung gestanden haben. Zahlen errechnet nach Weber, Wandlung, S. 361 ff. Carsten Voigt kommt nach Befunden aus dem Bundesarchiv zu leicht abweichenden Zahlen, im Jahr 1931 schwankten nach dessen Ergebnissen die Mitgliederzahlen zwischen 25 077 und 27 858. Vgl. Voigt, Kampfbünde der Arbeiterklasse, S. 572.

Eingrenzung des Sozialprofils

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Schlossereibetriebes zu reichen hatte,10 und besonders die Spitzenpositionen der 1. Sekretärsposten in den Kreisparteiorganisationen der SED mit Akteuren zu besetzen, die über Eigenschaften verfügten, die »für einen sozialistischen Funktionär unbedingt notwendig sind«,11 musste die Partei auf Mitglieder zurückgreifen, deren Motivationslagen zur aktiven und hauptamtlichen Parteiarbeit ebenso vielschichtig waren wie deren politisch-biografische Vergangenheiten. Dies führte dazu, dass der personelle Formationsprozess weitaus länger andauerte und widerspruchsvoller war, als von der Parteispitze erhofft, da die politische Selektion der 1. Kreissekretäre an die komplexe Matrix von deren Lebensverläufen mit den entsprechenden – sich über die Zeit gewandelten – Sozialgefügen und Erfahrungsgemeinschaften rückgekoppelt gewesen ist.12 Institutionelle Anforderungen der Organisation und politisch-gesellschaftliche Sozialisationshintergründe der handelnden Akteure durchdrangen sich bzw. standen in einem engen wechselseitigen Beziehungszusammenhang. Die Vielschichtigkeit der sozialen Konfigurationen innerhalb der neuen Funktionärsriege der 1. SED-Kreissekretäre verlief dabei entlang mehrerer Linien. Zu erwähnen sind hier vor allem die Zugehörigkeiten und Prägungen13 durch verschiedene Grade sozialdemokratischer und kommunistischer Parteitraditionen – sowie für die jüngsten der Funktionäre auch nationalsozialistischer Vergemeinschaftungsinstanzen wie der Hitlerjugend (HJ) – und den entsprechenden Milieuverbindungen, Werthaltungen und Einstellungen, die für die »Genese des subjektiven Handlungspotenzials« in der späteren Herrschaftspraxis im hauptamtlichen Einsatz eine wichtige Rolle spielen sollten.14 Diese häufig durch vielfältige Kontinuitäten und Traditionszusammenhänge miteinander verbundenen Akteursgruppen waren freilich ebenso dem historischen Wandel ausgesetzt wie die jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen, die auf die Milieus, in denen sie lebten, einwirkten, die diese wandelten und die damit einen wichtigen Teil der differierenden politischen Sozialisationsbedingungen der späteren SED-Funktionseliten ausmachten.

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1946 trat etwa im vogtländischen Reichenbach Günther Wirth über die Parteigruppe des Schlossereibetriebes, in dem er bereits während des Krieges seine Ausbildung absolviert hatte, in die SED ein, stieg zum Betriebsgruppenleiter auf und wurde wenige Jahre später von der SED-Kreisleitung Reichenbach zum 1. Kreissekretär gewählt. Otto Grotewohl in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der SED-Parteihochschule »KarlMarx« in Kleinmachnow am 8.1.1948 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/72, Bl. 15). Zum Wechselverhältnis von agancy und social structure bzw. deren modellhafter Integration vgl. besonders die Ausführungen von Giddens, Central Problems. Zur Kritik von dessen Strukturationstheorie siehe Reckwitz, Giddens, S. 331 f. Der im Folgenden häufiger verwendete Begriff der »Prägung« wird als milieuintegrierender und generationsformender Prozess der Erlebnisverarbeitung sowie zugleich als dessen Ergebnis angesehen. Geulen, Politische Sozialisation, S. 12.

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1. Eingrenzung des Sozialprofils Für die soziografische Analyse der SED in den Bezirken Chemnitz/Karl-MarxStadt, Dresden und Leipzig weicht die folgende kollektivbiografische Analyse von der linear chronologischen Darstellung des vorangegangenen Kapitels ab. Die Untersuchung des personalen Elements der Parteiherrschaft der SED ist vielmehr systematisch angelegt. Die zeitliche Festlegung von 1946 bis 1971 stellt in diesem Kapitel nur einen äußeren heuristischen Bezugsrahmen dar. Die Eingrenzung strukturiert die Spannweite für die positionsanalytische Auswahl der zu analysierenden Kader, ausdrücklich nicht jedoch deren zu untersuchende sozial- und kollektivbiografischen Charakteristika, die freilich den Entwicklungsspannen der biologischen Lebensläufe insgesamt entsprechen.15 Daher wird es im Folgenden zu einem großen Teil um die Zeit vor 1945 gehen, der Zeit also, in der das Gros der 1. Kreissekretäre aufwuchs und richtungsweisende Phasen der primären und sekundären politischen Sozialisation durchlief.16 Mittels Kriterien der Sozialdemografie werden allgemeinverbindliche Basismerkmale der späteren 1. Kreissekretäre im Querschnitt untersucht. Im Vordergrund steht zunächst die Untersuchung von Daten zur familialen Herkunft und regionalen Verortung als kollektivbiografischem Fundament der weiteren »Milieukonstitution«17. Gefragt wird nach den Verhältnissen der sozialen Lebenswelt und den regionalen, sozialräumlichen Milieuzusammenhängen – kurz gewendet: nach primären Sozialisationskontexten der späteren 1. Kreissekretäre in deren Elternhäusern und Kindheit. Darüber hinaus stehen die fachlich formalen Schulbildungs- und Berufserfahrungen im Rahmen der weiteren Sozialisation des Jugendalters im Fokus. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einem Exkurs zu den Geschlechterverhältnissen an der Spitze der sächsischen Kreisleitungen.

2. Soziale und politische Herkunft Die Spezifika der primären Sozialisation der 1. Kreissekretäre werden im Folgenden anhand der Durchschnittsauswertung nach den Kriterien der sozialen 15 16

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Gleiches gilt im folgenden Kapitel auch für die Darstellung des Generationenprofils der 1. Kreissekretäre. Vgl. dazu Kapitel IV. Von den in Kapitel IV. 5 vorgestellten politischen Generationen erlebte lediglich die letzte Gruppe der von 1926–1932 Geborenen die sekundäre Sozialisation nach 1945 in der SBZ/DDR. Vgl. zu den Phasen der allgemeinen Sozialisation Faltermaier, Lebenslauf und Sozialisation, S. 157–172. Zur Konzeptualisierung der Sozialisation als konstitutives Element der politischen Generationenformung vgl. Fogt, Politische Generation, S. 55 ff. Zur Operationalisierung des vielschichtigen Milieubegriffes, der auf die von Lepsius eingeführten Kategorisierungen der »traditionellen Sozialmilieus« zurückgeht vgl. Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus und Arbeitermilieus, S. 47 f.

Soziale und politische Herkunft

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und politischen Herkunft analysiert.18 Dazu wird in einem ersten Schritt anhand des zentralen soziografischen Elements des ausgeübten Berufs des Vaters die sozialstrukturelle Verortung der Funktionseliten in deren Elternhäusern bzw. Herkunftsfamilien vorgenommen. Bei dem Begriff der »sozialen Herkunft« ist dessen synonymer Charakter besonders zu betonen. Der Terminus trägt zwei Bedeutungsebenen in sich: Auf der einen Seite stellt er eine synchrone, methodisch-heuristische Untersuchungskategorie der sozialhistorischen Analyse dar, auf der anderen Seite hat er eine diachrone semantische Komponente als im Kontext der Kaderpolitik der SED verwendete, ideologisch-überfrachtete Chiffre. Subsumiert unter dieser Kategorie konnte ein Funktionär glänzen, vorausgesetzt es fand eine Zuordnung zu dem »Adelsprädikat«19 Arbeiter statt, eine Bewertung der familiären Abstammung, die innerhalb der legitimatorischen Eigenlogik der Staatspartei, die sich als bewusster und organisierter Vortrupp der Arbeiterklasse20 definierte, als positiv bewertet wurde. Dem Kader war dann gewissermaßen »das proletarische Bewusstsein gleichsam in die Wiege«21 gelegt und er galt damit im Wesentlichen als über potenzielle herkunftsbedingte Zweifel erhaben. Oder aber es konnte bei einem Kader mit einer anderen Klassifizierung der »sozialen Herkunft« ein gegenteiliger Effekt eintreten. Galt jemand nicht als in der Arbeiterklasse sozialisiert, hatte er fortwährend zu beweisen, dass es ihm trotz seiner Abstammung etwa »aus kleinbürgerlichen Verhältnissen« als 1. Kreissekretär gelang, »den Genossen eine gründliche Anleitung zu geben und sie von den gestellten Aufgaben der Partei zu überzeugen«.22 Die soziale Herkunft stellte für die SED ein integrales Herrschaftsmoment dar, das sowohl eine Beglaubigungsfunktion für die sozialisationsbedingte Loyalität besaß, oder umgekehrt gleichsam als ein Makel – wie Canetti es formuliert, ein »Stachel«23 – wirksam werden konnte, der die betreffenden 18

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Zur Analyse lebensgeschichtlicher Prägungen der Funktionselite sächsischer 1. Kreissekretäre und zu ersten Befunden über deren Sozial- und Generationsprofil vgl. Pohlmann, Betrachtungen, S. 112 ff. und S. 123 ff. Die dort zu Grunde gelegte Datenbank konnte für die hier vorgenommenen Auswertungen erheblich erweitert werden. Studer/Unfried, Stalinistische Parteikader, S. 125. Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands von 1954. In: Dokumente der SED, Band V, S. 90. Erst in dem veränderten Statut aus dem Jahr 1963, das auf dem VI. Parteitag beschlossen worden war, wurde der Vertretungsanspruch auch explizit auf das gesamte »werktätige Volk« ausgedehnt ohne dabei freilich von der legitimatorischen Präpotenz der Arbeiterklasse abzurücken. Vgl. das Statut des Jahres 1963 in Dokumente der SED, Band IX, S. 295. Studer/Unfried, Stalinistische Parteikader, S. 126. Sekretariatsvorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen an das Sekretariat des ZK der SED mit der Charakteristik über den 1. Sekretär der Kreisleitung Leipzig-Land Johannes (Hannes) Schäfer vom 29.12.1953 (SAPMO-BArch, DY 30/ JIV 2/3A/397, Bl. 262). Zur anthropologischen Wirkungsthese des »Stachels« in Verbindung mit der Gewalterfahrung bzw. Gewaltandrohung vgl. Canetti, Masse und Macht, S. 360 f.

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Soziografie der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

nicht-»arbeiterlichen«24 Funktionäre in den Kaderakten das gesamte Berufsleben begleitete und zum Teil zur überbetonten Unterordnung unter die Parteidisziplin motivierte. So hieß es beispielsweise über einen Funktionär nichtproletarischer Herkunft: Er studiere nicht nur Beschlüsse der Partei und kämpfe für ihre Durchführung, sondern schieße aufgrund seiner sozialen Herkunft »manchmal über das Ziel hinaus, das kam besonders zum Ausdruck im Kampf gegen feindliche Elemente«.25 2.1 Beruf des Vaters

Zur Operationalisierung der empirischen Analyse der sozialen Herkunft der 1. Kreissekretäre kommt in Bezug auf die Differenzierung der Berufsgruppen der Väter eine relativ grobe Dreiteilung zur Anwendung: die Analyse umfasst die Gruppen Arbeiter, Angestellte und Selbstständige. In der Gruppe »Arbeiter« werden ausschließlich »abhängig beschäftigte Handarbeiter in der Industrie, im Gewerbe oder in der Landwirtschaft und zwar als Un- oder Angelernte, als Facharbeiter (mit einer abgeschlossenen Lehre oder als Meister)«26 aufgenommen. Da der Begriff des Arbeiters in der SBZ/DDR aus ideologischen Gründen – auch in den internen Statistiken SED – inflationär gebraucht wurde, mit der Einordnung der sozialen Herkunft aus der Arbeiterschaft soziografische Legitimation und Reputation einherging und selbst die Werkleiter und Kombinatsdirektoren darunter verzeichnet wurden, muss von einer quellenimmanenten Unschärfe dieser Kategorie ausgegangen werden. Diese erfordert es, nur diejenigen als Arbeiter für die Interpretation heranzuziehen, deren Berufsbezeichnung und Stellung explizit recherchiert werden konnte um so eine verlässliche Klassifizierung zu gewährleisten.27 »Stammt aus Arbeiterkreisen.«28 Mit dieser Exposition begannen viele der in den Kaderunterlagen über die 1. Kreissekretäre angefertigten Charakteristiken und Einschätzungen. Albin Schneider29 in diesem Fall, dessen Vater in einer örtlichen Tischlerei des westsächsischen Ortes Delitzsch beschäftigt gewesen ist, wurde ebenso wie die übrigen 77 Prozent der späteren 1. Kreissekretäre 24 25

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Siehe zur Begriffskonstruktion »arbeiterlich« und besonders zur sozialen und kulturellen Dominanz der Arbeiter in der ostdeutschen Gesellschaft Engler, Die Ostdeutschen, S. 173–208. Sekretariatsvorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen an das Sekretariat des ZK der SED mit der Charakteristik über den 1. Sekretär der der Kreisleitung Leipzig-Land Johannes (Hannes) Schäfer vom 29.12.1953 (SAPMO-BArch, DY 30/ JIV 2/3A/397, Bl. 262). Niethammer, Industrieprovinz, S. 42. Für die Datenbank ließ sich der Beruf des Vaters bei n=254 Personen ermitteln. Charakteristik über den ab 1950 amtierenden 1. Kreissekretär von Delitzsch Albin Schneider, angefertigt von der Abteilung Personalpolitik, Kreisvorstand der SED Delitzsch, 4.1.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 191, unpaginiert). Schneider amtierte von 1950−1962 als 1. Kreissekretär der SED-Kreisleitung von Delitzsch, Kaderakte von Schneider im Staatsarchiv Leipzig (Vgl. ebd.).

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in Milieustrukturen der Arbeiterschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sowie der Zeit der Weimarer Republik hineingeboren. Zum einen lässt sich an den Daten erkennen, dass mit Werten von über zwei Dritteln der Gesamtgruppe diejenigen Funktionäre, die sich klar der Arbeiterschicht zuordnen lassen, überproportional stark dominieren. Allein quantitativ kann daher kaum auf etwaige anderweitige milieuspezifische Traditionseinflüsse auf die Ebene der späteren parteispezifischen Binnenkultur der lokalen sächsischen SED geschlossen werden. Weder die mit 18 Prozent vertretene Gruppe, deren Eltern Selbstständige – hier etwa Freiberufliche, Handwerk- oder Gewerbebetreibende – waren, noch die mit fünf Prozent repräsentierten, aus Angestelltenfamilien stammenden Funktionäre waren mit Werten in der Datenbank vertreten, die an der markanten Dominanz der Gruppe der Arbeiterkinder etwas änderten.30 Die Position des 1. Kreissekretärs korrelierte demzufolge stark mit der primären Sozialisation in Arbeiterfamilien. Die abstammungsbedingte Homogenität der späteren 1. Kreissekretäre der SED entspricht dabei im Übrigen ganz wesentlich der »sozialen Position und beruflichen Qualifikation« der Gesamtmitgliedschaft der KPD in der Zeit Mitte der Weimarer Republik, für die Mallmann in seinen Untersuchungen zum Jahr 1927 einen Arbeiteranteil von 79,8 Prozent ausmachte.31 An der Zuordnung wird auch klar, dass die Kreissekretäre keineswegs ausschließlich aus sozialen Verhältnissen der »Deklassierten« stammten, dass die familiäre Sozialisation nicht ausschließlich im Nährboden der »verzweifelten Außenseiter der Gesellschaft« wurzelte, zumal ein Großteil der Väter in den Branchen der Metall-, Bau- und Bergarbeiter beschäftigt war, in denen die Verdienstmöglichkeiten in Sachsen relativ gut waren.32 Zusammengenommen können immerhin 23 Prozent einer Herkunft aus unteren bis mittleren Gesellschafts- und Einkommensschichten zugeordnet werden, wobei die stratifikatorische Verortung anhand der Berufsbezeichnungen der Väter größtenteils auf Plausibilitätsannahmen beruhen, die aufgrund der Datentiefe dieses Merkmals imputiert werden. D. h. es wird angenommen, dass die jeweils vorhandenen Berufsbezeichnungen wie etwa Tischler oder Heizer ausreichen, um den sozialen Hintergrund so genau zu charakterisieren, dass die fehlenden Angaben durch Interpretamente ersetzt werden können, die sich an den Informationen zu Vätern mit umfangreicheren sozialen Hintergrundinformationen bei

30

31 32

Bei der Festlegung der Angestellten werden hier nach Niethammer, Industrieprovinz, S, 48 folgende Gruppen zugrunde gelegt: An- und ungelernte Bürokräfte sowie Unterbeamte (etwa Briefträger), gelernte Angestellte (etwa kaufmännische Angestellte), Angestellte in aufsichtsführender Funktion (etwa Büro- und Amtsleiter) und höher ausgebildete Angestellte (mit Fachoder Ingenieurstudium). Mallmann, Kommunisten, S. 96. Ebd.

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vergleichbarem Hintergrund orientieren.33 Der proportional beachtliche Anteil von Angestellten und Selbstständigen ist dabei dem Faktum geschuldet, dass die im Gesamtdurchschnitt mit 49 Prozent stark repräsentierte Gruppe der bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges und damit in die Lebenswelt des späten wilhelminischen Kaiserreiches Hineingeborenen zunächst bei Vorliegen parteipolitischer Bindung in sozialdemokratischen Elternhäusern aufwuchsen.34 Zu dieser Zeit kann man die SPD zwar noch nicht als »soziale Querschnittspartei« bezeichnen, doch nahm sie »allmählich Züge […] einer linken Volkspartei«35 an, die »ihre größten Erfolge außerhalb der Industriearbeiterschaft bei Teilen der Angestellten erzielte«36 und sich somit auch stärker zur Mittelschicht hin öffnete. Blickt man voraus auf das spätere Umfeld der Funktionäre und setzt die »arbeiterliche« Homogenität der 1. Kreissekretäre ins Verhältnis zur Gesamtmitgliederschaft der SED, dann fällt eine um ein Vielfaches höhere Abstammungsrate aus der Arbeiterschaft unter den leitenden Köpfen der SED-Kreisparteileitungen auf. Die »einfachen« SED-Mitglieder ohne hautamtliche Funktion stammten nach parteiinternen Statistiken der Staatspartei bis in die 1960er-Jahre hinein lediglich zu maximal 55 Prozent aus dieser sozialen Schicht.

2.2 Politische Bindung der Elternhäuser

Das Merkmal der Berufe der Väter ist zwar der am weitesten verbreitete Ansatzpunkt zur Beurteilung der sozialen Herkunft. Anhand der vorliegenden Datenbank lassen sich jedoch darüber hinaus, mittels des Merkmales der parteipolitischen Orientierung der Eltern bzw. deren Parteimitgliedschaft, auch Erkenntnisse über die konkreten politischen Vorprägungen der 1. Kreissekretäre in deren Elternhäusern ableiten. Deren Parteizugehörigkeit ist unerlässlich zur weiteren Binnendifferenzierung des Sozialprofils.37 Dieses Faktum gewinnt zusätzlich an Bedeutung, da die »Spaltung der Arbeiterbewegung«38 im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts mit all den Deutungs-, Orientierungs- und vor allem auch Organisierungsmöglichkeiten auf den Großteil der Untersuchungsgruppe einwirkte und diese in unterschiedlichen Richtungen prägte. 33 34 35 36 37

38

Zum methodischen Verfahren der Imputation als Möglichkeit der Schätzung im Umgang mit empirischen Daten vgl. etwa Lüdtke/Robitzsch/Trautwein, Fehlende Werte, S. 103 f. Die bis 1914 Geborenen sind in der Datenbank mit n=156 Funktionären vertreten. Lösche/Walter, SPD, S. 16. Ebd., S. 30. Lepsius bezeichnet die Parteizugehörigkeit als »Ausdruck und Träger politischer Grundorientierungen, die durch soziale Strukturzusammenhänge vorgeprägt sind und konstitutive soziale Konflikte innerhalb einer Gesellschaft reflektieren«. Vgl. ders., Parteiensystem und Sozialstruktur, S. 61. Weichlein, Milieu und Mobilität, S. 165.

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Die Häufigkeit der Angaben über die Parteibindung der Eltern in den verschiedenen Personalunterlagen der SED liegt unter der Überlieferungsquote der Berufe der Väter.39 Dies lässt sich aus der immanenten Logik der SED-Kaderbeurteilungspraxis erklären, die die »Anciennität«40 der Funktionseliten nur in seltenen Berufungsfällen auf allerhöchste Parteiämter umfangreicher als über die berufliche Einstufung der Eltern prüfen ließ. Dies war nach der Logik des identifikatorisch-historischen Bezugsrahmens der SED für die Kaderbeurteilung insofern konsequent, als dass die sozialen Legitimitäts- und Traditionserzählungen der Funktionäre sich im Wesentlichen auf eine Zeitspanne beziehen, die kaum weiter als gegen Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Mit insgesamt 65 Prozent kann für die Herkunftsfamilien der 1. Kreissekretäre eine generell ausgesprochen hohe parteipolitische Organisationsquote konstatiert werden.41 Durch das Aufwachsen in diesen parteipolitisch aktiven und engagierten Elternhäusern war politisches Sprechen und Handeln selbstverständlicher Teil der alltäglichen Lebenswelt und wirkte damit früh auf die Mehrheit der späteren Kader ein. Die Gruppe der 1. Kreissekretäre weist damit in Bezug auf die familiale Tradierung politischen Engagements weit höhere Kontinuitätswerte auf, als andere »DDR-Leitungskader« aus der Regierung und den zentralen Staatsorganen der DDR, von denen nach den Untersuchungen von Best unter den vor 1940 Geborenen nur 25,3 Prozent aus politisch gefärbten Elternhäusern stammten. Von den Eltern der 1. Kreissekretäre wiesen 38 Prozent eine Integration in die organisierte sozialdemokratische Arbeiterschaft anhand des SPD-Parteibuchs auf, 24 Prozent der Funktionäre konnten auf eine politische Herkunft verweisen, die durch Eltern als aktive Mitglieder der KPD geprägt war. Allerdings sollte man diese Binnendifferenzierung der Elternhäuser nicht überbewerten, da die Kinder in einem »sozialistischen Milieu«42 aufwuchsen, das unter lebensweltlichen Aspekten auf der lokalen und regionalen Ebene mehr verbindende als trennende Elemente besaß.43 »Meine Geschwister«, so berichtet der 1913 geborene 1. Leipziger Stadtbezirkssekretär Bruno Frank in Bezug auf seine familiäre Milieueinbindung »erlernten wie ich einen handwerklichen Beruf und mussten aufgrund unserer sozialen Lage im Elternhaus sich in frühster Jugend ihr Leben selbst gestalten. Alle meine Geschwister waren in Arbeiterorganisationen organisiert. Mein ältester Bruder und die älteste Schwester sowie ich organisierten uns in der KJ [Kommunistische Jugend, T. P.] bzw. KPD, während die anderen Geschwister zum Teil in der SAJ 39 40 41 42 43

Für die Datenbank ließen sich Angaben zur politischen Organisation der Eltern bei n=205 Personen ermitteln. Best, Quantität in Qualität, S. 204. Absolute Anzahl n=133 Personen in der Datenbank. Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus und Arbeitermilieus, S. 48. Vgl. zu »transitorischen Milieubildungen« moderner Gesellschaften Tenfelde, Historische Milieus.

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[Sozialistische Arbeiter-Jugend, T. P.] bzw. der SPD oder ATuSB [Arbeiter-Turnund Sportbund, T. P.] organisiert waren.«44 Obwohl sich innerhalb des Arbeitermilieus durch die verschiedenen organisatorischen Vergemeinschaftungsformen durchaus gruppenspezifische Auffächerungen und Pluralisierungsphänomene entwickelten, die im Einzelnen unterschiedliche politische Richtungsvorstellungen hervorbringen konnten, bestand dennoch ein verbindendes Netz gemeinsam erfahrener Sozialisation, das »zwar kein Hort reiner Harmonie, aber dennoch […] eine Stätte gemeinsamer Interessenfindung und -artikulation« gewesen ist.45 Generell lässt sich also eine sehr starke primäre Sozialisation im Milieu der linken Arbeiterschaft und dessen parteipolitischem Vor- bzw. Umfeld erkennen. Überaus gering fällt dagegen die Anzahl derjenigen 1. Kreissekretäre aus, deren Elternhäuser durch den Nationalsozialismus geprägte Weltsichten und Mentalitäten an die Kinder weitergaben. Die Quote 1. Kreissekretäre, deren Väter im Besitz eines NSDAP-Parteibuches waren, beläuft sich auf einen verhältnismäßigen Anteil von drei Prozent. Die späteren Funktionseliten mit »braunem« Familienintergrund kamen demzufolge in Sachsen nur in verschwindend geringem Maße für einen herausgehobenen Parteifunktionärsposten infrage. Dies überrascht zum einen bei der sich legitimatorisch auf den antifaschistischen Gründungsmythos berufenden Staatspartei kaum. Zum anderen wäre dieses herausgehobene politische Amt allein wegen der in Sachsen festzustellenden starken regionalen Bindung46 der 1. Kreissekretäre an ihre geografischen Herkunftsregionen in der jeweiligen lokalen Öffentlichkeit aus propagandistisch-legitimatorischen Gründen nur schwer zu vermitteln gewesen.47 Dass nationalsozialistische Vorprägungen und ein damit einhergehendes Eindringen von Mentalitätsspuren des »NS-Erbes« auch für die Parteikultur der Spitze des SED-Kreisparteiapparates durchaus einen wesentlichen Faktor darstellten, wird sich zeigen, wenn die Beeinflussung der in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsenen Jugendlichen und späteren 1. Kreissekretäre selbst durch die Sozialisationsagenturen der sekundären politischen Sozialisationsphase jenseits der

44

45 46 47

Lebenslauf des Dezernatsleiters beim Rat der Stadt Leipzig und späteren 1. Sekretärs der SED-Stadtbezirksleitungen Leipzig Nord, Nordost und Südost Bruno Frank vom 26.12.1950 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 186, Bl. 15). Mallmann, Sozialgeschichte, S. 13. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen unter Kapitel III 2. 3. Nach jüngsten Forschungen zu Thüringen gab es in der SED offenbar auch Ausnahmen bezüglich des Umganges mit nationalsozialistischen Vorvergangenheiten. Dabei kam es in den dortigen Bezirken offenbar nicht nur verstärkt zu familialen Prägungen sondern auch zu aktiven NSDAP-Mitgliedschaften unter den späteren 1. Kreissekretären. Sandra Meenzen konnte in diesem Zusammenhang für die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl insgesamt 17 1. Kreissekretäre der SED mit vorheriger NSDAP-Mitgliedschaft nachweisen. Siehe dazu Meenzen, NSDAP-Vergangenheit, S. 56 f. Für die sächsischen Bezirke im Untersuchungszeitraum bis 1971 konnte Vergleichbares nicht festgestellt werden.

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Elternhäuser anhand der Mitgliedschaft in verschiedenen NS-Organisationen analysiert wird.48

2.3 Sozialräumliche Herkunft, dörfliche und städtische Milieus

Die politischen Prägungen durch die Elternhäuser entwickelten sich freilich nicht im »luftleeren« Raum. Betrachtungen zu sozio-geografischen Herkunftsmustern der 1. Kreissekretäre lassen sozialisatorische Kontextbedingungen hervortreten, deren Spezifika in dreifacher Weise relevant sind: Zum einen spielen sie – und darum geht es im Folgenden – zunächst ex post für die sozialhistorische Verortung eine wichtige Rolle. Zum anderen stellte die regionale Herkunft dann später in der Amtsführung der untersuchten Funktionseliten einen wichtigen Bezugspunkt für deren politische Identitätsbildung dar und war letztlich auch ein Instrument der Kaderpolitik zur Legitimation und damit Herrschaftssicherung der SED.49 »Genossinnen und Genossen! Mein Lebenslauf und auch mein politischer Werdegang«, so im Dezember 1949 der Leipziger SED-Vorsitzende Heinrich Bretthorst auf der Delegiertenkonferenz der Leipziger Parteiorganisation, »ist ein ganz anderer wie der des Genossen Richter. Richter ist ein Leipziger Kind, ist in der Großstadt geboren. Ich bin aus einem kleinen nordwestfälischen Bauerndorf.«50 In der Exposition seines Redebeitrags berührte Bretthorst zwei entscheidende Punkte, die für die Analyse der sozio-geografischen Spezifik der Untersuchungsgruppe wichtig sind. Dies sind zum einen die Herkunft aus einer weiter entfernten Region des Deutschen Reiches oder dem sächsischen Gebiet bzw. dem politischen Raum der drei Bezirke Chemnitz, Dresden oder Leipzig, der durch das »space building«51 der SED im Zuge der Kreisreform 1952 dort implementiert worden war. Zum anderen ist es das Aufwachsen in urbanen oder ruralen Räumen, was freilich ganz verschiedenartige »Sozialisationsprozesse«52 mit sich brachte. Mit 78 Prozent bildete die »sächsische Fraktion« der 1. Kreissekretäre den eindeutigen Schwerpunkt innerhalb der Gesamtgruppe.53 Die Korrelation von 48 49 50 51 52 53

Vgl. Kapitel IV 4 und IV 5. Für die Datenbank ließ sich die regionale Herkunft über die Angabe der Geburtsorte bei n=258 Personen ermitteln. Stenografisches Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Leipzig vom 2.12.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/5/1/3, Bl. 278). Jureit, Ordnen von Räumen, S. 14. Zum »spatial turn« in den Sozial- und Kulturwissenschaften generell vgl. den Sammelband von Döring/Thielmann, Spatial Turn. Löw, Raumsoziologie, S. 73. Zur Bedeutung des Raumes in Bildungs- und Sozialisationsprozessen vgl. ebd., S. 73–82. In der Datenbank liegen zur regionalen Herkunft insgesamt Angaben zu n=258 Funktionären vor.

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regionaler Rückbindung an das sächsische Territorium und späterer funktionsgebundener Positionierung bedeutete demnach ein ganz entscheidendes Merkmal der Kaderpolitik und damit der Herrschaftsausübung der SED. Überraschender Weise galt dies auch für die unmittelbaren Nachkriegsjahre. In Folge von NS-Herrschaft und Krieg waren die gesamtgesellschaftlich »entstandenen Arbeitskräftelücken« genauso aufzufüllen,54 wie auch die Reihen der SED. Eigentlich konnte erwartet werden, dass sich ein größerer Anteil an Funktionären aus dem Reservoir des Bevölkerungsteils der Vertriebenen und Flüchtlinge speisen würde. Doch obwohl sich die Bezirke Chemnitz/Karl-Marx-Stadt und Dresden in unmittelbarer Grenzlage zu Tschechien und Polen befanden, betrug die Quote 1. Kreissekretäre aus den ehemaligen Ostgebieten lediglich zehn Prozent. An dem ausgeprägten Regionalismus der sächsischen Kreissekretäre konnte schließlich auch die Zuwanderung aus dem übrigen Deutschen Reich mit Werten von zwölf Prozent nichts ändern. Dies überrascht zunächst. Ein diktatorisches System wie das des SED-Staates hätte dem eigenen Herrschaftsanspruch zufolge ein intrinsisches Interesse daran haben müssen, einer kaderpolitisch bedingten »Verfestigung und Verselbstständigung lokaler Mikrostrukturen entgegenzuarbeiten, die sich zentralstaatlichen Steuerungsversuchen eventuell entziehen« hätten können.55 Offenbar spielte dieses Motiv für die SED jedoch kaum eine Rolle. Im Gegenteil. Es scheint eher so gewesen zu sein, dass von der Parteiführung und den leitenden Abteilungen der Parteiorgane gezielt auf Personal zurückgegriffen wurde, das über Kenntnisse der Gegeben- und Gepflogenheiten in der Region verfügte. Nur in Ausnahmefällen wurden Funktionäre berufen, die sich erst in ein ihnen zuvor unbekanntes Gebiet einarbeiten mussten. Neben den quantitativen Befunden wird diese Beobachtung qualitativ dadurch untermauert, dass bei »Fremdbesetzungen« die übergeordneten Parteileitungen vor den Kreissekretariaten, im Zuge der Verkündigung der Kooptationsentscheidung, Rechtfertigungsstrategien zur Begründung der Besetzung von außen anwendeten. Dies hätten sie de facto nicht tun müssen, da ihnen ohnehin die Personalentscheidung über die Berufung der 1. Kreissekretäre aufgrund des »Kadernomenklatursystems«56 oblag. Als der sächsische Landesvorstand der SED 1949 im SED-Kreisvorstand Grimma wegen der Berufung des 1. Kreisvorsitzenden Willy König in die Landesleitung auf den neu zu besetzenden Posten einen externen Funktionär kooptieren wollte, kam es diesbezüglich zur Auseinandersetzung mit dem Kreisvorstand. »Als 1. Sekretär«, so Otto Schön als Instrukteur des Landesvorstands, »schlagen wir den Gen. Max Heidler aus Chemnitz vor, der ein guter, qualifizierter Genosse

54 55 56

Herbert, Ausländerbeschäftigung, S. 182. Jessen, Akademische Elite, S. 413. Zum Kadernomenklatursystem der SED vgl. Wagner, Kadernomenklatursystem, S. 148–158.

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schon vor 1933 gewesen ist. Er ist in Chemnitz Stadt- und Betriebsgruppensekretär und hat bisher eine gute Parteiarbeit geleistet. Wir wollen ihm deshalb die Möglichkeit geben, in einem anderen Kreis seine Kenntnisse zu erweitern. Ihr könnt gewiss sein«, so Schön weiter, »dass wir die Auswahl der zur Verfügung stehenden Kräfte sorgfältig getroffen haben, und ich glaube nicht, dass ihr einen schlechten Griff machen werdet. Was ihm als Großstadtmensch fehlt, sind die genügenden Kenntnisse der Landwirtschaft. Aber wir glauben, dass ein politisch geschulter Mensch in der Lage ist, sich auch in diese Frage hineinzufinden.«57 Diese Einschätzung teilte jedoch die Mehrheit der Grimmaer Parteiführung nicht. Es kam zum Vorschlag eines Gegenkandidaten. Einstimmig befand der Grimmaer Kreisvorstand, »dem Sekretariat der Landesleitung in diesem Fall den Genossen Müller, Alfred, als 1. Sekretär vorzuschlagen. Genosse Müller war bisher Sekretär der Abteilung Verwaltung und Kommunalpolitik und ist mit den Verhältnissen im Kreise absolut vertraut. Er hat auch als ehemaliger stellvertretender Bürgermeister einer Gemeinde Kenntnis von der Landwirtschaft und ist selbst Industriearbeiter. Er besitzt im ganzen Kreis Vertrauen und ist in jeder Weise qualifiziert, als 1. Kreissekretär vorgeschlagen zu werden.«58 Zum einen war dies herrschaftspraktisch ein deutliches Beispiel für den Versuch eines SED-Kreisgremiums, politischen Eigensinn gegenüber der Landesleitung durchzusetzen und so den eigenen Handlungsspielraum auszuloten. In diesem Zusammenhang ist es zum anderen jedoch wichtig festzuhalten, dass die Argumentationsmuster des Grimmaer Kreisvorstands eindeutig die empirischen Befunde eines ausgeprägten Regionalismus in den Kreissekretariaten innerhalb der sächsischen Kreisparteiorganisationen bestätigen. Dieser Regionalismus zeigt sich ebenso bei der weiteren quantitativen Auffächerung der Herkunft der 1. Kreissekretäre anhand der Zahlen über das Aufwachsen im ländlichen oder städtischen Raum. Die räumlich-geografische Struktur der drei sächsischen Bezirke wies zwar im Einzelnen – besonders auf die Bevölkerungsverteilung bezogen – leichte Unterschiede auf. Im Leipziger und Chemnitzer/Karl-Marx-Städter Bezirk herrschte eine höhere Bevölkerungsdichte mit einem Schwerpunkt auf den großstädtischen Ballungsgebieten Leipzig und Chemnitz/Karl-Marx-Stadt vor, während im Dresdener Teil des sächsischen Territoriums die abseits der Großstadt auf dem Land lebenden Bevölkerungsteile etwas stärker waren. Im Mittel glich sich dieses Faktum jedoch aus und führte zu einer ungefähren Gleichverteilung von Stadt- und Landbevölkerung.59

57 58 59

Protokoll über die Sitzung des Sekretariats des Kreisvorstandes der SED Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV /4/08/043, Bl. 45). Ebd., Bl. 46. Die Werte beziehen sich auf statistische Erhebungen aus den 1970er-Jahren in der DDR. Vgl. Die Bezirke, S. 203 ff.

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Beim Blick auf die lokale Herkunft der 1. Kreissekretäre in Sachsen fällt auf, dass die Werte eine recht hohe Übereinstimmung mit der generellen räumlichen Bevölkerungsverteilung Sachsens aufweisen. 39 Prozent der Funktionäre wuchsen in Dörfern, 40 Prozent in einer der sächsischen Großstädte mit über 100 000 Einwohnern, wie Chemnitz, Dresden, Leipzig oder Plauen, auf. Die übrigen 21 Prozent verteilen sich auf die sächsischen Klein- und Mittelstädte. Neben der angesprochenen mehrheitlichen Auswahl von Kadern, die über Kenntnisse der Kreise verfügten und so regionales und lokales Herrschaftswissen in das Amt mitbringen sollten, hatte die Regionalität als Besetzungsprinzip wohl auch einen legitimatorischen Kern. Es ist anzunehmen, dass die SED durch den Einsatz von Sekretären aus der Region der zentralistischen Staats- und Parteiverfassung, deren Charakter gerade durch die Distanz und Absenz der führenden politikbestimmenden Köpfe bestimmt war, den legitimatorischen Anstrich der politisch-personellen An- und Rückbindung an die jeweiligen Herrschaftsgebiete der Kreise verschaffen wollte. Ein Indiz dafür findet sich neben den deutlichen Werten der Datenbank ex negativo in einer Charakteristik des 1. Kreissekretärs von Oschatz, Willy Dau. Obwohl die Beurteilung dieses Funktionärs durch die Abteilung Leitende Organe der Partei- und Massenorganisationen bei der SED-Bezirksleitung Leipzig aus dem Jahr 1953 nahezu durchweg positiv ausfiel, wurde ihm ein eklatantes parteipolitisches Defizit attestiert: »Auf agitatorischem Gebiet«, so der abschließende Teil der Charakteristik, »sind seine Fähigkeiten nicht besonders stark, er muss sich bemühen, seine Aussprache zu verbessern, um bei der Bevölkerung besser anzusprechen.«60 Dau stammte aus einer kleinen Siedlung in der Mecklenburgischen Provinz und sprach wohl mit für sächsische Ohren ungewohnt breitem, norddeutschem Dialekt. Für die Aufrechterhaltung der legitimationsstiftenden äußerlich-personellen Vergemeinschaftung von Partei und Bevölkerung durch die »Ähnlichkeitsattraktion«61 der hauptamtlichen Funktionseliten mit der regionalen und lokalen Gesellschaft vor Ort gehörten Fremde wie Dau eher zu den nicht bevorzugten Kadern. 2.4 Schule, Ausbildung und Berufseinstieg

Die im Folgenden zu behandelnden »sekundären« und »tertiären« Bereiche der Sozialisation rücken die Perspektivierung ab vom statischen sozialen bzw. regio60

61

Sekretariatsvorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen der SED-Bezirksleitung Leipzig an das Sekretariat des ZK der SED mit der Charakteristik über den 1. Sekretär der Kreisleitung Oschatz Willy Dau vom 30.12.1953 (SAPMO-BArch, DY 30/ JIV 2/3A/397, Bl. 269). Best, Parteiherrschaft, S. 235. Zum regionalen Vergleich der territorialen Bindung, allerdings der 1. und der 2. Kreissekretäre der SED in den Thüringischen Bezirken mit einer Verlaufsanalyse nach Geburtskohorten vgl. ebd., S. 233.

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nalen Referenzrahmen der Herkunftsfamilien,62 der die Kindheit der 1. Kreissekretäre im Besonderen geprägt hatte. Untersucht wird, in welche bildungstechnischen »Sozialisationsumwelten«63 die Funktionseliten während ihrer Jugend, der fortgeschrittenen Adoleszenz und auch im Erwachsenenalter eingebettet waren. Anders als bei der primären Sozialisation werden anhand der Analyse der schulischen Bildung, der fachlichen Berufsqualifikation und der zuerst ausgeübten Berufe der späteren 1. Kreissekretäre gruppenspezifische Merkmale eruiert, die diese in ihrer selbstständigen Auseinandersetzung mit den sie prägenden institutionalisierten Umweltbedingungen außerhalb des familiären Umfeldes zeigen und dadurch deren gesellschaftliche Verortung als aktiv Handelnde in das Zentrum der Betrachtung rücken.64 Analysiert man die Untersuchungsgruppe zunächst hinsichtlich des Merkmals der schulischen Bildung und der fachlichen Berufsqualifikation, dann wird eines schnell deutlich.65 Trotz der vergleichsweise hohen Spanne an Geburtsjahrgängen, deren Schulzeit im Einzelnen je nach Jahrgangszugehörigkeit entweder im wilhelminischen Kaiserreich, in der Zeit der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus stattfand, ist, bezogen auf die Schulabschlüsse, ein äußerst homogener und hoher Anteil von 95 Prozent an Absolventen der Volksschule zu erkennen. Da es sowohl vor 1918 als auch in der Weimarer Republik noch relativ viele Bezeichnungen für die Schulformen gab, die das Unterrichten der Kinder vom sechsten bis zum vierzehnten Lebensjahr übernahmen – in den Lebensläufen der Untersuchungsgruppe tauchen verschiedene Schulformbezeichnungen wie etwas Grundschule, Gemeindeschule, Bürgerschule oder Volksschule auf – ist es zwar streng genommen etwas problematisch, von der deutschen Volksschule zu sprechen, da es sich um einen »nur annähernd einheitlichen Typus von Schule« handelte.66 Die Volksschule setzte sich jedoch zunehmend als die Pflichtschulform durch, die vom sechsten bis zum zehnten und vom zehnten bis zum vierzehnten Lebensjahr zu absolvieren war. Damit hatte sich bis Anfang der 1930er-Jahre, trotz aller Begriffsunterschiede, eine relativ einheitliche normative Lebensabschnittsspanne von acht Jahren Schule für die Kinder bzw. Jugendlichen etabliert. Die Fortsetzung der Schullaufbahn auf einer weiterführenden sächsischen Mittel- oder Oberschule oder einem Gymnasium kam in der Regel bei den späteren 62 63 64

65 66

Zur Kategorisierung der Umwelteinflüsse des Sozialisationsprozesses in primäre, sekundäre und tertiäre Bereiche vgl. Hurrelmann, Sozialisationstheorie, S. 26 f. Dippelhofer-Stiem, Sozialisationsumwelten, S. 117. Auf die wesentlichsten organisierten sozialistischen Kindergruppen und die Jugendverbände der Arbeiterparteien sowie die Jugendmassenorganisationen der Nationalsozialisten, die der politischen Sozialisation der Jugendlichen dienen sollten, verweisen Kapitel IV 2 bis IV 5. Für die Datenbank ließ sich die Schulbildung und die fachliche Berufsqualifikation bei n=298 Personen ermitteln. Zymek, Schulen, S. 166.

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1. Kreissekretären nicht vor; insgesamt lag die Quote höherer Schulbildung, die nach Beendigung der Schule den Besuch einer Universität oder Fachhochschule ermöglichte, bei fünf Prozent. Nur ein Bruchteil der späteren 1. Kreissekretäre ging also diesen bildungsbiografischen »Sonderweg« und legte die mittlere Reife ab bzw. erlangte den höchsten Schulabschluss, das Abitur. Der seltene Fall der Erlangung des Abiturs wurde später im Laufe der Parteikarriere nach 1945 in den Kaderbeurteilungen der SED mit einer gehörigen Portion Skepsis von Seiten der Personalpolitischen Abteilungen herausgegriffen und bedeutete damit kaum einen qualifizierenden Vorteil für das Fortkommen im Parteiapparat. Im Gegenteil, Johannes Schäfer etwa, der als 1. Sekretär den territorialen Kreisleitungen Leipzig-Land und Pirna sowie später der SED-Industriekreisleitung Fernsehen der DDR vorstand, erfuhr dies mehrere Male. In seinen Beurteilungen wurde unter dem Punkt allgemeine Schulbildung der acht Jahre währende Besuch der Oberschule und sein Abitur gesondert aufgeführt. Schäfer wurde als aus »kleinbürgerlichen Verhältnissen« abstammend apostrophiert, da seine Großeltern, bei denen er aufwuchs, ein Lebensmittelgeschäft geführt hatten und ihm »den Besuch der Oberschule finanzierten«.67 Der darin durchscheinende Bildungsskeptizismus der SED brach im Parteiapparat in Bezug auf diesen Aspekt der sozialen Herkunft häufiger hervor. Eine distanzierte Haltung gegenüber höherer (Aus-)Bildung kam – zumindest auf Kreisebene – besonders auch auf persönlicher Ebene in der Alltagspraxis der Parteiarbeit zum Ausdruck. Im Jahr 1959 kam es beispielsweise im Kreis Delitzsch zu einer Konfliktsituation zwischen der Partei und dem Staatsapparat. Die Kreisleitung der SED zwang den verantwortlichen Vorsitzenden des Rates des Kreises, Rolf Kosky, vor der Kreisparteikontrollkommission dazu, sein politisches Verhalten im Rahmen der Vorbereitungen zur »Entwicklung des Kreises Delitzsch zu einem sozialistischen Kreis«68 im Zuge der vollständigen Kollektivierung der Landwirtschaft zu rechtfertigen. Während der »Aussprache« bemerkte ein Bezirksleitungsmitglied gegenüber dem Rat des Kreises, der sowohl das Abitur als auch das Staatsexamen erfolgreich abgelegt hatte: »Man spricht von dir, dass du ein schlauer Bursche bist. Führt das nicht zu einer gewissen Überheblichkeit? Dass du die Genossen der Parteileitung für nicht so geistig beweglich betrachtest und dir sagst: ›was können diese Genossen mir denn schon geben?‹«69 Der Großteil der 1. Kreisse67

68 69

Sekretariatsvorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen an das Sekretariat des ZK der SED mit der Charakteristik über den 1. Sekretär der Kreisleitung Leipzig-Land Johannes (Hannes) Schäfer vom 29.12.1953 (SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/3A/397, Bl. 261). Beschluss-Nr. 95 vom 15.7.1959 des Rates des Bezirkes Leipzig in Bezug auf den Siebenjahrplan des Kreises Delitzsch vom 16.7.1959 (StAL, BT/RdB Leipzig, Nr. 1443, Bl. 281). Aussprache der Kreisparteikontrollkommission der SED-Kreisleitung Delitzsch mit dem Vorsitzenden des Rates des Kreises Delitzsch Rolf Kosky vom 12.3.1959 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/04/133, Bl. 4).

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kretäre kam jedoch wegen der fast durchgängig vorfindlichen Volksschullaufbahn nicht in die Verlegenheit, sich in vergleichbaren Situationen vor den kaderpolitisch Verantwortlichen des Parteiapparates erklären zu müssen. Typisch für den weiteren Bildungsweg der 1. Kreissekretäre war im Anschluss an die ersten acht Schuljahre der Wechsel in einen Ausbildungsbetrieb und verschiedene, nach einzelnen Branchen unterscheidbare Fach- bzw. Berufsschulen, um dort dann innerhalb von drei Jahren einen qualifizierten Berufsabschluss zu erlangen. Die Erfahrungen während der Lehrlingsausbildung unterschieden sich freilich je nachdem, ob der Ausbildungsbetrieb traditionellen handwerklichen Charakter hatte, ob die Lehre in der industriellen Berufsausbildung gemacht wurde, die nach der Jahrhundertwende »in zunehmendem Maße institutionalisiert und nach ›fachlich-instrumentellen‹ Bedarfsplänen in den unterschiedlichen Industrieverbände systematisch ausgebaut worden war« oder die Lehrlinge in kaufmännischen oder gewerblichen Betrieben ausgebildet wurden.70 Zusätzlich wurde generell eine »einheitliche Ordnung auch dadurch verhindert, dass die Organisation des Unterrichts, die Anzahl der Wochenstunden, ihre Verlegung in die Tageszeit und damit ihre Anrechnung auf die gesetzliche Arbeitszeit sowie die Frage ihrer Bezahlung bei den verschiedenen Interessengruppen (Arbeitgeber, Wirtschaftsverbände, Berufsschulpädagogen, Kammern, Gemeinden) kontrovers diskutiert wurden«.71 Trotz dieser Differenzierungen dürfte sich für die meisten Auszubildenden die Berufsausbildung in etwa abgespielt haben wie bei Kurt Siegert, dem späteren 1. Kreissekretär von Oschatz und Grimma. Siegert ging als Maschinenschlosserlehrling in einem Betrieb in der Nähe seines Heimatortes Grossrückerswalde im Erzgebirge in die Lehre, verdiente so seinen Lebensunterhalt und erhielt, nachdem er zu festgelegten Zeiten im »Wechsel mit der Arbeitsstätte […] an der Berufsfachschule für Maschinenbauer in Aue« gearbeitet hatte, abschließend das Zertifikat der fachlichen Berufsqualifikation, in diesem Fall des Schlossers.72 Der genaue Ort der Berufsausbildung spielte später in den Unterlagen der SED-Kaderabteilungen im Übrigen bei der Beurteilung der Funktionäre durchaus noch eine Rolle und wurde zum Teil pedantisch nachrecherchiert. So hieß es beispielsweise in der kaderpolitischen Überprüfung von Siegert, der nach dem Besuch der Parteihochschule Karl-Marx in Berlin von 1960 bis 1963 kurz vor der Kooptierung in den Leipziger SED-Bezirksleitungsapparat stand: »Nach fast allen Lebensberichten und einigen älteren Fragebogen erhielt Gen. S. seine 70 71 72

Zur Berufserziehung in den einzelnen Bereichen zwischen 1918 und 1945 vgl. Pätzold, Berufserziehung, S. 259–288, hier 260. Ebd., S. 280. Abschrift des Lebenslaufes von Kurt Siegert für die Abteilung Leitende Organe der Partei- und Massenorganisationen der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 27.6.1951 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699, Nr. 730, Bl. 24).

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Lehrausbildung 1929–1933 bei Dipl.-Ing. Poppe, Aue. Hingegen nach dem letzten Fragebogen v. 2.1.1959 und einigen anderen bei der Erzgeb. Schweißmasch. Fabrik Aue. Ist das miteinander identisch?«73 Der Großteil der späteren sächsischen Funktionärsriege der 1. Kreissekretäre war nach der Schulzeit zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr in Betrieben der Metall- und Textilverarbeitenden Industrie eingestellt, gefolgt von Ausbildungserfahrungen und Berufsqualifikationen im Handwerksgewerbe klein- und mittelständischer Unternehmen. Zusammengenommen gingen 70 Prozent der Untersuchungsgruppe diesen bereichsspezifischen Qualifikationsweg. In der deutlichen Unterzahl wurden Lehrberufe ausgeübt, die für eine spätere Tätigkeit im Verwaltungs-, Versicherungs- und Gesundheitswesen oder im Bereich Handel und Banken qualifizierten. Diese Arbeitsfelder setzten häufig den Besuch von Fach- oder Fachoberschulen voraus, was für einen Großteil nicht zuletzt wegen des zu entrichtenden Schulgeldes von vornherein kaum in Frage kam. Dennoch schlugen immerhin 17 Prozent der Gruppe diesen Weg ein. In dieser Phase der sekundären Sozialisation machten dann 12 Prozent der Kreissekretäre die Erfahrung, berufsbezogen am untersten Rand der Gesellschaftsordnung platziert zu sein. Als Laufburschen, Lager-, Hilfs- oder Landarbeiter waren sie nach dem Ende der Schulpflicht nicht in Lehrbetrieben untergekommen, erhielten keine qualifizierenden Berufsausbildungen und wechselten sehr häufig die Erwerbsquellen. Extreme horizontale Arbeitsmobilität stellte ein Phänomen dar, das in diesem Zusammenhang häufiger auftrat. Ein typisches Beispiel dieser Erwerbsgeschichte ist der Fall von Wilhelm Morawe, der von 1951 bis 1958 in Niesky als 1. Kreissekretär fungierte. In den ersten knapp dreißig Jahren seines Erwerbslebens war er in verschiedensten Gebieten Sachsens und des weiteren Deutschen Reiches im Wechsel entweder als Packer, als Landarbeiter, als Bauarbeiter oder als Monteur wiederholt nur kurzfristig in einer Branche und an einem Ort beschäftigt gewesen.74 Quantitativ überhaupt keine Rolle in dem Bereich der Tertiärqualifikation spielte ein Fachhochschul- oder Universitätsstudium. Dieses Merkmal, dem auch in der Weimarer Republik »bei der Verteilung sozialer Chancen die wichtigste Schleusenfunktion zufiel«,75 kam bei gerade einem späteren 1. Kreissekretär der untersuchten Gruppe vor.76 73 74

75 76

Aktennotiz der SED-Bezirksleitung, Sektor Parteikader, im Zuge der kaderpolitischen Überprüfung von Kurt Siegert vom 22.8.1963 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699, Nr. 730, unpaginiert). Zum damit einhergehenden Phänomen der politischen Radikalisierung unter den Mitgliedern der KPD in der Weimarer Republik siehe Mallmann, Kommunisten, S. 113 f. Zur Kurzbiografie Morawes, geb. 1906, und dessen Bildungs- und Berufsweg vgl. den Delegiertenbogen zur III. Parteikonferenz der SED vom 4.3.1956 (SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/11/89, Bl. 100 f.). Winkler, Schein der Normalität, S. 111. Hier handelt es sich ausdrücklich um die berufliche Erstqualifikation vor dem späteren Eintritt in die hauptamtliche Parteiarbeit nach 1946. In der DDR absolvierte, nachträglich qualifizierende Hochschulabschlüsse sind nicht mit einberechnet. Vgl. zu Letzterem Kapitel V 4.

Soziale und politische Herkunft

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Vergleicht man die Ergebnisse mit Analysen zur Arbeiterschaft in der Gesamtbevölkerung der Weimarer Republik, so lässt sich in puncto Berufsqualifikation und sozialer Verortung bei den späteren SED-Funktionseliten eine hohe Kongruenz zu ihrem Herkunftsmilieu feststellen. Der Anteil der Arbeiterkinder, die das Abitur ablegten, betrug im Reichsdurchschnitt des Jahres 1931 etwa fünf Prozent, an den deutschen Universitäten studierten im Jahr 1931 knapp zwei Prozent. Die späteren sächsischen Kreissekretäre waren wie die Arbeiterschaft insgesamt von der »fortdauernden Chancenungleichheit im Bereich von höheren und Hochschulen« betroffen.77 Schul- und Ausbildungswege sowie berufliche Erstqualifikationen der späteren Parteifunktionäre markierten demnach keine Differenzkriterien zu den in den Herkunftsmilieus typischerweise anzutreffenden Berufswegen. Auch die aus den Profilen der Vätergeneration deduzierten Berufs- und Sozialstatus der unmittelbaren Herkunftsfamilien wiesen dieselben Verhältnisse auf und ließen daher keine Impulse im Bereich der intergenerationellen vertikalen Mobilität zu. Dieser Befund wird noch unterstrichen durch die Daten zu den faktisch ausgeübten Berufen im unmittelbaren Vorfeld des Beginns der hauptamtlichen Parteiarbeit in der SED. Das Merkmal »Arbeiter« traf auf insgesamt 72 Prozent der späteren Kreissekretäre zu. In Relation zu den weiteren Berufsbildern trat dieses dominierende Faktum in drei Vierteln der Fälle auf. Die einzige nennenswerte Änderung beim Rest der Gruppe war die starke Abnahme der selbstständig Beschäftigten bei gleichzeitiger Zunahme der Beschäftigungszahlen im Bereich der Angestellten. Mit 17 Prozent machten diese zwar einen nicht unbedeutenden Teil aus, bewegten sich mit diesen Verhältniszahlen jedoch recht deutlich unter dem Reichsdurchschnitt der Arbeiterkinder aus politisch nicht so aktiven Elternhäusern. Der Gewerkschaftsbund für Angestellte (GDA) ermittelte für diese Gruppe im Jahr 1929 laut Winkler einen Anteil von 25 Prozent.78 Unter dem Strich tritt bei den tatsächlich ausgeübten Berufen der sächsischen 1. Kreissekretäre – in Analogie zum Bereich der Bildung – im Vergleich zu den Elternhäusern eine hohe Kohärenz der sozialen Positionierung hervor. Mit anderen Worten waren sie genau wie die übrigen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der Arbeiterschaft in ihrer sekundären Sozialisationsphase dem allgemeinen Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit ausgesetzt, der in der Weimarer Republik für die unteren Ränge des gesellschaftlichen Spektrums kaum Aufstiegsmöglichkeiten zuließ. Erst in der Zeit nach 1945 sollte die Gruppe Erfahrungen eines berufsbedingten vertikalen Aufstiegs machen und sich dadurch vom Gros der Vätergeneration erheblich unterscheiden. Dies war 77 78

Winkler, Schein der Normalität, S. 111 f. Ebd., S. 112.

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dann jedoch weniger an die formal-fachlichen Qualifikationen des staatlich-beruflichen Bildungsweges gebunden, als vielmehr dem »konjunkturellen« Nachfrageanstieg nach einem speziellen Gut geschuldet, das als wichtigste Ressource des späteren staatssozialistischen Funktionärsapparates der regionalen SED in Sachsen gelten kann: das spezifische, über den weiteren politischen Lebensweg gesammelte politische Kapital.

3. Prolepse zu Geschlechterrelationen an der Spitze der SED-Kreisleitungen »Kein einziges der großen Probleme, die heute vor uns stehen, mag es sich um den wirtschaftlichen Wiederaufbau handeln oder um die politische und kulturelle Neugestaltung Deutschlands, kann gelöst werden ohne die aktive, gleichberechtigte Mitarbeit der Frau. In klarer Erkenntnis dieser Tatsachen steht die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands an der Spitze des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frau.«79 Entgegen diesen agitatorischen Ausführungen, die Erich W. Gniffke 1947 in einer für die hauptamtlichen Mitarbeiter der SED herausgegebenen Broschüre mit den Titel »Der SED-Funktionär« machte, muss bezogen auf den Aspekt der personalpolitischen Aufstellung in den SED-Kreisparteiapparaten in Sachsen zweierlei festgestellt werden: Faktisch haben die SED-Leitungsinstanzen weder an der Spitze vermeintlicher innerparteilicher Frauenförderung oder Emanzipationsbestrebungen gestanden. Noch hat es jenseits der sporadisch aufkommenden propagandistischen Absichtserklärungen je ernst gemeinte Initiativen zur vertieften Integration von Frauen in die obersten hauptamtlichen Funktionen der Staatspartei auf Kreisebene gegeben. Dort war die verantwortliche politische Leitung von Anfang an Männersache und dies blieb auch so über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg. Unmittelbar nach dem Krieg und in den 1950er-Jahren unternahm die SED in den Bereichen der schulischen und beruflichen Qualifikation, der Erwerbstätigkeit in den Betrieben und auch bei der »Rekrutierung […] für politisch-gesellschaftliche Basisaktivitäten bis hinauf in mittlere Leitungsfunktionen« durchaus erfolgreiche Anstrengungen zur verstärkten Integration von Frauen.80 Es wurden sowohl neue rechtliche Weichenstellungen zu mehr Gleichberechtigung in die Verfassung der DDR eingeschrieben, als auch Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgehoben, die »der gleichberechtigten Stellung der Frau in Ehe und Familie« sowie im Beruf entgegenstanden.81 79 80 81

Gniffke, SED Funktionär, S. 50. Meyer, DDR-Machtelite, S. 119. Gerhard, Geschlechterverhältnisse, S. 389. Die Autorin geht in dem Aufsatz ausführlich auf die legislativen Aspekte der Gleichstellungsproblematik in der DDR ein.

Prolepse zu Geschlechterrelationen an der Spitze der SED-Kreisleitung

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Propagandistisch nutzte die neue staatssozialistische Führung diese Gleichberechtigungsunternehmungen freilich auch zur offiziellen Profilierung. Die Parteispitze setzte darauf, sich anhand dieses politisch gut zu instrumentalisierenden Themas in die Riege kommunistischer Egalitätspostuleure eingereiht zu sehen, auf deren Nimbus die Chefideologen der SED die Legitimität der Parteiherrschaft begründeten. Bei Erich W. Gniffke hieß es dazu etwa, dass sich bereits die »hervorragendsten Vertreter der fortschrittlichen Menschheit« einig darüber gewesen seien, dass »die Stellung, die die Frau in der Gesellschaft einnimmt, ein besonderes Charaktermerkmal für die Entwicklungsstufe der Gesellschaft ist. Marx, Engels, Lenin und Bebel«, so Gniffke weiter, hätten »eindringlich auf die große Rolle der Frau im Kampf um die Demokratie und den Sozialismus hingewiesen.«82 Hinter den Impulsen, die im Bereich der Förderung von Frauen besonders im betrieblichen Arbeitsleben gesetzt wurden, standen jedoch nicht ideelle, sondern pragmatische und ökonomische Beweggründe. Sowohl der Krieg als auch die Abwanderungsbewegungen in die westlichen Besatzungszonen bzw. ab 1949 in die BRD bis zum Mauerbau brachten das demografische Verhältnis von Frauen und Männern in den drei Bezirken Chemnitz/Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig aus dem Gleichgewicht. Im Jahr 1950 kamen beispielsweise in der allgemeinen Bevölkerungsstruktur auf 2 631 200 männliche Einwohner im Gebiet der späteren drei sächsischen Bezirke allein 3 316 000 weibliche Einwohner.83 Frauen als soziale Gruppe waren für die Machthaber der SED jedoch nur insofern relevant, als dass sie ein wichtiges Reservoir an »werktätiger« Arbeitskraft bildeten, aus dem für die planwirtschaftliche Sollerfüllung geschöpft werden konnte. Eine emanzipierte, ungeachtet des Geschlechts qualifizierte Gruppe mit denselben Chancen zur Teilhabe an grundlegenden politischen Entscheidungen wie die Männer waren sie in der Staatspartei jedoch nicht. Die Zahlen belegen dies. Obwohl in den Kreisen und Bezirken der weibliche Bevölkerungsanteil im Vergleich zum männlichen ein deutliches Übergewicht aufwies, blieben Frauen in den SED-Kreis- und Bezirksleitungen eklatant unterrepräsentiert.84 Laut einer internen Statistik des ZK der SED betrug der Frauenanteil in den Bezirksleitungen beispielsweise 1962 durchschnittlich rund 12 Prozent, in den Kreisleitungen 15 Prozent. Diese Zahlen stellten bereits Spitzenwerte dar und beinhalteten nicht nur hauptamtliche Funktionärinnen, sondern – und dies lässt die Werte zunächst viel höher erscheinen, als sie bezogen auf die Funktionseliten wirklich gewesen waren – auch das gesamte technische Personal.85 82 83 84 85

Gniffke, SED Funktionär, S. 50. Statistisches Jahrbuch der DDR, S. 13. Zur Unterrepräsentation von Frauen in den sächsischen Bezirksleitungen vgl. Niemann, Kaderpolitik der SED, S. 244 ff. Abteilung Parteiorgane im ZK der SED, Statistik über den Anteil der Frauen in den Apparaten der Bezirks- und Kreisleitungen, Stand Oktober 1965 (SAPMO-BArch, DY 30/27860, Bl. 31).

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Wesentlich deutlicher manifestierte sich die Ungleichheit der Geschlechterrelation bei der Besetzung der Führungspositionen der sächsischen 1. Kreissekretärsposten der SED. Legt man sämtliche Periodisierungsabschnitte zwischen 1946 und 1971 zugrunde, kam der Anteil an Frauen in genau dieser Funktion nicht über den Durchschnittswert von gerade einmal drei Prozent hinaus.86 Die statistischen Befunde untermauern, was auf der qualitativen Ebene sowohl in der Überlieferung von Zusammenkünften der führenden Köpfe der Parteizentrale des ZK in Berlin mit den 1. Kreissekretären als auch in den Sitzungen der Funktionseliten in den sächsischen Kreisen selbst deutlich zu Tage tritt: Trotz aller nach außen gerichteten propagandistischen Beteuerungen zur Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter im Berufsleben mussten Frauen – ähnlich wie im akademischen Bereich der Universitäten in der DDR – mit starken Ressentiments und »verbreiteten Vorbehalten und Widerständen rechnen, deren Spannweite von diffusem Antifeminismus über die unreflektierte Zuschreibung geschlechtsspezifischer Rollenmuster bis hin zu offensichtlichen Ausgrenzungsund Marginalisierungsstrategien führte«.87 1949 zeigten sich bereits im strukturellen Parteiaufbau der SED deutliche Formen »paternalistischer und patriarchalischer Strukturelemente bürokratischer Herrschaft«,88 die die untergeordnete Rolle von Frauen in der Partei klar zu Tage treten ließen. Die in den Organigrammen nach dem ersten Statut der SED noch fest verankerten Frauenabteilungen der Kreisparteiorganisationen waren in der alltäglichen Organisationspraxis nicht im geringsten Maße in der Lage, die Funktion der Interessensvertretung und Umsetzung von gleichstellungspolitischen Belangen der Frauen zu übernehmen. Die Abteilungen blieben politisch völlig am Rande – wenn sie denn überhaupt eingerichtet worden waren. Auf der ersten Organisationskonferenz der SED am 8. Juni 1949 kam der Parteivorsitzende in seinem Schlusswort auf die Kritik einiger Funktionärinnen an der mangelnden Unterstützung für die Frauenabteilungen in den SED-Kreisleitungen zu sprechen: »Bei den meisten Kreisleitungen gibt es doch gar keine Frauenabteilung«, so Walter Ulbricht. »Es gibt dort eine Referentin oder eine Funktionärin für die Frauenarbeit, im besten Falle. So ist es wirklich und deshalb hat die Propaganda 86

87 88

Für die Datenbank ließen sich lediglich n=11 Personen weiblichen Geschlechtes ermitteln. Dieser Wert für die sächsischen 1. Kreissekretärinnen unterschreitet sogar noch die Befunde, die Meyer in seiner Untersuchung zur DDR-Machtelite für die 1980er-Jahre auf dem Gebiet der gesamten DDR ermittelt hat. 1981/84 und 1986 konnte ein Frauenanteil von 3,7 % sowie 5,7 % 1. Sekretärinnen ermittelt werden. Vgl. Meyer, DDR-Machtelite, S. 222. Bezogen auf den Posten sowohl des 1. Sekretärs als auch des 2. Sekretärs von Kreisparteileitungen der SED in Thüringen kommt Best auf den Durchschnittswert von 6 %, vgl. Best/Mestrup, Sekretäre, S. 232. Sachsen verfügte im Mittel damit über besonders wenige weibliche 1. SED-Kreissekretärinnen. Zum Frauenanteil im Staatssektor am Beispiel der Volkskammerabgeordneten der DDR vgl. Pawlowski, Frauen in der Volkskammer, S. 8. Jessen, Akademische Elite, S. 392. Meyer, Machtelite, S. 211.

Prolepse zu Geschlechterrelationen an der Spitze der SED-Kreisleitung

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über die Frauenabteilungen bei den Kreisleitungen nicht viel Zweck, weil sie gar nicht bestehen.«89 Diese Nichterfüllung organisationspolitischer Ordnungsvorgaben des ZK schien Ulbricht jedoch nicht weiter gestört zu haben. Ohnehin äußerte er in dieser internen Parteiversammlung, dass es der Führung viel wichtiger sei, Frauen vor allem in den Wohngebieten für politische Massen- und Basisarbeit zu aktivieren und »eine breite Agitation unter den Frauen« durchzuführen. Dies jedoch, so Ulbricht weiter, ohne »irgendwelche Voraussetzungen zu fordern, dass die Frauen Demokraten und wer weiß was alles sind, genau so, wie es bei der FDJ gemacht wird, die alles Mögliche erfasst und beeinflusst«. Hier deutet sich über die Frauenfrage hinaus die entideologisierte und zweckrationale personelle Integrationsstrategie der SED nach dem Zweiten Weltkrieg an. Die Frauenabteilungen, um die es hier jedoch ging, personell und strukturell zu stärken und als Kollektivakteure in die politischen Entscheidungsprozesse der SED-Kreisleitungen zu integrieren, war nicht geplant. Ulbricht schien diese Thematik eher lästig zu sein. Er erteilte Anfragen zu Regelungen über intensivierte politische Mitspracherechte der ohnehin kaum handlungsfähigen Frauenabteilungen in diesem Zusammenhang dann auch eine deutliche Absage: »Aber wenn nun Genossinnen kommen«, so Ulbricht weiter, »und sagen, die Frauenabteilungen sind zu koordinieren. Liebe Genossinnen, das erfordert, dass die Frauenleiterin gescheiter ist als der Landesvorsitzende. Das erfordert, dass sie alles kennen muss. Sie sagt, wenn Ihr ein Communiqué herausgebt über die Erhöhung der Lebensmittelrationen, muss ich vorher die Frauenorganisation fragen. Ich bin bereit dazu, aber ich kann das nicht«, fuhr Ulbricht fort. »Da kann ich nicht warten, bis die Frauenabteilung kommt, um dann diese Ziffern zu bestätigen. So weit geht das nicht.«90 Die Signale, die gleich auf der 1. Organisationskonferenz zur Relevanz der politisch organisierten Mitbestimmung von Frauen von der SED-Spitze ausgegeben wurden, mündeten in dem lapidaren Schlusssatz Ulbrichts: »Mir scheint also, dass man die Dinge nicht noch komplizierter machen muss, als sie sowieso schon sind.«91 In den sächsischen Kreisleitungen kam diese abschätzige Werthaltung aus Berlin nur zu deutlich an – und fiel auf fruchtbaren Boden. Dort waren seit der Zwangsvereinigung von SPD und KPD aus den nahezu durchweg männlich besetzten hauptamtlichen Leitungsgremien der SED-Kreisleitungen ohnehin kaum Impulse zur Stärkung der Rolle der Frau gekommen. Dies bedeutete zugleich eine Kontinuität von verfestigten geschlechtsspezifischen Grundhaltungen im deutschen Kommunismus, in dem sich trotz aller Gleichheitsideen seit Beginn der organisierten Arbeiterbewegung ein starker »traditioneller Antifeminismus«92 89 90 91 92

Schlusswort Walter Ulbrichts, Protokoll der 1. Organisationskonferenz der SED vom 8.6.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/115, Bl. 283). Ebd., Bl. 284. Ebd. Dölling, Patriarchalismus staatssozialistischer Gesellschaften, S. 408.

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offenbarte. In der KPD hatte sich seit 1919 ein »Männlichkeitskult« verankert, der – begleitet von einer ikonografischen Stilisierung – »von der normativen Vorstellung der männlichen Partei und damit auch der – soweit politisch bedeutsamen – männlichen Arbeiterklasse« bestimmt gewesen ist.93 Diese Stereotype schrieben sich in das Selbstverständnis der KPD ein und wirkten auch in den Habitusformen vieler männlicher SED-Funktionäre nach 1945 fort. »Wo aber bleibt die Frau?«94 Diesen Stoßseufzer tätigte Otto Schön am 24. August 1949, als er, in seiner Funktion als Mitglied des sächsischen SED-Landesvorstandes im Vorfeld der Neuwahlen der SED-Vorstände, die einzelnen Kreise bereiste. In der Leitungssitzung in Grimma stellte er fest, dass von der dortigen Personalabteilung, trotz der deutlichen Anweisung des Landesvorstandes, den Frauenanteil – wenn auch nur aus Repräsentationsgründen – zu steigern, »nicht eine einzige Frau in Vorschlag gebracht wurde«.95 Was sich organisationsstrukturell und in der politischen Praxis bereits abgezeichnet hatte, fand seine Entsprechung auf der konkreten personalpolitischen Ebene lokaler Entscheidungsfindungen in den sächsischen SED-Kreisleitungen. Trotz formal-nomineller Vorgaben aus Berlin und Dresden wurde der Frauenanteil in den Kreisparteiapparaten nicht erhöht. Schön klärte zwar den Grimmaer SED-Kreisvorstand wie folgt auf: »Wir stehen vor den Parteiwahlen, wir wollen nicht nur Frauen in die Leitungen, sondern auch Frauen als Vorsitzende« und mahnte sogar, dass der Landesvorstand festzustellen beabsichtigt, »wie viel Frauen in Leitungen führend sind. Wenn der Prozentsatz zu wenig ist«, so Schön weiter, »werden wir die Wahlen wiederholen lassen.«96 Dies blieb jedoch eine Drohung, die ins Leere lief. Weder der Parteivorstand noch die Landesleitung, die mit ihren weitreichenden Eingriffsbefugnissen ihrer dirigistischen Kaderpolitik sicherlich die Möglichkeit gehabt hätten, ernst gemeinte emanzipatorische Belange in der Geschlechterfrage durchsetzen zu können, verfolgten mit Nachdruck das Ziel, Frauen in die Leitungspositionen der Kreise einzubinden. Als im September 1949 der SED-Landesvorsitzende Ernst Lohagen eine Zwischenbilanz zu den Bemühungen im Bereich der Postenbesetzung durch Frauen auf der Kreisdelegiertenkonferenz zog, musste er feststellen, dass in Grimma noch immer keine Frau als Kandidatin für einen leitenden Posten im Sekretariat oder gar als Vorsitzende gefunden war. Lohagen berichtete auch aus anderen sächsischen Kreisen, dass es »nicht immer leicht ist, die neuen Sekretariate aufzubauen, da oft sehr viel Unverständnis von Seiten der Kreisvorstände vorhanden

93 94 95 96

Rosenhaft, Straßengewalt um 1930, S. 266. Diskussionsbeitrag von Otto Schön in der Sekretariatssitzung des Kreisvorstandes der SED Grimma vom 24.8.1949 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/08/43, Bl. 47). Ebd. Ebd.

Prolepse zu Geschlechterrelationen an der Spitze der SED-Kreisleitung

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ist, vor allem in der Frage der Genossinnen, die unbedingt in die Sekretariate eingebaut werden müssen«.97 Die ohnehin kaum ernst gemeinten parteiinternen Vorgaben verliefen also im Sande. Erst drei Jahre später sollte 1952 mit Helene Schenk in der Kreisleitung Stollberg, im Anschluss an die Verwaltungs- und Kreisreform in der DDR, eine Frau als 1. Kreissekretärin die politische Verantwortung zur Leitung einer SED-Kreisleitung in einem der drei sächsischen Bezirke zugesprochen bekommen. Dass dies jedoch die Ausnahme bildete, ist ein Beleg für die »spezifische Verquickung von Staatssozialismus und Patriarchat«.98 In den SED-Kreisparteiapparaten manifestierte sich dieser Dualismus in der fortdauernden Reproduktion traditioneller Geschlechterbilder und Rollenzuweisungen. Dies schrieb sich in den Verhaltensweisen der Männer fort. Ein Beispiel für unterschwellige Frauenfeindlichkeit und die tiefsitzenden Vorbehalte gegenüber den Leitungsfähigkeiten der Frauen zeigte sich etwa 1952 während einer Sekretariatssitzung im Kreis Borna. Als der dortige 1. Kreissekretär Max Heidler in einem Grundsatzreferat darauf zu sprechen kam, wie die Sekretariatsmitglieder ihrer Rolle als ideologische Agitatoren und Multiplikatoren der SED-Politik auch jenseits ihrer Arbeitszeit im Alltag gerecht werden sollten, kam er auf das Geschlechterthema zu sprechen: »Wir müssen uns auch einmal fragen, was sagen die Frauen dazu, nicht nur unsere Kumpel. Unsere Frauen diskutieren oft schlechter als unsere Kumpel. […] Wie oft hört man diese Argumente. Immer wird davon gesprochen, dass die Frauen nicht sprechen können. Sie können es, nur falsch diskutieren sie. Was gibt uns diese Diskussion zu bedenken? Was machen unsere Funktionäre mit ihren Frauen? Sie sind nicht in der Lage, ihre Frauen aufzuklären. Ihre Frauen sind nicht in der Lage, in den Geschäften gegen die Argumente aufzutreten. Bevor ein jeder Genosse Funktionär in eine Versammlung einsteigt, muss er erst seine Frau aufklären, das ist die Pflicht eines jeden Genossen Funktionär.«99 Die Verbindung von politischem Sendungsbewusstsein, patriarchaler Borniertheit und männerbündlerischen Verhaltensweisen kommt hier deutlich zum Ausdruck. Zehn Jahre später, im Jahr 1961, wurde nach der Abriegelung der innerdeutschen Grenze durch die SED der großangelegte Versuch unternommen, in einer »intensiven dreimonatigen Pressekampagne«,100 an deren Schluss das Kommuniqué »Die Frauen – der Frieden und der Sozialismus« stand,101 eine verstärkte 97 Diskussionsbeitrag des Vorsitzenden des sächsischen Landesvorstandes der SED Ernst Lohagen in der Sekretariatssitzung des Kreisvorstandes der SED Grimma vom 13.9.1949 (StAL, SEDBPA Leipzig, IV/08/43, Bl. 112). 98 Dölling, Patriarchalismus staatssozialistischer Gesellschaften, S. 408. 99 Referat des 1. Kreissekretärs von Borna Max Heidler, Protokoll der Besprechung der 1. Sekretäre der Orts-, Betriebs- und Stadtteilorganisationen der SED im Kreis Borna vom 2.7.1952 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/2/120, Bl. 6). 100 Kreutzer, Gebildete Frauen, S. 24. 101 Gieseke, Mitarbeiter der Staatssicherheit, S. 267.

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Berücksichtigung und Qualifizierung der Frauen im Berufsleben zu erwirken. So wurde versucht, die in der weiblichen Bevölkerungshälfte vorherrschende »Distanz gegenüber dem Regime« zu verringern.102 Die Kampagne sollte nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Im Parteiapparat war ebenfalls kaum mehr zu vernehmen, als sporadisch aufkommende emanzipatorische Absichtserklärungen. Die Anzahl leitender Funktionärinnen und besonders der 1. Kreissekretärinnen in Sachsen blieb konstant auf einem Niveau, das im Grunde einem Ausschluss von Frauen auf dieser Position in der herrschenden Staatspartei gleichkam. Dass auch beim Ministerium für Staatssicherheit weibliches Personal »nur selten in gehobenen Stellungen diente« zeigt,103 dass abgesehen von der repräsentativen Feigenblattfunktion der Frauen in der Volkskammer – wo der Anteil weiblicher Abgeordneter bis auf 32,2 Prozent im Jahr 1986 anstieg – es politisch ambitionierten Frauen zu keiner Zeit gelang, die gläsernen Decken der DDR-Herrschaftsinstitutionen im Allgemeinen und der sächsischen SED-Parteiorganisationen auf Kreisebene im Besonderen zu durchstoßen. Die Geschlechtszughörigkeit war in den sächsischen SED-Kreissekretariaten stets ein starkes und konstant relevantes Merkmal sozialer Selektion und letztlich Ausweis der Ungleichbehandlung der Parteieliten in der sogenannten Einheitspartei.

102 103

Ebd., S. 269. Schmole, Spitzenfrauen des MfS, S. 107.

IV. Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

Die Funktionselite der sächsischen 1. Kreissekretäre kann – genau wie die Gesamtgesellschaft und die weiteren in ihr unterscheidbaren Teilgruppen auch – anhand des Differenzkriteriums der Generationenzugehörigkeit beschrieben werden.1 Der Begriff der Generation wird hier als soziokulturelle Kategorie zur Einteilung der verschiedenen kollektiven Lebens(ver-)läufe der SED-Herrschaftsträger angewendet.2 Durch diese Perspektivierung rücken zum einen die voneinander stark abgegrenzten erfahrungsgeschichtlichen Prägungen und zum anderen spezifische sozialisatorische Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten der Gruppe in den Vordergrund, die für die personelle Konfiguration der SED von entscheidender Bedeutung waren. »Generation« als Forschungsparadigma wird je nach Verwendungszusammenhang, Erkenntnisinteresse und Fragestellung unterschiedlich operationalisiert. Der Bestimmung dessen, was eine Generation ausmacht, welche Jahrgangskohorten ihr zugerechnet werden können, wie im Einzelnen die geschichtliche Dauer und Wirksamkeit einer Generation anzusetzen ist, wie Generationen voneinander abgegrenzt werden, welche äußeren erfahrungsgeschichtlichen Einflussfaktoren zur Konstituierung herangezogen werden und ab wann Generationen als handelnde Kollektivsubjekte gesellschaftlicher Praxis auftreten − liegen kontingente Vorentscheidungen zu Grunde, die sich a priori einer methodischen 1

2

Zur Systematisierung des Generationenkonzeptes bei paralleler Anwendung auf die allgemeine Gesellschaftsgeschichte der DDR siehe Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 475–571; ebenso zu Generationeneinteilung anhand prominenter Personen der DDR-Geschichte unter leicht veränderten periodischen Grenzsetzungen Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 113. Den Jahrgang der 1949 in der DDR Geborenen kollektivbiografisch umfangreich untersucht hat Wierling, Jahr Eins. Für einen essayistisch-alltagsgeschichtlich orientierten Blick auf die generationelle Schichtung in der DDR siehe Engler, Die Ostdeutschen, S. 320 f. Zu einer anderen Verwendung des Generationsbegriffes, bei der Generation vielmehr konstruktivistisch als narrative ex-post-Kategorie denn als Erlebnisgemeinschaft verstanden wird vgl. etwa Weisbrod, Generation und Generationalität, S. 3–9 sowie Reulecke, Generationalität und Lebensgeschichte, S. 7 f.

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Kontrolle entziehen, weil sie zur Konstituierung des Analyseinstruments zunächst gesetzt werden müssen.3 Bei explizitem methodenkritischem Vorgehen bedeutet dies jedoch keinen Nachteil, sondern im Gegenteil »in Analogie zur physikalischen Unschärfe-Relation«4 einen heuristischen Mehrwert. Diese Perspektivierung hilft sowohl das Verhältnis von sozialen Brüchen und Kontinuitäten in den kollektiven Lebensläufen zu klären als auch die Wechselwirkungen des Nebeneinanders der verschiedenen generationellen Gruppen im regionalen Parteiapparat zur gleichen Zeit erfassbar zu machen. Beurteilt werden kann anhand dieser Methodik auch, ob diese »Dynamik mehrschichtiger Zeit zur gleichen Zeit«5 zu Auseinandersetzungen, Hemmnissen und Funktionsunfähigkeiten führte oder ob es der SED gelang, die Generationensymbiose innerhalb ihres Kadernomenklatursystems herzustellen, das das anthropologische Rückgrat der bürokratischen Parteiherrschaft in der Ulbricht-Ära bildete. Das in der Datenbank erfasste Panorama der Alterskohorten der 1. Kreissekretäre insgesamt beginnt im Geburtsjahr des paritätischen Kreisvorsitzenden der SED im Kreis Niesky in der Oberlausitz, Carl Wechsmann, der, drei Jahre nach der Ausrufung König Wilhelms I. von Preußen zum Kaiser des Deutschen Reichs im Spiegelsaal von Versailles, im Jahr 1871 zur Welt kam. Es endet 1931, also zwei Jahre vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, mit dem 1. Sekretär der SED in der Vogtländischen Kreisstadt Oelsnitz, Alfred Hoffmann. Letztgenannter erlebte im Jahr 1945 durch seine späte Geburt die Niederlage des Deutschen Reiches und damit den Untergang des NS-Regimes bereits unbescholten von den für viele Kinder und Jugendliche vorhergehender Jahrgänge verbindlichen, von der Hitlerjugend mit organisierten Kriegshilfseinsätzen im Zusammenhang des »Volkssturms«6. Erstgenannter war wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Dienst als Soldat im Militär des deutschen Kaiserreichs und der damit verbundenen Teilnahme am Ersten Weltkrieg ab 1914 bereits beinahe nicht mehr in Frage gekommen. Die Spannweite der kollektiven Lebensläufe und die damit aufgerufenen historischen Phasen machen evident, dass die Fülle von »historischen Umbruchsituationen wie Revolutionen, Systemwechseln« und Kriegen sowie die »Heterogenität politischer und gesellschaftlicher Strömungen«7 im gegebenen Zeitraum generationsspezifische methodische Vorüberlegungen erfordern. Erst diese ermöglichen es, die von Karl Mannheim in seiner klassischen Generationstaxonomie als Generationslagerungen, Generationszusammenhänge und Generationseinheiten 3 4 5 6 7

Bude, Soziologie der Generationen, S. 425. Herrmann, Was ist eine Generation?, S. 26. Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 367. Keller, »Jedes Dorf eine Festung«, S. 23. Jureit, Einleitung, S. 2.

Kurzvorstellung der politischen Generationen

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operationalisierten Gruppen zu markieren, die hier als »politische Generationen« verstanden werden. Zudem gewährleisten sie die Einteilungen der verschiedenen Lebensverläufe in Rückbindung an die die späteren politischen Akteure prägenden sozialisatorischen Prozesse in politisch-sozialer wie auch kultureller Hinsicht sowie darüber hinaus an bedeutende historische Schlüsselereignisse.8 Die Gesamtheit der zu untersuchenden 1. SED-Kreissekretäre wird für die Analyse des Datensatzes in vier voneinander geschiedene Gruppen gegliedert. Um diese politischen Generationen beschreiben zu können, werden zunächst die einzelnen Jahrgangskohorten voneinander abgegrenzt. Diese Operationalisierung im Sinne der Mannheim’schen Generationslagerung folgt zunächst nur dem biologischen Faktum des benachbarten Lebensalters der darunter subsumierten Gruppenangehörigen. Generationslagerungen sind zunächst lediglich »etwas Potenzielles«,9 bilden jedoch die Grundlage für die weitere Konkretisierung der daraus hergeleiteten Generationenzusammenhänge. Diese konstituieren sich – idealtypisch formuliert – durch das Wechselspiel einer Generationslagerung mit den auf sie einwirkenden äußeren Einflüssen in den historischen Zeitläuften. Daher orientieren sich die Grenzsetzungen und Einteilungen der Generationszusammenhänge an drei Grundannahmen: Zunächst wird davon ausgegangen, dass es in einem politischen Sozialisationsprozess eines durchschnittlichen Lebenslaufs eine entwicklungs- und sozialpsychologisch besonders formative Prägungszeit gibt, die etwa im Alter zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr angesiedelt ist. Während dieser Phase, so die Annahme, eignet sich der Mensch »Werte, Normen, Einstellungen und Kenntnisse« an, die dauerhaft und ganz entscheidend »das politische Handeln beeinflussen, regeln und lenken«.10 Die weiteren Lebensphasen mit den darin auf die Kollektivsubjekte einwirkenden sozialisatorischen Einwirkungsfaktoren sind freilich ebenfalls für die Beschreibung relevant, zunächst jedoch liegt zur Operationalisierung der methodischen Grundannahmen das Hauptaugenmerk auf dem benannten biografischen Abschnitt.11 Des Weiteren werden bestimmende Charakteristika der einzelnen Generationszusammenhänge nach in der Prägungsphase wirksam werdenden »Sozialisationsagenturen«12 8 9 10

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Mannheim, Problem der Generationen, S. 28. Ebd. Pawelka, Politische Sozialisation, S. 12. Zur Verortung dieser Phase im Lebenslauf einer »Normalbiografie« und der weiteren Operationalisierung zur Herleitung von »politischen Generationen« vgl. Fogt, Politische Generation, S. 55–62. Für die kritische Diskussion unterschiedlicher Ansätze gerade auch unter Einbeziehung gesellschaftlicher Sozialisationsbedingungen siehe Kohli, Erwartungen, S. 9–31. Auf dieser methodologischen Grundlage hat zuletzt Ulrich Herbert drei Generationengruppen beschrieben. Vgl. Herbert, Generationen im 20. Jahrhundert, S. 95–114. Aktuelle Sozialisationstheorien negieren durchaus nicht die hier markierte engere Prägungsphase, stärkeres Interesse liegt jedoch gegenwärtig auf den Überlegungen zu lebenslangen Sozialisationsprozessen. Vgl. etwa Müller, Einführung Sozialisation, S. 41–60. Fogt, Politische Generation, S. 68.

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rekonstruiert. Diese sind im Gegensatz zu den in der Kindheit noch maßgeblichen passiv-familialen Einflussfaktoren insbesondere durch eigensinnige Selbstverortung und aktive Integration in politische und gesellschaftliche Jugendorganisationen und Vereine sowie in Parteien beschreibbar. Als abschließende Variable für die Gruppenkonstituierung werden die wesentlichen Zeitbezüge herangezogen, die besonders in Gestalt zeithistorischer Brüche und Krisen maßgeblich auf die Gruppen einwirkten. Dabei sind etwa die Primäroder Sekundärerfahrungen des Ersten Weltkrieges, strukturelle Erwerbslosigkeit, ideologisch-parteipolitische Fraktionierung der politischen Strömungen und die Lagerbildung in der Weimarer Republik, die Machtübernahme der Nationalsozialisten nach 1932/33 sowie Kriegsteilnahme, Gefangenschaft und unmittelbare Nachkriegszeit relevant. Mit solcherlei äußeren Einflüssen und prägenden historischen »Schlüsselerlebnissen konfrontiert«, so Helmut Fogt in seinem theoretischen Modell über die »politischen Generationen«, bilden die Mitglieder der Generationslagerung in einer »gleichgesinnten und bewussten Auseinandersetzung mit den Leitideen und Werten der politischen Ordnung« einen Generationszusammenhang.13 Dieser durch die verschiedenen Aggregationseffekte entstandene Zusammenhang kann schließlich noch weiter ausdifferenziert werden durch die Bildung von Untereinheiten, die in der Terminologie Mannheims als Generationseinheiten bezeichnet werden.14 Diese Einheiten sind noch enger gefasst und grenzen sich vom Generationszusammenhang dadurch ab, dass deren Angehörige ideell und institutionell eine wesentlich höhere Binnenstrukturiertheit aufweisen, die sich zum Beispiel deutlich an der Inklusion in politisch bzw. weltanschaulich zuordenbare soziale Kollektive manifestiert. Diese einzelnen, nebeneinander vorkommenden Generationseinheiten unterscheiden sich durchaus, es kann gar Generationseinheiten geben, die »kaum mehr Gemeinsamkeiten haben als das, worüber sie sich streiten«.15 Unter Berücksichtigung dieser Vorüberlegungen treten innerhalb der Datenbank vier markante politische Generationen hervor, die nach einer kurzen Einordnung in die zeithistorischen Bezüge genauer analysiert werden.16 Bei der Verwendung des Begriffes der politischen Generation ist im Folgenden immer der (politische) Generationszusammenhang gemeint.

13 14 15 16

Ebd., S. 21. Mannheim, Problem der Generationen, S. 28. Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 114. Vgl. zu dieser Präsentationsform der Kurzvorstellung Niethammer, Industrieprovinz, S. 42.

Kurzvorstellung der politischen Generationen

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1. Kurzvorstellung der politischen Generationen Die erste zu analysierende politische Generation wird gebildet von den Jahrgangskohorten derjenigen späteren 1. Kreissekretäre, die bis zum Jahr 1902 geboren wurden.17 Wer dieser Generation angehörte, hatte gegenüber den folgenden Jahrgängen im gesamten Lebenslauf ein an historischen Schlüsselerlebnissen reichhaltigeres Spektrum prägender politisierender Erfahrungen. Besonders zu nennen sind hier zunächst die extremen Erlebnisse des Kampfes um Leben und Tod im »alle Erfahrungsdimensionen sprengenden«18 Ersten Weltkrieg sowie der von Revolutionshoffnungen und Enttäuschungen erfüllte Beginn der Weimarer Republik. Diese politischen Erfahrungen standen für den Großteil dieser Gruppe im Zentrum der engeren Prägungsphase.19 Sie erlebten die organisatorischen Brüche der Arbeiterbewegung mit der Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) von der SPD und der Gründung des Spartakusbundes und der KPD mit deren späterer »innerparteilicher Stalinisierung« sowie der Unterordnung unter die politischen Ziele der Führung der Kommunistischen Internationale.20 Einschneidende Bedrohungen durch Haft und Verfolgung im Zusammenhang mit politischer Tätigkeit im Widerstand nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren weitere, die Gruppe bestimmende politisch-gesellschaftliche Dynamiken. Politisch besonders Aktive der Untersuchungsgruppe, vorwiegend Mitglieder der KPD, wurden bereits in den Jahren der Weimarer Republik, besonders in der Phase »Krisenjahre«21 bis 1924, wegen ihrer Aktivitäten zu Haftstrafen verurteilt und erlebten politisches Engagement vor allem als existenziellen und radikalen Konflikt. Nach dem Ende des Zweiten 17

18 19

20 21

Diese Gruppe ist in der Datenbank mit n=46 Funktionären vertreten. Dass nicht nur unterschiedliche Fragestellungen verschiedene Generationseinteilungen hervorbringen können, sondern trotz vergleichbar gesellschaftsgeschichtlichem Zugang die Ränder der Jahrgangskohorten eine gewisse Fluidität aufweisen, zeigen etwa die Generationseinteilungen in den soziografischen Analysen zur DDR von Niethammer, Industrieprovinz, S. 42 und Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 113 sowie die Einteilung bei Pohlmann, Betrachtungen S. 123 f. An Angeboten zur Benennung der verschiedenen Generationenzusammenhänge mangelt es nicht. Diese hier vorgestellte politische Generation wurde etwa als Generation der »Altkommunisten«, vgl. Engler, Die Ostdeutschen, S. 320, »KZ-Generation«, vgl. Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 122 oder als Generation der »misstrauischen Patriarchen« vgl. Ahbe/ Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 492 ff. bezeichnet. Herbert, Generationen im 20. Jahrhundert, S. 97. Als Grenzmarkierung der Geburtsjahrgänge ist hier das Jahr 1902 gesetzt, weil nur bis dahin die wehrfähigen Männer noch zum Militärdienst für die Teilnahme am Ersten Weltkrieg eingezogen wurden. In der Generationsforschung hat der Zeitraum um diese Zäsur herum als einer der wenigen nahezu unbestritten Geltung. Vgl. Peukert, Weimarer Republik, S. 26. Peukert leitet aus der Teilnahme am Ersten Weltkrieg die Bezeichnung »Frontgeneration« ab. Eine kritische Position zu dem Ausdruck bezieht Bessel, The front generation, S. 121 f. Weber, Wandlung des deutschen Kommunismus, S. 35. Kolb, Weimarer Republik, S. 37 f.

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Weltkrieges, dessen Folgen in Form der neuen machtpoltischen Rahmenbedingungen für diese Gruppe den Beginn der Erfüllung langfristig gehegter Ziele bedeutete, standen die Ältesten dieser Generation bereits recht betagt kurz vor dem Ende ihrer politisch-beruflichen Laufbahn, die Jüngsten waren zu Beginn der SBZ/DDR etwas über vierzig Jahre alt. Die zu der Kohorte der Geburtsjahrgänge von 1903 bis 1916 zusammengefassten Funktionseliten wuchsen in einer völlig anderen politischen, ökonomischen und kulturellen sowie gesellschaftlichen Landschaft auf. Sie nahmen, im Gegensatz zu dem vorhergehenden Generationsgebilde, darüber hinaus nicht mehr an den Kriegshandlungen des Ersten Weltkrieges teil.22 Dieses wichtige Differenzkriterium wurde bereits in der zeitgenössischen Publizistik reflektiert, die diese jungen Männer23 auch als »Kriegsjugendgeneration«24 bezeichnet hat. Die älteren Jahrgänge, die um 1903 zur Welt kamen, traten im Jahr von Revolution und Republikgründung und der Konstituierungszeit der KPD in ihre politische Prägungsphase ein und waren unmittelbar mit den Krisen der jungen Weimarer Republik konfrontiert. Die Inflationszeit, die parteipolitischen Friktionen im parlamentarischen System und innerhalb der KPD sowie die übergreifende ideologische Mobilisierung in den verschiedenen »männerdominierten«25 Jugendorganisationen und Jugendsubkulturen26 stellten die bestimmenden gesellschaftlichen Bedingungen dar, denen diese Generation ausgesetzt gewesen ist. Auch für diese Kohorte waren politische Verfolgung und Haft ganz wesentliche Charakteristika der kollektiven Lebensläufe. Die politische Initiationszeit der Jüngeren bzw. Jüngsten dieser Kohorte fiel zusammen mit dem Ende der parlamentarisch-demokratischen Zeit Weimars und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Während folglich der Beginn der engeren po22 23

24

25 26

Diese Gruppe ist in der Datenbank mit n=115 Funktionären vertreten. Die geschichtswissenschaftliche Generationenforschung war lange Zeit vor allem auf männliche – und jugendliche – Populationen bezogen. Auch wenn im Zuge der Genderforschung zunehmend spezifische Fragestellungen zu Gender und Generationalität in den Blick geraten, wie in der DDR-Forschung etwa bei Schüle, DDR-Frauenbetrieb, ändert sich an diesem Ungleichgewicht nur wenig. Auch die vorliegende Studie kann bei der gezeigten geringen Integration von Frauen in die Funktionselite der SED auf Kreisebene nicht zu einer Verschiebung dieses Ungleichgewichtes beitragen. Gründel, Sendung der Jungen Generation, S. 23, hier zit. nach Herbert, Generationen im 20. Jahrhundert, S. 97. In der Generationenforschung existieren für diese und deren unmittelbar benachbarten Geburtsjahrgänge mittlerweile weitere Bezeichnungen. Exemplarisch genannt sei hier etwa der Ausdruck »überflüssige Generation« bei Peukert, Weimarer Republik S. 26, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Autor in diesem Zusammenhang eine etwas weiter gespannte Jahrgangsgrenzsetzung für die Zugehörigkeit zu der Generation ansetzt als in der vorliegenden Analyse. Ebd., S. 98. Zu Leipziger Jugendgruppen im Dritten Reich vgl. Lange, Meuten. Zu Lebenswelt großstädtischer Jugendlicher in der Phase des Überganges der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus vgl. Kenkmann, Wilde Jugend.

Kurzvorstellung der politischen Generationen

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litischen Sozialisationszeit von denkbar gegensätzlichen Zäsuren bestimmt war, so einte diese Gruppe, über ein hohes Maß an politischer Aktivität hinaus, die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg. Meist aus der Gefangenschaft entlassen und heimgekehrt nach Sachsen, begann die Nachkriegszeit in der SBZ für die Kohorte im Alter von knapp 30 bis 40 Jahren. Die »totale Krise«27 Weimars, die sich vor allem in den Auswirkungen der Destabilisierung der Wirtschaft, der autoritären Wende der Weimarer Demokratie mit den verschiedenen Regierungskrisen und der im Datum des 30. Januar 1933 kulminierenden »großangelegten Offensive«28 zur Zertrümmerung des Staates von Weimar niederschlug, und der bereits begonnene Zweite Weltkrieg setzen als Anfangs- und Endpunkte den Bezugsrahmen für die politische Generationsgliederung der Kohorte der von 1917 bis 1925 Geborenen.29 Den Älteren dieser Gruppe war es noch möglich, zumindest in Kindheit und früher Jugend persönliche Sozialisationserlebnisse in den weit ausgefächerten sozialdemokratischen und kommunistischen Vergemeinschaftungsinstanzen innerhalb der Milieus der »Arbeiterbewegungskultur«30 zu machen und der organisierten Vereinnahmung durch das Deutsche Jungvolk (DJ) und die HJ zu entgehen. Die Jüngeren dieses Generationsprofiles hatten hingegen kaum mehr die Chance, sich (vor-)politische Erfahrungswelten jenseits nationalsozialistischer Kinder- und Jugendorganisationen zu erschließen, die nicht dem totalitären Auftrag der Nationalsozialisten folgten, den der Reichsjugendführer Baldur von Schirach vor dem Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg als Erziehung »im Glauben an Hitler und in der Treue zu ihm« definieren sollte.31 Für einen Großteil der späteren Funktionäre dieser Kohorte war ab dem Zeitraum 1936/39 die per Gesetz erzwungene Integration in die HJ ein Bestandteil ihrer »gleichgeschalteten« Alltagswelt.32 Die Gesamtgruppe dieses Generationszusammenhanges erreichte spätestens im letzten Drittel des Zweiten Weltkriegs die volle Wehrfähigkeit und machte damit sowohl das »negative Kriegserlebnis« als auch in der 27 28 29 30 31

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Peukert, Weimarer Republik, S. 243. Kolb, Weimarer Republik, S. 141. Diese Gruppe ist in der Datenbank mit n=99 Funktionären vertreten. Weichlein, Gespaltene Arbeiterbewegung, S. 179. Zit. nach Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 8; dass es jenseits der Vergemeinschaftungsinstanzen der NS-Massenorganisationen durchaus politisierte und sogar linkssozialistische Jugendgruppen besonders in den Großstädten auch während der Phase des Dritten Reiches gegeben hat, die sich dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen, zeigen die Untersuchungen von Lange, Meuten, besonders S. 36–45 am Beispiel von Leipzig. Zu weiteren »informellen« Jugendgruppen, etwa den sogenannten Bündischen vgl. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 171–191. Zur Gruppe der sogenannten Edelweißpiraten vgl. schon Peukert, Protestbewegung. Weitere widerständige Jugendgruppen bei Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 150 ff. Die rechtlichen Grundlagen anhand des »Gesetzes über die Hitler-Jugend« vom 1.12.1936 und die »Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend« vom 25.3.1939 sind abgedruckt in Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 28 und 35.

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daran anschließenden Phase das »positive Nachkriegserlebnis« im noch reichlich berufliche Entwicklungsmöglichkeiten offen lassenden frühen Erwachsenenalter während der Aufbauperiode der SBZ/DDR.33 Die Gruppe der vierten politischen Generation wird von den zwischen 1926 und 1932 geborenen Funktionseliten gebildet.34 Die frühe Adoleszenz des Großteiles der Kohortenmitglieder war im Wesentlichen geprägt von den Gesellschaftsbedingungen des Nationalsozialismus, der sich speziell in Sachsen nach der Machtübernahme Hitlers schnell etablierte und dem dortigen Parteigau rasch nicht nur innerhalb der NSDAP-Mitgliedschaft das »zahlenmäßig stärkste Gewicht« verschaffte, sondern auch in der Gesamtbevölkerung über großen Rückhalt verfügte – das ehemalige »Rote Königreich«35 wurde 1935 zu einem der »braunsten« NS-Gaue; auf »22,2 Einwohner kam ein Parteigenosse«.36 Die zumeist als Angehörige der sogenannten Aufbau-Generation bezeichneten Jahrgänge erlebten die »Friedensjahre des Nationalsozialismus«, ihre biografischen Entwicklungen waren – dies unterscheidet sie stark von den anderen hier analysierten Gruppen – in einer Lebenswelt von »Ordnung, Betreuung und Stabilität […] zunächst nicht einschneidend durch gesellschaftlich übergreifende Schädigungen beeinträchtigt«.37 Die politische Sozialisation verlief nahezu durchweg über das deutsche Jungvolk und die Hitlerjugend, die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg bedeutete die logische Fortsetzung des Lebensweges, wie er in den Jugendorganisationen und der umgebenden, durch Propagandamedien der sächsischen NSDAP38 be-

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34

35 36 37 38

Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch, S. 450. Die ab 1920 Geborenen haben verschiedene Etikettierungen erhalten, entweder etwa die Bezeichnung »FDJ-Aufbaugeneration«, vgl. ebd., S. 449, ein Begriff, den Ina Merkel als zu undifferenziert qualifizierte, vgl. Merkel, Leitbilder und Lebensweisen, S. 365 f.; Wierling, Jugend als innerer Feind, S. 420, verwendet die Bezeichnung »HJ-Generation«; das Syntheselabel »HJ/FDJ-Generation« wurde von Niethammer, Industrieprovinz, S. 63 vergeben. Für einen zusammenfassenden Überblick zu den unterschiedlichen Namensgebungen der DDR-Generationen mit weiteren Beispielen siehe Ahbe, Deutsche Generationen, S. 40 f. Diese Gruppe ist in der Datenbank mit n=53 Funktionären vertreten. Der im Jahr 1932 am spätesten geborene 1. Kreissekretär, der in der Untersuchungszeit bis 1971 einer SED-Kreisleitung in den drei sächsischen Bezirken vorstand, war der in Oelsnitz von 1968 – kurz nach dem VII. Parteitag der SED – bis zum Jahr 1989 amtierende Alfred Hoffmann. Formal schließt er zwar die Jahrgangskohorte ab, da er der jüngste Funktionär in der Datenbank ist, die Grenzsetzung hätte aufgrund der hier angelegten Kriterien durchaus auch noch weiter gesetzt werden können. Fogt etwa setzt für die Generationseinteilung des 20. Jahrhunderts, die er in elf Einheiten nach für ihn wesentlichen Epochen bemisst, für diese hier skizzierten Jahrgänge als Abschluss die 1935 Geborenen an. Vgl. Fogt, Politische Generationen, S. 127. Zur Begriffsgeschichte der Bezeichnung »Rotes Königreich« vgl. Schmeitzner, Das rote Königreich, S. 233–243. Heydemann/Schulte/Weil, Sachsen und der Nationalsozialismus, S. 9. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 503. Zur Propaganda der sächsischen NSDAP vgl. Dehn, Massenpartei mit Massenreichweite?, S. 80 f.

Erste politische Generation (Jahrgänge bis 1902)

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stimmten medialen Alltagswelt präsent war und vermittelt wurde.39 Viele meldeten sich freiwillig für den Kriegseinsatz oder kamen, wenn sie noch nicht das hinreichende Alter für die Wehrmacht erreicht hatten, an der Heimatfront kurz vor Ende des Krieges als Flakhelfer zum Einsatz.40 Diese Jahrgänge hatten so gut wie keine Erinnerungen an oder Prägungen durch die Zeit der Weimarer Republik mehr. Allen Angehörigen dieser politischen Generation war gemein, dass nicht die Kriegsteilnahme selbst, sondern das Jahr 1945 zum dominanten sozialisatorischen Schlüsselereignis wurde. Der Untergang des »Dritten Reiches« war für sie mit dem Gebot zur »Wandlung«41 verbunden, einer politischen Umorientierung bei gleichzeitigem Eintritt in die von der sowjetischen Besatzungsmacht und den Moskau-Kadern der »Gruppe Ulbricht«42 dominierten Lebenswelt der SBZ/DDR, die sich ihnen im Alter von 14 bis 19 Jahren eröffnete.

2. Erste politische Generation (Jahrgänge bis 1902)43 »Als künftiges Mitglied der Stadtbezirksleitung [Leipzig, T. P.] Nord und Vorsitzender der Veteranenkommission werde ich auch weiterhin meine Kraft der Partei zur Verfügung stellen.«44 Die Situation am Ende der politischen Laufbahn von Felix Rehnicke, dem in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre amtierenden 1. SED-Kreissekretär von Oschatz, hätte im Vergleich zu deren Beginn kaum anders sein können. 1967 legte er in Form eines ausführlichen Lebenslaufes noch einmal Rechenschaft über seine »gesellschaftspolitische Entwicklung« ab.45 Er bekräftigte damit abermals sein Bekenntnis zur SED, um, im Zuge eines Antragsverfahrens auf eine Parteiehrenrente, die Bewilligung zur Erhöhung seiner monatlichen Bezüge im eben erreichten Ruhestand zu erhalten, während er bereits in den für ihn als altgedienten Parteifunktionär vergleichsweise ruhigen Fahrwassern einer stabilisierten SED-Diktatur lebte. Zu diesem Zeitpunkt berief er sich auf seine Erfahrungen aus der Zeit gegen Ende des Ersten Weltkrieges, die 39

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45

Zur medial geschürten Kriegsbegeisterung und zur Medienlenkung durch die Nationalsozialisten vgl. Bohse, Meinungslenkung und Propaganda. Zur »Massenreichweite« der Propaganda der Nationalsozialisten in Sachsen am Beispiel des Jahres 1931 vgl. Dehn, »Expansionsjahr«, S. 77–90, hier 77. Siehe zum aus der Waffengattung abgeleiteten Terminus der »Flakhelfer-Generation« Bude, Lebenskonstruktionen sozialerer Aufsteiger. Jarausch, Die Umkehr, S. 25. Vgl. Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler, S. 380–386 sowie Leonhard, Revolution. Die Gruppe der bis 1902 Geborenen umfasst in der Datenbank die absolute Anzahl von n=46 Personen. Schreiben von Felix Rehnicke an die Kommission zur Betreuung von Parteiveteranen der SED-Bezirksleitung Leipzig im Rahmen eines Antrages auf Parteiehrenrente vom 24.1.1967 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 274, Bl. 80). Ebd., Bl. 83.

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Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

für ihn zugleich den Beginn seiner aktiven politischen Laufbahn markierten. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg auf einem Schiff der bewaffneten Handelsmarine, an Kundgebungen der »roten Matrosen und der Kieler Arbeiterklasse«46 im November 1918 und kurze Zeit später, nach der Heimkehr von Holstein nach Sachsen, der aktive bewaffnete Kampf in Leipzig als Mitglied der »Roten Matrosen-Sicherheitskompanie« rund um den Leutzscher Bahnhof waren für Rehnicke elementare Initiationsereignisse auf seinem politischen Lebensweg,47 die ihn gleich zu dessen Beginn mit politischem Kapital ausstatteten, das er dann in seinem letzten Lebensabschnitt in der DDR in ökonomisches Kapital zu transformieren vermochte.48 Damit teilt er mit dem Großteil der Jahrgangskohorte der bis 1902 geborenen SED-Kader das Merkmal, bereits zu Beginn bzw. während der sozialisatorischen Prägungsphase politisch involviert und engagiert gewesen zu sein. Diese Jahrgänge späterer 1. Kreissekretäre, die hauptsächlich zwischen 1895 und 1902 zur Welt kamen, wiesen eine kontinuierliche Mitgliedschaft in einer der Parteien des linken Spektrums auf: Es gab keinen, der in der Weimarer Republik kein Parteimitgliedsbuch in der Brusttasche gehabt hätte. Im Einzelnen zeigt sich bei der Verteilung der Mitgliedschaften auf die verschiedenen Parteien folgendes Bild: Mit 69 Prozent waren über zwei Drittel der Kohorte Mitglieder der im Januar 1919 gegründeten KPD. Diese 69 Prozent können in zwei Gruppen untergliedert werden: Die eine bestand aus »reinen« KPD-Anhängern, also KPDlern, die weder vor der Gründung noch danach eine andere parteipolitische Mitgliedschaft aufwiesen und mit 53 Prozent über die Hälfte der gesamten Jahrgangskohorte ausmachten. Der andere Teil repräsentierte mit einem Anteil von 16 Prozent an der Gesamtjahrgangskohorte aus »Wechslern«, die meist unmittelbar nach der Gründung der KPD ihr SPD-Parteibuch durch das der KPD austauschten. Zuvor lässt sich bei einer Reihe von Funktionären noch die selbstständige Gründung einer lokalen Spartakusbundgruppe aus den Reihen der SPD-Genossen und eine 46 47

48

Ebd. Rehnicke schloss sich nach seiner Heimkehr unmittelbar dem Standquartier »Tivoli« der »Roten Matrosen-Sicherheitskompanie« in der Windmühlenstraße im Zentrum Leipzigs an. Vgl. ebd. Am 8.1.1919 beschloss der Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat, sich mit den Berliner Protestdemonstrationen gegen die Absetzung des auf dem linken Flügel der dortigen USPD stehenden Polizeipräsidenten Eichhorn am 4.1. zu solidarisieren. Aufgrund der Absetzung kam es in Berlin zu Massenunruhen, die militärisch niedergeschlagen werden sollten. Auf dem Bahnhof Leipzig-Leutzsch wurde im Zuge dessen ein Truppentransport aus Südwestdeutschland durch die Leipziger Sicherheitswehr an der Weiterfahrt nach Berlin gehindert, wo nach dem 6.1. Truppen aus dem gesamten Reichsgebiet zusammengezogen wurden. Durch die Blockade der Weiterfahrt der Truppenzüge entzündete sich ein Gefecht, das schließlich sechs Todesopfer forderte. Zu den revolutionären Ereignissen in Leipzig aus ereignisgeschichtlicher Perspektive vgl. Brahmke/Reisinger, Leipzig in der Revolution, S. 85–99, S. 96. Zu den Kapitaltransformationsthesen Bourdieus vgl. die Ausführungen bei Salheiser, Parteitreu, plangemäß, professionell?, S. 53–60.

Erste politische Generation (Jahrgänge bis 1902)

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in Zusammenhang damit stehende programmatische Radikalisierung nach links beobachten. Der anschließende Beitritt zur KPD spiegelte daher diese ideologische Entwicklung wider. Dem Block der KPD-Mitglieder stand in dieser politischen Generation derjenige der SPD-Mitglieder gegenüber. Immerhin insgesamt 31 Prozent der späteren 1. Kreissekretäre der SED hatten bis zur Zwangsvereinigung der beiden Arbeiterparteien in der SBZ der sozialdemokratischen Partei angehört. Als Ausblick ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass von dieser politischen Generation lediglich 12 Prozent als ehemalige SPD-Mitglieder die Säuberungskampagnen in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren innerhalb der SED gegen den »Sozialdemokratismus« überstanden hatten und auch nach 1952 weiterhin den Posten des 1. Kreissekretärs der SED bekleiden konnten.49 Während es bei der parteipolitischen Couleur innerhalb der Gruppe also durchaus Unterschiede gibt, fällt auf, dass der Zeitpunkt des Parteieintrittes sowohl bei dem sozialdemokratischen als auch dem kommunistischen Block im Wesentlichen in die Spanne vom 18. bis zum 25. Lebensjahr fällt. Zwischen beiden Parteirichtungen ist daher eine große sozialisationsbedingte Ähnlichkeit beim Übergang in die Sphäre des organisierten politischen Engagements im engeren Sinne zu erkennen. Bei den KPD-Mitgliedern traten 74 Prozent spätestens mit 23 Jahren in die − im Vergleich zur bis 1863 zunächst als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) in Leipzig gegründeten SPD50 − neue politische Formation der KPD am Beginn der Weimarer Republik ein, die übrigen 26 Prozent zwischen dem 24. und 31. Lebensjahr. In Bezug auf das Eintrittsalter unterschied sich die kommunistische Partei jedoch nicht von der sozialdemokratischen. Das Parteieintrittsalter der späteren SED-Funktionäre in den Reihen der SPD lag im Schnitt sogar noch etwas unter dem der KPD, 78 Prozent der Parteieintritte fanden vor dem Erreichen des 24. Lebensjahres statt. Dieser Befund ist besonders aufschlussreich: Zum einen weist er die späteren SED-Funktionäre als eine besondere Gruppe innerhalb der kommunistischen Bewegung der Weimarer Republik aus. Zum anderen bestätigt er empirisch das gängige zeitgenössische Stereotyp der Jugendlichkeit, das politisch anhand öffentlichkeitswirksamer Verklärungen besonders der radikalen Parteien des linken – aber auch des rechten − Parteienspektrums instrumentalisiert worden war.51

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50 51

Zum »Säuberungsbeschluss« der SED des Jahres 1948 siehe Kapitel II 2.1. Zu Leipzig und den Kampagnen gegen die ehemaligen SPD-Mitglieder in der SED vgl. die biografischen Studien zu einzelnen ehemaligen SPD-Funktionären bei Rudloff/Schmeitzner, Schädlinge, S. 102–106 sowie 140–160. Zur Gründungsgeschichte der SPD siehe Potthoff/Miller, Kleine Geschichte der SPD, S. 31–41. Vgl. etwa die Ausführungen Haubach, Die Generationenfrage und der Sozialismus, aus dem Jahr 1930, sowie einordnend dazu Mallmann, Kommunisten, S. 106.

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Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

Obwohl für die Gesamtmitgliedschaft der KPD-Parteigänger zuletzt von Mallmann die zeitgenössische Bewertung der KPD als »Jugendpartei« widerlegt worden ist und es sich bei den durchschnittlichen KPD-Mitgliedern durchaus nicht um eine im Großteil von jungen Leuten getragene Formation gehandelt hat, entspricht die hier vorgestellte Gruppe der späteren 1. SED-Kreissekretäre altersbedingt durchaus dem Klischee der »Avantgarde der proletarischen Jugend«, die sich nach dem ersten Weltkrieg »gegen die sozialchauvinistischen Alten« in Stellung brachte.52 Das »spezifisch kommunistische Jugendverständnis« dieser politischen Generation sollte sich dann noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten.53 Ein wichtiges Faktum unterscheidet die bis 1902 geborenen späteren 1. SED-Kreissekretäre, die nach dem Ersten Weltkrieg den Übertritt von der SPD zur KPD vollzogen haben bzw. ab 1919 erstmals in der KPD parteipolitisch aktiv wurden von den dauerhaft in der SPD organisierten Mitgliedern: Sie reihten sich als junge Männer zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr nicht in eine bestehende und gewachsene politische Struktur ein, sondern bauten vielerorts im lokalen Rahmen die Organisationsstrukturen der Kommunistischen Partei überhaupt erst eigenständig auf und hatten dementsprechend vielfach auch unmittelbare Kontakte in die oberen Hierarchiestufen der Partei. Unter der hier dargestellten Gruppe – bis 1923 traten 75 Prozent in die KPD ein, der Altersdurchschnitt dieser Teilgruppe betrug 21,5 Jahre – befinden sich beispielsweise die Gründer verschiedener KPD-Betriebszellen und KPD-Ortsverbände, etwa von sächsischen Großstädten wie Chemnitz, Großstadtvierteln wie Leipzig-Eutritzsch, von ländlichen Gebieten des Erzgebirges oder Kreisstädten wie Wurzen und Riesa aber auch außerhalb Sachsens, etwa Bremen oder Breslau.54 Als Fundamentalkriterium und gewichtigste Trennungslinie zur Unterscheidung der hier untersuchten politischen Generation von der ihr unmittelbar folgenden dient, im Sinne eines bedeutenden und längerfristig auf die Jahrgangseinheit einwirkenden äußeren Katalysators, sicherlich der Erste Weltkrieg, der mit seinen »gigantischen Menschen- und Materialschlachten Züge eines ›totalen‹ Krieges annahm« und in dem »Tod, Verwundung und seelischer Zusammenbruch« den Alltag bestimmte.55 Die Datenbank weist unter der Jahrgangskohorte der bis 1902 Geborenen einen dominanten Anteil von Teilnehmern am Ersten Weltkrieg auf. 52 53 54

55

Ebd. Kiepe, Vergänglichkeit von »Klassenkampf«-Erfahrungen, S. 204. Zur Gründung der KPD-Ortsgruppe Leipzig-Eutritzsch vgl. die ausführlichen Schilderungen in der Kaderakte des späteren 1. SED-Kreissekretärs von Grimma, Bruno Lau, im Staatsarchiv Leipzig (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 133, unpaginiert); zu Pockau-Lengenfeld vgl. die Kaderakte von Rudolf Enzmann, 1. SED-Kreissekretär von Marienberg im Staatsarchiv Chemnitz (StACH, SED-BPA Chemnitz, 31602 Nr. IV/4/16/v/309 und 684, unpaginiert). Ullmann, Deutsches Kaiserreich, S. 228.

Erste politische Generation (Jahrgänge bis 1902)

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64 Prozent der Gruppenmitglieder durchlebten die »Apokalypse des Schützengrabens«, die sich in toto als eine, wie Mallmann es beschreibt, Erfahrung der »Konditionierung zu Gewalt, Stärkezeigen und Muskelspiel« auswirkte. Diese Prägung fand später in der Entwicklung der KPD zur Weimarer Zeit und der SED nach dem Zweiten Weltkrieg in Form von Situationsdeutungen politisch-gesellschaftlicher Krisen durch die »Reduktion auf Freund-Feind-Verhältnisse« in der politischen Praxis ihren Niederschlag. Vermittelt eben durch die männlichen Angehörigen dieser »Frontgeneration« unter den späteren 1. Kreissekretären, verliehen Erfahrungen wie diese der politischen Kultur des SED-Apparates ihren charakteristischen diktatorisch-autoritären Anstrich.56 Gewalt und Kampf als alltägliches Phänomen des Krieges sollte – wenn auch in ganz anderer Form – den weiteren politischen Lebensweg der Mitglieder dieser Generation unter republikanisch-demokratischen Bedingungen bestimmen. Das Beispiel des 1. Kreissekretärs der SED-Kreisleitung Leipzig IX mag dieses Transitions- und Prägungsphänomen illustrieren. Nachdem Johann (Hans) Bayer, 1897 in Leipzig geboren, die Schulzeit im Kaiserreich mit 14 Jahren beendet hatte, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter in verschiedenen Industriebetrieben im Leipziger Westen. Ende des Jahres 1914 meldete er sich – wie so viele seines Jahrganges in jungem Alter mit begeisterter Kriegsmentalität57 – freiwillig zum Militärdienst und diente drei Jahre an verschiedenen Frontabschnitten in Frankreich. Die anfängliche Kriegsbegeisterung wandelte sich schnell in eine radikale Ablehnung um, ohne jedoch auf die angelernten Methoden der organisierten, kämpferischen Auseinandersetzung zu verzichten. Nach der Rückkehr aus dem Krieg fand er nach den mehrjährigen Fronterfahrungen und den Gruppenzusammenhängen der »Männerbünde im Schützengraben«58 schnell Zuflucht in den Reihen der Spartakisten. Dort zogen ihn das radikale Programm der Novemberrevolution, also die Entmachtung der für die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges verantwortlichen Militärs, die Sozialisierung der Kriegsund Schlüsselindustrien der Wirtschaft des Kaisereiches und die Errichtung einer Räterepublik als künftige politische Gesamtverfassung – oder um es mit Rosa Luxemburg auszudrücken: die Vorstellung einer Revolution der »Millionenmassen des sozialistischen Proletariats« – an.59 Unmittelbar nach der Gründung der KPD in Berlin baute Bayer zusammen mit den »Genossen« des Spartakusbundes

56 57 58 59

Mallmann, Kommunisten, S. 109. Vgl. Rohkrämer, August 1914, S. 759. Ebd. Vgl. die Ausführungen von Rosa Luxemburg in dem Artikel »Was will der Spartakusbund?« in der Roten Fahne vom 14.12.1918.

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in seinem Viertel eine Stadtteilorganisation der KPD in Leipzig auf, wurde rasch zum Zehnergruppenkassierer und später zum Stadtteilleiter gewählt.60 Diese Wandlung von der soldatischen Folgebereitschaft und patriotischen Treue im späten Kaiserreich hin zur organisiert-klassenkämpferischen, dem politischen System oppositionell gegenüberstehenden Haltung zeigte sich nicht nur am Beispiel Bayers. Viele Angehörige dieser politischen Generation gerieten in Konflikt mit der öffentlichen Ordnung beim »Kampf um die Straße«61 in der Weimarer Republik. Dies galt besonders für die Phase der »Krisenjahre 1919−1923«62, deren chronologischer Rahmen von den Straßenkämpfen der unmittelbaren Nachkriegsereignisse 1918/19, in denen sich revolutionäre Bewegungen in vielen Städten Sachsens ausbreiteten, bis zu der »Reichsexekution«63 reicht, als die Armee die legal gebildete linksliberale Regierung Zeigner aus dem Amt entfernte und den Ministerpräsidenten »und die übrigen Regierungsmitglieder […] von schwer bewaffneten Reichswehreinheiten mit entsicherten Gewehren aus ihren Amtsräumen geführt« wurden.64 »Militante Straßengewalt«65 und das Mittel der physischen Artikulation politischer Interessen bestimmte vielfach den politischen Alltag und war gerade für die aus dem Krieg zurückgekehrten Männer, insbesondere in den offensiven Positionen der KPD, in hohem Maße anschlussfähig. Dies zeigt sich exemplarisch an der hohen Zahl politisch motivierter Verhaftungen, etwa im Falle Bruno Laus, des späteren 1. Kreissekretärs von Grimma. Lau, der in einer Charakteristik des Jahres 1953 als »impulsiv, leicht erregbar« und, so die Parteileitung der SED-Parteiorganisation des Rates des Kreises Grimma, als »stark zu diktatorischen Maßnahmen« neigend beschrieben werden sollte, war noch als »kaisertreuer« Unteroffizier der Armee aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt.66 Im Laufe des Krieges hatte bei ihm eine Radikalisierung und schließlich totale Ablehnung des politischen Systems stattgefunden. Im Zuge der groß angelegten Verfolgun60

61 62 63

64 65 66

Vgl. die ergänzenden Angaben zum Lebenslauf Hans Bayers in seinem Antrag auf Ehrenrente, undatiert, (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/265, Bl. 25) sowie die Ausführungen in der Sekretariatsvorlage des Bezirkssekretariats der SED Leipzig an die Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen des ZK der SED vom 22.1.1954 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/3A/401, Bl. 167 ff.). Vgl. Schumann, Kampf um die Straße. Kolb, Weimarer Republik, S. 37. Die in Sachsen einmarschierte Reichswehr hatte die Regierung Zeigner am 29.10.1923 zum Rücktritt gezwungen; als Reichskommissar übernahm der Vertraute von Reichspräsident Friedrich Eberts Rudolf Heinze die Kontrolle in Sachsen. Vgl. Szejnmann, Vom Traum zum Alptraum, S. 45. Zu den Ereignissen während der Novemberrevolution und der Reichsexekution vgl. ebd., S. 14–21 bzw. S. 39–48, hier 45. Zur Rolle der militanten Straßengewalt in der Weimarer Republik besonders in der Phase um 1930 vgl. Rosenhaft, Links gleich rechts, 238–275, hier 238. Charakteristik der SED-Parteiorganisation Rat des Kreises Grimma über Bruno Lau an die SED-Kreisleitung Grimma vom 9.9.1953 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 133, Bl. 14 f.).

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gen der Staatsgewalt im zeitlichen Umfeld des Kapp-Putsches 1920, nach dem Reichswehreinmarsch 1923 und nach der Leitung von Hungerdemonstrationen in Meuselwitz bei Altenburg, bei denen es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, wurde Lau als Demonstrationsleiter und Mitglied der KPD-Bezirksleitung Westsachsen mehrfach wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet.67 Dieses Muster der Politik als »Kampf«, sowohl innerhalb, aber vor allem auch außerhalb des engeren parlamentarischen und parteipolitischen Bereiches, sollte sich dann besonders stark in der nachfolgenden politischen Generation zeigen, in der sich die Heranwachsenden verstärkt in Vorfeldorganisationen, Jugendverbänden und Vereinen organisierten und, wie Erich Ollenhauer68 schon 1931 auf dem Leipziger Parteitag der SPD im Volkshaus resümierte – es in den 1920er-Jahren eine »wahre Inflation an Jugendorganisationen« gegeben hatte.69 Der erste Weltkrieg und die Revolutionsphase der frühen Weimarer Republik könnten so etwas wie einen sozialisatorischen Ausnahmezustand suggerieren. Jedoch gibt es für die Angehörigen gerade dieser politischen Generation nicht nur in den Weimarer Anfangsjahren, sondern auch in der Phase von 1924 bis 1930, die Winkler so treffend mit der Phrase vom »Schein der Normalität«70 umschrieben hat, generationsbildend gesellschaftliche Krisenphänomene zu verzeichnen. Für die Jahrgangskohorte der bis 1902 Geborenen war im Besonderen die Erwerbslosigkeit ein prägendes Merkmal, das sowohl als ein die gesamte Gruppe betreffendes Kollektivphänomen zu beschreiben ist, als auch der Binnendifferenzierung dient. Bei 79 Prozent der Gruppenangehörigen dieser Jahrgangskohorte ist die Erwerbslosigkeit ein Merkmal, das sie zumindest einmal in ihrem Berufsleben vor 1945 betraf. Viele der ungelernten und einfachen Arbeiter – aber auch der Facharbeiter – waren in den konjunkturellen Schwankungen und dann ganz besonders in den wirtschaftlichen Krisen der Jahre 1926 und 1929 bis 1933 wesentlich stärker vom Verlust des Arbeitsplatzes und damit der Existenzgrundlage bedroht. Dies führte dazu, dass ein großer Teil der Jahrgangsangehörigen bereits in jungem Alter vielfach den Wohnort wechseln musste, um entweder überhaupt weiterhin in Arbeit bleiben zu können oder um Löhnen hinterher zu ziehen, die den Lebensunterhalt ausreichend decken konnten. Diese erzwungene berufliche Mobilität, die für eine Vielzahl der Gruppenmitglieder feststellbar ist, lässt sich gut am Bespiel des späteren 1. SED-Kreissekretärs von Görlitz, Alex Horstmann, verdeutlichen. Im Anschluss an seine Schulzeit begann er mit 14 Jahren eine 67 68 69

70

Handschriftlicher Lebenslauf Bruno Laus vom 12.2.1953 (ebd., Bl. 1-7). Ollenhauer war von 1916 an Mitglied der SAJ und leitete die Organisation dann schließlich bis zu deren Verbot. Vgl. Neue deutsche Biografie (NDB), Band 19, S. 524. Zit. nach Tenfelde, Arbeiter, Bürger, Städte, S. 367. Das Zitat stammt aus der Rede Ollenhauers in: Sozialdemokratischer Parteitag in Leipzig 1931 vom 31.5.−5.6. im Volkshaus. Protokoll, Berlin 1931, S. 190–206. Winkler, Schein der Normalität.

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Lehre als Tuchmacher. Nach Abschluss der Lehrzeit arbeitete er, bis zur Einberufung in die Armee und der darauffolgenden Teilnahme am Ersten Weltkrieg, allein in fünf verschiedenen Städten. Sein Berufsweg führte ihn quer durch Sachsen von Görlitz über Cottbus nach Chemnitz. Weitere Stationen seiner beruflichen Rastlosigkeit waren Aachen und Brandenburg an der Havel, wo er dann auch »zur Ableistung der allgemeinen Militärdienstzeit eingezogen« wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg heuerte er, im Anschluss an die kurzzeitige Rückkehr in seine Heimatstadt Görlitz, in Wolfen bei einer später zum AGFA-Konzern gehörenden Anilin-Fabrik an, bevor er als Margarinevertreter durch Sachsen, Oberschlesien, an die Schweizer Grenze in Lörrach und schließlich bis nach Breslau weiterzog.71 Die von höchster räumlicher Mobilität geprägten Lebensläufe bzw. Berufswege ergaben sich aus einer Gesamtkonstellation, in der ein hohes demografisches Arbeitskräftepotenzial auf der Nachfrageseite auf ein, »durch die strukturelle Freisetzung von Arbeitskräften in der Rationalisierung«72, sich verminderndes Angebot der verschiedenen sächsischen Industriezweige stieß. Doch die konjunkturell bedingte Erwerbslosigkeit und die damit einhergehenden Erfahrungen der Deklassierung, die viele Angehörige dieser Jahrgänge prägten, waren kein Alleinstellungsmerkmal der späteren SED-Funktionäre dieser Altersgruppe.73 Ein Spezifikum jedoch – zumindest unter den KPD-Mitgliedern – dieser politischen Generation lag im politisch motivierten Verlust des Arbeitsplatzes. Dieses Phänomen gewinnt Kontur am Beispiel des erwähnten Alex Horstmann, der rückblickend auf die erste Hälfte der 1920er-Jahre in der Weimarer Republik seine Erfahrungen des Konfliktes zwischen persönlichem politischen Engagement und dem damit verbundenen Risiko des Verlustes der Existenzgrundlage schilderte. Er habe »durch Vermittlung eines Bekannten« im mitteldeutschen Raum eine Anstellung »in der ›Anilin‹ in Wolfen bei Bitterfeld« gefunden. »In der neu aufzubauenden Abteilung für Düngemittel«, so Horstmann weiter, »wurde ich durch das große Interesse, das ich an diesen Arbeiten zeigte, bald zum Vorarbeiter und Meister bestellt«. Diese Entwicklung des innerbetrieblichen Aufstieges wurde dann jedoch jäh beendet: »Durch meine politische Tätigkeit aber wurde ich im Verlaufe der Besetzung des Werkes durch die Reichswehr mit fünf weiteren Kollegen meines Postens enthoben und gemaßregelt.« Dies hatte nicht nur den unmittelbaren Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge, sondern auch eine behördliche Registrierung, die es ihm offenbar unmöglich machte, in einem anderen Werk dieser Branche unterzukommen, »da man offensichtlich durch schwarze Listen die Personen signalisiert hatte«.74 Die Situation sollte sich 71 72 73 74

Zu den beruflichen Stationen vgl. die Kaderakte von Alex Horstmann (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/4/06/v/492, Bl. 55–58). Peukert, Zwischen Krieg und Krise, S. 168. Vgl. zum »Deklassierungserlebnis« Mallmann, Kommunisten, S. 114. Handschriftlicher Lebenslauf von Alex Horstmann, undatiert (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/4/06/v/492, Bl. 56).

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erst 1925 im Zuge der »Amnestie« ändern, als viele wegen politischer Straftaten inhaftierte oder per Haftbefehl gesuchte KPD-Mitglieder Straferlass erhielten und im Zuge dessen auch von den »schwarzen Listen« der verschiedenen Berufsbranchen getilgt wurden.75 Zuvor hatten 24 Prozent der Mitglieder der Gruppe der bis 1902 Geborenen die Erfahrung politischer Haft und im Zusammenhang damit der Entlassung aus dem Betrieb gemacht. Verfolgung und oftmals mehrjährige Zuchthaus- und Konzentrationslagerhaft unter dem nationalsozialistischen Regime war dann eine existenzielle Erfahrung, die 82 Prozent dieser politischen Generation machen mussten. Auch dieses Faktum wurde später in der SBZ/DDR wichtiger Bestandteil der legitimatorischen Meistererzählung von einer »unbelasteten neuen Elite«76 derjenigen 1. Kreissekretäre, die nicht nur die Zusammenführung von KPD und SPD zur SED nach dem Zweiten Weltkrieg bewerkstelligt hatten, sondern auch als Gründungsväter des organisierten deutschen Kommunismus nach dem Ersten Weltkrieg apostrophiert wurden. Die aufgrund politischer Motive bereits in der Weimarer Republik Inhaftierten teilten also die Gemeinsamkeit der späteren Hatz gegen sie in der Folge der NS-Machtergreifung. Mit einem Prozentsatz von 82 Prozent machte der Großteil dieser Kohorte ab 1933 im Anschluss an das politische Verbot aller linken politischen Organisationen die existentielle Erfahrung von Verfolgung und vielfach langjähriger Haft. Einige verbrachten sogar die gesamte Zeit des Nationalsozialismus in verschiedenen Konzentrationslagern. Darüber hinaus war ihnen als weiteres Gruppenmerkmal ein verbindendes Element gemeinsam: Eine vertiefte theoretisch-ideologische Schulung vor 1933 innerhalb der verschiedenen kommunistischen (Aus-)Bildungseinrichtungen. Bereits damals hatte Geltung, was Otto Heckert, der 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, 40 Jahre später am 2. September 1961 über die Qualitäten der Kader formulieren sollte, die auf die SED-Bezirksparteischule Leipzig delegiert werden sollten: »Nur Menschen, die im Kampf gesunde Eigenschaften haben, die sie über den Durchschnitt hinausheben, auf die man aufmerksam wird, sollte man auf die Schule schicken. […] Eine wichtige Frage bei der richtigen Auswahl der Kader eben ist, welche kämpferischen Eigenschaften und Fähigkeiten bringt der Genosse mit? Eine Schule kann gewisses theoretisches Wissen vermitteln, kann ihm aber keine praktische Parteiarbeit übertragen. Praktische Parteiarbeit holt man sich in Einsätzen.«77 Über genau solche in Einsätzen erprobten kämpferischen Eigenschaften verfügten die bis 1902 geborenen späteren 1. Kreissekretäre. 40 Prozent von ihnen besuchten Lehrgänge an verschiedenen 75 76 77

Vgl. zu den politischen Reichsamnestien vgl. Christoph, Reichsamnestien 1918–1933, S. 397 f. Danyel, Unbescholtene Macht, S. 77. Schlusswort von Otto Heckert, Protokoll der Aussprache der SED-Bezirksleitung und der Leitung der SED-Bezirksparteischule Leipzig mit Lehrgangsteilnehmern des »8. Lehrganges« am 2.9.1961 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/9/2/593, Bl. 234).

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regionalen Parteischulen auf der Unterbezirks- und Bezirksebene oder auch an der zentralen Rosa-Luxemburg-Parteischule in Berlin. Als besondere Auszeichnung wurde die Entsendung an die Internationale Lenin-Schule in Moskau verstanden, die als »wichtigste und prestigeträchtigste Kaderschmiede der Kommunistischen Internationale zur Ausbildung von Parteikadern aus aller Welt fungierte«.78 Ein Achtel der Gruppenmitglieder besuchte zu Schulungszwecken die »Rote Hauptstadt« und erhielt dort eine vertiefte Einweisung in die Praktiken der ideologischen Indoktrinierung und der politisch-sozialen Disziplinierung.

3. Zweite politische Generation (Jahrgänge 1903 bis 1916)79 »Wie sollen die jungen Leute an eine Sache herangehen, wenn sie von ihren Vorbildern nicht die richtige prinzipielle Lebensweise erhalten?«80 Mit dieser rhetorischen Frage kritisierte Otto Heckert81 das Führungsverhalten mehrerer SED-Funktionäre älteren Jahrganges, die im Zusammenhang mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft im Bezirk Leipzig 1959 die Arbeit der staatlichen Stellen nicht so »angeleitet« hätten, wie es für die »Durchführung der Beschlüsse im Staatsapparat« notwendig gewesen sei.82 Im Zuge dieses vornehmlich mit normativen Argumenten ausgetragenen Streits bediente Heckert sich in der Auseinandersetzung der Generationenthematik und damit eines Diskurses, der innerhalb der SED gerade in den 1950er-Jahren äußerst präsent war und des Öfteren explizit in die Auseinandersetzungen innerhalb der sächsischen SED-Kreisleitungssekretariate einfloss. Heckert, im Jahr 1905 in Chemnitz geboren und damit zur selben Jahrgangskohorte gehörig wie die im Folgenden zu analysierende politische Generation der von 1903 bis 1916 geborenen 1. Kreissekretäre, sah es im Einklang mit seiner eigenen politischen Sozialisation als unabdingbar an, dass gerade »die Jugend« der unmittelbaren und organisierten »straffen« Führung bedürfe. Damit rekurrierte er auf eine politische Praxis, die er selbst und viele andere seiner Jahrgangskohorte in ihrer engeren Prägungsphase erlebt hatten. Sie entsprach sowohl dem kommunistischen Führungs- und Selbstverständnis als auch der daraus abgeleiteten agitatorisch propagandistischen Handlungsweise der KPD vor allem seit Mitte der 78 79 80 81

82

Köstenberger, Internationale Lenin-Schule, S. 287. Die Gruppe der 1903 bis 1916 Geborenen umfasst in der Datenbank die absolute Anzahl von n=116 Personen. Diskussionsbeitrag Otto Heckert, Protokoll der Sitzung des Büros der Bezirksleitung, 28.2.1959 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/235, Bl. 145). Der im Jahr 1905 geborene Otto Heckert übte 1959 das Amt des 2. Bezirkssekretärs der Leipziger SED aus. Vgl. Informationen und Dokumente im Staatsarchiv Leipzig (StAL, SED-BPA Leipzig, Bestand 21632 Otto Heckert, unpaginiert). Ebd.

Zweite politische Generation (Jahrgänge 1903 bis 1916)

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1920er-Jahre im gesamten Deutschen Reich und insbesondere auch in Sachsen. In diesem Zusammenhang erinnerte sich etwa Arno Hering, der spätere 1. Kreissekretär der KPD/SED in Dresden, an den Reichskongress des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD) in Halle 1925, zu dem er als Delegierter des »KJVD-Unterbezirks Ostsachsen«83 entsandt worden war: »Nach dem Kongress bemühten wir uns, unter der Losung ›Heran an die Jugend‹ vor allem dort zu sein, wo die Jugend sich aufhielt, um mit ihr zu diskutieren. Dort, wo sich die Jugend zusammenfindet, muss der Kommunist sein und agitieren, das war so ungefähr die Linie, die wir vom Kongress mitnahmen.«84 Zu diesem Zeitpunkt leitete er mit 18 Jahren bereits die 1922 gegründete Gruppe des KJVD seines Heimatortes Struppen. Damit stand er genau wie Heckert prototypisch für eine Entwicklung, die bei einem Großteil ihrer Jahrgangskohorte feststellbar ist: Eine unmittelbare, von Beginn der engeren Prägungsphase an einsetzende systematische Politisierung im kommunistischen Parteimilieu. Dies war ein charakteristisches Merkmal der Kriegsjugendgeneration. Das vollständige Fehlen eigener Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg führte – zumindest bei denjenigen der Gruppe, die zwischen 1903 und 1910 zur Welt kamen und das Kriegsgeschehen durch die aufkommende massenmediale Kultur in der Kriegsgesellschaft nachvollziehen und mitverfolgen konnten85 – zu einem als »defizitär empfundenen Selbstbild«, dem durch das übersteigerte Streben nach dem »gemeinsame[n] Erlebnis der großen Idee« begegnet wurde.86 Was die Kriegsteilnehmer der vorangegangenen politischen Generation noch als militärischen Kampf in den Schützengräben und auf den Barrikaden der Revolutionszeit erlebten, wurde substituiert durch das Engagement im organisierten politischen Kampf im lokalen Umfeld von früher Jugend an. Dieser Kampf hatte seinen vornehmlichen Bezug für die »Zusammensetzung politischer Deutungsmuster«87 dieser politischen Generation zum einen in der schroffen sozialen Gegenwart der Weimarer Republik und vermittelte zum anderen zugleich Zukunftsorientierungen anhand der Ausrichtung an einem geschlossenen politischen Weltbild.88 83 84

85 86 87 88

Zur Organisationsstruktur des KJVD siehe Köster, Junge Garde des Proletariats, S. 55. Erinnerungsbericht von Arno Hering, aufgezeichnet für die Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung der SED Dresden, in der Zeit von Oktober 1979 bis Mai 1980 (Duplikat im Besitz des Verfassers, es stammt aus dem Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering). Dieses Schriftstück und weitere zahlreiche Dokumente und Fotografien aus dem Nachlass Arno Herings wurden mir von dessen Sohn für dieses Projekt freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Vgl. dazu, illustriert am Beispiel des Kriegstheaters, Baumeister, Kriegstheater, S. 291–299. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 494 f. Walter, »Republik, das ist nicht viel«, S. 156. Was hier anhand des links-proletarischen Arbeitermilieus und deren sozialen Trägern beschrieben wird, ließe sich freilich auch im Lager des bürgerlichen und rechten Milieus untersuchen. Vgl. zum Spektrum ideologisch-differenzierten jugendpolitischen Vergemeinschaftungsangeboten auf der Mikroebene der Großstadt Leipzig besonders Lange, Meuten, S. 58–159 sowie

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Diese Deutung korrespondiert mit der hohen Integration der späteren 1. Kreissekretäre dieser politischen Generation in die Reihen der nach dem Krieg neu gegründeten bzw. sich ausdifferenzierenden politischen Vorfeldorganisationen89 der sozialistischen oder kommunistischen Parteien bzw. der Jugendverbände der Arbeiterbewegung sowie weiteren gewerkschaftsnahen oder freien Organisationen, Sportverbänden und den paramilitärischen »Kampfbünden«90 der Arbeiterbewegung. Waren von der vorangegangenen Kohorte in der »Wilhelminischen Ära« bis zum Ende des Ersten Weltkrieges lediglich etwa zehn Prozent in unterschiedlichen kleineren Vereinigungen organisiert, schnellte die Quote bei den von 1903 bis 1916 Geborenen in der Weimarer Republik auf einen Wert von 91 Prozent herauf. Nahezu jeder hier in der Datenbank erfasste Jahrgangskohortenangehörige nahm also in irgendeiner Form an den sich bietenden Vergemeinschaftungsangeboten des links-proletarischen Milieus teil. An den Mitgliedschaften und deren Verteilung werden sowohl das breite Spektrum als auch die Schwerpunkte der Betätigungsmöglichkeiten für die »Junge Garde des Proletariats«91 deutlich, die die Prosperität der »Vereinsmeierei«92 in der Phase der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1933 ermöglichte. Bereits 1926 war reichsweit »jeder zweite männliche und jede vierte weibliche Jugendliche in einem Jugendverband organisiert gewesen«.93 An der Spitze der Mitgliedschaften für die 1903 bis 1916 Geborenen ist der KJVD als der Verband für alle 14 bis 23-Jährigen jungen Kommunisten zu nennen.94 46 Prozent der Gruppenangehörigen traten dem Verband bis 1933 bei, der im Zuge der »Fragmentierung des Arbeiterjugendmilieus«95 nach der Abspaltung von dessen Vorläuferorganisation, der Freien Sozialistischen Jugend (FSJ) und dem darauf folgenden Anschluss an die Kommunistische Jugendinternationale (KJI), in einem drei Jahre andauernden Entwicklungsprozess 1921 gegründet worden war. Obwohl zuletzt nachgewiesen wurde, dass der Verband besonders in seinen leitenden Funktionen über einen hohen Anteil an sogenannten Berufsjugendlichen verfügte, deren Alter zum Teil sogar jenseits der satzungsgemäßen Altersgrenze von 24 Jahren lag, war die Gesamtmitgliedschaft des Verbandes zu mindestens 52 Prozent unter 18 Jahre alt. 96

89

90 91 92 93 94 95 96

ebenfalls zur Großstadt, jedoch mit dem Fokus auf die informellen Jugendgruppen Kenkmann, Wilde Jugend, S. 75 ff.; 171 ff.; 255 ff. Zur Diskussion der fließenden Übergänge der Termini »Vorfeldorganisationen« und »politische Jugendverbände« im linken gesellschaftspolitischen Spektrum der Weimarer Republik vgl. Köster, Junge Garde des Proletariats, S. 10. Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung. Köster, Junge Garde des Proletariats, S. 36. Mallmann, Kommunisten, S. 166. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 55. Mallmann, Kommunisten, S. 182. Walter, »Republik, das ist nicht viel«, S. 207. Köster, Junge Garde, S. 148.

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Dieses Bild bestätigt sich bei der hier untersuchten politischen Generation der späteren 1. Kreissekretäre der SED in Sachsen. Das Eintrittsalter der von 1903 bis 1916 Geborenen in den KJVD kann aufgrund der überlieferten Angaben in der Datenbank zwar nur schätzungsweise ermittelt werden, da das Beitrittsjahr bei lediglich 38 Prozent der KJVD-Mitglieder feststellbar war und damit eine etwas zu geringe Validität aufweist. Aus Stichproben einzelner Funktionärsbiografien – wie solchen von Arno Hering, oder auch des späteren 1. Kreissekretärs von Chemnitz und Politbüromitglieds des ZK der SED Horst Sindermann97 sowie von Paul Fröhlich98, der nach seiner Tätigkeit als 1. Kreissekretär in Bautzen ab 1952 die Leipziger Bezirksleitung der SED führte – zeigt sich jedoch eher der recht frühe Eintritt zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr. Der Beitritt nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres ist dort, wo Angaben vorliegen, nicht festzustellen. Das höchste Eintrittsalter hatte der dann in den 1950er-Jahren amtierende 1. Kreissekretär von Meißen, Karl Friedemann, der 1927 im Alter von 21 Jahren zum Kommunistischen Jugendverband gelangte.99 Damit lagen ohnehin sämtliche Eintritte in den KJVD innerhalb der engeren Prägungsphase. Verschiedentlich aufkommende Klagen aus den Reihen der obersten Führung des KJVD über die reichsweit mangelnde Verbreitung des Verbandes, von denen Mallmann berichtet, können sich jedoch nicht auf die hier untersuchte Region bezogen haben, da Sachsen gemeinsam mit dem Großraum Berlin-Brandenburg und dem Ruhrgebiet der mitgliederstärkste Bezirksverband des KJVD war und mit den beiden weiteren Regionen gemeinsam insgesamt über 31 000 registrierten Personen, das heißt knapp die Hälfte der Reichsmitglieder stellte.100 Das, was die Jugendfunktionäre in den KJVD-Vereinsräumen an politischer Führung erlebten, war die von der KPD vorexerzierte kommunistische Parteikultur, deren normative Leitsätze, Sprache und politische Handlungsmethoden sie imitierten bzw. anzunehmen hatten und anschließend im lokalen Rahmen als jugendpolitische Praxis selbst umzusetzen versuchten. Die Anpassungs- und Folgebereitschaft der jungen Kommunisten lässt sich anschaulich illustrieren am Beispiel der KJVD-Ortsgruppe in Struppen, einer kleinen Gemeinde mit 1 700 Einwohnern im Südosten von Dresden.101 Der bereits erwähnte Jungfunktionär Hering brachte dort seit dem Jahr 1928 als verantwortlicher Redakteur ein lokales KJVD-Verbandsblatt mit dem Titel »Der arme 97 Zu den einzelnen biografischen Angaben zu Horst Sindermann vgl. dessen Kaderakte (SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/11/v/5483). 98 Zu den einzelnen biografischen Angaben zu Paul Fröhlich vgl. dessen Kaderakte (SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/11/v/5299). 99 Zu den einzelnen biografischen Angaben zu Karl Friedemann vgl. dessen VdN-Akte im Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStAD, BT/RdB Dresden, VdN Akte Nr. 1720). 100 Vgl. zu den reichsweiten statistischen Befunden Köster, »Junge Garde des Proletariats«, S. 323 f. 101 Die Einwohnerzahl bezieht sich auf das Jahr 1939. Vgl. Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen, S. 478 f.

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Teufel von Struppen und Umgebung« heraus.102 Der lokalen Presseagitation fiel in dieser Phase als »sinnstiftende[r] Integrationsfaktor und als Vermittlungsinstanz zwischen Weltbild und Alltagspolitik« eine zentrale »Orientierungs- und Normierungsfunktion« zu.103 Liest man darin die Ausführungen etwa zur internationalen Politik aus dem Blickwinkel eines kommunistischen Dorfagitators in der Sächsischen Schweiz, dann fällt vor allem auf, dass neben den Sachinformationen , die freilich aus den zentralen Presseabteilungen kamen, der formelhafte Duktus der KPD in der Sprache der untersten KJVD-Lokalgruppen angekommen war und einzelne Jungkader schnell gelernt hatten, zu schreiben und zu sprechen wie die Führer der KPD in Berlin. Folgender Auszug mag dies illustrieren: »Ein Blitzen und Zucken im fernen Osten. Die imperialistischen Mächte halten in dem Augenblick, wo von den Japanischen Kriegstreibern tausende und abertausende chinesische Arbeiter und Bauern niedergemetzelt werden, ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht werden, eine große Abrüstungskonferenz ab, die aber nur den Zweck hat, der breiten Masse den Frieden vorzutäuschen, während in der Tat fieberhaft gerüstet wird. Immer neue Flugzeuggeschwader, Geschütze, Panzerschiffe und Züge werden gegen die heldenhaft kämpfenden chinesischen Arbeiter, Bauern und Soldaten eingesetzt, um auf der einen Seite China unter den imperialistischen Mächten aufzuteilen und auf der anderen Seite den Krieg gegen unsere russischen Brüder, die Sowjetunion, zu entfesseln.«104 Auch wenn es offenbar nicht so war, dass die Trägerorganisation der KPD aus den Reihen des KJVD quantitativ beträchtliche Mitgliederzugänge zu verzeichnen hatte – 1928 kamen laut Mallmann lediglich knapp fünf Prozent der KPD-Mitglieder aus den Reihen des KJVD105 – so waren dennoch diejenigen Jugendfunktionäre, die es etwa bis auf die Unterbezirksleitungsebene geschafft hatten, qualitativ so weit ausgebildet, dass viele von ihnen nach 1945 in die regionalen Führungsgremien der sächsischen SED-Kreisleitungen Aufnahme finden sollten.106 In der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) organisierten sich 26 Prozent der Mitglieder dieser politischen Generation. Hervorgegangen war die SAJ wie der kommunistische Jugendverband aus der »Erbmasse« der Freien sozialistischen Jugend. Sie konstituierte sich dann schließlich im Jahr 1922 als eigenständige Jugendorganisation der SPD, nachdem sie zuvor noch als der USPD nahestehende Organisation unter der Bezeichnung der Sozialistischen Proletarierjugend

102 Der Arme Teufel von Struppen und Umgebung, Nr. 1, 1932 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering). 103 Mallmann, Kommunisten, S. 213. 104 Der Arme Teufel von Struppen und Umgebung, Nr. 1, 1932 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering). 105 Mallmann, Kommunisten, S. 191. 106 Vgl. Kapitel V. 1.

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(SPJ) firmierte. Anders als der KJVD, der sich laut Lange als »eine revolutionäre Jugendorganisation verstand und zusammen mit der KPD die Revolution anstrebte«, war das Selbstverständnis des Verbandes, der auch über die frühzeitige Erfassung der Kinder bei den sogenannten Kinderfreunden verfügte, mehr dasjenige einer »sozialistischen Erziehungsgemeinschaft«, die ihre Wirkungsmöglichkeiten durchaus innerhalb des von der Weimarer Republik gesteckten demokratischen Rahmens sah.107 Über die Zugehörigkeit zu entweder der sozialistischen oder der dominierenden kommunistischen Vorfeldorganisation hinaus, waren die übrigen 15 Prozent der organisierten Angehörigen dieser politischen Generation – vor allem während ihrer Lehrausbildung – in einer der zahlreichen Formationen der nach Branchen differenzierten Gewerkschaftsjugendverbände aktiv. Hierzu zählten vor allem die den Jugendabteilungen der Holz,- Metall- und Textilarbeiterverbände untergeordneten Gruppierungen. Eine weitere wichtige Rolle für die vorpolitische Sozialisation der Generationsangehörigen spielten in dieser Zeit die Erfahrungen, die in den Jugendabteilungen der Sportvereine gesammelt wurden. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg kam im gesamten Deutschen Reich »eine zunehmende Begeisterung für den Sport« auf,108 die sich bis 1932 in einer Gesamtanzahl von zwei Millionen in Sportvereinen registrierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen niederschlug. Die Mehrheit der hier untersuchten späteren Kreissekretäre war zwar sportlich nicht allzu aktiv gewesen – lediglich neun Prozent organisierten sich im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB). 10 Prozent kamen dann, nach dem 1930 erfolgten Ausschluss der kommunistischen Mitglieder aus dem Bund, in der eigens neu gegründeten Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (genannt »Rotsport«) zusammen, die sich vor allem in den Großstädten etablierte. Nur vereinzelt konnte der Rotsport auch auf dem Land Fuß fassen, wenn die kommunistischen Sportfreunde zahlreich genug waren, um einen eigenen Spielbetrieb aufrecht erhalten zu können.109 Ähnlich wie die bereits erwähnten Vergemeinschaftungsinstanzen des linksproletarischen Milieus, war auch der organisierte Sport als zivilisierte Spielform kämpferischer Auseinandersetzung und Gewöhnung »an eine straffe Disziplin«110 ein für die Prägung der politischen Weltanschauung wichtiger Faktor. Es etablierte sich so ein grundsätzlicher Freund-Feind-Dualismus und begünstigte eine damit einhergehende Radikalisierung der politischen Ausdrucksformen im 107 Lange, Meuten, S. 37. 108 Kenkmann, Wilde Jugend, S. 57. 109 Zur Entstehung der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit in der Provinz der Sächsischen Schweiz siehe den Erinnerungsbericht von Arno Hering, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 6). 110 Ebd., Bl. 3.

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»Kampf«. All dies war auch ein Vorzeichen der stetig zunehmenden Militarisierung von weiten Teilen der zwischen 1903 und 1916 geborenen Gruppenmitglieder. Den jungen Männern, die nicht am Weltkrieg und den Auseinandersetzungen der Revolutionsphase 1918/1919 hatten teilnehmen können, bot sich vor allem mit der 1924 gegründeten Kampfformation des Roten Frontkämpferbundes (RFB) die Möglichkeit,111 sich über diese radikalen Identifikationsangebote an der Besetzung des öffentlichen politischen Raumes in den Jahren der relativen Stabilität und der abschließenden Krise des Weimarer Systems mitzuwirken. So waren sie nicht mehr darauf angewiesen, die älteren Jahrgänge der proletarischen Frontsoldaten heroisieren zu müssen. Durch die Integration im männerbündisch-militaristischen Rotfrontkämpferbund vermochten sie selbsttätig in der lokalen Gesellschaft, in Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern des rechten, aber auch des sozialistischen Lagers, vermeintliches maskulines Prestige zurückzuerobern.112 Gängige Aktionsformen der stets in Uniform auftretenden Rotfrontkämpfer waren etwa »gewaltsame Zusammenstöße und Zwischenfälle, wenn eine größere Zahl von Aktivisten einer der anderen radikalen Parteien auf der Straße war, beim Aufmarsch zu einer Großdemonstration oder einer großen Versammlung«. Die Gewalt des Rotfrontkämpferbundes kam, in Bezug auf die Eskalationsspitzen, zum einen mit den Kämpfen gegen die politischen Gegner und zum anderen in »Zusammenstößen mit der Polizei« zum Ausdruck.113 Gelegenheiten dafür gab es zwischen 1924 und 1933 viele. Entsprechende Bühnen für öffentlichkeitswirksames Auftreten des RFB boten sich bei diversen Saal- und Straßenschlachten mit den direkten politischen Kontrahenten sowie bei politischen Großereignissen, wie Volksbegehren und Volksentscheiden.114 Auch bei im Zusammenhang mit großen Aufmärschen stehenden Übergriffen der Polizei gab es häufig Opfer unter den Demonstranten zu beklagen. Dies führte wiederum zu sich radikalisierenden, überall im Reich aufkommenden Solidaritätsprotesten, wie etwa in Folge des »Berliner Blutmai«115 von 1929 oder des »Altonaer Blutsonntag[es]«116 von 1932. An letzterem nahm beispielsweise der spätere 111 Zur Gründungsgeschichte des RFB und des Reichsbanners am Beispiel Sachsen vgl. Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung, S. 97–126. Beide Kampfbünde gingen nach Voigt aus den »Proletarischen Hundertschaften« hervor, die in Preußen bald verboten worden waren, in Sachsen und Thüringen jedoch bis zur Reichsexekution weiterbestanden und hier auch ihren – reichsweit betrachtet – Schwerpunkt hatten. 112 Gegner des RFB waren im linken Lager vor allem der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als eine der SPD zugeordnete Wehrorganisation sowie der dem rechten Lager entstammende Stahlhelm, der Bund der Frontkämpfersoldaten und später die SA-Formationen. Vgl. dazu am Beispiel Sachsens Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung, S. 361–401. 113 Rosenhaft, Links gleich rechts?, S. 240. 114 Etwa die Kampagne zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten 1926. Vgl. Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung, S. 323. 115 Kurz, Berliner Ereignisse von 1929. 116 Kopitzsch, »Altonaer Blutsonntag«.

Zweite politische Generation (Jahrgänge 1903 bis 1916)

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1. Kreissekretär der Stadtleitung Karl-Marx-Stadt, Hans Sahling, teil, der zu dieser Zeit als Mitglied der Hamburger KPD-Bezirksleitung und als Funktionär des »Rotfrontkämpferbundes« aktiv war.117 In Leipzig hatte sechs Jahre zuvor Fritz Beier, der spätere 1. Kreissekretär der SED-Stadtleitung Leipzig, 1924 im Ballsaal Pantheon, in dem 1863 durch Ferdinand Lassalle der ADAV (Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein) ins Leben gerufen worden war, den ersten Roten Frontkämpferbund der Stadt gegründet und übte bis zum Verbot des RFB die Funktion des Jungsturmführers aus. Beier geriet zwischen 1924 und 1930 mehrmals im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den RFB in Konflikte mit der Ordnungsmacht: »Bereits im Jahre 1926 wurde ich wegen eines Zusammenstoßes zum Volksentscheid zur Fürstenabfindung mit Stahlhelmern verhaftet […]. 1928 versuchte man, mich wiederum zu verhaften, weil man einen Wachtmeister bei einer RFB-Demonstration im Leipziger Osten erstochen hatte, wurde jedoch wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.«118 Auch in der Provinz verfügten die Rotfrontkämpferformationen über einigen Rückhalt. Nachdem der RFB nach den Berliner Maiunruhen 1929 auch in Sachsen verboten worden war, blieben die Gruppen entweder in der Illegalität bestehen oder organisierten sich unter verschiedenen Namen, wie z. B. »Rote Wehr«119 oder »Antifaschistische Arbeiterwehr«120, wieder neu. Symbole und Uniformen wurden allerhöchstens leicht geringfügig. Das Selbstverständnis der Angehörigen der politischen Generation, die den Kampf in den Schützengräben nicht miterlebt hatte, blieb dasselbe: »Wo es notwendig war etwas zu schützen, waren die Struppener Kämpfer vom RFB dabei. Die Genossen waren Tag und Nacht einsatzbereit.«121 Der Rückgriff auf die soldatische Terminologie mit Begriffen wie »Schutz«, »Kampf« und »Einsatzbereitschaft« hatte dabei die Funktion der Autosuggestion eigener Stärke und Tugend. Organisatorisch jedoch war der RFB zu keiner Zeit wirklich in der Lage, Vorbereitungen zu einem politisch-gesellschaftlichen Umsturz zu treffen. Beim RFB handelte es sich mehr um »eine Demonstrationsarmee, eine Institution permanenter Machtillusion, symbolischer Politik und militärischer Drohgebärden, um die Präsenz eigener Stärke ständig unter Beweis stellen zu können«.122 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Formen der gewaltvollen politischen Auseinandersetzung – auch wenn die eigene Stärke des 117 Tabellarischer Lebenslauf von Hans Sahling, undatiert (StACH, BT/RdB Chemnitz, VdN Nr. 2 945, unpaginiert). 118 Lebenslauf von Fritz Beier, 9.11.1950 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 696, Bl. 23). 119 Erinnerungsbericht von Arno Hering, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 9). 120 Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung, S. 501. 121 Erinnerungsbericht von Arno Hering, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 10). 122 Mallmann, Kommunisten, S. 199.

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Kampfbundes wohl eklatant überschätzt wurde – keine Folgen für die politische Kultur in der Organisation selbst und dann auch später in der KPD sowie nach 1945 in der SED hatte. Im Gegenteil: Militarisierte Sprache, soldatische Haltungen und Attitüden, eine »action-first mentality of radicalism«123, heroisierende Männlichkeitsideale und die Abgrenzung gegen den allzeit zu bekämpfenden Feind wurden aufgesogen und sind als verinnerlichte Verhaltensdispositionen auch längerfristig bei den späteren sächsischen Kreissekretären beobachtbar. Gerade auch über die Sozialisationsagenturen wie den Rotfrontkämpferbund wurde ein Habitus »des bloßen, selbstverständlichen Gehorsams« eingeübt und in der engeren Prägungsphase, zumindest bei den älteren Angehörigen der politischen Generationeneinheit der von 1903 bis 1916 Geborenen, verinnerlicht. Der Prozentsatz der Angehörigen dieser Jahrgangskohorte, die aktive Mitglieder in der SPD oder der KPD waren, lag zwar nicht ganz so hoch wie die Organisationsquote der streng genommen außerparteilichen politischen Vergemeinschaftungsinstanzen des linken Spektrums, erreichte aber dennoch einen hohen Wert von 79 Prozent. Beim Blick auf die Verteilung wird sichtbar, dass für die in Bezug auf die Gesamtanhängerschaft bei weitem kleinere kommunistische Partei der Mobilisierungsgrad bei den späteren SED-Funktionären wesentlich höher lag als für die Sozialdemokraten. Mit 55 Prozent des Gesamtanteiles parteipolitischer Organisation innerhalb der untersuchten Gruppe vereinte die KPD im Vergleich zu den 24 Prozent der SPD etwas mehr als doppelt so viele Anteile auf sich. Zwei Drittel derjenigen, die keiner der beiden Parteien angehört hatten, waren als Mitglieder in einem der eben beschriebenen Verbände bzw. Vereine aktiv; das völlige Fehlen gesellschaftlicher Organisation lässt sich beinahe überhaupt nicht feststellen. Bezogen auf die Parteiintegration tritt noch innerhalb dieser politischen Generationseinteilung eine erfahrungsbezogene Zäsur auf: Denjenigen späteren 1. SED-Kreissekretären dieses relativ weit gefassten Jahrgangszusammenhanges124, die ab dem Jahr 1915 zur Welt kamen, war freilich mit dem Erreichen des Parteieintrittsalters von 18 Jahren nach der »Machtergreifung« der Nationalsozi-

123 Swett, Neighbors and Enemies, S. 113. 124 Die Geburtsjahre bis 1914 werden in der Generationenforschung zur DDR-Geschichte meist als Zäsur betrachtet, anhand derer sich eine Einteilung der »opferbereiten und kampferprobten Altkommunisten« festmachen lässt. Später Geborene werden in der Regel anderen Generationseinheiten zugeteilt. Vgl. Engler, Die Ostdeutschen, S. 303–340, S. 320 sowie Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 492. Dies orientiert sich meist am Datum des Beginnes des Ersten Weltkrieges und an dem Erreichen der Volljährigkeit 1933. Diese Einteilung ist durchaus plausibel, da jedoch gerade auf der Ebene der Sozialisationsinstanzen jenseits der strikten Parteimitgliedschaft in der Datenbank Fälle auftreten, in denen aktives Engagement gegen den Nationalsozialismus in der Illegalität als die politische Sozialisation tief prägende Komponente angesehen wird, wird in der hier vorgenommenen Einteilung das Geburtsjahr 1916 als Grenzpunkt dieser politischen Generation angewendet.

Zweite politische Generation (Jahrgänge 1903 bis 1916)

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alisten im Jahr 1933 die Möglichkeit genommen, sich in einer der beiden sozialistischen bzw. kommunistischen Parteien zu organisieren.125 Das Verbot des RFB hatte gezwungenermaßen nur einigen wenigen Angehörigen dieser Jahrgangskohorte die Möglichkeit eröffnet, Aktionsformen der Illegalität, wie zum Beispiel die Konspiration, unter vergleichsweise undramatischeren Bedingungen als es zwischen 1933 und 1945 der Fall war, »einzuüben« und mit der Strafverfolgung als politische Erfahrung umzugehen. Vor 1933 kamen insgesamt elf Prozent zumindest einmal in die Situation, inhaftiert worden zu sein. Die Notwendigkeit, sich verstecken zu müssen und die Verfolgung aufgrund gegenwärtigem oder vergangenem politischen Engagements wurde nach 1933 ein Kollektivmerkmal, das die Angehörigen der politischen 1903er bis 1916er Generationeneinheit in ihrer politischen Sozialisation prägte und als langfristig überdauernde Disposition in den Verhaltensmustern eingeschrieben werden sollte. Überdies verband sie dieses Faktum mit der vorangegangenen Kohorte und wirkte identitätsstiftend auch über die »Erfahrungsgräben« der Teilnahme bzw. Nichtteilnahme am Ersten Weltkrieg hinweg. 68 Prozent von denen, für die dieses Merkmal rekonstruierbar ist, hatten nach 1933 Erlebnisse von einmaligem über teilweise wiederholtem und längerfristigem bis hin zu dauerhaftem Freiheitsentzug zwischen 1933 und 1945. Dabei entfällt ein geringer Teil der Verurteilungen auf die bloße Zugehörigkeit zur SPD, zur KPD oder zu einer der Jugendorganisationen in der Weimarer Republik. Der Großteil von 68 Prozent engagierte sich aktiv im politischen Widerstand gegen das »Dritte Reich« und machte sich in der Illegalität erzwungenermaßen ein »Grundmißtrauen« zu eigen, das nicht nur als »Lebens- und Überlebensstrategie« im NS fungierte, sondern als dauerhaft »habitualisierte Unfähigkeit, anderen Gruppen oder Generationen Vertrauen zu schenken« in die Verhaltensdispositionen dieser politischen Generation eingeschrieben wurde.126 Beim Blick in die Datenbank wird anhand der verschiedenen Einträge zur Haftform dieser politischen Generation zusätzlich das breite Spektrum nationalsozialistischer »Disziplinaranlagen«127 sichtbar: Die aktiven Kommunisten wurden während des Nationalsozialismus aus der »Volksgemeinschaft«128 ausgeschlossen und in Strafräume wie Polizeigefängnisse, Zuchthäuser, Zuchthauslager, 125 Diejenigen, die die Parteiorganisationen auch während der NS-Zeit weiterführten, nahmen aus Sicherheitsgründen in der Regel keine neuen Mitglieder auf. Keiner der in die Datenbank aufgenommenen SED-Funktionäre mit Geburtsjahrgang 1915 bzw. 1916 verfügte, im Gegensatz zu den früher zur Welt Gekommenen, über Erfahrungen des Widerstandes während des NS. Vgl. als Einstieg zum Parteienverbot von KPD und SPD sowie generell zum »Ende der ›alten‹ Arbeiterbewegung« Schneider, Unterm Hakenkreuz, S. 107–121, hier 118. 126 Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 499 f. 127 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 285. 128 Zum historischen Begriff, dem methodischen Forschungskonzept und dem Erklärungspotenzial des Terminus’ »Volksgemeinschaft« vgl. Bajohr/Wildt, Einleitung Volksgemeinschaft, S. 7–23.

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Untersuchungshaftanstalten, Straflager, staatliche Gefängnisse, GESTAPO-Gefängnisse, Konzentrationslager und Schutzhaftgefängnisse verbracht. Nach den Freiheitsentzügen folgte in der Regel eine langfristige Überwachung durch die örtliche Polizei oder Gestapo. Eine paradigmatische Situation nach 1933 schildert etwa Helmut Girndt, der spätere Vorsitzende des Rates des Kreises Oschatz und 1. SED-Kreissekretär von Eilenburg, der noch zu Beginn des Jahres 1933 bei den in Preußen stattgefundenen Kommunalwahlen in das Reichenbacher Stadtparlament gewählt worden war: »Am 24. Februar 1933 verhaftet kam ich in das KZ Dürgoy bei Breslau. Anschließend nach Esterwegen und von hier einige Wochen später wegen Vorbereitung zum Hochverrat wieder in Untersuchungshaft nach Breslau. Hier wurde ich vom Oberlandesgericht zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, welche ich im Zuchthaus Brieg verbrachte. Ende 1935 entlassen, heiratete ich eine ehemalige Jugendgenossin vom KJVD, welche bis auf meine Freilassung gewartet hatte. Kaum 14 Tage entlassen, wurde ich verwarnt von der Gestapo, ich würde mit alten Kreisen wieder Verbindung aufnehmen und ich musste mich noch jahrelang jeden Tag, auch sonn- und feiertags bei ihr melden, welches mir, da ich inzwischen Beschäftigung bei der Mehlgroßhandelsfirma Karl Exner Reichenbach gefunden hatte, besondere Schwierigkeiten bereitete.«129 Diese Polizeiaufsicht bzw. polizeiliche Meldepflicht war vielfach willkürlich vom örtlichen Gestapo-Kriminalassistenten ausgesprochen worden und endete häufig erst, wenn die ehemaligen Verurteilten sich dazu bereit erklärten, ihre im Zuge der Verurteilung wegen »staatsfeindlicher Betätigung«130 verlorene »Wehrwürdigkeit« durch Antrag bei der örtlichen Polizei wiederzuerlangen. Bruno Frank erinnert sich wie folgt: »Im Jahre 1941/42 wurde ich von der damaligen Polizei angesprochen, ein Gesuch zur Wiedererlangung meiner Wehrtätigkeit einzureichen. Ein Gesuch reichte ich nicht ein.«131 In wie vielen Fällen die Angehörigen dieser Jahrgangskohorte dieses Angebot zur Reintegration in das gesellschaftspolitische System des Nationalsozialismus annahmen, konnte anhand der überlieferten Angaben nicht genau festgestellt werden. In den eruierten Fällen wie bei Frank jedenfalls, in denen dies verweigert wurde, kam es ab 1942 zur Zwangsintegration der verurteilten Kommunisten und Sozialdemokraten in militärische Bewährungseinheiten wie dem »Strafbataillon 999« oder der »Sondereinheit Dirlewanger«. 20 Prozent der Kriegsteilnehmer der zweiten politischen Generationeneinheit – insgesamt waren mit 72 Prozent fast drei Viertel der Jahrgangskohorte an Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg beteiligt – mussten im Rahmen dieser Zwangsmaßnahme am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Nach 129 Lebenslauf Helmut Girndt an die Arbeitsgebietsleitung Kietzsche (Dresden) vom 29.11.1947 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 191, Bl. 14). 130 Klausch, »Wehrunwürdige«, S. 163. 131 Lebenslauf Bruno Frank, verfasst für die Kaderabteilung der Stadtverwaltung der Stadt Leipzig am 26.12.1950 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 186, Bl. 15).

Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917 bis 1925)

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Musterung und Einberufung, der Einstufung als »bedingt wehrwürdig« und kurzer Ausbildung in dem Ausbildungslager Heuberg wurden die unfreiwilligen Soldaten dann in Nordafrika, auf dem Balkan und in der Sowjetunion eingesetzt.132 1942 überraschte freilich die Zwangsmaßnahme der Einberufung in ein Strafbataillon die politische Generation der in den Jahren zwischen 1903 bis 1916 geborenen späteren 1. Kreissekretäre kaum noch; der permanente Ausnahmezustand unter dem nationalsozialistischen Regime bestand zu dem Zeitpunkt bereits neun Jahre. Vielmehr als die erzwungene Kriegsteilnahme ist in den kollektiven Lebensläufen der Gruppe der 1903 bis 1916er der mit der »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« unmittelbar nach dem Reichstagsbrand Anfang 1933 einsetzende Verlust jeglicher politischer Grundrechte und die Legalisierung der »Terrorisierung politischer Gegner durch die Regierung«133 eingeschrieben. Die besonders im lokalen Rahmen von örtlichen SA-Einheiten organisierten Maßnahmen gegen sozialdemokratische und kommunistische Funktionäre, die sich zu regelrechten Großrazzien und »Verhaftungswellen durch die Nazis« ausweiteten,134 markierten als eines von vielen Elementen des totalitären Staatsstreiches nicht nur »den wesentlichen Bruch zwischen der Demokratie von Weimar und der Diktatur des ›Dritten Reiches‹«,135 sondern auch den zentralen Bruch innerhalb der Lebensläufe dieser und der vorhergehenden politischen Generation späterer 1. SED-Kreissekretäre, die sie miteinander verband und zugleich unüberbrückbar von der politischen Generation der nach 1917 geborenen SED-Funktionäre trennte.

4. Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917 bis 1925)136 Die Lebensgeschichten der bisher analysierten Jahrgangskohorten späterer 1. SED-Kreissekretäre waren von prägenden Erfahrungen der Repression, der (Lager-)Haft und Verfolgung, des Krieges, Bürgerkrieges und des revolutionär-politischen Aktivismus ebenso bestimmt gewesen, wie von krisengeschüttelten Wirtschaftslagen und mangelhaften Erwerbssituationen sowie einer lebensweltlichen Einbettung in die proletarischen Arbeitermilieus im ausgehenden Kaiserreich bzw. besonders der Weimarer Republik. Sie verliehen ihnen nach 1945 innerhalb der Organisationswelt der SED historische Legitimatät und den generationsbedingten Nimbus altkommunistischen Kämpfer- und Heldentums. 132 Vgl. Klausch, »Wehrunwürdige«, S. 157–180. 133 Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 3. 134 Erinnerungsbericht von Arno Hering, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 11). 135 Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 4. 136 Die Gruppe der 1917–1925 Geborenen umfasst in der Datenbank die absolute Anzahl von n=100 Personen.

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Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

Dieses politische Kapital kann in seiner Bedeutung für die Herrschaftspraxis im Geflecht der späteren, auf Hierarchie, Autorität und Gehorsam fußenden Staatspartei der SED kaum überschätzt werden. Demgegenüber standen die Folgegenerationen vermeintlich mit leeren Händen da. Die Angehörigen der Jahrgangskohorte, die zwischen 1917 und 1925 geboren sind, erfuhren als einzige der politischen Generationen des späteren Herrschaftsapparates der SED während ihrer bestimmenden politischen Prägungsphase die zunehmende Erosion ihrer vertrauten Herkunftsmilieus im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Anders als bei einem Großteil ihrer Vorgänger war damit für sie als Folge nicht die Konfrontation und der Widerstand gegen bzw. zuweilen auch – und das traf immerhin auf 32 Prozent der Population der Vorgängerkohorte zu – das Arrangement in Form von stillem aber totalem Rückzug aus dem politischen Leben verbunden. Im Gegenteil: Aufgrund ihrer Jugend standen für sie die sukzessive und aktive Integration in die Gesellschaftsordnung im Allgemeinen und die organisationskulturellen Lebenswelten des NS-Systems im Besonderen als kennzeichnende Sozialisationserfahrung in ihren kollektiven Biografien im Vordergrund. Diese gespaltene Generation137 machte demnach als einzige der hier untersuchten Kohorten einen biografischen Dreischritt von der Exklusion aus dem vertrauten sozialen und politischen Herkunftsmilieu der linken Arbeiterschaft, über die Inklusion in die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« und schließlich, nach dem Krieg 1945, zur Einbettung in das neue sozialistische System der SBZ/DDR. Letzteres sollte Walter Ulbricht in der Schlussphase seiner Zeit als Staatsratsvorsitzender und 1. Sekretär der SED als »sozialistische Menschengemeinschaft«138 bezeichnen. In der Rückschau des im Jahr 1923 geborenen späteren 1. Kreissekretärs von Oschatz, Leipzig-Land und der Stadtleitung Leipzig, Karl Hübner, kam die erste sozialisatorische Transformationsphase dieser generationsbedingten Umorientierung im Jugendalter deutlich zum Ausdruck. Nachdem er sich von frühester Kindheit an – sowohl Hübners Vater als auch seine Mutter waren Mitglied der 137 Die Generationeneinteilungen in der Forschung zur DDR-Geschichte werden vielfach ohne die Jahrgänge von 1917 bis 1925 konstruiert. Es herrscht meist die dichotomische Einteilung der – wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen – Altkommunisten und der Aufbau-Generation vor. Diese »Zwischengeneration« mit ihrer sozialen Herkunft aus der linken Arbeiterklasse und der späteren politischen Sozialisation im Nationalsozialismus ist aber sowohl quantitativ als auch qualitativ für die Tektonik des SED-Herrschaftsapparates von wesentlicher Bedeutung. Vgl. Kapitel V. 3 zur Generationeneinteilung ohne die Zwischengeneration der 1917 bis 1925er-Generation siehe etwa Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 501 ff. sowie Herbert, Generationen im 20. Jahrhundert, S. 102 und Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 128. 138 Rede von Walter Ulbricht mit dem Titel »Unser guter Weg zur sozialistischen Menschengemeinschaft« auf dem Kongress der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland am 22.3.1969. In: Neues Deutschland vom 23.3.1969.

Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917 bis 1925)

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SPD – im Arbeiter-Turn-und-Sportbund (ATSB) in seiner Geburtsstadt Plauen körperlich betätigt hatte und darüber hinaus durch die Mitgliedschaft bei den Kinderfreunden in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend auf dem besten »Weg zu einer sozialistischen Erziehung«139 war, machte er 1936, drei Jahre nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten dennoch den Schritt in die »Staatsjugend« des Deutschen Jungvolks. Dort sollte nach dem Willen des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten sowie des Jugendführers des Deutschen Reiches Baldur von Schirach nach dem Beschluss vom 28. Juli 1936 »die gesamte körperliche, charakterliche und weltanschauliche Erziehung aller Jugendlichen bis zu 14 Jahren«, und zwar »ausschließlich im Deutschen Jungvolk« erfolgen.140 »Ende 1936«, so schildert es dann Hübner, »trat ich in das Jungvolk ein. […] Mein Eintritt erfolgte auf mein Drängen, entgegen den Mahnungen meiner Eltern, da ich mich gegenüber meinen Schulkameraden und auch von Seiten des Lehrers zurückgesetzt sah. […] Ich stand dem Faschismus keineswegs ablehnend gegenüber, sondern war wie die meisten Jugendlichen stark davon angesteckt. Solche Maßnahmen wie die Annexion Österreichs und des Sudetengebietes wurden von mir begeistert begrüßt. Die Beeinflussung durch meine Eltern und Verwandten, das eigene Beispiel an dem Ergehen meiner Eltern und Verwandten, die Berichte eines Onkels, der aus dem KZ zurückkam, konnten mich nicht von der Fäulnis und von der Verlogenheit des Systems überzeugen. […] Heute muss ich sagen, dass ich auf Grund der Erziehung durch meine Eltern bereits in dieser Zeit hätte eine konsequentere Stellung haben können und müssen«, so Hübner weiter, »aber ich war zu schwach und feige, die damals bereits vorhandenen Oppositionspunkte, mit Hilfe meiner Eltern und Verwandten, in der Zukunft zu einer festen Grundlage auszubauen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.«141 Zunächst einmal zeigt sich hier ein performativer Beleg für die nach außen gerichtete Wandelbarkeit in der politischen Haltung, die hier stellvertretend für viele in dieser späteren Funktionärsgeneration steht. In dem zitierten Lebenslauf Karl Hübners, den er für die Leitung der Parteihochschule Karl-Marx der SED in Kleinmachnow verfasst hatte,142 wird deutlich, wie geschliffen er innerhalb weniger Jahre das »Sprechen und arbeiten an sich selbst«143 als unverzichtbaren Teil 139 Gröschel, Kinderfreunde, S. 13. 140 Vertrag zwischen dem Jugendführer des Deutschen Reiches und dem Reichssportführer 1936. In: Hellfeld/Klönne, Betrogene Generation, S. 111 ff., hier 112. Gleiches galt freilich auch für die HJ. Vgl. ebd. 141 Abschrift des Lebenslaufes von Karl Hübner für die Parteileitung der Parteihochschule »Karl Marx« beim ZK der SED vom 7.6.1951 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 995, Bl. 120–126). 142 Hübner besuchte 1950 den Einjahrlehrgang für Parteifunktionäre, vgl. die Angaben auf dessen Delegiertenbogen zur 2. Parteikonferenz der SED im Jahr 1952, undatiert (SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/11/70, Bl. 150 f.). 143 Studer/Unfried, Der stalinistische Parteikader, S. 19.

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der von der Partei eingeforderten Identitätskonstruktion stalinistischer Parteikader erlernt hatte. Die Praxis des gekonnten Verfassens eines Parteilebenslaufes forderte als festen Bestandteil das Üben von Selbstkritik. Die Praktizierung dieser speziellen Kulturtechnik des »speaking bolshevik«144 zur Formung der Funktionseliten, zum »Aufbau, zur Bewahrung oder zur Transformation ihrer Identität«, war den SED-Kreissekretären besonders im Rahmen des Besuches von Partei(hoch)schulbesuchen vorgeschrieben. Obwohl Hübner sich wenige Jahre zuvor noch im Kriegseinsatz befand und er von sich selbst sagte, dass er »in ›fachlichen Dingen‹, ein guter Soldat der faschistischen Wehrmacht war und sogar stolz darauf«,145 glückte ihm innerhalb kürzester Zeit eben diese Art von Transformation in Form der bedingungslosen Inkorporation parteiinterner Verhaltensnormen, die auch für die anderen dieser politischen Generation ein bestimmendes Charakteristikum darstellte. Der Identitätswandlungsprozess, den Hübner in dem Dokument demonstriert und schildert, lässt sich auch in den empirischen Befunden der kollektivbiografischen Lebenslaufmerkmale dieser Jahrgangskohorte nachvollziehen. Die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend vom vierzehnten bis zum achtzehnten Lebensjahr bzw. in dem für Kinder von zehn bis vierzehn Jahren der HJ vorgeschalteten Deutschen Jungvolk war für viele dieser Jahrgangskohorte zunächst noch nicht obligatorisch. Dies begann sich erst mit dem 1936 erlassenen »Gesetz über die Hitler-Jugend« zu ändern. Fest verbindlich im Sinne der »Jugenddienstpflicht« wurde die Zwangsintegration in den von den nationalsozialistischen Gesetzgebern so umschriebenen »Ehrendienst am Deutschen Volk« dann schließlich kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges mit der »ersten und zweiten Durchführungsbestimmung zum Gesetz über die Hitler-Jugend vom 25. März 1939«. 146 Dennoch vollzogen mit 23 Prozent bereits ein knappes Viertel der Kohorte der von 1917 bis 1925 geborenen späteren 1. SED-Kreissekretäre den Wechsel von den linken Jugendorganisationen wie den Kinderfreunden, den Roten Falken der SAJ oder des KJVD, in die »Staatsjugend« bereits vor 1936. Insgesamt betrug die jugendpolitische Organisationsquote dieser politischen Generation in den nationalsozialistischen Vergemeinschaftungsinstanzen 70 Prozent. Dabei lässt sich nicht in allen Fällen immer exakt rekonstruieren, ob die Mitgliedschaft aktiv ausgeübt wurde, oder ob es sich um formale Eintrittseinschreibungen durch die Übernahme aus Mitgliederlisten vorher besuchter Jugendorganisationen gehandelt hat, die in die HJ überführt wurden. Wenn in den Lebensläufen 144 Kotkin, Magnetic Mountain, S. 198–238, hier 204. 145 Abschrift des Lebenslaufes von Karl Hübner für die Parteileitung der Parteihochschule »Karl Marx« beim ZK der SED vom 7.6.1951 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 995, Bl. 124). 146 Der Wortlaut der Gesetze ist abgedruckt und hier zit. nach Klönne, Jugend im Dritten Reich, S. 35 ff.

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konkrete Angaben über die Beteiligungsgrade in HJ und DJ vorlagen, eröffnet sich ein Spektrum von der reinen Mitgliedschaft über kleinere Funktionsübernahmen, wie die des Revisors oder Geldverwalters, bis hin zu Leitungsaufgaben, etwa in der Funktion des Jungzugführers im DJ bzw. des Scharführers in der HJ, was in etwa dem militärischen Dienstgrad eines Feldwebels in der Wehrmacht entsprach. Insgesamt jedoch wird deutlich, dass mit dem Aufstieg und der Etablierung der nationalsozialistischen Zwangsvergemeinschaftungsinstanzen nicht nur die Eliminierung der äußerlichen linksproletarischen Milieustrukturen einherging. Der für die vorangegangenen Generationseinheiten festgestellte Bruch innerhalb dieser politischen Generationeneinheit verlief entlang einer weiteren Linie: Das NS-System trieb mit seinem Zugriff auf die Jugendlichen einen Keil mitten in die Familien und rief so eine besondere Form des Generationenkonfliktes zwischen den Vätern und den Söhnen hervor.147 Anders hatte es sich bei den politischen Generationen zuvor verhalten, bei denen kaum Anzeichen für ein Aufbegehren gegen oder eine Emanzipation von ihren autoritären Vätern deutlich wurde, bei der im Gegenteil mehr der Anschein der fraglosen Identifikation, Unterordnung und Folgebereitschaft herrschte. »1919, als die KPD gegründet wurde«, gab etwa Arno Hering zu Protokoll, »hat auch mein Vater mit noch drei Genossen die Ortsgruppe der KPD in Struppen gegründet, das war im Februar/März. Wie das früher so üblich war, sie hatten dafür keine Lokale, das machten sie zu Hause bei uns in der Wohnung. Wir als Kinder haben manchmal gelauscht, worüber sie sich so unterhalten haben, über Streiks und über den Kampf von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.«148 Bevor dann jener Vater vierzehn Jahre später im Oktober 1933 verhaftet und im KZ Hohenstein von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde, kam es noch zu einem Treffen zwischen Vater und dem mittlerweile erwachsenen Sohn. Dieser war 1932 als Gemeindevertreter des Heimatortes für die KPD in die Fußstapfen des Vaters getreten. Während der eine ins KZ musste, ging der andere in die Illegalität. Als dann 1935 auch der Sohn verhaftet und wegen Hochverrat vor Gericht gestellt wurde, kamen in der Urteilsbegründung auch die soziale Herkunft und das familiäre Umfeld sowie dessen fester Zusammenhalt zur Sprache. »Bei der Urteilsverkündung«, so erinnerte sich Hering an die Worte seines Pflichtverteidigers im Prozess vor dem Volksgerichtshof, »solle man bedenken, wo kommt denn dieser Mensch her, aus dem verfluchten roten Sachsen, der Vater Spartakist, die Mutter Kommunistin, die Brüder auch alle gesessen, die Braut Kommunistin, 147 Dieser wurde bereits Anfang der 1930er-Jahre erkannt und sowohl von den Kommunisten als auch von den Nationalsozialisten propagandistisch zu instrumentalisieren versucht. Anhand von Vater-Sohn-Konflikten greifen die Spielfilme »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?« von 1932 und »Hitlerjunge Quex. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend« von 1933 dies auf. Vgl. Gersch, Kuhle Wampe, S. 293 ff. sowie Koch, Hitlerjunge Quex, S. 163–179. 148 Erinnerungsbericht von Arno Hering, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 2).

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was sollte aus dem Menschen werden.«149 Schilderungen einer reibungslosen Milieueinbettung und des innerfamiliären Zusammenhaltes sind dann in der Jahrgangskohorte der 1917 bis 1925 Geborenen nicht mehr möglich bzw. nachweisbar gewesen. Jenseits des Feldes der politischen Sozialisation in den Jugendorganisationen lässt sich summarisch die zunehmende Integration in das NS-System auch an den häufigen Mitgliedschaften in weiteren Organisationen nach 1933 ablesen. Bedeutsam für die hier untersuchten Funktionäre sind besonders der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) als Dach- und Einheitsverband aller Sportvereine im Deutschen Reich,150 die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die als Einheitsgewerkschaft nach dem Willen ihres Leiters, des vorherigen Reichsorganisationsleiters der NSDAP Robert Ley eine Interessensvertretung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sein sollte, »die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat« und der man sich, »auch wenn formal kein Beitrittszwang bestand«, nur schwer entziehen konnte,151 und etwa der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) als führende Wohlfahrtsorganisation bis zum Kriegsende.152 Mit 44 Prozent war nahezu die Hälfte aller politisch aktiven Jahrgangskohortenangehörigen in einer der genannten Organisationen während des Nationalsozialismus aktiv. Nur noch ein untergeordneter Teil der ältesten Jahrgangsmitglieder dieser politischen Generation bekam im Erwerbsleben die letzten Züge der Weltwirtschaftskrise unmittelbar zu spüren. Anders als ihre eigene Vätergeneration erlebte die Mehrheit in ihrem ausbildungbezogenen und beruflichen Werdegang während der Phase der nationalsozialistischen Herrschaft eine Zeit der Stabilität und Kontinuität. Der nahtlose Übergang von Schule, Lehre, Anstellung und Weiterbeschäftigung war für die meisten jungen Männer nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie profitierten davon, dass sich mit der nationalsozialistischen Machtergreifung eine »neue soziale Konfiguration« durchsetzte, in der die wirtschaftliche Situation von der Krise hin zu einem »rüstungsinduzierten Aufschwung« umschlug.153 Die niedrige Arbeitslosenquote dieser politischen Generation spiegelt dies deutlich wider. Während in der vorangegangenen Jahrgangskohorte mit 71 Prozent noch fast drei Viertel mindestens einmal während ihres beruflichen Lebenslaufes die Erfahrung gemacht haben, wegen fehlender Arbeit auf die sozialen Sicherungssysteme der Weimarer Republik angewiesen gewesen zu sein,154 traf 149 150 151 152

Ebd., Bl. 29. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des NSRL Bernett, Weg des Sports. Zit. nach Thamer, Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz, S. 6. Vgl. die Darstellungen und Dokumente zur »Nationalen Volkswohlfahrt« bei Vorländer, Die NSV. 153 Peukert, Zwischen Krieg und Krise, S. 309. 154 Mit dem Gesetz über die Einführung der Arbeitslosenversicherung vom 16.7.1927 wurde die Unterstützung der Arbeitslosen, die bis dahin nach dem »Fürsorgeprinzip« organisiert war,

Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917 bis 1925)

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dieses Merkmal bei den nach 1917 Geborenen nur noch auf 15 Prozent zu. Längerfristige Phasen der Arbeitslosigkeit erlebten diese jedoch nicht, ein Faktum, das zum einen mit der stabilen ökonomischen Lage und der damit einhergehenden schnellen Wiedereinstellung zusammenhing, zum anderen aber auch mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht durch das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935.155 Laut Gesetzestext hatten alle jungen deutschen Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren die Pflicht, einen sechsmonatigen Reichsarbeitsdienst (RAD) abzuleisten.156 Diese politische Generation späterer 1. SED-Kreissekretäre umfasste demnach genau diejenigen Jahrgänge, bei denen nach Inkrafttreten des Gesetzes die Verpflichtung zur Ableistung des Arbeitsdienstes unmittelbar griff. Der RAD hatte Mitte der 1930er-Jahre dabei eine »ambivalente« Stellung innerhalb der Institutionenordnung des »Dritten Reiches« inne.157 Formal war der Dienst zwar eine »dem Reichsinnenminister unterstellte, de facto aber weitgehend selbstständige staatliche Organisation«158, die allein schon wegen ihrer Symbolsprache, mit den braunen Uniformen und den Hakenkreuzbinden am Oberarm, als »Musterbeispiel der Verquickung von Staat und Partei«159 geltende NS-Sozialisationsinstanz angesehen werden kann. Dementsprechend lesen sich dann auch die Erziehungsziele, die über den Arbeitsdienst und das damit einhergehende Leben im Arbeitslager inklusive militärischer Grundausbildung erreicht werden sollten und aus den Dienstpflichtigen, wie es der Reichsführer des RAD Hierl formulierte, eine »Verschmelzung« zu einem »geschmiedeten Typ des Arbeitsmannes aus drei Grundelementen« werden lassen sollten: »dem Soldatentum, Bauerntum und Arbeitertum.«160 Besonders hervorgehoben und in der Praxis zum Tragen kam das militärisch-soldatische Element, dessen idealisiertes Bild im Geiste des NS-Tugendkanons Hierl wie folgt beschrieb: »›Soldat‹ sein heißt: Für eine Aufgabe sich mit seiner ganzen Person nötigenfalls bis zur Selbstaufopferung einsetzen, Aufgaben dienen nicht um des Geldes, sondern um der Ehre willen, hart sein gegen sich und andere, wenn die Pflicht es erfordert. Mit dem Begriff Soldat verbinden sich für uns die Begriffe Ehre und Pflichtgefühl, Manneszucht und Kameradschaft.«161 Während des Arbeitsdienstes waren

155 156 157 158 159 160 161

umgestellt auf das »Versicherungsprinzip«. Vgl. Wirsching, Weimarer Republik, S. 29 f. Zur Ausgestaltung der Weimarer Republik als »Sozialstaat« und zu dessen Krise Peukert, Weimarer Republik, S. 132–143. Vgl. Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26.6.1935. In: Reichsgesetzblatt (RGB) l I, (1935) 64, S. 769 ff. Hier zit. nach Hansen, Führungskorps des Reichsarbeitsdienstes, S. 101. Zu den weiteren gesetzlichen Grundlagen und der Entwicklung des RAD vgl. Hansen, Führerkorps des Reichsarbeitsdienstes, S. 101–115. Ebd., S. 102. Ebd. Broszat, Staat Hitlers, S. 334. Hierl, Schriften, Band 2, S. 163. Hier zit. nach Patel, Soldaten der Arbeit, S. 204. Ebd.

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demnach die Angehörigen dieser politischen Generation von vormilitärischer Indoktrination weiter auf das Engste umgeben und beeinflusst; solcherart sozialer Praxisformen und Haltungen hatten bereits im Deutschen Jungvolk und der Hitlerjugend auf sie eingewirkt. Rhetorik, Rituale und Werte des Nationalsozialismus wurden zum selbstverständlichen Teil der Lebenswelt. Die Phänomene der Unterordnung unter eine geführte Sozialformation, Uniformierung, Gehorsam und Disziplinierung, das sich einer Sache verschreiben, die größer ist als man selbst und die damit verbundene Entindividualisierung in der engeren Prägungsphase hinterließen tiefe Spuren in den kollektiven Lebensläufen dieser Jahrgangskohorte und prägten deren »generationellen Stil«162 Bei den meisten Zugehörigen der Geburtsjahrgänge zwischen 1917 bis 1925 zeigt sich diese tiefe Inklusion in die organisierten Sozialformationen des Nationalsozialismus. Familiäre Herkunft und milieuspezifische Prägungen aus frühen Kindertagen verloren hingegen als wertebildende Konkurrenzsysteme zunehmend an Bedeutung. So berichtete etwa der spätere 1. SED-Kreissekretär von Oschatz Willy Dau, dessen Vater als Sympathisant der Kommunisten ihm noch mitgegeben hatte, er »als Arbeiter gehöre zur KPD«, wie folgt von seiner Zeit im RAD: »Im Herbst 1938 wurde ich zum Arbeitsdienst eingezogen bis zum Frühjahr 1939 und wurde als Vormann entlassen. Wenn ich nur etwas nachgedacht hätte, so hätte ich da schon wissen müssen, wohin die Reise geht, aber im Gegenteil, ich glaubte viel eher, dass aus dem Osten, wie uns vorerzählt wurde, ›die gelbe Gefahr‹ drohe.«163 Auch in diesem autobiografischen Zeugnis kam die nach den Schreibritualen der Selbstkritik gestaltete Selbststilisierung zu einem vormals durch das NS-Regime »Verführten«164 zum Ausdruck, der wie die übrigen Generationsangehörigen dieser Jahrgangskohorte erst später den Weg zum Kommunismus beschritt. Verfasst hatte Dau diesen hier zitierten Lebenslauf, als er bereits die Parteihochschule des ZK der SED in Kleinmachnow besuchte. Auch in dieser Vita spielt die Identitätsbildung des Funktionärs innerhalb der Partei durch das Herstellen einer stimmigen, politischen Vergangenheitserzählung über sich selbst gewiss eine ebenso ernst zu nehmende Rolle, wie die darin geschilderte erlebte Situation. In der durch diesen Erzähltypus in zwei voneinander getrennte Lebensteile untergliederten Biografie ließen sich auch unbequeme Wahrheiten kommunizieren, ohne dass dadurch eine Exklusion aus dem neuen sozialen und auch ökonomischen Bezugssystem der SED befürchtet werden mussten. »Als der Krieg ausbrach«, so Dau weiter, »war auch ich davon überzeugt, dass unser ›Vaterland‹ 162 Herbert, Best, S. 44. 163 Lebenslauf von Willy Dau an die Parteileitung der SED-Parteihochschule »Karl Marx« in Kleinmachnow vom 18.6.1951(StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 746, unpaginiert). 164 Vgl. die methodischen Annäherungen an das »verführte« Kollektiv dieser speziellen Jahrgangskohorte bei Hübner-Funk, Hitlerjugend-Generation, S. 84.

Dritte politische Generation (Jahrgänge 1917 bis 1925)

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bedroht würde und wir es verteidigen müssten und dass der Angriff die beste Verteidigung sei.«165 Die Erlebnisebene dieses biografischen Zeugnisses zeigt deutlich, dass die nationalsozialistische Propaganda ihre Wirkung auf die jungen Männer nicht verfehlt hatte. Im Anschluss an die Ideologiesierung im Jungvolk und bei der Hitlerjugend, beim Reichsarbeitsdienst und, nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 mit dem »Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht«166, beim Militär war die Integration in das System des Nationalsozialismus für den Großteil der Gruppe zur Selbstverständlichkeit geworden. In der Datenbank findet diese Feststellung an den vielen als freiwillig zum Militärdienst Gemeldeten, den Rangabzeichen in der Wehrmacht bis hin zum Oberfeldwebel und den Auszeichnungen wie dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse seine empirische Entsprechung. Die Identifikation mit dem NS-Staat ging so weit, dass viele sich längerfristig zum Militärdienst verpflichteten. Erwähnter Willy Dau fasste etwa noch 1944 im Rahmen eines »Uffz. Lehrgangs in Wailburg a. d. Lahn« den Endschluss, das Angebot seiner Vorgesetzten anzunehmen, sich auf zwölf Jahre zu verpflichten. Das war bereits lange nach der Jahreswende 1942/43, von der an »das Deutsche Reich in der Kriegsführung auf die« – trotz der allgegenwärtigen NS-Propaganda um den »Endsieg« – Defensive zurückgeworfen« und eine Kriegsniederlage vorhersehbarer geworden war.167»Auf der Schule unterschrieb ich dann die Verpflichtung.«168 Zur Ableistung seiner Dienstpflicht kam es freilich nicht mehr, das Kriegsende erlebte Dau in amerikanischer Gefangenschaft, nachdem er zuvor am 14.Februar 1945 beim Fronteinsatz »seinen rechten Oberarm, das rechte Gehör und z.T. auch das rechte Augenlicht einbüßte«.169 Das teils gewaltsame, in jedem Fall für die im NS geprägten jungen Männer demoralisierende Erlebnis des Kriegsendes als Niederlage in der Gefangenschaft, das zugleich auch das Ende der zwölf Jahre währenden NS-Diktatur bedeutete, machten insgesamt 88 Prozent der Jahrgangskohorte. Die Erlebnisse in der Kriegsgefangenschaft selbst stellten sich für diese Kohorte jedoch höchst unterschiedlich dar. Von den in Gefangenschaft geratenen Generationsmitgliedern waren 68 Prozent in Lagern der Alliierten Truppen interniert, aus denen sie im Schnitt nach drei bis sechs Monaten entlassen wurden – nur in wenigen Einzelfällen betrug die Zeit bis zu drei Jahre. Unter denjenigen 32 Prozent, die als

165 Lebenslauf von Willy Dau an die Parteileitung der SED-Parteihochschule »Karl Marx« in Kleinmachnow vom 18.6.1951(StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 746, unpaginiert). 166 Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 22. 167 Ebd., S. 105. 168 Lebenslauf von Willy Dau an die Parteileitung der SED-Parteihochschule »Karl Marx« in Kleinmachnow vom 18.6.1951(StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 746, unpaginiert). 169 Ebd.

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»deutsche Kriegsgefangene«170 in sowjetische Gefangenen- und Interniertenlager gerieten, gab es nur eine Minderheit, die nach weniger als vier Jahren nach Deutschland zurückkehren konnte. 84 Prozent von ihnen blieben mindestens für drei Jahre interniert, ein Viertel der Gruppe gar über fünf Jahre. Sowohl die in Gefangenschaft gemachten Erfahrungen als auch die nach der Rückkehr damit in Zusammenhang stehenden Folgen für den Umgang mit den – und das Ansehen von den – »Heimkehrern« im Parteiapparat der SED unterschieden sich wesentlich voneinander. Der kollektivbiografische Vorteil relativ kurzer Internierungszeit in einem der Lager der westlichen Besatzungszonen kehrte sich dabei innerhalb der SED und deren Selektions- und Legitimationslogiken schnell in einen kaderpolitischen Nachteil um. Westliche Kriegsgefangenschaft entwickelte sich zum Teil gar zu einer Art Stigma in der Funktionärsbiografie, das manche mit erhöhter Unterordnung und Folgebereitschaft zu kompensieren suchten. Dies gelang jedoch nicht in allen Fällen, wie das Beispiel des 1. SED-Kreissekretärs von Marienberg, Fritz Scheller belegt. Bei einer vom Politbüro der SED angesetzten Überprüfung im Januar 1954 im Vorfeld des IV. Parteitages der SED171 wurde dessen Kaderakte nach Schwachstellen durchsucht. In einer »Aussprache«, wie das SED-interne Synonym für Verhör bezeichnet wurde, kam heraus, dass Scheller in amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen war, »u. a. ca. ½ Jahr auf der Insel Rhode-Island, wo Spezialschulungen von 6-wöchiger Dauer mit besonders ausgesuchten Kriegsgefangenen durchgeführt wurden«. Dies stellte der anschließende zusammenfassende Bericht der Kommission an das ZK der SED fest. Scheller hatte verschwiegen, in diesem speziellen Lager gewesen zu sein und dann bei der Überprüfung mündlich relativierend ausgesagt, dass »er nur in der Küche beschäftigt war«. Dies wurde ihm jedoch nicht abgenommen, was schließlich zu folgendem Beschluss führte: »Genosse Fritz Scheller scheidet aus der Nomenklatur des ZK aus, sein Einsatz erfolgt durch die Bezirksleitung.«172 Nach der vollzogenen Absetzung durfte sich Scheller jedoch im Staatsapparat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt »bewähren« und dort seine Laufbahn fortsetzen. 170 Hilger, Deutsche Kriegsgefangene. 171 Systematische Überprüfungen von westlichen Kriegsgefangenschaften hatte es freilich schon früher gegeben. Vgl. etwa den Beschluss zur Erarbeitung eines Plans zur »Überprüfung der Genossen aus der westlichen Emigration und Kriegsgefangenschaft« vom 28.10.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/60, unpag.). Diese innerparteilichen Repressionen fanden besonders stark in der Phase der Auseinandersetzungen zwischen Tito und Stalin statt, in deren Folge die »Field-Untersuchungen« (in Anlehnung an den Leiter des amerikanischen Unitarian Service Commitee Noel H. Field) Säuberungen gegen unliebsame Parteimitglieder mit dem Vorwurf ermöglichten, für westliche Geheimdienste zu arbeiten. Vgl. Malycha, Stalinisierung, S. 409–416. 172 Persönliche Verschlusssache, Vorlage der Abteilung Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen an das Sekretariat des ZK vom 3.2.1954 (SAPMO-BArch, DY 30 J/IV 2/3A/403, Bl. 29).

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Bald nach Beendigung des Überprüfungsvorganges wurde er als Rat des Kreises in Rochlitz in den Staatsapparat kooptiert.173 1. SED-Kreissekretäre mit westlicher Kriegsgefangenschaftsvergangenheit trugen gewissermaßen die doppelte biografische Hypothek der weitestgehenden NS-Jugendsozialisation und der nach dem Krieg folgenden potenziellen politischen Beeinflussung durch die westlichen Alliierten in ihren Lebensläufen mit sich. Daher hatten sie besonders darauf zu achten, ihre ex-post Rechtfertigungsstrategien so detailliert und glaubhaft wie möglich auszuarbeiten. Ziel dessen war es, ihren »radikalen Einstellungswandel«174 zum staatssozialistischen Parteifunktionär für ihr eigenes Selbstverständnis und besonders auch als einen nach außen wahrnehmbaren demonstrativen Akt der neuen Gruppenzugehörigkeit glaubhaft werden zu lassen. Diesen »gebrochenen Identitäten«175 konnte die SED im Herrschaftsalltag besondere Loyalität abverlangen. Demgegenüber verband sich die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion zunächst einmal mit einem harten, physisch zehrenden »Arbeitseinsatz«176 in Lagern jenseits des Urals. Deren Benennungen in den Personalakten wurden vielfach nicht nach Ortsnamen, sondern nach verschiedenen Nummern wie »Lager 7469/1«177 oder »Lager 7471/4«178 verzeichnet. Dies korrespondiert mit der rationalisierten, wirtschaftlichen Ausbeutung der Kriegsgefangenen, die verstanden wurde als menschliche Reparationsleistung für die von der deutschen Besatzungsmacht während des Krieges auf sowjetischem Boden verursachten Schäden und Zerstörungen. Die Inhaftieren leisteten Arbeit für den Wiederaufbau der Sowjetunion, es gab laut Karner »kaum ein größeres wirtschaftliches Projekt der Sowjetunion in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit«, bei dem nicht die etwa 2,5 Millionen Gefangenen mitgewirkt hätten.179 Viel wesentlicher jedoch für die späteren 1. Kreissekretäre war in der sowjetischen Gefangenschaft die Möglichkeit, durch die Teilnahme an den 173 Vgl. Kapitel V. 3.2; Scheller gehörte der zweiten hier vorgestellten Jahrgangskohorte an und konnte sogar noch für kurze Zeit das Amt des Oberbürgermeisters von Karl-Marx-Stadt übernehmen. Zur Biografie von Scheller im Einzelnen vgl. dessen Akte im Staatsarchiv Chemnitz (StACH, SED-BPA Chemnitz, Sammlung Erinnerungsberichte, V/5/064, unpaginiert). 174 Pollack, Konversion, S. 34. 175 Hübner-Funk, Biographische Brüche, S. 55. 176 Zum Arbeitseinsatz deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion vgl. Hilger, Deutsche Kriegsgefangene sowie Karner, Im Archipel. 177 In diesem Lager bei Gorki verbrachte etwa der spätere 1. SED-Kreissekretär von Plauen-Land und Hainichen, Fritz Kurt, zwei Jahre bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland. Vgl. dessen Angaben auf einem Delegiertenfragebogen vom 22.6.1958 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/53, Bl. 38 f.). 178 In diesem Lager arbeitete der spätere 1. SED-Kreissekretär von Schmölln, Eugen Müller, fünf Jahre bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland als Bergmann. Vgl. dessen Angaben auf seinem Delegiertenbogen zur 3. Parteikonferenz vom 8.3.1956 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/90, Bl. 89). 179 Karner, Im Archipel, S. 136.

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umfangreichen Schulungen der Antifaschistischen Bewegung (Antifa) ihre politische Rekonversion von der nationalsozialistischen Ideologisierung zurück zu den sozialisatorischen Vorprägungen, die sie in ihren mehrheitlich linksproletarischen Herkunftsfamilien erhalten hatten, zu leisten. Am Beispiel von Hans Nitsche etwa, dem 1. SED-Kreissekretär von Dresden-Land, lässt sich dies veranschaulichen. Nachdem er von 1935 bis 1942 in der Hitlerjugend aktiv war, die Militärausbildung in Polen absolviert hatte und bald nach seinem ersten Fronteinsatz durch die Rote Armee gefangen genommen wurde, beteiligte er sich noch nicht an den »Reideologisierungsprogrammen« der Antifa, die keine Verpflichtung darstellten.180 Dies tat er deswegen nicht, da er noch »wie gerade die anderen, vor allen Dingen jüngeren Gefangenen, weitaus von der Naziideologie befangen« gewesen war.181 Später jedoch, so schildert er sein persönliches Konversionserlebnis, wurde er »durch die gemeinsame Arbeit mit den sowjetischen Menschen […] nunmehr tatsächlich zum Nachdenken angeregt.« Nachdem sich im Lager eine neue Antifa-Bewegung gebildet hatte, beteiligte sich Nitsche schließlich »an den durchgeführten Schulungskursen« und engagierte sich auch nach verschiedentlichen Verlegungen in andere Arbeitslager jeweils wieder in den dortigen »Antifa-Aktivs«.182 Den speziell aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Heimgekehrten dieser politischen Generation bot sich also die Chance, frühzeitig in der SBZ/DDR das in der Gefangenschaft erworbene »politische Kapital«183 für die persönlichen Ziele einzusetzen und auch anhand der parteikonformen »Konversionserzählungen«184 die Voraussetzungen für die Integration in den hauptamtlichen Apparat der SED zu schaffen. Wegen ihres Aufwachsens in nationalsozialistischen Organisationswelten in ihrer engeren Prägungsphase waren sie nach 1945 umso williger, sich »über die Rituale des Parteilebens als Subjekt neu zu formen und ganz in den Dienst der sakral überhöhten Partei und ihrer Werteordnung zu stellen«.185 Generell lag im Untergang des »Dritten Reiches« für diese politische Zwischengeneration der Jahrgänge von 1917 bis 1925 das zentrale Schlüsselereignis im Sinne einer generationsprägenden zeithistorischen Krise. Ihr kollektivbiografisches Signum waren nicht die Wirtschafts- und Systemkrise der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten wie bei der Vorgängerkohorte, sondern die Kriegsniederlage, die Gefangenschaft und die damit einsetzende bzw. daran anschließende Aufgabe der kollektiven (gesellschafts-)politischen und individuellen Neuorientierung. Empirisch schlägt sich dieser Befund in der kurzen 180 Vgl. ebd., S. 96. 181 Lebenslauf von Hans Nitsche für die Parteileitung der Landesparteischule der SED in Meißen vom 8.4.1950 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/4/4/v/586, Bl. 5). 182 Ebd., Bl. 6. 183 Bourdieu, Politisches Kapital, S. 37. 184 Pollack, Konversion, S. 34. 185 Jessen/Gieseke, SED, S. 50.

Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)

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Zeitspanne nieder, die zwischen der Heimkehr aus der Gefangenschaft bzw. der Kapitulation an der »Heimatfront« 1945 und der sich daran anschließenden Erlaubnis der Sowjetischen Militäradministration vom 10. Juni 1945, die Tätigkeit der »antifaschistischen Parteien« wieder zuzulassen, verging.186 73 Prozent aller späteren 1. SED-Kreissekretäre dieser politischen Generation machten innerhalb einer verschwindend kurzen Frist von unter einem Jahr den Schritt »hinüber« in die SED, die Partei, die durch die Funktionäre der Altkommunisten und die an die KPD und die KPdSU angelehnte Symbolik so sehr das Feindbild verkörperte, gegen das diese jungen Männer noch vor Kurzem durch die nationalsozialistische Propaganda aufgehetzt worden waren.187

5. Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)188 Die abschließend zu analysierende vierte politische Generation ist diejenige, der im Laufe der vergangenen 50 Jahre in der sozialwissenschaftlichen und historischen Generationenforschung die meisten »Etiketten« verliehen worden sind: »Skeptische Generation«189, »Hitlerjugend Generation«190, »Flakhelfer-Generation«191, »Aufbau-Generation«192, »1929er«193 und »FDJ-Generation«194 sind die am häufigsten verwendeten Begriffe um diejenigen auf einen gemeinsamen Nen186 Vgl. Morré, Hinter den Kulissen, S. 166–174 sowie Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 81–84. 187 Dieses Verhalten des radikalen äußerlichen Wandels ist ein typisches Phänomen politischer Konversionen, die offenbar »vermehrt in Situationen kultureller Spannung auftreten […] wenn eine überlegene Kultur mit einer unterlegenen Kultur zusammenstößt.« Vgl. Pollack, Konversion, S. 54. 188 Die Gruppe der 1926–1932 Geborenen umfasst in der Datenbank die absolute Anzahl von n=54 Personen. 189 Schelsky, Skeptische Generation, S. 77. Schelsky legte in seinen Überlegungen den Fokus auf Westdeutschland. 190 Hübner-Funk, Hitlerjugend-Generation. 191 Bude, Lebenskonstruktionen sozialerer Aufsteiger. 192 Besonders der Terminus »Aufbau-Generation« hat eine große Spannweite und wird in der Forschung recht unterschiedlich eingegrenzt. Hier wird eher der Zuordnung von Ina Merkel zugestimmt. Sie ordnet die in den »dreißiger und vierziger« Jahren geborenen Jahrgänge der Aufbau-Generation zu, vgl. Merkel, Leitbilder und Lebensweisen, S. 365. Im Gegensatz dazu wendet Zwahr den Begriff auf die zwischen 1910 und 1929 Geborenen an, unterbreitet aber auch das Angebot, die »um einige Jahre älteren bzw. jüngeren« mit einzubeziehen. Vgl. Zwahr, Umbruch durch Ausbruch und Aufbruch, S. 449. Zur Zusammenschau der Periodisierungsproblematiken nach 1945 vgl. Ahbe, Generationen nach 1945, S. 41. 193 Wierling, 1929er and 1949er; Mary Fulbrook betont ebenfalls die Bedeutung der um das Jahr 1929 herum Geborenen und spricht wegen der starken Repräsentation dieser Jahrgangskohorte im öffentlichen Leben der DDR von der »1929er-Anomalie«. Vgl. Fulbrook, Generationen und Kohorten, S. 116. 194 Niethammer, Prolegomena, S. 108.

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ner zu bringen, die gegen Ende der Weimarer Republik und während der Errichtung und Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Regimes zur Welt gekommen sind. Die späteren 1. SED-Kreissekretäre der Jahrgänge 1926 und 1932 unterscheiden sich dabei besonders von der Charakterisierung, die man 1957 bei Schelsky über die sozialpsychologischen Dispositionen dieser Jahrgänge lesen konnte. »Diese Generation ist in ihrem sozialen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubens- oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher, sie ist tolerant, wenn man die Voraussetzung und Hinnahme eigener und fremder Schwächen als Toleranz bezeichnen will, sie ist ohne Pathos, Programme und Parolen […] In allem, was man gerne weltgeschichtliches Geschehen nennt, wird diese Jugend eine stille Generation werden, eine Generation, die sich damit abfindet und es besser weiß als ihre Politiker, dass Deutschland von der Bühne der großen Politik abgetreten ist.«195 Im Fall der späteren Funktionseliten der sächsischen SED-Kreisleitungen lassen sich Eigenschaften dieser Art jedoch kaum wiederfinden. Ohne hier jedes einzelne der Attribute kritisch reflektieren zu können, liegen wesentliche Differenzen besonders in der fehlenden Stille und Zurückgezogenheit, in der aktiven Gestalter- statt passiven Beobachterrolle und der durchaus nicht vorhandenen Distanz zum angesprochenen Pathos, zu ideologischen Programmen und Parolen. Im Gegenteil, während laut Schelsky die »skeptische Generation« den Vorhang zur »großen Politik« schloss, machten sich besonders in der SBZ/DDR viele dieser zwischen 1926 und 1932 Geborenen in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktiv daran, ihre ersten politischen Auftritte nach der Niederlage des »Dritten Reiches« zu proben. »Die Tatsache«, so beschrieb etwa Werner Freitag, späterer 1. Kreissekretär der Zittauer SED, seine Erlebnisse um das Jahr 1945, »dass mein Vater aus dem Krieg nicht zurückkehrte, trug ein Übriges dazu bei, dass ich mir nach dem Zusammenbruch des Naziregimes fest vornahm, meine ganze Kraft dafür einzusetzen, dass es nicht noch einmal zu einem so schrecklichen Völkermorden kommt. Darum meldete ich mich nach dem Abzug der Amerikaner und dem Einmarsch der Sowjetarmee in unserer Stadt zu einem 3-monatigen freiwilligen Arbeitseinsatz der Leipziger Jugend zur Enttrümmerung.«196 Diese Schilderung engagierter gesellschaftspolitischer Teilnahme, die Freitag 1953 als 1. Kreissekretär der FDJ in Niesky in einem Lebenslauf für die Dresdener Bezirksleitung formulierte, war ein beliebter Topos der Angehörigen dieser Jahrgangskohorte und verlieh ihnen den oben genannten Überbegriff der »Aufbau-Generation«. Darüber hinaus wird deutlich, dass diese Funktionärsgenera-

195 Schlesky, Skeptische Generation, S. 381 f. 196 Lebenslauf Werner Freitag vom 7.8.1953 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV 4.16/V/443, unpaginiert).

Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)

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tion rasch das nationalsozialistische Vokabular, das ihr während der NS-Herrschaft vorexerziert und in den HJ-Gruppen von ihr selbst angewendet worden war, abgelegt und die neuen sozialistischen Schlagworte und den damit zusammenhängenden Habitus verinnerlicht hatte, der sie dann in der parteipolitischen Organisationskultur der SED umgab bzw. der ihnen von den älteren Funktionären vorgelebt wurde. Doch zunächst zu den Bedingungen der jugendpolitischen Sozialisation dieser Jahrgangskohorte bis 1945. Die zwischen 1926 und 1932 geborenen späteren 1. SED-Kreissekretäre hatten zum Teil noch die prägenden Erfahrungen von Krieg und Gefangenschaft gemacht. Mit 56 Prozent war es im Vergleich zur vorangegangenen Kohorte aber nur knapp über die Hälfte der Gruppe, etwa bis zum Jahrgang 1929, die entweder als reguläre Wehrdienstpflichtige bis zum Jahrgang 1927 oder als freiwillige Jungsoldaten in der Wehrmacht Kriegsdienst verrichtet hatten. Damit folgten sie dem Aufruf des HJ-Reichsjugendführers Artur Axmann, der im Februar 1945 verkündet hatte, dass der »Jahrgang 1929 dem Jahrgang 1928 in seiner Entschlossenheit, für die Freiheit und eine glückliche Zukunft zu kämpfen« in nichts nachstehen werde – der Jahrgang 1928 hatte bereits eine hohe Zahl an freiwillig Gemeldeten zu verzeichnen gehabt. »Der Feind«, so Axmann weiter, »steht in unserer Heimat und bedroht unmittelbar unser Leben. Bevor wir uns vernichten oder knechten lassen, wollen wir zäh und beharrlich bis zum endlichen Siege kämpfen. […] In des Reiches schicksalschwersten Stunden«, so beschwor Axmann zum Schluss die 16-jährigen Jungen, »rufe ich euch, Kameraden vom Jahrgang 1929: Freiwillige vor!«197 Viele dieses Jahrganges waren dem Aufruf gefolgt. Am Beispiel Dieter Vogels, späterer 1. SED-Kreissekretär von Freital, lässt sich nachvollziehen, wie sehr die Jugendlichen in den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen des NS-Regimes, der Hitlerjugend, dem Reichsarbeitsdienst und dem anschließenden Kriegsdienst durch die ideologische Indoktrinierung und Militarisierung in einem hermetischen nationalsozialistischen Weltbild verhaftet waren und wie sehr dies deren Lebenslaufstationen in der engeren Prägungsphase bestimmte. Vogel hielt es für selbstverständlich, sich 1945 noch freiwillig zu melden, nachdem er als HJ-Scharführer bereits seine kaufmännische Lehre, die er in Zwickau bei der Firma Schmidt Zwickau absolvierte, für den Reichsarbeitsdienst unterbrochen hatte.198 Nach dem Krieg konnte er bei derselben Firma seine Ausbildung beenden. Er machte, trotz des Zusammenbruches seines Weltbildes, zumindest in fachberuflicher Hinsicht die Erfahrung, an Vorheriges anknüpfen zu können. Im Gegensatz 197 Aufruf des Reichsjugendführers Artur Axmann vom 7.2.1945, überliefert durch den »Reichsbefehl« der Reichsjugendführung 4/45 K vom 27.2.1945 (Institut für Zeitgeschichte München, Db 44.09). Hier zit. nach Hellfeld/Klönne, Betrogene Generation, S. 242. 198 Vgl. Tabellarischer Lebenslauf von Dieter Vogel von der Abteilung Organisation und Kader der SED-Bezirksleitung Dresden vom 1.4.1958 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/617, Bl. 62 f.).

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zu den übrigen zwei Dritteln der Wehrmachtssoldaten dieser Jahrgangskohorte, die meist nach der Kriegsniederlage in englische oder amerikanische Gefangenschaft gerieten – aus der sie innerhalb weniger Monate wieder entlassen wurden – konnte Vogel, wie das übrige Drittel der an den letzten Kampfhandlungen teilnehmenden Soldaten dieser politischen Generation, direkt in seinen Heimatort zurückkehren. Die verbliebenen jüngsten, nach 1930 geborenen Angehörigen dieser Generationskohorte erlebten zwar vereinzelt noch Einsätze des organisierten Landdienstes und die HJ-Wehrertüchtigungslager. Sie begannen demzufolge noch kurz vor und zu Beginn ihrer engeren politisch-sozialisatorischen Prägungsphase, die mit dem Zeitpunkt des Kriegsendes zusammenfiel, ein »Hineinwachsen in die nationalsozialistische Weltanschauung«. Diese Ideologie, wie es der Schriftsteller und fanatische Verfechter des Nationalsozialismus als politische Religion Gert Bennewitz in seiner Schrift »Die Geistige Wehrerziehung der deutschen Jugend« von 1940 formulierte, sollte »das Fundament [werden], mit dem die deutsche Jugend heute ausgerüstet in den Dienst der Nation tritt«.199 Anders jedoch als die Älteren dieser politischen Generationseinheit waren diese 13 bis 15-Jährigen aufgrund ihrer Jugend am Kriegsende von weniger belastendem »ideologischem Gepäck« begleitet. Dennoch standen gerade die Angehörigen dieser politischen Generation der zwischen 1926 und 1932 Geborenen durch die Kriegsniederlage vor dem Scherbenhaufen ihrer bisherigen Vorstellungswelt, Geisteshaltung und »sozialen Integrationsformen«.200 Das Jahr 1945 stellte ihre erste und größte von außen auf sie einwirkende Krise dar. Ihnen kam jedoch zugute, dass sie von den neuen Machthabern aufgrund ihres Alters mehr als »verführte«, kindlich-jugendliche und damit passive Adressaten der NS-Herrschaft angesehen wurden, denn als frei willentlich handelnde Akteure.201 Anders als der große Anteil der aktiven Nationalsozialisten, die in der SBZ/DDR mit dem SMAD-Befehl Nr. 201/47 und der Bestimmung des Zentralsekretariats der SED zur »Durchführung der Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone«202 aus allen wichtigen Stellungen in Staat und Gesellschaft entfernt wurden, nahmen ihnen die Alliierten de jure die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Grundlage für die »Eingliederung kleinerer und mittlerer HJ-Führer bildete die Jugendamnestie der Alliierten«203. Diese Bestimmung, die in der SBZ anhand der juristischen Fixierung in den Landtagen Anfang 1947 in Kraft trat, legte fest, dass »alle Jugendlichen 199 Bennewitz, Geistige Wehrerziehung, S. 30. Hier zit. nach Buddrus, Totale Erziehung, S. 199. 200 Schelsky, Skeptische Generation, S. 77. 201 Vgl. zur kritischen Beurteilung von Selbstdeutungen der Angehörigen der »Hitlerjugend-Generation« Hübner-Funk, Hitlerjugend-Generation, S. 88–91. 202 Rundschreiben des Zentralsekretariats der SED an alle Landesvorstände vom 10.9.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/2/5, Bl. 39–44). 203 Malycha, Stalinisierung, S. 451.

Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)

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vom Jahrgang 1919 an« im öffentlichen Leben »als gleichberechtigte Staatsbürger behandelt« werden sollten.204 Aus parteipolitischer Sicht entscheidend für die mögliche Aufnahme in die SED war, wie Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck analog für die ehemaligen nominellen Pg. formulierten, hingegen folgendes: Ein im NS sozialisierter junger Mensch sollte unter Beweis stellen, dass er »sich ernstlich bemüht hat, mit der Naziideologie zu brechen und ehrlich an der antifaschistisch-demokratischen Aufbauarbeit teilnimmt. Eine Aufnahme«, so die beiden SED-Vorsitzenden weiter, bedürfe aber weiterhin der »Bestätigung der Kreissekretariate«.205 In dieser Regelung der Parteispitze zum Verfahren bei der Beurteilung der Aufnahmekandidaten deutete sich bereits an, dass trotz der formalen Rehabilitierung auf der legislativen Ebene in der parteiinternen Logik der SED weiterhin Vorbehalte geltend gemacht werden konnten. Eine Aufnahme in die SED blieb von der Beurteilung durch die älteren Generationsangehörigen mit antifaschistischer Vergangenheit abhängig und das »Versprechen eines grundsätzlichen Neuanfangs«206 war an die vermehrten Anstrengungen zur bedingungslosen Unterordnung gebunden.207 Viele der jungen Angehörigen dieser politischen Generation versuchten daraufhin, wie es in einer Kaderbeurteilung der Abteilung Leitende Organe der Bezirksleitung der SED Karl-Marx-Stadt von 1953 über die Arbeit des späteren 1. Kreissekretärs von Zwickau-Land, Martin Markert, hieß, aus der Parteiarbeit für die SED einen »Kampf mit jugendlichem Elan«208 zu machen und sich durch übergroßen Einsatz der Chance als würdig zu erweisen, einen politisch-moralischen Neustart zu bekommen. Die vermehrten Anstrengungen dieser politischen Generation zur Integration in die »neue Ordnung«209 setzten indes freilich bereits vor dem Eintritt in die SED ein. Die ersten Schritte auf dem Weg zum Arrangement mit der politischen Nachkriegssituation im Rahmen der engeren Prägungsphase fanden für viele in den »Antifa-Ausschüssen« statt, die lokal das »am Ende des Krieges entstandene Machtvakuum nutzten«, dann jedoch bald wegen zu starker Eigenständigkeit von der sowjetischen Verwaltung aufgelöst wurden.210 Dem politischen Machtvakuum, das nach 1945 schnell durch die Autorität der SMAD und der von ihr 204 Ebd. 205 Rundschreiben des Zentralsekretariats der SED an alle Landesvorstände vom 10.9.1947 (SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/2/5, Bl. 44). 206 Jessen/Gieseke, SED, S. 48. 207 Best konstatiert in diesem Zusammenhang eine Umakzentuierung der Kaderpolitik der SED von dem zunächst wichtigsten Auswahlkriterium der Legitimation in der ersten Funktionärsgeneration hin zur »submissiven Loyalität« der folgenden Generation gegenüber der ämtervergebenden Parteizentrale. Vgl. ders., Parteiherrschaft, S. 225. 208 Beurteilung von Martin Markert durch die Abteilung Leitende Organe der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt vom 15.12.1953 (SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3a/397, Bl. 392 f.). 209 Engler, Die Ostdeutschen, S. 321. 210 Zu der Rolle der »Antifa-Ausschüsse« unmittelbar nach dem 8.5.1945 mit dem Fokus auf der sächsischen Hauptstadt Dresden vgl. Widera, Dresden 1945–1948, S. 80.

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protegierten KPD/SED gefüllt wurde, entsprach auf der erfahrungsgeschichtlich-biografischen Ebene das »Orientierungsvakuum«211, das der Zusammenbruch des »Dritten Reiches« für diese Jahrgangskohorten hatte entstehen lassen. Gerade auch aus diesem Grund verzeichneten die zum Teil aus den Ausschüssen hervorgegangenen FDJ-Gruppen ab März 1946 großen Zulauf, boten sie doch den zwischen 1926 und 1932 Geborenen die Möglichkeit, in diesem kritischen Lebensabschnitt die nötige ideologische und auch lebensweltliche Orientierung zu erhalten: »Nach Gründung der FDJ«, so nochmals der bereits angeführte Werner Freitag, »baute ich mit einigen Freunden in unserer Siedlung eine FDJ-Gruppe auf, in der ich seit dem 27. Juni 1946 als Funktionär tätig war. Hier studierten wir in Zirkeln neben unseren Gruppenabenden die Hefte ›Der junge Marxist‹. Meine Arbeit in der FDJ führte mich zur Partei der Arbeiterklasse […], so dass ich nach Studium der wichtigsten Probleme des Marxismus-Leninismus am 1. Oktober 1948 in die SED eintrat.«212 Diese Lebenslaufschilderung bildet trotz des Schematismus und der hölzern wirkenden Autonarration genau die Faktizität der politischen Initiationsgeschichte ab, die mit 49 Prozent für knapp die Hälfte der Angehörigen dieser politischen Generation eine erste Laufbahnstation hin zur späteren hauptamtlichen Tätigkeit innerhalb der SED werden sollte. Neben diesem typischen Weg, der diesen Jahrgängen die Bezeichnung »FDJ-Generation« einbrachte, wirkte sich für einen großen Anteil dieser Jahrgangskohorten die bislang in der Forschung wenig beachtete Sozialisationsinstanz des Betriebes bzw. der Arbeitsstätte unmittelbar politisierend und identitätsstiftend auf dem Weg in die Nachkriegsgesellschaft aus. Die Betriebe als »Vergesellschaftungskerne«213 übernahmen gerade für die Heranwachsenden und jungen Männer nicht nur die Sicherung ihrer materiellen, sondern auch ihrer ideellen Bedürfnisse und trugen so entscheidend zur politischen Positionierung und Prägung bei. Dies wird an der Schilderung des späteren Instrukteurs des ZK und 1. SED-Kreissekretärs des industriell wichtigen Leipziger Stadtbezirks Südwest deutlich: »1946 legte ich meine Facharbeiterprüfung mit der Note Gut ab«, so erinnerte sich Gerhard Schmutzler. »Ich arbeitete damals bei einem Handwerksmeister und von da aus konnte keine politische Beeinflussung im fortschrittlichen Sinn erfolgen. Erst als ich meine Arbeitsstelle gewechselt habe, wurde ich durch die Kollegen zum politischen Denken angeregt.«214 Schmutzler heuerte bei der Fahrzeugbau Schumann GmbH an, die dann später im Industrieverband Fahrzeugbau (IFA)-Kombinat Werdau als Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) aufging.215 211 Malycha, Stalinisierung, S. 450. 212 Lebenslauf Werner Freitag vom 7.8.1953 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV 4.16/V/443, unpaginiert). 213 Kohli, DDR als Arbeitsgesellschaft, S. 38. 214 Lebenslauf Gerhard Schmutzler vom 8.11.1956 (StAL, SED-BPA Leipzig, 21699 Nr. 942, Bl. 28). 215 Zur Betriebsgeschichte vgl. die Überlieferung im sächsischen Staatsarchiv Leipzig (31069, VEB IFA Kraftfahrzeugbau »Ernst Grube« Werdau, Findbucheinleitung, S. 6).

Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)

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Die Betriebe waren aufgrund der KPD-Tradition, die in Anlehnung an die KPdSU die Betriebszellen als organisatorischen Nukleus der Partei eingeordnet hatte,216 bereits seit den frühen 1920er-Jahren von zentraler politischer Bedeutung. Daran konnte die SED zum Teil nach 1945 anknüpfen, wenn auch die vormalige »nationalsozialistische Arbeiterklientel« in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch eine recht starke Position in vielen sächsischen Betrieben inne hatte.217 Dennoch wurde – besonders nachdem es der SED gelungen war, mit der Auflösung der Betriebsräte auf der »Bitterfelder Konferenz« im Jahr 1948 eine basisnahe Vertretung der Belegschaftsinteressen auszuschalten218 – durch die Installierung der Betriebsgewerkschaftsleitungen des FDGB ein politischer Integrationsmechanismus geschaffen. Viele vormalige im NS sozialisierte Angehörige dieser politischen Generation nahmen dieses Angebot als Ausgangspunkt für ihre politische Umorientierung dankbar an. 43 Prozent der Gruppe begannen ihren politischen Einstieg in die »Organisationsgesellschaft«219 der SBZ/DDR direkt über den FDGB oder über die Mitarbeit in den Betriebsparteiorganisationen der SED. Unabhängig davon, welche dieser sich bietenden Einstiegsmöglichkeiten die Angehörigen der zwischen 1926 und 1932 Geborenen nutzten: Noch in ihrer engeren politischen Prägungsphase gelang es ihnen innerhalb kürzester Zeit, sich im neuen politisch-gesellschaftlichen Koordinatensystem der SBZ/DDR zu orientieren und zu integrieren. Noch vor dem Jahr der Staatsgründung der DDR 1949 traten von den zuvor parteipolitisch unorganisierten aber im NS-System sozialisierten Mitgliedern dieser politischen Generation bereits 82 Prozent in die neue Staatspartei SED ein. Gerade weil die Angehörigen dieser »Umsteigergeneration« solche festen Wurzeln in der Lebenswelt des Nationalsozialismus hatten, stellte es sich für sie als umso notwendiger dar, den identitätsbildenen Adaptionsprozess an die neuen Verhältnisse in der SBZ/DDR für den Parteiapparat glaubhaft zu formulieren. In den Lebensläufen der jungen SED-Mitglieder, die besonders in der Zeit bis Mitte der 1950er-Jahre umfangreich ausformuliert verfasst werden mussten,220 war die autobiografische Abfassung des Topos der »Konver sion zur Arbeiterklasse«,221 anhand dessen dieser »Bruch mit der eigenen 216 Vgl. etwa bereits Walter Ulbricht im Jahr 1923 im Parteiblatt der KPD: »Unsere Kraft liegt nicht in öffentlichen Versammlungen allein. Diese sind nur ein Mittel und nicht das wichtigste. Viel viel viel [sic!] wichtiger ist, dass wir in den Betrieben und Gewerkschaften erfolgreich arbeiten.« In: Der Parteiarbeiter, H. 8 vom 1.8.1923, S. 77. Hier zit. nach Weber, Wandlung, S. 268. 217 Hofmann, Kohlearbeiter von Espenhain, S. 92. Hofmann schildert am Mikrobeispiel des Braunkohleabbaues im Südraum Leipzig die Transformationsgeschichte der Betriebstraditionen von 1945 bis nach 1990. 218 Kleßmann, Doppelte Staatsgründung, S. 132. 219 Pollack, Ende einer Organisationsgesellschaft, S. 292. 220 Im weiteren Verlauf der DDR wurden die Lebensläufe vermehrt tabellarisch verfertigt und »sachlicher« gehalten. 221 Unfried, Stalinistische Parteikader, S. 125.

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Vergangenheit«222 dokumentiert werden sollte, so bedeutsam. Bei den für die Partei verfassten Lebensläufen handelte es sich um Textgattungen, anhand derer die jungen Kader mittels einer »Technik des Selbst«223 unter Beweis stellten, dass sie auf der sprachlich-kommunikativen Ebene die Fähigkeit besaßen, die erwarteten persönlichen Konditionierungs- und Anpassungsleitungen an die ideologischen und habituellen Sprach- und Umgangsweisen des SED-Apparates umzusetzen. Es handelte sich damit letztlich zugleich um eine spezifische Disziplinierungstechnik. Ob dem Sprechakt der Schilderung des Konversionsprozesses auch eine auf der individualpsychologischen Ebene stattgefundene Wandlung entsprochen hat, kann freilich im Rahmen einer kollektivbiografischen Analyse kaum rekonstruiert werden.224 Das Sprechen über sich selbst als Bekenntnis- und Versicherungsakt gegenüber der Partei wurde zwar in der konkreten Form vielfach variiert, wies aber in den Grundzügen für die zwischen 1926 und 1932 Geborenen späteren 1. SED-Kreissekretäre ein beinahe schon konventionalisiertes Grundschema auf, das paradigmatisch bei Rudi Schimmer, dem späteren 1. SED-Kreissekretär von Riesa und Chefredakteur der Sächsischen Zeitung in Dresden, anklingt: »Meine Jugendjahre fallen in die Zeit des Faschismus. Trotz der Beeinflussung durch meinen Vater war das nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich war von 1940 bis 1943 im [Deutschen, T. P.] Jungvolk und war dort Jungschaftsführer. Nach meiner Schulentlassung war ich bis 1945 in der HJ. Als ich aus der Gefangenschaft zurückkam, hatte ich keine politische Grundlage und von der Arbeiterbewegung wenig Ahnung. In dieser Zeit waren es mein Vater, mein Bruder und ein älterer Kollege, Gen. Heidrich, mit dem ich zusammenarbeitete, die mir die ersten Einblicke im politischen Denken und in der politischen und gesellschaftlichen Arbeit beigebracht haben. Ich trat«, so Schimmer weiter, »1946 noch dem FDGB bei und im August 1947 in die Partei ein. Zur Partei bin ich vor allem durch meinen Vater gekommen, der mich in Versammlungen mitnahm, ständig mit mir diskutierte, sodass in mir die Erkenntnis wuchs, dass auch ich in die Partei gehöre. Ich war bei meinem Eintritt gerade 18 Jahre alt geworden.«225 Anders als in der vorangegangenen politischen Generation konnte hier der innerfamiliäre Bruch, den der linksproletarische Vater durch die Inklusion seines Sohnes in die Organisationswelten des Nationalsozialismus hinzunehmen hatte,

222 Pollack, Konversion, S. 34. 223 Unfried, Stalinistische Parteikader, S. 19. 224 Vgl. die auch für die Forschung zur SED anregenden Überlegungen von Pollack zum Verhältnis von Konversion und Persönlichkeitstransformation und die Frage von deren Messung Pollack, Konversion, S. 49 ff. 225 Lebenslauf von Rudolf Schimmer, verfasst im Zusammenhang seines Studiums an der Parteihochschule »Karl Marx« der SED vom 19.6.1955 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/2/v/388, unpaginiert).

Vierte politische Generation (Jahrgänge 1926 bis 1932)

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unter den politischen Gegebenheiten der SBZ/DDR rückgängig gemacht und damit an die die NS-Zeit überdauert habenden familiären Milieutraditionen angeknüpft werden. An den Parteieintritt schloss sich für 63 Prozent der Gruppe bis zum Jahr 1952 dann die vertiefte »politisch-ideologische Indoktrination« in den lokalen und regionalen Parteischulen an. Deren Einrichtung war zum einen der politischen Umschulungsstrategie geschuldet, zum anderen jedoch dienten sie besonders der Funktion der Kaderauslese und Ausbildung für den anschließenden Einsatz der Absolventen im hauptamtlichen Funktionärsapparat. Knapp die Hälfte der bis 1932 Geborenen hatte im Jahr 1950 bereits eine der verschiedenen Betriebs-, Kreis- und Bezirksparteischulen bzw. die für die Funktionärsausbildung in Sachsen so wichtige Landesparteischule der SED »Fritz Heckert« in Ottendorf nordöstlich von Dresden besucht.226 Damit hatten sie zuvor bereits die Delegierungskriterien erfüllt, ohne die ein späterer Parteihochschulbesuch in Berlin kaum möglich gewesen wäre. Die Parteimitglieder mussten, wie es etwa in den Richtlinien zur Auswahl der Kandidaten für die Parteihochschule »Karl-Marx« beim ZK der SED hieß »in ihrer bisherigen Parteiarbeit kämpferischen Geist, eigene Initiative und engste Klassen- und Parteiverbundenheit gezeigt haben«.227 Auch die »Nachzügler«, die erst nach 1952 zu einer Schulung delegiert wurden, beschrieben den Parteischulbesuch als die wichtigste politische Sozialisationsinstanz neben den Gruppenerfahrungen in den FDJ-Einheiten der unmittelbaren Wohnumgebung sowie der gewerkschaftlichen und parteipolitischen Integration in den Betrieben. Dass auch über andere Massenorganisationen die »neue Lehre« der kommunistischen Ideologie bei der Jugend implementiert wurde, die den »neuen Menschen« bilden sollte und zugleich personelle »Ressource für den Neuanfang« in der SBZ/DDR darstellte,228 lässt sich an der Schilderung von Alfred Janietz verdeutlichen. Der spätere 1. Kreissekretär von Görlitz wurde auf die Zentralschule der IG Metall in Belzig delegiert: »Das Studium des Marxismus Leninismus und die Abschlussveranstaltung anlässlich der 2. Parteikonferenz der SED, an der wir Schüler teilnahmen, hinterließen bei mir einen derart tiefen Eindruck über die Sieghaftigkeit unserer sozialistischen Weltanschauung, dass ich nach meiner Rückkehr in den Betrieb den Antrag stellte, Mitglied bzw. Kandidat unserer Partei zu werden. Ende 1952«, so erinnerte sich Janietz pathetisch, »erhielt ich von der Kreisleitung Görlitz die Kandidatenkarte feierlich überreicht.«229 226 Vgl. Kapitel I. 2.2 sowie Schmeitzner, Schulen der Diktatur. 227 Richtlinien zur Auswahl der Schüler für die Parteihochschule »Karl Marx« beim ZK der SED, Anlage Nr. 30 zum Protokoll Nr. 165 vom 30.6.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/294, Bl. 29 ff.). Der in den Richtlinien geforderte Anteil von 40 % Frauen wurde freilich nicht erreicht. 228 Zu Ursprüngen des Kommunistischen Jugendverständnisses und die Rolle der Jugend in der SBZ/DDR vgl. Kiepe, Vergänglichkeit von »Klassenkampf«-Erfahrungen, S. 203–216, hier 207. 229 Lebenslauf Alfred Janietz vom 3.6.1966 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, IV/2/v/602, Bl. 16).

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Generationsschichtung der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre

Für den Großteil der späteren 1. SED-Kreissekretäre betrug die Spanne zwischen der aktiven Teilnahme an Aktivitäten in der Hitlerjugend und der Einbindung in das kommunistische Kaderschulungssystem der SED und der ihr angelagerten Massenorganisationen nur wenige Jahre. Was auf den ersten Blick paradox wirkt, folgte aus generationsspezifischer Perspektive einer inneren Logik, die auch den »Affinitäten beider Weltanschauungsdiktaturen des 20. Jahrhunderts« geschuldet gewesen war.230 Der räumlichen Parallele, dass in Sachsen die höchste Stufe der Kaderausbildung auf der Landesparteischule in Ottendorf ausgerechnet in einer Einrichtung stattfand, die während des Hitler-Regimes als »NS-Schulungsburg« genutzt wurde,231 entsprach ein wichtiges kollektivbiografisches Merkmal der zwischen 1926 und 1932 geborenen SED-Kader: Die von allen geteilte Kontinuität soziokultureller Erfahrungen, sich bedingungslos einer Autorität unterzuordnen, die ihre Legitimation aus ideologisch durchsetzten Eigenschaften bezieht. Das bedeutete für diese jungen Männer in den gesellschaftspolitischen Wirren der »Zusammenbruchsgesellschaft«232 eine Konstante, die Sicherheit und Halt versprach. Ebenso wie viele nach dem Ende des Krieges an ihre familiären Milieutraditionen anknüpfen konnten, schienen sich den ehemaligen »Pimpfen« in der Organisationskultur der SED plötzlich vollkommen unerwartet ausreichend viele Elemente und Verhaltensmuster zu bieten, deren Adaption ihnen durch ihre NS-Sozialisation spielerisch leicht zu fallen schien. Das Fortwirken und Ausleben tradierter Sozialtechniken, die auf die Bedingungen strikter politischer und sozialer Kontrolle ausgerichtet gewesen waren, verschaffte dieser politischen Generation – sofern sie bereit war, den Preis der politischen Konversion zu zahlen – ideale Voraussetzungen, um sich unter den neuen Bedingungen der SBZ/DDR zurechtzufinden und sich als Teil des neuen kommunistischen Herrschaftsapparates zu erfahren. Die SED mit »ihrem unstillbaren Hunger«233 nach Funktionären, die den fortdauernd expandierenden Anspruch auf die politische »Durchherrschung«234 der Gesellschaft sicherstellen sollten, verschaffte speziell den Angehörigen dieser politischen Generation Einund Aufstiegschancen, die sie gerade aufgrund ihrer NS-Sozialisation zielstrebig zu nutzen in der Lage waren.

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Schmeitzner, Totale Herrschaft, S. 72. Ebd. Kleßmann, Doppelte Staatsgründung, S. 37–65, hier 37. Jessen/Gieseke, SED, S. 49. Kocka, Durchherrschte Gesellschaft, S. 547–553, hier 548.

V. Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in der Ulbricht-Ära

1. (Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen in die SED-Kreisleitungen zwischen 1945 und 1953 »Am 23. Mai 1945 kam ich nach 12 Jahren zu Hause an.«1 So begann der bereits erwähnte 1. SED-Kreissekretär Arno Hering die Schilderung über den persönlichen politischen Neustart in seinem sächsischen Heimatort Struppen bei Dresden unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. »Ich war gerade eine Stunde bei meiner Mutter, da kam schon ein Genosse, der mir ausrichtete, ich solle sofort mal zum Bürgermeisteramt kommen. Ich komme dorthin«, so Hering weiter, »da saßen sowjetische Soldaten und Offiziere dort. Ich musste meine Geschichte erzählen. Als ich fertig war, hieß es: ›Nun du Bürgermeister machen!‹ Lasst mir nur etwas Zeit«, erinnerte sich Hering an seine spontane Reaktion. In seinem Bericht heißt es weiter: »Noch während des Gesprächs kam ein weiterer Genosse von Pirna, der mir bestellte, dass ich mich den nächsten Morgen dort einfinden sollte.« Kurzerhand lehnte Hering das Bürgermeisteramt in der Heimatgemeinde, das ihm von den örtlichen Vertretern der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen (SMAS)2 angeboten worden war, ab. Der Genosse aus Pirna hatte ihm von der Möglichkeit berichtet, in der Kreisstadt nahe Dresden auf einen wesentlich einflussreicheren Posten zu rücken. Vier Tage nach dem Treffen mit den Pirnaer KPD-Genossen hatte Hering in diesem Zusammenhang bereits einen weiteren Termin, der ihn in die sächsische Landeshauptstadt 1

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Dies sowie die folgenden Zitate aus einem Erinnerungsbericht Arno Herings, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 33). Hering hatte auf seinem Rückweg aus amerikanischer Gefangenschaft auch in Pirna Station gemacht und sich dort bei ihm bekannten Kommunisten zurückgemeldet. Vgl. ebd. Siehe zum Einfluss der SMAS auf die Besetzung der Posten in den lokalen Verwaltungen und Behörden mit einem Schwerpunkt auf der Zeit von 1947−1949 Raschka, Kaderlenkung, S. 51–70. Über die seminaristischen Vorbereitungen zur Zusammenstellung von lokalen Volksauschüssen auf den Kominternschulen in der Sowjetunion für deutsche Exil-Kommunisten vgl. die Er-

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Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

führte. »Dort«, so Hering weiter, »traf ich auf den Genossen Erich Glaser3, der brachte mich mit Genosse Hermann Matern4 zusammen. Genosse Matern erinnerte sich, dass ich ihn gemeinsam mit Max Reimann5 1934 in T…[schechien 6, T. P.] schon einmal gesehen hatte. Genosse Matern gab mir den Auftrag, für den Kreis Pirna kommissarisch die Funktion des Sekretärs der Partei auszuüben und bereitete eine Konferenz vor.« Diesen »Parteiauftrag« hatte Hering freilich – anders als das Angebot der sowjetischen Kommandantur – nicht ablehnen können. Mit dem Befehl Nr. 2 der SMAD vom 10. Juni 1945,7 also wesentlich früher als in den westlichen Besatzungszonen, waren in der SBZ die demokratischen Parteien und Gewerkschaften wieder zugelassen worden. Nur einen Tag später veröffentlichte das Zentralkomitee der KPD ihr »Aktionsprogramm«8 für den parteipolitischen Aufbauprozess, in dem sich die Partei als Trägerin der Idee der »antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung« 9 stilisierte. Nachdem sich am 19. Juni 1945 die Kommunistische Partei in Berlin konstituiert hatte, folgte unmittelbar

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innerungen von Leonhard, Revolution, 217–338. Zur Einsetzungspraxis von Bürgermeistern in den Berliner Bezirksverwaltungen vgl. ebd., S. 437–444. Erich Glaser, 1901−1984, war seit 1928 Mitglied der KPD. Er emigrierte 1933 und nahm am spanischen Bürgerkrieg teil. Anschließend war er in Frankreich inhaftiert. Nach seiner Haftzeit im Zuchthaus Waldheim, in das er überführt worden war, kehrte er Anfang Mai 1945 nach Dresden zurück, wo er unmittelbar Mitglied der Bezirksleitung Sachsen wurde und bis 1949 verschiedene Funktionen inne hatte. Von 1949−1957 war Glaser Mitarbeiter der Bezirksverwaltung des MfS in Dresden und übernahm am Ende seiner Laufbahn noch verschiedene Funktionen im Staatsdienst. Vgl. Lebenslauf Erich Glaser, undatiert (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041/002, NL Erich Glaser, unpaginiert). Hermann Matern, 1893−1971, war seit 1919 Mitglied der KPD, hatte diverse politische Funktionen inne und emigrierte nach seiner Haftzeit von 1933−1934 über die Tschechoslowakei und die Schweiz nach Frankreich. Ab 1941 war er Teil der Exil-KPD in der UdSSR. 1945−1946 war er in Dresden Vorsitzender der KPD-Bezirksleitung und zugleich 1945 Mitglied des ZK der KPD, anschließend des Zentralsekretariats und des Politbüros der SED bis zum Jahr 1971. Von 1948 bis zu seinem Tod 1971 leitete er die Zentrale Parteikontrollkommission der SED. Vgl. Weber/ Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 583 f. Max Reimann, 1898−1977, war ab 1921 hauptamtlicher KPD-Funktionär und in leitender Funktion in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) im Ruhrgebiet aktiv. Ab 1933 leistete er illegale politische Arbeit und ging nach Frankreich, in die UdSSR und nach Tschechien, wo er 1939 verhaftet wurde. Nach KZ-Haft bis 1945 wurde er 1948 1. Vorsitzender der KPD in den drei Westzonen und dann in der BRD, lebte ab 1950 jedoch vorwiegend in der DDR. 1969 ging er zurück in den Westen und wurde 1971 noch Ehrenpräsident der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Vgl. Müller-Enbergs /Wielgohs /Hoffmann, Wer war wer, S. 690. Die Auslassung T… im Original dürfte für Tschechien stehen, dort war Hering 1934 in der illegalen Grenzarbeit aktiv. Matern emigrierte, nach seiner Flucht aus dem Gefängnis Altdamm bei Stettin, ebenfalls nach Tschechien, wo er bis 1935 blieb. Befehl Nr. 2 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland (betr. Bildung und Tätigkeit antifaschistischer Parteien und freier Gewerkschaften auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland. Zit. nach Wettig, Tjul’panov-Bericht, S. 22. Herbst/Stephan/Winkler, SED, S. 530–534, hier 533. Vgl. Malycha, SED, S. 21.

(Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen

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darauf in der sächsischen Provinz auf der ersten Kreiskonferenz der Pirnaer KPD die offizielle Wahl Herings zum 1. Kreissekretär. Dieser rasante Aufstieg Herings, der zuvor in der Weimarer Republik lediglich auf lokaler Ebene die Funktionen des »Orgleiters«10 der Ortsgruppe der KPD und des Gemeindevorstehers inne gehabt hatte, stand paradigmatisch für die Karrierechancen, die sich vielen Angehörigen seiner politischen Generation nach 1945 urplötzlich boten.11 Im konkreten Fall von Hering beschleunigte sicherlich zusätzlich das direkte persönliche Netzwerk, das er sich nach 1933 während der illegalen Arbeit in der Emigration aufgebaut hatte, diesen Karrieresprung. Dennoch, der gewaltige Kaderbedarf der neu aufzubauenden Parteiorganisationen der KPD/SED führte dazu, dass sich vielen Parteimitgliedern im Zuge des beginnenden gesellschaftspolitischen Transformationsprozesses der unmittelbaren Nachkriegszeit direkte Zugangschancen eröffneten. Auf einmal boten sich steile und kurze Aufstiegswege zu regionalen Führungspositionen, wie sie weder in der KPD oder der SPD während der Weimarer Republik vorgekommen waren, noch in späteren Phasen der Parteigeschichte der SED in der DDR aufkommen sollten. Diese Karrierechancen knüpften sich freilich an eine wesentliche Bedingung: die verbriefte politische Loyalität den neuen staatlichen und politischen Machthabern gegenüber.12 Dieses Merkmal erfüllten die bis Ende 1952 für den Posten des 1. Kreissekretärs rekrutierten Funktionäre nahezu uneingeschränkt. 89 Prozent der sächsischen Kreisvorsitzenden in der Rekrutierungsperiode 1945 bis 1952 gehörten den beiden politischen Generationen der bis 1916 Geborenen an.13 Ihr in der Vergangenheit angehäuftes politisches Kapital bürgte für ihre Integrität und war nun für die sowjetische Besatzungsmacht und die neuen Führungspersonen der »Moskau-Kader«14 um die »Gruppe Ackermann«15 und deren Nachfolger um Hermann Matern an der sächsischen KPD/SED-Spitze hochbegehrt. Denn die intern gestellte Aufgabe war vom strategischen Anspruch her ebenso klar umrissen, wie personell schwierig umzusetzen: »Jetzt tun wir alles, um die Führer des Volkes zu sein, ohne es zu sagen«, wie Matern es im Juni 1945

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Organisationsleiter der Ortsgruppe Struppen, vgl. Erinnerungsbericht Arno Herings, ca. 1980 (Privatarchiv R. H., Nachlass Arno Hering, Bl. 9). Die große Masse der Deutschen hatte zuvor das NS-System unterstützt. Diese hier untersuchten politischen Generationen repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Ehemaligen NS-Belasteten freilich bot sich in Anbetracht der konsequenten Entnazifizierung eher die Flucht aus der SBZ als Handlungsoption nach 1945 an. Zur Diskussion von Legitimitätsglauben und Loyalität in der DDR vgl. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 22–28. Absolute Anzahl n=69 Personen in der Datenbank. Zur Verteilung der weiteren politischen Generationen 1. Kreissekretäre im Einzelnen vgl. Abschnitt V 2–V 4. Erler, »Moskau-Kader«, S. 255. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 62. Zur Arbeit der »Gruppe Ackermann« in Dresden vgl. ebd., S. 61–67.

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Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

auf einer Parteiveranstaltung in der Provinz formulierte, »durch unsere Politik, durch unsere Arbeit und durch unseren Kampf. […] Wir werden, wo wir nur können und mit allen Kräften, überall im Staat, in der Selbstverwaltung bis hin zur kleinsten Gemeinde uns einschalten und uns nicht verdrängen lassen.«16 Dieses »Wir« jedoch, das für einen personell ausgebauten und weithin ausdifferenzierten Parteiapparat stand, befand sich erst im Auf- und – zunächst bis 1952/1953 – ohnehin auch im permanenten Umbau. Und das Reservoir an einsatzfähigen und politisch zuverlässigen Kadern war anfänglich nicht so groß, wie es hätte sein müssen, um die herrschaftspolitischen Ziele der Parteispitze unmittelbar realisieren zu können. Fritz Radzei, der Leiter der personalpolitischen Abteilung des Kreisvorstandes der SED Grimma, begründete den Kadermangel 1948 auf der Grimmaer SED-Kreisdelegiertenkonferenz unter den Augen der anwesenden sowjetischen Kommandeure Major Labudko, Oberst Borikow, Oberstleutnant Plotnikow und weiteren Vertretern der KPdSU (B) damit, dass die Partei »ihre besten Funktionäre in der Zeit 1933–45 verloren« habe.17 Tatsächlich spielte der »Blutzoll des doppelten Terrors unter Hitler und Stalin«18 für einen großen Teil der Organisationsschwierigkeiten nach dem Krieg auf sächsischem Gebiet eine Rolle und hatte die Anzahl der potenziellen Funktionärskandidaten dezimiert.19 Eine weitere relevante Ursache für die Schwierigkeiten, die riesige Nachfrage nach fähigen Kadern im Parteiapparat abdecken zu können, war jedoch »hausgemacht« und damit der inneren Logik des kommunistischen Herrschaftsmodells der Parteiführung selbst geschuldet: Das Ziel, alle staatlichen und gesellschaftspolitischen Instanzen zu »durchherrschen«. Die wichtigsten Posten sollten durch die Besetzung mit per Parteiauftrag steuerbaren Kadern20 unmittelbar kontrolliert werden. Die in dieser Phase zeitgleich stattfindende Transformation der KPD/SED »von einer kleinen konspirativen Kaderorganisation zum Machtzentrum« eines neu zu errichtenden sozialistischen Staates stellte besonders für die Besetzung der Führungspositionen auf Kreisebene ein nur schwer zu lösendes Problem dar.21 16

17 18 19 20

21

Rede von Hermann Matern, Protokoll der KPD-Konferenz in Omsewitz vom 13.6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.5.002, unpaginiert). Hier zit. nach Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 86. Redebeitrag von Fritz Radzei im stenografischen Protokoll der SED-Kreisdelegiertenkonferenz Grimma vom 6.11.1948 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/8/1, Bl. 31). Jessen/Gieseke, SED, S. 29. Vor den Verfolgungen im NS verfügte die KPD in Sachsen bereits nur über circa 30 000 Mitglieder. Vgl. Kapitel III. Vgl. zu einer der wenigen explizit formulierten parteiinternen Arbeitsdefinitionen des Phänomens des Parteiauftrages die Entschließung des Parteivorstandes mit dem Titel »Maßnahmen zur Verbesserung der organisatorischen Arbeit der Partei« vom 3.6.1950 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/81, Bl. 70 f.). Eine offizielle Definition mit wesentlich abgeschwächteren Kriterien findet sich im Kleinen politischen Wörterbuch von 1988. Vgl. Politisches Wörterbuch, S. 738. Glaeßner, Herrschaft durch Kader, S. 53.

(Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen

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Das Kaderproblem wurde durch die Nachkriegspolitik der Alliierten in Verbindung mit der konsequenten Entnazifizierungspraxis der Führung um Walter Ulbricht noch zusätzlich vergrößert. Diese Politik, die in der SBZ im Frühjahr 1948 ihren Abschluss fand, diente zwar einerseits der Beseitigung des Nazismus auf dem Gebiet der SBZ,22 andererseits wurden die politischen Säuberungen jedoch unmittelbar als Herrschaftsinstrument eingesetzt. Die von der Parteispitze gemachten »politischen Vorgaben, die die Neubesetzung der leer gefegten Ämter regelten«,23 trugen erheblich dazu bei, dass in Sachsen der ohnehin schon große »Kaderhunger« der Partei weiter stieg. Bis 1953 – also während der gesamten Phase des »antifaschistischen Stalinismus«24 – kam es vielfach zu Konflikten zwischen den personalpolitischen Abteilungen der SED auf Kreisebene und den Personalabteilungen der staatlichen und verwaltungstechnischen Behörden der kommunal- und landes- bzw. nach 1952 auch noch der bezirkspolitischen25 Ebene. Walter Ulbricht ging diesbezüglich auf einer Konferenz der 1. SED-Kreissekretäre Anfang 1952 hart mit den Kaderabteilungen ins Gericht. Er war getrieben von der Vorstellung, den systemimmanenten Konstruktionsfehler des kommunistischen »nation building« durch politischen Druck »von oben« lösen zu können. Ulbricht rief dazu auf, die Parteileitungen in den Kreisen zu stärken: »Aber zuerst müsst ihr euch klar sein. Worin bestehen die Fehler, wie muss die Arbeit grundlegend geändert werden? Das bezieht sich auf die Parteileitungen im Kreis, auf den Kreisrat und die Leitungen der Massenorganisationen, aber in erster Linie auf die Parteileitungen. Es ist eine Lage eingetreten – ich habe im Zentralkomitee darauf hingewiesen – dass es Erscheinungen gibt, dass der Staatsapparat den Parteiapparat erdrückt, dass die Genossen im Staatsapparat qualifizierter sind als die in der Kreisleitung der Partei. Das heißt«, so Ulbricht weiter, »die Partei hat qualifizierte Genossen in den Staatsapparat gegeben und die jüngeren Genossen, die nachgewachsen sind, können selbstverständlich nicht so schnell lernen, sich alle die Erfahrungen anzueignen, die notwendig sind.«26 Sehr deutlich kommen in den Ausführungen Ulbrichts die Punkte zum Ausdruck, die für die Analyse von zentraler Bedeutung sind: Generationsschichtung, Karriere und berufliche Mobilität. Die Zugehörigkeit zu einer der vier politischen Generationen sollte sich entscheidend auf die Karrierechancen und Karrierewege der hier untersuchten Kreisfunktionäre in der Zeit zwischen 1945 und 1971 auswirken. Es wird zu zeigen sein, in welcher Relation dieser generationsspezifische 22 23 24 25 26

Offiziell wurde die Entnazifizierung in der SBZ durch den SMAD-Befehl Nr. 35 am 26.2.1948 für beendet erklärt. Vgl. Vollnhals, Entnazifizierung, S. 212 ff. Vollnhals, Politische Säuberung, S. 128. Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 29. Zur generellen Periodisierungsthematik der DDR-Geschichte vgl. Ihme-Tuchel, Die DDR, S. 71 ff. Zur Kreis- und Verwaltungsreform in Sachsen vgl. Kapitel II. 3. Referat Walter Ulbricht, Stenografische Niederschrift der Konferenz der 1. Kreissekretäre vom 27.2.1952 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1.01/185, Bl. 20).

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Selektionsfaktor in den verschiedenen Perioden zur Entwicklungsgeschichte der SED-Kreisleitungen in Sachsen bis 1971 stand, wie dies die berufliche Integration in die Reihen der regionalen Parteielite regulierte und die weitere Laufbahn beeinflusste. Wie stand es im Einzelnen um die personelle Besetzung der Führungspositionen mit Kadern aus den verschiedenen politischen Generationen? Können – und wenn ja: wann und warum – fließende Übergänge oder plötzliche Brüche beim Einsatz der verschiedenen Gruppen beobachtet werden? Welche besonderen kollektivbiografischen Kadermerkmale sollten in den Augen der Kaderplaner dazu beitragen, den Herausforderungen der Herrschaftsausübung vor Ort zu begegnen? Indem Fragen zur horizontalen und vertikalen beruflichen Mobilität sowie zu den Zirkulationsmodi und »Zeitmustern«27 der politischen Generationen 1. SED-Kreissekretäre erörtert werden, können die Leitungsprinzipien der SED-Parteispitze zur personellen Herrschaftsorganisation auf regionaler Ebene herausgearbeitet werden. Die Untersuchung verschiedener Rekrutierungsperioden soll zeigen, welche Typen von Funktionären mit ihren jeweils spezifischen Kollektiverfahrungen die Aufgabe der regionalen Stabilitätsgaranten der SED im staatssozialistischen System der Ulbricht-Ära erfüllten. Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Gründung der SED und dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker 1971 gab es diachron betrachtet ganz verschiedenartig gelagerte Herausforderungen an die kaderpolitischen Strategen der SED. Drei voneinander unterscheidbare Phasen28 der unterschiedlichen Institutionalisierung politischer Laufbahnen treten hervor: Als Gründungsphase können die ersten Jahre nach dem Kriegsende bis zur Gründung der Bezirke im Jahr 1952 gefasst werden. Diese Periode überlappte sich kaderpolitisch mit der anschließenden Phase, in der sich der gesellschaftspolitische Transformationsprozess auch innerhalb der regionalen SED durch hohe Personalfluktuation niederschlug. Es folgte darauf eine Zeit der »krisenhaften Konsolidierung«29, in der sich auf der einen Seite festere Karriereverlaufsformen herausbildeten und sich wiederholende Eintrittsmuster zu den SED-Kreisparteiapparaten verstetigten. Auf der anderen Seite wirkten sich ereignisgeschichtliche Zäsuren wie die des 17. Juni 1953 und des Mauerbaues als nicht kalkulierbare politische Phänomene auf diesen Routinisierungsprozess aus. Schließlich lässt sich eine Wandlungsund Reformzeit in den 1960er-Jahren bis zum Ende der Amtszeit Ulbrichts festmachen. In dieser wiederum wirkten wirtschafts- und herrschaftspolitische Reformprojekte und damit einhergehende kaderpolitische »Identitätswechsel«30 auf die Anforderungen an die 1. SED-Kreissekretäre als Leitungskader und deren

27 28 29 30

Best, Parteiherrschaft, S. 218. Zur Phaseneinteilung der DDR-Geschichte in toto vgl. zuletzt Jesse, Periodisierung. Best, Parteiherrschaft, S. 215. Rehberg, Institutionelle Mechanismen, S. 71.

(Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen

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Qualifikationsprofile zurück. Im Folgenden wird wegen der herausgehobenen Bedeutung der personellen Initiation des SED-Herrschaftssystems die erste der drei Perioden gesondert dargestellt, bevor die diachronen Verteilungen der politischen Generationen im sächsischen Parteiapparat und die Mobilitätsphänomene der Karrieren der sächsischen 1. Kreissekretäre auch für die übrigen Phasen genauer analysiert werden. Neben den unmittelbaren Einstiegschancen für die in der kommunistischen und sozialistischen Bewegung der Weimarer Republik profilierten Funktionäre zeichnete sich die Phase von 1945 bis 1952/1953 in Sachsen durch einen immensen Verschleiß an Kadern aus. Auf den bis 1949 noch paritätisch mit je einem ehemaligen SPD- und KPD-Mitglied zu besetzenden Positionen lastete im Zuge des Auf- und Umbaus des hauptamtlichen Parteiapparates ein hoher Druck. Die Position des Kreisvorsitzenden war nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Beherrschung der politischen Situation »im Territorium«, sondern zugleich auch beliebter Personalpool für die übergeordneten Parteiinstanzen und – wie in dem oben angeführten Ulbricht-Zitat hervorgehoben – auch für den Staatsapparat. Sehr häufig wurden SED-Kreisvorsitzende bzw. 1. SED-Kreissekretäre von ihrer Position dorthin abgezogen. Bei den von 1945 bis 1952 amtierenden Funktionären traf dies mit 32 Prozent auf knapp ein Drittel der Fälle zu.31 Zu den Funktionen, die sie im Staatsapparat einnahmen, zählten herausgehobene Positionen wie etwa das Amt des Oberbürgermeisters, des stellvertretenden Oberbürgermeisters, des Stadtrates, des Rates des Kreises, des Leiters der staatlichen Handelsinspektion, des Personalreferenten der Landesregierung, des Abteilungsleiters der Landesregierung sowie der hauptamtlichen Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit.32 In einer ersten Rekrutierungswelle nach der Zwangsvereinigung wurden zunächst alle Stellen der Kreisvorsitzenden mit altgedienten Funktionären besetzt. Empirisch schlägt sich dies in der Datenbank anhand der verfügbaren Informationen über das sogenannte Parteialter nieder. Gemeint ist damit die durchschnittliche Dauer der Zugehörigkeit zu einer der beiden Arbeiterparteien KPD/SPD bzw. der SED zum Zeitpunkt der Funktionsübernahme des Kreisvorsitzenden bzw. des 1. SED-Kreissekretärs. Die in den sächsischen Kreisen in das Amt gewählten oder kooptierten Funktionäre wiesen ein durchschnittliches Parteialter von rund 20 Jahren auf und kamen damit ausschließlich aus der Riege der vor 1933 politisch sozialisierten Parteiarbeiter.33 Dies ist ein erstaunlich hoher Wert, 31 32

33

Absolute Anzahl n=18 Personen in der Datenbank. Die in die staatlichen Funktionen abgezogenen 1. Kreisvorsitzenden waren in der Reihenfolge der aufgezählten Funktionen Johannes (Hans) Bohn, Erich Uhlich, Paul Müller, Fritz Scheller, Karl Hübner, Arno Hering und Kurt Kretschmar. Berechnungsgrundlage ist die Zeitspanne vom Jahr des Eintrittes in die SPD und KPD bzw. SED bis zur Übernahme der Funktion des Kreisvorsitzenden bzw. 1. Kreissekretärs der SED. Die

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Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

der sich stark von den Befunden zu vergleichbaren Funktionärsgruppen in Thüringen abhebt.34 In den folgenden Jahren der Gründungsphase nahm dieser Wert sukzessive ab. Ende 1949 betrug das durchschnittliche Parteialter bereits 16 Jahre. Viele der zunächst amtierenden Kreisvorsitzenden stiegen im Zuge von Neubesetzungen in den höheren Partei- und Staatsapparat auf, während gleichzeitig jüngere und unerfahrene Kader nachrückten. Diese spontane, an Engpässen orientierte Kaderarbeit ging vielfach einher mit ad hoc getroffenen Entscheidungen der sächsischen SED-Landesleitung, Funktionäre abzuziehen und neue Funktionsträger zu kooptieren. Zugleich entledigte sich die SED im Zuge der Aufhebung der paritätischen Besetzung der Kreisvorstände und der Säuberungskampagen der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre auch eines Großteils der ehemaliger Sozialdemokraten sowie auch unliebsamer Altkommunisten. Letztere hatten entweder parteifeindlichen Gruppen wie der Kommunistischen Parteiopposition (KPO) angehört, z. B. etwa der SED-Kreisvorsitzende von Aue, Alfred Fedgenheuer. Anderen Kadern gelang die Umstellung von den Anforderungen in der alten KPD vor 1933 und der Zeit der Verfolgung zu der Bekleidung der tragendern Rolle als regionaler Repräsentant der Staatspartei SED nicht so, wie von der Parteiführung erhofft. Analog zu den organisationspolitischen Strukturveränderungen innerhalb des Parteiapparates im Zuge der Umwandlung zur »Partei neuen Typs« wurden auf der 1. Parteikonferenz 1949 auch beim Personal markante Einschnitte vorgenommen. Neben der neuen strukturellen Verfassung der Partei sollten auch die »systematische, zielbewusste Auswahl und Förderung der Parteikräfte«,35 wie es im Entwurf des Maifestes zur ersten Parteikonferenz der SED hieß, realisiert und die bisherigen unsystematischen personalpolitischen Unstetigkeiten abgestellt werden. Nach Erich W. Gniffke brauche die »Partei zehntausende neuer Funktionäre, Funktionäre jenes neuen Typus, damit sie ihre geschichtliche Aufgabe erfüllen« könne.36 Die Parteiführung in Berlin forderte, dass »neue Kräfte aus der Arbeiterklasse und den übrigen Schichten rasch auf führende Positionen beför-

34

35

36

zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur wurden – analog zu der parteiinternen Praxis – mit berechnet. Zöge man dies ab, verringert sich das durchschnittliche Parteialter um diese Jahre. Vgl. die Befunde der Studie von Best, Parteiherrschaft, in der ein extrem geringes Parteialter von 2,6 Jahren bei der Rekrutierung von 1. und 2. Kreissekretären im Zeitraum von 1945−1951 festgestellt wurde. Dieser erhebliche Unterschied kann nur zum Teil darauf zurückgeführt werden, dass Best die ehemaligen Sozialdemokraten aus der Berechnung herausgenommen hat, die in der Datenbank dieser Arbeit einberechnet worden sind. Offenbar unterschied sich die Kaderauswahl in den verschiedenen Regionen der SBZ/DDR erheblich voneinander. Vgl. Best, Parteiherrschaft, S. 221. Entwurf zum »Manifest der ersten Parteikonferenz der SED an das gesamte schaffende Volk«, Anlage Nr. 7 zum Protokoll Nr. 146 des Parteivorstands der SED vom 24.1.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/60, Bl. 19–22, hier 22). Gniffke, SED Funktionär, S. 61.

(Wieder-)Einstiegs- und Aufstiegschancen der politischen Generationen

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dert werden, um die fortschrittliche Entwicklung zu sichern«.37 Es machte sich bemerkbar, dass bis weit in die 1950er-Jahre hinein das spätere zentrale personalpolitische Steuerungsinstrument des »Kadernomenklatursystems« nur in einigen Grundzügen entwickelt und keineswegs einsatzfähig war.38 Noch 1953, nach der umfassenden Verwaltungs- und Kreisreform, monierte der Leiter der Kaderregistratur der SED-Bezirksleitung Leipzig das Fehlen einer ausgearbeiteten Kadernomenklatur und einer sorgfältigen Übermittlungspraxis der Personalunterlagen: »Die Kaderunterlagen müssen sich an der Stelle befinden, deren Nomenklatur der Kader untersteht. Mit dem Weggang eines Kaders auf eine niedere oder höhere Ebene müssen die Kaderregistraturen die Kaderakte zu dem entsprechenden Parteiorgan mitschicken«, so Elsner. Dies war in der personalpolitischen Praxis wohl kaum anzutreffen. »Tausende von Kadern gibt es«, so Elsner weiter, »die nach 1945 in den verschiedenen Bezirken und Kreisen gearbeitet haben. Überall dort liegt ein Stück Kaderakte.«39 Der hohe Grad an personeller Fluktuation blieb bis Mitte der 1950er-Jahre ein bestimmendes Charakteristikum für die Positionen der SED-Kreisvorsitzenden bzw. der 1. SED-Kreissekretäre. Hohe Austauschraten und Amtswechsel bestimmten die Karriereverläufe der sächsischen 1. Kreissekretäre. Die durchschnittliche Amtsdauer zwischen 1945/46 und 1951 betrug 2,2 Jahre.40 Die Spannweite von sechs Jahren – also eine durchgängige Leitung einer Kreisparteiorganisation ab der Wiederzulassung der KPD oder SPD, über die Zwangsvereinigung der beiden Arbeiterparteien zur SED und die Umwandlungsphase der SED zur »Partei neuen Typs« – konnte lediglich bei einem einzelnen Funktionär, dem Altkommunisten und ehemaligen Moskau-Kader Johannes Vogelsang im Kreis Döbeln, festgestellt werden. Vogelsang, der von 1945 bis 1952 als leitender Kader im Kreis fungierte, stieg danach in die Bezirksebene auf und leitete bis zu seinem Ausscheiden aus dem hauptamtlichen Parteiapparat die Bezirksparteikontrollkommission der SED in Leipzig.41 Typisch war jedoch der häufige Wechsel. Der Höchstwert aller Postenwechsel der in der Datenbank zusammengetragenen Parteiberufswege 1. SED-Kreissekretäre – bezogen auf das Antreten derselben Funktion, jedoch in einer anderen 37

38 39

40 41

Entwurf zum »Manifest der ersten Parteikonferenz der SED an das gesamte schaffende Volk«, Anlage Nr. 7 zum Protokoll Nr. 146 des Parteivorstandes der SED vom 24.1.1949 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/60, Bl. 19–22, hier 22). Zur Einschätzung des Kadernomenklatursystems der SED bis 1960 vgl. Malycha, SED, S. 448– 450 sowie Wagner, Gerüst der Macht, S. 87–108. »Die Nomenklatur, ein wichtiges Hilfsmittel zur systematischen, planmässigen Kaderarbeit«. Denkschrift von dem Leiter der Abteilung Kaderregistratur der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 22.4.1953 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/11/580, unpaginiert). Absolute Anzahl n=61 Personen in der Datenbank. Zu Vogelsang erschien zuletzt ein Portrait des Leipziger Schriftstellers Erich Loest. Loest setzte sich darin kritisch mit der Rolle Vogelsangs zur Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Vgl. Loest, Fatales Modell, S. 28 ff.

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sächsischen Kreisleitung – lag bei der Führung von vier verschiedenen Kreisleitungen zwischen 1945 und 1952. 33 Prozent aller bis 1952 amtierenden 1. SED-Kreissekretäre rochierten auf dieser Funktion und übernahmen in einem anderen Kreis das gleiche Amt. Bei 18 Prozent davon wurden dicht nacheinander drei unterschiedliche sächsische Kreisleitungen geführt.42 Der noch vor der Jahrhundertwende im Jahr 1896 geborene Bruno Hofmann etwa baute nach dem Zweiten Weltkrieg in Stollberg die KPD auf und übernahm direkt deren Vorsitz. Ein Jahr später wechselte er dann nach dem Vereinigungsparteitag als Vorsitzender in die SED-Kreisleitung von Chemnitz. Wiederum nur ein Jahr später wurde er von der Landesleitung der SED auf den freigewordenen Posten des 1. SED-Kreissekretärs in Marienberg kooptiert. Auch Hofmann wechselte wie viele andere anschließend in den Staatsapparat. Von 1950 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben leitete er die Kontrollkommission der Deutschen Wirtschaftskommission zunächst der Stadt Chemnitz. Nach 1952 stieg er dann zum Bevollmächtigten der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKSK) im Bezirk Karl-Marx-Stadt auf.43 Die Befunde zur Fluktuation sind zum einen ein Indiz für die unzureichende Koordinierung der Kaderpolitik durch die Parteiführung in der Gründungsphase der SED bis in die Mitte der 1950er-Jahre hinein. Der Abzug wichtiger Funktionäre von den Ämtern der 1. Kreissekretäre in den Staatsapparat behinderte ein kontinuierliches Arbeiten der Kreisleitungen. Zum anderen belegen die andauernden Versetzungen von einer Kreisleitung in eine nächste, dass es kaum noch qualifizierte Alternativen im Personalreservoir der unteren Parteiebene in Sachsen gab. Die Parteisäuberungen verschärften dieses Phänomen noch zusätzlich. Diese Befunde decken sich mit Untersuchungen zur Kaderpolitik der SED in Sachsen auf SED-Bezirksebene im Jahr 1952: »Die Problematik der fehlenden Funktionäre beschäftigte die Partei noch in den nächsten Jahren.«44 Die zusammengenommen 55 Prozent politischer Aufstiege 1. SED-Kreissekretäre in den höheren Partei- und Staatsapparat inklusive der Rochaden auf Leitungsposten in anderen Kreisen zeigen, dass die Austauschraten kein Ausweis mangelnder Qualität der hauptsächlich zu den ersten beiden politischen Generationen gehörenden SED-Funktionären waren. Hier ging es weniger um gescheiterte Amtsführung als vielmehr um den Versuch, das Projekt der Etablierung des staatssozialistischen Herrschaftssystems auch über den engeren Rahmen der Staatspartei hinaus so lange mit machtbewussten und parteierfahrenen Altfunktionären aus den regionalen Parteiapparaten zu realisieren, bis neue, alternative Kräfte in ausreichendem Maß vorhanden waren. Der Austausch leitender Kader, der – wie noch zu zeigen sein wird – nicht anhand einer abrupten Verjüngung in 42 43 44

Absolute Anzahl n=84 Personen in der Datenbank. Vgl. Datenbank. Die Staatliche Kontrollkommission wurde dann 1963 von der ABI abgelöst. Niemann, Kaderpolitik der SED, S. 253.

Rekrutierungsperiode zwischen 1952 und 1958

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die Wege geleitet werden konnte, stellte freilich ein langfristiges Projekt dar, das erst im Zuge der Normierung der Kaderentwicklungspläne und der Konsolidierung des gesamten regionalen Parteiaufbaues der SED erreicht werden konnte. Bis 1952 betrug das durchschnittliche Rekrutierungsalter der 1. Kreissekretäre in Sachsen beim Amtsantritt noch 43,9 Jahre. Die hektischen, gerafften Zirkulationsintervalle der Gründungsphase korrelieren mit der außerordentlich geringen Zeitspanne, die vom Zeitpunkt der ersten hauptamtlichen Tätigkeit dieser Funktionseliten in der SED bis zum Einsatz als 1. Kreissekretär verging. Die 63 Ersten Kreissekretäre, die vor der Gründung der Bezirke ins Amt kamen, waren zuvor im Durchschnitt nur 1,3 Jahre als hauptamtliche »Parteiarbeiter« beschäftigt gewesen. Die in der Gründungsphase das Gros der 1. Kreissekretäre stellenden älteren Parteifunktionäre stiegen innerhalb kürzester Zeit auf die für die Herrschaftsdurchsetzung so zentrale Position auf. Sie entsprachen zunächst als einzige dem Profil, das die SED-Führung von diesen Funktionseliten erwartete: »Die 1. Sekretäre der Kreisleitungen haben die Eignung, Menschen zu führen. Sie stehen schon lange in leitender Tätigkeit, haben Erfahrungen in der praktischen Parteiarbeit, sind kämpferisch und arbeiten verantwortungsbewusst.«45

2. Rekrutierungsperiode zwischen 1952 und 1958 Zu Beginn der Folgeperiode, die mit der Ausdifferenzierung der administrativen Staats- und Parteistrukturen im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform am Ausgang der Gründungsphase der SED-Herrschaft eingeleitet wurde, schnellte der Bedarf an zusätzlichen Kadern für die Besetzung der Spitzenpositionen der Kreisleitungen weiter in die Höhe. Über diesen strukturellen, politisch geplanten Wandel hinaus erhöhte sich der Druck auf die Parteiführung, neue Kader in den Parteiapparat zu integrieren zusätzlich, da eine ganze Reihe von Funktionären in den sächsischen Kreisen im Anschluss an den 17. Juni 1953 abgelöst worden waren. Die Parteiführung hatte so auf die fehlende Legitimation ihrer Herrschaft in der Bevölkerung mit personellen Konsequenzen reagiert. Dies findet seinen Niederschlag in den Befunden zu den Zeiträumen der Austauschraten 1. Kreissekretäre in den sächsischen Bezirken. Bezogen auf die gesamte Untersuchungsspanne von 25 Jahren entfielen auf die kurze Periode von 1952 bis 1954 allein 103 Neubesetzungen in den 56 Kreisleitungen der drei Bezirke Chemnitz/ Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig. Das war mit Abstand der höchste Wert in der gesamten Ulbricht-Ära und entspricht mit 23,9 Prozent dem Anteil von knapp einem Viertel aller Neubesetzungen in Sachsen bis 1971 insgesamt. Diese 45

Sekretariatsvorlage für die SED-Bezirksleitung Leipzig, Einschätzung der Büros der Stadt-, Kreis- und Bezirksleitungen vom 3.11.1961 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/11/585, Bl. 27).

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Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

radikale Neuausrichtung markierte auch einen zentralen Schnitt in vielen kollektivbiografischen Karriereverläufen der hier untersuchten Funktionäre. In dieser Periode kam für die SED auf Kreisebene die turbulente, oftmals improvisierte und vor allem an der politischen Vergangenheit orientierte Personalpolitik der unmittelbaren Nachkriegsphase zu einem vorläufigen Ende. Die Neurekrutierungen der Jahre 1952 bis 1954 verdrängten zwar nicht unmittelbar die Kader der ersten beiden politischen Generationen 1. SED-Kreissekretäre von ihren Posten. Nach dem Umbau der territorialen Verwaltungsstrukturen in der DDR und der Vervielfachung der Kreise und Kreisleitungen öffneten sich in den sächsischen Bezirken jedoch für die Nachfolger – die politischen Generationen der zwischen 1917 bis 1925 sowie zwischen 1916 und 1932 Geborenen – in zunehmenden Maße die »Aufstiegskanäle«46 in die regionale Machtelite der SED. Bei den Ad-hoc-Rekrutierungen in den ersten Nachkriegsjahren konnte die politische Führung der SED den Generationen der »Altkommunisten« mit langjähriger Parteierfahrung noch ohne längeres Zögern Posten und Positionen zur Verfügung stellen. An deren Identifikation mit dem sozialistischen Gesellschaftsprojekt und der Loyalität zum Herrschaftsapparat der Partei bestand kaum ein Zweifel. Ihre gemeinsamen Erfahrungen vor und in der Zeit des Nationalsozialismus einte sie mit den an der Spitze der SED stehenden Machthabern.47 Ganz anders stand es jedoch um die später Geborenen. Sie hatten aufgrund ihrer politischen Vorprägung durch den Nationalsozialismus zunächst unter Beweis zu stellen, dass sie bereit waren, ihre durch die NS-Sozialisation bedingte »moralische Inferiorität«48 gegenüber den beiden kommunistischen Gründergenerationen in bedingungslose Unterordnung und Folgebereitschaft umzuwandeln. Nur so konnten sie sich für eine hauptamtliche Funktion in der SED und dann schließlich für das Amt des 1. Kreissekretärs qualifizieren. Voraussetzung war also die erfolgreiche »Konversion« der Angehörigen dieser politischen Generationen durch die vorbehaltlose Identifikation mit dem Marxismus-Leninismus und den Parteinormen der SED. Wenn der Parteieintritt – wie bei insgesamt 1,6 Millionen49 Bürgern in der SBZ – nicht schon zuvor erfolgt war, galt es ab 1949 für die Angehörigen der dritten und vierten politischen Generation noch, die eingeführte Kandidatenzeit zu überstehen. Wer von den jüngeren Kadern ein höheres Amt anstrebte, musste darüber hinaus ideologische Kurse in den verschiedenen Parteischulen auf Betriebs-, Kreis-, Bezirks- und Zentralebene50 absolvieren und sich in der 46 47

48 49 50

Engler, Zivilisatorische Lücke, S. 66. Von den 91 Mitgliedern des ZK der SED gehörten im Jahr 1954 75 Funktionäre zu den Geburtsjahrgängen bis 1919. Dies entspricht einem Wert von 82 %. Vgl. Ludz, Parteielite im Wandel, S. 162. Ahbe/Gries, Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte, S. 508. Malycha, SED, S. 506. Die Absolvierung der Parteischulen auf den unteren Ebenen wurde ab 1952 zunehmend ersetzt durch die Delegierung der potenziellen Nachwuchskräfte auf die Parteihochschule (PHS) des

Rekrutierungsperiode zwischen 1952 und 1958

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hauptamtlichen Parteiarbeit bewähren – beide Punkte waren von nun an wesentliche laufbahnspezifische Qualifikationsschritte auf dem Weg in das Amt des 1. Kreissekretärs. Alle nach 1917 geborenen 1. Kreissekretäre in Sachsen erfüllten diese verbindlichen Karrierevoraussetzungen spätestens ab 1952. Die beiden nach 1917 geborenen politischen Generationen waren innerhalb der Rekrutierungsperiode von 1945 bis 1952 lediglich mit elf Prozent vertreten und damit kaderpolitische Ausnahmefälle, die kaum über ausreichend politisches Gewicht verfügten. In den Personalabteilungen mussten Berufungen aus dieser Gruppe noch gesondert gerechtfertigt werden.51 In der Rekrutierungsphase von 1952 bis 1958 wandelte sich dann die generationsspezifische Konfiguration in den sächsischen Kreisleitungen. Die Integrationsangebote der SED an die aufstiegswilligen politischen Neueinsteiger hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Mit den Neuberufungen von Funktionären aus den jüngsten poltischen Generationen der von 1917 bis 1925 bzw. der zwischen 1926 und 1932 Geborenen in Höhe von 33 bzw. fünf Prozent begann sich ein verändertes Gleichgewicht in der altersmäßigen Zusammensetzung der regionalen Machtelite herauszubilden.52 Zwar standen diese zusammengenommen 38 Prozent junger 1. SED-Kreissekretäre quantitativ noch immer im Schatten der Angehörigen der Gründergenerationen, die mit 62 Prozent aller Neubesetzungen nach wie vor die erste kaderpolitische Wahl blieben.53 Dennoch brach die Zeit eines kontrollierten und von oben gelenkten Generationenwandels an. Nun erfüllte sich langsam, was Erich W. Gniffke bereits 1947 über die politischen Generationen der ab 1952 in die Ämter einsteigenden Kader vorausgesagt hatte: »Dass die Jugend so ist, wie wir sie augenblicklich vor uns haben, ist nicht die Schuld der Jugend; denn die Jugend ist von den vergangenen Machthabern in verbrecherischer Weise irregeleitet worden«, so Gniffke in der Broschüre »Der SED-Funktionär«. Weiter heißt es: »Wer sich aber vornimmt, an der Zukunft gestaltend mitzuarbeiten, der muss sich auch der Kräfte vergewissern, deren höchste Leistungsfähigkeit sich in der Zukunft erst entwickelt. Die Jungen und Mädchen von heute sind die Männer und Frauen von morgen. Von ihrer Einbeziehung in die Parteiarbeit hängt es ab, ob wir politische Erben haben werden, die nicht nur das Erbe ihrer Väter verwalten, sondern aus eigener Kraft mehren und vervollkommnen.«54

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53 54

ZK der SED in Berlin. Die Absolventenquote an der PHS in der Gruppe der von 1917−1925 geborenen 1. Kreissekretäre lag bei 75 %. Bei der politischen Generation der 1917−1925 geborenen 1. Kreissekretäre stieg der Wert sogar noch leicht an und betrug 80 %. Absolute Anzahl n=9 Personen in der Datenbank. Absolute Anzahl n=46 Personen für die Gruppe der zwischen 1917 und 1925 geborenen politischen Generation, n=7 für die Gruppe der zwischen 1926 und 1932 geborenen politischen Generation. Absolute Anzahl n=88 Personen in der Datenbank. Gniffke, SED Funktionär, S. 53.

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Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

3. Rekrutierungsperiode zwischen 1958 und 1963 Elf Jahre später sollte aus diesem Prozess der von Gniffke angesprochenen schrittweisen »Vergewisserung« Gewissheit geworden sein. Im Verlauf der Rekrutierungsperiode von 1958 bis 1963 verlagerte sich das Verhältnis der 1. Kreissekretäre von den älteren politischen Generationen zu denen der jüngeren. Die Anstrengungen, die die Kaderabteilungen für die Integration »politischer Erben« in die Kreisparteiapparate ab 1952 bis in die ausgehenden 1950er-Jahre verstärkt vorgenommen hatten, zahlten sich aus. Mit Beginn der 1960er-Jahre wurde von der Parteiführung das Ziel vorgegeben, die »Vorzüge des Sozialismus gerade bei der Durchsetzung neuer Technologien unter Beweis zu stellen«.55 Der Imperativ des Fortschritts stieg zur Leitlinie aller Reformansätze in der DDR-Planwirtschaft auf und wirkte sich auch im mittlerweile etablierten Kadernomenklatursystem der SED aus. Kurz zuvor hatte Walter Ulbricht daher zur Justierung der Altersstrukturen und damit der Kräfteverhältnisse der politischen Generationen in den Parteiorganisationen aufgerufen – nicht zuletzt, um einer »Versachlichung des Parteiwissens« im Zuge der »wissenschaftlich-technischen Revolution« genügen zu können.56 Diese Vorgaben kamen in den Kreissekretariaten unmittelbar an. In einer Bürositzung der SED-Kreisleitung in Delitzsch mahnte der anwesende Sekretär für Landwirtschaft der SED-Bezirksleitung Leipzig, Paul Heinze: »Genosse Ulbricht hat am Sonntag eine Reihe Ausführungen gemacht. Es ist so, man muss ein richtiges Verhältnis schaffen zwischen alten und jungen Kadern. Man muss junge Kader eben neben alte stellen und sie mit bestimmten Aufgaben betrauen. Das kann aber auch nicht außer Acht gelassen werden im Staats- und im Parteiapparat.« Erklärtes Ziel sei es, diesen Prozess so zu steuern, dass die Kreisparteiapparate auch personell befähigt würden, »den 7-Jahr-Plan, die gestellten Aufgaben zu meistern, und das sind keine geringen Aufgaben«.57 Was hier noch als moderates und ausbalancierendes Angleichen der generationsspezifischen Verhältnisse erscheint, hatte in Wirklichkeit bis 1963 eher den Charakter einer tiefen personellen Umwälzung. Die beiden politischen Generationen der bis 1917 geborenen 1. Kreissekretäre, die die Gründungs- und Konsolidierungsphase dominiert hatten, büßten ihre administrative Hegemonie in den Kreisleitungen der sächsischen SED ein. In der Rekrutierungsphase von 1958 bis 1963 sank ihr Anteil an der Spitze der Kreisleitungen in den drei sächsischen Bezirken auf insgesamt 29,5 Prozent herab.58 Mit 52,5 bzw. 18 Prozent stellten nun die politischen Generationen der von 1917 bis 1925 sowie der zwischen 1926 und 55 56 57 58

Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft, S. 125. Ebd. Stenografisches Protokoll der Bürositzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 17.3.1959 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/4/4/97, Bl. 43). Absolute Anzahl n=29 Personen in der Datenbank.

Rekrutierungsperiode zwischen 1958 und 1963

213

1932 geborenen 1. Kreissekretäre mit über zwei Dritteln die neuen Führungseliten der SED-Kreisleitungen. Die beiden jüngeren politischen Generationen, die bis Mitte der 1950er-Jahre ein kollektives Bewusstsein »moralischer Unterstellung« unter die »alten Genossen« in sich getragen hatten, begannen, ihrer Selbstwahrnehmung einen anderen Akzent zu geben. Bis dato hatten sie ihre Legitimation vor allem aus der bedingungslosen Exekutierung der von ihren politischen Ziehvätern »beglaubigten und dargestellten Politik« gewinnen können.59 Gegen Ende dieses Jahrzehntes waren nun jedoch sie an der Reihe. Nach vielfach erfahrenen politischen Aufstiegen in den regionalen Parteiapparaten bis zur hauptamtlichen Mitgliedschaft in den Sekretariaten der Kreisleitungen forderten sie fortan ihren Einfluss mit dem gestärkten Selbstbewusstsein längerfristiger erfolgreicher Parteiarbeit ein. Die »politisch-spezifische Generationensymbiose«60 verlor zunehmend ihre leitende Bindungskraft. Bis zu der Rekrutierungsphase von 1958 bis 1963 hatten die beiden jüngsten Generationen ihre Parteiausbildung erhalten, »Proben ihres Könnens« abgeliefert und schließlich hinreichend dokumentiert, dass sie sich nicht nur in die Kreisparteiapparate einzupassen verstanden, sondern diese nun auch zu führen bereit waren. Als die Parteispitze »eine Periode von Reformen und Experimenten« einläutete, betraten sie als führende Akteure »die öffentliche Bühne in genau dem Alter, in dem sie erfahren und kompetent genug waren, eigene Ansprüche formulieren zu können«.61

3.1 Generationenkonflikt im Bezirk Leipzig

Dass dies zu Auseinandersetzungen führen musste, die keineswegs »von verminderter Schärfe« waren, wie es in der Literatur zur allgemeinen Generationengeschichte der DDR nachzulesen ist,62 belegt ein Beispiel aus dem Bezirk Leipzig. Dem Kreis Delitzsch wurde als ausgeprägtem Argrarkreis im Anschluss an den V. Parteitag der SED von der Bezirksleitung das Ziel auferlegt, »die sozialistische Umgestaltung des Kreises bis 1962 zu vollenden«. Er sollte aus propagandistischem Kalkül heraus die prestigeträchtige Rolle des ersten »vollgenossenschaftlicher Kreis« in der DDR spielen.63 Um dieses Ziel im Rahmen des

59 60 61 62

63

Niethammer, Prolegomena, S. 108. Ebd., S. 107. Engler, Die Ostdeutschen, S. 321. Ahbe/Gries, Generationengeschichte als Gesellschaftsgeschichte, S. 507. Die Autoren stellen diese These anhand der Untersuchung gesamtgesellschaftlicher Generationenverhältnisse in der DDR auf. In den regionalen Parteiapparaten der SED war dies kaum der Fall. Protokoll der Bürositzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 29.7.1958 (StAL, SED-BPALeipzig, IV/4/4/93, Bl. 19).

214

Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

»zweiten Kollektivierungsschubs« in der DDR-Landwirtschaft zu erreichen,64 forderten die Funktionäre der Kreis- und Bezirksleitung im Sommer 1958 »alle Genossen, Bürgermeister und Staatsfunktionäre« auf, »sich rückhaltlos einzusetzen und in den Aussprachen mit den Einzelbauern die Grundlagen zu schaffen, dass auch die bisher noch abseits Stehenden zu der Erkenntnis kommen, dass der von uns eingeschlagene Weg der einzig richtige – und damit auch ihr Weg – ist, und die Zukunft allein im Sozialismus liegt«.65 Die Planvorgaben waren jedoch so unrealistisch, dass bereits im Frühling 1959 klar wurde, dass dieses Ziel nicht erreicht werden konnte. Die Bezirksleitung der SED reagierte darauf, indem sie versuchte, dem Staatsapparat Verfehlungen in der Planerfüllung und der politischen Durchsetzung anzulasten. Ein Verantwortlicher musste her, um ein parteiintern abschreckendes Exempel zu statuieren. In diesem Zusammenhang wurde der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, der 1904 im westfälischen Solingen geborene Karl Adolphs, im Anschluss an eine Untersuchung der Bezirksparteikontrollkommission beim Rat des Bezirkes in das Büro der Leipziger SED-Bezirksleitung zu einer »Aussprache« zitiert und für seine »unglaublichen Fehler und Unterlassungen in der Realisierung gefasster Beschlüsse« zur Rechenschaft gezogen.66 Zu einem der Hauptankläger im Parteiverhör avancierte der 1. Sekretär und Parteiorganisator des ZK der SED in der einflussreichen Industriekreisleitung VEB Kombinat Otto Grotewohl Böhlen, Hans Feindt. Feindt, 1929 in Espenhain bei Leipzig geboren, war 1947 mit 18 Jahren in die SED eingetreten. Er war ein typischer, wenn auch besonders erfolgreicher und durchsetzungsfähiger Vertreter der politischen Generation der nach 1926 Geborenen. Er machte schnell Karriere. Drei Jahre nach dem Eintritt in die SED wurde er als Instrukteur der SED-Kreisleitung Borna hauptamtlicher Mitarbeiter im Kreisparteiapparat und stieg anschließend zum Abteilungsleiter für Wirtschaft in der SED-Kreisleitung auf. Nachdem er mehrere Lehrgänge an der ZK-Sonderschule Mittweida und an der Parteihochschule »Karl Marx« absolviert hatte, wurde er zunächst 1. Sekretär der Betriebsparteiorganisation im Böhlener Braunkohlewerk und dann schließlich 1. SED-Kreissekretär der Industriekreisleitung. Adolphs hingegen machte als ehemaliger Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und nach seiner Befreiung aus der Haft durch die Rote Armee – Adolphs war von 1935 bis 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert gewesen – zunächst als Bürgermeister und Oberbürgermeister in Bernburg sowie als Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks und schließlich als Vorsitzender des Rates 64 65 66

Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 154. Protokoll der Bürositzung der SED-Kreisleitung Delitzsch vom 29.7.1958 (StAL, SED-BPALeipzig, IV/4/4/93, Bl. 19 f.). So die auf der anschließenden 2. Tagung der 4. Bezirksdelegiertenkonferenz erklärte Selbstkritik von Karl Adolphs. Stenografisches Protokoll der 2. Tagung der 4. SED-Bezirksdelegiertenkonferenz vom 14. und 15.3.1959 (StAL, SED-BPA-Leipzig, IV/1/10, Bl. 153).

Rekrutierungsperiode zwischen 1958 und 1963

215

des Bezirkes Leipzig im Staatsdienst Karriere. Er war als 1922 der KPD beigetretener »Altkommunist« seit 1945 wieder in der Partei und in seiner Funktion als Ratsvorsitzender ständiges Mitglied des Büros der SED-Bezirksleitung Leipzig.67 Als Feindt nun in der Bürositzung das Wort erhob, bediente er sich zur Bekräftigung seiner Argumentation der Generationenthematik. Eine vergleichbare Argumentation wäre wenige Jahre zuvor noch nicht akzeptiert worden und zeigte an, dass die vormalige »moralische Unterordnung« mittlerweile bei Bedarf zur machttaktischen Emanzipation eingesetzt werden konnte: »Wir haben uns«, so begann er seine Anklage, »mit der Lage im Rat und mit der Person des Genossen Karl Adolphs beschäftigt. Es war schon erkenntlich, dass in der gesamten Arbeitsweise [des Rates des Bezirkes, T. P.] einiges nicht in Ordnung ist. Im Verlauf der ganzen Zeit war mitunter erkennbar, dass sich einiges geändert hat. Wir haben uns aber immer wieder mit dem Verhalten des Genossen Adolphs beschäftigen müssen. Den Höhepunkt gab es, als nach der 35. Tagung des ZK – Entlarvung der Schirdewan-Gruppe – ich erinnere mich, als wir uns nach dem Plenum noch unterhielten und Genosse Paul [Fröhlich, T. P.] fragte: Karl, welche Verbindung gibt es zwischen dir und Schirdewan? Er hat damals eine seiner vielen Erklärungen abgegeben. Ideologisch waren diese Verbindungen da. Ich habe mir auch die Frage vorgelegt«, so Feindt weiter, »wie kann ein solcher Genosse, der länger in der Partei ist, als ich alt bin, wie kann er in ein solches Verhältnis zur Partei kommen, dass er nicht einverstanden ist mit der Politik der Partei?« Zum Ende seiner Anschuldigungen forderte der 29-Jährige die übrigen anwesenden Büromitglieder auf: »Man muss doch jetzt zu einer solchen Schlussfolgerung kommen: Es ist niemals im Unklaren geblieben, dass das Verhalten [Adolphs, T. P.] eines Tages zu persönlichen Schlussfolgerungen kommen muss. Deswegen müssen wir beschließen, dass Genosse Adolphs abgesetzt wird.«68 Und so kam es auch. Adolphs wurde nach einem schonungslosen öffentlichen Ritual von Kritik und Selbstkritik auf der Bezirksdelegiertenkonferenz seines Amtes enthoben. Sein Karriereweg ging nun steil bergab. Er wurde in Leipzig als Direktor des »Kulturparks Clara Zetkin« in eine untergeordnete Stellung versetzt.69 Feindts Karriere innerhalb der SED hingegen ging weiter, sein Weg führte ihn auf den Posten des stellvertretenden Leiters des mächtigen Büros für Industrie und Bauwesen der Bezirksleitung Leipzig, in die Funktion des 1. Sekretärs der Betriebsparteileitung im Petrochemischen Kombinat Schwedt und schließlich auf das Amt des 1. Sekretärs der SED-Stadtbezirksleitung Leipzig-Süd, die 67 68 69

Vgl. zu den biografischen Angaben zu Adolphs Weber/Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 55 f. Stenografisches Protokoll der Sitzung des Büros der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 21. und 22.2.1959 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/2/3/245, Bl. 184 ff.). Eine gewisse Rehabilitation war es für Adolphs, dass er nach einer »Bewährungsphase« von zwei Jahren noch das Amt des stellvertretenden Oberbürgermeisters von Leipzig bekleiden konnte. Vgl. Weber/Herbst, Deutsche Kommunisten, S. 56.

216

Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

die Parteileitungen der wichtigsten Industriebetriebe für die Energiegewinnung im Raum Leipzig steuerte.70 Dieses Einzelbeispiel illustriert den durchaus von potenziellen Konflikten begleiteten Generationenwandel, der seinen Höhepunkt in der Zeit zwischen 1958 und 1963 erreichte. 3.2 Kaderkarrieren und berufliche Mobilität

Die beiden zuletzt vorgestellten Kaderkarrieren suggerieren, dass es eine klare Trennung der Berufslaufbahnen in den Sektoren des Staates und der Partei gab. Dem war jedoch nicht so, zumindest nicht in Bezug auf die Untersuchungsgruppe der 1. SED-Kreissekretäre. Der sich ausschließlich in der hermetischen Binnenwelt des Parteiapparates abspielende Berufsweg von Hans Feindt bildete vielmehr einen Sonderfall unter den sonst vielfach durch horizontale Mobilität bestimmten Laufbahnen der SED-Kreisparteieliten. Anhand des Vergleiches der beruflichen Stationen in den Sektoren Partei, Staatsapparat, Massenorganisationen und Wirtschaft während der verschiedenen Rekrutierungsperioden und der Analyse der Direktrekrutierungen auf die Position des 1. Kreissekretärs aus einem dieser Beschäftigungsfelder, ergibt sich ein anderes Bild. In der Gründungsphase von 1945 bis 1952 waren nur 61 Prozent der 1. Kreissekretäre unmittelbar aus einer hauptamtlichen Parteifunktion heraus auf ihren Posten gelangt.71 Dieser Wert erhöhte sich dann jedoch auf 75 Prozent in der Zeit zwischen 1952 und 1958,72 um schließlich in der Phase von 1958 bis 1963 einen Höchststand von 93 Prozent zu erreichen.73 Diese Entwicklung war beeinflusst von der ab Mitte der 1950er-Jahre zunehmenden Konsolidierung der Parteiorganisationsstrukturen und der Professionalisierung der Kaderentwicklungspläne in der SED. Einen leichten Abfall der Werte brachten die Wirtschaftszentrierung und die damit einhergehenden Ökonomisierungstendenzen in der Parteiarbeit im Zuge des NÖSPL mit sich. Die Kernphase dieser Strukturveränderungen in den Parteileitungen führte zur Direktrekrutierung von 13 Prozent Wirtschaftskadern auf die Posten der 1. Kreissekretäre, die freilich zuvor bereits Berufserfahrungen im hauptamtlichen Parteiapparat aufzuweisen hatten.74 70 71

72 73 74

Zum Südraum Leipzig aus der Perspektive des regionalen Strukturwandels vgl. Hofmann, Kohlearbeiter von Espenhain. Absolute Anzahl n=36 Personen in der Datenbank. Dieser Wert entspricht etwa den Befunden, die in der Studie von Best für die Thüringischen Bezirke zu den Rekrutierungssektoren von 1. und 2. Kreissekretären ermittelt wurden. Vgl. Best, Parteiherrschaft, S. 230. Der hier anhand der Datenbank festgestellte Wert von 61 % beinhaltet auch diejenigen 1. Kreissekretäre, die, wie etwa Arno Hering, an der Gründung der KPD/SED-Parteiapparate mitbeteiligt waren. Diese wurden wie die später nach der Etablierung der Parteistrukturen aus den Apparaten der sächsischen SED auf die Posten der 1. Kreissekretäre gewählten Funktionäre gewertet. Absolute Anzahl n=92 Personen in der Datenbank. Absolute Anzahl n=29 Personen in der Datenbank. Absolute Anzahl n=7 Personen in der Datenbank.

Rekrutierungsperiode zwischen 1963 und 1971

217

Zu keiner Phase des gesamten Untersuchungszeitraumes zwischen 1945 und 1971 spielten die Massenorganisationen als Kaderreservoir eine entscheidende Rolle. Mit aus diesem Sektor sieben Prozent direkt rekrutierter 1. Kreissekretäre zwischen 1963 und 1971 war bereits der höchste Wert dieses Rekrutierungssektors erreicht.75 Dies überrascht zumindest in Bezug auf die FDJ, der in der Literatur vielfach die Rolle einer »Kaderschmiede« zugeschrieben wird, die »die Partei, Staat und Armee mit Führungsnachwuchs versorgt« haben sollte.76 Der Sektor der »staatlichen Organe« war in der ersten Rekrutierungsperiode mit 20 Prozent noch ein für die Funktion des 1. SED-Kreissekretärs nicht untypischer vorgeschalteter Bereich.77 Ab Anfang der 1960er-Jahre stellten jedoch Direktrekrutierungen etwa aus der Funktion des Vorsitzenden des Rates des Kreises, wie beim Torgauer 1. Kreissekretär Heinz Hensel, die Ausnahme dar. Die Karrierewege bis zur Berufung in das Amt des 1. Kreissekretärs hatten sich letztlich mit der zunehmenden Routinisierung und Schematisierung der Kadernomenklaturen und der Kaderentwicklungspläne auf die Laufbahn innerhalb der SED verengt. Dies führte letztlich zu einer Erosion beruflicher Eigenerfahrungen »in der Außenwelt des real existierenden Sozialismus«.78

4. Rekrutierungsperiode zwischen 1963 und 1971 Doch zurück zur Verteilung der politischen Generationen. Die letzte Rekrutierungsphase erstreckte sich auf den Zeitraum zwischen dem VI. und dem VIII. Parteitag der SED, also vom Ziel des »umfassenden Aufbaus des Sozialismus«79 1963 bis zum Führungswechsel an der Parteispitze von Walter Ulbricht zu Erich Honecker. In dieser Zeit der Reformen des NÖSPL im Bereich der Wirtschaft und dem damit einhergehenden Wandel des organisationsstrukturellen Gerüsts der Parteileitungen der SED setzten die Kaderplaner nahezu vollends darauf,80 den Führungsanspruch der Partei auf Kreisebene fast vollständig mit den nun in ausreichendem Maße vorhandenen Angehörigen der dritten und vierten politischen Generation umzusetzen. Diese hatten, neben den Erfahrungen als hauptamtliche Funktionseliten, den älteren politischen Generationen gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Sie hatten im Laufe ihrer Parteikarriere, die immer 75 76 77 78 79 80

Absolute Anzahl n=4 Personen in der Datenbank. Mählert/Stephan, Blaue Hemden, S. 7. Absolute Anzahl n=12 Personen in der Datenbank. Best, Parteiherrschaft, S. 231. Auszug aus dem Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, angenommen auf dem VI. Parteitag der SED am 18. Januar 1963. In: Herbst/Stephan/Winkler, SED, S. 666. Zur den organisationsstrukturellen Veränderungen in den Kreisleitungen im Zuge der Einführung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip vgl. Kapitel II. 5.2.

218

Generationelle Dynamik, Karriere und berufliche Mobilität

verbindlicher gewordenen Ausbildungsverpflichtungen in Form des Studiums der Gesellschaftswissenschaft mit abschließendem Diplom an der Parteihochschule des ZK der SED als reglementierte politische Qualifikation erworben. 60 Prozent der Angehörigen der von 1917 bis 1925 Geborenen und 82 Prozent der von 1926 bis 1932 Geborenen konnten eine entsprechende Qualifikation vorweisen.81 Zwar diente der Abschluss eines Studiums in Gesellschaftswissenschaft eher der »ideologischen Vergewisserung« der Kader und war vor allem auf die »Vermittlung von Herrschaftstechniken ausgerichtet«.82 Dennoch spielte die Bereitschaft, diese zum Standard gewordene Karrierequalifikation für die Laufbahn des 1. SED-Kreissekretärs zu absolvieren, eine distinktive Rolle unter den sich verändernden Anforderungen innerhalb der staatssozialistischen Partei. Als Rekrutierungsmerkmale spielten politische Erfahrungen aus der Zeit vor 1945 so gut wie keine laufbahnentscheidende Rolle mehr. Die Gewichtung der Qualitäten des politischen Kapitals hatte sich gewandelt und beschleunigte den Generationswechsel an den Spitzenpositionen der sächsischen Kreisleitungen in den 1960er-Jahren. Zusätzlich zur »politischen Qualifizierung« über die PHS wurde in den Entwicklungsplänen der 1. SED-Kreissekretäre verbindlich festgelegt, dass diese »auf fachlichem Gebiet über eine gute ökonomische Allgemeinbildung, die durch ein Direkt-, Abend-, Fern-, Teil- oder Zusatzstudium zu erreichen ist«, verfügen sollten.83 Die »politische und fachliche Qualifizierung« avancierte, gemeinsam mit der zur zentralen Anforderung an die Funktionseliten gewordenen Orientierung an der »wissenschaftlichen Führungstätigkeit«84, zum »gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsziel und wurde in die von der SED-Führung definierten weltanschaulichen Werte eingeordnet«.85 Während 49 Prozent der dritten politischen Generation sowohl über ein Diplom in Gesellschaftswissenschaften als auch in Ökonomie verfügten, hatten von den letzten in der Phase von 1963 bis 1971 im Amt verbliebenen Kadern, die der politischen Generation der von 1903 bis 1916 Geborenen angehörten, nur zwei die Parteihochschule in Kleinmachnow besucht und mit Diplom abgeschlossen. Dies war jedoch in der für die Kaderpolitik zuständigen »Abteilung Parteiorgane im ZK der SED« in den späten 1960er-Jahren kaum noch mehr als eine Randnotiz. Die beiden älteren politischen Generationen besetzten in der Zeitspanne zwischen 1963 und 1971 in den sächsischen Kreisleitungen nur noch mit acht Prozent die Parteiführungsposten auf Kreisebene.86 Fast vollständig leiteten 81 82 83 84 85 86

Absolute Anzahl n=75 bzw. n=44 Personen in der Datenbank. Best, Parteiherrschaft, S. 230. Analyse und Entwicklungsplan der Nomenklatur- und anderer verantwortlicher Kader der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 7.2.1966 (StAL, SED-BPA Leipzig, IV/A/2/11/404, Bl. 3). Ebd. Malycha, Geschichte der SED, S. 174. Absolute Anzahl n=8 Personen in der Datenbank.

Rekrutierungsperiode zwischen 1963 und 1971

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nun diejenigen »neuen« Funktionäre, die erst nach 1945 unter den politischen Verhältnissen in der SBZ/DDR zur kommunistischen Partei gestoßen und sich zu ihrer Ideologie bekannt hatten die sächsischen SED-Kreisleitungen. Mit Kurt Siegert, dem 1. Kreissekretär von Grimma, und Johannes Patz, dem 1. Kreissekretär von Zwickau-Land, verschwanden schließlich in den 1970er-Jahren die letzten beiden Funktionäre, die ihre politische Sozialisation noch in der KPD vor 1945 gemacht hatten, aus der Riege der politischen Führungseliten der sächsischen SED-Kreissekretariate.

VI. Zusammenfassung

Die sächsischen SED-Kreisleitungen und die 1. Kreissekretäre als ihre leitenden lokalen Eliten übernahmen in der Ulbricht-Ära eine entscheidende Rolle bei dem Versuch, den diktatorischen Herrschaftsanspruch der Parteiführung, der sich bis auf die untersten Ränge der Gesellschaft erstreckte, durchzusetzen. Diesen Instanzen und Akteuren des staatssozialistischen Herrschaftssystems oblag es, wie Heinrich Best es gewertet hat, in einem Balanceakt auf der unteren Ebene der Machtorganisation des Staatssozialismus in der SBZ/DDR die Mittlerfunktion zwischen Parteiführung, Apparat und beherrschten Massen zu übernehmen.1 Die aus Moskau zurückgekehrten Exilkommunisten um Walter Ulbricht und Anton Ackermann gelangten nach 1945 unmittelbar an die Macht. Durch das »Zusammenspiel«2 mit der sowjetischen Militäradministration in Sachsen verfügten sie über exklusiven Zugang zu den legislativen, exekutiven und judikativen Zwangsmitteln und machten, mit der Unterstützung der SMAD, unverzüglich ihren Einfluss auf die wichtigsten staatlich-institutionellen Instanzen geltend. Zur dauerhaften und langfristigen Machtsicherung und Transformation der östlichen Hälfte Deutschlands nach den Vorstellungen der Kommunisten bedurfte es nach deren Politikverständnis jedoch als wichtigstem Kriterium eines flächendeckenden, weit verzweigten und ausdifferenzierten Parteiapparates. Dessen Leistungsfähigkeit auf Kreisebene wiederum hing im hier untersuchten Zusammenhang wesentlich von zwei Faktoren ab: Zum einen der Konstituierung, der Konsolidierung sowie der Stabilisierung einer funktionierenden organisationsstrukturellen Binnenordnung in den Parteileitungsgremien der Kreise und zum anderen dem Vorhandensein einer breiten Schicht regionaler Führungseliten, die sich mit Loyalität und Folgebereitschaft dem Willen der Parteiführung unterzuordnen und deren politische Vorgaben bedingungslos weiterzuleiten und umzusetzen bereit waren. Der organisationsstrukturelle Formierungsprozess der SED-Kreisleitungen 1 2

Best, Parteiherrschaft, S. 213. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 531.

222

Zusammenfassung

konnte durch Autoritätsdurchsetzungs-, Repressions- und Sanktionsstrategien von der SED-Parteispitze gelenkt werden, obwohl in den einzelnen Entwicklungsphasen – besonders in der Zeit bis 1952 und nach 1961 – auch Grenzen des politisch Durchsetzbaren auftraten. Mit den Parteimodellen der KPdSU bzw. der KPD der Weimarer Republik standen zudem frühzeitig Strukturformen- und Instrumente der politischen Herrschaftsorganisation zur Verfügung, an deren Vorbild unmittelbar angeknüpft werden konnte. Im Gegensatz dazu musste die SED bei der Rekrutierung und Ausbildung von lokalen Spitzenfunktionären für die Leitungsebene der Kreisparteibürokratie mit gruppenspezifischen Voraussetzungen und Generationsschichtungen umgehen, die auf den ersten Blick heterogener kaum hätten sein können. Die kommunistischen Milieuzusammenhänge der Weimarer Republik waren nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und Krieg zerrissen und das Reservoir an bereitstehenden Kadern aus der linken Arbeiterbewegung äußerst überschaubar. Trotzdem gelang es der SED auf Kreisebene durch die Integration jüngeren Personals, das zum Teil erheblich durch die Sozialisation im Nationalsozialismus geprägt war, ihren großen Bedarf an Kadern zu decken und damit die Grundvoraussetzung für eine kontinuierliche Parteiherrschaft in der Ulbricht-Ära durchzusetzen und zu erhalten. Bezogen auf die SED-Kreisparteileitungen war diese Stabilität wesentlich der pragmatischen sozialen und generationellen Zusammenstellung der Funktionseliten durch die Personalabteilungen geschuldet. Bei aller äußeren Verschiedenheit der Erfahrungen der einzelnen politischen Generationen einten diese spezifische kollektive Dispositionen, die in soziokultureller Hinsicht auf Kontinuitätsstränge über die Brüche der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinweg verweisen. In den sächsischen SED-Kreisleitungen fand in zeitlich gestaffelter Folge ein immenser Eliteauf- und -umbau statt, der gewährleistete, dass »ein an Gehorsam gegenüber den Befehlen von Führern gewöhnter, durch Beteiligung an der Herrschaft und deren Vorteilen an ihrem Bestehen persönlich mitinteressierter Kreis von Personen sich dauernd zur Verfügung hält und sich in die Ausübung derjenigen Befehls- und Zwangsgewalten teilt, welche der Erhaltung der Herrschaft dienen«.3 Eine Verschränkung der institutionellen und personalen Strukturentwicklung bürokratischer Herrschaftsorganisation der SED unter Einbezug erfahrungsgeschichtlicher Grundlagen zu leisten, war das Ziel der Analysen dieser Studie über die sächsischen Kreisleitungen und deren 1. Sekretäre. Die Ergebnisse werden nach diesem kurzen einordnenden Überblick im Folgenden zusammengefasst. Dass die neue Einheitspartei von Beginn an »auf Zwang und Täuschung«4 fußte, wurde den Mitgliedern der SED-Kreisparteiorganisationen bereits im Jahr der Gründung deutlich vor Augen geführt. Der organisationspolitische Schwebezustand des Jahres 1946, in dem die Umsetzung vieler, im Vorfeld zwischen 3 4

Weber, Herrschaft, S. 10. Schmeitzner/Donth, Diktaturdurchsetzung, S. 534.

Zusammenfassung

223

Sozialdemokraten und Kommunisten ausgehandelter Kompromisse über den Aufbau der neuen Einheitspartei hinausgezögert wurden, war von den ehemaligen KPD-Mitgliedern als Verzögerungsstrategie angewendet worden, um Zeit zu gewinnen für den Umbau der SED nach Strukturvorstellungen leninistischer Leitungsprinzipien. Unter Aufrechterhaltung scheindemokratischer Legitimationsstrategien, wie etwa den Gemeinde- und Kreistagswahlen, baute die Parteiführung gezielt innerparteiliche Partizipationsinstanzen sozialdemokratischer Provenienz ab, beispielsweise die traditionelle Bezirksgliederung oder die Ortsparteileitungen. Sie implementierte mit den Arbeitsgebietsleitungen Steuerungselemente eines verdeckten demokratischen Zentralismus in das Organisationsgefüge der Kreisparteiorganisationen, die sich der Kontrolle der Mitglieder entzogen. Die Zustimmung zu diesem dualen Prozess von Zentralisierung politischer Entscheidungsfindung bei gleichzeitiger Regionalisierung und Homogenisierung der Grundeinheiten sicherte sich die SED-Spitze durch das Angebot des Bedeutungszuwachses für die Kreisparteileitungen und deren Führungspersonal in der Parteihierarchie. Mit der »Liquidierung« der Bezirke rückten die Kreisvorsitzenden unmittelbar in den sächsischen Landesvorstand der SED auf und den von ihnen geführten Kreisleitungen fiel das alleinige Kompetenzmonopol als übergreifende Parteiinstanz in den Regionen zu. Die Phase der Organisationsentwicklung von 1948 bis 1951 beendete die vergleichsweise moderate Übergangszeit der Jahre 1946 und 1947. Die nun anstehende offene Transformation der SED zur diktatorischen »Partei neuen Typs« brachte für die sächsischen Kreisleitungen einen Prozess der fundamentalen strukturellen Neuausrichtung mit sich. Hatten bereits zuvor Prinzipien wie Pluralismus, Partizipation und innerparteiliche Demokratie als normative Grundsätze in den Kreisparteiorganisationen der SED kaum noch eine handlungsleitende Rolle gespielt, wurde während des »Vollzugs der stalinistischen Wende«5 mit der Einrichtung der Kreisparteikontrollkommissionen und den Kreisparteiaktiven der Autonomieverlust der Mitgliedschaft demonstrativ manifestiert. Erstere fungierten als zum Teil investigative, in jedem Fall jedoch mit weitreichenden Sanktionsspielräumen ausgestattete Repressionsorgane zur sozialen Disziplinierung aller Parteimitglieder in den Kreisgebieten. Letztere konzipierte die SED als Instrumente zur unmittelbaren Politikdurchsetzung: Innerhalb der Kreisgebiete konnten über die Parteiaktivversammlungen die wichtigsten Funktionäre aus den Bereichen der staatlichen Verwaltung, der Wirtschaft, den Gewerkschaften und Massenorganisationen sowie allen weiteren öffentlichen und kulturellen Einrichtungen direkt von den 1. Kreisvorsitzenden der SED auf die vorgegebene politische Linie der Partei eingeschworen werden. Im Zuge der offiziellen Verkündung des »demokratischen Zentralismus« auf der 1. Parteikonferenz intensivierte die SED ab 1949 ihre Bemühungen, die 5

Hurwitz, Stalinisierung, S. 378.

224

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Binnenstrukturen der Kreisvorstände weiter umzubauen und das bolschewistische Parteimodell noch konsequenter zu adaptieren. An die Stelle der paritätischen Vorsitzenden traten der 1. und 2. Kreissekretär. Kreisvorstände wurden fortan als Kreisleitungen bezeichnet, die von den Sekretariaten geführt wurden. Allein diese terminologische Veränderung macht deutlich, dass die SED-Parteiführung gelingende Politik zunehmend als einen Prozess der bürokratischen Durchsetzung zentralistischer Vorgaben mittels der »Apparate« verstand. Als für die Herrschaftsdurchsetzung wichtigsten der dem Sekretariat fortan zuarbeitenden neu gebildeten Abteilungen der Kreisleitungen etablierten sich schnell die Organisations- und Instrukteurabteilungen. Sie koordinierten vor allem die herrschaftspolitische Praxis, vom Sekretariat aus die Parteiarbeit in den einzelnen Gebieten der Kreise direkt über den Einsatz von Instrukteuren zu steuern. Diese Instrukteure als Bindeglieder zwischen den Kreissekretariaten und den Leitungen der Grundeinheiten fungierten als »diktatorischer Außendienst« und hatten für die unmittelbare Umsetzung der politischen Vorgaben in sämtlichen Grundorganisationen aller relevanten Institutionen im Kreisgebiet Sorge zu tragen. Mit den Parteiwahlen Ende des Jahres 1949 und dem III. Parteitag der SED im Sommer 1950 wurden schließlich sämtliche organisationsstrukturellen Weichenstellungen zur Wandlung der SED-Kreisvorstände zu Kreisleitungen »neuen Typs« in dem verabschiedeten neuen Parteistatut festgeschrieben, das so gut wie nichts mehr gemein hatte mit den nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD ausgearbeiteten Grundsätzen politischer paritätischer Organisation. Die Kreis- und Verwaltungsreform des Jahres 1952 transformierte schließlich auch die staatliche Ebene der 1949 gegründeten DDR zum politischen Instrument der SED-Spitze. An die Stelle des föderalen Staatsaufbaues trat in offener Analogie zum Sowjetsystem der zentralistische Einheitsstaat. Dieser verfassungsmäßige Paradigmenwechsel fand in der Auflösung der Länder und der damit einhergehenden Gründung der drei Bezirke Chemnitz/Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig auf dem Gebiet des ehemaligen Landes Sachsen seinen gewichtigsten Ausdruck. Durch die neuen Mittelinstanzen versprach sich die Parteiführung, den staatlichen »Aufbau des Sozialismus« forcieren zu können. Organisationsstrukturell war dies auch für die eigenen Parteistrukturen der SED geplant, vorbereitet und dann im Zuge der Gesetzesverkündung zur »weiteren Demokratisierung« unmittelbar umgesetzt worden. Die Anzahl der Kreisverwaltungseinheiten und dementsprechend auch die Anzahl der SED-Kreisparteiorganisationen verdoppelte sich in Sachsen nahezu. Die Multiplikation der Einfluss- und Kontrollinstanzen der Partei im Territorium bei gleichzeitiger Verkürzung der Dienstwege zwischen Kreis und Bezirk erhöhte zwar potenziell die Chance totalitärer Vereinnahmung von Staat und Gesellschaft durch das immer engmaschiger gesponnene Netz der SED in den Regionen. In der Praxis wurde jedoch deutlich, dass mit der radikalen administrativen Umgestaltung zugleich auch die Komple-

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xität von Steuerungsleistungen auf Bezirks- und Kreisebene zunahm. Dies führte zu Unklarheiten, Abstimmungsproblemen und Kompetenzstreitigkeiten sowohl an den Schnittstellen des staatlich-administrativen und des parteipolitischen Feldes als auch innerhalb der sächsischen SED-Parteiorganisationen selbst und markierte damit die Grenzen zentralistisch induzierten Umbruchs und bürokratischer Parteiherrschaft. Trotz des Nachweises mangelnder Legitimation der Staats- und Parteiführung durch den Volksaufstand des 17. Juni 1953 gelang es der SED in der Phase der »krisenhaften Konsolidierung«, ihre Parteistrukturen in den Kreisen weiter zu festigen. Nach dem Abschluss der quantitativen Vervielfältigung der Kreiseinheiten 1952 richteten sich die Bemühungen der Organisationsstrategen auf die qualitative Optimierung der Binnenstrukturen in den Führungsgremien der SED-Kreisleitungen. Das auf dem IV. Parteitag verabschiedete neue Parteistatut des Jahres 1954 wirkte sich auf die SED-Kreisleitungen organisationsstrukturell im wesentlichen durch die Einrichtung von Stadt- und Kreisleitungsbüros aus. Diese Gremien ersetzten die bisherigen Sekretariate. Die Büros unterschieden sich von den Sekretariaten vor allem dadurch, dass sie durch die ständige Integration der entscheidenden Akteure der Kreise einen dauerhaften Verbund der Gewaltenkonzentration unter der Führung der 1. Kreissekretäre realisierten. Diese Monopolstellung politischer Entscheidungskompetenz und der damit einhergehende institutionalisierte Autonomieverlust der relevanten kommunalen Leitungsgremien von Wirtschaft, gesellschaftlichen Organisationen, Legislative, Exekutive und Judikative sicherte der SED weitgehende Handlungs- und Kontrollspielräume zur Durchsetzung ihrer Ziele. Die unmittelbare Politisierung und Ideologisierung sämtlicher kommunal-institutioneller Bereiche hatte mit dieser neuen Leitungsstruktur der SED einen weiteren Schub erhalten. Nach den Anfangsjahren der revolutionären Umgestaltung der SED mit den fortwährenden organisationsstrukturellen Anpassungen an die Steuerungsvorstellungen der Parteiführung waren die sächsischen SED-Kreisleitungen nun mit dem erreichten Stand der institutionellen Strukturentwicklung ihrem Ideal kommunistischer Parteidiktatur in den Kreisen recht nahe gekommen. Die fortan hohe Kontinuität der Organisationsstrukturen in den Kreisparteileitungen bis in das Jahr 1963 war dessen sichtbarster Ausdruck. Erst im Verlauf der bereits fortgeschrittenen 1960er-Jahre sahen sich die Kreisleitungen der SED wieder mit Vorgaben über tiefer greifende Umstellungen ihrer Führungsgremien konfrontiert. Modernisierung und Fachwissen waren Schlagworte, mit denen die Parteiführung um Walter Ulbricht versuchte, der mangelhaften Entwicklung der Volkswirtschaft ein Ende zu setzen. Der (Plan-)Wirtschaftssektor erhielt im Zuge dessen mit der Einführung des NÖSPL verstärkt administrative und ökonomische Eigenverantwortlichkeit. Um dennoch das Vorrecht der Partei gegenüber den kommunalen Wirtschaftsinstanzen nicht aufs Spiel zu setzen,

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wurden die Kreisleitungen der SED umfassend reformiert. Dem Primat der Kontrolle folgend, implementierte man mit den Büros für Industrie und Bauwesen bzw. Landwirtschaft sowie mit den Ideologischen Kommissionen Instanzen in den Kreisleitungen, die sich gemäß dem Diktum der »Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip« zu neuen Führungsinstanzen in den Kreisleitungen entwickeln sollten. Sie strukturierten sich nicht mehr vornehmlich nach territorial-räumlichen, sondern nach sektoral-sachlichen Kriterien verschiedener Ressorts. Die Büros sollten nichts weniger leisten als den Widerspruch zwischen ökonomischer Liberalisierung und diktatorischer Machtsicherung aufzuheben, oder, wie Meuschel es formulierte, die »Quadratur des Kreises« zu vollbringen. In die neun bis elf Mitglieder starken Gremien wurden externe Fachleute integriert, um vermehrt fachliche Professionalität und wirtschaftlichen Sachverstand in die parteipolitischen Entscheidungsprozesse für die Kreisgebiete einfließen lassen zu können. Mit der Auslagerung dieser Aufgaben in die neuen Büros und Kommissionen ging jedoch im Einzelnen nicht nur eine Aufgabenreduktion für die 1. Kreissekretäre einher, sondern auch ein schleichender Verlust der Möglichkeit unmittelbarer Einflussnahme auf eine Vielzahl von politisch relevanten Einzelentscheidungen. Dies führte dazu, dass der Umbau des Parteiapparates nach diesem Muster bei einem Großteil der leitenden Funktionäre höchst umstritten war. Die »Dezentralisierung der Macht«6 widersprach den über Jahre hinweg gewachsenen, streng hierarchisch auf die Amtsautorität der Führungspersonen hin ausgerichteten zentralistischen Eigenlogiken der politischen Führungsarbeit der Kreisleitungen und nicht zuletzt dem Selbst- und Politikverständnis der 1. Kreissekretäre. Als sich bereits ab Mitte der 1960er-Jahre abzuzeichnen begann, dass die planwirtschaftlichen Resultate der Reformanstrengungen eher gering ausfielen, mehrten sich im Politbüro und in den sächsischen Kreisleitungen die kritischen Stimmen sowohl zur ökonomischen Liberalisierung generell als auch zur erfolgten Umstrukturierung der Kreisleitungsgremien. Nicht zuletzt, nachdem es vielfach zu Profilüberschneidungen der Büros in den verschiedenen Fachbereichen und damit zu Dysfunktionalitäten in den Arbeitsabläufen auf Kreisebene gekommen war, gelang es der Gruppe der Modernisierungs- und Reformgegner im Politbüro schließlich, einen Prozess des sukzessiven Rückbaues des Parteireformprogrammes in Gang zu setzen. Dabei konnte sie auf den Rückhalt der leitenden Politfunktionäre in den restaurativ eingestellten regionalen Kreisparteileitungen zählen. Mit einer Politik der schrittweisen Rezentralisierung der Macht in den wieder eingesetzten Kreissekretariaten der SED brach die Führung dann das Reformexperiment stillschweigend ab und kehrte zu den Organisationsstrukturen der Kreisleitungen von vor 1963 zurück. Der Amtswechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker, der ein entschiedener Reformgegner gewesen war, ging in den sächsischen Kreisleitungen Anfang der 1970er-Jahre ohne 6

Kaiser, Machtwechsel, S. 43.

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größeren personellen und ohne jedweden strukturellen Wandel einher. In deutlichem Kontrast zur revolutionär-dynamischen Gründungsphase der SED folgte auf den Machtwechsel an der Parteispitze nach 1971 eine lange Phase organisationsstruktureller Stagnation. Die Analyse von Genese, Konsolidierung, Reform und letztlicher Dauerhaftigkeit institutionalisierter Herrschaftsmechanismen in der Binnenordnung der regionalen Staatspartei verweist neben den organisationstechnischen Strukturen zugleich auf das soziale Profil von deren Trägern. Die personale Herrschaft der SED in Sachsen basierte in der Ulbricht-Ära auf einem sozialdemografisch außerordentlich gleichförmigen Fundament. Die Analyse der väterlichen Berufe ergab, dass 77 Prozent der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre in Milieustrukturen der Arbeiterschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sowie der Zeit der Weimarer Republik aufwuchsen. Die »arbeiterliche« Homogenität dieser lokalen Machtelite überstieg damit um ein Vielfaches die der Gesamtmitgliedschaft der SED. Das »Adelsprädikat« Arbeiter als Chiffre sozialer Herkunft war für die spätere Besetzung des Postens an der Spitze der Kreisleitungen eine conditio sine qua non. Verdichtet wurde die Einbettung der späteren 1. SED-Kreissekretäre in diese gesellschaftliche Schichtung durch die starke politische Vorprägung, die das Aufwachsen in parteipolitisch aktiven Elternhäusern mit sich brachte. Politisches Sprechen und Handeln war für sie selbstverständlicher Teil der alltäglichen Lebenswelt. 38 Prozent der Eltern waren Mitglieder der SPD, 24 Prozent organisierten sich nach Gründung der KPD ab 1919 in der kommunistischen Partei. Mit drei Prozent spielten familiäre Vorprägungen durch Eltern, die Mitglieder der NSDAP waren kaum eine Rolle. Die primäre Sozialisation der sächsischen 1. SED-Kreissekretäre im sozialen Milieu der linken Arbeiterschaft war damit wesentlich stärker fundiert, als das bei anderen DDR-Leitungskadern aus Regierung und zentralen Staatsorganen der Fall gewesen ist. Neben der politischen Primärsozialisation über die Elternhäuser bildete die gleichförmige sozio-geografische Herkunft ein weiteres gemeinsames Signum in den Kollektivbiografien der 1. SED-Kreissekretäre. 78 Prozent der zwischen 1946 und 1971 amtierenden Spitzenkader waren gebürtige Sachsen. Mit zehn bzw. zwölf Prozent der hier untersuchten Gesamtgruppe spielten die aus den ehemaligen Ostgebieten und dem übrigen Deutschen Reich Stammenden eine untergeordnete Rolle. Die Kaderpolitiker der SED verfolgten mit dieser Berufungstaktik zwei sich gegenseitig stützende bzw. ergänzende Strategien: Zum einen konnte sich das Regime auf diese Weise regionales und zum Teil auch lokales Herrschaftswissen sichern. Gerade auf Kreisebene war die Kenntnis der Bedingungen »vor Ort« für eine gelingende Herrschaftspraxis von hohem Wert. Zum anderen spielte Regionalität auch eine Rolle für die Legitimation der Kreisparteirepräsentanten in den unteren Parteiorganisationen und nicht zuletzt auch in der lokalen Gesellschaft. Zeichnete sich die zentralistische Staats- und Parteiverfassung

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schon durch das vollständige Fehlen der Möglichkeit politischer Einflussnahme »von unten« aus, suchte die SED sich so wenigstens den regionalpolitisch-legitimatorischen Anstrich der Rückgebundenheit ihrer Leitungskader an die hiesigen Kreise zu geben. Die Befunde hinsichtlich der Schul- und Ausbildungsabschlüsse, die die 1. SED-Kreissekretäre während ihrer sekundären und beginnenden tertiären Sozialisationsphase erreichten, konvergieren ebenfalls stark. 95 Prozent absolvierten lediglich die allgemeinverbindliche Volksschule, ohne im unmittelbaren Anschluss ihre Schullaufbahn an einer weiterführenden Mittel- oder Oberschule bzw. einem Gymnasium fortzusetzen. Der Großteil ging nach den acht Pflichtschuljahren direkt in einen Ausbildungsbetrieb und erhielt einen qualifizierten Berufsabschluss. Während immerhin 17 Prozent nach dem Berufseinstieg über Nachqualifikationen an verschiedenen Fachschulen den beruflichen Bildungsstand erhöhten, erfuhren zwölf Prozent ohne jedwede Ausbildung, zumeist als einfache Hilfsarbeiter, diese Entwicklungsphase aus der Positionierung am untersten Rand der Gesellschaft heraus. Die Schul- und Ausbildungswege sowie die beruflichen Ausgangsqualifikationen entsprachen damit den in den Herkunftsfamilien festgestellten Mustern und zeigen die geringen Möglichkeiten intergenerationeller beruflicher Aufstiegsmobilität der Untersuchungsgruppe an. Die nach 1945 gesammelten Erfahrungen vertikalen Aufstieges im sächsischen Parteiapparat der SED waren dann nicht an formale Bildungsprozesse, sondern an die über den weiteren Lebensweg angesammelten spezifischen Ressourcen des politischen Kapitals rückgebunden. Diese Beobachtung gilt hingegen fast ausschließlich für Männer. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, waren für Frauen die Zugangsmöglichkeiten zu den Positionen an der Spitze der SED-Kreisleitungen verschlossen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1946 bis 1971 wurde lediglich ein Bruchteil von drei Prozent weiblicher 1. SED-Kreissekretärinnen auf diesen Posten berufen. Im Gegensatz zu den damals in der Öffentlichkeit verbreiteten Egalitätspostulaten der SED war parteiintern die Geschlechtszugehörigkeit das stärkste Merkmal sozialer Selektion und zugleich Ausdruck patriarchaler Borniertheit und männerbündlerischer Organisationskultur in den sächsischen Kreisparteileitungen der SED. Das Profil der Gruppe 1. SED-Kreissekretäre verliert jedoch beträchtlich an Homogenität, wenn es aus der generationsgeschichtlichen Perspektive heraus analysiert wird. Dann werden Grenzen der Konformität sozialer Fundierung und Brüche kollektiver Lebensverläufe erkennbar, aufgrund derer die Sozialisation der Funktionäre höchst unterschiedlich verliefen. Dies wiederum wirkte wesentlich auf die institutionelle Verfassung des regionalen Herrschaftsapparates der SED zurück. Die erste politische Generation der bis 1902 geborenen Jahrgänge 1. SED-Kreissekretäre war vollständig in eine der beiden Parteien des linken

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politischen Spektrums integriert. 69 Prozent der Gruppe verfügte über ein Parteibuch der KPD, 31 Prozent organisierten sich in der SPD. Von den KPD-Anhängern waren über die Hälfte aktive Gründungsmitglieder einer örtlichen Parteigruppe, in der deutlichen Minderheit waren die »Wechsler«, die sich erst im Laufe der 1920er-Jahre der KPD anschlossen. Der Großteil dieser ersten politischen Generation fügte sich in seiner politischen Prägungsphase im Alter von 18 bis 25 Jahren somit nicht in eine gewachsene politische Struktur ein, sondern baute die Basisstrukturen der kommunistischen Partei im lokalen Rahmen eigenständig auf. Diese Erfahrungen sollten für die doppelte Gründergeneration dann besonders nach 1945 von entscheidender Bedeutung für die Einstiegs- und Aufstiegschancen in der SED werden. Innerhalb der KPD-Mitgliedschaft erfüllten die späteren 1. Kreissekretäre der SED zugleich das Klischee der »Avantgarde der proletarischen Jugend«, ein Selbstbild, das sie bis ins hohe Alter hinein beibehalten sollten. Darüber hinaus wirkte sich das Erlebnis der »Apokalypse des Schützengrabens« prägend auf diese Gruppe aus. 64 Prozent nahmen am Ersten Weltkrieg teil und machten währenddessen die existenziellen Erfahrungen von Kampf und entgrenzter Gewalt. Die physische Artikulation politischer Interessen stellte dann für diese Männer nach der Rückkehr aus dem Krieg auch unter republikanisch-demokratischen Verhältnissen ein Mittel zur Umsetzung ihrer politischen Ziele im politischen Alltag, besonders in der Phase des revolutionären Beginnes und der frühen Jahre der Weimarer Republik dar. Beleg dafür waren die hohen Zahlen politisch motivierter Verhaftungen bis zum Jahr 1924. Die doppelte Gründergeneration eignete sich eine spezifische Charakteristik der Politikführung und -wahrnehmung an, die nach Situationsdeutungen und Erklärungsmustern in Form von »Freund-Feind«-Verhältnissen strukturiert war und deren Fortwirken Spuren in der politischen Kultur innerhalb des späteren SED-Parteiapparates auf Kreisebene hinterließ. Hohe Arbeitslosenzahlen, gekoppelt mit zum Teil erzwungener beruflicher Mobilität vor 1933 und eine Gesamtquote von 82 Prozent politischer Verfolgung mit zum Teil langfristiger Haft während des Nationalsozialismus waren weitere Kollektivphänomene dieser ersten hochpolitisierten Generation. Ein Achtel der Gruppe der kommunistischen Parteimitglieder erhielt zudem vor 1933 an Parteischulen in der Sowjetunion eine vertiefte Unterweisung in die vielfältigen Mechanismen ideologischer Indoktrination und politisch-sozialer Disziplinierung. Anders als die Angehörigen der ersten politischen Generation hatten die Jahrgänge von 1903 und 1916 keinerlei Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg gemacht. Umso mehr suchten sie offenbar in ihrer engeren Prägungsphase den militärischen Kampf durch den politisch organisierten Kampf auf der Straße zu substituieren. Der hohe Zulauf etwa zu der Kampfformation des Roten Frontkämpferbundes zeigt, dass die jungen Männer in der Auseinandersetzung mit den opponierenden Gruppen der lokalen Gesellschaften, vor allem aus dem

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rechten politischen Lager, versuchten, aktivistisches Prestige zu erlangen. Soldatische Haltungen, militarisierte Sprache und die klare Abgrenzung zum politischen Feind schufen dauerhafte Verhaltensdispositionen mit einem Hang zu Gruppenzugehörigkeit und bedingungslosem Gehorsam. Insgesamt 91 Prozent waren integriert in die Vorfeldorganisationen der sozialistischen oder kommunistischen Parteien bzw. der verschiedenen Jugendverbände der Arbeiterbewegung. Allein 46 Prozent dieser »organisierten Generation« traten in die örtlichen, von der Gründergeneration aufgebauten KJVD-Gruppen ein. Dort übernahmen sie frühzeitig die in den Vereinsräumen vorexerzierte Parteikultur der KPD, deren Leitsätze, Terminologie und normativen Habitus. Nach Erreichen der Volljährigkeit traten 55 Prozent in die KPD ein, 24 Prozent wurden Mitglied der SPD. Zwei Drittel der übrigen Generationsangehörigen nutzten die vielfältigen Angebote der ausdifferenzierten Vereins- und Verbandslandschaft der Weimarer Republik, ein gänzliches Fehlen von gesellschaftlicher Organisiertheit ließ sich nicht feststellen. Verfolgung und Widerstand nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten stellte für die zweite politische Generation ein identitätsstiftendes Kollektivmerkmal dar, mehr als zwei Drittel erlebten zwischen 1933 und 1945 wiederholten und zum Teil dauerhaften Freiheitsentzug. Die massenhaften Verhaftungswellen durch die Nationalsozialisten im lokalen Rahmen markierten für die Angehörigen der zweiten politischen Generation eine Zäsur in deren kollektiven Lebensläufen, die sie nach 1945 mit der Gründergeneration verband. Besonders die zwischen 1903 und 1916 Geborenen engagierten sich vielfach aktiv im politischen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Währenddessen eigneten sie sich Lebens- bzw. Überlebensstrategien an, die später zu einem hohen Maß an habituellem »Grundmisstrauen« gegenüber den Angehörigen nachfolgender politischer Generationen ohne vergleichbare Erfahrungen führte. Nach 1945 verschafften diese Kollektiverfahrungen den Angehörigen dieser sowie der ersten politischen Generationen in der SED das Ansehen »altkommunistischen« Kämpfer- und Heldentums. Über diesen Legitimitätsaspekt hinaus, stellten die Prägungen und Verhaltensweisen der durchgängig im sozialistischen bzw. kommunistischen Milieu sozialisierten Männer für den Parteiapparat der sächsischen SED dann bis weit in die 1950er-Jahre hinein eine außerordentlich begehrte Ressource dar. Dieses inkorporierte politische Kapital sorgte bei den genannten Jahrgängen für kurze Aufstiegswege in der auf Hierarchie, Autorität und Gehorsam fußenden Staatspartei. Die Jahrgangskohorten der von 1917 bis 1925 geborenen dritten politischen Generation späterer 1. SED-Kreissekretäre erlebten durch die Machtergreifung und Etablierung des Nationalsozialismus gerade während ihrer engeren politischen Prägungsphase die Desintegration ihrer vertrauten Herkunftsmilieus aus Kinder- und Jugendzeiten. Die kollektiven Biografien dieses Generationenzusammenhanges kennzeichnete die Sozialisationserfahrung der sukzessiven und

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zumeist selbst gewählten aktiven Integration in die Gesellschaftsordnung und die organisationskulturelle Lebenswelt des NS-Systems im späten Jugend- und jungen Erwachsenenalter. Diese gespaltenen Biografien wiesen im Vergleich die häufigsten sozialisatorischen Zäsuren auf: Der Erosion der angestammten politischen und sozialen Milieustrukturen folgte die Phase der Eingliederung in die Vergesellschaftungsinstanzen der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« und mit der Kriegsniederlage brach nach 1945 unter den neuen Machtverhältnissen in der SBZ/DDR für sie wieder eine Periode der Anpassung an neue gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und Realitäten an. Die hohe jugendpolitische Organisationsquote dieser Jahrgangskohorten im Nationalsozialismus von 70 Prozent relativierte sich noch dadurch, dass der Dienst in der HJ ab 1936 für alle Jugendlichen der Kohorte obligatorisch wurde. Ein Viertel wechselte jedoch bereits schon kurz nach 1933 – und dies trotz vorheriger Mitgliedschaft in einer der linken Jugendvereinigungen der Weimarer Zeit – aus freien Stücken in eine der verschiedenen NS-Massenorganisationen. Die dort erfahrenen Werte und Rituale der Unterordnung in geführten Sozialformationen, Gehorsam, Disziplinierung und Entindividualisierung hatten prägende und dauerhafte Auswirkungen auf den generationellen Stil dieser Jahrgänge. Der Wehrmachtseinsatz im Zweiten Weltkrieg geriet für diese Jahrgänge zu einer Selbstverständlichkeit und wurde nach vorheriger Ideologisierung und Militarisierung im Jungvolk, in der Hitlerjugend und beim Reichsarbeitsdienst vielfach mit Begeisterung erwartet. Das Jahr 1945 bedeutete das demoralisierende kollektivbiografische Schlüsselerlebnis, dem sich für 68 Prozent der Gruppe zum Teil mehrjährige alliierte Kriegsgefangenschaft anschloss. In sowjetischer Gefangenschaft bot sich dieser Generation währenddessen die Möglichkeit, sich über die »Reideologisierungsprogramme« der Antifa-Aktivs eine Brücke über die Zeit der persönlichen Einbettung in das NS-System hinweg zurück zu ihren sozialisatorischen Vorprägungen im linksproletarischen Milieu zu schlagen. Die häufig in den Kaderunterlagen zusammengetragenen Lebensläufe mit ihren politischen Selbstrechtfertigungs- und Konversionserzählungen legen beredtes Zeugnis davon ab, dass gerade die Angehörigen dieser dritten politischen Generation mit den spezifischen Erfahrungen sozialisatorischer Diskontinuität die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit besaßen, sich als Kollektivsubjekte neu zu erfinden und nach 1945 rasch die Normen und Verkehrsformen der SED zu verinnerlichen. Drei Viertel der Gruppe traten nach der Rückkehr in die sächsische Heimat dementsprechend innerhalb eines Jahres in die sozialistische Staatspartei ein und erhielten im Rahmen der ideologischen Schnellkurse an den Kreis- und Bezirksparteischulen ihre kommunistisch-parteipolitische Grundausbildung. Immerhin gut die Hälfte der vierten und letzten untersuchten politischen Generation der von 1926 bis 1932 Geborenen nahm trotz des jugendlichen Alters noch an den Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges teil. Während vor allem

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die Älteren dieses Generationszusammenhangs noch die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen des NS-Regimes bewusst durchliefen und dort ideologisch indoktriniert, habituell militarisiert und in dem hermetischen Weltbild des Nationalsozialismus verstrickt waren, begann diese Form der Sozialisation bei den Jüngsten gerade erst. Der Zeitpunkt des Kriegsendes fiel für sie in etwa mit dem Beginn der politischen Prägungsphase zusammen. Allen gemeinsam war jedoch die generationsbildende Erfahrung, nach 1945 eine tiefe Orientierungskrise zu durchleben. Eine Perspektive bestand jedoch darin, dass die neuen Machthaber der SED die Angehörigen der vierten politischen Generation vorwiegend als vom Nationalsozialismus »Verführte« betrachteten. Es wurde ihnen die Chance geboten, sich im Fall konsequenter Unterordnung und Anpassung in die neu entstehenden politischen Strukturen der SBZ/DDR im Allgemeinen und der SED im Besonderen zu integrieren und darin aufzusteigen. Ob es ihnen gelang, mit ihrer politischen Vorvergangenheit zu brechen und sich unter den Bedingungen des sich etablierenden Sozialismus zu bewähren, blieb freilich, neben ihrem zum Teil übersteigerten poltischen Engagement, von den Beurteilung der älteren Funktionäre mit zumeist aktiver antifaschistischer Vergangenheit abhängig. Besonders das Motiv der bereitwilligen Teilnahme an den Aufräum- und Aufbauarbeiten nach dem Krieg wurde von den Generationszugehörigen in ihren politischen Lebensläufen vielfach angeführt, um ihren Umgang mit dem kollektiven »Orientierungsvakuum« zu beschreiben. Neben den Integrationsinstanzen der lokalen FDJ-Gruppen wirkten zudem die politisch durchdrungenen Betriebe unmittelbar integrativ und identitätsstiftend auf diese Jahrgänge. 43 Prozent der Mitglieder hatten ihr sozialistisches Initiationsereignis in der »Organisationsgesellschaft« der SBZ/DDR unmittelbar am Arbeitsort, wo ihnen über die Betriebsgewerkschaften oder die Betriebsparteiorganisationen der SED die Möglichkeit geboten wurde, sich aktiv in die neue Ordnung einzufügen. Nicht zuletzt die kurze Zeitspanne zwischen der Einbettung dieser Jahrgangskohorten in die Lebenswelt der NS-Diktatur und der Integration in das Parteisystem der SED zeugt davon, dass das Bild tiefgreifender Diskontinuität zwischen National- und Staatssozialismus auf der sozialisatorischen Erfahrungsebene der nachfolgenden Funktionseliten relativiert werden muss. Die zu 82 Prozent noch vor der Gründung der DDR im Jahr 1949 in die Staatspartei eingetretenen Angehörigen der vierten politischen Generation 1. SED-Kreissekretäre profitierten davon, dass innerhalb der Organisationskultur der SED unerwartet viele Verhaltensmuster und Sozialtechniken, die auf Unterordnung, Konformität und bedingungslosem Gehorsam basierten, ihnen Anschluss an die vor 1945 gemachten Erfahrungen boten und damit eine relativ reibungsarme »Konversion zur Arbeiterklasse« ermöglichten. Die Leitungspositionen in den SED-Kreisleitungen blieben über die erste Phase der Parteientwicklung bis zum Beginn des »planmäßigen Aufbaus des Sozialismus« ab dem Jahr 1952 denjenigen politischen Generationen vorbehalten, deren

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politische Sozialisation in der sozialistischen und kommunistischen Bewegung der Weimarer Republik stattgefunden hatte. Diese altgedienten Parteiarbeiter profitierten von dem unmittelbaren Bedarf der SED an verlässlichen politischen Funktionären, deren Identifikation mit dem gesamtstaatlichen sowie parteiinternen Aufbau- und Transformationsprozess der Nachkriegszeit außer Frage stand. 89 Prozent der 1. Kreissekretäre in dieser Rekrutierungsperiode gehörten einer der beiden ersten politischen Generationen an. Charakteristisch für die Gründungsphase und deren prozesshafte Institutionalisierung war zugleich die hohe Personalfluktuation. Hatte die Berufung zum Kreisvorsitzenden bzw. 1. Kreissekretär für den Großteil der Angehörigen dieser Jahrgänge bereits einen beruflichen Aufstieg bedeutet, gelangten 55 Prozent nach kurzer Amtszeit entweder in noch höhere Funktionen im Partei- oder Staatsapparat oder wurden an die Spitze einer anderen sächsischen SED-Kreisleitung versetzt. Die Austauschraten in den ersten sechs Jahren nach dem Krieg ergaben einen durchschnittlichen Wert der Amtsdauer auf dem Posten des 1. Kreissekretärs von lediglich rund zwei Jahren. Diese sprunghaften Besetzungspraktiken, die eine kontinuierliche Leitungspraxis in den jeweiligen Kreisleitungen behinderten, sind ein Beleg für die unzureichende Koordinierung der Kaderpolitik in der sächsischen Landesleitung der SED und verdeutlichen, dass der Druck der SED zur Integration nachfolgender politischer Generationen in die leitende Parteiarbeit der Kreisleitungen wuchs. Dies galt umso mehr, als im Zuge der Kreis- und Verwaltungsreform 1952/53, die das Scharnier zwischen der Gründungs- und Stalinisierungsphase und der beginnenden Periode der parteistrukturellen Konsolidierung in den 1950er-Jahren darstellte, der Kaderbedarf noch einmal stark anstieg. Die Ausdifferenzierung der Kreiseinheiten vervielfachte die Anzahl der zu besetzenden Posten und zwang die Kaderabteilungen zur Flexibilisierung ihrer personellen Berufungskriterien. Vor diesem Hintergrund markierten die Jahre zwischen 1952 und 1954 prozentual den Höhepunkt der Neubesetzungen während der gesamten Ulbricht-Ära: Knapp 24 Prozent aller Besetzungen zwischen 1946 und 1971 entfielen auf diesen Zeitraum. Die Kreisdelegiertenkonferenzen des Jahres 1958, die die »krisenhafte Konsolidierung« der 1950er-Jahre abschlossen, verdeutlichten, dass sich das Übergewicht der altgedienten Kader auf den Posten der 1. Kreissekretäre zu verringern begann. Mit einem Anteil von mittlerweile 33 Prozent war die dritte politische Generation zwar noch deutlich in der Minderheit, der Prozess der sukzessiven Einbindung dieser jüngeren Kader hatte jedoch die generationelle Konfiguration der sächsischen Kreisleitungen bereits deutlich verändert. In der Folge standen die Zeichen endgültig auf Erneuerung. Was von Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED als moralisch-normative Richtschnur unter der Parole des »neuen sozialistischen Menschen« für alle Staatsbürger der DDR formuliert worden war, fand gewissermaßen seinen kaderpolitischen Widerhall auf der Ebene der SED-Kreisleitungen. Im Verlauf der Rekrutierungs-

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periode von 1958 bis einschließlich 1963 kehrte sich das generationelle Verhältnis von alten und jungen leitenden Funktionseliten im Parteiapparat um. Die Systematisierung der politisch-ideologischen Ausbildung und das etablierte Kadernomenklatursystem hatten die SED in die Lage versetzt, den Bedarf an qualifiziertem Leitungspersonal für die Kreisleitungen in ausreichendem Maße mit jüngeren Funktionären abdecken zu können. Zu mehr als zwei Dritteln standen nach den Parteiwahlen 1963 nun Angehörige der dritten und vierten politischen Generation den sächsischen SED-Kreisleitungen vor. Sie hatten im Verlauf ihrer Parteikarriere nach Gründung der DDR in hinreichendem Maße ihre Linientreue unter Beweis gestellt. Durch ihre Konformitäts- und Anpassungsstrategien erwarben sie das Vertrauen der Abteilung für Kaderfragen beim ZK der SED und traten immer selbstbewusster – zum Teil auch konfliktreich – aus dem Schatten der Altfunktionäre heraus. Die Karrieren und die berufliche Mobilität der 1. Kreissekretäre verengten sich in den drei skizzierten Rekrutierungsperioden zunehmend auf »reine Parteilaufbahnen«. Während Direktrekrutierungen von Angehörigen der ersten beiden politischen Generationen auf die Position des 1. Kreissekretärs bis in das Jahr 1952 noch immerhin zu 39 Prozent aus dem staatlichen Sektor, der Wirtschaft oder zu einem geringen Teil auch aus den Massenorganisationen vorgenommen wurden, verringerte sich dieser Wert sukzessive auf unter zehn Prozent in der Periode zwischen 1958 und 1963. Obwohl im Zuge des NÖSPL Direktrekrutierungen von Parteifunktionären aus dem Wirtschaftssektor wieder geringfügig zunahmen, hatte sich mit der Verstetigung und Schematisierung der zentralistisch durchgeführten Kaderentwicklungsprogramme der SED die reine »Apparatslaufbahn« als typischer Karriereverlauf bis zum Erreichen der Position des 1. SED-Kreissekretärs herausgebildet. Berufliche Erfahrungen und Qualifizierungen jenseits der Partei erodierten damit zunehmend. Ausgeglichen werden sollte dieses auch von der SED-Spitze zunehmend als Defizit wahrgenommene Phänomen durch zusätzliche Ausbildungsverpflichtungen etwa in Form des Gesellschaftswissenschaftlichen Studiums oder der fachlichen Qualifizierung in Politischer Ökonomie. Mehr als zwei Drittel der Angehörigen der dritten und vierten politischen Generation verfügten über Diplome in den entsprechenden Fächern. Da jedoch auch diese Form der »Professionalisierung« der Funktionäre größtenteils über die Parteihochschule des ZK der SED lief, änderte sich an der Hermetik binnenparteilicher Erfahrungen der 1. SED-Kreissekretäre und der damit verbundenen fehlenden Einsicht in die Außenwelt realsozialistischer Berufsrealitäten jenseits der Partei kaum etwas. Indes, die 1. Kreissekretäre der ersten beiden politischen Generationen hatten an diesen Kaderkarriereprogrammen so gut wie nicht mehr teilgenommen, was personalpolitisch jedoch kaum noch von Belang war. In der Rekrutierungsperiode von 1963 bis 1971 belief sich ihr Anteil an der Spitze der sächsischen

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Kreisleitungen auf nur noch acht Prozent. Fast ausschließlich leiteten mittlerweile die seit 1946 in der SED herangebildeten »neuen« Funktionäre der dritten und vierten politischen Generation die parteipolitischen Machtzentren der Kreise. Der von der Parteispitze gelenkte Generationenwandel war damit abgeschlossen. Ein weiterer sollte, ersten Stichproben zufolge, in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht mehr folgen, viele der 1. Kreissekretäre verblieben bis weit in die 1980er-Jahre hinein auf ihren Posten. Analog zum permanenten Wandel der Organisationsstrukturen sächsischer SED-Kreisleitungen bis in die 1960er-Jahre sorgte auch der Umbau der generationsspezifischen Konfiguration der 1. Kreissekretäre bis in die letzte Phase der Ulbricht-Ära für eine außerordentliche Stabilität der SED-Parteiherrschaft in den Regionen. Ob das Ausbleiben der Impulse für diese andauernden institutionellen und personellen Anpassungsprozesse und der Strukturkonservatismus, der sich bereits in der Rücknahme der Reformen des NÖSPL vorangedeutet hatte, nach dem Amtsantritt Erich Honeckers schließlich auch auf der unteren Ebene der Herrschaftsorganisation der Kreise eine Rolle für das generelle Ende der SED-Parteiherrschaft 1989 spielen sollte, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.

VII. Anhang

1. Übersichten a) Strukturplan der Kreisleitung Altenburg 19581 Grundorganisationen: 344 Sekretäre: 4 MTS-Sekretäre: 2 Vorsitzender der KPKK: 1 Operativinstrukteure: 12 MTS-Instrukteure: 9

Mitglieder und Kandidaten: 12 979

Org.-Abteilung:

Abteilung Agit./Prop. und Kultur:

Abteilungsleiter: 1 Instrukteur für Information: 1 Instrukteur für Kasse: 1 Instrukteur für Frauenausschuss: 1 Instrukteur für Mitgliedsbücher: 1 Instrukteur für Statistik: 1 Instrukteur für Kader: 1 Instrukteur für Kaderregistratur: 1

Abteilungsleiter: 1 Instrukteur für Parteilehrjahr: 1 Instrukteur für Agitation: 1 Instrukteur für Kultur/Volksbildung Parteikabinett: 1 Lektoren: 2

Mitarbeiter der Sekretäre:

Politische Mitarbeiter:

Staatliche Organe: 1 Sicherheit: 1 Landwirtschaft: 1 Wirtschaft: 3 Dorfzeitungsredaktion: 2 KPKK: 1

Insgesamt: 53 Bisher: 69

1

Hier sind nur die hauptamtlichen, von der Partei besoldeten Mitglieder der SED-Kreisleitung aufgeführt. In der Auflistung fehlen demnach die Büromitglieder, die hauptamtlich beim »Staatsapparat«, in der Wirtschaft oder anderen Massenorganisationen im Kreisgebiet angestellt waren. Infolge der Durchführung des Beschlusses des Sekretariats des ZK vom 29.11.1957 zur »Vereinfachung der Struktur der Apparate der Kreisleitungen« hatten die SED-Kreisleitungen den Bezirksleitungen Strukturplanvorschläge einzureichen. Hier das Beispiel des Strukturvorschlags der SED-Kreisleitung Altenburg an die Abteilung Org./Kader der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 27.1.1958 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/2/4/374, Bl. 19 f.).

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Anhang

Technische Mitarbeiter: Kasse: 1 Sekretärinnen des Büros: 2 Schreibbüro: 2 Einheit Mitgliedsbuch: 2 Sekretärin Org.-Abteilung: 1 Insgesamt: 18 ½

Kraftfahrer: 2 Kader/Kaderregistratur: 1 KPKK: 1 Kabinett: 1 Telefonzentrale: 2 Bisher: 22

Reinigungsfrauen: 2½ Hausmeister: 1

b) Kaderspiegel des Büros der KL Altenburg, 19602 Mitglieder: Werner Heinicke (1. Sekretär) Kurt Gaube (2. Sekretär) Hans Hoppe (Sekretär für Propaganda) Werner Vogel (Sekretär für Wirtschaft) Helmut Kettner (Sekretär für Landwirtschaft) Walter Borchert (Vorsitzender der Kreisparteikontrollkommission) Harry Franz (Vorsitzender des Rates des Kreises) Alfred Brook (Leiter der Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit) Ernst Meuschke (Vorsitzender der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Kosma) Edith Reinboth (Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Gerstenberg) Joachim Kühling (Werkleiter Braunkohlekraftwerk Rositz) Ella Schmidt (Vorsitzende des FDBG-Kreisvorstandes)

Kandidaten: Heinz Petersohn (1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung) Manfred Voigt (Vorsitzender der Kreisplankommission)

c) Strukturplan des Sekretariats der SED-Kreisleitung Klingenthal 19633 1. Sekretär: Willy Ernst (bisher 1. Sekretär) Sekretär und Leiter des Büros für Industrie/Bauwesen: Kurt Köhler (bisher Sekretär für Wirtschaftspolitik) Sekretär und Leiter des Büros für Landwirtschaft: Kurt Dietzsch (bisher Sekretär für Landwirtschaft) Sekretär und Leiter der Ideologischen Kommission: Helmut Herbst (bisher Sekretär für Prop./Agit) 2 3

Vertrauliche Verschlusssache, Tgb.-Nr. 21, SED-Bezirksleitung Leipzig, Kaderspiegel des Büros der KL Altenburg vom 20.6.1960 (StAL, SED-BPA Leipzig IV/2/4/374, Bl. 132 r+v). Vorlage der Abteilung Parteiorgane beim ZK der SED an das Sekretariat des ZK der SED über die Bestätigung der Zusammensetzung der Sekretariate einiger Kreisleitungen im Bezirk KarlMarx-Stadt vom 14.3.1963 (SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3A/938, Bl. 62).

Unveröffentlichte Quellen

239

2. Unveröffentlichte Quellen Archiv der sozialen Demokratie (AdSD) NL Arno Henning, Band 3

Staatsarchiv Chemnitz (StACH) Bestand Sammlung Kaderunterlagen IV/4/16/v/309; IV/4/16/v/684 Bestand Sammlung Erinnerungsberichte V/5/064 Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt VdN-Akte Nr. 2945

Staatsarchiv Leipzig (StAL) Bestand Sammlung Kaderunterlagen Nr. 133; Nr. 136; Nr. 191; Nr. 193 Nr. 186; Nr. 274; Nr. 995; Nr. 696; Nr. 746; Nr. 942 Bestand SED-Westsachsen IV BV/02; IV BV/04; IV BV/16 Bestand SED-Bezirksleitung Leipzig IV/1/1; IV/1/10; IV/5/1/326; IV/2/3/22; IV/2/3/235; IV/2/3/322; IV/A/2/3/169; IV/A/2/11/403; IV/2/11/580; IV/2/4/347; IV/2/4/374; IV/2/12/593; IV/2/12/594; IV/2/3/235; IV/2/9/2/539; IV/A/2/11/404 Bestand SED-Kreisleitung Altenburg Nr. 008; Nr. 94 Bestand SED-Kreisleitung Borna IV/4/02/07; IV/4/02/01; IV/4/02/120 Bestand SED-Kreisleitung Delitzsch IV/4/04/50; IV/4/4/93; IV/4/4/97 Bestand SED-Kreisleitung Döbeln IV/4/2/01; IV/4/5/01; IV/4/5/10 Bestand SED-Kreisleitung Grimma IV/4/8/01; IV/4/8/42; IV/4/8/43 Bestand SED-Kreisleitung Oschatz IV/4/10/17 Bestand SED-Kreisleitung Torgau IV/4/12/09 Bestand SED-Stadtleitung Leipzig IV/5/1/01; IV/5/1/02; IV/5/1/03; IV/5/1/23; IV/5/1/24; IV/5/1/26; IV/5/1/260; IV/5/1/261; IV/5/1/326 Bestand SED-Stadtbezirksleitung Leipzig Südost IV/A/5/6/1 Bestand SED-Stadtbezirksleitung Leipzig West IV/A/5/8/1 Bestand SED-Grundorganisation Rat des Kreises Grimma IV/7/78/2

240

Anhang

Bestand SED-Kreisleitung Karl-Marx-Universität Leipzig IV/4/14/11 Bestand SED-Grundorganisation Rat des Kreises Grimma IV/7/78/2 Bestand Bezirkstag und Rat des Bezirkes Nr. 1443 Bestand Otto Heckert (einzelne Akteneinheit, ohne eigene Signatur) Bestand VEB IFA Kraftfahrzeugbau »Ernst Grube« Werdau Einleitung Findbuch, 2003

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStAD) Bestand Erinnerungen, Nachlässe, SED-Kaderakten V/2.5.001; V/2.5.002; IV/4/06/v/492;IV/2/v/388; IV/2/v/390; IV/4/4/v/586; IV/2/V/390; IV/2/v/602; V/2.041/002 Bestand SED-Landesleitung Sachsen A/546; A/760; A/775; A/798; A/813; A/1126; A/1404 Bestand Bezirkstag / Rat des Bezirks Dresden, VdN-Akten (BT/RdB, VdN) Nr. 1720

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) Bestand Konferenzen und Beratungen der SED DY 30/IV 2/1.01/26; DY 30/IV 2/1.01/72; DY 30/IV 2/1.01/76; DY 30/IV 2/1.01/115; DY 30/ IV 2/1.01/185; DY 30/IV 2/1.01/245 Bestand Protokolle des Zentralsekretariats der SED DY 30/IV 2/2.1/98; DY 30/IV 2/2/5 Bestand SED (Sachsen) DY 30/IV 2/5/29 Bestand Tagungen des ZK der SED DY 30/IV 2/1/15; DY 30/IV 2/1/46; DY 30/IV 2/1/51; DY 30/IV 2/1/51; DY 30/IV 2/1/52; DY 30/IV 2/1/60; DY 30/IV 2/1/67; DY 30/IV 2/1/68; DY 30/IV 2/1/81; DY 30/IV 2/1/89 Bestand Protokolle des Politbüros des Zentralkomitees der SED DY 30/IV 2/2/187; DY 30/IV 2/2/223; DY 30/J IV 2/2/869; DY 30/J IV 2/2/970; DY 30 /J IV 2/3/271; DY 30/J IV 2/2A/345 Bestand Protokolle des Sekretariats des ZK der SED DY 30/J IV 2/3/60; DY 30/J IV 2/3/294; DY 30/J IV 2/3A/260; DY 30/J IV 2/3A/277; DY 30/J IV 2/3A/397; DY 30/J IV 2/3A/401; DY 30/J IV 2/3A/589; DY 30/J IV 2/3A/612; DY 30/J IV 2/3A/938; DY 30/J IV 2/3A/942; DY 30/J IV 2/3A/2810 Bestand Zentrale Parteikommission der SED DY 30/IV 2/4/43 Bestand Abteilung Parteiorgane im ZK der SED DY 30/27860; DY 30/J IV 2/3A/403; DY 30/J IV 2/3A/617 Bestand Abteilung für Kaderfragen im ZK der SED DY 30/IV/2/11/70; DY 30/IV 2/11/53; DY 30/2/11/v/5299; DY 30/2/11/v/5483

Unveröffentlichte Quellen

241

Stadtarchiv Leipzig Bestand Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt StVuR, Nr. 1502 und StVuR Nr. 1501

Privatbesitz: Privatarchiv R.H., Nachlass Arno Hering Erinnerungsbericht Arno Hering Diplomarbeit Peter Bönhardt: Der Weg des Kommunisten Arno Hering zum Spanienkämpfer, Diplomarbeit Dresden 1980

2.1 Merkmalübersicht erhobener Daten der Datenbank Name, Vorname, Geburts- und wenn vorhanden Sterbedatum, Geburtsort Familienverhältnisse Soziale Herkunft anhand des Berufs des Vaters sowie der Mutter und deren politische Orientierung anhand der Mitgliedschaft in Parteien oder Gewerkschaften Antrittsjahr und Dauer der Ausführung der Funktion des 1. Kreissekretärs sowie Kreis- und Bezirksangabe Schul- und Ausbildungsart anhand der höchsten Abschlüsse Ausgeübter Beruf vor Einstellung im hauptamtlichen Parteiapparat (Partei-)politische Entwicklung vor Kriegsende 1945, Mitgliedschaften in Vereinen, Gewerkschaften oder weiteren Verbänden Zugehörigkeit zu Gruppen, die später in der DDR als parteifeindlich galten (SAP, KPO, Unionisten, Anarcho-Syndikalisten, NSDAP, HJ, DJ, BDM, JM)4 Berufliche Entwicklung der Sekretäre vor und nach der Ausführung der Funktion des Ersten Kreissekretärs Angaben zur Parteischul- bzw. Parteihochschulausbildung Parteistrafen, wenn möglich mit Begründungs- und Sanktionsstufenangabe und Jahr sowie Angabe über eventuelle Löschung Kriegsdienst und Gefangenschaft Politisch begründete Haft mit Jahresangaben

4

Basierend auf der Liste parteifeindlicher Gruppen bei der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten vom 10.5.1951 (SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/43, Bl. 92).

242

Anhang

3. Gedruckte Quellen und Erinnerungen Badstübner, Rolf/Loth, Wilfried (Hg.): Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, Berlin 1994. Jann, Horst: Chronik der SED-Bezirksparteiorganisation Leipzig von 1952–1976. In: StAL, SED-BPA Leipzig, Sammlung Darstellung und Dokumente, Nr. 1220, Index 748. Kleines Politisches Wörterbuch. Hg. vom Dietz-Verlag, Neuauflage 1988, 8. Auflage Berlin 1989. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralsekretariats und des Parteivorstandes, Band 1, Berlin 1951. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band III, Berlin 1952. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band V, Berlin 1956. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band IX, Berlin 1965. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band XI, Berlin 1975. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik. Hg. vom Büro des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1949–1990. Gniffke, Erich W.: Der SED Funktionär, Berlin (Ost) 1947. Grotewohl, Otto: Für einen starken Staat der Werktätigen unserer Republik. In: Einheit. Theoretische Zeitschrift des wissenschaftlichen Sozialismus, Band 2 (1952), S. 773–782. Gründel, Günther E.: Die Sendung der Jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise, München 1923. Innovationen – Nur gegen den Plan. M. Rainer Lepsius im Gespräch mit Prof. Dr. Claus Krömke, Berlin, 18.10.1993. In: Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen. Hg. von Theo Pirker, M. Rainer Lepsius, Rainer Weinert, und Hans-Hermann Hertle, Opladen 1995, S. 33–66. Klemperer, Victor: So sitze ich zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1945–1949. Hg. von Walter Nowojski, Band 1, 3. Auflage Berlin 1999. Krusch, Hans-Joachim/Malycha, Andreas (Hg.): Einheitsdrang oder Einheitszwang? Die Sechziger-Konferenzen von KPD und SPD 1945 und 1946, Berlin 1990. Lautenschlag, Kurt: Die Entwicklung des Parteiaufbaus und der Organisationsstruktur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom VI. bis VII. Parteitag (1963 bis 1967), Berlin (Ost) 1979. Lehrplan für Kreisschulen der SED 1947. Hg. vom Zentralsekretariat der SED, Abteilung Werbung und Schulung, Berlin (Ost) 1947. Lenin, Wladimir I.: Werke, Band 7, Berlin (Ost) 1984. Luxemburg, Rosa: Was will der Spartakusbund? In: Die Rote Fahne, 14. Dezember 1918 (http:// www.marxists.org/deutsh/archiv/luxemburg/1918/12/waswill.htm; 18.4.2014). Modrow, Hans: Das Große Haus. Insider berichten aus dem ZK der SED, Berlin 1994.

Gedruckte Quellen

243

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Anhang

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256

Anhang

–: Kaderpolitik auf dem Prüfstand. Die Bezirke und ihre Sekretäre 1952–1989. In: Hübner, Peter (Hg.): Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Köln 1999, S. 107–129. Wenzke, Rüdiger: Ulbrichts Soldaten. Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971, Berlin 2013. Werner, Oliver: Ein Jongleur der Macht. Paul Fröhlich und »sein« Bezirk Leipzig in der DDR Wirtschaftspolitik 1956 bis 1961. In: Deutschland Archiv, 39 (2006) 1, S. 68–77. –: »Die Demokratisierung« des Verwaltungsapparates der DDR als Beispiel administrativer Mobilisierung (1949–1961). In: Werner, Oliver (Hg.): Mobilisierung im Nationalsozialismus. Institutionen und Regionen in der Kriegswirtschaft und der Verwaltung des »Dritten Reiches« 1936 bis 1945, Paderborn 2013, S. 303–324. Wettig, Gerhard: Die Note vom 10. März 1952 im Kontext von Stalins Deutschland-Politik seit dem 2. Weltkrieg. In: Zarusky, Jürgen (Hg.): Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen, München 2002, S. 139–196. –: (Hg.): Der Tjul’panov-Bericht: Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2012. Widera, Thomas, Dresden 1945–1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft, Göttingen 2004. Wierling, Dorothee: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie, Berlin 2002. Winkler, Heinrich August: Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, 2. Auflage Berlin 1988. Wirsching, Andreas: Die Weimarer Republik in ihrer inneren Entwicklung: Politik und Gesellschaft, München 2000. Zymek, Bernd: Schulen. In: Langewiesche, Dieter/Tenorth, Heinz-Elmar (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band V: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, München 1989, S. 155–208.

257

Abkürzungsverzeichnis

5. Abkürzungsverzeichnis ABI ADAV AGFA Antifa ATSB ATuSB BArch BPKK BPO DAF DDR DFD DJ DKP DSF DWK FDGB FDJ FSJ GDA GDR GESTAPO HJ IFA IG KB KJ KJI KJVD Kominform KPD KPdSU KPKK KPO KZ LPG MAS MfS MTS NF NÖSPL NSRL NSV

Arbeiter-und Bauern-Inspektion Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein Actien-Gesellschaft für Annilin-Fabrication Antifaschistische Bewegung Arbeiter-Turn- und Sportbund Arbeiter-Turn- und Sportbund Bundesarchiv Bezirksparteikontrollkommission Betriebsparteiorganisation Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsches Jungvolk Deutsche Kommunistische Partei Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Deutsche Wirtschaftskommission Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Sozialistische Jugend Gewerkschaftsbund für Angestellte German Democratic Republic Geheime Staatspolizei Hitlerjugend Industrieverband Fahrzeugbau Industriegewerkschaft Kulturbund der DDR Kommunistische Jugend Kommunistische Jugendinternationale Kommunistischer Jugendverband Deutschland Kommunistische Informationsbüros Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kreisparteikontrollkommission Kommunistische Parteiopposition Konzentrationslager Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Maschinen-Ausleih-Stationen Ministerium für Staatssicherheit Maschinen-Traktoren-Stationen Nationale Front Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen National-sozialistische Volkswohlfahrt

258 Org. ÖSS Pg PHS RAD RFB RGB RGO SächsHStAD SAG SAJ SAPMO SBL SBZ SED SED-BPA SKK SMA SMAS SPD SPJ StACH StAL StVuR Uffz. USPD VdgB VdN VPKA VVB ZK ZKSK

Anhang

Organisation Ökonomisches System des Sozialismus Parteigenosse Parteihochschule Reichsarbeitsdienst Roter Frontkämpferbund Reichsgesetzblatt Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Sowjetische Aktiengesellschaft Sozialistische Arbeiter-Jugend Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Stadtbezirksleitung Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED-Bezirksparteiarchiv Sowjetische Kontroll-Kommission Sowjetische Militäradministration Sowjetische Militäradministration in Sachsen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Proletarierjugend Staatsarchiv Chemnitz Staatsarchiv Leipzig Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Leipzig Unteroffizier Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Verfolgte[r] des Naziregimes Volkspolizei-Kreisamt Vereinigung Volkseigener Betriebe Zentralkomitee Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle

259

Personenverzeichnis

6. Personenverzeichnis

Ackermann, Anton 63, 221 Adolphs, Karl 93, 214 f. Apel, Erich 118 Axen, Hermann 91 f. Axmann, Artur 191 Bauer, Karl 119 Bäuml, Luise 95, 366 Bayer, Johann (Hans) 161 f. Bebel, August 143 Beier, Fritz 173 Beling, Walter 37 Benda, Kurt 100 Bennewitz, Gert 192 Best, Heinrich 221 Bohn, Johannes (Hans)* 205 Borchert, Walter 238 Borikow, Oberst 202 Bretthorst, Heinrich 22 f., 34, 65, 133 Brosselt, Max 55 Brook, Alfred 138 Buchheim, Fritz 92 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 118 Curtian, Otto 27 Dahls, Herbert 54 Dahlem, Franz 28, 47, 51, 53 Dau, Willy 136, 184 f. Dietzsch, Kurt 238 Donth, Stefan 14 Eichhorn, Emil* 158 Ellrodt, Gerhard 43 Elsner, Manfred 207 Engels, Friedrich 65, 143 Enzmann, Rudolf* 160 Ernst, Willy 238 Exner, Karl 176

Fedgenheuer, Alfred 206 Feindt, Hans 214 ff. Fischer, Reinhard* 99 Fogt, Helmut 152 Frank, Bruno 131, 176 Franz, Harry 238 Freitag, Werner 190, 194 Friedemann, Karl 169 Fröhlich, Paul 95 f., 215 Füchsel, Richard 34, 36 Gaube, Kurt 238 Gebhardt, Alfred* 120 Girndt, Helmut 176 Glaser, Erich 200 Gniffke, Erich W. 123, 142 f., 206, 211 f. Große, Fritz 32 Grotewohl, Otto 21, 62, 66 f., 77, 193, 214 Halbritter, Walter 118 Heckert, Otto 165 ff., 240 Heidler, Max 134, 147 Heine, Max 55 Heinicke, Werner 238 Heinze, Friedrich Eberts Rudolf* 162 Heinze, Paul 212 Henning, Arno 54, 239 Hensel, Heinz 217 Herbst, Andreas 14 Herbst, Helmut 238 Hering, Arno 167, 169, 181, 199 ff., 241 Herrnstadt, Rudolf* 99 Hierl, Konstantin 183 Hitler, Adolf 155, 202 Hoffmann, Alfred 150 Hoffmann, Hans-Joachim 115 f. Hofmann, Bruno 208 Honecker, Erich 118, 120 f., 204, 217, 226 Hoppe, Hans 238 Horstmann, Alex 163 f. Hübner, Karl 178 ff.

260 Imm, Gerhard 114 Jahn, Rudolf (Rudi) 93 Janietz, Alfred 197 Karner, Stefan 187 Kettner, Helmut 238 Köhler, Kurt 238 König, Josef 26, 29 König, Willy 71, 134 Kops, Erich 30 Kosky, Rolf 138 Kränkel, Kurt 55 Kretschmar, Kurt* 205 Krömke, Claus 118 Kühling, Joachim 238 Kurt, Fritz* 187 Labudko, Major 202 Laskow, Major* 55 Lassalle, Ferdinand 173 Lau, Bruno 162 f. Lenin, Wladimir I. 65, 143 Leppi, Richard* 39 Ley, Robert 182 Liberman, Jewsei, G. 108 Liebknecht, Karl 181 Lohagen, Ernst 27, 33, 59, 146 Luxemburg, Rosa 161, 181 Makaruschin, A. Alexandrowitsch 95 Mallmann, Klaus-Michael 129, 160 f., 169 f. Mannheim, Karl 150 Markert, Martin 193 Marx, Karl 65, 143 Matern, Hermann 200 ff. Mestrup, Heinz 14 Meuschke, Ernst 238 Mittag, Günter 118 Morawe, Wilhelm 140 Müller, Alfred 135 Müller, Max 93 Müller, Paul* 205

Anhang

Nebe, Wolfgang* 117 Neumann, Alfred 118 Niemann, Mario 14 Nitsche, Hans 188 Ollenhauer, Erich 163 Patz, Johannes 219 Petersohn, Heinz 238 Pieck, Wilhelm 21, 46 f., 83 f., 193 Plenikowski, Anton * 83, 90 Plotnikow, Oberstleutnant 202 Poppe, Dipl. Ing. 140 Radzei, Fritz 202 Rehnicke, Felix 157 f. Reimann, Max 200 Reinboth, Edith 238 Richter, Erich 59, 133 Richter, Erich 59 Richter, Günther* 113 Rießner, Hans 92 Rölz, Max 35 Sahling, Hans 173 Schäfer, Johannes (Hannes) 138 Scheller, Fritz Ernst 186 Schelsky, Helmut 190 Schenk, Helene 147 Schimmer, Rudolf 196 Schirach, Baldur von 155, 179 Schirdewan, Karl 92, 95 f., 101, 215 Schmeitzner, Mike 14 Schmidt, Ella 238 Schmutzler, Gerhard 194 Schneider, Albin 128 Schön, Otto 68 f., 71−74, 96, 134 f., 146, Schreiber, Walter* 69 Semenov, Vladimir* 29 Shdanow, Andrej 45 Siegert, Kurt 139, 219 Sindermann, Horst 169 Smirnow, Generalmajor* 55 Stalin, Josif V. 45, 65, 77, 202

Personenverzeichnis

Stoph, Willi 118 Strömsdörfer, Karl* 99 Stupel, Hans* 120 Thieme, Oskar 49 Tito, Josip Broz 45 Tjul’panow, Sergej 46 f. Trabalski, Stanislaw 32 f. Tschammer und Osten, Hans von 179 Uhlich, Erich* 205 Ulbricht, Walter 12, 21, 32 f., 51 f., 76−79, 83 f., 98, 105, 107, 110, 118, 120 f., 144 f., 178, 203 f., 212, 217, 221, 225 f., 233 Verner, Paul 69 Vogel, Dieter 191 f. Vogel, Werner 238 Vogelsang, Johannes (Hans) 55, 207 Voigt, Manfred 238 Wabra, Ernst 23 Weber, Max 11 Wechsmann, Carl 150 Welsh, Helga 13 Wetzel, Hans 100, 111, 116 f. Wilhelm I. von Preußen 150 Winkler, Heinrich-August 141, 163 Wirth, Günther* 125 Zaisser, Wilhelm* 99 Zeigner, Erich 162 Zetkin, Clara 215

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