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German Pages [164] Year 1967
Rolf Walker Die Heilsgeschichte im ersten Evangelium
ROLF
WALKER
Die Heilsgeschichte im ersten Evangelium
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1967
Forschungen zur Religion u n d Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ernst Käsemann und Ernst W ü r t h w e i n 91. H e f t der ganzen Reihe
Umschlag: Christel S t e i g e m a n n . — © V a n d e n h o e c k & R u p r e c h t , G ö t t i n g e n 1967 — P r i n t e d in G e r m a n y . O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es n i c h t gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder a k u s t o m e c h a n i s c h e m W e g e zu vervielfältigen. G e s a m t h e r s t e l l u n g : H u b e r t & Co., G ö t t i n g e n 8702
MEINER MUTTER
INHALT I. Problemstellung II. Israel im Matthäusevangelium A. Die Repräsentanten Israels 1. 2. 3. 4. 5.
Die Pharisäer und Sadduzäer Die Schrift-gelehrten und Pharisäer Die Oberpriester u n d Ältesten des Volks Ihre Synagogen Dieses Geschlecht
9 11 11 11 17 29 33 35
B. Israel als Einheit des Bösen 1. Die Markus-Stoffe 2. Die Q-Materialien 3. Das Sondergut
38 38 48 59
III. Die Heiden im Matthäusevangelium
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1. Die Markus-Stoffe 2. Die Q-Materialien 3. Das Sondergut
IV. Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
75 87 97
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1. Die heilsgeschichtliche Konzeption a) Das Zeitverständnis des Evangelisten b) Die F u n k t i o n der Redekompositionen c) Israel u n d die Heiden
114 114 118 120
2. Die F u n k t i o n der Judaismen innerhalb der heilsgeschichtlichen Darstellung a) Die Partikularismen 10,5f; 15,24 b) Sondergut zum T h e m a „Israel" c) Die Messianität Jesu α) Hoheitstitel ß) Reflexionszitate d) Gesetzliches e) Einzelzüge
127 128 128 128 128 132 134 142
3. Zur „ F o r m " des Matthäusevangeliums a) Polemisch-apologetische Kampfschrift? b) Kerygmatisches Geschichtswerk
145 145 145
V. Literaturverzeichnis
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I. P R O B L E M S T E L L U N G Im ersten Band seiner Erläuterungen zum Neuen Testament bemerkt Adolf Schlatter zu Mt. 22,4—6: „Jesus stellt dar, mit welcher Geduld er Israel zur Gnade Gottes lud . . . Jedenfalls soll Israel empfinden, wie dringlich und lange ihm Gottes Gnade angeboten worden ist. Aber es blieb s t u m p f . . . Darum verwandelt sich nun f ü r die Geladenen die Berufung zum Fest in ihr Gegenteil." 1 Zu 22,7 f ü h r t Schlatter aus: „Damit ist das Geschick Israels beschrieben, dem die Anbietung der höchsten Gnade den Untergang bringt." 2 Er fährt fort: „Nun sorgt der König f ü r andere Gäste. 22,8—10 . . . Jesus blickt auf die Berufung der Heiden. Der Fall Israels wird das Heil der Heiden. An sie geht nun das einladende Wort; sie sollen die Genossen des Christus bei seinem Feste werden." 3 Spinnt man den Faden der Schlatterschen Auslegung hypothetisch weiter und achtet auf strenge heilsgeschichtliche Periodisierung, so ergeben sich folgende Thesen: 1. Israel schlägt das wiederholte Angebot der Gnade Gottes aus, Israel als ganzes, nicht bloß einzelne Israeliten. 2. Diese Ablehnung des Angebots besiegelt Israels heilsgeschichtliches Geschick (22,7). 3. Nun kommt es zur Berufung der Heiden. So ergibt sich das heilsgeschichtliche Nacheinander „Erst Israel, dann die Heiden". 4. Ist Israel aus der göttlichen Berufungsgeschichte ausgeschieden und nehmen die Heiden seinen Platz ein, so bedeutet das hinsichtlich der kerygmatischen Ausrichtung des Matthäus-Evangeliums: die Heilsbotschaft hat nur noch die Heiden als Adressaten. Israel als Adressat des Evangeliums gehört der Vergangenheit an. 5. Ist das Matthäus-Evangelium im Blick auf die universale Heidenberufung geschrieben, so entbehrt es — vom heilsgeschichtlichen Gesamtentwurf her — der direkten polemischen oder apologetischen Botschaft an Israel. Die ganze Darstellung der Auseinandersetzung Jesu mit Israel steht unter heilsgeschichtlichem Aspekt; sie ist (kerygmatische) Geschichtsschreibung, nicht Spiegel aktueller Kontroversen der Kirche mit Israel. 1 2
Das Evangelium nach Matthäus, Neuaufl. 1961, 325. 3 A.a.O. 325f. A.a.O. 326.
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Problemstellung
Das sind befremdliche Thesen; doch sie sind nicht allzu befremdlich, wenn man sich einen charakteristischen Schematismus des MatthäusEvangeliums vor Augen hält: seine Tendenz, Israel als geschlossene Einheit darzustellen, als massa perditionis, die für den Messias Jesus nur das Kreuz übrig hat und deren Gerichtsverfallenheit von daher offenkundig ist. Dieses matthäische Theologumenon nötigt zu der Frage, ob der Evangelist damit nicht ein gutes Stück der heilsgeschichtlichen Entwicklung, wie er sie sieht, darlegt und motiviert: Israel wird durch seinen König berufen, verwirft das Angebot mit aller Macht, weshalb es aus der Berufung zur Himmelsherrschaft ausscheidet. Dazu kommt die Beobachtung, daß gerade der Matthäus-Evangelist es ist, der die Heiden unübersehbar ins Blickfeld rückt. Wo die Vertreter Israels z.B. die Auferstehung leugnen, sendet der Auferstandene dafür — man beachte den Kontrast! — die Jünger zu allen Heiden (Kap. 28). Sprechen Kapitel 24 und 25 mit Absicht nur noch von den Heiden als dem Gegenüber der berufenden Jünger und des kommenden Gerichts, nachdem Kapitel 23 das innergeschichtliche forensische Ende der Berufungsgeschichte Israels angesagt hat? Steht die Basileia-Berufung der Heiden bei Matthäus auf dem dunklen Hintergrund des heilsgeschichtlichen Untergangs Israels ? Ist die heilsgeschichtliche Stunde seiner Kirche dadurch gekennzeichnet, daß die Heiden — vor dem in die Zukunft gerückten Ende — anstelle Israels in den Horizont der Basileia-Berufung getreten sind und treten werden ? In dieselbe Gnade und unerhörte Beanspruchung wie vordem Israel ? — Auf diese Fragen soll die vorliegende Untersuchung Antwort zu geben versuchen.
II. I S R A E L I M
MATTHÄUSEVANGELIUM
A. Die Repräsentanten Israels 1. Die Pharisäer und Sadduzäer „Israel" erscheint im Matthäus-Evangelium als handelndes Gegenüber Jesu vornehmlich in Gestalt seiner Repräsentanten. Bald betreten die „Schriftgelehrten" oder die „Pharisäer" den Ort der Handlung, bald die „Pharisäer und Sadduzäer" oder „Schriftgelehrten und Pharisäer". Das auffallendste Phänomen f ü r den historisch geschulten Betrachter sind zweifellos die „Pharisäer und Sadduzäer". Diese Begriffsverbindung, die geschichtlich höchst Disparates u n d Gegensätzliches zu einer Einheit zusammenfaßt 4 , begegnet — als Bildung des Evangelisten — nur im Matthäus-Evangelium. Bei Markus und Lukas treten die Sadduzäer je nur einmal auf; in der Perikope der Sadduzäerfrage erscheinen sie als Auferstehungsleugner (Mk. 12,18; Lk.20,27). Mk. 12,18 wurde von Matthäus in veränderter Gestalt übernommen (22,23). I m Anschluß an die Sadduzäer-Perikope f ü h r t der Evangelist bei der Einleitung zur Frage nach dem größten Gebot (22,34) den Sadduzäer-Begriff aus dem vorausgehenden Stück 22,23—33 ein, um die beiden Perikopen — im Unterschied zu Markus — eng miteinander zu verbinden. Sonst spricht er an f ü n f Stellen stereotyp von den „Pharisäern und Sadduzäern" (3,7; 16,1.6.11 5 .12). Mit Recht stellt Reinhart Hummel fest: „An diesen Stellen ist interessant, daß sie . . . alle eindeutig auf den Evangelisten zurückgehen. Die häufige Erwähnung der Sadduzäer hat ihren Grund also nicht in der Tradition."® Es ist aufschlußreich, wie der Evangelist die von ihm geschaffenen „Pharisäer und Sadduzäer" charakterisiert. Wo bei Lukas das aus Q stammende Stück 3,7b—9 ( = Mt. 3,7b—10) nach der lukanischen Rahmenbemerkung von 3,7 a gegen die Mengen gerichtet ist, die hin4
Vgl. zum Geschichtlichen: Julius Wellhausen, Die Pharisäer und die Sadducäer, 2. Aufl. 1924; Paul Billerbeck (H. L. Strack — P. Billerbeck, Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch, I—V, 2. Aufl. 1956) II 494ff.; IV, 1 334 ff.; Joachim Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, 3. Aufl. 1962, 252ff. und 279fT.; E. L. Dietrich in RGG, 3. Aufl., V 326ff. und 1277f.; Rudolf Meyer, Art. Σαδδουκαΐος, ThW VII 35ff. 5 In starker Abweichung von Mk. 8,15 (Sauerteig der Pharisäer und Sauerteig des Herodes). 6 Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, BevTh 33, 1963, 18; 2. durchges. und vermehrte Aufl. 1966.
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Israel im Matthäusevangelium
ausgingen, um sich von Johannes taufen zu lassen, sind bei Matthäus „viele der Pharisäer und Sadduzäer" (3,7a) die Adressaten des Drohworts; sie gelten ihm als die vom Täufer gegeißelte „Schlangenbrut" (3,7). Sie stehen f ü r Israel, vertreten die typisch israelitische Heilsprärogative : wir haben Abraham zum Vater (3,9) 7 . I n Mk. 8,11 treten die Pharisäer als „Versucher" Jesu auf; Mt. 16,1 sind es die „Pharisäer und Sadduzäer", die Jesus versuchen. Der Evangelist gestaltet den aus Markus übernommenen Stoff kräftig um, versieht ihn mit einer scharfen Spitze, indem er 16,4 die Wendung von dem bösen und ehebrecherischen Geschlecht einfügt (gegen Mk. 8,12; vgl. aber Mk. 8,38), und vereinheitlicht die Szene: statt der Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes Mk. 8,15 erscheint inkonsequenter Fortführung von 16,1 die Warnung vor dem Sauerteig der „Pharisäer und Sadduzäer" (16,6), die der Evangelist in 16,11 wiederholt (fehlt bei Markus). Schließlich deutet er den fraglichen Sauerteig in einem von ihm selbst beigebrachten Vers auf die Lehre der „Pharisäer und Sadduzäer" (16,12). Somit hat man sich die „Pharisäer und Sadduzäer" im matthäischen Sinne als die verderbliche Lehrerschaft Israels vorzustellen. Sie repräsentieren das „böse und ehebrecherische Geschlecht" (16,4), das durch ihren Mund zu Wort kommt. Mit alledem heben sich freilich die „Pharisäer und Sadduzäer" um keine Nuance von der matthäischen Charakterisierung der „Schriftgelehrten und Pharisäer" oder der Schriftgelehrten und Pharisäer je als „Einzelerscheinungen" ab. Denn „Schlangenbrut", um mit dem kräftigsten Epitheton zu beginnen, heißen bei Matthäus in 12,34 auch die Pharisäer (von 12,24) oder in 23,33 die „Schriftgelehrten und Pharisäer" (von 23,29). Der Evangelist nimmt in 12,34 das in Q vorgefundene „Otterngezücht" (vgl. Lk. 3,7) in seinen Text auf; 23,33 ist ein redaktionelles (abgewandeltes) Duplikat von 3,7. Ähnlich ist die „Versuchung" Jesu in 19,3 ( = Mk.10,2) und 22,35 Sache der Pharisäer, wobei in 22,35 das Motiv der Versuchung wie die ganze Einleitung zur Frage nach dem größten Gebot 22,34f. (gegen Mk. 12,28) von der Hand des Redaktors stammt. Als Repräsentanten des „bösen und ehebrecherischen Geschlechts" wiederum begegnen in 12,38 „etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer". Hier hat Matthäus seinen „Pharisäer und Sadduzäer"-Text von 16,1.2.4 mit gewissen Veränderungen in der Einleitung (12,38/16,1) unter einer neuen Personal-Überschrift kurzerhand wiederholt (12,39 = 16,2a.4). Schließlich ist die Lehrerfunktion der Schriftgelehrten, der Pharisäer oder „Schriftgelehrten und Pharisäer" durch das ganze Evangelium hin mit Händen zu greifen. Dieser Sachverhalt der sachlichen Identität: daß sich die „Pharisäer und ' Vgl. Billerbeck I 116f.
Die Pharisäer und Sadduzäer
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Sadduzäer" bei Matthäus in keiner Weise von den anderen genannten Repräsentanten Israels unterscheiden und derselben negativen und stereotypen Charakterisierung unterliegen, erlaubt das vorläufige Urteil: Die „Pharisäer und Sadduzäer" sind im Matthäus-Evangelium keine besondere, individuell qualifizierte Gruppe, sondern lediglich Spielart der einen Führerschaft Israels. Nach Ausweis seiner bewußten redaktionellen Arbeit bilden die Repräsentanten für Matthäus eine homogene Einheit. Das wird eindrucksvoll bestätigt durch 22,23.34. Handelt es sich Mk.12,18 um eine besondere Gruppe und ihr Spezifikum, um „Sadduzäer, die (bekanntlich) behaupten, es gäbe keine Auferstehung" (vgl. Lk.20,27), so treten inMt.22,23 die Sadduzäer mit einer in die Situation gesprochenen Leugnung der Auferstehung auf: An jenem Tage traten Sadduzäer zu ihm mit der Behauptung, es gäbe keine Auferstehung . . . Durch λέγοντες μή είναι άνάστασιν formuliert hier der Verfasser des Evangeliums im voraus den Inhalt der folgenden vorgebrachten Geschichte ; eben mit ihr sagen die Sadduzäer, es gäbe keine Auferstehung. Daß sie damit nicht die Meinung einer sadduzäischen Sondergruppe im Munde führen, sondern f ü r das Volk sprechen, deutet der gegenüber Mk. 12,27 stark veränderte Schluß der Perikope an: und als die Mengen es hörten, gerieten sie außer sich über seine Lehre (22,33). Man wird aus dieser Bemerkung folgern dürfen, daß Jesus im Sinne des Evangelisten kein speziell sadduzäisches Theologumenon ad absurdum geführt hat, sondern eine Meinung, die das Volk mit seinem Entsetzen über Jesu Lehre indirekt als die seine erkennt und bestätigt; auch in 7,28 stehen die Mengen mit ihrem Entsetzen Jesus gegenüber, der anders lehrt als „ihre Schriftgelehrten" 8 . Interessant ist der Fortgang der Handlung in 22,34ff., wo es um die „Solidarität" der Repräsentanten Israels geht: Als aber die Pharisäer hörten, er habe den Sadduzäern den Mund gestopft, kamen sie eben da zusammen, und einer von ihnen, ein Gesetzeskundiger, fragte und versuchte ihn . . . (ganz anders Mk.12,28). Von „Schadenfreude" der Pharisäer über die Niederlage der Sadduzäer ist dem Text nichts zu entnehmen 9 . Das hat Hummel genau beobachtet, der richtig vermerkt: „Es steht vielmehr da, daß die Schlappe der Sadduzäer die Pharisäer auf den Plan rief." 1 0 In der Tat hat man den Eindruck, die Pharisäer müßten auf den gestopften Mund der Sadduzäer hin zum „Gegenschlag" ausholen. —- Die Lehrer Israels, seien es Sadduzäer oder Pharisäer, stehen f ü r Matthäus in einer Front 8 Hummel spricht a.a.O. 19 von einer zufällig vertretenen Ansicht. Die Leugnung der Auferstehung ist für Matthäus jedoch sadduzäische = „israelitische" Lehre. 9 Gegen R. Meyer, ThW VII 52: ,,. . . die Sadduzäer . . . an deren Niederlage sich die Pharisäer freuen." 10 A.a.O. 19.
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Israel im Matthäusevangelium
u n d kämpfen gemeinsam einen Kampf gegen Jesus. Der Evangelist kennt auch dort, wo er getrennt von Sadduzäern und Pharisäern spricht (22,23.34), der Sache nach nicht die beiden „historischen Indi vidualitäten" der Pharisäer und Sadduzäer, sondern nur die feindselige, aus 3,7; 16,1.6.11.12 bekannte Gesamtheit der „Pharisäer u n d Sadduzäer". Von daher wird G. D. Kilpatricks These fragwürdig, nach der Matthäus zwischen pharisäischen u n d nichtpharisäischen J u d e n unterscheidet und „Sadduzäer" als Sammelbegriff f ü r alle nichtchristlichen u n d nichtpharisäischen J u d e n zu gelten hat 1 1 . Man wird sich fragen müssen, ob es bei Matthäus überhaupt Sadduzäer neben den Pharisäern gibt. „Nominell" sind sie gewiß vorhanden (22,23.34), doch schwerlich „virtuell". Wo sie neben den Pharisäern auftreten, geschieht es doch innerhalb der sachlichen Einheit von „Pharisäern und Sadduzäern". Auch Hummel kann die Rolle der von ihm in unerlaubter Weise isoliert betrachteten „Sadduzäer" nur mühsam in Einklang bringen mit der beherrschenden Rolle der Pharisäer, die er bei Matthäus feststellt (mit welchem Recht, wird sich zeigen müssen) und aus der er folgert, im Matthäus-Evangelium spiegle sich die Auseinandersetzung der „Kirche" mit dem einheitlich pharisäisch geleiteten J u d e n t u m der J a h r e nach 70 12 . U m seine These über die Wacken u n d Klötze der f ü r sein „zeitgeschichtlich-pharisäisches" Verständnis so unpassenden „Pharisäer u n d Sadduzäer"-Stellen glücklich hinwegzubringen, trägt Hummel verschiedene Argumente vor: 1. Matthäus bringe, anders als im Falle der Pharisäer, den Sadduzäern kein selbständiges Interesse entgegen. Sie seien ihm nur im Zusammenhang mit den Pharisäern wichtig 1 3 . 2. I m Zusammenhang mit 22,23 müsse 16,12 doch wohl so verstanden werden, daß Matthäus die Lehrunterschiede zwischen Pharisäern und Sadduzäern f ü r unwesentlich halte. F ü r ihn gäbe es nur die eine Lehre der Pharisäer u n d Sadduzäer 1 4 . 3. Die Zusammenstellung der Pharisäer mit ihren sadduzäischen Gegenspielern geschehe aus Gründen der Polemik. Wenn m a n bedenke, daß im rabbinischen J u d e n t u m „Sadduzäer" zur Bezeichnung f ü r Häretiker wurde (Frage: wann?), so verstehe man, daß die Formel „Pharisäer und Sadduzäer" das Urteil über die Pharisäer einschließe: ihr seid auch nicht besser 1 5 ! 11
The Origins of the Gospel according to St. Matthew, 1946, 120. Vgl. Β. C. Butlers Einwände gegen Kilpatrick in: The historical setting of St. Matthew's Gospel, The Downside Review 66 (1948), 127—138, besonders 131. 12 A.a.O. 17; 20. Zum Thema „Pharisäer" vgl. a.a.O. 12ff. 13 14 A.a.O. 18f. A.a.O. 19. 15 A.a.O. 19f.
Die P h a r i s ä e r u n d S a d d u z ä e r
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4. Der Gegensatz zwischen Kirche und J u d e n t u m sei bei Matthäus so groß geworden, daß die Unterschiede innerhalb des J u d e n t u m s nicht mehr scharf ins Blickfeld kämen 1 6 . 5. Die Frage bleibe, warum sich dann Matthäus überhaupt f ü r die Sadduzäer interessiere. Die einzig mögliche Antwort laute, hier sei ein „historisierendes" Interesse am Werk. Der zeitliche Abstand von den Ereignissen bewirke einerseits eine Angleichung der Vergangenheit an die Verhältnisse der Gegenwart, andererseits ein stärkeres Interesse an der Vergangenheit 1 7 . Es ist fraglich, ob diese unter sich wenig ausgeglichenen Thesen dem Textbefund gerecht werden. 1. H a t Matthäus, wie Hummel annimmt, an den Sadduzäern kein selbständiges Interesse, so m u ß im Blick auf die Texte dasselbe in aller Strenge auch f ü r die Pharisäer gelten. Der eine Begriff „Pharisäer und Sadduzäer" läßt auch sie nicht als eigenständige Gruppe hervortreten (— was die Untersuchungen zu „Schriftgelehrte u n d Pharisäer" bzw. „Pharisäer" bestätigen werden). 2. Der Satz, Matthäus halte die Lehrunterschiede zwischen Pharisäern und Sadduzäern f ü r unwesentlich, setzt voraus, daß Matthäus solche Lehrunterschiede kennt. So wie sich die Texte bisher darstellen, lassen sie jedoch von einer Lehrdiiferenz zwischen den beiden Größen wenig erkennen. 16, (6.11.)12 sprechen nachdrücklich von der (einen) Lehre des einen Phänomens „Pharisäer u n d Sadduzäer". Auch wenn in 22,34f. die Niederlage der Sadduzäer in der Frage der Auferstehung (nach Hümmels eigener Darstellung) die Pharisäer zur „Gegenaktion" bewegt, wird man nicht gerade auf „Lehrdifferenzen" geführt. Legt sich nicht vielmehr der Gedanke an das Gegenteil nahe? R u f t die Schlappe der Sadduzäer die Pharisäer auf den Plan, wenn nicht die „Sache" der Sadduzäer auch ihre Sache ist? 3. Hümmels Erklärung, die Zusammenstellung der Pharisäer mit ihren sadduzäischen Gegnern sei auch Ausdruck der antipharisäischen Polemik, ist nur sinnvoll, wenn Matthäus „Sadduzäer" polemisch gegen „Pharisäer" ausspielen konnte und sich also über das harte polemische Profil von „Sadduzäer" als Nachbarbegriff zu „Pharisäer" im klaren war. Hummel bemerkt nicht, daß er durch dieses „polemische" Argument mit seinem folgenden 4. Argument in Konflikt gerät, denn demnach sind die innerjüdischen Unterschiede nicht mehr exakt zu Gesicht gekommen. Liegt es nahe, Undeutliches mit Undeutlichem polemisch zu attackieren ? Weiter wäre über Hümmels Beweisführung hinaus zu fragen: H a t die Solidarität der Pharisäer mit den Sadduzäern in 22,34 einen aggressiven Beigeschmack? Stellt Matthäus die fragliche Soli« A . a . O . 20.
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A . a . O . 20.
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Israel im Matthäusevangelium
darität nicht rein deskriptiv heraus, um die Pharisäer, vereint mit den Sadduzäern und repräsentativ f ü r Israel, als im gemeinsamen Kampf gegen den Messias Israels begriffen darzustellen ? Ihre Einheit mit den Sadduzäern ist hier nicht die von außen formulierte und unterstellte Einheit in Schimpf und Schande, sondern die „positive" Solidarität einer geschlossen kämpfenden feindseligen Front. Wäre nicht auch zu fragen, wie Argument 3 hinsichtlich des 5. Arguments zu erklären sei, die polemische Ausrichtung der Darstellung zu der so stark betonten „historisierenden"? Werden „historisierendes Interesse" und Verwendung zu polemischen Zwecken im Blick auf denselben Gegenstand ohne weiteres Hand in Hand gehen ? 4. Kommen die innerjüdischen Unterschiede nicht mehr scharf zu Gesicht, so werden damit doch (ungenaue) Unterschiede angenommen. Könnte es nicht sein, daß diese Unterschiede nur in der Vorstellung des Auslegers existierten und bei Matthäus gar nicht gegeben wären (vgl. zu 2.)? 5. Die Angleichung der Vergangenheit an die Verhältnisse der Gegenwart bezieht sich nach Hummel auf die Pharisäer, das „stärkere Interesse an der Vergangenheit" auf die Sadduzäer. Muß ein derartig entgegengesetzt-zweigleisiges Verhältnis zur „Historie" im Blick auf den einen Begriff „Pharisäer und Sadduzäer" nicht konstruiert anmuten ? Sieht man auf den Sachverhalt der „Pharisäer und Sadduzäer" und verzichtet auf eine sachliche Isolierung und Sonderstellung der Sadduzäer (und Pharisäer), stellt sich die Frage nach der „Geschichtlichkeit" anders als bei Hummel. Denn daß in der Zeit vor oder nach 70 die Pharisäer und Sadduzäer so zusammengehörten, wie die Texte es darstellen, wird niemand behaupten wollen. Die „Pharisäer und Sadduzäer" des Matthäus-Evangeliums sperren sich gegen jede historisierende Einordnung; sie sind, soweit die Pharisäer und Sadduzäer der historischen Forschung zugänglich sind, f ü r das J a h r 30 historisch ebensowenig denkbar wie f ü r die Zeit nach 70. Da sich der Begriff der „Pharisäer und Sadduzäer" geschichtlich nicht verifizieren läßt und auch im Medium einer Matthäus vorliegenden Überlieferung historisch nicht zu fixieren ist — der Evangelist schafft den Begriff ja erst —, kann er auch nicht „geschichtlich" interpretiert werden. Es ist vielmehr damit Ernst zu machen, daß der Evangelienschreiber diesen Begriff für die Zwecke seines Evangeliums konzipiert. Er ist ein literarischer Begriff mit rein literarischer Funktion, der innerhalb des Evangeliums die Einheit des „geschichtlichen" Israel darzustellen hat. Er bezeichnet die Repräsentanten Israels als Gegenüber des Täufers und Jesu selbst und ist so ein literarischer Baustein in der vom Evangelisten entworfenen Heilsgeschichte, wie wir fürs erste vermuten.
Die Schriftgelehrten und Pharisäer
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2. Die Schriftgelehrten und Pharisäer Zunächst einiges Statistische zum Stichwort „Schriftgelehrte". An 5 Stellen treten bei Matthäus f ü r die „Schriftgelehrten" des MarkusTextes die „Pharisäer" ein: Mt. 9,11; 12,24; 21,45f.; 22,34.41 / Mk. 2,16; 3,22; 11,18; 12,28.35. An weiteren 4 Stellen entfallen bei unserem Evangelisten die „Schriftgelehrten" ganz: Mt. 17,14; 21,23; 26,47; 27,1/Mk. 9,14; 11,27; 14,43; 15,1; an einer Stelle weichen sie den „Ältesten des Volks": 26,3/14,1. Diesen Passiva in Sachen der „Schriftgelehrten" stehen 4 Aktiva-Stellen gegenüber, die ohne Parallelen sind: 2,4; 8,19; 13,52; 23,34. Dazu kommen noch 9 Loci mit der auffallenden Formel „Schriftgelehrte u n d Pharisäer": 5,20; 12,38 und 23,2.13.15.23.25.27.29 18 . Hümmels Urteil: „Die Schriftgelehrten treten bei Matthäus im Vergleich zu Markus stark zurück" 1 9 gilt also nur f ü r den Terminus „Schriftgelehrte". Schließt man das matthäische „Schriftgelehrte u n d Pharisäer" in die Betrachtung ein, bekommt das Bild eine andere Farbe. Die Texte Lk. 5,21; 6,7; 11,53 und 15,2 unterscheiden deutlich die Schriftgelehrten und die (mit neuem Artikel eingeführten) Pharisäer 2 0 . F ü r Matthäus ist charakteristisch der von einem Artikel bestimmte Gesamtbegriff „die Schriftgelehrten u n d Pharisäer" (5,20; 12,38), unverkennbar eine Parallel-Bildung zu „die Pharisäer und Sadduzäer" und aufgenommen durch das ihm zugehörige, artikellose u n d vocative „Schriftgelehrte und Pharisäer" (23,13 usw.) 21 . Die Originalität des Begriffs — wieder geht er auf den Evangelisten zurück — und seine wiederholte Verwendung verlangen gebieterisch, ihm alle Aufmerksamkeit zuzuwenden, ehe m a n die Einzelbegriffe „Schriftgelehrte" und „Pharisäer" untersucht. Denn es liegt auf der Hand, daß die Singulärbegriffe in unmittelbarer Nachbarschaft der stereotypen Begriffseinheit „Schriftgelehrte und Pharisäer" in einem anderen Licht stehen als in einem K o n t e x t ohne jene formelhafte Prägung (wie etwa bei Markus). Hummel nimmt an, „daß f ü r Matthäus die jüdischen Schriftgelehrten als solche zu den Pharisäern gehören". 2 2 Doch ist hier im Blick auf die „Schriftgelehrten und Pharisäer" als der ParallelBildung zu den „Pharisäern und Sadduzäern" große Vorsicht geboten. Die matthäische Formel „die Schriftgelehrten und Pharisäer" läßt, f ü r sich betrachtet, von einer dominierenden Rolle der Pharisäer nichts 18
Gegenüber Mk. 12,38 „Schriftgelehrte". 20 A.a.O. 17. Vgl. 7,30 (5,17; 14,3). V. 23,2 mit wiederholtem Artikel wird dem Evangelisten vorgelegen haben; vgl. Rudolf Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, 3. Aufl. 1957, 118 („Sondertradition?"). Das Johannes-Evangelium kennt überraschenderweise einzig die Pharisäer (1,24; 3,1; 4,1; 7,32.47.48; 8,13; 9,13.15. 16.40; 11,46; 12,19.42). Nur in dem unechten Text 8,3 begegnen „die Schriftgelehrten und die Pharisäer". 22 A.a.O. 17. 19
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2 8702 Walker, Heilageschichte
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Israel im Matthäusevangelium
erkennen. Der Begriff des Schriftgelehrten ist hier nicht von seinem Nebenbegriff „Pharisäer" her bestimmt, sondern „die Schriftgelehrten und Pharisäer" bezeichnet wie „die Pharisäer und Sadduzäer" ein einheitliches Phänomen, angesichts dessen man sagen kann, daß die Schriftgelehrten als solche zu den Pharisäern und die Pharisäer als solche zu den Schriftgelehrten gehören. Unübersehbar ist die Häufung der Anrede „Schriftgelehrte und Pharisäer" in Kap. 23, das auf die Höhe der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern führt, bis hin zur definitiven Gerichtsansage an „dieses Geschlecht" (23,32ff.). Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem Stuhl Moses (23,2); sie haben als die Lehrer Israels zu gelten (23,3ff.). Man muß es Joachim Jeremias in diesem Zusammenhang bestreiten, daß die Rede Jesu in Kap. 23 in zwei Teile zerfällt, in einen Teil, der den Schriftgelehrten das Nötige sagt (1—22, 29—36), und einen anderen, der die Vorwürfe gegen die Pharisäer zur Sprache bringt (23—28) 23 . Es gibt bei Matthäus nur ein Gegenüber der Weherufe, den einen heuchlerischen Adressaten „Schriftgelehrte und Pharisäer", mögen die einzelnen Logien auch, wie anzunehmen ist, in ihrem ursprünglichen Sitz im Leben an sehr verschiedene Adressaten gerichtet gewesen sein. Matthäus bezieht als Redaktor alle Vorwürfe auf ein und dasselbe Subjekt; nach 1—22 geht es nahtlos zu 23—28 weiter, ebenso von 28 zu 29ff. Die zu dem ursprünglich antipharisäischen Stoff 23—28 gehörige Anrede „du blinder Pharisäer" (23,26) bedeutet in ihrem jetzigen Kontext nicht mehr die Markierung eines individuellen Israeliten: „Pharsiäer" kann hier nur noch Synonym f ü r den Einheitsbegriff sein. Auch in der Bergpredigt sind nicht zwei verschiedene Gruppen zu unterscheiden, wie Jeremias wieder vorschlägt 24 , so daß auf die Rede gegen die Theologen 5,21—48 die andere Rede gegen die Mitglieder der pharisäischen Gemeinschaften 6,1—18 folgte. 5,20 spricht durchaus nicht von den beiden Gruppen der Schriftgelehrten und der Pharisäer. Vorausgesetzt ist vielmehr die Homogenität einer Gruppe, der „Schriftgelehrten und Pharisäer", und das Folgende ist ihrer Gerechtigkeit entgegengesetzt, nicht etwa der spezifisch „schriftgelehrten" oder „pharisäischen" im konkret-historischen Verständnis der Begriffe. Für den Evangelienverfasser Matthäus kämpft Jesus nicht gegen zwei Richtungen, sondern wider die eine Lehrerschaft Israels. Das wird bestätigt durch Beobachtungen zu den „Einzelbegriffen" der „Schriftgelehrten" oder „Pharisäer": 1. Ist in 23,26, wie schon erwähnt, „Pharisäer" Synonymon zu „Schriftgelehrte und Pharisäer", so tritt in 7,29 das Synonym „Schriftgelehrte" f ü r diesen Gesamtbegriff ein. Nachdem Jesus in der Berg23 24
Jerusalem zur Zeit Jesu 288; vgl. ThW I 741 f. ThW I 742.
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predigt die bessere Gerechtigkeit über die der „Schriftgelehrten und Pharisäer" gestellt hat (5,20ff.), wird ihm am Schluß der Rede im Unterschied zu „ihren Schriftgelehrten" eschatologische Vollmacht nachgesagt. Der Evangelist übernimmt den Vers aus Mk. 1,22; dabei verwandelt er „die Schriftgelehrten" des Markus-Textes in „ihre Schriftgelehrten" und interpretiert damit das in seinem Text vorausgehende „die Schriftgelehrten und Pharisäer". Das eben sind für ihn die „Schriftgelehrten und Pharisäer": ihre, der Israeliten— „Israels" Schriftgelehrte, vgl. den matthäischen Ausdruck „die Schriftgelehrten des Volks" (2,4). 2. Ähnliches ist zu 15, Iff. zu sagen. Im Paralleltext Mk. 7, l 2 5 heißt es: , , . . . die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die von Jerusalem gekommen waren." Matthäus verschleift die klaren Konturen des Markus-Textes und rückt die beiden Begriffe in seinem artikellosen „Pharisäer und Schriftgelehrte" eng zusammen. I n 15,12 wechselt er jedoch plötzlich das Subjekt. Jetzt ist zu lesen: „Weißt du, daß die Pharisäer ... Anstoß genommen haben?" Für „Pharisäer und Schriftgelehrte" kann kurzerhand „die Pharisäer" stehen. 3. Nachdem in Mt. 12,2.14.24 dreimal hintereinander die Pharisäer aufgetreten sind, nehmen in 12,38 — bei durchgehender Einheitlichkeit der Szene von 12,22 an — ohne Umschweife „etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer" ihren Platz ein. Die Personen bleiben offensichtlich dieselben, ja sie können nun in einen letzten, dramatisch gesteigerten Akt eintreten (12,43—-45), nur die Begriffe wechseln. Sie sind völlig kongruent. Die „Pharisäer" sind für Matthäus identisch mit den „Schriftgelehrten und Pharisäern" oder „Pharisäern und Schriftgelehrten", wie andererseits „ihre Schriftgelehrten" und die „Schriftgelehrten und Pharisäer" dasselbe meinen. 4. So ist es auch nicht verwunderlich, daß im Matthäus-Evangelium die Pharisäer „Schüler" haben, die mit gegen Jesus zu Felde ziehen. Zwar spricht schon Mk. 2,18 von den „Jüngern der Pharisäer", doch während man im entsprechenden Matthäus-Text 9,14 den Terminus vergeblich sucht, verwendet ihn der Evangelist in einer spezifischen „Kampf-Perikope" (22,16), wo ihn nun wieder Markus vermissen läßt (12,13). Die Pharisäer, d.h. die Lehrer Israels und ihre „Schüler", gehören f ü r Matthäus — in Abweichung von dem unpolemischen Text Mk 2,18 — als Feinde Jesu zusammen. 5. Wenden sich nach 21,15 die Oberpriester und die Schriftgelehrten im Tempel gegen Jesus, so sind es wenig später die Oberpriester und 25 Vgl. 7,5 „die Pharisäer und die Schriftgelehrten", wobei der Artikel bei „Schriftgelehrten" rückweisenden (7,1!), nicht generellen Sinn hat. So mit Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu 287, Arnn. 3. 2*
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die Pharisäer, die seine im Tempel gesprochenen Gleichnisse verstehen (21,45). Matthäus kann dieselben Subjekte „Schriftgelehrte" oder „Pharisäer" nennen. Die Begriffe sind austauschbar. Ähnlich stehen in der Leidensgeschichte bald die Schriftgelehrten, bald die Pharisäer an der Seite der Ältesten oder Oberpriester (26,57f.; 27,62). Aus alledem ergibt sich: In allen großen Rede- oder Streitgesprächskomplexen des Matthäus-Evangeliums, die indirekt (5,20ff.) oder direkt (Kap. 12; 15, Iff. [12—14]; 21—23) die Auseinandersetzung Jesu mit Israel darstellen bzw. abschließen (Kap. 23), treten als Gegner Jesu niemals die Schriftgelehrten als einzelne (Mk. 12,28) oder in ihrer besonderen Eigenschaft als die geschulten Theologen der gemeinhin nicht schriftgelehrten Pharisäer (wie Mk. 2,16) hervor, sondern immer „Schriftgelehrte und Pharisäer" 2 6 als unterschiedslose Einheit, und zwar so, daß die „Einzelbegriffe" der „Schriftgelehrten" oder „Pharisäer" stets und mühelos den Einheitsbegriff ersetzen können und umgekehrt. Singulärbegriffe und Einheitsbegriff meinen durchweg dasselbe wie „Pharisäer und Sadduzäer": die eine, das (damalige) Israel des Matthäus-Evangeliums literarisch repräsentierende Lehrerschaft. Diesen Befund bestätigen gerade auch die Stellen, an denen die matthäischen „Pharisäer" den markinischen „Schriftgelehrten" das Wasser abzugraben scheinen: 1. Mk.2,16/Mt.9,11. Matthäus ändert das markinische „die Schriftgelehrten der Pharisäer" in „die Pharisäer". Wo die Formel „die Schriftgelehrten und Pharisäer" Eingang gefunden hat, kann es konsequenterweise keine Schriftgelehrten der Pharisäer mehr geben, sondern nur noch, beliebig austauschbar und wechselseitig identisch, Schriftgelehrte oder Pharisäer (vgl. 9,3/Mk.2,6; 9,11 = 9,14.34). 2. Mk. 3,22/Mt. 12,24. Matthäus streicht die Herodianer von Mk. 3,6, so daß in 12,14 nur die Pharisäer übrigbleiben. Für „die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren" (Mk. 3,22) setzt er in 12,24 schlichtweg „die Pharisäer". Nachdem Matthäus in 12,2 ( = Mk.2,24) die Pharisäer als Handlungsträger eingeführt hat, vereinheitlicht er die Szene radikal: von 12,1 bis 12,45 steht Jesus (trotz des Ortswechsels 12,15) im Kampf mit der einen Front der Pharisäer = Schriftgelehrten und Pharisäer (12,38). 3. Mk. 11,18/Mt. 21,45f. Der Evangelist nimmt die „Oberpriester und die Schriftgelehrten" von Mk. 11,18 zunächst in einen bei Markus fehlenden Zusammenhang der Tempelszene auf (21,15), dann trägt er 11,18 stark verändert in 21,45 f. nach, dergestalt, daß nun f ü r die „Schriftgelehrten" die „Pharisäer" erscheinen: und als die Oberpriester und die Pharisäer seine Gleichnisse hörten . . . Von einer Unter20
bzw. 15,1 „Pharisäer und Schriftgelehrte".
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drückung der Schriftgelehrten zugunsten der Pharisäer kann also auch hinsichtlich Mk. 11,18 nicht die Rede sein. Die Identität der Begriffe vorausgesetzt, gebraucht Matthäus für den einen von Markus übernommenen Begriff an anderer Stelle nur den eigenen anderen. 4. Mk. 12,28/Mt. 22,34. Mk. 12,28 geht esum „einen von den Schriftgelehrten". Matthäus dagegen bringt, wie gesagt (vgl. S. 11.13 f.), die Sadduzäer der vorhergehenden Perikope mit den Pharisäern zusammen, weil f ü r ihn „Pharisäer und Sadduzäer" eine vorgegebene, geprägte Begriffseinheit darstellt, nicht jedoch „Schriftgelehrte und Sadduzäer". Diese Begriffskombination müßte entstehen, wollte der Evangelist bei seiner die Solidarität und Identität der Lehrer Israels betonenden Ausrichtung der Perikope bleiben und zugleich in treuerer Anlehnung an den Markus-Text lediglich den einzelnen Schriftgelehrten von 12,28 — in Analogie zum jetzigen „die Pharisäer" •— generalisieren. Der eine Schriftgelehrte von 12,28 fällt bei Matthäus also nicht den Pharisäern als individueller Gruppe zum Opfer, sondern der schon in 3,7; 16,1.6.11.12 anvisierten und dort formelhaft angesagten Einheit von „Pharisäern und Sadduzäern". 5. Mk. 12,35/Mt. 22,41. Nachdem in 12,28 „einer der Schriftgelehrten" das Wort ergriffen hat, der nicht ferne ist vom Reiche Gottes (12,34!), stellt Jesus in 12,35 die Frage: wie sagen denn die Schriftgelehrten . . . ? Ein streitbares Gegenüber fehlt; Zuhörer ist nach 12,38 ό πολύς δχλος, von dem zu sagen ist: ήκουεν αύτοΰ ήδέως. Matthäus hat aus oben genanntem Grund die Pharisäer eingeführt. Da f ü r ihn, anders als f ü r Markus, die ganze Komposition, die er in 22,46 redaktionell abschließt, unter der Überschrift „Auseinandersetzung mit dem einen Gegner" steht, richtet er auch die Perikope von der Davidssohnfrage dementsprechend aus. Er formt sie bewußt zu einem „Streitgespräch" mit den schon vorhandenen Pharisäern um — Einheit der Szene! — und läßt sie nun direkt angesprochen sein (22,42). Wieder stehen die Pharisäer f ü r die eine Lehrerschaft Israels des MatthäusEvangeliums. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache belangvoll, daß das Matthäus-Evangelium die „Schriftgelehrten" an 4 Stellen (vgl. S. 17) als „Sondergut" aufweist. Auch sie spricht gegen eine bewußte, einseitig „pharisäische" Tendenz des Evangelisten. Von den 4 Loci, an denen bei Matthäus die Schriftgelehrten des Markus-Textes ganz entfallen (vgl. S. 17), geht die Auslassung dreimal zu Lasten der Formel „die Oberpriester und Ältesten des Volks" (Mk. 11,27; 14,43; 15,1/ Mt. 21,23; 26,47; 27,1; vgl. 14,1/26,3), was wieder kein Votum zugunsten der „Pharisäer" ergibt. Von diesen Stellen soll ausführlich im nächsten Abschnitt gehandelt werden. Zu Mk. 9,14/Mt. 17,14 vgl. S. 42.
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Nach alledem ist der These Hümmels, daß , , . . .Matthäus die Pharisäer so oft wie möglich als Gegner Jesu auftreten läßt 2 7 ", nicht zuzustimmen. Sie kommt zustande auf Grund einer methodisch fragwürdigen Behandlung der Texte, die Hummel wahllos heranzieht, ohne Rücksicht auf ihre konkrete Gestalt, sofern sie nur das Stichwort „Pharisäer" enthalten. So ist nach Hummel „das Wort von der besseren Gerechtigkeit (5,20), das die Bergpredigt thematisch beherrscht", gegen die Pharisäer gerichtet 2 7 ; „ferner das ganze Kapitel 23" 27 . Und: „Im Gegensatz zu den anderen Evangelisten konfrontiert er auch schon den Täufer mit den Pharisäern (3,7)" 27 . Das eine Mal spricht Matthäus jedoch prägnant von den „Schriftgelehrten und Pharisäern", das andere Mal von den „Pharisäern und Sadduzäern". Es ist falsch, „daß f ü r Matthäus die Pharisäer die eigentlichen Gegner Jesu sind" 2 8 . Die Untersuchung von 5,20 / 7,29; Kap. 12; 15; 22; 23 hätte Hummel über die totale Kongruenz der Einheits- und „Einzelbegriffe" belehrt, über deren gegenseitiges Verhältnis er nichts aussagt. Diese Kongruenz hätte es ihm verwehrt, von Schriftgelehrten und Pharisäern zu sprechen, zwischen denen Matthäus nicht mehr deutlich unterscheide 28 , und von einer „Zusammenfassung, die an eine Identifizierung grenzt" 2 9 . Das besagt, daß Matthäus im Text Unterschiede stehenläßt. Sie sind nicht exakt auszumachen, immerhin sind sie — undeutlich — vorhanden. Die Zusammenfassung grenzt an Identifizierung, kommt ihr also nur nahe; am Ende bleiben doch Differenzen. Tatsächlich stellt die matthäische Formel die unterschiedslose Einheit der Lehrer Israels dar. Matthäus hat nicht •—• ungenau — zwei verschiedene Gruppen vor Augen, die er formelhaft zu einer Beinahe-Einheit verbindet, sondern nur im vorgegebenen Material zu unterscheidende Handlungsträger, die schon als einzelne das Ganze sind, die eine Schlangenbrut der Pharisäer (12,34), Pharisäer und Sadduzäer (3,7) und Schriftgelehrten und Pharisäer (23,33). Jesu „eigentliche", d.h. einzige Gegner sind im Matthäus-Evangelium Israels Lehrer, die Schriftgelehrten = Schriftgelehrten und Pharisäer = Pharisäer = Pharisäer und Sadduzäer, also etwas sehr anderes als die Pharisäer im historischen Verständnis des Begriffs. Jeder dem Evangelisten zugeschriebene Anti-Pharisäismus bleibt ohne Anhalt im Text, sofern der ganze Textbestand zu Wort kommt 3 0 . Die einzige 27 A.a.O. 13; vgl. Kilpatriek a.a.O. 106; T. F. Glasson, Anti-Pharisaism in St. Matthew, JQR 51 (1961—62) 316—320, 317: „There is an increase of severity against the Pharisees." Wie Hummel urteilt auch Wolfgang Trilling, Das wahre Israel, StANT 10, 3. umgearb. Aufl. 1964, 90. 28 29 A.a.O. 14. A.a.Ο. 15. 30 Georg Strecker, Das Geschichtsverständnis des Matthäus, EvTh 26 (1966) 57—74 sagt S. 68, der Pharisäismus (!) reflektiere im Matthäus-Evangelium nicht primär die Situation des zeitgenössischen Judentums, sondern habe die Funktion eines Topos, der im Gegenüber zur ethischen Forderung die Haltung
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Anti-Tendenz des Evangelisten ist sein ,,Anti-Doktorismus": der Stoß ist gegen das Israel der Vergangenheit gerichtet, das in den doctores von ehedem begegnet. Somit ist das historische Urteil zu revidieren, das Hummel mit der angeblichen Vorherrschaft der Pharisäer im Matthäus-Evangelium verbindet. Er sagt: „Darin spiegelt sich offensichtlich seine eigene Lage wider: die Vorherrschaft des Pharisäismus nach der Tempelzerstörung" 31 . Nach Hummel trägt Matthäus den Anblick des Judentums seiner Zeit in die historia Jesu ein, eine These, die durch die „Sadduzäer" in Verbindung mit den „Pharisäern" empfindlich gestört wird (vgl. Hummel 20); in die historia Jesu, in der gewiß schon Pharisäer eine Bolle spielten, doch nicht so einseitig, wie Matthäus es darstellt 31 . Die eine Lehrerschaft des MatthäusEvangeliums sperrt sich demgegenüber gegen jede zeitgeschichtliche Einordnung. I n der bei Matthäus konstatierbaren Synonymität hat es Israels Lehrerschaft nie gegeben. Als eine Größe perfekter BegriffsKongruenz, in die auch die „Pharisäer und Sadduzäer" einbezogen sind, kann sie mit dem einheitlich pharisäisch geleiteten Judentum der Zeit nach 70, von dem Hummel spricht, kaum etwas zu tun haben. Die Begriffe haben das geschichtliche Profil verloren, das sie bei Markus, der sie unreflektiert gebraucht, noch an sich tragen. An die Stelle mehrerer individueller, geschichtlich gewachsener Termini ist ein einziger, vom Evangelisten entworfener „Uniformbegriff" der Lehrerschaft Israels getreten, der aus realen Verhältnissen weder abzuleiten noch auf sie anzuwenden ist. Diese Gegnerschaft Jesu gibt es nur in der literarischen Geschichte Israels des Matthäus-Evangeliums, nicht in historischer Funktion. Der deutliche Anti-Doktorismus des Matthäus-Evangeliums widerlegt auch Hümmels Urteil, nach dem „ . . . der Begriff des Schriftgelehrten f ü r Matthäus ein neutraler Begriff ist, der erst durch die Zugehörigkeit zur Gemeinde oder zum Pharisäismus qualifiziert wird" 3 2 . Wie der Begriff der „Schriftgelehrten", eins mit dem der „Pharisäer" oder „Schriftgelehrten und Pharisäer" und so einbezogen in die stereotype Qualifizierung, die Matthäus f ü r diese Begriffe bereithält, ein „neutraler" Begriff sein soll, wird schwer zu erklären sein. H a t man die geschlossene Front der Lehrer Israels mit ihren dunklen Epitheta im Matthäus-Evangelium zu Gesicht bekommen, muß einen der Begriff „neutral" fremd anmuten. des Unglaubens repräsentiere. Die Rückschlüsse auf „die Lage in der Gegenwart" müßten hinter die Frage nach den theologischen und historischen Intentionen des Matthäus zurücktreten (ebenda. Anm. 33). Dem ist — cum grano salis — zuzustimmen. Die doctores sind keine aktuellen, sondern „geschichtliche" Größen: die Exponenten Israels-von-damals, dessen Ungehorsam sich freilich nicht nur auf die „ethische Forderung" bezieht (vgl. z.B. 9,34; 11,16—24; 12,22—42; 16,1—4; 21,33—46). 31 32 A.a.O. 14. A.a.O. 27; vgl. 17f.
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— Aber Matthäus redet doch auch von christlichen Schriftgelehrten! Dann muß der Begriff doch ambivalent werden! — Hummel verweist (in dieser Reihenfolge) auf die Stellen 13,52; 23,34; 8,19 und 23,8—10. 1. Mt. 23,8—10. Hummel schreibt: „Das Verbot, sich mit den Ehrentiteln der jüdischen Schriftgelehrten anreden zu lassen, setzt die Existenz christlicher Schriftgelehrter voraus" 33 . Oder: „Der Hinweis auf Christus als den einen Lehrer der Gemeinde (v. 8 und 10) setzt der Autorität der christlichen Schriftgelehrten eine Grenze und stellt sie als Lernende und als Brüder in die Gemeinde hinein" 34 . Nun ist, vom Formalen her geurteilt, nicht zu übersehen, daß 23,8 nicht mit einer Anrede an Schriftgelehrte, sondern mit einem prononcierten und generellen „ihr aber" beginnt, das in 23,8b durch das ebenso ausnahmslose πάντες δέ ύμεϊς aufgenommen wird. Will man mit Hummel annehmen, durch 23,8—10 bekämen Schriftgelehrte der matthäischen Kirche ihren Platz angewiesen, so kann es in dieser Kirche nicht einzelne, sondern überhaupt nur Schriftgelehrte geben. Denn mit 23,8 sind durchaus alle (Jünger = „Schriftgelehrte") angesprochen. Auch die inhaltliche Ausrichtung der Verse 8—10 muß zu denken geben. 23,8 lautet: Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer, ihr aber seid alle Brüder. Ist einer Lehrer und sind die Jünger ihm gegenüber alle Brüder, so bleibt logischerweise nur der eine „Meister" übrig und in und mit seinen „Titeln" ist das christliche Rabbinat selbst grundsätzlich abgewiesen, wie Schlatter richtig sagt: „Sie [die neue Gemeinde] hat kein Rabbinat, sondern in Jesus ihren einzigen Lehrer, der ihr Gottes Willen sagt" 35 . Es ist beachtlich, daß nicht nur die Titel angegriffen, sondern auch die Funktionen der Titelträger geleugnet werden. So heißt es im ganzen gleich dreimal: ein Meister, ein Vater, ein Lehrer! Wurden diese Worte in ihrem Sitz im Leben (mit einem speziell auf „Schriftgelehrte" zielenden „ihr aber" und ohne πάντες 23,8b) gegen Titel und Wesen christlicher Schriftgelehrter gesprochen, was anzunehmen ist; setzen sie also ursprünglich Titel und Existenz christlicher Schriftgelehrter voraus36, so wurden diese Titelträger und ihre Funktion doch durch eben diese Worte radikal aus dem Raum der Kirche verbannt. Von hier aus ist weiter zu fragen, ob Hümmels Ausführungen nicht an mangelnder methodischer Exaktheit leiden. Er nimmt 23,8—10 ohne weiteres für Matthäus und seine Kirche in Anspruch, ohne zwischen der ursprünglichen Ausrichtung der Worte und ihrer Verwendung durch den Evangelisten zu 3 4 A.a.O. 28. A.a.O. 27. Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache, seine Ziel, seine Selbständigkeit. Ein Kommentar zum ersten Evangelium; Neudruck 1957, 670 z. St. 3 6 In seinem Aufsatz ,Die Anfänge christlicher Theologie', ZThK 57 (1960) 164 erläutert E . Käsemann z. St., „daß hier Polemik gegen eine sich . . . in der Weise eines christlichen Rabbinates bildende Gemeindeordnung geübt wird". 33
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unterscheiden. Die Annahme, die Verse 23,8ff. seien — im Sinne des Evangelisten — mit dem Blick auf christliche Schriftgelehrte gesprochen, erweist sich als unhaltbar angesichts ihrer Stellung innerhalb der matthäischen Komposition des 23. Kapitels, die allein über die Intentionen des Evangelisten Auskunft gibt. Hier sind von Anfang an bestimmte nicAi-christliche „Schriftgelehrte" vorausgesetzt, die Lehrer Israels, die „Schriftgelehrten und Pharisäer" und ihre in 23,2—7 beschriebenen Praktiken. Von diesem Hintergrund ist das generelle „ihr aber" in 23,8 abgesetzt. Die Jünger (von damals) sind streng dazu aufgefordert, anders als Israel zu sein, „nicht-schriftgelehrt" und entsprechend „titellos", positiv: brüderlich und diakonisch. Sie haben nur einen Meister. Er schließt f ü r die Seinen alle menschliche Größe zugunsten seiner Alleingeltung aus. „Israel", dargestellt durch die eine, Mose repräsentierende und sich selbst lebende Lehrerschaft, und die „Jünger" unter dem einen Meister, neben dem es nur Brüder und Diener gibt, sind wie Feuer und Wasser. Mit Mitteln der Komposition, durch 23,8ff. im Gegenüber zu 23,2ff. paralysiert Matthäus die (bedingte) „Anerkennung des Rabbinats" durch Jesus, das ihm überkommene, unechte judenchristliche Logion von 23,3: Die „Jünger" (von damals) sind in totalen Gegensatz zu „Israel" und seiner Lehrerschaft gerufen. Dieses Wort an die Jünger von einst hat sicher auch seine kerygmatische Bedeutung f ü r das „Heute" des Evangelisten. Für die „Jüngerschaft" schlechthin (nicht f ü r einzelne daraus) ist menschliche, „schriftgelehrte" Größe von der Art des Textes und Kontextes, die jenseits der Alleingeltung Jesu steht (23,8.10; 23,11: Der Größte unter euch soll euer Diener sein), gleichbedeutend mit einem Rückfall in das von Jesus verworfene Wesen der Lehrer Israels. So ist 23,8ff. weder von seiner ursprünglichen Ausrichtung aus noch von seiner Kontextfunktion in Kapitel 23 oder seiner aktuell-kerygmatischen Bedeutung für das Heute des Evangelisten her für das „positive Dasein" christlicher Schriftgelehrter bei Matthäus in Anspruch zu nehmen. 2. Von hier aus ist 23,34 zu beurteilen: Darum, siehe, sende ich zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte . . . , wobei offensichtlich an die „Jünger" gedacht ist, die an Jesu Schicksal teilhaben (σταυρώσετε). V. 23,34 steht sachlich zu 23,8ff. in unauflösbarem Widerspruch. Weist Jesus dort Titel und Funktion der Schriftgelehrten f ü r seine Bruder- und Diener-Jüngerschaft ab, so sendet er sie hier aus. Der Widerspruch löst sich indessen auf, wenn man man auf die „Zeit" achtet, die der Evangelist den verschiedenen Sprüchen zuordnet. 23,8ff. ist uneingeschränkt gesprochen; jedes Wort ist mit dem ganzen Gewicht des Gerichtes versehen (23,12). Hier hat man die bis ans Ende verbindliche Lehre des Messias; hier expliziert er seine „Ekklesiologie"
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Israel im Matthäusevangelium
(vgl. Kap. 18; 20,20—28). Demgegenüber ist 23,34 im Sinne des Evangelisten an die Zeit Israels gebunden. Die Schriftgelehrten sind zu „euch" gesandt, erleiden Verfolgung und Tod, damit die ganze Unheilsgeschichte Israels zu ihrem Ende komme (23,32) und in einer einzigen Zusammenballung des Gerichts über „dieses Geschlecht" hereinbreche (23,35f.). Jesus tritt hier Israel als der Inaugurator seines innergeschichtlichen Gerichtes und Endes gegenüber (die Wehe; 23,32.34). Das Logion 23,34, von Jesus aus in die Zukunft des innergeschichtlichen Gerichts über Israel verweisend, ist f ü r Matthäus nur noch „heilsgeschichtlich" aktuell. Er sieht auf das von Jesus angezeigte und herbeigeführte Gericht und Ende Israels schon zurück (21,43; 22,7—10; 23,32—24,2— vgl. unten S. 43f. 79ff. / 55f. 91ff. / 56ff.). Beides, Israels Untergang und die ihm vorausgehende Sendung der „Schriftgelehrten" und ihre Abweisung, liegt hinter ihm. Er kann 23,34 verwenden, indem er es in den Kontext der Gerichtsansage einkomponiert und es so lokaliter und zeitlich auf das zurückliegende Israel festlegt und beschränkt. Das von Matthäus aufgegriffene Logion beweist, daß es im Raum der Urchristenheit christliche Schriftgelehrte neben „Propheten und Weisen" gegeben hat. Matthäus selbst kann ihm freilich nur noch „historische" Bedeutung f ü r das heilsgeschichtliche Ende Israels zuerkennen, nachdem er durch die „kirchlich" und eschatologisch verbindliche Spruchgruppe 23,8—12 die darin vorkommenden Schriftgelehrten als eine vom Messias Israels verworfene Größe dargetan hat. 3. Hummel f ü h r t weiter aus: „Auch 8,19 muß genannt werden. Die Bereitschaft, Jesus nachzufolgen, wird hier im Gegensatz zur Lukasparallele (Lk. 9,57) von einem Schriftgelehrten geäußert. Wenn Matthäus in 8,21 den folgenden Jüngerspruch mit der Einleitung versieht: ,Ein anderer aber der Jünger sprach zu ihm . . . ' , so ist damit der Schriftgelehrte in 8,19 als Jünger qualifiziert" 37 . Diese Erklärung ist in doppelter Hinsicht unbefriedigend. Es bleibt zu bedenken, daß der eine 38 Schriftgelehrte von 8,19 mit dem Hinweis auf Jesu „Armut" eine abweisende Antwort erhält, der „andere der Jünger" (8,21) jedoch eine radikal verpflichtende (8,22) 39 ; f ü r ihn gilt die Bedingungs37
38 A.a.O. 27. εΤς markiert die Singularität des Falles. Gegen Julius Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 2, 1953, 113: „Bezeichnend für beide Geschichten ist, daß Jesus die Nachfolger abschreckt." — In Wirklichkeit ist „solch abweisender Ernst" allein für die erste Nachfolgergeschichte zu konstatieren, während die zweite mit einem ausdrücklichen „folge mir" schließt. Sie ist also durchaus „anziehend" gemeint und illustriert nur die Radikalität der Forderung Jesu. Im ersten Fall wird die Nachfolge von einem „Außenstehenden" bedingungslos angeboten (gegen Bultmann, Tradition 55: Matthäus spreche von einem Schriftgelehrten, offenkundig weil er annehme, daß der Mann sich nicht zur Nachfolge entschließen könne), doch wird dieses Angebot zurückgewiesen; im zweiten Fall wird sie von einem Jünger „bedingt zugesagt", jedoch rücksichtslos gefordert. 39
Die Schriftgelehrten und Pharisäer
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losigkeit der Nachfolge, die jedes πρώτον ausschließt 40 . Eine andere tiefgreifende Differenz wird durch die verschiedene Jesus-Anrede der beiden „Nachfolger" markiert. Der Schriftgelehrte nennt Jesus „Meister" (διδάσκαλε), wie es sonst im ganzen Evangelium nur die Gegner und Außenstehenden tun, während der Jünger bezeichnenderweise „Herr" sagt, also die im Sinne des Evangelisten genuine Jüngeranrede gebraucht 4 1 . Wird der nachfolgefreudige Schriftgelehrte von 8,19 durch 8,21 auch nachträglich als Jünger qualifiziert, so bleibt er doch im Rahmen des Kontextes bloßes Paradigma der Nachfolge, an dem sich der schroffe Ernst Jesu und die ganze Schwere des άκολουθεϊν offenbart. Die Anrede des Schriftgelehrten-Jüngers, Jesu zurückweisende Antwort und der beabsichtigte Kontrast zu dem bedingungslos Geforderten weisen schwerlich in Richtung auf eine „Neutralität" des matthäischen Schriftgelehrten-Begriffs. Man kann sich fragen, ob Matthäus, von seinem negativen Bild der Lehrer Israels geleitet, den abgewiesenen nachfolgewilligen Jünger (gegen Lk. 9,57) nicht mit Absicht „einen Schriftgelehrten" sein läßt 4 2 . 4. Weiter erklärt Hummel: „Von christlichen Schriftgelehrten ist in 13,52 . . . die Rede" 4 3 . — πας γραμματεύς erfährt durch μαθητευ&είς τη βασιλεία των ουρανών44 eine dezidierte Näherbestimmung: jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger der Himmelsherrschaft wird, also jeder „bekehrte", „christliche" Schriftgelehrte. Dem so bestimmten Subjekt hat das folgende Gleichnis sein „Prädikat" zu beschaffen. Es verhält sich 45 mit jedem „bekehrten" Schriftgelehrten wie mit einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt. Was will dieses Gleichnis der Sachhälfte nach aussagen? Es besteht hier die Gefahr, daß der Text durch Allegorese zu einer typisierenden Beschreibung christlicher Schriftgelehrsamkeit ausgestaltet und so überfordert wird. Julius Schniewind erläutert: „Die Anwendung liegt wohl 40 Auch Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel, FRLANT 83, 1963 urteilt S. 83f. (wörtlich zitiert): „daß V. 19f. als Abweisung eines die Jüngerschaft begehrenden Menschen, V. 21 f. umgekehrt als die Bindung eines Jüngers an das schon bestehende Nachfolgeverhältnis zum Ausdruck bringt". 41 Vgl. Hahn a.a.O. 76, bzw. für „Herr" 85f. 42 Vgl. Erich Klostermann, Das Matthäusevangelium, HNT 4, 2. Aufl. 1927, 77: ,,γφαμματεύς vielleicht erst von Mt. zugesetzt, um die in 20 gefundene Abweisung zu motivieren." 43 A.a.O. 27. 44 Die Wendung (pass. Dep.) entspricht sachlich genau 27,57 έμαθητεύθη τω Ίησοϋ. Es handelt sich offensichtlich um Missionsterminologie, vgl. Ign Eph. 10,1 ύμΐν μαθητευ&ήναι im Zusammenhang mit der Ermahnung zum Gebet für die „anderen Menschen" und dem Stichwort έν αύτοϊς έλπίς μετανοίας; weiter Ign Eph. 3,1 αρχήν έχω τοϋ μαθητεύεσθαι; vgl. Ign Rom. 5,1 μάλλον μαθητεύομαι (5,3 νϋν δρχομαι μαθητής είναι). In diesen Zusammenhang gehört auch das transitive μαθητεύειν = zum Jünger machen, Mt. 28,19; Apg. 14, 21; Ign Rom. 3,1. 45 Zu δμοιός εστίν vgl. Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 6. neu bearb. Aufl. 1962, 101.
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Israel im Matthäusevangelium
darin, daß bei Jesus Beides eins ist: das Festhalten am Alten (5,17ff.) und das umstürzende Neue (5,21ff.)" 46 . Doch hält der Hausherr im Gleichnis durchaus nicht am Alten fest. Er nimmt es — zusammen mit dem Neuen — heraus, holt es hervor 47 . Die „Allegoristen" unter den Auslegern deuten an unserer Stelle viel zu rasch, was mit dem „Alten und Neuen" gemeint ist — „Neues und Altes" steht im Text, nicht wie es f ü r die Allegorese passender wäre: „Altes und Neues" 4 8 . Es gilt damit Ernst zu machen, daß der Vergleich nicht einseitig auf den Schatz 49 oder das „Neue und Alte" 5 0 zielt, sondern wie in den anderen (nicht sekundär allegorisierten) Basileia-Gleichnissen auf den ganzen Vorgang: auf den Hausherrn in seinem bestimmten Verhalten mit dem Schatz — er holt Neues und Altes daraus hervor. Was t u t er also ? Doch wohl das Gegenteil des ewig Hortenden und Sammelnden, der in seiner Schatztruhe (oder Vorratskammer) tunlichst Neues auf Altes häuft. Der Hausherr im Gleichnis ist unbesorgt, er entledigt sich aller Vorbehalte·, er holt Neues und, erstaunlich zu hören, Altes aus seinem Schatz hervor. Seltsam freier, bedenkenloser Mann! — So auch jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger der Himmelsherrschaft wird. E r verbindet nicht in „schriftgelehrter" Weise Altes und Neues, fördert schon das Neue und bewahrt dabei doch das Alte. I h n charakterisiert vielmehr die kühne „Reservelosigkeit" des Hausherrn im Gleichnis. Nur so steht das Schlußgleichnis in sachlicher Einheit mit allem Vorausgehenden. Am Schluß der Gleichnisrede erscheint nicht, äußerlich auf das Stichwort „Basileia" hin angefügt, eine wunderliche Jüngerbelehrung über den christlichen Schriftgelehrten und seine Verbindung von altem und neuem Bund, die mit Kap. 13 auch nicht einen Gedanken gemein hat. Die Allegoresen vermögen nicht nachzuvollziehen, daß Matthäus in 13,51 ausdrücklich an alles Vorherige anknüpft: habt ihr das alles verstanden? Durch 13,51 f. beschließt der Evangelist — mit einem von ihm selbst geprägten Herrenwort 5 1 ? — seine Gleichnis-Komposition, setzt er ein kräftiges Fazit. I m sachlichen Horizont und auf dem Boden des Verständnisses von „dem allem" will er am Beispiel seines Textes das Wesen der Basileia-Jüngerschaft 4e
A.a.O. (NTD 2) 174. " Vgl. 12,35. Die Beispiele in Anm. 50 bieten alle die (an den „Testamenten" orientierte) Reihenfolge „Altes und Neues". 49 Trilling, Das wahre Israel 146 meint, die Gleichnissammlung des Kapitels sei Modell für die Lehrweise des Schriftgelehrten und gehöre zugleich zu seiner (!) Schatztruhe. 50 So Jeremias, Gleichnisse 214: „das früher Gelernte und die neuen Erkenntnisse". T. W. Manson, The Sayings of Jesus, 1950, 198: „The old will be the Law of Moses; the new will be the new interpretation given by Jesus." Ähnlich J. Höh, Der christliche γραμματεύς (Mt. 13,52), BZ 17 (1926) 256—269, 265. — Anders und phantasievoll Schlatter, Evangelist Matthäus 450f. 51 Vgl. Bultmann, Tradition 108. 48
Die Oberpriester und Ältesten des Volks
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(nicht der christlichen „Schriftgelehrsamkeit"), die der „Schluß" aller Basileia-Predigt ist, herausstellen. An der Verkündigung der Himmelsherrschaft scheiden sich nach (3—9) 18—23 die Geister in Ungehorsam und Gehorsam. Sie ist — als Gleichnisrede — die Gewalt des Gerichts und der Verstockung f ü r das widerborstige Israel (10—15), Heil f ü r die Beschenkten und sehenden Augen (11.16f.). Sie wird von Gott wunderbar heraufgeführt (31—33), ist kosmische Macht des EndGerichts (24—30.36—43.47—50), vom Menschen freudig und mit letztem Einsatz zu ergreifen (44—46). Wo sie das alles ist und als solche von den Jüngern verstanden wird, ist „darum" jeder Schriftgelehrte, der zum Jünger der Himmelsherrschaft wird, ein Mensch der Rückhaltlosigkeit und ebenso — der paradigmatische Charakter des Verses ist unverkennbar — das Exempel der seltsamen Bedenkenlosigkeit aller „Nachfolge", aller Hinwendung zur Basileia. Damit ist er zugleich und zum guten Schluß der matthäischen Komposition das aufgerichtete Zeichen f ü r die alles erheischende Gewalt und totale VertrauensWürdigkeit der von Jesus verkündigten Basileia. — Es ist deutlich, daß der Evangelist 13,52 ad vocem βασιλεία um seiner paradigmatischen Funktion und Kraft willen aufgreift. Daraus auf ein positives Interesse des Evangelisten am christlichen Schriftgelehrten „als solchem" zu schließen, geht u. E. zu weit. Die Zusammenschau der besprochenen Texte 23,8—10; 23,34, 8,19 und 13,52 verwehrt den Gedanken, Matthäus habe sich in seinem Evangelium zum christlichen „Schriftgelehrten" bekannt oder sich gar selbst als solchen verstanden. 3. Die Oberpriester
und Ältesten
des
Volks
Die doctores Israels spielen in der Passionsgeschichte des MatthäusEvangeliums eine bescheidene Rolle; immerhin sind sie unmittelbar am Leiden und Sterben Jesu beteiligt (vgl. 26,57/Mk. 14,53; 27,41/Mk. 15,31; 27,62: die Oberpriester und die Pharisäer, Sondergut; zusammen mit den Oberpriestern erscheinen die „Schriftgelehrten" bzw. die „Pharisäer" schon 21,15.45/Mk. 11,18). Als die dominierenden Handlungsträger begegnen die „Oberpriester und Ältesten (des Volks)". Wo Matthäus nur die Oberpriester erwähnt, scheint er dafür — so Hummel 5 2 — seine Gründe zu haben: konkrete Kenntnisse ihrer Kompetenzen. Judas z.B. wendet sich nur an sie mit seinem Angebot, Jesus zu verraten (26,14 = Mk. 14,10) — an sie wohl als vorgesetzte Behörde der Tempelpolizei. Oder die Oberpriester beraten über die Verwendung der von Judas zurückgebrachten Silberlinge (27,6) — „offensichtlich in ihrer Eigenschaft als Finanzverwaltung des Tempels" 52 . Endlich laufen die aufgescheuchten Grabeswächter von 28,11 62
A.a.O. 21.
30
Israel im Matthäusevangelium
(Sondergut) zu den Oberpriestern, d.h. wieder: zu den Chefs der Tempelpolizei 52 . Dabei ist nicht berücksichtigt, daß Judas 27,3ff. mit seinen Silberlingen zuallererst bei den Oberpriestern und Ältesten vorspricht als bei der kompetenten „Behörde". Ihnen bringt er das Geld zurück (27,3; das ganze Stück 27,3—10 ist Sondergut). Sie sind gemeinsam betroffen und sagen miteinander: Was geht es uns an ? Siehe du zu (27,4)! Diese Darstellung der Dinge spricht nicht gerade f ü r konkrete Kenntnisse des Evangelisten in Sachen oberpriesterlicher Kompetenzen, auch wenn im folgenden — unmittelbar nach diesem Auftakt — die Oberpriester das Heft in die Hand nehmen (27,6f.). Ähnliches gilt für 26,14. Angenommen, Judas verhandelt mit den Oberpriestern in ihrer Eigenschaft als vorgesetzte Behörde der Tempelpolizei, so kann es nur verwundern, daß im weiteren Verlauf des Geschehens die bewaffneten Scharen um Judas von den Oberpriestern und Ältesten des Volks ausgehen (26,47), als wären sie gemeinsam die „Oberen der Tempelhüter". Und wenn die Grabeswächter von 28,11 allein den Oberpriestern Bericht erstatten, so stecken die doch alsbald die Köpfe wieder mit den — Ältesten zusammen. Als ob sie nicht selbst „Behörde" genug wären! Sie sind es nicht. Matthäus schildert die „Oberpriester und Ältesten des Volks" als Handlungseinheit. Der Singulärbegriff „Oberpriester" erscheint zweimal als Parallelbegriff zu „Oberpriester und Älteste" (26,14 / 47; 27,6 / 3); nirgends bezeichnet er etwas Selbständiges (vgl. 28,11 f.). Die „außergewöhnliche Sorgfalt und Genauigkeit", die Hummel dem Evangelisten in dieser Sache nachrühmt und die er mit dem Stich wort „historisierendes Interesse" erklären möchte 53 , ist tatsächlich die Sorgfalt und Genauigkeit schriftstellerischer Systematik bei der Darstellung des messiasfeindlichen Geschlechts. Wieder isoliert Hummel den „Einzelbegriff" in unerlaubter Weise. Wieder verkennt er die Funktion des von Matthäus geschaffenen „Einheitsbegriffs" und seine Auswechselbarkeit mit dem Singulärbegriff. Hummel f ü h r t weiter aus: „Für die Verwendung des Begriffs der Ältesten gilt dasselbe wie f ü r die des Begriffs der Oberpriester. Matthäus läßt erhebliche Sorgfalt und Genauigkeit walten, weil es um den Prozeß gegen Jesus und um die Rolle geht, die die einzelnen Gruppen dabei gespielt haben" 8 4 . Die Rolle der Ältesten ist aber für Matthäus keine andere als die der Oberpriester (oder Schriftgelehrten 26,57; oder beider zusammen 16,21; 27,41). Nirgendwo spielen sie ihren eigenen Part. Immer sind sie mit dem Partner zusammengesehen und bilden eine Aktionsgruppe mit ihm (21,23; 26,3.47; 27,1.4.12.20; 2 8 , l l f . ) . Was Hummel seinerseits nur bestätigen kann: „Sie werden bei Matthäus nie allein, sondern stets zusammen mit den Oberpriestern bzw. 63
A.a.O. 21.
54
A.a.O. 22.
Die Oberpriester und Ältesten des Volks
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Oberpriestern und Schriftgelehrten genannt" 5 5 . Ihr einziges Spezifikum bei Matthäus (gegenüber Markus) besteht darin, daß sie, wieder nur in Verbindung mit den Oberpriestern, betont als Älteste des Volks fungieren (21,23; 26,3.47; 27,1). Im Sinne des Evangelisten sind auch die Oberpriester und Ältesten Repräsentanten Israels: das Volk handelt in seinen Autoritäten 5 6 . Von dieser Anschauung her ist es nur konsequent, wenn sich nach 27,22 (redaktionell, gegen Mk. 15,13) ausdrücklich alle mit dem Ansinnen der Oberpriester und Ältesten identifizieren, Barabbas freizubitten, Jesus aber „ans Messer zu liefern" (27,20). Das ganze Volk übernimmt im selben Zusammenhang vor Pilatus erklärtermaßen die Schuld am Tode Jesu (27,25; Sondergut). Auch hier ist die Tendenz des Evangelisten zu erkennen: der Tod Jesu ist nicht bloß Sache der „Oberen"; die „Oberen" stehen vielmehr f ü r das Ganze 57 . Die Oberpriester und Ältesten treten außerhalb der Leidensgeschichte (und 28,11 f.) nur noch in den Tempelstreitgesprächen 21,23fF., und zwar als die ersten Kontrahenten Jesu auf (21,23). Da sie nirgendwo im Evangelium das Weichbild Jerusalems verlassen, muß man sie sich als die spezifisch jerusalemische „Körperschaft" Israels vorstellen, und in concreto als die Vorkämpfer des Todes Jesu in der Heiligen Stadt. Um ihnen die Kontur und Geschlossenheit einer handelnden Einheit zuzumessen, bedient sich Matthäus eines zwiefachen Verfahrens. An solchen Stellen, wo Markus nur die Oberpriester erwähnt, setzt er noch die Ältesten in den Text (Mk. 15,3.11 58 /Mt. 27,12.20; vgl. Mk. 15,31/Mt. 27,41, wo der Evangelist die Ältesten zu den Oberpriestern und Schriftgelehrten hinzutreten läßt). Wo aber bei Markus die Schriftgelehrten nach seiner Vorstellung „überschießen", streicht er sie und reduziert den Text auf seine zweigliedrige Einheit der „Oberpriester und Ältesten" (Mk. 11,27; 14,43; 15,1/Mt. 21,23; 26,47; 27, l 5 9 ). Oder er macht aus den Oberpriestern und Schriftge55 66
A.a.O. 21. In 2,4 spricht Matthäus von den γραμματείς τοϋ λαοϋ. Die Identität von Führerschaft und „Volk" ergibt sich auch aus 21,43; vgl. Theodor Zahns Bemerkung z. St. in: Das Evangelium des Matthäus, Komm, zum NT I; 4. Aufl. 1922, 632f.: „. . . die Anwesenden sind nicht in ihrer Eigenschaft als άρχοντες τοϋ λαοϋ, sondern als Vertreter des jüdischen Volks angeredet. Dies ergibt sich unzweideutig daraus, daß nicht, wie man nach v. 41 erwarten könnte, gesagt wird, die Regierung des jüdischen Volks werde von den bisherigen Regenten auf andere Regenten übertragen werden, sondern die Gottesherrschaft werde von einem Volk auf ein anderes Volk übergeben." — Vom „jüdischen Volk" hätte Zahn besser nicht gesprochen. Matthäus blickt auf die Generation der Basileia-Berufung von damals. 58 Die Oberpriester von Mk. 15,10 streicht Matthäus (27,18). 59 Vgl. S. 21. Die Schriftgelehrten von Mk. 9,14 fallen der radikalen Umformung von 9,14ff. bei Matthäus zum Opfer (17,14ff.; vgl. S. 42). Doch fragt Klostermann, HNT 143 im Blick auf die starke Verwandtschaft des Mt.- und Lk.-Textes: „hatten Mt. und Lc. eine andere Mcform vor sich?" 57
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Israel im Matthäusevangelium
lehrten von Mk. 14,1 die Oberpriester und Ältesten des Volks von 26,3. Dazu kommen in 27,4 die Oberpriester und Ältesten im matthäischen Sondergut. So konzentriert sich Matthäus auf einen Aktionsträger und gewinnt damit eine relativ starke Einheitlichkeit der Szenerie. Er gibt den Oberpriestern und Ältesten bzw. Oberpriestern und Ältesten des Volks in der Passionsgeschichte (und darüber hinaus) den Faden der Handlung in 8 von 13 Fällen in die Hand (26,3.47; 27,1.4.12.20; 28, l l f ; ohne Formel und zusammen mit den Schriftgelehrten 27,41). Daß sie als die handelnden Personen zu gelten haben, illustrieren 26,4 und 27,1 sehr eindrücklich: ein Todesbeschluß genügt den Oberpriestern und Ältesten nicht. Nach Mk. 15,1 beschließen die Autoritäten Jesu Auslieferung — im Vollzug ihres Todesanschlage von 14,1, wie man ergänzen mag. Bei Matthäus dagegen wiederholen und bekräftigen die Oberpriester und Ältesten des Volks ihren ersten solennen Todesbeschluß von 26,4 60 in 27,1 in aller Form, um daraufhin Jesus gebunden an Pilatus auszuliefern. Das will sagen: Die Oberpriester und Ältesten des Volks sind für Matthäus die Exponenten der ChristusTodfeindschaft Israels auf dem Boden Jerusalems. Erst Matthäus hat dieses Bild der Oberpriester und Ältesten als einer Aktionseinheit geschaffen und ihm seine charakteristischen Züge aufgeprägt. Es handelt sich also um einen durchaus ungeschichtlichen Personenkomplex, der aus tendenziöser Bearbeitung vorgegebener Traditionen stammt. Weil Matthäus von vorneherein diesen Komplex anvisiert, ist es dem Exegeten verwehrt, die Ältesten wie Hummel gleichsam als „alleinstehend" zu betrachten (der das im Widerspruch zu seiner These S. 21 tut, sie würden bei Matthäus nie allein genannt) und Überlegungen anzustellen, was mit den Ältesten in Verbindung mit den Oberpriestern allein oder den Oberpriestern und Schriftgelehrten zusammen jeweils gemeint sei61. Antwort: nichts; sie sind jeweils nur, was ihre Partner auch sind. Als selbständiges Phänomen existieren sie für Matthäus so wenig wie die Sadduzäer. Die Oberpriester und Ältesten des Volks sind für Matthäus Repräsentanten Israels als Kollektiv des Bösen wie andernorts die Schriftgelehrten und Pharisäer oder Pharisäer und Sadduzäer. Malt Matthäus jedoch die doctores in den Farben völliger wechselseitiger Synonymität, so empfangen demgegenüber die Oberpriester und Ältesten durch seine redaktionelle Arbeit den Charakter einer eigenständigen Gruppe. Der Grund liegt darin: Matthäus hält sich an die Basis des Markus-Textes, der die Oberpriester und Ältesten, singular oder mit anderen agierende einzelne, auch schon auf Jerusalem beschränkte. Auf diesem Fundament baut er mit der ihm eigenen 60 Vgl. Klostermann, H N T 207: „3f. . . . wird aus Mo' Worten .eine Sitzung und ein förmlicher Beschluß des Synedriuma'." 81 vgl. Hummel a.a.O. 21.
Ihre Synagogen
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Konsequenz weiter. Es genügt ihm, die Identität der „Jerusalemer" mit dem Volk zu betonen. So verzichtet er auf jede systematischliterarisch entwickelte Synonymität der Jerusalemer mit den doctores (nach Art der doctores untereinander), kraft deren die Lehrer stereotyp mit den Oberpriestern und Ältesten zu einer „Einheitsfront" verbunden wären. Genug, daß beide „Gruppen" da sind; die Lehrer Israels (Schriftgelehrte, Pharisäer) und die Oberpriester und Ältesten (des Volks), so 21,15.45; 26,57; 27,41.62. In der Jerusalems- und Passionsgeschichte ergeben diese „Gruppen" gemeinsam das Bild der Repräsentanten Israels. — Was sich bei den „Pharisäern und Sadduzäern" und „Schriftgelehrten und Pharisäern" beobachten ließ, wiederholt sich im engeren Bereich der Leidensgeschichte bei den „Oberpriestern und Ältesten (des Volks)". 4. Ihre
Synagogen
Zur Erhärtung des oben Gesagten ist noch die Wendung „ihre Synagogen" in die Betrachtung einzubeziehen. Wir fragen nach den Wirkungsstätten der Repräsentanten Israels im Matthäus-Evangelium. Die Oberpriester und Ältesten gewahrt man einmal im Tempel (21,23; vgl. 21,15), einmal im Palast des Hohenpriesters Kaiphas, wo sie Konvent halten (26,3; vgl. 26,57). Dies sind die einzigen repräsentativen Lokalitäten Jerusalems, an denen sie in Erscheinung treten; sonst folgen sie dem Ort der Handlung zu Pilatus und zum Kreuz Jesu. Anders die Lehrer Israels. Die Schriftgelehrten und Pharisäer z.B. werden direkt auf „eure Synagogen" angesprochen (23,3462). Sie und die Synagogen gehören zusammen (23,2/6 63 ; vgl. 6,2.5 im Zusammenhang mit 5,21). Zieht man den Kontext heran, muß man „ihre Synagogen" in 12,964 als die der Pharisäer (von 12,2) verstehen. Damit ist der Konnex zwischen den doctores und „ihren Synagogen" schon erschöpfend beschrieben. Wichtig sind noch die Summarien 4,23 und 9,35. Wenn es 4,23 heißt: Und er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und verkündigte das Evangelium vom R e i c h . . . 6 5 , so meint „ihre Synagogen" offensichtlich eine stehende galiläische Einrichtung, wobei freilich zu beachten ist, daß sich nach dem Gesamtzusammenhang 4,23—9,35 der Begriff „Galiläa" sachlich mit dem Israels über62 Das Motiv der Synagogen-Geißelung ist gegenüber Lk. 11,49 überschüssig (wohl redaktionell aus 10,17, wo sich „ihre Synagogen" auf die „Menschen" bezieht). 63 Zu 23,6 vgl. Mk. 12,39 und Lk. 20,46. 64 Redaktionell gegenüber Mk. 3,1. 65 Vgl. Mk. 1,39. Schon hier steht „ihre Synagogen".
3 8702 Walker, Heilsgeschichte
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Israel im Matthäusevangelium
schneidet. Denn auf galiläischem Boden folgen Jesus die Scharen aus Galiläa, den Zehnstädten, aus Jerusalem, J u d ä a und von jenseits des Jordans (4,25) — mit einem Wort: „Israel" versammelt sich im Bereich Galiläas. Hier beginnt Jesus seine Auseinandersetzung mit den Lehrern Israels (5,21fF.). Hier fällt das Wort: Solchen Glauben habe ich bei niemandem in Israel gefunden (8,10). Hier erfüllt sich nach 8,17 die Heilsweissagung an Israel. Und hier sprechen die staunenden Mengen: Nie ist solches in Israel gesehen worden (9,33), was die Repräsentanten Israels, die Pharisäer, sofort abwehren: Durch den Obersten der Teufel treibt er die Teufel aus (9,34). 4,23, von Matthäus fast gleichlautend dupliziert, lautet 9,35: Und Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und verkündigte das Evangelium vom R e i c h . . . Demnach gehören „ihre Synagogen" zum Lokalkolorit galiläischer ( = „israelitischer") Dörfer und Städte 6 6 . Der zwischen den Summarien 4,23 und 9,35 liegende Komplex schildert f ü r Matthäus — auf dem Boden Galiläas — die exemplarische Hinwendung Jesu zu „Israel", sein „Wort" an das Volk (Kap. 5—7; vgl. 5,1; 7,28f.) und seine „ T a t " (Kap. 8—9) 67 . Nach alledem legt sich die Deutung der „Synagoge" als religiös-repräsentatives Institut Israels nahe. Hümmels These: „Für die Kirche des Matthäus sind die Synagogen als solche die Synagogen des pharisäischen Judentums 6 8 ", ist nicht gerechtfertigt. I n ihr wirkt sich seine verfehlte Behandlung der Pharisäer-Texte aus, die ihm den Blick f ü r die wechselseitige Austauschbarkeit der Autoritäten und ihre repräsentative Funktion verstellt. Auch 4,23 und 9,35 mit ihrer Besonderheit im Kontext (Galiläa = Israel) läßt er außer acht. Schließlich kann man sich fragen, ob Hummel mit seiner Deutung der Wendung „ihre Synagogen" nicht seine Interpretation des Parallelbegriffs „ihre Schriftgelehrten" 6 9 desavouiert. Zunächst spricht er von „ihren Schriftgelehrten" als von den Schriftgelehrten der Pharisäer im Unterschied zu christlichen Schriftgelehrten. Dann plädiert er bei „ihre Synagogen" in Analogie zu „ihre Schriftgelehrten" für pharisäische Synagogen; doch gibt es hier kein christliches Gegenstück. Er erklärt: „Wo er die Synagogen nicht ausdrücklich ,ihre Synagogen' nennt, qualifiziert er 66
Vgl. die Nazareth-Perikope 13,53ff. mit „ihrer Synagoge" (13,54). In diesen Rahmen bezieht Matthäus auch ursprünglich ganz anders ausgerichtetes „Material" ein, vgl. 8,28ff. — Die beiden Sammelberichte sind als Über- und Unterschrift des ganzen Komplexes zu verstehen (der Nestle-Text führt hinsichtlich des Verses 9,35, der in Entsprechung zu 4,23 zum Vorausgehenden gehört, in die Irre; die Zäsur liegt hinter 9,35; erst 9,36 bildet den Auftakt zur Aussendungsrede). Sie bringen eine kurze, typisierende Inhaltsangabe von Kap. 5—9 nach den Stichworten: Lehre Jesu, die Predigt des Evangeliums vom Reich (Kap. 5—7) und Heilung jeder Krankheit und jedes Gebrechens im Volk (Kap. 8—9). 68 69 A.a.O. 29. A.a.O. 17f. 67
Dieses Geschlecht
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sie doch als Stätten der Heuchelei und Ehrsucht. Christliche Synagogen wird er dabei wohl nicht gemeint haben" 7 0 . Kann man aber bei „ihre Synagogen" nicht an pharisäische Synagogen im Unterschied zu christlichen denken, so wird man sich auch bei „ihre Schriftgelehrten" nicht gern auf pharisäische Schriftgelehrte im Gegensatz zu christlichen führen lassen. Die formale Parallelität der Wendungen mahnt zur Vorsicht. Die Begriffe „ihre Schriftgelehrten" (vgl. 2,4 „die Oberpriester und Schriftgelehrten des Volks") und „ihre Synagogen" setzen gleichermaßen die Einheit des Gottesvolkes in allen seinen Gliedern voraus. „Sie" sind das eine, homogene Volk, repräsentiert durch seine Lehrer, nicht die Spezies der Pharisäer 7 1 . So bestätigt die Wendung „ihre Synagogen" auf ihre Weise die matthäischen Topoi von der Einheit Israels und der Identität Israels mit seinen Repräsentanten. 5. Dieses
Geschlecht
Die vorliegende Darstellung der Repräsentanten Israels wandte sich bisher ganz dem Thema der „Repräsentanten" zu, ohne den Begriff „Israel" näher zu beschreiben. Nun ist die Frage zu stellen, welches „Israel" die Autoritäten zu repräsentieren haben. Das Bundesvolk seit seinen ersten Tagen? Das von Jesus aus gesehen „zeitgenössische" Israel, die „jetzt" lebende Generation? Oder überschneidet sich beides? Anders gefragt: Welche „heilsgeschichtliche Betrachtung" ist auf „Israel" angewandt — sofern eine solche Betrachtung vorliegt? Eine Untersuchung des Begriffs „dieses Geschlecht" soll auf diese Fragen Antwort geben. Zunächst f ü h r t der Terminus „dieses Geschlecht" noch einmal auf die Kongruenz der Repräsentanten mit „Israel". Nach 12,38 erheben „etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer" ihre Zeichenforderung 72 . Die Antwort lautet aber: Das böse und ehebrecherische Geschlecht sucht ein Zeichen (12,39), so daß die Autoritäten von hier aus in der Tat als Repräsentanten, als „Stimme des Volks" zu gelten haben. I m folgenden bringt der Evangelist die Logien vom Gericht über „dieses Geschlecht" 73 und fügt den Spruch von der Rückkehr unreiner Geister in den Menschen an 7 4 , den er redaktionell am Ende der Kompositions*> A.a.O. 29. Daß das eine Volk nun doch „verschieden" repräsentiert wird, hat seinen Grund in dem Matthäus vorgegebenen Material mit Pharisäern, Schriftgelehrten usw., das er pietätvoll und doch in seinem Sinne weiterführt, indem er die (verschiedenen) unter sich synonymen Repräsentanten schafft, ohne sich radikal auf eine „Gruppe" festzulegen. 72 Vgl. Bultmann, Tradition 54: „Die Zeichenforderung wurde in Q offenbar von unbenannten Subjekten (Lk. 11,16) ausgesprochen; bei Matthäus sind 12,38 dafür die Schriftgelehrten und Pharisäer eingesetzt." 73 12,41 f.; aus Q, vgl. Lk. l l , 3 1 f . 74 12,43—45; aus Q, vgl. Lk. 11,24—26. 71
3·
36
Israel im Matthäusevangelium
einheit wieder auf „dieses Geschlecht" bezieht: so wird es auch diesem bösen Geschlecht ergehen (12,45c). 16,1 wiederholt das Thema der Zeichenforderung (nach Mk. 8,11 ff.). Dieses Mal wollen die Pharisäer und Sadduzäer 75 ein Zeichen vom Himmel sehen. Und wieder entgegnet Jesus: Das böse und ehebrecherische Geschlecht sucht ein Zeichen (16,4)76. Nicht anders in Kapitel 23. Die Adressaten heißen jetzt: Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler . . . Sie sind es, die Jesus durch seine Weherufe dem Gericht anheimgibt. Gleichwohl liest man 23,36: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen 77 . Ähnlich spricht Matthäus (mit Markus) von „diesem Volk". In 15,1 geht es um „Pharisäer und Schriftgelehrte". Von ihnen, so vernimmt man im jetzigen Kontext, habe Jesaja geweissagt: Dieses Volk ehrt mich mit seinen Lippen . . . 7 8 Dieser erste Überblick über die Texte könnte es nahelegen, sich unter „diesem Geschlecht" Israel als Gegenüber Jesu in Einheit mit seinen Repräsentanten vorzustellen79. Zwei Momente blieben dabei jedoch unberücksichtigt. Zunächst gilt unsere Aufmerksamkeit den von Matthäus übernommenen Logien ll,16ff. 80 . Auf die Frage τίνι δέ ομοιώσω τήν γενεάν ταύτην antwortet das Gleichnis von den spielenden Kindern: einer höchst launischen Kinderschar. Und die folgende Anwendung schließt Johannes und Jesus als Leidensgenossen „dieses Geschlechts" zusammen (11,18f.). Das so in 11, 16ff. enthaltene Motiv „der Täufer und dieses Geschlecht" (vgl. 21,28—32) überträgt Matthäus auf die Johannes-Perikope 3, Iff. durch Einfügung der „dieses Geschlecht" vertretenden Pharisäer und Sadduzäer als Adressaten des Täufers (3,7): schon der Täufer hat es bei seinem ersten Auftreten in ihrer Person mit „diesem Geschlecht" zu tun. So will es der Evangelist. Doch nicht nur Jesus und der Täufer stehen in Auseinandersetzung mit „diesem Geschlecht". 23,34 fügt noch die Jünger hinzu. Auch die Q-Logien 23,34ff. 81 kommen Matthäus für seine Sicht der Dinge sehr zupaß. Der Blick ist in die Zukunft gerichtet: Siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte. Von denen werdet ihr etliche töten und kreuzigen, und etliche von ihnen werdet ihr in euren Synagogen geißeln und von einer Stadt zur andern verfolgen, damit über euch komme alles gerechte Blut, das auf Erden vergossen wird, vom Blut des gerechten Abel bis zum Blut des Za75 76
Gegen Mk. 8,11 „die Pharisäer". Matthäus folgt hier nicht Mk. 8,12, sondern dupliziert den Q-Text (Lk. 11,29 = Mt. 12,39). 77 Aus Q, vgl. Lk. 11,51. Der Evangelist verwandelt das ursprünglich eschatologisch orientierte Logion in eine „Ansage innergeschichtlichen Gerichts" und bringt es nun glatt mit 23,37ff. zusammen. 78 79 15,7f. = Mk. 7,6f. Vgl. 17,17 oder 23,37ff. 80 81 Aus Q, vgl. Lk. 7,31—35. Vgl. Lk. ll,49ff.
Dieses Geschlecht
37
charias, des Sohnes Berechjas . . . Fügt 23,36 dem hinzu, daß „das alles" über „dieses Geschlecht" hereinbrechen wird 82 , so ist klar, daß ή γενεά ταύτη unter dem Blickwinkel des Sprechenden eine Größe der „Zukunft" sein muß, genau gesagt das Israel, das im Gegenüber und Gegensatz zu den künftigen Boten vollends zum, Gericht reif wird83 (vgl. 23,32) und das doch jetzt schon Jesus gegenübersteht, aus seinem Mund die Unausweichlichkeit des Gerichts vernimmt. Der Terminus „dieses Geschlecht" gewinnt also, aufs Ganze der in Frage kommenden Texte gesehen, drei verschiedene Aspekte. Er beschreibt das Israel des Täufers, das Israel Jesu und der Jesus-Boten. Achtet man nun darauf, daß gerade diese drei von der Hand des Evangelisten als Träger der Basileia-Botschaft für Israel gezeichnet sind (3,2 redaktionell/4,17 = Mk. 1,15; 4,23 und 9,35 red. /10,7 red., vgl. Lk. 9,2), so hat man unter „diesem Geschlecht" nicht Israel im Sinne des alten und bis zur Zeit Jesu gegenwärtigen Bundesvolkes oder das Jesus zeitgenössische Israel „dieser Generation" zu verstehen, sondern exakt: Israel im Anblick der Basileia-Verkündigung, das Israel der eschatologischen Stunde, die, angekündigt vom Täufer, von Jesus verkündigend und mit Werken des Heils vergegenwärtigt (Kap. 5—7.8— 9; vgl. 12,28), schließlich durch die Jünger, gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (10,5f.), als nahe bevorstehend ausgerufen wird 84 . Somit ist nicht bloß an das „Volksganze" 85 gedacht, sondern an das Israel einer sehr präzis zu bestimmenden Stunde: sie hebt mit dem Täufer an und findet mit der Verwerfung der Jesus-Boten ihr Ende (vgl. 22,7ff.) 86 . „Dieses Geschlecht" und seine „Zeit" gehören zusammen. Jesus, dem Johannes als Vorläufer vorausgeht und der die Jünger sendet, ist die „Mitte" seiner Zeit. So wenig wie auf das aus den 82
Vgl. Anm. 77. Gegen Max Meinertz, „Dieses Geschlecht" im Neuen Testament, BZ N F 1 (1957) 283—289, der S. 286 auf „das jüdische Volk als solches" deutet. M. übersieht den Kontext; „dieses Geschlecht" ist Adressat Jesu und der künftigen Boten. Abwegig auch Joseph Schmid, Das Evangelium nach Matthäus, RNT 1, 4. Aufl. 1959, 330: „das ganze jüdische Volk seit grauer Vergangenheit bis zur Gegenwart ist hier gemeint." Ähnlich Schniewind NTD 237 (vgl. 145) „das Judenvolk als Ganzes". Die Bedeutung „diese Art" (Schniewind NTD 162, 237) scheidet überhaupt aus, vgl. Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 5. Aufl. 1963, 305f. 84 Mt. 24,34 kann außer Betracht bleiben. War „dieses Geschlecht" hier ursprünglich das Israel der letzten, unmittelbar bevorstehenden Stunde, so empfängt die Wendung aus ihrem jetzigen Kontext den allgemeineren Sinn von „Menschengeschlecht" (vgl. 24,30). Die Parusie hat sich verzögert (24,48; 25,5) und die Missionierung der Heiden soll dem Ende noch vorausgehen (24,14). „Dieses Geschlecht" hat hier also seine spezifisch „jüdische" Farbe verloren. 85 So F. Büchsei, ThW I 661. 86 Das Stück 23,34ff. verbietet eine Prolongierung des BegrifFs „dieses Geschlecht" bis in die Gegenwart des Evangelisten hinein. Für Matthäus liegt „dieses Geschlecht" mit dem Widerfahrnis seines Gerichts als ganzes in der Vergangenheit. 83
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Israel als Einheit des Bösen
Schriften bekannte „alte Israel" ist ή γενεά ταύτη demnach pauschal auf die „ J u d e n " zu deuten 8 7 , was schon das konkret hinweisende „dieses" ausschließt.-Bs handelt sich um das Israel einer bestimmten Berufungsphase, einer einzigartigen, streng christologisch und eschatologisch qualifizierten heilsgeschichtlichen Stunde. Ist also mit dem Matthäus-Evangelium von den Repräsentanten Israels zu sprechen, so stehen diese Repräsentanten nicht f ü r „ganz Israel" oder gar das „Judentum", sondern allein f ü r jenes durch das Matthäus-Evangelium vor Augen gerückte Israel, das in drei aufeinanderfolgenden Akten die Nähe der Gottesherrschaft erfährt und durch sein dreimaliges Nein, wie noch zu zeigen ist, der Berufung zur Basileia verlustig geht, sein heilsgeschichtliches Ende findet. Die Repräsentanten Israels sind im Matthäus-Evangelium die Vertreter der innerhalb des Evangeliums dargestellten, überschaubaren und zeitlich determinierten heilsgeschichtlichen Größe „Israel".
B. Israel als Einheit des Bösen Das Folgende soll die Thesen des vorausgehenden Abschnitts durch eine Untersuchung der von Matthäus übernommenen, „Israel" betreffenden Markus-Stoffe und Q-Materialien sowie der einschlägigen Stücke des Sonderguts untermauern und zugleich in extenso darstellen, daß der Evangelist die eine, heilsgeschichtliche Größe „Israel" seines Evangeliums konsequent „negativ" qualifiziert. Zunächst sind sämtliche „wertenden" Abweichungen des Matthäus-Textes gegenüber Markus (in Sachen „Israels") festzuhalten. 1. Die Mt. 9,1—8/Mk
Markus-Stoße
2,1—12
Mk. 2,8 spricht Jesus zu „etlichen der Schriftgelehrten" (2,6 = Mt 9,3): Was denkt ihr solches in euren Herzen? Der Vers blickt zurück auf 2,7 (mit der Frage: Was redet dieser so ? Er lästert. Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein?), wo bei Matthäus nur die abrupte, unbegründete These: „dieser lästert" (9,3) steht. 9,4 bringt gegenüber Mk. 2,8 eine kräftige Verschiebung in malam partem: Warum denkt ihr Böses in euren Herzen? Die unbegründete, schroife Behauptung 87 Gegen Victor Hasler, Die königliche Hochzeit, Matth. 22,1—14; ThZ 18 (1962) 25—35,33, Anm. 34: „Die Juden sind das böse und ehebrecherische . . . Geschlecht." — Ein ergänzender Hinweis auf 23,30. 31.32.35 darf nicht fehlen. Hier zeigt sich, daß „dieses Geschlecht" eine lange Vorgeschichte hat, mit der es zusammengehört; vgl. auch S. 115, Anm. 2 und S. 132ff. (bes. 133, Anm. 65).
Die Markus-Stoffe
39
der Lästerung und das harte „Böses" bedeuten gegenüber Markus eine deutliche „Peiorisierung" des Textes. Mt. 9,18—26jMk.
5,21—43
Aus dem Synagogen-Vorsteher (Mk. 5,22 = Lk. 8,41!) ist bei Matthäus ein beliebiger „Oberster" geworden. Tendenziöse Änderungen des Redaktors: ein um Hilfe bittender offizieller Vertreter Israels scheint f ü r Matthäus nicht mehr akzeptabel zu sein (vgl. zu 17,14—21 S. 42). Mt. 13,10—15/Mk.
4,10—12
Ist die Verstockung Israels bei Markus Ziel und Wirkung der Gleichnisrede (4,12), so bei Matthäus, der bewußt auf „dieses Volk" blickt (13, 15), die Voraussetzung, auf die Jesus mit seinen BasileiaGleichnissen richterlich reagiert (13, 13): Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie mit sehenden Augen nicht sehen usw. Auch der vom Evangelisten aus Mk. 4,25 beigebrachte Vers 13,12 gibt Auskunft über das Versagen Israels. Jenen ist es nicht gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu erkennen (13,11), denn, so darf man sinngemäß ergänzen, sie „haben" nicht; wer aber nicht „ h a t " (sc. die Frucht, das Christusbekenntnis o.a.), von dem wird auch noch genommen werden, Avas er h a t : daher die Parabelrede; sie soll Israels vorgegebene Schuld des Nicht-Habens besiegeln, indem sie vom Heil ausschließt, das Angebotene entzieht (δ έχει άρθήσεται άπ' αύτοϋ 13,12). Steht der Text bei Markus im Dienst der Geheimnistheorie 1 , so bei Matthäus im Horizont seiner speziellen Israel-Darstellung. „Dieses Volk" hat mit sehenden Augen nicht gesehen usw., also hat es keinen Anteil am heilvollen Geheimnis der Basileia. Jeder Zugang dazu wird ihm von Jesus selbst durch das Medium der Parabelrede versperrt! So machen Jesu Gleichnisse Israels Unheil definitiv, bringen das früher geweissagte Verderben zu gegenwärtiger Erfüllung, vgl. 13,14 mit dem bezeichnenden άναπληροϋται: Israel, das die ihm dargebotene Hand des Heils ausgeschlagen hat, ist die von Jesus richterlich preisgegebene massa perditionis. 1 Vgl. William Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien, 3. Aufl. 1963, 54ff. Joachim Gnilka, Die Verstockung Israels, Isaias 6,9—10 in der Theologie der Synoptiker, StANT 3 (1961), möchte auch für Markus von einem „Strafcharakter der Parabelrede" sprechen (80). Doch liegt 3,22ff. die angedrohte „Strafe" nicht im Gleichnischarakter der Antwort Jesu, die den Vorwurf der Besessenheit abwehren will (3,23—27), sondern in der Nicht-Vergebung für die Lästerung des Geistes (3,29). Der Evangelist folgt hier seinem Stoff, der die Parabeln durchaus als „Verständnishilfen" darbietet, ohne einen Ausgleich mit seiner Theorie zu suchen. Ebenso 2,18ff. Von der verhüllenden Wirkung der Parabelrede ist nur 4,2ff. etwas zu bemerken, und gerade hier fehlt das GerichtsMotiv.
40
Israel als Einheit des Bösen
Mt. 14,3—12/Mk.
6,17—29
Die Verhältnisse des Markus-Textes sind bei Matthäus auf den Kopf gestellt. Mk. 6,19 ist es Herodias, die dem Täufer nach dem Leben trachtet. Sie richtet jedoch nichts aus, weil Herodes seinen Gefangenen fürchtet, wohl wissend, daß er ein gerechter und heiliger Mann sei. Herodes steht gleichsam als Schutzschild vor Johannes: , , . . . und er ließ ihn bewachen, und wenn er ihn hörte, kam er in schwere Verlegenheit und hörte ihn doch immer wieder gern" (6,20). Ganz anders der Matthäus-Text. Hier ist von vorneherein klar, daß Herodes selber Johannes töten will (14,5), doch fürchtet er sich vor dem Volk, das den Täufer für einen Propheten hält, wie es nach 21,46 auch Jesus diesen Rang beimißt (vgl. 21,11), was wiederum den dort genannten Autoritäten Respekt einflößt. Wolfgang Trilling beurteilt diese tiefgreifende Differenz zu Markus richtig: „Herodes Antipas wird so in eine Linie mit seinem Vater gestellt, der Jesus nach dem Leben trachtete (2,13), und mit seinem Bruder Archelaus, dessen Herrschaft Furcht weckt und die Übersiedlung nach Galiläa erforderlich macht (2,22). Alle stehen in einer einzigen gottfeindlichen F r o n t . . . " 2 . Wenn Trilling freilich hinzufügt, es gäbe nur zwei Fronten, und Herodes stehe auf der Seite der Prophetenmörder, trifft er den Text nicht. Denn Johannes gilt, abgesehen von der Meinung des Volkes, im Matthäus-Evangelium keineswegs bloß als Prophet (vgl. 11,9ff.). Er steht mit Jesus und den Jüngern in einer Front als Bote der Himmelsherrschaft: gegen diese drei wütet die gesammelte Feindseligkeit Israels. Diese drei erleiden von seiner Hand den Tod (Johannes: 14,10; 17,12; Jesus: 12,14; 16,21; 17,12 usw.; die Jünger: 22,6; 23,34). Israel — doppelter und dreifacher Mörder der Basileia-Boten: an diesem Bild arbeitet der Evangelist durch seine „Korrektur" des Markus-Textes in der Täufer-Perikope 3 . Mt. 14,13/Mk.
6,30—32
Markus berichtet nach der Täuferperikope von der Rückkehr der Apostel zu Jesus. Um dem Andrang der Vielen auszuweichen, fahren Jesus und die Jünger mit dem Schiff abseits an einen verlassenen Ort (6,32). Matthäus übergeht Mk. 6,30f. und schließt hart an 14,12 die Notiz vom Entweichen Jesu an; die Jünger bleiben außerhalb des Gesichtsfeldes. 14,13 ist deutlich nach Mk. 6,32 formuliert, nur tritt άνεχώρησεν an die Stelle des harmlosen άπήλθ-ον. Der Sinn dieser Auslassung und Akzentverschiebung ist offenkundig: so bedrohlich ist die 2
Die Täufertradition bei Matthäus, BZ 3 (1959) 271—289,275. Daß Matthäus den Markus-Text bearbeitet, ist z.B. an der bei ihm stehengebliebenen Notiz von der tiefen Betrübnis des Königs zu erkennen. Sie hat bei Markus ihren guten Sinn, da Herodes hier im Vorausgehenden zum Täufer hält. In der matthäischen Fassung der Legende steht sie sinnlos im Leeren. 3
Die Markus-Stoffe
41
dem Täufer bewiesene Todfeindschaft Israels, daß Jesus (der mit Johannes zusammengehört) vor ihr fliehen muß 4 . Mt. 15,1—201 Mk.
7,1—23
Im matthäischen Text fallen sofort die Verse 12—14 auf, die bei Markus fehlen 5 . Die Jünger fragen: Weißt du, daß sich die Pharisäer ärgerten, als sie das Wort hörten? 15,13 bestätigt dieses von 15,12 vorausgesetzte faktische Ärgernis der Repräsentanten; sie sind — an Jesus — zu Fall gekommen (vgl. 11,6). Die Antwort Jesu besteht in einer herben Gerichtsankündigung für „jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat". Eindrucksvoll illustriert der Text unsere These von der Einheit Israels mit seinen Repräsentanten bei Matthäus. Denn die Pharisäer und das von ihnen geführte „Volk" gehen gemeinsam dem Gericht entgegen; das „Volk" mit seinen Führern. Wieder dieses harte, negative Kollektivurteil über Israel: Blinde, von Blinden geführt. Wieder keine Silbe von Heil und guter Aussicht für Israel. Das ganze Volk, Führer und Geführte in ihrer Einheit, ist dem „Abgrund" verfallen. Ja, Jesus selbst überläßt sie ausdrücklich ihrem Verderben. Sie sollen ihren Weg weiter gehen — „lasset sie . . . " Mt. 16,1—12/MJc.
8,11—21
Das Stück von der Zeichenforderung der Pharisäer und Sadduzäer (16,1.2a.4; vgl. 12,38f.) formuliert Matthäus im Anschluß an Mk. 8,11 bis 13. Bezeichnend, daß der Evangelist die Versuchung Jesu als „Hauptmotiv" der Gegner energisch an die Spitze rückt (ähnlich Mt. 19,3/Mk. 10,2). Aus der Frage Mk. 8,12 (Was sucht dieses Geschlecht ein Zeichen?) wird die anklagende Behauptung: d a s böse und ehebrecherische Geschlecht sucht ein Zeichen 6 ! F ü r die Pharisäer von Mk. 8,11 setzt Matthäus die „Pharisäer und Sadduzäer" und behält diese Gegnerschaft in der folgenden Szene bei (gegen Mk. 8,15: Sauerteig der Pharisäer und Sauerteig des Herodes); er verbindet also die beiden Textgruppen zu einer größeren Einheit. Während Markus das Gespräch vom Sauerteig in aller Breite unter den Aspekt des Jüngerunverständnisses rückt, formt es Matthäus in einen Angriff Jesu auf die Lehrerschaft Israels um: Sehet zu und hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer (16,6; wiederholt 16,11) — das ist, wie 16,12 abschließend feststellt, nichts anderes als die Lehre der 4
Vgl. άνεχώρησεν 4,12, wieder in Verbindung mit dem (gefangen gesetzten) Täufer; 12,15: Flucht Jesu nach dem Todesbeschluß der Pharisäer ( = Mk. 3,7); 15,21: Jesu Entweichen nach der Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten (15, Iff.); vgl. 2,12.13.14.22. 5 15,13 Sondergut; 15,14 aus Q (vgl. Lk. 6,39)? — Zu 15,1—20 vgl. S. 140ff.
42
Israel als Einheit des Bösen
Pharisäer und Sadduzäer. Verwerfliches Israel; vor der Lehre seiner Repräsentanten wird gewarnt. Mt. 17,14—21/Mk.
9,14—29
I n der Perikope von der Heilung des Epileptischen streicht Matthäus den Disput der Schriftgelehrten mit den Jüngern. Wo Jesus die Lehre „Israels" so nachdrücklich perhorresziert, können sich die Jünger begreiflicherweise nicht mehr mit den Vertretern des „bösen und ehebrecherischen Geschlechts" unterreden. Mt. 19,1—121 Mk.
10,1—12
Mit ihrer Frage nach der Entlassung des Weibes erscheinen bei Matthäus die Pharisäer von vorneherein in einem viel ungünstigeren Licht als bei Markus (10,2), wo sie nach der Möglichkeit der Ehescheidung überhaupt fragen. Für Matthäus haben sich die Versucher Jesu, wie der Text suggeriert, längst f ü r die Ehescheidung entschieden, ja sie möchten wissen, ob es erlaubt sei, seine Frau um jeder Ursache willen zu entlassen — ihre Praxis, wie man ergänzen muß. Jesus bekämpft ihre libertinistische Haltung, die f ü r die Haltung „Israels" steht 7 , nach dem Matthäus-Text zunächst mit einem kategorischen „überhaupt nicht" (19,4—6; der Evangelist stellt das Schöpfungsargument anders als Mk. 10,6—9 als wuchtige Gegenthese an die Spitze), dann mit einem Satz, der auf die laxe Scheidungspraxis Israels eingehen, sie in aller Form zurückweisen will (19,9): Wer seine Frau μή επί πορνεία entläßt („nicht wegen Unzucht" = um jeder Ursache willen) . . . begeht Ehebruch 8 . Bemerkenswert ist auch, daß sich nach 19,7 die Pharisäer auf Mose und sein „Gebot" berufen, während Jesus von einer „Erlaubnis" redet und daraufhinweist, von Anfang an sei es nicht also gewesen (19,8; das ausgesprochene argumentum principii fehlt bei Markus), wo im Markus-Text Jesus selbst unbefangen nach dem von Mose Gebotenen fragt (10,3; vgl. 10,5), dieweil seine Gegenüber mit der „Erlaubnis" Moses argumentieren. Der Evangelist will zeigen: Jesus schlägt „Israel" seine vornehmste Waffe, das Gebot Moses, mit dem argumentum principii aus der Hand. Gott steht, was die Ehescheidung betrifft, von Anfang an gegen Mose, Gesetz und Pharisäer. Mit alledem ist der Text wieder viel schärfer als bei Markus gegen Israel gewandt. 6 Wohl aus Q (vgl. Lk. 11,29), vom Evangelisten nach seinen Absichten redigiert. 7 Weil die Pharisäer für „Israel" votieren, muß man den Streit zwischen Hillel und Schammai von 19, Iff. fernhalten. Was historisch gesehen (cum grano salis) Hillels „Lehre" war, ist für Matthäus Sache (der Vertreter) ganz Israels. 19,3—9 zeigt, wie weit der Redaktor von konkret-historischen „jüdischen" Verhältnissen entfernt ist. 8 Zu 5,32 und 19,9 vgl. S. 137f.
Die Markus-Stoffe
Mt. 21,18/./MJe.
43
11,12—14
Nur im Blick auf den Matthäus-Text ist von einer Verfluchung des unfruchtbaren Feigenbaums zu sprechen (vgl. 21,41.43). Dieser Zug der Darstellung liegt Mk. 11,13 („denn es war nicht die Zeit der Feigen") völlig fern. Da der Feigenbaum als „Symbol" Israels zu gelten hat 9 , motiviert Matthäus mit der fehlenden Frucht die folgende Verfluchung Israels zu ewiger Unfruchtbarkeit (!), deren Unumstößlichkeit und Gegebenheit er (gegen Mk. 11,14) kräftig herausstreicht: und alsbald verdorrte der Feigenbaum . . . — „This story is unique in the Gospels, in that it describes the only miracle of Jesus which is purely destructive'' (Fenton) 10 . Mt. 21,33—46IMk.
12,1—12
21,35 spricht im Unterschied zu Mk. 12,3 (εδειραν και απέστειλαν κενόν) schon vom Tod und der Steinigung der Knechte. Mk. 12,4f. faßt der Evangelist in einem Satz zusammen (21,36): Wiederum sandte er andere Knechte, mehr als die ersten, und sie taten ihnen gleichalso. Trilling beurteilt diesen Vorgang richtig; er sagt: „Das Handeln der Winzer ist von Anfang an gleich, die Tötung des Sohnes steht in einer Linie mit den vorherigen Missetaten. So entsteht der Eindruck: Das ist die Regel, das ist die Art dieser Winzer" 1 1 . Neben dieser Betonung der „mörderischen Art" Israels legt Matthäus wie in 21,18f. den Finger auf seine „Unfruchtbarkeit". Schon 21,34 zielt auf dieses Motiv. Mk. 12,2 steht das neutrale τω καιρώ; 21,34 sagt dagegen: Als aber die Zeit der Früchte gekommen war . . . Ist es Mk. 12,2 das Interesse des Weinbergbesitzers, „bei den Weingärtnern von den Früchten des Weinbergs (seinen Anteil!) in Empfang zu nehmen", so verlangt er in 21,34 durch die Boten prononciert nach seinen Früchten. 21,41 zufolge wird er den Weinberg anderen Weingärtnern austun, die ihre Früchte bringen zu ihrer Zeit, und 21,43 spricht davon, die Gottesherrschaft werde von „euch" genommen und einem Volk gegeben werden, das ihre (der Basileia) Früchte bringe. Beides fehlt bei Markus. Dann läßt es sich Matthäus wieder angelegen sein, das unausweichliche Gericht mit dem Hinweis auf die Bosheit der Delinquenten einsichtig zu machen. Mk. 12,9 heißt es: E r wird kommen und die Weingärtner umbringen. Anders 21,41: E r wird die Bösewichter übel umbringen, wobei der Evangelist noch eine besondere Pointe bereithält insofern, 9 Vgl. Joachim Jeremias, Jesu Verheißung für die Völker, 2. Aufl. 1959, 42, Anm. 167. 10 John C. Fenton, The Gospel of St. Matthew, The Pelican Gospel Commentaries, 1963, 335. 11 Das wahre Israel 56.
44
Israel als Einheit des Bösen
als er die „Weingärtner" sich selbst das Urteil sprechen läßt 1 2 . Schließlich fügt Matthäus in 21,45 noch die Bemerkung hinzu, die Oberpriester und die Pharisäer hätten erkannt, daß Jesus von ihnen sprach. Sind sie gemeint, so ist es nur logisch, daß sie im folgenden Jesus zu ergreifen suchen (21,46 = Mk. 12,12): in ihnen verkörpert sich das blutbesudelte und verworfene Israel des Gleichnisses, das auch vor „seinem Sohn" nicht haltmacht. Mt. 22,15—22jMk.
12,13—17
Zwei Dinge fallen auf. Einmal ersetzt der Evangelist άγρεύειν, „erhäschen, fangen" aus Mk. 12,13 durch παγιδεύειν, „mit der Schlinge fangen", fügt also 22,15 die Nuance des lauernden Schlingeniegens hinzu. Zum andern verwandelt er das Wissen Jesu um die Heuchelei der Gegner von Mk. 12,15 in seine Erkenntnis ihrer Bosheit (22,18), ohne sich freilich das ύπόκρισις-Motiv des Markus-Textes entgehen zu lassen. Formuliert Markus die folgende Frage Jesu ohne sonderliche Anrede, so fährt Matthäus fort: Was versucht ihr mich, ihr Heuchler? Mt. 22,23—33/Mk.
12,18—27
Der Redaktor nimmt 22,33 aus Mk. 11,18 auf und trägt es hier nach. Mit der Schlußsentenz, daß die Mengen, die es hörten, sich über Jesu Lehre entsetzten, will er die peinigende Fremdheit der Antwort Jesu für die Ohren Israels zum Ausdruck bringen: das Volk steht auf der Seite der Sadduzäer, deren Anliegen zugleich das Anliegen Israels ist — und deren Niederlage, wie das Folgende zeigt, die Pharisäer nicht ruhen läßt, bis sie zum „Gegenschlag" ausgeholt haben. (So wenig ist Matthäus an „historischen Verhältnissen" interessiert; so wenig kennt er sie.) Mt. 22,34—40/Mk.
12,28—34
Erstaunlicher Gegensatz! Bei Markus „einer von den Schriftgelehrten", der weiß, daß Jesus den Sadduzäern trefflich geantwortet hat; der eine sachliche Frage stellt und auf Jesu gelungene Antwort hin sein Lob nicht zurückhält, um im gleichen Gesprächsgang die Worte Jesu ergänzend, kommentierend fortzuführen, worauf ihm Jesus unter dem Eindruck seiner verständigen Rede bekennt, er sei nicht ferne vom Reiche Gottes 13 . Bei Matthäus dagegen „die Pharisäer", auf12 21,44 kann hier außer Betracht bleiben, da sich diese Gerichtsankündigung, die wohl als zum ursprünglichen Text gehörig anzusprechen ist, nicht nur auf „Israel", sondern als „generelle Sentenz" auch auf das 21,43 genannte „andere Volk" bezieht; vgl. Georg Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit, Untersuchung zur Theologie des Matthäus, FRLANT 82, 1962, 111. 13 Vgl. Günther Bornkamm, Das Doppelgebot der Liebe, in: Neutestamentliche Studien für Rudolf Bultmann, BZNW 21, 2. Aufl. 1957, 85—93.
Die Markus-Stoffe
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gescheucht durch die „Schlappe" der Sadduzäer; ein Gesetzeskundiger aus ihrer Mitte, der Jesus fragt, um ihn zu versuchen — die Phalanx des Bösen. Die „positiven" Züge des Markus-Textes sind konsequent unterdrückt. In der Perikope vom größten Gebot tritt (auf dem Hintergrund von Mk. 12,28ff.) die Härte und Systematik des Evangelisten in seiner Israel-Darstellung besonders schroff zutage. Mt. 22,41—46/Mk.
12,35—37
Die Verse Mk. 12,35ff. entrollen das Bild einer „sachlichen" Auseinandersetzung in der Davidssohnfrage. Jesus lehrt im Tempel: Wie sagen die Schriftgelehrten . . . ? Als Zuhörerschaft ist das Volk zu denken, vgl. 12,37: Und die große Volksmenge hörte ihm gerne zu. Matthäus f ü h r t in 22,41 die Pharisäer des vorausgehenden Stücks in die Szene ein und transponiert den Text auf die Ebene eines „Streitgesprächs". — Da aber die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus: Was dünkt euch um Christus . . . ? Am Ende sind — nach den Sadduzäern — auch die Pharisäer geschlagen. 22,46 stellt abschließend fest: Und keiner konnte ihm ein Wort antworten; auch wagte es von jenem Tag an keiner mehr, ihn noch weiter zu fragen. Das heißt im Kontext: Jesus schlägt mit seiner Attacke die geschlossen anlaufende Front der Feindschaft Israels zurück. Er wird zwar versucht, aber er behält endgültig die Oberhand. Auf seiner Seite ist der Sieg der überlegenen guten Sache. Mt. 26,1—δ/Mk.
14,1—2
Markus berichtet vom Todesanschlag der Oberpriester und Schriftgelehrten (έζήτουν . . . πώς αύτδν έν δόλω κρατήσαντες άποκτείνωσιν). Nach Mt. 26,3f. versammeln sich die Oberpriester und Ältesten des Volks im Palast des Hohenpriesters Kaiphas und fassen den „offiziellen" Beschlußu, Jesus mit List gefangenzunehmen und zu töten. Man sieht: Jesu Tod ist die solenne Entscheidung Israels. Mt. 26,14—16jMk.
14,10—11
Judas erbietet sich, Jesus zu verraten (Mk. 14,10). Der folgende Satz lautet: Als die (Oberpriester) es hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld zu geben. Matthäus übergeht die „Freude" der Autoritäten; dafür stellt er das Ganze unter den beherrschenden Gesichtspunkt des Geldgeschäfts. Judas tritt auf und fragt: Was wollt ihr mir geben, daß ich ihn euch verrate ? Und die Oberpriester machen den bösen Handel alsbald perfekt: Sie aber wogen ihm dreißig Silberlinge dar. Bei Markus kommt das άργύριον-Μοΐϊν erst nachträglich ins 14
Vgl. Bauer, Wörterbuch 1540.
46
Israel als Einheit des Bösen
Spiel; Matthäus gibt der Szene von vorneherein die eine düstere Note: Israel, auf dessen Seite Judas hier steht, „verschachert" seinen Messias. Mt. 27,1—2/Mk.
15,1
Im Markus-Text fassen die Autoritäten einen Beschluß und lassen Jesus fesseln, abführen und an Pilatus ausliefern. Nach 27,1 f. jedoch wiederholen vor der Auslieferung Jesu alle (!) Oberpriester und Ältesten des Volks ihren feierlichen Todes beschluß von 26,4 (vgl. 12,14) in aller Form. -— Diese eiserne Stirn, dieses grimmig zum Tode Jesu entschlossene Israel! Mt. 27,11—14/Mk.
15,2—5
Wo Markus nach der Auslieferung Jesu sofort zu 15,2 überleitet: Und Pilatus fragte ihn . . . , verweist Matthäus (nach den von ihm eingeschobenen Versen 27,3—10) gleich mit dem ersten, die Szene würdig eröffnenden Satz auf die Hoheit Jesu: Jesus aber trat vor den Statthalter 15 . Diese Linie führen 27,12ff. konsequent weiter. Jesus antwortet auf die Anklagen der Oberpriester und Ältesten nicht, wie 27,12 (gegenüber Mk. 15,3) vermerkt. Als daraufhin Pilatus das Wort ergreift, wird auch er in Jesu Schweigen einbezogen: Und er antwortete ihm auch nicht auf ein einziges Wort, so daß sich der Statthalter sehr verwunderte (viel schwächer Mk. 15,5). Israels Anwürfe gegen seinen König verdienen keine Erwiderung — an die Adresse der Ankläger und des Pilatus. Schweigen, Schweigen sagt alles. Mt. 27,15—26/Mk.
15,6—15
Zuletzt ist noch die Barabbas-Perikope zu betrachten. Matthäus betont den schroffen Kontrast zwischen Barabbas und Jesus. Erläutert Mk. 15,7 verhältnismäßig ausführlich und in referierendem Ton, Barabbas gehöre zu den Aufrührern, die bei dem Aufruhr einen Mord begangen hätten, so spricht Matthäus in 27,16 deftig plakatierend von dem „berüchtigten Gefangenen namens Barabbas" und suggeriert so den Gedanken an einen üblen Verbrecher. Dem stellt er das reine Bild von „jenem Gerechten" gegenüber, um dessetwillen das Weib des Pilatus im Traum viel erlitten hat (27,19 Sondergut). Dazu übernimmt er 27,23 (Was hat er denn Böses getan?) unverändert aus Mk. 15,14. Auch die uneingeschränkte Verantwortlichkeit Israels für den Tod Jesu will der Evangelist wieder herausstellen. Nach Mk. 15,11 wiegeln die Oberpriester das Volk auf, „daß er ihnen lieber den Barabbas freigäbe" — und nichts weiter. In Mt. 27,20 überreden die Oberpriester und Ältesten die Volksmenge, sie sollten Barabbas „begehren", Jesus 15
ϊστημι (Aor. pass.) hier intransitiv! Vgl. Bauer, Wörterbuch 755.
Die Markus-Stoffe
47
aber zum Tode bringen, wie es nun heißt. Diesem Ansinnen leistet das Volk bereitwillig Folge. Es erklärt sich mit seinen Repräsentanten solidarisch, macht den Tod Jesu zu seinem ausgesprochenen Anliegen. Alle sprechen sie: Er soll gekreuzigt werden (27,22; anders Mk. 15,13) 16 . Das ganze Volk übernimmt die Schuld am Tode Jesu (27,25 Sondergut). Eine weitere Differenz gegenüber Markus liegt darin, daß Matthäus das Entweder—Oder im Blick auf Barabbas und Jesus in die Mitte der Szenerie rückt. Das Volk hat die Wahl 1 7 : Verbrecher oder Christus. Das ist schon 27,17 die Frage (anders Mk. 15,9), die Pilatus dem Volk noch einmal in aller Form vorlegt: Welchen von den beiden wollt ihr, daß ich euch freilasse (27,21; fehlt so bei Markus)? Das Volk entscheidet sich expressis verbis f ü r Barabbas (wieder fehlt das markinische Gegenstück). Und auf die Frage des Statthalters, was mit Jesus geschehen solle, verlangt es entschlossen nach seinem Kreuz (27,22; mit Mk. 15,12f.), bereit, alle Konsequenzen seiner Entscheidung auf sich zu nehmen: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder (27,25). „Da", auf diese Erklärung hin, so unterstreicht Matthäus, gibt Pilatus ihnen Barabbas frei (27,26; anders Mk. 15,15), Jesus aber überweist er zur Kreuzigung. Wichtig ist noch das matthäische Sondergut. Trilling hat richtig gesehen, daß 27,19, vom Evangelisten (wie 27,24f.) geschickt in den Kontext eingebettet, zunächst den Gang der Handlung aufhalten soll: die Autoritäten bekommen Zeit, das Volk zu überreden. Auch das ist exakt beobachtet, daß die Mahnung „Habe nichts mit diesem Gerechten zu schaffen" dem 27,24f. Berichteten auf seine Weise vorarbeitet. I n der Tat t u t Pilatus dann das Entsprechende; er will am Blut Jesu nicht schuldig sein 18 . „Dadurch, daß . . . μηδέν σοί κτλ. (Vers 19) und άθωός εΐμι κτλ. (Vers 24) aufeinander abgestimmt sind, wird die alleinige Verantwortung der Juden f ü r den Urteilsspruch vorbereitet . . . Matthäus verwendet das Wort der Heidin als helle Folie, damit die Schuld der Juden sich um so dunkler abhebe" 1 9 . So mit Recht Trilling. 27,24 zufolge sieht Pilatus, daß sein Hinweis auf die Unschuld Jesu (27,23) „nichts nützt", sondern das Geschrei nur gewaltig aufrührt. Er hat getan, was er konnte. Er hat dem Volk vorgelegt, was ihm zusteht: die Wahl, ohne Zweifel an seiner Wahl (hätte er hier zu wählen) aufkommen zu lassen. Das Volk aber hat anders entschieden und hält leidenschaftlich an seinem Willen fest. Also wäscht Pilatus seine Hände — mit Recht! — in Unschuld: Sehet ihr zu . . . Das ist der Duktus der matthäischen Darstellung: „Israel" ist 16
In 26,66 übergeht Matthäus das πάντες von Mk. 14,64; er trägt es hier nach. 8v ήθελον 27,15 statt δν παρητοϋντο Mk. 15,6. Der Kontrast zu dem berüchtigten Gefangenen von 27,15 ist Trilling entgangen. 19 Das wahre Israel 68. Von den „Juden" sollte Trilling im Blick auf die vorliegenden Texte besser nicht sprechen, vgl. S. 55, Anm. 45. 17
18
48
Israel als Einheit des Bösen
es, das den berüchtigten Barabbas seinem König vorzieht und sich feierlich zu seiner Schuld bekennt. 2. Die Q-Materialien Ähnlich wie im Vorausgehenden gilt es nun, die Matthäus und Lukas gemeinsamen, von Israel handelnden oder darauf bezogenen Stoffe auf „qualifizierende" Änderungen der Redaktion hin zu untersuchen. Mt. 3,7—lOILk.
3,7—9
Die Logien sind bei Matthäus und Lukas bis auf leichte stilistische Andersartigkeiten wörtlich identisch, nur die redaktionellen RahmenNotizen weichen voneinander ab. Nach Lk. 3,7 a ergehen die Worte des Täufers an die Volksmenge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen. Matthäus aber denkt sofort an „Israel". Seine Adressaten sind 3,7 a „viele der Pharisäer und Sadduzäer", die Johannes zur Taufe kommen sieht. Zudem stellt er seinem Text anders als Lukas die zumeist aus Mk. 1,5 übernommene Notiz voran, die davon spricht, Jerusalem, das ganze jüdische Land und die ganze Landschaft um den Jordan 2 0 sei zu Johannes hinausgezogen usw. Den bei Markus folgenden Vers 1,6 vom äußeren Habitus des Täufers bringt er schon in 3,4, so daß er von der Johannes-Taufe Israels 3,5f. in einem Zuge zu der Gerichts-Adresse an Israel (die Pharisäer und Sadduzäer) übergehen kann. Kaum tritt der erste Bote der Basileia auf (vgl. 3,2 redaktionell) und stößt auf „Israel", schon muß er drohend die Stimme erheben! Q-Stoffe der Bergpredigt Die von Matthäus zwischen 5,20 und 7,28f. zusammengestellten und redigierten Q-Stoffe der Bergpredigt (vgl. Lk. 6,27—38.41—44.46—49; 11,2—4.9—13.34—36; 12,22—31.33—34.58—59; 13,23—24.26—27; 16,13), die bei Lukas auf verschiedene Szenen verteilt und zumeist an die Adresse der Jünger (6,20; vgl. 6,27; 11,1; 12,22; 16,1), aber auch an die Volksmenge (11,29; 12,54) oder freischwebend zu „ihnen" gesprochen sind (13,23), hat der Evangelist durch die Rahmenbemerkungen 5,20 und 7,28f. zusammen mit anderem Gut zu einer gegen „Israel" gerichteten Rede Jesu ausgestaltet 21 . Die Logien dienen, mit 5,20 zu sprechen, zur Beschreibung der Gerechtigkeit, die besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Mit dem Blick auf „diese Worte" (7,28) stellt 7,29 abschließend fest, Jesus habe das Volk ώς έξουσίαν έ'χων gelehrt und nicht wie ihre Schriftgelehrten. Sehr ein20 Fehlt bei Markus. Lk. 3,3 berichtet davon, Johannes habe sich in die ganze Landschaft um den Jordan begeben. 21 5,20 redaktionell; zu 7,28f. vgl. Mk. 1,22.
Die Q-Materialien
49
drucksvoll hat der Evangelist sein Vorhaben beim Vaterunser durchgeführt, das Lk. 11, Iff. unter dem Stichwort „Herr, lehre uns beten" den Jüngern zugeeignet ist. Matthäus dagegen bringt das Vaterunser nach 6,5—8, der Warnung vor den Heuchlern 22 , und fügt im Kontrast zum also beschriebenen Beten Israels 23 hinzu: So sollt ihr beten . . . Mt. 8,5—13ILL· 7,1—10;
13,28f.
Der erste in die Augen springende Unterschied zum lukanischen Text liegt darin, daß sich bei Matthäus der Hauptmann in persona an Jesus wendet und seinem Glauben selbst beredten Ausdruck verleiht, während er nach Lk. 7,3 „Älteste der Juden" zu ihm sendet, die sein Anliegen vortragen und sich mit dem Hinweis auf seine Verdienste um Israel (!) für ihn einsetzen (7,4f.); im folgenden bekundet er seinen Glauben durch den Mund von Freunden (7,6ff.). Die Hinwendung der Oberen Israels zu Jesus und die Sympathie eines Heiden für Israel sind für Matthäus, falls diese Momente in seiner Q-Vorlage eine Rolle spielten 24 , in Konsequenz seiner ganzen Israel-Zeichnung, wie sie seine Formulierung von 8,10 wieder erkennen läßt, unmöglich geworden (vgl. 9,18). Heißt es Lk. 7,9: Nicht einmal in Israel (das doch das „Glaubensvolk" ist) habe ich solchen Glauben gefunden; überbietet hier also der Glaube des Heiden denjenigen Israels, so schreibt der harte Griffel des Redaktors in 8,10: Bei niemandem habe ich so großen Glauben in Israel gefunden, was um so schwerer wiegt, als Matthäus dem die Verse 8,11 f. folgen läßt, die der endzeitlichen Erwählung der Heiden Israels Verwerfung gegenüberstellen 25 . Der totale Unglaube Israels rechtfertigt die ihm angedrohte endgeschichtliche Katastrophe. 22 Die Verse 6,7 f. haben, isoliert betrachtet, eine andere Ausrichtung u n d sind von einem anderen Standpunkt aus formuliert als 6,5f. ( . . . ώσπερ οί έθνικοί!), doch stört das den Evangelisten nicht, sie seinem übergreifenden Zusammenhang „wider Israel" unterzuordnen (vgl. 6,1—4.16—18). 23 Auffallend ist das absolute „die Heuchler" in 6,2.5.16; vgl. 24,51, das auch Did. 8,1.2 vorkommt, wo unzweideutig u n d kollektiv „die J u d e n " gemeint sind. Stoff und Termini entstammen wie Did. 8,1 f. der christlichen Auseinandersetzung mit dem „ J u d e n t u m " ; Matthäus jedoch gebraucht sie im R a h m e n seiner „geschichtlichen" Israel-Schilderung für das Gegenüber Jesu. 24 Bultmann, Tradition 39 vermutet, daß erst Lukas die Ältesten und ihre Argumente in seinen Text einführte. 25 Vgl. die sorgfältige Analyse Trillings, Das wahre Israel 88 f. ·— Gnilka 98, Anm. 36 möchte nicht zugeben, „daß Jesus hier ganz Israel als Nation (!) verwirft". Demgegenüber ist Trilling beizupflichten, der die schneidenden Konturen des Textes gewissenhaft nachzieht. Nach Trilling 89f. ,,. . . ist der Tenor so auf Endgültigkeit und Unwiderruflichkeit abgestimmt, daß m a n kaum bezweifeln kann, Matthäus habe das Wort als gültigen Urteilsspruch über Israel in seiner heilsgeschichtlichen Sonderstellung aufgefaßt". Weniger zufriedenstellend ist Trillings Erklärung der „Söhne der Basileia" (89), unter denen er „das auserwählte Volk als solches" versteht — in Anlehnung an G. Dalman, Worte Jesu 94: „Die ,Söhne der Gottesherrschaft' sind somit die ihr durch ihre Geburt angehörenden, welche dadurch ein naturhaftes Recht auf ihren Besitz
i
8702 Walker, Heilsgeachichte
50 Mt. 8,19—22jLk.
Israel als Einheit des Bösen
9,57—60
Auch diese Verse h a t der Evangelist in Q vorgefunden. Die Abweichungen gegenüber Lk. 9,57 ff. sind charakteristisch. Wo sich nach Lk. 9,57 „irgendeiner" zur Nachfolge bereit erklärt, setzt Matthäus d a f ü r einen Schriftgelehrten; ihm widerfährt Jesu abweisende Antwort. Der „andere" (Lk. 9,59), den Jesus bedingungslos beansprucht, ist f ü r Matthäus „ein anderer von den J ü n g e r n " (vgl. S. 26f.). Wie der Evangelist den um Hilfe bittenden Synagogenvorsteher eliminiert (9,18; vgl. den vorausgehenden Abschnitt S. 49), so „streicht" er auch den nachfolgewilligen Schriftgelehrten: in seinem Text m u ß Jesus den Repräsentanten Israels zurückweisen. Das harthörige, ungläubige, radikal-böse u n d deshalb von Jesus selbst auf sein Verderben zurückgeworfene, dem zukünftigen Gericht verfallene „Israel" k o m m t f ü r die Nachfolge Jesu nicht mehr in Frage. Mt. 11,16—27ILL· 7,31—35; 10,13—15.
21—22
Unsere Aufmerksamkeit gilt zunächst der Kompositionsarbeit des Evangelisten 2 6 . Matthäus und Lukas bieten die Anfrage des Täufers, Jesu Zeugnis über Johannes und seine Klage über „dieses Geschlecht" mit kleineren redaktionellen Modifikationen (Mt. 11,12—15; Lk. 7,29f.) in derselben Reihenfolge: 11,2—6.7—11.16—19; P a r Lk. 7,18—23. 24—28.31—35. Wo Lukas im folgenden sein Sondergut, die Perikope von der großen Sünderin 7,36—50, einbringt, „ f ü h r t Matthäus die Anklagen gegen dieses Geschlecht einem Höhepunkt zu, indem er Jesus die Wehrufe gegen die unbußfertigen Städte Galiläas sprechen läßt, die darüber hinaus bei Matthäus einen noch schärferen Klang haben als P a r Lk. 10,13—15 . . ," 2 7 Aber damit nicht genug, bringt der Evangelist mit dem hart an 11,20—24 angeschlossenen „ J u b e l r u f " (11,25 bis 27; L k . 10,21 f.) noch einmal den Gedanken der Verwerfung Israels zum Ausdruck, so daß er die ganze Komposition als Gerichtsrede wider Israel verstanden wissen will 28 . 11,16 —19 entspricht in der Substanz genau Lk. 7,31 —35. Dagegen fallen die Abweichungen von 11,20—24 gegenüber Lk. 10,13—15 stark ins Gewicht. Gnilka hält haben." Dabei ist übersehen, daß auf dem Boden des Matthäus-Evangeliums die Baaileia durchweg keine Größe der Geburt oder „Natur" ist, die in den „alten Bund" zurückzudatieren und mit ihm identisch wäre, sondern eine Größe verbaler Berufung, die dem Volk durch ihre Boten (Täufer, Jesus, Jünger) zuteil wird und erst mit Johannes anhebt. Die Basileia begründet eine einzigartige, neue, endzeitliche Berufungsgeschichte, fordert Glauben. Der Unglaube (gegenüber Jesus, wie im Falle unseres Textes) schlägt als furchtbares Gericht auf Israel zurück. 26 Vgl. Gnilka 94. 27 Gnilka 94. Vgl. seine Analyse von 11,20—24 a.a.O. 98. 28 Zu Gnilkas Auffassung von der „antijüdischen Note" der matthäischen Komposition a.a.O. 98 vgl. S. 55, Anm. 45.
Die Q-Materialien
51
präzise fest, daß die Weherufe in der lukanischen Komposition einen anderen Ton tragen, „den Tonus der Jüngerbelehrung" 2 9 . Seinen Ausführungen ist zuzustimmen: „Voran geht die Aussendungsrede mit der abschließenden an die ablehnenden Städte gerichteten Drohung (10,1—12). Die Wehrufe wollen den Jüngern sagen: Ich, euer Meister, habe Ablehnung erfahren. Deshalb müßt auch ihr damit rechnen. Aber ihr sollt wissen: ,Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich. Wer aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat' (10,16)" 2 3 . Matthäus leitet die Logien durch die Rahmennotiz 11,20 ein: Da fing er an, die Städte anzuklagen 30 , in denen die meisten seiner machtvollen Taten geschehen waren, weil sie (trotzdem) nicht umgekehrt waren. Das gibt allem Folgenden seinen bestimmten Akzent. Denn nun erscheinen die Weherufe als vernichtende richterliche Antwort Jesu auf die vorauszusetzende, faktische Unbußfertigkeit der Städte, nicht mehr als drohendes Werben um ihre mögliche, schleunigst zu unternehmende Buße: definitive Unbußfertigkeit bedingt die definitive Gerichtsansage (11,21 bis 23a). Diese Note wird von Matthäus in 11,23b.24 unterstrichen 31 . Mit 11,23 b begründet er den kommenden Höllensturz Kapernaums durch den Verweis auf „Sodom": Denn wären in Sodom die MachtTaten geschehen, die bei dir geschehen sind, es stände noch heute. M.a.W., Kapernaum ist schlimmer als Sodom — wieviel sicherer ist ihm das angedrohte Gericht! J a , so bekräftigt 11,24 am Schluß, es wird dem Lande der Sodomer am Tage des Gerichts erträglicher ergehen als Kapernaum. — So schwer trifft es das unausweichliche Verderben. Auch hinsichtlich des „Jubelrufs" Mt. 11,25—27; Par Lk. 10,21 f. weicht Matthäus stark von der lukanischen Komposition ab. Nur vom Lukas-Rahmen her ist das Stück wirklich als „Jubelruf" zu charakterisieren. Im Vorausgehenden (Rückkehr der Siebzig) begegnet das Stichwort „Freude" gleich zweimal (10,17.20). In 10,21a spricht Lukas dann expressis verbis von der pneumatischen Agalliasis Jesu und gibt 10,21b.22 so die Höhenlage eines jubilierenden Ausbruchs. Nichts dergleichen bei Matthäus. Zu jener Stunde, so führt 11,25 a die Gerichtsverkündigung fort, hub Jesus an und sprach . . . Der Herr Himmels und der Erde ist es, der „solches" vor den Weisen und Verständigen in seiner souveränen Wahl (11,26; vgl. 11,27) verborgen, jedoch den Unmündigen offenbart hat. Man fühlt sich an 13, lOff. erinnert, wo es in Jesu Souveränität beschlossen liegt, das ungehorsame Israel durch seine Parabelrede auf seine Verstocktheit festzulegen, die Jünger aber A.a.O. 98, Anm. 38. Für όνειδίζειν vgl. die Bedeutung „(berechtigte) Vorwürfe Bauer, Wörterbuch 1129 (2.). 31 11,23b redaktionell; ebenso 11,24 nach 10,15. 29
30
4·
machen",
52
Israel als Einheit des Bösen
selig zu preisen, denen die Geheimnisse der Himmelsherrschaft zu erkennen gegeben sind (vgl. 13,16f.). I n diesem Horizont wird man die matthäische „Synopse" von 11,20—24 und 11,25—27 interpretieren müssen: Wird „Israel" 3 2 das unumstößliche Gericht verkündigt, so begegnet es darin dem in seiner Offenbarung frei verfügenden, das Weise und Kluge ausschließenden, doch das Geringe erwählenden Gott (vgl. den Heilandsruf ll,28ff.). Mt. 12,22—öO/Lk.
11,14—32
Auch diese beiden größeren Einheiten sind, grob gesagt, aus QStoffen aufgebaut, und zwar bei Matthäus in der Reihenfolge: Heilung des Besessenen (12,22—24), „Beelzebub"-Perikope (12,25—30), Vom Zeichen des Jona (12,38—42), Spruch vom Rückfall (12,43—45), (Jesu wahre Verwandte 12,46—50); bei Lukas: Heilung des Besessenen (11,14f.), ,,Beelzebub"-Perikope (11,17—23), Spruch vom Rückfall (11,24—26), (Seligpreisendes Weib ll,27f.), Vom Zeichen des Jona (11,16.29—32)33. Schon die von Lukas abweichende Anordnung und „Adressierung" der Stücke gibt Auskunft über die Tendenz der matthäischen Darstellung. Der Text reflektiert eine durchgehende Auseinandersetzung mit den Repräsentanten Israels (12,24 die Pharisäer; 12,38 etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer), wo im Lukas-Text das Gegenüber der Handlung relativ unbestimmt bleibt (11,14 die Volksmenge; 11,15 etliche von ihnen; 11,16 andere; 11,27 eine Frau aus dem Volk; 11,29 die Volksmenge) und mit 11,27f. die szenische Einheit des Ganzen durchbrochen ist: lose verbundene Stoffe, wo Matthäus eine straffe Kompositionseinheit schafft und alles einem Leitgedanken unterstellt. Es wird sich zeigen, daß auch die „Abweichung" von 12,46—50 den großen Gesamtentwurf nicht zerbrechen, sondern ihm dienen, ihn mit einer letzten „Spitze" abschließen soll. In 12,23 führt der Evangelist (gegen Lk. 11,14) die Frage des Volks nach der Davidssohnsschaft = Messianität Jesu ein, die er vom Anfang des Evangeliums an voraussetzt 34 . Diese Würde Jesu greifen die Pha32 Daß Matthäus ad vocem Chorazin, Bethsaida, Kapemaum an „Israel" denkt, deutet er durch die Einordnung der Weherufe hinter der Klage über „dieses Geschlecht" an. Doch auch seine Bemerkung 11,20, in jenen Städten seien die meisten seiner Macht-Taten geschehen, ist nicht gleichgültig: Wo sich Jesus Israel in besonderer Weise zugewandt hat, verfällt seine Unbußfertigkeit verständlicherweise dem schroffsten Verdikt. Zu bedenken ist auch, daß Matthäus Kapemaum in 9,1 bewußt als „seine Stadt" charakterisiert. 33 Zur Analyse vgl. Bultmann, Tradition 10—12. 34 Der „Sohn Davids" begegnet schon 1,1 (vgl. den Stammbaum von 1,6— 16), dann 9,27; 12,23; 15,22; 20,30.31 (Par Mk. 10,48.49), 21,9.15; 22,42 (Par Mk. 12,35). Die Synonymität von Davidssohn- und Christusprädikat wird nirgends (in Analogie zu „Christus" und „Sohn Gottes" 16,16; 26,63) direkt ausgesagt, ist aber verschiedentlich deutlich zu konstatieren, vgl. 1,1/16f.; 21,5/9; 22,42.
Die Q-Materialien
53
risäer an (12,24), ziehen sie durch den (gegenüber Mk. 3,22; Lk. 11,15 erheblich krasser vorgetragenen 35 ) Vorwurf der dämonischen Besessenheit Jesu in den Schmutz 36 . So schafft Matthäus einen grellen Auftakt. Die Front zwischen den kämpfenden Parteien ist deutlich abgesteckt, Israels aggressive Bosheit scharf markiert. Damit ist der Boden bereitet, auf dem die folgenden „Attacken" Jesu (vgl. 12,31f. 33—36) als richterliche Reaktion möglich und einsichtig werden. Das folgende Beelzebub-,Streitgespräch" 37 gestaltet Matthäus bis 12,30 im wesentlichen nach Q, dann bringt er wie Mk. 3,28f. das Wort von der „Feindseligkeit wider den Geist" (12,31 f.) 38 , deren Unverzeihlichkeit er mit härterer Eindringlichkeit als bei Markus, nämlich gleich zweimal vor Augen rücken will39; schließlich rundet er den ersten Gesprächsgang durch 12,33—36 ab 40 . Bemerkenswert ist die Abweichung von 12,28 (Austreibung der Dämonen durch den Geist Gottes) gegenüber Lk. 11,20 (Austreibung durch den Finger Gottes). Nach Hümmels zutreffender Beobachtung weist die matthäische Fassung des Logions „ . . . im jetzigen Zusammenhang vorweg auf die Lästerung des Geistes . . . in v. 31 f. .. ." 4 1 Was Israel Jesus angetan hat, so will der Evangelist durch 12,31 f. im Konnex mit 12,28 dartun, kann weder in dieser noch in der zukünftigen Welt Gnade finden. Die Lästerung des in Jesus Wunder wirkenden Geistes ist unvergebbar! Die Verse 12,31 f. haben bei Matthäus ihren ursprünglichen, warnenden Ton verloren und sind zu definitiv deklarierenden Gerichtsworten geworden 42 , die Israels ungeheuerliche Behauptung mit der Verkündigung seiner ewigen Verlorenheit beantworten. Mit 12,33—36 weist Matthäus in dieselbe Richtung. An der Frucht erkennt man den Baum; Israel aber ist Schlangenbrut: Wie könnt ihr, die ihr böse seid, Gutes reden? Hummel sagt richtig: „V. 33—35 führt die bösen Worte der Pharisäer darauf zurück, daß sie grundsätzlich böse sind" 43 . Wer aber aus bösem Herzen Böses redet wider den Messias Israels, wird am Tage des Gerichts, wie 12,36 zu verstehen gibt, aus seinen Worten verworfen werden. So steht es um Israel! 35 Mit Hummel 123: „Dieser treibt die Dämonen nur (ούκ . . . εΐ μή . . . ) durch Beelzebul, den Obersten der Teufel, aus." 3 » Vgl. 9,32—34; Bultmann, Tradition 226. 37 Vgl. Mk. 3,23—27. 38 Bei Lukas fehlt an dieser Stelle das Entsprechende, vgl. 12,10. 39 Die „Lästerung des Geistes" (Mk. 3,29) verwendet er schon 12,31. In 12,32 wiederholt er das Motiv mit eigenen Worten: Wer (ein Wort) wider den Heiligen Geist redet . . . 40 Zu 12,33.34b.35 vgl. Mt. 7,16—20; Lk. 6,43—45. Die Verse 12,34a.36 stammen vom Evangelisten. 41 A.a.O. 124. 42 Vgl. Hummel 125 („keine werbende Auseinandersetzung mehr"). 43 A.a.O. 126.
54
Israel als Einheit des Bösen
Mit 12,38 beginnt ein zweiter Gesprächsabschnitt, wieder eingeleitet durch Worte der Repräsentanten. Auffallend ist der Kontrast zu 12,22fF., den Matthäus durch sein von Lukas abweichendes Arrangement des Textes erzielt. Schnödes Israel — die geistgewirkten Wunder Jesu verteufeln sie, aber ein Zeichen (zu seiner Beglaubigung) wollen sie sehen! Dieses Begehren spricht wieder für die abgründige Bosheit der Opponenten, die der Evangelist auch an dieser Stelle nachdrücklicher konstatiert, als es im lukanischen Parallel-Text 11,29 („Dieses Geschlecht ist ein böses Geschlecht") der Fall ist. Das Adjektiv „ehebrecherisch" und ein durch επί verstärktes ζητεΐν ( = darauf aus sein) verschärfen die matthäische Fassung (12,39). Dem verruchten Geschlecht wird kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. Lk. 11,30 läßt nicht klar erkennen, worin dieses Zeichen bestehen soll. Man mag an die Auferstehung Jesu denken, doch legt es der Text selbst nicht nahe. Demgegenüber hebt Matthäus in 12,40 auf die drei Tage und Nächte ab, die der Menschensohn im Schoß der Erde sein wird wie Jona im Bauch des Walfisches: die Auferstehung Jesu vom Tode ist das eine Zeichen, das Israel (in Zukunft) gegeben wird. Ist jedoch dies das Zeichen, wiegt Israels Absage an seinen Messias nur noch schwerer, wird seine Gerichtsverfallenheit noch unausweichlicher. Denn die Leute von Ninive und die Königin von Süden werden am Tage des Gerichts das Geschlecht verdammen, das dem die Stirn geboten hat, der mehr ist als Jona und Salomo, d.h. in der Nachbarschaft von 12,40: dem Herrn der künftigen Auferstehung! Man wird Hummel nicht zustimmen können, der dafür hält, 12,38ff. diene Matthäus dazu, das Jonazeichen, nämlich die Auferstehung Jesu aus dem Tode, als die eigentliche Beglaubigung seiner Messianität herauszustellen. Er sagt: „Die Pharisäer, die die geistgewirkten Wunder verketzern, werden also an die Auferstehung verwiesen. Das dürfte der Sinn dieses Abschnittes in dem von Matthäus hergestellten Zusammenhang sein" 44 . Gewiß soll die Auferstehung Jesu seine Messianität „beglaubigen", doch liegt hier nicht das Akumen. Hummel läßt die Verse 12,41 f. außer acht, die noch einmal das Gericht über „dieses Geschlecht" ausrufen, dieses Mal unter Berufung auf das doppelte ιδού πλεΐον . . . ώδε, das Matthäus, wie gesagt, auf dem Hintergrund von 12,40 sieht. Der ganze Ton fällt wieder auf die Gerichtsverkündigung, die 12,40 nur vorbereiten hilft, indem es die leuchtende Höhe Jesu, die Auferstehung (und „Beglaubigung" seiner Messianität) vor Augen führt, an der sich die schaurige Tiefe der von 12,41 f. vorausgesetzten Unbeweglichkeit Israels und des ihr entsprechenden, mit 12,41 f. angedrohten Gerichtes auftut. Auch der folgende Spruch vom Rückfall (12,43—45) soll in den Chor der Gerichtsansage einstimmen. Bei Lukas ist das Stück trotz der 14
A.a.O. 126.
Die Q-Materialien
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Situationsangabe 11,14.(15.16.)17 eigentümlich allgemein und gleichnishaft gehalten, so daß nicht auszumachen ist, von wem und welchen Umständen des näheren die Rede ist.Matthäus dagegen bezieht 12,43ff. resolut auf Israel und seine Verderbtheit. Der unreine Geist fährt aus und kommt mit sieben anderen übleren Geistern zurück; hernach wird es mit jenem Menschen schlimmer als zuvor. So wird es auch „diesem bösen Geschlecht" — sc. bei seiner Begegnung mit dem Davidssohn — ergehen (12,45c). Wieder setzt Matthäus einen kompositorischen Kontrapunkt. Israels Vorwurf der dämonischen Besessenheit Jesu (12,24) schlägt furchtbar auf sein eigenes H a u p t zurück. Mit Israel, das Jesus so verdächtigt, steht es am Ende schlimmer als zuvor. „Israel" selbst 45 ist (im Gegenüber zu seinem Messias) schließlich von teuflischer Bosheit nur so besessen—und eben darin zugleich gerichtet! Zuletzt bezieht Matthäus noch 12,46—50 46 statt Lk. 11,27 f.— in seine Komposition ein, um „dieses böse Geschlecht" noch von seinem positiven Gegenstück abzuheben. Jesu wahre Angehörige sind nicht seine Blutsverwandten ( = Israel, wie man vom Kontext her mithören darf), sondern seine Jünger (12,49). Das unbußfertige Israel ist mit dem Vorausgehenden mehrfach abgetan. An seiner Stelle konstituieren nun die Gehorsamen die wahre „Verwandtschaft" des Messias. Sie allein gehören ihm an (jetzt und auch später; 12,50 gilt f ü r die Situation und darüber hinaus). So schiebt Jesus Israel mit 12,46—50 endgültig beiseite, um dafür seine Hand gegen die Täter des Gotteswillens auszustrecken 47 (—nun folgen in der Komposition sachgerecht die Gleichnisse von der Himmelsherrschaft); ähnlich ist es in 11,25 bis 30 nach 11,16—24 und in 12,15—21 nach 12,1—14, vgl. 13,10ff. Auch so vollzieht sich das Gericht an Israel. Mt. 22,1—10ILk.
14,16—24
Folgende Abweichungen des matthäischen Textes gegenüber dem lukanischen stehen im Dienst der „negativen" Beschreibung Israels 48 : 45 Hümmels Thesen a.a.O. 126f., „dieses Geschlecht" sei für Matthäus das ihm zeitgenössische Judentum (!) und der Vergleich des Judentums mit dem siebenfach (?) Besessenen sei die schärfste Antwort auf den Beelzebulvorwurf, lassen einen empfindlichen Mangel an Klarheit hinsichtlich des matthäischen „Israel"-Begriffes erkennen, der die Exegese — auch anderer Ausleger -— belastet. Matthäus hält sich streng an seinen historischen Entwurf; er beschreibt die Situation von damals, wie er sie versteht, nicht die seinige. „Israel" ist in Kapitel 12 (und den anderen, bisher besprochenen Texten) der „zeitgenössische" Kontrahent seines Messias (und seines Vorläufers; 3,7ff.; l l , 1 6 f f . ; 14,3ff.). 46 Vgl. Mk. 3,31—35, aber auch Lk. 8,19—21. 47 Gnilka 95: „Allein Matthäus betont, daß Jesus mit der Hand auf seine Jünger wies . . . " Anders Mk. 3,34. 48 Zur Analyse vgl. Eta Linnemann, Überlegungen zur Parabel vom großen Abendmahl Lc. 14,15—24/Mt. 22,1—14; ZNW 51 (1960) 246—255.
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1. In 22,3 erscheinen die Knechte (vgl. 21,34). Schon bei ihrem ersten Einladen werden sie abgewiesen. Keine Entschuldigungen, keine Erklärungen; nur das lapidare: sie wollten nicht kommen! 2. Wiederholte, freundliche Einladung durch andere Knechte. Hinweis auf die reichen Vorbereitungen des Gastgebers (22,4). Schroffe Reaktion der Geladenen (22,5), die jene Boten einfach stehen lassen: Sie jedoch achteten nicht darauf, sondern gingen ihres Wegs . . . 3. Damit nicht genug, werden die Knechte des Königs von „den übrigen" mißhandelt und getötet (22,6; vgl. 21,35.36). 4. Die Darstellung der geduldigen Liebenswürdigkeit des Königs und jener „unwilligen" und mörderischen Antwort der Geladenen motiviert die Begebenheiten von 22,7. Die Heere des Königs bringen jene „Mörder" um (vgl. 21,41) und zünden ihre Stadt (!) an. 5. Feierlicher Urteilsspruch: Die Geladenen waren es nicht wert (22,8).
6. Aussendung der Boten zu anderen Geladenen: . . . rufet zur Hochzeit, welche ihr findet. Sie aber bringen alle herzu, die sie finden, Böse und Gute (22,9f.). Es ist nicht die Absicht, den Text hier en detail zu exegesieren. Nur soviel ist zu sagen, daß die einschneidenden „Peiorisierungen" des Textes nach unseren bisherigen Untersuchungen zum Thema wohl nicht auf eine Matthäus vorgegebene, echte Erzählungsvariante zu Q, sondern eher auf die redaktionellen Eingriffe des Evangelisten schließen lassen. Matthäus gestaltet auch mit dem Gleichnis von der königlichen Hochzeit das Bild Israels: Es ist, freundlich und geduldig geladen und doch widerwärtig und mörderisch, seiner Berufung nicht wert; es verfällt dem gerechten Gericht, daß Gott an ihm vorübergeht, um andere Geladene an seine Stelle zu setzen (vgl. S. 55 zu 12,46—50). Neu und eigenartig ist 22,7 mit seiner auf den Untergang Jerusalems zielenden49, „historisch" fixierenden Darstellung des Gerichts. Israels Ende fällt mit dem Mord an den Knechten und der Zerstörung der Heiligen Stadt zusammen. Mt. 23,32—36.37—39ILL
11,49—51;
13,34f.
Vor dem hier betrachteten Schlußabschnitt von Kap. 23 hat der Evangelist schon einige Q-Stoffe in die Weherede aufgenommen (23,4. 13.25.29f./Par Lk. ll,46.52.42.39.47f.), wieder charakteristisch ver48
So trotz Karl Heinrich Rengstorfs These vom traditionell-topischen, nurliterarischen Charakter des Verses: Die Stadt der Mörder (Mt. 22,7), in: Judentum — Urchristentum — Kirche, Festschrift für Joachim Jeremias zum 60. Geb., BZNW 26, 2. Aufl. 1964, 106—129; mit Strecker 35, Anm. 1. Daß Matthäus sich eines traditionellen Topos bedient, schließt nicht aus, daß er ihn im Blick auf ein „historisches Ereignis", eben die Zerstörung Jerusalems, gebraucht.
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ändert. Die Gegner Jesu sind f ü r ihn nicht die Gesetzeslehrer (Lk. 11, 46.52) oder Pharisäer (Lk. 11,39.42), sondern die offiziellen Vertreter Israels, die auf dem Stuhl Moses sitzen (23,2), die „Schriftgelehrten und Pharisäer", die er gegenüber den Lukas-Texten stereotyp als „Heuchler" qualifiziert (23,13.23.25.29). Mit den Versen 23,32ff. tritt nun die ganze Kompositionseinheit in ein gewaltig gesteigertes, zum letzten und härtesten Angriff Jesu auf Israel führendes Finale ein. Ist schon der mehrfache Weheruf des Vorausgehenden , , . . . seinem Wesen nach die Form, in der das Gericht definitiv verkündigt wird 5 0 ", so verschärfen 23,32ff. die Gerichtsverkündigung noch dadurch, daß sie Jesus noch einmal und „direkt" als den unerbittlichen Herrn und Inaugurator der endgültigen Heimsuchung Israels darstellen. Er selbst fordert die Söhne der Prophetenmörder mit Bestimmtheit auf, das Maß ihrer Väter voll zu machen (23,32). Er t u t es mit gutem Grund, wie der von Matthäus beigebrachte Vers 23,33 im Kontext dartut, denn seine Gegner sind die Leute dazu: Schlangen, Otterngezücht 51 , dem Gericht der Hölle verfallen. Da sie als solche Ausgeburten des Bösen nach Jesu Willen das Maß ihrer Väter zum Vollmaß zu bringen haben — „darum" 23,34 —, sendet er ihnen Propheten, Weise und Schriftgelehrte 52 , die sein Geschick von ihrer Hand erleiden werden (Kreuzigung), die sie in ihren Synagogen geißeln und von einer Stadt zur andern verfolgen werden 53 , damit über sie komme alles gerechte Blut, das auf Erden vergossen ist, vom Blut des gerechten Abel bis zum Blut des Sacharja, des Sohnes Berechjas, den sie zwischen Tempel und Altar getötet haben 5 4 , d.h. das Blut der einen und ganzen (Blut-) 60
Hummel 87. Vgl. Werner Foerster, ThW II 815: „die Natur der Schlange ist es, bösartig und verderblich zu s e i n . . . " Und ebenda, Anm. 2: „γεννήματα betont die Naturhaftigkeit ihrer Art, sie sitzt ihnen im Blut wie ihren Vätern." 52 In Lk. 11,49 hat der Satz ein anderes Subjekt: die „Weisheit Gottes". Vgl. Julius Wellhausen, Das Evangelium Matthaei, Berlin 1904, 119: „Jesus zitiert nicht, sondern redet im eigenen Namen und zwar von der Aussendung seiner Jünger." 53 23,34 enthält das redaktionelle Duplikat bestimmter Motive aus 3,7; 10,17.23. Die christlichen „Schriftgelehrten" des Textes machen darauf aufmerksam, daß nicht der ganze Vers vom Redaktor stammen kann. 51 Mit guten Gründen wendet sich Julius Wellhausen a.a.O. 120 (vgl. Einleitung in die drei ersten Evangelien, 2. Ausg. 1911, 118ff.) gegen die Deutung auf Sacharja ben Jojada 2. Chron. 24,20f. Gedacht ist mit großer Wahrscheinlichkeit an Zacharias, Sohn des Bariscaeus (Josephus bell. 4,335), der wirklich im Tempel, nicht im Vorhof getötet wurde. Auch kann sein Blut viel passender als das letzte vergossene Blut eines Gerechten dem des „Erstlings" Abel entgegengesetzt werden, da er erst einige dreißig Jahre nach dem Tode Jesu umkam (anno 68; vgl. Leo Baeck; Paulus, die Pharisäer und das Neue Testament, 1961, 153f.) und für Matthäus das Ende Israels nach 22,7 und 23,38 in Verbindung mit 23,32ff. und 24,1 f. mit dem Untergang Jerusalems und der Zerstörung des Tempels zusammenfällt: der Jojada-Sohn kann — als Antipode Abels! — niemals am Ende der Geschichte Israels (im matthäischen Sinne) 51
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Geschichte Israels. Die „Jünger", auf die hier deutlich angespielt ist 55 , sind nicht gesandt zum Heil; sie sind Boten im Dienste des Gerichts 56 , Katalysatoren des Unheils, die den Greueln Israels ihr volles Maß geben und so auch die Zusammenballung allen Verderbens auf Israel niederziehen sollen. Wieder ist mit „diesem Geschlecht", auf das Matthäus ausdrücklich verweist (23,36), nicht auf das „Judentum" oder einzelne seiner Gruppen gesehen, sondern auf das Israel der Jesuszeit, dem ER seine Boten und ihre künftige Misere ankündigt, so daß es als in die nachösterliche Zeit hinein prolongiert zu denken ist. Das heilsgeschichtliche Ende Israels, mit dem Jesus hier als seinem und seiner Boten Gegenüber abrechnet, liegt von seinem Standort aus in der Zukunft. Es vollzieht sich nach der Verwerfung der Gesandten mit dem Untergang Jerusalems (22,7) und der Zerstörung des Tempels (23,38; 24,2). Doch hat der Evangelist dieses Ende hinter sich; er setzt es voraus. Es gehört zur zurückliegenden Geschichte Jesu mit seinem Volk, die er darstellt, nicht zur Geschichte seiner „kirchlichen" Gegenwart. Auf drei Momente ist in diesem Zusammenhang noch einzugehen. 1. Matthäus leitet mit dem redaktionellen Vers 23,36 zu der von ihm in Q vorgefundenen, hierher gezogenen Weissagung wider Jerusalem über (23,37—39) 57 , die Lukas an anderer Stelle bringt (13,34f.). So macht er klar, me „das alles" über Israel kommen, mit welchem historischen Ereignis die Geschichte Israels samt ihrer Vorgeschichte zum Abschluß gebracht wird: Siehe, euer Haus wird euch verlassen werden 58 . stehen. Auch m u ß mit Trilling 82 „ . . . nach der Intention des Evangelisten in das παν αίμα δίκαιον (Vers 35) auch das Blut der christlichen Propheten, Weisen u n d Schriftgelehrten mit eingeschlossen gedacht werden." Wäre auf den J o j a d a Sohn angespielt, so bekäme Israel sozusagen nur das Blut seiner „Vorgeschichte" zu schmecken, die Heimsuchung für das Blut Jesu (27,25!) und das künftig (!) vergossene Blut der Boten bliebe aus, u n d jenes παν αίμα, das gerade mit dem Blick auf die künftigen Zeugen gesprochen ist, würde entleert. Matthäus, der den Q-Stoff in ein Jesuswort u m f o r m t (vgl. Anm. 52), läßt Jesus von einem Ereignis sprechen, das er mit dem Gedanken an den kommenden Untergang Israels verbindet, von dem der Text alsbald konkret redet. 55 Auch in 10, Iff. sind die Jünger — zur Zeit Jesu — betont zu „Israel" gesandt. 23,34 dagegen spricht im K o n t e x t von den kommenden christlichen „Missionaren", vgl. Hummel 88. 56 Mit Hummel 88: „Die Sendung der Boten Jesu wird hier unter dem Aspekt des Gerichtes . . . gesehen." 57 Zum einzelnen der Exegese vgl. H u m m e l 88f.; Strecker 113ff.; Trilling 86 f. 58 Zu 23,39 äußert sich sehr gut Strecker 114f., vgl. 115: „ D a f ü r Matthäus der Gedanke der R ü c k f ü h r u n g Israels sonst nicht einmal in Andeutungen zu belegen ist [man m u ß ergänzen: dafür aber etliche Male der Gedanke seiner endgültigen Verwerfung!], wird V. 39 in eine andere Richtung weisen. Nicht die Bekehrung . . . ist [sc. im Sinne des Evangelisten] vorausgesagt, sondern —durch den traditionellen Messiasruf — nur die Anerkennung der Tatsache, daß des Messias-Menschensohn a m Weltende in Herrlichkeit erscheinen wird, u n d zwar, u m Gericht zu halten."
Das Sondergut
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2. Matthäus tut noch mehr. Er streicht die Perikope vom Scherflein der Witwe, die bei Markus und Lukas vor der Tempelweissagung steht (Mk. 12,41—44; Lk. 21,1—4), und bringt 23,37—39 so in engsten Konnex mit 24,1 f. Damit gibt er dem „Verlassen eures Hauses" von 23,38 seine konkrete Interpretation; er denkt an die Zerstörung des Tempels 59 . 3. Wenn Hummel meint, Matthäus wolle durch die Eliminierung von Mk. 12,41—44 die beiden Reden von Kap. 23 und 24f. miteinander verbinden 60 , so ignoriert er die Zäsur, die der Evangelist hinter 24,2 setzt. Ist nach Mk. 13,3 die eschatologische Rede auf dem Ölberg „gegenüber dem Tempel" gesprochen, so streicht Matthäus in 24,3 diese das Heiligtum betreffende Ortsangabe und rückt damit die folgenden „letzten Dinge" von den zuvor beschriebenen Wegen Jesu mit Israel und seinem Tempel ab. Zudem stellt er heraus, daß er nun zu einem anderen Thema, eben dem eschatologischen, übergeht. Liest man Mk. 13,4 ( = Lk. 21,7!): Sage uns, wann wird dies geschehen, und welches ist das Zeichen dafür (και konjunktiv), wann dies alles vollendet werden soll (— die Zerstörung des Tempels und die letzten Dinge gehören in eine gemeinsame Zukunft —), so heißt es Mt. 24,3: Sage uns, wann dies geschehen wird und (καί explikativ: „und zwar", „d.h.") welches das Zeichen deiner Wiederkunft und der Vollendung der Welt ist 61 . M. a. W., der Evangelist zieht das von Markus (oder Q?) überkommene πότε ταϋτα εστοα62 durch seine Textgestaltung vom zuvor genannten Tempel weg ganz nach „vorne" und interpretiert es als Frage nach dem Welt-Ende, die nun nichts mehr mit der Frage nach dem Schicksal des Tempels zu tun hat 6 3 . Matthäus will, aufs Ganze seiner Arbeit an 24,3 gesehen, nur 24,1 f. mit 23,37—39, nicht aber die ganzen Kapitel 23 und 24 f. zu einer thematischen Einheit verbinden. 3. Das
Sondergut
Schließlich ist noch zu fragen, was das reiche Sondergut des MatthäusEvangeliums in seinem jeweiligen, vom Evangelisten hergestellten Kontext zum Thema „Israel" beizutragen hat. Die Stellen 15,12—14 und 27,19 (das Weib des Pilatus), 27,24f. (Unschuld des Pilatus, 59 Dem entspricht, daß er 24,1 f. die Gebäude des Tempels = „das alles', (anders Mk. 13,2) in den Vordergrund rückt. 60 A.a.O. 85. 61 παρουσία (24,3.27.37.39) und συντέλεια τοϋ αιώνος (13,39.40.49; 24,3; 28,20) hat nur Matthäus. 62 Das ταϋτα πάντα des Markus-Textes übergeht Matthäus; er hat es zuvor (24,2) als Parallel-Ausdruck für die Tempelgebäude verwendet! 63 Diesen Sachverhalt hat M. Punge, Endgeschehen und Heilsgeschichte 16 klar gesehen: „Mt. 24,3 leitet eine neue Szene und einen neuen Sachkomplex ein."
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Schuld Israels) wurden schon bei der Untersuchung der Markus-Stoffe in die Betrachtung einbezogen; sie können deshalb hier übergangen werden. Mt. 2,1—23 Dieses Kapitel ist durchzogen vom Gedanken der Feindschaft Israels gegen den neugeborenen König der Juden, den Messias (vgl. S. 128f.). Befremdlich ist schon die Reaktion auf das Erscheinen der Weisen. Man sollte erwarten, die Heilige Stadt würde auf die Frage der Magier in Staunen und Freude ausbrechen, statt dessen vernimmt man, Herodes und mit ihm das ganze Jerusalem (!) seien erschrocken — wie bei der Kunde von einem einfallenden Feind. Daß der Text an „Israel" denkt, zeigen verschiedene Züge der Erzählung. Herodes erforscht von allen den Oberpriestern und Schriftgelehrten des Volks (!), wo der Christus sollte geboren werden (2,4). Und von Bethlehem im Lande Juda soll der Herrscher kommen, der „mein Volk Israel" weiden wird (2,6), wie auch Joseph nach dem Tode des Herodes den Befehl erhält, ins Land Israel zu ziehen (2,20), was er denn zunächst auch tut (2,21). Von seiner ersten Stunde in Israel an trifft der Messias auf tückische, blutrünstige Verfolgung, während ihm die Heiden, die Weisen aus dem Morgenland huldigen. Ja, schließlich kann er auch nach dem Umweg über Ägypten keine Bleibe im Lande Israel finden. Das Dasein des Archelaus nötigt Joseph, nach Nazareth in galiläisches Gebiet auszuweichen (2,22). Der König der Juden — doch diese steilen Wände des Hasses, die Israel vor ihm aufrichtet! Mt.
10,5f.24f.
Mit Mt. 10,5f.; 15,24 „ . . . begegnen uns Worte von offenbar streng partikularistischem Charakter. Im ersten weist Jesus die Jünger an, nicht zu den Heiden und Samaritern, sondern zu den ,verlorenen Schafen des Hauses Israel' zu gehen, im zweiten bekennt er mit fast den gleichen Worten, selbst nur zu Israel gesandt zu sein" (Trilling)64. Es erhebt sich die Frage, welche Funktion diesen Logien in einem Evangelium beizumessen ist, das die Heidenmission deutlich als „kirchliche" Gegebenheit voraussetzt; man denke nur an den Missionsbefehl 28,18ff. mit seiner exponierten Stellung am Schluß des Evangeliums. Für 10,5 f.65 zeigt sich im Kontext, daß der Evangelist mit 84 Das wahre Israel 99. Zur Analyse und traditionsgeschichtlichen Fragestellung vgl. ebenda 99 ff. 85 Zu 15,24 vgl. Trilling 103 ff. Die Perikope vom „kanaanäischen Weiblein" steht bei Matthäus, der Mk. 7,24 ff. energisch umgestaltet, im Dienst seines Israel-Themas. Sie hat nicht mehr den „überwindenden" Glauben einer Heidin darzustellen; ihre Tendenz geht nun dahin (mit Trilling 104), „die Einschrän-
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diesen Versen die zur Jesuszeit gehörige Sendung der Jünger zu Israel schildern will. Sie sind nach seiner Textgestaltung wie ihr Meister als Boten der Israel nahe gekommenen Himmelsherrschaft zu verstehen (10,7 nach Q/Lk. 9,2; vgl. 4,17.23; 9,35), die mit derselben Heilsfülle Gottes für Israel ausgestattet sind, wie sie dem sie sendenden Messias zu eigen ist 66 . Auch in Gestalt der Jünger schlägt Israel im Angesicht der nahenden Basileia die große Stunde des Heils. Die „verlorenen Schafe des Hauses Israel" 6 7 bringen jedoch die heilspendenden Boten der Himmelsherrschaft in größte Gefahr. Die Jünger sind wie Schafe mitten unter die Wölfe gesandt (10,16). Matthäus gestaltet die Verse 10,5—25 unter Verwendung der verschiedensten Materialien als Aussendungsrede Jesu zur Instruktion, Warnung und zum Trost der Basileia-Boten auf ihrem Weg in die Dörfer und Städte Israels 68 . Seine kung der Sendung J e s u und damit die Vorzugsstellung Israels durch die Frau . . . bestätigen zu lassen". Der engere Kontext der Perikope rechtfertigt diese E x e gese. Nach 15,21 entweicht Jesus in die Gegend von Tyrua und Sidon. E r kommt also nur „umständehalber" auf heidnisches Gebiet; eigentlich gehört er nach „Israel". Das redaktionelle Flucht-Motiv (anders Mk. 7,24 άπήλθεν; vgl. red. 4 , 1 2 ; 14,13; 12,15 = Mk. 3,7) erklärt 15,21—28 als „Ausnahme": die Ausnahmslosigkeit der Sendung Jesu zu Israel soll gerade durch den einen „Ausnahmefall" der Heidin bekräftigt werden, die auf dem „Sonderwege" die Heilung ihrer Tochter erlangt. Auch das Folgende ist von Matthäus bewußt auf 15,24 hin gestaltet. E s dient als Illustration der Hinwendung J e s u zu Israel. Die Szene ist mit Mk. 7,31 an das galiläische Meer verlegt. Man befindet sich somit wieder auf dem Boden Israels (vgl. 4,25). Das vom Evangelisten gebildete Summarium, dessen enge Verwandtschaft mit 11,5 auf der Hand liegt, zeigt J e s u umfassende Heilsmacht für die Seinen (gegen Jeremias, Verheißung 2 9 : „eine Heidenwirksamkeit großen Stils"); es schließt mit dem entsprechenden „Und sie priesen den Gott Israels" (vgl. 9,33). Auch 15,32—39 ist noch zu nennen, das Jesu Erbarmen mit dem Volk veranschaulichen soll (15,32 = Mk. 8 , 2 ; vgl. Mt. 9 , 3 6 ; 14,14). Wir stimmen Trillings Antwort auf die Frage nach dem Skopus von 15,24 im großen ganzen der matthäischen Israel-Darstellung zu (105): „Damit Israel unentschuldbar sei und seine Schuld eindeutig festgestellt werden könne, muß Jesus nur zu ihm gesandt sein." Matthäus will mit dem strengen Partikularismus des Textes und dem entsprechenden Kontext das bedingungslose J a J e s u zu Israel in der Geschichte mit seinem Volk vor Augen führen. Auf diesem Hintergrund vermag er dann das ebenso radikale Nein Israels zu seinem Messias in seiner ganzen Verwerflichkeit und Gerichtsverfallenheit verständlich zu machen. Die endgültige heilsgeschichtliche Abrogation Israels durch Jesus setzt seine totale heilsgeschichtliche Zuwendung zu Israel voraus. «« 10,1 (vgl. Mk. 6 , 7 ; Lk. 9 , 1 ) ; 10,8 red.; von J e s u s : 4 , 2 3 f . ; 8 , 1 6 ; 11,5; 14,14.35f.; 15,30f. 67 Mit Jeremias, Verheißung 23, Anm. 89: der Genitiv οίκου 'Ισραήλ ist als gen. epex. zu fassen, so daß die Wendung „Gesamtisrael in seiner Verlorenheit" meint, vgl. 9,36. 68 Vgl. 10,11 „Stadt oder D o r f " (red. gegenüber Mk. 6 , 1 0 ; L k . 9 , 4 ; 10,5); 10,14 „ S t a d t " (mit Q/Lk. 9 , 5 ; 10,10.11); 10,15 „jener S t a d t " (mit Q/Lk. 10, 12); 10,23 „ S t a d t " , „die Städte Israels" (S). Von J e s u s : 9,35 red. „alle die Städte und Dörfer"; 11,1 red. „in ihren Städten". Auch mit diesem Zug der Erzählung hebt Matthäus die Parallelität zwischen Jesus und den Jüngern hervor.
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„Missionsrede Jesu f ü r Israel" 69 läßt keinen Zweifel über die bösen Widerfahrnisse der Jünger aufkommen. Sie erleiden das Geschick Jesu, Geißelung 70 und Schmähung: Haben sie den Hausherrn Beelzebub geheißen, wieviel mehr seine Hausgenossen (10,25) 71 . Auch hier sind Trillings Beobachtungen heranzuziehen: „Vom Inhalt her gesehen nimmt Vers 25 b offensichtlich auf 9,32—34 Bezug mit einer wiederum typisch matthäischen Vereinfachung und sachlichen Verschärfung. In 9,34 . . . heißt es nur, daß Jesus ,durch Beelzebul' die Dämonen austreibe, nicht aber, daß er selbst Beelzebul genannt worden sei" 72 . Mit seinem Sondergut 9,32—34 legt der Evangelist den Repräsentanten Israels zum erstenmal den Vorwurf des Teufelsbündnisses in den Mund, und zwar an exponierter Stelle. Die Kapitel 8—9, die von der großen heilvollen Hingabe des Davidssohnes 73 an Israel handeln 74 und in den Satz ausmünden: Noch nie ist solches in Israel gesehen worden (9,33; vgl. 15,31), bricht Matthäus mit der Schmährede der Pharisäer ab (9,34). Am Ende aller Heilszuwendung steht die böswillige Verketzerung des helfenden Messias durch Israel! In genauer Entsprechung zu diesem kompositorischen Verfahren werden mit 10,25 am Ende der Aussendungsrede (soweit sie sich expressis verbis auf Israel bezieht) auch die Jünger in die Lästerung der Frevler einbezogen. Auch das Heil aus ihren Händen weist Israel zurück — es wird sie noch mehr verteufeln als Jesus selbst. Ja, der „teuflische" Vorwurf Israels gegen Jesus soll mit 12,24 noch ein drittes Mal zur Sprache kommen, wieder mit einer schärferen Note als in dem entsprechenden Q-Text Lk. 11,15 75. Es ist, als könne sich der Evangelist nicht genug tun, die Perversität Israels herauszustreichen. Was also, um auf 10,5f. zurückzukommen, zu 15,24 im Blick auf Jesu eigene Israel-Sendung festzustellen ist, gilt entsprechend auch hinsichtlich der Israel-Sendung der Jünger. Die Verse 10,5f. dienen im Matthäus-Evangelium nach dem Kontext des 10. Kapitels nicht der „Apologie Jesu", wie Leonhard Goppelt meint 76 , sondern als Steine für 69 Mit 10,26ff. geht die Komposition zu allgemeineren Themen der Sendung, Nachfolge und Jüngerschaft über. Der historische Aufriß der Israel-Sendung ist nicht verlassen, doch wird nun das kirchlich-aktuelle, „zeitlose" Missionsgut unbefangen in die Szene einbezogen. Auch 10,18 durchbricht die Text-Situation: ihnen und den Heiden zum Zeugnis. 70 10,17 red. (gegen Mk. 13,9; Lk. 21,12); 23,34 (S). Von Jesus 20,19 = Mk. 10,34; Lk. 18,33. 71 (S). Zur Analyse von 10,24f. vgl. Trilling 82f. 72 A.a.O. 82. 73 9,27ff. ist redaktionelles (abgewandeltes) Duplikat von 20,29ff., vom Evangelisten mit voller Absicht hier eingefügt. 74 75 Vgl. S. 33f. Vgl. Mk. 3,22. Zum einzelnen s. S. 53, Anm. 35. 76 Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert, BFChTh 55, 1954, 40, Anm. 1; vgl. 181: „Die ,partikaluristische' Weisung läßt er als apologetischen Ausweis der Messianität Jesu stehen." Zum geschichtlichen Ur-
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das große geschichtliche Mosaik der Jesuszeit. Die Exklusivität des Heils f ü r Israel durch das Wirken der Jünger geht auch hier dem totalen Widerstand Israels voraus. Neben der Verwerfung des Davidssohnes ist Israels Feindschaft gegen die Gesandten Grund und Ursache seiner heilsgeschichtlichen Katastrophe (vgl. 23,32ff.). Matthäus will zeigen: Die Auflehnung und Verlorenheit des Volks entzündet sich an dem vollen, ihm allein zugekehrten Heil. 10,5f. gehört mit zur hellen Vorderseite seines Israel-Bildes. Mt.
12,5.7;
19,4;
21,16
Diese Stellen mit dem stereotypen ούκ άνέγνωτε und ähnlichen Wendungen enthält nur das Matthäus-Evangelium. Hierher gehören noch 12,3 = Mk. 2,25; 21,42 = Mk. 12,10; 22,29 = Mk. 12,24; 22,31 = Mlc. 12,26. Matthäus nimmt das Thema der mangelnden Schriftkenntnis der Lehrer Israels viermal aus den Markus-Vorlagen auf und vermehrt es gleich um das Doppelte. Keine Frage, daß die bewußten Ausdrücke (mit Trilling) „. . . außer ihrem jeweils konkreten Bezug auch als allgemeines Urteil" 7 7 zu interpretieren sind. Doch gibt Trilling den Texten eine falsche Ausrichtung, wenn er sie als Bestandteil eines polemischen Instrumentariums versteht 7 8 . Matthäus arbeitet vielmehr wieder als „Schriftsteller" am Porträt (der Repräsentanten) des damaligen Israel. Der Messias ist sein einer, maßgeblicher, vollmächtiger Lehrer (Kap. 5—7; 7,29). Er allein kennt die Schrift, wo Israels Lehrerschaft in Unkenntnis befangen ist. Mt.
21,10f.
Nach der Einzugsgeschichte 79 , die Jesus als den in seine Stadt reitenden Davididen schildert, bringt der Evangelist die Verse 21,10f. von der „Stellungnahme Jerusalems". Die ganze Stadt gerät in Bewegung: Wer ist der? Seltsame Frage, möchte man sagen, denn Jesus wurden doch soeben in aller Öffentlichkeit Huldigung und Messiasjubel zuteil. Doch ist die „glaubensmäßig-korrekte" Darstellung des Einzugs f ü r Matthäus nicht identisch mit der von ihm voller Absicht hinzugefügten Darstellung der durch die Menge vorgetragenen Antwort Jerusalems auf den Einzug seines Königs: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa. Ernst Lohmeyer nennt den Prophetentitel Jesu, den er im Sinne des einen „eschatologisch vollendeten Prosprung der Logien vgl. Bultmann, Tradition 176. Sie entstammen der Missionsdebatte innerhalb der Urgemeinde. Historisch gesehen sind sie nur auf dem Hintergrund einer schon begonnenen christlichen Heiden- und Samaritermission sinnvoll und verifizierbar. 77 A.a.O. 83. Vgl. noch 16,2b.3; dazu Gnilka 99. 78 A.a.O. 83: „eine deutliche polemische Spitze". 79 Vgl. Wolfgang Trilling, Der Einzug in Jerusalem Mt. 21,1—17; in: Neutestamentliche Aufsätze, Festschrift für Joseph Sehmid, 1963, 303—309.
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pheten" interpretiert, im Blick auf unsere Stelle „mehrdeutig" 8 0 . Doch wird man im Gefolge des Textes kaum an den „einen Propheten" zu denken haben. Die Scharen charakterisieren Jesus vielmehr als „gewöhnlichen" Propheten aus Galiläa; es fällt kein Wort von eschatologischer Einzigartigkeit. Lohmeyers Exegese wird vollends unhaltbar, wenn man sich den Gebrauch des Prophetentitels im Matthäus-Evangelium vergegenwärtigt. Hier kommt „Prophet" durchweg in der Bedeutung des alttestamentlichen Prophetentums vor 81 . Auf Jesus bezieht sich „Prophet" nur an den drei Stellen 16,14; 21,11.46 82 . Das Petrusbekenntnis 16,13ff. ist in diesem Zusammenhang besonders aufschlußreich; es bringt eine klare Abweisung des Prophetentitels f ü r Jesus. Auf die Frage Jesu: Für wen halten die Leute den Menschensohn ? antworten die Jünger: Etliche f ü r Johannes den Täufer, andere f ü r Elia, noch andere für Jeremia oder einen der Propheten. Diese Ansicht wird durch das ihr entgegengestellte Petrusbekenntnis resolut verworfen. Der Menschensohn ist nicht, was die Leute von ihm sagen, sondern was Petrus auf Grund von Gottes Offenbarung adäquat von ihm zu bekennen weiß: der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Auf diesem Hintergrund ist 21,11 zu sehen. Die Mengen Jerusalems bekunden ihre „prophetische" Meinung von Jesus, von der sich hernach die Oberpriester und die Pharisäer (für eine Weile) beeindrucken lassen (21,46): Sie suchten ihn zu ergreifen, fürchteten aber das Volk, denn sie hielten ihn f ü r einen Propheten. Das ist eine Meinung, die sich unter Voraussetzung der breit entfalteten matthäischen Messianologie als unzureichend, falsch, verabscheuungswürdig: als crimen laesae majestatis ausnehmen muß. Hier ist mehr denn Jona! Hier ist der, den der größte unter den vom Weibe Geborenen (11,11), Johannes, selber schon mehr als ein Prophet (11,9), ankündigen muß: der endzeitliche Herr seines Volks. So muß die Stellungnahme Jerusalems aus dem Mund der Scharen negativ beurteilt werden. — Hosianna dem Sohne Davids, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Und welch ein Höllensturz: Jerusalem degradiert den einziehenden König der Niedrigkeit, seinen Messias, zum beliebigen Propheten aus Galiläa! Der Evangelist läßt seine Leser mit 21,10 f. den ersten Hauch der eisigen Kälte spüren, die Jesus im Weichbild Jerusalems entgegenschlägt. Die Leidensgeschichte wirft ihre Schatten voraus. So verständnislos (Wer ist der?) und „unter seinem Rang" begegnet Israel seinem König. 80 Das Evangelium des Matthäus, MeyerK Sonderband, herausgeg. von Werner Schmauch, 1956, 297. 81 1,22; 2,5.15.17.23; 3,3; 4,14; 5,12; 8,17; 12,17.39; 13,17.35; 21,4; 23, 29.31.37; 24,15; 26,56; 27,9. 82 Ähnlich das Volk von Johannes 14,5; 21,26; anders Jesus 11,9. Christliche Propheten 10,41; 23,34.
Das Sondergut
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Mt. 21,14—17 Die Tempel-Perikope bildet Matthäus aus dem Markus-Stoff (21,12 f; Par Mk. 11,15—17) 83 und seinem Sondergut, durch das er dem vorausgehenden ersten und „negativen" Akt der Tempelreinigung kontrastierend einen zweiten und „positiven" gegenüberstellt: dort die Räuberhöhle, die der Messias mit gewaltigem Besen ausfegt, hier die Stätte des Heils für die Elenden und des entsprechenden Messiasjubels (21,14f.), der nichts anderes ist als Gottes Lob von den Lippen der „Unmündigen und Säuglinge" (21,16) und mit dem der Tempel das wird, was er sein soll: οίκος προσευχής (21,13). Diese Verse sollen zeigen, wie der Messias den Tempel zu seiner wahren Bestimmung erhebt, ihm seine endzeitliche „Erfüllung" 8 4 gibt. Doch gerade die staunenswerten Taten Jesu und der ihnen gebührende Messiasjubel fordern die Repräsentanten zu zornigem Einspruch heraus: Hörst du, was diese sagen ? (Von der Antwort des Hohenpriesters auf Jesu eigenes Messiasbekenntnis 26,65 her darf man als unausgesprochene These mithören: sie lästern.) Doch Jesus stellt sich zum Messiasbekenntnis der Unmündigen; es ist das Lob, das Gott sich bereitet hat. Daraufhin zeigt er den Autoritäten die Schulter (21,17)85. Seine Antwort an Israel ist damit jedoch noch nicht zu Ende gesprochen. Matthäus läßt die bei Markus vor der Tempelreinigung liegende Einheit von der Verfluchung des Feigenbaumes folgen (21,18f; Mk. 11,12—14; fehlt bei Lukas). Jesus verflucht sein unfruchtbares Gegenüber zu irreparablem Absterben (vgl. S. 43). Wo der Messias den Tempel eifernd und heilbringend zur Stätte der Anbetung Gottes macht, erhebt Israel Protest und verfällt dem wirksamen Fluch seines Königs. Für Matthäus ist „Israel", wie man sieht, eine „geschichtliche" Größe, deren „messianisches" Ende er voraussetzt. Mt. 21,L8—3286 „Dieses Stück . . . ist äußerst kunstvoll in die Mk.-Ordnung eingegliedert, insofern es das Streitgespräch über die Frage der Vollmacht 83 Mk. 11,16 streicht er als überflüssig. Gegenüber Mk. 11,15 betont er, Jesus habe alle die Verkäufer und Käufer hinausgestoßen (21,12). Auch ist für ihn, der auf den Untergang Jerusalems zurückblickt, der Tempel kein Gebetshaus „für die Heiden" mehr (Mk. 11,17; 21,13). Er gehört zur vergangenen Geschichte Israels. 84 Vgl. das Zitat aus Ps. 8,3 L X X , das zwar ohne „Erfüllungsformel" erscheint, aber ganz in die Linie des Erfüllungsgedankens gestellt ist. 85 Das negative Israel-Bild des Textes, seine Messianologie und das Motiv der Heilung als Zeichen des Davidssohnes (vgl. 9,27; 12,23; 15,22) könnten darauf hinweisen, daß 21,14—17 vom Evangelisten entworfen wurde. 88 Vgl. Josef Schmid, Das textgeschichtliche Problem der Parabel von den zwei Söhnen, Mt. 21,28—32; in: Vom Wort des Lebens, Festschr. für Max Meinertz, 1951, 68—84; Wolfgang Trilling, Die Täufertradition bei Matthäus, BZ 3 (1959) 271—289; Hans Windisch, Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes, ZNW 27 (1928) 163—192.
5 8702 Walker, Heilageschichte
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fortführt und die Parabel-Trias eröffnet" (Trilling)87. 21,32 ist kaum ursprünglich 88 . Strecker hat mit guten Gründen dargetan, daß der Vers seinem Inhalt nach zwar mutatis mutandis durch Lk. 7,29f. für Q zu belegen, in seiner vorliegenden Gestalt jedoch dem Evangelisten zu verdanken ist 89 . Die Parabel von den beiden Söhnen endet mit dem definitiven Urteilsspruch Jesu von 21,31b, der den Zöllnern und Huren den künftigen Eingang in das Gottesreich zuspricht, die Repräsentanten Israels (von 21,23) jedoch davon ausschließt 90 . 21,32 soll nach dieser forensischen Zuspitzung des Gleichnisses insofern noch einmal zu seiner „Anwendung" beitragen, als es den vorausgehenden Urteilsspruch nach seiner positiven, den Zöllnern und Huren zugewandten, wie nach seiner negativen, Israel betreffenden Seite hin begründet91. Die richterliche Entscheidung Jesu besteht zu Recht 9 2 : Denn Johannes kam zu euch mit dem Weg der Gerechtigkeit, und ihr habt ihm nicht geglaubt 93 , die Zöllner und Huren aber glaubten ihm; ihr aber habt, als ihr es saht, hinterher nicht einmal Reue empfunden, so daß ihr ihm geglaubt hättet. Trilling hat auf die Parallelität zwischen Johannes und Jesus in der Perikope von der Vollmachtsfrage (21,23—27) und auf die Fortsetzung dieser Parallelität in der folgenden Gleichnisgruppe aufmerksam gemacht 94 . Mit seinen Worten: „In beiden Gleichnissen geht es 87
89 Täufertradition 284. Vgl. Jeremias, Gleichnisse 78. A . a . O . 153. 80 Mit Josef Schmid R N T 303; Windiseh, Sprüche vom Eingehen 166: „Mit 21,31 sichert Jesus den Zöllnern und Huren zu, daß sie vor den offiziellen Vertretern des J u d e n t u m s (!) den Eingang in die βασιλεία finden werden, wobei nach dem Zusammenhang (21,32) das προ . . . ύμας deren Ausschluß bezeichnet." Gegen Zahn 628 („doch noch, nur später"). 91 Gegen Wellhausen 107: „der Vers 21,32 soll zwar eine Erklärung des Gleichnisses sein, ist aber keine." 92 Hummel 24 h a t gesehen, daß das Neue der Matthäus-Fassung gegenüber Lk. 7,29f. in der „Umwandlung der Aussage in die F o r m der direkten Anrede" liegt. Wenn er jedoch f o r t f ä h r t : „Der Glaube der Verlorenen wird zur Mahnung an das ungläubige Judentum" (Sperrung R. W.), verkennt er den Charakter von 21,31b. Schmid R N T 303 sagt mit R e c h t : ,,. . . das Gleichnis im ganzen will nicht die Pharisäer durch den Hinweis auf das Beispiel der gläubig-bußfertigen Sünder zur Umkehr antreiben, sondern ist bereits eine Gerichtspredigt gegen sie." Das eschatologische Heil wird ihnen von Jesus endgültig und ausdrücklich bestritten (gegen Schmids folgenden Satz R N T 303). H u m m e l will den Text wieder im Horizont nachösterlich-kirchlicher Auseinandersetzung mit dem „ J u d e n t u m " verstehen, während er von Matthäus, was immer seine aktuelle „kirchliche" Ausrichtung gewesen sein mag, „historisch" verarbeitet wird: er schildert das Nein des vergangenen Israel zum Täufer, dem das letztgültige Nein Jesu zu Israel entspricht (vgl. S. 103ff.). 93 Den Zusammenhang dieses Motivs mit 21,25 b h a t Trilling, Täufertradition 284, schön herausgestellt: „Vor allem aber spricht V. 32a den Vorwurf, der in V. 25b als innere Überlegung der Gegner erwähnt wird, offen aus: I h r h a b t nicht geglaubt! Dadurch wird bestätigt, daß die Johannestaufe έξ ούρανοϋ war." 94 Täufertradition 284. 89
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um Hausvater und Weinberg, um Gehorsam und Ungehorsam; beide Male fügt Matthäus ein zusammenfassendes, anklagendes Wort an . . . Johannes und Jesus werden abgewiesen und erleiden das Schicksal der Propheten. Dem Täufer wird der Glaube verweigert, der Sohn wird gar getötet . . . Beide hält das Volk für Propheten, aus diesem Grunde ,fürchten' die Gegner beide Male das Volk (VV. 26.46)"94. Doch wird man zunächst einwenden müssen, daß der Text nirgends auf ein mögliches „prophetisches" Schicksal des Täufers abhebt, wie man es von 21,33ff., wo ja zuvor die „Knechte" genannt sind, für Jesus vermuten könnte 95 . Zu bedauern ist auch, daß Trilling seine Aufmerksamkeit nicht auf die ganze Gleichniskomposition unter Einschluß von 22, Iff. ausgedehnt hat. Sie hätte den Blick von der Parallelität zwischen dem Täufer und Jesus weitergeführt zu der Trias „Johannes, Jesus, die Boten", ein mit Bedacht gewähltes Arrangement des Evangelisten, in dem er einen Aufriß der Basileia-Geschichte Israels vorlegt. Mit dem Täufer, dem ersten Boten der kommenden Himmelsherrschaft (3,2), und dem ihm widerfahrenden Unglauben ist der erste Akt dieses Dramas beschrieben, mit Jesus (4,17 / Mk. 1,15) und seinem Tod durch die Winzer der zweite, durch die Sendung der Boten und ihr blutiges Ende der dritte und letzte 96 . Dem dreifachen Nein des Volkes zu den Basileia-Zeugen korrespondiert das dreifache Nein Jesu zu Israel: er schließt — als Gerichtsherr Israels — das verstockte Geschlecht von aller eschatologischen Hoffnung aus (21,31b; vgl. 8 , l l f . ; 95 Sicher blickt Matthäus mit den „ K n e c h t e n " von 21,35f. auf die Propheten, vgl. das redaktionelle Motiv der Steinigung 21,35 (nach 23,37). Damit ist jedoch nicht gesagt, daß er großen Wert darauf legt, Jesus das „Schicksal der Prop h e t e n " zuzuerkennen. Trilling selbst stellt fest (Das wahre Israel 56, vgl. oben S. 43), daß Matthäus mit 21,35f. „die Regel . . . die Art dieser Winzer" charakterisieren möchte, die dann in Gestalt der Repräsentanten (21,45f.) auch vor „seinem Sohn" nicht haltmacht. Der Evangelist entwirft das Bild des prophetenfeindlichen Israel mit Rücksicht auf 23,29ff., wo er auf die Propheten und ihre Mörder zu sprechen kommt, weil ihn wieder die Söhne dieser „ A r t " interessieren, die sich hoc loco an den Boten Jesu vergehen, u m das Maß ihrer Väter an ihnen voll zu machen und so die Aufrechnung der ganzen Unheilsgeschichte Israels über sich zu bringen. Klar ist auch, daß bei Matthäus Johannes und Jesus nur vom Volk in die Nachbarschaft der Propheten versetzt werden (vgl. S. 63f.; anders 5,12; 23,34 von den Jüngern). 86 Nach 10,5ff. weist Jesus die Jünger — f ü r die „Gegenwart" —• als Verkündiger der Basileia an Israel (10,7 red. nach Q/Lk. 9,2). Das setzt sich für die „ Z u k u n f t " fort mit der bis zum J a h r e 70 ergehenden Sendung der „ K n e c h t e " ; vgl. 23,34: die Sendung der Boten gehört hier nach dem K o n t e x t der nachösterlichen Zeit an. Dieselbe Zeit ist für die Knechte von 22,3.4.6 vorauszusetzen (Auftreten der „Knechte" vor dem Ende Jerusalems 22,7). D a ß es sich auch bei diesen nachösterlichen Boten u m Zeugen der kommenden Himmelsherrschaft handelt, zeigt 22,1 ff. als erklärtes Basileia-Gleichnis und von der Seite der späteren Heiden-Berufung aus 24,14 („dieses Evangelium vom Reich" f ü r die Heiden) und 22,11—14, wo die έθνη, deren Berufung auf die des verworfenen Israel folgt, als unter die Kriterien des kommenden Gerichtes gestellt erscheinen (22,13f.; vgl. 25,31ff.). 5*
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ll,20ff.; 12,31ff. 38ff.) und dekretiert zugleich sein Ende, den Untergang „jener Mörder" und die Ablösung seiner irdischen Heilsgeschichte (der Basileia-Berufung) durch das Weiterschreiten der Gottesherrschaft zu den Heiden (21,41.43), eine forensische Entscheidung, die durch 22,7ff. bekräftigt wird und in Erfüllung geht. Aufs Ganze der Kapitel 21—23 gesehen, gestaltet Matthäus drei Gänge der Auseinandersetzung Jesu mit Israel, jedesmal eingeleitet durch „Streitgespräche", die den Widerstand des Gegners veranschaulichen, und beantwortet von ständig sich steigernden Gerichtsworten und -reden, die Jesu Abrechnung mit Israel darstellen: 21,12—17 / 21,18f. — 21,23—27 / 21,28—22,10 — 22,15—46 / 23, 1—24,2 97. Mt.
23,2f.5.8—10.15—22.24.26.27f.98
Das vielschichtige Sondergut der Weherede läßt an verschiedenen Wendungen die formende Hand des Evangelisten erkennen. Er verbindet seine disparaten, auch „judenchristlich" geprägten Stoffe" mit dem von ihm selbst Beigebrachten zu einem einzigen, großen, gegen „Israel" gezielten Komplex 100 . Das überlieferte Gut ist für ihn in Kap. 23 unterschiedslos literarischer Stoß, der seinen jeweiligen Sitz im Leben, seine ursprünglich polemische oder lehrhafte Ausrichtung innerhalb einer wie immer gearteten kritischen Kontroverse mit dem,, Judentum" verloren hat und dafür eine Funktion in der geschriebenen Geschichte des Evangeliums empfängt. Matthäus gestaltet ihn zu einer einheitlichen Gerichtsszene in der Begegnung des Messias mit Israel von damals. Auffallend ist die wiederholte Verwendung des Attributes „blind" für die Repräsentanten: (15,14 blinde Blindenführer S) 23,16 blinde Führer s 23,17 Toren und Blinde s 23,19 Blinde s 23,24 blinde Führer s 23,26 blinder Pharisäer s Man muß annehmen, daß (außer im Falle von 23,26) erst Matthäus diesen Gedanken der völligen Verfinsterung und „Verständnislosigkeit" 97 Jeden dieser Gesprächsgänge beschließt Matthäus mit Einheiten, die aktuelle „kirchliche" Lehre vermitteln: 21,20—22; 22,11—14; 24,3—25,46. 98 Zum Sondergut von 23,29 ff. vgl. S. 56 ff. 99 Vgl. Ernst Haenchen, Matthäus 23, ZThK 48 (1951) 38—63. 100 Auch der Eingangsabschnitt 23,1—12 ist im Kontext gegen Israel gerichtet. Das „ihr aber" in 23,8 mit den folgenden an die Jünger adressierten Logien 23,8—12 ist scharf gegen den dunklen Grund der zuvor charakterisierten Lehrer abgesetzt.
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der Gegner Jesu in die Texte eingeführt hat. Nach ll,25ff. und 13, 10—17 darf jedoch „blind" als angemessenes und folgerichtiges Epitheton für die verstockten Opponenten gelten: Denen, die mit sehenden Augen nicht sehen, verwehrt Jesus selbst das „Licht" 101 . Ebenso häufig ist das ύπόκρισις-Μοίίν: (6,2.5.16 die Heuchler (24,51 die Heuchler (15,7 Heuchler (22,18 Heuchler 23,13 Heuchler 23,15 Heuchler 23,23 Heuchler 23,25 Heuchler 23,27 Heuchler 23.28 voll Heuchelei 23.29 Heuchler
S) S) nach Mk. 7,6) nach Mk. 12,15) S —Q S S —Q S —Q S S S —Q
Dieses Thema der Heuchelei hat der Evangelist in Mk. 7,6; 12,15 vorgefunden. Die konsequente Anwendung der Anredeform ist sein Werk. Anders als bei der Blindheit der Repräsentanten bemüht sich Matthäus in unserem Text um eine interpretierende, „sachliche" Beschreibung ihrer Heuchelei, wobei er die Vokabel entbehren kann. Zunächst charakterisiert er die „Schriftgelehrten und Pharisäer" durch sein Sondergut 23,2f. 102 als Leute, die „es sagen und nicht tun", was er mit 23,4 (aus Q; Lk. 11,46) kommentierend fortführt. Dann schildert er sie mit Farben der ihm vorgegebenen Stoffe 6, 1—4.5—8. 16—18 (vgl. besonders 6,2.5.16): Alle ihre Werke tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden; eine These, die er wieder erläuternd ausbaut (23,5 b—7)103. Nach solcher Qualifizierung der Autoritäten — die Heuchelei ist ihr Wesen: alle ihre Werke tun sie „vor den Leuten" — kann er sie in den folgenden, das einzelne geißelnden Weherufen mit dem stereotypen „Heuchler" bedenken. Diese Peitschenhiebe sind mit 23,2ff. grundsätzlich „erklärt". Der redaktionelle Vers 23,33 spricht vom „Gericht der Hölle" für die Söhne der Prophetenmörder, die Repräsentanten (vgl. 8,12). Ein 101
13,lOff.; Gott: l l , 2 5 f . An 23,3 interessiert den Redaktor besonders die Schlußthese. 23,3 a kann er mit aufnehmen, weil es für ihn keine aktuelle Bedeutung mehr besitzt (23, 8 ff.: die Jünger stehen unter dem einen Meister!) und auch sonst durch Logien und Logienkompositionen der redaktionellen Arbeit kräftig paralysiert ist (12, 33—35; 15,14 blinde Blindenführer; vorherrschendes Thema im selben Kapitel! Bosheit der Lehrer 22,15 ff.; ihre Unkenntnis der Schrift, vgl. S. 63; Warnung vor ihrer Lehre 16,5—12!). 103 23,5a red. Zu 23,6f. vgl. Mk. 12,38f.; Lk. 20,46. 102
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verwandtes Motiv enthält das Sondergut von 23,15. Hier heißt es, die „Schriftgelehrten und Pharisäer" machten aus ihrem Proselyten ein „Kind der Hölle", zwiefach schlimmer als sie selbst. Grellere Farben hätte der Evangelist bei seiner Darstellung der Yerlorenheit Israels nicht auftragen können. Mt.
26,64
Zum matthäischen „Sondergut" gehört auch die Wendung πλην λέγω ύμΐν, die noch in 11,22.24 begegnet, wo sie zur Einleitung von Gerichtsworten dient 104 . Im parallelen Markus-Text 14,62 geht dem apokalyptischen Wort das Bekenntnis Jesu zu seiner Messianität voraus: Ich bin es. Hier , , . . . erscheint der zweite, durch καί beigeordnete Teil der Antwort Jesu als Bekräftigung und Bestätigung des ersten Teiles" 105 . Jesu irdische Messianität besteht zu Recht, wird mit letzter Autorität und Würde versehen durch seine Rolle als künftiger Menschensohn. Bei Matthäus ist das „Messiasbekenntnis" nicht mehr direkt, als blankes, die Alternativfrage beantwortendes Ja, sondern als nachträgliche Zustimmung zu einer das J a schon enthaltenden These formuliert: Du hast es gesagt — als hätte der Hohepriester zuvor schon einen kräftigen Indikativ gesetzt. Für Matthäus muß sich Jesus von Israel nicht nach seiner Messianität fragen lassen. Der Vertreter Israels muß sie selbst „bekennen", und Jesus braucht seine Worte nur aufzunehmen: σύ ειπας. Durch πλην λέγω ύμΐν hebt der Evangelist das Folgende kräftig von der vorausgesetzten These und dem bejahenden σύ εΐπας ab: Du hast es gesagt, doch ich sage e u c h . . . Von nun an, im Blick auf seine nachösterliche Zukunft, ist Jesus nicht mehr der (heilbringende und fordernde) Messias Israels, sondern sein Richter. Das matthäische Sondergut vom künftigen Menschensohn weist den „Himmlischen" klar als Richtergestalt aus (13,41 f.; 16,27; 25,31 ff.106). Abgesehen von der konkreten Textgestalt ist es auch von dorther geboten, das den Menschensohn-Spruch 26,64 einleitende πλήν λέγω ύμΐν nach 11,22.24 zu interpretieren. Mit 26,64 sagt sich der Messias Israels seinem unnachgiebigen, ihn zum Tode fordernden Volk als künftiger Gerichtsherr und Rächer an. Mt.
27,3—10
Karl Ludwig Schmidt sagt: „Die hier eingeschobene, nur Matth. 27,3ff. eigene Erzählung vom Ende des Judas, der seine Tat bereut, 104 Ohne Parallele auch 11,24. In 11,22 nach Q/Lk. 10,14 (πλήν ohne λέγω ύμΐν). Im selben Sinne άμήν λέγω ύμΐν 10,15 nach Q/Lk. 10,12 (λέγω ύμΐν). Ähnlich 18,7 πλήν ούαΐ τω άνθρώπω, wieder nur bei Matthäus. 105 Trilling, Das wahre Israel 86. 106 Auch das Zitat aus Sach. 12, lOff. in 24,30 (gegen Mk. 13,26) macht auf die drohende richterliche Gewalt des kommenden Menschensohnes aufmerksam.
Das Sondergut
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scheint den Sinn zu haben, daß der Jude, der den Stein ins Rollen gebracht hat, die jüdischen Oberen an der Übergabe Jesu an Pilatus hindern will. Es zeigt sich, daß deren Entschluß unerschütterlich feststeht 107 ". Damit ist Richtiges gesehen. Doch verbietet der Text den Gedanken, Judas wolle der Auslieferung Jesu entgegentreten. Jesus ist nach 27,2 schon in die Hände des Statthalters übergeben, vgl. 27,3: Judas sah, daß Jesus verurteilt war (aor. pass.). Das Rad des Verderbens Jesu ist längst im Rollen. — So machen 27,3f. darauf aufmerksam, daß die Autoritäten auf dem Weg zum Tode Jesu, den sie betreten haben, weiterzuschreiten gewillt sind. Es ist, als würde ihnen durch Reue und Zeugnis des Judas ein dringliches „Halt! Laßt ab! Unschuldiges Blut!" 108 zugerufen. Doch sie hören diese Mahnung nicht, wie sie sich auch durch den ihnen in den Weg tretenden Pilatus (27,15ff.) nicht von ihrem Lauf abbringen lassen. Der Tod Jesu ist für die Repräsentanten beschlossene Sache. Sie beschäftigen sich mit den Silberlingen des Verräters, nicht mit seinen Worten. Damit ist der Reichtum der Beziehungen noch nicht erschöpft. Judas bekennt den Oberpriestern und Ältesten: Ich habe gesündigt und unschuldiges Blut verraten. So eröffnet der Verräter die Reihe der Unschuldszeugen Jesu, in die sich noch das Weib des Pilatus mit ihrem „Habe nichts mit diesem Gerechten zu schaffen!" (27,19) und Pilatus selbst stellen wird, der das Volk fragt, was Jesus denn Böses getan habe (27,23; vgl. 27,18) und sich öffentlich und in aller Form von der Schuld am Tode Jesu distanziert (27,24). Auch Jesu eigenes Zeugnis gehört hierher. Er weist die Anschuldigungen der Gegner nicht anders als den Einwurf des Statthalters (von 27,13) mit majestätischem Schweigen ab — beredter Ausdruck seiner Unschuld (27,12.14). In der Antwort der Autoritäten auf die Worte des Judas liegt ein weiterer beziehungsreicher Zug der Erzählung. Die Oberpriester und Ältesten stoßen die Schuld auf Judas zurück (27,4): Was geht es uns an? Siehe du zu! Sie weisen jede Solidarität mit dem Vergehen des Verräters von sich, der unter seiner einsamen Last zerbricht, nachdem er die Silberlinge in den Tempel geschleudert hat (27,5). Es leidet keinen Zweifel, daß der Evangelist mit diesen Versen sein Sondergut von 27,24f. vorbereitet, das als Kontrast-Bild zu 27,4f. verstanden werden muß. Hier ist es der Statthalter, der seine Hände in Unschuld wäscht. Hier wendet sich das σύ οψη von 27,4 mit geballter Kraft gegen die Repräsentanten und das mit ihnen identische Volk: Sehet ihr zu! Ihr seid die Schuldigen! Worauf das ganze Volk die Last „seines 107
Der Todesprozeß des Messias Jesus, Judaica 1 (1945) 1—40, 34. Etwas einseitig Lohmeyer 375: „Diese Worte, wie das Zurückbringen des Geldes, haben nur den einen Zweck, das Geschick, das des Meisters wie das eigene, zu wenden . . . " 108
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Blutes" auf sich nimmt. Die Autoritäten sind also mit Judas solidarisch. Das „unschuldige Blut", das er verraten hat, klebt auch an ihren Händen. Auch die auf 27,4f. folgenden Verse zeigen, daß die Oberen Israels ihrer Schuld am Blute Jesu nicht entgehen können. Sie gestehen sie wider Willen ein, ja, sie setzen der Schmach des Verräters und ihrer eigenen Blutschuld ein bleibendes Denkmal. Sie konstatieren, daß die dreißig Silberlinge nicht für den Tempelschatz taugen, „weil es Blutgeld ist" — von ihnen ausgegangen zum Verrat, zu ihnen zurückgekommen zum Zeugnis wider sie. Sie fassen Beschluß über dieses Geld, und der Acker des Töpfers, den sie dafür kaufen, heißt „Blutacker" bis auf den heutigen Tag, womit die prophetische Weissagung erfüllt ist. „So kam es, daß das Andenken an die Schuld des Verräters, die ja zugleich die Schuld Israels war, in Jerusalem nicht verschwand" (Schlatter) 109 . Es ist offenkundig, daß Matthäus mit 27,3—10 seine negative Darstellung Israels als des verwerflichen Gegenübers Jesu fortsetzt. Mt.
27,51—54
27,51a übernimmt der Evangelist aus Mk. 15,38. Was am Tempel geschieht, gehört für ihn mit anderen Ereignissen zusammen, von denen sein Sondergut berichtet, mit dem σεισμός der Erde, den zerspaltenen Felsen 110 und geöffneten Gräbern — mit Geschehnissen von Gott also111, die seinem Auferweckungshandeln an den Leibern der entschlafenen Heiligen gewaltig-zeichenhaft vorausgehen und es vorbereiten 112 , vgl. 28,2, wo der σεισμός die (nicht direkt beschriebene) Auferstehung Jesu einleitet. Auf diese „eschatologischen" Akte Gottes folgt, daß die Heiligen nach der Auferweckung Jesu aus ihren Gräbern hervorkommen, in die Heilige Stadt gehen und vielen erscheinen (27,53) — als die ersten Zeugen des Auferstandenen, wie man zu ergänzen hat. Die εγερσις Jesu ist ja der terminus a quo ihres Hervortretens; und die Erscheinungen der Erweckten lösen (mit) das christologische Bekenntnis der Heiden aus, für das nach 27,54 alle die geschilderten Begebenheiten vorauszusetzen sind: Als aber der Hauptmann und die (Soldaten), welche mit ihm Jesus bewachten, das Erdheben und das Geschehene sahen, fürchteten sie sich sehr usw. Das Bekenntnis der Heiden zur Gottessohnschaft Jesu entzündet sich somit 109
Erläuterungen I 403. καί αί πέτραι έσχίσθησαν steigert das Motiv des Erdbebens und leitet zu καΐ τά μνημεία άνεώχθησαν über. i n Ygi Lohmeyer 395, der erklärt, „. . . daß als der ungenannte Urheber all dieses Geschehens Gott selbst gedacht wird, wie das Passivum verrät." 112 Mit Schmid RNT 374: „. . . auch die Öffnung der Gräber wird man . . . noch als Folge des Erdbebens . . . verstehen müssen." 110
Das Sondergut
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nicht am Tode Jesu wie beim Centurio von Mk. 15,39 113 (ϊδών . . . οτι οΰτως έξέπνευσεν), sondern am Auferstehungshandeln Gottes mit seinen vorlaufenden Zeichen und an den Erscheinungen der erweckten Heiligen. Nicht vom Kreuz, sondern von „Ostern" her bekennen sie: Dieser ist wahrhaftig Gottes Sohn gewesen. Die Bemerkung Mk. 15,39 von dem Hauptmann, „der ihm gegenüber in der Nähe stand", fällt bei Matthäus fort. Doch gehören auch hier der Centurio und die Wächter nach dem Kontext zur Kreuzigungsgruppe (27,45—50.55f.). Gleichwohl ist durch 27,51ff. „Ostern" (mit der Auferstehung Jesu nach drei Tagen 27,63) als schon präsent in die Szene eingeblendet. Es ist sozusagen vorverlegt, damit der Glaube der Heiden als Osterglaube verständlich werden kann. Auch wird jetzt deutlich, mit welchen Ereignissen der Tempel aufgehört hat, Stätte der Gegenwart Gottes zu sein. Der Vorhang ist zerrissen, Gott begegnet nun in der Auferweckung der Heiligen und (nach Jesu εγερσις) in den entsprechenden Erscheinungen. Der alte Kult Israels ist ausgelöscht, Gottes Gegenwart ist seine Gegenwart von Ostern. Doch ist dies, aufs Ganze des Textes gesehen, nur ein Nebenmotiv. Der Evangelist will mit seinem legendären Stoff primär den Glauben der Heiden als („proleptischen") Osterglauben schildern und so einen tröstlichen Anblick schaffen, damit im folgenden das krasse Gegenbild der massiven Auferstehungsleugnung durch Israel um so abstoßender vor Augen tritt (27,62—66; 28,11 bis 15): auf diesen Kontrast hin ist 27,51ff. angelegt. Seht die Heiden, sie bekennen den Gottessohn auf Grund von Erdbeben und Erscheinungen der Heiligen. Israel glaubt nicht einmal, wenn der Engel des Herrn vom Himmel niederfährt und das leere Grab die Auferstehung ausweist. Auch Schlatters Bemerkung zum Text ist zu erwähnen: „Es geht am Schluß des Lebens Jesu wie am Anfang" 1 1 4 . Die Heiden huldigen dem König der Juden, während Israel ihm nach dem Leben trachtet. Die Heiden bekennen seine Gottessohnschaft, doch Israel befehdet ihn über das Grab, ja über die Auferstehung hinaus. Mt. 27,62—66;
28,11—15
Zunächst zeigen diese legendären Stücke, daß die Repräsentanten Israels auf ihrem Weg des „Messiasmords" auch zum Kampf gegen den Auferstandenen entschlossen sind. Der König Israels gilt ihnen als „jener Betrüger" (27,63). Da er nun tot ist, könnten die Jünger kommen, ihn stehlen und sagen, er sei von den Toten auferweckt worden. So würde „der letzte Betrug schlimmer als der erste" (27,64). Als Gott die Anschläge der Autoritäten zunichte macht, geben sie sich nicht geschlagen. Sie verwandeln die Wahrheit der Auferstehung, den 113 114
Hier steht der Hauptmann gegenüber Mt. 27,54 noch allein. Erläuterungen I 414 f.
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Israel als Einheit des Bösen
Bericht der Grabeswächter von „allem, was geschehen war" (28,11) in die Lüge vom Diebstahl der Jünger. Kann man ihn auch nicht im Grabe halten, wird der Lebendige doch von Israel „mit Geld begraben" (28,12), um es kraß zu sagen. Wieder fassen die Repräsentanten einen Beschluß (28,12; vgl. 26,4; 27,1), ihren letzten und schrecklichsten, der die Auferstehung — als „Lehre" Israels (28,15a)! — zum üblen Trick erniedrigt, wofür es bis heute Zeugen gibt: Und diese Rede verbreitete sich unter Juden bis auf den heutigen Tag (28,15b). Es gilt, die Funktion dieses Schlusses innerhalb der Einheit 28,11 ff. zu bedenken. 27,8 liefert einen wichtigen Hinweis zum Verständnis. Auch in der Perikope vom Ende des Judas erscheint der Gedanke an ein „bis heute" wirkendes Wort. Hier ist, wie gesagt, der Name jenes „Blutackers" das bleibende Dokument für Israels Schuld am Tode Jesu. So ist auch der λόγος vom Betrug der Jünger, der bis heute unter Juden im Schwange geht, das unverrückbare Denkmal der Gegenwart für Israels einstigen Kampf gegen die Auferstehung. Auch mit 28,15 b arbeitet Matthäus an seinem Bild der zurückliegenden Geschichte Israels. Gewiß deutet der „unendlich fern klingende Ausdruck ,bei Juden'" 1 1 5 auf den tiefen Graben, der den Evangelisten zu seiner Zeit von „solchen, die Juden sind" 116 trennt. Doch wird man die schmale Notiz nicht so verstehen dürfen, als wolle Matthäus seine eigenen Zeitgenossen117, die „Juden", in sein Urteil über „dieses Geschlecht" von ehedem einbeziehen. Strecker verweist im Zusammenhang unserer Stelle mit Recht auf die Geschichts-Anschauung des Evangelisten: „Nicht mehr von Israel . . . ist die Rede, sondern die , Juden' erscheinen als ein Volk unter anderen" 118 . Als heilsgeschichtliche Größe der Basileia-Berufung gehört Israel bei Matthäus der Vergangenheit an: berufen und zu Fall gekommen in der Begegnung mit seinem Messias. Was nun folgt, ist nicht mehr Israel — die „Juden", ein Phänomen, über dessen heilsgeschichtliche Bestimmtheit dem Matthäus-Evangelium nichts zu entnehmen ist. Es tritt nur in 28,15b in das Blickfeld der Betrachtung 119 , flüchtig und nicht um seiner selbst willen. 115
Lohmeyer 411. Schlatter, Evangelist A. Debrunner, Grammatik § 262; Strecker 117, Anm. 117 Trilling 79. 119 Gegen Strecker 30ff.; 116
797. Zu 'Ιουδαίοι·? ohne Artikel vgl. F. Blass — des neutestamentlichen Griechisch, 9. Aufl. 1954, 1. 118 A.a.O. 116f. 117.
III. D I E H E I D E N IM M A T T H Ä U S E V A N G E L I U M Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, das „Israel" des Matthäus-Evangeliums als Einheit des Bösen, handelnd dargestellt durch seine Repräsentanten, endgeschichtlich verloren und mit dem Untergang Jerusalems heilsgeschichtlich abgetan — diese Ergebnisse legen es nahe, nun die εΟ-νη-Stoffe des Matthäus-Evangeliums daraufhin zu befragen, ob in ihnen das heilsgeschichtliche Thema fortgeführt wird. Daß Matthäus nicht nur an Israel als dem Adressaten der Basileia-Berufung interessiert ist, sondern auch die Heiden in das Zentrum seiner Darstellung rückt, bedarf keines detaillierten Nachweises. Es gilt jedoch darzutun, wie Matthäus das Verhältnis der beiden Größen „Israel" und „Heidenwelt" im einzelnen bestimmt, welche heilsgeschichtliche Anschauung er auf dem Hintergrund der „erledigten" Heilsgeschichte Israels mit dem Komplex der Heiden in seinem Evangelium verbindet. Die Untersuchung ist wieder an den Markus- und Q-Stoffen sowie am matthäischen Sondergut durchzuführen. 1. Die Mt. 4,12—171 Mk.
Markus-Stoffe
1,14f.
Ferdinand Hahn bemerkt zur Stelle: „Schon im Zusammenhang des ersten öffentlichen Auftretens Jesu wird in dem Reflexionszitat Mt. 4,14 unter anderem von dem Γαλιλαία των εθνών gesprochen und zeigt sich das grundsätzliche Offensein der Botschaft Jesu für die Völker" 1 . Es ist vom Kontext her kaum wahrscheinlich, daß Matthäus mit „Galiläa der Heiden" schon über Israel hinaus auf die Heidenwelt deuten will. Er kommt vor 4,15 auf Jesu Umsiedlung von Nazareth nach Kapernaum zu sprechen (fehlt bei Markus wie das ganze Reflexionszitat), nach der Stadt am See im Gebiet von Sebulon und Naphthali, wie mit Bedacht gesagt wird (4,13). Jesus befindet sich also auf genuin „israelitischem" Boden 2 . Das folgende Jesaja-Zitat f ü g t dann dem „Lande Sebulon und Lande Naphthali" den όδον θαλάσσης und das Gebiet jen1
Das Verständnis der Mission im Neuen Testament, WMANT 13, 1963, 109. Kapernaum ist im matthäischen Sinne wie Chorazin und Bethsaida eine repräsentative Stadt „Israels", vgl. die Stellung von 11,20ff. hinter 11,16ff. und die redaktionelle Notiz 11,20. 2
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Die Heiden im Matthäusevangelium
seits des Jordans hinzu. Nach 4,25, wo der Evangelist den geographischen Bestand Israels umreißt (vgl. 3,5) und wieder das Stichwort πέραν τοϋ Ίορδάνου benützt, handelt es sich auch bei der Region „jenseits des Jordans" um erklärtes Israel-Land. Ebenso soll der in 4,15 folgende Terminus „Galiläa der Heiden" nicht nach außen weisen, sondern eine weitere Gegend Israels in die Betrachtung einbeziehen; vgl. wieder 4,25, das auch Galiläa zu Israel zählt 3 . Vers 4,16 charakterisiert alle die genannten Gebiete in derselben Weise: das Volk sitzt im Finstern und wohnt im Lande des Todesschattens, über dem nun der König Israels als das große Licht aufgeht. Der Text steht in einer Linie mit 9,36. Das verlorene „Israel", zu dem auch das Galiläa der Heiden gehört, erfährt das Heil seines Messias. Somit gehört 4,15 streng zur Israel-Darstellung des Evangelisten. Hahns Ausweitung des Textes in Richtung auf die Völkerwelt ist abzulehnen. Mt. 8,28—34jMlc.
5,1—20
Anders als Markus versteht Matthäus die Gadarener-Perikope nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Heidenwirksamkeit Jesu. Sie empfängt von ihrem Rahmen her eine klare Ausrichtung auf „Israel", da in der Absicht des Evangelisten alles zwischen 4,23 und 9,35 Berichtete die fordernde und heilvolle Hingabe des Messias an Israel darstellen soll (vgl. S. 33 f.). An „Heiden" ist nicht mehr gedacht. Matthäus unterdrückt die markinische Notiz von der Predigt des Geheilten in den (heidnischen) Zehn-Städten (Mk. 5,19f.). Die Vorstellung des subjektiven Kerygmas, die Heidenpredigt eines einzelnen (von dem, was der Herr an ihm getan hat usw.), tilgt er zugunsten seiner Anschauung von den als heilbringende Verkündiger der Basileia an Israel gewiesenen Jüngern (Kap. 10). Auch gehört für ihn die Dekapolis, wie 4,25 verrät, zum Bestand „Israels". So trägt 8,28—34 zum Thema der Heiden im Matthäus-Evangelium nichts bei. Mt. 10,17—221
Mk.
13,9—13
Matthäus folgt in seiner Darstellung der Begebenheiten vor dem Ende ab 24,9 nicht mehr dem Markus-Text. Er hilft sich mit einigen von ihm selbst formulierten (24,9.14 frei nach Mk. 13,9.13/10), als Sondergut eingebrachten (24,10—12) oder den Markus-Text wiederholenden Sätzen (24,13 = 10,22b/Mk. 13,13b) und rückt das auf die Verfolgung durch Israel gemünzte Wort 13,9 4 mit seinem Anhang 13,11—13 aus dem Horizont des 24. Kapitels, um alles im Zusammenhang der Missionsrede des 10. Kapitels unterzubringen. Daraus ist zu 3
Vgl. auch das S. 33 f. Ausgeführte. Es sieht freilich auch schon auf die Verantwortung vor heidnischen Gerichten: Statthalter und Könige. 4
Die Markus-Stoffe
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schließen: die Verfolgung durch Israel gehört f ü r ihn nicht mehr zur Situation der Jünger vor dem Ende, die an die Heiden gewiesen sind (vgl. 24,9b. 14; 28,18flF.); sie ist eine Angelegenheit ihrer IsraelSendung zu den Lebzeiten Jesu, die der des Meisters selbst entspricht (vgl. S. 60ff.). Mk. 13,9ff. ist f ü r Matthäus innerhalb seines neuen Rahmens zu einem „zurückliegenden" Israel-Text geworden. Gleichwohl läßt er sich in 10,18 den schon mit dem Markus-Text gegebenen Hinweis auf die Heidenwelt nicht entgehen: . . . und ihr werdet u m meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis 5 . Hier wird deutlich, daß der Evangelist die exklusiv auf Israel bezogene Sendung der Jünger (10,5f.) durch eine vom Standpunkt des Textes aus künftige Phase der heilsgeschichtlichen Entwicklung überholt sieht. Was in strenger Ausschließlichkeit mit Israel beginnt u n d woran Israel zu Fall kommt, bleibt nicht auf Israel beschränkt; es gilt — nach Israels Ausscheiden aus der Heilsgeschichte, wie man zu ergänzen h a t — auch f ü r die Heiden 6 . Sie sind (als Adressaten der Basileia-Berufung) die heilsgeschichtlichen Erben Israels. Auf diesen Prozeß der Heilsgeschichte „Israel u n d (dann) die Heiden" will das redaktionelle καί τοις έθνεσιν aufmerksam machen. Mt. 12,15—21 η Mk. 3,7—12 Der Evangelist übernimmt aus Mk. 3,7ff. verschiedene modifizierte Züge (3,7.10a.l2): Die Flucht Jesu — auf den Todesbeschluß der Pharisäer hin (12,14/Mk. 3,6), die Heilung der Nachfolgenden und Jesu Gebot, ihn nicht offenbar zu machen. Dem läßt er das durch 12,17 eingeleitete Reflexionszitat 12,18—21 folgen (Jes. 42,1—4), das zweimal von den Heiden spricht. Nimmt man den Wortlaut von 12,17 ernst u n d vergegenwärtigt sich seine formelhaften Parallelen in 1,22; 2,15.17; 4,14; 8,17; 13,35; 21,4; 27,9, k a n n m a n den Text nur so verstehen, daß „das vom Propheten J e s a j a Gesagte" als im irdischen Leben Jesu erfüllt zu gelten h a t 8 . Jesu Handeln ist die Erfüllung der 5 Mk. 13,9 hat nur „ihnen zum Zeugnis" (zum Sinn des Ausdrucks vgl. Trilling 127ff.), zielt also mit „ihnen" auf die den „jüdischen" und heidnischen „Gerichten" des Textes entsprechenden Adressaten. Matthäus macht demgegenüber „ihnen" zum Sammelbegriff für „Israel" und stellt dem sein redaktionelles und weiterführendes „und den Heiden" zur Seite. Damit faßt er das bei Markus indirekt Ausgesprochene in klare Worte und gibt ihm einen programmatischen Akzent: Adressaten des Jüngerzeugnisses sind Israel und (dann) die Heiden. 6 Nach Hahn a. a. O. 108 „. . . ist in c. 10 die historische Situation transparent gemacht für die Mission der Jünger in der Zeit nach Jesu Auferstehung." Damit ist Richtiges gesagt, doch daß „alle großen Reden des Evangeliums unmittelbar der Gemeinde gelten", ist sehr pauschal geurteilt, vgl. 10,5f.23.25; 13,10—15; 23,13—24,2. 7 Vgl. S. 132. 8 Gegen Hahn a.a.O. 110, der an eschatologische Erfüllung bei der „Vollendung des Äons" denkt.
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Die Heiden im Matthäusevangelium
Jesaja-Prophetie, durch ihn widerfährt den Heiden das Heil des Gottesknechtes, wobei die Einzelzüge des Zitats im vorlaufenden Geschehen nicht realisiert zu sein brauchen; Matthäus kommt es nur auf den Grundgedanken an. Es ist nicht zulässig, aus dem Zitat eine willkürliche Auswahl zu treffen 9 . Es spricht unzweideutig vom Heiland der Heiden, als der Jesus, von Israel mit dem Tode bedroht, in der entsprechenden Zurückgezogenheit und in selbstgewählter Verborgenheit wirkt und das prophetische Wort erfüllt: das markinische GottessohnGeheimnis ist an unserer Stelle abgelöst durch das matthäische HeidenHeilands-Geheimnis, vgl. das Fluchtmotiv 12,15 und das Geheimnisgebot 12,16. Wichtig ist im Zusammenhang, daß der Evangelist auch im vorausgehenden und nachfolgenden Gang der Auseinandersetzung Jesu mit Israel (11,16—30; 12,22—50) durch die jeweiligen Schlußtexte 11,25—30 und 12,46—50 auf die positiven „Gegenbilder" zeigt, die für die Zeit Jesu an die Stelle des verruchten Israel treten (vgl. S. 52.55). Nach der dort waltenden Programmatik der redaktionellen Kompositionsarbeit wird auch 12,15—21 im Konnex mit 12,1—14 zu beurteilen sein. Schon im irdischen Leben Jesu f ü r Israel (15,24) geht das Heil in aller Verborgenheit zu den Heiden. Israel will den Tod seines Königs, doch er erweist sich auf der Flucht vor Israel in tiefer Verhüllung allen Elenden 10 als endzeitlicher Erfüller der Völkerweissagung. Wo Israel seinen Messias befehdet (vgl. 12,2.10.14), ist ER, zurückgezogen und verborgen, schon bei Lebzeiten eben das, was er hernach in aller Öffentlichkeit sein wird: das Heil der Heiden (vgl. 27,54). Trilling urteilt: „Beide Male (Vers 18.21) ist έθνη . . i m Sinne des (matthäischen) Universalismus zu fassen'" 11 . Der demütige Knecht bringe Wahrheit, Recht und Heil für alle. Doch was heißt an unserer Stelle „matthäischer Universalismus"? Wenn der dunkle Hintergrund f ü r das Heil der Heiden die notorische Bosheit (und endgültige Verwerfung) Israels ist (12,10.14; vgl. ll,20ff.; 12,22ff. usw.), kann τά έθνη nur im strengen Sinn eines Kontrastbegriffes gebraucht sein und — unter Ausschluß „Israels" — allein auf die Heiden gehen 12 . Mt. 18,6—9\Mk. 9,42 ff. An den Spruch vom Ärgernis für die „Kleinen" (18,6/Mk. 9,42) fügt Matthäus das Logion 18,7 an (Sondergut): Wehe der Welt der Ärger8 Gegen Sehmid RNT 209: Matthäus nehme auf den Hauptgedanken des zitierten Abschnitts, die Aufgabe, die der Gottesknecht an der Völkerwelt, den Heiden, zu erfüllen habe, keine Rücksicht und denke vor allem an seine Stille und Bescheidenheit. — 12,18bff. ist nach der Gottesknechtsprädikation 12,18a unverkennbar durch die doppelte Klammer der Heiden-Aussage in 12,18 b und 12,21 zusammengehalten und bekommt von dorther sein Gepräge. Matthäus nimmt das Zitat nur um seines „Hauptgedankens" willen auf. 10 11 12,15b; Mk. 3,10a „er heilte viele". A.a.O. 127. 12 Zu der Heidin in 15,21—28 vgl. S. 60, Anm. 65.
Die Markus-Stoffe
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nisse h a l b e n . . . „ W e l t " steht hier im Sinne von „Menschenwelt" wie 5,14; 13,38 (auch matthäisches Sondergut, vgl. 26,13 = Mk. 14,9) 13 . F ü r unser spezielles Heiden-Thema trägt die Stelle nichts aus. Zusammen mit ihren Sondergut-Parallelen zeigt sie jedoch, daß der Radius der Weltbetrachtung im Matthäus-Evangelium längst über „Israel" hinausgreift u n d „kosmische" Ausmaße angenommen h a t . Die Kosmos-Stellen sprechen pauschal f ü r die „universale" Weite der Perspektive, ohne in die besondere heilsgeschichtliche Schau des Evangelisten einbezogen und von ihr her präzisiert zu sein 14 . Mt. 21,33—461Mk.
12,1—12
Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern wirft mit seinen Versen 21,41.43 hinsichtlich der heilsgeschichtlichen Konzeption des Matthäus-Evangeliums eine Reihe von Fragen auf, die ausführlicherer Erörterung bedürfen. I n Vers 21,43 begegnet ein eigenartiger Begriff von βασιλεία τοϋ θ-εοΰ: die Gottesherrschaft wird von euch genommen w e r d e n . . . Voraussetzung des Satzes ist, daß die Basileia Israel geschichtlich „gegeben" wurde. Dementsprechend kann sie nun im Falle der Unfruchtbarkeit Israels „geschichtlich" auf ein „fruchtbringendes Volk" übergehen. Damit ist die streng eschatologische Ausrichtung des Begriffs, wie sie 19,24; 21,31 vorliegt 15 , aufgegeben. — I n welcher Weise h a t man sich die Gottesherrschaft als in der Geschichte „Israels" anwesend zu denken? F ü r C. G. Montefiore, der sich an Box anschließt, bedeutet „Gottesherrschaft" sub specie historiae die jüdische Theokratie mit ihren Privilegien des auserwählten Volkes 16 . Nach Johannes Weiß „ . . . ist hier daran gedacht, daß in dem Volk Israel, das nach dem Gesetz Gottes lebt, die Herrschaft Gottes in gewisser Weise schon verwirklicht ist" 1 7 . Wilhelm Michaelis möchte den Begriff „wohl nicht als das schon vorhandene Reich Gottes", sondern als „Anwartschaft auf das Reich" interpretieren 1 8 . Trilling vermag dem nicht zuzu13
Vgl. ThW III 890 (Hermann Sasse). Zum Fortfallen von πασιν τοις Ιθνεσιν (Mk. 11,17) in 21,13 vgl. S. 65, Anm. 83. 15 Vgl. 6,33 (textlich unsicher). 16 The Synoptic Gospels, 2. Band, 2. Aufl. 1927, 286. Ähnlich Bengt Sundkler, Jesus et les paiens, in: Arbeiten und Mitteilungen aus dem neutest. Seminar zu Uppsala 6 (1937) 35: „les privileges religieux d'Israel"; Rudolf Schnackenburg, Die Kirche im Neuen Testament, Quaest. Disp. 14 (1961) 65: „die Vorrechte und Segnungen . . . die ihm als Gottes erwähltem Eigentum zustanden und verheißen waren (vgl. Ex. 19,5f.; Dt. 7,6; 14,2; 26,18)." 17 Die älteren drei Evangelien, SNT I, 3. Aufl. 1917, 352. 18 Die Gleichnisse Jesu, 3. Aufl. 1956, 123f. Schlatter, Erläuterungen I 323, denkt an Israels „Berufung": „Gott wird es zerbrechen, seine Berufung anderen geben und die Heiden in sein Reich führen." 14
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stimmen 19 . Ihn interessiert die „Kontinuität der Heilsökonomie": „Die βασιλεία τοϋ θεοϋ ist eine das Alte und Neue Testament übergreifende Größe. Gott hat sie Israel gewährt und wieder entzogen . . . Wie der alte Träger ein ,Volk' war, ist es auch der neue. So ist mit der Kontinuität des Reiches auch die Kontinuität eines Volkes Gottes gegeben" 20 . Für diese Exegese ist kennzeichnend, daß sie den Begriff der „Gottesherrschaft" von einem bestimmten Israel-Begriff her entfaltet, der sich nicht mit dem des Matthäus-Evangeliums deckt, das nicht auf das alttestamentliche (und bis in die Gegenwart reichende) Gottesvolk mit seinen heilsgeschichtlichen Privilegien, sondern auf „dieses Geschlecht" der Basileia-Verkündigung blickt (vgl. S. 35if.). Die Heilsökonomie geht hier nicht auf den „alten", sondern auf den „eschatologischen" Bund Gottes mit Israel und setzt mit ihm ein (Johannes!). Matthäus denkt an das Israel der Messiaszeit (mit der „Vorzeit" des Täufers und der „Nachzeit" der Jünger), das selbst das „wahre", nämlich messianische Gottesvolk 21 der erfüllten Verheißungen ist — vgl. die Reflexionszitate 22 — und im Gang der Heilsgeschichte auf Grund seines Widerstandes gegen den καιρός Gottes durch eine andere heilsgeschichtliche Größe überholt wird. Ist das Gegenüber „dieses Geschlechts" nicht der „alte" Bundesgott mit Gesetz, Beschneidung und Tempel usw., sondern der Herr der Basileia in seinen Boten, so tritt auch der heilsgeschichtliche Nachfolger „dieses Geschlechts" nicht als „Gottesvolk" mit bestimmten Privilegien und Erwählungszeichen in Erscheinung, sondern wie zuvor Israel selbst als Phänomen der heilvollen und radikal beanspruchenden Basileia-Gegenwart und -Zukunft 23 . Sie ist das einzige Privileg und Berufungszeichen, das sich zwischen Israel und seiner Nachfolgegröße durchhält. M. a. W.: Die Kontinuität der Heilsgeschichte liegt nicht im Volk oder religiösen „Volkbegriff", sondern auf der höheren Ebene eschatologischer Erwählung — in dem handelnden und berufenden Gott. Das wird durch " A.a.O. 62: „Es geht auch nicht nur um die Anwartschaft auf das Reich Gottes, um seine Verheißung oder Zusicherung, sondern um die βασιλεία τοϋ θεοϋ selbst." 20 A.a.O. 65; vgl. 85: „.Reich Gottes' wurde in 21,43 interpretiert als die Gegenwart, die Anwesenheit Gottes in der Geschichte des Volkes und seiner gnädigen Heilsführung. Diese Anwesenheit wurde vornehmlich erfahren in der .Stadt des großen Königs' . . ., dem Tempel auf Sion . . . " 21 Ein Gesichtspunkt, den Trilling übersieht. Von hier aus kommt seine Konzeption von der Kirche als des „wahren Israel" a limine zu Fall. 22 λαός begegnet in Zitaten: 2,6; 4,16; 13,15; 15,8; vgl. 1,21. Die übrigen Stellen sind: 2,4; 4,23; 21,23; 26,3.5.47; 27,1.25.64. Zum Sprachgebrauch vgl. Trilling 61. Zur Funktion der Reflexionszitate vgl. S. 132f. 23 Der doppelten Gestalt der kommenden Basileia als heilvollen und verderblichen Gerichts entspricht bei Matthäus ihre doppelte gegenwärtige Gestalt als Heilszuwendung (z.B. 4,23ff.; Kap. 8f.; 10,7f.; 11,5; 12,28) und totale Gottesforderung (z.B. Kap. 5—7; 18; 19,16—26).
Die Markus-Stoffe
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4,23; 9,35 und 24,14 bestätigt. Abweichend von Mk. 1,14 (das Evangelium Gottes) charakterisiert Matthäus in 4,23 und 9,35 das von Jesus im Gegenüber zu Israel verkündigte Evangelium als „das Evangelium vom Reich". Ähnlich verfährt er in 24,14 hinsichtlich des von den Jüngern nach der Ablösung Israels (23,1—24,2 geht voraus!) in der ganzen Welt zum Zeugnis für die Heiden ausgerufenen Evangeliums: sie verkündigen „dieses Evangelium vom Reich"2*. Der heilsgeschichtliche Kontinuitätsbegriff des Evangelisten heißt „Basileia" bzw. „Evangelium der Basileia", nicht „Gottesvolk", ein Begriff, den er nicht gleichermaßen auf „Israel" und die Heiden schlechthin (24,14) anzuwenden vermöchte und dem er schon bei der Darstellung des heilsgeschichtlichen καιρός Israels nur sekundäre Funktion zuerkennt. Die Gegenwart des Messias und der Basileia-Berufung (das primäre Motiv!) macht Israel zum „wahren" Gottesvolk der Heilserfüllung (1,21; 2,6; 4,16) — und Heilsverleugnung (13,15; 15,8; vgl. 23,29ff.)! Spricht 21,43 von einem Volk, das anstelle Israels die Früchte der Gottesherrschaft bringt, so ist die Singularität der Aussage ebenso charakteristisch wie ihre Neutralität. Der theologische GottesvolkBegriff ist gemieden, jede speziell ekklesiologische Wendung umgangen. Matthäus will wie in 21,41 lediglich einen vorläufigen, auf Explikation angelegten Hinweis geben. Die neuen Träger der Gottesherrschaft sind Weingärtner, die zu ihrer Zeit „die Früchte abliefern", ein (!) Volk, das die Früchte der Basileia „tut". Mögen auch die Adressaten der Basileia wechseln, die Gabe der βασιλεία τοϋ θεοϋ bildet das Kontinuum zwischen Israel und der neuen heilsgeschichtlichen Größe. 21 P a r Mk. 13,10 „das Evangelium"; vgl. 26,13 „dieses Evangelium" gegen Mk. 14,9 „das Evangelium". — I m engeren Kontext von 26,13 ist vom Nichtallezeit-Dasein und vom Begräbnis Jesu die Rede (26,11.12), so daß „dieses" k a u m als konkreter Hinweis auf das besondere Evangelium dieses Textes zu fassen ist. Auch die Beziehung auf den „Redekomplex", in dem τοΰτο begegnet (Willi Marxsen, Der Evangelist Markus, F R L A N T 67, 2. Aufl. 1959, 82), oder auf die Passionsgesehiehte (Strecker 129) ist zu eng. Matthäus denkt an dieses Evangelium (vom Reich), das er selber schreibt, das die Basileia-Verkündigung des Täufers, Jesu, der Boten und ihren Fortgang bis zum nachösterlichen Basileia-Evangelium der Jünger für die Heiden u m f a ß t : es ist die Botschaft von der Himmelsherrschaft als Vergegenwärtigung ihrer Heils- u n d Gerichts geschichte von Johannes bis zum Ende des Äons. Marxsen übergeht den auffallenden Tatbestand, daß τοΰτο in 4,23; 9,35 fehlt. Hier ist „geschichtlich" an das „eingeschränkte" Jesus-Evangelium für Israel gedacht, während „dieses Evangelium (vom Reich)", das im Welthorizont steht (24,14; 26,13), das spätere „kirchliche" Jünger-Evangelium bezeichnet, das mit diesem, die ganze Geschichte der Basileia verkündigenden MaM/iötw-Evangelium identisch ist. So mit Günther Bornkamm, Überlieferung und Auslegung 19: „ . . . .dieses' (von Matt h ä u s repräsentierten) Evangeliums vom Reich" (vgl. S. 133). „Evangelium vom Reich" markiert die heilsgeschichtliche Kontinuität zwischen Jesus- und Jüngerzeit, während τοΰτο auf den Fortschritt, die geschichtliche Ausweitung der Botschaft, auf das Moment der Diskontinuität gegenüber dem Evangelium Jesu für Israel abhebt.
θ 8702 Walker, Heilegeschichte
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Die Heiden im Matthäusevangelium
Viele neuere Exegeten entscheiden sich hoc loco für die „kirchliche" Deutung 25 . Doch ist es sehr die Frage, ob innerhalb des MatthäusEvangeliums die Vorstellung von der an das „neue Gottesvolk" der Kirche übergebenen Basileia zu verifizieren ist. Immerhin wird „dieses Evangelium vom Reich" nach 24,14 zum Zeugnis für alle Heiden proklamiert. Der Missionsbefehl 28,18ff. gebietet wieder die „Berufung" aller Heiden. 10,18 deutet den Fortschritt der Heilsgeschichte von Israel zu den Heiden an, und 12,15fF. erscheint schon der irdische Jesus als Erfüller der Heilsweissagung für die Heiden. In 22,10 spricht der Text davon, die Knechte hätten „alle, die sie fanden" herzugeführt, „Böse und Gute", womit wieder an die Heiden gedacht ist. Dem Theologumenon von der Heiden-Berufung entspricht das eschatologische Stück 25,31—46 mit dem Motiv des Gerichts über die Heiden aufs exakteste: die neu Berufenen treten wie vordem Israel in die ganze eschatologische Verantwortlichkeit ihrer Berufung (so auch 22,11-—14). Schließlich bekennen nach 27,54 Heiden (von Ostern her) die Gottessohnschaft Jesu. Das alles weist in eine Richtung und legt das Urteil nahe, daß im Matthäus-Evangelium nicht die „Kirche" in die heilsgeschichtliche Nachfolge Israels tritt. Vielmehr sind hier die Heiden die Erben der Israel gegebenen Gottesherrschaft, die Erben seiner Berufung und radikalen Gerichtsbezogenheit. Ihnen ist die Gottesherrschaft im umfassendsten Sinne — als neue heilvolle und beanspruchende Gegenwart und drohende oder tröstliche Zukunft — gegeben. Dazu müssen sie ebensowenig wie zuvor schon Israel „Kirche" sein. Die ekklesiologische Deutung wird noch von einer anderen Seite her fragwürdig. Die stärksten Einwände gegen sie sind ausgerechnet von der matthäischen Ekklesiologie aus vorzutragen. Denn es läßt sich schwer übersehen, daß die „Kirche" bei Matthäus — in Gestalt der Jünger — verschiedentlich als positive Kontrast-Größe zu dem 25 So Wellhausen, Evangelium Matthaei 109 (auch jüdische und nicht bloß heidnische Christen); Zahn 634 (Benennung der über alle nationalen Grenzen erhabenen Gemeinde Jesu); Monteflore a.a.O. 286 (The Kingdom . . . is given to the Christians); Τ. W. Manson, The Sayings of Jesus, 1950, 224 (probably the Church, the new Israel); K. L. Schmidt, ThW I 588 (den Gläubigen); Lohmeyer 314 (die älteste christliche Gemeinde); Jeremias, Gleichnisse 68 (die Heidenkirche); K. Staab, Das Evangelium nach Matthäus, 116 (das Volk der Christen); Schniewind NTD 219 (das neue Gottesvolk, die neue „Gemeinde"); Gnilka 111 (das neue Israel, bestehend aus Juden und Heiden); Schnackenburg a. a. O. 65 (eine geistige Einheit . . . die Kirche); Trilling 62 (die ganze Kirche), 63 (das christliche Gottesvolk); Strecker 110 (Ablösung Israels durch die Kirche); Feine-Behm-Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 13. Aufl. 1964, 68 (an die Stelle der ungläubigen Juden tritt das eschatologische Gottesvolk); Schmid RNT 306 (neues geistiges Israel . . . aus den Heiden berufen . . . die Kirche); ähnlich Fenton 341 (the Gentiles will replace the Jews as God's people). Anders Schlatter, Erl. I 323, ohne ekklesiologischen Akzent (die Heiden; die Berufung der Heiden).
Die Markus-Stoffe
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harthörigen Israel der Jesuszeit erscheint. Sie ist mit Israel gleichzeitig u n d folgt ihm nicht (zeitlich) nach. Ihre heilsgeschichtliche „Genealogie", wenn man so sagen darf, beginnt nicht mit Israel, sondern mit dem Messias selbst, in dessen Fußtapfen sie tritt. Sie ist die Schar seiner Nachfolger (4,18—22; 19,27), die zu ihm gehören (12,46—50) und total an ihn gebunden bleiben (8,21—27; 14,22—33), die ihn bekennen (14,33; 16,16), wo Israel seine Messianität verwirft. Ihnen sind die Geheimnisse der Himmelsherrschaft zu erkennen gegeben (vgl. 17,1—18), die Jesus „diesem Volk" versagt (13,10—17). I m Gegensatz zu Israel sind sie, mit 13,52 zu sprechen, „Jünger der Himmelsherrschaft" geworden und haben, die Gemeinde der Diener und Brüder unter dem einen Herrn (18,15—20; 20,20—28; 23,8—12), schon bei Lebzeiten Jesu (und danach bis zum J a h r e 70) teil an seiner Israel-Sendung u n d an seinem Geschick (10,5—25; 23,34 2 6 ): selber Diener und Medien der Basileia-Berufung, der Heilsgeschichte Israels! Die Besonderheit der matthäischen Ekklesiologie hinsichtlich der „nach-israelitischen" Jüngerschaft ( = „Kirche") liegt darin, daß die Jünger der späteren Zeit (nach 70 27 ) im neuen καιρός Gottes den heilsgeschichtlichen Nachfolgern Israels, den Heiden, mit der Berufung zur Basileia zu dienen haben — wie zuvor die Jünger mit der Berufung Israels beauftragt waren, und daß sie nun von den neuen Adressaten des „Reichs" die Feindschaft zu gewärtigen haben (24,9), die den Jüngern damals von Israel widerfuhr. I m Matthäus-Evangelium ist also auch die spätere „Jüngergemeinde", selbst in das Heil und die Krisis der Himmelsherrschaft gestellt (vgl. 24,43—51; 25,1—30), Dienerin der Heilsgeschichte (anderer), Medium der Berufung zur Basileia (22,9f.; 24,14; 28,18ff.) und steht so in der geschichtlichen Nachfolge des Täufers, Jesu und seiner irdischen Jünger, nicht Israels. Dem Gang der (Basileia-)Heilsgeschichte von Israel zu den Heiden geht zur Seite die Predigt- und Leidensgeschichte der Basileia-Boten: in dieses geschichtliche „ K o n t i n u u m " gehört bei Matthäus die „Kirche", was die Vorstellung einer Ablösung Israels durch die „Gemeinde" ausschließt 2 8 . Mt. 24,9—141 Mk.
13,9—13
„ I m einzelnen entspricht V. 9 inhaltlich und weithin auch im Wortlaut Mk. 13,9.13a, aber mit dem wichtigen Unterschied, daß ausschließlich von Verfolgungen durch die Heiden gesprochen und an 26
Vgl. S. 57f.; 67, Anm. 96. Zu 23,38; 24,2 im Kontext von 23,29ff. vgl. S. 58 f. Das ist zu bedenken, wenn die Stoffe des Evangelisten gelegentlich die Jünger und (Anklänge an) das Gottesvolk-Motiv zusammenbringen, vgl. 1,21 (?); 19,28; 26,28 (?). 27 28
6·
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Die Heiden im Matthäusevangelium
solche durch Juden nicht mehr gedacht wird" (Josef Schmid) 29 . Matthäus hat Mk. 13,9—13 (ohne 13,10) schon in die „Aussendungsrede" einbezogen (10,17—22; vgl. S. 76f.). Der Grund f ü r dieses schriftstellerische Verfahren wurde genannt; er liegt im Charakter des Matthäus-Evangeliums als Darstellung der von Israel zu den Heiden schreitenden Gottesherrschaft. F ü r die „Kirche" (der „Jünger") nach 70, die im Angesicht des nach „vorne" ausgedehnten Eschaton lebt 30 , gehört die exklusive Israel-Sendung der Jesuszeit samt den Heimsuchungen von Israel der Vergangenheit an. Im Sehfeld ihres heilsgeschichtlichen καιρός liegt nur noch das Zeugnis für alle Heiden. „Heidenmission gibt es nur unter der Voraussetzung, daß Israel den Messias Jesus verworfen hat und dadurch selbst . . . verworfen worden ist." Diese These Heinrich Schliers 31 trifft die Intention der matthäischen Redaktionsarbeit im Kontext von 24,9ff. genau. Der voranstehende Text redet von einem dreifachen, immer wuchtigeren Zusammenstoß des Davidssohnes mit Israel (vgl. S. 68). Der Evangelist als Gestalter der Komposition 21,12—17 / 21,18f. — 21,23—27 / 21, 28—22,10 — 22,15—46 / 23,1—24,2 f ü h r t dreimal Israels aggressive Gottlosigkeit vor Augen und läßt dem jeweils — als berechtigte Reaktion - die das Schicksal Israels besiegelnden Gerichtssprüche Jesu folgen. Am Ende stehen die Weherufe: die letztgültige richterliche Destruktion Israels durch das Wort seines Königs, der die Gottesgeschichte „dieses Geschlechts" mit dem Jahre 70 zu Ende bringt 3 2 . Den Schluß jeder der drei Einheiten bilden Worte und Szenen, die aktuelle Lehre f ü r die Gegenwart der „Kirche" nach 70 darbieten: 21,20—22; 22,(9f.).11—14; 24,3—25,46. Zu solcher aktuellen „kirchlichen" Lehre, die im Falle von 24,3ff. „eschatologische" Unterweisung ist, gehört f ü r Matthäus in 24,9ff. nur noch die Heidenberufung und ihre Not (24,9) — Israel liegt dahinten. An die Stelle der Verfolgung durch Israel tritt auch — eine weitere Abweichung vom Markus-Text — die „innerkirchliche" Bedrohung und Auseinandersetzung (24,10—12a) 33 : das Zu-Fall-Kommen vieler, gegenseitige Auslieferung und Haß der „Christen" untereinander (24,10) 34 , falsche Propheten mit ihrem zahlreichen Anhang (24,11), das Überhandnehmen der „Ungesetzlichkeit", was gleichbedeutend ist mit dem Erkalten 29
30 RNT 335 f. Vgl. 24,14. Die Entscheidung für die Heidenmission in der Urchristenheit, in: Die Zeit der Kirche, 2. Aufl. 1958, 90—107,90. 32 21,41; 22,7f. Zu 23,38 und 24,2 vgl. S. 58f. 33 Sondergut; 24,11 red. nach 24,24 = Mk. 13,22. 34 Beachte das τότε 24,10 im Anschluß an 24,9: „und dann" — sc. wenn die „Jünger" von allen Heiden verfolgt werden. Der Text setzt klar Christenverfolgungen im heidnischen Raum und die entsprechenden „kirchlichen" Erfahrungen voraus. 31
Die Markus-Stoffe
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der Liebe bei vielen 35 . Wenn Max Meinertz sagt: „Mt. 24,9 und 24,14 liegt gar kein Grund vor, π.τ.έ. auf Heiden zu beschränken 3 6 ", muß er 24,9ff. gänzlich isoliert exegesiert haben. Auch Trillings Urteil zu 24,9, das im Rahmen seiner ekklesiologischen Deutung der heilsgeschichtlichen Nachfolger Israels steht, läßt sich nur so erklären, daß Trilling die Aussagen von 24,9.14 nicht auf dem Hintergrund der vorausgehenden Kapitel und ihrer Israel-Darstellung zu sehen vermag. Er sagt: „Ein Gegensatz oder nur ein Spannungsverhältnis zwischen Juden (!) und Heiden ist an dieser Stelle nicht wirksam" 3 7 . Zwar legt Trilling den Finger auf den οικουμένη-Begriff von 24,14: „Es gilt das gleiche wie für 25,32, was Zahn treffend formuliert: ,πάντα τά έ'θνη bezeichnet hier wie Vers 9 . . . ebensowenig die Heiden mit Ausschluß Israels, als δλη ή οικουμένη die Welt mit Ausschluß Palästinas, sondern die gesamte in Völker geteilte Menschheit mit Einschluß I s r a e l s . . . ' " 3 8 Jedoch liegt in dem Zusatz έν δλη τη οικουμένη keine Stütze für seine „universalistische" Interpretation (vgl. S. 78). έ. ό. τ. οί. gibt lediglich den Ort f ü r die Predigt „dieses Evangeliums vom Reich" an, während εις μαρτύριον πασιν τοις έθ-νεσιν präzis definiert, wem (nach dem Ende Israels) auf dem ganzen Erdkreis das Evangelium zu verkündigen ist — eben allen Heiden. Der geographische Begriff οικουμένη, der natürlich „Palästina" in sich schließen kann, wird durch das personale Objekt πασιν τοις εθ-νεσιν eindeutig als „heidnische" Ökumene charakterisiert; von dorther scheidet „Israel" aus dem Ökumene-Begriff aus. Trilling empfindet selber Schwierigkeiten: „Allerdings wäre noch die Frage zu stellen, ob Matthäus hier auch speziell an die Juden gedacht haben sollte, wenn die Scheidung zwischen Kirche und Synagoge schon so weit fortgeschritten war, wie es später dargelegt wird. Es ist durchaus denkbar, daß Matthäus eine Mission unter den Juden im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr f ü r möglich hielt und dann Israel stillschweigend ausschloß" 39 . I n Wirklichkeit ist f ü r Matthäus „Mission" an (dem zurückliegenden) Israel undenkbar geworden. Und wenn er im Zusammenhang mit der von ihm vorgelegten nahtlosen Verbindung „Israel — (und dann) die Heiden" nur noch von den Heiden spricht, ist Israel nicht stillschweigend, sondern ausdrücklich ausgeschlossen. Dabei muß scharf gesehen werden, daß der 35 Die Probleme einer späteren, „laxeren" Zeit (vgl. Apok. 2,4). Gut Schmid RNT 336: „Man wird annehmen müssen, daß dieses düstere Bild nicht ohne den Blick auf die Lage der Kirche zur Zeit des Matthäus gezeichnet ist." 38 Jesus und die Heidenmission, Neutestamentliche Abhandlungen 1/2, 1908, 181. 37 A.a.O. 27; ebenda zu 24,14: „die Verkündigung unter allen (damals bekannten) Völkern"; vgl. 28; 128. 38 A.a.O. 28; Zahn 666, Anm. 7. 39 A.a.O. 28; mit der Fortsetzung: „Doch erscheint dieser Unsicherheitsfaktor gering angesichts des ganz allgemeinen und formelhaften πάντα τά έθνη."
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Die Heiden im Matthäusevangelium
Begriffskonnex „Israel — die Heiden" für die „Juden" ebensowenig Raum läßt wie f ü r die „Judenchristen"; irgendwelche Zwischenglieder und Nebengrößen sind erstaunlicherweise nicht vorgesehen. Soll man sich diesen Sachverhalt so erklären, daß Matthäus sein Evangelium als Heidenchrist und im Raum einer „Heidenkirche" schreibt, die nur noch ihren „kirchlichen Auftrag" an der Heidenwelt vor sich sieht, die „Juden" aber aus den Augen verloren hat? Hinter dieser „Kirche" steht die zu Israel gesandte Jüngerschaft der Vergangenheit, als deren Nachfolgerin sie sich versteht, vor ihr liegt nach dem heilsgeschichtlichen Umbruch „Israel — die Heiden" die „eschatologische" Aufgabe der Heidenmission (24,14). Wenn je ein extrem heidenchristliches Evangelium unter völliger Absehung von den „Juden" geschrieben wurde, ist es dann das Matthäus-Evangelium? — Bleibt noch anzumerken, daß der Zusatz μηδέ σαββάτω in 24,20, der Mk. 13,18 fehlt, in der Reichweite von Kap. 21-—23 und 24,9—14 nicht für die angeblich „judenchristlichen" Interessen des Evangelisten in Anspruch zu nehmen ist 40 , μηδέ σαββάτω ist schon für Matthäus (wie f ü r die heutigen „Heidenkirchen") ein Anachronismus und kann gerade so als irrelevant im Text stehen bleiben 41 . Mt. 27,51—54 I Mk. 15,38f. Zur matthäischen Gestaltung dieser Szene vgl. S. 72f. Hier interessiert nur eine bestimmte Abweichung von 27,54 gegenüber Mk. 15,39. Spricht bei Markus der Centurio, der Jesus gegenüber dabeisteht, noch als einzelner: „Dieser Mensch ist wahrhaftig Gottes Sohn gewesen", so hat im Matthäus-Text der Hauptmann schon andere Bekenner der Gottessohnschaft = Messianität 42 Jesu neben sich, wobei Matthäus das markinische „dieser Mensch" ( = Lk. 23,47) als unangemessenen Ausdruck für den messianischen König Israels meidet und dafür das würdigere und neutralere „dieser" setzt. Er macht sich wohlüberlegt an sein Werk, dem verwerflichen Israel, das seinen Messias ans Kreuz bringt, nicht nur den einen gläubigen Centurio gegenüberzustellen. Der österliche Glaube an den Gottessohn ist für ihn Sache 40 Zu 24,20 vgl. Strecker 18, Anm. 3 und S. 32: „. . . trotz des Überhangs gegen Markus handelt es sich dabei wohl um die Wiedergabe der zugrunde liegenden jüdiseh-apokalyptischen Vorlage . . . vielleicht auf Grund der Gemeindeüberlieferung. '' 41 Zu 26,13 vgl. S. 81 (Anm. 24). 42 Vgl. 2,4 ff./lB; 16,16; 16,16/20; 26,63; 26,63/68; 27,37/40; 27,42f. Das „war" des Textes ist durchaus „historisch" gemeint. Die Messianität Jesu endet mit dem Kreuz; sie kennzeichnet die Hoheit des Irdischen. Der „von jetzt ab" zu Erwartende heißt Menschensohn (26,64) und hat göttlich-kosmischen „Rang" (26,64; vgl. 24,23—27) und allgegenwärtige göttliche Gewalt über Himmel und Erde (ohne Titel 28,18): der künftige Richter (13,41f.; 16,27; 19,28; 25,31). Die Heiden legen also, wo Israel versagte, retrospektiv und post mortem Jesu das richtige Bekenntnis zum irdischen Herrn des Glaubens, zum Messias Israels, ab.
Die Q-Materialien
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aller an Tod (und Auferweckung) Jesu beteiligten Heiden: Als aber der Hauptmann und die, welche mit ihm Jesus bewachten... Sie werden so zu Prototypen und Vorbildern des Glaubens für die heidniche Welt, der nach der Destruktion Israels das abschreckende Wort vom Unglauben „dieses Geschlechts" zusammen mit dem einladenden Kerygma von den „ersten Gläubigen der heidnischen Völker" 43 verkündet wird. Ihrem Glauben sollen die neu Berufenen nachfolgen 44 . 2. Die
Q-Materialien
Mt. 3,9 I Lk. 3,8
In seiner 1951 erschienenen Schrift „Die Weissagung über Israel im Neuen Testament" wollte Gottlob Schrenk schon aus 3,9 einen Hinweis auf die Heidenmission entnehmen 45 . Das Q-Logion rüttelt energisch am traditionellen „jüdischen" Heilsvorzug der Abrahamskindschaft, ohne freilich seine Alternative eindeutig auf „Heiden" festzulegen: denn ich sage euch, Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Obgleich bei Matthäus die Verse 3,7 b—9 an die Repräsentanten Israels von 3,7 a, die Pharisäer und Sadduzäer (red.), adressiert sind, gibt er dem Stoff dieselbe Stoßrichtung, die er schon in Q besaß: das Täuferwort ist ganz auf „Israel" und seine Erschütterung ausgerichtet. Die „andere Lösung" ist als Drohung, als gefährliche, aber durchaus „unnötige" Möglichkeit für den Fall der (hier noch nicht als fait accompli vorauszusetzenden) unbußfertigen „Fruchtlosigkeit" Israels vorgesehen. Erst mit dem weiteren Gang der Dinge sieht man im Matthäus-Evangelium, daß Gott in der Tat — anstelle Israels! — Heiden zu „Abrahams Kindern" erweckt (vgl. 8, 11 f.), was jedoch mit 3,9 selbst so nicht gegeben ist. Mt. 5,46f. I Lk.
6,32f.
Die der grenzenlosen Liebe Gottes korrespondierende Feindesliebe (5,43—45) wird hier kräftig gegen die Liebe der Zöllner und Heiden 43
Der Auadruck Lohmeyers 397. Mt. 20,19/Mk. 10,33 und Mt. 20,25/Mk. 10,42 sollen nur anmerkungsweise betrachtet werden. Die erste Stelle aus der dritten Leidensweissagung spricht davon, Jesus werde durch die Repräsentanten an die Heiden ausgeliefert werden, womit die Römer gemeint sind, τοις Ιθνεσιν ist hier Ausdruck jüdischjudenchristlichen Empfindens. Die zweite Stelle nennt im Gedanken an das Verhältnis der Herrschenden zu den Beherrschten die „Fürsten der Völker". Da jeder Gegensatz zu „Israel" fernliegt (vielmehr 20,26!) und an gängige politische Verhältnisse gedacht ist, darf man hier analog zu einer Spielart des LXX-Sprachgebrauchs (vgl. Meinertz a.a. O. 180) „Israel" ruhig als in den „politischen", religiös unpointierten VölkerBegriff einbezogen denken. 45 S. 65, Anm. 7 (in Verbindung mit S. 15). 44
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Die Heiden im Matthäusevangelium
„auf der Basis der Gegenseitigkeit" 46 abgesetzt. Keine Frage, die hier begegnenden Termini „die Zöllner" und „die Heiden" (vgl. 18,17), die Lukas beide Male durch das akkommodierende „die Sünder" wiedergibt, sind von der Prämisse „jüdischer" Distanz zu den Steuerpächtern und Heiden aus geprägt 4 7 . Das gilt auch f ü r „die Heiden" 6,7 und (τά) εθ·νη 6,32; 10,5; 20,19 48 . Man wird auch zugestehen müssen, daß es sich dabei nicht um Ausdrucksmittel des Evangelisten, sondern durchweg um übernommenes Gut handelt 49 . Gleichwohl ist mit dieser Feststellung die Frage nicht gelöst, warum gerade der an den Heiden interessierte Matthäus diese Terminologie aufnimmt, anstatt sie konsequent zu tilgen oder dem Duktus anderer Partien seines Evangeliums anzupassen (zu „Zöllner" vgl. 9,10f.; 11,19; 21,31f.; zu „Heiden" 10,18; 12,15ff. usw.). Streckers Antwort, Matthäus gehe es nicht mehr um den Gegensatz Juden — Heiden, sondern um das Verhältnis des „dritten Geschlechts" zum Heidentum 5 0 , vermag nicht weiterzuführen, da die Verse 5,46f.; 18,17 nicht nur die Heiden, sondern auch die Zöllner (also bestimmte „Juden") in den Lichtkegel der Betrachtung stellen und nach dem streng historischen Aufriß des Evangelisten — zusammen mit den abwertenden Heiden-Texten 6,7.32; 10,5; 20,19 — den Gegensatz Jesu zu Zöllnern und Heiden ansagen, der, soweit er die Heiden betrifft, zum matthäischen Entwurf einer ausgerechnet zu den Heiden hin geführten Heilsgeschichte Jesu in seltsamem Widerspruch zu stehen scheint. Die historische Darstellung des Evangelisten verbietet es, die Reserve Jesu gegenüber den Heiden, von der die Texte wissen, auf das spätere Verhältnis der „Kirche" zu den Heiden zu übertragen, das an anderen Stellen zur Sprache kommt (22,9f.; 24,9.14; 28,18ff.). Der „historische Aufriß" des Evangelisten f ü h r t auf die Lösung unseres Problems. Die „jüdische" Reserve gegenüber den Heiden kann Matthäus bedenkenlos der Jesuszeit zuordnen. Die heilsgeschichtliche Periodisierung erlaubt es ihm, zunächst einen völlig „jüdischen" Jesus zu Wort kommen zu lassen, der allein zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt ist und seinen Jüngern die Heidenberufung ausdrücklich untersagt. Der Messias Israels vermag unter seinem Volk in einem Atemzug von Zöllnern und Heiden zu sprechen und die Heiden als abschreckendes 46
Die Formulierung Hümmels 25. Vgl. Kilpatrick 117: „The expressions, sinner, publican, and harlot, are no harsher than those employed in Rabbinic literature . . . εθνικός . . . has a derogatory suggestion and lacks nothing of the Rabbinic reserve toward the pagans." 48 Bis auf 20,19 (vgl. dazu S. 87, Anm. 44) alles Sondergut. 49 Vgl. Strecker 33. 50 A.a.O. 33. Hummel 25f. meint (mit Kilpatrick 119), „daß bei ihm der Unterschied zwischen Juden und Heiden auch der Unterschied zwischen Christen und Heiden geworden ist." 47
Die Q-Materialien
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Beispiel zu zitieren; ihm kommt ja auch das schroffe Wort 15,26 zu, das die heidnische Frau nur bestätigen kann (15,27 γάρ!). Matthäus hat freie Hand f ü r die judenchristlichen Relikte unserer Texte, weil er sie entschlossen historisiert und ihnen innerhalb seines geschichtlichen Entwurfs einen vorläufigen Ort zuweist, sie als relative, durch die folgenden Ereignisse „überholte" Aussagen fixiert51. Die von Israel, dem Erstling der Basileia-Berufung, her gering zu schätzenden „Heiden" sind später, da Israel selbst geringschätzig wird, die von Gott Berufenen. Die Letzten werden die Ersten sein. Mt. 8,5—13
I Lk. 7,1—10;
13,28f.
Den Komplex Kap. 8—9, der die Heilstätigkeit des Davidssohnes im Volk Israel schildert (8,17; 9,33.35 52 ), eröffnet Matthäus mit der Heilung des Aussätzigen. Auf 8,1—4 läßt er die in Q vorgefundene Perikope vom Glauben des heidnischen Hauptmanns 5 3 und der Heilung seines Knechts folgen — erstaunlicherweise, denn was soll das Heiden-Wunder in diesem Zusammenhang? Es ist nicht zu übersehen, daß 8,10b von dem heidnischen Hauptmann weg auf Israel blickt. Die Geschichte seines Glaubens entbindet die Feststellung: Wahrlich, ich sage euch, bei niemandem in Israel habe ich solchen Glauben gefunden (vgl. S. 49). Die ursprünglich selbständigen Q-Logien 8,11 f., die Matthäus anschließt, führen das Israel-Thema von 8,10b weiter; dabei wird Lk. 13,28f. umgestellt: zuerst kommt die Aussage über die Heiden, am Schluß steht das Akumen der ganzen Szene, das Logion vom eschatologischen Unheil Israels 54 . Das alles ist bewußte redaktionelle Gestaltung. Der Evangelist will zeigen: Wo der Davidssohn (9,27) sich mit seinem Heil dem verlorenen Israel (vgl. 4,12ff.23ff.) zuwendet, steht Israel in einer letzten Tiefe der Entscheidung. Seine Absage an dieses Heil bedeutet den Verlust seines eschatologischen Heils. Diese Absage Israels an den messianischen Heilbringer setzt Matthäus hier schon voraus. Kaum ist die große Hilfe Jesu „zum Zeugnis f ü r sie" (8,4) auf den Plan getreten, muß schon von Israels 51 Anmerkung zu 6,32. Wo Matthäus „nach solchem allem trachten die Heiden" schreibt, bringt der parallele Lukas-Text 12,30 die „Völker der Welt". Im Vergleich mit Mt. 6,32 istLk. 12,30 religiös entschränkt und universalisiert. Man darf annehmen, daß Matthäus den härteren und älteren Text bietet. Von seiner heilsgeschichtlichen Konzeption her hat er es nicht nötig, anstößige Judaismen zu entfernen. Sie geben seinem Bild Farbe — „Lokalkolorit". 52 Vgl. S. 34 mit Anm. 67. — 9,36 gehört zum Folgenden. Es motiviert die Israel-Sendung der Jünger mit Jesu Barmherzigkeit und dem Elend des Volks. 9,37 „die Ernte ist groß" und 10,6 „die verlorenen Schafe des Hauses Israel" blicken auf 9,36 b zurück. 53 Vgl. Ernst Haenchen, Johanneische Probleme, in: Gott und Mensch, 1965, 82ff. 54 8, 13 bekommt nun den Charakter einer „kraftvollen" Bestätigung der vorausgehenden Worte.
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Die Heiden im Matthäusevangelium
totalem Unglauben gesprochen und seine verheerende Konsequenz dargetan werden. Der Schluß des Komplexes Kap. 8—9, die Partie 9,32—34, bestätigt seinen Anfang: kein Glaube, obgleich „solches" in Israel noch nie gesehen wurde; dafür die Verketzerung des Messias. Man darf also sagen, daß Matthäus 8,5 ff. um seines Israel-Votums willen hinter 8,1—4 einordnete. Daß dabei auch Heiden ins Blickfeld treten, bringt der Stoff mit sich, ist jedoch dem Evangelisten nur willkommen, denn so können auch die über Israels Geschick hinausgreifenden Konsequenzen seines Versagens deutlich werden. Viele55 werden von Morgen und Abend kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im „Himmelreich" zu Tische liegen. Dagegen sind die Söhne der Basileia56 — ein rundes Kollektivurteil in strenger Entsprechung zur definitiven These 8,10b 57 — dem kommenden Gericht verfallen 58 . Für Israel, den matthäischen Komplex des Bösen, gibt es keine eschatologische Zukunft. So verrät 8,11 f. expressis verbis noch nichts von der heilsgeschichtlichen Periodisierung des Evangelisten, setzt sie jedoch der Sache nach voraus. Wenn die „Söhne der Basileia" am Ende en bloc von den Schrecken des Gerichts getroffen werden, viele Heiden aber in die eschatologische Freude eingehen 59 , ist Israel als Ganzes an seiner Berufung zur Himmelsherrschaft gescheitert, doch viele von Morgen und Abend haben — nach Israels Zeit des Ungehorsams — geglaubt. Mt. 12,38—42 I Lk. 11,29—32 Matthäus bezieht den Q-Stoff energisch in seine heilsgeschichtliche Darstellung ein. Die Repräsentanten, „etliche der Schriftgelehrten und Pharisäer", begegnen Jesus mit einer Zeichenforderung 60 . Ihr 55 Ob πολλοί hier für Matthäus „semitisierenden, inkludierenden" Sinn hat (vgl. Jeremias, Verheißung 47, Anm. 182), muß fraglich erscheinen, da es Lk. 13,29 fehlt, also vom Evangelisten selbst stammen kann und von anderen Texten matthäischer Prägung der Gedanke an eine totale endzeitliche „Annahme" der Heiden ausgeschlossen wird (22,11—14; 25,31ff.). πολλοί ( = viele) ist von der Zuversicht diktiert, daß die Heiden reichlich erbringen werden, was Israel verweigerte, bewahrt jedoch kritische Reserve. Es handelt sich auch für die Heiden um Berufung zur Basileia; auch hier bleibt die Möglichkeit des Widerstands (vgl. 24,9). 56 Anders Lk. 13,28; Anredeform. 57 Gegen Schmid RNT 164: Jesus habe solchen Glauben „ . . . bei seinem eigenen Volk noch nicht (!) angetroffen . . . " Er sei ihm „bisher nicht begegnet". 58 τί> σκότος rö έξώτερον ist zusammen mit 6 κλαυθμ&ς καΐ ό βρυγμός των οδόντων matthäische Wendung für das Verderben des Gerichts (am Ende). So auch 22,13; 25,30. 58 Von einer „Drohweissagung für die Juden (!)" kann kaum die Rede sein (gegen Schmid R N T 164). Der Satz ist — nach 8,10b! — solenner Urteilsspruch, ein endgültiges „Wort-der-Heilsgeschichte" und erhebt die „vielen" ausdrücklich zum „Ersatz" für Israel (gegen Schmid R N T 165). 110 Anders Lk. 11,29; vgl. 11,16. 12,38 ist redaktionelles, abgewandeltes Duplikat von 16,1 = Mk. 8,11.
Die Q-Materialien
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Ansinnen wird abgewiesen mit dem Hinweis auf das Jonazeichen (12,39f.; vgl. S. 54) und findet seine Antwort durch die schon in Q folgenden Gerichtsworte 12,41 f. Matthäus zieht den Ninivitenspruch gegen Lk. 11,32 ad vocem Jona nach vorne, „weil er ,die Predigt des Jonas' unmittelbar hinter ,das Zeichen des Jonas' stellen wollte"61. So werden beim Gericht die Niniviten zusammen mit diesem Geschlecht (des Davidssohnes) auftreten und es verurteilen, denn sie haben sich auf die Predigt des Jona hin bekehrt, und siehe, hier ist mehr denn Jona — und Israel hat sich nicht bekehrt (11,20)! Und die Königin des Südens wird beim Gericht zusammen mit diesem Geschlecht auftreten62 und es verurteilen, denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr denn Salomo — und Israel läßt sich nicht bewegen. Der Evangelist braucht seine Vorlage mit Mitteln seiner Redaktionsarbeit nur exakt auf das „messianische Geschlecht" auszurichten, um dessen endgeschichtliche Katastrophe — durch den Mund von Heiden — zur Darstellung zu bringen. Ihm genügt die Aussage des Q-Stoffes, daß es bestimmte Heiden sind, die „Israel", den Gegenstand seiner Geschichtsschreibung, am Tage des Gerichts verdammen werden. Er verzichtet darauf, die Heiden seiner eigenen heilsgeschichtlichen Betrachtung hier in den Text einzuführen63. Mt. 22,1—10
I Lk.
14,16—24M
Verschiedene Ausleger haben die Frage diskutiert, wer mit den „Knechten" des Gleichnisses von der königlichen Hochzeit im einzelnen gemeint sei. So deutete Bernhard Weiß die Knechte von 22,3 auf die Propheten65. Zu 22,4 bemerkte er: „Gemeint können hier nur die beiden letzten Gottgesandten, Johannes und Jesus, sein . . . weil diese die unmittelbare Nähe des Gottesreiches verkündigten . . . nicht aber die Apostel"66. Sein Sohn Johannes urteilte anders: „Er unterscheidet eine erste Gruppe Knechte — die Propheten —, die schlechthin auf Ablehnung stoßen, und eine zweite; erst diese sagen eigentlich die Stunde an; es sind die Apostel Jesu, die zuerst an Israel die Botschaft gebracht haben (10,5)" 67. Theodor Zahn hatte hinsichtlich der 61
Schmid RNT 214. Lk. 11,31 „mit den Männern dieses Geschlechts"; κατακρίνει αυτούς. Matthäus formuliert in strenger Parallele zu 12,41 „mit diesem Geschlecht"; κατακρίνει αύτήν. 83 84 Dasselbe tut er 11,20—24. Vgl. S. 55f. 85 Das Matthäus-Evangelium, MeyerK, 9. Aufl. 1898, 373. Dieselbe Exegese von 22,3f. findet sich bei H. J. Holtzmann, Die Synoptiker, 2. Aufl. 1901, 275. 66 A.a.O. 373f. Weiß übersieht 10,7 (und 24,14). 87 Die älteren drei Evangelien, SNT, 3. Aufl. 1917, 353. Ähnlich R. Swaeles, L'orientation ecclcsiastique de la parabole du festin nuptiale en Mt. 22,1—14; Eph. Th. Lov. 36 (1960) 655—684, 676. Daß die „zweiten Knechte" die eigentliche Stunde ansagen, ist eingetragen. Schon die ersten sollen die Geladenen zur Hochzeit rufen — sie aber wollten nicht kommen. 62
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Die Heiden im Matthäusevangelium
„Propheten" seine Bedenken: „Nicht die Propheten des AT's konnten Israel zur Hochzeit rufen, denn damals war längst nicht alles bereit . . . Sind also Joh. und Jesus die zuerst genannten Knechte, so können die nach deren Abweisung seitens Israel gesandten Knechte nur die Apostel sein.. ," 6 8 Julius Wellhausen wiederum betonte, daß unter den Knechten „ . . . n u r die Apostel verstanden werden können" 69 . Sein Argument war, es handle sich um die Hochzeit für den Sohn des Königs, d.h. für Jesus Christus: „Dadurch wird er verhindert, Jesus als den Überbringer der Einladung zu betrachten 70 ". Das mag richtig beobachtet sein, liefert jedoch eine zu schmale Basis der Beweisführung. Will man Klarheit gewinnen, wird es unerläßlich sein, den Kontext von 22, Iff. heranzuziehen. Der „Vorläufer" und Jesus selber sind von Matthäus unter Verwendung von Sondergut (21,28ff.) und Mk. 12, Iff. ( = 21,33ff.) schon mit ihrem Gleichnis bedacht worden, was sicher kein Zufall ist, denn bei beiden handelt es sich für ihn um Verkündiger der Himmelsherrschaft für dasselbe Israel, mit dem Jesus hier abrechnet. Beide Male war seine Bosheit zu konstatieren; beide Male wurde ihm das Gericht angesagt. Doch auch die „Apostel" sind für Matthäus Boten des Himmelreichs (10,7; vgl. 24,14). Wie gesagt, ist Jesus nach unserem Evangelisten nicht nur im Blick auf seinen „Vorläufer", sondern auch hinsichtlich der Jünger die Zentralfigur der Basileia-Botschaft für sein Volk. So ist es nur konsequent, daß auch sie hier — nach Johannes und Jesus und gemäß der Reihenfolge 3,2 / 4,17 / 10,7 — ihr Gleichnis (vom Himmelreich!) bekommen. Das zeigt, was ihnen von Israel (wie zuvor Johannes und Jesus) widerfährt 7 1 und wie Israel mit ihrer Verwerfung endgültig untergeht. Diese Deutung erhält durch 23,32ff. eine starke Stütze. Hier sind es ja wieder die Gesandten Jesu (23,34), die Israel zurückweist und an deren Verfolgung sich das grausige Finale seiner ganzen mörderischen Geschichte (einschließlich seiner prophetischen „Vorgeschichte") entzündet — das Finale des Jahres 70. Matthäus bezieht, wie gezeigt wurde, 23,38 und 24,2 bewußt in den Zusammenhang der Verse 23,32ff. ein (vgl. S. 56—59). In genauer Parallele zu 23,32ff. geht in 22, Iff. die Sendung der „Knechte" und ihre blutige Verfolgung (22,6! — fehlt Lk. 14) dem Zorn des Königs voraus, der seine Heere sendet, jene Mörder umbringen und ihre Stadt verbrennen läßt (22,7) — 68 A.a.O. 637. Vgl. 638 zu 22,7. Anders T. W. Manson, Sayings 225: Große Propheten — Jesus und die Apostel. Zahn kommt der Wahrheit sehr nahe, nur bezieht er 21,28 ff. und 21,33 ff. nicht in die Betrachtung ein. 69 Evangelium Matthaei 110. Anders Michaelis, Gleichnisse 151: „Matthäus wird bei den Knechten auch dieses Gleichnisses an die Propheten der Zeit vor Jesus gedacht haben." 70 Ebenda. 71 "Von Jesus aus gesehen liegen die Ereignisse in der Zukunft (22,7; vgl. 23,32 ff.); der Evangelist blickt auf sie zurück.
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wieder die Ereignisse des Jahres 70. Eine weitere Entsprechung zu 23,32fF. liegt darin, daß mit 22,9f. ein neuer Akt der Aussendung beginnt: Rufet, welche ihr findet . . . So folgt auf die Worte vom Untergang Israels 23,32ff. die „aktuelle" Weissagung von der Predigt des Evangeliums vom Reich zum Zeugnis für die Heiden (24,9.14). Wie in 22,7 ff. setzt das Weiterschreiten der Basileia-Botschaft zu den Heiden Israels heilsgeschichtliches Ende voraus. Im Zusammenhang der Gleichnis-Trias 21,28ff. und im Blick auf die sorgfältige redaktionelle Gestaltung des Parallel-Textes 23,32ff. (mit 24,9—14) ist die heilsgeschichtliche Deutung des Himmelreichs-Gleichnisses 22, Iff. nicht von der Hand zu weisen. Matthäus blickt auf die Sendung der „Jünger" als Basileia-Boten f ü r Israel und (dann) f ü r die Heiden 72 . Andere Ausleger deuten freilich die anstelle Israels Berufenen auf die „Christen". So sagt Heinrich Schlier: „Wir, die Christen aus den Heiden, sind die, die von den Straßenkreuzungen der Welt ohne Vorbereitung in der Geschichte gerufen worden sind, nachdem Israel als Volk sich Gott versagt hatte" 7 3 . Oder Julius Schniewind spricht davon, V. 22,8—10 bedeute gewiß, „daß Gottes Ruf zu den Heiden kommt" 7 4 , was ihn nicht hindert, auf derselben Seite hinsichtlich des Verses 22,10 zu sagen: „Hier wird wieder die Strenge spürbar, mit der Mt. durchweg über die Gemeinde der Christen urteilt . . . und ähnlich wie 13, 24ff.36ff.47ff. wird daran erinnert, daß, zur Christengemeinde zu gehören, keine Sicherheit und Sicherung bedeutet." Schniewind will mit den angezogenen Texten offenbar auf das berühmte kirchliche „corpus mixtum" anspielen 75 . Katholische Ausleger wie Trilling und Gnilka denken gar an eine „Massenkirche". So sagt Trilling: „Die große Zahl der neuen Gäste, ihre bunte Mischung und offenbar wahllos zusammengewürfelte Menge wird so kräftig betont, daß man . . . dahinter 72 So mit Jeremias, Gleichnisse 62 („wahrscheinlich an die Heiden gedacht"); Schniewind 221; Schlatter, Erläuterungen I 326; Schrenk ThW IV 181; Francis W. Beare, The Parable of the Guests at the Banquet, A Sketch of the History of its Interpretation, in: The Joy of Study, Festschrift für F.C.Grant, New York 1951, 1—7; S. 5; Michaelis, Gleichnisse 153; Zahn 638; Μ.-J. Lagrange, Evangile selon Saint Matthieu, 1923, 422; Gnilka 113. Sehr uneinheitlich Strecker 34 („anstelle Israels (V. 7) die Heiden erwählt") und 219, Anm. 1: „Der Kontext enthält einen heilsgeschichtlichen Abriß, der nach der Schilderung des Geschicks des Volkes Israel (22,2—8) von der Fortsetzung der heilsgeschichtlichen Kontinuität durch die Heidenkirche (!) spricht (V. 9 ff. . . . " 73 Der Ruf Gottes. Eine biblische Besinnung zum Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt. 22,1—14), Geist und Leben 28 (1955) 241—247, 244. 74 NTD 221. 75 Vgl. Wolfgang Trilling, Zur Überlieferungsgeschichte des Gleichnisses vom Hochzeitsmahl Mt. 22,1—14; BZ 4 (I960) 251—265, 254 („die Gemeinde in ihrer Mischung von Unkraut und Weizen vor dem Gericht"); Joachim Gnilka, Die Kirche des Matthäus und die Gemeinde von Qumrän, BZ 7 (1963) 43—63, 49; C.W. F. Smith, The Mixed State of the Church in Matthew's Gospel, JBL 82 (1963) 149— 168.
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Die Heiden im Matthäusevangelium
eine Absicht vermuten muß . . . Hinter diesen Ausdrücken schimmert eine Situation durch, die man nur mit einem Wort benennen kann: Massenkirche" 76 . Doch wird man sich hüten müssen, die „Kirche" des ausgehenden ersten Jahrhunderts unter grober Mißachtung der historischen Gegebenheiten mit modern-ekklesiologischen Etiketten zu versehen. Auch wird die Frage zu stellen sein, ob im MatthäusEvangelium die Vorstellung der „Kirche" als eines corpus mixtum das Gewicht besitzt, das man ihr oft zuschreibt. Nach 24,4f.l0—12. 23—27 jedenfalls ist die voreschatologische Gestalt der „Kirche" nicht „Mischung", sondern „Spaltung". Die Jüngerschaft vor dem Ende hat hier mit Verführung, Abfall, Verrat, gegenseitiger Verfolgung zu schaffen; der Gegensatz der Geister, nicht die complexio oppositorum beherrscht die „kirchliche" Szene. Es ist zu fragen, ob die ekklesiologische Deutung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen (13,24—30) — „ . . . die ,Kirche' . . . ein corpus mixtum . . . das der Scheidung zwischen Guten und Bösen im Endgericht entgegengeht" 7 7 —, seiner Auslegung in 13,36—43 standhält. Der Acker ist die Welt, nicht die „Kirche" (13,38)78. Auf diesen Acker sät der Menschensohn den guten Samen, die „Söhne des Reichs". Daneben finden sich — auf demselben Acker der Welt — die „Söhne des Bösen", die der Feind sät. Der Menschensohn sendet am Ende seine Engel und läßt durch sie aus „seinem Reich" alle Ärgernisse usw. sammeln. Der Kontext führt den Ausleger darauf, bei „seinem Reich" an die „Welt" zu denken (vgl. 24,31; 28,18) 79 . Ähnlich läßt auch das BasileiaGleichnis 13,47—50, das Gleichnis vom Fischnetz, keinen deutlichen Hinweis auf „kirchliche" Verhältnisse erkennen. Die βασιλεία ist hier gleich einem Fischnetz, das (Fische) von aller Art zusammenbringt — die Bösen und die Gerechten 13,49 —, die einer kritischen Auswahl unterworfen werden. Für das Welt-Gericht von 13,36ff. erscheint hier das Universal-Gericht. Daß mit dem corpus mixtum des Textes auf die „Kirche" gezielt sei, legt der Text selbst dem unbefangenen Betrachter nicht nahe. Es empfiehlt sich nicht, den „kosmischen" und „universalen" apokalyptischen Horizont der beiden Gleichnisse in Richtung auf einen speziell ekklesiologischen (das Endgericht über die „Kirche") zu verengen: die Predigt der Basileia ist im Matthäus78
Überlieferungsgeschichte 258f.; vgl. Gnilka, Kirche des Matthäus 46. Günther Bornkamm, Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, in: G. Bornkamm, G. Barth, H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, 2. Aufl. 1961, 17. 78 Mit Strecker 218. 78 Gut Strecker 219: „Daß die ungeschiedene Einheit von Bösen und Guten zum allgemeinen Zustand der Welt gehört, zeigt auch 5,45: allein die Güte des Schöpfers erträgt sie bis zur Auflösung des Kosmos." — 25,31ff. scheidet der Menschensohn das (eschatologische) corpus mixtum der Heiden; wieder ist nicht an die „Kirche" gedacht. 77
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Evangelium nicht nur eine „innerkirchliche" Angelegenheit. Sie ergeht an Israel und (dann) an alle Heiden (24,14). Diesem „Maßstab" entspricht das Gericht (der Basileia). Schließlich weisen 22,9 mit „welche ihr findet" und 22,10 durch „alle, die sie fanden, Böse und Gute" auf die Unterschiedslosigkeit und Universalität der Berufung, die an die Stelle der Berufung Israels tritt. Der Hochzeitssaal wird voll. Ohne Bild gesprochen: alle (Heiden) werden berufen. Auf die „Kirche" bezogen, würden die Wendungen „welche ihr findet" und „alle, die sie fanden, Böse und Gute" es erlauben, alle beliebigen Leute, Böse und Gute, bedenkenlos als „Christen" anzusprechen. Doch ist bei Matthäus zwischen Berufenen (ganz Israel, alle Heiden) und Glaubenden ( = die „Jünger") ein bedeutender Unterschied. Die ekklesiologische Exegese nimmt nicht wahr, daß schon Israel im Matthäus-Evangelium bei dreifacher Berufung zur Himmelsherrschaft nicht eo ipso die Schar der Gehorsamen (12,46—50) und Bekennenden (14,33; 16,16), nicht „Nachfolgerin", „Kirche" im matthäischen Sinne der Jüngerschaft ist. So können auch die nach dem heilsgeschichtlichen Ausscheiden Israels unterschiedslos berufenen Heiden nicht eo ipso als „Kirche" gelten (vgl. 24,9), Wie sollte auch die „Kirche" das ungehorsame Israel von 22, Iff. ablösen, wenn sie Israel in diesem Gleichnis gegenübersteht und in Gestalt der „Knechte" als Trägerin der Berufung Israels (und dann der Heiden) 80 zu wirken hat? Ein Gedanke, der ähnlich schon zu 21,43 heranzuziehen war. Die Verse 24,9—14 schließen im Zusammenhang mit 23,32fF. die Vorstellung von der „Gemeinde" als der nach Israels Verwerfung berufenen neuen heilsgeschichtlichen Größe mit aller wünschenswerten Deutlichkeit aus. Von diesen klaren Texten her ist der Gleichnis-Text 22,8ff. (wie auch 21,43) zu interpretieren. Er liefert eindeutige Kriterien, denen wir hier folgen. Ausleger wie A. Vaccari und P. D6mann wollten 22,9f. je auf ihre Weise nach „sozialen" Gesichtspunkten interpretieren. So führte Vaccari aus: „Ici, je voudrais surtout faire remarquer que la qualite de mauvais et de bons doit s'entendre non au sens moral (mechants et vertueux, pecheurs et justes), mais au sens social, c'est-ä-dire sans distinction de classes, pauvres et riches, vulgaires et nobles . . . 8 1 " Und Demann wehrte sich heftig gegen den Gedanken einer globalen Verwerfung der „Juden", von denen Matthäus, wie gesagt, bis auf 28,15 beharrlich schweigt. D6mann erläuterte: „ . . . c'est bien qu'il vise avant tout, comme la parabole pr6cedente, les dirigeants indignes ou hostiles, docteurs de la Loi et aristocratie sacerdotale, et marque 80
Zu πορεύεσθε οδν in 22,9 vgl. πορευθέντες ούν 28,19 (Fenton 349). La parabole du festin de noces (Mt. 22,1—14), Rech de Sc Rel 39 (1951) 138—145, 140. β1
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une preference pour les petits, les pauvres, les humbles. II fait pressentir un ,changement de regime' du peuple de Dieu, il n'enonce aucunement un rejet global des Juifs et leur remplacement pur et simple par les Gentils" 8 2 . Zu Vaccaris These ist an den synonymen Sprachgebrauch von 5,45 zu erinnern. Zielt „Böse und G u t e " in 22,10 wirklich auf die „klassenlose Gesellschaft" 8 3 ? Angenommen, 22,9f. spricht „sans distinction de classes" von Armen u n d Reichen usw., wovon reden dann 22,1—6? Von einer besonderen „Schicht" Israels? Von welcher? Bedient sich Vaccari angesichts der redaktionellen Motive der Repräsentanten Israels und der Einheit Israels mit seinen Repräsentanten nicht unbrauchbarer Auslegungskategorien ? Ähnliche Fragen sind an Demanns Exegese zu stellen, die mit dunklem Gespür f ü r das Richtige Matthäus und den christlichen Antisemitismus auseinanderhalten will. Ist „alle, die sie fanden, Böse und G u t e " der Ausdruck f ü r die „Kleinen" und „Armen"? U n d Regierungswechsel innerhalb des Gottesvolks, nicht Übergang der Gottesherrschaft von Israel auf ein „anderes Volk" (21,43)? Ist „Israel", der matthäische Komplex des Bösen, u n d die heilsgeschichtliche Periodisierung von 22,7ff. und 23,32ff./24,9—14 u m berechtigter Anliegen willen von P . Demann beiseite zu schieben ? Das Ende der Heilsgeschichte Israels fällt f ü r Matthäus, so stellten wir dar, mit den Begebenheiten des Jahres 70 zusammen: das ist seine geschichtstheologische Konzeption, die er in die Texte einbringt. Doch darf der Untergang „ihrer S t a d t " (oder die Tempelzerstörung von 23,38/24,2) nicht isoliert betrachtet werden. Gottes Zorn über Israel bedeutet f ü r Matthäus nicht nur blutige Heimsuchung. 22,7 berührt nur einen forensischen Aspekt und nicht einmal den entscheidenden: daß die Basileia-Berufung und mit ihr das Heil über Israel hinaus und endgültig an ihm vorbeigeht! Die Schärfe des Gerichts liegt in den 22,8ff. beschriebenen Akten des definitiven königlichen Urteils, der erneuten Sendung der Knechte u n d Berufung der Heiden. Diese Momente der Heimsuchung und des Heilsverlustes sind schon in der Gleichnisrede 21,41 vorgezeichnet, die Matthäus in 22,7 ff. unter verändertem Vorzeichen (Gericht f ü r die Abweisung der „Knechte") aufnimmt, um sie terminierend und heilsgeschichtlich periodisierend zu wiederholen. Auch nach 21,41 bilden die Vernichtung der „Bösen" und ihre Ablösung durch andere Weingärtner eine Einheit. Auch hier ist das zweite Motiv das gewichtigere. Allein dieses zweite Motiv greift Matthäus in 21,43 auf und präzisiert es: das Reich Gottes wird von euch genommen w e r d e n . . . Das erste GerichtsThema illustriert den Ernst des Richters und gibt die Möglichkeit, die 82 83
Le premier evangile est-il antijuif? —Cahiers Sioniens 1951, 240—257, 253. 5,45 par δικαίους καΐ άδικους.
Das Sondergut
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heilsgeschichtliche Entwicklung historisch zu fixieren (22,7); insofern ist es unentbehrlich. Seine ganze Schwere bekommt es jedoch erst in Verbindung mit dem zweiten Motiv von 22,8ff., als Begleitmoment des Sachverhalts, daß Israels Heilsgeschichte in einer Katastrophe endet und einer neuen Phase der Heilsberufung Platz machen muß. 3. Das Sondergut Mt.
2,1—12
Zunächst ein Satz Schlatters: „Durch den mächtigen Kontrast zwischen dem König Jerusalems, der zur Erhaltung seiner Herrschaft den Christus töten will, und den Magiern, die ihn aus der Ferne suchen u n d finden, bereitet Mt. schon hier den Ausgang Jesu vor. Daß er von Jerusalem verworfen wurde, dagegen die Hoffnung der Heiden erfüllte, das war die Lage der Kirche, f ü r die Mt. schrieb" 8 4 . Damit ist Richtiges gesehen. Matthäus vermag die Magiergeschichte 85 an die Spitze seiner Darstellung zu stellen, weil er das Ganze überblickt, Ende u n d Anfang einander zuordnen kann. Was sich hier in einer ersten Szene abzeichnet, steht am Ende, nach dem Bußruf des Täufers, dem Auftreten Jesu und seiner Boten abgeschlossen da. Die von Matthäus beschriebene Geschichte des Heils von Israel zu den Heiden ist schließlich und endlich nichts als die „Erfüllung" ihrer Anfänge: Israel verstößt den Messias, der jedoch mehr ist als König der J u d e n — der Herr der Welt u n d König der Heiden (vgl. 28,18ff.; 25,31ff.) wie von allem Anfang an 8 6 . So gehört 2, Iff. mit vollem R e c h t an den Eingang des matthäischen Heiden-Evangeliums. Mt.
4,24aS7
Die Summarien 4,23—25 sind in verschiedener Hinsicht aufschlußreich. Zunächst schildert 4,23 Jesu Tätigkeit in ganz Galiläa: Lehre in ihren Synagogen, Verkündigung des Evangeliums vom Reich, Heilung jeder Krankheit u n d jedes Gebrechens im Volk (vgl. 9,35). Der ganze zwischen 4,23 und 9,35 liegende Komplex soll im Sinne des Evangelisten die exemplarische Hinwendung Jesu zu Israel darstellen (vgl. S. 34). Vers 4,24b nimmt offensichtlich über 4,24a hinweg auf 4,23 Bezug und f ü h r t das θεραπεύων κτλ. von 4,23 näher aus. Man bringt alle Leidenden, mit mancherlei Krankheiten und Qualen Behafteten zu Jesus, d.h. Besessene, Mondsüchtige und Lahme, u n d er 84
85 Evangelist 28 . Vgl. S. 60. „König der Juden" ist Jesus übrigens immer von außen gesehen, im Munde von Heiden (2,2; 27,11.29.37). Der echte Titel von „innen" heißt „König Israels" (27,42; vgl. 21,5 Tochter Zion — dein König). 87 Vgl. dazu Trilling 135; Jeremias, Verheißung 29. 86
7 8702 Walker, Heilsgeschichte
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heilt sie. Was die folgenden Texte hinsichtlich der Besessenen (8,16.28; 9,32; 12,22; 15,22) 88 , Mondsüchtigen (17,15) 8 9 und Lahmen (8,6; 9,2.6) 90 im Evangelium in concreto zu erzählen haben, n i m m t 4,24b voraus und erhebt es ins Allgemeine und Typische; 4,24b ist redaktionelles Summarium. Daß es sich dabei u m die Kranken Israels handelt, ist mit 4,25 (von hinten her) anzunehmen; es soll summarisch das Herzuströmen Israels beschreiben. Die Scharen, die Jesus nachfolgen, kommen aus Galiläa, den Zehnstädten, aus Jerusalem, J u d ä a und von jenseits des Jordans 9 1 . Bezeichnend, daß Matthäus die Heidenstädte Tyrus u n d Sidon aus Mk. 3,8 übergeht: Jesus ist nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Auch f ü r I d u m ä a (Mk. 3,8) h a t er keine Verwendung. D a f ü r gehört die Dekapolis 9 2 f ü r ihn zum Bestand Israels. I n dieser streng auf „Israel" abgezielten Darstellung m u ß 4,24 a auffallen. Jesus widmet sich Israel, doch ist seine Tätigkeit, was „seinen R u f " angeht, nicht auf Israel zu beschränken. . . . und sein Ruf verbreitete sich in ganz Syrien, womit im Gegenüber zu δλη ή Γαλιλαία das ganze Heidenland (Syrien) gemeint ist, wohl abgesehen von konkreten Vorstellungen über Syrien im engeren oder weiteren Sinne. Indirekt, wenigstens auf dem Wege des „Gerüchts" ist in Jesu messianisches Wirken f ü r Israel „ganz Syrien" einbezogen. Sollte Matthäus die Heidenstädte Tyrus u n d Sidon zu ,ganz Syrien" rechnen, wäre mit 4,24a auch die Szene von 15,21 f. vorbereitet: daß eine Heidin Jesus aufsuchen kann, nachdem er auf dem Fluchtwege (ausnahmsweise) in die Gegend von Tyrus und Sidon gerät. Doch lassen sich darüber nur Vermutungen anstellen. Fest steht, daß der Evangelist seine redaktionelle Arbeit auf „Israel" konzentriert und sich gleichwohl den Hinweis auf die den Rahmen Israels sprengende Bedeutung schon des irdischen Messias nicht entgegen läßt. Einen Hinweis, der Israels Heilsprärogative f ü r die Jesuszeit respektiert u n d doch behutsam an ihre Grenze rührt. Schon f ü r die Zeit Israels fällt hier der Blick auf ein Gebiet, das später wie alle Heiden-Welt das weiterschreitende Evangelium des Reichs von Israel übernehmen wird. Mt. 5,13f. Zu diesem Text ist Ähnliches anzumerken wie zu 18,7 (vgl. S. 78 f.). Wieder ist der Bereich Israels weit überschritten u n d der Totalaspekt 88 8,16 ist redaktionelles Summarium. 8,28 δαιμονιζόμενοι gegen Mk. 5,2 έν πνεύματι άκαθάρτω; doch 8,33 par Mk. 5,16; vgl. 5,18. 9,32 ist Sondergut. 12,22 par Lk. 11,14. 15,22 gegen Mk. 7,25 πνεϋμα άκά-9-αρτον. 89 Nur hier bei Matthäus gegen Mk. 9,17 πνεϋμα άλαλον. »o 8,6 in Abweichung von Lk. 7,2; 9,2.6 = Mk. 2,3.5.10. 91 4,24a blickt nur auf die „Landschaft" Syrien, in der sich das Gerücht von Jesus verbreitet. Die handelnden Personen von 4,24b kommen aus „Israel", wie 4,25 nachträgt. 82 Nur hier; bei Markus 5,20; 7,31.
Das Sondergut
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der (ganzen von Menschen bewohnten) Erde, der Welt aufgeboten, wie er mit ή γή 93 und ό κόσμος 94 bei Matthäus mehrfach begegnet (wobei das gehäufte Vorkommen von nur-matthäischen Texten zu registrieren ist). Daß der Evangelist an anderer Stelle konkret von der HeidenWelt spricht, braucht in 5,13f. nicht mitgehört zu werden. Hier geht es ihm mit der Terminologie des Stoffes und ohne eigene Präzisierung um den weitgespannten, „kosmischen" Horizont des Jüngerauftrags. Zweifellos steht 5,13 f. in fühlbarer Spannung zu der Ortsbestimmung der Jüngersendung von 10,5 f. u n d dem heilsgeschichtlichen Rahmen, in dem es erscheint, doch nimmt Matthäus auch andere „antizipierende" Stoffe auf, ohne einen Ausgleich zwischen Stoff- und Rahmensituation zu suchen. Was vom R a h m e n her als Predigt des Evangeliums vom Reich f ü r Israel und die Jesuszeit ausgewiesen wird, nimmt der Sache und den Stoffen nach kräftig auf die spätere „kirchliche" Situation Rücksicht (vgl. 5, llf.13—16.32; 6,14f. nach 6,9—13; 7,7—11.). Das „geschichtliche" Wort ist nicht nur Wort f ü r damals; es gilt auch heute und ist transparent gemacht als Wort f ü r die „Gegenwart" 9 5 . Mt.
13,24—30,36—43™
Nach Trilling beanspruchen die Verse 13,37—39 gegenüber 13,40— 43 eine gewisse sachliche Selbständigkeit. Sie liefern nicht nur „vorbereitende Züge f ü r die Schilderung des Endgerichts in den Versen 40—43 9 7 ". Während 13,41—43 als „Gerichtsparänese" den Blick auf die letzten Dinge lenkt, sind die vorausgehenden Verse das Ergebnis theologischer Überlegung von eigener Art, „deren Ausgangspunkt das Nebeneinanderbestehen von Guten und Bösen in der gleichen Kirche ist" 9 8 . Doch weicht Trilling in seinen weiteren Ausführungen von dieser Perspektive der Betrachtung ab. N u n geht es nicht mehr u m die Guten und Bösen in der gleichen Kirche, sondern um die Welt als das „weite Feld der christlichen Glaubensverkündigung". 13,38a besagt: „in der ganzen Welt wird die Botschaft verkündet." Der Kosmos ist die „Sphäre", in der sich das Reich Gottes verbreitet, und diese Sphäre ist universal gedacht. Von diesem Kosmos-Begriff bestimmt, dürfte sich die theologische Reflexion, die den Text gestaltete, nicht an der innerkirchlichen Gegebenheit von Bösen und Guten, sondern an den Problemen der von Trilling ins Gespräch gezogenen 93 9,6 = Mk. 2,10; 10,34 = Lk. 12,51; 12,42 = Lk. 11,31; Sondergut: 5,5; 23,35; 24,30. 94 16,26 gemeinsynoptisch; 26,13 = Mk. 14,9; Sondergut sind 4,8 gegen Lk. 4,5 und 13,38; 18,7. 95 Zu 6,7 vgl. S. 88. Zu 10,5 ebenda und S. 60—63. 96 97 Vgl. S. 94. Das wahre Israel 125. 98 A.a.O. 126. Dort auch alle folgenden Zitate.
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„Mission" entzündet haben. Die allegorische Deutung des Gleichnisses 13,24—30 nimmt zunächst auf die Saat-Mischung von „gutem Samen" und „Unkraut" Bezug und erklärt die einzelnen Züge des Textes 13,24f. 99 . Neben der Saat des Menschensohnes auf dem Acker der Welt, den Söhnen des Reiches, findet sich das Unkraut der Söhne des Bösen von der Hand des Teufels. Der Evangelist, von dem der Text stammt 1 0 0 , orientiert sich offenbar an der Erfahrung, daß dem Wirken des Menschensohnes im Kosmos Hemmungen entgegenstehen, Grenzen gezogen sind. Der gute Same, die Gerechten von 13, 43, sind nicht allein auf dem Plan; auch die feindliche ( = teuflische) „Welt" besteht auf dem Acker des Kosmos und findet ihren Meister erst mit der Vollendung des Äons. Man wird 13,37—39 daher nicht als „allegorische Schilderung des Endgerichts" verstehen dürfen, eine Rubrik, in die Jeremias sehr pauschal den ganzen Text 13,36—43, einordnet 101 . Die Darstellung der letzten Dinge setzt nach der Überleitung 13,39 b (ό δέ θερισμός . . . ) erst mit 13,40 ein. Was vorausgeht, ist die allegorische Schilderung der kosmischen Unternehmung des Menschensohnes und ihrer Gegenkräfte. Matthäus bezieht also 13,24f. in 13, 37—39a auf die Weltsituation der Menschensohn-Saat, der Gerechten, die f ü r ihn nichts anderes sind als die „Jünger" 1 0 2 , die ihrerseits wieder die „Kirche" ausmachen. Die Mischung von gutem Samen und Unkraut von 13,24f. deutet er insofern ekklesiologisch, als er meint, die „Kirche" oder „Mission" sei f ü r die Zeit vor dem Ende von der fortbestehenden „Welt" begleitet und angefochten. Sie lebt nicht auf einer Insel der Seligen, sondern auf dem Acker des Kosmos, der übersät ist vom Unkraut der Söhne des Bösen. Auf diese Textsituation des „kosmischen" corpus mixtum von Söhnen des Reichs und Söhnen des Bösen ist nun die „kleine Apokalypse" 103 von 13,40—43 ausgerichtet. Sie dient als Droh- und Trostwort f ü r die „Kirche" in der Nachbarschaft einer ungebrochen vorhandenen „Welt", Mahnung an die Söhne der Basileia, fern aller σκάνδαλα und άνομία104 in der Gerechtigkeit zu beharren, und zugleich Verheißung ihrer „glänzenden" Zukunft. Es ist Joachim Jeremias darin zuzustimmen, daß Matthäus mit 13,36—43 98 1 3 , 26f. werden in 13,36 ff. nicht berücksichtigt. Die Saat muß nach der Allegorese des Evangelisten nicht mehr aufgehen; Menschensohn und Teufel säen ja schon das „fertige Produkt", die Söhne der Basileia oder des Bösen. 100 Mit Jeremias, Gleichnisse 81 if. 101 Gleichnisse 84. 102 Zu οί δίκαιοι = die „Jünger" vgl. z.B. 5,10f.l3—16; 10,16.40f.; 12,46—50; 13,10—12.52; 18,15—17; 19,27fF. in Verbindung mit 19,21; 28,19f. 103 Jeremias, Gleichnisse 79. 104 Die bessere Gerechtigkeit (der Himmelsherrschaft 6,33) ist, kurz gesagt, der radikale Gehorsam der Liebe (5,20 ff.; vgl. 7,12; die Gerechten = die Liebenden 25,34—40). Der redaktionelle Vers 24,12 interpretiert den Gegenbegriff der Ungesetzlichkeit als Lieblosigkeit. So wird man wohl auch τούς ποιοϋντας τήν άνομίαν frei mit „die Lieblosen" übersetzen.
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paränetische Ziele verfolgt 105 , doch wird man sich fragen müssen, ob er den Skopus des Textes — Warnung vor falscher Sicherheit — nicht zu einseitig bestimmt. Daß die Söhne des Bösen das Gericht erwartet, soll gewiß die „Kirche" vom Bösen abschrecken und auf ihrem Weg der Gerechtigkeit festhalten, doch daß die Gerechten im Reiche ihres Vaters leuchten werden wie die Sonne — das ist das letzte Wort des Textes! — wird als tröstliche Ermunterung zum geduldigen Ausharren inmitten des Unkrauts gemeint sein (seht, was euch am Ende winkt, wenn ihr euren Weg geht!) 106 , so daß Matthäus mit 13,43 die ursprüngliche Intention des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen in modifizierter Gestalt f ü r die nachösterliche Situation der „Kirche" festzuhalten vermag. Jeremias hält dafür, das „Reich des Menschensohnes" in 13,41 sei „geradezu Bezeichnung der Kirche" 1 0 7 . Der Kontext spricht dagegen. Hätte der Evangelist den Wunsch gehabt, mit den Farben von 13,40ff. das künftige Gericht über die „Kirche" mit ihren „Skandalösen" und Gerechten zu malen, hätte er die voranstehende (von ihm selbst stammende!) Allegorese doch wohl anders schreiben müssen. Wäre sein Hinweis auf das kosmische corpus mixtum von guter Saat und Unkraut nicht fehl am Platze gewesen? Nachdem 13,37ff. die Söhne des Reichs und die Söhne des Bösen auf dem weiten Acker der Welt gezeichnet hat, kann die Engführung eines „kirchlichen" Gerichts in 13,40ff. nicht recht befriedigen. Auch fehlt bei Matthäus sonst jedes Anzeichen für eine Identifizierung von „Kirche" und „Reich des Menschensohnes", eine Begriffsverbindung, f ü r die man sich eine breitere Basis wünschte. Wird das Evangelium vom Reich nach der heilsgeschichtlichen Ablösung Israels vor allen Heiden bezeugt, so betritt es den Bereich der Welt. Die maßgebliche Dimension f ü r seine Verkündigung ist jetzt nicht mehr das „Land Israel" mit seinen verschiedenen „Provinzen" (Galiläa — Jerusalem), also der „israelitische" Rahmen der Verkündigung Jesu. Nun gehören die Begriffe „alle Heiden" und „Welt" zusammen und entsprechen einander, ohne freilich per definitionem (κόσμος = „heidnische" Welt) einander zugeordnet zu sein (vgl. zu 5,13f. und 18,7). Mt.
17,24—27
Man wird fragen, warum hier die Perikope von der „Tempelsteuer" unter das matthäische Sondergut zum Thema „Die Heiden im Mat105 Gleichnisse 84. 13,37—39a beschreiben dabei die Voraussetzungen der Paränese. 106 Ähnlich Jeremias zu 13,38; Die Deutung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen, Neotestamentica et Patristica, 1962, 59—63, 62. 107 Gleichnisse 80.
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Die Heiden im Matthäusevangelium
thäusevangelium" gestellt ist. Inhalt der Erzählung scheint doch eine Regel zu sein, die das Verhältnis der Jünger zur Judenschaft ordnet 108 , die Lösung einer wichtigen dogmatischen und praktischen Frage der Gemeinde im Zusammenhang mit dem „Kultus" 109 , an der Jesu „freiwillige Bindung an Gesetz und Tempel" 110 erkennbar wird. Mag der Text auch ursprünglich in einer uns nicht mehr faßbaren Gestalt nach solchen „judenchristlichen" Gesichtspunkten konzipiert oder in ihren Dienst gestellt worden sein — man wird zunächst scharf auf seine vorliegende Ausprägung und auf die Funktion achten müssen, die ihm in dieser besonderen Gestalt „heute" zukommt, d.h. innerhalb eines Evangeliums, das Israel als Ganzes der heilsgeschichtlichen Vergangenheit zuordnet und selbst im Dienst der universalen HeidenBerufung geschrieben wurde. Nach 17,24 treten auf ot τά δίδραχμα λαμβάνοντες, die Petrus fragen, ob Jesus nicht die Doppeldrachme entrichte. Die konkrete Frage der Einnehmer der Tempelsteuer wird „positiv" beantwortet; der Vers konstatiert die grundsätzliche „Zahlungswilligkeit" Jesu. Auf diese Weise bietet er eine „szenische Einleitung", die Hinführung auf das zentrale Problem des Textes, das erst mit 17,25ff. zur Sprache kommt·, es wird im Haus von Jesus mit Petrus — in einiger Breite — „diskutiert" und gelöst. Hier, in der folgenden Erörterung zu 17,24, liegt offenkundig das Schwergewicht des Textes. Und hier handelt es sich nicht mehr um Kapernaum und die Leute mit der Doppeldrachme, sondern um die Könige der Erde und die Frage von Zoll und Steuer! Diese „politische" Frage im Weltmaßstab (die Könige der Erde!) findet nun alsbald ihre Antwort, und sie allein. Auf diese Frage leitet 17,24 (mit seiner Frage nach der Tempelsteuer) hin. Die „Söhne" sind frei, resümiert der Text, doch damit „wir" sie — d. h. die Könige der Erde — nicht ärgern, soll Petrus ihnen (!) „für mich und dich" den Stater aus dem Munde des Fisches bezahlen, αύτοΐς von 17,27 c geht im Gefälle des Kontextes wie αυτούς 17,27a auf die „Könige der Erde". In 17,24 wurde eine Frage gestellt und beantwortet; niemand wollte dort die Doppeldrachme in concreto „einnehmen". Das Motiv des realen λαμβάνειν kommt erst mit 17,25 in den Text: von wem erheben die Könige der Erde 111 Zoll und Steuer? Ihnen, die nun faktisch Zoll und Steuer 108
109 Schlatter, Evangelist 538. Lohmeyer 275. Sehniewind NTD 196. 111 Zu „Könige der Erde" vgl. Apk. 16,14 τούς βασιλείς της οικουμένης όλης. Zu ή γη vgl. S. 98f.und besonders S. 99, Anm. 93. Auch die Stellen 6,10.19; 16,19; 18,18.19; 23,9, alle matthäisches Sondergut, richten den Blick auf die Erde, freilich innerhalb des Bezugssystems von „Himmel und Erde" (vgl. 5,18/Lk. 16, 17; 11,25/Lk. 10,21; 28,18. 5,34f. bietet die Trias „Himmel — Erde — Jerusalem"). Immerhin bezeugen auch diese Stellen auf ihre Weise eine Weite der Perspektive, wie sie der vom Evangelisten geschilderten heilsgeschichtlichen Entwicklung in ihrer Endphase entspricht. Wo das Evangelium vom Reich allen 110
Das Sondergut
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nehmen und die „wir" nicht ärgern sollen, sind sie konsequenterweise auch zu bezahlen. Die Frage der Tempel-Steuer mit ihren „judenchristlichen" Implikationen (Jünger — Judenschaft, Gemeinde — jüdischer Kult, Jesus und das Gesetz) findet keine Antwort. Sie dient lediglich zur Einführung in eine Textmitte, die auf eine „politische" Frage Antwort gibt und die deutlich den fortgeschrittenen, „weltpolitischen" Aspekt einer späteren Entwicklung widerspiegelt. Dieser Textmitte liegen Überlegungen einer nachösterlichen, in den Bereich der Erde und ihrer Könige vorgedrungenen Gemeinde zugrunde, die nach ihrer Stellung zu den politischen Machtfaktoren mit Zoll- und Steuerforderungen fragte und sich selbst Antwort gab. — Die Christen sind die Freien, die „an sich" über Zoll und Steuern erhaben sind, die jedoch aus „missionarischen" Gründen, um die Potentaten nicht zu ärgern, d.h. um sie nicht in Feindschaft gegen die Heilsbotschaft zu treiben — sie sind die Freien, die aus Rücksicht gegen ihre Sache Zoll und Steuer bezahlen, und das in Übereinstimmung mit ihrem Meister und seiner „wunderbaren" Entscheidung. Auch der Text 17,24ff. illustriert, daß der Matthäus-Evangelist das „judenchristliche" Milieu hinter sich gelassen hat und das Evangelium von der zurückliegenden Heilsgeschichte Israels und der universalen Heidenberufung von „heute" schreibt. Diesem seinem „Heute" mit den entsprechenden „politischen" Implikationen hat der Text zu dienen. Er liest sich wie ein erster Aufruf zu christlicher „Loyalität". Die grundsätzliche Freiheit von der Welt beugt sich den Erfordernissen der „Mission" 112 . Mt. 21,28—32 Hummel urteilt: „Die Zusammenordnung des Gleichnisses von den ungleichen Söhnen mit den beiden folgenden Gleichnissen setzt die ,Sünder' des jüdischen Volkes und die Heiden zueinander in Beziehung. Beide erlangen im Gegensatz zum ungläubigen pharisäischen Judentum die Basileia, sofern sie glauben (21,32), Frucht bringen (21,43) bzw. das Hochzeitskleid tragen (22,11—13)." Und auf derselben Seite 113 weiter unten: „Die Zöllner und Dirnen sind nicht nur kraft ihres Glaubens ein Vorbild und Zeichen für das offizielle Judentum, sondern kraft der ihnen von Jesus widerfahrenen Barmherzigkeit auch ein Hinweis auf die Annahme der Heiden." Nun kann angesichts der Größe „Israel", der zeitlich prägnant bestimmten massa perditionis des Evangeliums, Heiden zu predigen ist, kann nur noch die Erde (im Gegenüber zum Himmel) Ort des Glaubens und „kirchliehen" Handelns sein. Es ist nicht von ungefähr, daß gerade Matthäus diese Texte bietet. 112 Zu 18,17 „der Heide und der Zöllner" vgl. S. 88. 113 A.a.O. 25. Vgl. zum Text S. 65 ff.
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auf die Matthäus zurückschaut, von „pharisäischem Judentum" schwerlich die Rede sein. 21,33ff. und 22, Iff. zielen auf die heilsgeschichtliche Ablösung des vergangenen eschatologischen (nicht pharisäischen) Israel durch die Heiden. Und 21,32 spricht vom Unglauben der Repräsentanten (nicht der Pharisäer) gegenüber Johannes, dem ersten Basileia-Boten. Vom Aufriß des Evangelisten aus wird man auch Bedenken haben, die Zöllner und Dirnen von 21,32 mit den Heiden von 21,43 und 22,9ff. zusammenzubringen. Erst das Nein Israels zu Jesus und den Boten stößt die Tür zum Heil für die Heiden auf. Bezeichnend, daß den Zöllnern und Dirnen kein heilsgeschichtlicher Vorteil eingeräumt wird, sondern ein endgeschichtlicher, eine tiefgreifende Differenz zu 21,43; 22,9f., die Hummel übergeht. Auch weiß der Text nichts von der den Zöllnern und Dirnen widerfahrenen Barmherzigkeit Jesu. Das Gegenüber der „Sünder" ist der Täufer. Ihm, der mit dem Weg der Gerechtigkeit kommt, glauben sie und können so kein Hinweis auf die (barmherzige) „Annahme" der Heiden sein; der Text spricht von ihrer „Annahme" des Täufers. Mit der Gegenüberstellung der glaubenden Sünder und der unbußfertigen, trotz des gläubigen Vorbilds definitiv unbeweglichen Repräsentanten scheint Matthäus nun seinen Schematismus von der massa perditionis „dieses Geschlechts" zu durchbrechen — sind die Sünder nicht das „gläubige Israel"? Jedoch empfindet er hier, wie die folgenden Texte 21,43; 22,9f.; 23,1—24,2 veranschaulichen, offenbar keine Schwierigkeit. Auch im Blick auf Jesu Botschaft an Israel kann er an anderer Stelle ruhig von Nachfolge, Sendung und Gehorsam der Jünger (aus Israel!) sprechen (z.B.4,18ff.; 10,Iff.; ll,25ff.; 12,46ff.), ohne dadurch seinem Bilde Israels als der Einheit des Radikal-Bösen einen hellen Tupfen aufzusetzen. „Israel" ist eben die Totalität jenes Nein sagenden Geschlechtes der eschatologischen Stunde. Was J a sagt wie die Zöllner und Dirnen, gehört im Sinne des Evangelisten nicht zu „Israel", sondern in die Nachbarschaft der Gehorsamen, der Jünger (— nicht der Heiden). Beide bilden sie in seiner Darstellung das positive Gegenstück zu Israel, nicht sein „Vorbild und Zeichen". Beide hat sich Israel de facto nicht zum Vorbild und Zeichen genommen! Das steht in der Rückschau des Redaktors als Gegebenheit fest (vgl. 10,5—25; 21,32; 22,Iff.; 23,34). Man kann auch so sagen: Der matthäische IsraelBegriff ist nicht am Volk-Begriff orientiert, sonst müßten die gläubigen Sünder und Jünger als die gehorsamen Glieder Israels erscheinen. Er ist vielmehr nach dem Maßstab des Verhaltens zu den Basileia-Boten gefaßt: „Israel" ist Einheit coram deo, eine theologische Größe von Erwählung, Widerstand und Verwerfung, nicht Einheit coram hominibus, in sich selbst differenziertes, vielfältig durchgefärbtes „Volk" — ein „erwählungsgeschichtlicher" Begriff. Israel, so könnte man über-
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spitzt sagen, ist nichts Vorfmdliches, Fertiges, das als solches zu den Verkündigern der Himmelsherrschaft in Beziehung träte. Was „Israel" ist, zeigt sich, entsteht vielmehr erst an ihnen. Das Handeln Jesu, seines Vorläufers und seiner Boten schafft nach matthäischem Verständnis den gnädig zur Himmelsherrschaft berufenen und seine Berufung entschlossen verwerfenden Komplex der Todfeindschaft. 21,32 mit den Zöllnern und Dirnen gehört also nicht zu den Heiden-Texten des Evangeliums. Die gläubigen Sünder dienen Matthäus als positives Kontrast-Element zu seiner negativen Israel-Darstellung. Mt.
22,11—14
Wir gehen von der Beobachtung aus, ,,daß es sich bei der Episode mit dem Mann ohne Festgewand um ein von Hause aus selbständiges Gleichnis handelt" 1 1 4 . 22,11—14 unterscheidet sich grundlegend vom Vorausgehenden. Sprachen die Verse 22,1—10 von innergeschichtlichen Vorgängen, von der Berufung Israels und seiner Ablösung durch die universale Einladung der Heiden 115 , so wird in 22,11 ff. die Szene zum eschatologischen Tribunal. Der Text lenkt den Blick auf die noch ausstehende Zukunft des Gerichts. Der König des neuen Gleichnisses ist nicht mehr der geduldig-freundliche Gastgeber und zornig heimsuchende Herr von 22,3f./7ff., sondern der Richter des Jüngsten Tages. Der Mensch ohne hochzeitliches Kleid soll auf Befehl dieses Königs in die „äußerste Finsternis" hinausgestoßen werden 116 , wo Heulen und Zähneklappen sein wird 1 1 7 — stereotype matthäische Wendungen f ü r das Verderben im Endgericht 118 . 22,14 begründet das 22,13 beschriebene Gericht über den „Unwürdigen" und stellt den Text in den Horizont von Berufung und Auserwählung (— im — Gericht). Nach der zutreffenden Bemerkung von Bernhard Weiß ist „. . . die εκλογή nicht der ewige Rathschluß Gottes . . . sondern die Auswahl, welche je nach dem Verhalten der Menschen zu dem Gnadenruf Gottes erfolgt" 119 . Nun ist in 22,1—10 zweimal von „Berufung" die Rede. Zunächst von der Berufung Israels, die blutig verleugnet und ebenso blutig gerichtet wird, also geschichtlich abgeschlossen zurückliegt. Dann spricht der Text von der umfassenden und unterschiedslosen Berufung der Heiden, deren „Gericht" nach 25,31ff. mit dem kommenden, noch vor ihnen 111
115 Jeremias, Gleichnisse 62. Vgl. S. 91ff. Redaktionelles Motiv: 8,12; 22,13; 25,30. 117 Die Wendung stammt aus Q (8,12/Lk. 13,28). Bei Matthäus häufig: 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30. 118 R. Swaeles identifiziert in seinem S. 91, Anm. 67 genannten Aufsatz den „salle des noces" mit der „Kirche" (S. 679). Diese ekklesiologische Auswertung von 22,10b führt im Kontext zu der seltsamen Vorstellung von der „Kirche" als Stätte des Jüngsten Gerichts, die dem apokalyptischen Denken des Evangelisten wohl fremd sein dürfte (vgl. 25,31). 119 A.a.O. 377. 116
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liegenden Endgericht zusammenfällt. Somit ist πολλοί γάρ εϊσιν κλητοί von 22,14 unter Bezugnahme auf 22,9f. ausgesagt: alle120 (Heiden) werden berufen (vgl. 24,14; 28,19) und treten als Berufene unter die Augen des künftigen Gerichtstages mit seiner kritischen „Auserwählung" 1 2 1 . Sehr schön erläuterte Gottlob Schrenk den T e x t : „die Einladung ergeht jetzt an die auf den Kreuzungen der Straßen (v. 9), die Heiden . . . Aber sind sie alle εκλεκτοί? Vorerst kann f ü r die Begriffsbestimmung von εκλεκτός als zweifellos gelten: es handelt sich um die Endauslese Gottes mit Rücksicht auf das universale Prinzip der Heidenberufung. Aber gerade εκλεκτός besagt hier, daß diese Einladung nur so gemeint sein kann, daß Gehorsam der Gnade entspricht. Die Bedingung des hochzeitlichen Kleides empfängt ebenfalls aus der Trilogie 21,28ff. sichere Deutung: 21,31: ποιείν τό θέλημα; 21,43: ποιεΐν τούς καρπούς . . . Nur im Gehorsam also wird die Erwählung realisiert 1 2 2 ." Damit ist das Entscheidende gesehen 123 . Die mit Israels Berufung verbundene göttliche Erwartung geht mit der Berufung der „Bösen und Guten" auf die Heiden über. Indem sie als Berufene an Israels Stelle treten, stehen sie in derselben Gnade und unerhörten Beanspruchung wie vordem Israel 124 . Sie übernehmen das „Reich Gottes" als Gabe und Aufgabe (21,41.43) — eben darin besteht die Kontinuität der Basileia-Geschichte zwischen Israel und ihnen. Eine geschichtlich bedingte Diskontinuität zwischen den beiden Größen liegt darin, daß Israel in seiner Verantwortung der Basileia-Berufung dem innergeschichtlichen Gericht begegnete, während die Verantwortung der berufenen Heiden als eschatologisch-forensisches Ereignis noch aussteht. Eine unter angelsächsischen Auslegern beliebte Deutung besagt, 22,11 ff. wende sich gegen eine zu leichte Aufnahme der Heiden in die 120 In seinem Aufsatz: Der Gedanke des .Heiligen Restes' im Spätjudentum und in der Verkündigung Jesu, ZNW 42 (1949) 184 if. betont Joachim Jeremias (S. 193, Anm. 64), πολλοί habe hier, wie oft im Semitischen, inklusive Bedeutung und müsse wie das multi von 4. Esra 8,3 mit „alle" übersetzt werden. Mag es auch hinsichtlich Mt. 8,11 als fraglich erscheinen, ob der Redaktor πολλοί noch semitisch empfunden hat (vgl. S. 90, Anm. 55), so ist doch vom heilsgeschichtlichen Thema des Evangelisten, von der universalen Heidenberufung her die inkludierende Bedeutung von πολλοί für 22,14 vorauszusetzen. Weil es in diesen Kontext einbezogen ist (vgl. 22,9f.), zielt πολλοί in 22,14 tatsächlich auf alle (Heiden). 121 Gut Strecker 112: „Geladen werden . . . die ,Bösen und Guten' . . . sie gehen ihrerseits dem Gericht entgegen." 122 T h w XY 1 9 1 _ 123 Jeremias, Gleichnisse 188 versteht ένδυμα γάμου als das „reine Gewand des Heils und der zugesprochenen Gerechtigkeit", doch kann es (mit Schrenk) vom Kontext her nur als Bild für die Bedingung des End-Heils (die „Frucht") aufgefaßt werden. 121 Illustriert 22,11—14 die „eschatologische Beanspruchung" der Berufenen, so 22,9 f. mit dem Hinweis auf die unterschiedslose Einladung die Bedingungslosigkeit der Heilszuwendung; vgl. 22,3 f. für den „Heilsstand" Israels (dazu 4,23; Kap. 8—9; 9,35f.; 10,6 ff.; 11,5; 12,28 usw.).
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Kirche. Mit den Worten C. H. Dodds: „ . . . Matthew seems to have intended to guard against the reception of the Gentiles into the Church on too easy terms125." Diese Interpretation steht mit 22,9f. vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. Ginge es dort, eine einheitliche ekklesiologische Exegese vorausgesetzt, um die Aufnahme der Heiden in die Kirche, würde der Text ausgerechnet Dodds „reception of the Gentiles . . . on too easy terms" — als Heilsereignis! — behaupten und Matthäus sähe sich genötigt, in 22,11 ff. nach einem kurzen Atemzug zu verwerfen, was er eben noch als neuen Akt der Heilsgeschichte und göttliche „promiscuous admission" dargetan hätte. Günther Bornkamm plädiert für eine andere Art ekklesiologischer Deutung. Matthäus, so führt er aus, mache mit 21,41.43 die Norm des künftigen Gerichtes geltend, an der alle und gerade die vermeintlich zum Gottesvolk Gehörenden gemessen würden: „Ebendies sagt, ausdrücklich auf die Gemeinde bezogen, auch die von Matth, angefügte Schlußszene des Gleichnisses vom königlichen Hochzeitsmahl (22,11—13), aber schon die 22,10 begegnende Wendung πονηρούς τε καί άγαθ-ούς, die wie die letzten Gleichnisse von c. 13 auf die endliche Scheidung weist, schließlich auch die für Matth, so charakteristische Abschlußsentenz 22,14126." Nun ist 21, (41J.43 mit 22,1 Iff. nicht in eine Reihe zu stellen, da es von der Übertragung des Gottesreiches auf ein anderes Volk handelt, also das „Gottesreich" als in der Geschichte anwesende Größe voraussetzt und die „Norm" für Israels heilsgeschichtliche Ablösung darbietet, während in 22,11 ff. diese Norm ewcZgeschichtlich orientiert ist, und zwar auf dem Hintergrund der zuvor erwähnten geschichtlichen 125 The Parables of the Kingdom, 1961, 94. Ähnlich zuvor W. C. Allen, I n t . Crit. Comm. 1925, 236; vgl. S. G. F . Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church, 1951, 231: „a grave warning against any kind of promiscuous admission." 126 Überlieferung und Auslegung 18, vgl. 40. So auch F . W. Beare in seinem S. 93, Anm. 72 zitierten Aufsatz (S. 6): „ . . . the final judgment of all who profess to follow Christ, according to their works." Ähnlich Trilling, Überlieferungsgeschichte 254; das Gleichnis verfolge ein paränetisches Ziel, „das die Gemeinde in ihrer Mischung von Unkraut und Weizen vor dem Gericht sieht". Etwas anders B. Schnackenburg, Die Kirche im Neuen Testament, Quaest. Disp. 14 (1961) 68: Matthäus wolle wahrscheinlich die dem Ruf der Missionare folgenden, in die Kirche einströmenden Menschen mahnen, die sittlichen Früchte nicht zu vernachlässigen und sich als „Auserwählte" zu erweisen. Schnackenburg läßt die eschatologische Ausrichtung des Textes (22,13!) außer acht. Das zeigt auch seine Bemerkung (a.a.O.), für Matthäus sei die έκκλησία die Sammlungs- und Zurüstungsstätte der εκλεκτοί, die das Heil vermittelnde, aber ohne sittliche Früchte nicht garantierende „Heilsanstalt". Wo Matthäus an die Spannung zwischen universaler Berufung und eschatologischer Erwählung (der Heiden) erinnert, denkt Sch. an kirchliche Heils-Betreuung der „Auserwählten" = Christen und vertauscht die heilsgeschichtlichen Kategorien des Textes mit ekklesiologischen. Ein auffallender Bruch zwischen 22,9 f. und 22,11 ff. findet sich bei Strecker, der 22,9f. heilsgeschichtlich (34: an Stelle Israels die Heiden erwählt), 22,14 jedoch „kirchlich" deutet (219, Anm. 1: mit den κλητοί sind die Christen gemeint).
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Berufung der „Bösen und Guten", in denen man nur gezwungen die „Gemeinde" zu erkennen vermag 127 . Mt.
25,31—46
Die Perikope vom Völkergericht — in welchem Sinne „Völkergericht"? Julius Schniewind erläutert: „So öffnet die Einführung unseres Wortes den Blick auf die Weite aller Völker (V. 32); ebenso weltweit ist das Gericht überall im A.T. und im N.T. gedacht. Daraus darf aber unmöglich geschlossen werden, daß dies ganze Bild des Weltgerichts nur die Entscheidung zeichne, die über die Heiden f ä l l t . . . was hier gesagt wird, geht die fernen Heiden ebenso an wie die Juden und Christen 128 ." Nun ist die Weise, in der das Alte und Neue Testament vom Gericht redet (überall im Sinne von „weltweitem" Gericht?), kein Präjudiz zur Entscheidung der Frage, wie das Matthäus-Evangelium an unserer Stelle davon spricht. Zudem müssen sich nach allem, was der Evangelist bisher über „Israel" dargelegt hat, starke Zweifel erheben, ob es ihm wirklich „um das universale Weltgericht des Alten Testaments" geht, „das keine Begrenzung und Differenzierung der Personengruppen duldet" 129 . Immerhin „begrenzt" und „differenziert" Matthäus hinsichtlich seines Komplexes „Israel" aufs nachdrücklichste. Er tut es mit solcher Energie, daß Israel nicht nur als endgeschichtlich verloren (8,12; 11,20—24; 12,31—37.38—42; 21,32; 23,13.33)130, sondern auch als heilsgeschichtlich abgetan erscheint. Man wird sagen dürfen, daß hier das eine dem anderen entspricht. Was vor dem totalen und definitiven endgeschichtlichen Nein Gottes steht (23,33), ist auch innergeschichtlich von seinem unverrückbaren Nein betroffen (23,34ff.). Oder umgekehrt: Israels heilsgeschichtliche Katastrophe hat zugleich endgeschichtliche Relevanz. Was hier dem Gericht verfällt, ist dort auch dem Gericht verfallen. Angesichts dieser scharf „begrenzenden" und „differenzierenden" Sicht der Dinge, mit dem Blick auf die matthäische Geschichts- und Gerichtstheologie in Sachen Israels also, ist mit Entschiedenheit die Frage zu stellen, ob in 25,3Iff. nicht doch nur die „Heiden" — im Sinne eines Gegenbegriffes zu „Israel" — vor127
Zu 24,30 „alle Geschlechter der Erde" vgl. S. 78f.; 98f. 128 j j t d 254. So beispielsweise auch A. H. M'Neile, The Gospel according to St. Matthew, 1915, 369 (all human beings); Max Meinertz, Jesus und die Heidenmission, 182; Κ. L. Schmidt, ThW II 366f. (alle Völker); D. Buzy, Evangile selon Saint Matthieu, 1935, 336; A. Feuillet, La synthese eschatologique de saint Matthieu, RB 57 (1950) 182 (un jugement universel); Karl Staab, Das Evangelium nach Matthäus, Echter-Bibel, 1951, 138 (Christen wie Juden und Heiden); Schmid RNT 352; Heinz Eduard Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, 2. Aufl. 1963, 71 (alle, auch die Jünger); Feine-Behm-Kümmel 68; Trilling, Das wahre Israel 26 (eindeutig universal). 129 Trilling 27. 130 (Jegen Feine-Behm-Kümmel 68: es treffe nicht zu, daß nach Matthäus die Juden (!) endgültig verworfen seien.
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kommen. Dabei fällt dem Kontext von 25,3Iff. alles Gewicht zu. Es wurde festgestellt, daß der Evangelist schon in 24,9—14 bewußt alle Israel-Anklänge getilgt und sie der Jesuszeit zugeordnet hat 1 3 1 . Nachdem Israel aus der Berufungsgeschichte Gottes ausgeschieden ist (21,18f.; 21,33—22,10; 23,1—24,2), geht es f ü r die Jüngerschaft der Zeit nach 70 (oder f ü r die „Kirche") — in der letzten Phase der Heilsgeschichte vor dem Ende — nur noch um die Berufung der Heiden. Die drei Phasen der Berufung Israels (Täufer, Jesus, die Boten) sind Vergangenheit. Dieser berufungsgeschichtlichen Ausrichtung der Zeit vor dem Ende entspricht nun das Ende selbst. Es begegnet als Gericht über die berufenen Heiden. Zur Gegenwart der Heiden-Heilsgeschichte gehört das futurische Pendant des Heiden-Endgerichts. 24,9—14 und 25,3Iff. stehen in einem unauflöslichen Sachzusammenhang. Es geht nicht an, das formelhafte πάντα τά έθνη in 24,9.14 auf die Heiden im Gegensatz zu Israel zu beziehen, in 25,32 jedoch diesen prägnanten Begriff aufzugeben und plötzlich von allen Menschen zu sprechen, wie es z.B. Josef Schmid tut, der bei 25,31ff. an „alle Menschen, Heiden wie Juden und Christen" 132 denkt, zu 24,9 jedoch anmerkt, „daß nur noch von Verfolgung durch Heiden gesprochen wird" 1 3 3 , nachdem er im vorausgehenden den Vers 23,36 von der „Verwerfung des Judentums (!)" reden hörte 134 . So wie in 22,9f. und 22,llff. geschichtliche Berufung und endgeschichtliches Gericht der Heiden zusammengehören, sind auch in den Kapiteln 24 f. Heidenberufung und Heidengericht streng aufeinander bezogen: 24,(9).14/25,31ff. sind die exakte Parallele zu 22,9f./11 ff. Anders als Israel, dessen Versagen an seiner Berufung innergeschichtlich (und eschatologisch) heimgesucht wird, sind die Heiden, f ü r die das Aufhören ihrer Berufung und das Jüngste Gericht zusammenfallen (24,14), ihrer veränderten Zeitlage entsprechend der Bedrohung und Kritik eben des Letzten Gerichtes ausgesetzt. Das Ende ihrer Heilsgeschichte ist zugleich das Ende überhaupt. Dabei setzt der Evangelist voraus, daß bis zum Ende die Heiden allesamt den Ruf des Evangeliums vernommen haben (24,14; vgl. 28,19f.). Wenn Josef Schmid erklärt, es sei nicht möglich, das Gericht auf die Christen einzuschränken 135 oder als selbstverständlich vorausgesetzt anzunehmen, daß beim Gericht „alle Völker", d.h. die ganze Menschheit, sich zum Glauben an das Evangelium bekehrt 131
132 Vgl. S. 76f.; 83ff. RNT 352. RNT 336. 134 RNT 332. Ebenso uneinheitlich Staab a.a.O. 130 (24,9: Die Hasser und Verfolger sind Heiden. 24,14: alle Heidenvölker) und 138 (25,32: alle Völker; Christen wie Juden und Heiden). Trilling 26ff. deutet demgegenüber alle Stellen konsequent „universal". 135 So seltsamerweise Montefiore, The Synoptic Gospels II 324: „. . . the Judgment is restricted to . . . the Christian Community. The nations are foregotten." 133
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Die Heiden im Matthäusevangelium
haben würden136, so vertauscht er, was das letztere angeht, unbesehen die Kategorien „Berufung" und „Bekehrung". Auch Israel war (mit allen Implikationen) berufen, doch damit noch lange nicht bekehrt. Die geladenen Heiden haben wie vordem Israel ihre Berufung zu verantworten, nicht ihre „Bekehrung". Sie werden, mit 22,12 zu sprechen, nach dem „hochzeitlichen Kleid", man könnte auch sagen: nach der „Frucht", der „Erwartung" ihrer Berufung gefragt (vgl. 28,20 „lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe"), d.h. nach ihrer Stellung zum Menschensohn, der ihnen in den Hungernden, Durstigen, Fremden, Nackten, Kranken und Gefangenen, in „diesen meinen geringsten Brüdern" als der wahrhaft Liebens-werte begegnet. Die Erfüllung ihrer Berufung ist Liebe zu den elenden Nächsten (vgl. 7,12; 22,39), und das heißt auf Grund der verborgenen, im Gericht (und in der das Gericht ansagenden Predigt) aufgedeckten Identität des MenschensohnRichters mit den Erbarmungswürdigen: Liebe zu dem Herrn ihrer Berufung (vgl. 28,18fF.). Die Heiden sollen nicht ausschließlich am Verhalten zu den „Jüngern" gemessen werden. Wäre hier an „Jünger" zu denken, kämen doch wohl nur die im Namen des Herrn auftretenden, alle Heiden berufenden Boten in Betracht, nicht ganz allgemein die Ohnmächtigen und Menschlich-Bedürftigen, auf die der Text blickt (und zu denen auch „Jünger" gehören mögen). Das auf die missionierenden Boten verweisende, schlecht bezeugte und nicht als ursprünglich anzusprechende των ελαχίστων τούτων von 10,42 darf nicht dazu verleiten, die „Geringsten" des Textes (25,45; vgl. 25,40) auf die „Jünger" einzuschränken. Die unmittelbare, im Letzten Gericht (und seiner Predigt) offenbare Identität des Menschensohnes mit den notleidenden Nächsten ist etwas anderes als die durch das Wort vermittelte Identität des Verkündigten mit den (im Dienste der Mission) Entbehrungen ausgesetzten Verkündigern. Sehr gut Schlatter: „Eine Parallele zu εις δνομα μαθ-ητοϋ 10,42 fehlt hier ganz 137 ." Was das Gericht über die „Jünger" anlangt, so ist klar, daß sie in einem Text, der vom Gericht über die (berufenen) Heiden spricht, nicht vorkommen. Sie sind durchaus nicht als „ . . . um seinen Thron versammelt vorgestellt", wie Zahn meinte138. Auf der Seite des Gerichts erscheinen der Menschensohn und alle Engel (!) mit ihm (25,31), niemand sonst. Und vor ihm werden — als „Gegenstände des Gerichts" — alle Heiden 139 ver136 R N T 352. Besser P. Dausch, Die älteren drei Evangelien, 1932, 321: „ . . . nach der Verkündigung des Heilands wird ja auch bis dorthin das Evangelium allen Völkern gepredigt sein, alle können . . . gerichtet werden." Gegen Schlatter, Evangelist 725: „ . . . Jesus . . . richtet, ob sie ihn kennen oder nicht." 137 Evangelist 726. 138 A.a.O. 684. 139 B.Weiß meinte (a.a.O. 440), unter πάντα τά ίθνη 25,32 könnten nach 24,9.14 nur alle Heidenvölker mit Ausschluß Israels verstanden werden, da ja das Gericht über Israel bereits 24,15—22 ergangen sei. Doch sprechen diese
Das Sondergut
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sammelt, die dann zu ihm herkommen ins Leben oder von ihm hinweggehen in die ewige Verdammnis (25,34.41.46). Damit ist freilich nicht gesagt, daß Matthäus an anderer Stelle nicht auch auf die eschatologische Verantwortung der „Jünger" größten Wert legte (vgl. 24,45 bis 51; 25,1—13.14—30 und besonders 24,51; 25,12.28—30) 14°. Mt.
28,18—20
Auch bei πάντα τα έθνη von 28,19 gehen die Meinungen der Exegeten auseinander. Trilling plädiert wieder für „uneingeschränkten Universalismus"141. Jedoch läßt er auch hier den Kontext mit dem spürbaren Gegensatz zum „auserwählten Volk" außer acht. Schon Bernhard Weiß notierte zu 28,19: „Mit dem πορευθ-έντες sendet er sie aus, wie einst 10,5f., aber nicht mehr zu Israel, das ihn ja verworfen und die Botschaft von seiner Auferstehung als schmähliche Lüge verlästert hat (V. 15), sondern zu allen Völkern, die sie zu Jüngern machen sollen . . . Gemeint können damit nur alle Heidenvölker sein . . . Der Befehl 10,5 f. ist also nicht bloß erweitert . . . sondern zurückgenommen . . . " 142 . Weiß' Fingerzeig auf den unmittelbaren Kontext mit dem erbitterten Widerstand Israels gegen die Auierstehung (ante et post festum: 27,62—66; 28,11—15 143 ) verdient ernst genommen zu werden. Über „jüdisch-apokalyptischen" Verse nicht von „Gericht", sondern von der dem Ende und Erscheinen des Menschensohn-Richters vorausgehenden Zeit der Drangsal (vgl. 24,8.21.29; Feine-Behm-Kümmel 59: „die große Drangsal 24, 15—28"). Auch Schmid R N T 352 denkt bei 24,15—22 an „Gericht über das J u d e n t u m (!)". Allerdings ist für ihn damit nicht das Endgericht gemeint, in dem erst das „Jenseitsschicksal der Menschen" entschieden wird. 140 Zu den Versen 27,19.24f. und ihrer Funktion im Kontext vgl. S. 46f. bzw. S. 47; 71. 141 A.a.O. 138. A.a.O. 32 resümiert Trilling, die Völker würden nicht mehr im Gegensatz zu dem „auserwählten Volk" gesehen, sondern als die ganze Menschheit ohne jede Rücksicht auf Israel, d.h. weder mit ausdrücklichem Einschluß noch mit stillschweigendem Ausschluß Israels. Dagegen hält Trilling es a.a.O. 28 (zu 24,14) für durchaus denkbar, daß Matthäus eine Mission unter den Juden im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr für möglich hielt und dann Israel stillschweigend ausschloß. Wie Trilling äußern sich z.B. auch Zahn 732; K . L. Schmidt, T h W I I 366f. (366 „ohne eine besondere Betonung"); Schlatter, Evangelist 798; Lohmeyer 418, Anm. 1; Schmid R N T 391; Staab 163; Buzy 386 (Israel compris); David Bosch, Die Heidenmission in der Zukunftsschau Jesu, AThANT 36 (1959) 190; Feine-Behm-Kümmel 68; Strecker 117f.: „Erst nach der Auferstehung gilt der Missionsauftrag ,allen Völkern' (28,19). Zu ihnen mag auch die jüdische Nation zählen . . . " Aber 33: „Das Evangelium endet mit der Mahnung, alle Völker zu missionieren (28,19). Die Heidenmission wird zur Zeit des Matthäus schon selbstverständliche Aufgabe der Kirche gewesen sein." 142 A.a.O. 508. Auch Goppelt, Christentum und Judentum 184 beachtet den engeren Kontext. F ü r die „Heiden" plädieren beispielsweise H . J . Holtzmann, Synoptiker 298; Schrenk, Die Weissagung über Israel im Neuen Testament, 1951, 15, Anm. 7 (S. 65); Jeremias, Verheißung 33; Tödt a.a.O. 84; Fenton 452; J . P . Brown, The form of ,Q' known to Matthew, NTS 8 (1961/62) 27—42, 30. 143 Vgl. S. 73f.
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Die Heiden im Matthäusevangelium
das Grab, ja über die Auferstehung hinaus verfolgt Israel seinen Messias, eine in den Evangelien einzigartige Vorstellung. Schildert 28,11 bis 15 das letzte Wort Israels zu seinem (jetzt auferstandenen) König und dokumentiert 28,15 die Permanenz dieser Schuld mit dem Hinweis auf den λόγος ούτος παρά Ίουδαίοις, so können die folgenden, von diesem schwarzen Hintergrund abgehobenen Verse nur so zu verstehen sein, daß der Auferstandene über sein blindwütiges Volk hinwegschreitet und sich den Jüngern zuwendet, die er, Israel den Rücken gekehrt, zu allen Heiden sendet. „Israel", das sich dem auferstandenen Herrn so trotzig versagt, liegt nicht mehr in seinem Heilsbereich. Wenn Joachim Jeremias zu 10,5 anmerkt, έθνη sei kollektiv empfundener religiöser terminus technicus für die Heiden im Gegensatz zum auserwählten Volk144, so bestimmt er damit zugleich auch den einheitlichen Nenner der πάντα τά έθνη-Formeln in 24,9.14; 25,32; 28,19: immer ist hier „Israel" als Kontrastgröße vorausgesetzt — das „auserwählte Volk" (der Basileia-Berufung), der geschlossene Block des Bösen und des Gerichts. Daß ausgerechnet bei Matthäus, wo dieser konsequent erarbeitete, zeitlich fixierte Israel-Begriff vorliegt, πάντα τά έθνη universalistisch im menschheitlichen Sinne zu nehmen sei, entbehrt jeder Logik. Die Verse 10,5f. werden also durch 28,19 in der Tat nicht erweitert, sondern zurückgenommen. Gab es zur Jesuszeit keine Mission unter den Heiden, sondern allein unter dem „auserwählten Volk", so ist jetzt die Zeit der „Mission" Israels zu Ende und die Heidenvölker treten an seine Stelle. Es zeigt sich ein radikaler Wandel der Szenerie: die Nicht-Berufenen sollen jetzt Jünger werden, die damals Geladenen sind verworfen. Dieser schroffe Szenenwechsel der Heilsgeschichte ruht nicht allein auf Vers 28,19. Das Logion 10,5f. ist ja schon durch die ganze vorauslaufende Geschichte von Israels Widerstand und seiner definitiven (heils- und endgeschichtlichen) Verwerfung durch den Messias zurückgenommen; die neue Aufgabe ist längst gegeben (22,9f.; 24,9.14), wenn auch nicht programmatisch formuliert wie in 28,19. Der Missionsbefehl beschließt das Matthäus-Evangelium mit keiner grundstürzenden Neuheit, sondern setzt, was die Heidenmission im strengen Sinn und unter Ausschluß Israels betrifft, nur den krönenden Schlußstein eines planmäßig aufgeführten, feststehenden Gebäudes. Die Berufung der Heiden steht am Ende der Geschichte Jesu mit Israel und so mit gutem Grund in programmatischer Grundsätzlichkeit am Ende des Matthäus-Evangeliums, das diese Geschichte darbietet. Im Gesamtkontext geht dem Missionsbefehl das zeitlich auf das Jahr 70 festgelegte Ende Israels (22,7ff.; 23,32—24,2) und die heilsgeschichtliche Neuorientierung der folgenden Zeit (bis zum Ende — 1M
Verheißung 17, Anm. 65.
Das Sondergut
113
24,9.14; 25,3Iff.) voraus. Im engeren Zusammenhang besagt der Text, daß die Heidenmission mit Israels Leugnung der Auferstehung und der unmittelbar folgenden galiläischen Erscheinung des Herrn ihren Lauf nimmt. Für sich genommen, läßt er die Erhöhung Jesu und die Heidenmission zeitlich zusammenfallen 145 . So entsteht eine fühlbare Spannung zu der dem Evangelisten eigenen „Zeitkonzeption", die erkennen läßt, daß Matthäus den ihm überkommenen und kräftig von ihm redigierten Stoff 28,18ff. 146 mit der „österlichen" Zeitbestimmung f ü r die Missionierung der Heiden aufgreift, ohne einen Ausgleich mit seiner redaktionellen Sicht der Dinge zu suchen. 145 Vgl. Otto Michel, Der Abschluß des Matthäusevangeliums, EvTh 10 (1950/51) 16—26, 26: „Seit der Erhöhung Jesu Christi . . . wird das Evangelium zur Botschaft für ,alle Völker' . . . " 146 Ygj Strecker 208ff.; Günther Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische, Mt. 28,16—20; in: Zeit und Geschichte, Dankesgabe an R. Bultmann zum 80. Geb. 1964, 171—191.
8 8702 Walker, Heilsgeechichte
IV. D I E H E I L S G E S C H I C H T E IM M A T T H Ä U S - E V A N G E L I U M 1. Die heilsgeschichtliche
Konzeption
a) Das Zeitverständnis des Evangelisten Aus dem Gesagten ergibt sich, daß Matthäus in seinem Evangelium mehr schreibt als eine vita Jesu. Gewiß ist der äußere Rahmen mit Stammbaum und Geburtsgeschichte am Anfang, mit Passions- und Ostergeschichte am Ende noch konsequenter als bei Markus, dessen Aufriß Matthäus im wesentlichen übernimmt, konsequenter auch als bei Lukas, der den Stammbaum erst in 3,23ff. bringt, nach den Leitlinien einer „Lebensbeschreibung" gestaltet. Matthäus zeichnet die vita des Messias in Israel von seiner vorgeburtlichen Herkunft und Geburt bis zu seiner Auferstehung (— die Verleugnung des Auferstandenen durch Israel). Doch ist damit tatsächlich nur der „äußere" Rahmen des Lebens Jesu abgesteckt. Diese vita hat einen weiterreichenden „inneren" Horizont insofern, als sie ein gutes Stück über das Kreuz und die Auferstehung hinausgreift, das Ende Israels f ü r das J a h r 70 herbeif ü h r t und auch die ihm folgende letzte heilsgeschichtliche Phase der Berufung aller Heiden bis zum Jüngsten Tag einleitet, bestimmt, trägt. Kein Zweifel, Matthäus entfaltet innerhalb des Rahmens einer vita Jesu eine Epochen-Heilsgeschichte großen Stils. Die „innere" Zeitlinie läuft von Abraham über die messianische Geburt Jesu bis zur dreifachen Basileia-Botschaft f ü r Israel und von Israels Verwerfung über die Berufung der Heiden bis zur Vollendung des Äons. Matthäus arbeitet seine „Apostelgeschichte" (mit der nachösterlichen IsraelSendung der Boten und ihrer Sendung zu den Heiden nach 70) so organisch in die von ihm vorgelegte vita Jesu ein, daß sein Evangelium keiner Ergänzung durch ein zweites Werk bedarf. Das MatthäusEvangelium enthält die matthäische vita Jesu und „Apostelgeschichte" in einem 1 . 1 Gegen Gnilka 191, Matthäus schreibe „ja nur ein Evangelium und keine Apostelgeschichte". Ed. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums I, Neudruck 1962, sagt S. 2, „daß, während die Evangelien sich auf die Geschichte des Christus beschränken und auf die weitere Entwicklung, die Ausbreitung der Lehre, höchstens in prophetischen Verkündigungen einen Blick werfen, Lukas diese als einen wesentlichen Teil der Heilsgeschichte, als die notwendige Ergänzung der Wirksamkeit Jesu auf Erden betrachtet." — So schon Matthäus!
Die heilsgeschichtliche Konzeption
115
Es liegt auf der Hand, daß Matthäus bei dieser inneren Struktur des Evangeliums ein durch und durch lineares Zeitschema voraussetzt, das bei Abraham, dem terminus a quo alles Geschilderten, einsetzt und bis zum terminus ad quem der end-lichen Parusie des Menschensohnes (nach der Missionierung der Heiden) fortgeht. Graphisch nimmt sich diese Zeitlinie so aus: Abraham
Vorgeschichte Berufungsgeschichte Israels Heiden-Berufung Ende des Messias Vorläufer Jesus die f Jesus - Boten • 70 • = Ü — • >
Es heben sich deutlich drei große Abschnitte der Heilsgeschichte heraus, eine eigentliche Vorgeschichte 2 mit Stammbaum und ausführlicher Namens- und Herkunftsgeschichte des Messias, über die Krister Stendahl lehrreich gehandelt hat 3 . Dann die große, beherrschende Epoche der Berufung Israels zur Himmelsherrschaft, die als die „Mitte der Zeit" zu erkennen ist: der Täufer (auch Jesu Täufer), Vorläufer des Messias und Bußprediger der Basileia; Jesus selbst als die „Mitte der Mitte", der nach seiner Versuchung und nach der Auslieferung des Täufers bis zu seinem Kreuz und Auferstehen an Israel wirkt; von ihm ausgehend die „Jünger", auch sie Boten der Basileia, deren Sendung ganz der Jesuszeit zugehört und sich doch über Kreuz und Auferstehung hinaus bis zum Jahre 70 (ja, bis ans „Ende") erstreckt. Hier die tiefe Zäsur von Israels Untergang, der Übergang zur „letzten Zeit" mit der Berufung der Heiden vor dem Ende. Diese „letzte Zeit" ist offenkundig identisch mit der Gegenwart des Evangelisten: er schreibt das Evangelium vom zurückliegenden, verworfenen Israel und der jetzt in der ganzen Welt f ü r alle Heiden auszurufenden Heilsbotschaft. 2 Dazu gehört auch die Vorgeschichte der (nun erfüllten) Prophetie, wie sie in den Reflexionszitaten erkennbar wird (vgl. S. 132f.). Edgar Krentz will in seiner anregenden Studie ,The Extent of Matthew's Prologue, Toward the Structure of the First Gospel', JBL 83 (1964) 409—414 die Verse 1,1—4,16 als ersten Abschnitt des Matthäus-Evangeliums nehmen, doch eröffnet der Täufer die matthäische Reihe der Basileia-Verkündiger und bringen 3,13—17; 4,1—11 die Überleitung zu Jesus, dem zweiten Boten der Himmelsherrschaft, so daß man es am besten bei der Vorgeschichte von Kap. 1 f. beläßt. Die Trennung hinter 4,16 ist trotz des formelhaften άπό τότε κτλ. in 4,17 (vgl. 16,21) ungerechtfertigt, da 4,12ff. mit dem folgenden eine sachliche Einheit bildet. Die Aufteilung in 4,17—16,20 (411: „concerned with the βασιλεία") und 16,21—28,20 („the Son of man and his way to resurrection") bleibt unbefriedigend, da gerade der zweite Teil die Basileia-Geschichte mit Israel (21,28—22,10; 23,1—24,2) und den Heiden (22,9f.ll—14; 24,9—14; 25,31ff.) entfaltet. s Quis et Unde? An Analysis of Mt. 1—2; in: Judentum, Urchristentum, Kirche; Festschr. für J. Jeremias, BZNW 26, 2. Aufl. 1964, 94—105. St. unterscheidet nicht sorgfältig zwischen der ursprünglichen Ausrichtung des Stoffes (99: „apologetic purposes") und seiner literarischen Funktion im MatthäusEvangelium.
8·
Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
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Jesus selbst h a t Israels Ende und den Übertritt des Heils auf den Boden des Heidentums bewirkt. Der irdische Jesus ist die gnädige Sonne und das zerstörende Dunkel Israels; der irdische Messias verfügt das Weiterschreiten der Berufung; der irdische Herr ordnet auch die Probleme der letzten Zeit der Heidenberufung. Matthäus vermag seine heilsgeschichtliche Gegenwart „ d i r e k t " auf den irdischen Messias Israels zurückzuführen u n d aus seiner Geschichte mit dem beschenkten, doch widerwärtigen Geschlecht zu erklären. Alles trägt der Irdische. Sieht man von seiner Funktion als künftiger Menschensohn-Richter ab, bleibt dem erhöhten Herrn nur eine bescheidene Rolle. Das gnostische E x t r e m der radikalen Verleugnung des Irdischen droht bei Matthäus in sein Gegenteil umzuschlagen, in die „Verabsolutierung" des Irdischen, dessen Entscheidung f ü r die Heidenmission und erklärtes Gebot der Himmelsherrschaft der Erhöhte unter dem Vorzeichen seiner (neuen) Allherrschaft 4 u n d mit der Zusage seines bleibenden Schutzes nur wiederholen und bestätigen k a n n (28,19f.). Mit den Worten Günther Bornkamms zur Stelle: „der Auferstandene u n d Erhöhte macht das Wort des irdischen Jesus f ü r die Kirche auf Erden f ü r alle Zeiten bis zum Ende verpflichtend. Hier liegt der oft übersehene Skopus des ganzen matthäischen Textes . . . 5 " . Der Erhöhte h a t zum Gang der Heilsgeschichte nichts Neues beizutragen. E r autorisiert lediglich das Gegebene mit „österlicher" Machtfülle und Schutzgewalt. Der nachösterliche redende „Geist" ist verdrängt durch das vorösterliche gesprochene Wort. Bis auf die Logien des kommenden Richters u n d des Erhöhten in 28,18ff. sind alle Worte des MatthäusEvangeliums als Worte des irdischen Herrn gefaßt, wobei die Worte des künftigen Richters auch schon im Munde des Irdischen begegnen. Das aber heißt: die Christus-Tradition in Gestalt der matthäischen Wortu n d Heilsgeschichte ist die einzige u n d grundlegende Norm allen Glaubens und aller „Kirche". Der nachösterlich-redende Herr u n d seine Autorität ist aufgesogen von der Gewalt des Einmalig-Irdischen, der die Geschichte des Heils selbst ein f ü r alle Male lenkt und gestaltet. E r n s t Käsemanns präzise Ausführungen zu J u d a s 3, dort werde der christlichen Lehrtradition als solcher eschatologischer Charakter zugesprochen, über ihr stehe das ,ein f ü r alle Male', welches gottgesetzte Unverbrüchlichkeit und Abgeschlossenheit anzeige 6 , gelten mutatis mutandis auch f ü r die „Lehrtradition" im Matthäus-Evangelium. Denn das Wort des Irdischen, das alle Heilszeit bis zum E n d e überspannt, bedarf hier keiner Ergänzung oder Aktualisierung f ü r die nachösterliche Zeit. Was die Geschichte des von diesem vorösterlichen Wort 4 5 8
Vgl. Günther Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische a.a.O. 174f. Der Auferstandene und der Irdische a.a.O. 187. Exegetische Versuche und Besinnungen I, 1960, 140.
Die heilsgeschichtliche Konzeption
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unternommenen Heiles angeht, so ist es abgeschlossenes, einmaliges und zugleich bleibendes, ein f ü r alle Male ergangenes Wort, das den nachösterlichen „Geist" überflüssig macht. Der irdische Jesus bestimmt nicht nur die Zeit Israels bis zum Kreuz, sondern auch seine nachösterliche Berufungsgeschichte und die letzte Zeit der Heidenberufung und geht dabei — trotz der dazwischenliegenden Ereignisse „Kreuz" und „Ostern" — „bruchlos" vom einen zum andern. Als Veranstalter der Heilsgeschichte unterliegt er keiner Diskontinuität. Ob er die Jünger zu Israel sendet, ob er ihnen das Ende „dieses Geschlechts" ansagt oder sie über Israel hinaus an die Heiden weist, f ü r jede Lage vor und nach Ostern ist er derselbe irdischvollmächtige Messias, während sich die Adressaten des Heils gründlich ändern. E r ist das H a u p t der Geschichte, die er von vorneherein als „ G o t t " regiert, mit der absoluten Macht des Erwählens und (heils- u n d endgeschichtlichen) Verwerfens, wie das Beispiel Israels zeigt. Hier, auf der menschlichen Seite des Geschehens, weiß die Heilsgeschichte von tiefer, unbegreiflicher Diskontinuität. Hier herrscht die Dialektik von erwählender Gnade und verwerfendem Gericht, begegnet der heftige Umsturz des Jahres 70, das Weiterschreiten der Berufung zu neuen Heilsempfängern, die ihrerseits wieder mit dem (letzten) Gericht bedroht werden. Heilsgeschichte wird verstanden als Zeit der Gnade u n d Beanspruchung, als Zeit des Zerbrochenwerdens und Neuanfangs; ihre Kontinuität liegt allein in dem unwandelbaren handelnden Herrn der Berufung. Das lineare Zeitschema verführt den Evangelisten nicht zu einem linearen Heilsdenken, das an ekklesiologischen Leitbildern orientiert wäre. Heilsgeschichte ist Berufungsgeschichte innerhalb der linearen Zeitentwicklung und so ganz und gar die Geschichte der Nicht- oder Noch-Nicht-Kirche, eben die Geschichte Israels u n d der Heiden. Die „Kirche" selbst ist nur insofern heilsgeschichtliches Thema, als die vom Messias gesandten Jünger zugleich seine Berufungsmedien sind. Sie gehört zur Heilsgeschichte, weil sie andere durch ihren Dienst zu Berufenen, Geforderten oder endgültig Übergangenen macht (Israel!), weil sie f ü r andere Heilsgeschichte eröffnet oder beendet. Dabei k o m m t im Matthäus-Evangelium (für die Zeit vor oder nach Ostern) nur die vom irdischen Jesus berufene und beauftragte Jüngerschar ( = „Kirche") in Betracht; es gibt keine von den „ J ü n g e r n " auf andere „ J ü n g e r " übertragene Berufungsmächtigkeit, keine an andere weitergegebene „Amtsgewalt". Der spezifisch „kirchliche" Traditions- und Sukzessionsgedanke fehlt im redaktionellen heilsgeschichtlichen Programm. Hummel strapaziert die loci 15,15; 17,24—27 und 18,21 über Gebühr 7 , wenn er aus ihnen folgert, 7
A.a.O. 59. In diesen Texten sei „Petrus" redaktionell.
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Petrus gelte als Garant für die Autorität gesetzlicher und disziplinarischer Vorschriften; es liege hier in nuce ein Traditionsgedanke vor, der dem rabbinischen ähnele 8 . In Wahrheit ist Petrus in diesen Texten nicht mehr als der belehrte Jünger, der sehr verschiedene Entscheidungen Jesu hinsichtlich des Ritualgesetzes, der „Politik" oder „Gemeindezucht" schlicht entgegenzunehmen, beileibe nicht zu „garantieren" oder mit seiner Autorität zu belegen hat 9 . Er hat lediglich eine „Sprechrolle" 10 inne, die Weisungen provoziert, welche der ganzen Jüngerschaft ( = „Kirche") gelten 11 . Wichtige Motive, die bei der Entstehung von 16,18f. ihre Rolle gespielt haben (Petrus als „Garant" der Kirche und Inhaber der „Schlüsselgewalt"), hält Matthäus von seiner heilsgeschichtlichen Darstellung fern. Alleiniger Garant der Berufungsgeschichte, Inhaber aller heilsgeschichtlichen Schlüsselgewalt mit Erwählung und Verwerfung bis hin zur Berufung der Heiden vor dem Ende ist der irdische Messias. Es gibt keine „Zwischeninstanz". Die nachösterlichen Entwürfe (des „Geistes") mit den besonderen heilsgeschichtlichen Funktionen des Petrus oder der Zwölf (16,18 f.; 19,28) sind im redaktionellen Entwurf ignoriert 12 und durch die heilsgeschichtliche Absolutheit des vorösterlichen Herrn ersetzt. Der irdische Messias allein verfügt bis in die letzte Zeit der Heidenberufung über Berufungsauftrag und -Mächtigkeit; ein Zeichen, daß Matthäus verhältnismäßig „früh" anzusetzen ist. Sein heilsgeschichtliches Denken entbehrt bei aller Einbeziehung einer „Apostelgeschichte" doch entscheidender Merkmale frühkatholischer Entwicklung (vgl. 1. Klem. 42,1—5; 44,1—6). b) Die Funktion der
Redekompositionen
Schildern die Kapitel 5—7 die exemplarische Verkündigung des Evangeliums vom Reich für Israel 13 (die doch „zeitlos" gültig ist, vgl. 28,20); veranschaulicht Kap. 10 die Israel-Sendung der Jünger als der heilbringenden Boten der Himmelsherrschaft (und hält es zugleich das bleibende Wort für Mission und Nachfolge fest), so sind auch die folgenden Kapitel 11 und 12 mit ihren Redekompositionen durchweg in 8
A.a.O. 60. An allen drei Stellen ist ό Πέτρος übrigens Eigenname (anders ohne Artikel 16,18). Die Kraft der ursprünglichen „Sachbezeichnung" (Oscar Cullmann ThW VI 100) ist verlorengegangen. 10 Bultmann, Tradition 72. 11 Zu 15,15 vgl. 15,16f. (Anrede in der Mehrzahl); zu 17,24ff. vgl. S. lOlff.; zu 18,21 den Kontext von 18,15ff.35. 12 19,28 dient im Kontext nur noch zur Beschreibung eschatologischer „Vergeltung" (vgl. 19,29). 16,18f. kommt sachlich nicht zum Zuge; Matthäus wird es als „typisches" Logion zur Darstellung der „Jünger"-Vollmacht aufgenommen haben. 13 Vgl. 4,23; 9,35. 9
Die heilsgeschichtliche Konzeption
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„negativer" Absicht heilsgeschichtlich orientiert. Die hier verarbeiteten Stoffe dienen nicht mehr polemischen oder apologetischen Zwecken im Kampf mit dem geschichtlichen „Judentum", sondern der Polemik gegen das Israel des Matthäus-Evangeliums: gegen eine literarische, von Matthäus selber entworfene Größe. Sie besitzen nur noch Kontextfunktion, dienen als „Streitgespräche" f ü r die Zwecke heilsgeschichtlicher Schriftstellern; sie sind „Ätiologien" des Gerichts und definitive Gerichtsworte f ü r „Israel" (—die an entscheidenden Punkten über ihre Kontextfunktion hinausgehen, um das Bleibend-Gültige herauszustellen; ll,25ff.; 12,36; 12,46ff.). So steht auch die Gleichnisrede Kap. 13 im Dienst der matthäischen Heilsgeschichte, vgl. 13,10—15. 34f. (und zugleich zeigen ihre paränetischen Elemente, daß hier auch einer späteren Zeit „eschatologisch" gepredigt werden soll). Auch dem von Markus übernommenen Streitgesprächs-Stoff 15,1—20 verleiht Matthäus durch die Einfügung von 15,12—14 heilsgeschichtlichätiologischen Charakter. Ebenso ist der große, dreifache KampfKomplex 21,12—19; 21,23—22,10; 22,15—24,2" eine Ätiologie und Darstellung der Verwerfung Israels, die aufzeigt, warum, wie und wann Israel von seinem König abgetan wurde (ein Komplex, der daneben freilich auch „aktuelle Lehre" darzubieten vermag, vgl. 21,20—22; 22,11—14; 23,(8—10).llf.). Die umfangreiche Redekomposition 24,3—25,46 trägt wie schon Mk. 13 „eschatologischen" Charakter; sie enthält das Wort von der letzten Zeit und für die letzte Zeit, wieder mit verstärktem paränetischem Akzent (24,43—51; 25,1—13.14—30. 31—46), dient jedoch zugleich der heilsgeschichtlichen Ortsbestimmung 1 5 f ü r die Zeit nach Israels Untergang (24,9.14; 25,31ff.), zeigt also wieder die bezeichnende Verbindung von Geschichtsschreibung und Kerygma, wobei in diesem Fall der unter den Augen der kommenden Eschata stehenden Gegenwart anders als bei der Darstellung der Vergangenheit Israels die heilsgeschichtliche Ortsbestimmung selbst aktuell-verbindliches Kerygma ist. Außer dem 18. Kapitel mit seinem „kirchlichen" Gepräge (18,15ff.) sind alle großen Redekompositionen des Matthäus-Evangeliums Bausteine im mächtigen Gebäude der matthäischen Heilsgeschichte (und zugleich oder daneben Predigt des bis zum Ende verbindlichen Worts). Matthäus will die Geschichte seiner f ü r die Heiden bestimmten Heilsbotschaft schreiben und aus ihr die eigene heilsgeschichtliche Gegenwart f ü r Nicht-Kirche und „Kirche" herleiten, begründen und rechtfertigen. Es ist die Geschichte vom Leben Jesu als des Messias Israels, von seinem Kampf mit Israel und seinem Gericht f ü r „dieses Geschlecht" mit allen Konsequenzen bis zur Jünger-Berufung der Heiden vor dem Ende. Eine 14 15
Zur Analyse vgl. S. 68. Wie es ansatzweise schon bei Markus der Fall ist (vgl. 13, (7).10).
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Geschichte, die nicht nur den heilsgeschichtlichen Ertrag des Lebens und Kampfes Jesu vor Augen stellt, sondern auch seinen bleibendkerygmatischen, eben das Wort, das, damals gesprochen, auch für die letzte Zeit warnende und tröstende Kraft besitzt. Das MatthäusEvangelium enthält eine (selbst kerygmatische oder mit aktuellem Lehrgut ergänzte) Heils-Geschichte. Partien wie 23,13—24,2 bleiben für die später berufenen Heiden ohne direkte oder indirekte kerygmatische Auswertung im Sinne von Rom. 11,20f., da Israels Geschichte unwiederholbar und auf die heilsgeschichtliche Lage der Heiden nicht anzuwenden ist. Das Gericht über ihre Berufung fällt zusammen mit dem Letzten Gericht. Sie werden deshalb auch allein von dorther gewarnt (22,11—14; 25,31—46). c) Israel und die
Heiden
Die Zusammenstellung der beiden Größen „Israel" und „die Heiden" als bestimmter Phänomene der Jesusgeschichte geht auf Matthäus selbst zurück und bietet eine in ihrer Art originelle Lösung: zuerst kommt die Zeit Israels, während der Jesus und die Jünger nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt sind (und das trotz 10,18; 12,15—21 und den diesen Rahmen sprengenden Texten 5,13ff.; 10,24 usw.); nach Israels hartem Nein und seiner gerechten Aburteilung hebt auf der heilgeschichtlichen Zeitlinie für die von Jesus gesandten Jünger die (letzte) Stunde der Heiden an. Ist diese zeitlich exakt fixierende (22,7ff.; 23,32ff.) und alles in der Gewalt des Messias verankernde Bestimmung des heilsgeschichtlichen Verhältnisses von Israel und den Heiden das Werk des Evangelisten, so hat er die zugrunde liegende Vorstellung von der Heilszeit der Heiden unter Voraussetzung der Verstockung Israels schwerlich selbst entworfen. Diese Vorstellung begegnet in verschiedener Gestalt auch bei Paulus und in der Apostelgeschichte, so daß sich der Gedanke nahelegt, Matthäus habe ein vorgegebenes Theologumenon auf seine Weise übernommen und mit kühner Originalität abgewandelt. Schon Paulus kennt eine (christliche) Heilsprärogative Israels (Rom. 1,16; vgl. die Voranstellung der Juden in Rom. 3,9; 9,24; 10,12; 1. Kor. l,22ff.; 10,32; 12,13; Gal. 3,28). Doch sieht er, daß Israel seinem Heil widerstrebt (Rom. 10,3.16—21; 11,31), was einen gewaltigen Umbruch der Heilsgeschichte auslöst: Durch ihren Fehltritt kommt das Heil zu den Heiden (Rom. 11,11); Israels Verwerfung ist gleichbedeutend mit der Versöhnung der Welt (Rom. 11,15). Dadurch sind freilich die Heiden noch lange nicht die Nachfolger eines definitiv aus der Heilsgeschichte ausgeschiedenen Israel wie bei Matthäus. Denn die Annahme der Heiden ist für Paulus nur der göttliche Umweg zur „endlichen" Annahme Israels, dem Gott aller Untreue zum
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Trotz die Treue hält (Rom. 9,6; 11,1); er rechtfertigt die Gottlosen 19 (Rom. 11,32); er schafft Leben aus den Toten (Rom. 11,15). Die Missionierung der Heiden ist dem Heidenapostel nicht Selbstzweck, sondern Durchgangsstation und Voraussetzung f ü r das Heil Israels. Die Heiden sollen Israel „eifersüchtig" machen wie Paulus selbst (Rom. 11,11.13). Man denke an Rom. l l , 2 5 f . : Ich möchte euch aber, ihr Brüder, nicht im unklaren lassen über dieses Geheimnis, damit ihr nicht überheblich werdet: daß Israel zu einem Teile Verstockung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist, und daß auf diese Weise ganz Israel gerettet wird. — Es ist demgegenüber dem matthäischen Entwurf abzuspüren, daß er der weniger reflektierte und durchlittene ist. Matthäus kann anders als Paulus „dieses Geschlecht" zum Gegenstand „historischer" Darstellung machen. Er zeichnet das ein f ü r alle Male vergangene Israel, das nur insofern Gegenwartsbedeutung besitzt, als es durch seinen Ungehorsam die Weichen zum Heil f ü r die Heiden von heute stellte. Israel ist so für Matthäus kein aktuelles theologisches Problem mehr wie für Paulus. Ist das Heil zu den Heiden gekommen, sind sie — anstelle Israels — berufen, so ist der Sinn der Heilsgeschichte erfüllt. Es gibt keine Nach-Geschichte, kein „darüber hinaus", das den Heiden auf der Brücke über ihren Gehorsam noch eine positive heilsgeschichtliche Funktion f ü r Israel zudiktierte. Matthäus betrachtet Israel auch nicht als „alttestamentliche" Größe der Erwählung (vgl. Rom. 3,1 f.; 9 , 4 f . l l f . ) und Verheißung (Rom. 9, 6.9; ll,28f.), sondern als ziemlich „junges" Phänomen, als das Geschlecht der Himmelsherrschaft, dessen Geschichte mit Johannes beginnt und das auf seinen Ungehorsam hin dem Gericht verfällt — das J a h r 70 liegt noch nicht lange zurück —, ohne daß nun das Moment der Bundestreue Gottes, ohne daß Israels lange Vor-Geschichte mit den Vätern und den an sie ergangenen Verheißungen ins Blickfeld träte. Demnach macht sich bei Matthäus, verglichen mit Paulus, eine starke Verkürzung der Perspektive nach „vorne" und „hinten" bemerkbar. Weil es keine Vor-Geschichte des Bundes und der Verheißung gibt, gibt es auch keine Nach-Geschichte Israels kraft der unwandelbaren Bundestreue Gottes. „Israel" wird so definiert, daß es keinen Heilsvorrang genießt, der nicht hernach auch den Heiden teilhaftig wird. Hier verrät sich der „heidenchristliche" Denkhorizont des Evangelisten. Die Heiden übernehmen von Israel den Messias als ihren König (2,1—12; 27,51—54), übernehmen sein Gebot und Heil, Berufung, Gnade und Verantwortung Israels — alles; f ü r Israel bleibt nichts Einzigartiges an Gottesgeschichte und empfangener Gnade, das 16 Das Thema des Römerbriefs, in Rom. 9—11 hinsichtlich der Heilsgeschichte Israels entfaltet. — (Mit Nachdruck vertreten von Ernst Käsemann, mündlich im Seminar über Rom. 9—11, SS 1965.)
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es auch über seine Untreue hinaus Gegenstand der Heilsgeschichte sein ließe. Seine Heilsprärogative besteht bei Matthäus nur in einem zeitlichen „Zuvor"; ihr eignet keine kontingente Unverwechselbarkeit, der die Heiden nicht teilhaftig würden und der sie mit ihrem Gehorsam — in einer fortan bestehenden Heilsgeschichte Israels — zu dienen hätten. Nach dem Zeugnis des Paulus können die Heilszeiten Israels und der Heiden niemals bloß aufeinanderfolgen, sondern trotz Israels Verwerfung nur zeitlich nebeneinanderher laufen, denn die Zeit des sola gratia für die verlorenen Heiden ist auch die Zeit des sola gratia für die unwürdigen Kinder Israels. Wohl spricht auch Matthäus von Gottes Verheißungen; sie sind erfüllt im Leben und Sterben Jesu, wie die vom Evangelisten verwendeten Reflexionszitate zu verstehen geben. Israels eine große Verheißung ist der Messias—die alttestamentliche Vorgeschichte „dieses Geschlechts" besteht bei Matthäus in der messianischen Prophetie, nicht im „Bund". Mit der Erfüllung dieser Prophetie ist die Heilszeit Israels gekommen, die es jedoch versäumt, um alsbald aus der Heilsgeschichte auszuscheiden. Es hat den Messias empfangen und — verloren: eine einfache Entsprechung von Gnade und Gericht, die nichts davon weiß, daß Gnade anderes sein und für mehr stehen könnte, als daß sie kurzerhand vom Gericht zu „ersetzen" wäre. „Israel" erscheint so im Matthäus-Evangelium in einer überraschend „untheologischen", fast möchte man sagen „vulgärtheologischen" Ausformung. Bei aller Heilsgeschichte und Gottesnähe ist es doch im Blick auf Vergangenheit und Zukunft seltsam ,,geschichtslos" gesehen, ohne die Tiefendimensionen der paulinischen Betrachtung 17 , von der bei Matthäus nur bestimmte Motive begegnen. Daß Israel grundsätzlich als auf einer Ebene mit Heiden befindlich und „mühelos" durch Heiden austauschbar vorgestellt wird, wird wohl heidenchristlichem Denken aus den Jahren 80—90 entspringen, das den existentiellen und theologischen Kontakt mit Israel und der Fülle seiner Gottesgeschichte verloren hat. Im ganzen der heilsgeschichtlichen Konzeption des Evangelisten läßt sich so eine Parallele zu seiner ungeschichtlichen und undifferenzierten Darstellung der Autoritäten als der Einheitsvertreter Israels erkennen. Für die „heidenchristliche" Prägung des Evangelisten spricht gerade seine vordergründige und „unproblematische" Behandlung des Israel-Themas in seinen verschiedenen Spielarten. Auch die Apostelgeschichte, die den Weg der Mission von Israel zu den Heiden, von Jerusalem über ganz Judäa und Samaria bis ans Ende der Erde nachzeichnet (1,8; vgl. 23,11 Rom!), läßt an verschiedenen Stellen 17 Doch sei an 1. Thess. 2,15 f. erinnert, das zeigt, daß auch Paulus auf einer bestimmten Strecke seines Wegs keine bessere Antwort fand als die von der endgültigen Gerichts verfallenheit Israels.
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einen einheitlichen heilsgeschichtlichen Schematismus f ü r das Verhältnis Israels und der Heiden erkennen. Die erste dieser Stellen ist 13,46f. (nach der voranstehenden Warnung von 13,40f.): Euch mußte zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nachdem ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht wert achtet, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. Der Text steht in Spannung zu 14,1, wo Paulus und Barnabas prompt wieder in die Synagoge der Juden gehen (vgl. 16,13; 17,1 f. 10.17; 18,4). Die grundsätzliche Formulierung, deren Skopus in der Ablösung des jüdischen Missionswerkes durch die Heidenmission liegt, wird durch den Erzählungsrahmen relativiert, so daß es zunächst den Anschein hat, als sei ihre Gültigkeit auf das pisidische Antiochien beschränkt 1 8 . Ähnlich verhält es sich mit 18,6: Euer Blut komme über euer H a u p t ; rein gehe ich von nun an zu den Heiden. Auch hier gehen Text- und Rahmenaussage auseinander (19,8!). Dieselbe Bewegung wie 13,46f.; 18,6 reflektieren die Verse 28,25b—28 1 9 : Israel ist verstockt, dafür werden die Heiden das Heil Gottes hören. Dreimal schildert Lukas auf dem Hintergrund einer permanenten Situation der „Anknüpfung" in der Synagoge und „Bevorzugung" der Juden 2 0 den Widerstand der 'Ιουδαίοι gegen das „Wort Gottes" mit der folgenden Kehrtwendung in Richtung auf die Heidenmission. Der erste Fall dieser Art gehört zur ersten Missionsreise und nach Kleinasien, der zweite ereignet sich in Griechenland in der Mitte der paulinischen Missionstätigkeit, der dritte während der letzten Wirksamkeit des Apostels in Rom. Martin Dibelius und mit ihm Ernst Haenchen 2 1 haben mit Recht hervorgehoben, daß dieses Arrangement kein Zufall ist, sondern das „Werk eines bewußt schaffenden, auf Kunstmittel nicht verzichtenden Autors" 2 2 . Es erhebt sich die Frage, was Lukas mit diesem auffällig lokalisierten, dreifachen „Schema" sagen wollte. Haenchen sieht Lukas die paulinische Missionserfahrung, d.h. die Grunderfahrung der christlichen Mission überhaupt darstellen. Er sagt: „Gegen den Willen der christlichen Missionare wird ihre Verkündigung durch die Ablehnung der Juden zu den Heiden abged r ä n g t . . , 2 3 ." Es leidet keinen Zweifel, daß Lukas die Missionserfahrung des Paulus schildert. Doch ist nicht geklärt, ob er damit 18
Vgl. Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, MeyerK III, 13. Aufl. 1961,
356.
19
19,9 ist anders gelagert: Trennung der Gemeinde von der Synagoge, nicht Wechsel der Heilsadressaten. 20 In ihr spiegelt sich der heilsgeschichtliche Vorrang Israels, vgl. Heinrich Schlier, Die Entscheidung für die Heidenmission, in: Die Zeit der Kirche, 2. Aufl. 1958, 90—107, 96. 21 Kommentar 653. 22 Martin Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, herausg. von Heinrich Greeven, 1957, 129. 23 Kommentar 653.
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wirklich die Grunderfahrung der christlichen Mission überhaupt abbilden will. Dann wäre christliche Mission f ü r Lukas grundsätzlich Judenmission, die jeweils „umständehalber" zur Heidenmission würde. Die Erfahrungen in der Judenmission der Lukas-Zeit stimmten mit denen der klassischen Missionszeit überein; was sich heute ereignete, wäre schonfür damals typisch, eine tröstliche Vorstellung.—Auffällig ist, daß der Schematismus von 13,46 f. usw. innerhalb der Apostelgeschichte verhältnismäßig spät begegnet und nicht das Recht der Heidenmission zu begründen hat. Dieses Recht gehört mit zu den Voraussetzungen der paulinischen Mission (vgl. 8,4ff.26ff. 24 ; 10, Iff.; 11,1—18). Den Heiden ist das Heil kraft Gottes wunderbarem Eingreifen längst und ein f ü r alle Male aufgetan. So kann Paulus sich in seinen Nöten mit den Juden bedenkenlos und willentlich von Israel zu den Heiden wenden, ein Vorgang, der u. E. das innere Gefälle der paulinischen Mission aufzeigen soll, das Gesetz, dem sie nach Lukas von Α bis Ζ unterliegt und das etwas anderes veranschaulicht als die Grunderfahrung christlicher Mission überhaupt — den heilsgeschichtlichen Richtungssinn der von Lukas beschriebenen paulinischen Mission: die Juden versagen sich dem Wort, und die Heiden treten an ihre Stelle. Eben dieses „Gesetz" wird von Lukas als das erste und letzte Wort, als Anfang, Mitte und Summe der paulinischen Mission vorgeführt: Israel wird, was die Mission anlangt, auf Grund seiner Verstockung 25 von den Heiden abgelöst. Anders gesagt: die Darstellung der paulinischen Mission ist für Lukas eine Ätiologie für den von ihm vorgefundenen Zustand der Heidenmission. Die Geschichte der Paulus-Mission weist auf den späteren Zustand voraus, rechtfertigt, erklärt ihn und f ü h r t schließlich noch selbst auf ihn hin (28,25b—28). Wie Joachim Gnilka zutreffend herausstellt, ist bei Lukas eine durch Evangelium und Apostelgeschichte hindurchgehende geschichtliche und gleichzeitig theologisch begründete Sicht des Unglaubens Israels bis zu ihrem Ende durchgedacht 2 6 ". Lukas beschreibt zwei große Phasen: „1. Die Zeit Jesu. Mit Jesus, der sich ganz auf das Judenland beschränkt, ist f ü r Israel ,die Zeit der Heimsuchung' (Lk. 19,44), die letzte Gnadenstunde angebrochen. Mit dem Tode Jesu hört Israel auf, das alleinige Gottesvolk zu sein. Der Tod Jesu eröffnet 2. die Zeit der Kirche. Drei Stufen hoben sich ab. Die Juden sind als Erste zur Kirche gerufen. Deshalb beschränkt sich die Wirksamkeit der Apostel zunächst auf Jerusalem. 24 Kap. 8 ist auf dem Hintergrund der Stephanusrede Kap. 7 zu sehen; vgl. Gnilka a.a.O. 144. 25 Gnilka 152: „Alles drängt doch hin auf die letztmalige Feststellung, daß die Juden verstockt sind." Zum Komplex „Israel — die Heiden" im LukasEvangelium und in der Apostelgeschichte vgl. Gnilka 130ff. Zu 13,46f. usw. vgl. Hans Conzelmann, Die Mitte der Zeit, BHTh 17, 3. Aufl. 1960, 177.198. 28 A.a.O. 149.
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Diese Periode findet ihren unglücklichen Abschluß durch dieStephanusgeschichte. Es folgt die Missionstätigkeit in der Diaspora. Auch hier sind die Juden die Zuerstgerufenen. Aber überall, von Pisidien bis Rom, stößt der Ruf zum Evangelium bei den Juden auf die gleiche Ablehnung, während die Heiden ihn freudig aufnehmen. Darum folgt jetzt die ungehinderte Missionstätigkeit unter den Heiden. Die Apostelgeschichte f ü h r t bis an die Schwelle dieser neuen Periode heran . . . Das Isaiaswort ist der markante Schlußstein eines eindrucksvollen geschichtstheologischen Aufrisses 27 ." Man kann dem weithin zustimmen. Ein hier zu notierender Mangel dieser Sätze ist, daß Gnilka die heilsgeschichtlich-ätiologische Funktion der lukanischen Konzeption nicht noch einmal ausdrücklich geltend macht 2 8 . Kap. 7 29 fungiert als Abschluß von Kap. 2—6 und Begründung des folgenden Übergangs zur Heidenmission von Kap. 8ff. 30 ; die paulinische Diaspora-Judenmission mit 13,46f.; 18,6; 28, 25b—28 begründet die folgende (von Lukas vorausgesetzte) Heidenmission selbst. Lukas vermag also wie Matthäus die Heidenberufung seiner Zeit aus der „Geschichte" abzuleiten. Sie ist göttlicher Wille als Frucht der doppelten Verstockung Israels in Jerusalem und in der Diaspora. I n der jeweiligen zeitlich-räumlichen Voranstellung der Juden (Jerusalem und Diaspora-Synagoge) erscheint ihre geschichtlich einmalige (christliche) Heilsprärogative, die sie im Laufe ihrer Berufungsgeschichte an die zeitlich und räumlich nachgeordneten Heiden verlieren 31 . Wir haben es demnach mit einem ähnlichen Entwurf zu tun wie im MatthäusEvangelium. Dasselbe „Schema", nach dem sich Matthäus den Gang des vom irdischen Messias Israels verantworteten Heilsgeschehens vorstellt, wendet Lukas auf die kirchliche, nachösterlich-pfingstliche Judenmission in Jerusalem und in der Diaspora an. Wo bei Matthäus die Ablösung Israels durch die Heiden in den Rahmen einer vita Jesu und so zur Jesus-Geschichte gehört, ist sie bei Lukas das Ergebnis der „apostolischen" Kirchen-Geschichte im Rahmen einer von der vita 27
A.a.O. 149f. Vgl. zu Kap. 7 a.a.O. 144f.: „Die Rede des Stephanus ist für Lukas . . . im Gesamtgefüge der Apostelgeschichte die geschichtstheologische Begründung dafür, daß das Wort Gottes sich nunmehr von Jerusalem abwendet und den Heiden zuwendet . . . " 29 Im übrigen vgl. zu Kap. 7 Haenchen 238—241. 30 Vgl. 8,4fif.26ff.; 9,15; 10,1—48; 11,1—18.20. Auch Kap. 12 gehört in diesen Zusammenhang (Haenchen 330—335 verliert kein Wort über die Funktion des Kapitels im Kontext), indem es das letzte Wort zum Thema „Jerusalem" und mit ihm das Ende der Jerusalemsgeschichte vor Augen führt: Gottes Überlegenheit und Gericht über die bösen Juden (12,1—3.11!), erzählt am Beispiel des Petrus und Herodes. 31 Die Heiden empfangen dieselben Heilsgüter wie vordem Israel, vgl. z.B. 26,18 mit 2,38 und 3,19; 2,14—21.33.38 mit 10,45.47 und 11,15.17; 13,46 mit 13,48; 28,28 im Kontext. 28
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Jesu abgesetzten, speziellen Apostelgeschichte. Gemeinsam ist beiden Entwürfen das Wissen, daß die Israel-Mission nach Ostern kräftig im Schwange ging und — abgebrochen wurde. Matthäus datiert ihr Ende auf die Katastrophe des Jahres 70, Lukas läßt es mit dem Ende der Paulus-Mission zusammenfallen, setzt es also noch früher an. Für beide ist „Israel" eine Größe der heilsgeschichtlichen Vergangenheit. Hier stoßen wir auf verschiedene Ausformungen einer „heidenchristlichen" Theologie vom Ausgang des 1. Jahrhunderts, die mit dem IsraelProblem, horribile dictu, auf ihre (heilsgeschichtlich begründete) Weise „fertig" war und mit jeweils verschiedenem Material — sei's unter Berufung auf Jesus und seine Worte, sei's mit dem Rückgriff auf den „Geist" und das apostolische Wort — dieselbe heilsgeschichtliche Stunde ansagte. Lukas läßt dabei, auf die Grundmerkmale seiner Darstellung gesehen, die historisch zutreffendere und differenziertere Sicht erkennen. Wo Matthäus seltsam „geschichtslos" verfährt und unter Außerachtlassung von „Ostern" alles auf die Autorität des irdischen Herrn und seinen Raum abstellt, berichtet Lukas von der nachösterlich-geistweise geführten, umkämpften, „geschichtlichen" Entwicklung der Dinge, von Stationen, Übergängen und den entsprechenden geographischen Räumen, ohne daß damit seine Skizze mit ihrer strengen Phasen-Gliederung und jeweiligen Detailschilderung in jedem Fall schon historisch getreuer Bericht sein muß. Daß Matthäus weniger „differenziert", mag zunächst, formal betrachtet, unter dem Zwang geschehen, das Ganze im Rahmen einer vita Jesu unterzubringen. Doch hat der Verzicht auf eine ausgeführte Apostelgeschichte = Geist- und Kirchengeschichte wie bei Lukas tiefere, theologische Gründe und erwächst aus einer Sachentscheidung: aus einer Christologie, die mit unerhörter Einseitigkeit ausschließlich den irdischen (jetzt auferweckten) Herrn als Gabe, Kriterium und Souverän, kurz: als „Geist" aller vor- und nachösterlichen Heilsgeschichte gelten lassen will. — Eine aufregende Antwort nachösterlichen „Geistes" zur Frage nach der Begründung und Autorisierung gegenwärtigen Heilsgeschehens! Matthäus, darf man sagen, ist der erste („heidenchristlich" bestimmte) Vertreter einer strengen, geschichtlich-nivellierenden ipsissima-voxGläubigkeit, wo Lukas, sachlich und geschichtlich treuer, das Phänomen von Ostern-Pfingsten und seine Maßgeblichkeit für das gegenwärtige Heilsgeschehen (auf dem Hintergrund einer durchaus ernst genommenen vita Jesu!) voll zur Geltung zu bringen vermag. Daß auch Lukas nur bestimmte Motive von Rom. 9—11 verwendet, liegt auf der Hand. Das zu Matthäus und seinem Verhältnis zu Paulus Gesagte gilt cum grano salis auch für Lukas. Der Paulus der Apostelgeschichte ist eine heilsgeschichtliche Figur, an der Israel in der Diaspora seinen (christlichen) Heilsvorrang verliert und an die Heiden abgibt: der
Die Funktion der Judaismen usw.
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Heidenapostel (Rom. 11,13), der um Israels willen von Christus weg verflucht sein möchte (Rom. 9,3), als Kronzeuge eines Heidenchristentums, das „Israel" aufgegeben hat! 2. Die Funktion der Judaismen innerhalb der heilsgeschichtlichen Darstellung Johannes Weiß hat das Matthäus-Evangelium als „judenchristliches" verstanden. Die Begründung seines Verständnisses ist so durchsichtig formuliert, daß sie hier f ü r ähnliche, die Forschung bis heute beeinflussende Auffassungen zu Wort kommen soll: „Vor allem aber ist das Matthäus-Evangelium nur zu verstehen als ein auf judenchristliche Leser berechnetes Werk, natürlich auf Diaspora-Judenchristen. Der Eifer, mit dem der Verfasser den Nachweis der Messianität Jesu f ü h r t (sein Stammbaum: Abstammung von David-Abraham, und sein Schriftbeweis), die beflissene Widerlegung jüdischer Verleumdungen bezüglich der Geburt und Auferstehung Jesu, die Art, wie er den Anstoß aus dem Wege räumt, daß Jesus aus Galiläa = Nazareth kommt (2,23; 4,12—16), wie er die Sendung Jesu f ü r Israel (10,5f.; 15,24) hervorhebt, obwohl er schließlich die Aussendung der Zwölf (!) an die Heiden berichten muß (28,19), ja gerade das große Interesse, das er an der Verwerfung Israels und ihren Gründen hat (21,43), das alles zeigt ihn auf Gesichtspunkte und Interessen des Judentums eingestellt. Vor allem aber zeigt dies die Tatsache, daß er f ü r die unverbrüchliche Haltung des Gesetzes kämpft (5,18) und gegen die, welche sagen, Jesus habe es aufgehoben (5,17.19), gegen die Vertreter der Gesetzlosigkeit (7,23; 13,41); ja sogar das Zeremonialgebot will er nicht völlig fahrenlassen: ,dieses sollte man tun und jenes nicht unterlassen' (23,23); er hat das Wort stehenlassen, aus dem man eine fortdauernde Beobachtung des Sabbat bei den alten Judenchristen erschließen muß (24,20). Selbst f ü r die Lehren der Schriftgelehrten tritt er ein, wenn er auch zugeben muß, daß sie nicht danach leben (23,3). Mit diesen durchaus judenchristlichen und gesetzestreuen Anschauungen stellt er sich abseits von dem Kreise der großen heidenchristlichen Kirche.. , 32 " Der diesen Sätzen gemeinsame methodische Mangel liegt darin, daß hier die auffallenden „judenchristlichen" Texte des matthäischen Sonderguts 33 kurzerhand aneinandergereiht und in ihrer einfachen Summe f ü r den spezifischen Charakter des Matthäus-Evangeliums und seines Verfassers geltend gemacht werden. Der Ausleger unterläßt die Überlegung, ob das „judenchristliche" Überlieferungsgut auch im mat32
Das Urchristentum, Göttingen 1917, 522. Texte wie 5,23f.47 (6,7; 18,17); 6,1—4.5— 8.16—18.32; 10,23; 23,16—22 u.a. sind übergangen. 33
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
thäischen Zusammenhang judenchristlichen Interessen zu dienen hat. Er macht keinen Versuch, seine jeweilige Funktion im Kontext zu bestimmen. M. a. W. er unterscheidet nicht zwischen „Tradition" und „Redaktion" und bekommt so nicht zu Gesicht, daß der übernommene Stoff eines ist, ein anderes jedoch der literarische Gebrauch, den der Evangelien-Schriftsteller von ihm macht. Wir ordnen die einschlägigen Texte im folgenden nach sachlichen Gesichtspunkten und unterwerfen sie der neuen, im Zuge der formgeschichtlichen Forschung entwickelten Fragestellung. a) Die Partikularismen 10,5f.; (10,23;)
15,24
Über die heilsgeschichtlich-literarische Funktion dieser Sätze vgl. S. 60—63. b) Sondergut zum Thema „Israel" Ad vocem „Repräsentanten" vgl. S. 11—33, ad vocem „böses Israel" S. 38—74. In diesen Themenkreis gehören die von J . Weiß angezogenen Texte 21,43 (vgl. S. 43f.; 79—83) und 27,62—66; 28,11—15 (S. 73f.). Sie sind streng heilsgeschichtlich orientiert, einbezogen in das literarische Israel-Bild des Evangelisten: das durch die Autoritäten repräsentierte Israel ist die unbotmäßige, heils- und endgeschichtlich verworfene Generation der Berufung zur Himmelsherrschaft und als solche ein Stück Vergangenheit, Gegenstand von „Geschichtsschreibung", nicht mehr aktuelles Gegenüber des Evangelisten. c) Die Messianität Jesu α) H o h e i t s t i t e l 3 4 Es ist längst beobachtet, daß Matthäus seine Christologie, soweit sie die Darstellung des Irdischen betrifft, als einziger neutestamentlicher Zeuge konsequent messianologisch entfaltet. Jesus ist genuiner Israelii, Sohn Abrahams und als solcher Sohn Davids, wie schon der erste Vers des Evangeliums verkündigt 35 . Er ist der geborene König 36 der Juden — so sagen die Heiden (2,2; vgl. 27,11.29.3737); fürHerodes mit den Oberpriestern und Schriftgelehrten des Volks heißt das „der 34
Zum einzelnen vgl. Hummel 109ff.; Streeker 118ff.; 123£f. Vgl. den auf David und Abraham zurückgeführten Stammbaum 1,2—16. 38 Vgl. Hummel 114: „Eine Betonung der königlichen Stellung Jesu liegt darin, daß im Stammbaum David ausdrücklich ,der König' genannt (1,6) und die Geschlechterfolge über die königliche Linie geführt wird (1,7—11)." 37 Rohr und Proskynese (27,29) verstärken gegenüber Mk. 15,16ff. die königliehen Züge im Bilde Jesu. 35
Die Funktion der Judaismen usw.
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Christus" (2,4; vgl. 27,42 „König Israels"). Ein anderes Wort f ü r „Messias" ist „Sohn (Gottes)" 38 . Weil Matthäus Jesus als den geborenen Christus = Sohn (Gottes) voraussetzt, kann in der Taufgeschichte Jesus ganz entsprechend nur noch als Sohn proklamiert (3,17), nicht mehr zum Sohn adoptiert werden wie Mk. 1,11. Ein anderes Synonymon zu „Christus" ist „Davidssohn" 39 , eine Titulatur, die Matthäus stark in den Vordergrund rückt 4 0 . Entscheidend ist nun die Beobachtung, daß Matthäus diese Titel, die gemeinsam sein Messias-Bild gestalten, streng und konsequent auf den irdischen Herrn der Berufung und Verwerfung Israels anwendet 4 1 . Das Israel der Basileia-Berufung und der Messias (von damals) gehören zusammen. Was Strecker zu „Davidssohn" sagt, „daß der Davidsohntitel im Rahmen der Historisierung Verwendung findet, daß er nämlich an die einmalige, historische Situation der Zeit Jesu als der Zeit der Sendung an das jüdische Volk gebunden ist" 4 2 , gilt entsprechend auch f ü r „Christus" und „Gottessohn", wobei zu bedenken ist, daß der Messias Israels im Matthäus-Evangelium weit über den Radius seines Lebens hinaus Geschichte macht. Er bewirkt den Verlust des Heils für Israel und das neue Heilsangebot an die Heiden; er gibt z.B. auch das gültige Wort f ü r die letzte Zeit vor dem Ende (24,3—25,46) —, er, der Irdische, der als König Israels geboren wird und als Messias am Kreuz in den Tod geht und den Matthäus sorgfältig von dem zukünftigen Menschensohn-Richter 43 unterscheidet. Nach 26,64 bekennt sich Jesus vor dem Hohenpriester zu seiner Messias-Gottessohnschaft, doch von nun an 4 4 , was seine Zukunft betrifft, ist er etwas „anderes": Jedoch ich sage euch, von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der K r a f t (Gottes) sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Dem entspricht das redaktionelle Kompositionsverfahren in 24,23ff. 24,23—25 und Mk. 13,21—23 gehören zusammen, ebenso 24,26—28 und die Q-Logien Lk. 17,23f.37. Matthäus schließt 24,26ff. 38 Vgl. 2,4/15; 16,16; 26,63; 27,40.42. Gerade in dieser Synonymität, in der konsequenten Messianisierung des Gottessohnbegriffs liegt eine matthäische Eigenart der Titelbehandlung (gegen Strecker 125). 39 Vgl. 1,1/16; 21,5/9; 22,42 (S. 52, Anm. 34). 40 9,27; 12,23; 15,22; 20,30.31 (Par Mk. 10,48.49); 21,9.15; 22,42 (Par Mk. 12,35). 41 Auffällig ist die bewußte Verbindung und Parallelisierung der Anrede „Davidssohn" und „Herr" in 9,27/28; 15,22/25; 20,30.31. Der irdisch-gewaltige Messias-König, Herr der Gnade und des Gerichts für Israel, empfängt von den Seinen (vgl. Strecker 124; Hahn, Hoheitstitel 85f.) dieselbe Anrede wie der richtende Menschensohn-König (25,37.44; vgl. 7,21; 24,42; 25,11). 42 A.a.O. 119. Vgl. Hummel 122: „Die speziell auf Israel gerichtete messianische Wirksamkeit Jesu fällt mit der Zeit seines irdischen Weges zusammen." 43 Vgl. 13,41 f.; 16,27.(28); 19,28; 25,31ff. und das Zitat aus Sach 12,10ff. in 24,30. 44 πλήν λέγω ύμϊν und άπ' όίρτι. (statt καί Mk. 14,62) sind redaktionell; vgl. Trilling 86 f.
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8702 Walker, Heilsgeschichte
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium.
an 24,23—25 an 45 , um es zu präzisieren 46 . Das zeigt, daß der Erwartete f ü r ihn kein irdischer Messias mehr ist, der in der Wüste oder in Kammern zu finden wäre, sondern ein Himmelswesen von kosmischem Ausmaß, eben der Menschensohn in seiner allen sichtbaren Parusie. Im Dienste der „Historisierung" ist die matthäische Messianologie nicht nach außen, zu den „Juden" hin ausgerichtet, um ihnen die wahre Würde Jesu zu bezeugen, sondern sie ist nach innen bezogen, auf das literarische „Israel" des Matthäus-Evangeliums. Sie zeigt, wer das Gegenüber der von Matthäus beschriebenen Basileia-Generation war und warum „dieses Geschlecht" an diesem Gegenüber untergehen mußte: Israel hat seinen verheißenen König von seiner ersten Stunde an (2,1—12) mit blindwütigem Haß verfolgt und ihn schließlich gar — im Tausch gegen einen üblen Mörder 47 — ans Kreuz gebracht. Man beachte den kompositorischen Kontrast von 2,1—12 zu 1,1—-17. 18—25. Kaum ist der Nachkomme Abrahams und Davidssohn (1,1.6), der Messias (1,16.17) und Retter seines Volkes (1,21) als der auf wunderbare Weise durch Gottes selbsteigenes Schöpfertum Geschaffene angekündigt und geboren (1,18—25), bricht auch schon eine Lawine von Feindschaft und Verfolgung über ihn herein. 1,18ff. soll an seinem Platz nicht die (göttliche) Geburt Jesu gegen schmutzige Anwürfe verteidigen 48, sondern die klare Folie abgeben f ü r die Ereignisse von 2, Iff. Kap. 1 legt mit Stammbaum und Geburtsgeschichte dar, wer der ist, den Israel alsbald mit Füßen tritt — und dem die Heiden huldigen. Stammbaum und Geburtsgeschichte dienen heilsgeschichtlich-literarischen Zwecken wie 2, Iff. selbst und die folgenden Szenen, die auf die „israelitische Echtheit" Jesu abheben. Eigentlich gehört der Messias ins „Land Israel", doch umständehalber, unter dem Druck der Feindschaft Israels, kommt er, der Bethlehemit, aus Ägypten (2,13—-15) und Nazareth (2,19—23) 49 . Jesus muß hinsichtlich der Wer- und Woher-Frage als echter Messias erscheinen, weil er innerhalb des Matthäus-Evangeliums der König der Basileia-Generation zu sein h a t : nur der genuine König Israels paßt ins Geschichtsbild 50 und wird mit den entspre45 46
Vgl. Josef Schmid RNT 337f. Nun wird deutlich, warum der Messias als der Kommende nicht hier oder dort (d.h. έν τη ερήμω oder έν τοις ταμιείοις) zu finden ist, wie es der Pseudomessianität und ihrer Prophetie entspricht: er ist der überweltlich-universale Menschensohn. Matthäus hätte hinzufügen können: er ist schon — als der irdische „Christus" — dagewesen; der Messias wird nicht mehr erwartet. 47 Vgl. S. 46. 48 Gegen Hummel 111, der von „Apologetik" spricht. 49 Vgl. das Fluchtmotiv in 4,12 (gegen Mk. 1,14): Jesus entweicht nach Galiläa! 60 Dem entspricht, daß Matthäus Jesus auch auf dem Boden Galiläas betont den Messias Israels sein läßt und zu diesem Zweck „Israel" gewissermaßen nach „Galiläa" verlegt oder besser: Galiläa zur „Kernprovinz" Israels macht (vgl.
Die Funktion der Judaismen usw.
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chenden Stoffen dargestellt, die in einem «orliterarischen Stadium der Begegnung mit dem „Judentum" assertorisch oder apologetisch der korrekten christlichen Messiasdogmatik gedient haben. — Was sich am Anfang des Weges Jesu abzeichnet, steht auch über seiner öffentlichen Wirksamkeit und seinem Ende. So beschließt Matthäus die Komposition 4,23—9,35 mit der Absage Israels an den Davidssohn. In dem nur Matthäus eigenen Stück 9,27—31 rufen zwei Blinde Jesus als Davidssohn an (9,27), doch der Messias, der im folgenden die Mengen zu dem Ruf provoziert: Noch nie ist solches in Israel gesehen worden (9,35) 51 , begegnet dem heftigen Verdikt der Repräsentanten (9,34). Israel verteufelt seinen König. Dasselbe „heilsgeschichtliche Schema" findet sich in 12,22 ff. Wieder ist Jesu Davidssohnschaft im Gespräch (12,23); wieder antworten die Pharisäer mit einem Peitschenhieb, noch aggressiver als in 9,34 52 . Was jedoch in Kap. 9 ohne Fortsetzung bleibt, ist hier Ausgangspunkt einer breiten forensischen Abrechnung Jesu mit „diesem Geschlecht" 53 . Die Verwerfung seiner Messianität ist ein entscheidender Grund f ü r das definitive Gericht des Messias über die von ihm Berufenen. Das redaktionelle Schema von der Ablehnung des Davidssohnes wiederholt sich in 21, Iff. I n der Einzugs- und Tempelgeschichte stellt Matthäus (gegen Markus) den demütigen König Israels, den heilbringenden Davidssohn energisch in den Mittelpunkt (21,5.9.15) 54 . Doch Jerusalem, so betont der Evangelist, verkennt seinen König (21,10f.) 55 . Das „Hosianna dem Sohn Davids" ist im Tempel nicht willkommen (21,15f.) 56 . Diese Messiasfeindschaft beantwortet Jesus durch den Gerichtsakt 21,18f. An ihr entzündet sich die in drei Gängen vorgetragene Auseinandersetzung Jesu mit Israel von 21,12—17/21, 18f. - 21, 23—27/21, 28—22, 10 - 22, 15—46/23,1 bis 24,2, die jedesmal mit Gerichtsworten oder -Reden abschließt 57 . — Der Messias gehört also (zunächst) zu Israel. An ihm, den das ganze Volk zum Tod am Kreuz verstößt (vgl. 27,40.42), kommt Israel zu Fall. Er ist Anfang und Ende seiner Heilsgeschichte. Die Messianologie des Evangelisten ist demnach ein motivierendes Hauptstück seiner Geschichtsschreibung, die Israel mit guten Gründen (der Verwerfung des S. 33 f. und die Erwähnung Galiläas in 4,15.25): die exemplarische Hinwendung Jesu zu Israel in Wort und Tat geschieht in Galiläa. Es ist auch nicht von ungefähr, daß in 15,21ff. die Heidin Jesus als Davidssohn anruft (im Unterschied zu Mk. 7,26) — der Messias Israels antwortet ihr kein Wort. Begreiflich, denn er ist nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt, was das Weiblein nur bestätigen kann (vgl. S. 60, Anm. 65). 51 Auch die Heilung des stummen Dämonischen (9,32f.) steht nur bei Matthäus. 52 53 Vgl. S. 53 mit Anm. 35 . Vgl. S. 52—55. 54 Voraus geht 20,29—34, die Heilung zweier Blinder durch den Davidssohn, vgl. Mk. 10,46—52 (Heilung des blinden Bartimäus). 55 56 Vgl. S. 63f. Vgl. S. 65. 57 Vgl. S. 68. 9·
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Messias) als Größe der Vergangenheit bezeichnet und die von dieser Vergangenheit bis in die (letzte, gegenwärtige) Zeit der Heidenberufung f ü h r t : der Christus von damals ist zugleich Herr über die Berufung der Heiden von heute (22,9f.; 24,9.14), ist — wie schon damals (12,17 bis 21)58 — das Heil für die Heiden; er soll Gegenstand ihres Bekenntnisses (27,54) 59 und kraft seiner von dem gegenwärtigen AllHerrn bekräftigten Verbindlichkeit (28,18fF.)60 der Herr ihrer Nachfolge sein. ß) R e f l e x i o n s z i t a t e 6 1 Wie die Reflexionszitate 1,22; 2,(5).15.17.23; (3,3); 4,14; 8,17; 12,17; 13,14.35; 21,4; 27,9 zeigen, ist die Jesuszeit für Matthäus die Zeit der Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie, nämlich 1. der messianischen Weissagungen (von der Jungfrauengeburt bis zu den Silberlingen des Verräters), 2. der Gerichtsprophetie f ü r Israel (13,14fif.) und 3. der Heilsweissagung f ü r die Heiden von 12,17ff. Indem die Reflexionszitate Jesus, sein Handeln und Erleiden als Erfüllung des prophetischen Wortes für „Israel" charakterisieren, ist ihre Funktion eine streng heilsgeschichtliche. Sie besagen: das Israel des Evangeliums ist das Israel des Messias, das wahre Israel der Erfüllungszeit. Sie definieren die heilsgeschichtliche Stunde „dieses Geschlechts", auf die der Evangelist als auf die ehemalige Zeit der Erfüllung zurückblickt. Ist diese Zeit vergangen, so liegt sie damit freilich noch lange nicht abgeschlossen-erledigt dahinten 62 . Um ihres Erfüllungscharakters willen reicht sie in verschiedener Hinsicht bis in die Gegenwart des Evangelisten. In ihr erfüllt sich die Verstockungsprophetie für Israel; so eröffnet sie den Weg zur Berufung der Heiden. In ihr erfüllt sich die Heilsweissagung für die Heiden (12,17ff.); so ist sie die „heilige Vergangenheit" gerade für die Heiden von „heute". Durch das Medium des Worts empfangen sie den Messias Israels von damals in seiner gnädigen 68
59 Vgl. S. 77f. Vgl. S. 72f.; 86f. Vgl. S. 116 (mit Anm. 4). 61 Vgl. Krister Stendahl, The School of St. Matthew and its Use of the Old Testament, Act. Sem. Neotest. Upsal. 20, Uppsala 1954; Poul Nepper-Christensen, Das Matthäusevangelium, ein judenchristliches Evangelium? Acta Theol. Dan. 1, Aarhus 1958, 141ff.; Alfred Suhl, Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium, 1965, 162ff. 62 Gegen Suhl 163: Die eigentliche Heilsgeschichte, sofern sie aus dem AT begründet werden könne, sei für Matthäus in der Vergangenheit abgeschlossen; diese Heilsgeschichte könne nicht über die Zeit des Erdenwirkens Jesu hinaus in die Zukunft verlängert werden. — Matthäus kann und tut es! 60
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(12,15—21; 22,9f.), verheißenden (8,11) und fordernden (22,11—14; 25,31—46) Hinwendung an sie, als Gegenstand ihrer Anbetung und ihres Bekenntnisses (2,1—12; 27,54). Ja, sie empfangen die ganze bis in ihre Gegenwart führende, sie selbst einschließende Jesusgeschichte des Evangelisten, empfangen „dieses Evangelium vom Reich" (24,14) 63 . Der Messias Israels als die vergangene Erfüllung der Prophetie (mit ihrem Herübergreifen in die Gegenwart), der Irdische und seine Geschichte des Handelns und Redens (bis zur Berufung der Heiden vor dem Ende) ist das begründende und bestimmende Woher, ist Inhalt und Maß der für die Heiden gemünzten Berufungsbotschaft und ihres Glaubens (vgl. S. 132), ist für sie also die alles entscheidende „Mitte der Zeit" 64 . Indem die Reflexionszitate die heilsgeschichtliche Qualität einer Vergangenheit definieren, die für die Gegenwart zeitlich 65 und sachlich-gewichtig als „Mitte der Zeit" fungiert, dienen sie auch der heilsgeschichtlichen Ortsbestimmung dieser Gegenwart. Es ist die Zeit, die (vor dem Ende) von jener Mitte der Erfüllung her lebt und von ihr bestimmt ist. Die Gegenwart des Evangelisten steht eindeutig zwischen der heilvoll-anspruchsvollen Mitte der Zeit von einst und dem kommenden Ende der Zeit. 63
Vgl. S. 81, Anm. 24. Eindeutiger und strenger als im lukanischen Geschichtswerk gilt die Jesuszeit bei Matthäus als die „Mitte der Zeit". Voraus geht jeweils eine „Vorgeschichte" (für Matthäus vgl. unten Anm. 65 und S. 115 mit Anm. 2, für Lukas die Analyse von H a n s Conzelmann, Die Mitte der Zeit 12ff.). Indem Lukas seinem Evangelium eine selbständige Apostelgeschichte mit dem D a t u m „Pfingsten" und den Wegen des Geistes folgen läßt, sieht er seine Gegenwart nicht nur von der Jesuszeit und -Geschichte als der „Mitte" abhängig, sondern auch von den grundlegenden Ereignissen der Nach-Jesus-Zeit, die in der Apostelgeschichte zur Sprache kommen. Heißt bei Matthäus die f ü r die Gegenw a r t entscheidende Vergangenheit, die Mitte der Zeit, einseitig „der irdische Jesus", so bei Lukas unter Einbeziehung von Pfingsten „Jesus, der Geist und die Apostel". 65 Vgl. S. 115 mit Anm. 2 und Vers 11,12f., der an einem entscheidenden P u n k t klares Licht auf die matthäische Zeitanschauung wirft, άπό 11,12 hat inklusive, έως 11,13 exklusive Bedeutung. So mit Wolfgang Trilling, Das Evangelium nach Matthäus, Geistliche Schriftlesung 1,1, Düsseldorf 1962, 246 f. (vgl. Trilling, Die Täufertradition bei Matthäus, BZ 3 (1959) 271ff.; 276—278); E r n s t Percy, Die Botschaft Jesu, Lund 1953, 199; gegen Paul Gaechter, Das Matthäusevangelium, 1964, 367 u n d Bultmann, Tradition 178: „ . . . daß der Täufer einer vergangenen Epoche angehört." Gut Trilling, Evangelium 247: „Das Gesetz u n d die Propheten reichen bis zu ihm hin. Ihre Aufgabe war die Hinführung, die Vorausdeutung auf das Kommende. Mit dem Täufer aber h a t das Kommende bereits begonnen. Die Zeit der Weissagung ist vorbei, die Zeit der Erfüllung ist d a . " Anders als Lukas, der den Täufer ganz der alttestamentlichen „Vorgeschichte" zuordnet (16,16), gehört er bei Matthäus als Verkündiger der Himmelsherrschaft (3,2) zur Erfüllungszeit Israels (vgl. 3,3 mit matthäischer, den Reflexionszitaten ähnlicher Formulierung!), zu jener „Mitte", die mit der Verwerfung Israels in die „Nachgeschichte" der letzten Zeit mit der Berufung der Heiden übergeht. Die Propheten und das Gesetz gehören nach 11,12f. zur Forgeschichte der Heilszeit (vgl. die Propheten in den Reflexionszitaten). 61
134 d)
Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium Gesetzliches
Es ist hier nicht der Ort, ausführlich in die Auseinandersetzung um das Gesetzesproblem im Matthäus-Evangelium einzutreten. In unserem Zusammenhang sind nur die Stellen zu diskutieren, die weithin — ohne Rücksicht auf ihre Kontextfunktion — f ü r die „judenchristlichen" Interessen und das persönliche „Judenchristentum" des Evangelisten geltend gemacht werden 66 . Wir verweisen zunächst auf schon besprochene Texte. Zu 24,20 mit μηδέ σαββάτω im Kontext von Kap. 24 vgl. S. (83 bis) 86: ein Anachronismus, der als irrelevant im Text stehengeblieben ist. Gerade Matthäus, f ü r den das Gesetz Israels zur bloßen Vorgeschichte „dieses Geschlechts" gehört (11,13) und der dementsprechend Israel durch den Täufer, durch Jesus und die Boten den Gotteswillen als Predigt der Himmelsherrschaft (nicht mehr als „Gesetz"!) gesagt sein läßt (vgl. die Summarien 4,23; 9,35 mit der Überschrift „Evangelium vom Reich" f ü r die Bergpredigt), kann den Judaismus von 24,20 unbefangen wiedergeben. Er gehört f ü r ihn, obgleich der Text von der Zukunft spricht, sachlich längst der Vergangenheit an. Zu 23,3 im größeren ganzen des 23. Kapitels vgl. S. (68—)69 mit Anm. 102: literarische Verwendung zur vorauslaufenden Illustration des Heuchelei-Motivs. 23,3 a wird vom Evangelisten mehrfach ausdrücklich annulliert, ein Vorgang, der auf den grundsätzlich antiquierten Charakter der „judaistischen Nomismen" bei Matthäus aufmerksam macht. Zu 17,24—27 vgl. S. 101—103. Der Text ist seinem sachlichen Gefälle nach nicht mehr „judenchristlich" orientiert. Er entspricht einer in den Bereich der Erde und ihrer Könige vorgedrungenen Gemeinde, die sich Anwort auf sie bedrängende „politische", nicht kultische Probleme gibt. Zu 24,12 mit άνομία (vgl. 7,23; 13,41; 23,28) s. S. 84. I n diesem nur Matthäus zugehörigen Text wird, wie Schniewind treffend sagt, „die Gesetzlosigkeit . . . genauer bestimmt als Erkalten der Liebe"67. 24,12 gewährt so keinen Anhalt, sich Matthäus als im Kampf gegen „Antinomisten" befindlich vorzustellen 68 . Denn wo Gesetzlosigkeit und Lieblosigkeit einander entsprechen, ist Antinomismus als Widerspruch gegen das jüdische Gesetz mit seinen bestimmten konkreten Vor66
67 Vgl. Feme-Behm-Kümmel 65f. NTD 241. So G. Barth, Überlieferung und Auslegung 70 (vgl. 58ff.), Hummel 65. G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische, spricht a.a.O. 180 von „dem leidenschaftlichen Kampf des Matthäus gegen Verkündigung und Mission gesetzesfreier Hellenisten". — In 24,12 ist Matthäus selbst „gesetzesfreier Hellenist"! Vgl. auch seine Interpretation von 5,17—19 in 5,20ff. 68
Die Funktion der Judaismen usw.
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Schriften (vgl. 5,18f.) eine bezugsfremde Größe. M. a. W. der Begriff άνομία wird als Korrespondenzbegriff zu „Lieblosigkeit" nicht auf dem Hintergrund des jüdischen Gesetzes gesehen, sondern vom christlich aufgenommenen und „radikalisierten" Nomos her, dessen Inhalt und Erfüllung die αγάπη ist (vgl. 7,12; 22,39f.). Wenn Matthäus in 24,12 vor einem „Antinomismus" warnt, der sich im Erkalten der Liebe niederschlägt, und mit 24,13 zum Beharren (in der „Gesetzlichkeit" der Liebe) bis ans Ende auffordert, t u t er das von der Basis eines selbst „antinomistisch" im „radikalen" Sinn verstandenen Gesetzes aus! Zu 23,28. Es ist in diesem Zusammenhang nicht zu übersehen, daß Matthäus Jesus in 23,28 69 den Vorwurf der Gesetzlosigkeit ausgerechnet gegen die „Schriftgelehrten und Pharisäer", also gegen die Vertreter des Gesetzes erheben läßt (vgl. 23,2—4.23). Das endgültige Wehe über Israels Repräsentanten ist mitbegründet durch ihre άνομία, die Hand in Hand geht mit ihrer Heuchelei und sachlich wohl mit ihrer faktischen Nichterfüllung des Mose-Gesetzes gleichzusetzen ist (23,3b). Auch hier keine Spur von einem Kampf gegen christliche Antinomisten. Die „Ungesetzlichkeit" dient der heilsgeschichtlichen Motivierung. Zu 5,17ff.; 7,15ff. G . B a r t h legt dar, Matthäus habe der Bergpredigt mit 5,17ff. und 7,15fF. eine Klammer gegeben, die sich gegen die Antinomisten richte 70 — eine unhaltbare These. Die Handschrift des Evangelisten läßt sich mit Sicherheit in 5,20 ablesen („Schriftgelehrte und Pharisäer"). Dieser Vers attackiert nun keine christlichen Antinomisten, sondern das Israel der Jesuszeit in Gestalt der Repräsentanten. Die vorausgehenden, judenchristlich gefärbten Logien 5,(17).18f. bejahen das Gesetz, d.h., mit 5,20 zu sprechen 71 , eine Gerechtigkeit, die besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer und die durch die folgenden Texte der Antithesen usw. entfaltet wird. Sie haben interpretierend zu sagen, was Matthäus inhaltlich unter Erfüllung und Gültigkeit des Gesetzes nach Jota, Häkchen und kleinstem Gebot versteht: den totalen Gehorsam, die Vollkommenheit der Liebe (5,21—48), den radikalen Gottesdienst (6,1—18) usw. Die Auslegung, die Matthäus den Versen 5,17ff. durch 5,20 und die folgende Komposition gibt, läßt von einem Kampf gegen (den „jüdischen" Nomos auflösende) Antinomisten nichts erkennen. Vielmehr erweist sie Matthäus selbst als „radikalen Antinomisten", der 5,18f. durchaus nicht wörtlich nimmt. Zur besseren Gerechtigkeit gehört für ihn ausschließlich das von 5,2Iff. in concreto Dargestellte, das mit der Goldenen Regel 7,12 abschließt: das ist das Gesetz und die Propheten! 69
Diese Stelle übergeht G. Barth. A.a.O. 69; vgl. G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische 181. 71 Man beachte das feierliche, neu einsetzende, alles Vorausgehende explizierende λέγω γάρ. 70
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Weder Beschneidung noch Sabbat werden erwähnt; der Rechtsgrundsatz „Auge um Auge . . . " , das ganze Ritualgesetz 72 , alles spezifisch Jüdisch-Nomistische ist ausgeschlossen; nicht einmal Gebote des Dekalogs bleiben ihrem Wortsinn nach bestehen 73 . Die matthäische Komposition führt die (entschieden „hellenistische"!) exemplarische Gesetzesauslegung Jesu in Auseinandersetzung mit Israels Repräsentanten vor Augen und legt ebendamit den für alle Zeit (bis ans Ende) gültigen Gotteswillen, die „Erfüllung" des Mose-Gesetzes, das total „unjüdische" Gebot der Himmelsherrschaft dar. In das Thema der besseren Gerechtigkeit der Himmelsherrschaft (anstelle der Gerechtigkeit „Israels") ist auch der Abschnitt 7,15—23 einbezogen, der im Kontext jede aktuelle, für ein früheres Stadium des Textes vorauszusetzende Bezugnahme auf „Christen" verloren hat und mit 7,24—27 ad voces „den Willen meines Vaters tun" (7,21) und „diese meine Worte tun" (7,24.26) zusammenkomponiert wurde. Mit 7,15ff. und 7,24ff. will der Redaktor nach der Goldenen Regel 7,12, die den zuvor entfalteten Gotteswillen in grundsätzlicher Formulierung zusammenfaßt, und nach der „eschatologischen Aufforderung" 7,13f. (den schmalen Weg-zum-Leben zu gehen), die der Sache nach eschatologisch motivierte Paränese zum Tun der vorher konkret genannten besseren Gerechtigkeit ist — mit 7,15ff. und 7,24ff. will Matthäus die vorausgehenden Imperative der Bergpredigt eschatologisch einschärfen (7,21—23; 7,24—27) und vor ihrer Nicht-Verwirklichung warnen. Die ganze Komposition 7,13—27 steht unter der Überschrift „Eschatologische Verbindlichkeit der besseren Gerechtigkeit". Mit 7,28f. beschließt Matthäus dann den ganzen Komplex mit deutlich „antiisraelitischer" Ausrichtung, die der von 5,20 entspricht. Die Mengen entsetzen sich über Jesu Lehre, denn 74 er lehrt sie als ein von Gott Bevollmächtigter und nicht wie ihre (vollmachtslosen) Schriftgelehrten. Aus Mk. 1,22, einer relativ unbetonten, summarischen Redeschilderung innerhalb der Synagogenszene 1,2 Iff., macht Matthäus ein wuchtiges Finale, das die Bedeutungslosigkeit und Überholtheit „ihrer Schriftgelehrten" durch den vollmächtigen Messias und Prediger der Himmelsherrschaft scharf markiert. 72
Vgl. 15,17f. 5,21ff.28ff. Die Verse 5,23f. zeigen, was zur Jesuszeit Nicht-Töten für die Kultgenossen in Jerusalem bedeutet; Jesus deklariert den absoluten Vorrang der Versöhnung vor dem Kult. Für Matthäus, der auf das Jahr 70 und so auch auf den Tempelkult zurückblickt, hat 5,23 f. nur noch Illustrationswert. Ähnliches gilt für 5,34f. Jesus erläutert das Schwurverbot mit dem Hinweis auf Jerusalem, die „Stadt des großen Königs". — Die Sprache des Judenkönigs von damals (vgl. 5,47; 6,32)! Für den Evangelisten ist 5,34 f. wie 5,23 f. reines Predigtbeispiel (ebenso 5,22 b). 74 Das Entsetzen ist hier also anders begründet als in den Wundergeschichten: 7,29. 73
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Die ανομία von 7,23 kann in ihrem jetzigen literarischen Kontext (innerhalb der matthäischen Komposition der Bergpredigt) nur noch die „Ungesetzlichkeit" der Lieblosigkeit meinen (vgl. 24,12). Im Sinne des Evangelisten ist άνομία, hier durchaus „antinomistisch", zum Inbegriff f ü r ein Handeln geworden, das dem verzehrenden Anspruch des von Jesus bejahten und auf seine Weise neu, „unjüdisch" und „ungesetzlich" angesagten Gotteswillens nicht zu genügen vermag 75 . Zu 23,23. Der „judenchristliche" Text hält an der Gültigkeit der Verzehntungsvorschriften fest, obgleich er das Schwergewicht des Gesetzes in „Recht, Barmherzigkeit und Treue" erkennt. Er wird wie 23,3 76 vom Evangelisten an anderer Stelle mehrfach kräftig durchgestrichen, so in der programmatischen Verkündigung des Gotteswillens der Bergpredigt (vgl. 7,12), aber auch in 22,34ff. — mit dem Zusatz 22,40! — und 24,12; 9,13; 12,7. Was Jesus in seiner letzten großen Abrechnung mit Israel den Repräsentanten entgegenhält, ist zu ihrem Gericht gesagt und besiegelt Israels heilsgeschichtliches Ende, d.h. die „Nomismen" 23,3.23 haben f ü r Matthäus ausschließlich Kontextfunktion: sie dienen f ü r die Jesuszeit dem Wehe über Israel, besitzen heilsgeschichtlich-beschränkte „forensische" Bedeutung; sie gehören von ihrem Rahmen her nicht zur Verkündigung des Gotteswillens der Basileia (für Jesuszeit und alle Zeit bis zum Ende), tragen keinen imperativisch-paränetischen Akzent und scheiden so f ü r die Frage nach dem „Gesetz" bei Matthäus aus. Zu 19,3.9; 5,32 sagt Werner Georg Kümmel: „Er (Matthäus) bildet Berichte im Sinne einer spezifisch rabbinischen Fragestellung um: statt der allgemeinen Frage ,darf ein Mann seine Frau entlassen?' Mk. 10,2 läßt Mt. 19,3 die Pharisäer fragen: ,darf man seine Frau entlassen κατά πάσαν αΐτίαν?' und gleicht damit die grundsätzliche Frage der kasuistischen Diskussion über die erlaubten Scheidungsgründe an. Dementsprechend fügt er der unbedingten Aussage Jesu ,Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, bricht mit ihr die Ehe' Mk. 10,11 die sog. Unzuchtsklausel μή επί πορνεία 19,9 (ähnlich 5,32) ein und läßt Jesus damit die strenge, aber doch bedingte Anschauung der Schammaiten vertreten . . . 7 7 " . Vgl. dazu S. 42 mit Anm. 7. Kümmel beachtet nicht, daß die Repräsentanten bei Matthäus die typisch „israelitische" laxe Scheidungspraxis κατά πασαν αίτίαν vertreten 7 8 , der Jesus 75 Über den Inhalt von άνομία 13,41 läßt sich von Wortlaut und Kontext aus nichts Näheres aussagen. Man kann vermuten, daß Matthäus es ähnlich wie in 7,23; (24,12) aufgefaßt hat. 76 77 Vgl. S. 134 . Feine-Behm-Kümmel 65. 78 Die Änderung im Sinne „spezifisch rabbinischer Fragestellung" dürfte kaum auf das Konto eines Evangelisten gehen, der so wenig Konkretes vom „Judentum" weiß wie Matthäus — z.B. daß „Hillel" niemals für „Israel"
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die rigorose Praxis des „Anfangs" entgegenstellt (19,4—8). Es ist anzunehmen, daß Matthäus nach der grundsätzlichen Absage-an-Israel von 19,4—8, die er energisch an die Spitze rückt, mit dem (übernommenen, christlich-kasuistischen?) Vers 19,9 noch den besonderen Protest Jesu gegen das κατά πασαν αίτίαν von 19,3 zur Sprache bringen will: wer seine Frau nach „Israels" Sitte, nämlich „außer auf Grund von Ehebruch" ( = um jeder Ursache willen) entläßt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch. Ähnlich verhält es sich mit 5,32.Wieder ist es — mit 19,3 -— die Prämisse des Evangelisten, daß „Israel" die Ehescheidung „ausgenommen auf Grund von Ehebruch" betreibt, und wieder wird diese Praxis (wohl mit einem ursprünglich christlichklausulierenden Logion?) nach der vorausgeschickten „Grundsatzerklärung" von 5,27—30 nachtragsweise resolut verworfen. Man beachte den Kontext: es geht um die positive Darstellung der Gerechtigkeit, die besser ist als die der „Schriftgelehrten und Pharisäer". Zu 12,1—8.9—14 vgl. das von Hummel S. 40—45 Ausgeführte. Während Mk. 2,23—28 auf die völlige Aufhebung der Gültigkeit des Sabbatgebots hinziele, gehe es Mt. 12,1—8 (bei grundsätzlicher Anerkennung des Sabbats wie 24,20) um die Rechtfertigung der Liebeserweisungen am Sabbat für die „Kirche des Matthäus", um eine vorbereitende Beweisführung zu 12,9—14 mit der These 12,12, die von Anfang an das Ziel der Argumentation sei. Nun ist jedoch 12,7 b (mit dem Gedanken der Jüngerunschuld) keineswegs auf eine vorausgehende „Liebeserweisung" bezogen; nach 12,1 raufen die hungernden 79 Jünger am Sabbat Ähren aus. Auch ist nicht einzusehen, inwiefern Matthäus ab 12,5 stillschweigend die „Überordnung" des Liebesgebots über das Sabbatgebot voraussetzen soll; das Stichwort έλεος erscheint als neues, zusätzliches Motto erst mit 12,7. Das Verhalten der Jünger wird wie bei Markus zunächst durch den „Präzedenzfall" Davids gerechtfertigt (12,3f.), dann durch den Hinweis auf den, der mehr ist als der Tempel. Wenn schon die Opfer den Sabbat verdrängen, wieviel mehr verdrängt ihn Jesus — als Messias und allein vollmächtiger Verkündiger des Gottes willens, wie man im Sinne des Evangelisten ergänzen muß 80 . Damit ist die Argumentation ins Grundsätzliche geraten: Jesus ist stehen kann. Sie gehört zu der ihm vorliegenden Textgestalt, wie man annehmen muß, die er seinen Zwecken dienstbar machen kann, weshalb er sich hier nicht an den Markus-Text anschließt. 79 έπείνασαν fehlt Mk. 2,23. Gut Hummel 41: „Die Lage der Jünger sollte der Davids . . . angeglichen werden (v. 3)." Zugleich läßt der Hunger der Jünger die These der Pharisäer von 12,2 (Mk. 2,24 Frageform) als hart und lieblos erscheinen: „böses Israel"! 80 Jesu Wort gilt auch noch, wenn der Tempel in Schutt und Asche liegt: für die Zeit Israels und alle Zeit nach 70 bis ans Ende.
Die Funktion der Judaismen usw.
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„Herr des Sabbats" 81 . Das einzelne Sabbatvergehen der Jünger wird gerechtfertigt durch die totale Sabbat-Überlegenheit Jesu, der den Sabbat außer Kraft setzt und an seine Stelle tritt. Das wird durch 12,7 bestätigt. Die Jünger sind unschuldig auch angesichts des von Jesus mit der Schrift angesagten Gotteswillens „Barmherzigkeit und nicht Opfer", der die Absage an den Nomos unter Einschluß des Sabbats enthält 82 ; vgl. 7,12; 9,13; 22,34—40. Weil der Gotteswille „Opfer" ausschließt und nichts als „Erbarmen" meint, sind die Jünger unschuldig. Sie haben mit ihrem Ährenausraufen durchaus nicht gegen Gottes Liebes-Willen gehandelt. Von einer Rechtfertigung der „Liebeserweisungen" für die Sabbatpraxis der „Kirche des Matthäus" ist mit alledem nicht die Rede. 12,1—8 steht jenseits des Gesetzes83. Matthäus benützt den Text, um „Israels" ungerechtfertigte Vorwürfe gegen die hungernden Jünger darzustellen: Bosheit und Unverstand der Pharisäer in der Sabbatfrage sind mit Händen zu greifen. Das innere Ziel der Perikope ist nicht 12,12, wie Hummel meint, sondern 12,14, der Todes-Anschlag der Repräsentanten, und die sich anschließende Szene 12,15—21 84 . Israels Versagen in der Sabbatfrage provoziert seine Todfeindschaft gegen Jesus — und die Erfüllung der Heilsweissagung für die Heiden zur Jesuszeit. Für Matthäus bildet 12,1—8 einen Stein im Mosaik seiner Messiasgeschichte, die schon in ihrer Mitte (verborgen) und vollends an ihrem Ende über Israels böswillige, totale Unkenntnis des Gotteswillens zum Heil für die Heiden führt (für den Anfang vgl. 81 Das „rabbinische", auf Außerkraftsetzung des Sabbats zielende Argument mit dem Schluß a minori ad maius ist „rabbinisch" wenig beweiskräftig. W a r u m sollte der Messias größer sein als der Tempel? — Eine „hellenistische" These aus der Debatte u m das Gesetz, die Matthäus wie 12,11 f. (vgl. S. 140) schon vorgelegen hat. 82 Mit Strecker 32: „Die Sabbatbeobachtung als Ausdruck der Zeremonialgesetzlichkeit (θυσία) und das ethische Handeln (ελεος) stehen einander als grundsätzliche Möglichkeiten gegenüber." Mit 12,7 wendet Jesus im m a t thäischen Sinne seine „Bergpredigt", den grundsätzlichen Gotteswillen der Himmelsherrschaft von 5,21—7,12, kritisch gegen das Gesetz Israels (so auch 9,13). I n der Auseinandersetzung Jesu mit Israel von 12,1—8 wird deutlich, was Gottes Wille der Himmelsherrschaft für „damals" (und „ h e u t e " bis ans Ende) ist: E r b a r m e n und nicht „Religion". Auch 12,7; 9,13 wird ein „hellenistisches" Argument aus der vormatthäischen Gesetzesdebatte sein. Ob Matthäus die Motive 12,5f./7 schon verbunden vorfand oder sie selbst zusammenstellte, m u ß unentschieden bleiben. 83 Ganz anders Mk. 2,23ff. 2,27 t r i t t hinsichtlich der Ähren ausraufenden Jünger für die „Menschlichkeit" des bejahten, nämlich wegen des Menschen geschaffenen und ihm zugeordneten Sabbats ein. Jesu Herrsein über den Sabbat 2,28 beinhaltet (nach 2,27) die Menschendienlichkeit des (anerkannten) Sabbats, nicht seine Aufhebung, während bei Matthäus nach 12,5 f. έλεος programmatisch gegen θυσία steht und Jesu Herrsein über den Sabbat unter dieser Prämisse ausgesagt wird. Der Gedanke an „die grundsätzliche Freiheit der Gemeinde von der Observanz des Sabbatgebotes" (Hummel 41) ist dem Markus-Text völlig fremd. 84 Zum Zusammenhang mit 12,15—21 vgl. S. 77f.
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
2,1—12). Auch 12,1—8 als Szene aus der „Gesetzesdebatte" hat — zusammen mit 12,9—14 — heilsgeschichtlich-ätiologische Bedeutung. Wie Jesus nach Mk. 3,1—5 für „Liebe am Sabbat" eintritt, so auch in Mt. 12,9—1385. Die Auseinandersetzung mit den Pharisäern mündet in den Satz 12,12 b aus: Somit ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun. Der Text setzt eine Situation voraus, in der es um „Freigabe des Sabbats für die Liebestat" 86 ging, nicht um Freiheit vom Sabbat überhaupt. So gehört er — zusammen mit den „rabbinischen" Erweiterungen 12,11 f. — einem Stadium der Gesetzesdebatte an, die für Matthäus, den Redaktor, vergangen ist (12,1—8!). Er gebraucht 12,9—13 nach 12,1—8 literarisch zur Illustration des zuvor konstatierten Satzes „Barmherzigkeit und nicht Opfer". Jesus kämpft für das von ihm vollmächtig verkündigte, allein gültige Erbarmen, was ihm Israels Todfeindschaft einträgt. Zu 15,1—20. Hummel empfindet bei 15,2—6 deutlich, daß es sich hier — in seinem Sinne — um die radikalste Stelle bei Matthäus handelt 87 . Dennoch behauptet er: „Für Matthäus und seine Kirche hat die schriftgelehrte Tradition grundsätzlich Autorität 87 ." Ähnlich ist es mit 15,17—20. Hummel muß zugeben: „Was er sagt, bedeutet, zu Ende gedacht, die Aufhebung der kultischen Reinheitsvorstellungen des Pharisäismus und des Alten Testaments 88 ." Doch hindert ihn das nicht, im selben Atemzug festzustellen, von einer Aufhebung der alttestamentlichen Speisegebote und ihrer pharisäischen Auslegung könne bei Matthäus keine Rede sein88. Zunächst ist deutlich, daß der Vorwurf der Repräsentanten in 15,2 präziser und schärfer gefaßt ist als Mk. 7,5 (Six τί ού περιπατοΰσιν . . . κατά τήν παράδοσι,ν . . . ; ) : Warum übertreten deine Jünger die Uberlieferung der Ältesten? Ihm folgt sofort die schroffe Gegenthese, während Markus das Jesaja-Zitat bringt (7,6f.): Warum übertretet hinwiederum ihr das Gebot Gottes wegen eurer Überlieferung 89 (15,3; 85 Daß in der Fragestellung von Mk. 3,4 als solcher bereits die Ablehnung des Sabbatgebots enthalten sei (Hummel 45) ist eingetragen. Auch Mk. 3, Iff. stammt aus einer Situation und Zeit, die den Sabbat als gegeben voraussetzte und Freiheit für das Wohltun am Sabbat forderte: Ist es erlaubt, am (bestehenden!) Sabbat wohlzutun? Gegen Hummel 45: „Markus nimmt die Frage, ob die Heilung am Sabbat erlaubt sei, zum Anlaß, das Sabbatgebot und den ausgesonderten Bereich des Kultischen überhaupt aufzuheben." 86 87 88 Hummel 45. . A.a.O. 47 . A.a.O. 48. 88 „Eure (— Israels) Überlieferung" statt „Überlieferung der Menschen" Mk. 7,8 bedeutet angesichts 15,9 = Mk. 7,7 keine „Erleichterung". In der These 15,6b fehlt καί παρόμοια τοιαύτα πολλά ποιείτε aus Mk. 7,13. So hat die „Außerkraftsetzung des Wortes Gottes" nichts Spezielles mehr wie bei Markus. Der Text sagt, was die Repräsentanten grundsätzlich tun, was das folgende Zitat 15,8 f. nachdrücklich unterstreicht, διδάσκοντες κτλ. bringt die letzte, wuchtige Steigerung der Antwort Jesu, ihren Höhepunkt! Hummel notiert wohl das Fehlen der „Menschenüberlieferung", ignoriert jedoch die Tendenz der matthäischen Komposition.
Die Funktion der Judaismen usw.
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vgl. 15,6) ? Man erkennt mit einem Blick zwei Lager. Dort „Israel", das f ü r seine Überlieferungen eintritt; die Heuchler (15,7) mit Lehren, die Menschensatzung sind; hier Jesus, der Vertreter des Gottesgebotes und -wortes, das er in Anknüpfung an den Vorwurf der Repräsentanten von 15,2 in 15,11 abschließend so formuliert: Nicht was zum Munde eingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was zum Munde ausgeht . . . Daß sich im matthäischen Sinne mit Jesus und seinen Kontrahenten zwei unversöhnliche Welten gegenüberstehen, zeigen die von ihm selbst beigebrachten Verse 15,12—14, die das Vorausgehende eigenwillig interpretieren. Die Pharisäer kommen am Gottes-Wort Jesu zu Fall. Laßt sie! Mögen sie zu Fall kommen! — Der Evangelist nimmt die „Gesetzesdebatte" zum Anlaß, um Jesus „Israel" das unausweichliche Gericht ankündigen zu lassen (15,13f.). 15,1—11 motivieren den Gang der Heilsgeschichte; auch diese Verse sind f ü r Matthäus ein Stück heilsgeschichtlicher „Ätiologie". Die „Gesetzesdebatte" bringt es an den Tag, warum Israel, das sich auf die Menschengebote versteift, „ausgerissen" wird: gottloses (15,13: πασα φυτεία ήν ούκ έφύτευσεν δ πατήρ μου), blindes Israel! Wie der Evangelist bei dieser sachlich und zeitlich eindeutig „nachisraelitischen" Textgestaltung der schriftgelehrten Tradition doch „grundsätzlich Autorität" zuerkennen soll, muß Hümmels Geheimnis bleiben, der 15,12—14 und seine Funktion im Kontext gründlich außer acht läßt. Matthäus steht jenseits aller „schriftgelehrten Tradition". Sie ist ihm eine Sache Israels von damals, die der Messias schon zu seiner Zeit mit dem Gottesgebot und -wort überwunden hat. Auf diesem Hintergrund wird ab 15,15 der von Jesus vertretene, in 15,11 formulierte Gottesentscheid (der bis ans Ende gilt) positiv entfaltet. Mk. 7,18 ού δύναται αύτον κοινώσαι und 7,19b καθαρίζων πάντα τά βρώματα fehlen bei Matthäus 9 0 . Gleichwohl stehen sich hier Israels rituelles und Jesu „ethisches" Verständnis der menschlichen Unreinheit als einander schroff ausschließende Möglichkeiten gegenüber: Was aus dem Munde ausgeht, kommt aus dem Herzen, und das verunreinigt den Menschen! „Der Akzent liegt klarer auf dem christlichen' Sittengesetz im Gegensatz zur Zeremonialgesetzlichkeit 91 ." Ein Interesse des Evangelisten, die Gegensätze möglichst abzuschwächen (Hummel 47), läßt sich mit alledem nicht feststellen. Der Matthäus-Text ist knapper gehalten als Mk. 7,17ff., deckt sich jedoch sachlich vollständig mit ihm, was Hummel selbst wider Willen zugeben muß. Daß er dennoch (an80 15,11 bietet die grundsätzlich antirituelle These in aller Form dar: Nicht was zum Munde eingeht, verunreinigt den Menschen . . . 15,17ff. ist bei Matthäus in strenger Durchführung von 15,15 (!) die Deutung dieser These, die deshalb nicht noch einmal vorgetragen wird. Matthäus strafft den Markus-Text. 91 Strecker 31.
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Die Heilsgeschiehte im Matthäusevangelium
gesichts der These 15,11 und ihrer Erklärung in 15,17fF.!) den Satz schreibt, von einer Aufhebung der alttestamentlichen Speisegebote und ihrer pharisäischen Auslegung könne bei Matthäus keine Rede sein, ist exegetisch nicht zu rechtfertigen. e) Einzelzüge Schließlich sind noch bestimmte Einzelzüge des Evangeliums zu besprechen, soweit sie in der Literatur für das „Judenchristentum" des Verfassers geltend gemacht werden. Zu 5,226.23/.34/. vgl. S. 126, Anm. 73. Zu 5,47; 6,7.32; 18,17 vgl. S. 87—89. Zu 12,5/. 11/. vgl. S. 138 f. mit Anm. 81. Zu 23,15.16—22.25/. Wir haben „judenchristliche" Materialien von sehr verschiedenen Voraussetzungen und Tendenzen vor uns (23,16 bis 22: Gültigkeit und „Heiligkeit" des Tempels und Altars — 23,25f.: Verwerfung des Zeremonialgesetzes zugunsten des „Sittengesetzes" 92 ), die der Evangelist zusammen mit 23,13.23.27f.29ff. alle gleichwertig nebeneinander (!) in die Weherede Jesu wider die Repräsentanten eingliedert. Matthäus versteht sie unterschiedslos als „polemische" Stoffe und benützt sie so (vgl. zu 23,23 S. 137). Die unterschiedlichen, dem Evangelisten vorliegenden „Judaismen" liefern nur noch den Begründungs-Stoff für das Ende „Israels" — das ist die eine Bedeutung, die sie für Matthäus innerhalb Kapitel 23 besitzen. Zu 15,2; 23,5.24.27: „Jüdische Gebräuche, Ordnungen und Redensarten erläutert er nicht 93 ." Die weitläufigen Erörterungen von Mk. 7,2 bis 4 über das Händewaschen fallen in 15,2 wohl auch um der äußeren, strafferen Form willen weg, doch entscheidend ist ein anderer, sachlicher Grund. Sie sind überflüssig, nachdem Israel für Matthäus und seine heilsgeschichtliche Stunde keine aktuelle Bezugsgröße mehr ist; der Markus-Text verrät, daß auf seiner Traditionsstufe das „Judentum" ein fremdes und doch noch nahes, der Explikation wertes Ding war. Anstelle der erörternden, dem sachlichen Verständnis dienenden Erklärung Mk. 7,2—4 totalisiert Matthäus die thetisch-„polemische" Erklärung des rituellen Israel, die schon bei Markus angelegt ist: „Heuchler" 94 , „Pflanzen, die mein Vater nicht gepflanzt hat", „blinde Blindenleiter" — an die Stelle von Mk. 7,2—4 tritt 15,12—14! Was erklärt werden muß, ist nicht mehr das rituelle Detail, sondern die heilsgeschichtliche Stellung ( = Vergangenheit) Israels. Auch die 92
Zur näheren Begründung vgl. Strecker 31 f. Feine-Behm-Kümmel 65. Geißelnde Anrede 15,7; steckt der Sache nach schon in Mk. 7,6 περί ύμών των υποκριτών. 93 94
Die Funktion der Judaismen usw.
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Judaismen der übrigen Texte läßt Matthäus ohne Sacherklärung. Das „jüdische" Konkretum interessiert ihn nicht, sofern er es überhaupt versteht. Seine „Sacherklärung" der Texte liegt im Kontext von Kap. 23; er begreift sie als Beiträge zum Ende der Heilsgeschichte Israels, also doch wohl „heidenchristlich". Zu 1,23; 5,22; 27,6. Matthäus fügt semitische Wörter ein! Durchaus— mit interpretierendem Zusatz (1,23; vgl. 27,33) oder ohne Übersetzung in Texten, die den übernommenen Terminus allein aus dem Kontext verständlich machen, ρακά 5,22 ist in Parallele zu μωρέ klar als Schimpfwort erkenntlich; κορβανας 27,6 wird durch ούκ εξεστιν βαλεΐν . . . εις τον κ. und έπεί τιμή αίματος έστιν hinlänglich als „heiliges Gefäß" oder „heiliger Schatz" (des Tempels 27,5) charakterisiert. Zu 6,24; 10,4.25; 27,33. Matthäus übernimmt auch völlig unbefangen semitische Wörter! Ja, sofern er sie erklärt — 27,33; zu 10,25 vgl. 12,24 — oder aus dem Kontext interpretiert. So empfängt μαμωνας 6,24 seinen deutlichen Sinn von 6,19ff. und 6,25ff. her. In 10,4 beläßt der Evangelist 6 Καναναϊος (ungedeutet) neben Σίμων, um die Individualität dieses Simon gegenüber Simon Petrus (10,2) festzuhalten. An keiner Stelle, wo Matthäus semitische Termini einfügt oder übernimmt, setzt er „judenchristliche" oder „jüdische" Spezialkenntnisse voraus. Er schreibt in jedem Falle so, daß ihn jeder NurGrieche ohne besondere Mühe verstehen kann 95 . Zu 24,9. Daß nach dieser Stelle , , . . . die Jüngerschaft das Schicksal der ,Juden' unter den Heiden erleidet" 96 , ist dem Text aufgezwungen 97 , der in Übereinstimmung mit dem Vorausgehenden das heilsgeschichtliche Ende Israels voraussetzt. Die „Jünger" stehen in der letzten Zeit vor dem Ende den Heiden gegenüber und erleiden dementsprechend von ihnen Verfolgung, nicht mehr von Israel wie zur Jesuszeit 98 . Zu 5,6.10.20; 6,1.33; 21,32. Kümmel sagt: „Matthäus gleicht die Sprache Jesu der jüdischen Formelsprache an 9 9 ." Gewiß wird das vom Jünger (und aller Welt) geforderte Verhalten bei Matthäus als δικαιοσύνη bezeichnet, doch läßt das keinen Schluß auf einen „judenchristlichen" Evangelien Verfasser zu. Es zeigt sich, daß der Evangelist die „Gerechtigkeit" in 5,20 und 21,32 als scharfe Waffe Jesu im Kampf gegen Israel versteht (vgl. 6,1). Die bessere Gerechtigkeit des Messias löst die der Schriftgelehrten und Pharisäer ab 100 . Und Johannes, der Bote der Himmelsherrschaft, kam mit dem Weg der Gerechtigkeit — und Israel hat ihn abgewiesen; ein Grund mehr für seine definitive 95 Zu diesen Markus-Texten fehlt im Matthäus-Evangelium das semitische Pendant: 3,17; 5,41; 7,11.34; 10,(46).51; 14,36! 96 Günther Bornkamm, Überlieferung und Auslegung 19. 97 Vgl. Kümmel, Einleitung 66. 98 89 Vgl. S. 76f.; 83f. Kümmel 66. 100 Zu 5,20 in Verbindung mit 7,28 f. vgl. S. 135 f.
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Gerichtsverfallenheit 101 . Auch die δικαιοσύνη-Texte sind eingebettet in die „heidenchristliche" Gesamtdarstellung des Evangelisten. Wieder ist streng zwischen übernommenem Gut und seiner redaktionellen Anwendung zu unterscheiden. Das gilt auch für βασιλεία των ουρανών102. Keine Frage, daß dies für Matthäus, was den Inhalt der „Predigt" zu den verschiedenen Zeiten anlangt, der entscheidende heilsgeschichtliche Kontinuitätsbegriff ist, der es ihm erlaubt, den Täufer, Jesus, seine Boten und die „Jünger" der letzten Zeit vor dem Ende 103 jeweils zueinander und zur künftigen Himmelsherrschaft selbst in Beziehung zu setzen. Sie alle sind Prediger der kommenden Basileia, die freilich schon zu Jesu Lebzeiten Israels heilsgeschichtliches Ende bedeutet und ihm für die Zukunft unweigerlich verschlossen ist. — Stoßen wir hier nicht wieder auf die „heidenchristliche" Verwendung eines „judenchristlichen" Motivs? Zu 6,9ff. „Matthäus nimmt das Vaterunser 6,9ff. in einer durch die Anrede, die Siebenzahl der Bitten und die Formulierung der Vergebungsbitte (6,12 όφειλήματα statt αμαρτίας Lk. 11,4) jüdischem liturgischen Brauch angenäherten Form auf 104 ." Auch das ist richtig, doch in welchen Rahmen fügt Matthäus das Vaterunser dieser Gestalt ein ? Der Evangelist zeichnet das mit „so sollt ihr beten" hervorgehobene und als das wahre Gebet (des vollmächtigen Messias) verstandene Vaterunser auf dem Hintergrund der perversen Gebetspraxis Israels 105 . Das rechte, „nichtisraelitische" Gebet ist das Vaterunser. So richtet der „heidenchristlich" orientierte Evangelist seinen jüdisch-liturgischem Brauch angepaßten Stoff aus! Zu 23,9. Auch die häufige Wendung „euer Vater (in den Himmeln)" kann Matthäus in seine gegen „Israel" gezielte Geschichtsdarstellung einbeziehen106. Nach 23,9 ist den Jesusjüngern die „israelitische" Rabbi- und Vateranrede verboten. Der eine Meister schließt Israels Lehrerschaft, der eine Vater im Himmel Israels „Vaterschaft" aus. Auch die Bergpredigt mit ihrer Absage an Israels Gerechtigkeit ist im Namen „eures (deines) Vaters (im Himmel)" gesprochen. Ja, der Vater ist hier geradezu der neue und andere Gott, dessen eigene Vollkommenheit das neue Maß des Handelns setzt (5,45.48) und an dem Israels religiöse Praxis jäh zerbricht (6,1.4.6.8.9.14.15.18). Auch der Vatername Gottes vermag den Evangelisten nicht als Judenchristen auszuweisen. 101
Vgl. S. 65 f. mit Anm. 92. βασιλεία τοϋ θεοϋ bei Matthäus nur 12,28; 19,24; 21,31.43. Vgl. 3,2; 4,17.23; 9,35; 10,7; 24,14 und S. 80f. 101 105 Kümmel, Einleitung 66. Vgl. S. 49 mit Anm. 22. 106 Über die sonstige Verwendung des Begriffs braucht hier nicht gehandelt zu werden. Zur traditionsgeschichtlichen Fragestellung vgl. Gottlob Schrenk, ThW V 985f. 102
103
Zur F o r m des Matthäusevangeliums
3. Zur „Form" des
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Matthäusevangeliums
a) Polemisch-apologetische Kampfschrift ? Die vorliegende Untersuchung ergab, daß das Matthäus-Evangelium „Israel" als zurückliegendes Phänomen der Heilsgeschichte betrachtet und die neue heilsgeschichtliche Stunde als die der Heidenberufung ansagt. Die „apologetischen" und „polemischen" Züge des Evangeliums sind in Wahrheit Ingredienzien seiner heilsgeschichtlichen Darstellung. Alle „Polemik" ist auf das Israel der Basileia-Boten bezogen; alle „Apologetik" dient dem Nachweis der Messianität Jesu für das literarische „Israel" des Evangelisten. Von hier aus muß der Versuch, das Matthäus-Evangelium als polemische oder apologetische Kampfschrift an die Adresse des „Judentums" zu bestimmen 107 , als unsachgemäß abgelehnt werden. b) Kerygmatisches
Geschichtswerk
Bei der Suche nach der Form des Matthäus-Evangeliums wurden noch folgende Möglichkeiten erwogen 108 : Das Matthäus-Evangelium ist ein katechetisches Handbuch 109 , ein nach fünf Büchern gegliedertes 107 Th. Zahn, Einleitung in das N T I I , 2. Aufl. 1900, 288: „ E s ist eine geschichtliche Apologie des Nazareners u n d seiner Gemeinde gegenüber dem J u d e n t u m . " Oder 289: „Aber wie die Wahl der Sprache . . . so macht der scharf hervortretende apologetische u n d polemische Charakter des Buches es überwiegend wahrscheinlich, daß Matthäus sein Buch vor allem von noch nicht gläubigen J u d e n gelesen zu sehen wünschte." Vgl. auch B. W. Bacon, The „Five Books" of Matthew against t h e Jews, The Expositor, 8th ser. 15 (1918) 56—66; J . Parkes, The Conflict of t h e Church and the Synagogue, London 1934, 43: „The gospel was written to convince t h e Jews t h a t in Jesus ,the promises made to Israel' h a d passed from t h e Jews to the Christian Church." — Beachtlich die Einwände schon von P . Schanz, Commentar über das Evangelium des heiligen Matthäus, 1879, 37: „Die entschieden heidenchristlich lautenden Stellen, die absichtliche Betonung der schweren Schuld des jüdischen Volkes und seiner Parteiführer, die wiederholte Drohung der Verwerfung und Verdammung sind mit dem Zweck der Bekehrung der J u d e n unvereinbar. Wie m a n den J u d e n gegenüber, die m a n bekehren wollte, auftreten mußte, zeigt Petrus Act 2,24ff. . . . u n d 3,17, wo er sie geradezu entschuldigt. . . " Besonders zu erwähnen ist K . W . Clark, The Gentile Bias in Matthew, J B L 66 (1947) 165—172,167 f.: „The Matthean picture of judgment and rejection is not presented as a warning t o Judaism to repent. The author believes t h a t the warning has already been sufficient, and penitence is no longer to be expected . . . J u d a i s m (!) as such has definitely rejected Jesus as God's Messiah, and God has finally rejected Judaism. This gentile bias is t h e primary thesis in Matthew, and such a message would be natural only from t h e bias of a gentile author." joe Vgl. Trilling 216£f. 108 E . von Dobschütz, Matthäus als R a b b i u n d Katechet, ZNW 27 (1928) 338—348, 344: eine Art Gemeindeordnung u n d einen Katechismus christlichen Verhaltens"; Stendahl, School 24f.; G. Schille, Bemerkungen zur Formgeschichte des Evangeliums I I , N T S 4 (1957/58) 101—114, 113: „ E r schreibt sein Werk in der Art eines Katechismus"; Gnilka 191.
10 8702 Walker, Heilsgeschichte
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
Werk der „neuen Tora" Jesu 110 , ein gottesdienstliches Perikopenbuch 111 . Diese Formbestimmungen werden dem Charakter des Matthäus-Evangeliums als eines Geschichtswerkes nicht gerecht. Sie berücksichtigen nicht, daß im Matthäus-Evangelium die Geschichte der Basileia-Predigt vom Auftreten des Täufers bis in die letzte Zeit vor dem Ende verfolgt wird, der turbulente Gang der Heilsgeschichte von Israel zu den Heiden mit dem Mittelpunkt des berufenden und verwerfenden Messias. Die genannten Entwürfe können die Gesamtstruktur des Evangeliums nicht erfassen, vermögen nicht zu sagen, in welches größere Ganze die „katechetischen Motive" und einzelnen „Perikopen" eingeordnet sind. Die Einteilung in fünf Bücher ist willkürlich112. Damit entfallen die äußeren Gesichtspunkte für das Verständnis des Matthäus-Evangeliums als der „neuen Tora" Jesu. Innerhalb des Rahmens einer vita Jesu wird nicht das „neue Gesetz" entfaltet, sondern jene weitgespannte EpochenHeilsgeschichte, die das Leben Jesu und die Zeit nach seinem Tod, ja sogar die Zeit nach 70 bis zur Vollendung des Äons übergreift, also Jesusgeschichte und Jüngergeschichte (im umfassendsten Sinne) in einem. Durch das vorliegende Geschichtswerk gelingt es Matthäus, seine Epoche der Heidenberufung geschichtlich an die Vergangenheit der Jesusgeschichte mit Israel anzuschließen und sie von dort her zu begründen. Die von ihm dargestellte Geschichte Jesu enthält, wie gezeigt, verschiedene Textelemente in heilsgeschichtlich-ätiologischer Funktion, die als solche zum Abschluß der Vergangenheit und zur Begründung der Gegenwart dienen, die also für die Gegenwart des Evangelisten keinen direkt-kerygmatischen, sondern nur noch geschichtlichfunktionalen Sinn haben. Doch Matthäus sichert seiner Gegenwart nicht nur den geschichtlichen Ertrag des Umgangs Jesu mit Israel, 110 B. W. Bacon (s. Anm. 107) 66: „typically Jewish form of a five-fold torah of Jesus". 111 Kilpatrick (59— )70. 112 Vgl. Strecker 147 f., Anm. 2; Trilling 217. Gegen Stendahls Gliederung 25 wäre geltend zu machen: 1. Stendahl zerreißt die Einheit 4,23—9,35. 2. Der Dreischritt Täufer (Kap. 3), Jesus (Kap. 4—9), Jünger (Kap. 10) wird unkenntlich gemacht. 3. Der Rede-Charakter von 11, (2ff.)7—30 und 12, (22ff.)25—50 bleibt unberücksichtigt. 4. 23,1—25,46 zerfallen in zwei völlig verschiedene Redekomplexe, die sich niemals unter der Überschrift „Discourse concerning eschatology. Farewell adress" zusammenfassen lassen. 5. Es geht nicht an, die eigenständige Rede Jesu von Kap. 23 als „rather an enlarged edition of debate material" (26) zu fassen. 6. Die Einteilung in 5 Bücher scheidet aus, da mit den beiden Reden Kap. 23—25 mindestens 6 Redeeinheiten zu erkennen sind. 7. Die Leidensgeschichte gehört wie bei Markus zum Jerusalem-Komplex; erst mit 28,16ff. kann man von einem „Epilog" sprechen.
Zur Form des Matthäusevangeliums
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sondern auch seinen fortbestehend-kerygmatischen 113 . Der Sachverhalt, daß Matthäus auch das f ü r immer ( = bis ans Ende) gültige Kerygma der Jesusvergangenheit f ü r seine Gegenwart bereitzustellen wünscht, bildet das Wahrheitsmoment in der Beschreibung des Matthäus-Evangeliums als eines Katechismus. Doch ist bei diesem Kerygma nicht nur an die paränetischen Stoffe der Bergpredigt oder der Gleichnisse von Kap. 13 zu denken, sondern auch an Kap. 8—9 als Illustration des heilbringenden Messias 114 , an die Jüngerbelehrung von Kap. 10 mit dem Motiv des Erbarmens Jesu als „Grund" der Mission 115 wie an die „indikativischen" Stoffe der Passionsgeschichte mit dem Thema des heilbringenden Leidens Jesu 1 1 6 . Gerade diese Breite des Kerygmas mit dem Nebeneinander, dem Wechsel oder Ineinander 1 1 7 von paränetischen und „erzählenden", indikativischen und Imperativischen Elementen und Kapiteln, die Tatsache, daß sich Matthäus bewußt nicht auf den „Gesetzesstoff" beschränkt, verhindert sachlich das Verständnis des Matthäus-Evangeliums als der neuen „Tora" Jesu. Das Heilsgeschehen von damals präsentiert sich der Gegenwart des Evangelisten gemäß seiner ganzen geschichtlich-konkreten Vielfalt und Erscheinung als Heilstat, Berufungswort, radikale Forderung 1 1 8 und Leidenshingabe des Messias usw. Von daher darf man von Matthäus keine systematisierende Anordnung seines Stoffes nach dem Schema von Indikativ und Imperativ erwarten 119 . Der Evangelist sichert seiner Kirche und Welt die Hingabe und den Anspruch des Messias, sein Erbarmen mit den Elenden, sein heilbringendes Sterben, seine eschatologische Paränese, seine Überlegenheit über Todesmacht und Dämonen, seine Jüngererwählung und -Sendung usw.: das alles als Heil U3 Vgl. S. 118ff. zur Funktion der Redekompositionen. 114 8,17! Vgl. bes. 9,1—13 (Heilung und Vergebung). 115 9,36—38 bilden den Auftakt zu Kap. 10. lie Ygi. 26,26—29 als zentrales Interpretament der Passionsgeschichte, ferner 1 21 · 20 28
' " ' ' Z . B . 8,23—27; 14,22—33; 17,14—20; 18,10—14.21—35. 118 Auch die radikale Forderung gehört zum Heil des Messias; vgl. die Charakterisierung der Bergpredigt als Evangelium (der Jesuszeit): κηρύσσων το εύαγγέλιον της βασιλείας (ausführlicher bei Β. Walker, Einführung in die Bergpredigt 5 f.). 118 Matthäus macht auch keinen Versuch, das sola gratia in begrifflicher Präzision zu entfalten; seine Stoffe und das Ziel seines Werkes sperren sich dagegen. Die Jesuszeit ist für seine Zeit der große begründende Indikativ (des Erbarmens), des Opfers Jesu o.ä. und zugleich der radikale Imperativ (des Liebesgebotes usw.) — beides ist Heil (zum letzteren vgl. Anm. 118). Daß das Unvermögen des Evangelisten, das sola gratia in begrifflicher Präzision zu entfalten, für das Judenchristentum „nicht ohne Folgen" blieb (so Peter Stuhlmacher, Gottes Gerechtigkeit bei Paulus, FRLANT 87, 1965, 191), ist wenig wahrscheinlich. Nicht das Judenchristentum ist als nachfolgender Wirkbereich des Evangelisten anzunehmen, sondern das Heidenchristentum. Im übrigen ist das sola gratia bei Matthäus der Sache nach mehrfach gegeben, vgl. etwa 11, 25—27; 18,23—27 und den Effekt von 20,1—16 hinter 19,27—30. 10·
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Die Heilsgeschichte im Matthäusevangelium
für „heute". Seine Geschichte hat als kerygmatische Heilsgeschichte natürlich entschieden „katechetische" Bedeutung, wenngleich es nicht angeht, den Begriff „katechetisch" als auf Katechumenen eingeschränkt zu fassen. Matthäus schreibt sein Werk für alle Christen, für die „Jünger" seiner „Kirche" und Zeit der Heidenberufung und über den Kreis der „Jünger" hinaus letztlich für die ganze (heidnische) Welt von damals. Es wäre denkbar, unsere Formbestimmung mit einer möglichen speziellen Ausrichtung des Matthäus-Evangeliums auf den „Gottesdienst" zusammenzusehen. Dann wäre die matthäische Heilsgeschichte zugleich ein in die Hand des „Liturgen" oder „Predigers" gelegtes „Gospel lectionary" 12°. Dafür könnte sprechen, daß bei dem vergleichsweise geringen Bestand an Handschriften der Text das Ohr der Gläubigen hauptsächlich im „Gottesdienst" erreicht haben wird. Doch muß es nachdenklich machen, daß sich eine solche speziell gottesdienstliche, „nur-liturgische" Zweckbestimmung am Matthäus-Evangelium selbst nicht ablesen läßt. Offensichtlich konnte und wollte Matthäus bei der Gestaltung seines Evangeliums keine Rücksicht auf gottesdienstliche Sonderbedürfnisse nehmen; er schuf unbefangen Komplexe, die das Perikopenmaß weit überschreiten. Auch sammelte er nicht bloß „Texte", mehr oder weniger verbundene „Perikopen", sondern war sich darüber im klaren, daß nur eine von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reichende Gesamtdarstellung das Erbe der Jesuszeit an seine Zeit weitergeben konnte. Das einzelne konnte nur innerhalb der Gesamt-Perikope des Matthäus-Evangeliums sinnvoll sein, mit der Matthäus den geschichtlichen Grund, das eine Fundament für alles Glauben und Leben seiner „Kirche" legte. Der Begriff „Gospel lectionary" kann also bestenfalls besagen, was das als kerygmatisches Geschichtswerk zu verstehende Matthäus-Evangelium „praktisch" sein konnte. Er vermag nicht die Form des Evangeliums zu beschreiben, sondern nur die konkrete Funktion, die es — wohl neben anderen Funktionen — in, mit und unter dieser Form auszuüben hatte. So scheidet der Begriff des gottesdienstlichen Lesebuches bei der Frage nach dem literarischen Genre des Matthäus-Evangeliums aus. Mit alledem ergibt sich, daß die Stichworte „katechetisches Manuale", „neues Gesetz Jesu", „Perikopenbuch" zur knappen Charakterisierung der Form des Matthäus-Evangeliums gleichermaßen ungeeignet sind. Die Lösung legt sich auch nicht auf dem Wege des „Formenkompromisses" nahe, den Trilling einschlägt, wenn er sagt: „So ergibt sich in der Formfrage keine glatte Lösung, sondern es bleibt ein komplexer Eindruck stehen 121 ." Anders als Trilling annimmt 122 , läßt 120
121 Kilpatrick 59. A.a.O. 218. A.a.O. 219: „Einen genau zutreffenden und knappen Formbegriff finden, dürfte sehr schwierig sein." 122
. . . zu
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sich das matthäische Werk sehr wohl durch einen genau zutreffenden und knappen Formbegriff charakterisieren. Während jedoch die Antworten „neue Tora Jesu" und „Evangelienlesebuch" wie die Deutung des Evangeliums als apologetisch-polemischer Kampfschrift gänzlich ausscheiden, enthält die Formdefinition „katechetisches Handbuch" viel Wahres. Sie ist f ü r sich selbst genommen insofern unsachgemäß, als sie den beherrschenden Gesichtspunkt der geschichtlichen Darstellung nicht zur Geltung bringt. Er macht erst einsichtig, inwiefern jener umfangreiche und vielgestaltige „katechetische" Stoff des Handelns, Erleidens, Gebietens Jesu usw. f ü r die spätere heilsgeschichtliche Stunde relevant wird und an sie herantritt — das Leben des Königs Israels wird auf dem im Matthäus-Evangelium beschriebenen Weg zum Heil f ü r die Heiden. Die von Matthäus geschilderte Geschichte ist die formende und ordnende Hand, die alles „Katechetische" ergreift, als geschichtlich-einmalige Größe im Ablauf des Geschehens lokalisiert und zugleich als für „heute" bestimmt an die Gegenwart weiterreicht. So ist es belangvoll, daß das „Katechetische" bei Matthäus nicht in Katechismusform, sondern innerhalb einer Epochen-Heilsgeschichte dargeboten wird, die es als übergreifende Größe in sich aufnimmt. Es ist die kerygmatische Komponente in der Gestalt eines f ü r die Verkündigung in Kirche und Welt geschaffenen Heils-Geschichtswerkes. Das Matthäus-Evangelium ist das grundlegende Kerygma-Geschichtsbuch, das die „Kirche" des Evangelisten zur (letzten) Zeit der Heidenberufung f ü r die mannigfachen Zwecke ihres Daseins in Mission, Gemeinde, „Staat" (17,24ff.), Leiden und Lebensführung auf dem alleinigen Grund des irdischen Messias Jesus — nicht auf dem Grund der Apostel und Propheten! — erbauen soll.
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