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German Pages 365 [368] Year 2000
Marcus Llanque Demokratisches Denken im Krieg
P O L I T I S C H E IDEEN
Band 11
Herausgegeben von Herfried Münkler Die politische Ideengeschichte hat seit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, der Transformation der Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, aber auch mit den seit dem Wegfall des klassischen Gegenbildes dringender gewordenen Fragen nach Werten und Zielen der westlichen Demokratien, nach der Möglichkeit von Gemeinwohlorientierungen usw. neue Bedeutung gewonnen. Gibt es in dem zunehmend differenzierten und segmentierten Fach Politikwissenschaft einen Bereich, in dem die verschiedenen Fragestellungen und Ansätze zusammengeführt werden, so ist dies die Geschichte der politischen Ideen sowie die politische Theorie. Insbesondere die politische Ideengeschichte erweist sich dabei als das Laboratorium, in dem gegenwärtige politische Konstellationen gleichsam experimentell an den Theoriegebäuden vergangener Zeiten überprüft, durchdacht und intellektuell bearbeitet werden können. Eine so verstandene politische Ideengeschichte ist gegenwartsbezogen, auch wenn sie sich den aktuellen politischen Problemen nur mittelbar zuzuwenden scheint. Diese Reihe ist ein Ort für die Publikation solcher Studien. Sie veröffentlicht herausragende Texte zur politischen Ideengeschichte und zur politischen Theorie.
Marcus Llanque
Demokratisches Denken im Krieg Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg
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Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Llanque, Marcus: Demokratisches Denken im Krieg : die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg / Marcus Llanque. - Berlin : Akad. Verl., 2000 (Politische Ideen ; Bd. 11) Zugl.: Berlin, Humboldt-Uni v., Diss., 1997 ISBN 3-05-003517-X
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Einleitung
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I. Das Kriegserlebnis und seine ersten Auswirkungen auf das politische Denken
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II. Der auf Dauer gestellte Krieg als Herausforderung der Theoriebildung
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1. Delbrück und Rathenau und die Wahrnehmung des lange anhaltenden Krieges
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2. Kriegswirtschaftliche Sachlogik und entpolitisierte Staatlichkeit: die Ideen von 1914....33 3. Regierung, organisierte Arbeiterschaft und die Politik der Neuorientierung
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Die Perspektive der Regierung
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Die Selbstintegration der Arbeiterschaft in den Obrigkeitsstaat als Nationalstaat
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Der Sammelband Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland
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Alfred Weber
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4. Hugo Preuß und die Politisierung des deutschen Volkes
68
5. Die Rezeption der Preuß'schen Argumentation
88
III. Die Demokratie im Westen und die Demagogie in Deutschland 1. Die Demokratie als neues Kriegsziel der Alliierten Die Entstehung der Idee einer westlichen Demokratie Die deutsche Reaktion auf die westliche Demokratie 1917
103 103 104 114
2. Die Zurückweisung des Geltungsanspruchs der westlichen Demokratie
119
Tönnies und das Problem der öffentlichen Meinung in der Demokratie
119
Die Rezeption der westlichen politischen Demokratiekritik
128
Die .Verwestlichung' der öffentlichen Meinung in Deutschland 3. Die Ausbildung einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung
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Kritik an der Demagogie der Gebildeten
135
Das Vorbild der Preußischen Reformen von 1807
143
4. Wahlrechtsfrage und Tory-Konservative
154
5. Die Regierung Bethmann-Hollweg 6. Die Strategie einer offensiven Argumentation der Demokratisierung
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Hugo Preuß und Waither Rathenau
169
Max Weber
179
IV. Die Julikrise 1917 als Wendepunkt der politischen Argumentation 1. Der Reichstag und die politische Parteien
192 192
2. Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
199
3. Die Verarbeitung der Julikrise
208
4. Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
216
5. Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
226
6. Max Weber und die parlamentarische Demokratie
237
7. Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
264
Demokratie und Völkerrecht
264
Hugo Sinzheimer
268
8. Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
277
Sozialistische Demokratie und bürgerlicher Parlamentarismus
277
Der Bolschewismus und die Zuwendung zur parlamentarischen Demokratie
295
V. Die Demokraten an der Macht und ihre Ohnmacht
304
Fazit
322
Literaturverzeichnis
324
Primärliteratur
324
Sekundärliteratur
342
Register
362
Vorwort
Vorliegende Untersuchung zur deutschen Demokratiedebatte im Ersten Weltkrieg sollte anfänglich nur eine Vorstudie zu einer eigentlich beabsichtigten systematischen Darstellung der Demokratiediskussion in Weimar sein. Mir fielen antiquarisch das Buch von Hugo Preuß Das deutsche Volk und die Politik und der Sammelband von Friedrich Thimme und Carl Legien zur Arbeiterschaft im neuen Deutschland in die Hände, beide aus dem Jahr 1915, die ich vorher nur aus sekundärer Erwähnung kannte. Die Prominenz des demokratischen Gedankens ihrer Argumentation überraschte mich, wich sie doch erheblich von den gemeinhin bekannten „Ideen von 1914" ab. Ferner fand ich es bedenklich, daß eine der berühmtesten Schriften der politischen Literatur, Parlament und Regierung von Max Weber nur selten im Kontext ihrer Entstehungszeit behandelt wird. So fiel meine Aufmerksamkeit auf die Zeit des Ersten Weltkrieges und bald schon überwältigte mich die Fülle an einschlägigem Material, das eine Behandlung erforderte, die weit über die ursprünglich veranschlagte Intention hinausreichte. Die desolate Bibliothekslandschaft Berlins ermöglichte keine leichte Lektüre des Materials, sie konnte aber größtenteils kompensiert werden durch die Freundlichkeit der Mängelverwalter. Für die gedankliche Erschließung der Literatur des Ersten Weltkrieges jedoch konnte ich von einer besonderen Gesprächs- und Argumentationskultur profitieren, die professionelle und freundschaftliche Wurzeln hat. An erster Stelle ist die Atmosphäre des Kolloquiums von Herfried Münkler an der Humboldt-Universität zu Berlin zu nennen, in dem leidenschaftlich und umfassend um politische Ideen und ihre Begründung gestritten wird. Neben Herfried Münkler als Leiter und Moderator möchte ich besonders Karsten Fischer und Hans Grünberger als Repräsentanten der „irenischen Fraktion" und Harald Bluhm und Siegfried Weichlein aus der „polemischen Fraktion" hervorheben, ferner Matthias Bohlender und Berndt Ladwig. Sie alle bedachten an diesem Ort auch einige meiner eigenen Vorträge mit kritischer Aufmerksamkeit. Aus Gesprächen mit Christoph Schönberger und Sandro Mezzadra konnte ich wertvolle Anregungen entnehmen. Allen sei für ihre Diskussionsfreude gedankt. Meine Frau Gerlinde hat verschiedene Fassungen des Manuskripts gelesen und mir aus den tiefen Tälern der Mutlosigkeit geholfen, in die mich gelegentlich die konzeptionellen Schwierigkeiten der Gliederung des Materials trieben und hat häufigeren Übermut zu bremsen gewußt. Ihr gilt mein besonderer Dank. Eine frühere Fassung dieser Arbeit habe ich 1997 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht. Ich möchte dem Be-
treuer Herfried Münkler für seine Anregungen, Kommentare und für die Erstellung seines Gutachtens besonders danken. Dank gebührt ferner Otto-Ernst Kempen, Frankfurt/M., für sein Gutachten und für sein viersemestriges Seminar zur deutschen Verfassungspolitik, dem ich in vielerlei Hinsicht erste Anregungen entnehmen konnte und Dank gebührt schließlich Claus Offe und Klaus Eder für ihr Wirken in der Promotionskommission. Das Buch ist dem Andenken meines Bruders Patrick gewidmet, der im gleichen Jahr der Abgabe der Dissertation nach tapfer durchlittener Krankheit verstarb.
Berlin-Tegel im April 2000
Marcus Llanque
Einleitung
Die deutschen Demokraten, die 1919 vor der Aufgabe standen, eine neue politische Ordnung zu begründen, hatten Weimar erst vor sich. Sie konnten das Experiment der politischen Selbstregierung eines Volkes, das generationenlang ohne tragende demokratische Tradition ausgekommen war und den Obrigkeitsstaat der Beamtenregierung durchaus begrüßte, nicht vom Ende der Republik her auf seine Risiken und Chancen einschätzen. Die politische Theoriebildung nach 1945 griff auf die Weimarer Erfahrungen zurück, um sie als Negativkontrast zur Rechtfertigung der repräsentativen liberalen Demokratie zu verwenden. Die Weimarer Demokratie hat dagegen der repräsentativen Demokratie nicht den hegemonialen Stellenwert beigemessen, der ihr nach dem 2. Weltkrieg zukam. Die Demokratiedebatte in Weimar war - vielleicht verhängnisvollerweise - offener, als sie für die Etablierung einer jungen Demokratie gut sein mag. Nach welcher Vorstellung von Demokratie soll man die Begründer der Weimarer Republik bemessen? Das Ende der Weimarer Republik wirft freilich einen langen Schatten auf ihre Begründer, die aus der Retrospektive für den Untergang verantwortlich gemacht werden. Nicht nur daß Weimar mit den Antidemokraten zu kämpfen hatte, es scheint, daß die Vorstellungen von Demokratie bei den Begründern der Entfaltung der jungen Republik eher hinderlich war. Ob es nun vulgär-demokratische Vorstellungen vom Volkswillen waren oder plebiszitärpräsidentielle Ersatzwünsche für die verlorengegangene Monarchie, jedenfalls hat man häufig Mühe, im politischen Denken der Republikbegründer moderne, in unserer Gegenwart unbestrittene Begriffsbestimmungen der Demokratie wiederzuerkennen. Waren die deutschen Demokraten überhaupt „Demokraten", oder erschöpfte sich ihre Leistung darin, zumindest nicht Nicht-Demokraten gewesen zu sein? Man kann sich allerdings nicht an der Weimarer Verfassung orientieren, um aufzuzeigen, was als „wahre Demokratie" Geltung beanspruchen durfte für zeitgenössische Demokratietheoretiker,1 denn was Demokratie nach dem Verfassungstext heißen sollte, war
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Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 1962, 1968, S. 16. „Es erscheint beim genauen Studium dieser Quellen allerdings fraglich, ob es angemessen ist, die gegen den Weimarer Staat gerichtete Polemik durchweg als antidemokratisch zu kennzeichnen, gibt es doch viele Antidemokraten, die das Weimarer System um einer besseren Demokratie willen zu überwinden trachteten. Der Begriff des Antidemokratischen gewinnt Relief erst im Blick auf die
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Einleitung
angesichts der Vielzahl der dort vorhandenen, teilweise miteinander konkurrierenden Modelle höchst umstritten. Man kann auch nicht einen rein normativen Demokratiebegriff voraussetzen, dessen Relevanz für das Weimarer Problembewußtein überhaupt erst zu erweisen wäre.2 Man sollte den Begriff der Demokratie soweit öffnen, daß man am Ende nicht nur wiederfinden kann, was man schon vorher dem Begriff selber beigefugt hat. Begreift man Autoren in einer Demokratiedebatte nicht nach ihrer Annäherung an ein unausgewiesen zugrunde gelegtes Demokratiemodell, sondern beobachtet die Demokratie als Argument in einer bestimmten politisch-theoretischen Auseinandersetzung, rücken andere Fragen in den Vordergrund. Es muß zunächst der Weg der demokratischen Argumentation rekonstruiert und verfolgt werden. Was sind eigentlich die Gründe dafür, daß sich bestimmte Modelle durchsetzen und andere nicht, aus welchen Traditionen werden sie geschöpft, mit welchen Argumenten erwogen, befürwortet oder verworfen und welchen Einfluß haben die konkreten Umstände einer solchen Argumentation auf ihre Ergebnisse ausgeübt? Die Begründer Weimars hatten kein Weimar hinter sich, an dessen Erfahrungen sie ihr Urteil schulen und eventuell mäßigen konnten. Für die Entfaltung des demokratischen Gedankens konnten sie auch nur wenig auf Vorarbeiten der Kaiserzeit bis zum Ausbruch des Krieges zurückgreifen. Die eigentümliche politische Ordnung des Kaiserreichs bedurfte je schon einer eingehenden politisch-theoretischen Erörterung. Im politischen Gefüge des Kaiserreichs kreuzten sich verschiedenste politische Denkwege und stießen heterogenste politische und gesellschaftliche Interessen aufeinander. Als kleindeutsche Lösung wich das Kaiserreich vom alten historischen Selbstverständnis Deutschlands grundlegend ab und schuf mit dem Kaiserreich auf neuer Grundlage ein künstliches Gebilde, das ζ. B. gerade eingefleischte preußische Monarchisten so sehr ablehnten, daß sie angesichts des bevorstehenden Zusammenbruchs des Kaiserreichs am Ende des Ersten Weltkrieges ernstlich mit dem Gedanken spielten, auf den Kaiserthron gerne zu verzichten, wenn dadurch die preußische Krone gerettet werden konnte. Preußen war der Hegemonialstaat in einem formell gleichberechtigten Staatenbund, über dessen formalstaatliche Strukturen sich die Staatslehre trefflich zu streiten wußte. Preußen besaß nicht nur ein unübersehbares Übergewicht, es war selber Sinnbild der Widersprüche dieses Deutschlands der Übergangs-
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Idee der Demokratie. Diese gehört freilich zu den vieldeutigsten politischen Vorstellungen, die wir kennen. Gleichwohl gibt es ein sinnvolles Kriterium der Beurteilung: die Idee der Demokratie nach den Normen der Weimarer Reichsverfasssung. ... Zwar meinten viele Antidemokraten, die wahren Demokraten und Interpreten des Volkswillens zu sein, aber der hier mögliche Widerspruch liegt in dem Mißverständnis von Demokratie, dem sie unterlagen. Zur Idee der Demokratie gehört wesensmäßig die Idee der Freiheit. Demokratie ist nur als Freiheit und Gleichheit. Eine Demokratie ohne Gewaltenteilung, ohne Rechtsstaatlichkeit, ohne individuelle Freiheitsrechte, ohne die politischen Grundpfeiler des Liberalismus also, ist keine wahre Demokratie, ganz gleich wie man den Volkswillen interpretieren mag." Norbert J. Schürgers, Politische Philosophie in der Weimarer Republik, 1989, S. 23 Anm. 19 hält den von ihm behandelten Autoren vor, ihre Redeweise von der .wahren Demokratie' sei nur ein Lippenbekenntnis und stellt ihnen seine eigene Ansicht der ,wahren Demokratie' als Maßstab entgegen, wie sie ihm im Anschluß an die Konzeption der Selbstemanzipation als Kern des Demokratiegedankens bei Jürgen Habermas für unbestreitbar erscheint.
Einleitung
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zeit. Im Westen gehörte eine der bedeutendsten Industrieregionen Europas zu den Symbolen überschäumender maschineller Moderne, die heftig mit den teilweise feudalen Lebensräumen des agrarischen Ostelbiens kontrastierte. Inmitten dieses riesigen Gebildes begann mit dem Berlin der Gründerzeit das Herz einer Metropole unüberhörbar zu schlagen, das aufgrund seiner andersartigen Lebenswelt einen ganz eigenen Rhythmus entwickelte und politische Traditionen prägte, die als hauptstädtischer Linksliberalismus in Konkurrenz zur Sozialdemokratie ein anderes politisches Denken prägte, welches wiederum in Widerspruch stand mit der gutsherrschaftlich geprägten Denkweise Ostelbiens. Diese inneren Widersprüche fanden institutionell ihren Ausdruck im preußischen Dreiklassenwahlrecht, das mit dem demokratischen Männerwahlrecht auf der Reichsebene kontrastierte und dies um so sinnfälliger, als der Kaiser Deutschlands als Reichsorgan zugleich preußischer König war, der sich auf eine institutionell gekünstelte konservative Mehrheit im Landtag stützen konnte. Obwohl also in Deutschland seit geraumer Zeit Aspekte der Demokratie bereits Geltung besaßen, allen voran das auf Reichsebene verwirklichte demokratische Männerwahlrecht, jenes „spektakuläre Element"3 der Reichsverfassung, das der Staatslehre erhebliche Schwierigkeiten der Einordnung bereitete, stand die Demokratie als Regierungsform nie im Mittelpunkt der Debatten und wurde auch nicht in Hinblick auf ihr Verhältnis zum Parlamentarismus beleuchtet, außer in betont antidemokratischen Darstellungen, die den unüberbrückbaren Gegensatz von Demokratie und Liberalismus behaupteten. Die Demokratie stand im Kaiserreich auch mehr für Probleme denn für Hoffnungen. Zwar wurde bereits zum Jahrhundertwechsel permanent von Demokratie gesprochen,4 und zwar gleichgültig, ob es sich um sozialistische, liberale, machtpolitisch-nationale oder konservative Theoretiker handelte. Aber es gab vor dem Weltkrieg eine verbreitete Auffassung, wonach die Demokratisierung die Probleme eher zu vertiefen drohte, als sie entschärfen oder gar lösen zu können. Denn es war vor allen Dingen die Vorstellung der Massengesellschaft, die sich bei der Betrachtung der modernen Demokratie einstellte und der Massendemokratie als ihrer spezifischen politischen Folge. Vor dem Hintergrund der drohenden Massendemokratie fand die Idee der Volkssouveränität kaum Fürsprecher. Sie galt nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolutionsversuche 1848 und der monarchischen Reichseinigung 1871 als disfunktional. Selbst sozialdemokratische Autoren waren sich nicht sicher, ob ausgerechnet ein frühbürgerliches Modell von Demokratie die gedankliche Orientierung einer sozialistischen Gesellschaft geben konnte und sollte. Die institutionelle Idee der unmittelbaren Demokratie, die die politische Partizipation der Bevölkerung etwa in Gestalt direkt-demokratischer Instrumente wie des Referendums sicherstellen will, wurde von den Sozialdemokraten fur unzeitgemäß angesehen, erforderte doch gerade die moderne Industriegesellschaft eher eine zentrale Verwaltung als eine selbstbestimmte Anarchie. Man blickte auch nicht mehr wie viele Reformer aus der Zeit der Revolution von
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Kluxen, Britischer und deutscher Parlamentarismus, 1985, S. 35. Daran erinnert zu haben, ist das Verdienst der Arbeit von Peter Gilg, Erneuerung des demokratischen Gedankens, 1965, die allerdings etwas optimistisch die Plausibilität auch der normativen Wiederbelebung des Demokratiegedankens (dem die Schweiz als Urmodell zugrunde liege) zum Ergebnis hat.
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1848 nach Amerika, wie es für die politische Theorie seinerzeit Tocqueville getan hatte, um durch das Studium der dortigen Verhältnisse zugleich einen Blick in die Zukunft Europas zu tun. Tocqueville war in Vergessenheit geraten, genauso wie John Stuart Mills Plädoyer für die repräsentative Regierungsform auf der Grundlage eines demokratischen Verhältniswahlrechts. Die späte Klassik der Demokratietheorie war einem Realismus gewichen, dem auch viele enttäuschte Demokraten anhingen. Denn nicht der Volkswille oder die Volkssouveränität hatten sich als treibender Motor der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung erwiesen, sondern anonym waltende Kräfte und Prozesse, auf die eine politische Steuerung immer weniger Einfluß nehmen zu können schien. Demokratische Vorstellungen, wonach die Demokratie als Herrschaft des Volkes nicht nur die Fremdbestimmung der Bevölkerung durch eine privilegierte Clique abzuschütteln vermochte, sondern auch noch mit der politischen Selbstbestimmung die Herrschaft von Menschen über Menschen ganz überflüssig machte, entbehrten unter dem Eindruck der modernen Herrschafts- und Organisationssoziologie aller Überzeugungskraft. So gab es niemanden, der in der Demokratie die große greifbare Alternative zum Obrigkeitsstaat gesehen hätte. Der Gedanke der Demokratie hatte keineswegs mehr die integrative Werbekraft, die er noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts gehabt hatte. Am Ende des 19. Jahrhunderts war ihre Zeitgemäßheit überall und selbst in der westlichen politischen Theorie in Frage gestellt. Aus der Perspektive der modernen Industriegesellschaft stand der soziologische Begriff der Massendemokratie und das Problem des cäsaristischen Ausnutzungspotentials einer plebiszitär erworbener Zustimmung im Vordergrund. Die Demokratie als politisches Modell schien mittlerweile einer vergangenen Zeit anzugehören. Die Begründer der Weimarer Demokratie hatten zur Schärfung ihrer politischen Urteilskraft den Ersten Weltkrieg hinter sich und damit einen intensiven Erfahrungsraum mit einer umfassenden Demokratiedebatte. Erst der Weltkrieg schuf die Konstellation, in welcher sich die Kritiker des Obrigkeitsstaates allmählich um den Gedanken der Demokratie scharten und die Demokratie schließlich zur großen Leitidee avancierte, die imstande war, die traditionell an der Vorstellung des Staates ausgerichtete politische Denkweise abzulösen. Die Demokratie wurde als Ergebnis der Diskussionen des Weltkrieges erst jetzt zum unhintergehbaren Kernbegriff der politischen Auseinandersetzungen. Die Debatten des Weltkrieges waren unmittelbar prägend für die Vorstellungen von Demokratie eingangs der Begründungszeit der neuen Repulik. Obwohl eine gescheiterte Geheimdiplomatie zum Konflikt des Ersten Weltkrieges führte, dieser also zunächst ein Kabinettskrieg war und die Bevölkerung bis zu seinem Beginn teilweise entschlossenen Widerstand signalisierte, war die dann bei Ausbruch des Krieges beobachtbare Begeisterung weiter Teile der Bevölkerung und noch größerer Teile ihrer intellektuellen Elite das zunächst prägende Charakteristikum der politischen Auseinandersetzung. Die gesellschaftlich stark differenzierte und segmentierte deutsche Bevölkerung zeigte sich in der Zustimmung zum Krieg als vereintes Volk und der Krieg war der Vater der durch ihn geschweißten Volksgemeinschaft. So jedenfalls stellte sich für viele Zeitgenossen die Situation zunächst dar. Nicht die institutionelle Gliederung ihrer politischen Ordnung und politischen Willensbildung stand im Vordergrund, sondern ein Gefühl gemeinsam erlebter Solidarität und Schicksalsgemeinschaft, die rasch schon als Möglichkeit auch
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dauerhafter, über den Zeitraum des Krieges hinausgehender Integration erörtert wurde. Kritische Aspekte der politischen Ordnung des Kaiserreichs, seine gelegentlich angefeindete Obrigkeitsmentalität und sein Militarismus, die vor dem Krieg Thema ausgiebiger Diskussion waren und oft abgelehnt wurden, wurden nun, besonders unter dem Eindruck der Kritik der Öffentlichkeit in Frankreich, England und den neutralen Ländern plötzlich zum Inbegriff deutscher Kultur und kurzerhand zu Identitätsmerkmalen des gesamten Volkes erhoben, eines Volkes, das auf die Gestaltung dieser Aspekte wenig, häufig gar keinen Einfluß hatte und sie sich dennoch zuschrieb. Diese Volksgemeinschaft erwies sich bald schon als Fiktion, so daß schließlich die Frage der innenpolitischen Ordnung zum eigentlichen Gegenstand der Diskussion wurde: Sei es, daß eine Integration der Arbeiterschaft in den nationalen Staat und damit die Überwindung des Klassenkampfes die Reform des politischen Systems erforderlich machte, und zwar bereits aus staatserhaltenden Überlegungen heraus, sei es, daß spätestens 1917 die unterschiedliche politische Ordnung der kriegsbeteiligten Länder zum ausschlaggebenden Grund des militärischen Konfliktes erhoben wurde. Erst im Ersten Weltkrieg wurde die Idee einer „westlichen Demokratie" geboren, unter der sich England, Frankreich und die 1917 in den Krieg eingetretenen USA gegen Deutschland sammelten. Dieser westlichen Demokratie wurde zunächst ganz undifferenziert eine spezifisch deutsche Idee der Demokratie entgegengestellt, die die Idee der Demokratie eher verdunkelte als erhellte. Damit scheint aber auf den ersten Blick die im Ersten Weltkrieg erfolgte Debatte die denkbar schlechteste Voraussetzung zu sein für die Entfaltung demokratischen Denkens. Wir verbinden mit den intellektuellen Debatten aus dieser Zeit Vorstellungen, die im wesentlich unter zwei Rubriken zusammengefaßt werden können: die Kriegsbegeisterung der imaginieren Volksgemeinschaft und den verzweifelten Versuch, im Zuge der „Ideen von 1914" der westlichen Demokratie einen spezifisch deutschen Begriff von Demokratie entgegenzusetzen. Intellektuelle, Gelehrte wie Künstler wollten dem Krieg einen weltanschaulichen und geschichtsphilosophischen Sinn geben. Eine ganze Forschungstradition hat sich etabliert, um den Hintergründen dieser intellektuellen Sinnstiftungsbemühungen nachzuspüren. Sie hat sich generell mit der Einstellung der Gelehrten und Intellektuellen zum Krieg beschäftigt,5 sowie mit dem Gebaren der einzelnen Disziplinen.6 Nirgendwo scheint eine nüchterne, nicht vom Pathos der Stunde beherrschte Debatte um politisch-theoretische Fragen stattgefunden zu haben. Jede demokratietheoretische Erörterung scheint jener undifferenzierten Trennung von feindlicher Ideologie und deutscher Weltanschauung zum Opfer gefallen zu sein, so daß deren inhaltliche Erträge fraglos nicht als Beitrag zur Demokratietheorie, sondern als Symptom einer umfassenden intellektuellen Deformation aufgefaßt werden müssen. Zu sehr scheint die
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Schwabe, Kriegsmoral, 1969, Stromberg, Redemption, 1982 und Ringer, Die Gelehrten, 1983. Ferner Hüppauf, Ansichten vom Krieg, 1984, Fries, Die große Katharsis, 2 Bände 1994 und 1995 und Mommsen, Kultur und Krieg, 1996. Lübbe, Politische Philosophie, 1963 für die Philosophie und Papcke, Dienst am Sieg, 1985, Joas, Klassiker der Soziologie, 1989, Joas, Sozialwissenschaften, 1996 und Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie, 1996 für die Soziologie. Missalla, Gott mit uns, 1968 filr die Theologie und Krüger, Nationalökonomie, 1983 für die Volkswirtschaft.
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Nähe der Demokratiedebatte zu den „Ideen von 1914" und die Redeweise von der „deutschen Demokratie" oder „deutschen Freiheit" die inhaltliche Eingeschränktheit der Aussagen zu signalisieren, als daß sich eine eigenständige demokratietheoretische Würdigung lohnen könnte. Die demokratietheoretischen Überlegungen während des Ersten Weltkrieges sind dementsprechend noch nicht Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung gewesen. Über die diskursive Rekonstruktion der Sinnstiftungsliteratur hinaus wurden übergreifende Diskurse wie derjenige der Gelehrtenpolitik im allgemeinen sowie der nationalökonomischen und kultursoziologischen Debatten untersucht. Die Verknüpfung von Handlungsebene der Akteure und begleitender bzw. flankierender politisch-theoretischer Debatte ist nach Parteizugehörigkeit geordnet bereits vorbildlich dargestellt worden7 und wir können auf zahlreiche Arbeiten zurückgreifen, die die politischen Debatten um einzelne Autoren konzentriert aufbereiteten.8 In diesen Arbeiten steht aber die Demokratie nicht im thematischen Mittelpunkt, wie auch die Zugehörigkeit und Abhängigkeit der einzelnen demokratietheoretischen Argumentationen zur Gesamtdebatte nicht eingehend untersucht worden ist. Diese Vernachlässigung ist schon rein äußerlich nicht ohne weiteres verständlich, da zum einen die Zahl der einschlägigen Arbeiten, von Denkschriften, Flugschriften, Aufsätzen bis zu umfangreichen Monograpien, die in der Zeit vom August 1914 bis zum Oktober 1918 zur Demokratie geschrieben wurden, sehr groß ist. Zum anderen finden wir unter diesen Arbeiten auch einige Werke, die wir zu den Klassikern der politischen Theoriebildung im allgemeinen und zur Diskussion der parlamentarischen Demokratie im besonderen zählen, wobei an erster Stelle Max Webers Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland genannt werden muß. Ob aber ausgerechnet Max Webers Werk als der Königsweg der deutschen politischen Theorie zur repräsentativen Demokratie angesehen werden kann, wurde regelmäßig bestritten. Nun erkennen wir tatsächlich aus der Fülle der demokratietheoretischen Arbeiten, die während des Weltkrieges publiziert wurden, nur sehr wenige, die ohne weiteres die repräsentative Demokratie vertreten hätten, und auch diese befanden sich sichtlich in einer argumentativen Verteidigungssituation mit einem lastenden Rechtfertigungsdruck für die von ihnen gewählte Option. Will man daher die demokratietheoretischen Beiträge nur von ihrem Lösungsangebot, von dem vorgeschlagenen und präferierten Modell her verstehen, wird man unbedingt Vorbehalte äußern müssen bezüglich der Vorbildlichkeit der Diskussion. Denkt man aber nicht vom Ende her, sondern vom Ausgangspunkt und versucht das begleitende Problembewußtsein zu entschlüsseln, das ein Demokratiemodell plausibler erscheinen läßt als das andere, dann entdeckt man die intellektuelle und theoretische Leistung derjenigen, die sich mit Gründen gegen eine Vielzahl von Gegnern der Demokratie behaupten mußten und für eine parteipolitisch dominierte und wie auch immer in einer Massengesellschaft und im Flächenstaat vermittelte Selbstregierung plädierten.
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Grosser, Monarchischer Konstitutionalismus, 1970. Schmidt, Deutscher Historismus, 1964 und Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974. Für die Debatte in der Staatslehre vgl. bereits Vermeil, La constitution de Weimar, 1923, Lanchester, Alle origini di Weimar, 1985, Schönberg, Parlament im Anstaltsstaat, 1997 und Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 1999.
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Demokratie im Krieg heißt nämlich auch, mitten in intensiven Debatten mit erregten Gemütern und angesichts vager Alternativen und Prognosen den Streit um Handlungsorientierung und Sinnstiftung zu suchen und nüchtern Voraussetzungen, Vorzüge und Nachteile einer vorgeschlagenen politischen Ordnung zu erweisen. Man muß den Weg der Argumentation verfolgen und berücksichtigen, daß Autoren in dieser Zeit nicht dekontextualisiert und vor einem akademischen Publikum stritten, das das zwanglose Argument ohne innere Anteilnahme auf sich einwirken läßt, sondern inmitten einer durch vorher ungekannte propagandistische Kampagnen aufgewühlten Öffentlichkeit, deren gelehrter und gebildeter Anteil ausgerechnet am wenigsten für vorurteilsfreie und ausgewogenen Argumente zugänglich war, dafür aber gleichzeitig vermeinte, den besseren und patriotischeren Teil der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Erst diese Umstände lassen erahnen, gegen welche Widerstände das demokratische Argument ins Feld geführt werden mußte. Die Alternative bestand nicht zwischen einer repräsentativen oder plebiszitären Demokratie (von letzterer war während des Krieges fast nirgendwo die Rede), sondern weitaus dramatischer in der Entscheidung zwischen der scheinbar überparteilichen Sachkunde der politisch unverantwortlichen Beamtenregierung einerseits und der allen Einflüssen wankelmütiger öffentlicher Meinung ausgesetzten politischen Parteiregierung andererseits. Die parlamentarische „Schwatzbude" mußte sich der ansteigenden Plausibilität einer berufsständischen Vertretungen erwehren, politische Parteien mußten in Konkurrenz zu riesigen Sammlungsbewegungen wie der ausdrücklich nicht-parlamentarischen Vaterlandspartei treten. Gegen die Fiktion der im Burgfrieden und in der gemeinsamen vaterländischen Anstrengung des Krieges scheinbar erlebbaren „Volksgemeinschaft", die keine politische Vermittlung benötigte, mußte beharrlich auf die anhaltende Notwendigkeit einer selbständigen politischen Organisierung und „Führung" von Meinungsbildung und Willensbildung aufmerksam gemacht werden. Dieser Hinweis richtete sich auch an die Adresse von Parteipolitikern. Ferner mußte jeder Hinweis auf die Leistungen und Chancen der „westlichen Demokratie" sich des Vorwurfes erwehren, eine unpatriotische Parteinahme für den „Feind" darzustellen. Schließlich scheiterte die erforderlich erscheinende Demokratisierung etwa des preußischen Wahlrechts lange am hartnäckigen Widerstand der dadurch in ihren Privilegien bedrohten Kreise. Erst wenn man all diese und weitere Aspekte berücksichtigt, die der Befürwortung der Demokratie im Gegensatz zum Obrigkeitsstaat im Wege standen, wird man ermessen können, worin der tatsächliche Beitrag der Demokraten im Weltkrieg und ihre Vorbereitungsleistung für die Weimarer Republik bestand. Die Kritiker des Obrigkeitsstaates wurden im Laufe des Krieges zu den energischsten Verfechtern des Demokratiegedankens. Sie hatten dabei im Krieg nicht nur gegen hartnäckigen Widerstand zu kämpfen, etwa bei Personen· und Interessengruppen, die ihren Starrsinn als Nationalismus verstanden oder ihren Eigennutz geschickt als Vaterlandsliebe zu verbrämen wußten. Die Autoren und Vordenker der Demokratie mußten den Demokratiegedanken häufig überhaupt erst für sich selbst erschließen, mußten gegen ihre eigenen früheren Vorurteile die Chancen und Potentiale der Demokratie wägen und ihre Leistungsfähigkeit am Beispiel der gegnerischen Demokratien studieren. Inmitten all dieser Dilemmata politischer Argumentation zunächst sich selbst von der Tragkraft des demokratischen Argumentes zu überzeugen und dann gegen alle Widrigkeiten und Hemmungen für diesen Gedanken zu werben, das ist
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die eigentliche Leistung der Demokraten während des Weltkrieges gewesen. Mochten sie auch teilweise keineswegs mit dem „Herzen" Demokraten sein, so war es dennoch kein Zufall, daß viele dieser Autoren mit dem Ende des Krieges plötzlich als berufen galten, an die Spitze der Neubegründung der politischen Ordnung gestellt zu werden. Max und Alfred Weber, Ernst Troeltsch und Friedrich Meinecke, Hugo Preuß und Gerhard Anschütz, Hans Delbrück und Adolf Grabowsky, Wolfgang Heine und Georg Gradnauer, Eduard Bernstein und Karl Kautsky vertraten unterschiedliche Positionen und waren auch nicht über das Verhältnis von Demokratisierung und Parlamentarisierung einer Meinung. Im Verhältnis zu den konkurrierenden Ansichten in den von ihnen bearbeiteten weltanschaulichen Segmenten des Gesprächsfeldes verkörperten sie aber beharrlich und teilweise virtuos argumentierend denjenigen Teil der Diskussion, der für Reformen und Experimente, wie sie die Demokratisierung mit sich brachte, aufgeschlossen war. Im Übergang vom Kaiserreich zur Republik bereiteten sie der Demokratie gedanklich den Durchbruch, der angesichts der Gegner keineswegs selbstverständlich war und sich gleichsam von alleine seinen Weg bahnte. Obwohl viele von ihnen bis in die Reihen der sozialdemokratischen Autoren hinein nicht ohne weiteres auf die Idee einer parlamentarischen Monarchie Verzicht leisten wollten, und dies trotz ihrer gleichzeitig scharfen Kritik am Monarchieverständnis der Monarchisten selbst, öffneten sie sich für den Gedanken der Demokratie als politisches Argument zur Lösung normativer, institutioneller und integrativer politischer Probleme. Diese drei Ebenen der demokratischen Argumentation muß man dabei unterscheiden, denn ihre gegenseitige Vermittlung gehört zu den eigentlichen Schwierigkeiten jeder Demokratietheorie. Man kann auf einer rein normativen Ebene argumentieren und den Hochwert von Freiheit und Gleichheit verteidigen, und zwar auch auf Kosten institutioneller Aspekte der Regierungsbildung (Stabilität und Kompetenz) und auf Kosten von integrativen Fragen etwa der nötigen Homogenität, Kultur und Denkweise der zur Demokratie aufgerufenen Akteure. Umgekehrt sind Konstellationen der politischen Argumentation beobachtbar, in denen auf die Umsetzung der normativen Aspekte zugunsten der Lösung institutioneller Probleme wie der Regierungsstabilität Verzicht geleistet wird, ohne deswegen sogleich antidemokratisch argumentieren zu müssen. Ein bedeutendes Beispiel hierfür ist die Verfassungsänderungsdebatte am Ende der Weimarer Republik. Schließlich können auf der integrativen Argumentationsebene vorpolitische Bedingungen des Politischen zur Geltung gebracht werden. Wird die Nation oder das Schicksal einer sozialen Klasse als Fixpunkt aller Argumentation angesehen, dann können demokratische Argumente nachrangig hierzu behandelt und relativiert werden. Fördert die Demokratisierung des Volkes in seinem jetzigen gesellschaftsgeschichtlichen Zustand das Wohl der (numerisch in der Minderheit befindlichen) Arbeiterklasse? Fördert die Demokratisierung der politischen Ordnung den Wohlstand der Nation? Man kann aber auch die Demokratie selbst als gesellschaftliche Bestimmungsgröße ansetzen, etwa wenn man einen sozialen Begriff von Demokratie im Sinne hat wie die am Ende des 19. Jahrhundert häufig verwendete Vorstellung von der „Massendemokratie". Umgekehrt können integrative Leitideen dazu dienen, Konflikte zu überdecken, von denen man nicht erwartet, daß sie mit demokratischen Mitteln gelöst werden können. Schon diese drei Ebenen möglicher Verwendungsweisen von Demokratie zeigen die mögliche Vielschich-
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tigkeit der Argumentation, aber auch, daß die Anerkennung des demokratischen Argumentes auf einer bestimmten Ebene dazu dienen kann, ihren Vorrang auf einer anderen Ebene in Zweifel zu ziehen. Wer die Regierungsform der Demokratie als disfunktional bezeichnet, wird die Monarchie als mögliche politische Verwirklichungsform der rein normativen Idee der Demokratie behaupten können, wenn er nicht die Selbstregierung zum Kern dieser Norm erhebt. Wer aber die Selbstregierung zum Kern des normativen Idee der Demokratie erhebt, wird sich nicht ohne weiteres von der Warnung vor der drohenden Anarchie schrecken lassen. Über die ideengeschichtlich-historische Rekonstruktion eines bestimmten Gesprächsfeldes hinaus bietet die Demokratiedebatte im Weltkrieg also auch Aufschluß über Bedingungen und Voraussetzungen von politischer Argumentation. Wenn wir daher nicht nur nach „Demokraten" von Herkunft und Gesinnung Ausschau halten, sondern nach der „demokratischen Argumentation", die sich auch bei Autoren durchsetzte, welche sich vorher nur bedingt für den Demokratiegedanken aufgeschlossen gezeigt hatten, so fragen wir nicht nach der Durchsetzung eines bereits vorausgesetzten Modells von Demokratie, sondern nach dem Gebrauch des demokratischen Arguments in der politischen Argumentation. Die profilierteste Schule ideengeschichtlicher Forschung, die den zeitgenössischen Gebrauch und nicht den transhistorischen Sinn von politischer Ideen in den Mittelpunkt stellt, ist die Cambridge School.9 Sie hat ihre Wurzeln in der sprachphilosophischen Wende nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allen Dingen in der sprachpragmatischen Ausrichtung, die die Bedeutung einer Aussage nicht nur nach der intentionalen Seite erschließen möchte, sondern nach der Wirkungsseite des Argumentes, seines diskursiven Gebrauchs. Damit gelangt die ideengeschichtliche Rekonstruktion einer bestimmten politischen Argumentation in die Nähe der Rhetorik, die sich nach Aristoteles auf die Überzeugungskraft von Argumenten vor einem Publikum konzentriert. Dabei unterscheidet er neben der Lob- und Preisrede, die die Schönheit des besten Argumentes zum Gegenstand hat und die interessenlose Zustimmung des Auditoriums sucht (dies ist wohl die früheste Umschreibung des zwanglosen Zwanges des besten Argumentes), die juristische von der politischen Rede. Nach Aristoteles beschäftigt sich die juristische Argumentation mit Fragen der Vergangenheit, die als Fakten durch Zeugenprozesse relativ klar erschließbar sind, während die politische Beratungsrede es mit Fragen der Zukunft zu tun hat, die keinem Wissen zugänglich sind. Politische Rhetorik soll hier also nicht die Lehre von der Ausschmückung einer Rede heißen, sondern die Berücksichtigung des Praxisbezugs. Da die politische Beratungsrede es mit Gegenständen der Zukunft zu tun hat, kann ihre Argumentation nicht den Status des Wissens behaupten. Gleichwohl folgt aus der Unmöglichkeit praktisch-politischen Wissens nicht die Annahme, politische Rede unterliege der Beliebigkeit des subjektiven Meinens. Aristoteles untersucht vielmehr, wie aus Wahrnehmung und Erfahrung sich Argumente als Beweisgründe erschlie-
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Vgl. für Skinners methodische Überlegungen die Textsammlung von Tully, Meaning and Context, 1988 und für J. G. A. Pocock: ders., Introduction, 1985, S. 1-34, und ders., Politics, Language and Time, 1971. Zur Diskussion der Cambridge School vgl. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie, 1994.
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ßen, die nicht den Charakter universaler und damit apodiktischer Wahrheit beanspruchen dürfen, aber dennoch verallgemeinerbar sind. Gerade bei der politischen Argumentation müssen wir davon ausgehen, daß ihr Ziel nicht Wahrheit unabhängig von der Herkunft und der Interessen der Redner und Zuhörer ist, sondern die Gewinnung einer mindestens mehrheitlich zustimmungsfähigen Allgemeinheit, die von der Gültigkeit der Aussage überzeugt und ihr Handeln danach zu bestimmen bereit ist. Der logische Status dieser Allgemeinheit ist nicht die universale Begründetheit, da diese keineswegs schon aus sich heraus die erforderliche politische Zustimmung erbringt, sondern die Bündelung von Meinungen in eine allgemein zustimmungsfahige Auffassung. Die Rhetorik ersetzt nicht wissenschaftliche Beweisführung, sondern ermöglicht kontrollierte Beweisführung in einem Felde, wo per definitionem eine strikt wissenschaftliche Beweisführung unmöglich ist. Denn wissenschaftliche Beweisführung ist nur dort apodiktisch unzweifelhaft wahr, wo es um Schlüsse aus unzweifelhaften Prämissen geht. Eine zwingende Beweisführung setzt unzweifelhafte Gründe voraus. Die Rhetorik setzt dort ein, wo ein Mangel an solchen Gründen besteht, diese vielmehr selber in Frage stehen.10 Die „inventio" der Rhetorik ist deshalb ihr Herzstück als Argumentationslehre, geht es hier nämlich um eine Situation der Fragwürdigkeit der Beweisgründe selber, und nicht erst der Zweifelhaftigkeit der Schlußfolgerungen. Ihr Bestreben ist also das Aufsuchen von beweiserheblichen Gründen (Topik), d. h. die Suche nach den Orten und den Gemeinplätzen, die erst die Evidenz der Argumentation ermöglichen. Der Rahmen solcher Argumentation kann auch als Erfahrungsraum der Beteiligten und ihres gemeinsam geteilten Erwartungshorizontes bezeichnet werden. Das Begriffspaar von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont wurde von Reinhart Koselleck entwickelte," um die spezifische Zeitlichkeit historischen Denkens einschließlich der jeweiligen Zukunft auszuweisen. Hier soll es im Bereich der politischen Argumentation Anwendung finden, und zwar als derjenige Rahmen, innerhalb dessen politisch Argumentierende ihr Handeln begrifflich zu orientieren suchen. Gemeinsam geteilter Erfahrungsraum und gemeinsam geteilter Erwartungshorizont ermöglichen eine wesentlich höhere Zustimmungsfahigkeit und Plausibilität von politischen Argumenten. Die geteilte Erfahrung des Ersten Weltkriegs schuf ein Gesprächsfeld, das einen im Vergleich zur Vorkriegszeit erheblich veränderten Hintergrund politischer Argumentation darstellte. Das gilt auch für ideologieüberschreitende Kontexte. So öffnete sich die im Kaiserreich überwiegend exklusiv gehaltene Theoriediskussion der Sozialdemokratie für politische Argumente aus dem bürgerlichen Lager und das bürgerliche Lager öffnete sich in einer ganz spezifischen Art und Weise sozialistischen Argumenten. Der sozialistische Strang der im Weltkrieg geführten Demokratiedebatte wird in dieser Arbeit nur insoweit behandelt, als er zeigt, wie stark sich auch hier die argumentativen Lager spalteten und wie nahe die jeweilige Beweisführung für und gegen die Demokratie den aus den bürgerlichen Diskussionen bekannten Argumenten kam. Jede vertiefte Auseinandersetzung müßte die langen Diskussionen vor Ausbruch des Krieges zwischen dem gedanklichen Erbe von Marx und dem von Lassalle berücksichtigen, zumal es mit der Gründung der
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Rüdiger Bubner, Dialektik als Topik, 1990, S. 69. Reinhart Koselleck, „ Erfahrungsraum " und „ Erwartungshorizont ", 1979.
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Republik nach 1918 zu einer regelrechten Lassalle-Renaissance kam. Schließlich müßte man die philosophische Rekonstruktion des Marxschen Denkens bei Karl Korsch, Georg Lukács und auch Ernst Bloch behandeln, die sich bereits im Weltkrieg vorbereitete. Das alles aber würde den Rahmen dieser Analyse eines Gesprächsfeldes und der Umstände der in ihm erfolgten Argumentation bei weitem sprengen. Die Gliederung der Demokratiedebatte im Ersten Weltkrieg erfolgt nach den Zäsuren des Gesprächsfeldes. Der Weltkrieg war kein Kontinuum, das die Autoren, die unter dem Eindruck des Krieges standen, vom Anfang bis zum Ende überblicken konnten. Vielmehr gestaltete sich der Verlauf des Krieges nach bestimmten dominanten Zäsuren, die jeweils neue Konstellationen ergaben, auf die die Autoren wiederum reagierten. Wir können fünf Zäsuren unterscheiden, die im Laufe des Krieges für die politische Theoriebildung im allgemeinen und die Demokratiediskussion im besonderen von zentraler Bedeutung waren: Die erste Zäsur war mit Ausbruch des Krieges gegeben. Nach dem Erlebnis der Kriegsbegeisterung folgte die politische Reflexion der Marne-Schlacht und die allmähliche Einsicht in den Charakter des Krieges als eines totalen, alle gesellschaftlichen Lebensräume umfassenden und wahrscheinlich lange anhaltenden Konfliktes. Diese zweite Zäsur brachte die ersten Reflexionen und theoretischen Überlegungen über die Ursachen des Krieges und den eigentlichen Gegner sowie zu den langfristigen Auswirkungen des Krieges auf die innenpolitische Struktur des Kaiserreichs auf den Weg. Die militärische Bewältigung des anhaltenden Kriegszustandes erforderte die Mobilisierung aller Kräfte und Ressourcen, weshalb die Frage nach der innenpolitischen Struktur, die diese Mobilisierung am erfolgreichsten ermöglichte, zugleich eine kriegsentscheidende Frage wurde. Damit brach aber der Konflikt zwischen den reformerisch orientierten Kräften und den am status quo interessierten Gruppierungen, der schon vor dem Krieg geschwelt hatte und unter dem Zeichen des Burgfriedens eine Zeit lang unterbrochen worden war, mit neuer Vehemenz aus. Es war zunächst die heftige Diskussion um die Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges Ende 1916 und vor allen Dingen die demokratische Wende bei den Kriegsgegnern, die die dritte Zäsur des Kriegs brachte. Als die USA im Frühjahr 1917 in den Krieg eintraten und kurz zuvor das zaristische Rußland einer bürgerlichen Demokratie weichen mußte, versammelten sich die Alliierten unter der Fahne der Demokratie, und mit der Rede Wilsons zur Kriegserklärung wurde klar, daß zumindest die USA die Demokratisierung Deutschlands zum ausdrücklichen Kriegsziel erhoben hatten. Aber erst die deutsche Julikrise 1917 brachte den Höhepunkt der deutschen Diskussion und die vierte Zäsur des Krieges. Als der Reichstag die politische Initiative ergriff, den Kanzler stürzte und mit Macht Einfluß auf die politische Willensbildung der Regierung nehmen wollte, war der Scheitelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung erreicht. Zwar kam es bei der Durchsetzung der Friedensresolution des Reichstages zur Zusammenarbeit jener parteipolitischen Kräfte, die später die Weimarer Koalition ausmachen sollten. Aber die politische Initiative wurde nicht ernsthaft ergriffen, die reformerischen Kräfte innerhalb der politischen Parteien versiegten, man begnügte sich mit einem „Krypto-Parlamentarismus". Die Demokratisierung wurde verschleppt und bei den Friedensverhandlungen mit dem bolschewistischen Rußland in Brest-Litowsk zeigte es sich, daß der Reichstag keine treibende Kraft mehr war. Diese Umstände bewogen zu einer vertieften Debatte über die Bedingungen der Möglichkeit
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von Selbstregierung. Mit den Hoffnungen auf einen Siegfrieden, die man in die Frühjahrsoffensive 1918 setzte, verlor der Demokratiegedanke für die öffentliche Meinung wieder an Überzeugungskraft. Erst unter dem Schock des Schwarzen Tages des Heeres im Herbst 1918 und der überstürzten Parlamentarisierung des Reiches im Oktober 1918, die die fünfte Zäsur des Krieges darstellt, setzte sich der Demokratiegedanke endgültig als Leitidee der inneren Reformen durch. Noch im Krieg erlassen, waren sie der Ertrag der mühseligen und lange aussichtslos erschienenen Bemühungen der Verfechter einer Demokratisierung des Kaiserreichs. Nun kamen demokratisch argumentierende Autoren sogar unmittelbar in Schlüsselpositionen der politischen Ordnung, um freilich schon sehr rasch ihre eigene Ohnmacht erfahren zu müssen. Sie konnten zwar den Demokratiegedanken zum normativen Kern der künftigen Verfassung erheben, aber seine Sicherung und seine Erfüllung mit Leben scheiterte. Diese fünf Zäsuren strukturieren das Gesprächsfeld des Krieges und seine Debatten, und geben damit auch die Struktur für diese Untersuchung vor.
I. Das Kriegserlebnis und seine ersten Auswirkungen auf das politische Denken
Der Krieg begann als ein Sommerfeldzug, und die anfanglichen Siege im Westen und Osten wie das Erlebnis der Geschlossenheit der heterogenen sozialen Schichten und politischen Kräfte des Kaiserreichs führten zu einer vorher unbekannten Kriegsbegeisterung. Noch wenige Tage vor der Mobilmachungserklärung hatte sich ein Teil der öffentlichen Meinung deutlich gegen die kriegsvorbereitende Politik der Regierung Luft gemacht. Dann aber verfiel die Bevölkerung und die überwiegende Mehrheit ihrer intellektuellen und wissenschaftlichen Teile in eine Begeisterung, die man nur als euphorischen Taumel bezeichnen kann.1 Freilich muß man hier differenzieren. Zwar gab es auch eine regelrechte Literatur zum Krieg als Kulturphänomen mit zahllosen Apologien über die angeblich menschheitsgeschichtliche Notwendigkeit des Krieges.2 Aber diese Art der Kriegsbegeisterung war nicht überall vorherrschend und an manchen Stellen überwogen Sorge und Furcht.3 Auf der anderen Seite steht aber das Erlebnis der inneren Eintracht der Bevölkerung, die in dieser Form vorher nicht für denkbar gehalten worden war und über alle Parteischranken hinweg als die eigentlich bewahrenswerte Wirkung des Krieges gefeiert wurde. In der Überlieferung des kollektiven Gedächtnisses der Nationen verbindet sich mit der Vorstellung des Ersten Weltkrieges die uns heute so vertrauten Zeugnisse des Stellungskrieges an der Westfront. Die erschütternden Erlebnisse des maschinisierten Krieges mit seinen unbeschreiblichen Schrecken und den Hekatomben an Menschenleben, die er forderte, wurden von der betroffenen Generation aber erst nach dem Krieg verarbeitet und mitgeteilt. Für die „Daheimgebliebenen" lag ein Schleier der Uninformiertheit über der Westfront, die in der Statik ihres Stellungkampfes auch nur schwer über Nachrichten und Presse vermittelbar war, während die militärischen Ereignisse an der Ostfront und auch in Italien wesentlich vertrauter mit herkömmlichen Kategorien eingeordnet werden konnten. Im Zweifel half dann der Trost der Imagination des
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Mai, Ende des Kaiserreichs, 1987, S. 9 - 3 0 auch zum Umschlag der Stimmung in Kriegsbegeisterung. Wie sie etwa der Alldeutschen Schmidt-Gibichenfels vertrat: „Der Krieg als Kulturfaktor, als Schöpfer und Erhalter der Staaten", erwähnt bei Mommsen, Autoritäre Nationalstaat, 1990, S. 82. Allgemein hierzu Schwabe, Kriegsmoral, 1969, S. 33ff. Kruse, Kriegsbegeisterung, 1991, S. 73-87 und Kruse, Krieg und nationale Opposition, 1994.
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Heldentums der gefeierten Söhne, deren wahres Leid in keiner der zahllosen Schriften und Reden thematisiert wurde. Auch bei den Erörterungen des Friedensschlusses spielte es nur in den seltensten Fällen eine Rolle, die bloße Ziffer der Toten als argumentativen Anstoß dafür zu nehmen, daß man gesagt hätte, der entrichtete Blutzoll sei genug gewesen, nun könne man wieder Vernunft annehmen. Im Gegenteil zeigte es sich, daß die Lebenden viel eher der Auffassung war, daß ihre Schuldigkeit den Toten gegenüber darin bestehen müsse, nun erst recht dafür zu sorgen, daß der Krieg und ihr Tod nicht „umsonst" gewesen seien. Was aber für die Heimatfront unmittelbar erlebt wurde, war die Wirkung des Krieges auf Stimmung und Verhalten der Bevölkerung, die angesichts der Herausforderung des Kriegs nun endlich nach langen Jahrzehnten der Zwietracht wie aus einem Guß sich geeint zeigte. Diese nach innen gewendete Kriegsbegeisterung erzeugte eine eigentümliche Formation an Literatur, die schon zeitgenössisch unter der Chiffre der „Ideen von 1914" zusammengefaßt wurde und als Argumentationstopos einen wesentlichen Teil des Gesprächsfeldes prägte. Die explosionsartig entstandene Sinnstiftungsliteratur im Ersten Weltkrieg kann unabhängig der Frage ihrer analytischen Kraft und argumentativen Überzeugungsfahigkeit zunächst als Zeichen dafür gedeutet werden, daß Zeitgenossen den Sinn der unmittelbar beobachtbaren Ereignisse nicht mehr nach Maßgabe vertrauter Maßstäbe zu ermitteln versuchten. Nicht die von Wissenschaft und Lehre aufgearbeiteten und tradierten Kategorien der Vorkriegszeit, sondern neue Maßstäbe wurden gesucht, um die als neu und unvergleichlich empfundene Erfahrung des Kriegs und seiner Auswirkungen auf die unmittelbare Lebenspraxis verständlich zu machen. Zunächst handelte es sich in den meisten Fällen um Gesinnungsliteratur, um Befindlichkeitsdeklamationen und in der Regel dienten sie einer Neulegitimation bestehender politischer Institutionen. Zu den bereits viele Zeitgenossen verblüffenden Erscheinungen gehörte es etwa, daß Phänomene der politischen Wirklichkeit wie der Militarismus, die vor dem Krieg durchaus kritisch kommentiert wurden, nun zum Inbegriff des eigenen politischen Empfindens und normativen Selbstverständnisses erhoben wurden. Diese berühmte Kriegsbegeisterung erzeugte eine Atmosphäre, in welcher die nüchterne Urteilskraft kein Gehör fand und das Niveau gedanklicher Reflexion sich in eine erschreckende Euphorie, in ein Fieber stürzte, in welchem alle klassischen Argumentationen der politischen Theorie plötzlich verdampften und vom Wind der Begeisterung hinweg gefegt wurden. In gelehrten Ergüssen von Personen des öffentlichen Lebens, die sich vorher nie zu politischen Fragen geäußert hatten (Gerhart Hauptmann), die teilweise sogar einen entschieden anti-politischen Gestus gepflegt hatten (Werner Sombart), wurde nicht nur Bekenntnis abgelegt für die eigene patriotische Gesinnung, sondern man wollte zugleich den eigentlichen Sinn des Krieges erklären. Der Beitrag Sombarts zur Sinnfrage des Krieges gehört zu den berüchtigsten Ergüssen der professoralen Kriegspublizistik. In der Broschüre Händler und Helden * stellte der Nationalökonom dem deutschen Händlervolk das englische Krämervolk entgegen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Sombart noch vor dem Krieg die Engländer mit den Deutschen zusammen zu den Hel4
Werner Sombart, Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München 1915. Hierzu Lenger, Werner Sombart, 1993, S. 246-249 und Lenger, Sombart als Propagandist, 1996.
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den rechnete und nun stillschweigend die Eingruppierung veränderte.5 Das Vordringen der englischen Krämerkultur vor dem Krieg auch in Deutschland sei für den Kulturpessimismus dieser Zeit verantwortlich gewesen, von dem er selber sich nun mit Hilfe des Kriegs befreit sah. Denn die Technik der Waffen und die Uniform enthüllen nun erst ihren höheren, kulturermöglichenden Wert und stellten den höchsten Sinn dar. Diese Thesen wurden dabei mit zahlreichen gelehrten, philosophischen und wissenschaftlichen Überlegungen „bewiesen". Die Sinnstiftungsliteratur war ein bildungsbürgerliches Ereignis und trug komprimiert alle Züge bildungsbürgerlicher Geltungssucht,6 die für das politische Denken nur selten Früchte getragen hat. War es zunächst nur um die Erklärung oder Rechtfertigung der Regierungspolitik bei unmittelbaren Kriegsereignissen gegangen, wie den Bruch der Neutralität Belgiens, die Behandlung der dortigen Zivilbevölkerung und umgekehrt die Auffassung in der deutschen öffentlichen Meinung von einem aufgenötigten Defensivkrieg und später die Hungerblockade der Alliierten, steigerte sich die intellektuelle Auseinandersetzung dann zu ungeahnten Dimensionen. Obwohl es einige wenige Stimmen gab, die den Interessenkonflikt der Staaten als Ursache des Krieges betonten, wie Otto Hintze,7 provozierte die „Größe" des Ereignisses weniger profane Erklärungsversuche. Die Suche nach einer Sinnstiftung maß sich an der Größe der Kriegsereignisse selbst, der Anzahl der beteiligten Völker und Nationen, der Anzahl der unmittelbar militärisch Beteiligten, der Größe der Auswirkungen. Die Größe des Weltkrieges und die Probleme seiner geistigen Vergegenwärtigung8 verlockten zu einem angemessenen begrifflichen Rahmen der theoretischen Bewältigung dieses Erlebnisses in gleichfalls gigantomanischen Kategorien. Sinnstiftungen geschichtsphilosophischen oder gar metaphysischen Ausmaßes erschienen dem Ereignis angemessener als herkömmliche interessenpolitische Betrachtungsweisen. Die Sinnhaftigkeit des Krieges wurde daher von der politischen Interessensphäre auf die weltanschauliche, kulturelle Sphäre übertragen und der politische Gegensatz wurde zum weltanschaulichen, kulturellen Gegensatz stilisiert, zu einem Krieg der Geister,9 zu einem Kulturkrieg.10 Dabei schaukelten sich die
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Lenger, Werner Sombart, 1993, S. 246. Bollenbeck, Bildung und Kultur 1994, S. 272-277. „Es handelt sich in diesem großen Völkerringen in erster Linie nicht um Kulturideen, sondern um sehr reale Lebensinteressen der Völker und Staaten": Otto Hintze, Der Sinn des Krieges, in: ders., Hrsg., Deutschland im Weltkrieg 1916,2. Band S. 820ff. Max Scheler, Soziologische Neuorientierung, in: Krieg und Außau, Leipzig 1916, S. 245: „Er [der Krieg] ist geradezu das erste Ereignis der bisherigen Geschichte überhaupt, das unter einer restlosen Teilnahme der gesamten Erdbewohnerschaft vor sich geht. Er ist in dieser Hinsicht Kulminationspunkt allmenschlicher Erlebniseinheit in der bisherigen Menschheitsgeschichte, das erste Erlebnis, das man ohne Einschränkung und Bildlichkeit ein Gesamterlebnis der Menschheit nennen kann." Hermann Kellermann, Der Krieg der Geister, Weimar 1915 gab schon zeitgenössisch eine Sammlung einschlägiger Reden und Vorträge der ersten Kriegszeit; ferner für den Bereich der Gelehrten und Wissenschaftler: Böhme, Aufrufe und Reden, 1975. Ernst Troeltsch, Der Kulturkrieg, 1915, in: Deutsche Reden in schwerer Zeit Band 3, Berlin 1915, S. 210.
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selbsternannten Sinnstifter auf beiden Seiten des militärischen Konfliktes gegenseitig hoch. Auch in den westlichen Ländern stellte der Weltkrieg ein einschneidendes Erlebnis dar, welches im Bewußtsein der Völker und ihrem kollektiven Gedächtnis so tiefe Spuren hinterließ, daß es das Erlebnis des Zweiten Weltkrieges überdauerte." Die Bedeutung, die man dem Tag des Waffenstillstandes des ersten Weltkrieges in England beimißt, sowie die Stellung, die Verdun im kollektiven Gedächtnis Frankreichs besitzt, legen hierfür Zeugnis ab. Aber wie in Deutschland gab es auch in den Ländern der Entente zunächst das Phänomen der Kriegsbegeisterung und die Ideologie der nationalen Einheit angesichts der kriegerischen Herausforderung.12 So war für Frankreich die „union sacrée" das politische Glaubensbekenntnis der inneren Einheit. Als Schlagwort des Krieges wurde ihre Formel in einer Botschaft des Präsidenten der Republik Raymond Poincaré vom 4.8.1914 an die Abgeordneten geboren. Die Zeitschriften griffen das neue Symbol der inneren Einheit Frankreichs während des Krieges über die weltanschaulichen Grenzen hinweg auf.13 Der Verhaftungsplan des „Carnet Β", wonach die sozialistischen Politiker eine Gefahr für den Frieden an der Heimatfront darstellen könnten, blieb unangewendet und gerade die linken Blätter steigerten sich zu einem vorher ungekannten Nationalismus. In den Kreisen der literarischen Publizisten entstand geradezu eine Literatur der union sacrée.14 Hier taten sich neben Maurice Barrés auch Bergson, Anatole France und Materlinck hervor. Die Parallelen zu Deutschland waren in dieser Hinsicht sehr groß, nur daß hier die Republikaner federführend waren auch in der Regierungsbildung und sich sehr wohl zu verwahren wußten gegen Versuche der anti-republikanischen Rechten, die union sacrée in deren Sinne zu mißbrauchen.15 Die Republikaner ihrerseits und unter ihnen nicht zuletzt die Führer der Gewerkschaften orientierten sich gerne an der revolutionären Tradition. Der Tod von Jean Jaurès war nicht nur der Auftakt eines ungebremsten Nationalismus seitens der Rechten, sondern konnte vor allen Dingen den überschwenglichen Patriotismus der Sozialisten nicht bremsen. Bei den Trauerfeierlichkeiten zog Léon Jouhaux eine Linie von den revolutionären Kriegen des Jakobinismus zum Weltkrieg. Als Sprecher der Gewerkschaft C. G. T. gemahnte er, daß die in den Krieg ziehenden Soldaten das gleiche Anliegen hätten wie die revolutionären Soldaten des Jahres II der Republik (1793), die „die Freiheit in die Welt trugen".16 Gustave Hervé wurde frühzeitig zum Sprecher der Sozialisten, die sich hinter die Regierung stellten und den Krieg unterstützten.Das Pathos war nicht minder groß als in Deutschland. Die Skepsis der Intellektuellen bezüglich des 11 12 13 14 15
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Wohl, Generation of1914, 1980 oder Leed, No Man's Land. 1979. Willis, England's Holy War, 1928; Stromberg, Redemption by War, 1982. Beginnend mit Le Temps als Titel von drei Artikeln am 6., 8. und 15. August 1914 bis zur Action Français und L'Humanité, vgl. Becker, 1914: comment les français, 1977, S. 367ff. Schinz, French Literature, 1920, S. 6ff. „L'Union nationale, qui, la réconciliation, qui, mais avec ceux qui acceptent la forme démocratique que le pays s'est librement donnée." L'Humanité vom 9. August 1914 gegen einen Artikel in der Action Français in Zusammenhang mit der Ermordung von Jean Jaurès: Becker, 1914: comment les français, 1977, S. 503. Zitiert nach Carón, Frankreich, 1991, S. 588.
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Sinns des sich anbahnenden Krieges im Vorfeld der weitestgehend geheim verlaufenden Kabinettsentscheidungen der beteiligten Regierungen wich einer im Vergleich dazu schwer nachvollziehbaren Zustimmung zum Krieg, gefolgt von überschwenglichen Versuchen, den Sinn des Krieges in Überlegungen zu finden, die weit über die unmittelbaren Anlässe des Kriegsausbruchs selbst und weit über die nüchternen Fragen der realpolitischen Interessenkonstellation hinausreichten. In Großbritannien war die Frage des Kriegseintritts besonders umstritten. Dennoch trat auch hier mit dem fait accompli der Regierung ein rascher Meinungsumschwung ein.17 Die akademische Welt Großbritanniens fühlte sich freilich der deutschen Wissenschaft besonders verbunden.18 Es kam zunächst zu einem „Scholars Protest against war with Germany",19 der den Krieg mit Deutschland als schwere Schädigung der Zivilisation verurteilte, an deren Spitze stehend man sowohl England als auch Deutschland ansah.20 Als aber die ersten Nachrichten von deutschen Kriegsgreuel eintrafen,21 änderte sich rasch das Meinungsklima. Neben der Verletzung der Neutralität Belgiens war es vor allen Dingen die Vorgehensweise gegen belgische Franktireure und die übrige Zivilbevölkerung und der Brand der Löwener Bibliothek, welche die akademische Welt der Entente dazu veranlaßte, den Sinn des Krieges gegen Deutschland weitaus tiefer zu verwurzeln, als es die genannten Umstände erforderlich gemacht hätten. Noch vor dem Einmarsch in Belgien und der Zerstörung der Bibliothek von Leiden sowie den Formen, die die Bekämpfung der feindlich eingestellten Bevölkerung seitens der Deutschen annahm, wurden die Stichworte gegeben, die die weitere Sinnstiftung in der britischen Öffentlichkeit erfolgreich prägen sollte. In einem Brief des Fellows des Trinity College zu Oxford, H. Stuart Jones, Mitglied des reichsdeutschen Archäologischen Institutes, warf er den Gelehrten des erwähnten Times-Briefes vor, unberücksichtigt gelassen zu haben, daß Deutschland nicht von Gelehrten regiert werde, sondern von Staatsleuten, für die eher die Schriften von Treitschke und Bernhardi repräsentativ seien.22 Damit tauchten in der Öffentlichkeit erstmals die zwei Namen auf, die fortan für den Nachweis der These vom deutschen Militarismus als Kronzeugen herbeigerufen wurden.23 Hier halfen auch nicht Einwendungen, wonach selbst für Deutsche Treitschke oder Bernhardi zu-
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Keiger, Britain's „Union sacrée", 1990 berichtet, wie innerhalb von Tagen sich substantielle Opposition gegen den Krieg in Befürwortung und freiwillige Unterwerfung unter die Belange der Nation erfolgte: am Beispiel Irlands, am Beispiel Manchesters, und zwar auch und gerade in den Reihen der Intellektuellen und Labours. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 1-29: zeigt die vielfältig beobachtbare Vorbildfunktion der deutschen Universität für England und die intensiven Kontakte beider Wissenschaftskulturen. In der Times vom 1. August 1914, S. 6. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 24f. Zum Phänomen einer sich gegenseitig aufwiegelnden „Greuelpropaganda", vgl. Kestler, Deutsche Auslandsaufklärung, 1994, S. 127-140. Zur leichten Abrufbarkeit kollektiver Feindbilder vgl. Jeismann, Vaterland der Feinde, 1992. Times vom 4. August 1914, S. 5, bei Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 26. Zum Beispiel J. A. Cramb, Germany and England 1914.
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nächst nichts mehr als Namen seien.24 Statt dessen setzte nun eine umfängliche Treitschke- und Bernhardi-Rezeption in England noch während des Ersten Weltkrieges ein, die einen scharfen Kontrast zwischen deutschem und westlichem politischen Denken behauptete. 25 Selbst Ernest Barker, der als Übersetzer der großen ideengeschichtlichen Arbeit von Otto Gierke zu Althusius zu den intimen Kennern des deutschen politischen Denkens zählte, zeichnete eine Linie von Nietzsche bis Treitschke, die für die zivilisatorische Andersartigkeit verantwortlich sei, die nun bekämpft werde.26 Mit Zitatenzusammenstellung aus Werken von Treitschke, Nietzsche und Bernhardi schien sich das Unerklärliche der Barbarei der deutschen Kriegführung wenigstens in eine gedankliche Tradition einordnen zu lassen.27 Auch in Frankreich trat das Phänomen der einseitigen Reduzierung der politischen Philosophie Deutschlands auf Hegel, Treitschke, den Reden Bismarcks und den Publikationen Bernhardis hervor.28 Nun gab es in England also zwei Deutschlandbilder und gerade den Liebhabern Deutschlands wurde bewußt, daß sie sich entscheiden mußten, welches Bild sie für repräsentativ erachteten, was aber hieß: ob sie den Krieg mit dem Herzen billigten und unterstützten, oder aber mit innerer Reserve begleiteten. Michael Sadler brachte seinerzeit den Zusammenhang dieser beiden Bilder zum Ausdruck und die indirekte Verantwortung der nichtregierenden deutschen Gelehrten für die Form der tatsächlichen Regierung: „Of the two Germanys the one you and we love is not responsible for this wickedness, except so far as it has not had the moral or physical courage enough to stab Junkers in the face long ago".29 Das hätte die Grundlage auch für die herausgeforderte deutsche Gelehrtenwelt sein können, sich ihres tatsächlichen Verhältnisses und Einflusses auf die deutsche Beamtenregierung klar zu werden. Diese entscheidende Frage ließ sie aber zunächst völlig unbeantwortet, im Taumel des Patriotismus erachtete sie sie nicht einmal als einer Klärung bedürftig. Statt dessen wurde der Militarismus-Vorwurf positiv gewendet. Die militaristischen Aspekte des Obrigkeitsstaates, die man vor dem Krieg kritisiert hatte, wurden nun unter den Erfahrungen des Weltkrieges zu Charakterzügen des Volkskrieges umdefiniert und akklamiert.30 Zu beobachten war diese Konversion vor allen Dingen in den zahlreichen Manifesten und öffentlichen Briefen von Intellektuellen und Gelehrten, die den Militarismus-Vorwurf in der öffentlichen Meinung der westlichen Kriegsgegner energisch zurückwiesen.
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J. W. Allen, Germany and Europe, London 1915, S. 4, erörtert bei Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 68. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 67ff. Ernest Barker, Nietzsche and Treitschke: The Worship of Power in Modern Germany, Oxford 1914. Vgl. Ungern-Sternberg/Ungern-Sternberg, Der Aufruf „an die Kulturwelt", 1996, S. 81-104 zum Deutschlandbild in Frankreich, England und den USA und seinen Klischees. In einer Zitatenauflistung rangierten diese vier „Kronzeugen" deutschen politischen Denkens in der Spitze: Huber, Die französische Propaganda 1928. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 31. Conze/Geyer, Militarismus, 1978, S. 39f.; vgl. ferner Stargardt, The German Idea of Militarism, 1994, S. 152 und Fries, Die große Katharsis; Band 2 1995, S. 195ff.
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Von den vaterländischen Festtags- und Feierreden der Akademiker zum Geburtstag des Kaisers, zu denen nun auch jährliche Feiern des 4. August hinzukamen bis hin zur Gattung der Manifest-Literatur schien die für die deutsche Publizistik so kennzeichnende „Gelehrtenpolitik"31 im Weltkrieg nicht nur ihre Fortsetzung zu erfahren, sondern ihren eigentlichen Höhepunkt zu erreichen.32 Viele ältere Gelehrten erinnerten sich angesichts des Erlebnisses der Stimmung beim Kriegsausbruch an ihre eigene Jugend, in der sie selber die Gründung des Bismarck-Reiches mit Waffengewalt erlebten hatten, ja teilweise selber als Soldaten daran mitgewirkt hatten. Repräsentativ hierfür ist eine der frühesten Publikationen mit den patriotischen Reden zum August 1914, „Deutsche Reden in schwerer Zeit".33 Zu dieser Generation gehörte auch Otto von Gierke. Gierke betonte nicht nur seine eigenen Erfahrungen der Jahre 1866 und 1870, sondern unterstrich damit auch seine Auffassung von der kulturzerstörenden wie -bringenden Wirkung des Krieges überhaupt. Die Geschichte „lehrt uns aber auch, daß der Krieg stets die große Probe nicht nur für die Waffenmacht, sondern auch für die sittliche Kraft der Gemeinwesen war."34 Es ist die Probe für die Wertbeständigkeit von Vorstellungen, „was innerlich gesund und des Bestandes noch wert war, zu neuem reicheren Leben erweckt, und wenn es zu wanken schien, gefestigt, wenn es zu altern schien, verjüngt." Von ganz anderer Qualität waren aber Versuche der Gelehrtenpolitik, aktiv in die politische Meinungsbildung einzugreifen, und sie nicht nur gelehrt und aufklärend zu begleiten. Der Aufruf der 93 an die „Kulturwelt" vom 4. Oktober 1914 war ein Beispiel eines solchen Interventionsversuches, der besonders große Resonanz erreichte.35 Ähnlich wie in der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches36 vom 16. Oktober 1914 stellten sich deutsche Gelehrte vorbehaltlos hinter die deutsche Reichsleitung.37 Die Wirkung im insbesondere neutralen Ausland war verheerend, bestätigten damit die deutschen Gelehrten doch selber die ihnen anhand der mit Hegel, Treitschke und Bernhard! künstlich aufgestellten Schablone insinuierten Charakterzüge. Einer der Unterzeichner, der Altertumshistoriker Eduard Meyer, äußerte brieflich seine Zweifel, ob überhaupt von
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Ringer, Die Gelehrten, 1983; Bruch, Wissenschaft, 1980; Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges, 1980; Jansen, Deutsche Professoren, 1992. Bleuel, Deutschlands Bekenner, 1968; Schwabe, Kriegsmoral, 1969. Deutsche Reden in schwerer Zeit - gehalten von den Professoren an der Universität Berlin, Berlin 1914. Dieser Band umfaßt Reden vom 27. August 1914 bis zum 18. November 1914, u. a. Wilamowitz-Moellendorff, Delbrück, Gierke, Lasson, Harnack, Riehl, Franz von Liszt. Otto von Gierke, Krieg und Kultur, ebda., S. 75-101, S. 81. Böhme, Aufrufe und Reden, 1975, S. 47fF., Hermann Kellermann, Der Krieg der Geister, Weimar 1915, S. 67ff.; Brocke, Wissenschaft und Militarismus, 1996. Abdruck bei: Hermann Kellermann, Der Krieg der Geister - eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkrieg, Dresden 1915, S. 21-25. Nach dem Krieg konfrontierte Hans Wehberg aus der jungen Riege überzeugter Pazifisten und Anhänger eine ausgeprägt internationalistischen Völkerrechts die Unterzeichner mit diesem Aufruf und dokumentierte ihre Kommentare. Nicht alle wichen von ihrer Meinung zu Beginn des Krieges ab: Hans Wehberg, Wider den Aufruf der 93! Das Ergebnis einer Rundfrage an die 93 Intellektuellen über die Kriegsschuld, Charlottenburg 1920. Vgl. Ungern-Sternberg/UngemSternberg, Der Aufruf „an die Kulturwelt", 1996.
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Das Kriegserlebnis
einer Beweisführung in diesem Manifest gesprochen werden könne, von welcher man ernstlich eine Überzeugungsarbeit bei den Neutralen erwarten dürfe. Er stellte selber klar, daß die Argumentation im Manifest nur darauf beruhte, den Angaben der eigenen Behörden Glauben zu schenken. Diese Form der Beweisführung kann aber nach Meyer die Neutralen nicht überzeugen. Statt dessen hätte man Aufklärungsarbeit mit den Behörden an Ort und Stelle leisten müssen und Fakten zusammentragen, um überzeugend zu wirken.38 Eine feinsinnige Studie des Psychologen Max Dessoir machte angesichts der Erlebnisse der ersten Kriegsmonate auf die Gefahren aufmerksam, denen eine übersteigerte eigene Propaganda ausgesetzt war und welche gegenteilige Wirkung sie auf den Gegner ausüben konnte. Dessoir versuchte in einer Ansammlung von privaten Zuschriften ausländischer Freunde, die sein Mißbehagen teilten, gegen das Übergewicht des Nationalismus unter Intellektuellen eine Mäßigung zu erzielen.39 Man konnte nur hoffen, daß nach der ersten Welle patriotischer Begeisterung wieder abwägende Urteilskraft und Verstandesvermögen Einzug halten würden. In dieser Untersuchung stehen weder Kriegsbegeisterung noch die „Ideen von 1914" im besonderen im Zentrum der Darstellung. Sie bilden aber den Hintergrund, vor dem die weniger emotionale und stärker reflektive, auf Argumentation bedachte politische Literatur während des Krieges verstanden werden muß. Denn die Sinnstiftungsliteratur hatte zwar mit Laufe des Krieges einen immer geringeren Einfluß auf die argumentative politische Literatur, aber sie erschwerte erheblich deren Resonanz. Dies zeigte sich bereits bei den ersten Publikationen, die vorsichtig abwägend sich ein tragfahiges Bild von der Lage machen wollten und weniger den Wunsch als Vater des Gedankens sprechen ließen. Anlaß zu einer solchen Abwägung bot bereits die Marne-Schlacht vom August 1914. Sie bildete nämlich die zunächst nur von wenigen Beobachtern zur Kenntnis genommene zweite Zäsur des Krieges, da mit ihr die militärische Pattstellung vor allen Dingen im Westen erreicht wurde und das Wesen dieses Krieges von Grund auf veränderte: Aus dem geplanten Offensivfeldzug eines Sommers drohte ein lange anhaltender Krieg zu werden, der nicht nur ein militärisches, sondern ein wirtschaftliches, ein gesellschaftliches und schließlich auch ein politisches Kräftemessen zum Gegenstand hatte. Die ersten Autoren, die die Veränderung des Krieges antizipierten, waren Hans Delbrück und Walther Rathenau.
38 39
Eduard Meyer an Theodor Wiegand vom 7. Oktober 1914, bei: Ungern-Sternberg/UngernSternberg, Der Aufruf „an die Kulturwelt", 1996, S. 61 und S. 185f. In einem Beitrag für das Berliner Tageblatt vom 25. November 1914, abgedruckt bei: Hermann Kellermann, Der Krieg der Geister, 1915, S. 19ff.
II. Der auf Dauer gestellte Krieg als Herausforderung der Theoriebildung
Nach einer ersten Phase intellektueller Rechtfertigung und unkritischer Selbstidentifikation mit der politischen Ordnung des Obrigkeitsstaates kam es zu einer Zäsur in der Wahrnehmung dieser Kriegserfahrung, als sich zeigte, daß der Krieg nicht nur ein Sommerfeldzug war, sondern ein länger anhaltender Zustand. Der Krieg wurde zunächst als eine ausschließlich militärische Operation begriffen, die vom Hinterland aus mit angehaltenem Atem beobachtet und deren Ende mit einer Mischung von Hoffnung und Schrecken herbeigesehnt wurde. Der Krieg wandelte auch in den Augen der Zeitgenossen sein Antlitz erst in dem Augenblick, als klar wurde, daß es sich nicht um einen klassischen Sommerfeldzug handelte, sondern um ein länger, vielleicht Jahre anhaltendes Ringen, das die Anspannung aller Kräfte verlangte und damit mittelfristig zu radikalen Veränderungen auch des Hinterlandes selbst führen mußte. Der alte Moltke hatte es bereits für jeden zukünftigen Krieg prophezeit und zu Beginn des Krieges prophezeite es Kitchener erneut. Als nach dem Ende des Sommers man zumindest von Weihnachten als spätesten Termin des Kriegsendes sprach, äußerte der greise britische Feldmarschall die Prognose, wonach der Krieg viele Jahre andauern werde. Doch stieß diese Prophezeiung bei den meisten Experten wie in der Bevölkerung auf völliges Unverständnis.1 Im Herbst 1914 konnte die militärische Situation für den deutschen Betrachter noch trügerisch positiv erscheinen. Zwar standen die deutschen Truppen tief in Frankreich und in der Schlacht von Tannenberg war es im Osten zu einem unerwartet deutlichen Sieg über Rußland gekommen: die Sterne Ludendorffs und Hindenburgs stiegen empor. Aber die militärische Leistung Joffres, die seit Wochen im Abwehrkampf zermürbte Front zu stabilisieren und auch noch zur Marneschlacht zu führen, kam für den deutschen Generalstab überraschend und erbrachte nach dem Wettlauf zum Meer und dem Eingraben der Truppen eine grundsätzlich veränderte strategische Situation. Die militärische Strategie hatte vor Ausbruch des Krieges auf dem berühmten Schlieffen-Plan beruht, der eine rasche Niederschlagung Frankreichs durch eine einseitig konzentrierte Zangenbewegung vorsah, um rasch Truppen frei zu bekommen für das eigentlich als Hauptgegner angesehene zaristische Rußland, dessen langwierigere Mobilmachungsphase die ungleichzeitige Frontführung erlaubte. Diese Strategie war nun in eine Sackgasse geraten. Der vielleicht 1
Lloyd George, Mein Anteil am Weltkrieg. Kriegsmemoiren,
Berlin 1935, Band 1, S. 299.
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Der auf Dauer gestellte Krieg
erste namhafte Autor, der hierauf aufmerksam machte und zugleich eine neue Strategie der militärischen Operationen unter Einbeziehung politischer Überlegungen verlangte, war Hans Delbrück. Das Beispiel der Rezeption der Delbrückschen Intervention zeigt, wie wenig aufgeschlossen das gelehrte Publikum im Zeichen der noch anhaltenden Kriegsbegeisterung für eine nüchterne Argumentation war.
1.
Delbrück und Rathenau und die Wahrnehmung des lange anhaltenden Krieges
Als der Weltkrieg ausbrach und das strategische Kalkül des Generalstabes aufzugehen schien, erreichte die Vorstellung eines Primates des Militärischen seine höchste Plausibilität. „Überhaupt der Begriff des rein militärischen feiert hier Orgien" berichtete Riezler nach seinem Besuch im Großen Hauptquartier.2 Die Bekämpfung eines rein selbstbezüglichen Primates des Militärischen gehörte zu den wichtigsten Anliegen von Hans Delbrück. Delbrück3 gehörte zu einer preußischen Beamtenfamilie, die weit verzweigt und tief im preußischen Staat verwurzelt war. Er selber war Prinzenerzieher des späteren Kaiser Friedrich III. gewesen, und Träger des Eisernen Kreuzes im DeutschFranzösischen Krieg, innerlich zutiefst mit der Preußischen Tradition verbunden. Mit der Übernahme der Preußischen Jahrbücher und der Nachfolge Treitschkes in dieser Tätigkeit trat aber auch publizistisch endgültig zu Tage, daß er kein borussischer Preuße war,4 sondern ständig um die Anpassung und Neuformulierung des konservativen Denkens in sich wandelnden politischen Konstellationen bemüht war. Ferner wurde er gegen den Widerstand des Militärs erster ziviler Militärhistoriker mit einem entsprechenden Lehrstuhl und führte von dort aus einen einsamen Kampf um das militärstrategische Denken und die Stellung des Politischen darin.5 Delbrück nun veröffentlichte im Herbst eine Studie der Kriegssituation,6 in welcher er die bisherige Strategie mehr oder weniger fur gescheitert erklärte, einen lange anhaltenden Krieg diagnostizierte (auch wenn selbst ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, wie lange der Krieg tatsächlich dauern würde) und zur Ausarbeitung einer neuen Strategie aufforderte, in welcher die politische Haltung auf die veränderte militärische Situation reagieren sollte. Delbrück hatte vorsichtig den Hoffnungen der Siegfriedensanhänger entgegensteuern wollen. Aber Delbrücks analytischer Standpunkt, seine nüchterne und ohne allen moralischen oder kulturphilosophischen Überschuß getrübte Abwägung sachlicher Argumentation, stieß in der Öffentlichkeit auf keinerlei Verständnis. Im 2 3 4 5 6
Riezler, Tagebücher, 1972, Eintragung vom 20. September 1914, S. 207. Steger,,Deutsche Weltpolitik', 1955; Annelise Thimme, Hans Delbrück, 1955. Schleier, Treitschke, Delbrück und die Preußischen Jahrbücher, 1967. Lange, Hans Delbrück, 1995. Hans Delbrück, Die Kriegsereignisse von Ende August bis gegen Ende September - der zukünftige Friede, in: Preußische Jahrbücher 158 (Oktober-Dezember 1914), Oktoberheft, S. 182-192. Der Beitrag ist datiert auf den 27. September 1914.
Delbrück und Rathenau
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Gegenteil mußte Delbrück hinfort Spott und Hohn über sich ergehen lassen. Der Kladderadatsch dichtete zu Delbrücks Forderung nach einer Gleichgewichtspolitik im europäischen Konzert der Mächte: „Ein ewiges Schrecken an Memel und Rhein, ein banges Harren in Druck und Pein" und behauptete, Delbrück habe selber sein Gleichgewicht verloren.7 Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte einen Leitartikel von Johannes Haller, der sich über die ganze Titelseite erstreckte, und in welchem Delbrücks Mäßigungsforderungen umständlich argumentierend und im emphatischen Ton vorgetragen, zurückgewiesen wurden.8 Man deutete Delbrücks Überlegungen nur als Schwächung der inneren Front und als Mißtrauen gegenüber der Siegeszuversicht der Bevölkerung wie der Leistungsfähigkeit der militärischen Führung. Delbrück war bei den Anhängern des Siegfriedens ohnehin als „Flaumacher"9 verschrieen und hatte sich zum Beispiel in des Kronprinzen Augen mit seinem genannten Artikel erneut als ein solcher10 gezeigt. In einem Brief an seinen kaiserlichen Vater bezeichnete der Kronprinz später Delbrück als vaterlandslosen Kerl und verlangte dessen Entlassung von einer deutschen Universität. In der öffentlichen Meinung machte sich eine Stimmung breit, die einer analytischen Darlegung von Handlungsoptionen und einer nüchternen Beobachtung der Vorgänge sehr abträglich war. Dabei hatte Delbrück nicht mehr getan, als die strukturelle Entwicklung der Kriegsumstände zu reflektieren und die daraus folgenden Probleme ansatzweise entwickelt. Anders erging es Walther Rathenau. Auch er zog erste Schlüsse aus der Beobachtung, daß der Krieg länger dauerte als dies offensichtlich die Regierung und die militärische Führung geplant hatten. In einer Denkschrift, die von seinem Mitarbeiter in der AEG, Wichard von Moellendorff angeregt wurde, wies er auf das Problem der Rohstoffversorgung hin, deren Importabhängigkeit es erforderlich machte, die im Inland vorhanden, aber in privatem Eigentum befindlichen Rohstoffe zu erfassen und zu verwalten, und zwar als unmittelbar militärische Obliegenheit.11 Damit hatte Rathenau als erster auf die praktischen Folgen des auf Dauer gestellten Krieges aufmerksam gemacht. Die daraufhin gegründete Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium, deren erster Leiter Rathenau selber wurde, leitete die gewaltige Organisationsinnovation von Reichsbehörden ein, die im Ergebnis einen für damalige Verhältnisse gigantischen Apparat zur Planwirtschaft der RohstoffVerwaltung heraufbeschwor. Hier war eine „Vision eines Behemoth-Staatswirtschafitskolosses"12 am Werke, die sich fern aller parteipolitisch-ideologischen Weltanschauungskämpfe am Nerv der modernen Gesellschaft und ihren Ordnungs- und Organi7 8 9
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Der Kladderadatsch Nr. 41, S. 4: im Nachlaß Delbrücks aufbewahrt im Karton Nr. 35 „Polemik". Im Nachlaß Delbrücks aufbewahrt im Karton Nr. 35 „Polemik". So der Alldeutsche Verband auf seiner ersten Kriegssitzung am 28. August 1914 über Delbrück, seine „Gruppe", der Kanzler, SPD, Deutsche Bank (Gwinner): Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 458. Der Kronprinz bezeichnete in einem Telegramm an den Kaiser vom 26. Februar 1915 Delbrück als Flaumacher und weltfremden Idioten, angegeben bei Westarp, Konservative Politik, 1935, Bd. 2, S. 186f. Feldman, Armee, 1985, S. 52-57, Hecker, Rathenau, 1983. Schulze, Der Aufstieg des Nationalsozialismus, 1975, S. 150 mit Bezug auf Beiträge von Gerhart von Schulze-Gävernitz, Jaffé, Plenge, Sombart Rathenau und Moellendorff (S. 149-153).
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Der auf Dauer gestellte Krieg
sationsprinzipien wähnte, wie sie der Krieg gewissermaßen als erkenntniserhellendes Experiment unverstellt vor Augen führte. Rathenau gehört zu den unabhängigsten und zeitgenössisch umstrittensten Denkern des deutschen Sprachraums.13 Seine beruflichen, seine philosophischen Interessen und literarischen Ambitionen hoben ihn in vielerlei Hinsicht aus dem durchschnittlichen Erscheinungsbild der Teilnehmer des Gesprächsfeldes heraus. Auch sein wirtschaftspolitisches Engagement war eingebettet in eine weitaus umfänglichere zivilisationsgeschichtliche GrundaufFassung über die Gesetze der eigenen Epoche. In einem unpolitischen Sinne wurde für Rathenau der Gedanke der Diktatur in der Wirtschaft zur leitenden Idee.14 „Und mein 'Diktator'? Er ist schon da, und Sie werden ihn nicht aus der Welt schaffen. Nur bei Ihnen ist er ein Tyrann und wird zum Despoten, bei mir wird er zum konstitutionellen Diener des Staates. Er heißt Syndikat, Trust, Verband...Die Frage ist nur: Soll er die Macht, die Sie ihm nicht nehmen können, und die Ihr System zerbricht, belassen oder wollen wir sie zum Nutzen der Allgemeinheit regeln?" In einem Vortrag von 1916 sagte Rathenau programmatisch: „Wirtschaft ist nicht länger Sache des Einzelnen, sondern Sache der Gesamtheit. Wirtschaft bleibt nicht länger Privatsache; sie wird res publica, die Sache Aller".15 Trotz eines Plädoyers für die Beibehaltung der privatwirtschaftlichen Initiative aus Gründen der Unersetzbarkeit unternehmerischen Geistes und der ihr komplementären privaten Verantwortung setzte sich Rathenau nicht für die Beibehaltung des Privatkapitalismus ein, dessen Dominanz er ohnehin für historisch beendet erklärte, sondern ein „kollektiver Kapitalismus", dessen Reglementierungsbedarf Sache der Allgemeinheit sein sollte. Allgemeinheit war aber bei Rathenau kein politischer Begriff mehr, sondern eine Umschreibung für die immanente Logik der Planungsbedürftigkeit des Wirtschaftskreislaufs und seiner Reglementierung nach rein sachlichen Gesichtspunkten. „Allgemeinheit" war mit „Sachkompetenz" identisch.16 Die Legitimation des Privaten schöpfte nicht mehr aus der Quelle im Heiligtum des Eigentums, sondern aus dem Dienst des Privaten am Allgemeinwohl und der daraus folgenden Notwendigkeit der Unterordnung des Einzelnen. Er sah auch nicht „gefühllos der Auflösung der alten Wirtschaftsfreiheit entgegen" (S. 78). Aber gerade der Blick auf die „Menschenwürde" machte es ihm zufolge unmöglich, aus Sentimentalität gegenüber der Überlieferung auf die notwendigen Strukturveränderungen zu verzichten (S. 24), denn nun war die große Zahl ausschlaggebend. Dieser Blick kühler Sachkompetenz maß der Allgemeinheit im politischen Sinne keinen normativen Mehrwert bei. Die Demokratie wird kommen, das war seine Überzeugung, aber er wird keine Demokratie sein, hieß seine Formel. Der sachliche Blick des Technokraten betrachtete die Demokratie im
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Bendixen, Das Staatsdenken Walter Rathenaus, 1971; Berglar, Walter Rathenau, 1970; Kessler, Walter Rathenau, 1962. Rathenau, im Briefwechsel mit Franz Oppenheimer, an diesen vom 14. März 1918, in: ders., Briefe, Band I, Dresden 1927, S. 384. Walther Rathenau, Probleme der Friedenswirtschaft, Vortrag vom 18. Dezember 1916, Ges. Schriften 1918 Band 5, S. 59ff„ S. 71. Walther Rathenau, Die neue Wirtschaft, Berlin 1918, S. 79.
Delbrück und Rathenau
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Lichte des technisch-institutionellen Problems der sachlich gebotenen und technisch gelungenen Organisation.
2.
Kriegswirtschaftliche Sachlogik und entpolitisierte Staatlichkeit: die Ideen von 1914
Zwar war (mangels eines Reichsgesetzes über Notstandszeiten) das alte Preußische Belagerungsgesetz in Kraft getreten, so daß die Übertragung der Verwaltungskompetenzen auf die militärischen Wehrbereiche reibungslos von statten gehen konnte. Doch es wurde nur allzu rasch deutlich, daß es mit der Verwaltung allein nicht getan war, wollte man den unerwarteten Anforderungen des sich in die Länge ziehenden Krieges begegnen. Der Krieg war zum totalen Krieg geworden in dem Sinne, daß kein nichtstaatlicher Bereich mehr ohne mittelbare oder unmittelbare militärische Relevanz war. Diese Relevanz machte schließlich die staatliche Sorge um alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte erforderlich, um den militärischen Erfolg zu gewährleisten, ihn überhaupt auf Dauer zu ermöglichen. Das galt aber keineswegs nur für die Rüstungsindustrie und andere Zulieferbereiche für die Truppen. Es galt auch für die Zivilbevölkerung insgesamt. Der Krieg hob die kategoriale Unterscheidung von öffentlicher und privater Sphäre auf. Zur Selbstbeschreibung dieses Phänomens zog man in der öffentlichen Debatte den Begriff des „Kriegssozialismus" heran.17 Die Einführung der Brotkarte und damit die Reglementierung der Brotversorgung zu Anfang 1915 war nur der Einstieg in die letztendlich vollständige staatliche Versorgung der Bevölkerung. Die Notwendigkeit tiefgreifender Einschnitte in die Struktur von Gesellschaft und Wirtschaft wurde mit dem Gedanken einer nicht nur militärischen, sondern auch „sozialen Mobilmachung" verarbeitet. Die Logik „militärischer Notwendigkeiten" wurde in dem Gedanken der „Mobilmachung" auf nicht-militärische Bereiche übertragen. Ihren Ausgang nahm diese Entwicklung in der erwähnten Idee der Ressourcenverwaltung von Walther Rathenau. Ihr Vorbild wurde auf viele Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft übertragen. Die „Mobilmachung der Arbeitskraft"18 war Ausdruck des neuen begrifflichen Stiles, mit dem man im „Krieg der Volkswirtschaften und Völker" theoretisch operierte. Neben die Mobilmachung der Truppen und der Transportmittel durch den Generalstab traten die Mobilmachung der Finanzkräfte durch die Reichsbank und die Mobilmachung der Wirtschaft19 in Fragen der Rüstung und schließlich auch die „Mobilmachung der Seelen",20 die der moralischen und pädagogischen Ausrichtung der Bevölkerung auf die Kriegsbedingungen dienen sollte und nicht zuletzt wurde die Mobilmachung der sozialpolitischen Kräfte be-
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Braun, Konservatismus 1978, S. 17-32 zu den Begriffen Staats- und Kriegssozialismus. Adolf Konrad, Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, in: Annalen des Deutschen Reichs 50 (1917) S. 131ff„ S. 131. Clemens von Delbrück, Die wirtschaftliche Mobilmachung 1924. Ernst Schultze, Die Mobilmachung der Seelen, Bonn 1915.
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Der auf Dauer gestellte Krieg
schworen.21 Allgemein wurden Kompetenzen konzentriert und die Eingriffsbefugnisse des Staates in die Wirtschaft und die Reglementierungsaufgabe des Staates erweitert. Die Frage lautete bereits zeitgenössisch, inwiefern diese Kompetenzkonzentration, diese Eingriffe des Staates in die Wirtschaft nur Ergebnis der Bewältigung einer Ausnahmesituation war, oder Muster der Volkswirtschaft auch in der Nachkriegszeit. Behördlicher Ausdruck dieser Entwicklung war die Schaffung des Kriegsamtes im November 1916. Mit seiner Leitung wurde der bisherige Leiter des Feldeisenbahnwesens, Wilhelm Groener beauftragt. Damit schien sich das Grundprinzip des Krieges, die „Organisation" auch für die Belange der Wirtschaft und Gesellschaft durchzusetzen. Groener war nämlich verantwortlich gewesen für die Eisenbahnplanung der Mobilmachung 1914 und hatte diese rein organisatorische Leistung von größter militärischer Bedeutung glänzend bewältigt. Er schien daher wie wenige andere geeignet, auch diese Aufgabe zu lösen. Mit zunehmender zeitlicher Erstreckung erschien der Krieg immer weniger eine rein militärische, nach der Logik von Feldzügen strukturierte Auseinandersetzung zu sein, sondern ein Ringen der Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften. Der Erfolg dieser Auseinandersetzung beruhte daher auch nicht auf dem Heldentum der Soldaten alleine, sondern auf der Effizienz der Organisation der Sachgüter. Der Gedanke einer ausschließlich nach sachlichen Erfordernissen und Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit orientierten, insofern überparteilichen und damit nach wilhelminischem Verständnis unpolitischen Leitung besaß im Weltkrieg eine große Plausibilität. Der Prestigegewinn des militärischen Denkens über die Unwägbarkeiten der Politik im Weltkrieg beruhte auch auf der Überlegung, daß die Erfordernisse des Krieges es zu ermöglichen schienen, ohne Rücksichtnahme auf parteipolitisch formulierte Gruppeninteressen das Gemeinwohl als Frage der straffen Organisierung aller Ressourcen und Potentiale für das gemeinsame Ziel definieren zu können. Die Überparteilichkeit des Staates schien erst in der Totalreglementierung der Gesellschaft durch den Staat nach Maßgabe eines gemeinsamen Kriegszieles endlich erreicht, der Obrigkeitsstaat modernisierte sich im Krieg selber. Es war daher kein Wunder, daß die ersten grundsätzlich angelegten theoretischen Erörterungen des Krieges, seiner Natur und der zu erwartenden langfristigen und strukturellen Auswirkungen in ökonomischen Überlegungen ihren Ausgang nahmen. Johann Plenge pries in seiner Kriegswintervorlesung von 1915 den Krieg und betonte, daß entgegen allen geschichtsphilosophischen oder metaphysischen Sinnstiftungsbemühungen die „Ideen von 1914", d. h. die im Krieg zum Tragen gelangenden Prinzipien auf dem Gedanken der Organisation beruhten.22 Es handelt sich um einen rein sachlogischen Vorgang der Wandlung aller staatlichen Gebilde, und was in Deutschland am reinsten beobachtet werden kann, wird bald auch alle übrigen Staaten ergreifen. Das war
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Friedrich Zahn, Deutsche Sozialpolitik und der Krieg, in: Annalen des Deutschen Reichs 49 (1916) S. Iff., S. 6; Heinz Potthoff, Krieg und Sozialpolitik, Tatflugschriften 6, Jena 1915; W. Zimmermann, Krieg und Sozialpolitik - volkswirtschaftliche Zeitfragen, hg. von der Berliner volkswirtschaftlichen Gesellschaft, Berlin 1915. Johann Plenge, Eine Kriegsvorlesung über die Volkswirtschaft - das Zeitalter der Volksgenossenschaft, Berlin 1915.
Kriegswirtschaftliche Sachlogik und die „Ideen von 1914"
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eine modernisierte Variante der alten Idee des Krieges als „Kulturfaktor", aber immanent gewendet und mit dem begrifflichen Gerüst der Nationalökonomie ausgestattet. Die Chiffre der „Ideen von 1914" wurde von Plenge fortentwickelt und von Kjéllen popularisiert.23 Von der ökonomischen Ausgangsbetrachtung war es dann nicht weit zur polemische Entgegensetzung zu den „Ideen von 1789", den Bürger- und Menschenrechten, der politischen Revolution, der Demokratie im weitesten Sinne. Während Plenge freilich der Auffassung war, daß die Ideen von 1789 durchaus ihre historische Geltung beanspruchen konnten, nun aber auch der Westen sich angesichts der auch dort beobachtbaren Auswirkungen des Krieges auf die Gesellschaft zu den Ideen von 1914 bekannte, gebrauchten die allermeisten Autoren die Entgegensetzung der „Ideen von 1914" und jener von „1789" als Stichwort der Herausstellung einer spezifisch deutschen, nichtwestlichen Staatlichkeit.24 Die „Ideen von 1914" waren nicht so wirkungsvoll aufgrund ihrer besonderen theoretisch beeindruckenden Leistung, sondern weil sie allgemein beobachtete Erfahrungen mit allseits geteilten Wünschen verbinden und auf den Begriff bringen konnten. Das zeigt sich an der Art, wie die Ideen von 1914 einen Autoren wie den Theologen Ernst Troeltsch, der während des Weltkrieges als Philosoph an die Berliner Universität berufen wurde, beeindrucken konnten. In einer im März 1916 gehaltenen Rede begrüßte Troeltsch die „Ideen von 1914" zunächst enthusiastisch. Sie waren Troeltsch zufolge aus einem Erlebnis erwachsen, das er idealtypisch in vier Formen auffächerte: Erlebnis des Geistes, Entdeckung des Volkes als einer einheitlichen Größe, Konstituierung Deutschlands als geschlossener Handelsstaat und Erfahrung der geistigen Isolierung Deutschlands.25 Troeltsch war der Auffassung, daß die „Ideen von 1914" erst im Begriff waren, zu Bewußtsein zu kommen: „Noch vermissen wir vielfach die idealistisch-geistmäßige Auffassung der überindividuellen Ganzheit und die individuelle Mitbeteiligung des Einzelnen an seiner Hervorbringung. Noch bewegen wir uns oft in der falschen Alternative mittelalterlichen Herrenstandpunktes und französischer Gleichheit, gläubiger Beamtenverehrung und liberaler Staatslosigkeit" (S. 618). Im letzten Satz kommt allerdings auch schon das leise Unbehagen von Troeltsch zum Ausdruck, auf der Suche nach dem konkreten Inhalt der „Ideen von 1914" schütte man das Kind mit dem Bade aus. In der Parole „Staatssozialismus und Bildungsindividualismus"26 wollte Troeltsch Modernität mit Kulturideal in Verbindung bringen. Die nähere Erfahrung mit der Kriegswirtschaft und der bürokratischen Organi-
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Johann Plenge, Der Krieg und die Volkswirtschaft, 2. Aufl. Münster 1915, Rudolf Kjéllen, Die Ideen von ¡914, Leipzig 1916; Johann Plenge, 1789 und 1914: die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes, Berlin 1916. Vgl. u. a. Edgar Julius Jung, Der deutsche Staatsgedanke im Gegensatz zum westmächtlichen und antiken, in: Deutscher Staalsgedanke und Deutsche Kultur, Straßburg 1918; J. H. Walkenier Kips, Der deutsche Staatsgedanke, 1916 = Zwischen Krieg und Frieden Heft 38; Rudolf Kjéllen, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917. Ernst Troeltsch, Die Ideen von 1914, in: Die Neue Rundschau 27 Band 1 (1916) S. 605-624, in: ders., Deutscher Geist, 1925, S. 31-58, eine im März 1916 vor der Deutschen Gesellschaft von 1914 gehaltene Rede. Vgl. zu ihr: Krüger, Nationalökonomie, 1983, S. 203f.; Drescher, Ernst Troeltsch, 1991, S. 442. Ernst Troeltsch, Deutsche Idee der Freiheit, in: ders., Deutscher Geist, 1925, S. 80-107, S. 103.
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Der auf Dauer gestellte Krieg
sation weiter Teile der Gesellschaft führte alsbald zu einer vorsichtigeren Abwägung nicht nur der Vorteile, sondern auch der Kosten. In einer Art Rezensions-Abhandlung27 zu Plenges Buch über die Ideen von 1914 diskutierte Ernst Troeltsch ein Jahr später die Auswirkungen dieser „Ideen" für das staatliche und gesellschaftliche Selbstverständnis Deutschlands. Wie er selber sagte, habe sich seine Rezension um einige Zeit verzögert, da er sich nach seinem Umzug nach Berlin erst in vielen Gesprächen mit Theoretikern und Praktikern der „Kriegsorganisation" in die Materie habe einarbeiten müssen. Damit wollte er andeuten, daß er nun über neue Informationen verfügte, die seinen ersten leidenschaftlichen Enthusiasmus relativiert hatten.28 Seine nun vorgetragene Hauptkritik an Plenge beruhte auf dem Vorwurf, daß er von der Stimmung des Kriegsausbruchs ausgehend diese zur Grundlage einer ganzen entwicklungsgeschichtlichen Theorie erhoben habe, wonach mit dem Krieg und in Deutschland an der Spitze der europäischen Entwicklung das Organisationsprinzip zum Tragen gekommen sei. Die Frage war, ob diese Stimmung nur Anlaß der „Ideen von 1914" sein konnte, oder gar ihr tragender Grund. Hier war Troeltsch mittlerweile äußerst skeptisch geworden. Die Überzeugung von dem Anbruch einer neuen Ära, die mittels der „Ideen von 1914" die maßgeblichen innenpolitischen Probleme zu lösen vermochte, betrachtete Troeltsch als Glaube an den Zukunftsstaat schlechthin (S. 332), der aus dem Wunsch heraus die Fakten nicht mehr zu lesen imstande sei. Denn was etwa Deutschland institutionell vom Westen unterscheide, vor allen Dingen sein überkommener Föderalismus, schien doch vielmehr ein Hindernis für den Fortschritt der politischen Ordnung zu sein, als ein Indiz deutscher Fortschrittlichkeit in der Welt. Schließlich vermochte Plenge nach Troeltschs Auffassung nicht den tatsächlichen Schwerpunkt der Problematik zu lösen: der Eintritt in den Sozialismus (welcher nach Plenge ein Kriegs- und Staatssozialismus war), „ehe wir die notwendige demokratische Entwicklung vollendet haben und daher mit diesem gegen zwei Fronten zugleich stehen, gegen die rationalistisch-selbstzufriedene Demokratie einerseits und gegen den seine Vorrechte in letzter Stunde festigenden und verstärkenden alten Klassenstaat" (S. 321). Denn für Troeltsch handelt es sich bei den „Ideen von 1789 und 1914" keineswegs um einen dialektischen Gegensatz, wie es Plenge behauptete. Das alte Prinzip konnte nicht im neuen aufgehoben werden, ohne dort weiter sichtbar zu existieren. Troeltsch hielt nicht nur ein erforderliches Maß an Humanismus und Individualismus, welches 1789 zum Prinzip erhoben worden war, weiterhin für verteidigenswert, sondern sogar für eine Voraussetzung des von Plenge entwickelten Zukunftsstaates. Ohne diese „Ideen von „1789 drohten für Troeltsch die von Plenge beschriebenen Vorgänge nur zu einer einseitigen Zurückdrängung des Individualismus zu führen, und zwar zugunsten eines seinerseits ganz einseitigen „Beamtenstaates" im Sinne einer „Kooperation der hohen Beamten mit den Interessenverbänden" (S. 321). Diese Form der auf sich selbst bezogenen Organisations- und Verwaltungslogik sah Troeltsch mit größter Kritik auf sich zukommen. So war seine Frage an Plenge: „Was wissen wir heute schon von diesen
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Ernst Troeltsch, Plenges Ideen von 1914, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 5 (1917) S. 309-343. Sösemann, Das „ erneuerte Deutschland", 1984, S. 127 weist auf die bessere Informationslage in Berlin bezüglich der militärischen Lage hin und datiert den Wandel mit dem Umzug nach Berlin.
Kriegswirtschaftliche Sachlogik und die „Ideen von 1914"
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Ideen von 1914? Sie liegen nicht auf der Straße und stehen in keinem Lehrbuch" und in dem handschriftlichen Zusatz setzte er fort: „sind keine Theorie und keine Deduktion aus dem Wesen des Deutschtums, das erst heute überhaupt sich formt". „Sie wachsen in diesem Moment in uns selbst und mit uns selbst. Der Krieg geht nicht um sie und hat sich an ihnen nicht entzündet. Vielmehr folgen sie ihm und gehen aus ihm erst hervor".29 Aber das war zunächst einmal nur Ausdruck der Verunsicherung und des Abwartens. Die Begeisterungsfähigkeit für die Leistungen des Staates und die Überzeugung, im Kriege ein Modell für den modernen Staat zu erblicken machte alte liberale Ideen kurzzeitig vergessen. Die Sorglosigkeit, mit welcher man das staatsorganisatorische Denkens weitestgehend uneingeschränkt feierte, übersah, daß man auch ganz andere Schlüsse aus ihm ziehen konnte. In der Stimme des jungen und noch weitgehend unbekannten Carl Schmitt erhob die Schule des Etatismus ihr Haupt. Für Schmitt wurde der Krieg zum erkenntnistheoretischen Fixpunkt bei der Frage, worin das Wesen der Staatlichkeit zu finden sei. Die oben geschilderten Beobachtungen der organisatorischen Bedeutung der Verwaltungstätigkeit als Kern der militärischen Selbstbehauptung machten es für Schmitt evident, daß die Exekutive sich nicht in der Ausübung vorgegebener Handlungen erschöpft, insbesondere nicht in legislativ reglementierten Verhaltensweisen, sondern sich in der Verwaltung das Wesen der Staatlichkeit selbst offenbart, und zwar in einer Art und Weise, die dem legislativen oder judikativen Zugriff verschlossen blieb. Der Krieg hatte rein organisatorisch einen sehr starken Schub der Konzentration staatlicher Behörden auf der Ebene des Reiches erbracht. Das ging zunächst zu Lasten des Reichstages, der in dem Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914 zentrale Kompetenzen an den Bundesrat abgab, damit aber nur verdeckte, daß eine Delegation legislativer Gewalt auf die Exekutive erfolgte.30 Die Eigenstaatlichkeit der Verbündeten Regierungen und Monarchen hatte in bestimmten Bereichen kaum mehr als protokollarische Qualität. Die Verwaltungstätigkeit im Kriege lernte Schmitt im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung in der Kriegsverwaltung in München31 kennen. Die erste bedeutende Frucht dieser Erfahrungen und ihrer gedanklichen Reflexion war der Aufsatz Diktatur und Belagerungszustand?1 Später folgte dann die noch heute ideengeschichtlich bedeutsame Schrift Die Diktatur von 1921, die aber bereits die veränderten Verhältnisse unter den Bedingungen der Republik miteinbezog. Der Staat ist nach Schmitts Vorstellung von 1916 zunächst und zumeist Verwaltung: „Die Verwaltung ist mehr als der bloße Vollzug 29 30
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Ernst Troeltsch, Die Ideen von 1914, in: ders., Deutscher Geist, 1925, S. 31-58, S. 33. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 5, S. 63f. sieht damit eine Kette von Ermächtigungsgesetzen eröffnete, deren Kontinuität bis zum Ermächtigungsgesetz vom März 1933 reicht. Nach seiner Habilitation in Straßburg erhielt er eine Stelle in der Generalkommandantur des I. Armeekorps und war ab 1917 im bayrischen Kriegsministerium beschäftigt, vgl. die Angaben bei Tommissen, Bausteine, 1988, S. 76; vgl. auch Bendersky, Carl Schmitt, 1983, S. 19, der auch den Bezug zu einer verstärkten Beschäftigung mit Problemen des Staatsrechts in dieser Zeit konzidiert. Carl Schmitt, Diktatur und Belagerungszustand, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 38 (1916/17) S. 138-161, vgl. auch Hofmann, Legitimität, 1995, S. 116.
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positiver Gesetzesbestimmungen, das Gesetz ist nur der Rahmen, innerhalb dessen die schöpferische Tätigkeit der Verwaltung vor sich geht. Auch ist die historische Entwicklung nicht in der Weise vor sich gegangen, daß erst das Gesetz als der zu vollziehende Wille ausgesprochen und dann sein Vollzug vorgenommen worden wäre. Der Anfang aller staatlichen Tätigkeit ist Verwaltung; von ihr haben sich Gesetzgebung und Jurisdiktion erst später gesondert... Der Urzustand ... bleibt die Verwaltung" (S. 157). Erst die Doktrin der Gewaltenteilung unter dem Einfluß des französischen Staats- und Verwaltungsdenkens (S. 138) hat nach Schmitt die primäre Geltung des Staates in Frage gestellt. Da die französische Begrifflichkeit über die Verfassungstexte und die ihnen zugrunde gelegte Idee der Verfassung als Beschränkungsmechanismus der jeweiligen Staatlichkeit zugunsten des gesellschaftlichen Bürgertums nach 1848 in den Kernstaaten Deutschlands ihre heimliche, unreflektierte Wirkung ausgeübt hatte, erwies sich Preußen nach Auffassung Schmitts auf eine gefahrliche Weise anfallig für eine Logik, die aus Feindeshand stammte: die Begriffe des Staatsrechts faßt Schmitt gleichsam als fünfte Kolonne auf. Die Erfahrung des Krieges läßt nun aber wieder erkennen, wo der Staat seinen wesentlichen Bezug hat, im rechtsunabhängigen Raum der Verwaltung, der niemals stärker „bei sich selber" war denn im Krieg und der Militärverwaltung. „Innerhalb dieses Raumes tritt sozusagen eine Rückkehr zum Urzustand ein, der Militärbefehlshaber betätigt sich darin wie der verwaltende Staat vor der Trennung der Gewalten; er trifft konkrete Maßnahmen als Mittel zu einem konkreten Zweck, ohne durch gesetzliche Schranken behindert zu sein" (S. 159). Ziel der Diktatur in diesem Zusammenhang ist daher die „Konzentration" der staatlichen Gewalt in einer Hand, „die den ganzen Staat in allen seinen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Elementen ergreift", ein Vorgang, der in einer staatsrechtlichen Umschreibung als „Vereinigung von Legislative und Exekutive in einer Hand" bezeichnet werden kann, und jedenfalls in der Lage sein [muß], Gesetze, nicht bloß tatsächliche Maßnahmen, mit Rücksicht auf die täglich sich ändernde Lage zu erlassen und sofort zu vollziehen und jeden Widerstand im Innern, jede Gefahrdung der absoluten Einheitlichkeit sofort zu beseitigen" (S. 161). Aus dieser Perspektive erwies der Krieg der Staatlichkeit den Dienst, sich wieder von den rechtsstaatlichen Fesseln des 19. Jahrhundert zu befreien. Diese Überlegung sollte in Schmitts Schriften der Weimarer Zeit in der Überlegung des „Ausnahmezustandes" und seiner Funktion für die Erkenntnis der Souveränität formalisiert werden und diente der scharfen, begriffsgeschichtlichen und logischen Bekämpfung aller Normierung staatlichen Handelns. Während des Weltkrieges war Schmitt zuletzt im bayerischen Kriegsministeriums tätig und arbeitete nebenher an der Studie zur Diktatur, die mit ihrer Unterscheidung von kommissarischer und souveräner Diktatur geeignet war, die Legitimität der Weimarer Republik empfindlich in Frage zu stellen.
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Regierung, organisierte Arbeiterschaft und die Politik der Neuorientierung
Die Perspektive der Regierung Die Reichsleitung unter dem Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg gehörte zu den am längsten am Ruder befindlichen Regierungen der kriegführenden Länder. Die früher erfolgten Regierungswechsel in Frankreich und England bestätigten die Vorzüge der deutschen Beamtenregierung, die sich weniger den Zumutungen einer politisierten Öffentlichkeit ausgesetzt sah und den organisatorischen Leistungserfordernissen des Krieges wesensnäher zu sein schien, entstammten die Mitglieder der Regierung doch selber überwiegend der Verwaltung. Gleichwohl sah man auch hier die Beschäftigung der gelehrten Öffentlichkeit, die selbstgestellte Aufgabe, den Sinn des Krieges zu erforschen, mit Sorge. Selbst der hochkonservative preußische Innenminister Loebell beschwerte sich über die „erschreckende Leere" in den gelehrten Broschüren, die teilweise eine Auflage von 50 000 Stück erreichten, und beklagte, sie gäben nur billige Gemeinplätze von sich: „Wenn man bedenkt, daß es doch die relativ mitteilungsfahigsten und publizistisch begabtesten Männer sind, die da geschrieben haben, muß man staunen über die geringe Entfaltung der politischen Urteilskraft in Deutschland während 43 Friedensjahren, und es bleibt richtig, daß Deutschland der politischen Leitung von oben her mehr bedarf als irgendein anderes Kulturland".33 Das Problembewußtsein der Regierung galt weniger der Sinnerfüllung des Kabinettskrieges, sondern der Erhaltung der Heimatfront und ihrer Einheitlichkeit, um den Rücken der militärischen Kriegführung frei zu halten. Ludendorff hatte bereits vor dem Krieg darauf hingewiesen, daß die Notwendigkeit einer demagogischen Vermittlung des Präventivkriegsgedankens bestand.34 Gerade die kriegstheoretischen Erörterungen vor 1914 hatten unter dem Eindruck der zu erwartenden Millionenheere die Relevanz auch der öffentlichen Meinung der Masse deutlich gemacht. Ein anderer Verfechter des Gedankens eines Präventivkrieges, Friedrich von Bernhardt35 hatte einen weiterreichenden Sinn
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Koszyk, Deutsche Pressepolitik, 1968, S. 124f. Ludendorffs große Denkschrift vom Dezember 1912: „Trotzdem werden wir, wenn es gelingt, den casus belli so zu formulieren, daß die Nation einmütig und begeistert zu den Waffen greift, unter den augenblicklichen Verhältnissen auch den schwersten Aufgaben noch mit Zuversicht entgegensehen können", zitiert bei Mommsen, Topos vom unvermeidlichen Krieg, 1990, S. 383 Anm. 5. vgl. ferner Friedrich von Bernhardi, Vom Krieg der Zukunft, 1920 ; ders., Deutschland und der zukünftige Krieg, engl. Germany and the next War, New York 1914 ; ders., Vom heutigen Kriege, Berlin 1912.
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für den Zusammenhang von Veränderung der Technik der Kriegführung und innenpolitischer Problematik. Gerade bei länger anhaltenden Kriegen mit Massenheeren kam ihrer freiwilligen Gefolgschaft und politischen Zuverlässigkeit ein ausschlaggebender Faktor auch für die Kriegführung im engeren Sinne zu: „So erschweren die modernen Massenheere die Kriegführung in den verschiedensten Beziehungen. Außerdem aber stellen sie an und für sich ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenmoment dar. Der Mechanismus eines solchen Heeres ist so gewaltig und kompliziert, daß er operationsfähig und lenkbar nur dann bleiben kann, wenn das Räderwerk wenigstens im großen und ganzen zuverlässig arbeitet und starke moralische Erschütterungen in größerem Umfange vermieden werden. Wo aber große, zusammengedrängte Massen einmal der Führung aus der Hand gehen, wo sie in panische Zustände verfallen, wo die Verpflegung in größerem Umfange versagt, und der Geist der Unbotmäßigkeit in den Scharen Herr wird, da werden solche Massen nicht nur wiederstandunfähig gegen den Feind, sondern sie werden sich selbst und der eigenen Heeresleitung zur Gefahr werden, indem sie Bande der Disziplin sprengen, den Gang der Operation willkürlich stören und damit die Führung vor Aufgaben stellen, die sie zu lösen außerstande sind. Der Krieg mit modernen Massenheeren ist also unter allen Umständen ein gewagtes Spiel... Unter solchen Umständen ist es nur natürlich, daß überall Anordnungen getroffen werden, die es ermöglichen sollen, den Krieg, wenn er ausbricht, rasch zu beenden .,."36 Damit verwies Bernhardi auf die Notwendigkeit politischer Flankierung militärischer Maßnahmen, die aber mit den klassischen Mitteln des Belagerungsrechts, also repressiv einlösbar erschienen. Die gleichen Befürchtungen hatten zur Ausfertigung ausgefeilter Pläne der Militärverwaltung, die im Krieg nach dem Belagerungsrecht die oberste Verwaltungsstelle im Land darstellte, geführt, die vorsahen, die Führungsspitze der Sozialdemokratie bei Ausbruch des Krieges präventiv zu verhaften.37 Sie glichen den in Frankreich existierenden Plänen des Carnet Β, die dort mit Ausbruch des Kriegs und dem Erlebnis des Patriotismus in den Reihen der Arbeiter außer Kraft gesetzt worden waren. Diese Pläne waren der Sozialdemokratie selber bereits seit dem Magdeburger Parteitag von 1910 bekannt, als ein solcher Plan verlesen wurde und große Empörung provozierte.38 Ihre Existenz gab den Hoffnungen Nahrung, daß ein heftiger Konfrontationskurs der Regierung die latente Revolutionsstimmung in eine akute verwandeln könnte. Die „reichsfeindlichen" Sozialdemokraten stellten also ein erhebliches Problem dar für das militärisches Kalkül, das die Empfindlichkeit des großen Räderwerks der Mobilmachung und Kriegführung von Millionenheeren kannte. Die politische Leitung des Reiches kannte diese Probleme, zog 36
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Friedrich von Bernhardi, Vom heutigen Kriege, 2 Bände, 1 : Grundlagen und Elemente des modernen Krieges, Berlin 1912, S. 76f. In der Weltkriegsdiskussion über die Politik der sozialdemokratischen Führung sollte diese Stelle für Rosa Luxemburg als Beweis für die viel weitergehenden Möglichkeiten einer Demokratisienings- und Revolutionspolitik dienen, wie wir noch sehen werden. Es existierten ausgereifte Pläne über die präventive Behandlungsweise der Sozialdemokraten im Zuge der Vorbereitung der Mobilmachung: Groh, Negative Integration, 1973, S. 586ff. Rintelen, Gustav Bauer, 1993, S. 102, der dies alles aber unter der Vorstellung einer „Inszenierung des Weltkrieges" zwischen Parteiführung und Regierung rezipiert.
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aber ganz andere Schlüsse daraus als die militärische Führung. Sie wollte nicht Repression üben, sondern wünschte den freiwilligen Verzicht auf die Störung der Kriegführung. Die Regierung war daher bemüht, sich zuerst der politischen Führung der Arbeiterbewegung für den Fall des Krieges zu versichern. In einem zähen Kampf mit der militärischen Verwaltung gelang es Bethmann, Kriegsminister Falkenhayn und Unterstaatssekretär Bill Drews, die Verhaftungspläne für den Kriegsfall rückgängig zu machen.39 Es folgten in den entscheidenden Tagen vor der Generalmobilmachung die berühmten Verhandlungen mit der sozialdemokratischen Führung, die den „Burgfrieden" einleiten sollten,40 und die einen Wendepunkt der politischen Theoriebildung innerhalb des sozialistischen Stranges bilden sollten. Die Grundlage dieser politischen Strategie beruhte auf der einfachen Überlegung, daß der Krieg als Massenkrieg eine Dimension hatte, die politisch die Einbeziehung der politischen Repräsentanten der Massen, d. h. aber der Sozialdemokratie zur Folge haben mußte. Die Sozialdemokratie wiederum ging davon aus, daß der Krieg eine demokratisierende Wirkung haben würde. Mit der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten erwies sich die Strategie Bethmanns als erfolgreich. Die Frage war aber angesichts des anhaltenden Krieges, wie das Stillhalten der Sozialdemokratie weiterhin gewährleistet werden konnte. Die „Politik des 4. August" bzw. die „Burgfriedenspolitik" lebte von der Anerkennung der organisierten Arbeiterschaft als bedeutenden Bestandteil des Staates. Aber der Burgfrieden war als Kalkül gedacht, den militärischen Operationen des Feldzuges den Rücken an der Heimatfront frei zu halten. Mit der Fortdauer der militärischen Ereignisse wurde die Frage akut, wie der Burgfrieden aus einem Stillhalteabkommen in eine Zusammenarbeit umgewandelt werden konnte. Denn durch die Dauer des Krieges erwies es sich als unabdinglich, nicht nur die vermuteten revolutionären Bestrebungen der Führung der organisierten Arbeiterschaft in Schach zu halten, sondern auch noch ihre aktive Mitarbeit bei Verwaltung und Organisation der Kriegswirtschaft einzufordern. Die Regierung formulierte unter dem Eindruck des lange anhaltenden Krieges das Versprechen einer „Neuorientierung". Das Stichwort „Neuorientierung" bezeichnete die langfristigen Absichten der Regierung, die Erfahrungen des Krieges im positiven Sinne als Anstoß zu inneren Reformen anzuerkennen und umzusetzen.41 Es wurde zum ersten Mal im Umfeld Bethmann-Hollwegs gebraucht42 und von seinem Vizekanzler und Stellvertreter Clemens von Delbrück im Reichstag in einer Besprechung mit den Parteifuh-
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Groh, Negative Integration, 1973, S. 583-595. Drews hatte im Auftrag des Kanzlers mit Südekum, Hasse und Otto Braun am 25. und folgenden Julitag verhandelt, Bethmann selber am 28. und 29.: Groh, Negative Integration, 1973, S. 172ff., Zechlin, Bethmann-Hollweg, 1969, S. 174ff.; Kuczynski, Der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1957, S. 78ff., 207ff., 209ff.: erste Verhandlungen SPD und Regierung. Reichstagsprotokolle Band 306, S. 48. Zur Bedeutung des Begriffs vgl. Thieme, Der nationale Liberalismus 1963, S. 94: „Der Begriff sollte zunächst wohl nur die Anerkennung der Sozialdemokratie als staatstragender Partei und die daraus zu ziehenden Konsequenzen meinen, wurde aber bald zum unklaren, verschwommenen Programm für die Richtung der gesamten inneren Politik". Schellenberg, Burgfriedenspolitik 1967, S. 107, 121f. zitiert Briefe Bethmann-Hollwegs an Delbrück und bezeichnet sie als den Beginn der Neuorientierungspolitik.
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rem am 6. November 1914 und dann im Mai 1915 im Reichstag popularisiert. Das Stichwort der „Neuorientierung" warf allerdings die für den ganzen Krieg entscheidende Frage auf, zu welchen Strukturveränderungen des Obrigkeitsstaates die Neuorientierung als Wechselverhältnis zur Politik des 4. August fuhren würde bzw. fuhren sollte. Zu den durch die Neuorientierung bedingten Neuheiten gehörten Besprechungen der Regierung mit Gewerkschaftsführern, die Riezler überlieferte. Am 3. März 1915 verhandelte eine gewerkschaftliche Vertretung unter Führung des Vorsitzenden des Holzarbeiterverbandes Theodor Leipart mit dem Kanzler über Fragen der Arbeitsbedingungen. Leipart hatte bei Ypern seinen einzigen Sohn verloren, dennoch erhob er keinen Vorwurf an einen der Urheber dieses Krieges. Vielmehr bekundete Leipart ungebrochen seinen Patriotismus, worauf Bethmann die Meinung äußerte, daß das viele verflossene Blut vielleicht das gegenseitige Verständnis der ehemals so konträren politischen Gruppierungen fördern werde. Bethmann meinte später zu Riezler, in dem Idealismus dieser Leute läge die Zukunft, wenngleich er sich selber nicht als demokratisch bezeichnen würde.43 Bethmann sah aber nicht optimistisch in diese Zukunft und schöpfte aus ihr auch nicht die Kraft, mit einer zündenden Idee oder mit politischer Entschlossenheit eine konstruktive Umsetzung der Burgfriedenspolitik herbeizuführen. Es gelang Bethmann letztlich nicht, die rein passive Erhaltung des status quo in ein konstruktives Konzept der Zusammenarbeit überzuleiten, das schon mit der Dauer des Krieges und der Erfordernis der Mobilisierung aller gesellschaftlichen Reserven immer dringlicher wurde. „Überlebt", „ideenlos" erschien Bethmann die alte Welt, ihr „geistiger Niedergang" unvermeidlich und im Gegenzug der ausgebrochene Krieg als der Katalysator, als Befreier aus der Stagnation und der Enge, und doch war es ein „Sprung ins Dunkle", denn die Aussicht einer „Umwälzung alles Bestehenden"44 barg ein Risiko, daß auch die erhaltenswert anmutenden Aspekte dieser alten Welt in den Schlund der überlebten Vergangenheit mit sich fortzureißen drohte. „Letzten Endes ist es doch eine Revolution, die sich die Regierung in Formen der Evolution zu machen anschickt, und dabei werden die Späne nur so fliegen".45 Die Wandlung der Gesellschaft durch den Krieg empfand auch Riezler als „ein Greuel. Es kommt die Zeit der Schönheit der Massen. Das Individuum nur mehr möglich als Träger oder Führer von Massengefuhlen, nichts mehr von der Pracht des Singulären".46
Die Selbstintegration der Arbeiterschaft in den Obrigkeitsstaat als Nationalstaat Die Politik der Neuorientierung versprach letztendlich die Integration der organisierten Arbeiterschaft in den staatlichen Handlungsprozeß, der weder durch revolutionäre
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Riezler, Tagebücher, 1972, Eintrag vom 4. März 1915, S. 253f. alles bei Riezler, Tagebücher, 1972, S. 180-93. zitiert nach Vietsch, Bethmann Hollweg, 1969 S. 267f.; vgl. auch die Darstellung bei Mai Ende des Kaiserreichs 1987, S. 125. Riezler, Tagebücher, 1972, Eintrag vom 4. März 1915, S. 253f.
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Machtübernahme oder sonstige politische Prozesse erfolgte, sondern Ergebnis der staatlichen Anerkennung und des allmählichen Hineinwachsens durch Mitarbeit in der Verwaltung sein konnte. Diese Möglichkeit schien noch kurz vor Ausbruch des Krieges undenkbar zu sein. Da hatte sich die unüberbrückbar erscheinende Differenz der Sozialdemokratie zum Obrigkeitsstaat am Beispiel des Zabern-Konfliktes erneut gezeigt.47 Das im Reichsland Elsaß-Lothringen sich wie eine Besatzungsmacht aufführende Militär schien aller zivilen Überprüfung der Rechtmäßigkeit seines Tuns exempt zu sein. Juristische Überlegungen zu diesem Vorfall zeigten nur die Grenzen theoretischer Behandlung selbst in der sich selber progressiv einschätzenden liberalen Theoriebildung, wie es das Beispiel Walter Jellineks, des jüngeren Bruders von Georg, verdeutlichte.48 Die selbstherrliche Unabhängigkeit des Militärs von allen zivilen Einspruchsmöglichkeiten signalisierte bedrohlich die anhaltende Grundauffassung der Separation des Obrigkeitsstaates von der Gesellschaft, der Regierung vom Parlament. Als der bürgerliche Liberalismus sich dennoch verweigerte, ernsthaft den politischen Kampf gegen diese Demonstration obrigkeitlicher Selbstlegitimation aufzunehmen, verstärkte sich in sozialdemokratischen Augen die Unmöglichkeit, auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Bürgertum zu setzen. Kautsky drohte damit, daß das Versagen von Reichstag und Bürgertum die vom Bürgertum geleiteten Volksschichten bei einem zweiten Zabern hinter die roten Fahnen treiben würde,49 und der später im Weltkrieg auf die Seite der Burgfriedenspolitik überwechselnde Paul Lensch äußerte sich gleichfalls scharf gegen den im Fall Zabern zum Ausdruck kommenden Militarismus, der ebenso wie die Treue des Offizierskorps zum Kaiser eine gemeinsame „giftige Wurzel" hätten: „die freche Verachtung von Recht und Gesetz". Die SPD stünde nun im politischen Spektrum alleine und ohne mögliche Koalitionspartner da.50 Die politischen Denkwege des Sozialismus und des Liberalismus schienen den Zeitgenossen vor Ausbruch des Weltkrieges kaum mehr miteinander vereinbar. Pläne zu politischen Massenstreikaktionen, die eigentlich dem linken Parteiflügel vorbehalten waren, wurden nun flügelübergreifend populär. Aus diesem Geist heraus verstand sich die Sozialdemokratie noch während der Julikrise 1914 als Teil der oppositionellen Friedensbewegung und brachte noch wenige Tage vor Kriegsausbruch im Treptower Park etwa zweihunderttausend Menschen zur Friedenskundgebung auf die Beine.51 Der führende Theoretiker der Partei, Karl Kautsky, war sich gleichwohl im klaren darüber, daß angesichts der Kriegsgefahr eine Politik aus bloßer pazifistischer Gesinnung heraus keine ausreichende Alternative war, die wirksam die politische Realität verändern konnte. Angesichts der Friedensdemonstrationen warnte er am 27. Juli vor der Illusion, die bloße Klage über die Greuel eines Krieges bedeute be-
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Vgl. die Darstellung des Zabern-Falls und des Umgangs des Reichstags mit diesem Konflikt bei Craig, Deutsche Geschichte, 1982, S. 263-266; zu seiner verfassungspolitischen Würdigung vgl. Wehler, 'Der Fall Zabern' 1979; Schoenbaum, Zabern 1913, 1982. Walter Jellinek, Zabern - über das Verhaftungsrecht des Militärs, Tübingen 1914. Karl Kautsky, Armee und Volk, in: Die Neue Zeit 32 (1914) Band I, S. 401^105. Paul Lensch, Schluß mit Zabern, in: Die Neue Zeit 32 (1914) Band I, S. 641-644. Mai, Ende des Kaiserreichs, 1987, S. 13.
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reits eine konstruktive alternative Politik.52 Ohne Mitglied des Reichstages zu sein, wurde Kautsky aufgrund seiner theoretischen Autorität zu der entscheidenden Sitzung der Reichstagsfraktion geladen, hatte aber keine rechte Vorstellung davon, wie eine solche für nötig erachtete konstruktive Politikrichtlinie auszusehen hatte.53 Noch am Vortage hätte er ohne Zweifel die Kriegskredite abgelehnt, am Tag der Sitzung aber war er sich der Sache nicht mehr so sicher. Ausdruck dieser Verunsicherung war sein Vorschlag, die Fraktion solle sich geschlossen einer Abstimmung enthalten, also die schwächste aller parlamentarischen Handlungen. Als dieser Vorschlag abgelehnt wurde, plädierte Kautsky dafür, daß die Bewilligung von einer Zusicherung in der Kriegszielfrage abhängig gemacht werden sollte, nämlich von Eroberungen und Annexionen Abstand zu nehmen, um im Falle einer Ablehnung die Bewilligung zu verweigern. Diese parlamentarisch konsequente Haltung fand aber kein Gehör, da die Fraktion in eine Mehrheit der bedingungslosen Zustimmung und eine Minderheit der bedingungslosen Ablehnung gespalten war. Dennoch fand Kautskys Überlegung Eingang in den Begründungstext. Doch der Satz über den Widerstand gegen den Krieg im Augenblick einer Wendung in einen deutschen Eroberungskrieg wurde auf Intervention Bethmann Hollwegs zurückgenommen. Das war die Politik des 4. August. Die bedingungslos erteilte Kriegskreditbewilligung der Sozialdemokratie bei Kriegsausbruch und die mehrheitliche Unterstützung der Regierung, die aufgrund des Fraktionszwanges als einheitliche Unterstützung wahrgenommen wurde, schien mit den früher erhobenen Tönen völlig unvereinbar zu sein. Im Ausland wie in den konservativen Blättern des Inlandes vermutete man, daß die Kriegskreditbewilligung durch die Sozialdemokratie „erkauft" war mit Regierungszugeständnissen innenpolitischer Art. Die Parteiführung war bestrebt, diesem Eindruck scharf zu widersprechen.54 Doch die Regierung hatte schon am 31. August 1914 den Vertrieb sozialdemokratischer Blätter und Schriften im Heer freigegeben, begleitet von einem Schreiben Loebells hierzu am 5. September 1914, das erfüllt war vom Tenor versöhnlicher Annäherung.55 Vor allen Dingen aber kam es sogleich zu Gesprächen zwischen Eduard David und Regierungsvertretern über die innenpolitischen Konsequenzen der Burgfriedenspolitik. David gehört mit seinem Kriegstagebuch zu einer der besten Quellen der innerpolitischen Willensbildung dieser Zeit.56 Dort berichtet er von einem Gespräch mit Clemens von Delbrück. Danach hatte David argumentiert, daß falls die nötige Demokratisierung des Preußischen Wahlrechts nicht reformerisch durchgesetzt werden kann, er mit allen Vertretern des rechten Flügels schließlich zur radikalen Taktik greifen müsse: „Ich für meine Person würde diese Wendung tief bedauern, denn sie vernichte jede Hoffnung, auf dem Wege, den ich von je für den richtigen, durch die Logik der 52 53 54 55 56
Kautsky in einem Brief an Viktor Adler vom 27. Juli 1914, zitiert bei Salvadori, Sozialismus, 1982, S. 262. Nach der Schilderung Kautskys, Sozialisten und Krieg, Prag 1937, S. 446-455, vgl. hierzu auch Salvadori, Sozialismus, 1982, S. 262f. So am 20. Oktober 1914 in der offiziellen „Feststellung" des Parteivorstandes, vgl. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 25f. Koszyk Deutsche Pressepolitik 1968, S. 147f. David, Kriegstagebuch, 1966. zu David im Krieg v g l : Schwieger, Zwischen Obstruktion und Kooperation, 1970., Miller, Burgfrieden, 1974.
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Tatsachen und das Interesse des Landes geboten angesehen habe, nämlich auf dem Weg der reformistischen Taktik zum Ziele zu gelangen. Auf der anderen Seite solle die Regierung sich klar werden, was sie gewinnen könne durch eine in großer Geste rasch dargebotene Wahlreform. Sie schaffe die Basis für die Wandlung unserer Partei zu einer nationalen Demokratie. Das bedeute nicht eine Aufgabe unserer übernationalen Ideale. Aber es bedeute für unsere innere Politik doch ungeheuer viel: nicht eine Versöhnung, das natürlich sei zu viel gesagt, das könne erst die Geschichte machen, aber doch einen anständigen Modus vivendi zwischen uns [und] den übrigen politischen Machtfaktoren."57 Damit stand die Wahlrechtsfrage sehr früh auf der Agenda und wurde in einem Atemzug mit der Neuorientierungs-Konzeption der Regierung genannt. Als Vertreter des rechten Flügels der Sozialdemokratie war David für eine Zusammenarbeit mit Regierungskreisen prädestiniert und versuchte eine solche Rolle auch einzunehmen. Verbunden mit überlieferten Äußerungen eines Gespräches zwischen dem Unterstaatssekretär der Reichskanzlei Wahnschaffe mit dem Sozialdemokraten Cohn-Reuss am 2. Oktober 1914, in welcher letzterer die Wahlrechtsfrage danach behandelt wissen wollte, wie sie die „Entwicklung der Partei nach rechts fordere"58 gab die Politik Davids Vorwürfen Nahrung, die Burgfriedenspolitik sei der eigentliche Verrat der Sozialdemokratie an ihrem eigenen Programm gewesen, was die spätere Parteispaltung erzwungen hätte.59 Im Jahr darauf warb David in einer umfangreichen Monographie für die Politik des 4. August und hob die neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit reformwilligen bürgerlichen Kräften hervor, die bis hoch zur Regierung reichten.60 Er rechtfertigte die Fraktionsentscheidung zur Kriegskreditbewilligung mit Hinweis auf die patriotische Grundstimmung der „sozialdemokratischen Volksmassen" (S. 17ff.). Unter Berufung auf Äußerungen von Bethmann und dem schon vor dem Krieg unentwegt um Ausgleich und Annäherung zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft bemühten Linksliberalen Friedrich Naumann (S. 20ff.) unterstrich er die Bereitschaft der politischen Elite zu innenpolitischen Veränderungen. Der Vorwurf der Vaterlandslosigkeit wurde von David mit Verweis auf Wilhelm Liebknecht, Lassalle, Bebel, Marx und Engels zurückgewiesen, die immer eine Patria der Arbeiter gesucht hätten (S. 24-44). Für Marx und Engels konstatierte David eine zumindest flexible Haltung in dieser Frage (S. 174ff.). In der Frage des Hauptfeindes Rußland hingegen glaubte David die Stammväter der sozialdemokratischen Programmatik in den Hauptstrang der traditionellen Wahrnehmung der Arbeiterbewegung einordnen zu können (S. 56ff.). Denn Rußland war das rückständigste Land Europas und seine Bekämpfung diente mindestens mittelbar dem Fortkommen der dortigen Arbeiterbewegung. 57
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Eduard David, aus einem Gespräch mit Clemens von Delbrück vom 24. August 1914, in: David, Kriegstagebuch, 1966, S. 24f., vgl. Mai, Ende des Kaiserreichs, 1987, S. 176f. Zur Haltung der Sozialdemokratie im Weltkrieg zur Wahlrechtsfrage im Kontext der Diskussion der Vorkriegszeit vgl. Martiny, Integration oder Konfrontation?, 1976, S. 19ff. Zitiert bei Kuczynski, Der Ausbruch des /. Weltkrieges, 1957, S. 209f. Rosenberg, Entstehung und Geschichte, 1961, S. 67: nicht die Zustimmung zu den Kriegskrediten, sondern die Burgfriedenspolitik sei das eigentliche Problem der sozialdemokratischen Politik gewesen. Eduard David, Die Sozialdemokratie und der Weltkrieg, Berlin 1915, S. 20ff.
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Die Auffassung, daß der eigentliche Kriegsgegner das zaristische Rußland sei, fand die größte Zustimmung in der Partei 61 und stieß sogar bis zu einem gewissen Grade auf Einverständnis bei den Linken.62 Der Krieg galt nach Kautskys Auffassung vor allen Dingen der Bekämpfung des Zarismus und darin erblickte er die tiefere Rechtfertigung der Auseinandersetzung. Sofern er zur Befreiung, zumindest zum Fortschritt der Situation der russischen Proletarier führte, und eine Niederlage des Zarismus herbeiführte, an die auch er glaubte, diente der Krieg auch den Zwecken der Internationale. Als die Würfel für den Krieg gefallen waren, schien Kautsky anfänglich tatsächlich an die befreiende Wirkung des Krieges für die russischen Genossen gedacht zu haben.63 Aber Kautsky wurde rasch dessen gewahr, daß der russische Proletarier nicht die deutschen Truppen als Befreier empfing, wie er noch zu Beginn des Krieges gehofft hatte, sondern sich ihnen standhaft zur Wehr setzte: Die Schrecken vor der Niederlage sind offensichtlich beim russischen Arbeiter größer ausgeprägt als die Schrecken des Zarismus, wie Kautsky nun eingesteht.64 Nicht nur die Internationale in den fortgeschrittenen Ländern ist zusammengebrochen und erfüllt bei weitem nicht die in sie gesteckten Hoffnungen der Friedenssicherung,65 es gibt offensichtlich nirgendwo jene Solidarität, die das Integrationsmodell des Sozialismus gegen das Integrationsmodelle der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere seinem Modell der Nation, versprochen hatte. Vielmehr entfaltet das Modell der Nation die offenbar wirksamere Überzeugungskraft und prägt das Handeln der Menschen, sowohl der arbeitenden wie der bürgerlich orientierten. Es gibt demnach nicht nur eine Veränderung des Krieges, sondern auch umgekehrt eine Veränderung des Volkes durch den Volks-"Krieg" und sie besteht darin, das Volk den Suggestionen des Militarismus und der Logik seiner Betrachtungsweise zu unterwerfen (S. 975). Die Gesinnung hatte nicht den Pazifismus unterstützt, die Gesinnung zeigt sich sogar anfällig für den Nationalismus (S. 982). Für die anfangliche Wahrnehmung des zaristischen Rußlands als eigentlichen Kriegsgegners ließ sich auch Eduard Bernstein, der wichtigste Theoretiker des Revisionismus vor dem Krieg gewinnen.66 Schien nicht der Revisionismus und sein Vorschlag, bürger-
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Dies wurde von Haase stellvertretend für seine Fraktion am Tage der Zustimmung zu den Kriegskrediten (4. August 1914) deutlich gemacht. Die Konzentration auf den Osten als eigentlichen Gegner wurde am Tage darauf von Molkenbuhr in seinem Kriegstagebuch notiert, Eintragung vom 5. August 1914 und am 22. Dezember 1918 und noch einmal erwähnt bei der Gewissensfrage, daß er eigentlich gegen die Kredite stimmen wollte und allein durch die Erinnerung an die Tradition der zaristischen Gefahr für die europäische Freiheit seit 1876 sich innerlich umstimmen ließ, vgl. Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 65f. und 66 Anm. 153; ferner die Artikel von Quessel, Bernstein und Joseph Bloch in den Sozialistischen Monatsheften vom August 1914, S. 1013— 1027. Nachweise für Haase, Ströbel, Luxemburg u. a. bei Groh, Negative Integration, 1973, S. 642ff. Karl Kautsky, Der Krieg, in: Neue Zeit 32 (1914) II, S. 843-846, datiert vom 8. August 1914. Karl Kautsky, Die Wirkungen des Krieges, in: Neue Zeit 32 (1914), S. 937-948 und S. 969-982, S. 976. vgl. Blänsdorf, II. Internationale, 1979. vgl. das bei Lösche erwähnte Manuskript Bernsteins vom Herbst 1914: Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 69, Anm. 160: Rußland als Gegner, Unterbrechung des Klassenkampfes, Solidarität der
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liehe Modelle der Politik bei Bedarf zu übernehmen, für die Selbstintegration der Arbeiterschaft besonders geeignet zu sein? Aber bereits im Herbst 1914 kam es zu einem sich rasch durchsetzenden Wandel in der Auffassung darüber, wer der eigentliche Feind in diesem Krieg war. Dieser Auffassung zufolge lag jetzt der Sinn des Weltkriegs in der Befreiung der deutschen Arbeiterschaft vom Despotismus des Weltmarktbeherrschers England,67 womit ein Wort von Marx neu auferstand. Angesichts des sich verschärfenden Nationalismus und England-Hasses in den Artikeln der Sozialistischen Monatshefte kam es zum Bruch Bernsteins mit seinem ehemals wichtigsten Publikationsorgan.68 Statt dessen erinnerte Bernstein an die Differenzierungsfahigkeit politischen Denkens, das er am Beispiel der politische Haltung von Marx und Engels während des deutsch-französischen Krieges verdeutlichte, um darauf aufmerksam zu machen, daß sich die sozialistischen Sprecher der Gegenwart gleichfalls auf ein eigenständiges politisches Kalkül besinnen mußten, um gedanklich und politisch ihren Handlungsspielraum zu erhalten.69 Ursprünglich war der Vorwärts als Druckort dieses Beitrages vorgesehen gewesen, aber Bernstein wich auf die Neue Zeit aus, weil er seine Aussage als zu gefahrlich für die Parteiführung erachtete:70 Bernstein sah sich in den mittelfristigen Zielen nun wieder mit seinem alten Gegner Kautsky vereint. Seine anfangliche Loyalität zur Parteiführung, die er nur durch die historische Blume zu kritisieren versuchte, änderte sich aber angesichts der weiteren Parteipolitik im Laufe des Jahres 1915 entscheidend. Mit Kautsky und Hasse verfaßte er den Aufruf Zum Gebot der Stunde™ Er war eine Reaktion auf die Kriegszielpolitik der Mai-Denkschrift der Wirtschaftsverbände, die eine scharfe Annexionspolitik verfochten hatte. Auch wenn diese Schrift gewissermaßen in Konkurrenz zum gleichzeitig von Liebknecht veranstalteten Unterschriftenflugblatt erfolgte und Lenins Kritik zufolge lediglich eine „platonische Verurteilung der Annexionen" dokumentierte,72 so war sie doch das Zeichen für eine verschärfte Grundlagendebatte innerhalb der SPD, aus der heraus dann auch die Arbeitsgemeinschaft der die Minderheit vertretenden Sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag folgte, die wiederum den Kern der späteren Parteiabspaltung bildete. Bernsteins inhaltliches Anliegen der Formulierung einer nach sozialistischen Maßstäben orientierten Kriegspolitik der Partei scheiterte endgültig an der Einstellung der Parteiführung. Als Parteiausschuß und Fraktion vom 14.-16. August 1915 erstmals nach
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Klassen. vgl. hierfür Schröder, Sozialismus, 1975, S. 88 und Matthias, Sozialdemokratie, 1954, S. 30-32 mit Verweis auf Paul Lensch und Josef Bloch sowie den Kreis um die Sozialistischen Monatshefte, Max Schippel und Eduard David. Fricke, Zum Bruch Eduard Bernsteins 1975, S. 454-^68, (Dokumentation: S. 548ff.). Erduard Bernstein, Karl Marx und Friedrich Engels in der zweiten Phase des Krieges von 1870/71, in: Neue Zeit 33 (1914/15) I, S. 76-80. Schelz-Brandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, 1992, S. 3 71 f. Leipziger Volkszeitung Nr. 139 vom 19. Juni 1915; Miller, Burgfrieden und Klassenkampf, 1974, S. 104-113; Schelz-Brandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, 1992, S. 373ff. Lenin, Zur Lage der russischen Sozialdemokratie, Werke XXI, S. 284: bei Schelz-Brandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, 1992, S. 375.
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Kriegsausbruch gemeinsam tagten und die Kriegszielpolitik verhandelten,73 konkurrierten Bernstein und David in zwei getrennt ausgearbeiteten Leitsätzen um die Zustimmung der Parteiführung. Bernsteins Vorschläge waren um das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker gruppiert. Aber nicht nur, daß Davids Leitsätze angenommen und Bernsteins abgelehnt wurden, die politischen Vorstellungen der Parteiführung verlangten sogar die bei David noch vorgesehene Wiederherstellung der Souveränität Belgiens zu streichen.74 In dieser argumentativen Atmosphäre blieb kein Raum für Überlegungen, wie sie Bernstein anstellte. Die „Nationalisierung" der SPD war nicht Ergebnis und Sieg des Revisionsmus und damit der Politik von Eduard Bernstein, jedenfalls nicht nach Maßgabe von Bernsteins eigenem Verständnis. Bernstein gehörte zu den frühesten und zähesten Kritikern der Politik der Parteimehrheit, da er bei seiner revisionistischen Kritik der erstarrten Prinzipien nie einseitig nur den wissenschaftlichen Sozialismus und den Klassenkampf bekämpft hatte, sondern immer auch um eine alternative Politisierung bemüht war. Die Entfaltung einer eigenständigen politischen Perspektive sollte den Spielraum erweitern, den er durch doktrinäre Vereinseitigungen etwa der Vorstellung des Klassenkampfes verengt sah. Nun richtete sich sein Kampf gegen die Mehrheitsführung der Partei. Die Ablehnung des Krieges auf Seiten der radikalen Teile der Partei erfolgte nicht aus einem unpolitischen Gesinnungspazifismus heraus. Der Krieg als solcher konnte in der sozialistischen Tradition auch unter dem Gesichtspunkt seiner Förderung oder Hemmung des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses betrachtet und anerkannt werden, humanitäre Skepsis hatte darin nur bedingt Raum, wie im Rückblick selbst Kautsky hervorhob.75 So war auch für Rosa Luxemburg die Bekämpfung der Parteilinie nicht zunächst und zumeist ein Diktat ihrer unzweifelhaften Friedenssehnsucht, sondern erwuchs zunächst aus der Verweigerung, sich in die politische Logik der „Vaterlandsverteidigung" und des „Burgfriedens" einzwängen zu lassen. Die Alternative zur Politik der Parteiführung bestand für Rosa Luxemburg nicht im Pazifismus um des Friedens willen, sondern in einer Kritik des Krieges, in der sich die Arbeiter für den Klassenfeind aufopferten. Aber wenn man schon den entfachten Krieg als historische Tatsache akzeptieren mußte, sollte man ihn auch kompromißlos für die politischen Ziele der Arbeiterbewegung nutzen. In der Konsequenz einer politische Linie, die die Mehrheit der SPD mit der Kriegskreditbewilligung eingeschlagen hatte, lagen Luxemburg zufolge aber immer noch durchaus beachtliche Möglichkeiten. Diese nicht ergriffen zu haben, darin offenbarte sich für sie erst der tatsächliche Opportunismus und die Konzeptionslosigkeit der Partei-
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Für diese Ereignisse vgl. Miller, Burgfrieden und Klassenkampf, 1974, S. 195-199, S. 215-221 und Miller, Bernsteins Haltung, 1978, S. 213-221. Dowe, Protokolle des Parteiausschusses, 1980, Bd. 1, S. 195-200, vgl. hierzu auch SchelzBrandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, 1992, S. 379ff. Karl Kautsky, Sozialisten und Krieg, Prag 1937, S. 95ff.: „Frei von jedem Pazifismus, der sich ohnehin schlecht mit einer Lehre hätte vereinbaren lassen, deren Kernstück der Klassenkampf und die revolutionäre Erhebung des Proletariats bildete, betrachteten sie [Engels, Marx, Lassalle] den Krieg als ein legitimes Mittel, den status quo in fortschrittlichem Sinne umzugestalten und den historischen Prozeß zu beschleunigten", vgl. Schröder, Sozialismus, 1975, S. 92.
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fuhrung. In ihrer Junius-Broschüre skizzierte Luxemburg die Alternative:76 Ausnutzen des Krieges zur Erringung der vorenthaltenen politischen Rechte, und sie begründete diese Haltung auch noch kriegstheoretisch mit Verweis auf die modernen Erfordernisse der Massenheere, die sie an den Theorien Bernhardts aufzuzeigen versuchte (S. 335). „Ja, die Sozialdemokraten sind verpflichtet, ihr Land in einer großen historischen Krise zu verteidigen. Und darin liegt eine schwere Schuld der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, daß sie in ihrer Erklärung vom 4. August 1914 feierlich verkündet: ,Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich', ihre Worte aber im gleichen Augenblick verleugnete. Sie hat das Vaterland in der Stunde der größten Gefahr im Stiche gelassen. Denn die erste Pflicht gegenüber dem Vaterlande in jener Stunde war: ihm den wahren Hintergrund dieses imperialistischen Krieges zu zeigen, das Gewebe von patriotischen und diplomatischen Lügen zu zerreißen, womit dieser Anschlag auf das Vaterland umwoben war;... sich der Knebelung des Vaterlandes durch den Belagerungszustand bis zum äußersten zu widersetzen; die Notwendigkeit der sofortigen Volksbewaffnung und der Entscheidung des Volkes über Krieg und Frieden zu proklamieren; die permanente Tagung der Volksvertretung für die Dauer des Krieges mit allem Nachdruck zu fordern, um die wachsame Kontrolle der Regierung durch die Volksvertretung und der Volksvertretung durch das Volk zu sichern; die sofortige Abschaffung aller politischen Entrechtung zu verlangen, da nur ein freies Volk sein Land wirksam verteidigen kann; endlich dem imperialistischen auf die Erhaltung Österreichs und der Türkei, d. h. der Reaktion in Europa und in Deutschland gerichteten Programm des Krieges das alte wahrhaft nationale Programm der Patrioten und Demokraten von 1848, das Programm von Marx, Engels und Lassalle: die Losung der einigen großen deutschen Republik entgegenzustellen. Das war die Fahne, die dem Lande vorangetragen werden mußte, die wahrhaft national, wahrhaft freiheitlich gewesen wäre und in Übereinstimmung mit den besten Traditionen Deutschlands wie mit der internationalen Klassenpolitik des Proletariats" (S. 355).77 Luxemburg sprach hier allerdings bereits aus einer Position der ohnmächtigen Kritik heraus. Sie hatte in dem Glauben, die Burgfriedenspolitik der Parteiführung sei nicht repräsentativ fur Gesamtpartei und Basis, versucht, die Linke zu mobilisieren. Aber schon ihr kurz nach der Kriegskreditbewilligung erfolgter Sammlungsruf, mit dem sie 300 linksorientierte Politiker außerhalb Berlins aktivieren wollte, hatte eine katastrophale Resonanz: außer Clara Zetkin, Liebknecht und Franz Mehring konnte Luxemburg auf niemanden zurückgreifen.78 Der Patriotismus des August 1914 war nicht nur eine intellektuelle Chimäre der Parteiführung gewesen. Die Arbeiter erwiesen sich zur Verblüffung einiger Internationalisten de facto und nicht nur während des Kriegsausbruches als Patrioten. Der Linke Gustav Eckstein resümmierte rückblickend: „Es ist auch nicht richtig, daß die Proletariermassen selbst bei Ausbruch des Krieges instinktiv der oppositionellen Richtung
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Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie {Junius-Broschüre), Zürich 1916, in: dies., Politische Schriften, hg. von Ossip Flechtheim, Frankfurt/M. 1987, S. 243-375 mit einem Anhang ebda. S. 376-382. Netti, Rosa Luxemburg, 1967, S. 593-605 zur Entstehung und Resonanz der Junius-Broschüre. Netti, Rosa Luxemburg, 1967, S. 583ff.
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gefolgt wären. Die Beobachtung fast aller, die die erste Kriegszeit mitmachten, auch derer, die schon damals gegen die patriotische Stimmung anzukämpfen suchten, stimmten dahin überein, daß der patriotische Taumel in jenen schrecklichen Tagen auch die weitesten Kreise der Arbeiterschaft ergriffen hatte. Aber selbst viel später noch, als die erste Angst und Begeisterung längst vorüber waren, zeigte sich die vorherrschende Stimmung der Proletariermassen noch deutlich genug. Man brauchte nur ζ. B. in Berlin, einem der Zentren des Parteiradikalismus, an den Tagen, für die die Regierung Siegesjubel angesetzt hatte, durch die Straßen der Proletarierviertel zu gehen, um sich zu überzeugen, daß trotz aller Kriegsnot hier die Beflaggung der Häuser viel reichlicher war, als in den eleganten Stadtvierteln des Westens".79 Auch unter ehemals linken Intellektuellen der Partei wurde dieser Durchbruch des Patriotismus erlebt und sogar als Erweckungs- und Befreiungserlebnis gefeiert, so bei Konrad Haenisch, der vor dem Weltkrieg einer der radikalen Linken war: Er erinnerte sich seiner seelischen Nöte in den Anfangstagen des Krieges. „Dieses drängendheiße Sehnen, sich hineinzustürzen in den gewaltigen Strom der allgemeinen nationalen Hochflut und von der anderen Seite her die furchtbare seelische Angst, diesem Sehnen rückhaltlos zu folgen, der Stimmung ganz sich hinzugeben... Diese Angst: wirst du auch nicht zum Halunken an dir selbst und deiner Sache - darfst du auch so fühlen, wie es dir ums Herz ist? Bis dann - ich vergesse den Tag und die Stunde nicht - plötzlich die furchtbare Spannung sich löste, bis man wagte, das zu sein, was man doch war, bis man - allen erstarrten und hölzernen Prinzipien zum Trotz - das erste Mal... aus vollem Herzen, mit gutem Gewissen und ohne jede Angst, dadurch zum Verräter zu werden, einstimmen durfte in den brausenden Sturmgesang: Deutschland, Deutschland über alles, unbekümmert um den schnöden Mißbrauch, der so lange mit diesem schönen Liede des wackeren alten Demokraten Hoffmann von Fallersleben getrieben worden war!"80 In einem Briefentwurf Konrad Haenischs an Radek hieß es Anfang Oktober 1914: „Sozialdemokratie erledigt durch die Massen selbst, wenn sie am 4. August anders gehandelt hätte. Die zerstörte ,große Illusion' der revolutionären Aktion zum Sturze der bestehenden Staatsordnung. Sieg der nationalen proletarischen Interessen über die internationalen: 1. weil demokratische Entwicklung nur möglich auf dem Boden eines auch außen unabhängigen nationalen Staates; 2. auch Entwicklung zum Sozialismus nur möglich auf diesem Boden ... 3. Eine Niederlage würde eine Zeit chauvinistischer Revanche bedingen, die jede Sozialdemokratie überwältige".81 Wie Haenisch erging es auch anderen vormals linken Sozialdemokraten, etwa Heinrich Cunow und Paul Lensch. Bei letzterem zeigt sich auch, daß es nicht nur ein irratio79
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So zitierte der Vorwärts Gustav Eckstein am 9. Juni 1917, ein Jahr nach dessen Tod, bei Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 62f. Vgl. auch die Darstellung bei Mai, Ende des Kaiserreichs, 1987, S. 21 f. Konrad Haenisch, Die deutsche Sozialdemokratie in und nach dem Weltkrieg, Berlin 1919, S. 11 Of. Solche Schilderungen finden sich zuhauf und werden in zahlreichen Auszügen aus sozialdemokratischen Zeitungen dieser Tage bei Haenisch selber gesammelt. Sie erstaunten auch Zeitgenossen, vgl. Max Schwarte, Hg., Der Weltkrieg in seiner Einwirkung auf das deutschen Volk, Leipzig 1918. Zitiert bei Mai, Ende des Kaiserreichs, 1987, S. 177f.
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nales Gefühl, nicht nur eine Welle der Emotionalität war, die das politische Denken bestimmte, sondern die intellektuelle Herausforderung seiner gedanklichen Bewältigung, die sich aber von anschaulichen Erlebnissen inspirieren lassen konnte und durch deren Aufnahme zugleich zeitgenössische Plausibilität erlangte. Die ungekannte Wirkung des Krieges wurde als neuer Erfahrungsraum von Arbeitern und ihren politischen Führern deutlich gespürt. Das gemeinsame Schlangestehen von Arbeitern und Bürgerlichen vor den Behörden, um Brotkarten zu erwerben, die am 25. Januar 1915 als erste spürbare Rationierungsmaßnahme eingeführt worden waren, wurde als leibhaftiges Egalisierungserlebnis begriffen. Genosse Stockinger machte Großherzog Friedrich von Baden, nachdem dieser freundlich Wilhelm Kolb begrüßt hatte, darauf aufmerksam, „wie interessant im sozialistischen Sinne die Jetzt-Zeit sei. Auf dem Pforzheimer Rathaus stünden neben dem einfachen Fabrikarbeiter im Rathaus der reiche Kommerzienrat, jeder habe denselben Wunsch, anläßlich der Regelung der Brot- und Mehlverteilung seine Brotkarte in Empfang zu nehmen. Das sei auch ein Fortschritt zum Endziel seiner Partei, meinte Stockinger." 82 Aus der Perspektive einer revolutionären Theorie, schon aus der Perspektive einer politischen Theorie, die ein eigenständig sozialistisches Profil entwickeln wollte, mochten diese „Analysen" des sozialistischen Fortschritts unerheblich, ja grotesk anmuten, aber für das politische Denken dieser Zeit war der neue Erfahrungsraum des Kriegs gerade in diesen zivilen Erlebnissen weitab von der Front prägend83 und bestimmte auch den allseits überraschendsten Aspekt der Einmütigkeit: die Zustimmung der sozialdemokratischen Führung zum Krieg und vor allen Dingen die dauerhafte und konstruktive Mitarbeit der Bevölkerung an der erfolgreichen Bewältigung des Krieges. Die Einführung der Brotkarte wurde aber auch zum Ausgangspunkt einer Umwandlung der SozialismusTheorie, die zum Hintergrund der bis zum Kriegsende anhaltenden Burgfriedenspolitik der Sozialdemokratie gehörte. Hier bekam nämlich der Krieg einen geradezu erkenntniserhellenden Charakter, wenn man in ihm nicht das Wesen der Staatlichkeit, sondern das Wesen einer modernen gesellschaftlichen Revolution erblicken wollte. In diesem Verständnis glaubte man sogar von einer Demokratisierung der Gesellschaft sprechen zu dürfen, aber im gesellschaftlichen Sinne: allgemeine Wehrpflicht und allgemeine Schulpflicht ermöglichten die Leistungen Deutschlands in diesem Krieg. Diese Form der Demokratisierung mußte keineswegs zwingend eine Demokratisierung der politische Ordnung nach sich ziehen. Statt der Mehrheitsmeinung zählte nunmehr nämlich das sachlogische Argument, das jenseits aller politischen und weltanschaulichen Parteilichkeit den Gesamtkomplex von Staat und Ökonomie erfaßte. Paul Lensch wurde der theoretische Begründer dieser „Kriegssozialismus"-Theorie. Lensch veröffentlichte einen Artikel in der Frankfurter Volksstimme, der unter dem Titel „Kriegssozialismus" in einer Beilage zum Vorwärts vom 5. Februar 1915 übernommen wurde und in dem Lensch in „wissenschaftlicher Analyse" die nicht zufallige Ähnlich-
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Nach dem Bericht der Cannstatter Zeitung im Vorwärts vom 10. Februar 1915, bei Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur 1958, S. 26. Miller, Burgfrieden und Klassenkampf, 1974, S. 267-275 zur zeitgenössischen Wahrnehmung eines Abbaus gesellschaftlicher Schranken.
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keit zwischen den kriegswirtschaftlichen Maßnahmen und sozialistischen Vorstellungen von „Verstaatlichung" darlegte und den Krieg als Förderer der sozialistischen Revolution feierte, die er als einen ökonomischen und nicht politischen Vorgang verstanden wissen wollte. 84 Diese von Lensch noch in zahlreichen Büchern während des Krieges verteidigte These, 85 ergab, daß der objektive Sachwalter „Krieg" als Motor der gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklung die Rolle des revolutionären Subjekts eingenommen hatte, die er selber als ehemaliger Linker innerhalb der SPD noch ganz im Sinne von Rosa Luxemburg in Gestalt der noch nicht organisierten Masse des Proletariats vermutet und gesucht hatte. Lensch betrachtete den Krieg als diese Revolution und er postulierte den gegenwärtigen Status des „Kriegssozialismus" 86 als unmittelbare Vorstufe zum vollständigen Sozialismus. Die Ausgangsbeobachtung für Lensch war wieder die Einfuhrung der Brotkarte im Januar 1915.87 Lensch sah in den Ereignissen des Krieges das „allmähliche Heraufsteigen einer sozialistischen, d. h. einer systematisch und im Interesse der Gesamtheit durchorganisierten Gesellschaft, in der die Arbeit eine Frage des staatlichen und sittlichen Rechts geworden ist, weil sie zur Frage staatlicher und sittlicher Pflicht wurde" (S. 183).88 Der Staat hatte sich in dieser Sichtweise von dem Instrument einer Klasse zu einem gesellschaftlichen Ort gesamtgesellschaftlicher Verfügung verwandelt. Der Weltkrieg hatte daher die gesellschaftliche Funktion einer „Revolution". Aber statt des Kopfes Ludwig XVI. fiel nun ein ganz anderer Kopf, nämlich derjenige Englands, des „Despoten des Weltmarktes". 89 Lenschs Thesen blieben in der Sozialdemokratie nicht unangefochten. Einen geradezu verbitterten Kampf führte Stampfer gegen Lensch,90 aber auch gegen Bernstein. Der Vorwärts erwiderte Lenschs frühen Artikel des Januar 1915 über die Bedeutung der Einfuhrung der Brotkarte bereits in einem Artikel vom 5. Februar 1915, in dem erinnert wurde, daß Sozialismus nicht Vergesellschaftung der Konsumtion, sondern der Produktion bedeute und die Bedarfsdeckung in einer belagerten Festung nichts mit Sozialismus zu tun habe. Dagegen meinte Lensch am 19. Februar 1915, erst der Weltkrieg habe die planmäßige Organisation der Wirtschaft herbeigeführt. 91 Hiergegen nun meldete sich Eduard Bernstein am 7. März 1915 im Vorwärts zu Wort: „Gewiß, der Krieg und die Maßnahmen, zu denen er Anlaß bietet, haben vieles, was dem Sozialismus ähnlich sieht.
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Paul Lensch, Kriegssozialismus, in: Berliner Volksblatt-Beilage zum Vorwärts Nr. 36 vom 5. Februar 1915. Zur anschließenden Diskussion vgl. Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch, 1976, S. 47-51. Am bekanntesten wurde zunächst Lenschs Buch Die deutsche Sozialdemokratie und der Weltkrieg, Berlin 1915, vgl. auch ders., Die Sozialdemokratie, ihr Ende und Glück, Leipzig 1916. Braun, Konservatismus und Gemeinwirtschaft, 1978, S. 17-32. Paul Lensch, Die deutsche Sozialdemokratie - ihr Ende und Glück, Leipzig 1916, S. 188. vgl. Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch, 1976, S. 93. Paul Lensch, Die deutsche Sozialdemokratie in ihrer großen Krisis, Hamburg 1916 (unveränderter Abdruck eines Artikels im Hamburger Echo), S. 3f. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 90, 106f., 227, vgl. auch Heidegger, Deutsche Sozialdemokratie, 1956, S. 186. nach dem Bericht im Vorwärts vom 3. März 1915 zu dem Lensch-Artikel, bei Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 64.
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Schon im ganzen Heerwesen steckt ein Stück Kommunismus. Der allgemeinen Wehrpflicht liegt ein sozialistischer Gedanke zugrunde, und die Eingriffe in das Privatrecht und das Privateigentum, die während des Krieges stattfinden, unterscheiden sich im unmittelbaren Effekt wenig von der Expropriation für Wirtschaftszwecke organischer Natur. Aber sie sind darum noch nicht ihnen wesensgleich. Denn sie beziehen sich nicht auf das normale Leben der Gesellschaft, sondern auf einen Ausnahmezustand".92 Aber selbst wenn Lenschs Theorien sogleich bekämpft wurden, so zeigten sie doch die Krisensymptome der sozialistischen Theoriebildung, die aufgrund der gewechselten Kriegszielbestimmung von der Bekämpfung des rückschrittlichen Rußland zur Bekämpfung des Westens eine erhebliche Herausforderung der Legitimation der weiteren Kriegskreditbewilligung zu bewältigen hatte. Denn im Kontext von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont war die normative oder geschichtsphilosophische Legitimierung des Krieges als einer Auseinandersetzung mit dem zaristrischen Rußland weitgehend plausibel gewesen. Nachdem sich aber gezeigt hatte, daß der Schwerpunkt des Krieges mindestens gleichrangig auch im Westen lag, lehnten es aber die meisten Sozialisten keineswegs ab, den Krieg weiterhin zu unterstützen. Die scharfe Kriegszielpolitik, die einen „Vernunftfrieden" und damit eine erhebliche Verkürzung des Krieges ermöglicht hätte, scheiterte nicht nur an dem plötzlich aufwallenden Siegeswillen bedeutender und einflußreicher Sozialdemokraten. Die Übernahme des imperialen, kontinentaleuropäischen Denkens war zugleich die Einmündung in die geopolitische Logik „bürgerlicher" Theoretiker, so daß Naumanns Mitteleuropa-Gedanke durchaus in eins genannt werden konnte mit den Konzeptionen, die Lensch, Haenisch, Cunow, Jansson, Winnig und Heilmann in Helphand-Parvus' Glocke veröffentlichten.93 Rasch ließen sie sich von dieser eigentümlichen politischen Logik mitreißen und bewerteten selbst Annexionen unter solchen Parametern. Jedenfalls bedurfte die Wendung vom vermeintlichen Hauptkriegsgegner Rußland zum Westen als dem nun maßgeblichen Schauplatz auch einer ideologischen Selbstrechtfertigung, die den Krieg rasch zum ideologischen Krieg entgleisen ließ. Nur ließen sie diese Haltung nicht als Chauvinismus gelten, sondern als „Erkenntnis" geradezu sozialistisch vermittelter Kriegsziele. Dieser Auffassung zufolge lag jetzt der Sinn des Weltkriegs in der Befreiung der deutschen Arbeiterschaft vom Weltmarktbeherrschers England. Zu den heftigsten Wortführern dieser Auffassung zählte die Lensch-CunowHaenisch-Gruppe.94 Als ausgewiesene Linke der Vorkriegszeit waren sie zur „imperialen Rechten" der Partei gewechselt.95 Anhand des Falles von Lensch wird erneut die einschneidende Wirkung des Krieges für Theoretiker deutlich. Die Wandlung Lenschs vom
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Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 64. Zur „Glocke" vgl. Matthias, Die deutsche Sozialdemokratie, 1954, S. 32ff.; Scharlan/ Zeman, Freibeuter der Revolution, 1964; Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 70f.: die Glocke erschien ab August 1915 und wurde u. a. von der Wilhelmstraße finanziert. Die Rolle von Cunow, Haenisch und Lensch bei Kriegsausbruch beleuchtet von Prager, Geschichte der USPD, 1921, S. 33ff. und vor allen Dingen Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch, 1976. In der Forschung zur SPD diente die Wandlung Paul Lenschs vom Radikalen zum Revisionisten der Widerlegung der Schorske-These von der Kontinuität der zwei Lager vom Kaiserreich über die Abspaltung der USPD bis in die Weimarer Republik hinein: Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 75, Groh, Negative Integration, 1973, S. 716.
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Radikalen der Vorkriegszeit zum extremen Parteirechten der Kriegszeit mitsamt Parteiausschlußverfahren nach dem Weltkrieg, nachdem er Chefredakteur der Deutschen Allgemeinen Zeitung, dem Presseorgan des Schwerindustriellen Stinnes geworden war, war Folge seiner theoretischen Entwicklung. Der Theorie der sozialistisch verstandenen Kriegswirtschaft als Aufhebung der politischen Revolution korrespondierte die bereits grundsätzlich beobachtete Wandlung des Demokratiebegriffs von einem politischen zu einem gesellschaftlichen Begriff. Lensch erkannte in demokratischen Institutionen die eigentliche, über sich hinaus weisende Fortschrittlichkeit des deutschen Staates. Die allgemeine Schulpflicht, die allgemeine Wehrpflicht und das allgemeine Wahlrecht waren ihm die drei demokratischen Säulen der Verwandlung des Staates von einem Instrument der Herrschaft zu einem Instrument der Selbstregierung. 96 Sie bezeichnete er als die drei Säulen, die es überhaupt erst der Bevölkerung ermöglichten, Anteil zu nehmen am politischen Schicksal. Lensch wollte von dieser Auffassung ausgehend vor allen Dingen beweisen, daß England nicht das demokratische Land war, als welches es sich jetzt zu beweisen wünschte, sondern nur das Land eines banalen Patriotismus mit einem „verkrüppelten sozialen Bewußtsein". 97 Statt dessen wähnte Lensch im gegenwärtigen Kriegssozialismus sogar den Einstieg in die wirkliche Demokratie, insofern, als der Kriegssozialismus weniger durch die Obrigkeitsregierung getragen werde als durch „demokratische Körper der Selbstverwaltung". 98 Die kriegswirtschaftliche Plausibilität der „Organisation" aller Lebensbereiche, d. h. ihrer Gestaltung nach scheinbar objektiven Kriterien, die daher einer parteipolitischen Diskussion nicht bedürften und „sachgemäß" waren, erreichte ihren Höhepunkt in einem Gesetz, das federführend vom Reichstag diskutiert und beschlossen wurde, dem Hilfsdienstgesetz vom 5. Dezember 1916." Dieses Gesetz krönte die bereits zuvor erfolgte gedeihliche Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Regierungsämtern. Mit dem vaterländischen Hilfsdienstgesetz und der paritätischen Besetzung von Kommissionen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse aber erreichte diese Zusammenarbeit ihren Höhepunkt. Motor dieser Zusammenarbeit war der Intitiator des Gesetzes und Chef des Kriegsamtes, Wilhelm Groener. Groeners Strategie bestand darin, mit den Freien Gewerkschaften auf die Freiwilligkeit der Arbeiterschaft zur Erbringung der nötigen Arbeitsleistungen zu setzen und daher nicht selten den Standpunkt der Gewerkschaften als geradezu staatserhaltend anzuerkennen. Groener betonte, daß das Hilfsdienstgesetz als logische Fortsetzung der allgemeinen Wehrpflicht anzusehen sei:100 erst der „Lehrmeister Krieg" habe dieses Gesetz zustande gebracht (S. 135), das das Prinzip der Freiwilligkeit und gütlicher Verständigung besonders betone (S. 147). Die Gewerkschaften wurden sogar maßgeblich zur Kon-
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Paul Lensch, Drei Jahre Weltrevolution, Berlin 1917, S. 219. Paul Lensch, Die Sozialdemokratie - ihr Ende und Glück, Leipzig 1916 S. 174. Paul Lensch, Drei Jahre Weltrevolution, Berlin 1917, S. 190f. Zur Entstehung: Deist, Militär und Innenpolitik, 1970, 1. Teil, S. 459-647; Dierkopf, Vorgeschichte, 1937. Zur innenpolitischen Bedeutung vgl. Feldman, Armee, 1985, S. 169-206. Zitiert bei Adolf Konrad, Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, in: Annalen des Deutschen Reichs 50 (1917) S. 131ff., S. 132.
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zeptionierung des Hilfsdienstgesetzes herbeigezogen.101 Das Vertrauensverhältnis der Repräsentanten des militärischen Obrigkeitsstaates zu den Führern der organisierten Arbeiterschaft wurde zu einem Pfeiler der nicht-revolutionären politischen Strategie auch der Parteiführung. Am 12. Dezember 1916 trat im Vorfeld des Inkrafttretens des Hilfsdienstgesetzes ein großer Gewerkschaftskongreß in Berlin zusammen, in der alle Gewerkschaften ausschließlich der „Gelben" in einer großen Heerschau versammelt wurden und höchste Regierungsbeamte Reden hielten. Es war vor allen Dingen Groener, der den „lebhaften Beifall" der Kongreßanwesenden erhielt, als er sagte: „Ich darf wohl annehmen, daß wir gegenseitig uns mit dem größten Vertrauen entgegenkommen, und daß wir, wenn einen Monat nach Friedensschluß das Hilfsdienstgesetz wieder außer Kraft tritt, wir uns gegenseitig die Hände schütteln und zueinander sagen werden: Wir haben die Sache recht vernünftig gemacht (Zustimmung), und dann werden wir aus der Gemeinschaftsarbeit während des Krieges die Hoffnungen und Erwartungen schöpfen dürfen, daß auch im zukünftigen Frieden viel Trennendes beseitigt sein wird und daß eine herrliche Saat für die Entwicklung des deutschen Volkes aus unserer gemeinsamen Kriegsarbeit hervorgehen wird (lebhafter Beifall)".102 Die Zusammenarbeit der militärischen mit der Arbeiterfuhrung wurde auch personal institutionalisiert. Führende Gewerkschaftsfunktionäre traten in Regierungsbehörden ein. Im Mai 1916 waren mit August Müller und Adam Stegerwald zwei Gewerkschaftsführer in den Vorstand des Kriegsernährungsamtes berufen worden. Das Reichsschatzamt bildete einen Beirat, in welchen Schippel für die Freien und Stegerwald für die christlichen Gewerkschaften beitraten.103 Alexander Schlicke von der Metallarbeitergewerkschaft trat im Dezember 1916 in das Kriegsamt ein, was wiederum zu schärfsten Vorhaltungen seitens der Arbeitgeberverbände führte, die sich von einem Vertreter der radikalsten Teilgewerkschaft wenig gutes erhofften. So hatte das Preußische Kriegsministerium den Tarif besonders geschützt, da mit dem Beweis des Nationalbewußtseins und des Verantwortungsgefühls der Parteien, insbesondere der Gewerkschaften auch der Beweis für die Befähigung zur Selbstverantwortung gegeben und damit erst eine neue Möglichkeit „sozialer Kriegführung" entstanden sei.104 Die fruchtbare Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Regierung war für viele sozialistische Autoren das stärkste Argument für den Sinn der Burgfriedenspolitik als einer über den Krieg hinaus andauernden politischen Grundlage der Integration. Aber Hoffnungen über eine raschere Umstrukturierung der politischen Ordnung noch im Weltkrieg, wie sie mit der Idee der Neuorientierung verbunden waren, wurden enttäuscht. Lensch etwa verlangte 1917 in Reaktion darauf, daß mit dem Kriegssozialismus auch die Demokratisierung der Gesellschaft verbunden werden müßte.105 Dann könnte Deutsch-
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Feldman, Armee, 1985, S. 169-206. Schulthess' Geschichtskalender, 32. Jahrgang S. 632, zitiert nach: Feldman, Armee, 1985, S. 255. Feldman, Armee, 1985, S. 169-206 und Varain, Freie Gewerkschaften, 1956, S. 114. Friedrich Zahn, Deutsche Sozialpolitik und der Krieg, in: Annalen des Deutschen Reichs 49 (1916) S. Iff. Paul Lensch, Drei Jahre Weltrevolution, Berlin 1917.
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land die „organische Demokratie" im Gegensatz zur englischen „mechanischen Demokratie" verwirklichen (S. 214). Darunter verstand Lensch den Hegeischen Staat der Sittlichkeit, der nicht nur die individuelle Freiheit der Subjekte untereinander verband, sondern die wahrhafte politische Freiheit verwirklichen sollte. Als Voraussetzung hierzu setzte Lensch nun allerdings die Überwindung des Obrigkeitsstaates, die Kontrolle der Beamtenregierung an (S. 217), um die wirkliche Übereinstimmung von Volk und Staat zu ermöglichen (S. 218). Im Krisenjahr 1917 zeigte sich also auch bei Lensch, daß sein Vertrauen in die Selbstrevolutionierung des Staates geringer geworden war. Die Kriegsbegeisterung war aber nicht grenzenlos und sie hielt auch nicht gleichmäßig an,106 so daß neben dem vielstimmigen Chor überschwenglicher Begeisterung anläßlich der zunehmenden Anerkennung und Integration der organisierten Arbeiterschaft in den Staat es auch vereinzelt zu Ansätzen kam, in nüchterner Analyse die Kriegsbegeisterung als selbstsuggestiven Illusionismus zu erklären. Neben den grundsätzlichen Gegnern der sozialdemokratischen Burgfriedenspolitik wie Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein ist hier vor allen Dingen Emil Lederer zu nennen.107 Die Frage war für ihn, ob das beobachtbare Pathos, das die Stunde regierte, tatsächlich das Fundament einer neuen politischen Orientierung darstellen konnte. Emil Lederer hatte sich nicht von der Kriegsbegeisterung anstecken lassen und akzeptierte den Burgfrieden nicht als ein dauerhaftes Lösungsmodell der tiefergreifenden Probleme der deutschen Gesellschaft. Seine Skepsis resultierte vielleicht aus seiner Zugehörigkeit zu einer akademischen Gruppe „bürgerlich" sozialisierter Intellektueller, die sich ohne Fühlung mit der sozialdemokratischen Partei den Gedanken des Sozialismus erschlossen hatte, seinen Inhalt aber ohne die Dogmen und Phrasen der Orthodoxie entwickeln konnte. In einer über einige Jahre hinweg wiederholten regelmäßigen Untersuchung zur Lage der deutschen Arbeiterschaft in dem Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik hatte sich Lederer ein beachtliches Netz an Kategorien aufgebaut und in Anwendung gebracht, um jenseits der Wahrnehmungsweise bürgerlicher Sozialreformer oder sozialistischer Selbstbeschreibung zu einem angemessenen soziologischen Bild der Arbeiterbewegung zu gelangen. Hierzu hatte er mit organisationssoziologischen, partei-und verbandssoziologischen und auch sozialpsychologischen Mitteln gearbeitet108 und war zu einer differenzierten Aufschlüsselung dieser „Bewegung" gelangt. Im Krieg widmete er sich ausfuhrlich den Gewerkschaften 109 und formulierte Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses des Sozialismus zu seinen Doktrinen und ihrer kriegsbedingten Wandlung. 110
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Kruse, Krieg und nationale Integration, 1993. Hans Joas hat wiederholt auf die Ausnahmeerscheinung Lederers hingewiesen: Joas, Klassiker der Soziologie, 1989, S. 179-210 und: ders., Die Sozialwissenschaften und der Erste Weltkrieg, 1996, S. 17-29. Emil Lederer, Die Interessenorganisationen und die politischen Parteien, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 34 (1912), S. 307-374; ders., Das ökonomische Element und die politische Idee im modernen Parteiwesen, in: Zeitschrift für Politik 5 (1912) S. 535-557, zitiert nach: ders., Kapitalismus, 1979, S. 33-50; ders., Soziale Organisationen 1913, 2. Aufl. gänzliche Umarbeitung, Leipzig und Berlin 1922. Emil Lederer, Die Gewerkschaften und der Krieg, in: D. Schäfer, Hg., Der Krieg 1914/17 Werden und Wesen des Weltkrieges, Band 2, Leipzig 1917, S. 393-396; ders., Die Gewerk-
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Wie hatte es überhaupt zu der Überzeugung in der Sinnstiftungsliteratur kommen können, wonach der Krieg die problemlose Gemeinschaft erzeugt hatte? Lederer meinte, daß nach außen hin die Wandlung der Bevölkerung unter den Bedingungen des Krieges tatsächlich den Anschein macht, als habe sich eine Gesellschaft in eine Gemeinschaft verwandelt, um in Tönnies'schen Kategorien den Wandlungsprozeß zu umschreiben.11' Insbesondere im Heer könne man zu der Auffassung gelangen, als seien alle Klassenkonflikte mindestens suspendiert worden, als hätten im Zuge der Kampfhandlungen „genossenschaftliche" Solidaritätsverbindungen Platz gegriffen. Insbesondere habe sich der Staatsbegriff der materialistischen Geschichtsauffassung, wonach der Staat nur Funktionär einer herrschenden Klasse sei, als falsch erwiesen (S. 139). War der Krieg also auch in nüchtern-soziologischer Sichtweise der große Befreier und Staatenbildner, als welcher er gegenwärtig gefeiert wurde? Lederer behauptete nun, diese angebliche „Einheit", die der Krieg in dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft hergestellt habe, sei nur das Ergebnis einer Ideologie, einer Ideologie freilich, die in ihrer subjektiven Überzeugungskraft so zwingend war, daß man sie keineswegs als Ergebnis einer Propaganda bezeichnen könne. Sie sei vielmehr der „Suggestivkraft des Staates"(S. 137) geschuldet, die zu einem „Bewußtsein einer aktiven Einheit" gefuhrt habe. Gleichzeitig füllte sich der Staat mit normativen Inhalten, weshalb allenthalben der Krieg als Verteidigungskrieg dargestellt werden mußte (S. 135). Aber diese Einheit ist für Lederer nur Schein. Sie ist nicht Ergebnis eines Volksgeistes, der im Krieg endgültig zur Geltung gekommen ist, wie die Sinnstiftungsliteratur gerne behauptete. Denn die suggestive Einheitsvorstellung zeige sich bei allen Kriegsparteien und allen Schichten. Daher muß sie als Resultat einer von allen Besonderheiten der unterschiedlichen Bevölkerungsteile absehenden, in allen Bevölkerungsgruppen beobachtbaren Kraft aufgefaßt werden, die Lederer mit der Organisation des modernen Staates identifizierte. Denn bei nüchterner Analyse habe der Krieg eine Umwandlung des Staates und der Gesellschaft endgültig besiegelt, die noch wenige Jahre vor dem Krieg als Gefahren der „Versachlichung, Entpersönlichung, Mechanisierung" benannt worden waren und der Sache nach auch seien (S. 142). Der Staat sei nun keineswegs mehr Ausdruck einer sittlichen Idee oder ähnlicher normativer Zweckvorstellungen, noch Instrument einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gegenüber anderen. Unter der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung höherer Organisationsstufen, die eigentlich in diesem Krieg miteinander konkurrierten, habe sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft lockern können. Sei es als „Hingabe" an eine Klasse, und auch hier entweder der Unternehmerschaft oder der Arbeiterschaft, oder der Kontrolle beider zugleich: im Vordergrund stünde einzig die Frage, ob diese gesellschaftliche Dominanz zu
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schaftsbewegung im Jahre 1915/16; die Entwicklung des Arbeitsmarktes während des weiteren Kriegsverlaufes... ,das Verhalten der Gewerkschaften zu den Problemen des Krieges, in: Archiv fúr Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 42 (1916/17), S. 285-344. Emil Lederer, Von der Wissenschaft zur Utopie, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (Grimbergs Archiv), 1916, S. 364-411, zitiert nach: ders., Kapitalismus, 1979, S. 97-118 (unter dem Titel: Probleme des Sozialismus, mit Auslassungen zum Originaltext). Emil Lederer, Zur Soziologie des Weltkrieges, in: Archiv ftlr Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 39 (1914), zitiert nach: ders., Kapitalismus, 1979, S. 119-141, S. 121.
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einer Steigerung des Organisationsgrades fuhren könne (S. 134). So erweise sich die Gesellschaft unter dem Eindruck des Krieges nicht als wirkliche Gemeinschaft, sondern nur als „organisierte Menge", die „in unserem Bewußtsein als eine Gemeinschaft erscheint" (S. 142). Spätere Zeiten würden sich wundern, mit welcher „Widerstandslosigkeit und Unterwürfigkeit" sich die Bevölkerung unter das Gesetz des Krieges zwingen ließ, und sogar hoffte, in ihm neues Leben zu finden (S. 138). Leders Auffassung nach hatte der Sozialismus die Flexibilität des Kapitalismus und seine Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur Selbstregulierung unterschätzt,112 damit aber den Marxschen Gedanken des Zusammenbruchs im Gefolge seiner immanenten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unangemessen tradiert. Die Imperialismustheorie bis hin zu Rosa Luxemburg sei dem Versuch geschuldet gewesen, dennoch den Kern der marxistischen Lehre zu retten. Aber selbst dort, wo man nicht doktrinär vorging, wie etwa bei Hilferdings Finanzkapital, wurden nicht die nötigen theoretischen Konsequenzen gezogen. Damit aber war der Sozialismus der neuen Situation des Krieges ungewappnet gegenübergetreten. Jetzt wurde die Imperialismustheorie allenthalben nicht mehr als primär ökonomische Theorie verstanden, sondern als politische Theorie, der sich ökonomische Überlegungen anschlössen (S. 116). Am Beispiel der Haltung zur handelspolitischen Frage der Befürwortung von Freihandel oder Schutzzoll demonstrierte Lederer, wie ehemals eherne Positionen fallen gelassen wurden: überall sei die Position des Sozialismus auf das schwerste erschüttert worden (S. 109), überall seien sämtliche Anschauungen im Fluß und plötzlich würden Modelle diskutiert und für akzeptabel gehalten, für deren Bewertung weder sozialistische Gesichtspunkte maßgeblich waren, noch die differenzierten Interessen der Arbeiterbewegung als solcher. Letzteres gelte auch und gerade für die nun diskutierte Frage der Demokratie, meinte Lederer im Anschluß an Hilferdings, 113 der befürchtete, daß zwischen imperialistischer Außenpolitik und demokratischer Integration die Interessen der Arbeiterschaft zurücktreten würden. Bei aller Fähigkeit zur Kritik an den zur gedanklichen Bewältigung des Krieges herangezogenen begrifflichen Kategorien zeigt sich am Beispiel Lederers aber auch, daß die analytische und unverstellte Beobachtung der Vorgänge den Theoretiker noch keineswegs in die Lage versetzte, ein konstruktives Gegenmodell zu entwickeln. Wenn eine konstruktive Alternative zu bestehenden Vorstellungen und Denkweisen nicht zur Verfugung steht, wiegt die tägliche Erfahrung neuer Formen einer Zusammenarbeit schwer und hilft, vormals bestehende weltanschauliche Differenzen zu überwinden. Wenn der ehemalige Lehrer von Paul Lensch, Franz Mehring, sich darüber enttäuscht zeigte, daß sich Lensch für den „Feudalclub" und gegen die Gefängniszelle Liebknechts entschieden habe,114 spielte der alte Historiograph der Kampfzeit der Sozialdemokratie auf die neue
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Emil Lederer, Von der Wissenschaft zur Utopie, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (Grünbergs Archiv), 1916, S. 364-411, zitiert nach: ders., Kapitalismus, 1979, S. 97-118 (unter dem Titel: Probleme des Sozialismus, mit Auslassungen zum Originaltext), S. 106. Rudolf Hilferding, Arbeitsgemeinschaft im Krieg, in: Der Kampf 8 (1915), S. 321-329, Lederer zitiert daraus in Anm. 41 zu Probleme des Sozialismus. Franz Mehring, in: Arbeiterpolitik vom 24. Juni 1916, zitiert bei Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch,
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gesellschaftliche Akzeptanz an, die die Sozialisten im Zuge der Burgfriedenspolitik erfuhren. Mit „Feudalclub" meinte Mehring abschätzig die neugegründete Deutsche Gesellschaft von 1914. Die Deutsche Gesellschaft von 1914ns war das vielleicht wichtigste neue Gesprächsforum, das der Diskussion der Grundsatzfragen des Weltkriegs zwischen Vertretern des Bürgertums und der organisierten Arbeiterschaft dienen und darüber hinaus deren Bekanntschaft und Kontakt vertiefen sollte. Sie wurde am 28. Oktober 1915 in Berlin offiziell begründet und tagte im sog. Pringsheimschen Palais in der Wilhelmstraße. Theodor Wolff hatte ursprünglich den Titel Politische Gesellschaft von 1915 vorgeschlagen, denn Hintergrund dieser Gründung war es, die Politik und den Geist der Neuorientierung zu unterstützen und zu festigen.116 Zum 1. Vorsitzenden wurde der Staatssekretär des Reichskolonialamtes Wilhelm Solf gewählt, der in seiner Gründungsrede den Zweck des Vereins angab" 7 , wie er auch in Paragraph 1 der Satzung zum Ausdruck kam: „Männer aus allen Berufen und Ständen ohne Unterschied der Partei die Möglichkeit eines vorurteilsfreien, zwanglosen geselligen Verkehrs zu geben und so den Geist der Einigkeit von 1914 in die Jahre des Friedens hinüberzutragen".118 Schon auf seiner Gründungsversammlung hatte er etwa 400 Mitglieder. Das Vorstandsmitglied Herbert M. Gutmann, Direktor der Dresdner Bank, trug am 28. November 1915 einen Wirtschaftsplan vor,119 nachdem durch die Jahresbeiträge der mittlerweile 940 Mitglieder bereits 110 000 Reichsmark vorhanden seien, durch die bislang erfolgten Stiftungen 240 000. Diese Summen deuten Umfang und Einflußmöglichkeiten dieses Vereins an,120 der bis 1934 bestand. Im Vordergrund stand die Vermittlung von Kontakten zwischen Politikern, Regierungsbeamten und Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere Gelehrten. Nach außen bestand seine Tätigkeit in der Organisation von Vorträgen. Zu den illustren vortragenden Gästen zählte auch Thomas Mann,121 aber auch einige der profiliertesten Vertreter einer weitreichenden Demokratisierung Deutschlands wie Hugo Preuß,122 Walther Rathenau, der am 20. Dezember 1915 über seine Gedanken zur wirtschaftlichen
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1976, S. 95 Anm. 42. Schellenberg, Die Deutsche Gesellschaft von 1914, 1968, Band 1, S. 378-380; Sösemann, Politische Kommunikation, 1987, S. 630-649. Theodor Wolff, Tagebücher, 1984, Eintragung vom 29. Juni 1915, Bd. 1, S. 246. Wilhelm Solf, Rede zur Gründung der Deutschen Gesellschaft von 1914, Berlin 1915. Zur Gründungsversammlung vgl. Berliner Tageblatt Nr. 609 vom 29. Oktober 1915 und Vorwärts Nr. 330 vom 30. Oktober 1915. Deutscher Reichsanzeiger und Königlich preußischer Staatsanzeiger, 2. Beilage Nr. 281 vom 29. November 1915, bei: Sösemann, Das „erneuerte Deutschland", 1984, S. 135f.; bei Kriegsende betrug die Mitgliederzahl 2500. Zum Mitgliederpotenial auch die Tabelle bei Döring, Weimarer Kreis, 1975, S. 256-260. Aus einem Brief an Opitz vom 15. November 1916 geht hervor, daß er in der „Gesellschaft" seinen Taugenichts-Aufsatz vorlas, vgl. Mendelssohn, Der Zauberer, 1975, S. 1772. Hugo Preuß, Stein-Hardenbergsche Neuorientierung, Vortrag vom 6. November 1916 vor der Deutschen Gesellschaft von 1914, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 5 (1917), S. 155-174.
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Kriegführung sprach, oder Ernst Troeltsch.123 Vor allen Dingen wurden hier aber auch Kontakte zu Vertretern der Sozialdemokratie hergestellt. Unter den der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften zugehörigen Mitgliedern befanden sich Paul Lensch und August Winnig, der auch einen der zahlreichen Vorträge hielt.124 Einer der größten ersten Erfolge bestand darin, August Müller in die Regierung zu plazieren,125 womit erstmals ein Sozialdemokrat eine offizielle Regierungstätigkeit übernahm. Wilhelm II. beklagte sich noch im April 1918 über den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft von 1914: „Ein Staatssekretär dürfte nicht Vorsitzender einer solchen Gesellschaft sein, zu der auch Sozialdemokraten gehören".126 Der Versuch schon einer unverbindlichen Vertiefung der Annäherung zwischen den Vertretern der organisierten Arbeiterschaft und dem Bürgertum stieß auf Widerstände, die tief verwurzelte Ressentiments sichtbar machten.
Der Sammelband Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland Trotz der Schaffung von kommunikativen Orten der Verständigung zwischen Repräsentanten der organisierten Arbeiterschaft und bürgerlichen Politikern und Gelehrten gab es deutlich sichtbare Grenzen der inhaltlichen Annäherung, wenn es um die Frage der konstruktiven Umsetzung des Gedankens der Neuorientierung ging. Den sachverständigen Anhängern des Obrigkeitsstaates, die sich schon vor dem Weltkrieg um die Möglichkeit einer Integration der organisierten Arbeiterschaft in den Staat bemüht hatten, war nach der ersten Euphorie der Kriegsausbruchstimmung klar geworden, daß angesichts der Länge und Tragweite des Krieges zur Verfestigung der zu Tage getretenen Integrationsbereitschaft der Sozialdemokraten die dringendste Aufgabe darin bestand, eine politische oder besser noch verfassungspolitische Grundlage zu schaffen, die diese Chance institutionell auf Dauer stellte, um vor allen Dingen nach dem Krieg und dem Wegfall der patriotischen Aufwallung die weltanschaulich polarisierenden Kämpfe erst gar nicht wieder aufkommen zu lassen. Der Bibliothekar des Preußischen Herrenhauses Friedrich Thimme,127 der während des Krieges mit mehreren Sammelbänden, in denen abwechselnd ein bürgerlicher und ein sozialistischer bzw. gewerkschaftlich orientierter Autor zu Worte kamen, zu einer der treibenden Kräfte bei der Annäherung von Staat und Arbeiterschaft avancierte, prägte hierfür den später häufig kolportierten Ausdruck vom „inneren Frieden des Volkes".128 Seine Tätigkeit blieb aber nicht ohne Kritik. Der Sammel123 124
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Ernst Troeltsch, Die Ideen von 1914, Rede in der Deutschen Gesellschaft von 1914, in: Neue Rundschau 27 (1916), S. 605-624. August Winnig, Die deutschen Gewerkschaften im Kriege, in Recht und Wirtschaft 6 (1917), S. 13-20; es handelt sich dabei - wie er selber angibt - um die Ausarbeitung eines Vortrages vor der „Gesellschaft" vom 13. November 1916 Ehlert, Wirtschaftliche Zentralbehörde, 1982, S. 112ff. und S. 443ff. mwN. Müller, Regierte der Kaiser?, 1959, S. 371, zitiert bei Doß, Das deutsche Auswärtige Amt, 1977, S. 191. Eine Biographische Einfuhrung zu Friedrich Thimme gibt Annelise Thimme, Einleitung, 1994, S. 15-62. Friedrich Thimme/ Carl Legien, Hg., Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, Leipzig 1915.
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band von Thimme/Legien wurde bereits zeitgenössisch stark kritisiert129 und später der „Niveaulosigkeit" geziehen. 130 Auf der anderen Seite verbanden sich seinerzeit auch ungeheure Hoffnungen mit diesem Band, es könne gelingen, über den Krieg hinaus eine Politik des Burgfriedens zu formulieren. 131 Nach seinem Vorbild fanden sich andere Autoren zusammen und diskutierten weitaus detaillierter einzelne Möglichkeiten innerer Veränderung der Verwaltung, etwa die Vorzüge und Nachteile des Berufsrichters gegenüber dem volksgewählten Richter. 132 Aber sowohl im Mai 1915 wie später im Jahre 1916 zeigten sich in der Frage der politischen Ordnung insgesamt schwer vereinbare Gegensätze. Wenn Thimme die maßgebliche Frage stellte: „Kann aber dieses Prinzip der gemeinsamen Zusammenarbeit, das durch den Krieg geboren ist, den Krieg überleben?", 133 so galt es, den richtigen Ort zu bestimmen, an dem diese Frage sinnvoll beantwortet werden konnte. Reichte der Friedensschluß der Gesinnung und der Wille zur Zusammenarbeit in einzelnen Gebieten der Politik, besonders der Sozial- und Arbeitsschutzpolitik aus, oder mußte sich die Struktur der politischen Ordnung des Obrigkeitsstaates zwangsläufig ändern? Bei aller Annäherung zwischen den Repräsentanten des Bürgertums und der Arbeiterschaft in einzelnen Sachfragen von überwiegend sozialpolitischer und rechtspolitischer Art blieb doch neben allem guten Willen ein unübersehbarer Dissens in Grundsatzfragen bestehen: Modernisierung des Obrigkeitsstaates oder seine strukturelle Veränderung und tendentielle Überwindung. Die Vertreter der Arbeiterschaft blieben in dieser Frage, die sich als die entscheidende Frage herausstellen sollte, diplomatisch, aber durchaus programmatisch klar. Gustav Noske zum Beispiel war wie zahlreiche andere Autoren der Arbeiterbewegung bemüht, die ehemals trennenden politischen Kategorien aufzuweichen und Internationalismus mit Nationalismus für vereinbar zu halten. Er deutete zwar unmißverständlich an, daß die Integration in den Staat als Gleichberechtigung der politisch aktiven Bevölkerungsgruppen verstanden wurde und nach dem Krieg die „Einlösung des
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Für diesen Sammelband wurden die Aufsätze bereits im Mai 1915 abgeschlossen. Es folgte Friedrich Thimme, Hg., Vom inneren Frieden des deutschen Volkes - ein Buch gegenseitigen Verstehens und Vertrauens, Leipzig 1916. Correspondenzblatt 1915, S. 461 ff., 477ff„ 485ff. zur Kritik der Unabhängigen an diesem Buch: Varain, Freie Gewerkschaften, 1956, S. 91. Peter Gay hatte in seiner Bernstein-Biographie versucht, die Position des Autors dadurch zu profilieren, daß er ihn weder als linksradikalen Utopisten noch als Opportunisten bezeichnete und ihn von der Niveaulosigkeit und dem Verlust sozialistischer Positionen abhob, die sich vornehmlich in einem Sammelband gezeigt habe, der von Thimme und Legien herausgegeben worden war: Gay, Dilemma des demokratischen Sozialismus, 1954. Otto Baumgarten, Rezension zu Thimme/Legien und fortlaufende Erörterung in: Evangelische Freiheit 1915, S. 346ff., 422ff., 459ff.; Ferdinand Tönnies, Die Arbeiterschaft und der innere Friede, in: Neue Rundschau 27 (1916), S. 1122-1128. Alfred Bozi/Hugo Heinemann, Hg., Recht, Verwaltung und Politik im neuen Deutschland, Stuttgart 1916, darin ζ. B. Wolfgang Heine, Berufsrichter und Volksrichter, S. 54-71. Friedrich Thimme, Gemeinsame Arbeit, der Weg zum inneren Frieden, in: Friedrich Thimme/Carl Legien, Hg., Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, Leipzig 1915, S. 222-232, S. 222.
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Wechsels auf die Zukunft" kämpferisch eingefordert werden würde (S. 19). Worin die Gegenleistung des Wechsels aber bestünde, blieb unerörtert. Ähnlich erinnerte Scheidemann an die Regierungspolitik der Neuorientierung, an die Reden über das „freie Volk" und zählte auf, was er im Namen der Sozialdemokratie darunter verstand:134 umfangreiche Reformen auf allen Gebieten der Gesellschaft und Wirtschaft, von der Wohnung bis zur Arbeit. Er erklärte auch die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts für nicht weiter diskutabel, sondern reif für eine Entscheidung und äußerte allgemein, daß der „Staat des neuen Deutschland nur demokratisch regiert" werden kann (S. 64). Aber auch hier wurde nicht weiter erörtert, welche strukturellen Veränderungen das für die politische Ordnung bedeuten sollte.135 Die bestehende politische Ordnung sollte mit der verlangten Demokratisierung erweitert und modernisiert, nicht grundsätzlich verändert werden. Mit Paul Umbreit, Robert Schmidt und Hugo Heinemann waren ohnehin ausschließlich Sprecher des neuen rechten Zentrums und der „nationalen Rechten" der Sozialdemokratie vertreten. Sie waren keine Theoretiker grundsätzlicher politischer Prinzipien, sondern in ihrem Denken um konkrete und unmittelbare Verbesserungen bemüht. Daher hatten sie auch keine doktrinären Berührungsprobleme. Sie sahen mit der Durchführung der geforderten Reformmaßnahmen am Ende vielleicht auch einen politisch veränderten Staat, der sich in der Logik der innergesellschaftlichen Veränderungen nicht der nachfolgenden institutionellen Wandlung entziehen konnte. Die bürgerlichen Autoren Edgar Jaffé, Ferdinand Tönnies und Ernst Francke hatten sich für die von der Arbeiterseite thematisierten Reformfragen bereits vor dem Weltkrieg aufgeschlossen gezeigt. Die entscheidende Frage nach dem Verhältnis von Reformfahigkeit und politischer Ordnung traf auf gänzlich verschiedene Vorverständnisse ihrer Bedeutsamkeit, wobei vor allen Dingen die progressive Meinung von Gerhard Anschütz auf diejenige Hermann Onckens und Friedrich Meineckes prallte. Oncken unterstrich die militärisch-politische Herkunft des neuen Bismarck-Staates und die auch jetzt im Weltkrieg sich neu belegende Legitimität der „militärisch-bureaukratischen Machtmittel",136 aber er fragte zugleich: „Welche Brücken führten von diesen Machtmitteln des altpreußischen Herrschaftsstaates hinüber zu den Kräften und Ideen, die auf eigenem Wege zu sozialer und wirtschaftlicher Selbstbestimmung drängten?" (S. 3). Diese ist aber für Oncken der eigentliche Schlußstein der „inneren Vollendung der Nation" (S. 1) und damit betritt er wieder das alte Integrationsmodell der Nation. So konnte kaum Zweifel darüber sein, daß Onckens schöner Satz: „Die ihren Anteil am Siege hatten, im Felde und in der Arbeit, in der Gesinnung und in der Organisation, sie sollen zu einem höheren Anteil auch an den Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft berufen werden, und was an historisch überkommenen Hindernissen und an ängstlichem Vorurteil dem entgegenstand, das muß zu Boden fallen" (S. 10) kaum bedeuten konnte, daß mehr als nur die latent und schon vormals bekämpften alt-konservativen Privilegien
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Philipp Scheidemann, Zur Neuorientierung der inneren Politik, ebda. S. 58-67. Diese Unklarheit betonte auch Adolf Braun in seiner ausfuhrlichen Rezension des Sammelbandes, in: Neue Zeit 33 (1915) Band II, S. 787-797. Hermann Oncken, Die Deutschen auf dem Wege zur einigen und freien Nation, ebda., S. 1-11, S. 2.
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fallen sollten. Mit der Gegenüberstellung von Marx/Engels und Lassalle schlug Oncken dann ein Thema an, daß erst nach dem Krieg die sozialistische Theorieentwicklung maßgeblich beschäftigen sollte und eben das Verhältnis von demokratischem Nationalstaat und internationalem Sozialismus thematisierte. Die Demokratisierung aber war noch gar nicht gefordert, die von Oncken geforderte erweiterte Partizipation der Arbeiterschaft sah weiterhin den Obrigkeitsstaat als Rahmen der gewünschten Integration an. Auch Friedrich Meinecke sah in seinem Kampf als Anhänger eines zwar modernisierten, aber strukturell nicht entscheidend veränderten Obrigkeitsstaates gegen die „nationalistischen und chauvinistischen Volksströmungen" den eigentlichen Sinn der Zusammenarbeit.137 Das hieß aber gerade nicht Demokratisierung. Denn er machte den demokratischen Gedanken geradezu verantwortlich für Nationalismus und Chauvinismus. Insbesondere in der Außenpolitik sah er den demokratischen Einfluß für verderblich an, Volksemotionen hätten den Kriegseintritt Italiens verursacht (S. 25). Ein Primat des Politischen im Sinne von Clausewitz sah Meinecke daher nur in einer Unabhängigkeit des Staates von solchen demokratischen Einflüssen gewährleistet. Ähnlich argumentierte Thimme selber in seinem Schlußbeitrag.138 „Daß bei uns eine Demokratie je zu einer Herrschaft der Gosse entarten könne, wie wir sie schaudernd in den romanischen Ländern erlebt haben, braucht niemand zu fürchten; das deutsche Freiheitsgefühl ist ja zum Glück aufs innigste gepaart mit freiwilliger Unterordnung unter die Staatsnotwendigkeiten, mit einem Höchstmaß an Staatsgesinnung und Pflichtgefühl. Wir wollen auch gar keine Demokratie nach französischem oder englischen Muster..., wir wollen den freien deutschen Volksstaat, der allein dem politischen Genius des deutschen Volkes entspricht" (S. 226). Der einzige in dem ganzen Sammelband, der auf der bürgerlichen Seite für eine strukturelle Veränderung des Obrigkeitsstaates eintrat, war Gerhard Anschütz.139 Er forderte langfristige Strukturreformen, die er unter dem Begriff des „Volksstaates" zusammenfaßte, der ihm zunächst nur ein Wort für „bürgerlicher Staat" war (S. 44), und nicht für eine spezifisch deutsche Vorstellung. Er forderte insbesondere den „Staat", d. h. die Anerkennung des staatlichen Charakters des Deutsche Reiches und den Abbau der staatshindernden Aspekte des Bundesgedankens, und das hieß vor allen Dingen erhebliche Eingriffe in die Verwaltungsstruktur und die Homogenisierung seiner Glieder. Daher verlangte Anschütz die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts schon unter dem Gesichtspunkt seiner Angleichung an das Reich. Anschütz forderte aber auch den „Volks"-Staat, und das hieß für ihn, daß der Staat in dem Maße als er von seinen Bürgern forderte, er sie auch zur Teilnahme an ihm selber zulassen mußte (S. 47). Auch in diesem Sinne schien ihm eine Demokratisierung des preußischen Wahlrechts unabdingbar. Dieses war für Anschütz „ungerechtes Recht", und zwar nicht nur wegen der Ungleichheit des Stimmengewichts, sondern noch mehr wegen seiner Öffentlichkeit:
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Friedrich Meinecke, Sozialdemokratie und Machtpolitik, ebda., S. 21-31, S. 24, auch in: ders., Politische Schriften, 1958, S. 114-124. Friedrich Thimme, Gemeinsame Arbeit, der Weg zum inneren Frieden, ebda., S. 222-232 Gerhard Anschütz, Gedanken über künftige Staatsreformen, ebda., S. 42-57. Zu Anschütz im Krieg vgl. Böckenförde, Gerhard Anschütz, 1985, S. 171 f. in wesentlicher Ergänzung etwa zu Forsthoff, Gerhard Anschütz, 1967.
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„Die Ausübung des Wahlrechts soll doch keine Mutprobe sein, die Wahl soll nicht beweisen, wieviel Talent zum ,Bekenner' die Wähler besitzen, sondern sie soll ein getreues Abbild der wirklich wenn auch vielleicht nur im geheimen, vorhandenen politischen Meinungen und Strömungen liefern" (S. 54). Nach Anschütz schützte das preußische Wahlrecht nicht nur die bestehende Privilegierung einzelner Schichten der Bevölkerung, sondern war auch aufschlußreich für das politische Verständnis, mit dem man die Wähler als Untertanen des Staates zu behandeln pflegte. Unverblümt skizzierte Anschütz als langfristiges Ziel den Plan der Frankfurter Paulskirche: „Kaisertum auf demokratischer Grundlage und mit demokratischen Einrichtungen" (S. 51). Die Beibehaltung der Monarchie darf nicht überraschen, verbanden doch nur die wenigsten Demokratietheoretiker selbst auf sozialdemokratischer Seite die Forderung nach einer Demokratisierung der politischen Ordnung mit ihrer Republikanisierung im Sinne der Abschaffung der Monarchie. Anschütz versuchte in seinem Beitrag zugleich argumentativ eine Rückzugslinie zu errichten, für den Fall, daß es situationsbedingt nur zu Teilreformen und nicht zur Wahlrechtsgleichheit kommen konnte. Dann sollte wenigstens ein modernes Pluralwahlrecht eingeführt werden. Für diesen Fall wollte Anschütz aber sichergestellt wissen, daß die Qualifizierung des Wahlrechts, nach welcher mehrere Stimmen auf eine Person vereinigt werden konnten, nicht als Privilegierung des Besitzes verstanden werden dürfte (S. 55) Ein nicht-demokratisches Wahlrecht sollte also zumindest nicht Ausdruck einer sozialen Diskriminierung sein, sondern die bislang politisch diskriminierten wenigstens ein Stück weit bevorzugen. Wenn das symbolische Gewicht dieser publizistischen Zusammenarbeit bürgerlicher und sozialistischer Autoren sein gewünschtes demonstratives Ziel auch nicht verfehlte, so offenbarte es bei genauerer Lektüre den Abstand der politischen Vorstellungen bezüglich der künftigen politischen Ordnung und die unterschiedlichen Schwergewichte, die man dabei für maßgeblich erachtete. Sichtbar wurde aber auch bereits die polemische Entgegensetzung der Topoi „Obrigkeitsstaat" und „Volksstaat", die bereits vor dem Krieg bekannt war, nun aber zum semantischen Hauptkampfplatz der politischen Argumentation avancierte. 140
Alfred Weber Wenn sich die eher konservativ-liberalen Reformer nicht mit den Sozialdemokraten auf dem Wege zu einer politischen Demokratisierung treffen konnten, mochten vielleicht die Linksliberalen eher dazu bereit sein. War dies also nicht die Stunde der Linksliberalen, die schon vor dem Krieg in der westlichen Demokratie, im parlamentarischen Regierungssystem die große Alternative zum Obrigkeitsstaat erblickt hatten? Aber auch sie wurden mit der ersten Zäsur des Krieges von der allgemeinen Kriegsbegeisterung erfaßt, vernachlässigten größtenteils ihre ehemals gezeigten analytischen Fähigkeiten und gesellten sich zu den Reihen derjenigen, die nicht nach institutionellen Mitteln Ausschau hielten, die politische Ordnung zu modernisieren, sondern die den Wunsch hatten, das
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Erlebnis bei Ausbruch des Krieges als Grundlage einer künftigen „organischen" Integration der Bevölkerung in den Staat zu verstehen und zu nutzen. Zu den vehementesten Verfechtern einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs vor dem Krieg zählte Alfred Weber, der sich nach Ende des Krieges an der Spitze der reformfreudigsten Neugründung im Parteienspektrum Weimars, der Deutschen Demokratischen Partei wiederfand. Er ist ein charakteristisches Beispiel für den nachlassenden Wunsch nach Parlamentarisierung auch bei linksliberalen Autoren im Krieg. Alfred Weber gehörte im Kaiserreich zu den jüngeren Sozialökonomen, die die politische Ordnung des Kaiserreichs vor allen Dingen wegen ihrer Bürokratiegläubigkeit kritisiert hatten. Die vermeintlich überparteiliche Sachkunde der Beamtenregierung sah die Bürokratie als Werkzeug des die Sittlichkeit verkörpernden Staates.141 Damit zählte Weber zu den Autoren im Streit der Generationen und der Modernisten gegen die Traditionalisten,142 doch im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter lehnte er nicht nur die Beamtenregierung ab, sondern verfocht auch die große Alternative hierzu, das parlamentarische Regierungssystem, deren Befürwortung auch bei den jungen Modernisten keineswegs mehrheitsfahig war. Während der ältere Bruder von Alfred, Max Weber zögerte, brach Alfred uneingeschränkt eine Lanze für die Parlamentarisierung, die er als notwendiges Erziehungsinstrument zur Ausbildung der erforderlichen Mentalität und Fertigkeiten politischer Tätigkeit verstand. Berühmt war in diesem Zusammenhang die Kontroverse zwischen Alfred Weber und seinem Doktorvater Gustav Schmoller.143 Den Parlamentarismus glaubte Alfred Weber als Voraussetzungen für politische Selbstbestimmung erkannt zu haben. Das hieß aber wieder Befürwortung des Parteiregimes, das Schmoller ablehnte. Ähnlich wie bei einigen anderen Intellektuellen, etwa Emil Lederer oder Gustav Radbruch, war Alfred Webers Stimmung bei Kriegsausbruch zunächst geprägt von tiefer Skepsis über die Aussichten eines künftigen europäischen Krieges, wechselte dann aber binnen weniger Tage zu patriotischer Feierlichkeit, wie sie auch die Jugend ergriffen hatte. Wie diese meldete sich Weber freiwillig zur Armee, mit dem Unterschied, daß Weber bereits 46 Jahre alt war. Alfred Weber wurde einer Landwehrbrigade als Ordonnanzoffizier zugeteilt. Nach dem ΕΚ II, das er nach den Kämpfen um die Wiedereroberung Mühlhausens im September 1914 erhielt, wurde er Hauptmann eines Infanterieregiments und erlebte den Stellungskampf im Westen, allerdings abseits der großen Kämpfe in Nordfrankreich und Flandern. Aus den Frontbriefen an seine Geliebte Else Jaffé-Richthofen formte Weber tagebuchartige Reflexionen, die zuerst in zwei Aufsätzen 141
Zur Bürokratiedebatte im Verein fur Socialpolitik vgl. Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik, 1967 und Vom Bruch, Wissenschaft, 1980, S. 278ff. 142 Vgl. Ringer, Die Gelehrten, 1983. 143 Alfred Weber, Konstitutionelle oder parlamentarische Regierung in Deutschland, Wiener Neue Freie Presse vom 21. April 1907, in: ders., Ideen zur Staats- und Kultursoziologie, Karlsruhe 1927, S. 57-65. Die dortigen Äußerungen richteten sich gegen seinen Doktorvater Gustav Schmoller in dessen Aufsatz Deutschlands und Preußens äußere und innere Politik in der Gegenwart, ebda, vom 3. und 4. April 1907. Zu dieser Kontroverse ausfuhrlich Demm, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik, 1990, S. 80-94; vgl. auch Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik, 1967, S. 397ff.
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in der Neuen Rundschau144 und dann broschürt erschienen und große Resonanz erfuhren.145 Die ganze Aufbruchsstimmung dieser Zeit kommt hier zum Ausdruck. Vor allen Dingen geht Weber davon aus, daß mit dem Krieg eine neue Zeit angebrochen ist, und „daß auch nach diesem Krieg die angefangene neue Zeit sich fortsetzen wird, durch ihn in einen wundersamen riesigen neuen Rahmen gestellt und mit nie geahnten Kräften zur Verbindung für bisher unvereinbar Angesehenes ausgestattet" (S. 1155). Grundsätzlich will Alfred Weber die außenpolitische Problematik des Verhältnisses zu Rußland und England aus der Innenpolitik verstehen (S. 1159). Die durch die Konfrontation Deutschland aufgezwungene und von Weber begrüßte Nötigung, den eigenen historischen und geistigen Standort zu bestimmen, will Weber ganz ohne die „von Grund auf widerwärtige gegenseitige Verleumdungsverzerrung" (S. 1155f.) angehen. Vielmehr gelte: „Wir haben uns dabei im Blick zuerst ganz auf uns selbst zu beschränken" (S. 1153) und, „daß unsre alte Begriffswelt, Worte wie Demokratie und Aristokratie und ähnliche, gegenüber unseren heutigen Realitäten absolut unbrauchbar sind, die Gegensätze gar nicht mehr decken" (S. 1157). Damit sprach sich Weber aber auch und gerade gegen seine früheren, so vehement verfochtenen politischen Überzeugungen aus, als er noch gegen Schmoller für den Parlamentarismus gekämpft hatte. Nach den heftigen Auseinandersetzungen der ,jungen" Nationalökonomen mit der traditionellen, historisch ausgerichteten Nationalökonomie, wie sie etwa Gustav Schmoller repräsentierte, kam es unter dem Eindruck des Krieges zu einer „frappierenden Wiederannäherung der Jungen an die Alten": Alfred Weber schickte seinem Doktorvater Schmoller seine Deutsche Sendung mit den warmen Worten, er wüßte um den Beitrag der ,Alten" für die Vorbereitung dieser gemeinsam gefeierten Zeit.146 Innerhalb welcher Begriffe diese Realitäten aber neu zu erfassen und zu fixieren sind, darin ist sich Weber 1915 noch nicht im klaren. Sei es, weil die angefangene neue Zeit sich noch im Flusse befindet, sei es, weil er empfiehlt, sich zuerst von dem Ballast der klassischen Begriffe zu befreien. Aber er formuliert diejenigen Gegensätze, die er nun ansatzweise für aufhebbar erachtet und sich dies auch wünscht: „Ein Deutschland, das Militarismus mit wirklicher Volksmitbestimmung zu vereinigen verstünde - vielleicht könnte ein solches Deutschland so etwas werden", nämlich die Aufhebung der von den Alliierten für charakteristisch erachteten, auch Weber zufolge tatsächlich wirksamen Prinzipien des preußischen Staates, die man „in ein höheres freieres auflösen" muß (S. 1159). Das heißt aber, daß Weber nicht die Alternative der „vulgären demokratischliberalen Ideale" (S. 1162) für die geeignete begriffliche Plattform eines solchen höheren Prinzips erachtet. Alfred Weber will vielmehr eine unabhängig von diesem Vorbild geformte Art Demokratie modellieren, die ihm allerdings als Plattform aller weiteren innenpolitischen Zusammenarbeit unabdingbar erscheint. „Nur von der demokratischen [Plattform] kann man innerlich verbindend, das heißt das äußere Organisatorische in ein inneres allgemeines geistiges Wollen hineinreichend aufbauen. Und nur so werden auch
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Alfred Weber, Zukünftiges, in: Neue Rundschau 26 (1915), S. 1153-1168 und S. 1168a-l 168q und ders., Gedanken über die deutsche Sendung, in: Neue Rundschau 26 (1915), S. 1441-1465 Demm, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik, 1990, S. 155ff. Krüger, Nationalökonomen, 1983, S. 200.
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unsere geistigen Kräfte gelöst und in der Politik zur Entfaltung gebracht" (S. 1160). Die Beamtenpolitik hat für Weber angesichts der vielbeklagten außenpolitischen „Einkreisung" Deutschlands versagt, und mußte auch versagen, denn diesen politischen Fehler sieht Weber als Folge des „fehlenden Ausleseapparates eines Parlamentarismus" an (S. 1161). Auf der anderen Seite macht er gerade die Demokratie und die „demokratischen Führer" verantwortlich für die alliierte Politik und den dort sichtbar werdenden Chauvinismus, denn nur dort versteht man es, „Massen zu beherrschen, aufzustacheln und zu ganz extremen Tendenzen zu bringen", nirgendwo wird ein höheres „Maß, bis zu welchem die Massen fanatisiert werden können" erreicht als in der Demokratie (S. 1168e). Dennoch sieht Weber für die Dauerhaftigkeit des neuen Deutschland, in das alle erst hineinwachsen müssen (S. 1463) nur Aussichten, wenn es zu einer erweiterten Form der „Selbstregierung" in der politischen Willensbildung kommt, die aber „Führerschaft nicht ausschließt, sondern geradezu voraussetzt". Wird daher die bisherige Beamtenregierung wesentliche Kompetenzen abgeben müssen, so werden in den ,jetzt geistig halbleeren und halbtoten parlamentarischen Körper" neue Kräfte fließen, die freilich dort auch eine neue „geistige Atmosphäre" bewirken können (S. 1464). Webers Prognosen und Hoffnungen bleiben in der entscheidenden Frage unklar, wie er zwischen einem Verständnis von Demokratie, der er einzig die Verbindung der deutschen Gegensätze im Inneren zutraut einerseits, und der Demokratie, die er verantwortlich macht für eine „besinnungslose" Politik andererseits vermitteln möchte. Er lehnt das „Muster westlicher Demokratien" ab (S. 1464), aber was war die Alternative? Und wie kam es zu den Unklarheiten, die einen wie auch immer gearteten demokratischen oder demokratischeren Weg verlangten, aber gleichzeitig das Vorbild der Demokratie verdammte? Die Notwendigkeit eines Vorbildes, das Orientierung in der verwirrenden Vielfalt der kriegsbedingten Wandlungen schaffen konnte, wurde immer dringender. Alfred Weber gehörte zu den wenigen Intellektuellen, die sich gewissermaßen von der Front aus theoretische Gedanken über das Neue Deutschland machten. Bei ihm wurde die Kriegspsychose der Heimatfront weniger sichtbar, dafür aber die theoretische Ratlosigkeit, nach welchen Kategorien, mit welchen begrifflichen Mitteln die überall beobachtbaren Veränderungen verstanden und gedanklich geordnet werden konnten. Auffallig bei der unvermeidlichen Orientierungssuche war aber, daß für die Reformkräfte, die schon vor dem Weltkrieg heftig für eine Veränderung der innenpolitischen Struktur des Kaiserreichs plädiert hatten, das seinerzeitige Vorbild des Westens abhanden gekommen war. Es wäre allerdings schwierig gewesen, als Ziel der Neuorientierung das westliche Muster vorzuschlagen, insbesondere nach dem weithin unter Reformkräften geschätzten Vorbild Englands, da man sich mit diesem Vorbild im Kriegszustand befand.
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4.
Der auf Dauer gestellte Krieg
Hugo Preuß und die Politisierung des deutschen Volkes
Hugo Preuß und sein Buch Das deutsche Volk und die Politik147 von 1915 gehört zu den herausragenden Publikationen des Weltkrieges. Dieses Buch wich von den bisherigen Verarbeitungen des Kriegserlebnisses insofern ab, als dort in den klarsten Worten die Forderung nach einer vollständigen „Politisierung des Volkes" erhoben wurde, und zwar keineswegs allein im Sinne nur institutioneller demokratischer Forderungen, sondern grundlegender als Umorientierung und Neufundierung der politischen Ordnung schlechthin, die sich vom System des „Obrigkeitsstaates" zu dem modernen System des „Volksstaates" umzuwandeln habe. Er hatte sich bereits vor Ausbruch des Krieges als Kritiker des Obrigkeitsstaates profiliert und dabei vor allen Dingen die selbstgezogenen Grenzen des liberalen politischen Denkens als wichtigsten Grund für das Fortbestehen dieses unmodernen Regierungssystems angeprangert.148 Hugo Preuß lehrte an der Berliner Handelshochschule, die zum Wintersemester 1906/1907 von der Korporation der dortigen Kaufmannsschaft gegründet worden war. Sie war Ausdruck der liberalen Gesinnung des großstädtischen Bürgertums.149 Bekannt wurde Hugo Preuß mit seiner fulminanten Kritik des Souveränitätsbegriffes, den er als „das tragende Prinzip des Obrigkeitsstaates" ablehnte.150 Preuß bezog Stellung gegen einen verselbständigten Anstaltsbegriff des Staates samt seines charakteristischen Merkmals der einheitlichen Souveränität und schmiedete aus dem Arsenal der Genossenschaftslehre, wie sie Otto von Gierke historisch rekonstruiert hatte, Argumente gegen den Obrigkeitsstaat. Der Genossenschaftsgedanke eignete sich zur rechtstheoretischen Formulierung einer Alternative zum Rechtsstaats-Gedanken, sofern dieser im Zeichen des Obrigkeitsstaates verstanden wurde und sauber Staat und Gesellschaft, öffentliches und privates Recht voneinander trennte. Otto von Gierke, der rechtshistorische „Entdecker" des Genossenschaftsrechts,151 tradierte auch den Begriff des Obrigkeitsstaates als polemische Katego-
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Hugo Preuss, Das deutsche Volk und die Politik, Jena 1915. Günter Gillessen, Hugo Preuß, 1955; Grassmann, Hugo Preuß, 1965 und jetzt vor allen Dingen Schönberger, Parlament im Anstaltsstaat, 1997, S. 367-403. Apt, 25 Jahre im Dienste der Berliner Kaufmannschaft zu Berlin, 1927, S. 169-239 zur Entstehung und Entwicklung der Handelshochschule zu Berlin. Hugo Preuss, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften - Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf der Grundlage der Genossenschaftstheorie, Berlin 1889, S. 136. Für das politische Denken von Preuß vor dem Weltkrieg vgl. Mezzadra, La costituzione del sociale, 1999, S. 17-84. Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868.
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rie.152 Gleich zu Beginn des ersten Bandes seines Genossenschaftsrechts hatte Gierke sein Anliegen formuliert: das Wesen des Menschen sei nur mit Blick auf die soziale Wirklichkeit zu beantworten, in welcher sich der Mensch ständig mit anderen Menschen vereinige, um als Verband nach einem geeigneten, dann formal-rechtlich gefaßten Ausdruck suchend die „Einheit in der bunten Mannichfaltigkeit [!] zur äußeren Erscheinung und Wirksamkeit" (S. 1) zu bringen. Das sei die Suche nach „der in jeder zusammenfassenden Einheit fortbestehenden Vielheit, der in der Allgemeinheit fortlebenden Besonderheit, - der Gedanke des Rechts und der Selbständigkeit aller in der höheren Einheit zusammenströmenden geringeren Einheiten bis herab zum einzelnen Individuum, - der Gedanke der Freiheit" (S. 1). Bei der umfassenden Erarbeitung des historischen Materials schälte Gierke nun zwei für die deutsche Entwicklung wesentliche Prinzipien heraus: die Wirksamkeit des romanischen, korporatistischen Denkens und diejenige des genossenschaftlichen Denkens. Für die Entwicklung staatsrechtlicher Vorstellungen hatten beide Denkschulen verschiedene begriffliche Ergebnisse erbracht: das „Gemeinwesen" seitens des genossenschaftlichen Denkens und die „Obrigkeit" seitens des romanischen Denkens. Die Vorstellung der Obrigkeit führte zur Mediatisierung der historisch ganz ursprünglich und auf eigenem Recht erwachsenen Genossenschaften, zerschlug aber auch die ganz ungenossenschaftlichen und mittelalterlichen Zünfte. Mit der Zurückdrängung des Genossenschaftswesens insbesondere in der städtischen Gemeinde kam es zum Vorrang des Obrigkeitsstaates als „Bevormundungsstaat" (S. 643) bzw. „Polizeistaat" (S. 642). „Während daher die Gemeinheitsverfassung die Organisation bestimmt, vermöge deren die Gesammtheit sich selbst regiert, enthält die Obrigkeitsverfassung die Organisation, vermöge deren die Gesammtheit regiert wird. In dem Begriffe des Bürgers findet sich politisches Recht und politische Pflicht, Herrschen und Gehorchen, aktive und passive Betheiligung am Gemeinwesen vereinigt: der Unterthan ist Subjekt nur im Privatrecht, im öffentlichen Recht lediglich Objekt, er steht im Staat wie der Laie in der Kirche. Das Gemeinwesen fordert daher Theilnahme der Bürger an Verwaltung, Rechtspflege und Gesetzgebung und neigt zu den Principien der Wahl, der Kollegialität und Majorität: die Obrigkeit drängt zur Fernhaltung der Unterthanen vom öffentlichen Leben und begünstigt die centralisirende Administration durch ernannte einheitliche Organe" (S. 643). Mit dieser Gegenüberstellung hatte Gierke auf das schärfste den Gegensatz zweier politischer Denkweisen formuliert und die damit zusammenhängenden gegensätzlichen Leitbilder politischen Selbstbewußtseins des Bürgers in seiner eigenen politischen Ordnung. Er brachte diesen Gegensatz aber nicht zur Anwendung auf die politischen Verhältnisse seiner eigenen Zeit, indem er sich im Kampf dieser Prinzipien auf die eine oder andere Seite geschlagen hätte, sondern ging von einer Versöhnung beider Prinzipien aus, kulminierend in der konstitutionellen Monarchie. „Die moderne Staatsidee enthält daher die Versöhnung der uralten Genossenschaftsidee und der uralten Herrschaftsidee, von denen jede in ihrer Sphäre zur Geltung kommen, deren feindlicher Gegensatz aber in einer höheren Einheit seine Lösung finden soll. Der repräsentative Verfassungsstaat selbst ist somit weder eine reine Genossenschaft, wie der älteste Patriachalstaat, noch 152
Sellin, Regierung, S. 413-416.
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eine reine Herrschaft, wie der Lehnsstaat, noch ein rein genossenschaftliches Gemeinwesen, wie die mittelalterliche Stadt, noch ein aus reiner selbständiger Herrschaft und rein selbständiger Genossenschaft zusammengesetztes Doppelwesen, wie der mittelalterliche Territorialstaat, noch ein rein obrigkeitliches Staatswesen, wie der landesherrliche Staat der Neuzeit: sondern er ist ein die genossenschaftliche Grundlage (die Staatsbürgergenossenschaft) und die obrigkeitliche Spitze (die Monarchie) organisch, d. h. nicht als Summe, sondern als eine neue lebendige Einheit verbindendes Gemeinwesen" (Bd.I S. 833). Wie so häufig in der deutschen Geschichte glaubte man, die politische Vermittlung gegensätzlicher Prinzipien durch ihre gedankliche Aufhebung auf einer höheren, die Einheit nun gedanklich ermöglichenden Ebene ersetzen zu können. Hugo Preuß dagegen beruhigte sich nicht mit dieser Versöhnungstheorie. Genossenschaftliches und herrschaftliches Denken waren ihm zufolge gerade nicht gleichmäßig oder ebenbürtig im bestehenden Staat wirksam. Die Bürgerschaft hatte sich auf die gemeindliche Selbstverwaltung beschränken lassen, das Herrschaftsprinzip hatte sich durchgesetzt und mit ihm ein entmündigender Obrigkeitsstaat. Im Gegensatz zu Gierke nahm Preuß daher mit genossenschaftlichen Überlegungen Stellung gegen das Herrschaftsprinzip. Die Kritik des Souveränitätsbegriffs diente Preuß zunächst zur rechtstheoretischen Befreiung der Institution der Selbstverwaltung von ihrer institutionellen Subordination zum Staat. Die Selbstverwaltung sollte nicht als letztes Organ in einer von der exekutiven Spitze des Staates herabreichenden Verwaltungshierarchie verstanden werden. Hugo Preuß sah in Anlehnung an sein Vorbild Freiherr vom Stein in der kommunalen Selbstverwaltung den maßgeblichen Betätigungsraum des Menschen für seinen politischen Status als Bürger und kam in dieser Vorstellung ihrer ideengeschichtlichen Bedeutung zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr nahe. Wenn Preuß von Selbstverwaltung sprach als dem überkommenden Begriff, so meinte er in der Sache doch eher Selbstregierung.153 Aber in der wilhelminischen Realität litt die Selbstverwaltungsidee unter ihrer politischen Coupierung im Kaiserreich.154 Unter dem Einfluß Rudolf von Gneists und der Beobachtung der Zunahme der anstaltlichen Beamtenschaft gegenüber den lokal-autonomen Selbstverwaltungskörpern glaubte man den Zenith des englischen selfgovernment fur überschritten und wähnte England gleichfalls auf einem Wege, der bereits auf dem Kontinent hegemonial geworden war.155 Der Niedergang der Selbstver-
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Zusammenfassend Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 1950, S. 5: Ihre Idee beschränkte sich nicht auf den „nüchternen Verwaltungsalltag, in dem sich ihre Praxis vollzieht. Sie hängt aufs engste zusammen mit dem allgemeinen Streben nach politischer, sozialer, menschlicher Freiheit ... Das englische Selfgovernment des 18. Jahrhunderts, das Urbild und Vorbild aller modernen Selbstverwaltung, meint den ganzen Staatsaufbau einer freiheitlich-genossenschaftlichen Ordnung im Gegensatz zum monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat: das Kernstück ist das Parlament, die Laienverwaltung der Grafschaften und Städte ist nur ein Teilstück, die Laiengerichtsbarkeit der Jury ein weiteres; mit dem Wort Selbstregierung wäre das Selfgovernment in der deutschen Sprache treffender wiederzugeben als mit dem Wort Selbstverwaltung". Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, 1992, S. 389; Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung, 1950, S. 654ff.der die konservative Wende mit dem Jahr 1878 ansetzt. Der Einfluß Gneists auf die Vorstellungen vom englischen self-government ist bereits zeitgenössisch diskutiert bei Josef Redlich, Englische Lokalverwaltung, Leipzig 1901, S. 745ff.
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waltungsidee beruhte auf dem Verlust ihrer politischen Dimension, bedingt durch ihre Integration in einen staatlich dominierten Verwaltungsverband als dessen unterste und unbedeutendste Organisationsstufe. Dagegen sah Preuß das Bürgertum als Bürgerschaft berufen, die politische Selbstorganisation des Volkes von unten nach oben zu organisieren. Die Bürgerschaftlichkeit des bürgerlich-liberalen Selbstverständnisses war aber im Zuge der anstaltlich organisierten hierarchischen Verwaltungsherrschaft, die von oben nach unten reicht, verloren gegangen. Das war letztendlich das Ergebnis einer politischen Mentalität, wie sie der Obrigkeitsstaat geprägt hatte. Preuß' Anliegen vor dem Weltkrieg kommt am sichtbarsten in der Rede Stadt und Staat zum Ausdruck.156 Dort skizzierte Preuß das politische Selbstbewußtsein der „bürgerlichen Gesellschaft", die sich einst in ihrer städtischen Selbstorganisation als Gegenmodell zum Fürstenstaat verstanden hatte und im Zuge des insbesondere preußischen Absolutismus ihrer Freiheit beraubt wurde. So in ihrem Bewußtsein gebrochen und dergestalt „entseelt" wurden die Städte zu Domänen und Garnisonenstädten herabgedrückt (S. 75f.). „Das Schicksal der Besiegten war ihre vollständige politische Entnervung" (S. 83). Die Stadt, die polis war nicht mehr der Quell des politischen Selbstverständnisses. Preuß verstand das Anliegen der Stein'schen Städtereform als Versuch, das seinerzeit versäumte nachzuholen, nämlich der sich ausbildenden Territorialgewalt der Fürsten den genossenschaftlichen Bürgerschaftsverband entgegenzustellen und ihn gleichzeitig mit dem modernen Gedanken der Repräsentativverfassung zu verbinden. Aber Stein wurde entlassen, sein Werk blieb unvollendet und sein politisches Anliegen unverrichtet. Dies war für Preuß das Symbol der politischen Verfassung des Bürgertums dieser Zeit insgesamt. Was Steins Scheitern hätte hindern können, wollte dieser überhaupt erst verwirklichen: „Denn hierzulande war es nicht der politische Gemeingeist des Volkes oder auch nur der Bürgerschaft, der sich mit spontaner Kraft seine Organisationsform des politischen Gemeinwesens schaffen wollte; vielmehr sollte diese [von Stein initiierte] Organisationsform den bürgerlichen Gemeingeist erst erzeugen. Nicht die Nation schuf die Reform, sondern die Reform wollte eine Nation im politischen Sinne schaffen; sie war gedacht als das politische Erziehungswerk eines unpolitischen Volkes" (S. 91). Daher hätte selbst ein zweiter Stein keine Chance gehabt angesichts der „völligen politischen Apathie des Volkes" (S. 91 f.). Statt zu verlangen, daß der Staat das „im Gemeinwillen der Rechtsgenossen lebende Recht" nur deklariert, duldet das Volk und sein Bürgertum die Auffassung der „Obrigkeitsidee ..., wonach die Staatsgewalt durch ihre Gesetze das Recht aus dem Nichts schafft" (S. 99). Das Problem lag also viel tiefer als nur in Fragen der Form der politischen Ordnung. Es handelte sich bei dem Gegensatz von Obrigkeitsstaat und der vor dem Weltkrieg noch betont genossenschaftlich, im Weltkrieg dann volksstaatlich genannten Alternative nicht um den Kampf von Verfassungsformen, sondern um den Kampf unterschiedlicher Vorverständnisse des Politischen überhaupt. Alle Selbstverwaltung sollte das für den Volksstaat nötige politische Selbstverständnis der Bürgerschaft erst anerziehen. Damit stellte Preuß für die gesamte Debatte
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Hugo Preuss, Staat und Stadt, Vortrag in der Gehe-Stiftung 1909, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, übergeben von Else Preuß, Tübingen 1926, S. 73-102.
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das Problem nicht mehr in den Kontext einer theoretischen Abwägung der Vor- und Nachteile der Demokratie als Institution im Vergleich zum Obrigkeitsstaat, sondern als das Problem der Politisierung der Bevölkerung, welche aus eigener Kraft dazu nicht imstande schien. Der Kampf um die Selbstverwaltung war daher der Kampf um die Wiedergewinnung dieses politischen Selbstbewußtseins, nicht um eine verwaltungstechnische Dezentralisation. Preuß war sich dessen bewußt, daß der Weg zur politischen Selbstverwaltung angesichts der augenblicklichen Situation des Bürgertums wohl erst „durch den Einheitsstaat hindurchgehen muß".157 „Staat" meinte aber den nationalen Staat, der als Nation, d. h. als politisch maßgebliche Bevölkerungsschicht nicht als die von der Gesellschaft getrennte Beamtenschaft verstanden werden durfte, sondern die Bürgerschaft insgesamt umfassen sollte. An die Vorstellung einer politischen Bürgerschaft schloß sich freilich die Forderung des durchgängig demokratischen Wahlrechts an, was unter den Bedingungen des Kaiserreichs vor allen Dingen hieß: die Demokratisierung des Wahlrechts zum preußischen Landtag. Die Akzeptanz dieser Forderung war im liberalen Lager gering. Für die Frage der verfassungspolitischen Umsetzung der Neuorientierung im Ersten Weltkrieg stand diese Reform jedoch im Mittelpunkt. Die Hegemonie Preußens im föderalen Kaiserreich, die Personalunion von preußischem Ministerpräsidenten und deutschem Reichskanzler, von preußischem König und deutschen Kaiser bestimmte das Bild der politischen Ordnung Deutschlands. Die parlamentarische Vertretung Preußens wurde jedoch nicht nach dem demokratischen Prinzip gebildet, sondern nach dem berüchtigten Dreiklassenwahlrecht. Das Preußische Dreiklassenwahlrecht gehört zu den dauerhaftesten Wahlbestimmungen des 19. Jahrhunderts. Es galt dem Grundsatze nach identisch von seiner Einfuhrung in der oktroyierten Verfassung von 1848 bis zu seiner Abschaffung 1918. Es ist dabei nicht ohne Interesse zu sehen, daß die beiden vielleicht fuhrenden Demokratietheoretiker des 19. Jahrhunderts, Tocqueville und John Stuart Mill zu den anfanglichen Befürwortern dieses Wahlrechts zählten. Tocqueville reiste 1854 durch das preußische Rheinland und wurde später von seinem Neffen, der in der französischen Botschaft in Berlin 1858 tätig war, ständig unterrichtet. Tocqueville erachtete die Preußische Verfassung als ideale Übertragung des politischen Entwicklungsrades in Preußen und befürchtete nur das Anwachsen des Wunsches, die erreichten Freiheiten zu rasch erweitern zu wollen. Diese Einschätzung stand im Zusammenhang mit der Reformperiode der „Neuen Ära" und den damit verbundenen Hoffnungen der Liberalisierung, die mit dem Antritt der Regentschaft durch den späteren Wilhelm I. verbunden wurden.158 John Stuart Mill bevorzugte die Preußische Verfassung von 1850 sogar gegenüber der Reform von 1832 in England. 1863 schrieb er zu den Wahlrechtsplänen eines künftigen liberalen Unterhausmitgliedes: „I have no doubt that the plan of election which you propose, and which is not very different from that established by the present Prussian Constitution, would be a considerable improvement on our present electoral system; at least, if the one-third of the House, which you preserve
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Hugo Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften - Versuch einer Staatskonstruktion auf der Grundlage der Genossenschaftstheorie, Berlin 1889. Aus dem Briefwechsel zitiert bei Kahan, Aristocratic liberalism, 1992, S. 73.
deutschen
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for the democracy, were elected by an universal suffrage".159 Das Dreiklassenwahlrecht war zwar kein geheimes und vor allen Dingen kein gleiches Wahlrecht. Es eröffnete aber prinzipiell das allgemeine Männerwahlrecht. Selbst dies war im Vergleich mit anderen Ländern nicht wenig und konnte offensichtlich auch fuhrenden Demokratietheoretikern einiges an Zustimmung abgewinnen. Doch im Laufe der Zeit und vor allen Dingen in Kontrast zum demokratischen Männerwahlrecht auf der Reichsebene des Kaiserreichs wurde das Preußische Dreiklassenwahlrecht immer mehr zum Symbol des paternalistischen Obrigkeitsstaates, der aufgrund der privilegierten und hegemonialen Stellung Preußens und seines Durchgriffs auf die Reichsebene durch die Personalunion wichtiger Ämter und der Stellung des Bundesrates geradezu ein Gegengewicht zum Demokratiegedanken darstellte, wie ihn der Reichstag repräsentierte. Auf der Ebene des Reiches gab es ja eine bedeutende Umsetzung des Demokratiegedankens im politischen Gefuge des Kaiserreichs. Sein Parlament wurde auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts gewählt. Darüber hinaus bildete das dem Reichstag zugrundeliegende Wahlgesetz den schmalen Steg zwischen dem dynastischen Bund, wie er im Bundesrat zum Ausdruck kam, und den einstigen bürgerlichen Bemühungen in der Frankfurter Paulskirchenversammlung um die Errichtung der nationalen Einheit. Denn in gerader Linie hatte sich das Wahlgesetz, nach dem die Mitglieder der Nationalversammlung 1848 gewählt worden waren, über die Wahlbestimmungen zum Reichstag des Norddeutschen Bundes schließlich zu den Wahlbestimmungen zum Reichstag des Kaiserreichs tradiert. Mochte also das Kaiserreich seine eigentliche politische Wurzel in der dynastischen Bündnispolitik besitzen, so hätte in dem demokratisch kreierten Reichstag der Keim einer Fortentwicklung des Kaiserreichs zu einer parlamentarischen Monarchie analog derjenigen Englands liegen können. Die Heterogenität der jeweiligen politischen Gestaltungsprinzipien hätte zu einer permanenten Spannung zwischen dem bürgerlichen Lager und dem Obrigkeitsstaat und der ihn stützenden sozialen Schichten fuhren können. Einer der Schwerpunkte der institutionen-politologischen Debatte im bürgerlichen Lager des Kaiserreichs lag also nicht ohne Grund in der Wahlrechtsfrage.160 Baden, die Hochburg des alten Liberalismus, hatte bereits bei der Reichsgründung das allgemeine und gleiche Wahlrecht und führte 1905 auch noch die direkte Wahl ein, worauf ein Jahr später in Bayern und Württemberg das Reichsmodell eingeführt wurde. Die relative Liberalität dieser Länder kontrastierte auf das schärfste mit dem Gegenbeispiel Mecklenburgs, in dem die landständische Verfassung von 1523 galt. Sie mochte zu ihrer Zeit sehr fortschrittlich gewesen sein, wurde aber zuletzt 1755 modifiziert und blieb bis 159 160
John Stuart Mill, Collected Works, Bd. XV S. 905. Zum Kontext vgl. Kahan, Aristocratic liberalism, 1992, S. 73. Aus der zeitgenössischen Literatur seien nur genannt: Hellmut v. Gerlach, Die Geschichte des preußischen Wahlrechts, Berlin 1908; Georg Jellinek, Das Pluralwahlrecht und seine Wirkungen, 1905; Ignaz Jastrow, Das Dreiklassenwahlsystem - die preußische Wahlreform vom Standpunkt sozialer Politik, 1894; auch in Weimar gehörte dieses Thema zu den umstrittenen, nun eher historischen Fragen: Vollrath, Der parlamentarische Kampf, 1931; Dietzel, Die preußische Wahlrechtsreformbestrebung, 1934; Kühne, Dreiklassenwahlrecht, 1994; Gagel, Die Wahlrechtsfrage, 1958.
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1918 unverändert in Kraft trotz mehrerer gescheiterter Anläufe des Reichstages, die Gliedstaaten zur konstitutionellen Verfassung zu verpflichten. Das hatte aus liberaler Sicht auch rein machtstrategische Hintergründe. „Jeder Schritt zu wirklichem Liberalismus in der Wahlrechtsfrage sägt den Ast ab, auf dem die liberale Parteiorganisation selber steht".' 61 So konnte der Freisinn in Preußen die Demokratisierung des Dreiklassenwahlrechts verlangen, von der man sich eine Zunahme an Mandaten versprach, in Sachsen162 aber für die Einführung des Dreiklassenwahlrechts 1896 stimmen, um der dort stark vertretenen Sozialdemokratie den Rang abzulaufen. Dabei wurde nicht der Zensus nach preußischem Vorbild eingeführt, sondern ein nach Steuerkraft abgestuftes Wahlrecht, also die deutlichste Ablehnung einer Wahlrechtsgleichheit verfolgt. Mit dem Ausscheiden der Sozialdemokratie auf Landesebene aus ihrem früheren Stammland war diese liberale Politik auch tatsächlich erfolgreich. Die Wandlung zum Pluralwahlrecht in Sachsen 1909 bestätigte nur das Ressentiment, das man der Wahlrechtsgleichheit entgegenbrachte. Reformbestrebungen seitens der Reichsleitung, sowohl die halbherzigen Bemühungen Bülows 1908 wie die ernsthaften Reformvorschläge Bethmann-Hollwegs 1912 dienten nicht der Demokratisierung des preußischen Wahlrechts, sondern zielten auf eine Umgehung derselben durch Zugeständnisse in Fragen der Wahltechnik ab. Nicht das Prinzip der Stimmengewichtung sollte geändert werden, sondern das Prinzip der Stimmenabgabe, also vor allen Dingen die Frage der geheimen Wahl. Die liberale Fraktion im Herrenhaus wie im Abgeordnetenhaus erwies sich dabei nicht als Befürworter der Reform, zu groß waren die Befürchtung eines Verlustes der durch das alte Wahlrecht gewährleisteten Privilegien. Die Behandlung der Wahlrechtsfrage vor dem Ersten Weltkrieg zeigt daher, wie stark die Debatte von parteitaktischen Erwägungen geleitet war.163 Der Liberalismus sah sich eingezwängt zwischen Konservatismus, Zentrum und Sozialdemokratie, die es deutlich erfolgreicher verstanden, sich eine Massenbasis zu schaffen. Der liberalen politischen Theorie fehlte das Verständnis der modernen Massengesellschaft, sie verstand es nicht, ihre institutionellen Instrumente den Veränderungen der Massengesellschaft anzupassen.164 Die Neubelebung der liberalen Wahlrechtsdiskussion vor dem Weltkrieg beschränkte sich überwiegend auf Fragen der Wahlkreiseinteilung und Erörterungen des Pluralwahlrechts.165 Es waren aber nicht nur interessenpolitische Gründe, die die Liberalen von der Verfechtung des demokratischen Wahlrechts abhielt. Der liberale Vorbehalt gegen das demokratische Wahlrecht konnte auf eine lange Tradition zurückblicken.166 Die systematische und politische Einordnung des allgemeinen Wahlrechts bereitete selbst der fort-
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Max Maurenbrecher, Die Gebildeten und die Sozialdemokratie, 1904, S. 23, zitiert bei Gagel, Die Wahlrechtsfrage, 1958, S. 159. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 4, S. 405. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, 1994, S. 396ff. Sheehan, Der deutsche Liberalismus, 1983, S. 184ff. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, 1994, S. 458-478. Sheehan, Der deutsche Liberalismus, 1983, S. 114ff. und 168ff.; Maier, Theorie des Demokratiebegriffs, 1971, S. 127ff.; Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 1990, S. 59-62.
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schrittlichsten politischen Theorie Schwierigkeiten. Robert von Mohl ζ. B, zeigte sich verblüfft darüber, wie das allgemeine und gleiche Wahlrecht „plötzlich nach Deutschland hineingeschleudert worden ist, und zwar gerade in Beziehung auf die dem Verständnis der Menge am entferntesten liegenden Organe des öffentlichen Lebens, den Reichstag und das Zollparlament". Während er festhält, daß er als die „einzig richtige Ordnung eines Wahlsystems" diejenige bevorzugt, die mit dem aktiven Wahlrecht nur die hierzu Befähigten beauftragt, sieht er mit „äußerstem Staunen über die Kühnheit aber auch über die Unbedachtsamkeit eines solchen Unternehmens" den Vorgang, den er als „unmittelbare Hereinziehung der Masse der deutschen Bevölkerung in die höchsten Staatsangelegenheiten" bezeichnet.167 Auch in der historischen Rekonstruktion des Reichstagswahlrechts zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert fand sich kein liberales Argument mehr für die Befürwortung der Demokratie in dieser Frage. Keine liberale Darstellung der Geschichte des Wahlrechts versäumte es, die Absicht Bismarcks hervorzuheben, mit Hilfe der Demokratie den Liberalismus zu überflügeln. Ein Gelehrter wie Georg von Below war zugleich Politiker und seine gewichtige und einflußreiche Darstellung des parlamentarischen Wahlrechts bediente sich der ideengeschichtlichen Rekonstruktion der Ursprünge des Wahlrechts zum Reichstag ebenso wie der Geschichte der machtpolitischen Handhabung des Wahlrechts, um die Differenz zwischen liberaler Einstellung und demokratischem Wahlrecht zu betonen. Below erinnerte an die eigentlichen Absichten Bismarcks, die ihn zur Unterstützung des demokratischen Wahlrechts bewogen hatten: er wollte das damals noch widerspenstige liberale Lager durch den Appell an die Gesamtbevölkerung politisch überflügeln.168 Aus liberaler Perspektive ergab sich daher schlüssig die Einschätzung des demokratischen Wahlrechts als Ausgangspunkt eines antiliberalen Cäsarismus bzw. Bonapartismus. Below erörterte die liberalen Vorbehalte in diesen Debatten. Sybel wie zuvor Dahlmann und davor Rotteck befürchteten den Cäsarismus als Intention und Ergebnis des allgemeinen Wahlrechts (S. 16). In Deutschland hatte gerade die Reichsgründung die erstaunliche Konstellation gezeigt, daß der autoritäre Obrigkeitsstaat, vertreten durch seinen flexibelsten Interpreten und besten Politiker, Otto von Bismarck, sich des demokratischen Wahlrechts auf der Reichsebene bedient hatte, um den Einfluß der Liberalen entscheidend zu schwächen. Die Nutzbarmachung des demokratischen Gedankens für eine den Liberalen reaktionär anmutende Politik besaß ihr Vorbild in der Politik der beiden Napoleons. In den Plebisziten Napoleon Bonapartes und vor allen Dingen der Instrumentalisierung des allgemeinen Wahlrechts durch Louis Bonaparte, des späteren Napoleon III. zeigte sich für die Liberalen paradigmatisch, daß eine moderne Innovation eine Politik ermöglichte, die nicht ihren Vorstellungen von Fortschritt entsprach. Argumentativ machte das politische Phänomen des Cäsarismus deutlich, daß es keine präexistente, prästabilisierte Harmonie der drei Problemebenen der Demokratie gab, sondern daß sich die institutionelle gegen die normative, die integrative gegen die institutionelle Ebene ausspielen ließen. Die
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Robert von Mohl, Allgemeines Wahlrecht (1869), in: ders., Politische Schriften, hg. Von Klaus von Beyme, Opladen 1966, S. 265. Georg von Below, Das parlamentarische Wahlrecht in Deutschland, Berlin 1909.
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Wahrnehmung dieses Phänomens war keineswegs eine deutsche Besonderheit, sondern ein europäisches, ja atlantisches Phänomen. Zunächst von Auguste Romieu169 auf das Regierungssystem Louis Bonapartes angewandt, fand der Begriff des Cäsarismus in dieser Hinsicht durch Jacob Burckhardt170 eine beabsichtigt süffisante Anwendung und wurde schließlich generell in die deutsche politische Theorie eingeführt.171 Hier war es Wilhelm Roscher, der systematisch und regierungsvergleichend damit arbeitete.172 Jellinek nahm ihn umfänglich auf173 und spätestens Hobson diskutierte die Tendenzen des englischen Premiersystems, zum Cäsarismus auszuarten.174 Auch bei Max Weber fand der Cäsarismus vor dem Weltkrieg eine ausschließlich pejorative Verwendung.175 In vielerlei Hinsicht gab es also Übereinstimmungen in der politischen Theorie zwischen dem Westen und Deutschland. Gemeinhin wurde die theoretisch reflektierte Wahrnehmung geteilt, daß sich das allgemeine Wahlrecht als demokratische Institution auf eine Weise instrumentalisieren ließ, die der Umsetzung des normativen Programms der Demokratie hinderlich wurde. Zwar hat sich Below zufolge die liberale Befürchtung eines Cäsarismus einer auf dem demokratischen Wahlrecht beruhenden Regierung nicht bewahrheitet, weder war es zur Erhebung eines Heerführers zum Cäsar gekommen, noch avancierte mangels parlamentarischer Regierungsbildung ein Politiker des Reichstages zum Wortführer einer „populären" Politik. Aber für Below hatte das Cäsarismus-Argument weiterhin Bestand, denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Bürgertum durch das Voranschreiten der Sozialisten bedroht und der damit befürchteten „Drangsalierung der bürgerlichen Kreise" (S. 31). Daher erachtete Below das Königtum weiterhin als „Schutz gegen demokratische Willkür und Störung der Verfassung" (S. 30). Johanna Philippson, eine Schülerin von Friedrich Meinecke, versammelte kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Argumente und Alternativen, mit welchen der Liberalismus das Wahlrecht diskutiert hatte. Sie reichten von Fries, der die Familienväter bevorzugte, über Rotteck, der das Vermögen privilegieren wollte, zu Sylvester, Jordan und Welcker, die für Berufsstände plädierten, während Pfizer die Bildung und schließlich Gagern und Dahlmann die Bürgerlichkeit gemäß der Bildung und des sozialen Standes bevorzugt wissen wollten.176 Mochten die Alternativen also schwanken, der Liberalismus vereinte sich ihrer Darstellung nach in der Abneigung des allgemeinen
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Auguste Romieu, L'ère des césars, 2. Aufl. Paris 1850, dt. Der Cäsarismus, Weimar 1851. Jacob Burckhardt, Die Zeit Constantins des Großen, 1853, Gesamtausgabe, Bd. II 1929 S. 32. Gollwitzer, Der Cäsarismus Napoleon III. 1952. Wilhelm Roscher, Umrisse zur Naturlehre des Cäsarismus, Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 32 (1888), S. 639-753, aufgenommen in: ders., Politik - geschichtliche Naturlehre der Monarchie, Aristokratie und Demokratie, 1892, 2. Aufl. 1893, 3. Aufl. 1908. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1900, 3. Aufl. 6. ND, S. 525. John Atkinson Hobson, The Crisis of Liberalism: new issues of Democracy, London 1909, S. 12. Breuer, Bürokratie und Charisma, 1994, S. 202. Ferner Winckelmann, Erläuterungsband, 1976, S. 232f. Johanna Philippson, Über den Ursprung und die Einfuhrung des allgemeinen gleichen Wahlrechts in Deutschland zur Zeit der Frankfurter Paulskirche, Berlin und Leipzig 1913.
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Wahlrechts. Die Diskrepanz zwischen der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts und der Wahlrechtsdoktrin der fuhrenden Theoretiker des politischen Liberalismus konnte Philippson nicht mit liberalen Prinzipien in Übereinstimmung bringen. Sie erklärte es schlicht mit einer Unaufmerksamkeit der Liberalen. Im nachhinein wird man das Gesetz für die Wahlen zur Frankfurter Paulskirchenversammlung mit dem Prinzip der Allgemeinheit, aber der Einschränkung der Gleichheit durch eine Beschränkung auf die „Selbständigen" kritisch noch ganz im Zeichen der Vorstellungen des politischen Liberalismus befangen sehen können.177 Für Philippson war aber bereits die Einführung des allgemeinen Wahlrechts ein Bruch mit den liberalen Überzeugungen der beteiligten Verfasser gewesen. Wie Philippsohn spekulierte (S. 4Iff.), mochten die am Wahlgesetz beteiligten liberalen Theoretiker wie Dahlmann, die sich in der Debatte um die prinzipiellen Grundlagen des Wahlrechts strikt gegen die Wahlrechtsgleichheit ausgesprochen hatten, der Meinung gewesen sein, diese Wahlbestimmungen präjudizierten nicht das Wahlrecht zum angestrebten Nationalsstaat. Doch das von der Versammlung erlassene Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 stellte einen noch entschiedeneren Bruch mit der liberalen Tradition dar, indem es die Allgemeinheit des Wahlrecht durch Wegfall der liberalen Selbständigen-Klausel zur Wahlrechtsgleichheit des Männerwahlrechts erweiterte. Zwar war es das Ergebnis eines strategischen Kompromisses, der in einer Konstellation der Beschlußlage erfolgte, die im Schatten der Fragen von Erbkaisertum und kleindeutscher Lösung stand. Aber dieses Reichswahlgesetz war die Grundlage für das Wahlgesetz zur konstitutierenden Versammlung des Norddeutschen Bundes. Seine Prinzipien gingen in das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 ein und blieben als Reichswahlgesetz des Kaiserreich bis 1918 in Kraft.178 Soweit war das liberale Selbstverständnis seinen politischen Wurzeln entfremdet, daß nur die vereinzelte Stimme des jungen Franz Schnabel in seiner Rezension der Arbeit von Philippson das durchgängige Unverständnis der liberalen politischen Theorie für das demokratische Wahlrecht hervorheben konnte.179 Das demokratische Wahlrecht blieb aus liberaler Perspektive ein Instrument plebiszitärer und damit antiliberaler Politik. Ob es nun die Erinnerung an eine plebiszitäre Politik Bismarcks war180 oder die Furcht vor der Einschränkung des Einflusses des liberalen Kulturprotestantismus durch eine mit fortschrittlichen Wahlreformen verbundene Stärkung des Zentrums oder ob es schließ-
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Angesichts der sehr unterschiedlich gehandhabten Auslegung der Selbständigen-Klausel in den einzelnen Staaten und gemessen an den zeitgenössischen Maßstäben kann man dieses Gesetz aus historischer Warte als fortschrittlich einschätzen: Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, 1983, S. 607; Siemann, Die deutsche Revolution, 1985, S. 84ff. Vgl. die Darstellung bei Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff. Bd. 2, S. 790, Bd. 3, S. 646f. und S. 861 ff. Franz Schnabel, Rezension von Johanna Philippson, in: Zeitschrift fur die Geschichte des Oberrheins 29 (1914) S. 163-165; Er selber hatte über die Entstehung des politischen Katholizismus promoviert und konnte dort keine Anknüpfungspunkte fur ein demokratisches Denken entdecken, vgl. Franz Schnabel, Der Zusammenschluß des politischen Katholizismus in Deutschland 1848, diss. Heidelberg 1910. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, 1994, S. 40Iff., Stürmer, Regierung und Reichstag, 1974, S. 31 I f f , Bendikat, Wahlkämpfe in Europa, 1988, S. 25ff„ 290ff.
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lieh die Furcht vor der weiteren Steigerung der parlamentarischen Macht der Sozialdemokratie war, die bestimmend wirkten auf das machtpolitische Kalkül der Liberalen: im Ergebnis verweigerte sich der wichtigste Teil des politischen Liberalismus dem demokratischen Gedanken. Preuß setzte gegen dieses bereits tradierte liberale Unverständnis des demokratischen Wahlrechts eine rein politologische Überlegung. Preuß konnte und wollte nicht gesinnungs-demokratisch argumentieren, sondern versuchte, Idee und Wirklichkeit der Demokratie dem liberalem Denken zu vermitteln. Er schlug 1891 eine von dogmatischen Erwägungen unbeirrte Lektüre des allgemeinen und gleichen Stimmrechts vor, die zum Ergebnis hatte, daß demokratische Institutionen sogar dem Einfluß liberaler Vorstellungen eher den Weg ebnen konnten als das Dreiklassenwahlrecht, mit dem sich die Liberalen angesichts der Unwägbarkeiten der Demokratisierung versöhnten hatten.181 Alle politischen Institutionen des Wahlrechts und der Willensbildung sind Preuß zufolge dem Grundgesetz der Bildung von Aristokratien unterworfen. Damit schlug Preuß das Thema der Ungleichheit des politischen Gewichtes bei formell größter Gleichheit an. „Die natürliche Aristokratie unserer Tage ist keine Geburts-, keine Amts-, auch keine Geldaristokratie, sondern ein höchst kompliziertes mixtum compositum aus vielerlei Elementen" (S. 154). Und die Entstehung der Auslese, die nicht durch künstliche Privilegierung erfolgen soll, sondern nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit, die eine Person im politischen und gesellschaftlichen Lebens besitzt, wird durch die Idee der Gleichheit gefördert, nicht gehemmt. „So paradox es klingen mag..: die Berechtigung, der unvergleichliche Vorzug des allgemeinen und gleichen Wahlrechts liegt lediglich darin, daß es den tatsächlich gegebenen Ungleichheiten aller Art freieste Bahn zur Geltendmachung ihres Einflusses läßt" (S. 156). Damit ist aber eine der Hauptforderungen des Liberalismus erfüllt. Das liberale Bürgertum muß nur bereit sein, sich dem Prozeß der Ausbildung einer natürlichen Aristokratie nach Maßgabe der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu stellen, und nicht nur zu behaupten, sie sei die gebildete Aristokratie und dürfe daher Privilegierung beanspruchen. Die rechtliche Gleichheit soll demnach nicht künstlich Aristokratien erzeugen, sondern den Weg der natürlichen Aristokratie ebnen. „Volle Freiheit zur Entfaltung und Geltendmachung der natürlichen Ungleichheiten verschiedenster Art" (S. 169f.) verlangte Preuß. Daher ist die Wirkung und der Nutzen der allgemeinen und gleichen Wahl nicht die Nivellierung der Politik, sondern eine „Art der Differenzierung" der Regierenden. Ob „Diktatur der Proletarieraristokratie" (S. 166) oder Ministerpräsidenten, man darf sich nicht beirren lassen, daß die politischen Probleme nicht gelöst sind, weil der „Staat" die Regierung bestimmt, oder umgekehrt weil die Regierung vom „Volk gewählt" wird. Das Problem besteht in der Differenzierung der Regierungsmacht, und das heißt nicht in der Kreation der Regierung alleine, sondern vor allen Dingen in ihrer Balancierung, für die er die Dezentralisation, die „Mehrzahl von Machtzentren" (S. 168) befürwortete. Aus diesem Grund sah er in den Tendenzen der
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Hugo Preuß, Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus, 1891, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, übergeben von Else Preuß, Tübingen 1926, S. 144-172. Zum Zusammenhang der damaligen liberalen Debatte vgl. Gilg, Erneuerung des demokratischen Denkens, 1965, S. 114ff.
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Sozialdemokratie, die politische Macht konzentrieren zu wollen, um ihrer sozialistischen Aufgabe gerecht zu werden, ihre eigentliche politische Gefahr, weil sie sich keinen Begriff von „politischer Freiheit" macht. Die Neigung zu einer Balancierung des Regierungssystems, die sich später auch in seinen Überlegungen zur Weimarer Regierung niederschlug, war bei Preuß bereits 1891 angelegt. Elitäre Töne klingen an, wenn Preuß unverblümt das Gesetz der Oligarchie reformuliert. „Wohl mag sich in der großen Menge unklarer Köpfe dieser demokratische Zug der Zeit verquicken mit der nebelhaften Gleichheitsidee. Im wirklichen Leben jedoch könnte niemals ein Prinzip tatsächliche Geltung erlangen, auf Grund dessen jeder Strolch wegen seines famosen Menschenantlitzes die Gleichheit mit der Elite des Volkes beansprucht". Preuß wählte dabei nicht immer schonende Ausdrücke: „Grundlage aller Staatswissenschaft bleibt des alten Aristoteles altes Wort vom zoon politikon, wenn man es nur richtig versteht: der Mensch ist ein Herdenvieh. Demgemäß zerfallt, politisch betrachtet, die Menschheit in die beiden Klassen der Leithammel und der gewöhnlichen Herdenstükke".182 Aber das galt seinerzeit nur der Widerlegung liberaler Befürchtungen bezüglich der Nivellierung und Dekadenz einer nach demokratischen Prinzipien geprägten Politik. Preuß wollte hervorheben, daß gleich unter welcher Staatsform und ganz gleich, nach welchen politischen Prinzipien die Institutionen einer politischen Ordnung eingerichtet sind, sich herrschaftssoziologisch stets die kleine Zahl gegenüber der großen Masse durchsetzen würde. Allerdings wandelt sich das Antlitz der Aristokratie. Wenn es sich auf der Grundlage der Gleichberechtigung als Leistungselite ausbildet, verändert es gegenüber der Ständegesellschaft des Kaiserreichs sein Wesen und wird modern. Für Preuß ruht also das Augenmerk nicht auf der Erstellung einer normativ liberalen, institutionell aber naiven Vorstellung von gleichmäßiger Selbstregierung der Bevölkerung. Ihm kommt es auf die Fähigkeit zur politischen Selbstregierung an, die sich unter modernen Bedingungen anders darstellt als unter den klassischen, weshalb man auch sagen kann, daß „die politische Begabung eines Volkes sich darin bekundet, wie und von wem es sich fuhren läßt, indem es die rechten Männer mit elementarer Kraft emporhebt".183 In einem Stufensystem von der Selbstregierung auf lokaler Ebene bis zum Parlamentarismus, der für Hugo Preuß kein Selbstzweck, sondern Krönung und Abschluß politischer Selbstregierung ist und somit Inbegriff politischer Bürgerlichkeit, kann sich dieser Ausleseprozeß auf möglichst breiter Basis ereignen. Dies war der Hintergrund, vor dem Preuß vor dem Weltkrieg argumentierte.184 Ist aber das liberale Bürgertum zur Ausbildung einer solchen Aristokratie überhaupt imstande? Und war das mit realistischer Feder gezeichnete Idealbild politischer Selbstregierung angesichts der Erfahrungen des Weltkrieges überhaupt noch aufrechtzuerhalten? Zeigte nicht die Erfahrung des Krieges, daß die Kritik von Preuß verfehlt gewesen war? Offenbarte nicht der Krieg die moderne Disposition des Staates, tendentiell alle gesellschaftli-
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Hugo Preuß, Die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus, 1891, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, S. 144-172, S. 169 und 162. Hugo Preuß, Zum 60. Geburtstag Theodor Barths, Berliner Tageblatt 38 Jahrgang Nr. 355 vom 16. Juli 1909, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926, ND 1964, S. 552. Gagel, Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen Parteien, 1958, S. 146f.
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chen Lebensbereiche erfassen zu können und auch zu müssen, und rechtfertigte sich daraus nicht auf eine die Anhänger des Obrigkeitsstaates glänzend bestätigende Weise die relative Selbständigkeit des Staates von partikularen Interessen auf dem Gebiet der Gesellschaft und damit auch der Bürger? Um die Relevanz der Kritik am Obrigkeitsstaat aufzuzeigen, mußte Preuß die Erfahrung des Krieges und die prima facie gewachsene Plausibilität des Obrigkeitsstaates in seine Betrachtung mit einbeziehen. Preuß gehörte nach Ausbruch des Weltkrieges zu den ersten bürgerlichen Autoren, die sich von der augenscheinlich unter Beweis gestellten Leistungsfähigkeit des Obrigkeitsstaates in Fragen der militärischen Organisation nicht beeindrucken ließen. Vielmehr droht der Argumentation von Preuß zufolge jeder militärische Erfolg wirkungslos zu verpuffen, wenn es der politischen Gestaltungskraft ermangelt, um den augenblicklich erreichten Handlungsspielraum zu nutzen und das militärisch Erreichte auch auf Dauer zu stellen. Preuß versucht daher zunächst einmal zu verdeutlichen, aus welchen augenblicklich beobachtbaren Schwächen des kriegführenden Kaiserreichs die Notwendigkeit einer Umorientierung der politischen Denkweise erhellt. Preuß macht evidente Mängel der politischen Führung sichtbar, die sich aufdrängen, wenn man sieht, daß es Deutschland nicht gelungen ist, gerade dort politische Fähigkeit zu beweisen, wo sie der Altmeister der Konservativen, Bismarck vorbildlich unter Beweis gestellt hatte, nämlich in der Fähigkeit zur Bündnispolitik. Deutschland ist geradezu umzingelt von Feinden, die aber nicht nur nach Gesichtspunkten der Realpolitik in diese Feindschaft getreten waren, sondern diese Feindschaft auch mit weltanschaulichen Motiven rechtfertigen. Ist dies nun nur Ergebnis des Versagens einer bestimmten Diplomatie einerseits und der verschwörerischen Propaganda der Alliierten andererseits, wie man es sich in den ersten Jahren des Krieges gerne schön redet, oder sind dies nicht Symptome eines tieferliegenden Mangels, nämlich Preuß zufolge eines Mangels an politischen Fähigkeiten auf deutscher Seite schlechthin? Und ist nicht die politische Ordnung des Obrigkeitstaates verantwortlich für diesen ausgeprägten Mangel an politischen Führungskräften? Preuß versucht in dem Buch Das deutsche Volk und die Politik von 1915 die Eigenart politischer Fähigkeiten von den zwei unbestreitbaren und in der Diskussion unbezweifelten Leistungen des deutschen Staates im Krieg, der militärischen und der organisatorischen Fähigkeit, abzugrenzen. Politische Leistungsfähigkeit und organisatorisches Talent haben nach Preuß nicht die gleiche Wurzel und können einander auch nicht kompensieren. Preuß anerkennt die Bedeutung organisatorischer Leistungsfähigkeit, und dies durchaus mit einem Moment patriotischer Befriedigung. Preuß war ein Patriot genauso wie Max Weber und bäumte sich ζ. B. nach dem Krieg gegen den Versailler Friedensvertrag leidenschaftlich auf wie so mancher Nationalist. Gleichwohl glich der Bezugspunkt seines Patriotismus nicht demjenigen der Nationalisten, die ihn als Juden deutlich von sich wiesen. Dies wird auch die noch zu erörternde Rezeption seines Buches von 1915 während des Krieges verdeutlichen. Die erbrachten organisatorischen Leistungen erfüllen Preuß mit aufrichtiger Befriedigung, wie er betont, doch er stellt deutlich heraus, daß es gerade diese Leistungen seien, die der Entwicklung politischer Fähigkeiten bisher im Wege standen und dies immer noch tun. Es sei gerade umgekehrt: militärische und organisatorische Begabung hätten in Deutschland immer wieder die mangelnden politischen Fähigkeiten kompensieren müssen.
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Die gefeierten organisatorischen Fähigkeiten beziehen sich laut Preuß nur auf den unpolitischen Teil der Verwaltung. Unberührt davon bleiben Fragen der Regierbarkeit. Die Leitung verlangt als wesentliche Verhaltenserwartung nur Gehorsam und Disziplin und steht im Gegensatz zur Fähigkeit politischer Selbstorganisation im Sinne eines „gemeinsamen Handelns ohne Kommando" (S. 74). Der Mangel an Fähigkeit zur Selbstorganisation macht wiederum eine gesteigerte Organisation von oben, seitens des Obrigkeitsstaates erforderlich. Damit ist ein Kreislauf erreicht, den man beim Erreichen der Grenzen der obrigkeitlichen Leitung nicht einfach öffnen kann zugunsten einer selbstbestimmten und auf Eigeninitiative fußenden Selbstorganisation. Dieser Mangel an Fähigkeit zur politischen Selbstorganisation ist nach Preuß aber nicht dem bösen Willen der Obrigkeit geschuldet, sondern historisches Resultat des sich selbst der politischen Eigenverantwortung entziehenden Bürgertums. Hier knüpft Preuß an seine Überlegungen aus der Vorkriegszeit an. Aus einem politischen Selbstmißverständnis heraus hätten die deutschen Liberalen vor und nach 1848 den Verfassungsstaat als Präsent des Fürsten, als seine Gabe erwartet. Der deutsche Liberalismus habe in einem Akt der „Selbstverstümmelung" (S. 147) während des preußischen Verfassungskonfliktes der 1860er Jahre vergessen, daß der Kampf um das Recht auch immer ein Kampf um die Macht sei, das Recht zu verwirklichen. Freilich gebe es diese Tradition des politischen Selbstmißverständnisses seit der Reformation, die Preuß ursächlich verantwortlich macht für diese Entwicklung (S. 80f.). Daraus folgt, daß das politische Verhältnis des Volkes zur politischen Ordnung darin besteht, sich , j e nach seinem Verhältnis zur Obrigkeit" zu begreifen (S. 178) und demzufolge bei entsprechend mangelndem Verhältnis zur Obrigkeit bestimmte Bevölkerungsteile aus dem Staat auszuschließen. Aus dem Reflex des Ausschlusses folgt dann seitens dieser Bevölkerungsteile nur die vertiefte Selbstausschließung. Preuß meint damit die Sozialdemokratie, deren Stellung zum Staat vor Ausbruch des Krieges das Ergebnis eines gegenseitigen, sich wechselseitig steigernden Ausschließungsvorganges war. Das aber ist „politische Kraftvergeudung" (S. 178) gewesen und die Alternative hierzu besteht für Preuß in der Identität von Staat und Volk (S. 177), die er im Begriff des „Volksstaates" zusammenfaßt. Die Identität wird aber nicht dergestalt gedacht, daß nur Volk ist, was sich in den Staat integriert, der ihm von der Obrigkeitsregierung gegeben wird. Vielmehr soll das Volk den Staat als seine eigene politische Ordnung begreifen können und begreifen lernen und diese Ordnung auch in Eigenverantwortung bestimmen wollen. Dann wäre der Burgfrieden von 1914 nicht das Ergebnis eines Ausnahmezustandes, in dem sich alle Teile als gleichberechtigte und gleichverpflichtete Bestandteile dieser Ordnung verstehen, sondern der Normalfall. Die von Preuß postulierte Identität von Staat und Volk will argumentativ gegen die orthodoxe Trennung von Staat und Gesellschaft ankämpfen. Sie zielt auf eine Überwindung der in der Trennung von Staat und Gesellschaft angelegten hierarchischen Unterordnung der Bevölkerung unter die Träger der politischen Ordnung und will gerade nicht die Präexistenz einer Homogenität begründenden Substanz prätendieren, sondern die Einheit in der Vielheit als Ergebnis selbstbestimmter Organisation, also einer institutionell zu bewältigenden Aufgabe plausibel machen. Die Identität von Staat und Volk, wie sie Preuß präferiert, ist daher scharf von den gleichzeitig kursierenden Überlegungen
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der im Krieg erwachsenen „Volksgemeinschaft" zu unterscheiden, die zu den üblichen Formeln der „Ideen von 1914" gehört. 185 Wie ist eine solche Identität zu erreichen? Haben wir es hier mit einem Vorläufer künftiger identitätsdemokratischer Lehren zu tun, wie sie etwa Carl Schmitt in der Weimarer Republik als Gegensatz zur liberalen Repräsentation in einer für ihn charakteristischen Rousseau-Interpretation entwickelte? Zielt die gewünschte Identität des Volksstaates, der hier eine begriffliche Substitutfunktion für den Begriff der Demokratie einnimmt, auf das Vorhandensein einer bestimmten Substanz, die die politische Homogenität bereit zustellen vermag? Die Vorstellungen von Hugo Preuß gingen in eine ganz andere Richtung. Preuß sieht zwei Möglichkeiten in der deutschen Geschichte, den „unvollendeten Nationalstaat" politisch zu vollenden, nämlich die Revolution von oben seitens eines „Principe", der im Sinne Machiavellis eine politische Neugründung schafft, oder aber eine „revolutionäre Selbstorganisation" (S. 133ff.). Alle Ansätze hierzu sind in der deutschen Geschichte gescheitert, und das Scheitern zeigt die eigentliche Quelle eines Gelingens des Volksstaates in der Gegenwart und Zukunft an. Denn sie scheiterten am „Mangel jedes politischen Gemeinwillens" (S. 135), dem die Fremdbestimmung unerträglich gewesen wäre. So aber reichte allein die Zurückweisung der von der Paulskirchenversammlung angebotenen Krone durch Friedrich Wilhelm IV., um - mit den Worten Bismarcks - der Bewegung die Spitze zu nehmen. Aber worauf bezieht sich dieser Gemeinwille, der die Ursache der Identität sein soll? Es ist nicht ein die Identität herstellendes oder garantierendes Substrat. Die Identität ist „lediglich der Ausdruck des politischen Selbstbewußtseins eines Staatsvolkes, das sich in seiner Gesamtheit, in all seinen Schichten, Gliederungen und Richtungen eins mit seinem Staate und damit nicht nur gleichberechtigt im Staate, sondern auch gleich verantwortlich für den Staat fühlt" (S. 180). Die von Meinecke in seinem Beitrag zum Sammelband von Thimme und Legien geforderte Einheitlichkeit auf den Gebieten des öffentlichen Lebens, mit der er nur die Einheitlichkeit der Obrigkeit meint, ist nach Preuß nur durch das Selbstverhältnis der Bürger untereinander zum Staat als ihrer politischen Ordnung zu erreichen. Wie aber kann dieses politische Selbstbewußtsein erreicht werden? Für Preuß ist dies keine rein institutionelle Frage. Er diskutiert die Möglichkeiten des Parlamentes, Vehikel der Entstehung eines solchen politischen Bewußtseins zu sein. Da sich mittlerweile die liberale Idee des Parlamentarismus durch „die fortschreitende soziale Demokratisierung demokratisiert" habe (S. 186) und das Parlament nun zwischen Regierung und Volk der öffentlichen Meinung zur Geltung verhelfe, sei es auch der geeignete und erforderliche institutionelle Weg. Preuß geht es um das 185
Grosser behauptet eine Nähe von Preuß' Volksstaat zur Idee der Volksgemeinschaft, insofern seine Identitätsformel bei Preuß zeige, wie weit die Idee einer spezifischen „deutschen Demokratie" im Linksliberalismus vorgedrungen sei, vgl. Grosser, Monarchischer Konstitutionalismus, 1970, S. 139ff.. Hiergegen sei auf die umfangreiche Rekonstruktion von Lehnert, Verfassungsdemokratie, 1998 verwiesen, der die republikanisch-bürgerschaftlichen Grundüberlegungen Preuß herausarbeitet. Gerade die spätere völkisch inspirierte Volksgemeinschaftsidee versuchte sich ausdrücklich von der Idee des „Volksstaates" bei Hugo Preuß und Naumann oder Max Weber abzugrenzen und warf ihnen Liberalismus vor: Monath, Obrigkeitsstaat und Volksstaat, 1934 und Mezzadra, La costituzione del sociale, 1999, S. 177-276.
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Prinzip der Selbstregierung, nicht um eine konkrete Gestalt. Er schlägt keinen Königsweg vor und erörtert auch das präsidiale System der USA als eine funktionierende Möglichkeit. In weiteren Aufsätzen führte Preuß sein Anliegen fort. Deutlich wurde dabei immer wieder, daß er besonders gegen die Befürworter des Obrigkeitsstaates argumentierte, die sich von seinem augenscheinlichen Erfolg im Krieg blenden ließen. Sofern man die Machtstellung des Staates nicht in der von gesellschaftlichen Interessen unberührten Eigenständigkeit des Staates erblickt, sondern in der Fähigkeit des Staates, alle politischen Energien einer Bevölkerung in Krisenzeiten zu mobilisieren, behauptete Preuß, daß der freiheitlich verfaßte Staat hierzu der beste Weg sei, nicht dagegen der Obrigkeitsstaat:186 „Das ist die schwächste Seite des Obrigkeitssystems, daß es unzertrennlich ist von der ungeheuerlichsten politischen Kräftevergeudung; und daß es zugleich unfähig ist zu einer den modernen Verhältnissen angepaßten Auslese der Geeignetsten und Tüchtigsten für den inneren und äußeren Dienst des Staates" (S. 21). Dagegen stellte Preuß den Satz auf: „Nur unter der freien Mitwirkung des Volkes sind solche Leistungen aus ihm herauszuholen; und zwar in dem Maße leichter und ergiebiger, wie sie nicht als Abgaben der Untertanen an eine ihnen obrigkeitlich gegenüberstehende Regierung empfunden werden, sondern als Leistungen des im Staate organisierten Volkes für sich selbst; für die res publica, res populi" (S. 22). Die Probleme werden dagegen nur verschleiert, wenn sie in Modellen wie den „Ideen von 1914" oder der Idee einer spezifisch deutschen Demokratie verpackt werden.187 Die Diskussion um die geistige Orientierung Deutschlands, gruppiert um die „Ideen von 1914" war für Preuß nur ein weiteres Zeichen der politischen Unreife des deutschen Bürgertums. Für die „Ideen von 1914" fand Preuß nur härteste Worte: „So spricht nicht das berechtigte Selbstgefühl eines im Kampf ohnegleichen herrlich bewährten Volksgeistes, dem eben diese Bewährung die Ruhe selbstsicherer Kraft gibt; es ist ein schriller Fieberschrei, der auf eine krankhaft reizbare Schwäche des politischen Bewußtseins deutet".188 So wie Preuß 1915 die militärischen Leistungen nicht als repräsentativ die politische Fähigkeiten insgesamt anerkannte, so behauptete Preuß auch, daß die sozialpolitischen Leistungen und das ungeheure Ausmaß organisierender Kräfte innerhalb der Arbeiterschaft im Weltkrieg nicht Zeichen gesamtpolitischer Reife seien, sondern sich gerade auch unabhängig von ihr entwickeln und im Obrigkeitsstaat gedeihen können. „Und doch kann wiederum der Obrigkeitsstaat nur unter der Voraussetzung entbehrlich und also überwunden werden, daß sich auf dem Boden staatspolitischer Betätigung im freien Wettkampf um die politische Macht ein allgemeines Staatsbürgerbewußtsein entwickelt,
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Hugo Preuss, Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung, in: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 2 Vorträge vom 6. und 8. April 1916 in Wien Jena 1916, S. 1-25. Hugo Preuss, Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 44 (1917/18) S. 242-264 (nach dortiger Angabe im März 1917 geschrieben), S. 251. Hugo Preuss, Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung, in: Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 2 Vorträge vom 6. und 8. April 1916 in Wien, Jena 1916, S. 1-25, S. 18.
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das ein genügend starkes Gegengewicht zum sozialen Klassenbewußtsein bildet. Nur so kann in Alltagszeiten, wenn die Gefährdung des staatlichen Daseins nicht grade offensichtlich ist, der Staat als res publica aller sozialen Klassen und Gegensätze empfunden werden. Nur so ist die Möglichkeit einer selbsttätigen Auslese aller geeigneten Kräfte der Volksgesamtheit für die wirkliche und verantwortliche politische Führung im Wechsel der staatspolitischen Aufgaben gegeben. Nur so entsteht eine ständige und lebendige Führung der öffentlichen Meinungen mit den Zielen der inneren wie der auswärtigen Staatspolitik. Deshalb kann eine einseitig sozialpolitische Entwicklung niemals Ersatz für die staatspolitische bieten; ja sie muß im Gegenteil durch ihre Einseitigkeit die letztere hemmen, weil sie ohne staatspolitisches Gegengewicht den Obrigkeitsstaat festigt" (S. 258). Preuß verlangte also mit dem Volksstaat-Konzept nichts weniger als den Primat des Politischen, die Wiedererweckung des republikanischen Grundgedankens gemeinsamer Verantwortlichkeit und die Hegung der sozialen Klassengegensätze in einer selbstverantwortlichen Organisation eines dennoch notwendigen politischen Handlungsrahmens, den Staat. Preuß wollte die entscheidende Frage nach dem politischen Bewußtsein nicht durch Konzentration auf institutionelle Fragen überdecken. Auch die Demokratisierung der Institutionen schafft noch keineswegs die Demokratie, wenn sie Volksherrschaft meint und diese Herrschaft nicht verdeckte Fremdherrschaft im eigenen Lande sein soll. Preuß warnte daher vor dem Vertrauen in die Wirkung einer Demokratisierung des preußischen Wahlrechts. 189 Jenseits der Institutionen der Wahl oder der Parlamentarisierung nur auf die politischen Parteien zu vertrauen, ist gleichfalls irreführend. Die bestehenden politischen Parteien waren seiner Ansicht nach nicht „entschlossen genug, nur eine Regierung ihres politischen Geistes zu unterstützen, dafür aber auch die volle politische Verantwortung zu tragen". Dieser Mangel war für ihn aber nur das treue Abbild der politischen Verfaßtheit der Bevölkerung (S. 185). In diesem Dilemma, das in der gegenwärtigen Situation des politischen Bewußtseins keine rein institutionelle Lösung zuließ, konnte es für Preuß zunächst nur um einen Wechsel des politischen Selbstverständnisses gehen. Dieser Wechsel kann nur durch einen „innerlichen Erziehungsprozeß vollkommener Politisierung des Volkes" (S. 187) erreicht werden, der auf wirklich politische Parteien zielt (S. 187). Daher ist dieser Erziehungsprozeß auch keine Frage der Volksbildung oder der Staatsbürgerkunde, sondern es sei die „gemeinsame praktische Arbeit am Staat", die der eigentliche „Lehrmeister" sei (S. 188). Das deutsche Volk in seinem gegenwärtigen Zustand kann die politische Organisation seiner „Interessen, Schichten und Gliederungen als das Werk seiner politischen Erziehung nur selber vollenden; es muß politisch Autodidakt sein" (S. 193). Die Diagnose markiert aber zugleich die eingeschränkte therapeutische Aussagekraft. Unter den Bedingungen des Krieges war an eine solche politische Selbsterziehung kaum zu denken. Preuß wollte wenigstens das Problembewußtsein wekken, das die Notwendigkeit einer solchen Selbsterziehung einsichtig machen sollte. Im Zentrum aber stand der Gedanke der politischen Verantwortung.
189
Preuß, Das deutsche Volk und die Politik, Jena 1915, S. 183f.
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Der Gedanke der politischen Verantwortlichkeit gehört zu den zentralen Problemen der politischen Institutionenlehre und wurde erst spät in der deutschen Theoriebildung entdeckt. Insbesondere die Staatslehre hatte in dieser Frage nur am Rande gearbeitet und das zugrunde liegende Problem in der Regel eher verdeckt als aufgegriffen und konstruktiv erörtert. Die sukzessive Ausbildung des „responsible government" gehörte nicht zu den Themen der politischen Theorie in Deutschland. Die Möglichkeit der Anklage von Regierungsmitgliedern hatte sich das englische Unterhaus schon frühzeitig angeeignet und im Prozeß gegen Stafford im 17. Jahrhundert die dauernde Entfremdung zum König demonstriert und damit den Bürgerkrieg gewissermaßen eingeleitet. Entscheidend war nun aber, daß aus dem Instrument zur Bändigung einer Regierung, auf die man ansonsten nur wenig Einfluß hatte und die dem Parlament fremd war, ein politisches Verhältnis zwischen dem Parlament und der nunmehr aus seinen Reihen rekrutierten Regierung wurde. Aus dem Hochverratsprozeß wurde die politische Verantwortung, aus einem formal juristischen Verhältnis ein politisches, nicht formal begreifbares Verhältnis. Der Versuch, die Juristische Natur" der Ministerverantwortlichkeit zu verstehen, 190 wandelte sich erheblich und hieran wird die theoretische Unsicherheit der Staatslehre im 19. Jahrhundert in der Beschäftigung mit dieser Materie deutlich. Zunächst behauptete man den nur strafrechtlichen Charakter der Ministerverantwortlichkeit, was aber mit den verfassungsrechtlichen Normen, auf die hin die Verantwortung bezogen wurde, unvereinbar war. Sodann kam es zu der Überlegung der Trennung einer rechtlichen Verantwortung mit Sanktion von der politischen Verantwortung mit politischen Konsequenzen, die verfassungsrechtlichen Charakter annehmen konnte. Diese von Bluntschli 191 vorgenommene Unterscheidung orientierte sich nach dem Vorbild der USA, die nicht die Bestrafung des Schuldigen, sondern primär seine Entfernung aus dem Amt intendierte. 192 Statt aber dieser Fährte zu folgen, konzentrierte sich die Rechtstheorie auf eine primär rechtliche Erfassung des Problems und erstellte eine disziplinarrechtliche Variante des Verständnisses von Ministerverantwortlichkeit, entwickelt von Samuel, die den Beamtencharakter und damit das Dienstverhältnis des Ministers in den Vordergrund stellte. Dieser Auffassung folgte selbst Gerhard Anschütz noch 1914.193 Ihr schloß sich dann die Theorie von der staatsrechtlichen Strafverfolgung an.194 Politisch einflußreich wurde dagegen die Auslegung durch Friedrich Julius Stahl. Er legte nahe, die konstitutionelle Forderung nach der Ministerverantwortlichkeit nicht mit
190 191 192 193
194
Vgl. den Überblick bei Greve, Die Ministerverantwortlichkeit, 1977, S. 55ff. Art. Verantwortlichkeit der höchsten Staatsbeamten, in: Deutsches Staatswörterbuch, hg. Von Bluntschli und Brater, Band 10, Stuttgart und Leipzig 1867, S. 746ff., 754. Vgl. Schnabel, Geschichte der Ministerverantwortlichkeit, 1922, S. 80. Deutsches Staatsrecht, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, begründet von Franz von Holtzendorff, g. von Josef Kohler, 2. Aufl., Band 4, München, Berlin und Leipzig, 1914, S. Iff., S. 127f.; Fritz van Calker, Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, 2. Aufl. München 128, S. 80ff.; vgl. Hans von Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate, Berlin 1904, S. 172, Anm. 1. Meyer/ Anschütz, Lehrbuch, 1919, S. 803 und die noch nach dem Weltkrieg von Erich Kaufmann vertreten wurde, vgl. ders., Untersuchungsausschuß und Staatsgerichtshof, Berlin 1920, S. 91, Anm. 14.
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der Anerkennung des Primates des Parlamentes gleichzusetzen. Stahl hatte diesen Angriff schon dadurch abwehren können, indem er das tragende politische Prinzip, nämlich das sog. monarchische Prinzip gar nicht von Fragen der Ministerverantwortlichkeit berührt behauptete.195 Daher blieb die Verantwortung auch im Schatten dieses einseitigen Konstitutionalismus befangen. Schon in Art. 44 Preuß. Verf. vom 31. Januar 1850 war die juristische, aber nicht die parlamentarische Verantwortlichkeit thematisch gewesen.196 Art. 17, Satz 2 der Reichsverfassung vom 16. April 1871 bestimmte: „Die Anordnungen und Verfugungen des Kaisers ... bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt". Diese sog. Lex Benningsen hätte die Einbruchstelle einer Ausweitung der politischen Ordnung zum parlamentarischen Regierungssystem bedeuten können. Max von Seydel erachtete diese Passage aber nur als „bloße Phrase".197 Paul Laband schließlich hielt die politische Verantwortlichkeit für einen Rechtssatz, der noch einer positiven Festschreibung bedurfte, dem er in der bisherigen Fassung aber noch keinen weiteren Rechtswert zuerkennen wollte.198 Als Scheidemann in seiner Rede vor dem Reichstag am 9. Dezember 1913 zum Rücktritt Bethmanns wegen der Zabern-Affäre aufforderte, konnte dieser erwidern, daß diese Aufforderung verfassungswidrig sei, da nach der Reichsverfassung der Kaiser völlig frei stehe bei der Ernennung und Entlassung des Kanzlers.199 Der Reichstag intervenierte nicht weiter und gerade diese Einstellung der vornehmlich bürgerlichen Parteien hatte vor Ausbruch des Weltkrieges die Sozialdemokratie in eine erneut verschärfte Oppositionshaltung gegenüber der politischen Ordnung gefuhrt, zeigte sich doch anhand des Zabern-Falles deutlich, wie wenig dem Reichstag in seiner Mehrheit selber an einer Ausweitung seiner Kompetenzen gelegen war. Die Unfähigkeit der deutschen politischen Theorie vor dem Weltkrieg, Charakter und Bedeutung der politischen Verantwortung zu begreifen, zeigt sich nicht nur bei denjenigen Theoretikern, deren Unverständnis für die Verfassungspolitik Ausdruck eines impliziten politischen Ressentiments war wie bei Paul Laband, sondern auch bei den führenden, der konstitutionellen Monarchie skeptisch und dem englischen Parlamentarismus aufgeschlossener gesonnenen Theoretikern wie Georg Jellinek. Wie Laband vermochte Jellinek zwar begrifflich zwischen dem juristischen und dem politischen Aspekt von Verantwortlichkeit zu unterscheiden, aber auch für ihn stand der juristische Begriff im Vordergrund und die Unklarheit der politischen Vorstellungen, ihre begriffliche Unscharfe führte zu einer abschätzigen Einstellung gegenüber den Inhalten, die diese Be195 196
197 198 199
Friedrich Julius Stahl, Allgemeine Staatslehre, 2. Abteilung S. 394; vgl. die Diskussion bei Glum, Das parlamentarische Regierungssystem, 1966, S. 2ff. Vgl. Monz, Die parlamentarische Verantwortlichkeit, 1965 für eine überwiegend positivrechtliche Zusammenstellung, der immerhin anerkennt, daß im Ersten Weltkrieg mit der Forderung nach parlamentarischer Verantwortlichkeit der Übergang zur Republik bereits substantiell vorgenommen worden war. Max von Seydel, Commentar zur Verfassungs- Urkunde für das Deutsche Reich, 1. Aufl. S. 129; anders freilich in der 2. Aufl. 1897, S. 330f. Paul Laband, Staatsrecht des Deutschen Reichs, Band 1, 5. Aufl. 1911, S. 381f. vgl. Huber, Dokumente, Bd. II S. 443f. Vgl. die Darstellung bei Mußgnug, Rechtliche und pragmatische Beziehungen, 1984, S. 11 Of.
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griffe transportierten. Die paradigmatische Ausrichtung wissenschaftlichen Denkens deutscher Provenienz, im Zweifel nicht die Sache, sondern den Begriff anzustrengen, mußte zu einer Vernachlässigung der Sache fuhren, wo ihr Begriff nicht wissenschaftlichen Ansprüchen genügen konnte. „Gründliche, streng wissenschaftliche Untersuchung der rechtlichen Natur der heutigen Parlamentsherrschaft in England hatte bisher nicht stattgefunden".200 Aber statt nun aus der Natur des zu begreifenden Gegenstandes auf die Unanwendbarkeit „streng wissenschaftlicher" Kriterien zu schließen und den Weg zu gehen, den ζ. B. die von Jellinek selbst angeführten Freeman und vor allen Dicey und Bagehot vorschlugen, nämlich zwischen den Konventionalregeln und den Rechtsregeln zu unterscheiden, wie sie Hatschek terminologisch erfaßte,201 lehnte Jellinek ab. Jellinek wollte vielmehr mit Hatschek die Rechtlichkeit des Parlamentarismus annehmen, die dieser aber nur durch eine Wandlung des Rechtsbegriffs anzunehmen bereit gewesen war in Gestalt der Konventionalregel. Hatschek hatte gezeigt, daß nicht Gesetze und positives Recht, sondern Konventionen und deren regelmäßige Einhaltung und durch Praxis fortgeschriebene Übung die Normativität der Institution des Parlamentes begründete. Jellinek dagegen beharrte auf dem Gedanken des Rechtssatzes und verstrickte sich lieber in Widersprüche, die nur aus der Anstrengung des Begriffes resultierten, als daß er die Theorie den Anforderungen der Wirklichkeit anschmiegen wollte. Verantwortung wurde in der Regel im Kontext der alten Forderung nach Ministerverantwortlichkeit gebraucht, wonach es eine rechtliche Handhabe der Rechenschaftsziehung eines Ministers für sein Handeln geben sollte. Als juristischer Vorgang begriffen setzte die Ministerverantwortlichkeit den Nachweis eines Rechtsverstoßes voraus, was den Charakter der Verfassung als rechtsformiges Tableau vertiefte und dem durch zivilrechtliche Schulung geprägten Rechtspositivismus der klassischen Schule von Gerber und Laband Vorschub leistete. Die Tücke des Objektes lag darin, daß sich die herrschende juristische Denkweise der tatsächlichen Differenz von politischer und juristischer Betrachtungsweise gar nicht bewußt war, weil sie vermeinte, die politische Differenz bereits berücksichtigt zu haben. Laband etwa erblickte in der Ministerverantwortlichkeit „ein politisches Prinzip, das seiner Verwirklichung durch Rechtssätze noch harrt, welches aber doch als solches nicht wirkungslos ist."202 Gemeint war aber nur die politische Notwendigkeit, dem Reichstag Rede und Antwort zu stehen, während die eigentliche Ministerverantwortlichkeit nur die Strafbarkeit eines verfassungswidrigen Verhaltens betreffen sollte. Noch 1917 befanden Autoren die Zeit für gekommen, diesem Harren ein Ende zu bereiten und als Folge der Neuorientierung die Einführung von Ministerverantwortlichkeitsgesetzen zu verlangen, die aber ganz im Banne der juristischen Tradition verblieben.203 Wie wenig tauglich, wie
200 201 202
203
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1900, S. 703 Fußnote 1. Julius Hatschek, Konventionalregeln oder über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung im öffentlichen Recht, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 3 (1909), S. 1-67. Paul Laband, Deutsches Staatsrecht, Band I, S. 381 f. und ferner Band IV, S. 52, nach dem Referat von Leo Wittmayer, Deutscher Reichstag und Reichsregierung - eine politische Untersuchung, Wien und Leipzig 1918, S. 8. M. de Jonge, Ministerverantwortlichkeitsgeset2e, in: Berliner Tageblatt Nr. 432 vom 25. August 1917, S. lf.
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schwierig auch unter rechtlichen Gesichtspunkten diese Forderung zu erfassen war, wie wenig sie schließlich die in der Verfassungspolitik aufkommenden Sachverhalte überhaupt erfassen konnte, blieb hier außerhalb des Problemhorizontes. Mit der von Preuß vorgenommenen politischen Sichtweise bekam der Gedanke der Verantwortung eine völlig neuartige Bedeutung, insoweit damit ein Verhältnis ausgedrückt wurde, welches gar nicht institutionell vollständig erfaßt werden konnte, sondern eine Frage des begleitenden politischen Bewußtseins bezüglich der Aufgabe der Regierung war. Zur Herstellung dieses Verhältnisses verzichtete Preuß auch auf eine Ersetzung der Fiktion der über den Parteien stehenden Regierung durch die ähnliche Fiktion eines über der Gesellschaft stehenden Volkswillen. Die Rede vom Volksstaat war daher nicht Ausdruck eines Organizismus, der die Existenz einer politischen Einheit imaginierte. Der von Preuß geforderte Primat des Politischen verlangte die Auffassung, daß eine politische Handlung und Gestaltung, die das Ganze berührte, nicht durch die Fingierung einer einheitlichen oder unabhängigen Stellung erreicht werden konnte, sondern nur als Prozeß der unablässigen Wechselbeziehung diffuser öffentlicher Meinung in ihrer Breite und als Ausdruck gesellschaftlicher Interessen, die aber zwecks politischer Willensbildung und der Fähigkeit zur allgemeinverbindlichen Entscheidung der Organisation bedurften, die wesentlich Aufgabe der politischen Parteien sein mußte. Sie konnten ihre Aufgabe aber nur im Bewußtsein dieses Prozesses der Vermittlung zwischen der öffentlichen Meinung einerseits und der Organisation ihrer Regierungsfahigkeit anderseits erfüllen und lebten daher in doppelter Verantwortung. In Kenntnis dieses Prozeßcharakters politischer Willensbildung nahm daher Preuß auch einen entsprechenden Lernprozeß zur Herausbildung leitender Personen an, die diese Aufgaben in die Hand nahmen. Ihre „Auslese" war nicht durch Examina ihres kameralistischen und bürokratischen Wissensstandes möglich, sondern konnte nur Ergebnis dieses Prozesses ständiger Vermittlung von öffentlicher Meinung, politischer Willensbildung und politischer Entscheidung sein.
5.
Die Rezeption der Preuß" sehen Argumentation
Die Rezeption von Preuß auf linksliberaler Seite war zunächst groß, aber nicht durchschlagend und auch nicht publizitätswirksam.204 Auch die Linksliberalen waren durch patriotisches Empfinden aufgewühlt, aber dadurch nicht eigentlich befriedigt und auf der Orientierungssuche inmitten des vielstimmigen Chores der Sinnstiftung des Krieges. Die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tageblatt, der März oder Erich Eyck in der Hilfe nahmen das Buch von Preuß freundlich auf, aber es kam offensichtlich zu früh, um die von Preuß vorgeschlagene prinzipielle Umorientierung anzuregen. Dafür rezensierte Gerhard Anschütz das Buch von Preuß geradezu euphorisch in den Preußischen Jahrbüchern?05
204 205
vgl. Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 166ff. und Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 131-134. Gerhard Anschütz, Besprechung von Preuss 'Das deutsche Volk und die Politik', in: Preußische
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Aber diese positive Aufnahme, die nicht immer an den Sinn der Preußschen Argumentation heranreichte und aus ihr nur das Postulat einer raschen Parlamentarisierung Deutschlands hervorhob, kontrastierte mit der deutlichen Ablehnung seitens bedeutender konservativ-liberaler Autoren, deren Gewicht in den ersten Kriegsjahren deutlich überwog. Zu den wichtigsten Autoren, die den Obrigkeitsstaat für reformbedürftig, aber auch für reformfahig erachteten, die also keinen Wechsel des leitenden politischen Prinzips der Beamtenregierung wünschten, aber eine funktionale Eingliederung demokratischer Elemente, gehörte Hans Delbrück. Ihm kam vor und während des Kriegs eine herausragende Rolle zu, das Selbstverständnis des Obrigkeitsstaates aus seiner eigenen Logik heraus zu prüfen und zu kritisieren. Hans Delbrück stand der Demokratie als eines integrativen Begriffs skeptisch gegenüber. Demokratie war für Delbrück nicht der Inbegriff seiner Hoffnungen. Das schloß für Delbrück aber nicht aus, sich einzelnen institutionellen Einrichtungen aus dem Gedankenreis der Demokratie aufgeschlossen zu zeigen. Vor dem Krieg konnte Delbrück dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht durchaus einen konstruktiven politischen Sinn abgewinnen, wenngleich er das Pluralwahlrecht präferierte. 206 Delbrück nun erklärte in einem Brief an Hugo Preuß vom August 1916 dessen Idee des Volksstaates noch als „mystisches Phantom" und wies sie zurück. 207 Das hinderte ihn aber auf der anderen Seite nicht daran, in seinen Preußischen Jahrbüchern Gerhard Anschütz die Gelegenheit zu geben, das Buch von Preuß enthusiastisch zu rezensieren. In einem Nachwort zu Anschützens Lobeshymne auf Preuß, distanzierte er sich zu einem gewissen Grade von Preuß. Delbrück betonte, daß er ausdrücklich einige Aspekte des Parlamentarismus als wesentliche Vorzüge ansah, aber im Hinblick auf die Demokratie weiterhin darauf beharrt, daß der tatsächliche Einfluß des Volkes in der konstitutionellen Monarchie des modernen Obrigkeitsstaates größer sei als im Parlamentarismus, wo sich selbst ergänzende Organisationen gerade den Ausschluß dieses Einflusses betrieben. 208 Dies war eine Auslegung der Überparteilichkeit der Obrigkeitsregierung, die sich demokratisch dünkte, weil sie anti-oligarchisch war. Den Grundstein für diese Anschauung hatte Delbrück 1913 gelegt. 1914 hatte Delbrück das Vorlesungsmanuskript aus dem Sommer 1913 zum Thema „Parteien und Parteiregierung" unter dem Titel Regierung und Volkswille veröffentlicht.209 Seine Fragestellung lautete: Wie wirklich ist die Demokratie als Herrschaftsform, und das hieß für ihn: welchen Einfluß hat der Volkswille? Bemerkenswert ist zu-
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Jahrbücher 164 (1916), S. 339-46. Hans Delbrück, Wahl-Reform, in:, Preußische Jahrbücher 115 (1904). Zu Delbrücks Einstellung zum Wahlrecht vor 1914 vgl. Gagel, Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen Parteien, 1958, S. 137-142. Delbrück an Preuß vom August 1916, zitiert aus dem Nachlaß von Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 169. Hans Delbrück, Nachschrift des Herausgebers (zu Anschützens Preuß-Rezension), in: Preußische Jahrbücher 164 (April/ Juni 1916) S. 346. Hans Delbrück, Regierung und Volkswille - eine akademische Vorlesung, 1914, 2. Aufl. unter dem Titel: Ein Grundriß der Politik, Charlottenburg 1920; ins Englische übersetzt von Roy S. MacElwee: Government and the Will of the People, Oxford, New York 1923.
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nächst, daß Delbrück alle substantiellen Definitionen aus dem Volksbegriff ausschloß, hatten sie doch nur die künstliche Ausschließungen von Bevölkerungsgruppen zur Folge (S. 1). Er zählte ausdrücklich die nicht der deutschen Nationalität zugehörigen Bevölkerungsteile, insbesondere die Polen zum deutschen Volk, zum deutschen StaatsbürgerVolk, zum Volk des Deutschen Reiches.210 Das deutsche Reich war ein historisches Gebilde, und der Staat ein politischer Begriff, der keiner national orientierten Gesinnung bedurfte. Er bedurfte aber der Masse, d. h. der Zustimmung des überwiegenden Teiles der Bevölkerung. Delbrück erklärte dies gleichfalls historisch, und zwar aus dem Vorbild der Napoleonischen Befreiungskriege. Ohne die Unterstützung des Willens der Mehrheit der Bevölkerung konnte der moderne Staat nicht existieren (S. 45). Die Frage war nun, inwiefern diese willentliche Zustimmung hergestellt und überhaupt erkannt werden konnte. Hier nun unterschied Delbrück scharf zwischen der willentlichen Zustimmung und dem tatsächlichen Einfluß des Volkswillens. Er lehnte ihre Identifizierung ab. Seine Rezeption der modernen politische Theorie Englands und ihrer analytischen Kritik der institutionellen Mängel des Parlamentarismus, der politischen Parteien und der Grenzen der Verwirklichung des normativen Anspruchs der Demokratie (S. 69ff.) führte ihn zur generellen Aussage, wonach die klassischen Methoden der Einflußgewähr des Volkswillen im Parlamentarismus und der Abstimmung trogen. Delbrück präsentierte eine Rechnung, die später Carl Schmitt der Weimarer Republik aufstellen sollte, in welcher der Vergleich der numerischen Mehrheit und der den Mehrheitswillen tatsächlich kreierenden Mehrheit stets nur eine größere Minderheit, nicht aber die absolute Mehrheit erforderlich machte (am Beispiel der Präsidentenwahlen in den USA). Die Volkswahl diente seiner Auffassung nicht dazu, dem Volkswillen unmittelbar Geltung zu verschaffen, sondern zur Selbstergänzung politischer Gruppen, die die politische Willensbildung leisten sollten (S. 72ff.). Gleichwohl war deswegen der Volkswille nicht Fiktion, sondern Horizont politischer Betätigung: Jede Regierung, gleich welcher Staatsform sie entsprang, mußte eine ausreichende „Fühlung" mit den Massen unterhalten, um deren Unterstützung zu sichern (S. 74). Insofern konnte auch der Obrigkeitsstaat demokratisch sein, wenn er es schaffte, sich der Zustimmung des Volkswillens zu versichern, war aber den Nachteilen der demokratischen Kreierung der Regierungsbildung nicht unterworfen, wenn er nicht ständig von dieser Zustimmung abhängig war. Betrachtete man die Verhältnisse unter dieser Perspektive, dann konnte man zu dem Ergebnis kommen, daß der unmittelbare Einfluß des Volkes in der konstitutionellen Monarchie, im modernen Obrigkeitsstaat gering war, aber sein Gewicht groß. Denn der tatsächlich mögliche Einfluß war Delbrück zufolge in jedem modernen Staat mit riesigen Bevölkerungsmassen gering, aber im Parlamentarismus und dem Parteienregime kam noch hinzu, daß dieser Einfluß mediatisiert wurde durch die Mächte, die sich zwischen Regierung und Volk schoben. Das war ein altes Argument aus der Theorie von Rousseau. Ferner beklagte Delbrück die mangelnde Geltung demokratischer Werte in den politischen Parteien, die Delbrück von Michels übernahm, den er umfangreich rezipierte (S. 76ff). Aber Delbrück argumentierte deswegen nicht im Sinne des autoritären Obrigkeitsstaates. Seine Parteikri-
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Diese schon länger vertretene Auffassung hatte ihm u. a. die harsche Kritik Max Webers eingetragen, vgl. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 41 u. ö.
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tik dient nicht der herkömmlichen Argumentation, die die Beamtenregierung vor dem Hintergrund der Mängel der parlamentarischen Demokratie gerechtfertigt sah. Er lehnte ausdrücklich folgende Überlegung ab: „Das Beamtentum ist die politische Intelligenz, ihm und dem König, der für sich und seine Familie am besten sorgt, wenn er für das Wohl des Staates sorgt, ihnen wollen wir uns anvertrauen" (S. 186). Der KreuzzeitungsKonservatismus vergaß nämlich, daß der Staat aus sich heraus der Fühlung mit dem Volk dringend bedurfte. Delbrück bezweifelte die Möglichkeit einer tatsächlichen „politischen Gesinnung" des Beamtentums. Delbrück war sehr skeptisch, ob Beamte in der Lage sein konnten, die vielen wirkenden politischen Kräfte und zu berücksichtigenden Faktoren einzuschätzen, gab es doch hierfür keine Vorschriften, sondern es bedurfte der in Erfahrung gereiften politischen Urteilskraft. Auf der anderen Seite hob Delbrück die „natürlichen Grenzen" eines Monarchen hervor, die in den „zufälligen Schranken seiner Subjektivität" lagen (S. 187). Daher bedurfte es seiner Ansicht nach des steten Antriebs und der Kontrolle der öffentlichen Meinung, ausgeprägt in den Wahlen der breiten Massen zu einer Volksvertretung (S. 187), und damit der gleichberechtigten Anerkennung der politischen Funktion des Parlamentes bei gleichzeitiger Zurückweisung dessen Anspruchs auf parlamentarische Regierung (S. 187). Erfolgte dies, dann schien Delbrück die gegenwärtige politische Verfassung Deutschlands als die von allen Staatsformen der Welt geeignetste zu sein (S. 186), das soziale und politische Problem der Demokratie ohne anti-demokratische Politik lösen zu können. Delbrück hatte wie Preuß eine nüchterne und zunächst interessenfreie Perspektive auf das Wahlrecht an den Tag gelegt. „Die allgemeine Gleichheit des Wahlrechts besagt also in Wirklichkeit das freie Spiel der vorhanden politischen und wirtschaftlichen Kräfte, sowohl der guten wie der bösen".211 Er warnte in seiner kritischen Betrachtung der Behandlung der Wahlrechtsfrage bei Liberalen und Konservativen davor, Ursache und Wirkungen zu verwechseln. Zwar führe das allgemeine Wahlrecht letztlich zum Cäsarismus statt zu einer „konstitutionellen Mitregierung", aber dies liege nicht am Wahlrecht selber, sondern an der unleugbaren Tatsache der Massengesellschaft. Die Frage war nicht, ihr politisches Gewicht mit künstlichen Mitteln des Wahlrechts zu reduzieren, sondern über ihre Integration nachzudenken. Diese Aufgabe galt sowohl für die Politik wie für die politische Theorie. In diesen Überlegungen konnte das demokratische Wahlrecht eine konstruktive Rolle spielen, wenn es nicht ausschließlich im Rahmen des Parlamentarismus verstanden wurde, sondern im gesamten Kräfteparallelogramm der politischen Mächte der Innenpolitik Impulsgeber war.212 Preuß und Delbrück trafen sich in der Frage der Begrenzung des politischen Horizontes der Beamtenregierung und der Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung der geäußerten Interessen der Bevölkerung an politischer Beteiligung. Preuß wagte es zu recht, bei Delbrück auf ein weitaus größeres Verständnis zu hoffen als bei Schmoller
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Hans Delbrück, Das allgemeine Stimmrecht, in: Preußische Jahrbücher 72 (1893), S. 377-384, S. 383. Hans Delbrück, Preußische Jahrbücher 123 (1907), zitiert bei Annelise Thimme, Hans Delbrück, 1955, S. 72.
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oder Below und trat in einen Briefwechsel mit ihm ein.213 In einer Rede des gleichen Jahres folgte Preuß ausdrücklich Delbrücks Kritik an dem parlamentarischen Regierungssystem des Westens, die er noch vor dem Krieg geübt hatte, ein Stück des Weges. Die Verteidigung westlicher Vorbilder war nicht der ihn eigentlich interessierende Punkt.214 Wenn man mit Delbrücks Regierung und Volkswille auf die Unmöglichkeit einer politischen Freiheit im Sinne der Identität von Regierungs- und Volkswillen hinwies und mit Delbrücks Kritik an der mangelnden Verwirklichung dieses Problems in England und Frankreich ein gutes Stück mitgehen konnte, so verlangte Preuß jedoch zugleich, mit dem Nachweis der theoretischen Unmöglichkeit eines institutionell wahren Volkswillens nicht zugleich die Notwendigkeit einer zu organisierenden Übereinstimmung der Regierung mit dem Volkswillen zu ignorieren. Die mangelnde Identität von Regierung und Volkswille enthob nicht von der Aufgabe, ihre Übereinstimmung zu organisieren und statt dessen die parteiunabhängige Regierung für den besseren Exponenten des Volkswillens zu erklären (S. 20). Hilfreich hierfür konnte die öffentliche Meinung sein, aber auch diese war in Preuß' Augen völlig unterentwickelt in ihrem politische Urteilsvermögen und entbehrte vor allen Dingen dessen, was hinfort die Schlüsselstellung der weiteren Argumentation einnehmen sollte: den Sinn fur politische Verantwortung. Deswegen geht es in die Irre, einen polaren Gegensatz zwischen Delbrück und Preuß zu behaupten und Delbrücks Buch der Vorkriegszeit als Gegenschrift zu Preuß Das deutsche Volk und die Politik zu feiern, wie Gustav Schmoller es im Krieg tat.215 Preuß und Delbrück standen nicht unüberbrückbar fern zueinander. Schmoller mißverstand nicht nur Preuß' Anliegen, sondern legte auch Delbrück falsch aus. Las man nämlich - wie Schmoller dies tat - Preuß' Anliegen als „demokratische Verherrlichung des Volkswillens" (S. 427), dann mochte Delbrücks Buch von 1914 als sein vollständiger Gegensatz begriffen werden können, hatte doch Delbrück die Fiktionalität des Volkswillens aufzeigen wollen. Aber Schmoller vermeinte darüber hinaus, in Delbrück einen Anhänger der Obrigkeitsregierung und der in ihr vertretenen Beamtenintelligenz gefunden zu haben, der die westlichen Modelle des Parlamentarismus verworfen hatte, weil sie nur die Masse als Macht repräsentierten (S. 429f.). Darin irrte Schmoller allerdings erheblich. Denn Delbrück war in dem genannten Buch sogar der Auffassung, daß der Einfluß der Demokratie in Deutschland höher sei als im Westen und auch deswegen begrüßenswert, weil die Masse als Macht dahinter stünde, während er nie eine Obrigkeitsregierung unterstützt hatte, die sich nur durch ihre höhere (Beamten-)Intelligenz auszeichnete.
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Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 166ff. Hugo Preuss, Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung, in: ders., Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 2 Vorträge vom 6. und 8. April 1916 in Wien Jena 1916, S. 1-25, S. 20. Gustav Schmoller, Obrigkeitsstaat und Volksstaat - ein mißverstandener Gegensatz, in: Schmollers Jahrbuch 40 (1916) S. 2031-2042. Auch Döring sieht hier die großen Gegenpole markiert zu sehen und Mommsen erkennt in Delbrück den Idealtypus der demokratiefeindlichen Tradition deutschen Freiheitsdenkens: vgl. Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 166ff. und Mommsen, Die „deutsche Idee der Freiheit", 1992.
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Es ist aufschlußreich für das Verständnis der Position von Delbrück als bedeutender Verfechter des Idee eines „modernen" Obrigkeitsstaates, seine Überlegungen mit der etwa zeitgleich erfolgenden Argumentation des Historikers Otto Hintze zu vergleichen, der mit seinen Studien zur Geschichte des preußischen Beamtentums zu den intimsten Kennern der Geschichte des preußischen Staates zählte und seinem Gegenstand auch kongenial zugetan war. In ihren Ergebnissen waren sie einander sehr ähnlich: Beide befürworteten den Obrigkeitsstaat als die angesichts der Probleme der Demokratie modernste politische Ordnung. Aber die Einstellung zur Demokratie selber war sehr unterschiedlich, und damit waren auch die Potentiale, den Gedanken der Demokratie weiter und stärker in die politische Ordnung zu integrieren, sehr verschieden entwickelt, wie der Weltkrieg schließlich zeigen sollte. Hintze interpretierte die Tradition des Gesellschaftsvertrages nicht als gegenseitige normative Verpflichtung aller Personen, das erschien ihm Ausdruck eines zweifelhaften und unpolitischen Doktrinarismus zu sein. Der Sinn der Gesellschaftsvertragsidee lag ihm zufolge vielmehr in der Verpflichtung der Regierung gegenüber dem Ganzen, ob in der Demokratie oder in der Monarchie. Was für Delbrück Ausgangspunkt seiner Zurückweisung der reinen Demokratie gewesen war, galt auch für Hintze: „Es ist eine Fiktion, daß das Volk sich selbst regiert".216 Wenn in diesem Sinne die Güte der Regierungsweise nicht von der personellen Mitwirkung der Bevölkerung abhing, konnte es ein besonderes Gewicht haben, zu behaupten, daß die monarchische Beamtenregierung dem Parteiregime gegenüber einen Vorteil durch die Stetigkeit der Regierungspolitik und ihrer Unabhängigkeit von wechselnden Parteimehrheiten hatte (S. 403), zumal die Auswahl der Beamten stärker von partei- und damit patronageunabhängigen Gesichtspunkten erfolgen konnte. Gerade die Zuschreibung einer spezifischen Überparteilichkeit der Beamtenregierung gehörte zu den am meisten überzeugenden Argumenten zugunsten des Obrigkeitsstaates.217 Die Einordnung politischer Parteien in die politische Ordnung des Kaiserreichs wurde aus der Perspektive eines Staatsbegriffes vorgenommen, der aus der Differenz zur Gesellschaft gewonnen wurde. Die politischen Parteien waren organisierter Ausdruck der Gesellschaft und nur insofern politisch, als sie aus der Gesellschaft kommend sich in die Sphäre des Politischen hinein bemühten. Die Sphäre des Politischen selbst war nichts anderes als die des Staates, der sich wiederum als Gegensatz zur Gesellschaft verstand. Daher war die allgemeine Auffassung, wonach der Staat über den Parteien stünde, nichts anderes als die konsequente Ableitung aus dieser Unterscheidung. Sie war in ihrer praktischen Wirkung die „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates".218 Sie war eine Lebenslüge, wie Radbruch mit Bedacht formulierte, d. h. sie hielt die politische Existenz des Kaiserreichs im Rahmen ihres Selbstbildes am Leben, sie war also konsequenter und nicht gewillkürter Ausdruck des politischen Denkens dieser Zeit.
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Otto Hintze, Das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten, in: Gesammelte Abhandlungen, Band I, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 39(M23, S. 402. Witt, Konservatismus als 'Überparteilichkeit', 1983. Gustav Radbruch, Die politischen Parteien im System des deutschen Verfassungsrechtes, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts Band 1, Tübingen 1930, S. 285ff., S. 289.
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Otto Hintze faßte die Kritik wie folgt zusammen: „Bei uns sind die Parteien eigentlich keine politischen, sondern mehr wirtschaftlich-soziale oder religiös-konfessionelle Bildungen. Das hängt damit zusammen, daß es eigentlich das Leben der bürgerlichen Gesellschaft ist, im Gegensatz zum eigentlich politischen Betrieb, was in unseren Volksvertretungen zu Worte kommt...Das ist aber eine Gestaltung des Parteiwesens, die mehr zu monarchischer Staatsleitung als zu parlamentarischem Einfluß führt".219 Hintze war ehrlich genug, die Möglichkeit zuzugeben, daß die von ihm als „Entartung des Parteiwesens" (S. 378) bezeichnete Entwicklung ihrerseits zumindest zum Teil eine Folge der geringen Beteiligung der Parteien an der Macht sei und daß es „kein besseres Erziehungsmittel für das Parteiwesen" gebe als gerade die „parlamentarische Regierungsweise",220 die sogar eine Stärkung der Staatsmacht ermöglichen könnte. Ferner hielt er eine völlige Unabhängigkeit der Regierung vom Einfluß der Parteien und damit der Gesellschaft für weltfremd und gefährlich (S. 456). An dieser Stelle verweigerte sich Hintze aber charakteristischerweise einer solchen Machtbeteiligung, da sie der weiteren Demokratisierung Vorschub leisten würde, die er keineswegs mit Hilfe einer parlamentarischen Regierung gefordert sehen wollte. Otto Hintze und die Anhänger eines modernen Obrigkeitsstaates sind Beispiele für die zwiespältige Haltung, die ein Theoretiker angesichts seiner Gegenwart einnehmen konnte. Hintze ging vom unabwendbaren „Geschick der Demokratisierung" aus, welche durch die Industrialisierung bedingt war. Es stellte sich nur die Frage, in welchen Bahnen diese Veränderungen erfolgten und zu welchem Ziel. Die Demokratisierung war vielleicht „ein unabwendbares Geschick der moderne Welt", meinte er, „aber ein Glück oder ein zu erstrebendes Ziel ist sie nicht, und vor allem dann nicht, wenn sie sich in zu schnellem Tempo vollzieht. Hier gilt es, wenn die Tendenz im ganzen auch nicht aufzuhalten ist, mehr retardierend als stimulierend zu wirken. Nur ein langsamer Fortschritt auf dieser Bahn kann ersprießlich sein ...".221 Andererseits mußte auch die Retardierung dem Retardierten angemessen sein. Hindernisse einer Demokratisierung Deutschlands erblickte Hintze in der starken sozialen Segmentierung, den „starken Spaltungen im Volkskörper". Sie hinderten die politische Selbstregierung, wie sie in den USA oder England oder Frankreich beobachtbar sei, wo „bei innerer Einheit und starkem Solidaritätsgefühl ein minderes Maß von Zwang in der Leitung des Gemeinwesens möglich und ausreichend ist".222 Eine bloße Defensive des Obrigkeitsstaates gegen Veränderungen reichte nicht aus. Rückgriffe auf eine „legitimistisch-religiöse Idee", die Hintze am spätwilhelminischen Byzantinismus beobachtete, schienen ihm nicht „der demokratischen Entwicklungstendenz der Gegenwart" gewachsen zu sein.223 Denn mochte man diese Entwicklung auch voller Sorge beobachten, sie 219 220 221 222 223
Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Gesammelte Abhandlungen, Band I, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 359-389, S. 378. Otto Hintze, Das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten, in: Gesammelte Abhandlungen, Band 1, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 390-423, S. 455, vgl. schon 378. Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Gesammelte Abhandlungen, Band 1,2. Aufl. Göttingen 1962, S. 359-389, S. 378f. Otto Hintze, Machtpolitik und Regierungsverfassung, in: Gesammelte Abhandlungen, Band I, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 424-456, S. 440. Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Gesam-
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war unabwendbar, weil eine der fundamentalen geschichtlichen Entwicklungstendenzen nun einmal die „fortschreitende Befreiung der Massen" war, mitsamt der „ A u s g l e i c h u n g und Verbreiterung der sozialen Basis, auf der die Staaten beruhen".224 Der Obrigkeitsstaat sollte Hintze zufolge offensiv auf diese Entwicklung reagieren und sie nicht reaktionär nur hemmen wollen. Hintze verlangte daher einen Rückgriff auf die friderizianische Tradition des Staatsverständnisses, in welcher der Satz vom ersten Diener des Staates die Stellung des Monarchen als Königsamt bestimmte, der sein Handeln am Primat der Staatsräson nach innen wie außen orientierte. Der Kaiser und König mußte sich als ein „Organ des Staates" verstehen (S. 389). So gesehen sollte es weder ein „persönliches Regiment" noch ein „Parteiregiment" geben. Die „konstitutionell-monarchische Regierungsweise" wollte nicht nur ein Organverständnis des Königs bzw. Kaisers, sondern auch eines der Parteien. Regierung und Volksvertretung sollten „beide nur Organe des unpersönlichen, über ihnen stehenden Staates" sein.225 Die Überparteilichkeit war das normative Ideal des Staates. Dabei kam es zum Teil zu völlig aus der Luft gegriffenen Behauptungen bezüglich der politischen Ordnung des Kaiserreichs, so wenn später der Staatsrechtslehrer Erich Kaufmann ausgerechnet im Bundesrat das Organ der Überparteilichkeit erblicken wollte: „Im Bundesrat sollen staatliche, d. h. über den Parteien stehende Mächte ihr Organ finden neben dem Reichstage, in dem sich auf Grund seines freien Wahlrechts die aus dem Leben der reich gegliederten Gesellschaft hervorgehenden Parteien tummeln können und tummeln sollen".226 Dieses Beispiel zeigt aber zugleich, daß der Föderalismus nicht nur aus der alten Tradition der Eigenstaatlichkeit heraus verteidigt wurde, sondern als institutionelles Gegengewicht zum gesellschaftsbezogenen Reichstag und der dort agierenden politischen Parteien. Die Konzentration auf den Staatsbegriff hatte aber nicht nur für das Selbstverständnis des Monarchen Konsequenzen, sondern auch für das Verhältnis von Staat und Nation. Delbrück wie Hintze konnten nationale oder nationalistische Erwägungen in den Hintergrund drängen. Beide vertraten die „Tradition des pränationalen Etatismus".227 Delbrück besaß als Kriegshistoriker einen Sinn für die kriegerische Bewährung des Staates im zwischenstaatlichen Konflikt. Aber Delbrück zog daraus ganz andere Schlüsse als Hintze. Daher vermochte er es, aus einer ganz nüchternen Perspektive den Stellenwert der Demokratie für den Obrigkeitsstaat konstruktiv und nicht negativ zu formulieren. Denn für Delbrück hatte die Masse einen realpolitischen, nicht normativen Anspruch auf formelle oder informelle Mitwirkung, einfach weil Masse Macht sei und ohne Masse kein Staat auskommen könne.228 Für Delbrück gewährleistete die Beamtenregierung durch
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melte Abhandlungen, Band I, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 359-389, S. 389. Otto Hintze, Roschers politische Entwicklungstheorie (1897), in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Band II, 2. Aufl. Göttingen 1964, 3ff., S. 30. Otto Hintze, Das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten, in: Gesammelte Abhandlungen, Band I, 2. Aufl. Göttingen 1962, S. 390-423, S. 395. Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Berlin 1917, in: ders., Gesammelte Schriften, Band I, Göttingen 1962, S. 143-223, S. 82. Köhler, Bildungsbürgertum und nationale Politik, 1970, S. 76. Hans Delbrück, Regierung und Volkswille, 1914, S. 131.
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ihre Überparteilichkeit nicht nur Stabilität, sondern auch im Gegensatz zu den Parteien, die die Klasseninteressen der sozial segmentierten Bevölkerung repräsentierten, die Formulierung des „Gemeinwohls" unabhängig und „über den sozialen Klasseninteressen" (S. 403). Das Gemeinwohl verlangte für Delbrück allerdings politischen Sinn, den er gerade in der reinen Beamtenregierung vermißte. Gerade in der Aufnötigung politischen Sinns hatte die Demokratie bei Delbrück ihren Stellenwert auch für den Staat. Die vielgelobte Sozialgesetzgebung der Beamtenregierung wäre Delbrück zufolge nie zustande gekommen ohne den mittelbaren Druck der im Parlament vertretenen Demokratie. Insofern sah Delbrück keinen substantiellen Gegensatz zwischen Liberalismus und Demokratie oder zwischen dem Obrigkeitsstaat und Formen seiner Vitalisierung durch Demokratisierung einzelner Institutionen. Das war bei Wilhelm Hasbach ganz anders. Hasbach war der energischste Vertreter der Auffassung, wonach Liberalismus und Demokratie zwei getrennte politische Ideen waren und der Liberalismus im Obrigkeitsstaat besser aufgehoben war als in einer parlamentarischen Demokratie. Hasbachs Studie über die Moderne Demokratie229 war die bis dahin umfassendste deutschsprachige Schrift zur Geschichte und zum Erscheinungsbild der Demokratie in seiner Gegenwart und fußte auf fundierten Quellen- und Literaturkenntnissen der demokratischen Länder. Damit war er zugleich der vielleicht kenntnisreichste Demokratietheoretiker des Kaiserreichs. Er wendete diese Kenntnis systematisch zur Postulierung eines unüberwindlichen Gegensatzes von Liberalismus und Demokratie an. Sein Befund war eindeutig: Obwohl die Demokratie die jüngste moderne Entwicklung war und in ihrem weiteren Vordringen unaufhaltsam erschien, führt sie im Vergleich zum konstitutionell-monarchischen System des Obrigkeitsstaates in allen wesentlichen Punkten unter liberalen Gesichtspunkten zu normativ schlechteren Ergebnisse (S. 577-607), und zwar vor allen Dingen in der Frage des besseren Schutzes individueller Freiheit. Hasbach verfolgte eine analytische Trennung zwischen „politischer" (S. 290-332) und „sozialer Demokratie" (S. 333-357): Nur letztere galt ihm als unaufhaltsam, wurde aber dann bedrohlich, wenn sie im „Mechanismus der modernen Demokratie" (S. 441-576) auch zur politischen Herrschaft der Demokratie führte. Wahl- und Stimmrecht, Berufspolitikertum und Parteienherrschaft sind die Krux der sich selbst verwirklichenden Demokratie, während die Freiheit und Gleichheit als normative Leitvorstellungen des demokratischen Gedankens unter den modernen Bedingungen in der konstitutionellen Monarchie ihren angemessensten institutionellen Rahmen finden. Ferner fällt die Leistungsfähigkeit der Demokratie gegenüber dem konstitutionell-monarchischen System zurück, die Selbstverwaltung ist dort auf geringerem Niveau und zudem korruptionsanfallig, die freiheitlichen Grundrechte werden hier besser geschützt als dort (S. 582f.). Hasbach folgerte daraus einen fundamentalen und institutionell unüberbrückbaren Gegensatz von Liberalismus und Demokratismus (S. 584f.). Hasbach faßte seine Darstellung, die der Widerlegung der Behauptung gewidmet war, die Demokratie sei aufgrund ihrer größeren normativen Legitimität als Staatsform eines freien Volkes im Verhältnis zum wilhelminischen Konstitutionalismus vorzuziehen, in folgenden Worten
229
Wilhelm Hasbach, Die moderne Demokratie - eine politische Betrachtung, 2. unveränderte Aufl. 1921.
1. Aufl. Jena 1912,
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zusammen: „Unbegründet ist die Annahme, daß die moderne Demokratie aus einem inneren, alle Widerstände niederwerfenden Drange der Volksseele nach politischer Selbstbestimmung geboren sei ...Wir erkannten zweitens, daß die Konstruktion keiner demokratischen Staatsform derjenigen des liberalen Staates, d. h. der konstitutionellen Monarchie, überlegen ist. [Abs.] Der Staat soll durch vernünftige Einsicht gelenkt werden, der demokratische Staat wird durch den Volkswillen gelenkt, der sich in Wahlen kundgibt. Auf den Ausgang der Wahlen sind von Einfluß Unkenntnis, Irreführung, Bestechung, erregte Leidenschaft. Irrationale Kräfte bestimmen folglich in der Demokratie den Gang der Staatsgeschäfte stärker als in der konstitutionellen Monarchie, wo der von den besten Räten unterrichtete Fürst und eine erste Kammer ein Gegengewicht gegen das Unvernünftige bilden können" (S. 579). Aus der sozialen Demokratie erwachsen Probleme der politischen Ordnung, die mit demokratischen Mitteln nicht nur nicht gelöst, sondern verstärkt werden. Dem Obrigkeitsstaat fallt also in der modernen Massengesellschaft die Aufgabe zu, die Freiheit vor dem Zugriff unkontrollierbarer demokratischer Ansprüche zu schützen, und zwar im Interesse der sich selber demokratisch artikulierenden Bewegungen. Eine der wenigen Stimmen, die Hasbach eine selektierte Wahrnehmung der Demokratie und einen stets schon zugrunde gelegten Gegensatz von Liberalismus und Demokratie vorhielten, war der junge Franz Schnabel. In einer 1915 veröffentlichten Rezension der Modernen Demokratie warf Schnabel Hasbach seine tendentiöse Darstellung der Demokratie vor, die den steten Vergleich der Demokratie mit der konstitutionellen Monarchie immer nur einseitig zugunsten letzterer profilierte.230 Aber Hasbachs Ausfuhrungen konnten eine hohe Überzeugungskraft ausstrahlen, da sie vereinbar war mit einer lange tradierten Sichtweise des Obrigkeitsstaates als eines um das soziale Wohl der Bevölkerung besorgten, zur besseren Ausübung dieser Sorge aber von der politischen Beteiligung der Bevölkerung möglichst unabhängig gemachten Beamtenregierung: die Vorstellung eines „sozialen Königtums". Typisch für diese Argumentation war die Verteidigung des autoritären Obrigkeitsstaates bei Gustav Schmoller, dem Lehrer Alfred Webers, der auch während des Krieges die Fahne des modernen Obrigkeitsstaates auf dem Hintergrund des sozialen Königtums hochhielt.231 Die Idee des sozialen Königtums gehörte zu den wirkungsreichsten Vorstellungen vom Obrigkeitsstaat.232 In einer weiten Spanne des normativen Anspruchs und der politischen Orientierungslosigkeit predigte sie ein bestimmtes Ideal des Staates, das nur dem Prinzip nach begründet wurde, dessen Anschlußfähigkeit an die Anforderungen der modernen Industriegsellschaft aber nicht ausreichend reflektiert wurde. Für Gustav 230 231
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Franz Schnabel, Rezension von Hasbachs „Moderner Demokratie", in: Zeitschrift für Politik 8 (1915) S. 279f. „Die Idee vom sozialen Königtum...saß fest im Geiste Schmollers und bildete das Zentrum seiner politischen Überzeugungen...Er sah überhaupt den Staat mehr unter dem Gesichtspunkt der sozialen Wohlfahrt und Gerechtigkeit als unter dem der Macht": Otto Hintze, Gedächtnisrede auf Gustav Schmoller am 14. Juli 1918, in: Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil-hist. Klasse, Berlin 1918, S. 13f., zitiert nach Köhler, Bildungsbürgertum, 1970, S. 82. Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens, 1969.
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Schmoller war die soziale Frage „eine sittliche Culturfrage",233 sie soll auch die unteren Schichten der Gesellschaft zu kultivierter Humanität verhelfen (S. 423). Diese Aufgabe vermag nur der Staat zu vollbringen, es ist zugleich seine epochale Aufgabe und in diesem Sinne erscheint der Staat als „das großartigste sittliche Institut zur Erziehung des Menschengeschlechts"234. Fortschritt ist sittlicher Fortschritt, d. h. ökonomische und soziale Verwirklichung der „Idee der sozialen Gerechtigkeit", woraus die Forderung nach Reformen abgeleitet wurde, die nach den Erwartungen und Wertungen der Bevölkerung, d. h. den „sittlichen Ideen"235 erfolgen sollte. Innerhalb dieses Verständnishorizontes wurden Kultur und Humanität ganz nach bürgerlich-liberalen Gesichtspunkten inhaltlich gefüllt,236 der sittliche Fortschritt wurde darin gesehen, das Proletariat zu verbürgerlichen, d.h. es sollte nach Maßgabe dieser gesellschaftlichen Norm integriert werden. Bismarck war zu wenig idealistisch, seine Politik zu „opportunistisch".237 Sein Begriff des „öffentlichen Wohls" war nicht politisch, sondern sozial. Aber gerade deswegen konnte das öffentliche Wohl nur durch eine unabhängig von den politischen Parteien gebildete Regierung vertreten werden: „Es gibt für uns keine andere Möglichkeit als Beamtenminister".238 Der Blick auf die instabilen Verhältnisse in Italien und Frankreich diente der Bestätigung der Argumentation. Die Instabilität wurde aber nicht als mangelnde Leistung der Parteien gesehen, sonst hätte sich die Kritik an deren Organisation und Integrationsleistung wenden müssen. Es war stets die soziale Demokratie, die als Hintergrund und Ursache der beobachteten Instabilität behauptet wurde und die Auffassung, daß die mit der Demokratie einhergehende Unsicherheit nicht aus sich heraus bewältigt werden konnte, sondern einer davon unabhängigen politischen Institution bedurfte: des autoritären Obrigkeitsstaates. Schmoller wollte allerdings, daß die Beamtenregierung der bedrohlichen sozialen Demokratie mit Geschmeidigkeit und Reformwillen begegnet. Dazu zählte vor allen Dingen die Reform des Preußischen Wahlrechts, die Schmoller dringend notwendig erschien, um der demokratischen Welle etwas an Schwung zu nehmen. Was würde aber geschehen, wenn die Modernisierung des Obrigkeitsstaates ausblieb? Gustav Schmoller drückte sein Unwohlsein in Erinnerung an ein Lassalle-Wort aus. „Nicht ohne Sorge sieht der Patriot in die Zukunft. Die Wahlrechtsreform ... muß kommen. Wenn die Monarchie mit einem gebildet-gemäßigten, über den Parteien und Klassen stehenden Beamtenministerium sie nicht durchführt, so wird die demokratische Flut sie in die Hand bekommen. Nur diese beiden Möglichkeiten stehen zur Wahl. Tertium non datur. Das 233 234
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Gustav Schmoller, Die Arbeiterfrage, in: Preußische Jahrbücher 14 (1864) S. 413. Gustav Schmoller, Eröffnungsrede auf dem Eisenacher Treffen des Vereins für Socialpolitik 1872, in: ders., Zur Soziai- und Gewerbepolitik der Gegenwart - Reden und Aufsätze, Leipzig 1890, Iff. S. 9. Gustav Schmoller, Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft, in: Schmollers Jahrbuch 5 (1881) S. 29ff. Müssigang, Die soziale Frage, 1968. Gustav Schmoller, Vier Briefe über Bismarcks sozialpolitische und volkswirtschaftliche Stellung und Bedeutung, Leipzig 1899, S. 25. Gustav Schmoller, Deutschlands und Preußens äußere und innere Politik in der Gegenwart, in: Wiener Neue Freie Presse vom 4. April 1907.
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alte Wort, das auch Lassalle der Reaktion entgegenschleuderte, kommt einem unwillkürlich in Erinnerung: Flectere si ñeque superóos, Acheronta movebo".239 Die Erinnerung an jenes aus Vergils Aeneis entnommene Motto Lassalles zu seinem Werk über den Italienischen Krieg, sollte daran gemahnen, daß es auch andere Möglichkeiten gab, den Staat zu reformieren, als auf sein konservatives Fundament zu vertrauen. Seit Onckens Arbeiten240 war die politische und gedankliche Nähe des ersten Führers der politisch organisierten Arbeiterschaft, Ferdinand Lassalle zum modernsten Konservativen seiner Zeit, Bismarck, bekannt und in aller Munde. Schmoller setzte also auf die Reformfahigkeit von oben, um den revolutionären Kräften von unten zu wehren. Aber auch Schmoller glaubte, daß die Vermeidung der Demokratisierung nicht unmittelbar dem von ihm gewünschten öffentlichen Wohl zugute kam, sondern gleichzeitig auch die Privilegierung von sozialen Positionen zur Folge hatte, die ihre Privilegien nicht durch die Förderung des Allgemeinwohls sozial rechtfertigten. Daher blieb Schmoller in der Frage des parlamentarischen Hebels der Demokratie kompromißlos, aber in der Frage des Zugangs zu diesem unparlamentarischen Parlament, das beriet, aber nicht entschied, machte Schmoller Front gegenüber der intransigenten Reaktion und befürwortete die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts.241 Während des Weltkrieges zeigte sich aber eine andere Abwehrhaltung gegen die Demokratisierung, die in der Kritik an der von Preuß 1915 vorgebrachten Argumentation sichtbar wurde. Preuß hatte dem preußischen Obrigkeitsstaat zum Vorwurf gemacht, daß er die formale Rechtsgleichheit unterlaufe, indem er bestimmte Bevölkerungsteile aufgrund von Abstammung, religiösem Bekenntnis, Gesinnung oder Betätigung in der Arbeiterbewegung ausschließe.242 In Schmollers Rezension wurde dieser Aspekt auf die Frage der Berechtigung des Ausschlusses des jüdischen Bevölkerungsteiles beschränkt.243 Darin kam nicht nur ein unter Gelehrten weitverbreitetes antisemitisches Ressentiment zum Ausdruck, sondern auch das Ressentiment gegenüber einer bestimmten großstädtischen Kultur des Politischen. Der antisemitische Grundtenor in Schmollers Rezension führte zu einer Kontroverse in der Tagespresse, die Schmoller in einem weiteren Aufsatz zu besänftigen suchte, dabei unterstrich Schmoller aber nicht nur seine rassisch orientierte Argumentation,244 sondern brachte auch das andere Ressentiment zur Sprache: dasjenige gegen Berlin als Symbol großstädtisch geprägter Politik, in welcher fortschrittlicher Konservatismus und Liberalismus ebenso wie die Sozialdemokratie im Verhältnis zum übrigen preußischen Deutschland führend waren. Er bezeichnete Preuß als einen „der Häuptlinge des Berliner kommunalen Freisinnes ..., der, sozial auf semitischer Millionärsbasis beruhend [gemeint ist vor allen Dingen die Presse], unsere Haupt239 240 241 242 243 244
Gustav Schmoller, Die preußische Wahlrechtsreform von ¡910 vor dem Hintergrund des Kampfes zwischen Königtum und Feudaiität, in: Schmollers Jahrbuch 34 (1910) S. 1261ff., S. 1279. Hermann Oncken, Lassalle, 3. Aufl. 1920. Gustav Schmoller, Die preußische Wahlrechtsreform von 1910 vor dem Hintergrund des Kampfes zwischen Königtum und Feudaiität, in: Schmollers Jahrbuch 34 (1910) S. 126Iff., S. 1279. Preuß, Das deutsche Volk und die Politik, S. 194ff. Gustav Schmoller, Obrigkeitsstaat und Volksstaat - ein mißverstandener Gegensatz, in: Schmollers Jahrbuch 40 (1916) S. 2031-434, S. 425ff. Gustav Schmoller, Zur heutigen Judenfrage, in: Schmollers Jahrbuch 41 (1917) S. Iff.
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Stadt mehr oder weniger beherrscht" (S. 424) und der sich darüber beklage, „daß es ungerecht und schädlich für Staat und Gesellschaft sei, daß ihr eng zusammenhaltender Kreis die Universitäten, das Heer, das hohe Beamtentum noch nicht so unbedingt beherrsche, wie das bezüglich der Stadt Berlin und ihrer Verwaltung der Fall ist". Schmoller widerlegte sich selber, wenn er vor allen Dingen Gerhard Anschütz zu den Anhängern der Preuß'schen Thesen zum Volksstaat hervorhob, war doch Anschütz weder jüdisch noch berlinisch geprägt, jedoch mit zunehmender Entwicklung ein Anhänger der Ideen von Preuß. Schmoller hatte insoweit nicht unrecht, als das Verständnis des Politischen bei Preuß nicht zuletzt seinem städtischen Polis-Begriff geschuldet war, wie schon seine vor dem Krieg geführten Plädoyers fur die kommunale Selbstverwaltung und die Hervorhebung der politischen Bedeutung der „Urbanisierung" als Untergrund aller Politisierung gezeigt hatten. Ähnlich Schmoller machte der Historiker Georg von Below auf die sachliche Identität von Preuß' Buch und einem Leitartikel Theodor Wolffs im Berliner Tageblatt vom 8. Januar 1916 aufmerksam und bezeichnete die Preuß'sche Position bereits vor dem Weltkrieg als exzentrisch, wenn sie die „Urbanisierung" Deutschlands zum politischen Schlagwort erhob.245 Hier wurde das Vorurteil deutlich, wonach „Politik" in dem von Preuß vertretenen Sinne ein Kind der Großstadt sei, während für Below, dem Autoren von „Territorium und Stadt" die zumindest gleichgewichtige Bedeutung des Landes als Prägestätte politischen Denkens in Deutschland am Herzen lag. Preuß war sich darüber im klaren, daß die Anhänger eines moderneren Begriffs von Obrigkeitsstaat sich nicht aus normativen oder historischen oder gar ausgerechnet im Krieg am Vorbild der westlichen Demokratie gewonnenen Analogien überzeugen ließen. Wo Preuß Anhänger eines vermeintlich modernen Obrigkeitsstaates ansprechen wollte, die im Zuge der Sinnstiftung des Krieges einen in verschiedenen kulturellen und politischen Grundanschauungen inhaltlich begründeten Gegensatz zum militärischen Feind annehmen wollten, versuchte Preuß eine gemeinsame Basis des Problembewußteins zu thematisieren. Der deutlich patriotisch gehaltene Tenor verrät das Bemühen, sein Anliegen denjenigen zu vermitteln, die zu den theoretisch weitaus ernster zu nehmenden Befürwortern des Obrigkeitsstaates gehörten, die er aber aus ehrlichem Nationalgefühl in eine falsche Analyse gedrängt sah. Selbst die Preuß näher stehende Rezeption war nicht frei von Vorbehalten. Kennzeichnend für diese Rezeption war, daß sowohl die meisten Anhänger wie alle Kritiker den entscheidenden Punkt des Plädoyers für eine umfassende Politisierung nicht verstanden, sondern die Forderung nach einer Öffnung der politischen Ordnung für Mitwirkung und Mitarbeit aller Teile des Volkes bei Preuß als Ableitung aus einer abstrakten Doktrin begriffen und ablehnten. Troeltsch etwa246 stellte wieder auf die sowohl in Demokratie
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Georg von Below, Deutsche Freiheit (Rezension Preuß), in: Das Neue Deutschland 4 (1915/16, Mai 1916) S. 292-297, S. 293 „Urbanisierung" mit Bezug auf Preuß, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1906. Zu Belows Kriegsschriften im allgemeinen vgl. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 68, 127f„ 151f„ 153ff. Ernst Troeltsch, Die deutsche Idee von der Freiheit, in: Die Neue Rundschau (Januar 1916) S. 50-75, S. 56f. nach einer Rede vom Oktober 1915 in Wien, in Auszügen (allerdings ohne die
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wie Autokratie vorhandenen „sittlichen Gefahren" ab und erblickte den Nutzen der Obrigkeitsregierung gerade in ihrer Unabhängigkeit hiervon. Darauf entbrannte aber zwischen Below und Troeltsch ein regelrechter Rezensionenstreit, weil Below Troeltsch vorwarf,247 sich trotz seiner Betonung einer eigenständigen „deutsche Idee der Freiheit" auf die Überlegungen Preuß einzulassen, die nur naturrechtlich geprägt seien und daher illusionären Vorstellungen nachhingen, und auch noch gesellschaftlichen Sonderinteressen dienten, die mit Hilfe der Demokratisierung und Parlamentarisierung gestärkt werden sollten (S. 296). Solchen verwerflichen Verirrungen setzte Below das „Glücksgeflihl" des deutschen Volkes im Obrigkeitsstaat (S. 295) und sein augenblickliches „Behagen" in der „besonderen Verkörperung der modernen Volksfreiheit entgegen, mit stärkerer Betonung und Sicherheit der organisierenden obrigkeitlichen Gewalt" (S. 295). Hiergegen wandte Troeltsch nur ein, daß er nicht aus einer „abstrakten Begeisterung für die Demokratie" (S. 377) Teile des Preuß'schen Denkens für begrüßenswert erachtete, sondern es sei schiere Staatsklugheit, bestimmte Bevölkerungsteile dauerhaft an den Staat und seine Obrigkeitsregierung zu binden und so den Burgfrieden in die Friedenszeit zu retten.248 In Erwiderung seiner Kritiker wie auch gegen Troeltschs Auffassung eines spezifisch deutschen Freiheitsbegriffs machte Hugo Preuß zwei Einwände geltend. Was Troeltsch an freier und pflichtgemäßer Hingabe an das bestehende Ganze der politischen Ordnung in den Vordergrund der deutschen Staatsauffassung stellte, hielt Preuß für das Wesen allen politischen Gemeinsinns und damit jeder Form politischer Freiheit.249 Troeltschs Behauptung nun, die deutsche Freiheit beruhe gerade darauf, daß das Volk gar nicht auf die Hervorbringung eines Regierungswillens aus dem eigenen Volkswillen besteht, warf Preuß vor, das Wesen politischer Freiheit mit den Eigentümlichkeiten einer vormodernen „teutschen Libertät" zu verwechseln und damit an die Tradition des Alten Reiches anzuknüpfen, das gerade durch innere Zerrissenheit und äußere Ohnmacht gekennzeichnet gewesen war, also gerade das nicht leisten konnte, was alle Debattenteilnehmer im Krieg erreichen wollten: die politische Selbstbehauptung Deutschlands, wie Preuß als das alle Auseinandersetzungen überwölbende gemeinsame Interesse der Diskutanten formulierte. Preuß hatte bereits in seiner Kritik der öffentlichen Meinung angedeutet, daß für ihn der Sinn von politischer Verantwortung nicht darauf beschränkt werden konnte, den Regierenden ein bestimmtes Verhalten abzunötigen. Politische Verantwortung muß in einem Volksstaat von der gesamten Bevölkerung gezeigt werden und soll nicht nur die Argumentation der Regierung, sondern auch die ihrer parlamentarischen Kontrolle und wiederum deren Kontrolle durch die öffentliche Meinung beseelen. Die „politische Ver-
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Passage zu Preuß) abgedruckt in: ders., Deutscher Geist, 1925, S. 80-107. Georg von Below, Deutsche Freiheit (Rezension Preuß), in: Das Neue Deutschland 4 (1915/16, Mai 1916), S. 292-297. Ernst Troeltsch, Politik des Mutes und Politik der Nüchternheit, in: Das Neue Deutschland 4 (1915/1916, Juli 1916), S. 374-377 dagegen erneut Below: Das gute Recht der Kritik an der auswärtigen Politik, in: Das Neue Deutschland 4 (1915/16, September 1916), S. 443-446. Hugo Preuß, Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung, in: ders., Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 2 Vorträge, Jena 1916, S. 19.
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antwortung" wurde zum zentralen Stichwort seiner Argumentation zur forcierten Demokratisierung. Der Volksstaat zeigt sich nicht in einer bestimmten Regierungstechnik, sondern in dem „selbständig leitenden Staatsmann" im Gegensatz zum „bloßen Beamten". Preuß möchte den Anhängern des Obrigkeitsstaates die Brücke bauen zu einem nicht-obrigkeitlichen Verständnis der konstitutionellen Monarchie. „Die konstitutionellen Formen machen die Stellung des verantwortlichen Ministeriums formell zu einer zentralen und selbständigen im Gegensatz zu dem obrigkeitlichen System beamteter Diener" (S. 22). Preuß möchte also innerhalb des konstitutionellen Systems die Möglichkeit einer nicht-obrigkeitlichen Regierungsweise austarieren. Das setzt aber ein verändertes politisches Bewußtsein der Probleme voraus und das Eingeständnis der Vorund Nachteile der Regierungsarten. „Aber dies formale Staatsrecht wird zur materiell politischen Wirklichkeit nur da, wo die Stellung der Minister noch einen anderen politischen Halt hat als die amtliche Ernennungsurkunde". Die Frage der politischen Leitung ist daher für Preuß keine „Personenfrage", sondern eine „Frage der politischen Struktur" (S. 22), die um Wirklichkeit zu werden allerdings auf eine Illusion gänzlich verzichten muß: Die „Idee einer Regierung über den Parteien". Sie als wichtigste Stärke des Obrigkeitsstaates zu rühmen ist für Preuß eine gefahrliche Verfehlung der Sachlage. Denn durch die künstliche Ausschließung der innenpolitischen Kräfte ist sie „regelmäßig eine Regierung zugunsten bestimmter Parteien und gegen die anderen. Damit sind die meisten Schäden des Parteiregiments unter Beseitigung seiner Vorteile gegeben. Die Regierung unterliegt doch dem Parteienflusse; aber die Parteien sind frei von der politischen Verantwortlichkeit, die die unentbehrliche Voraussetzung jedes gesunden politischen Wirkens ist" (S. 23). In den Anfangsjahren des Kriegs gehörte Hugo Preuß zu den Vertretern einer wenig verstandenen, meist scharf kritisierten Argumentation. Zur Steigerung ihrer Plausibilität bedurfte es erst der Beobachtung von zwei Umständen, die im folgenden Abschnitt behandelt werden sollen und die Ereignisse der Jahre 1916 und 1917 berühren. Zum einen zeigte es sich, daß die „deutsche Demokratie", sofern sie aus dem Kontrast zur westlichen Demokratie modelliert wurde, jenes Merkmal immer deutlicher aufwies, von dem man angenommen hatte, daß es nur dem Westen vorbehalten war: die Demagogie der öffentlichen Meinung. Zum anderen zeigte sich, daß die Alliierten sich zusehends unter der Fahne der Demokratie versammelten und mit der Kriegserklärung der USA an Deutschland den vielleicht kriegsentscheidenden Bündnispartner gefunden hatten.
III. Die Demokratie im Westen und die Demagogie in Deutschland
Die Einsicht in die Relevanz der innenpolitischen Struktur des Staates ftir den Ausgang des Krieges wuchs, als die innenpolitische Ordnung selbst zum Gegenstand der internationalen Kriegszieldiskussion erhoben wurde. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen erwies sich die mangelnde Bündnisfähigkeit der Mittelmächte als fatal. Die fehlende Werbekraft der Mittelmächte im Kampf um Sympathie und Unterstützung der neutralen Länder, allen voran den USA, zeigte, daß die innenpolitische Ordnung zum kriegswichtigen Faktor nicht nur in Hinblick auf die Mobilisierung der Ressourcen an Menschen und Material geworden war, sondern auch in Hinblick auf die außenpolitische Isolierung bzw. die Friedensfähigkeit eines Landes. Als im Frühjahr 1917 mit der Revolution in Rußland der Zarismus zerfiel und sich eine zunächst bürgerlich dominierte Demokratisierung des östlichen Kriegsgegners anbahnte, während mit dem fast gleichzeitigen Eintritt der USA in den Krieg die prominenteste Demokratie zu den feindlichen Westmächten hinzutrat und die Demokratisierung Deutschlands ausdrücklich zum Kriegsziel erhob, erreichte das Problembewußtsein bezüglich der Relevanz der Demokratiefrage in der deutschen Debatte eine solche Intensität, daß die Erörterung der Innenpolitik im allgemeinen und der Demokratie im besonderen nicht mehr als weltanschaulicher Gegensatz unüberbrückbarer Geistes- und Kulturhaltungen dilatorisch verlagert oder einfach als nur propagandistische Rhetorik der Alliierten diffarmiert werden konnte, sondern eine grundsätzliche Erörterung verlangte und auch erfuhr.
1.
Die Demokratie als neues Kriegsziel der Alliierten
Die deutschen Kritiker des Obrigkeitsstaates orientierten sich erst allmählich an der westlichen Demokratie, und dies hatte mehrere Gründe. Zum einen gab es die „westliche Demokratie" als externer Maßstab der Bewertung der politischen Ordnung Deutschlands noch gar nicht; sie war als Konstrukt auch bei den Alliierten das Ergebnis des Krieges und nicht sein Ausgang gewesen. Zum anderen wurde das Modell der „westlichen Demokratie" in der deutschen Debatte zunächst von den Demokratiekritikern aufgenommen, die in polemischer Absicht ein rein tendentiöses Bild von der Demokratie zeichne-
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
ten, um dem Publikum die Schrecken zu offenbaren, die im Falle der Demokratisierung Deutschlands drohten.
Die Entstehung der Idee einer westlichen Demokratie Man muß sich bei einer ideengeschichtlichen Rekonstruktion des demokratischen Denkens hüten, die Sympathisanten der Demokratie in Deutschland am Maßstab eines „Normalweges" zur liberalen Demokratie messen zu wollen. Im Zeichen der totalitären Herausforderung gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Tendenz, das normative Selbstverständnis der Demokratie dadurch zu dokumentieren und zu festigen, daß man in der ideengeschichtliche Rekonstruktion die Entwicklung der Demokratie als eine lange Tradition „liberaler Demokratie" darstellte. Giovanni Sartori etwa behauptet, daß „westliche Demokratie" zugleich „liberale Demokratie" sei, womit er meint, daß der politische Liberalismus sich allmählich demokratisierte, ein Weg, den er der nachträglichen Liberalisierung der politischen Demokratie vorzieht.1 Wenn sich hier das Modell einer ideengeschichtlichen Beweisführung bedienen möchte, kommt es im Resultat zu einer Vermengung wünschbarer Traditionen mit ideengeschichtlichen Fakten, die der Überprüfung kaum standhält. Die Berufung auf eine „klassische" Demokratietheorie von Locke bis John Stuart Mill zeigt bei genauerer Betrachtung, daß die zu Klassikern erhobenen Autoren Vorstellungen von Demokratie besaßen, die keineswegs dem Selbstbild der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechen.2 Das übergreifende normative Selbstverständnis von Frankreich, Großbritannien und Amerika während des Ersten Weltkrieges ordnete sich jedenfalls erst im Laufe des Krieges dem Rubrum der Demokratie zu, und zwar sowohl begriffsgeschichtlich3 wie politisch. Innerhalb eines Monats änderten sich die Voraussetzungen der Argumentation für den Demokratiegedanken grundlegend. Am 14. März 1917 brach die Revolution in Petersburg aus, zwei Wochen später brachte die englische Regierung eine Gesetzesvorlage im Unterhaus ein,4 die das demokratische Wahlrecht zum Inhalt hatte und eine Woche später erklärten die USA Deutschland den Krieg. Bei allen institutionellen Unterschieden im einzelnen avancierte erst jetzt die Demokratie zum integrativen Leitbegriff des alliierten Bündnisses und zur differentia specifica zu den Mittelmächten. Vorher war die Demokratie Spielball propagandistischer Anstrengungen beider Seiten im Kampf um die Zustimmung und Sympathie der neutralen Länder gewesen. Jetzt war sie die große ideelle Wegscheide zwischen den Kriegsgegnern. In Deutschland hatte man dem westlichen Bündnis entgegenhalten können, daß mit dem zaristischen Rußland ein Bündnispartner der westlichen Alliierten vorhanden war,
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Sartori, Demokratietheorie, 1992, S. 433ff. Ballestrem,,Klassische Demokratietheorie', 1988. Sola Pool, Symbols of Democracy, 1952, S. 6-16, wonach die Demokratie als Gemeinbegriff einer Vielzahl politischer Werte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs resultiert. Vgl. auch Palmer, Use of the Word Democracy, 1953, S. 203; Meissner, Demokratie, 1990, S. 296f. Wippermann, Deutscher Geschichtskalender, 33. Jahrgang, 1/1. (Januar-März 1917) S. 603.
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dem sich die Deutschen zivilisatorisch und auch demokratisch betrachtet unzweifelhaft überlegen fühlten. Der Hinweis auf natürliche Allianzen, die auf gemeinsamen Werten beruhen sollten, klang für die deutsche Seite zynisch, solange das zaristische Rußland Mitglied dieser Allianz war. Diesem Einwand versuchten englische Gelehrte mit Hinweis auf das ideelle Rußland von Dostojewski zuvorzukommen, mit dem der Westen dem Grunde nach einig war.5 So etwa in der folgenden Argumentation: „If by 'democracy' we mean merely a form of government, it is quite ludicrious to denounce Russia because our own particular arrangements do not or may not suit her. If, on the other hand, democracy means something vastly deeper and more important than forms of government, if it means a spirit, a point of view, and a quality informing the life and thought of a people, then the least I can say is that while I see a great deal of democracy in Russia, I do not see much of it in England. One might, indeed, go further and say while, in that sense, England is the least democratic of European countries, and the most completely under the dominion of the superstitions of 'class' and 'rank', Russia is probably the most democratic of all."6 Dieser verschlungenen Argumentation folgten allerdings nicht alle neutralen Länder sogleich. Die Kriegserklärung der USA an die Mittelmächte vom April 1917 mag im nachhinein die ohne Zweifel vorhandene größere Nähe und Sympathie der USA für die Entente als bereits von Anbeginn tragende Konstellation erscheinen lassen. Gleichwohl war die Politik Wilsons, der 1916 die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen der andauernden Neutralität gewonnen hatte, für die Alliierten stellenweise geradezu empörend. Nur wenige Tage nach dem umstrittenen Friedensangebot der Mittelmächte im Dezember 1916 offerierte Wilson sein eigenes Friedensprogramm, worin er u. a. die Blockade-Strategie der Alliierten verurteilte. Noch im Januar 1917 verlangte Wilson einen Frieden ohne Sieger und pochte auf seine diplomatische Vermittlerrolle. In den USA gab es skeptische Stimmen, die die Kolonialherrschaft Englands nach eigenem Verständnis keineswegs als Ausdruck einer demokratischen Geisteshaltung bewerteten. Als separatistische Kräfte 1916 in Irland die Kriegslage auszunutzen versuchten, um die Unabhängigkeit zu erkämpfen und die Herrschaft Englands mit Gewalt sichergestellt wurde, gab es zusätzliche Vorbehalte gegenüber der englischen Politik, die vor allen Dingen bei den irischstämmigen Amerikanern wenig Sympathie genoß. In den USA ruhte die Sympathie also keineswegs einseitig auf Seiten der Entente.7 Mit der Bedrohung des internationalen Schiffsverkehrs und des Passagierverkehrs (Versenkung der Lusitania 1915) neigte sich die Haltung der öffentlichen Meinung in den USA zwar deutlich gegen Deutschland, woraus aber noch lange kein rascher Kriegsbeitritt auf die Seite der Alliierten folgte. Besonders beim Werben um die neutralen USA bot es sich also an, die Idee der Demokratie als das verbindende Glied herauszustellen. Hierbei kam der englischen und
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Vgl. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 64f. Zitiert nach, Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 65. Kestler, Die deutsche Auslandsaufklärung, 1994, S. 337-358 gibt eine aufschlußreiche Darstellung der deutschen Propaganda in den USA, die noch die meisten Chancen besaß, angesichts der dortigen Bevölkerung Einfluß auf die öffentliche Meinung nehmen zu können, verzichtet auf die inhaltliche politische Auseinandersetzung.
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amerikanischen Literatur eine Sonderrolle zu, während sich die französische Diskussion diesbezüglich zurückhielt. Für Frankreich stand im Mittelpunkt der politischen Sinnstiftung des Kriegs zunächst nicht die Demokratie, sondern die Zivilisation, für die sich das französische Volk aufopfere im Gegensatz zur Opferbereitschaft deutscher Soldaten für die bloße militärische Gewalt. Maurice Barrés erklärte dies zum modernen Kreuzzug für die Zivilisation und hob dies als geistiges Band der Entente gegenüber Deutschland hervor.8 Der ehemalige Lord Chancellor Lord Haidane sprach im März 1916 in einem Interview mit einem amerikanischen Journalisten ausdrücklich von den prinzipiellen Interessen der USA an diesem Krieg als einem demokratischen Land und erwartete für den Fall eines siegreichen Krieges „a great democratic advance" in Europa und der Welt und formulierte damit ein gemeinsames prinzipielles Interesse zwischen den USA und England.9 Diesem Werben war aber nicht sogleich Erfolg beschieden. Die durchaus mit Sympathie verfolgte normative Rechtfertigung des kriegerischen Engagements der Entente als eines Kampfes um Zivilisation und Rechtlichkeit gegen Machtstaatlichkeit und Militarismus wurde durch die Tatsache beeinträchtigt, daß sie mit dem zaristischen Rußland verbündet war, das den von der Entente angelegten Maßstäben im Verhältnis zu den Mittelmächten kaum stand halten konnte. Mit dem durch Wilson und den Kriegseintritt der USA sowie der bürgerlichen Revolution in Rußland neu entfachten Schwung verschob sich das normative Kriegsziel zusehends von einer allgemein gehaltenen Leidenschaft für die Zivilisation, die durch das Verhalten Deutschlands besonders Belgien gegenüber verletzt worden war, hin zur Frage der innenpolitischen Ordnung und der Demokratie im integrativen Sinne als demjenigen politischen System, das der verteidigten Zivilisation am angemessensten war. Diese Vorstellung erreichte im Januar und März 1917 ihre höchste Überzeugungskraft, als auf der einen Seite Deutschlands Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges die Vorwürfe an die Adresse des preußischen Militarismus zu bestätigen schienen und der Skandal des Zimmermann-Telegramms, in dem Mexiko hinsichtlich der Korrektur der Grenzen zu den USA Hoffnungen gemacht wurden und damit die Geheimdiplomatie des Kaiserreichs in ein schlechtes Licht rückte, und auf der anderen Seite mit der bürgerlichen Revolution in Rußland das rückständige System des Zarismus nicht mehr das Bündnis belastete. Der Kriegseintritt Amerikas war vor allen Dingen auf die Entscheidung Deutschlands zur Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges zurückzuführen,10 aber die besondere Betonung des Demokratiegedankens hätte mit dem Zarismus als Bündnispartner wenig Überzeugungskraft gehabt."
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Barrés, Le Blason de la France, on ses Traits éternels dans cette guerre et les mieilles Epopées, Vortrag in London vom 12. Juli 1916, vgl. Albert Schinz, French Literature of the Great War, New York, London 1920, S. 12. Interview Lord Haidane mit E. Price Bell, London-Korrespondent der Chicagoer Daily News vom 7. März 1916, in: James Bryce, ed., The War of Democracy - the allies' statement, Garden City New York 1917, S. 3-18. Schröder, Demokratie und Hegemonie, 1994, S. 125 m. w. Ν. Mayer, Political Origins of the New Diplomacy, 1959, S. 141-190.
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In einer fulminanten Rede Wilsons vor dem Senat am 2. April 1917 stellte sich Wilson ohne Vorbehalte auf die Seite der Entente und erhob die Demokratie zum eigentlichen Ziel des Krieges: sie gegen den Militarismus sicher zu machen, dies war die sodann beherrschende Losung.12 Am 6. April erfolgte die offizielle Kriegserklärung. Damit gab der Präsident aber nur einer sich rasch verbreitenden Vorstellung Ausdruck, wonach mit der Revolution in Rußland der Krieg endgültig zur einer Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie geworden war.13 Lloyd George äußerte nach dem Krieg, daß das Postulat der Demokratie auch für England keineswegs bereits eingangs des Krieges maßgeblich gewesen sei, sondern erst im Laufe des Krieges als das zu verwirklichendes Prinzip künftiger Politik anerkannt wurde. 14 Er selber sprach zunächst nur von der klassischen englischen Kategorie des „popular government", zu dem sich nun auch Rußland bekannt habe. Dagegen verlangte eine Minderheit im Unterhaus, daß sich England wie Rußland zu den Prinzipien der Demokratie bekennen solle und Lloyd George gehörte erst einige Zeit nach dem Kriegseintritt der USA zu den wichtigsten publizistischen Förderern des Demokratiegedankens. 15 Die reibungslose Durchsetzung der Reform des allgemeinen Männerwahlrecht 1917 im Representation of the People Act von 1918 mit Wirkung für das Nachkriegsende, erstmalig angewandt in den Wahlen vom Dezember 1918, war das Ergebnis des Krieges und stand mit dem Meinungsstand der politischen Literatur vor Ausbruch des Krieges durchaus in einem Widerspruch. Wie A.J.P. Taylor zusammenfassend feststellte, hatte der Krieg wenigstens in dieser Hinsicht etwas konstruktives eingebracht.16 Die Existenz einer verbreiteten Demokratieskepsis vor dem Krieg zeigt, daß sich auch im Westen der Demokratiegedanke während des Weltkrieges erst durchsetzen mußte. Zu den berühmtesten Kritiken zählte diejenige von Ostrogorski an dem englischen Parteienssystem, das aus dem angeblichen Wunsch nach einer stärkeren Demokratisierung im Ergebnis eine neue Form der Oligarchisierung der politischen Willensbildung herbeigeführt hatte. Diese Argumentation Moisei Ostrogorskis wurde vorbildhaft für die Kritik von Robert Michels an der Sozialdemokratie in Deutschland. Allerdings waren Demokratieskeptiker wie Ostrogorski und Michels ehemalige Demokratiesympathisanten gewesen, die aus Enttäuschung über die Gebrechen der modernen Demokratie ihre Kritik überpointierten. 17 Ostrogorski steht stellvertretend für eine im Westen vor dem Weltkrieg
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Zu Wilsons Kriegszielpolitik zuletzt: Schröder, Demokratie und Hegemonie, 1994. Das gilt etwa für die Kriegsschriften von John Dewey und George H. Mead, vgl. hierzu Joas, Die Sozialwissenschaften und der Erste Weltkrieg, 1996, S. 24f. Lloyd George, Ist wirklich Friede? übersetzt von Walther Simons, Leipzig 1924, S. 116, vgl. hierzu Hans Thimme, Weltkrieg ohne Waffen, 1932, S. 222. Lloyd George, Durch den Weltkrieg zur Demokratie, Rede zu Glasgow 29. Juni 1917; dt.: Zürich 1917. Vgl. insgesamt hierzu Mayer, Political Origins of the New Diplomacy, 1959, S. 141-190 und Weckerlein, Streifall Deutschland, 1994, S. 199ff. Taylor, English History, 1965, S. 134. Vgl. auch seine Darstellung der Wahlrechtsreform S. 159f. Im Gegensatz zur deutschen Geschichtsschreibung ist für englische Historiker nicht 1918, sondern 1914 die Epochenmarke, mit der historische Darstellungen enden oder einsetzen. Ebbighausen, Die Krise der Parteiendemokratie, 1969.
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verbreitende Meinung, die aufgrund der unforseen tendencies of Democracy18 zu einer Neueinschätzung des Demokratiegedankens gekommen war. Es gab hierbei sogar gewisse Parallelen zur deutschen Diskussion:19 etwa bei der Forderung nach einer Stärkung der Exekutive und der Minderung des Parlamentseinflusses angesichts der staatlichen Aufgaben im Zeichen des Imperialismus.20 Der Gedanke der Demokratie wurde nicht als authentischer Bestandteil der englischen Verfassung verstanden, sondern als prinzipielle (also unhistorische) Norm begriffen, die die dortigen Modernisten und Reformisten (von den Chartisten bis zu John Stuart Mill) gegen die Legitimation der historischen Argumentation ins Feld führten. Eine Argumentation auf der Grundlage prinzipieller Erörterungen hatte in der englischen politischen Theorie freilich wenig Erfolg, wie die geringe Wirkung der Theorie von John Stuart Mill zeigt. Praktische Kritik an den tatsächlichen Zuständen des Parteiwesens hingegen, wie sie besonders erfolgreich und unter polemischer Zuspitzung von Belloc und Chesterton21 geübt wurde, fand weit mehr Aufmerksamkeit. Zu den am meisten zitierten Autoren zählten Sidney Low und Abbot L. Lowell.22 Ihre Arbeiten wollten den unvermeidlich oligarchischen und parteienstaatlichen Charakter des Parlamentarismus belegen, der keineswegs dem Volkswillen eine Stimme verschaffte oder sich als dessen Exekutor verstand. Auch für Lowell war der Volkswille nur eine normative Fiktion ohne praktische Relevanz.23 „In gewöhnlichen Zeiten politischer Uninteressiertheit kann die vox populi von einer kleinen Anzahl von Personen gemacht werden, denn die große Masse nimmt selten ein Interesse an einer Streitfrage, bevor sie ihr unterbreitet wird, und die Zurechtstutzung dieser Frage, die vielleicht der bei weitem wichtigste Teil des ganzen Verfahrens ist, erfolgt häufig auf einer von einem halben Dutzend Menschen besuchten Versammlung". Ferner sei es ein „Gesetz der Menschennatur", daß wiederum diese „Versammlungen nur ja oder nein sagen können" (S. 476). Daher sei die Einführung lokaler Wahlversammlungen und ihre Organisierung auf nationaler Ebenen in dem „Caucus" zwar vor dem normativen Hintergrund der Absicht einer Demokratisierung der politischen Willensbildung erfolgt, unterläge aber wiederum den Gesetzen der Organisation und damit der Oligarchie. Lowell war kein prinzipieller Kritiker der parlamentarischen Demokratie, sondern prüfte die Umsetzung von Doktrinen an den Regeln der politischen Erfahrung und Klugheit. So betonte Lowell die Tendenz zur Autokratie der parlamentarischen Kabinettsregierung, die das eigentliche Gewicht vom Unterhaus in das Kabinett gelegt habe (S. 290ff.) und
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Edwin Lawrence Godkin, Unforseen Tendencies of modern Democracy, Westminster 1898, der sowohl bei Low wie bei Lowell eine erhebliche Rolle spielt. Über die Parallelen und Rezeptionen englischer wie deutscher Bemühungen einer politologischen Modernisierung des Liberalismus gibt am Beispiel von Naumann und Hobhouse Auskunft: Schnorr, Liberalismus, 1990. Mock, Entstehung und Herausbildung, 1973. Hilaire Belloc/Cecil Edward Chesterton, The Party System, 1911. Eine geschlossene Darstellung der politischen Theorie des englischen Parlamentarismus aus der Perspektive der zeitgenössischen Theorie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gibt Glum, Parlamentarisches Regierungssystem, 1966, S. 71—103. Abbot Lawrence Lowell, Government of England, 1908; dt.: Die englische Verfassung, 1 Bände, hg. und übersetzt von Friedrich Heer, Leipzig 1913, nach der Ausgabe von 1912.
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erörterte sie kritisch. Aber er bewertete diese Tendenz nach ihrer tatsächlichen und nicht einfach nur prinzipiellen Folgewirkung. Diese sieht er keineswegs als so dramatisch an, wie es die prinzipielle Erörterung vermuten ließe. Denn auch wenn das Unterhaus der „Inquisitor der Nation" und das Kabinett der Autokrator des Inquisitors geworden sei (S. 335f.), so „betätigt sich diese Selbstherrlichkeit unter dem Auge der breitesten Öffentlichkeit und unter dem ständigen Feuer der Kritik und wird durch die Macht der öffentlichen Meinung, die drohende Gefahr eines Mißtrauensvotums und die Aussichten auf die nächsten Wahlen abgeschwächt" (S. 336). Die Gegentendenz einer mittelbar wirkenden Gewichtsverschiebung der Willensbildung zum „Volk" hin (S. 413ff.): die Bedeutung der Wahlen, der mögliche Druck durch Partei- und Wahlorganisationen einerseits und der öffentlichen Meinung andererseits verschaffen somit der politischen Ordnung eine Balance, die nicht an der formalen Verfassungsstruktur ablesbar wird. Auf diese Weise kann Lowell die Vorstellung einer „nach aristokratischen Weise regierten Demokratie" (S. 546, ferner Band II, S. 475-483) gewissermaßen als die dogmatische Zusammenfiigung des normativen Anspruches und der institutionellen Wirklichkeit gelten lassen. Sidney Low wurde vornehmlich aufgrund seiner weit rezipierten These von der Diktatur des Prime Minister im englischen System bekannt.24 Er zog in seiner demokratieskeptischen Betrachtung die Klassiker der Demokratiekritik in England, Lecky und Bagehot heran.25 Low sprach von der Parlamentssouveränität als Institution der Volkssouveränität des englischen Volkes, um die englische Verfassung als „Demokratie" zu kennzeichnen (S. 163ff.). Das Parlament war für Low Sprachrohr und Gestaltungsarm der „Volkssouveränität". Charakteristischerweise spielt die Volkssouveränität als Prinzip für die Argumentation weiter keine Rolle, für die eigentliche politologische Darlegung hatte sie kein Gewicht, es wurden keine Folgerungen daraus gezogen, sondern sogleich die Grenzen dieser Prinzipien in der täglichen Praxis und institutionellen Wirklichkeit thematisiert. In der politischen Wirklichkeit nämlich erweist es sich für Low, daß die öffentliche Meinung der heimliche Herrscher ist, der die Schwerkraft darstellt, nach welcher sich die politischen Institutionen ausrichten. Daher sieht Low für England eine indirekte demokratische Herrschaft vorwiegen. John Stuart Mill hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch in einer ganz optimistischen Vision des möglichen Fortschritts der Zivilisation in der Zukunft den Vorrang des demokratischen Gedankens aus normativer Perspektive geäußert, was damals James Bryce dazu veranlaßte hatte, hervorzuheben, daß die Gewährung demokratischer Rechte nicht ausreicht zur Etablierung einer Demokratie, sondern es statt dessen eines geistig-
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Sidney Low, The Governance of England, London 1904; dt.: Die Regierung Englands, übersetzt von Johannes Hoops, mit einer Einleitung von Georg Jellinek, Tübingen 1908, S. 150; er behandelte die Frage des genauen Ausmaßes der Autorität des Prime Minister und behauptete, daß Peel, Palmerston, Disraeli, Gladstone „beinahe" diejenige eines Diktators erreichten. William Edward Hartpole Lecky, Democracy and Liberty, 1896 und Walter Bagehot, The English Constitution, 1861, beide behandelt bei Sidney Low, Die Regierung Englands, 1908, S. 166. Vgl. für die Demokratiekritik in England auch die Darstellung bei Francis/ Morrow, History of english political thought, 1994, S. 250-269.
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moralischen Anpassungsprozesses der Bürger im Zusammenhang mit der Entwicklung der Institutionen bedarf, der nur langsam verläuft.26 Die nüchterne Beobachtung der unvorhergesehenen, nämlich oligarchischen Tendenzen der Demokratie führte daher zu einer realistischen Wende der politischen Theorie: Sie argumentierte immer weniger normativ, sondern entwickelte einen normativ unverstellten deskriptiven Blick auf die Wirksamkeit politischer Institutionen unter sich wandelnden sozialen Rahmenbedingungen. Ähnlich wie der Amerikaner Lowell über England argumentierte James Bryce über die USA. Er beobachtete zwar die seit Tocqueville rezipierten „Mißstände" einer Tyrannei der Mehrheit und eines überbordenden Individualismus und hob besonders die Möglichkeiten einer „demagogisch" orientierten Politik hervor. Bryce diskutierte aber auch die tatsächlichen Gefahren der, prinzipiell betrachtet, verwerflichen Demagogie für die praktische Willensbildung und konstatierte so viele Ausgleichsmöglichkeiten und Abwahlmöglichkeiten, daß eine demagogisch installierte Politik vielleicht charakteristisch, aber keine dauerhafte nachteilige Bedeutung für die politische Ordnung der USA besaß.27 Die politische Literatur in England und den USA war also keinesfalls einhellig der Meinung, daß es ausgerechnet die Demokratie war, unter deren Fahne man sich sammelte. Nüchtern hatte man die anfängliche Euphorie für die normative Werbekraft der Demokratie abgestreift zugunsten eines realistischen Blicks auf die tatsächlichen Folgen der Etablierung demokratischer Institutionen. Mochten mit der Demokratie auch unerwartete Nachteile des politischen Systems erwachsen sein, die Praxis der politischen Willensbildung folgte ihren eigenen Regelmäßigkeiten, die die Gefahren des Demokratiegedankens durchaus kompensieren konnten. Erst der Weltkrieg wandelte die prinzipielle Einstellung zur Demokratie in England, und innerhalb des Weltkrieges war es die Politik Wilsons, die diese Wandlung entscheidend forcierte.28 Was vorher schon vereinzelt behauptet wurde, setzte sich nun als durchgängiges Schlagwort des eigenen Selbstverständnisses im Kontrast zu demjenigen des Gegners durch: der Gedanke einer spezifischen und über alle inneren Differenzen der politischen Ordnungen im einzelnen hinwegsehenden „westlichen Demokratie".29 Einer der Autoren von Why We are at War, Ernest Barker, erweiterte zwar schon 1914 die Argumentation, in dem er auf eine natürliche Allianz Englands und Frankreichs hinwies, die er im demokratischen Grundcharakter beider Länder verankert sah: „France, like England, is a democracy. France is one of the greatest democracies of the world. She is one of the greatest treasure-houses of European civilisation; she is one of the great seedbeds of liberal thought and ideas. Would England have been right to watch unconcerned, and without one proffer of any sort of aid, the crushing by military force of that democracy; the rifling of that treasure-house; the trampling down of that seed-bed? It is
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James Bryce, Age of Discontent, in: Contemporary Review 49 (1891), S. 14-29, S. 24. Vgl. hierzu Kleinknecht, Imperium und internationale Ordnung, S. 114. James Bryce, The American Commonwealth, 1903, 1923, Kapitel „Supposed Faults of Democracy", S. 613-629. Hans Thimme, Weltkrieg ohne Waffen, 1932, S. 222f. Meissner, Demokratie, S. 296f.
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impossible to answer 'Yes'". 30 Demokratie wurde hier also kaum politisch-theoretisch verstanden als analytische Beschreibung einer bestimmten politischen Ordnung, sondern als eine bestimmte politische Grundhaltung und Mentalität, die es ermöglichten, bei unterschiedlicher institutioneller Ausgestaltung der politischen Systeme beide unter dem Gedanken der Demokratie integriert zu sehen. Barkers Argumentation von 1914 erfolgte ungewöhnlich früh und fand auch zunächst nur wenig Resonanz. Erst der Kampf um die Bündnispartnerschaft der USA und schließlich die Rede Wilsons vom Frühjahr 1917 setzte eine Flut an Literatur zur Demokratie frei, die den Krieg als Kampf politischer Prinzipien verstand und das Prinzip der Demokratie als den zentralen Maßstab anerkannte, den es zu verteidigen galt.31 James Bryce formulierte 1917 als konkrete englische Interessen im Krieg den Schutz der Freiheit, die Achtung der Nationalität, die Einhaltung internationaler Verträge und die Regulierung der Kriegführung.32 Als Herausgeber eines Sammelwerkes von einschlägigen Aufsätzen und Dokumenten, zu denen sein angesprochener Beitrag gehörte, formulierte er dagegen wesentlich offener und allgemeiner, daß der Kampf gegen den Militarismus zugleich der Kampf für die Freiheit und fiir die Demokratie sei.33 Die Demokratie als Prinzip hatte für Bryce einen zu wenig konkreten Sinn, wenn man sie über ihren spezifisch bündnispolitischen Sinn hinaus für so unterschiedliche Länder wie die USA oder England zur Anwendung bringen wollte. Diese Auffassung wandelte Bryce erst nach dem Krieg, als er das monarchische England zum Kreis der Demokratien der Welt zählte. Angesichts dieser demokratischen Welle fühlten sich einige westliche Theoretiker wiederum bemüßigt, trotz der sprunghaft gestiegenen Plausibilität der Demokratie auf die Mängel ihrer institutionellen Komponenten hinzuweisen,34 aus Sorge, ob nicht dieser Weltanschauungskampf zu weiterreichenden Forderungen nach Veränderung der eigenen innenpolitischen Strukturen führen mochte. Tatsächlich gab es einen Strang der politischen Theorie, der den Kampf um die Demokratie gegen Deutschland gleichzeitig zum Auftakt für den Kampf um die vollständige Erfüllung des demokratischen Versprechen im Inland erklärte, wie der zu Labour hin orientierte Hobson.35 Gerade englische Autoren waren zunächst darum bemüht, den demokratischen Charakter ihres Landes trotz der IrlandFrage - die im Krieg weiter kritisch blieb - und Kolonialreich36 als Unterfall der umfassenderen Idee der Demokratie zu begreifen. Der konservativ erscheinende Grund-
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Ernest Barker, Great Britain's Reasons for Going to War, 1915, S. 5, vgl. Wallace, War and the Image of Germany, 1988, S. 62. James Haiden Tufts, On Democracy - its origins and tasks, New York 1917. James Bryce, The attitude of Great Britain in the present war, in: James Bryce, ed., The War of Democracy - the allies' statement, Garden City New York 1917, S. 9 Iff. Zur Tätigkeit von Bryce im Weltkrieg vgl. Ions, James Bryce and American Democracy, 1968 und Robbins, Lord Bryce and the 1st World War, 1967. James Bryce, Vorwort zu: ders., ed., The War of Democracy - the allies' Statement, Garden City New York 1917, S. XXII. William Hurell Mallock, Limits of pure Democracy, London 1918. John Atkinson Hobson, Democracy after the war, London 1917; ders., The fight for Democracy, Manchester, London 1917. A. E. Duchesne, Democracy and Empire, London 1916.
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Charakter konnte mit der Wortprägung der „Tory-Demokratie" in die demokratische Grundausrichtung einbezogen werden,37 wodurch dieser Begriff wiederbelebt wurde, nachdem er von der Politologie der Vorkriegszeit in analytischer Hinsicht in Zweifel gezogen worden war.38 Die Diskussionen anläßlich der Wahlrechtsvorlage von 1917 drehten sich auch weniger um das nun weithin akzeptierte allgemeine und gleiche Männerwahlrecht wie in Deutschland, das im Verhältnis zum Stand der englischen Wahlrechtstradition in der viktorianischen Zeit ungemein fortschrittlich war, sondern um das Frauenstimmrecht, das sich anfangs auch nur in abgeschwächter Form durchsetzen konnte. Die Idee einer westlichen Demokratie mußte sich also auch im Westen erst durchsetzen und es war der Weltkrieg, der hierzu wesentliche Schrittmacherfunktionen übernahm. Daher gab es auch kein westliches Vorbild der parlamentarischen Demokratie vor dem Krieg, das man in Deutschland einfach hätte adaptieren können, weshalb die Orientierung am englischen Vorbild bei vielen reformgeneigten Autoren der deutschen Debatte noch keineswegs den Königsweg in die westliche Demokratie darstellen mußte.39 Der in der Forschung laut gewordene Vorwurf, wonach die Unkenntnis des westlichen Modells zu seiner fehlerhaften Übernahme geführt haben soll, rekonstruiert dieses Modell als hegemoniale Grundidee, die die Kritik an eben diesem Modell in der westlichen politischen Theorie ignoriert.40 In der polemischen Situation des Weltkrieges hätte der Versuch einer Widerlegung der Kritik am englischen System auch wenig Nutzen gehabt, war man sich doch darüber im klaren, daß die Übernahme des Parlamentarismus britischer Provenienz durch deren historische und strukturelle Besonderheiten unmöglich war.41 Die Grenzen der Verallgemeinerbarkeit des englischen Vorbildes war den englischen Zeitgenossen42 und auch der deutschen Rezeption bekannt.43 Die englische politische Theorie verfügte selber über keinen klaren Begriff von Parlamentarismus, welcher auch ihrer Argumentationstradition widersprochen hätte, eine an praktischen Problemen orientierte Beweisführung einer doktrinären Erörterung vorzuziehen.44 Auch in England erfolgte die Durchdringung des Parlamentarismus als einer politischen Doktrin erst nach dem Weltkrieg, und zwar als Hegemonialisierung eines bestimmten Verständnisses von
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Henry Bentnick, Tory democracy, London 1918. Abbot Lawrence Lowell, Die englische Verfassung, 1913, Bd. 2, S. 503. Schmidt, Deutscher Historismus, 1964. Diese Spur hat Fälschle, Rivalität als Prinzip, 1991 ausgiebig verfolgt und ist zu einem weitaus differenzierteren Bild gekommen, das die kritische Auseinandersetzung in den Vordergrund stellt. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 1990, S. 198f. : Hugo Preuß sei einer sachlich wie historisch völlig falschen Auffassung von Parlamentarismus aufgesessen; ähnlich Fenske, Nichtamtliche Verfassungsentwürfe 1918/19, 1996; ferner Krüger, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten, 1995. Ritter, Deutscher und britischer Parlamentarismus, 1962. Etwa in Hinblick auf Australien: H. de R. Walker, Australasian Democracy, 1897, hervorgehoben bei Sidney Low, Die Regierung Englands, 1908, S. 44. Fälschle, Rivalität als Prinzip, 1991, S. 175ff. Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, 1973, S. 37ff.
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Parlamentarismus, das im 19. Jahrhundert keineswegs unbestritten gewesen war.45 James Bryce sagte unmittelbar nach dem Weltkrieg und mit Blick auf Deutschland, daß für die Entwicklung der Demokratie ein weniger demokratisches Stimmrecht mit größerem politischen Einfluß forderlicher gewesen war, als ein bereits weitestgehend demokratisches Stimmrecht, das ohne wirkliche politische Macht war: „Eine Versammlung, die auf Grund eines verhältnismäßig begrenzten Wahlrechts, aber mit umfassenden Befugnissen gewählt ist, bedeutet für die Volksherrschaft mehr als eine Körperschaft auf Grund eines weiteren Wahlrechts mit begrenzteren Gewalten".46 Aber auch das war eine Lehre, die man aus der Erfahrung der gescheiterten Reformbemühungen während des Weltkrieges ziehen konnte und die vorher keineswegs eindeutig zutage lag. Was gegen den Vorbildcharakter Englands sprach, galt um so mehr für die USA. Vor dem Weltkrieg waren die USA nicht nur geographisch, sondern auch gedanklich weit entfernt von Deutschland. Während für die Republikaner von 1848 in den USA noch ein bedeutendes Vorbild gewesen waren, in das sie nach dem Scheitern ihrer revolutionären Bemühungen häufig in Deutschland auch emigrierten, verloren die USA im Zuge der Ausbildung der Massendemokratie alle Vorbildhaftigkeit. Es fehlte eine vollständige Rezeption Tocqueville, die anhand einer Schilderung der Zustände in den USA die zivilisatorische Entwicklung in Europa hätte zeigen können, daß neben den mit der Demokratie verbundenen Gefahren auch Chancen und Möglichkeiten der Gefahrenbekämpfung mit demokratischen Mitteln bestanden.47 Gerade hierin kam Max Weber Tocqueville noch am nächsten. Die Erlernbarkeit von Demokratie im Sinne einer soziologisch beobachtbaren Einübung in demokratisches Denken stand für Weber der Sache nach bereits seit seiner Amerika-Reise fest. In auffalliger Nähe zu den berühmten Beobachtungen von Tocqueville48 hob Weber hervor, daß es gerade das Vereinswesen in den USA sei, das den Menschen zu jener Anpassung verhilft, die es ihm ermöglicht, über seinen individuellen Gesichtskreis hinaus Einfluß zu erlangen. Insofern sei Amerika „kein Sandhaufen, sondern ein Gewirr exklusiver Sekten, Vereine und Klubs",49 deren Binnenstruktur Weber übrigens seinerzeit bereits mit den Begriffen von Herrschaft und Diktatur beschrieb (S. 444). Die sozio-moralischen Dispositionen zwischen der Bevölkerung der USA und derjenigen Deutschland waren Weber zufolge aber so groß, daß an eine Übernahme amerikanischer Institutionen nicht gedacht werden konnte. Noch weniger schließlich konnte das Beispiel Frankreichs als vorbildhaft für die Exzellenz der parlamentarischen Demokratie herangezogen werden. Dort war die Kritik an 45
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Auf den nur almählichen Vorgang der Hegemonialisierung eines von verschiedenen Selbstauslegungsmodell des englischen Parlamentarismus hat Döring, Skeptische Anmerkungen, 1981, S. 127-146, hingewiesen. James Bryce, Moderne Demokratien, 1923-26, Band 1, S. 40. Zu den ganz raren Erwähnungen von Tocqueville im Zusammenhang der Demokratiediskussion gehörte der rein sachliche Verweis bei Fritz Fleiner, dem Theoretiker des Verwaltungsrechts aus der Schweiz, in: ders., Politik als Wissenschaft, Zürich 1917, S. lOf. Freund, Max Weber und Alexis de Tocqueville, 1974; vgl. ferner Hennis, Max Webers Fragestellung, 1987, S. 235; Tuccari, / dilemmi della democrazia, Roma, 1993, S. 104-128. Max Weber, Rede auf dem 1. Deutschen Soziologentag in Frankfurt, 1910, in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, 2. Aufl. Tübingen 1988, S. 443.
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der eigenen politischen Ordnung selbst am lautstärksten geäußert worden.50 Diese Kritik wurde in Deutschland rezipiert, und zwar gerade von Anhängern des demokratischen Gedankens. Hermann Fernau äußerte noch kurz vor Ausbruch des Weltkrieges heftigste Kritik am Parteileben und der Korruption des französischen politischen Systems.51 Erst im Laufe des Weltkriegs bekannte er sich aus Gesinnung zur Demokratie, die ihm in ihrem praktischen Vollzug trotz der Korruption und des Parteiregimes immer noch lieber war, als der deutsche Obrigkeitsstaat.52 Der bedeutende Staatslehrer Léon Duguit erklärte das französische System der parlamentarischen Präsidentenwahl für außerstande, in Zeiten größten Entscheidungsdruckes den Anforderungen stand halten zu können. Unter dem Eindruck der Bewährung im Weltkrieg freilich war Duguit nach dem Krieg ausdrücklich bereit, seine fundamentale Kritik abzumildern und die Lebensfähigkeit dieses Systems zuzugestehen.53
Die deutsche Reaktion auf die westliche Demokratie 1917 Die Ereignisse im März und April 1917 machten es allen Autoren in Deutschland klar, daß aus dem propagandistischen Kampf um die Wertschätzung bei den Neutralen ein realer Machtfaktor geworden war. Deutsche Autoren reagierten mit einer deutlichen Abwehrhaltung: sei es, daß man den Demokratiegedanken in Deutschland als bereits verwirklicht ansah, wenn auch in einer spezifisch eigenständigen Weise, sei es, daß man den Verfechtern des Demokratiegedankens im Westen vorwarf, sie redeten nur einer Scheindemokratie das Wort. Nun war klar, daß die Demokratie zu einer Formel avancierte, die bei den Feinden als große Alternative zum Obrigkeitsstaat begriffen wurde. Die Verkoppelung von außenpolitischer Anerkennung und innenpolitischer Systemkonformität, die man der Betonung des Demokratiegedankens in Wilsons Senatsrede vom April 1917 entnehmen konnte, war gerade für Anhänger der Demokratie schwer hinnehmbar. Alle Verfechter einer irgendwie demokratisch orientierten Reform sahen sich mit dem Kriegseintritt der USA und den deutlichen Worten Wilson sogleich veranlaßt, darzulegen, ihre Anschauung nicht als Parteiergreifung für eine Position des Kriegsgeg-
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Sowohl von prinzipiellen Gegnern der Demokratie wie von enttäuschten Demokraten: Emile Laveleye, Le gouvernement dans la Démocratie, 2 Bände, 2. Aufl. Paris 1896; Adolphe Prins, De Vesprit du gouvernment démocratique - essai de science politique, Bruxelles, Leipzig 1905; Georges Guy-Grand, Le procès de la démocratie, Paris 1911; Raymond Gaudu, Essai sur la légitimité des gouvernments dans ses rapports avec les gouvernments de fait, Paris 1914. Vgl. insgesamt Jones, The French State in Question, 1993. Hermann Fernau, Die französische Demokratie, Leipzig 1914. Unter anderem rezipierte auch Eduard Bernstein das Buch Fernaus auf seiner Suche nach einer nicht nur bürgerlichen, sozialistischen Demokratietheorie während des Krieges. Hermann Fernau, Durch!... zur Demokratie!, Bern, Bümpliz 1917, ders., Citoyen allemand. Allemands! En avant vers la démocratie, Zürich, Paris 1917. Beyme hat auf diese Veränderungen der Nachkriegsauflage des Traite de droit constitutionnel, Band 2, Paris 1923, S. 629ff. hingewiesen: Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme, 1973, S. 45.
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ners mißzuverstehen. In diesem Sinne äußerten sich Theodor Heuß, Georg Gothein und Friedrich Naumann. Für sie ergab sich der Zusammenhang, daß die Demokratisierung geradezu verhindert werden konnte, wenn sie im Kontext der Friedensverhandlungen als Forderung der Alliierten zu einer Frage der Selbstbestimmung Deutschlands und damit zu einer Frage der „nationalen Ehre" gemacht wird. 54 Naumann äußerte, daß man bereits vor dem Frieden zu einer dauerhaften Reform der Verfassung kommen müsse, um nicht den zu erwartenden Friedenskongreß zu „einer Art Demokratisierungstribunal" werden zu lassen. Noch heute wäre „die Umgestaltung unser eigenes Werk, später wird sie unter dem falschen Scheine leiden, als sei sie vom Feind abgenötigt". 55 Eberhard Gothein, Naumanns Parteifreund in der Fortschrittlichen Volkspartei, sah sich trotz seines nachhaltig geäußerten Wunsches nach einer Demokratisierung gezwungen, zu Wilsons Koppelung von Friedensangebot und Demokratisierungsforderung an Deutschland auf Distanz zu gehen, um seinen eigenen Kampf für die Demokratie von den Forderungen der Alliierten abzugrenzen: „Herr Wilson ... müßte sich sagen, daß er durch die Forderung, mit Deutschland über den Frieden erst dann zu verhandeln, wenn es sich demokratisiert hat, gerade den Parteien, die dieses Ziel erstreben, den Kampf darum aufs äußerste erschwert. Wir kämpfen ihn [den Kampf für die Demokratie] weil wir die Demokratisierung zu einer gesunden Entwicklung unserer inneren Verhältnisse und damit zu einer guten auswärtigen Politik für unerläßlich erachten; aber es ist Wasser auf den Mühlen unserer politischen Gegner, wenn sie von unseren Feinden zur Vorbedingung für den Friedensschluß gemacht wird. Die Ordnung unserer inneren Angelegenheiten ist unsere Sache, nicht die des Auslandes". 56 In einer feierlichen Erklärung des Präsidenten des Reichstags, Johann Kaempf 5 7 von der Fortschrittlichen Volkspartei und unter breitester Zustimmung des Hauses wurde Wilsons Rede als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates zurückgewiesen. Diese Äußerungen war nicht nur dem nationalistischen Grundtenor dieser Autoren geschuldet, die nicht weniger patriotisch gesonnen waren als Nationalliberale oder Konservative, wenngleich sie aus ihrem Patriotismus andere Schlußfolgerungen als diese zogen. Die Bedenken reflektierten die argumentative Situation, in welche die Koppelung von feindlicher Kriegszielpolitik und darin enthaltenen Anforderungen an die politische Ordnung Deutschlands gerade diejenigen Autoren und Politiker brachte, die im Ergebnis ähnliche oder vergleichbare Ziele verfolgten. Gerade die Sympathisanten des Demokratiegedankens mußten ihren Patriotismus deutlicher zur Schau stellen, weil ihr Patriotismus im Gegensatz zum platten Nationalismus des Alldeutschtums wesentlich differen-
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Theodor Heuß, Die Fortbildung der Verfassung, in: März (Mai 1917), S. 497ff. Friedrich Naumann in der Hilfe vom 26. August 1917, S. 521. Ähnlich auch Haußmann in der Fraktionssitzung vom 26. September 1917, vgl. hierzu die Darstellung bei Gottschalk, Linskliberale, 1969, S. 44f. Eberhard Gothein in der Leipziger Volkszeitung vom 5. September 1917, zitiert nach Gottschalk, Linskliberale, 1969, S. 44f. Die Rede Kaempfs war mit dem Reichskanzler verabredet, vgl. die Darstellung Bethmanns: Bethmann-Hollweg, Betrachtungen 1989, S. 242.
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zierter war und sie politische Theorie nicht nach der Abstammung oder dem sprachlichen Verbreitungsgrad bemaßen, sondern nach der inhaltlichen Stichhaltigkeit. Eine der am meisten beachteten Versuche dieser Art war eine Vortragsreihe im Mai 1917 im Preußischen Abgeordnetenhaus, die in dem Band Die deutsche Freiheit publiziert wurde. Einer ihrer Initiatioren war Adolf von Harnack. Harnack hatte auf Ersuchen Bethmanns 1916 das Memorandum Innere Wandlung des Volkes verfaßt, in dem er die Notwendigkeit politischer Reformen im Frieden als Reaktion auf die Kriegserfahrungen darlegte. Die Gewerkschaften hätten den Stand der Arbeiter gehoben, sie müßten daher anerkannt werden. Im einzelnen sprach sich Harnack aber nur für das allgemeine und geheime Wahlrecht und die Anerkennung der Koalitionsfreiheit aus.58 Harnack war also bei aller gebotenen Zurückhaltung für Reformen sehr offen. Dennoch empörte er sich in seinem Einleitungsvortrag für die Vortragsreihe Die Deutsche Freiheit von allen Autoren des Vortragsbandes am heftigsten über die Senatsrede Wilsons.59 Er zitierte aus ihr ausfuhrlich, insbesondere die Passagen zur Demokratie als Kriegsziel der USA zur behaupteten Differenz zwischen der deutschen Regierung und dem Volk und zu der Auffassung, daß dieser Krieg von amerikanischer Seite auch zur Befreiung des deutschen Volkes von seiner Junkerherrschaft geführt werde. Diese von Wilson vor allen Dingen an die Adresse der schon zahlenmäßig bedeutsamen Gruppe von Amerikanern deutscher Abstammung gerichteten Äußerungen nahm Harnack entrüstet für bare Münze und warf Wilson Heuchelei vor. Die Herausforderung durch das demokratische Amerika provozierte im Falle Harnacks zunächst nur eine um so unkritischere und unreflektierte Verteidigung der deutschen Eigenheit und Besonderheit, die den Obrigkeitsstaat als Ergebnis des deutschen Wesens anerkannte und nicht von vornherein verwerfen wollte, und schon gar nicht als Diktat der Westmächte. Nun schienen die übrigen Autoren der Vortragsreihe, Friedrich Meinecke, Ernst Troeltsch, Max Sering und Otto Hintze, bereits mit der Wortwahl ihrer Titelüberschriften in das gleiche Horn zu blasen. Der Ansturm der westlichen Demokratie und die Deutsche Freiheit waren Prägungen, die bereitwillig aufgenommen wurden. Doch bei genauerer Lektüre zeigt sich, daß hier seitens der Gemäßigten ein Argument mit doppelter Stoßrichtung entfaltet wurde: Zwar wurde bereits die Legitimation der Westmächte vehement zurückgewiesen, sich zu Fragen der inneren Ordnung zu äußern und diese auch noch zum Kriegsziel zu erheben, doch zugleich waren besonders Meinecke und Troeltsch nicht ohne Sorge und Ungeduld, ob nicht bei aller deklamatorischen Hervorhebung der spezifischen und einzigartigen deutschen Freiheit gelegentlich sich erweisen müsse, daß sie sich auch tatsächlich zur Freiheit imstande zeige, was vor allen Dingen daran abzulesen sei, ob sie überhaupt hierzu reformfahig wäre. Bei Friedrich Meinecke, der bis zuletzt bereit war, alle Chancen einer Modernisierung des Obrigkeitsstaates auszutarieren, ohne das Modell grundlegend zu verändern, machte sich in der zweiten Maihälfte 1917 ein Ton revolutionärer Ungeduld breit. Meinecke versuchte nun eine Position zu formu-
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Adolf von Harnack, Erforschtes und Erlebtes, Neue Folge, 4. Band, 1923, S. 279ff„ vgl. Mehnert, Evangelische Kirche und Politik, 1959, S. 37. Adolf von Harnack, Wilsons Botschaft und die deutsche Freiheit, in: Die deutsche Freiheit, Gotha 1917, S. 1-13.
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Heren, die an die Überlegungen der ersten Kriegsphase anknüpfte.60 Er behauptete weiterhin eine spezifisch deutsche Lösung des Verhältnisses von persönlicher und politischer Freiheit finden zu müssen, die diesem Ideal ihre „geistige Rechtfertigung" verschaffe, „denn sie befreit und bindet zugleich" (S. 23). Aber e der existierende preußische Staat wird jetzt nicht mehr als ausschließliche Wirklichkeit dieses Ideals gesehen, sondern als Ergebnis eines spröden Militär- und Beamtengeistes, der der Verwirklichung dieses Ideals durchaus widerständig im Wege steht. Daraus folgt für ihn: „Das schließt unbedingt aus, daß wir den uns geschichtlich gegebenen Staat revolutionär verneinen, das schließt aber keineswegs eine selbst ganz scharf fordernde und einschneidende Reformgesinnung aus und fordert sie sogar in entscheidenden Stunden, wenn neues Leben einströmen will in die Nation" (S. 27). Wenn man über die Demokratisierung weitere Bevölkerungsteile in den politisch partizipationsfahigen Teil der Bürgerschaft eintreten lassen möchte (worunter freilich immer noch nur die Arbeiter, nicht die Frauen gemeint sind), um den Staat zu stärken, dann muß dies aus Staatsräson notfalls auch gegen den Widerstand der alten sozialen Trägerschicht des Staates durchgesetzt werden. In seiner systematisch-abwägenden Studie für die besagte Vortragsreihe will Troeltsch drei Freiheiten voneinander unterscheiden und ihren jeweiligen Ansprüchen und Leistungen gerecht werden: die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen, die Freiheit als Ausdruck einer modernen Ideenausbildung und schließlich drittens, die auf demokratischer Basis erfolgende Beteiligung des einzelnen an der politischen Willensbildung. In Hinblick auf die individuelle Freiheit sieht Troeltsch im Westen ein größeres Ausmaß verwirklicht. Den zweiten Punkt bezieht Troeltsch auf den Autonomieanspruch der Persönlichkeit, von dem Troeltsch vermutet, daß er in Deutschland vielleicht sogar stärker verwirklicht worden sei als im Westen und dem dort angeblich aufgezwungenen Konformismus.61 Dieser Vorbehalt entsprach den bereits von Tocqueville und John Stuart Mill geäußerten Vorbehalten bezüglich der Tyrannei der Mehrheit. Hinsichtlich des dritten Aspekts eröffnet Troeltsch die bekannte Schere zwischen der propagandistischen Selbstdarstellung der westlichen Demokratie und ihrer tatsächlichen Einrichtung. Das veränderte Staats- und Wirtschaftsleben, wie es gerade im Weltkrieg sein tatsächliches Antlitz offenbart hat, erlaubt in sachlicher Hinsicht ohnehin keine Demokratisierung im vollen Sinne des Wortes. Mit Rousseaus Kleinstaatstheorem als Voraussetzung reiner Demokratie weist Troeltsch den Anspruch auf die Demokratisierung moderner industrieller Großstaaten als bereits sachlich nicht gerechtfertigt zurück (S. 96). Troeltsch hatte sich in den vorangegangenen Jahren noch wesentlich enthusiastischer geäußert bezüglich der Möglichkeit, eine eigenständige Idee „deutscher Freiheit" zu denken. Es sei an seine anfanglich begeisterte Aufnahme der Ideen von Johann Plenge erinnert. Noch im Vorjahr hatte er eine diesbezügliche Unvereinbarkeit deutscher und westlicher Kulturentwicklung behauptet. Zwar gestand Troeltsch damals der westlichen Position ihr Recht zu,
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Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: Die Deutsche Freiheit, Gotha 1917, S. 14-39.Im Berliner Tageblatt Nr. 252 vom 19. September 1917, Morgenblatt S. 3 wurde über Meineckes Vortrag vom Vortage als Eröffnung der genannten Vortragsreihe berichtet. Ernst Troeltsch, Der Ansturm der westlichen Demokratie, in: Die deutsche Freiheit, Gotha 1917, S. 79-113, 89.
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verlangte aber, die Eigenständigkeit der ideengeschichtlichen Entwicklung anzuerkennen und distanzierte sich vom Maßstab einer universal gültigen westlichen Demokratie, die er sogar als Bedrohung ansah: „Die Übernahme einer Demokratie, die nur freie Chancen für das Geschäft verlangt und ihren Idealismus ausschließlich aus der allgemeinen Gleichheit berauscht, die in Wahrheit die allgemeine Mittelmäßigkeit und Seichtigkeit wäre und über die die feineren Geister auch dort sich beklagen".62 Im Vergleich zu diesen Tönen vom Januar 1916 wirkte seine Argumentation vom Sommer des gleichen Jahres bereits abgeklärter. Im Frühjahr 1917 nun fordert er dazu auf, zwischen der Herrenkultur und der demokratischen Massenkultur als zwei gleichmäßig abzulehnenden politischen Organisationsprinzipien einen vermittelnde Wege zu suchen, da die Integration der Arbeiterschaft staatspolitisch notwendig und ein Gebot der Klugheit sei: „Es bedarf gar keiner abstrakten Begeisterung für die Demokratie, um solche Folgerungen zu ziehen".63 Für Autoren wie Troeltsch war der Schritt in eine sachlich-nüchterne Argumentation zugleich ein Schritt aus einer ideologisch-verbissenen Betrachtungsweise, der auch sie sich anfanglich unter dem überwältigenden Eindruck des Krieges nicht verschließen konnten. Autoren wie Troeltsch oder Meinecke waren weder Gesinnungsdemokraten noch unfähig zu einem differenzierten Gebrauch der „Ideen von 1914". Sie rangen mit sich selber und ihren Argumenten. Hier wie an anderen Stellen erweist sich der Blick auf die Entwicklung der Argumentation als aufschlußreicher für die Rekonstruktion eines bestimmten politischen Denkens als die Suche nach einer gleichbleibenden prinzipiellen Grundposition, der man einen Autor zuordnet.64 Das galt freilich nicht überall. An manchmal ganz überraschenden Stellen holten Autoren zu einer grundsätzlichen Kritik an der westlichen Demokratie aus, die wie im Falle von Ferdinand Tönnies geradezu schulbildend wirken konnte.
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Ernst Troeltsch, Die deutsche Idee von der Freiheit, in: Neue Rundschau vom Januar 1916, 5057, zitiert nach dem Abruck in: ders., Deutscher Geist, 1925, S. 80-107, hier S. 87f. Ernst Troeltsch, Politik des Mutes und Politik der Nüchternheit, in: Das Neue Deutschland 4 (1915/1916, vom 22. Juli 1916), S. 374-377, S. 377. Zu Troeltschs Entwicklung und Wandlung seiner Einstellung zu den „Ideen von 1914" vgl. Sösemann, Erneuerte Deutschland, 1984 und Drescher, Troeltsch, 1991, S. 434ff.
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Die Zurückweisung des Geltungsanspruchs der westlichen Demokratie
Tönnies und das Problem der öffentlichen Meinung in der Demokratie Ferdinand Tönnies, einer der Mitbegründer der Soziologie, war vor dem Weltkrieg deutlich gegen das preußische Wahlrecht aufgetreten. Er hatte mit Alfred und Max Weber den Aufruf des Berliner Tageblattes gegen das Dreiklassenwahlrecht unterzeichnet und in verschiedenen Aufsätzen im gleichen Sinne dazu Stellung genommen.65 Als Mitautor des Thimme/Legien-Sammelbandes hatte sich Tönnies frühzeitig zur Integration der Arbeiterschaft bekannt und den Krieg als Chance hierzu gesehen. Nichtsdestotrotz legte Tönnies Anfang 1917 eine umfangreiche systematische Kritik der westlichen Demokratie vor,66 die unter dem Eindruck des Kriegs nicht zufällig in Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Theorie der öffentlichen Meinung stand, die während des Weltkrieges einsetzten und in dem groß angelegten Buch zur Kritik der öffentlichen Meinung von 1922 mündeten. Tönnies begann seinen Vergleich des englischen und des deutschen Staates mit einem furiosen Auftakt, wonach die englische Rede von der Verteidigung der Zivilisation als demagogische Bemäntelung ihrer imperialistischen Politik leicht zu durchschauen sei. In diesem Sinne wollte Tönnies aufklärerisch wirken, denn es gibt „Schwachsinnige genug, die da glauben, daß England zum Schutze der kleinen Nationen und für Humanität, Recht und Freiheit seine Flotte mobilgemacht und sein Heer mit schwarzen 'Freiwilligen' aufgefüllt habe..." (S. Villi). Nach diesen Eröffnungssätzen geht es Tönnies im folgenden aber vor allen Dingen um die in seinen Augen offensichtlich weitaus gefahrlichere Vorstellung, wonach die englische Verfassung eine wahrhaft demokratische sei. Tönnies will die Vermutung widerlegen, England sei aufgrund der vermeintlichen Souveränität des frei gewählten Parlamentes oder aufgrund der Wählbarkeit bereits eine demokratische politische Ordnung (S. 6ff; S. 20ff). Im Ergebnis handelt es sich für Tönnies im Falle Englands vielmehr um eine fest begründete Aristokratie mit „demokratischen Verzierungen" (S. 21). Die politische Ordnung Englands ist Tönnies zufolge in einer im Detail ausführlichen und kenntnisreichen, in der Anlage und Wertung aber keineswegs vorurteilsfreien Schilderung, ein System oligarchischer Selbstergänzung der politischen Spitze mit tendentiellen Zug zum Cäsarismus und einer nicht einmal konstitutionell gemäßigten Kabinetts- bzw. Premierministerherrschaft, die mangels einer Un65
Ferdinand Tönnies, Preußische Reformen, in: März, 4. Jahrgang 1910, S. 3 9 1 - 3 9 4 ; ders., Die Gleichheit des Wahlrechts, in: Das freie Wort, 8. Jahrgang, Nr. 5, 1. Juniheft 1908; vgl. Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik, 1967, S. 406f.
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Ferdinand Tönnies, Der englische Staat und der deutsche Staat, Berlin 1917.
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terscheidung von Gesetz und Verfassungsgesetz über gar keine Verfassung in dem verfassungspolitischen Sinne der liberalen Verfassungstradition verfugt (S. 54f.). Tönnies Buch gehört zu einer ganzen Reihe von gelehrten „Aufklärungsschriften", die das Publikum über die „wahren Verhältnisse" in den Feindstaaten informieren wollten.67 Darüber hinaus zeichnet Tönnies ein Bild des deutschen Staates der jüngsten Entwicklung, in dem er darin eine geradezu idealistische Fortentwicklung der Demokratie erkennt. Auch das Preußische Abgeordneten-Haus sieht Tönnies in Analogie zu England, und zwar insofern, als sein Wahlrecht mit demjenigen zum englischen Unterhaus zwischen dem ersten und zweiten Reformgesetz vergleichbar sei. Seine Reformbedürftigkeit konstatiert Tönnies ohne weiteres und verweist dabei auf die Ankündigungen der preußischen Regierung (S. 82f., noch vor dem Ostererlaß geschrieben). Den zu erwartenden Widerstand des Herrenhauses will Tönnies mit Hinweis auf die Möglichkeit von Neuernennungen für unbedeutend erachten, wobei er auch hierfür auf England verweisen konnte, und zwar im Zusammenhang mit der dort wirksam gewordenen Drohung mit einem PeersSchub im Falle einer unterbleibenden Zustimmung zum Parliaments Act von 1911. Tönnies geht auch davon aus, daß das Verständnis des deutschen Kaisertums aufgrund seiner historischen Jugend und geringen Verwurzelung in der Bevölkerung noch wandlungsfahig sei. Er ist also nicht unkritisch in Hinblick auf die möglichen und nötigen Wandlungen der politischen Struktur Deutschlands. Aber unter dem Eindruck des Krieges lehnt er das englische Beispiel als Vorbild einer Wandlung in Deutschland kategorisch ab, insbesondere wenn es um die Frage der Parlamentarisierung geht. Als Haupthindernis der Übertragbarkeit des Parlamentarismus-Modells Englands auf Deutschland sieht Tönnies die Parteienkonstellation an. Tönnies sieht im Mehrheitswahlrecht und den wenigen um Stimmen ringenden Parteien im steten Wechsel von Regierung und Opposition den Grundzug des Parlamentarismus. In seiner Begründung für die UnÜbertragung auf Deutschland argumentiert Tönnies insofern originell, als er nicht die Parteienzersplitterung für die Unübertragbarkeit des englischen Systems verantwortlich macht, also ein parteiensoziologisches Argument gegen ein ansonsten prinzipiell annehmbar erscheinendes Modell anführte, sondern gerade den demokratischen Charakter des Reichstages als Beweis für die Unmöglichkeit des Parlamentsregiments heranzieht. „Der Reichstag ist eine radikal-demokratische Einrichtung, wie sie sich schwerlich in einem anderen Großstaate wiederfindet; denn infolge des allgemeinen Wahlrechts ist er vorzugsweise eine Vertretung der besitzlosen und ungebildeten Klassen" (60). Da nun der Reichstag gemäß seinem demokratischen Charakter „ein klarer Spiegel der wirklich im Volke vorherrschenden Meinungen und Gesinnungen" ist (S. 94), kann sich der Reichstag nicht den Veränderungen unterziehen wollen, die nötig wären, um regierungsfähig zu werden im Sinne des Parlamentarismus, wenn er nicht gerade seinen demokratischen Charakter verlieren möchte. Um nämlich im positiven Sinne regierungsfähig zu werden, muß das Parlament geradezu von den Einflüssen der öffentlichen Meinung unabhängig sein, zumal wenn es durch ein Wahlrecht zusammengesetzt wird, in dem nicht die politische
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Vgl. noch u. a. Arnold Oskar Meyer, Deutsche Freiheit und englischer Parlamentarismus, München 1915 und Paul Herre, Welche Rechte hat das Volk in den Demokratien England, Frankreich und Amerika? Leipzig 1917.
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Reife als Voraussetzung der Wahlmündigkeit angesehen wird. Das Kriterium des bloßen Erreichens des Erwachsenenalters reicht nicht aus, ist der gerade mündig gewordene Mann doch weiterhin besonders anfallig für Stimmungen und rein technisch gesehen schürbaren Emotionen ausgesetzt (S. 96f.). Bislang mochte Tönnies verhältnismäßig ausgewogen die politischen Ordnungen von England und Deutschland dargestellt haben. Die Schule machende Kritik von Tönnies an der westlichen Demokratie erfolgte aber an dem hier einsetzenden Punkt: dem Problem der öffentlichen Meinung. Tönnies leistete der Auffassung Vorschub, wonach die Demokratie unter dem institutionellen Einfluß der öffentlichen Meinung zum demagogischen Spielfeld der Oligarchien werde und damit die scheinbare politische Selbstbestimmung des Volkes in Wahrheit das Ergebnis fremdbestimmten Einflusses auf die Volksmeinung war. Das wichtigste Argument gegen die westliche Demokratie entsprang der tief verwurzelten Ablehnung der modernen Erscheinungsweisen der öffentlichen Meinung, wie sie gerade unter den Einwirkungen des Weltkrieges auch am schärfsten hervortraten. Mit der Propaganda auf der einen Seite und der Sinnstiftungsliteratur auf der anderen Seite trat mit dem Weltkrieg das Phänomen der öffentlichen Meinung68 als grundsätzlicher Faktor aller modernen politischen Ordnung in Deutschland erstmalig in den Vordergrund des Problembewußtseins. In der Sache war das Problem der öffentlichen Meinung den zeitgenössischen Theoretikern schon bald nach Ausbruch des Krieges bewußt geworden69 und steigerte sich schließlich zu der Behauptung, wonach die öffentliche Meinung kriegsentscheidend ist: In einer Denkschrift aus der Feder des Oberst Haeften vom Januar 1918 wurde zur Vorbereitung der militärischen Frühjahrsoffensive eine politische Offensive vorgeschlagen, die darauf hinauslief, sowohl die öffentliche Meinung in der Heimat wie vor allen Dingen die öffentliche Meinung in den gegnerischen Ländern zu beeinflussen. Darin hieß es: „Worte sind heute Schlachten: richtige Worte gewonnene Schlachten, falsche Worte verlorene Schlachten".70 Der Blick ins Ausland sollte die Mittel und Wege der Mobilisierung der öffentlichen Meinung illustrieren. Da die deutschen Beobachter durchweg keinem der alliierten Argumente Glauben schenkten, waren sie um so eher versucht, die einmütige Verurteilung Deutschlands als Feind, gegen den ein Krieg mit gerechten Gründen gefuhrt werden durfte, als groß angelegte Intrige zu verstehen, für die Demokratien aufgrund ihrer Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung besonders anfallig sein sollen.71 Schließlich folgten grundsätzlichere Überlegun-
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Mommsen, Bethmann-Hollweg und die öffentliche Meinung, 1969; Renouvin, Die öffentliche Meinung in Frankreich, 1970; eingehender untersucht sind auch Spezialprobleme, etwa Einstellung und Umgang der öffentlichen Meinung mit dem Franktireurproblem: Petri/Schöller, Zur Bereinigung des Franktireurproblems, 1961; Wieland, Die Frage des belgischen „Franktireurkrieges", 1981. Hermann Kellermann, Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkrieg 1914, Dresden 1915; Wilhelm Bauer, Der Krieg und die öffentliche Meinung, Tübingen 1915; Cincinnatus (d. i. J. Lettenbauer), Der Krieg der Worte, Berlin 1916. Vorschlag zu einer politischen Offensive, in: zitiert nach Michaelis/ Schraepler Ursachen und Folgen 1958ff„ Bd. 2, Nr. 326, S. 244. Kurt Hahn, Englands Kriegswille im Lichte der englischen Presse, in: Preußische Jahrbücher 167
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gen, die über das Verhältnis von Politik und öffentlicher Meinung insbesondere in Hinblick auf die Außenpolitik angestellt wurden.72 Die Sichtweise des Themas ,öffentliche Meinung' im Ersten Weltkrieg, wonach es als ein Problem der Propaganda gesehen wird, prägt auch den wesentlichen Teil der diesbezüglichen Forschung in der Gegenwart.73 Eine Ausnahme hiervon stellt noch die Erforschung des Einflusses der öffentlichen Meinung auf die Willensbildung in der Außenpolitik dar. Selten wird aber die öffentliche Meinung als Problem der Innenpolitik und der politischen Ordnung insgesamt thematisiert.74 Die Verarbeitung der Wandlung des Stellenwertes der öffentlichen Meinung für das System politischer Willensbildung gehörte während des Weltkrieges zu den wesentlichen Auseinandersetzungen, die auch die Überzeugungskraft des Demokratiegedankens maßgeblich beeinflußte. Es fehlten sowohl die Tradition, mit dem Phänomen der öffentlichen Meinung umzugehen, wie ein halbwegs der Wirklichkeit abgerungener operabler Begriff der öffentlichen Meinung. Differenziertere Betrachtungsweisen, wie die Holtzendorffs und Onckens vor dem Krieg, waren ohnehin selten und wurden im Krieg im Verhältnis zu denjenigen der Tönnies'sehen Manier nicht rezipiert.75 Dagegen hatten massenpsychologische Studien von Tarde, Sighele76 und vor allen Dingen Gustav le Bon77 bereits vor dem Weltkrieg die Diskussion über die Auswirkungen der Massendemokratie auf das Räsonnement der öffentlichen Meinung angeregt und einseitig beherrscht. Sie waren von Robert Michels für die deutsche Diskussion rezipiert worden78 und fanden Einlaß in umfangreiche Debatten innerhalb der Sozialdemokratie, die im Zuge der Massenstreikdebatte besonders sensibilisiert war für Probleme der politischen Meinungsbildung unter den Bedingungen der modernen Massendemokratie und der ihr
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(1917) S. 1-41; H. Hirschberg, Wie John Bull seine Söldner wirbt. Dokumente aus der englischen Rekrutenwerbung, Berlin 1915; A. Jung, Die 7. Großmacht im Kriege. Ein Umblick über die Presse des feindlichen und des neutralen Auslandes und eine Untersuchung über das Wesen der Presse und ihre Bedeutungför unsere nationale Interessen, Berlin 1916; M. Loeb, Der papierne Feind. Die Weltpresse als Schürer des Deutschenhasses, Augsburg 1918. Witte, H., Öffentliche Meinung und auswärtige Politik, in: Preußische Jahrbücher 169 (1917), S. 173-185; H. Kötschke, Krieg undPresse, in: Preußische Jahrbücher 163 (1916) S. 242-256; L. Loewenfeld, Die Suggestion und ihre Bedeutung für den Weltkrieg, Wiesbaden 1917. Daniel/Siemann, Propaganda, 1994. Kestler, Die deutsche Auslandsaufklärung, 1994. Marquis, Words as weapons, 1978. Messinger, British Propaganda, 1992. Ungern-Sternberg/ UngernSternberg, Der Aufruf „an die Kulturwelt", 1996. Wilke, Deutsche Auslandspropaganda, 1993, S. 95ff. Vondung, Propaganda oder Sinndeutung, 1980. Jeismann, Das Vaterland der Feinde, 1992. Stegmann, Die deutsche Inlandspropaganda, 1972; Mommsen, Bethmann-Hollweg und die öffentliche Meinung, 1969 und ders., Die deutsche öffentliche Meinung, 1990, S. 422-440. F. von Holtzendorff, Wesen und Wert der öffentlichen Meinung, 1879, 2. Aufl. München 1880. Hermann Oncken, Politik - Geschichtsschreibung und öffentliche Meinung (1903), in: ders., Historisch-politische Aufsätze, Bd. 1, München 1914, S. 205-43. Gabriel Tarde, Les crimes des foules, Lyon 1892; Scipio Sighele, I delitti della folla, Torino 1902. Gustave Le Bon, Psychologie des foules, 1. Auflage Paris 1895. Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der Demokratie - Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Leipzig 1911.
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eigenen Erscheinungsweisen. Eduard Bernstein hatte zu den ersten Rezipienten der Massenpsychologie gehört und wandte sich auf deren Fundament gegen den Fetischismus, sich den Industrieproletarier bereits als Idealmenschen vorzustellen. Das Volk auf der Straße sei eine ambivalente Erscheinung: revolutionär oder reaktionär, heroisch oder feige. 79 In einer redaktionellen Anmerkung zu Bernsteins Beitrag verlangte Kautskys zwischen organisierter und unorganisierter Masse zu unterscheiden.80 Diese Argumentation war gegen Rosa Luxemburgs Plädoyer für einen spontanen Aktionismus 81 gerichtet. Ihr Massenbegriff war aus Opposition zum Organisationsbegriff der Parteiführung erwachsen und wollte einen Weg aus dem „Immobilismus und der Perspektivlosigkeit" der Massen bahnen, um eine Neuorientierung des Politikbegriffs zu ermöglichen. 82 Es waren also keineswegs nur doktrinäre Demokratiekritiker gewesen, die aus den Beobachtungen zur Massenpsychologie Probleme für die politische Meinungsbildung und Willensbildung heraufkommen sahen. Als Tönnies daher im Weltkrieg in der öffentlichen Meinung das größte Problem der politischen Ordnung der Demokratie erblickte und diese Theorie für England exemplifizierte, traf er damit auf eine besondere Aufmerksamkeit, die seiner weithin rezipierten Argumentation rasche Überzeugungskraft vermittelte. Seine in Weimar erschienene umfangreiche Arbeit Kritik der öffentlichen Meinung™ ging seiner eigenen Angabe zufolge auf bereits 1915 begonnene Studien zurück (Vorwort S. V). In diesem Jahr hatte Tönnies die historisch bedeutsamste Untersuchung zur öffentlichen Meinung in deutscher Sprache untersucht, das Werk von Wilhelm Bauer, das noch vor Ausbruch des Weltkrieges vorlag.84 Bauer hatte keinen Begriff von .politischer' öffentlicher Meinung, sondern wollte das kulturelle Gesamtphänomen der öffentlichen Meinung erfassen. Das merkte auch Tönnies kritisch in seiner Rezension an, die sich streckenweise wie eine Mängelliste und ein Nachtrag der von Bauer übersehenen oder mißachteten Literatur liest. Tönnies selber freilich hatte in Gemeinschaft und Gesellschaft differenziert zwischen der öffentlichen Meinung und ihren Einfluß auf das sittliche und moralische Leben, etwa der Einfluß der gebildeten öffentlichen Meinung auf Strafgesetzreformen, die
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Eduard Bernstein, Die Menge und das Verbrechen (Rezension von Sigheles Psychologie des Auflaufes) in: Neue Zeit 16 (1897/98), S. 229-237. Karl Kautsky, Redaktionelle Anmerkung, Neue Zeit 16 (1897/98), S. 235, Anm. 1; hierzu berichtet Gilcher-Holtey, Das Mandat des Intellektuellen, 1986, S. 122f., daß Kautsky in einem Brief an Adler vom 21. März 1897 bemerkte, beim Lesen des Manuskriptes von Bernstein sei ihm das erste Mal dessen Animosität gegen jede revolutionäre Bewegung aufgefallen; 3 Monate später strich Kautsky eine Stelle aus einem Bernstein-Manuskript, wonach die Revolution die wertlosesten Elemente obenaufbringe (Kautsky an Bernstein vom 18. Februar 1889, aus dem Nachlaß zitiert bei Gilcher-Holtey, Das Mandat des Intellektuellen, 1986, S. 123). Groh, Negative Integration, 1973, S. 193. Walther,... aber nach der Sintflut kommen wir und nur wir, 1981, S. 252f. Ferdinand Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922; vgl. zu letzterem: Verhey, Ferdinand Tönnies 'Kritik der öffentlichen Meinung', 1996, S. 159-176. Wilhelm Bauer, Die öffentliche Meinung in der Weltgeschichte, Tübingen 1914. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, 2. Aufl. Leipzig 1912.
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er eher konstruktiv fand, und der politischen öffentlichen Meinung, die er ganz der Sphäre der Parteimeinung zuschlug, welche „ihre Meinung zur öffentlichen Meinung oder wenigstens zum Scheine dieser zu erheben" bestrebt sei (Abschnitt Soziologische Begründung des Naturrechts § 31). Gegenüber diesen zum Mißbrauch einladenden Aspekt der politischen öffentlichen Meinung wollte Tönnies auf einem Idealbegriff der öffentlichen Meinung beharren, welcher eigentlich nur die „wissenschaftliche und aufgeklärte Meinung" sein konnte, die er deshalb auch der „kosmopolitischen" Sphäre einer universalen „Gelehrtenrepublik" zuschlägt (Anhang § 7). Diese Grundauffassung behielt Tönnies nun auch in der Rezension von Bauer 1916 bei, im Grunde beharrte er sogar noch 1922 auf ihr.86 Bauer versuchte seine Schrift von 1914 für die Bedingungen des Kriegs zu aktualisieren und mahnte dort eindringlich: „Wie aber alles Reden ein Urteilen in sich begreift, so legt die öffentliche Meinung nirgends ihre Schwäche an Kritik und Sachkunde so offen bloß, wie gerade im Krieg. All das Fürchten, Hoffen und Zittern, das die Menschen in solchen Zeiten erfaßt und durchrüttelt, das herrscht auch über ihr Denken und lockt dieses Denken von starrer Logik und kühler Überlegung ins Reich der Gefühle und Leidenschaften". 87 Die Warnung Bauers blieb ungehört, auch bei Tönnies. So bestand Tönnies auch 1916 darauf, daß die akzeptable öffentliche Meinung nur in den „Mittelklassen" gebildet wird.88 Das bedrohliche der modernen Demokratie besteht für Tönnies darin, daß gerade dieser Einfluß der Mittelklassen, des Bildungsbürgertums auf die politische Willensbildung durch die Erweiterung des Kreises der an der öffentlichen Meinung Beteiligten in Gefahr gerät. Dies wird für Tönnies 1916 am sichtbarsten am Beispiel der USA. Was er allerdings mit Hilfe von Darlegungen aus den Vorkriegsschriften von James Bryce 1916 anhand der USA belegte, glaubte er 1917 auch in England beobachten zu müssen: Die Dekadenz der öffentlichen Meinung war seiner Auffassung nach nun auch in England vorangeschritten.89 Auf der Kritik an der öffentlichen Meinung in England beruhte der Leitfaden von Tönnies' Zurückweisung des englischen Vorbildes für den deutschen Staat. Sie prägt bereits die furiosen Polemik gegen Lloyd George zu Beginn von Der englische Staat und der deutsche Staat. Nachdem Lloyd George Premier Minister geworden war und in seiner knock-out-Rede die vollständige Niederschlagung des militaristischen Deutschlands um eines dauerhaften Friedens willen propagiert hatte, galt er in der deutschen Publizistik als größte Gefahr eines annehmbaren Friedens. In Tönnies Polemik vermischen sich sowohl Furcht wie Mißgunst und vor allen Dingen Unverständnis: „In England hat ein ehrgeiziger Volksführer, tatkräftig, klug und gewissenlos, sich an die Spitze gebracht, ohne daß die ,Nation' um ihre Meinung gefragt wäre; ein verrufener Preßklüngel hat dafür den Ausschlag gegeben. Wir begrüßen dies als Anzeichen für moralische Zersetzung des englischen Staatswesens" (S. VII der Einleitung). Diese moralische Zersetzung steht für Tönnies in einem unmittelbaren Verhältnis zur „moralischen Verantwortung" des Kabinettschefs, die anders als die Mi-
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vgl. Ferdinand Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922, S. 549 Anm. u. ö. Wilhelm Bauer, Der Krieg und die öffentliche Meinung, Tübingen 1915, S. 13. Ferdinand Tönnies, Zur Theorie der öffentlichen Meinung, in: Schmollers Jahrbuch 40 (1916) S. 2001-2030, S. 2005. Ferdinand Tönnies, Der englische und der deutsche Staat, Berlin 1917, S. 144f.
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nisterverantwortlichkeit für verfassungswidriges Verhalten die Verantwortung des Demagogen gegenüber der öffentlichen Meinung meint (S. 143). Darin kommt Tönnies der zentralen Grundannahme in der westlichen politischen Theorie über die nicht juridisch erfaßbare, politisch aber wirksame Abhängigkeit der Regierung von der öffentlichen Meinung sehr nahe. Aber Tönnies vermag es nicht, den politisch-praktischen Stellenwert der öffentlichen Meinung theoretisch zu erfassen. Er behauptete vielmehr, daß die Oligarchien in der Demokratie aufgrund ihrer demagogischen Fertigkeiten nur den Schein eines demokratischen Gemeinwohls errichten und demgegenüber die Sachlichkeit der politischen Beamtenschaft in Deutschland und ihre Konzentration auf eine überparteiliche Orientierung am Gemeinwohl, gestützt durch das gelehrt-gebildete öffentliche Räsonnement das eigentliche Vorbild jeglicher politischer Ordnung sein müsse. Tönnies Arbeit zeugt daher nicht von einem unverstellten analytischen Blick auf die Rolle der öffentlichen Meinung im Prozeß der politischen Willensbildung. Denn er vermengt soziologische Beobachtungen mit ideellen Wunschvorstellungen, die er bezüglich einer ihm vorbildhaft erscheinenden bürgerlichen öffentlichen Meinung hegte. Demagogie und Dekadenz hatte die Demokratie für sich gepachtet, der Obrigkeitsstaat rechtfertigte sich gerade durch die Vermeidung dieser Phänomene. Tönnies Buch Der englische und der deutsche Staat gehört zu den am meisten rezipierten Werken der Weltkriegszeit. Seine Analyse war deswegen für viele Beobachter so überzeugend, weil die Betonung der öffentlichen Meinung als differentia specifica wiederum erklären konnte, warum die westliche Demokratie es schaffen konnte, in den neutralen Ländern so attraktiv zu wirken. Bestand nicht die Kunst der Demagogie darin, in der öffentlichen Meinung den bloßen Schein des Vorhandenseins beliebter Prinzipien und populärer Normen aufkommen zu lassen? Der mangelnde Einfluß der in der Sache verderblichen Wirkung der öffentlichen Meinung hob also zugleich Deutschland positiv hervor und erklärte zugleich sein geringes Ansehen in der außerdeutschen Welt, war hier doch die Fähigkeit zur Demagogie aufgrund der geringeren Rolle, die die politischen Parteien in der Meinungsbildung einnahmen, weitaus geringer entwickelt. Gerade die konservativ-liberale Opposition gegen jegliche Demokratisierung und Parlamentarisierung erklärte ihre Zustimmung. Besonders hervorgehoben wurde dabei in der Regel, daß Tönnies durch eine einfache Gegenüberstellung von westlicher Demokratie und Deutschland entlarven konnte, inwiefern sich erstere zu unrecht Prinzipien und Normen anmaßte, die bei genauer Betrachtung der tatsächlich wirksamen Institutionen der Grundlage entbehrten. Man übernahm von Tönnies insbesondere den Nachweis, wonach der Hauptunterschied der beiden politischen Ordnungen in der jeweiligen Bedeutung der öffentlichen Meinung für die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung zu suchen sei. Tönnies hatte vor dem Weltkrieg noch Hasbachs Differenzierung von demokratischem und liberalen Wahlrecht kritisiert und abgelehnt.90 Im Krieg wurden Hasbachs
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Ferdinand Tönnies, Liberalismus und Demokratie, in: Das freie Wort, 7. Jahrgang Nr. 19, 1. Januarheft 1908, S. 731 f. Tönnies argumentierte gegen Hasbachs Theorie, die dieser in einer Fassung vor der monographischen Arbeit von 1912 vorgestellt hatte: Wilhelm Hasbach, Liberale oder demokratisches Wahlrecht?, in: Die Zukunft 1907/1908, Nr. 49.
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Studien eine Hauptreferenz für seine Auffassung, wonach die westliche Parteiregierung in einen unvermittelbaren Gegensatz zur deutschen Beamtenregierung steht. Die Parteiregierung hatte Hasbach als Regime „politischer Dilettanten" bezeichnet, die nur in „Agitation und Rhetorik" der Beamtenregierung überlegen ist.91 Es handele sich gar nicht um eine Demokratie, sondern um eine Oligarchie, die die Machtmittel des Staates den Parteiinteressen zur Verfugung stellen wolle und sich hierfür nur des Anscheins der demokratischen Orientierung im Sinne des Volkswillens und des Gemeinwohls bediene (S. 668), den sie mit allen Mittel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung erwecken. Hasbach will daher zusammenfassend für den Westen nicht die Bezeichnung Demokratie gelten lassen, sondern nennt ihre Regierungsform „Demagogokratie" (S. 663). 92 Ähnlich argumentierte später auch Erich Kaufmann, wenn er im Anschluß an Tönnies und Gustav Steffen und dessen Rezeption der westlichen politischen Theorie meinte: „Das ganze politische Wahl- und Parteigeschäft ist in wirklich demokratisierten Staaten untrennbar verbunden mit den Erscheinungen der .politischen Massenhypnotiseure, politischen Marktschreiern und politischen Schreckfabrikanten" 93 und er warnt vor einer Entwicklung in diese Richtung, die er unweigerlich kommen sieht, wenn den Wünschen nach einer Stärkung des Reichstages nachgegeben wird. Während nämlich die Verhandlungen im Bundesrat der Verschwiegenheit der Beteiligten unterworfen sind, ist der Reichstag Schauplatz der Agitation und Demagogie. Die Parteien, in deren Machenschaften keine Öffentlichkeit leuchte (S. 219), sind der Psychologie des Demokratismus (S. 221) unterworfen. Öffentlichkeit ist hier noch im Zuge frühliberaler Vorstellungen als aufgeklärte Beratung verstanden, nicht als Arena schlaglichtartig beleuchteter medialer Inszenierungen für ein breites Massenpublikum. Gustav Schmoller meinte in seiner Rezension vom Februar 1917 im Anschluß an Tönnies, daß die öffentliche Meinung in England geprägt sei durch die Presse, hingegen in Deutschland durch das Lesen von Büchern. Daher unterliegt die öffentliche Meinung in Deutschland nach Schmollers Auffassung auch nicht der illusionären Kraft von Schlagworten, sondern „ist reifer und ernster." 94 Man muß aber bei der tiefverwurzelten Skepsis gegenüber der öffentlichen Meinung berücksichtigen, daß zwar die westliche politische Theorie seit David Hume über eine umfangreiche Tradition der Beschäftigung mit dem Problem der öffentlichen Meinung verfügte und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Dicey auch über einen Autoren verfügte,
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Wilhelm Hasbach, Die parlamentarische Kabinettsregierung außerhalb Englands - Der Wert der parlamentarischen Kabinettsregierung, in: Zeitschrift für Socialwissenschaften, NF 9 (1918) S. 659-695, S. 673. Vgl. auch Lanchester, Alle origini di Weimar, 1985, S. 117ff. Diesen Begriff übernimmt Hasbach von Raoul Frary, Manuel du Démagogue, Paris 1885. Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Berlin 1917, in: ders., Gesammelte Schriften Band I, Göttingen 1960, S. 143-223, S. 220. Gustav Schmoller, Der englische Staat und der deutsche Staat, Schmollers Jahrbuch 41 (1917), S. 985-993, S. 987. Schmoller hatte noch vor dem Weltkrieg die Tönnies'schen Thesen für eine Reform des Preußischen Wahlrechts bekämpft. Schmoller übersah möglicherweise bei seiner jetzt im Krieg erfolgenden Zustimmung, daß Tönnies nicht der politischen Ordnung Preußens das Wort redete, sondern dem „deutschen Staat", dessen Befürwortung durchaus als eine Ablehnung Preußens in seiner jetzigen Form verstanden werden konnte. Vgl. Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik, 1967, S. 362.
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der angesichts des Einflusses der öffentlichen Meinung auf die Regierungspolitik so weit ging, zu sagen, daß man deshalb bereits davon sprechen müsse, in einer Demokratie zu leben. 95 Aber auch dort führte die Beobachtung der enormen Steigerung der Bedeutung der öffentlichen Meinung im Zuge der Mobilisierung von Massen für den militärischen und kriegswirtschaftlichen Einsatz zu einer neuen Skepsis, die sich mit der Beobachtung massenmedialer Propagandamöglichkeiten häufig ins Gegenteil verkehrte. 96 Eine zunehmend kritische Literatur nach Ende des Krieges verhehlte nicht, welch desillusionierende Wirkung das Erlebnis der öffentlichen Meinung und ihrer Manipulierbarkeit im Weltkrieg auf ihre Auffassung zum Stellenwert der Demokratie in der Moderne ausübte. In der Nachkriegszeit bekannte Harold Lasswell, daß die Beobachtung der Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung bei ihm erhebliche Zweifel an seinem demokratischen Idealismus ausgelöst hatte. Solange die Demokratie in der Opposition gewesen sei, habe sie suggerieren können, einem allmächtigen aber fehlerhaften König eine allwissende Öffentlichkeit entgegensetzen zu können. Nun aber habe die vollendete Herrschaft der öffentlichen Meinung und der Sieg der Demokratie zugleich den Aufstieg eines „dictatorial habit of mind" offenbart als Risiko, das die Demokratie offensichtlich angesichts der Beeinflußbarkeit der Öffentlichkeit birgt. 97 Lasswell bezeichnete sich selber angesichts dieser Desillusionierung als „discouraged democrat" (S. 5). Die Verarbeitung des Weltkriegserlebnisses der Manipulierbarkeit der Öffentlichkeit eröffnete in den USA einen neuen Zugang zum Problem der öffentlichen Meinung. Walter Lippmann legte seine sozialpsychologische Theorie der Stereotypen vor98 und Abbot Lawrence Lowell nahm zum einen den alten Strang des Zusammenhanges von öffentlicher Meinung und popular government im allgemeinen und Demokratie im besonderen auf, 99 rezipierte aber vor allen Dingen Lippmanns Blick auf die durch Vorstellungen beeinflußte Meinungsbildung. Hinzu kam jetzt die Rezeption der Vorkriegsliteratur zur Masse, also die italienische (Tarde) und französische (Le Bon) Massenpsychologie und die vergleichbaren Ansätzen in Deutschland bei Michels. 100 Crane Brinton zog schließlich vor dem Hintergrund der faschistischen und nationalsozialistischen Herrschaftstechnik in Europa und aus der sich nun im angelsächsischen Sprachraum ausbreitenden Erforschung der öffentlichen Meinung unter dem Gesichtspunkt ihrer Beeinflußbarkeit den charakteristischen Schluß, daß die „moderne Sozialpsychologie" von Tarde bis Walter Lippmann gezeigt habe, daß die „Massen" immun gegen Überlegungen der politischen Philosophie seien. Als ihre wirksamen Ideen müßten vielmehr Symbole, Rituale und Stereotypen aufgefaßt werden. 101
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Albert Vernon Dicey, Lectures on the relation between Law and public opinion in England during the 19th century, London 1905, S. 49f. Abbot Lawrence Lowell, Public opinion and popular government, London 1921; ders., Public opinion in war and peace, Cambridge 1923; Irene Cooper Willis, England's Holy War, New York 1928. Harold Lasswell, Propaganda technique in the Word War, London 1927, reprint 1938, S. 4. Walter Lippmann, Public Opinion, London 1922. Abbot Lawrence Lowell, Public opinion and popular government, London 1921. Abbot Lawrence Lowell, Public opinion in war and peace, Cambridge 1923, S. 72ff., 75fF., 96ff. Crane Brinton, English Political Thought in the 19th Century, London 1933, S. 3.
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Auch im Deutschland nach 1918 veranlaßte die Erfahrung mit dem Kampf um die öffentliche Meinung im Weltkrieg eine intensive Beschäftigung mit diesem Phänomen. Einerseits wurde die Wirkung der öffentlichen Meinung in den Entente unter dem polemischen Aspekt der Zurückweisung der Kriegsschuldthese erörtert. Die Darstellung der Irrtümer und Manipulierbarkeit, ja der amtlichen Beeinflussung der öffentlichen Meinung sollte zeigen, daß zumindest für die Fortdauer des Krieges über 1916 hinaus die Alliierten eine Mitschuld trugen.102 In Münster bildete sich unter der Leitung von Johann Plenge eine ganze Forschungsrichtung, die eine eigenständige Propaganda-Lehre entwickeln wollte.103 Sie korrespondierte nicht ohne Grund mit der allgemeinen Organisationstheorie Plenges, die die öffentliche Meinung zu einem Gegenstand gezielter Manipulation erklärte und diese Betrachtungsweise als Fortschritt bezeichnete.
Die Rezeption der westlichen politischen Demokratiekritik Tönnies' Kritik am englischen Staat von 1917 machte aber noch in einer anderen Hinsicht Schule. Sie stützte ihre Argumentation auf eine umfangreiche, wenn auch einseitige Verwendung der politischen Vorkriegsliteratur des Westens. Schmoller hob in seiner Rezension hervor, daß Tönnies die „anglo-amerikanische" Literatur (Lowell, Low, Dicey, Erskine May) selber über England sprechen lasse. Der Blick auf die theoretische Selbsteinschätzung der westlichen politischen Literatur vor dem Krieg habe die Defizite ihrer politischen Ordnung schonungslos aufgezeigt, die von der öffentlichen Meinung über die cäsaristische Stellung des Regierungschefs bis zur Plutokratie und „Bourgeoisie-Republik" reicht. Diese Defizite können sich hinter der Fassade einer Scheindemokratie nur um so besser verbergen und um so leichter ihre Elitenherrschaft ausüben könne.104 Schon bei der Gegenüberstellung von Hugo Preuß und Hans Delbrück hatte Schmoller hervorgehoben, daß Preuß sich nur idealiter auf das westliche Vorbild berufen könne, Delbrück dagegen die westlichen Stimmen selber versammelte, die weitaus skeptischer und pessimistischer klangen als Preuß den Anschein vermittelte. Delbrück hatte der genannten Liste an demokratieskeptischen Vorkriegsautoren noch Moisi Ostrogorski und Robert Michels hinzugefügt. Im Krieg schließlich taten sich deutschfreundliche Autoren neutraler Länder dadurch hervor, daß sie ganz systematisch diese Selbstkritik des Westens an der eigenen Regierungsform sammelten und als Beweis für die Kluft zwischen äußerlich glänzendem Schein und tatsächlicher inhaltlicher Gestalt der Demokratie aufführten. Dazu zählten vor allen Dingen die Skandinavier Rudolf Kjéllen und 102
Huber, Die französische Propaganda, 1928; Thimme, Weltkrieg ohne Waffen, 1932; Weis, Die Propaganda der Vereinigten Staaten, 1943; Falcke, Vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg, 1928. 103 Johann Plenge, Deutsche Propaganda - die Lehre von der Propaganda als praktische Gesellschaftslehre, als Manuskript gedruckt Bremen 1921 = Johann Plenges Organisations- und Propagandalehre, mit einer Einleitung von Hanns Linhardt, Berlin 1965, S. 119-173. Hierzu vgl. Schildt, Ein konservativer Prophet, 1987. 104 Gustav Schmoller, Der englische Staat und der deutsche Staat, in: Schmollers Jahrbuch 41 (1917), S. 985-993, S. 985f.
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Gustav Steffen und der Holländer Valkenier Kips, die ihrerseits wieder Autoren wie Hobson und Lecky zusätzlich auf die Liste der Demokratekritiker im Westen setzten. Mit diesen Autoren war gewissermaßen ein Arsenal an Argumenten zur Verfugung, das ausgiebig genutzt werden konnte. Die Möglichkeit des Rückgriffs auf die westliche politische Theorie selbst, die sich vor dem Weltkrieg sehr kritisch oder skeptisch zum Demokratiegedanken geäußert hätte, gab der antidemokratischen Argumentation ein Pfund in die Hand, über das weder die Vertreter einer defensiven Argumentationsstrategie zugunsten der Demokratisierung noch die der offensiven Strategie zurückgreifen konnten. Die Möglichkeit der Demokratiegegner in Deutschland, ihre Argumentation ausfuhrlich auf die westliche Literatur der Vorkriegszeit stützen zu können, gehört zu den besonderen Eigenheiten des Gesprächsfeldes im Weltkrieg. Die Befürworter von Demokratisierung und Parlamentarisierung mußten auf die Heranziehung der ihre Beweisführung stützenden Literatur aus der westlichen politischen Theorie der Vorkriegszeit verzichten, weil diese keineswegs die Überlegenheit des Modells einer parlamentarischen Demokratie behaupteten, sondern die mit der Demokratie verbundenen Gefahren eigens thematisierten. Sidney Low zum Beispiel war Max Weber keinesfalls unbekannt. Max Weber hatte in Fragen der westlichen politischen Theorie durch seine Freundschaft zu Georg Jellinek den vielleicht privilegiertesten Zugriff.105 Er konnte dessen umfangreiche Bibliothek mit der Literatur aus erster Hand nutzen, dort stieß er sicherlich auf Sidney Lows Englandbuch, dessen Übersetzung von Jellinek angeregt und von einem seiner Schüler erfolgte.106 Weber hat der Sache nach auch bestimmte Überlegungen zur charismatischen Herrschaft am Beispiel von politischen Parteiführern in England aus Lows entsprechender Darstellung bezogen.107 Während des Krieges jedoch verzichtete Weber auf eine Beweisführung, die sich auf die westliche politische Theorie stützte. Keiner der Anhänger der westlichen Demokratie oder derjenigen, die sich nicht scheuten, bestimmte Züge der westlichen Demokratie auch in Deutschland zu adaptieren, zog für seine Meinung die westliche Literatur heran. Die westliche Literatur konnte in der polemischen Situation des Krieges nur dann verwendet werden, wenn sie der Kritik an der westlichen Demokratie diente. Aber auch wenn sie es gewagt hätten, diese Literatur heranzuziehen, so hätten sie zunächst gegen die Vereinnahmung dieser Literatur durch die deutschen Kritiker der westlichen Demokratie argumentieren müssen. Schließlich wäre die Zustimmung zu einer prodemokratischen westlichen Politiktheorie dem Vorwurf einer einseitigen Parteinahme für die Weltanschauung des Feindes ausgesetzt gewesen. Hier war der vollständige Verzicht angebrachter als die mühsame Klärung der Fehlinterpretationen. Während also die Anhänger des Demokratiegedankens das Vorbild der westlichen politischen Theorie kaum zur Unterstützung ihrer Demokratiebefürwortung heranziehen
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Vgl. zum Einfluß von Jellinek auf Weber nun vor allen Dingen: Andreas Anter, Max Webers Theorie, 1995. Sidney Low, Die Regierung Englands, 1908. Daher meint Winckelmann, daß Max Weber seinen Cäsarismus-Begriff einfach nur aus der anglo-amerikanischen Tradition übernommen habe: Winckelmann, Erläuterungsband, 1976, S. 236.
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konnten, sahen sich die Kritiker der Demokratie um so mehr durch sie bestätigt. Gerhard Ritter etwa lobte in seiner Rezension zu einer Vorkriegsarbeit von Arthur Christensen,108 daß dort der angemessen zum Ausdruck gebrachte „Ekel vor der parlamentarischen Demokratie" nur zeige, daß die in der westliche Demokratie geübte Selbstkritik ihrerseits ein „Symptom für die fortschreitende Selbstzersetzung der modernen Demokratie" ist (S. 583). Umgekehrt bestätigt diese Beobachtung Ritters Einschätzung des Obrigkeitsstaates als Schutzwall gegen die westliche Degeneration. Wilhelm Hasbach sah sich durch die Zuspitzung der Demokratiediskussion während des Weltkrieges in seiner vor dem Krieg geäußerten Demokratiekritik bestätigt. Wie kaum ein deutschsprachiger Autor vor ihm hatte er die in der westlichen politischen Theorie publizierte Skepsis in der Einschätzung der Demokratie rezipiert und warf nun den Anhängern der Neuorientierung und Befürwortern des demokratischen Wahlrechts vor, daß nur noch die am Westen orientierte Politikschule in Deutschland in der Demokratie ein Idealbild vor Augen hätte, das im Westen selber bereits einer weitaus skeptischeren Betrachtung gewichen sei. Nicht ohne Süffisanz konnte Hasbach nach Ausbruch des Krieges in einer erneuten Rezeption dieses demokratiekritischen fremdsprachigen Materials (Bryce, Brougham Villiers, Walter E. Weyl) von einer demokratiekritischen Literatur. Sie legt die Schwächen der Demokratie bloß, die „offensichtlich sind - wenigstens außerhalb Deutschlands" und der deutschen radikalen Parteien.109 Zu diesen uneingeschränkt und idealistisch gesonnenen Demokraten zählte Hasbach vor allen Dingen Hugo Preuß und Max Weber. Noch kurz vor Ausbruch der Julikrise wandte sich Wilhelm Hasbach noch einmal mit Entschiedenheit gegen die Thesen von Preuß.110 Hasbach griff erneut seine Grundauffassung der größeren Nähe von Parlamentarismus und Beamtenregierung auf und wies die Forderung nach demokratischer Selbstregierung als illusorisch zurück. Selbstregierung war für Hasbach eine chimärische Forderung, die in die Irre fuhren mußte und letztlich nur der Feindpropaganda in die Hände spielte. Der Vorwurf, wonach Preuß mit seiner Argumentationsweise und alle vergleichbaren Überlegungen dem feindlichen Bestreben nach Sprengung der inneren Einheit Deutschlands Vorschub leisteten, war typisch für die Situation des Krieges und gehörte zu den erfolgreichsten Strategien, die Plausibilität der Demokratisierungsforderung in der öffentlichen Meinung zu unterminieren. Wilhelm Hasbach legte schließlich in einer ganzen Aufsatzfolge aus den Jahren 1917 und 1918 eine grundsätzliche Darstellung des Parlamentarismus vor.111 Die dort gezogene Quintes-
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Gerhard Ritter, Rezension zu: Arthur Christensen, Politik und Massenmoral - zum Verständnis psychisch-historischer Grundfragen der modernen Politik, Leipzig, Berlin 1912, in: Zeitschrift für Politik 9 (1916), S. 583-586. Wilhelm Hasbach, Neuere Literatur über die moderne Demokratie, in: Zeitschrift ftlr Politik 7 (1914), S. 471-476, S. 476. In diesem Sinne äußerte er sich sogar in einer amerikanischen Pulikation: Wilhelm Hasbach, The Essence of Democracy, in: American Political Science Review 1915. Wilhelm Hasbach, Obrigkeitsstaat und Selbstregierung, in: Das Neue Deutschland 5 (Oktober 1916 bis September 1917) vom 15. Mai 1917, S. 4 2 3 ^ 2 5 . Zu nennen sind vor allen Dingen die Kapitel Die parlamentarische Kabinettsregierung, in: Zeitschrift für Socialwissenschaften NF 8 (1917), S. 205-224 und das die Serie beschließende Kapitel Die parlamentarische Kabinettsregierung außerhalb Englands - Der Wert der parlamentari-
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senz lautete, daß der Parlamentarismus in demokratischer Trübung zu verheerenden Resultaten neige und im Gegensatz zum Demokratiegedanken stünde, dagegen sich ausgezeichnet für eine konstitutionelle Monarchie eigne. Hasbach sah seine theoretischen Gegner dort, wo die von ihm bemängelte Gleichsetzung von Demokratie und parlamentarischer Parteiregierung erfolgte. Die Autoren, die Hasbach mit dieser Auffassung in Verbindung brachte, waren wieder Hugo Preuß und Max Weber.112 Als Hasbach sogleich nach Kriegsende diese Aufsatzreihe in einem Buch zusammenfaßte, um noch in die Diskussion um die Verfassung Weimars einzugreifen (teilweise unter erheblicher Abänderungen des Aufsatztextes)," 3 erwähnte Max Weber diese Arbeit in einer seiner letzten Umarbeitungen des gewaltigen Fragments von Wirtschaft und Gesellschaft als herausragende, aber polemische Arbeit, mit welcher er sich gesondert auseinanderzusetzen ankündigte. 114 Hierzu kam es aufgrund seines frühen Todes nicht mehr. Die Geschichte der Ausbildung der englischen parlamentarischen Kabinettsregierung ist nach Hasbachs ausführlicher Darstellung die Folge der Entwicklung von einer ungezügelten parlamentarischen Regierung hin zu einer parlamentarischen Kabinettsregierung mit ausgeprägtem Charakter einer Beamtenregierung. Als parlamentarische oligarchische Herrschaft sei es ihr nur um die Auswahl der besten Persönlichkeiten für die Regierungstätigkeit gegangen und nicht darum, den ohnehin unerforschlichen Volkswillen zu erkennen.115 In diesem institutionellen Sinne habe sie aus sich heraus nie einer Demokratisierung des Wahlrechts bedurft. Die demokratische Periode der Parlamentsreformen habe diesen Charakter aufgebrochen und verfälscht. Mit der Entstehung der „Volksversammlungen" in Gestalt des caucus habe sich ein mit dem Gedanken des Parlamentarismus unvereinbares Forum außerhalb des Parlamentes gebildet, dessen gefahrliche Auswirkungen auf die politische Willensbildung nur durch die gleichzeitig stattfindende Oligarchisierung der Parteiorganisationen habe aufgefangen werden können (S. 659f.). Dadurch sei es aber auch zur undurchsichtigen Parteienherrschaft gekommen, eine Oligarchisierung, die nicht mehr selber parlamentarischer Kontrolle unterliege wie das Kabinett, sondern selber das Parlament beherrsche. Die Gleichsetzung von Demokratie und parlamentarischer Parteiregierung geht Hasbach zufolge fehl wegen der ihr zugrunde liegenden Annahme einer Identität von Parlamentsmehrheit mit dem Parlament
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sehen Kabinettsregierung, in: ebda., NF 9 (1918), S. 659-695. In der Nachschrift zu dem letzten Kapitel gibt Hasbach an, das Manuskript im Herbst 1917 beendet zu haben und nun von den eingetretenen Ereignissen (gemeint sind die Oktoberreformen 1918) „mindestens vorübergehend unzeitgemäß" geworden seien, was seine Auffassung in der Sache aber nicht ändere: S. 695. Wilhelm Hasbach, Die parlamentarische Kabinettsregierung außerhalb Englands - Der Wert der parlamentarischen Kabinettsregierung, in: Zeitschrift für Social Wissenschaften NF 9 (1918), S. 659-695, S. 665f., gegen Demburgs Artikel im Berliner Tageblatt vom 6. Mai 1917. Wilhelm Hasbach, Die parlamentarische Kabinettsregierung - eine politische Beschreibung, Stuttgart und Berlin 1919. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. Tübingen, 1980, S. 173 kündigte an, auf diese „glänzende politische Streitschrift" mehrfach zurückkommen zu wollen. Wilhelm Hasbach, Die parlamentarische Kabinettsregierung außerhalb Englands - Der Wert der parlamentarischen Kabinettsregierung, in: Zeitschrift für Socialwissenschaften NF 9 (1918), S. 659-695, S. 659f.
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und der Identität des Parlamentes mit dem Volk. Die Auffassung, wonach die Parteiregierung gegenüber der Beamtenregierung als die demokratischere angesehen wird, beruht nach Hasbach auf der irrigen Identifikation von Parlamentsmehrheit und Volksmehrheit. Die Unterscheidung der Regierungsformen muß statt dessen nach der Linie von Partei- und Nichtparteiregierungen verlaufen, zu welchen letzteren er neben den Demokratien der USA und der Schweiz auch die konstitutionelle Monarchie zählt (S. 664). In Summa behauptete Hasbach, daß die Umwandlung der konstitutionellen in eine parlamentarische Monarchie nicht einen Schritt zur Demokratie bedeutet, sondern von ihr weg führt angesichts des Problems der Parteiregierung. Eine oligarchische Herrschaft sei in der Gegenwart ohne Alternative, aber in der konstitutionellen Monarchie sei sie wenigstens als solche sichtbar und verstecke sich nicht hinter demokratischen Phrasen. Die Isolierung der institutionellen Komponente der Demokratie, die Hervorhebung der auf dieser Ebene beobachtbaren Mängelerscheinungen und das ständige Spielen mit der Furcht vor der Massengesellschaft als abschreckendes Symptom einer auf integrativer Ebene diskutierten, gesellschaftlich und politisch desintegrativ wirkenden Demokratie waren die Instrumente der Demokratiekritiker in der deutschen Debatte während des Krieges. Ihre Fähigkeit, die in der westlichen politischen Theorie selber geübte Kritik als schlagenden Beleg für die scheinbar objektiv verfahrende Argumentation der deutschen Demokratiegegner zu verwenden, gab ihrer Beweisführung einen hohen Grad an Plausibilität. Dabei wurde freilich unterschlagen, daß es einen bemerkenswerten Unterschied macht, ob man innerhalb einer mehr oder weniger demokratischen politischen Ordnung einzelne ihrer Institutionen und Phänomene an den Pranger stellt und damit unter Umständen einen Akt der reformerischen Selbstreinigung vornimmt, oder außerhalb der Demokratie einzelne ihrer Aspekte herausgreift, um die Demokratisierung insgesamt zu verhindern.
Die ,Verwestlichung' der öffentlichen Meinung in Deutschland Die Tönniessche Formel von der Scheindemokratie des Westens und der verderblichen Wirkung der öffentlichen Meinung entsprach geradezu einem Bedürfnis, das Verhalten der Neutralen und ihr Unverständnis der deutschen Politik so zu erklären, daß der Fehler nicht in Deutschland, sondern im Ausland gefunden werden konnte. Galt aber die Beobachtung des wachsenden Einflusses demagogischer Manipulation der öffentlichen Meinung nur für die westlichen Demokratien, oder nicht auch zunehmend für Deutschland? Mußte man aus der nicht enden wollenden Flut an Publikationen, Reden und einschlägigen Presseerzeugnissen nicht den Schluß ziehen, daß mittlerweile auch in Deutschland eine .Verwestlichung' der öffentlichen Meinung beobachtbar war? Begann nicht jetzt auch in Deutschland die öffentliche Meinung Einfluß zu nehmen auf die eigentlich überparteiliche Beamtenregierung, die ihre politische Willensbildung per definitionem souverän und unabhängig von demokratischen Kräften wie etwa der öffentlichen Meinung vornehmen sollte? Vor allen Dingen die Debatten um die außenpolitische Kriegszielpolitik und die Beeinflussung der Entscheidung für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg
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zeigten unleugbar, daß sich im Obrigkeitsstaat eine spezifische Form der Demagogie breit gemacht hatte, die gezielt auf die politische Willensbildung durch das Instrument der Mobilisierung der öffentlichen Meinung Einfluß zu nehmen versuchte. Hier offenbarte sich eine ansatzweise schon vor dem Krieg116 eingeübte Form des Zugriffs auf die öffentliche Meinung: die gezielte und strategische Lenkung der öffentlichen Meinung zwecks Durchsetzung einer bestimmten Interessenpolitik. Es wurden seitens der Annexionisten ganze Kriegszielkampagnen eröffnet, die in einem weitverzweigten Netz der Propagierung der eigenen politischen Vorstellungen den Eindruck erwecken konnten, sie repräsentierten die öffentliche Meinung. Von der Bildung eines „Unabhängigen Ausschusses" bis zur Gründung einer außer-parlamentarische Bewegung, der „Vaterlandspartei" als Reaktion auf die Friedensresolution des Reichstages formierten sich die annexionistischen Kräfte und spielten in der Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges eine erhebliche Rolle in der Beeinflussung leitender Stellen. In zum Teil anonymen Broschüren117 wurden geradezu verleumderische Kampagnen gegen die Regierung gefuhrt. Hier trat vor allen Dingen der spätere Putschist Wolfgang Kapp hervor,118 welchen Bethmann in seinem öffentlichen Angriff im Reichstag vom 5. Juni 1916 als „Piraten der öffentlichen Meinung" bezeichnete, worauf Kapp mit einer Duell-Forderung reagierte, die aber abgelehnt wurde.119 Kapp war nur eine scharfe Amplitude innerhalb der alldeutschen und annexionistischen Bewegung, die im Bruch mit aller konservativen Tradition die Reichsleitung angriff. Zu den erfolgreichsten Unternehmungen zur gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung zählte der Unabhängige Ausschuß unter der Leitung von Dietrich Schäfer.120 Der Historiker von der Universität Berlin setzte sich sowohl in der Frage einer aggressiv annexionistischen außenpolitischen Kriegszielpolitik wie in der Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges agitatorisch ein und arbeitete dann später mit der Vaterlandspartei gegen die Reichstagsmehrheit zusammen. Als in den nationalistischen Kreisen die Entscheidung für die Eröffnung des uneingeschränkten U-BootKrieg bekannt wurde, für die man bereits 1916 gekämpft hatte, bereitete man seine Popularisierung in der öffentlichen Meinung mit großem Aufwand vor. Der Unabhängige Ausschuß Schäfers eröffnete am 19. Januar 1917 eine groß angelegte Kampagne quer durch das Land, deren Höhepunkt die Versammlung im Abgeordneten-Haus zu Berlin war, an der neben Schäfer auch Graf Westarp für die Konservativen, Stresemann für die
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Stegmann, Die Erben Bismarcks, 1970 stellt diese Strategie am Beispiel der Flottenpolitik dar. Junius Alter, Das Deutsche Reich auf dem Weg zur geschichtlichen Episode - eine Studie Bethmann-Hollwegscher Politik in Skizzen und Umrissen, 1916; zur Frage des Autoren u. a. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, 1973, Bd. 2, S. 627, Anm. 3; Hans Frh. von Liebig, Das System B. - die Politik von Bethmann-Hollweg, 1915. Wolfgang Kapp, Die nationalen Kreise und der Reichskanzler, Geheimdruck von 1916. Das Berliner Tageblatt Nr. 307 vom 17. Juni 1916 berichtete vom Treffen zwischen Beauftragten von Kapp und Bethmann wegen der Duellforderung Kapps. Der Kronprinz nannte Bethmanns Ablehnung Kneifen, woraufhin ihn sein Vater maßregelte, Brief vom 19. Juni 1916, zitiert bei Koszyck, Deutsche Pressepolitik, 1968, S. 154 und 164. Vgl. auch Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, 1916 I, S. 316f. und zusammenhängend Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 5, S. 236ff. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 120-123.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
Nationalliberalen, der Pfarrer Traub, Pfleger vom Zentrum und zahlreiche andere Prominente teilnahmen.121 Wenn Dietrich Schäfer und Georg vom Below für eine deutsche Form der „Demokratisierung" der öffentlichen Meinung plädierten,122 versuchten sie nur, im Wege der Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen die Regierung ihre eigenen politischen Vorstellungen durchzusetzen. Der Krieg konnte in dem Kalkül der Anhänger des autoritären Obrigkeitsstaates als Rettung vor der weiteren Demokratisierung angesehen werden.123 Es gab also eine Tendenz, die Aufmerksamkeit von innenpolitischen Fragen auf die außenpolitische Kriegszielpolitik abzulenken.124 Das Vertrauen war vor Kriegsausbruch groß, daß der Krieg eine allgemein konservative Wirkung haben werde. Es gibt „Kreise im Reich" sagte Bethmann, „die von einem Krieg eine Gesundung der inneren Verhältnisse in Deutschland erwarten, und zwar im konservativen Sinne".125 Nun machte der lange anhaltende Krieg und die Forderung einer Neuorientierung diesem Kalkül einen Strich durch die Rechnung. Um so verbissener wurde der Kampf um die Erhaltung der Privilegien geführt. Der Bethmann-Mitarbeiter Kurt Riezler beschrieb im März 1917 den anfanglichen Kriegsplan der alldeutschen und reaktionären Kreise mit Blick auf die Innenpolitik:126 „Das A und O der Politik dieser Leute ist das Verhältnis zur Sozialdemokratie. Daher kommt all ihre Angst und alle ihre Gegnerschaft. Durch ihren anfanglichen Plan, durch Proklamierung von Eroberungen und eine Hochflut des Chauvinismus die Sozialdemokratie zuerst in die Opposition zurückzudrängen und nach einem kurzen Sieg und nationalem Jubel bei den Wahlen zu schlagen - haben sie die deutsche These nach innen und
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Stegmann, Die Erben Bismarcks, 1970, S. 482. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 127. Fischer, Krieg der Illusionen, 1969, S. 359f:, zusammenfassend tituliert als „der Krieg als Retter vor Demokratie und Sozialismus". Hierzu kritisch Schulz, Aufstieg des Nationalsozialismus, 1975: S. 797. Aus einer Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses des Kriegsausschusses der deutschen Industrie vom 7. November 1914 (anwesend neben Stresemann und Hugenberg ferner Geheimrat Siemens), verfaßt von Gustav Stresemann, heißt es zu Ausführungen Hugenbergs: „Hugenberg trat [bezüglich der Kriegsziele] dafür ein, daß das Machtgebiet Deutschlands erheblich erweitert werden müsse. Die Folgen des Krieges würden an sich für die Arbeitgeber und für die Industrie in vieler Beziehung ungünstig sein. Es könnten gar keine Zweifel darüber bestehen, daß die Arbeitsfähigkeit und Arbeitsfreudigkeit der aus dem Krieg zurückkehrenden Arbeiter erheblich in Bezug auf die Unterordnung unter die Fabrikdisziplin leiden würde. Man würde wahrscheinlich mit einem sehr gesteigerten Machtgefühl der Arbeiter und Arbeitergewerkschaften rechnen müssen, daß auch in gesteigerten Ansprüchen an die Gesetzgebung und an die Arbeitgeber zum Ausdruck kommen würde. Es sei deshalb gut, um inneren Schwierigkeiten vorzubeugen, die Aufmerksamkeit des Volkes abzulenken und der Phantasie Spielraum zu geben in bezug auf die Erweiterung des deutschen Gebiets ...": Aus dem Stresemann-Nachlaß zitiert bei Annelise Thimme, Flucht in den Mythos, 1969, S. 176. Nach dem Bericht Lerchenfelds zu Hertling vom 4. Juli 1914, zitiert nach Mommsen, Der autoritäre Nationalstaat, 1990, S. 82, dort auch als Beispiel Heydebrand, Führer der preußischen Konservativen, der meinte, daß „ein Krieg ... zu einer Stärkung der patriachalischen Ordnung und Gesinnung führen" werde, ebda. Riezler, Tagebücher, 1972, Eintrag vom 11. März 1917, S. 416f.
Zurückweisung des Geltungsanspruchs der westlichen Demokratie
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außen verdorben - , freilich auch der Regierung die Aufgabe, die Linke zusammenzufassen, erleichtert. Wie in der Kriegszielfrage den Chauvinismus, so wollen sie in der Hilfsdienstfrage etc., den Patriotismus höchster Anspannung dazu benützen, die Arbeiter zu fesseln - nun da der Reichstag die allerdings schwierigen und unglücklichen Sicherungen angebracht hat, schreien sie nach Arbeitszwang und Diktatur und Höchstlöhnen weil die Arbeiter da und dort mehr Lohn verlangen - selbst aber erpressen sie die unverschämtesten Preise von der Zwangslage des Staates". An gleicher Stelle äußerte er sich abfallig über die „ganz primitive ungebildete Macht und Herrenpolitik" der Schwerindustrie und zur, Angst um die Vorherrschaft in Preußen" auf der Seite der Reaktion. Mit dieser demagogischen Kampagnenpolitik brachten die nationalistischen Kreise und die Alldeutschen freilich selber eines der maßgeblichen Unterscheidungsmerkmale zwischen modernem Obrigkeitsstaat und westlicher Demokratie ins Wanken. Ironischerweise war es der wachsende Einfluß der öffentlichen Meinung gerade in der Domäne der obrigkeitlichen Regierung, in der Außenpolitik, der die .Verwestlichung' der politischen Willensbildung in Deutschland zutage forderte. Die Beobachtung der während des Weltkrieges nun auch in Deutschland grassierenden „Demagogie" brachte viele konserativ-liberale Autoren dazu, sich dem demokratischen Argument zu öffnen.
3.
Die Ausbildung einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung
Kritik an der Demagogie der Gebildeten Der Erfolg der Argumentationsstrategie der strikten Demokratiegegner hatte zur Folge, daß die Anhänger einer modernen Beamtenregierung, die keineswegs von vornherein zu den Befürwortern der von Hugo Preuß geforderten Politisierung des deutschen Volkes zählten, allmählich erkennen mußten, daß ihre eigene Beweisführung nicht weniger Unwägbarkeiten beinhaltete als die von Preuß. Die Zuwendung zum Demokratiegedanken war für sie ein schmerzlicher Prozeß zunehmender Einsicht in die mangelnde Reformbereitschaft der sich selber staatserhaltend dünkenden Kräfte des Obrigkeitsstaates, von der gebildeten öffentlichen Meinung bis zur Regierung selber. Die Beobachtung der demagogischen Praxis der Einflußnahme auf die politische Willensbildung störte nämlich gerade diejenigen Anhänger einer überparteilichen Beamtenregierung, die den Obrigkeitsstaat unterstützten, um dem unsachlichen Einfluß der parteipolitisch gefärbten öffentlichen Meinung zu beschränken, die aber gleichzeitig deswegen demokratische Reformbestrebungen nicht doktrinär ablehnten. Autoren wie Delbrück, Meinecke oder Troeltsch sahen den verheerenden Eindruck im Ausland, den die alldeutsche Propaganda erzeugte mit Sorge, ermöglichte sie doch der feindlichen Propaganda, ihre eigene Heimatfront zu stabilisieren. Ferner argwöhnte man mit zunehmender Kriegsdauer und sich steigernder Verschärfung der Demagogie, daß hinter diesen aggressiven außenpoliti-
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
sehen Maximalforderungen vor allen Dingen ein primär innenpolitisches Ziel zum Ausdruck kam, das darin bestand, die im Zuge der Debatte um die Neuorientierung befürchteten innenpolitischen Forderungen durch die Lenkung der Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf außenpolitische Themen zu verhindern. Es waren also im wesentlichen innenpolitische Reformvorstellungen, die bei den gemäßigten Autoren Vorrang besaßen und die sie von den alldeutschen Nationalisten abhoben.127 Wie sollten und konnten die gemäßigten Kräfte auf die alldeutsche Demagogie reagieren? Demagogie lehnten sie schließlich als extreme Ausartung der Demokratie ab, Demagogie wurde immer als kritischer Aspekt der westlichen Demokratie empfunden und herausgestellt. Aber eine nur gelehrte Aufklärungsarbeit gegen die Scheinargumente der Alldeutschen stieß unter den Bedingungen des Krieges rasch auf ihre Grenzen. Das Dilemma des Kampfes der Gemäßigten gegen die alldeutsche Propaganda zeigte sich an der Schwierigkeit, diesen Mißbrauch überhaupt kenntlich zu machen. Da sich die vaterländische Siegfriedensforderung in der Öffentlichkeit stets des Verständnisses der militärischen Zensurbehörden sicher sein konnte,128 half die Zensur als Mittel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zugunsten der politischen Regierung nicht weiter. Vielmehr ging das Verständnis der öffentlichen Meinung für die Verständigungsbereitschaft der Regierung unter dem Eindruck der Publikationen der Anhänger des Siegfriedens immer mehr zurück. Denn die sachlichen Argumente, die eine Plausibilität des Verständigungsfriedens begründen halfen, waren geheim. Fakten, die die Überschätzung der tatsächlichen Stärke der U-Boot-Waffe und der Wirkung ihres uneingeschränkten Gebrauches dokumentierten, durften nicht veröffentlicht werden. Hier kam es immer wieder zu Interventionen der Zensur.129 Der Erfolg der Annexionisten in der öffentlichen Meinung war schließlich so groß, daß für die Regierung die Aufrechterhaltung der Zensurpraxis lebensbedrohlich wurde und sie daher die Zensur in Fragen der Kriegszielpolitik ganz aufhob, um ihren Anhängern die Möglichkeit eines entsprechenden Einflusses auf die öffentliche Meinung zu verschaffen und der Demagogie der konservativen Kräfte entgegenzuwirken. Die Zulassung einer öffentlichen Kriegszieldebatte am 27. November 1916 sollte vor allen Dingen dazu dienen, auch den „vernünftigen" Gegenargumenten der vaterländischen Begeisterung Geltung zu verschaffen. 130 Versuche dagegen, die Annexionisten und Alldeutschen mit deren eigenen Mitteln, etwa der Kampagnenbildung zu bekämpfen erwiesen sich als fruchtlos. Die Gegengründung zum Unabhängigen Ausschuß, der Deutsche Nationalausschuß zum Beispiel, hatte weitaus weniger Erfolg. 131 Als Delbrück gegen die Intellektuellen-Eingabe vom 20. Juni 1915 eine Gegenadresse vom 9. Juli 1915 lancieren wollte, unterstützt von Harnack und dem Chefredakteur der
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Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 133, 150f. Deist, Zensur und Propaganda, 1991, S. 153-163. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 102 am Beispiel von Delbrücks Schwierigkeiten mit der Zensur, S. 253 für Max Webers Probleme. Weitere Beispiele der Benachteiligung der gemäßigten Argumentation durch die Zensur bei Krüger, Die Nationalökonomen, 1983, S. 317. Koszyk, Deutsche Pressepolitik, 1968, S. 37. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 117ff.
Ausbildung einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung
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Voss'schen Zeitung, Georg Bernhard, untersagte es ihm die Zensurstelle, so daß sie erst nach Aufhebung der Zensur über die Kriegszielpolitik veröffentlicht werden konnte.132 Sie unterschied sich von ihrem Pendant nicht dadurch, daß sie grundsätzlich und aus normativen Erwägungen auf Annexionen verzichtet hätte.133 Erst der spätere Friede von Brest-Litowsk führte zu einer vertieften Überzeugung, daß man auf jegliche Form der Annexionen verzichten mußte.134 Es war nicht die Frage der Annexionen als solcher, die die Gemäßigten von den Alldeutschen trennte, sondern die Einschränkung des Handlungsspielraums der Regierung unter dem gesteigerten Druck einer maßlose Forderungen aufstellenden öffentlichen Meinung. Diese Form der Beeinflussung der öffentlichen Meinung gehörte nicht zu dem politischen Selbstverständnis der Anhänger einer modernen Beamtenregierung, wie ζ. B. Friedrich Meinecke. Demokratie barg die Demagogie in sich, darin stimmte Meinecke mit der grundsätzlichen Kritik an der westlichen Demokratie überein.135 Er folgerte aber zunächst daraus, daß zwar nicht das demokratische Prinzip, aber der „westeuropäische Typus der Demokratie" im Herbst 1916 für diskreditiert erachtet werden mußte. Meinekke übertrug das Versagen der politischen Urteilskraft, wie er es für die Debatte in der öffentlichen Meinungsbildung zu beobachten glaubte, auch auf die politischen Parteien,136 und zwar sowohl derjenigen Englands wie Deutschlands. Anfanglich hatte sich Meinecke noch über die Alldeutschen und die Verfechter maßloser Kriegsziele als selbsternannte Hüter des Obrigkeitsstaates lustig gemacht. Er hielt ihnen ihr ganz einseitiges Nationenverständnis vor und nannte sie „Zionswächter" des Nationengedankens.137 Demgegenüber betonte Meinecke die historische Nähe des deutschen Bürgertums zum Gedanken eines Weltbürgertums, den er in einer Neuauflage von Weltbürgertum und Nationalstaat, das ihn seinerzeit berühmt gemacht hatte, noch einmal hervorhob.138 Meinecke betrachtete dann aber die im Zuge der U-Boot-Kampagne beobachtbare Radikalisierung der Gebildeten als besorgniserregendes Zeichen und verurteilte zunächst recht hilflos die nationalistisch erregte Massenmeinung mit ihrem „triebartigen Fühlen und Denken".139 Meinecke reflektierte wie die übrigen Vertreter des konservativ-liberalen Lagers den Umbruch in der kommunikativen Struktur des Gesprächsfeldes, versuchte
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Hans Delbrück, Politische Korrespondenz: Die Differenzen über die Kriegsziele hüben wie drüben, in: Preußische Jahrbücher 162 (1915), S. 167-172. Die Gegenadresse erschien 1917 in: Preußische Jahrbücher 168 (1917), S. 332-339. So der Vorwurf bei Fischer, Griff nach der Weltmacht, 1977, S. 144f. Wie auch Fischer eingesteht: Griff nach der Weltmacht, 1977, S. 145. Friedrich Meinecke, Staatskunst und Leidenschaft, in: ders., Probleme des Weltkrieges, Milnchen, Berlin 1917, S. 59-70, 66ff. vgl. hierzu Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 289ff. Friedrich Meinecke, Sozialdemokratie und Machtpolitik, in: Thimme/Legien, Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, 1915, S. 21-31, S. 26. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 3. Aufl. 1915 mit zusätzlichem Vorwort. Friedrich Meinecke, Politische Kultur und öffentliche Meinung, in: ders., Probleme des Weltkrieges - Aufsätze, Berlin, München 1917, S. 12 und S. 38; vgl. für die Bedeutung dieser Äußerung flir Friedrich Meineckes politisches Denken und den Hintergrund bei Delbrück: Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 284ff.
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aber hierbei eine weiterhin vermittelnde Rolle zu spielen. Bei seiner Kjéllen-Rezension sprach er Mitte 1916 von der „gesteigerten Publizität" der Dinge und der gleichzeitig „gesteigerten Nervosität" der Menschen, die zu dem „phantastischen Rausch" in der Formulierung von Kriegszielen gefuhrt habe,140 jene Überhitzung der Phantasie, die das Geschäft der Staatsmänner furchtbar erschweren kann (S. 730). Wenn Meinecke von den „verantwortlichen Staatsmännern" sprach, so meinte er, daß das Medium der Verantwortung alleine das Wohl des Staates war: nie war die Abhängigkeit von einer parlamentarischen Majorität oder ähnlicher repräsentativer Institutionen gemeint, sondern immer die überparteiliche, insofern unabhängige und dadurch erst die politische Kompetenz zum Tragen bringende Verantwortung gegenüber dem Allgemeinwohl, das mit dem Wohl des Staates identifiziert wurde. Um nun die Regierungspolitik Bethmanns vor dem Zugriff der radikalisierten öffentlichen Meinung zu schützen, entwarf Meinecke 1917 den Argumentationstopos der „Vertrauensdiktatur" der Regierung:141 Der Informationsvorsprung der Regierung und die Notwendigkeit der Geheimhaltung ihrer tragenden Absichten macht die Unabhängigkeit der Regierung vor den wechselnden Forderungen der öffentlichen Meinung zur zwingenden Voraussetzung einer gelungenen Regierungspolitik. Der Gedanke der „Vertrauensdiktatur" innerhalb des polemischen Kontextes war gegen die Chauvinisten gerichtet. Die Vertrauensdiktatur stellt keine irrationale Überlegung dar oder ist einer „geistig-psychologischen Voreingenommenheit" geschuldet.142 Meinecke formulierte der Sache nach die zeitgenössische Problemsituation zwischen den eigentlich irrationalen Ansprüchen der Alldeutschen und der (vermuteten Verständigungspolitik der Regierung Bethmann-Hollweg: „Bei einem Zwiespalt zwischen öffentlicher Meinung und Staatsmann (darf) schlechthin nur der verantwortliche Staatsmann entscheiden...Er hat die Präsumption für sich, daß er...auch die andere Seite der Dinge zu sehen und umsichtiger die vorhandenen Kräfte und Gegenkräfte zu berechnen vermag".143 Diese Sätze äußerte Meinecke Anfang 1916, als Bethmann sich in der Frage
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Friedrich Meinecke, Probleme des Weltkriegs, in: Neue Rundschau 27 (1916), S. 721-733, 722. Friedrich Meinecke, Die Reform des preußischen Wahlrechts, zitiert nach: ders., Politische Schriften, 1958, S. 165. Als Begriff fand der Gedanke der „Vertrauensdiktatur" bereits vor dem Krieg Verwendung, allerdings in einem anderen Kontext. Vgl. Friedrich Meinecke, Der Sinn unseres Wahlkampfes (1912), in: Politische Schriften, 1958 S. 49-54. Schmidt, Deutscher Historismus, 1964, S. 34: „Die Folgerungen aus dieser geistig-psychologischen Voreingenommenheit deuten offenbar auf eine politische Theorie, deren Grundanliegen es ist, zwischen den Polen zu vermitteln und die Gegensätze als reale Notwendigkeit trotzdem anzuerkennen. Im politischen Denken wirkt sich diese Ansicht der Geschichte als Frage der Relation von Rationalem und Irrationalem dahin aus, daß politische Verantwortungsethik und Verhinderung der reinen Demokratie (Herrschaft der Masse) in der Kompetenzverteilung von Führerschaft (Staatsraison) und Mitbestimmungsrechten (Wahlentscheid als Delegation der Macht und Gewaltübung an führungsberechtigte Politiker) ihre institutionelle Festsetzung finden." Demgegenüber die stärker aus dem polemischen Kontext und der inneren Entwicklung des Denkweges argumentierende jüngste Arbeit zu Meinecke: Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 275ff. Friedrich Meinecke, Unsere Lage, in: Nationalliberale Beiträge, hg. von R. Bahr, 5. Jahrgang, Nr. 35 vom 30. März 1916, zitiert nach: ders., Politische Schriften, 1958, S. 130-132, S. 132.
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des uneingeschränkten U-Boot-Krieges noch hatte durchsetzen können. Seine Politik der Aufschiebung dieses Mittels war äußerlich deutlich geworden durch die Ersetzung von Tirpitz durch Capelle als Staatssekretär des Reichsmarineamtes am 15. März 1916. Die Öffentlichkeit wertete diese Entscheidung häufig als unzulässiges Einwirken der Politik in die Sachkompetenz der Militärs, die ein größeres Vertrauen genossen als Bethmann. „Vertrauensdiktatur" verstand Meinecke also vor diesem Hintergrund als unvermeidliches Kennzeichen des Verhältnisses der Regierung zur öffentlichen Meinung in Fragen der Außenpolitik.144 Als Theorem war diese Denkfigur ganz der argumentativen Logik der Situation geschuldet, in der das Vertrauen in die Regierung offensichtlich und ausgerechnet in den Reihen der sich selber staatstragend dünkenden Gruppen erschüttert war. Die politischen Gründe, die die Politik der Reichsleitung unterstützten, konnten wegen der Zensur (vor der Zulassung der freien Kriegszielpolitik) noch nicht in die Debatte der öffentlichen Meinung eingespeist werden, während Argumente der Siegfriedensanhänger den Mantel des Patriotismus besaßen und in den angenommenen und unterstellten Zahlen und Fakten zur Kriegssituation immer von den günstigsten Umständen ausgingen und auch nicht von der Zensur betroffen waren. Auch nach Freigabe der Zensur mußten die Anhänger eines gemäßigten Kurses ständig zwischen den Geheimnispflichten etwa bezüglich der tatsächlichen Zahlen des U-Boot-Baues einerseits und der nötigen Aufklärung zur Unterstreichung der Unmöglichkeit eines Siegfriedens andererseits lavieren. Darüber hinaus fesselte sie das Bestreben, in der Einschätzung der Situation nicht panisch oder hysterisch wirken zu wollen, was zu einer lange durchgehaltenen Zurückhaltung führte. Meinecke forderte mit der Vertrauensdiktatur also nicht die Irrationalität eines blinden Vertrauens, sondern vertraute und hoffte auf eine spezifische Rationalität, der er später seine berühmteste Arbeit widmete: der Staatsräson. Die Argumentation in Bahnen der Staatsräson ermöglicht eine ausgewogene Analyse der Sachargumente und läßt sich weder von behaupteten ideologischen Maßstäben noch von emotionalen Aufwallungen beirren. Daher konnte eine am Maßstab der Staatsräson orientierte Argumentation auch nur eingeschränkt Gegenstand des öffentlichen Räsonnements sein. „Das Gerede von unversöhnlichen Weltgegensätzen, das uns entgegentönte, läßt uns ganz kalt. Unversöhnlich sind derartige Weltgegensätze recht oft nur durch den primitiven Geist der Machtpolitik geworden, durch Überspannung der Mittel, durch Mißverhältnis von Können und Wollen".145 Meinecke fordert zu einer modernen und aufgeklärten Staatskunst auf, die im Augenblick (angesichts der Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges) vor allen Dingen heißt: „Die Zugeständnisse, die wir deshalb an Amerika zu machen uns entschlossen haben, müssen allen populären, vielfach überaus unreifen Empfindungen zum Trotz. Als notwendige Tat einer kühlen, zweckbewußten Staatsräson, als Ausfluß eines rationellen Siegeswillens verteidigt werden ... Die Waffe des Unterseebootkrieges hat sich in jedem Augenblicke den Forderungen der Gesamtlage anzupassen" (S. 733).
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Friedrich Meinecke, Die Reform des Preußischen Wahlrechts (geschrieben Dezember 1916), zuerst in: Annalen fur soziale Politik und Gesetzgebung 5 (1917), S. 1-27, Anfang 1917 als Sonderdruck, beide Versionen in: ders., Politische Schriften, 1958, S. 146-173, S. 165. Friedrich Meinecke, Probleme des Weltkriegs, in: Neue Rundschau 27 (1916), S. 721-733, 731.
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Meinecke forderte also den Primat der Politik über die Logik des Militärischen. Aber für wen forderte Meinecke diesen Primat? Der Kampf gegen die Alldeutschen galt nicht der Erzwingung der Vorherrschaft des Parlamentes in der politischen Willensbildung. Meinecke traute dem Parlament die hierfür benötigte Kompetenz nicht zu. So blieb nur die Regierung und ihre Unabhängigkeit gegenüber öffentlicher Meinung und gesellschaftlichen Interessen sowie deren Interessenvertretern als politische Option.146 Nun mußte man aber beobachten, wie der Handlungsspielraum der Obrigkeitsregierung auch in Deutschland zunehmend unter den Druck der öffentlichen Meinung geriet. Die verfassungsrechtliche Unabhängigkeit der Regierung stieß in der politischen Wirklichkeit auf die Grenzen ihrer Geltung. Mit der Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs war für diese Anhänger eines modernen Obrigkeitsstaates klar geworden, daß das Fehlen von Demagogie nicht mehr die qualitative Auszeichnung der Obrigkeitsregierung gegenüber den Regierungssystemen der westlichen Demokratie war. Eine ähnliche Beobachtung wie Meinecke mußte auch Hans Delbrück machen. Delbrück hatte als eine der ersten die alldeutsche Demagogie thematisiert und als Gefahr für den Obrigkeitsstaat identifiziert. Zunächst war für ihn wie für viele andere Gelehrte die Demagogie ein Begriff, der ausschließlich der westlichen Demokratie, zu Beginn des Krieges also vor allen Dingen den USA vorbehalten blieb. Er hatte auf Anregung des Atlantic Monthly im Oktober 1914 einen Aufsatz über die politische Ordnung Deutschlands geschrieben, über den er im Februar 1915 in den Preußischen Jahrbüchern berichtete.147 Er schilderte die seiner Auffassung nach falsche Vorstellungen der Amerikaner über das Kaiserreich und resümierte: „Daß wir uns unter dem zwar oft strengen, aber korrekten und parlamentarisch wohlkontrollierten Beamten-Regiment freier fühlen als unter einem korrupten Demagogen-Regiment, wie es die gewählten Obrigkeiten so oft zeitigen, versteht der Amerikaner nicht" (S. 93). Im Laufe der Kampagne für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg mußte Delbrück aber feststellen, „daß man jetzt mit Massenpetitionen und parlamentarischen Einwirkungen auf die politisch-strategischen Entscheidungen Einwirkungen auszuüben versucht."148 Auf dem ersten Höhepunkt der Kampagne für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg im April 1916 sah Delbrück sich genötigt, dieses antidemokratische Schimpfwort der Demagogie auf Vorgänge in der deutschen öffentlichen Meinung anzuwenden.149 „Selbst Männer, denen man sonst politisches Verantwortungsgefühl gewiß nicht absprechen kann, nahmen es sich nicht übel, im Volke Vorstellungen über den Tauchbootkrieg, die Möglichkeit seines Erfolges und die Gründe dafür und dagegen zu verbreiten, die den offenkundigsten Tatsachen Hohn sprachen, und suchten mit demagogischen Mitteln der verwerflichsten Art einen Druck auf die Regierung auszuüben" (S. 252). Es sei das „demagogische Kunststück" der nationalliberalen Partei, ihre eigene Ansicht über das Kriegsziel und seine Mittel mit dem
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Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 157ff. Zitiert nach dem Neudruck in: ders., Krieg und Politik, 1918, Bd. 1, S. 90-95. Hans Delbrück, Monarchie und Parlamentarismus im Kriege, Preußische Jahrbücher vom 25. März 1916, zitiert nach: ders., Krieg und Politik, Bd. 1, Berlin 1918, S. 221-233, S. 228. Hans Delbrück, Der Konflikt mit Amerika, Preußische Jahrbücher vom April 1916, zitiert nach: ders., Krieg und Politik, 1918, Bd. 1, S. 25 Iff.
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Willen des Volkes zu identifizieren (S. 260f.). Delbrück faßte seine Ungehaltenheit über die in der öffentlichen Meinung geisternden politischen Denkweisen in folgende zornige Worte: „Die Gebildeten, hat man früher in Deutschland immer und immer wieder gelehrt, müssen in der Politik die Führung haben, und man suchte eine Form des Wahlrechts, die ihnen diese Führung verbürgte. Hat dieser Krieg wirklich gezeigt, daß die Masse der Gebildeten an politischem Instinkt der Volksmasse überlegen sei? Wo sitzen denn die Unruhestifter, die es mit ihrem patriotischen Gewissen vereinbar halten, mitten im Krieg das Volk gegen ihre Regierung aufzuregen und das Vertrauen zur Reichsleitung zu untergraben?" Er resümiert daher, daß die „öffentliche Meinung vielfach der Neuorientierung mehr zu bedürfen scheint, als die öffentlichen Institutionen".150 Angesichts des Mißerfolgs der Gegenkampagnen zu den Alldeutschen und der durch die Zensur aufgegebenen Einschränkungen organisierte sich um Delbrück herum ein teilweise konspirativ agierender Kreis, der die alldeutsche Demagogie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen versuchte, aber nicht, weil sie gegen die Erhaltung des Obrigkeitsstaates gewesen wären, sondern weil sie mittlerweile die Tätigkeit der Alldeutschen als die größte Gefahr für den Obrigkeitsstaat einschätzten. Es bildete sich eine Gruppe national gesinnter, liberal-konservativ eingestellter Gelehrter und Politiker, die aus dem „Delbrückschen Mittwochsabend"131 hervorging und hier als Delbrück-Kreis bezeichnet werden soll. Durch die hervorragenden Kontakte zum späteren letzten Reichskanzler Prinz Max erlangte der Delbrück-Kreis im nachhinein einen geradezu legendären Ruf. Der publizistische Ertrag der Gespräche des Delbrück-Kreises war u. a. in der Rubrik Politische Korrespondenz der Preußischen Jahrbücher abzulesen, in Aufsätzen in dieser von Delbrück herausgegebenen Zeitschrift und in der Neugründung der von Paul Rohrbach herausgegebenen Zeitschrift Deutsche Politik, die 1918 mit der alten liberalen Zeitschrift März von Conrad Haußmann verschmolz. Mit der Deutschen Korrespondenz wurde ein Organ gegründet, das den Provinzzeitungen kostenlos und wöchentlich Informationen zum Abdruck zur Verfugung stellte. Ihr erster Schriftleiter war Martin Wenck, Redakteur des Berliner Börsencouriers. Er gab auch die Schriftenreihe Der Tag des Deutschen heraus, in deren ersten Heft Otto Baumgarten die verheerende Wirkung der alldeutschen Kriegszielpolitik im ehemals neutralen Ausland untersuchte.152 Ab Heft 4 übernahm Martin Hobohm die Schriftleitung.153 Im sog. Büro-Hobohm schuf sich der
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Hans Delbrück, Politische Korrespondenz, vom 29. Oktober 1916, Preußische Jahrbücher 166 (1916), S. 343-351,346. Paul Rühlmann, Der Delbrücksche Mittwoch-Abend, in: Emil Daniels/ ders., Hrsgg. Am Webstuhl der Zeit, 1928, S. 75ff.; Fricke, Bürgerliche Parteien in Deutschland, Bd. 2, 1970, S. 330ff. Als Teilnehmer im Krieg werden genannt: Meinecke, Harnack, Troeltsch, Helfferich, Max von Baden, Rohrbach. Nach dem Krieg traten hinzu Solf, Otto Hammann, Riezler, Friedrich von Siemens, Walter Simons, Theodor Wolff, Heinrich Scheuch, Wilhelm Groener. Die Angaben sind teilweise unsicher. Otto Baumgarten, Das Echo der alldeutschen Bewegung in Amerika, Heft 1 der Schriftenreihe, hg. Von Martin Wenck, Jena, Berlin 1917. Vgl. auch Paul Rohrbach, Die alldeutsche Gefahr, Heft 10, 1918. Delbrücks Schüler Martin Hobohm, der sich bei ihm über Machiavellis Militärtheorie promoviert hatte, war seit 1913 Privatdozent in Berlin und seit dem Wintersemester 1914/15 kommissari-
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Delbrück-Kreis eine regelrechte Organisation zur Bekämpfung des Alldeutschtums.154 Die damit verbundenen finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten wurden von Delbrück durch die Schaffung eines Verwaltungskommitees überwunden, bei dem aber, nach Delbrücks Auffassung aus Feigheit, hochrangige Politiker und insbesondere Parlamentarier nicht mitarbeiten wollten und die Arbeit schließlich zwischen Baumgarten, Delbrück und Rohrbach aufgeteilt werden mußte. In der Sitzung vom 20. November 1916 ζ. B. versammelten sich immerhin neben Delbrück auch Otto Baumgarten, Ernst Jäckh, Paul Rohrbach, Martin Hobohm, Martin Wenck, Ernst Troeltsch, Admiral Truppel und der Bankier Nischke zusammen mit dem Redaktionsmitglied der Frankfurter Zeitung August Stein, um über das weitere Vorgehen zu beraten.155 In der Ziel- und Zwecksetzung wurde auch die Art und Weise dieser Tätigkeit reflektiert: „Zu diesem Zweck", heißt es in einem vertraulichen Papier,156 „sind Gesinnungsgenossen zusammengetreten, die nicht als Gemeinschaft Politik betreiben, sondern Mittel zusammenbringen wollen, um Unternehmen und Politiker zu unterstützen, die auf eigene Verantwortung in dem eben beschriebenen Sinne (nämlich einem zukünftigen Frieden nicht durch Chauvinismus den Weg zu verstellen) arbeiten". In der Zwischenzeit sollte keine Gefahrdung der ja eigentlich gewünschten und begrüßten nationalen Einheit herbeigeführt werden. So wurden Aufklärungsschriften erstellt, deren Publikation aber anfanglich selber zurückgehalten wurde, „um den Zwiespalt der Nation ... nicht noch weiter zu verschärfen." Aber man war sich darüber im klaren, „daß der Kampf früher oder später in großem Maßstabe aufgenommen werden muß, wenn die Politik des Deutschen Reiches durch die patriotische Demagogie nicht geradezu in verderbliche Bahnen gedrängt werden soll". Martin Hobohm und Paul Rohrbach sammelten große Materialberge über die Alldeutschen und wollten daraus eine Dokumentation verfertigen, die in aufklärerischer Absicht publiziert werden sollte. Sie durfte jedoch erst 1919 erschienen.157 Zu den aktiven Kräften im Kampf gegen das annexionistische Alldeutschtum zählte auch der Historiker Walter Goetz. Er war vor dem Weltkrieg 2. Vorsitzender des Nationalsozialen Vereins gewesen. In seiner Heimatstadt Leipzig versuchte Goetz gegen die Annexionisten um Erich Brandenburg Anhänger für einen Verständigungsfrieden zu sammeln, als er als Reserveoffizier im Urlaub weilte.158 Auf Anregung Kühlmanns wurde er im Herbst 1917 beauftragt, Aufklärungsarbeit für einen Verständigungsfrieden zu leisten. Sein Buch Deutschland und der Friede erschien aber erst nach dem Krieg.159 Man tat seinerzeit auch erstaunlich anmutende Einblicke in die Regelmäßigkeiten von
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scher Vertreter des Lehrstuhls für die neuere Geschichte. Seit Mai 1915 war Hobohm in der Zentralstelle für Auslandsdienst im Auswärtigen Amt tätig, wo er gemeinsam mit Paul Rohrbach offiziell die ausländische Presse sammelte und bearbeitete. Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 34-43. Brakelmann, Krieg und Gewissen, 1991, S. 66. Beides aus einem internen Strategiepapier der Hobohm-Organisation, aus dem Nachlaß von Delbrück zitiert bei Bassi, Otto Baumgarten, 1988, S. 141. Martin Hobohm und Paul Rohrbach, Hg., Chauvinismus im Weltkrieg, 2. Band: Die Alldeutschen, Berlin 1919. Apelt, Jurist im Wandel der Staatsformen, 1965, S. 46f. Goetz, Historiker in meiner Zeit, 1957, S. 50ff.
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Propaganda und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Otto Baumgarten etwa beschrieb das Wechselspiel von alldeutscher Propaganda im Innern, ihrer Rezeption als für die deutsche öffentliche Meinung repräsentative Auffassung im Ausland und der daraus wieder nach Deutschland springenden Legitimität der alldeutschen Meinung als Repräsentant Deutschlands nach außen.160 Gegen diese Schrift Baumgartens bezog Georg von Below für die Alldeutschen Stellung und erklärte das Vorgehen Baumgartens als moderne „Demagogenverfolgung", die nicht ohne Grund seitens derer erfolge, die mit linksliberalen Anschauungen über die Demokratisierung der Institutionen denjenigen das politische Übergewicht verschaffen und die alldeutschen Meinungen mundtot machen wollten.161 Aber die Anhänger des modernen Obrigkeitsstaates konnten mit aufklärerischen Mitteln alleine nicht den Einfluß der Alldeutschen bremsen, zu sehr entsprach deren Propaganda dem Wunschdenken der Bevölkerung bis tief in die Arbeiterschichten hinein. Es bedurfte eines grundsätzlich angelegten Konzeptes, welches nicht dem Vorwurf der Kopie westlicher Modelle ausgesetzt werden konnte und das zugleich dem Obrigkeitsstaat jene Flexibilität und Reformfahigkeit verleihen sollte, die es ermöglichte, die ihnen notwendig erscheinenden Veränderungen vorzunehmen. Hierzu bot sich eine Strategie defensiver Demokratisierung an, die bei Umgehung der Parlamentarisierung in der deutschen Geschichte selber einen genuin demokratischen Strang wiederentdeckte, der als Vorbild für Veränderungen des Obrigkeitsstaates dienen konnte, ohne seine Substanz aufgeben zu müssen oder in das Fahrwasser der westlichen Demokratie zu geraten: die Demokratie von oben.
Das Vorbild der Preußischen Reformen von 1807 Die Kritiker der westlichen politischen Ordnung, die sie mit einer bestimmten Vorstellung von Demokratie in Verbindung brachten, mußten feststellen, daß die der deutschen politischen Ordnung als Merkmal zugeschriebene Unempfmdlichkeit für die gefürchteten Auswüchse einer wesentlich demokratischen Ordnung nicht wirklich vorhanden war. Die Unkontrollierbarkeit der öffentlichen Meinung, das geringe Maß an politischem Sachverstand auch bei den Gebildeten und die Unfähigkeit, diese Phänomene theoretisch in den Griff zu bekommen, machten die Notwendigkeit einer Reform überdeutlich. Die Frage war aber, aus welcher Quelle die Neuorientierung ihre Impulse beziehen sollte. Der Westen sollte nicht nachgeahmt werden, der Obrigkeitsstaat aber um eine politische Komponente erweitert werden, die ihm wesensfremd anmutete. So kam es zur Argumentationsstrategie einer defensiven Demokratisierung, die sich nicht an einer Kritik des
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Otto Baumgarten, Das Echo der alldeutschen Bewegung in Amerika, Jena 1917. Vgl. Brakelmann, Krieg und Gewissen, 1991, S. 64—71 zu Baumgartens Kampf gegen den alldeutschen Chauvismus. Georg von Below, Die Erneuerung der Demagogenverfolgung - Otto Baumgarten gegen die Alldeutschen, in: Das größere Deutschland - Wochenschrift für deutsche Welt- und Kolonialpolitik, Juni 1917, S. 769ff.; vgl. Brakelmann, Krieg und Gewissen, 1991, S. 61 und 69f.
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Westens abarbeitete, sondern mittels des Rückgriffs auf die Idee der Preußischen Reformen von 1807 in der eigenen historischen Tradition ein Vorbild fand, an dem sich die Neuorientierung bei ihrem Vorhaben um eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung orientieren konnte. Dieser Rückgriff ermöglichte es den Anhängern des modernen Obrigkeitsstaates schließlich für eine Demokratisierung des Wahlrechts zu plädieren, ohne deswegen auf das Vorbild der politischen Ordnung bei den Alliierten verweisen zu müssen. Vielmehr schien man mit den Preußischen Reformen von 1807 eine Traditionslinie fortsetzen zu können, die zu den eigentümlichsten Ideen der preußischen Geschichte selber zählte. Es ist wohl kein Zufall, daß wichtige liberal-konservative Autoren, die das Modell eines modernen Obrigkeitsstaates entwerfen halfen, schon vor dem Weltkrieg als Historiker der Zeit der preußischen Reformen hervorgetreten waren und dieses Modell nun zur Leitorientierung ihrer Argumentationsstrategie einer defensiven Demokratisierung heranzogen. Hintze, Meinecke, Delbrück, Friedrich Thimme waren als Historiker der Reformzeit frühzeitig in Erscheinung getreten und hatten sich teilweise als Biographen der Reformer profiliert. Hans Delbrücks umfangreiches Werk über Gneisenau162 von 1894 war von dem Gedanken durchdrungen, daß hier eine aufklärerische Tradition des Preußentums wachgehalten werden mußte, um sie der Gegenwart kritisch und mahnend vor Augen zu halten. Delbrück schilderte ausführlich die weiterreichenden organisatorischen Gedanken und Pläne Gneisenaus in einem durchaus progressiven, stellenweise demokratischen Sinne. Gerade in Hinblick auf den Gedanken der Bürgermiliz und der großen Bedeutung, die Gneisenau der Freiheitsidee beilegte, jedenfalls wie sie Delbrück bei Gneisenau vorzufinden meinte (S. 137ff.), sah er Anknüpfungen für viel weiterreichende Reformen, als sie dann tatsächlich vollzogen wurden. In die Reihe der Biographen der Reformer gehört auch Max Lehmann mit seiner Scharnhorst-Biographie. Größere Wirksamkeit erlangte er mit seiner Biographie des Freiherrn vom Stein.163 Die von Lehmann angestoßene, scharfe Polemik provozierende Stein-Auslegung ist nur verständlich, wenn man sich klar macht, wie sehr es nicht nur um die angemessene, historisch „wahre" Darstellung vergangener Geschichte ging, sondern um die in dieser Darstellung angelegte Interpretation der eigenen Gegenwart, deren Wurzeln man in der Vergangenheit aufsuchte. Diese Polemik hatte ihre Fortsetzung in der Zeit der Weimarer Republik, wo sich generell die wilhelminischen Deutungskämpfe in der Geschichtsschreibung wiederholten, wenngleich die Erfahrung des Krieges und das Erlebnis der Niederlage den Ton noch einmal erheblich verschärfte.164 Obwohl also die Preußischen Reformen den liberal-konservativen Autoren als ein positiver, ja in ihren Augen leuchtender Maßstab zur Einschätzung des Obrigkeitsstaates dienen sollte und sie bei der Rekonstruktion dieses Vorbildes tätig mitwirkten, so verhalf
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Hans Delbrück, Das Leben des Genralfeldmarschalls Grafen Niedhardt von Gneisenau, 2 Bände, Berlin 1894. Max Lehmann, Scharnhorst, 2 Bände, Leipzig 1886/1887; ders., Freiherr vom Stein, 3 Bände, Leipzig 1902-1905. Angaben für die Zeit nach 1918 bei Faulenbach, Ideologie, 1980, S. 337 Anm. 88-104; vgl. auch Sproll, Französische Revolution, 1982, S. 107ff.: Frankophobie und Demokratiefeindschaft.
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dieses Preußenbild bei aller Fähigkeit zur Kritik am byzantinischen Wilhelminismus doch nicht dazu, die Schwelle zum Primat des Politischen zu überschreiten und der autonomen Selbstgestaltung des politischen Schicksals das Wort zu reden. Reform ohne Revolution als Ideal, so hat man etwa Meineckes historisch-politische Grundüberzeugung im Spiegel seiner Historiographie zum ,.Zeitalter der deutschen Erhebung" bezeichnet.165 Meinecke hatte die große Boyen-Biographie in zwei Bänden 1896 und 1899 veröffentlicht, in deren zweiten Teil er ausfuhrlich auf die militärtheoretischen Erwägungen Boyens aus seinem Nachlaß zu sprechen kam, so wie er im ersten Teil die Reform der Armee behandelte.166 Aber schon der Tenor seiner Beurteilung verrät die idealistische Zuwendung, denn nur allzu leicht war Meinecke geneigt, die Zusammenhänge in liberaler Perspektive zu betrachten, wonach „der Umschwung in der sittlichen Schätzung der Persönlichkeit" seitens der Reformer neben dem Gedanken der Staatserhaltung die fordernde Kraft der Reformbewegung gewesen sei (Bd. I, S. 191) und er es als das „tiefste Bedürfnis der Zeit" ansah, daß eine Verschmelzung des Staatslebens und des Geisteslebens stattfinde (Bd. I, S. 196). Ein solches Bedürfnis nach Verschmelzung zeugte Meinecke zufolge von den tiefgreifenden politischen Reformabsichten in Richtung aufgeklärter Vorstellungen von Politik. Das verband Meinecke mit einem auslegungsbedürftigen Worte Boyens, der nur von der Abhängigkeit der Schlagkraft einer Armee von ihrem „Geiste" gesprochen hatte. Für Meinecke stand dieser Geist für die moderne Sittlichkeit insgesamt, zu deren Durchsetzung auch gesellschaftliche Reformen in Betracht kamen (Bd. I, S. 197). Die Reformen zielten auf sittliche Erneuerung und konnten deswegen auf revolutionäre politische Durchsetzungsmechanismen verzichten.167 Meinecke konnte sich an der borussischen Geschichtsschreibung seiner Vorgängergeneration reiben, der er vorhielt, anfanglich noch mit politischem Bewußtsein die Anfange der modernen deutschen Geschichte betrachtet zu haben, dann aber in die bloß apologetische Darstellung der historischen Faktizität zurückgefallen zu sein. Seine Kritik richtete sich zum Beispiel gegen Sybel, der zunächst noch aus der Erfahrung der Reaktionszeit und des preußischen Verfassungskonfliktes der Roonschen Heeresreform vorgeworfen hatte, den politischen Geist Boyen gänzlich ausgetrieben zu haben. Statt wie die aufgeklärten Reformer die Armee als Stätte des Werdens von Staatsbürgern zu begreifen, habe Roon sie nur zum Werkzeug einer privilegierten Kaste geschliffen, lautete Sybels anfängliche Kritik. Als aber eben diese Vorgänge zur Reichsgründung führten, schwenkte Sybel um und bezeichnete seine frühere Einschätzung der Heeresreform als gröbliche Verkennung. Dieser Wandel ging Meinecke zu rasch und zu glatt. Er wollte die Frage nicht vergessen wissen, was an Sybels früherer Kritik der Sache nach nun gerechtfertigt und begründet war. Aber Meinecke war weit davon entfernt, aus dieser Diskrepanz zwischen den politischen Intentionen der Preußischen Reformer einerseits und der Instru-
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Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 90-122. Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, 2 Bände, Stuttgart 1896 und 1899. In diesem Sinne auch die Darstellung bei Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, Abschnitt „Reform ohne Revolution als Ideal - Meineckes historisch-politische Grundüberzeugungen im Spiegel seiner Historiographie zum „Zeitalter der deutschen Erhebung", S. 90-122.
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mentalisierung durch die Reichsgründer andererseits einen Maßstab künftiger Fortentwicklung des preußischen Staates zu entwickeln, der den Weg der Modernisierung des Obrigkeitsstaates etwa in erneuter Aufnahme des Befreiungsgeistes von 1812 eine nach innen gewendete Reform forderte. Statt dessen wollte Meinecke unter „Reform" nur die Beseitigung des Mangels der Gegenwart verstanden wissen, nämlich den Mangel an der „wundervollen Harmonie und Innigkeit der geistigen und politischen Überzeugung", die er bei den preußischen Reformern noch vorbildlich am Werke sah und bereits vor Ausbruch des Krieges vermißte.168 Aus einer solchen Position heraus ließ sich kaum eine Forderung nach eigenmächtiger Durchführung der Reform mit Willen der auf Modernisierung bedachten Bevölkerungsteile stellen. Der Weltkrieg und seine Sinnstiftungsliteratur auf deutscher Seite belebte die Erinnerung an die Zeit der Napoleonischen Befreiungskrieg wieder. Hatte nicht auch in dieser Zeit Preußen sich gegen den Westen behauptet und war siegreich gewesen? Wir waren dem Phänomen bereits begegnet, wonach in einer erstaunlichen Konversion wesentliche Aspekte des auch in Deutschland vor dem Weltkrieg verurteilten Militarismus nun zu Charakterzügen eines Volkskrieges umstilisiert wurden. Gerade der Hinweis auf die in den Preußischen Reformen vermuteten schlummernden aufklärerischen Potentiale diente nun anfanglich der Zurückweisung des pauschalen Militarismus-Vorwurfes seitens der Alliierten. Selbst die Skeptiker schlössen sich in Aufsätzen und Broschüren dieser Auffassung vom Volkskrieg im Unterschied zum militaristischen Kabinettskrieg an.169 In diesem Sinne meinte auch Troeltsch, daß die Ideen von 1914 keineswegs fertig und der Krieg eine Reaktion hierauf sei, sondern umgekehrt, diese Ideen sich erst im Kriege herausbildeten, und er fugte an: .Anders war es ja auch nicht bei den Ideen von 1813, die allein eine gewisse Ähnlichkeit mit der Idealbildung von heute haben, wie denn der ganze Weltkrieg allein dem Schicksalsringen mit Napoleon einigermaßen entspricht".170 Es gab eine Konjunktur der Darstellung der Befreiungskriege, zu der freilich auch ihre kriegslüsterne und nationalistische Aneignung zählte. Dann stützte man sich nicht auf die Militärreformer oder gar die politischen Reformer, sondern auf den großen Rhetor der Befreiungskriege, auf Fichte. In diesem Kontext wurde die Zeit der Reformen, die für die Modernisten so wichtig war, gelesen als Zeit der „Befreiung" und zwar nicht als politische Befreiung von napoleonischer Herrschaft, sondern als Befreiung von der westlichen, „zivilisatorischen" Hegemonie.171 Die Geschichte der Fichte-Rezeption im Kontext des Weltkrieges und der Weimarer Republik ist ein umfangreiches, wenig erschlossenes Thema für sich. Sie reicht von der Adaption des geschlossenen Handelsstaates auf den
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Friedrich Meinecke, Boyen und Roon, in: ders., Von Stein zu Bismarck, Berlin 1908, S. 50-76, S. 75f. Otto Hintze, Unser Militarismus. Ein Wort an Amerika, in: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 9 (1914), S. 209-220, 217; Friedrich Meinecke, Kultur, Machtpolitik und Militarismus, in: Hintze, Deutschland und der Weltkrieg, 1916 2. Aufl., S. 750-776, 772ff. Ernst Troeltsch, Die Ideen von ¡914, Rede in der Deutschen Gesellschaft von 1914, in: Neue Rundschau 27 (1916), S. 605-624, zitiert nach: ders., Deutscher Geist, 1925, S 31-58, 33. Alois Riehl, 1813 - Fichte - 1914, Berlin 1914.
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Kriegssozialismus unter den Bedingungen der Blockade172 bis zur Wiederentdeckung des aggressiven Nationalismus bei Fichte.173 Gegen eine solche Lesart konnten sich Autoren wie Max Adler zwar öffentlich zur Wehr setzen und an die emanzipativen und idealistischen Vorstellungen Fichtes erinnern, die dieser mit dem Begriff von Nation und Vaterland verband.174 „Zunächst, was bedeuten die Worte ,Deutsches Volk', ,Deutsche Nation', ,Deutsches Vaterland' bei Fichte? Nichts von alledem, was ihren landläufigen Inhalt ausmacht, weder einen abstammungsmäßigen, noch einen territorialen Verband, noch eine historisch-politische Individualität, sondern sie sind geistige Werte, die ihre Realisierung überhaupt noch gar nicht in der Gegenwart haben, sondern erst von der Zukunft erwarten. Kurz, sie sind kein stolzer Besitz, wohl aber eine um so stolzere Aufgabe" (1055). Eine solche Argumentation fand jedoch dort kein Gehör, wo das Vorverständnis keinen Raum ließ, ein differenzierteres Bild zu zeichnen. So stark erfüllte die einsinnige Interpretation eines fichteanisch interpretierten nationalistischen Befreiungskrieges das große Bedürfnis der Sinnstiftung, daß eine nicht-nationalistische Interpretation kaum Beachtung fand. Delbrück erkannte die Gefahren des Vorbilds der Preußischen Reformen. Zu den aufgeregten Reaktionen von Seeberg, Wilamowitz und Hintze auf die öffentliche Erklärung von Meinecke und Oncken, in der sie es ablehnten, an einer Adresse zur Unterstützung der Eingabe der Sechs Verbände mitzuwirken, gab Delbrück zu bedenken: „Ganz wie 1813 der Überschwang der patriotischen Erhebung allerhand wunderliche Auswüchse des Teutonismus erzeugte, die in der geschichtlichen Darstellung mit leiser Ironie abgetan zu werden pflegen, so sind wir auch heute in Gefahr und in einer viel größeren Gefahr, mit unserer geschichtlichen Bildung in Widerspruch gebracht zu werden. Die Grundtatsache unseres kulturellen Daseins, daß die romanisch-germanischen Völker bei allem Zwiespalt doch eine große, sich gegenseitig befruchtende innere Einheit bilden, fangt an einem Bestreben nach nationaler Absperrung Raum zu geben, die am letzten Ende bei chinesischer Erstarrung endigen müßte".175 Diese nationalistische Aneignung des Vorbilds der Preußischen Reformer erregte den Unwillen der liberal-konservativen Reformkräfte plötzlich die Situation geschaffen, weil der Weltkrieg die Möglichkeit einer späten Einlösung des Preußischen Reformanliegens eröffnete. War hier nicht eine ganz der deutschen Tradition entnommene Demokratisierungsanstrengung vorhanden, die ohne Verdacht, der feindlichen westlichen Demokratie anzugehören als Modell gegenwärtiger Orientierung herangezogen werden konnte? Der Wunsch, das Preußentum auch in seiner aufklärerischen Dimension zu erschließen, wurde vor allen Dingen von Meinecke im Weltkrieg erneut aktualisiert,176 und zwar in der 172 173 174 175 176
Edgar Jaffé, Α., Die Militarisierung unseres Wirtschaftslebens, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 40 (1915), S. 511-547 und ders., Volkswirtschaft und Krieg, 1915. Bruno Bauch, Fichte und der deutsche Gedanke, Hamburg 1918, ern. Langensalza 1925. Max Adler, J. G. Fichtes Deutsche, in: Die Weißen Blätter 2 (1915) 3. Quartal, S. 1055-1062. Hans Delbrück, in: ders., Krieg und Politik, 1918, Bd. 1, S. 156ff., S. 158. Im publizistischen Bereich: Friedrich Meinecke, Von Stein zu Bismarck, Berlin 1918, wie im Feld privater Vorträge, ζ. B. in der Mittwochsgesellschaft. Dort hielt Meinecke in der 672. Sitzung vom 17. November 1915 einen Vortrag über Landwehr und Landsturm von 1813 und versuchte die Verbindungslinien von den damaligen Reformen zum gegenwärtigen Weltkrieg zu ziehen, in: Gerhard Besier, Hg., Die Mittwochs-Gesellschaft im Kaiserreich - Protokolle aus dem
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Erwartung, daß die vor dem Krieg mit den Befreiungskriegen verbundene idealisierte Hoffnung sich nun im Zuge der Neuorientierung verwirklichen würde. Das Vorbild der Preußischen Reformen konnte für die Historiker der Preußischen Reformer einen anderen Blick auf die Demokratie freigeben. Im Wechselverhältnis von allgemeinem Wahlrecht und allgemeiner Wehrpflicht eröffnete sich ein gedanklicher Zusammenhang von Rechten und Pflichten, der auf der einen Seite der Demokratie zu bestimmten Hegungen und Bindungen verhalf, die dem befürchteten Massengeist des bindungslosen Individualismus entgegen wirken sollte und auf der anderen Seite klar stellte, daß der Staat auf dem „lebendigen" Fundament des Volkes stand, woraus wiederum Mitwirkungsrechte folgten, und zwar zu Recht, wenn es die zentrale Leistung für den Erhalt des Staates zu erbringen bereit war, den Waffendienst. In diesem Sinne hatten die Preußischen Reformen schon in der Zeit des späten Wilhelminismus die Funktion gehabt, die modernistische, aufgeklärte und zu wagemutigen Experimenten bereite Tradition fortschrittlich orientierten konservativen Denkens zu betonen. Dem idealisierten Vorbild der Napoleonischen Befreiungskriege wurde freilich ein nicht weniger idealisiertes Bild der Preußischen Reformen und ihrer Intentionen zur Seite gestellt. Die Historiker der Preußischen Reformen leiteten aus diesem Vorbild den genuinen Anspruch der Bevölkerung auf politische Partizipation ab und wiesen den Einwand energisch zurück, mit dieser Forderung der Propaganda der westeuropäischen Demokratien zum Opfer zu fallen oder der Werbewirkung einer in der Sache illusionären Idee von Freiheit zu erliegen. Die Idee gleichberechtigter politischer Freiheit wiesen die Vertreter der defensiven Demokratisierung dagegen zurück: Sie lehnten nämlich den parlamentarischen Durchgriff des Wahlrechts ab. Selbst das demokratische Gleichheitswahlrecht stand nicht von Anbeginn auf der Agenda ihres Reformmodells, sondern setzte sich erst nach langen Bemühungen um die Kompromißlösung in Gestalt eines Pluralwahlrechts durch. Aber sie forderten die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts als unzeitgemäßes Relikt wie auch als unvereinbar mit der genuin preußisch-aufklärerischen Idee des Staates, und auf letzterer Überlegung fußte wesentlich ihr Argument. Der Zusammenhang von Wehrpflicht und Wahlrecht wurde eher als organischer denn institutioneller begriffen. Meinecke, Delbrück und Thimme verlangten als institutionelle Konsequenz der Neuorientierung, gelesen auf der Folie des Preußen-Modells zunächst noch keineswegs das demokratische gleiche Wahlrecht, sondern wollten dem Wahlrecht eine Stellung im Gefüge der staatsorientierten politischen Ordnung geben, die sich dem Obrigkeitsstaat anpaßte. Troeltsch etwa betonte, daß es um die Sicherung der Integration der politischen Führer der Arbeiterbewegung in das politische System des Kaiserreichs gehe, nicht um die Verwirklichung abstrakter und realistisch nur noch als doktrinär zu bezeichnender naturrechtlicher Forderungen. 177 Der Zusammenhang des idealisierten Preußen-Modells mit institutionellen Ableitungen auf dem Gebiet des Wahlrechts ist am deutlichsten am Beispiel Friedrich Meineckes im Wechsel der Jahre 1916 auf 1917 abzulesen. Die Grenzen der Meineckeschen Argumentation werden dort sichtbar, wo aus den Plädoyers für das Vorbild der Preußischen
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geistigen Deutschland 1863-1919, Berlin 1990, S. 285f. Ernst Troeltsch, Politik des Mutes und Politik der Nüchternheit, (1915/1916, Juli 1916), S. 374-377, S. 376f.
in: Das Neue Deutschland 4
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Reformen unmittelbar institutionelle Konsequenzen gezogen wurden, insbesondere in der Frage des Wahlrechts.178 Meinecke wollte eine Balancierung zwischen der politischen Struktur Preußens und derjenigen Deutschlands erreichen, derart, daß er zwar das gleiche Wahlrecht als „diejenige Lösung" erachtete, „die die dauerhaftesten und gesündesten Verhältnisse schafft",179 aber er verlangte einen Ausgleich und schlug u.a. vor, die Kompetenzen des Herrenhauses auszuweiten. Meinecke erinnerte noch einmal an die Intentionen Steins und Boyens bei ihren Überlegungen zur Preußischen Reform. Sie wollten den Staat stärken und glaubten dies nur durch die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zu den Massen erreichen zu können.180 Diese Überlegung habe auch in der Zeit der Reichsgründung gegolten. Man dürfe in bestimmten Bevölkerungsteilen nicht das Gefühl aufkommen lassen, „Staatsbürger 2. Klasse, lediglich Objekt eines Herrschaftsstaates" (S. 151) zu sein. Während diesem Empfinden in England „freie" Einrichtungen entgegenwirkten, stellte sich dies für Deutschland anders dar: „Deutschland aber mit seinen starken monarchischen, militärischen und bureaukratischen Einrichtungen bedurfte notwendig... eines entsprechend starken Gegengewichtes, um das Vertrauen der Massen nicht zu verscherzen" (S. 152) und schuf das Reichstagswahlrecht. Aber diese Einrichtung soll nicht als Ausdruck „demokratischer Ideale" verstanden werden. „Wir argumentieren nicht vom Boden demokratischer Ideale, sondern rein staatlicher Interessen heraus. Deutschland ist nun einmal nicht zur reinen Demokratie geschaffen", dazu wurzelt die „monarchische Überlieferung" zu stark und auch die „aristokratische Lebensauffassung ist trotz aller demokratischen Massenbewegungen so tief eingesenkt in deutsches Empfinden". Damit scheint die Möglichkeit gegeben, daß die Demokratie „organisch hineinwächst in die alte Gesellschaft und die nationalen Kulturzusammenhänge" (S. 152). Organisch einwachsen soll die Arbeiterschaft in den Staat. Dieses organische Zusammenwachsen kann aber nicht durch einen erzwungenen Gesinnungswechsel, sondern nur in der „stillwirkenden Lebens- und Arbeitsgemeinschaft" (S. 162) erfolgen, die auch die Idee des Thimme/Legien-Bandes gewesen war. Daher müsse man das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht abschaffen, um diesem organischen Hineinwachsen ein wesentliches Hindernis aus dem Weg zu räumen. Meinecke überträgt das Problem der gegenseitigen Anerkennung, die die Voraussetzung der bereits von statten gehenden Zusammenarbeit ist, auf die politische Sphäre und entwickelt es als ein Problem des Vertrauensverhältnisses: So wie die Politik nach außen das Erfordernis eines Vertrauens in die Richtigkeit der Regierungsbeschlüsse (S. 165) nach sich ziehe, so verlange sie nach innen das Vertrauen in die Besonnenheit der Massen. Daher schlägt Meinecke vor, das preußische Wahlrecht zu demokratisieren, aber verlangt, daß die demokratischen Kräfte auf das parlamentarische Regime verzichten (S. 167f.). Das heißt,
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Friedrich Meinecke, Preußen und Deutschland, in: Frankfurter Zeitung vom 2. April 1915, vgl. Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 276. Friedrich Meinecke, Reform des preußischen Wahlrechts, in: ders., Politische Schriften, 1958, S. 146-173, S. 171. Friedrich Meinecke, Die Reform des Preußischen Wahlrechts (geschrieben Dezember 1916), zuerst in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 5 (1917), S. 1-27, Anfang 1917 als Sonderdruck, beide Versionen in: ders., Politische Schriften, 1958, S. 146-173, S. 148ff.
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die Demokratie wird als gegenseitiges Anerkennungsverhältnis angesehen, aber ohne institutionelle Konsequenzen auf der Regierungsebene. Hier kommt wieder sehr deutlich zum Ausdruck, daß die theoretische Auseinandersetzung weniger um den Parlamentarismus als Prinzip, als vielmehr um den Parlamentarismus als befürchtetes oder erhofftes Vehikel der Demokratie geführt wurde. Denn hierin sieht Meinecke den großen Unterschied zum „falschen Vorbilde der westeuropäischen Demokratie", von dem man sich „endlich frei" (S. 166) machen müsse. Sie ermöglicht nämlich gerade nicht politische Willensbildung, wie er sie unter der Geltung des Obrigkeitsstaates als richtig und unterstützenswert versteht. „Die wildesten und leidenschaftlichsten Exzesse einer überspannten Machtpolitik findet man heute bei unseren Gegnern", womit die „französische und englische Demokratie" (S. 163) gemeint ist, weil ihre „parlamentarischen Kontrollorgane", die den politischen Hebel der Demokratie darstellen, „neue Einfallspforten für die Invasion der Stimmungen und Leidenschaften kleiner chauvinistischer Kreise in die auswärtige Politik eröffnen" (S. 165). Dagegen gelte es zu berücksichtigen: „Politik ist Stabilität und ruhige Festigkeit und Freiheit von störenden Nebeneinflüssen" und die ist nach Meinecke nur in den Regierungen des monarchischen Konstitutionalismus gewährleistet. Diese Zeilen stehen in einem unverkennbar polemischen Zusammenhang mit dem Kampf um die Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Meinecke will ein Bild zeichnen, das sowohl seine prinzipiellen Überzeugungen vermittelt, als auch deutlich macht, daß eine von ihm scharf kritisierte Politik des Alldeutschtums der politischen Methode nach genau auf das politische Gebaren hinausläuft, das die gleichen Autoren prinzipiell gegen die Demokratie geltend machen. Meinecke ist also in einer argumentativ komplizierten Situation, weil er die Stärke des Obrigkeitsstaates prinzipiell und zugleich tagespolitisch in doppelter Frontstellung verteidigt, und zwar sowohl gegenüber dem westlichen Modell wie der politischen Praxis der alldeutschen Annexionisten. Daher spricht Meinecke wie viele andere Modernisten in diesem Zeitraum auch ausdrücklich von der „deutschen Demokratie" (S. 173). Denn dieser Begriff zielt sowohl auf die demokratische Modernisierung des Staates (gegen die intransigenten Verfechter des autoritären Obrigkeitsstaates gewandt) wie auf die Erhaltung seiner vorrangigen Geltung gegenüber der Gesellschaft und gegen den Universalitätsanspruch alliierter Demokratievorstellungen (gegenüber dem Westen gewandt). Nur der Obrigkeitsstaat gewährt für Meinecke die Politik der Vernunft und Besonnenheit. Deshalb verlangt er Demokratisierung ohne Politisierung: „Ohne Leidenschaften kein großes Wollen und Können, - aber der bessere, der eigentliche Volkswille muß selber wünschen, daß seine Geschicke nur mit gezügelter Leidenschaft gelenkt werden müssen, um auch eine vorübergehend unpopuläre Politik der Vernunft und Besonnenheit wagen zu können" (S. 164). Bezüglich des demokratischen Gedankens in dieser Situation heißt das: die demagogischen Aspekte der Demokratie beschreiben heißt, die Vorgehensweise der annexionistischen Alldeutschen beschreiben, wie sie bereits ohne formale Demokratie sichtbar wird. Demokratie als erweitertes Fundament des Staates propagieren, d. h. so weit als möglich die Anerkennung und Zusammenarbeit mit der Arbeiterschaft förmlich zu besiegeln, heißt demzufolge, die Demokratisierung möglichst nur als Fundamenterweiterung, aber nicht als weitere oder zusätzliche Verschärfung der Demagogisierung verstehen. Die Lösung besteht in dem Konzept einer Demokratisierung ohne Politisie-
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rung, oder, institutionell ausgedrückt: „Balancierung der Demokratie".181 Gerade institutionell ist aber Meinecke erstaunlich flexibel. Weil er das politische Resultat und nicht das institutionelle Problem für vordringlich erachtet, kann er seine institutionellen Vorstellungen bezüglich der konkreten Ausgestaltung des Wahlrechts binnen weniger Monate ständig wandeln.182 Zunächst hatte er eine vollständige Demokratisierung des Abgeordnetenhauses und seine aristokratische Hemmung durch ein in seinen Kompetenzen erweitertes Herrenhaus erwogen. Er hatte davon gesprochen, daß auch die moderne „Demokratie aus sich selbst neue Aristokratie entbindet" (S. 152). Diese neue Aristokratie soll sich nach dem Prinzip von Arbeit und Beruf rekrutieren und Vertretung im Herrenhaus finden (S. 170). Meinecke stellt sie ausdrücklich der unmodernen „fossilen Aristokratie" des bisherigen preußischen Herrenhauses entgegen (S. 171 Anmerkung), denn „mag sie auch charaktervoll vertreten sein", sie dürfe nicht mehr in die Lage kommen, „unbedachtes Unheil anzustiften". Gleichwohl soll auch ein modernisierter aristokratischer Hemmschuh als Gegengewicht zu den Gefahren wirken, die Meinecke mit der allgemeinen Tendenz zur Demokratisierung kommen sieht.183 Meinecke erwägt aber nun auch die Möglichkeit mangelnder politischer Durchsetzbarkeit von demokratischen Wahlmodellen und zieht als Reservekonzept den Gedanken Friedrich Thimmes zum Pluralwahlrecht herbei (S. 171f.), den dieser bereits 1916 formuliert hatte.184 Danach sollten der allgemeinen Stimme 1-5 Zusatzstimmen nach bestimmten Kriterien zusätzlich gewährt werden, die - wie Meinecke betonte - einen „gerechten" Ausgleich des Beitrages von Arbeitern und besitzendem und gebildeten Bürgertum herstellen sollte (S. 172). Neben der Zusatzstimme für Kinderreichtum und einer für den Kriegsdienst gab es auch diejenige für das Ehrenamt und für Beitragsleistungen in die Sozialversicherung sowohl von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern.185 Aber das entscheidende war die weiterhin geltende Auffassung, wonach das Kriterium der Zubilligung einer Zusatzstimme immer die Leistung für den Staat sein soll, die allerdings nicht nur militärisch (vier lebende Kinder oder zwei Söhne, die für militärdiensttauglich befunden wurden), sondern auch sozial (Beiträge zur Sozialversicherung) begriffen wurden. Er fand für diese Konzeptionen große Zustimmung bei den Anhängern des Obrigkeitsstaates: Schmoller pflichtete brieflich der Meinung Meineckes bei.186 Otto Hintze verband seine Zustimmung mit der Hervorhebung der spezifisch deutschen Variante der Demokratie im nicht-individuellen, nichtparlamentarischen Sinne.187 Meineckes Broschüre fand mit
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So fassen Köhler für Otto Hintze und ihm folgend Meineke für Friedrich Meinecke die jeweilige Problemwahrnehmung zusammen: Köhler, Bildungsbürgertum, 1970, S. 155-169 und Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 275ff. Die dem broschürten Separatdruck beigegeben wurden, vgl. ders., Politische Schriften, 1958, S. 168ff. Friedrich Meinecke, Erinnerungen, Bd. 2, S. 224f. Friedrich Thimme, Konservatismus und innerer Friede, in: Grenzboten 75 (1916), S. 225ff. Die auf Ausgleich betonte Intention dieses Pluralwahlgedankens betont u. a. Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 278. Brief Schmollers an Meinecke vom 13. Februar 1917, bei Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 277 Otto Hintze, Zur Reform des preußischen Wahlrechts, in: Europäische Staats- und Wirtschafts-
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
ihrem Zusatz zum Pluralwahlrecht als Kompromißlösung die Zustimmung BethmannHollwegs, der die Broschüre aufkaufen und durch amtliche Stellen verbreiten ließ.188 Im Pluralwahlrecht schienen die reformerisch gesonnenen gemäßigten Kräfte eine schonende Formel fur die beabsichtigte Modernisierung des Obrigkeitsstaates gefunden zu haben, auf deren Grundlage sie die Zustimmung der konservativen Kräfte erwarteten.189 In dem Sinne des Kompromißgedankens befürwortete auch Hans Delbrück noch einmal im Mai 1917 die Möglichkeit eines Pluralwahlrechts.190 Die Frage war jedoch, wie tief die institutionellen Änderungen in das Gefüge der politischen Ordnung des von Bismarck geschaffenen Reiches schneiden sollten. Während es für die Vertreter einer defensiven Demokratisierung zumindest klar war, daß auch ein konservatives Beharren auf den Traditionen nicht Stillstand heißen durfte und die Erinnerung an die preußischen Reformen ja gerade das Hohe Lied konservativer Reformbereitschaft anstimmen wollte, gab es eine andere Orientierung am historischen Vorbild, die gerade das Beharren auf dem status quo zur angemessenen Geschichtspflege erklärte und selbst das Pluralstimmrecht im Frühjahr 1917 für zu weit gehend erachtete. Was den reformfreudigen liberalkonservativen Anhängern eines modernen Verständnisses des Obrigkeitsstaates die preußischen Reformen von 1807 waren, das war dem reaktionären Konservatismus das Bismarck-Bild.191 Der Weltkrieg erwies sich als Schauplatz des historischen Deutungskampfes der eigenen Gegenwart im Lichte der recht verstandenen Vorvergangenheit. Es kam zu einer erneuten Welle der Bismarck-Verehrung vor allen Dingen in der alldeutschen Propaganda, die seit dem Bestehen des Verbandes der Alldeutschen sich stets auf Bismarck berufen hatte.192 Wie das Vorbild der Preußischen Reformen ein anderes Licht auf das demokratische Wahlrecht zu werfen geeignet war, so konnte allerdings Bismarck für den Kampf gegen die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts instrumentalisiert werden. Denn Bismarck hatte am Ende seines Lebens die Einführung des demokratischen Wahlrechts selber als schweren Fehler bezeichnet und lieferte damit den selbsternannten Bewahrern des Bismarckschen Erbes einen authentischen und autoritären Kronzeugen des eigenen Mißbehagens.193 Zahlreiche Schriften bemühten sich um die Rekonstruktion des realpolitischen Denkens am Vorbilde des Reichsgründers und versuchten dort auch einen spezifisch nicht-westlichen Begriff des Politischen zu ermit-
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zeitung 2 (1917), S. 432-435, und kurz darauf: ders., Die Demokratisierung der preußischen Verfassung, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung 2 (5. Mai 1917), S. 453-459; zu Hintze vgl. Köhler, Bildungsbürgertum, 1970, S. 166. Friedrich Meinecke, Erlebtes in Berlin, in: ders., Autobiographische Schriften, 1968, S. 276. Hierzu und zum folgenden Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 68-82 und auch jüngst Meineke, Friedrich Meinecke, 1995, S. 278ff. Zur Geschichte der Pluralwahlentwürfe und ihrer parteipolitischen Diskussion vgl. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 68-82. Hans Delbrück, Die preußische Wahlrechtsreform, in: Preußische Jahrbücher 168 (Mai 1917), S. 326ff. Parr, 'Zwei Seelen wohnen ach!, 1992; Pöl, Bismarckverehrung, 1971. Ludwig Freisei, Das Bismarckbild der Alldeutschen, 1964, zum Mißbrauch Bismarcks im Kampf um die Kriegsziele: S. 7Iff. Richard Äugst, Bismarcks Stellung zum parlamentarischen Wahlrecht, Leipzig 1917.
Ausbildung einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung
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teln.194 Gegner der Alldeutschen wie Otto Baumgarten versuchten vorsichtig zu differenzieren zwischen einer übertriebenen gedanklichen Nähe zu Bismarck und der angemessenen Adaption seines Vorbildes, es aber nicht unterlassen konnten, am Vorbilde Bismarcks die Reichsleitung im Krieg zu kritisieren.195 Der Höhepunkt der einseitigen Instrumentalisierung Bismarcks war mit der Bismarck-Biographie Dietrich Schäfers erreicht.196 Hans Delbrück auf der anderen Seite stellte den Friedensstifter Bismarck im Deutschen Krieg von 1866 heraus, der auf Annexionen gegen Österreich bewußt verzichtete und die Biographie von Dietrich Schäfer auf der anderen Seite hob den Reichsgründer hervor, dessen Erbe nicht durch Reformen gefährdet werden sollte, die dem Geiste Bismarcks widersprachen. Als Delbrück bereits am Ende des Jahres 1914 sah, auf welchen Widerstand seine analytischen Überlegungen über das Verhältnis von militärischem und politischem Primat stießen (s.o.), versuchte er 1915 in Bismarcks Erbe197 in einem verfassungsgeschichtlichen Rückblick den verfassungspolitischen Sinn der Bismarck-Verfassung zu rekapitulieren. Delbrück kritisierte, daß eine falsche Gloriole um Bismarck gelegt wurde, die nur den status quo im Auge habe. Delbrück plädierte statt dessen für ein Konzept der ,Bewahrung durch Veränderung' und führte als Hauptaugenzeugen für seine Position Bismarck selber an. Für Delbrück war die Bismarck-Verfassung kein statisches Endprodukt des geschichtlichen Verlaufs der Nationalwerdung Deutschlands, wie es die borussische Historiographie darzustellen versucht hatte. Das von den Anhängern des Obrigkeitsstaates beschworene Erbe Bismarcks als des Reichsgründers, das es auch für Delbrück als Konservativen zu bewahren galt, bestand Delbrücks Auffassung nach gerade darin, sich nicht den Kategorien der Militärs zu unterwerfen, sondern sich gegen sie durchzusetzen. Er betonte die schon im Einigungskrieg deutlich zum Ausdruck gekommenen Differenzen politischer und militärischer Kriegführung zwischen Bismarck und dem Generalstab wie Wilhelm I. (S. 57-73), und es war für Delbrück nicht ohne Zufall der Nikolsburger Frieden, bei dem diese Differenzen am deutlichsten zum Ausdruck kamen. In diesem Friedensschluß sah Delbrück das Vorbild des von ihm erstrebten Verständigungsfriedens: nicht die vollständige Ausnutzung des militärisch errungenen Sieges, sondern die Einfügung der militärischen Möglichkeiten in ein politisches Gesamtkonzept, das die Durchsetzung eines dauerhaften Friedens auch ohne die maßlose Ausnutzung möglicher Kriegsbeute und unter weitestgehenden Verzicht auf Annexionen denkbar machte. Mit Verweis auf die Staatsstreichpläne Bismarcks wollte Delbrück darauf aufmerksam machen, daß dem Reichsgründer sein eigenes Verfassungswerk keines194 195 196
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Heinrich Triepel, Bismarck und die Reichsverfassung, in: Das neue Deutschland, hg. von A. Grabowsky, Band 3,1915; Paul Herre, Bismarcks Staatskunst, Dresden, Leipzig 1918. Otto Baumgarten, Bismarcks Glaube, Tübingen 1915. Dietrich Schäfer, Bismarck Ein Bild seines Lebens und Wirkens, 2 Bände, Leipzig 1917. Schäfer war auch Herausgeber umfangreicher Sammelbände zur Deutung des Krieges: ders., Hrsg., Der Krieg 1914/17 - Werden und Wesen des Weltkrieges - dargestellt in umfassenden Abhandlungen und kleineren Sonderartikeln, Leipzig und Wien, 1. Band 1916, 2. Band 1917. Zu Dietrich Schäfers Bismarck-Biographie von 1917 vgl. Freisei, Das Bismarckbild der Alldeutschen, 1964, S. 77ff. Hans Delbrück, Bismarcks Erbe, Berlin Wien 1915.
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wegs sakrosankt gewesen sei (S. 115-128), wie sie von den Epigonen verteidigt wurde und warnte vor einem „Rückschlag in den falschen Bismarckianismus" (S. 168). Bismarck hat nach Delbrück aber seine Veränderungspläne in die falsche Richtung getrieben, weil er keinen Sinn für die Belange der imperialistischen Epoche der europäischen Politik gehabt hatte und entsprechend auch keinen Sinn für Fragen der Kolonial- und Flottenpolitik entwickelte, die Delbrück selber weiterhin als unumstößliche Notwendigkeit deutscher Weltpolitik erachtete. Bismarck sei vielmehr ein klassischer Kontinentalpolitiker geblieben und am Ende stärker der Vergangenheit als der Zukunft zugewandt gewesen. Daher wollte Delbrück zwar die Verfassung in ihrer Substanz bewahrt wissen, aber er forderte dazu auf, „das Werk Bismarcks unter dem Gesichtspunkt seiner Fortführung" (S. 10) zu betrachten und nicht der unbeweglichen Verharrung. Delbrück gehörte einer Tradition des Konservatismus an, die nicht den Erhalt des status quo durch Stillstand wünschte, sondern immer auch bereit war, substantielle Änderungen zu erwägen, wenn sie der Sache dienten. Damit zählte er zu einer schmalen Schicht innerhalb des deutschen Konservatismus, die zu den energischen Befürwortern auch substantieller Veränderungen gehörte. Wie die Preußischen Reformen das friderizianische Preußen hinter sich ließen und das mit historischem Recht, so mochte nun im Krieg das wilhelminische Preußen beendet werden und ein neuer Abschnitt der preußischen Geschichte eröffnet werden, von dem Delbrück weiterhin überzeugt war, daß die preußische Idee die Kraft und die Leistungsfähigkeit aufbringen konnte, um auf die neuen Herausforderungen vital zu reagieren und gestärkt daraus hervorzugehen. Mit dieser Haltung des erneuerungswilligen Konservativen zählte Delbrück zu einer kleinen Gruppe, die man als ToryKonservative verstehen kann.
4.
Wahlrechtsfrage und Tory-Konservative
Jede Demokratie kennt einen konservativen Flügel, der nicht grundsätzlich gegen die Demokratie als politischer Fundamentalordnung opponiert, sondern nur ihre Auswirkungen und Folgerungen zu beeinflussen versucht. Aus der englischen Tradition hat sich hier frühzeitig der Begriff des Tory-Demokratismus durchgesetzt. Die gedankliche Möglichkeit eines demokratie- bzw. republiktreuen Konservatismus und die politischen Ansätze hierzu waren vorhanden und können als solche gewürdigt werden, ohne deswegen andere Spielarten des Konservatismus in Vergessenheit bringen zu müssen. Es gab die Variante eines deutschen Tory-Demokratismus, sie setzte bereits vor dem Weltkrieg ein und distanzierte sich angesichts der Erfahrungen des Weltkrieges scharf von einem anti-demokratischen Konservatismus und vermochte es doch nicht, eine ernsthafte Alternative in dem nach dem Krieg einsetzenden Schwanken des konservativen Denkens zwischen naiv-reaktionären und traditionalistischen Revitalisierungsversuchen einerseits und dem Neuen Nationalismus bis hin zur konservativen Revolution andererseits zu etablieren. Mit Friedrich Thimmes Pluralwahlkonzept war bereits ein ausgesprochen konservativer und preußentreuer Autor erörtert worden. Innerhalb der konservativen Parteien wur-
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den im Frühjahr 1917 zusehends Stimmen laut, die eine schwungvolle und nach vorne blickende Reform eher mit dem Geist des preußischen Konservatismus und Bismarcks in Verbindung brachten, als das Lavieren der um ihre Privilegien furchtenden Repräsentanten der konservativen sozialen Schichten, die jede politische Flexibilität vermissen ließen. Zu den wichtigsten Vertretern eines im Werden befindlichen Tory-Demokratismus zählten Adolf Grabowsky und Johann Viktor Bredt. Grabowsky, der in Vergessenheit geratene Begründer der Zeitschrift für Politik (zusammen mit Richard Schmidt), bezeichnete rückblickend sein Anliegen als Wunsch, nach dem Vorbild von Benjamin Disraeli in England auch in Deutschland eine Form von Tory-Demokratismus einzuführen.198 Vor dem Krieg hatte Grabowsky den Begriff des Kulturkonservatismus geprägt, der gedankliche Konservativität mit politischer Modernität verbinden wollte. Mit der Herausgabe der Zeitschrift Das neue Deutschland gab er der Verbreitung dieser Vorstellungen einen gewichtigen Ort.199 Sein Blatt war Ausdruck eines progressiveren und flexibleren Konservatismus, wie er auch bei seinem Mitarbeiter Fritz Härtung anzutreffen war. Zu den wichtigsten regelmäßigen Beitragenden zählte Octavio Freiherr von Zedlitz und Neukirch von den Freikonservativen. Grabowsky hatte sich im Weltkrieg sehr um die Zusammenarbeit mit den integrationswilligen Kräften der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie bemüht und u. a. einen Sammelband zur Neuorientierung der Beamtenschaft herausgegeben. 200 Wie in dem Sammelband von Thimme und Legien galt seine Aufmerksamkeit zunächst den innenpolitisch und sozialpolitisch fruchtbar zu machenden Chancen, die die Stimmung des Weltkrieges bot. Mit dem Jahr 1917 verlor Grabowsky aber die Geduld angesichts der schleppenden Umsetzung des Programms der Neuorientierung. 201 Woche um Woche wurde der Ton bitterer und die Anklage heftiger. Im Aprilheft 1917 schrieb Grabowsky unmißverständlich: „In diesen Worten liegt deutlich ausgedrückt, daß alle Scheinreformen und alle kleinlichen Retuschen verwerflich sind, daß vielmehr nur große und wirkliche Reformen Nutzen erzielen. Bleiben sie aus, so braucht es nicht immer zu gewaltsamen Erhebungen zu kommen: es genügt schon, daß der Radikalismus sein Haupt erhebt. Dann aber werden die Konzessionen größer und größer, und was vordem noch eine sehr annehmbare Konzession war, gilt jetzt schon längst nichts mehr. Deshalb ist gerade die Aufgabe der konservativen Parteien, zu Zeiten das Notwendige zu gewähren, damit nicht später das Radikale eingeräumt werden muß".202 Darin sprach das nüchterne Kalkül des Parteipolitikers, der nicht aus Gesinnung, sondern aus Lernbereitschaft sich zum Unvermeidlichen hinwandte. Dagegen galt Grabowskys Kampf vor allen Dingen denjenigen Konservativen, die aus den Zeitumständen nicht zu lernen bereit waren, darunter vor 198 199 200 201
202
Interview mit Grabowsky, in: Hans Thierbach, Hg., Adolf Grabov/sky - Leben und Werk, Heidelberg 1963, S. 21. Stegmann, Die Erben Bismarcks, 1970, S. 320f. Adolf Grabowsky, Hg., Reform des deutschen Berufsbeamtentums, Gotha 1917. Adolf Grabowsky, Neuorientierung und konservative Weltanschauung, in: Neues Deutschland 5 (1916/1917) vom 1. November 1916, S. 57-61; ders., Neuorientierung in schwerster Zeit?, in: Das Neue Deutschland 5 (1916/1917) vom 15. Februar 1917, S. 253-259. Adolf Grabowsky, Volksmonarchie und Volksstaat, in: Das Neue Deutschland 5 (Oktober 1916 bis September 1917) Aprilheft, S. 365-370, S. 367.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
allen Dingenden Fraktionsvorsitzenden der deutsch-konservativen Partei im Abgeordneten-Haus, Heydebrand. „Niemals vielleicht hat eine konservative Partei in dieser Hinsicht stärker versagt als unsere deutschkonservative unter Führung von Heydebrand und Westarp. Man versteht diese Leute einfach nicht mehr ... Wenn die konservativen Führer die Absicht hätten, ihre Partei gänzlich zu Grunde zu richten, so könnten sie keinen besseren Weg finden. Das Leben der deutschkonservativen Partei besteht heute, trotz der Redensarten, die die 'Kreuzzeitung' jetzt in letzter Minute macht, in einem einzigen Hymnus auf die Versteinerung" (ebda.). Grabowsky fand in Johann Viktor Bredt, einem Abgeordneten der Freikonservativen Fraktion einen Kampfgefährten gegen Heydebrand und gab ihm die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern.203 Bredt gehörte zu den Freikonservativen, die Anfang 1917 Kräfte zur Unterstützung der Kanzlerschaft Bethmanns sammelte, um ein Gegengewicht gegen die Alldeutschen aufzubauen, die immer unverhohlener den Sturz des Kanzlers betrieben.204 Im Mai 1917 hielt er einen Vortrag vor Offizieren im Rahmen des vaterländischen Unterrichts und erntete eisiges Schweigen, wie er berichtete, als er zur Einsicht in die Notwendigkeit des allgemeinen und gleichen Wahlrechts aufrief und ein Plädoyer für das parlamentarische Regiment hielt. Die unausweichlichen Wandlungen der politischen Ordnungen würden in ihren konstruktiven Wirkungen nur verdorben, wenn man sie aus starrem konservativen Egoismus hintertreiben würde.205 Danach trat er schließlich auch publizistisch hervor, indem er im Neuen Deutschland in mehreren Aufsätzen für die Neuorientierung warb. Noch in Unkenntnis des königlichen Erlasses vom 12. Juli veröffentlichte er den Aufsatz Freideutsche Gedanken?06 Dort rief er zu einer offensiven Regierungspolitik in der Wahlrechtsfrage und der Sache der Parlamentarisierung auf. Im September endlich unternahm er den Versuch der programmatischen Neuformulierung konservativer Politik unter den veränderten Bedingungen des Weltkrieges.207 Im gleichen Heft warb Grabowsky für die Vorstellung eines monarchischen Parlamentarismus, um aufzuzeigen, über wieviele Möglichkeiten des Einflusses die Krone auch unter den von ihm gewünschten veränderten Strukturen verfügte, wenn sie diese nur entschlossen und im Sinne des neuen Geistes nutzen würde.208 In diesen Aufsätzen wurde immer wieder thematisiert, daß man sich die Strukturveränderungen nicht von Herzen wünschte, sondern sie mit großer Sorge betrachtete, aber in ihrer Unausweichlichkeit zu akzeptieren
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Johann Victor Bredt, Neuorientierung, in: Das Neue Deutschland 5 (Oktober 1916 bis September 1917) Maiheft, S. 481-483. vgl. Bredts eigene Erzählung in seinen Erinnerungen: Bredt, Erinnerungen und Dokumente, 1970, S. 11 Off. Bredt, Erinnerungen und Dokumente, 1970, S. 121. Johann Victor Bredt, Freikonservative Gedanken, in: Das Neue Deutschland 5 (Oktober 1916 bis September 1917) Juliheft, S. 537f. mit zustimmendem Nachwort des Herausgeber (Grabowsky) S. 539. Der Aufsatz ist im Anhang Bredt, Erinnerungen und Dokumente, 1970, S. 537-539 neu abgedruckt. Johann Victor Bredt, Freikonservatives Programm, in: Das Neue Deutschland 5 (1916/1917) vom 1. September, S. 625f. Adolf Grabowsky, Monarchie und Parlamentarismus, in: Das Neue Deutschland 5 (1916/1917) vom 1. September, S. 617-621.
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bereit war. Vor allen Dingen gaben diese Konservativen ihrer Überzeugung Ausdruck, daß der mäßigende Einfluß des konservativen Denkens auch unter demokratischen Bedingungen möglich und notwendig war als konservatives Gegengewicht gegen radikale Übertreibungen. Doch diese Argumentation fand kaum Zustimmung bei ihrem konservativen Adressatenkreise. Nur Autoren wie Delbrück oder Friedrich Thimme waren sowohl gedanklich in der Lage, diese Strategie zu verstehen und zu tragen und auch bereit, das ihre hierfür zu tun. Man wollte gegen die Alldeutschen „losschlagen" und wartete nur auf ein Signal von der Regierung Bethmann, mit der man sich im Bunde glaubte.209 Friedrich Thimmes zorniges Aufbäumen gegen die seiner Ansicht nach verheerende Verengung des konservativen politischen Denkens auf seine reaktionäre Variante ist hierfür ein Zeugnis. In drei offenen Briefen an Herrn Heydebrand und der Lasa in den Grenzboten vom Juni 1917 wandte sich Thimme gegen Heydebrands Herforder Rede, in welcher dieser mit unversöhnlicher Polemik gegen die Übertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen agitiert hatte.210 In der jetzigen politischen Situation Deutschlands hätte Thimme zufolge Bismarck eine Demokratisierungspolitik betrieben, im Verhältnis zu welcher die weitestgehenden Forderungen des Verfassungsausschusses nichts seien.211 Der Mißbrauch des Bismarck-Vorbildes war aus der Sicht der reformerisch gesonnenen Konservativen besonders ärgerlich. Es gehörte zum demagogischen Wirken der Alldeutschen, auf der Grundlage unbezweifelbarer Gemeinplätze des nationalen und politischen Selbstverständnisses der deutschen öffentlichen Meinung, die eigene partielle Sichtweise durch eine einseitige Interpretation der Tradition zu bemänteln. Dabei war den Reformern klar, daß die Ausarbeitung eines differenzierteren Bildes angesichts der im Weltkrieg erfolgenden hymnischen Verehrung des Eisernen Kanzlers zwecklos war. Gegen die Bemühungen der Gruppen um Delbrück, Thimme und Grabowsky mehrten sich die Angriffe der Alldeutschen Blätter.212 Sie übten scharfe Kritik und warfen ihnen vor, zur Verwirrung aller „gesunden politischen Empfindungen" beizutragen und somit
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Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 38f. Friedrich Thimme, Offene Briefe an Herrn Heydebrand und der Lasa, in: Die Grenzboten vom 6., 13. und 20. Juni 1917. Vgl. hierzu die Darstellung bei Thimme, Biographische Einführung, 1994, S. 37. Die Briefe sind dort abgedruckt auf den S. 353-360. In Hervorhebung dieser Äußerung berichtete das Berliner Tageblatt von Thimmes offenen Briefen, die für gehörigen Wirbel in den konservativen Reihen gesorgt hatten: Nr. 312 vom 21. Juni 1917, Abendblatt, 1. Beiblatt, S. 3 Werner, Der Alldeutsche Verband, 1938, S. 236.
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eine Todsünde wider den guten Geist unseres Volkes zu begehen, indem sie ihn in einer Stunde erweichten, in welcher nur „äußerste Kraft und Härte uns frommt". Unbeeindruckt von diesen Vorhaltungen breitete sich im Delbrück-Kreis alsbald eine „revolutionäre" Stimmung aus. Vieles hing von der Entschiedenheit der Bethmann-Regierung ab, deren Rücken die Anhänger einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung stärken wollten. Dieses Vorhaben machte letztlich nur Sinn, wenn die Regierung auch die politische Initiative behielt.
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Die Regierung Bethmann-Hollweg
Das Vorbild der Preußischen Reformen war auch für Bethmann attraktiv, der Zusammenhang von allgemeiner Wehrpflicht und allgemeinen Wahlrecht gehörte zu einer konservativen Tradition, der auch er sich verpflichtet fühlte. Bethmann-Hollweg erzählte rückblickend, wie er im Vorfeld der Osterbotschaft 1917 dem König klar zu machen versuchte, daß es ihm unmöglich sei, ein Wahlsystem aufrechtzuerhalten, wonach „ein mit dem ΕΚ I geschmückter armer Arbeiter neben einem bemittelten Drückeberger desselben Dorfes mit ungleichem Stimmrecht zur Wahl zu gehen hätte"213 Damit erinnerte Bethmann an die Tradition der Begründung des demokratischen Wahlrechts „von oben", die schon 1866 bei der Gründung des norddeutschen Bundes von Hermann Wagener, dem Publizisten Bismarcks, geltend gemacht worden war. „Ich meine, ich will lieber einen Grenadier, der jetzt mit dem Militär-Ehrenkreuz von der Schlacht von Königgrätz zurückkommt, das allgemeine direkte Wahlrecht einräumen, als von irgend einem beliebigen Krämer (...) zwei Wahlmänner ernennen zu lassen (...). Das allgemeine Wahlrecht ist in Preußen das notwendige politische Korrelat der allgemeinen Wehrpflicht".214 Wagener hatte seinerzeit ferner argumentiert, daß über kurz oder lang ohnehin das allgemeine Wahlrecht kommen werde, da sich die Zeiten selber zur Demokratie neigten, und zwar notwendig, da die alten ständischen Korporationen nicht mehr aus sich selbst heraus lebensfähig waren und man daher gerade als Konservativer mit neuen Mitteln wie dem allgemeinen Wahlrecht versuchen sollte, gesunde und staatserhaltende neue Korporationen zu schaffen. Die Erinnerung an Hermann Wageners Rede von 1866 und der konservativen Unterstützung des demokratischen Wahlrechts mit ihrer anti-liberalen Stoßrichtung war vor dem Weltkrieg sehr wach. Gerhard Ritter wie Hellmuth von Gerlach erörterten sie, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Gerlach hatte sich bereits vor dem Weltkrieg dem linksliberalen Lager zugewandt und polemisierte vor allen Dingen gegen die Nationalliberalen: Wenn schon die Konservativen in der Lage waren, die Notwendigkeit der Integration des demokratischen Gedankens in das Staatsgebäude zu erkennen, dann konnte die Abwehrhaltung des Nationalliberalismus aus
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Bethmann-Hollweg, Betrachtungen 1989, S. 240f. Hermann Wagener, Rede im Preußischen Abgeordneten-Haus am 12. September 1866 zur Frage des Wahlrechts im Norddeutschen Bund, zitiert bei: Gerhard Ritter, Die preußischen Konservativen und Bismarcks deutsche Politik 1858-1876, Heidelberg 1913, S. 220f.
Die Regierung Bethmann-Hollweg
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angeblich prinzipiellen Gründe nur fadenscheinig wirken.215 Für Ritter dagegen gehörte Bismarcks Option für das allgemeine und gleiche Wahlrecht aus dem Munde seines publizistischen Organs Wagener keineswegs zur genuin konservativen Grundhaltung, die vielmehr durch einen anfänglichen konservativen Widerstand gegen Bismarcks Politik gekennzeichnet war: der preußische Konservative fühlte sich eher an den König von Preußen gebunden als an den neugeschaffenen Kaiser von Deutschland.216 Mit Ausbruch des Krieges und der Notwendigkeit der Schaffung und Aufrechterhaltung von Millionenheeren bekamen diese Argumente erneut Gewicht. An diesen traditionellen Argumentationszusammenhang von Wehrpflicht und Wahlrecht samt Marginalisierung exquisit „liberaler" Wahlsysteme im gekennzeichneten antidemokratischen Sinne knüpfte Bill Drews in seiner Begründung der Gesetzesvorlage zur Reform des Preußischen Wahlrechts an: „Das dem Vaterlande geflossene Blut, diese letzte und höchste Leistung, die der Staat vom Bürger fordert, ist größten unmeßbaren Wertes. Die preußischen Männer, die es vergossen, haben Zeugnis abgelegt dafür, daß die dem Staat gebrachten Opfer aller Bürger eines gleichen Wertes sind, daß der Staat auf den Unterschied öffentlicher Geldleistungen künftig Abstufungen politischer Rechte nicht mehr gründen kann".217 Ständig wurde das Bild vom ärmsten Diener, der zugleich der treueste gewesen sei, bemüht. Nun galt es aber nicht nur, gegen liberale Wahlsysteme vorzugehen, sondern auch konservative Privilegien zu brechen. Konnte da der normative Appell an den Staatsgedanken die institutionelle Logik erschüttern, die sich ausrechnete, daß schon bei der Einfuhrung des gleichen Wahlrechtes in Preußen die konservativen Parteien 75 % einbüßen würden, die Nationalliberalen 30 %, das Zentrum 20 % und die Fortschrittliche Volkspartei 10%, während sich der Stimmenanteil der Sozialdemokraten verdreizehnfachen und derjenige der Partei der Polen verdreifachen würde?218 Die Regierung mußte sich daher über die konservativen Bedenken hinwegsetzen, wollte sie ihrer Politik treu bleiben. Bethmann aber war nicht entschlossen, diesen Kampf wirklich aufzunehmen. Während Bismarck bei der Reichsgründung auf die Unterstützung der preußischen Konservativen sogar zu verzichten bereit gewesen war, die sich erst allmählich an das Deutsche Reich gewöhnten, riskierte Bethmann eine solche Veränderung des tragenden Fundamentes der politischen Ordnung nicht. Statt dessen experimentierte er mit einer Bevorzugung der Konservativen. Die Schaffung eines zusätzlichen erblichen Treuhandbesitzes für die privilegierten Stände in Gestalt der sog. Fideikommißvorlage sollte ein taktisches Angebot Bethmanns an die Konservativen sein, um bei prospektiver Modernisierung des Wahlrechts die Furcht vor einer damit verbundenen Schmälerung der vorhandenen so-
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Hellmut v. Gerlach, Die Geschichte des preußischen Wahlrechts, Berlin 1908 Bei Gerhard Ritter, Die preußischen Konservativen und Bismarcks deutsche Politik 1858-1876, Heidelberg 1913. Zitiert nach der beigegebenen schriftlichen Begründung, wiedergegeben bei Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 129, der nach der dem Wahlgesetz beigegebenen Begründung, Drucksache 698 zitiert. Nach einer Berechnung des Landwirtschaftsminister von Schorlemer vom April 1917, bei Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff„ Bd. 5, S. 158.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
zialen Privilegien abzumildern. Dieser eklatante Widerspruch in der Regierungspolitik, der nur Ausdruck der Unklarheiten dieser Politik der Diagonale war, die freilich keine Diagonale in einem gleichseitigen Quadrat war, sondern in einem verzerrten Längseck zugunsten der traditionellen sozialen Trägerschicht des Staates, verriet nur Bethmanns Unentschlossenheit. Es blieb das Dilemma der Regierung, sich einer Entscheidung zu versagen. Der Weg in die Reaktion war ihr aus Gesinnung versagt und die politischen „Friedens"-Visionen der Alldeutschen waren dieser Umgebung ein Greuel. Wie Riezler sagte, glich die Politik der Alldeutschen in ihren Vorstellungen von Annexion und Entrechtung der Bevölkerung dieser Gebiete eine „Neuorientierung nach rückwärts". 219 Er bezeichnete ihr Vorgehen als „revolutionär-terroristische" Agitation. 220 Riezler sah auch deutlich die Zusammenhänge zwischen der Forcierung der Kriegszielpolitik der alldeutschen und großindustriellen Kreise mit ihren innen- und verfassungspolitischen Sorgen über eine zu große Linkswende als Folge des Krieges. Bethmann stand freilich auch nicht wie seinerzeit Bismarck ein Monarch zur Seite, der seine Politik billigte. Wilhelm II. als Preußischer König wiederholte in seiner Thronrede zu Beginn des Jahres 1916 das Versprechen der Neuorientierung, machte aber keine Angaben zu Inhalt und Verfahren, zumal es um Reformen ging, die erst nach dem Krieg umgesetzt werden sollten. Mit dieser Rede hatte sich die Situation keineswegs entspannt. Die Geschichte der Behandlung der preußischen Wahlrechtsfrage im Staatsministerium seit den ersten Äußerungen zur Neuorientierung war eine Geschichte der Vermeidung des Reichstagswahlrechts für Preußen und der gleichzeitigen Bemühungen um eine Modernisierung des Dreiklassenwahlrechts. In minutiöser Schilderung der Entwicklung der Vorstellungen der Regierung in den vielen kursierenden Denkschriften, hat Bergsträßer festgehalten, daß der federführende, der preußische Innenminister Friedrich Wilhelm von Beamte Loebell letztlich nur die Form des Wahlrechts modernisieren wollte, aber das gleiche Ergebnis zu erreichen wünschte, nämlich die Privilegierung derjenigen gesellschaftlichen Kräfte, die er für staatserhaltend einschätzte. Die modernisierte Form sollte die linksliberale Kritik zum Verstummen bringen, der im wesentlichen gleichbleibende Inhalt sollte die Interessen der Krone und des Staates zumindest nicht beeinträchtigen. Mit Akribie wurde eine Vielzahl von Modellen eines Pluralwahlrechts entworfen, geprüft und verändert im Sinne der von Wilhelm II. unterstrichenen Formel aus der ersten einschlägigen Denkschrift, die „ein maßvoll abgestuftes Wahlrecht" anstrebte. 221 Nach der Lektüre einer umfangreichen Studie Loebells vom September 1915,222 war Bethmann zu dem Schluß gelangt, daß kein Pluralwahlrecht zu einem politisch erträglichen Ziel fuhren würde. 223 Loebell handelte dennoch in Verbindung mit Abgeordneten des preußi219 220
221 222 223
Kurt Riezler, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung 1 (23. Oktober 1916), S. 595. So in der Denkschrift Aufzeichnung über die Umtriebe der Alldeutschen vom 15. September 1916, abgedruckt bei Riezler, Tagebücher, 1972, S. 61 und vgl. die Kritik an dieser Denkschrift bei Westarp II 90f.; Jarausch gab die Denkschrift Riezlers zu den Alldeutschen von 1916 neu heraus: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 4 (1973). Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 27. Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 13ff. Bethmann-Hollweg, Betrachtungen 1989, S. 240, Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 33.
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Die Regierung Bethmann-Hollweg
sehen Landtages Mitte Mai 1917 ein solches Pluralwahlkonzept aus, um eine Mehrheit rechts von Linksliberalen und Sozialdemokraten für einen Regierungsentwurf zu gewinnen, konzentriert um den Freikonservativen Zedlitz. Er informierte aber erst am 20. Mai Bethmann hiervon, der zumindest verhinderte, daß sich das Staatsministerium auf ein bestimmtes Konzept festlegte. 224 Dies war nur ein Beispiel dafür, wie die politische Führung im Kaiserreich zwischen Reich und Preußen aufgesplittert war. Die Aktion Loebells wurde publik und zog eine weitere Minderung der Autorität der Regierung nach sich. Bereits in einem Immediatbericht Loebells an den Kaiser vom 22. November 1915 waren die Spielräume der Regierung skizziert worden: „Ganz nach rechts kann sich die Regierung nicht legen, weil dann der unbedingt notwendige Versuch zu einer Eingliederung der Sozialdemokratie in das nationale politische Leben unterbleiben müßte... Ebensowenig vermag sich die Regierung ganz nach links zu halten, weil die demokratischen Zugeständnisse ihre Grenze an den staatlichen und verfassungsmäßigen Notwendigkeiten finden müssen...Der Weg der Regierung endet da, wo die Demokratie den ihren eigentlich anzufangen wünscht: vor den Verfassungsfragen, vor der Verteilung der innenpolitischen Macht zwischen Regierung und Volksvertretung". 225 Obwohl Bethmann und Loebell keineswegs die gleichen politischen Vorstellungen teilten, Loebell vielmehr zur Reaktion zählte und Bethmanns Politik regelmäßig zu hintertreiben versuchte, beschrieb der Bericht im Ergebnis zutreffend das Dilemma Bethmanns, auf das dieser nur mit einer „Politik der Diagonale" antworten zu können vermeinte, 226 die niemanden befriedigte und alle gegen die Regierung aufbrachte Die Regierung registrierte zwar die Demagogie, die man bislang den westlichen Demokratien zum Vorwurf machte, insbesondere die Agitationsmaschinerie einer gezielten Pressekampagne. Aber sie wähnte sich weiterhin aufgrund ihrer zumindest formalen Parteiunabhängigkeit sicher vor dem direkten Zugriff der Demagogie auf die politische Willensbildung. Die Sicherheit dieser Unabhängigkeit ließ jedoch nach der U-BootKampagne und dem Nachgeben Bethmanns in dieser Frage, die er noch 1916 geschickt durchgestanden hatte, allmählich nach. Riezler formulierte in einer Tagebucheintragung vom 8. März 1917 seine Bedenken: „Der Lokalanzeiger ist ganz in der Hand der Hugenberg, Stinnes, Hirsch, die Vossische ebenfalls. Dazu noch die Meute von den alldeutschen Blättern, die Maschinerie arbeitet ganz zielbewußt - und es ist bei uns wie in England und Frankreich, Northcliffe etc., - die eigentliche Gewalt wäre längst an diese Leute übergegangen, wenn die Regierung nicht von denen unabhängig wäre - heute noch. Wäre Bülow [Kanzler,] so wäre er auch nur Geschäftsführer dieser Maschinerie, die sich öffentliche Meinung heißt. Wo soll das hin." Man kann den Sturz Bethmanns im Kampf gegen den Machtanspruch der OHL als Kampf um die Gunst der öffentlichen Meinung lesen, die der Kanzler verlor. 227
224
Bethmann-Hollweg, Betrachtungen form, 1964, S. 65ff.
1989, S. 245, Patemann, Kampf um die Preußische
225 226
Zitiert bei Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 485. Dieses Bild bemühte Bethmann selber in seinen Erinnerungen für die Situation im Frühjahr 1917 und in Zusammenhang mit der Wahlrechtsfrage: Bethmann, Betrachtungen, 1989, S. 170.
227
Mommsen, Die deutsche öffentliche Meinung,
1990, S. 422^140.
Wahlre-
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
Nur einen Tag später, am 9. März 1917, kam es zu beispiellosen Angriffen auf die Reichsleitung durch hochkonservative Sprecher im Preußischen Herrenhaus. Johann Leopold Georg von Buch für die konservative Partei und Heinrich Graf Yorck von Wartenburg für die Deutschkonservativen sprachen sich mit vorher ungekannter Schärfe gegen die Politik der Neuorientierung aus und gegen den wachsenden Einfluß des Reichstages im besonderen und des Parlamentarismus im allgemeinen.228 Anlaß war ihre überraschende Ablehnung einer Diätengesetzvorlage für das Abgeordnetenhaus durch das Herren-Haus. In der Begründung wurde argumentiert, diese Neufassung der Diätenregelung, die insbesondere Fragen der Reisekosten betrafen, würde zu einer Professionalisierung des Parlamentes führen und in die falsche Richtung weisen, nämlich hin zum Verständnis von Neuorientierung als Demokratisierung und Parlamentarisierung.229 Diese Angriffe forderten Bethmann heraus und er antwortete in einer Rede vom 14. März 1917. Nach vielen anderen Reden Bethmanns ohne konkrete Reformvorhaben und der Ankündigung, Veränderungen erst nach dem Krieg durchzuführen, schien sich jetzt eine Wendung in der Strategie der Regierungsverlautbarungen anzubahnen. Mit einem lange zuvor nicht mehr gekannten Durchsetzungswillen vertiefte er die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Neuorientierung und verwahrte sich gegen Behauptungen, er schwäche damit die Heimatfront. Zwar nannte Bethmann in dieser Rede das gleiche Wahlrecht wiederum nicht beim Namen, kam der Sache aber so nahe, wie man ihr kommen konnte, ohne sie ausdrücklich zu benennen. Die Reaktionen auf die Rede waren entsprechend positiv auf Seiten der linken Presse. In den Abendblättern des 15. März waren die Kommentare sehr freundlich. Die Frankfurter Zeitung wertete sie als Durchbruch auf dem Weg zu einem „demokratischen Deutschland". Das war sicherlich übertrieben, denn Bethmann folgte in der Sache nur der Vorgabe, die der Pressechef Deutelmoser am Vorabend der Rede an Wahnschaffe, den Chef der Reichskanzlei in einem politischen Exposé formuliert hatte: endlich nach allen interpretationsfähigen Äußerungen der Regierung, die der Rechten schon zu weit gingen, der Linken aber nie konkret genug sein konnten, endlich ein klares und unmißverständliches Wort zu sprechen, um die eigentlichen Intentionen Bethmanns zu verfolgen: durch Beschwichtigung der Parlamente die Handlungsfreiheit zu erhalten. Diese Anregung Deutelmosers gab Wahnschaffe an Bethmann sofort weiter mit der Konkretisierung, daß ein solches klares Wort im Zusammenhang eines „volkstümlichen Wahlrechts" gesprochen werden mußte.230 Von Demokratie war keine Rede. Wenn Bethmann vielleicht auch glaubte, mit seiner Rede vom 14. März etwas Spielraum zurückgewonnen zu haben, den er zuvor im Zuge der Diskussionen um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg verloren hatte, so zeigten sich fast im gleichen Augenblick schon neue Handlungsnöte ab. In dem Telegramm Bethmanns an den Kaiser, in dem er
228 229 230
Stenograph. Berichte Sp. 347ff. und 365ff.; vgl. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 50f., Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 113ff. Zu den Vorgängen im preußischen Herrenhaus vgl. Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus, 1998, S. 124ff. Vorgänge geschildert bei Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 117f. nach Auswertung der Akten.
Die Regierung Bethmann-Hollweg
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ihm von der erfreulichen Resonanz auf seine Rede vom 14. März unmittelbar Bericht erstattete und davon ausging, die gewünschte Beruhigung erzielt zu haben, fügte der Reichskanzler in einem Nachsatz an, daß er soeben die telegraphische Nachricht von der Revolution in Petersburg erhalten habe. Damit trat der erste weltpolitische Strukturwandel ein, der für die gesamte innenpolitische Frage von Bedeutung sein sollte und dem im April die Kriegserklärung der USA nachfolgte. Denn mit der formalen Demokratisierung Rußlands entfiel nicht nur der bei Kriegsausbruch geradezu als zivilisatorische Gegner Deutschlands stilisierte Feind im Osten, sondern es bahnte sich eine Entwicklung im eigentlich für wesentlich rückschrittlicher eingestuften Rußland an, die Deutschland noch gar nicht erreicht hatte. Mochte man die weitere Entwicklung in den USA voraussehen können, so waren die Ereignisse in Rußland in vielerlei Hinsicht zunächst ein erheblicher Schlag für die Weltanschauungsdebatte in Deutschland. Wie sollte man sie in Hinblick auf die militärische Situation einschätzen? Theodor Wolff notierte in seinem Tagebuch, 231 daß die Öffentlichkeit im allgemeinen die russische Revolution als Nachteil für Deutschland einschätzte und seine eigene Lektüre der englischen Presse bestätigte ihm dies: dort wurde nämlich die Revolution gefeiert. In der Presse wurde sogar erwogen, inwiefern die Revolution nicht sogar das Ergebnis einer englischen Intrige sein könnte. 232 Als die russische vorläufige Regierung ihr Programm veröffentlichte, in welchem die Rede davon war, „dem Volke den Ausdruck seines Willens hinsichtlich der politischen Regierungsform in jeder Weise zu erleichtern" und daher eine konstituierende Versammlung auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts einzuberufen, 233 schien allen klar, daß an der Stelle des leicht kritisierbaren Zarismus ein neuer Sieg der Demokratie zu verzeichnen war. Trotz der kämpferischen Rede Bethmanns vom 14. März, die eine Wahlrechtsreform nach dem Krieg zusicherte, wuchs der Widerstand der reaktionären Kräfte gegen die Neuorientierung. Bei den Haushaltsberatungen des Landtages wiederholte sich trotz der russischen Vorgänge die Demonstration einer Ablehnung der Neuorientierungspolitik der Regierung. Roon lehnte in seiner Rede vom 28. März die Wahlreform für Preußen ab und kehrte die Homogenisierungsforderung von preußischem und Reichswahlrecht dahingehend um, daß er eine Reform des Reichstagswahlrechts nach Maßgabe der im Dreiklassen-Wahlrecht geltenden Prinzipien forderte.234 Dagegen nahm die Sozialdemokratie die veränderte Situation, die durch die russische Revolution eingetreten war, rasch wahr. Nach der fast vollständigen Absorption ihrer politischen Aufmerksamkeit durch die Vorgänge, die im Frühjahr 1917 zur Parteispaltung in die Mehrheits-SPD und die Unabhängigen führte, nahm sich der Leitartikler des Vorwärts des Themas an.235 Darin wurde der demokratische Fortschritt in Rußland dem Reformstillstand in Deutschland gegenübergestellt. Am Tag darauf erwog Philipp Scheidemann unverhohlen, die Revo-
231 232 233 234 235
Theodor Wolff, Tagebücher 1984; Eintrag vom 16. März 1917, Bd. 1, S. 491. Wippermann Geschichtskalender 1917, S. 634ff. Wippermann, Geschichtskalender, 1917, S. 649. Wippermann, Geschichtskalender, 1917, S. 548f. Vorwärts Nr. 76 vom 18. März 1917.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
lution in Rußland als Instrument der Durchsetzung der innenpolitischen Forderungen in Deutschland zu gebrauchen. 236 War nun der Burgfrieden endgültig zerbrochen? Drohte nun die Revolution und auf welcher Linie sollte die Regierung antworten? Unter dem Druck der Ereignisse gelang es dem Kanzler, Wilhelm II. die Osterbotschaft vom 7. April 1917 abzuringen, die am Tag nach der offiziellen Kriegserklärung der USA publiziert wurde. Sie proklamierte die bis dahin weitestreichende Ankündigung umfassender Reformpolitik und bot einen weiteren Anknüpfungspunkt für die Tory-Konservativen, die Wahlrechtsreformen zu propagieren, da sie nun offizielle königliche Politik war und damit für königstreue Konservative besonderes Gewicht erhielt. Aber auch diese Proklamation versprach eine Wahlreform erst nach dem Krieg und sah ein gleiches Wahlrecht nicht ausdrücklich vor. 237 Sie führte auch keineswegs zu einer Minderung der Agitation der reaktionären Kräfte gegen jegliche Reformen der politischen Ordnung. Der Burgfrieden war seitens der Konservativen aufgekündigt worden. Die Deutsche Tageszeitung behauptete im Namen der Mehrheit aller geschichtlich gebildeten und erfahrenen Deutschen zu sprechen, wenn sie dem Kanzler den Beruf zum Staatsmann absprach und ihm vorwarf, die Kräfte zu verwerfen, die das Reich gebaut hätten.238 Das Quasi-Mißtrauensvotum des Preußischen Landtages im März gegen den Kanzler war dagegen für die Anhänger eines modernen Obrigkeitsstaates wie ein Akt des Verrates. Hans Delbrück beklagte sich entrüstet über die „wüsteste Demagogie" der Konservativen, 239 die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in Monarchie und Beamtenregierung zu erschüttern. Damit war das Tischtuch zwischen ihm und den konservativen Kräften endgültig zerrissen, die offensichtlich an keiner wie auch immer demokratisch geprägten Modernisierung des Staates interessiert waren. Der letzte Kompromiß in Gestalt des Pluralwahlrechts wurde verworfen, es blieb nur noch die konkrete Demokratisierung. In einem letzten Schwenk entschloß sich der DelbrückKreis, alle Pluralwahlrechtspläne aufzugeben und zur Einführung des demokratischen Wahlrechts aufzurufen. Meinecke traf Bethmann persönlich am 31. März und erneut nach der Oster-Botschaft des Kaisers am 26. Juni und kritisierte dessen Hinhalte-Taktik insofern, als sich das Schicksal der Monarchie mit der Wahlrechtsfrage entscheide und nur eine „freie, autonome Tat der Neuordnung" die Revolution bannen könne. 240 Ähnlich äußerten sich die gleichfalls am 26. Juni mit dem Kanzler zusammenkommenden Scheidemann und David. 241 Die anhaltende Obstruktion des preußischen Abgeordneten-Hauses veranlaßte
236
Philipp Scheidemann, Zeit zur Tat, Vorwärts Nr. 77 vom 19. März, abgedruckt Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, 1917 Bd. I, S. 315; vgl. Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 124 und Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 53f.
237
Michaelis/ Schraepler, Ursachen und Folgen, 1958ff„ Bd. 1, S. 318ff.; vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 5, S. 154ff.
238
Deutsche Tageszeitung vom 6. Mai 1917 Morgenausgabe, zitiert nach Koszyck, Deutsche sepolitik, 1968, S. 38f.
239
Hans Delbrück, Neuorientierung, S. 361 f.
240 241
Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften, Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform,
Deutsche Pres-
in: Preußische Jahrbücher 168 (Juni) 1917, S. 3 4 9 - 3 6 2 , 1968, S. 279f. 1964, S. 84.
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Die Regierung Bethmann-Hollweg
Meinecke schließlich dazu, in einem vertraulichen Gespräch 242 mit Riezler und Wahnschaffe am 14. April 1917 die gesetzliche Durchsetzung der Wahlrechtsreform auch gegen formale verfassungsrechtliche Bedenken, gleichsam als Oktroi, zu empfehlen, was aber Wahnschaffe sogleich entsetzt ablehnte. 243 Daher publizierte Meinecke etwa zwei Wochen später in der Kölnischen Zeitung einen erneuten Aufsatz zum Thema, in dem er das Pluralwahlrecht gänzlich verwarf, 244 weil das darin enthaltene Entgegenkommen von Seiten der Konservativen nur zu einer erneuten Privilegierung von Besitz und Bildung aufgegriffen worden war. Selbst Harnack mäßigte seine im Mai noch so empörte Klage über das Feinddiktat der westlichen Demokratie und reichte im Juni 1917 unaufgefordert eine zweite Denkschrift beim Kanzler ein, in der er nun von der Notwendigkeit des gleichen Wahlrechts als Inbegriff der geforderten inneren Reformen ausging, die er für die Bewältigung des Krieges sogar für wichtiger erachtete als den U-Boot-Krieg. 245 Harnack zählte dann auch zu den Unterzeichnern der berühmten Berliner Erklärung vom 1. Juli 1917, die von Delbrück initiiert war und in welcher unmißverständlich die Demokratisierung des preußischen Wahlrechts gefordert wurde. Die Unterzeichner bezeichneten sich selbst als überwiegend konservativ zu nennende Autoren. Demokratisches Wahlrecht meinte in ihren Augen sowohl das „allgemeine, direkte und geheime" wie ausdrücklich auch das „gleiche" Stimmrecht in Preußen. Delbrück stellte die Erklärung in einem Nachsatz zu ihrem Abdruck in den Preußischen Jahrbüchern in einen Zusammenhang mit dem Idealbild der Preußischen Reformen: Er habe keine Furcht davor, daß mit dem Verzicht auf das Dreiklassenwahlrecht ein Stück Preußen verloren ginge, denn nun müsse ein Stück Preußen der Reform weichen, so wie einst das friderizianische Preußen den Reformen von Stein und Scharnhorst habe weichen müssen, um ein neues Preußen entstehen zu lassen. 247 Der Entschluß hierzu fiel nicht allen Unterzeichnern leicht. In einem Brief Thimmes an Delbrück vom 24. Juni 1917 äußerte er sein Bedauern darüber, daß beider Bemühungen im Vorfeld gescheitert seien, entweder die Linke von dem sozial abgestuften Pluralwahlrecht zu überzeugen oder die Regierung zu einer Oktroyierung desselben überreden zu können. 248 Damit wurde offenbar, daß wichtige Anhänger des modernen Obrigkeitsstaates das Vertrauen verloren hatten, daß der Obrigkeitsstaat sich aus eigenen Kräften
242
Hierzu: Meineke, Friedrich
243
Huber, Deutsche Wahlrechtsfrage,
Meinecke,
1995, S. 280.
244
Friedrich Meinecke, Osterbotschaft, Wahlreform und parlamentarisches Regime, in: Kölnische Zeitung Nr. 412 vom 29. April 1917, in: Politische Schriften, 1958, S. 174-180, S. 177.
245
Adolf von Harnack, Erforschtes und Erlebtes, Neue Folge, 4. Band, 1923, S. 298ff„ vgl. Mehnert, Evangelische Kirche und Politik, 1959, S. 38.
246
Preußische Jahrbücher 169 (1917) 156 mit Unterzeichnerliste. Es erfolgte auch ein Abdruck in der Deutschen Politik. Vgl. den Abdruck bei Meinecke, Politische Schriften, 1958, S. 194; vgl. hierzu Prinz Max, Erinnerungen und Dokumente, 1927, S. 108, Anneliese Thimme, Hans Delbrück, 1955, S. 142; Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 85f.
247 248
Delbrück, Preußische Jahrbücher 169 ( 1917) 156 und in: ders., Krieg und Politik, 1918, S. 253. Anneliese Thimme, Biographische Einführung, 1994, S. 162.
Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 5, S. 152; Bergsträßer, Die preußische 1929, S. 124; Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften, 1968, S. 278f.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
modernisieren konnte. Die Regierung war nicht dazu in der Lage, weil sie zu viele Rücksichten nahm und wesentliche konservative Schichten waren nicht willens zur Reform. Daher verlangten die Anhänger einer defensiven Demokratisierung die entscheidenden Reformen jetzt und notfalls auch gegen den Willen der betroffenen privilegierten Schichten. Die Berliner Erklärung, mit der die reformerisch gesonnenen konservativen Kräfte an die Öffentlichkeit gingen und unmißverständlich fur das gleiche Wahlrecht eintraten, nachdem sie in den Monaten zuvor nach Kompromißlösungen in Gestalt des Pluralwahlrechts gesucht hatten, fand große Resonanz, darunter lauten Protest. Schon am 7. Juli 1917 kam es in der „Eingabe Berliner Hochschullehrer", darunter Reinhold Seeberg und Karl Holl, zu einer Erwiderung, in welcher gefordert wurde, zu vermeiden, daß die „bewährten Grundlagen unseres staatlichen Daseins nicht abstrakten Theorien von überlebten Schlagworten zuliebe vernichtet werden dürfen".249 Dagegen wertete die linksliberale Presse diesen Wandel im Kreise der Modernisten des Obrigkeitsstaates positiv und äußerte die Hoffnung, daß sich die Demokratisierungsforderung endlich auch in der gelehrten öffentlichen Meinung durchsetzen könnte. Auch das Berliner Tageblatt lobte die Berliner Erklärung des Delbrück-Kreises anerkennend und hob den Gesinnungswandel hervor, konnte aber nicht verhehlen, zu bemerken, daß es besser gewesen wäre, statt des allzu bekannten „Vertrauens in das Volk" zu einer klaren Stellungnahme zur Parlamentarisierung zu kommen.250 In der Tat dachte kaum einer der konservativen Reformer bei der Demokratisierung des Wahlrechts in Preußen auch an den Primat des Parlamentes. Wenn es das Verdienst der Anhänger einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung auch war, sich aus dem Strom der nationalistischen und chauvinistischen Literatur abzuheben und auf eine moderne Interpretation des Obrigkeitsstaates zu drängen, so stand und fiel ihre Argumentation, die auf die Hervorhebung der politischen Unabhängigkeit der Regierung abzielte, mit der Fähigkeit der Regierung, den gewonnenen Handlungsspielraum auch zu nutzen und die erforderlichen Reformen selber vorzunehmen. Wir hatten bei Delbrücks Rezeption von Preuß' Buch Das deutsche Volk und die Politik bereits gesehen, daß Delbrück bei der institutionellen Argumentation bezüglich des Wahlrechts eine ganz nüchterne und analytische Aufgeschlossenheit gegenüber der Wahlrechtsgleichheit gezeigt hatte. Was ihn vor Kriegsausbruch daran hinderte, die Wahlrechtsgleichheit uneingeschränkt positiv einzuschätzen war die Frage der Verschiebung der Gewichte gewesen, was die integrative Leitidee des Kaiserreichs anbelangte. Er hat damals befürchtet, daß die protestantische Prägung durch die Stärkung des Zentrums und der Sozialdemokratie als Ergebnis der Wahlrechtsgleichheit in Gefahr geraten würde.251 Wenn Delbrück diese Erwägung nun gänzlich fallen ließ, die in der protestantischen Öffentlichkeit im Jubeljahr der Reformation 1917, in dem die 500-Jahrfeier Lu-
249
Gegenerklärung konservativer Hochschullehrer vom 7. Juli 1917 zur Delbrück-Erklärung vom 1. Juli 1917 in: Schultheß 1917 I 679; vgl. hierzu Klaus Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren, 1961, S. 626.
250 251
Die Forderung des Tages, in: Berliner Tageblatt Nr. 333 vom 3. Juli 1917, Morgenblatt S. 3. Vgl. Annelise Thimme, Hans Delbrück, 1955, S. 38ff.
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Die Regierung Bethmann-Hollweg
thers zelebriert wurde, erneut in den Argumentationen gegen die Demokratie auftauchte,252 so deutet das an, daß mit der Forderung nach Demokratie auf institutioneller Ebene sich allmählich auch ein Wandel der leitenden integrativen Ideen vollzog. Während sich der amtliche Protestantismus noch einmal bei Luther dahingehend versicherte, 253 daß die westliche Demokratie kein Bestandteil der lutherischen Staatsvorstellung war und jede Modernisierung der politischen Ordnung die privilegierte Stellung der Kirche insbesondere in Preußen gefährdete, ließen die Vertreter einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung solche Einwände und Überlegungen nicht mehr gelten. Thimme ζ. B. gehörte 1919 zu den konservativen Kreisen, die die politische Revolution auch als Chance einer Modernisierung und Revitalisierung der kirchlichen Institutionen begriffen und hierfür tätig wurden. 254 Gegenüber dem Kabinettschef des Kaisers von Valentini begründete Delbrück die Julierklärung, die auch in den mit ihm befreundeten und gesinnungsverwandten Kreisen Erstaunen hervorrief, mit den revolutionären Gefahren in der Bevölkerung nach der russischen Februarrevolution, spielte seine Unterstützung des allgemeinen Wahlrechts herunter und betonte ihre Funktion als Konzession an die Bevölkerung. 255 Das mochte wie eine nur vorbehaltliche Zustimmung zum demokratische Wahlrecht klingen, die er bei geänderter Großwetterlage wieder zurücknehmen konnte. Die weitere Entwicklung zeigt aber, daß Delbrück ernsthaft das demokratische Wahlrecht zu verteidigen bereit war. Das Problem der zunächst mit jeder Parlamentarisierung zu erwartenden Schwächung der Regierung, die unter den Bedingungen der augenblicklich im Reichstag vertretenen politischen Parteien besonders gravierend erschien, war auch für die gemäßigten Kräfte ein ernstes Hindernis auf dem Wege zu jeder Reform der politischen Ordnung. Meinecke hatte daher frühzeitig Überlegungen zur „Bändigung der Demokratie" angestellt und war zu dem Ergebnis gekommen, daß nur eine Selbstbändigung Aussicht auf Erfolg versprach und diese daher von den Demokraten zugesichert werden mußte. 256 Die gemeinsame Bejahung der Demokratisierung einzelner institutioneller Einrichtungen vereinte die Reformer, die Frage der Parlamentarisierung der Regierungsbildung trennte sie.257
252
Greschat, Das Reformationsjubiläum
253
Ζ. B. Hermann Jordan, Luthers Staatsauffassung Regierung und Politik, München 1917.
254
Friedrich Thimme/Ernst Rolffs, Hg., Revolution und Kirche - zur Neuordnung des Kirchenwesens im deutschen Volksstaat, Berlin 1919. Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 45, der diese Passagen aus dem Brief überliefert, sieht u. a. darin den Hinweis auf Delbrücks mangelnde demokratische Grundhaltung Er habe nur den Erhalt des Obrigkeitsstaates vor Augen gehabt. Aber in diesen Argumenten Delbrücks, die fur das Vorverständnis des Hofes gedacht waren, kommt nur die Vermittlungsleistung zum Ausdruck fllr Personen, die ohnehin nie auch innerlich für das demokratische Stimmrecht zu gewinnen waren. Die Revolutionsfurcht, die mit der Februarrevolution gewachsen war, hatte sich im Juni bereits als haltlos erwiesen, sie wuchs erst wieder mit der Oktoberrevolution.
255
1917, 1972. - ein Beitrag zur Frage des Verhältnisses
256
Friedrich Meinecke, Die Reform des Preußischen Wahlrechts S. 146-173, S. 164f„ vgl. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral,
(1917), Politische 1969, S. 153.
257
Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 142ff., Döring, Der Weimarer S. 43ff., Krüger, Die Nationalökonomen, 1983, S. 205ff.
von
Schriften, Kreis,
1975,
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Diese Frage markiert zugleich die Unterscheidungslinie zwischen der Argumentation der Delbrück-Gruppe zugunsten der Demokratisierung in rein defensiver Absicht und Autoren wie Hugo Preuß oder Max Weber, die eine wesentlich offensivere, auf die Ablösung des Obrigkeitsstaates zielende Argumentationsstrategie verfolgten. Aber diese Differenz ist wiederum nur unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Einschätzung des Zusammenhanges von auswärtiger und innerer Politik verständlich. 258 Hier kann man zunächst pauschal sagen, daß die Anhänger eines modernen, stärker demokratisierten Obrigkeitsstaates im wesentlichen die Überlegenheit der parteiunabhängigen Beamtenregierung im Bereich der Außenpolitik behaupteten. Dabei hatten sie natürlich, auch wenn sie sich an den Preußischen Reformern orientierten und gegen eine einseitige Inanspruchnahme Bismarcks seitens der Alldeutschen richteten, deutlich das Werk und die Leistung Bismarcks vor Augen. Wir hatten gesehen, daß Delbrück noch am ehesten geneigt war, die Demokratisierung bis zum parlamentarischen Durchgriff zu akzeptieren, sofern es sich nur um die Gestaltung der inneren Politik, etwa die Sozialgesetzgebung handelte. Dagegen blieb ihm die parlamentarische Mitwirkung in der Außenpolitik ein unkalkulierbares Risiko und gerade diesbezüglich glaubte er sich durch die Ereignisse des Krieges glänzend, wenn auch auf frustrierende Weise bestätigt zu sehen: der Einfluß, den interessierte Kreise außerhalb der Regierung, mittels einer ihm verwerflich anmutenden demagogischen Kampagne auf die Außenpolitik zu nehmen trachteten, war für Delbrück ein weiterer Beweis für die Risiken einer Parlamentarisierung der Regierung. 259 Der Kampf der Delbrück-Gruppe gegen das Alldeutschtum galt der Erhaltung der politischen Entscheidungsfreiheit der Beamtenregierung. Man erwartete daher, daß von der Regierung die maßgebliche politische Initiative zur Reform der inneren Ordnung ausging. Diese Erwartung sollte enttäuscht werden. Seiner Enttäuschung gab Delbrück kurz nach Ende des Weltkrieges folgenden Ausdruck: „Nicht daß wir das monarchische Regime hatten, war unser Fluch, sondern daß das monarchische Regiment nicht stark genug war, den chauvinistischen Volksströmungen Widerstand zu leisten und das Volk gegen seinen Willen auf den rechten Weg zu fuhren". 260 Bethmann blieb zu lange unentschlossen und wurde im Juli 1917 gestürzt. Wenn aber die Vertreter einer defensiven Argumentation der Demokratisierung auf der einen Seite die Parlamentarisierung ablehnten, auf der anderen Seite aber beobachten mußten, daß die von ihnen unterstützte Regierung nicht in der Lage war, die politische Initiative zu ergreifen, dann blieb der Appell zur Demokrati-
258
Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren, 1961, unterscheidet bezüglich des Verhältnisses innerer zu äußerer Politik die liberale Haltung (Delbrück, Meinecke, Weber), die die inneren Reformen für vordringliche erachtet als Vorbedingung auch außenpolitischer Stellung (S. 625), von der Position die nur durch Übernahme der Regierung durch einen starken Mann machtvolle Außenpolitik erstrebe und dadurch maßgeblichen Einfluß auf die Innenpolitik gewinne und inneren Zusammenhalt gewährleisten könne (S. 628), differenziert aber die Reformer eher v o m Ende der argumentativen Entwicklung her: vor der Julikrise beruhte die Ablehnung der Parlamentarisierung seitens von Meinecke und Delbrück gegenüber Preuß oder Max Weber auf der Skepsis, welche verheerenden Auswirkungen das auf die Außenpolitik haben könnte.
259
Hans Delbrück, Monarchie und Parlamentarismus im Kriege, Preußische Jahrbücher v o m 25. März 1916, in: ders., Krieg und Politik, 1918, Band 1, S. 2 2 1 - 2 3 3 , S. 232.
260
Hans Delbrück, Regierung
und Volkswille, 2. Aufl. 1920, S. 139.
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Die Regierung Bethmann-Hollweg
sierung des Preußischen Wahlrechts ohne Parlamentarisierung nur ein politisches Bekenntnis, kein politisches Handlungskonzept. Die Demokratie war Autoren wie Thimme und Delbrück keine Herzensangelegenheit, wenn Demokratie nicht nur demokratische Legitimität, sondern vor allen Dingen Selbstregierung heißen sollte. Demokratie als Ablösung des Obrigkeitsstaates war nicht erwünscht, man vertraute auf die konservativen Modernisierungskräfte des Obrigkeitsstaates. Dennoch trug die defensive Argumentationsstrategie dazu bei, eine Atmosphäre zu schaffen, in welcher sich der Demokratiegedanke zusehends durchsetzen konnte. Wenn selbst die modern eingestellten konservativen Autoren nicht mit ihrer maßvollen Position punktueller Demokratisierung bei den reaktionären Kräften durchdrangen, wurde die Plausibilität gesteigert, daß man für den Erfolg innenpolitischer Reformen das Strukturprinzip des bestehenden Staates insgesamt verändern mußte. Die Demokratie avancierte allmählich auch in Deutschland zur großen Alternative zum Obrigkeitsstaat. Neben der defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung gab es auch eine offensive Argumentationsstrategie, die sich nicht durch das Paradigma der Preußischen Reformen blenden ließ.
6.
Die Strategie einer offensiven Argumentation der Demokratisierung
Hugo Preuß und Walther Rathenau Meinecke erwähnte im Mai 1917, als sich die Grenzen der defensiven Argumentationsstrategie abzeichneten, eine ganz andere Variante des Demokratisierungsverständnisses. „In unserer eigenen Mitte ist die Meinung ausgesprochen worden, daß das Maß der politischen Unfreiheit bei uns mit unserer Volksart zusammenhänge. Wir seien zu bildsam, zu organisierbar, zu sehr gewohnt, das Gute von oben zu erwarten, und so kämen wir aus dem Dualismus von Staat und Volk, Gebenden und Empfangenden nicht heraus und könnten die eigentliche Freiheit des in sich ganz einheitlichen, nur vom Volkswillen beherrschten Volksstaates nicht erreichen. Marquis Posa fordere wohl vom Fürsten: Sire, geben Sie Gedankenfreiheit, - aber daß der Fürst sie geben solle, statt daß das Volk sie sich nehmen solle, sei so ganz spezifisch deutsch empfunden".261 Sich politische Freiheiten geben zu lassen, sie nicht als ureigenstes politisches Gut zu verstehen und erkämpfen zu wollen: mit diesem Vorwurf hatte Meinecke ein Argument von Hugo Preuß angedeutet, ohne ihn beim Namen nennen zu müssen, da man ihn zur Genüge in Berlin kannte. Bereits 1915 hatte Hugo Preuß dieses Argument vorgebracht, und zwar in Das 261
Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit,
in: Die Deutsche
Freiheit,
5 Vorträge von Meinecke,
Harnack, Sering, Hintze und Troeltsch, hg. vom Bund deutscher Gelehrter und Künstler, Gotha 1917, S. 14-39, S. 16.
170
Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
deutsche Volk und die Politik.262 Damit wurde dasjenige Werk für die innerpolitische Diskussion wiederentdeckt, daß einen ganz anderen Zugriff auf die Problematik erlaubte, vor deren Konsequenzen aber die Anhänger einer nur defensiven Demokratisierung zurückschreckten. Hugo Preuß erörterte das Vorbild der Preußischen Reformen für die Neuorientierung in einem 1916 vor der Deutschen Gesellschaft von 1914 gehaltenen Vortrag. Ein nüchternes Bild von den Grenzen der Reformen hatte er bereits vor dem Weltkrieg gezeichnet.263 Nun prüfte Preuß die Aussagekraft der Reformen von 1807 als Sinn- und Leitbild der Neuorientierung im Weltkrieg. Preuß machte sich eine rechtshistorische Folie zunutze und schilderte den Sieg des romanischen über den germanischen Gedanken in der Gestalt von Savigny. Dieser habe zwei Arten von Staatsakten voneinander getrennt: solche, die wirkliche Rechte begründeten und andere, die nur Erwartungen erregten. Hier zählte Preuß nun die Neuorientierung zur letzteren Gruppe, die nur Erwartungen erregt, und er fragte süffisant, ob es das Schicksal aller Reformen in Deutschland und so auch der Neuorientierung im Weltkrieg sei, immer nur zu den Akten der Erwartung zu zählen.264 Damit malte Preuß aber das Menetekel der Neuorientierung im Weltkrieg an die Wand: so wie die Preußischen Reformen nach Wegfall des äußeren Druckes mit der Niederlage Napoleons in ihrem verfassungspolitischen Teil einfach ausgeblieben waren und auch ausfallen konnten, weil es keine politischen Instrumente gegeben hatte, auf die Verfolgung dieser Versprechungen zu dringen, so könnte auch die Neuorientierung scheitern, überließe man sie der Regierung allein, wenn einmal der Krieg beendet sein sollte. Dieser Vortrag vom November 1916 war der Auftakt für einen erneuten Anlauf von Preuß, die Notwendigkeit seiner Sichtweise auf die Voraussetzungen und Bedingungen jeglicher politischer Reform in Deutschland ernst zu nehmen. Seit den ersten Rezensionen seines Buches von 1915 hatte sich manches ereignet, was seine Kritiker nicht vorhergesagt hatten. Dazu zählte auch die demagogische Instrumentalisierung der öffentlichen Meinung in Deutschland. Preuß kann gegenüber dem Meinungsstand von 1915 nun in der ersten Hälfte des Jahres 1917 ohne weiteres betonen, daß die Zugkraft des Gedankens der Demokratie auch in Deutschland so groß geworden ist, daß man allseitig glaubt, sich des Wortes bemächtigen zu müssen. Er für seinen Teil gesteht jetzt unumwunden die Identität seines Begriffes vom Volksstaat aus dem Jahre 1915 mit dem Gedanken der Demokratie ein.265 Aber der Stand der öffentlichen Meinung stellt für ihn 1917 das größte Hindernis der Demokratisierung dar. Der Volkswille, von dem die Demokratiekritiker behaupteten, daß er nur dem Scheine nach im Westen an der Herrschaft war, wurde von Preuß gleichgesetzt 262
Hugo Preuß, Das deutsche
263
Hugo Preuss, Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stein-Hardenbergischen Reform, Berlin 1908. Hugo Preuss, Stein-Hardenbergsche Neuorientierung, Vortrag vom 6. November 1916 vor der Deutschen Gesellschaft von 1914, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung 5 (1917), S. 155-174, S. 174. Hugo Preuss, Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 44 (1917/18), S. 2 4 2 - 2 6 4 (nach dortiger Angabe im März 1917 geschrieben).
264
265
Volk und die Politik, 1915, S. 89.
171
Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
mit der öffentlichen Meinung. Gerade an der Existenz einer öffentlichen Meinung, aus welcher ein politischer Volkswille resultieren konnte, gebrach es aber in Deutschland. Preuß charakterisierte den Stand der öffentlichen Meinung in Deutschland, indem er ein Wort des Pazifisten F. W. Foersters wiedergab, der sich frühzeitig über die „Kriegsromantiker hinter der Front" Sorgen gemacht hatte. „7000 Schriftsteller und keine öffentliche Meinung... Die von keinem Bewußtsein ernster politischer Verantwortlichkeit beherrschte Zerfahrenheit, Unklarheit und doktrinäre Zersplitterung der öffentlichen Meinung macht sie politisch einflußlos; aber ihre politische Einflußlosigkeit läßt das Bewußtsein praktischer Verantwortlichkeit nicht aufkommen, und nötigt die Parteien sich in unfruchtbarem Dogmenstreit gegenseitig zu paralysieren, da ihnen die Verantwortlichkeit der praktischen politischen Macht doch unerreichbar bleibt". 266 Denn umgekehrt ist eine in sich ruhende Obrigkeit nur dort denkbar, wo es im politischen Sinne keine öffentliche Meinung gibt (S. 253). Die daraus resultierenden Konsequenzen für die politische Theorie münden in den Gedanken „politischer Verantwortung", den Preuß zum Kern seiner Überlegungen erhob und welchen auch Max Weber zum Angelpunkt seiner umfangreichen Arbeiten zur parlamentarischen Demokratie während des Krieges machte. Aber Preuß beschränkte die Verantwortung nicht auf die politische Führung wie Max Weber, sondern erweiterte sie auf die politische Kultur, die es zustande bringen mußte, daß sich auch die öffentliche Meinung ihrer Verantwortung bewußt werden sollte. Preuß lehnt einen präexistent vorgestellten Volkswillen ab. Der Volkswille ist mit der öffentlichen Meinung identisch, was heißt: er muß sich permanent ausbilden. „Volksstaat ist lediglich der zusammenfassende positive Ausdruck für alle nicht obrigkeitlich bestimmten politischen Strukturen. Daher bleibt das rein praktische Wesen der Sache ganz unberührt von den theoretischen Einwendungen, die sich gegen den Begriff des Volksstaates wie gegen den der Demokratie leicht genug erheben lassen: daß nirgends das Volk selbst und unmittelbar herrscht, daß es überall geführt werden müsse und geführt wird usw. Die tatsächliche Auslese der politischen Führung ist schließlich das Entscheidende. Man kann von allen Verfassungsparagraphen und staatsrechtlichen Formen absehend, die Sache auch so formulieren: wird die politische Führung und werden die politischen Führer von einer starken öffentlichen Meinung bestimmt und ausgelesen oder von einer in sich selbst ruhenden Obrigkeit? ... Bei aller Verschiedenheit der staatsrechtlichen Formen und der Einzelgestaltung des Verfassungslebens ist es ihr gemeinsamer Grundzug in der ganzen außerdeutschen Staatenwelt, daß sie die Beeinflussung der Politik und vor allen Dingen die Auslese der politischen Führer durch die öffentliche Meinung organisieren wollen". 267 Diese öffentliche Meinung freilich, die auch dem Maßstab politischer Verantwortung unterliegt, kann nur gedeihen, wenn sie ihrerseits einen spürbaren Einfluß auf Auslese und Führung ausübt. Das ist im Obrigkeitsstaat nicht der Fall und das hat verderbliche Auswirkungen auf den Charakter der öffentlichen Meinung. „Auf der anderen Seite zieht die dauernde Ausschließung und die dauernde Verantwortungslo-
266
Hugo Preuss, Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, 1917/18, S. 253, aus Foersters Broschüre Die Kriegsromantiker hinter der Front, in: ders., Die deutsche Jugend und der Weltkrieg, 3. Aufl. Leipzig 1916, S. 9 4 - 1 1 4 , zitierend.
267
Hugo Preuss, Weltkrieg, Demokratie
und Deutschlands
Erneuerung,
1917/18, S. 252f.
172
Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
sigkeit naturgemäß einen doktrinären Radikalismus groß, der nicht nur im Innern lähmend, sondern auch nach außen höchst schädlich wirkt". 268 In einem Brief vom 12. Juni 1917 an Delbrück hatte ihn Hugo Preuß um Unterstützung der Linken gebeten, denn um die alldeutsche Verblendung zu unterdrücken, sei „die Obrigkeitsregierung zu schwach, wie sie zu schwach war, sich dem Wahnsinn nachhaltig zu widersetzen, der durch den Krieg mit Amerika unsere Situation vollendet hat". 269 Die Forderung von Preuß nach Politisierung' meinte nicht die tatsächlichen Einflußmöglichkeiten, die ein „Volkswille" haben konnte, sondern die Ausbildung politischer Urteilskraft im Lernprozeß selbstverantwortlicher Mitbestimmung des politischen Schicksals. Daher konnte die Erfahrung mit dem Erfolg der Demagogie in der öffentlichen Meinung im Weltkrieg auch nicht die Argumentation von Preuß für die politische Demokratie treffen, denn politisieren meinte ja gerade nicht radikalisieren, sondern mit Eigenverantwortung versehen. 270 „Politisieren" hieß nach Preuß, nach Maßgabe politischer Urteilskraft eine Meinung vertreten und dafür Verantwortung übernehmen zu können und auch zu wollen. Das war ja der Kern des Problems in der Debatte zwischen den Anhängern des Volksstaates und den modernen Obrigkeitsstaats-Anhängern. Wie konnte man angesichts der Erlebnisse im Krieg im Hinblick auf die Demagogie bei den Alliierten wie vor allen Dingen die alldeutsche Demagogie überhaupt noch der öffentlichen Meinung sehenden Auges irgendeinen Einfluß zubilligen wollen? Preuß Argument gegenüber Delbrück beruhte auf seinem Beharren darauf, daß gerade die Auswüchse des „Volkswillens", dem er ja nie das Wort geredet hatte, Ausgeburt der Entpolitisierung, des Niedergangs politischer Urteilskraft waren, verursacht von einem dualen politischen System, in dem man nur kritisieren, nie aber Verantwortung übernehmen mußte, und dem er einen „politischen Monismus", gleich ob durch „Parlamentarismus oder 'Demokratisierung'" gewonnen, entgegenstellte. 271 Mit den Begriffen Führung, Verantwortung und Auslese, die Preuß in einen wechselseitigen Zusammenhang stellte, brachte er ansatzweise Überlegungen zum Ausdruck, die fast gleichzeitig Walther Rathenau ins Spiel brachte. Rathenaus philosophische Ambitionen haben in der Forschung wie in der zeitgenössischen Wahrnehmung oft dazu gefuhrt, seine theoretischen und praktischen Stellungnahmen nicht immer ganz ernst zu nehmen und mit Verweisen auf seinen schwer einzuordnenden philosophischen Hintergrund in eine nicht weiter beachtenswerte Nische der damaligen Beiträge zu stellen. 272 Die Kontextualisierung von Rathenaus Denken in den Strom der zeitgenössischen Diskussionsbeiträge und in das herrschende Problembewußtsein relativiert allerdings einiges an Sin-
268
Hugo Preuss, Innere Staatsstruktur und äußere Machtstellung, in: ders., Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke, 2 Vorträge vom 6. und 8. April 1916 in Wien Jena 1916, S. 1 - 2 5 , S. 23.
269
Preuß an Delbrück vom 12. Juni 1917, aus dem Nachlaß zitiert bei Schwabe, Wissenschaft Kriegsmoral, 1969, S. 252. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 133f. Preuß an Hans Delbrück vom 3. September 1917, aus dem Nachlaß zitiert von Döring, Der marer Kreis, 1975, S. 173.
270 271 272
Bendixen, Das Staatdenken Walter Rathenaus, 1971; Berglar, Walther Rathenau, 177; Mikuteit, Der Parlamentarismus im Urteil Walther Rathenaus, 1997.
und
Wei-
1987, S. 1 5 4 -
173
Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
gularität, Absurdität oder Metaphysik, mit dem unerklärlich scheinende Aussagen Rathenaus an den Rand geschoben wurden. Im Zuge seiner kriegswirtschaftlichen Erörterungen hatte Rathenau den Begriff der Demokratie in die Sphäre des Ökonomischen und der Organisation verwiesen und die sachlogische Notwendigkeit einer Diktatur in volkswirtschaftlichen Fragen behauptet. Doch weder Demokratie noch Diktatur waren hier in einem politischen Sinne gemeint gewesen. Zwar stand die Frage der technokratischen Lösung ökonomischer und organisatorischer Probleme im Vordergrund und die Politik wurde nachrangig, doch wie sein Plädoyer für die ökonomische Diktatur zeigt, war damit noch keineswegs die Politik an ihr Ende angelangt. Die Frage war, ob die Diktatur allgemeinwohlorientiert eingesetzt wurde, und dies war nicht vom politischen System abhängig, sondern vom politischen Bewußstein des Umgangs mit technischen Problemen der Organisation. Die eigentliche Debatte um diese Frage, die ihren Höhepunkt 1917 erlebte, eröffnete aber wiederum Rathenau mit seiner umfänglich rezipierten Schrift Kommende Dingen, die im März 1917 erschien.273 in dem Rathenau bis in die Formulierungen hinein auf Preuß' Argumentation von organisatorischer Leistungsfähigkeit und der Gefahr, daß sie bei mangelnder korrespondierender politischer Befähigung, die sich an der Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung zeigt, verloren gehen könnte, zurückgriff. Bis in die Formulierungen hinein beeinflußte Rathenau Max Webers spätere Arbeiten des Jahreswechsel 1917/1918.274 Nach den ersten Abschnitten dieses umfangreichen Werkes, in welchem Rathenau seine pantheistische Geist-Philosophie entfaltet hatte und die voluntaristische Komponente aller Reformierung der politischen Ordnung des Kaiserreichs hervorhob, mochte man den Eindruck gewinnen, als zielte sein Denken auf eine irrationale Anstrengung. Rathenau erörterte die politisch-theoretischen Fragen aber in dem abschließenden und umfangreichsten Abschnitt des Buches „Der Weg des Willens" (S. 219-345), der ganz unabhängig von der metaphysischen Grundposition lesbar ist. Dort erst wird erkennbar, welchen politischen Sinn Rathenaus Betonung des Voluntarismus besaß. Die Betonung des Willensaspektes aller Politik diente dazu, die Frucht- und Machtlosigkeit aller doktrinären Vorabdiskussionen von Parlamentarismus, Demokratie, Absolutismus usf. aufzuzeigen. Rathenau klagt jede Reformdiskussion ohne Gestaltungswillen an. „Wenn das Gewissen des deutschen Volkes es wollte, so würde ohne Änderung einer Zeile des geschriebenen Rechts - einschließlich des preußischen Wahlrechts - jeder Wunsch des werdenden Volksstaates erfüllt" (S. 295). Wie Hugo Preuß will auch Rathenau die klassisch staatsrechtliche Begrifflichkeit bei der deutschsprachigen Erörterung politischer Fragen gänzlich verlassen. Nichtjuristische Normen, nicht Doktrinen sollen das begriffliche Gitternetz seiner Erörterung sein. Er hält die alten Schemata sogar für die ernstesten Hindernisse, die der Wahrnehmung der durch
273
Walter Rathenau, Von kommenden
Dingen, Berlin 1917. Datierung nach Schulin Rathenau
1979,
S. 75. 274
Albertin, Liberalismus
und Demokratie,
Argumentation in den Kommenden Theorie.
1972, S. 233f. zur inhaltlichen Nähe von Rathenaus
Dingen und Max Webers anschließender Parlamentarismus-
174
Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
den Krieg erfolgten Veränderungen entgegenstehen. „Deshalb hinweg mit den geflüchteten Gespenstern der Demokratie und des Parlamentarismus, der Oligarchie und des Absolutismus!" (S. 295). Denn ihre rein begriffliche und doktrinäre Erörterung verliert den Bezug zur mannigfach verwickelten politischen Wirklichkeit. „Eine radikale Demokratie kann sich als verdeckter Absolutismus oder plutokratische Oligarchie enthüllen, ein absolutes Staatswesen als leicht überdeckte zügellose Herrschaft des Haufens. Jede dieser Kategorien, auf reinste Form gebracht, wird vollkommen sinnlos" (S. 294). Dieser Vorwurf zielte besonders auf die erwähnten Begriffe der Staatsformenlehre. Rathenau wollte die politischen Begriffe aus diesem traditionellen Gehäuse lösen und sie für neue Problemfelder erschließen. In welcher Staatsform auch immer, für Rathenau besteht das ihnen allen Gemeinsame in der Teilung des Volkes in Herrschende und Beherrschte. Selbst und gerade in der Demokratie trifft man nach Rathenau auf „die Beherrschung eines Volksteiles durch den anderen; meist des ländlichen durch den städtischen, des permanent armen durch den permanent reichen, des ungebildeten durch den halb gebildeten oder zivilisierten" (S. 297). Rathenau teilt damit die Illusionslosigkeit einer machtpolitischen Analyse, aber nicht um die Macht als solche anzubeten, sondern um den Blick frei zu bekommen für die tatsächlichen Zusammenhänge, woraus sich erst die Perspektive auf die entscheidenden Stellen erschloß, an welchen alle Reformanstrengungen anzusetzen hatten. Wie nun sollte in dieser Lage die realistische, aber konstruktive Analyse erfolgen? Wie in der später von Max Weber vorgetragenen Argumentation konzentriert sich Rathenau auf das Problem der Hervorbringung des geeigneten politischen Personals, auf die Frage der Existenzbedingungen einer Elite. Die Erörterung von Fragen politischer Eliten bei fortschrittlich gesonnenen Autoren ist wie im Falle Rathenaus angesichts des beobachtbaren Versagens der politischen Klasse Deutschlands geradezu der Hilfeschrei bei der Suche nach der vermißten Fähigkeit zu Übernahme politischer Verantwortung. 275 Da es für Funktionseliten keine objektivierbaren, von vornherein festlegbaren Kriterien gibt, anhand derer man wie in einem Staatsexamen die Spreu vom Weizen trennen könnte, muß man laut Rathenau die Auswahl dem politischen Prozeß selber überlassen. Diesen Vorgang nennt Rathenau wie Weber an vergleichbarer argumentativer Stelle „Auslese" (S. 329ff.) und wie Weber erörtert er die gegenwärtige politische Ordnung Deutschlands als ein System der Verhinderung einer solchen wirksamen Auslese (S. 309). Der Ansatzpunkt einer an dieser Wurzel des Übels anpackenden Reform ist für Rathenau die politische Partei, die sich aber nach Maßgabe der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, selber einer Auslese unterwerfen muß (S. 310ff). Hier aber kritisierte Rathenau das verantwortungsscheue Großbürgertum (S. 220), namentlich die Vertreter der Nationalliberalen Partei (S. 271 f.). Rathenau kritisierte den Gedanken einer unpolitischen Gelehrtenpolitik (S. 223ff.) und das Untertanenbewußtsein (S. 263). Sie alle stünden der Ausbildung einer politischen Funktionselite im Wege, weshalb er sich in seinem ersten Teil die Mühe gemacht hatte, den voluntaristischen Aspekt aller menschlicher Gestaltung so umfangreich auszubreiten.
275
Diesen Aspekt übersieht Struve bei Rathenau und später auch bei Max Weber: Struve, Elites against Democracy, 1973, S. 149-185.
175
Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
Rathenaus Kommende Dinge zählte zu den am häufigsten rezensierten Büchern des Weltkrieges.276 Max Scheler gehörte zu den ersten Rezensenten des Buches von Rathenau. Scheler ließ sich kaum von den philosophischen Überlegungen Rathenaus ablenken und kam rasch zu dem Schlußteil und seinen politischen Vorschlägen. „Betrachtet man das Kapitel jetzt vom Standort der kaiserlichen Osterbotschaft und den mächtigen Anstrengungen, die man .Neuorientierung' nennt, so mutet es wie ein vertieftes Programm dieser Neuorientierung an".277 Scheler selber hatte zu den ersten „Kriegsphilosophen" gezählt, was ihn aber bei allem Überschwang der Anfangszeit nicht davon abgehalten hatte, auch warnende Worte an die Adresse der Alldeutschen zu richten278 und schließlich legte er selber eine Studie zum Gedanken der Demokratie vor, die den unterschiedlichen Ausprägungen der Demokratie im Westen wie in Deutschland und Rußland nachging, überwiegend nach religionssoziologischen Motiven differenzierend.279 Schmoller dagegen wandte sich gegen Rathenaus Zurückweisung der historischen Methode, die er selber bei der Erörterung politischer Strukturfragen bevorzugte und warf ihm vor, sich als großer Staatsmann stilisieren zu wollen, der in Lage sei, das deutsche Staatsschiff in der Gegenwart lenken zu können, ohne eigentlich dem Staatsdienst anzugehören.280 Das schon gegen Preuß spürbare Ressentiment steigerte sich im Falle Rathenaus zu unverhohlener Geringschätzung. Die von Rathenau vorgelegte Vertiefung des Programms der Neuorientierung beruhte auf einem ganz andersartigen Verständnis von Politik als sie bei den Anhängern des Obrigkeitsstaates vorzufinden war. Sein Begriff von politischer Freiheit ließ sich nicht mit der Vorstellung eines Rechtsanspruches vereinbaren, den eine von der Bevölkerung unabhängige Regierung gewähren konnte, sondern war abgeleitet aus einem ansatzweise vorgetragenen Bild des politischen Prozesses, der nur in Freiheit gedeiht, um die Potentiale, die in der Bevölkerung ruhen, zu wecken und auszubilden. Diese Bildung gelingt nicht, wenn ihr Inhalt von einem patriachalisch orientierten Obrigkeitsstaat und seiner
276
Aus den zahlreichen anderen Rezensionen ist die von Ferdinand Tönnies hervorzuheben, die scharf gegen Rathenau polemisierte: Kommende Dinge? Neue Rundschau 28, 1917 Bd. 1, S. 8 2 9 - 8 3 8 .
277
Max Scheler, Von Kommenden Dingen. Eine Auseinandersetzung mit einem Buch, in: Hochland 14 (1917), S. 3 8 5 - 4 1 1 , zitiert nach: ders., Gesammelte Werke Bd. 4, Bern und München 1984, S. 543ff. Die Alldeutsche ahmten nur den imperialistischen Charakter das Englische grobschlächtig nach: Max Scheler, Der Genius des Krieges und der deutsche Krieg, Leipzig 1915, S. 217.
278 279
Max Scheler, Bemerkungen zum Geist und den ideellen Grundlagen Nationen, in: ders., Krieg und Außau, Leipzig 1916, S. 117-167.
der Demokratie
der
großen
280
Gustav Schmoller, Kommende Dinge, Schmollers Jahrbuch 41 (1917), S. 455ff. Schmoller verstarb im Frühjahr 1917. In einer kuriosen Zusammenstellung seiner beiden Weltkriegsaufsätze zu Rathenau und zu Hugo Preuß 1922 hob der Herausgeber Heinrich Herkner hervor, daß Schmollers lebenslanges Festhalten an der Idee der Überparteilichkeit des Staates angesichts des parteipolitischen Einflusses der Konservativen ganz verfehlt gewesen sei: Walther Rathenau und Hugo Preuß. Die Staatsmänner des Neuen Deutschland, hg. von Heinrich Herkner, München und Leipzig 1922, Vorwort S. VHf.
176
Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
akademischen Vermittlungsinstanz vorgeschrieben wird, sondern sie muß wiederum aus freier Übernahme von politischer Verantwortung selbsterzieherisch erfolgen. Die Diskrepanz dieses Begriffs des Politischen von demjenigen der Anhänger des Obrigkeitsstaates kann an einem aufschlußreichen Beispiel demonstriert werden. Die reformgeneigten Gegner einer vollständigen Parlamentarisierung glaubten über ein ganz sachliches Argument zu verfugen, das das Verhältnis von innerer und äußerer Entwicklung einer politischen Ordnung beschreiben konnte. Die Möglichkeit der Demokratisierung hing Otto Hintze zufolge alleine von Bestand und Sicherheit des Staates insgesamt ab. Zwar war eine Stärkung der Staatsmacht durch die Modernisierung ihrer Institutionen nicht abwegig, aber sie führte seiner Auffassung nach zu gefahrlichen Erschütterungen der „staatserhaltenden" Kräfte. 281 Es galt nämlich den Zusammenhang zwischen äußerer und innenpolitischer Entwicklung ständig zu berücksichtigen. Hintze lehnte es ab, Weg und Inhalt der Demokratisierung ausschließlich nach der Normativität demokratischer Forderungen nach Freiheit und Gleichheit zu beurteilen. Er verlangte statt dessen, den Kontext normativer Umsetzungen maßgeblich zu berücksichtigen. Der Kontext politischer und historischer Bedingungen und Umstände sei vielmehr maßgebend für politische Normen und Verfassungen. Im Anschluß an den englischen Historiker John Robert Seeley 282 formulierte Hintze ein Gesetz des Wechselverhältnisses von innerer politischer Verfassung und äußerer, d. h. gesamtstaatlicher Existenz. „Das Maß politischer Freiheit in einem Staat" muß „vernünftigerweise umgekehrt proportional sein dem militärischpolitischen Druck, der auf seinen Grenzen lastet".283 Dieser Satz tauchte in Hintzes politischem Denken ständig auf und spielte von Hintze ausgehend im Weltkrieg eine herausragende Rolle als argumentativer Topos. „Jedes Volk muß sich vernünftigerweise mit der inneren Struktur seines Staatswesens den äußeren Bedingungen seiner politischen Existenz anpassen" und insoweit käme für Deutschland im Augenblick nur die „militärisch-monarchische Regierungsverfassung" in Frage.284 Der Vorteil dieses Theorems bestand darin, der westlichen Demokratie nicht grundsätzlich ihre Existenzberechtigung abstreiten zu müssen, aber ihre Übertragbarkeit auf Deutschland angesichts einer ganz anders gearteten politische Grundsituation, insbesondere seiner, modern gesprochen
281 282
Otto Hintze, Das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten, in: Gesammelte Abhandlungen Band I, Göttingen 1962 2 , S. 3 9 ( M 2 3 , S. 423. John Robert Seeley, Introduction to Political Science - two series of lectures, 1896, Vorwort von H. Sidgwick, 7. Neudruck London 1923, S. 131. Seeley wollte in Abwägung aristokratischer und demokratischer Politik sich nicht von den Prinzipien, sondern von den tatsächlichen Wirkungen leiten lassen, er war gegen „pedantic verbal distinctions" 315f. und zeigte großes Verständnis für die historischen Bedingtheiten der deutschen politischen Geschichte.
283
Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Gesammelte Abhandlungen Band I, Göttingen 1962, S. 359-389, S. 366, wiederholt in: ders., Das Verfassungsleben der heutigen Kulturstaaten, in: Gesammelte Abhandlungen Band I, Göttingen 1962, S. 3 9 0 - 4 2 3 , S. 411.
284
Otto Hintze, Vorwort zur 6. Aufl. von Die Hohenzollern und ihr Werk - 500 Jahre vaterländische Geschichte, Berlin 1915, S. Vif., und wiederholt in: ders., Deutschland und das Weltstaatensystem, in: Deutschland und der Weltkrieg, Hg. von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken, Hermann Schumacher, 2. erw. Aufl. Berlin 1916, 2 Bände, Band 2, S. 3 - 5 2 , S. 5f.
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Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
„geostrategischen" Position zu bezweifeln. Hintze wollte also keineswegs aus einem spezifisch deutschen Wesen heraus den Militärstaat als die angemessene Existenzform deutscher politischer Ordnung begreiflich machen, sondern vielmehr objektive Gründe dafür angeben, warum es auch bei entsprechendem Reformwillen Grenzen der innenpolitischen Entfaltung gab. Hintzes Theorem vom umgekehrt proportionalen Verhältnis der innenpolitischen Freiheit zum außenpolitisch waltenden Druck, der auf dem Staat lastet, war wohl die ausgefeilteste Formulierung des Primates der Außenpolitik und gehörte zu den meistzitierten Argumenten der Gegner der Demokratisierung und Parlamentarisierung Deutschlands. Hugo Preuß packte 1916 Hintzes Argument bei seinen eigentlichen Intentionen, 285 wonach nämlich um der Behauptung außenpolitischer Macht willen die freiheitliche Verfassung zurückzustehen habe. Nur in dieser Intention erachtete Preuß das Argument als wirksam. Es war keine historische Erklärung einer bestimmten Entwicklung, sondern die politologische Rechtfertigung eines bestimmten erreichten Zustandes, den es nicht zu überschreiten galt. Preuß drehte das Argument aber gegen Hintzes Stoßrichtung um. Wenn man die innenpolitische Freiheit unter das Primat der außenpolitischen Machtentfaltung gestellt sehen wollte, zumindest im Sinne der machtpolitischen Selbstbehauptung, so zeigte sich für Preuß gerade die freiheitliche Verfaßtheit als Garant der außenpolitischen Machtentfaltung. Anders hätten England und Frankreich nicht die militärische Überlegenheit Deutschlands kompensieren können, wenn ihnen nicht ihre freiheitliche Verfassung die Mittel an die Hand gegeben hätte, die Potentiale rasch zu entfalten, die fur die Bewährung im Krieg erforderlich sind. Auch Walther Rathenau nahm sich des Seeley-Theorems von Hintze an. Rathenau referierte dieses Argument dahingehend, daß sich hieran Forderungen nach einem „gewissermaßen halbstarren konservativen Verwaltungsaufbau" 286 anschließen, also die Forderung nach Vorrang der Exekutive und der obrigkeitsstaatlichen, unkontrollierten Selbstbezüglichkeit der Verwaltung sowie der dort sozialisierten Funktionsträger, den Beamten. Rathenau wendete das Argument sofort gegen diese Folgerungen. Gerade die Gefahrdung fordern eine hohe Beweglichkeit und Gelenkigkeit, fordern die wirkliche Auslese der Kräfte und fordern statt eines Dogmatismus die Fähigkeit zur Anspannung und zum zeitweiligen Opportunismus verstanden als staatsnotwendige Erfordernis. „Die Gegenkraft stärkster Beanspruchung von außen ist nicht Sprödigkeit sondern Elastizität" (S. 313f.). Tatsächlich hatte die Fähigkeit zumal Frankreichs, den Belastungen des Krieges stand zu halten, die Anhänger des Obrigkeitsstaates überrascht. Dazu zählte auch Hintze selbst. Mit dem Seeley-Theorem wollte Hintze nie blind einem Primat des Militärischen Vorschub leisten und er hatte auch nie einen substantiellen Primat der Außenpolitik behauptet, der gewissermaßen essentiell das Wesen des Staates schlechthin zur Geltung bringt und daher werthaft Vorrang genießt vor jedem innenpolitischen Einwand. Darin unterschieden sich die modern denkenden Anhänger des Obrigkeitsstaates von den nationalistischen Apologeten des überparteilichen Staates. Hintze wollte das Bedingungsverhält-
285
Hugo Preuss, Innere Staatsstruktur großdeutscher
286
und äußere
Machtstellung,
in: ders., Obrigkeitsstaat
Gedanke (2 Vorträge vom 6. und 8. April 1916 in Wien), Jena 1916, S. 1-25.
Walter Rathenau, Von kommenden
Dingen, Berlin 1917, S. 313.
und
178
Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
nis zwischen der Möglichkeit freiheitlicher Entwicklung im Innern und dem von außen waltenden Druck erörtern. Nicht Privilegien und Interessen alleine verhinderten seiner Ansicht nach eine schnellere Reform der inneren Ordnung, sondern die außenpolitische Unsicherheit, die das Risiko unverantwortlicher oder anarchischer Parlamentsregierung im Innern vermeiden mußte. Hintzes analytisches und nicht essentielles Erkenntnisinteresse beim Gebrauch des Seeley-Theorems zeigt sich nun daran, daß Hintze unter dem Eindruck des Krieges und der Kritik an seiner Argumentation bereit war, das SeeleyTheorem zu verändern, und zwar in Richtung der von Preuß u.a. vorgebrachten Überlegungen, daß die Machtstellung des Staates unter bestimmten Umständen auch durch eine freiheitliche Entwicklung im Innern gestärkt werden konnte und daß diese Situation im Jahre 1917 nun auch für das deutsche Kaiserreich gegeben war. Im Mai 1917 wiederholte Hintze zwar die im Krieg augenscheinliche Notwendigkeit eines starken Militärstaates und damit das Erfordernis einer starken monarchischen Regierung, die für Hintze weiterhin der Inbegriff des Staates darstellte. 287 Gleichwohl hob Hintze nun hervor, daß er darunter nicht eine „autokratische" Regierung verstand, sondern eine „auf breiter demokratischer Grundlage" ruhende Regierung. Daher betonte Hintze nun, daß seine Verwendung des Seeley-Theorems keinem „militärischen Absolutismus das Wort reden" wollte, diese Maxime unter dem Eindruck des Krieges vielmehr dahingehend zu ergänzen sei „daß auf der anderen Seite auch die zusammenhaltende Kraft des Gemeingeistes dem Maß des Drucks von außen entsprechen muß, wenn ein Staat sich in Macht und Wohlfahrt behaupten will" (S. 453). Hintze resümiert daher: „Unsere Aufgabe ist, ein Maximum von Autorität und ein Maximum von demokratischer Freiheit miteinander zu vereinigen, eins mit dem anderen zu versöhnen, eins durch das andere zu beschränken, aber auch zu sichern und zu stärken" (S. 453). Eine vergleichbare Wendung in der Einschätzung des Verhältnisses von innerer und äußerer politischer Ordnung unternahm auch Hermann Oncken, freilich erst am Ende des Krieges. 288 Hintzes vorsichtige Wandlung ist einmal als „Prozeß intellektueller Emanzipation von der ,Geschichte'" beschrieben worden. 289 Historische Beweise in der politischen Argumentation verloren zusehends an Plausibilität angesichts des Dilemmas traditioneller Kategorien, die unter dem Einfluß des Krieges veränderte politische Wirklichkeit mit einer an der Vergangenheit geschulten Begrifflichkeit erfassen zu wollen. Dieser Prozeß war freilich noch lange nicht abgeschlossen, denn an der gleichen Stelle, an welcher Hintze den Primat der Außenpolitik durch die Behauptung der Ebenbürtigkeit von innerer Freiheit und äußerer Machtstellung ablöste, blieb die besagte „Versöhnung" und gegenseitige Ergänzung von Autorität und Freiheit institutionell ungeklärt. Neben eini-
287
Otto Hintze, Die Demokratisierung der preußischen Wirtschaftszeitung 2 (5. Mai 1917), S. 4 5 3 ^ 5 9 .
Verfassung,
in: Europäische Staats- und
288
Hermann Oncken, Über Zusammenhänge zwischen äußerer und innerer Politik (Oktober 1918), Leipzig und Dresden 1919 (Vorträge Gehe-Stiftung zu Dresden Band 9), S. 23f.
289
Köhler, Bildungsbürgertum und nationale Politik, 1970, S. 13Iff., was genauso fur Meinecke gelten kann, der in Erwiderung der Vaterlandspartei Hintzes Theorem gleicherweise um die mindestens ebenbürtige Bedeutung der inneren Freiheit fur die äußere Machtstellung ergänzte: Um Freiheit und Vaterland (1917), in: Politische Schriften, 1958, S. 213-221, S. 215 und 221.
Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
179
gen Äußerungen zum Pluralwahlrecht und zur Stärkung des Herrenhauses als Kompensation für die zugestandene Demokratisierung des Abgeordneten-Hauses verwies Hintze wiederum nur vage auf das Vorbild der Preußischen Reformer, auf Hardenbergs Wort seiner Reformdenkschrift von 1807: „demokratische Institutionen unter einer monarchischen Regierung" (S. 453). Die Parlamentarisierung blieb die Grenze zwischen der defensiven und der offensiven Argumentation zur Verfechtung der Demokratisierung.
Max Weber Während Preuß und Rathenau auf die immanenten Inkonsistenzen des Obrigkeitsstaates hinweisen wollten, die direkte Konfrontation aber eher scheuten, betrat im Frühjahr 1917 ein wesentlich polemischerer Kritiker der politischen Ordnung des Kaiserreichs die Bühne: Max Weber. Vor dem Weltkrieg gehörte Max Weber bereits zu den herausragenden Theoretikern der Demokratie. Gleichwohl war sein Verhältnis zum Demokratiegedanken zwiespältig: Zum einen gehörte für Weber die Demokratie zu den Kräften, die den universalen Prozeß einer allgemeiner Rationalisierung der Lebenswelt beschleunigten. Denn die zunehmende Gleichberechtigung der Massen machte eine Massenverwaltung notwendig, die wiederum die universalhistorische Legitimität der Bürokratie steigerte und zu ihrem Höhepunkt führte. Zum anderen bot die Demokratie aber auch zumindest die Möglichkeit, durch eine bewußt politische Durchbrechung der sachlogischen Bürokratievorherrschaft, der Logik der Notwendigkeit einen freien gestalterischen Willen entgegenzusetzen. Vor dem Weltkrieg sah Weber aber keinerlei Aussicht bestehen, daß dieses demokratische Potential der Beherrschung der Bürokratie sich entfalten konnte. Im Gegenteil schien gerade die Sozialdemokratie, die noch am weitesten der Demokratie zuzurechnen war, selbst der Bürokratisierung der Politik Vorschub zu leisten. Hier stand Weber unter dem Eindruck der Forschungen von Robert Michels. Denn gerade dort, wo sich Demokratie politisch Bahn bricht, erlebt man nicht die Wiedergeburt der „freien Persönlichkeit", sondern die Sozialdisziplinierung der Massen: „In den Massen drillt die ,korrekte' Sozialdemokratie den geistigen Parademarsch" und „gewöhnt ihre Zöglinge an Gefügigkeit gegen Dogmen und Parteiautoritäten" (GPS 65). Die Bürokratisierung und Sozialdisziplinierung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozialen Dimension der modernen Massengesellschaft. In den USA wie in deutschen Wohlfahrtseinrichtungen und der russischen Fabrikverfassung: „überall ist das Gehäuse für die neue Hörigkeit fertig" (GPS 63). „Möchten doch angesichts dessen diejenigen, welche in steter Angst davor leben, es könnte in Zukunft in der Welt zuviel ,Demokratie' und .Individualismus' geben und zu wenig .Autorität', .Aristokratie' und ,Schätzung des Amtes' oder dergleichen, sich endlich beruhigen: es ist, nur allzusehr, dafür gesorgt, daß die Bäume des demokratischen Individualismus nicht bis in den Himmel wachsen. ,Die Geschichte' gebiert, nach aller Erfahrung, unerbittlich ,Aristokratien' und , Autoritäten' neu, an welche sich klammern kann, wer es für sich oder - für das ,Volk' für nötig findet" (GPS 63). Sofern nämlich die Massengesellschaft das Bedürfnis nach Verwaltung ihrer Angelegenheiten steigert, ist damit zugleich die Zunahme ihres Status als verwaltete und damit unpolitische Bevölkerung verbunden. „Dabei ist
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
natürlich stets zu beachten, daß der Name Demokratisierung' irreführend wirken kann: der Demos i. S. einer ungegliederten Masse »verwaltet' in größeren Verbänden nie selbst, sondern wird verwaltet und wechselt nur die Art der Auslese". 290 Aber Weber unterscheidet bei der „Demokratisierung" ausdrücklich und energisch zwischen einer aktiven und einer passiven Demokratisierung: nur letztere fuhrt zur „Nivellierung der Beherrschten" (WuG 569), erstere hat über die formale Gleichheit der Beherrschten hinaus noch weitere „Postulate", nämlich insbesondere die Verminderung eines Berufsbeamtentums, die politische Verfügbarkeit der Stellenbesetzung notfalls durch Volksabstimmung (WuG 578) und insofern die „Minimisierung ihrer Herrschaftsgewalt im Interesse tunlichster Verbreiterung der Einflußsphäre der öffentlichen Meinung'" (WuG 568). Nicht ohne Bewunderung sieht Weber also das Doppelspiel der Demokratie. Sie befördert durch Gleichheit und Nivellierung die organisationssoziologische Logik des Vordringens bürokratischer Herrschaft in diesem Umfeld und versteht es doch zugleich, sofern sie das erforderliche politische Bewußtsein hat, mit der Gewalt der Volksabstimmung, also mit politischem Willen „arbiträr" (WuG 578) diese Herrschaft zugleich zu minimieren, ohne sich mit dem Argument der Sachlichkeit und Staatlichkeit abspeisen zu lassen. Der Durchsetzung der rationalisierten Lebenswelt kann man nur begegnen, „wo dauernd der entschlossene Wille einer Nation, sich nicht wie eine Schafherde regieren zu lassen, dahinter steht" (GPS 64). Das aber ist in der Demokratie zumindest denkbar. Gerade Webers Analyse des Mangels politischen Bewußtseins innerhalb des deutschen Bürgertums steigerte seine Aufmerksamkeit für politische Ordnungen und Institutionen, die diesem politischen Bewußtsein auf die Sprünge helfen konnten. Immerhin bot die Demokratie also für Weber zumindest die Möglichkeit der Ausbildung eines politischen Geistes, der sich nicht ohne weiteres unter das Joch der Bürokratie spannen ließ. In diesem Sinne hielt er die Demokratie zumindest als Idee politischer Selbstbestimmung der von ihm bitter beklagten politischen Abstinenz des deutschen Bürgertums entgegen. Der Kampf des russischen Bürgertums um die Anerkennung bürgerlicher Freiheiten und sein geltend gemachter Anspruch auf politische Partizipation in dem Revolutionsversuch von 1905 schien in den Augen des deutschen Publikums etwas anachronistisch zu sein, weshalb Weber das Bestreben nach mehr „Demokratie" in Rußland energisch verteidigte. Weber kontrastierte die dortigen politischen Kämpfe mit den deutschen Verhältnissen, in welchen - unter weitaus günstigeren Voraussetzungen - der Kampf um die politische Selbstbestimmung gar nicht erst aufgenommen wurde. Die in Deutschland beobachtbare „blöde Demokratenfeindschaft unserer ,staatserhaltenden' Preßorgane" 291 war für Weber nicht Ausdruck politischer Nüchternheit, sondern spätzivilisatorischer Sattheit: Es „erschwert der Druck des zunehmenden Reichtums, verbunden mit der zum System gesteigerten Gewöhnung, ,realpolitisch' zu denken, den Deutschen die Möglichkeit, das stürmisch erregte und nervöse Wesen des russischen Radikalismus sympathisch zu empfinden. Aber wir unsererseits sollten, bei aller Notwendigkeit, inmitten einer Welt von Feinden nüchtern zu sein, doch nicht vergessen, das
290
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft,
291
Max Weber, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus sche Schriften (1921), 5. Aufl. 1988, S. 6 9 - 1 1 1 , S. 110.
1980, S. 551-79, S. 568. (1906), in: Gesammelte politi-
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Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
wir der Welt das Unvergänglichste in jener Epoche gegeben haben, als wir selbst ein blutarmes weltfremdes Volk waren, und daß ,satten' Völkern keine Zukunft blüht" (GPS 111, Schlußsätze), in Anspielung auf die kulturellen Leistungen um 1800, als Deutschland kein Staat mehr war, wie Hegel gesagt hatte. Aber deswegen war Weber keineswegs Anhänger der russischen Liberalen. Die ideologische Stellungnahme russischer Demokraten zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts stand Weber zufolge im Widerspruch zu den politologisch absehbaren Konsequenzen für den Liberalismus, wenn das Wahlrecht auf die Masse der russischen Bevölkerung übertragen wurde, die einer politischen Partizipation schon soziologisch nicht gewachsen schien und auf absehbare Zeit ein Hineinwachsen in diese Rolle auch nicht zu erwarten war (GPS 43). Weber stand hier ganz auf der Höhe der zeitgenössischen politischen Theorie und zog überzeugte Demokraten wie Bernstein als Beweis heran, die mit ihrer Kritik der Lassalleanischen Befürwortung des allgemeinen Wahlrechts 292 als ,realpolitische' Analytiker hervorgetreten waren. Ferner konstatierte Weber eine der russischen Mentalität entsprechende Übersteigerung demokratischer Einstellungen zu einer „rein ethisch orientierten Demokratie" gegenüber (GPS 40), wie sie Weber am Beispiel des Tolstoijschen „Apolitismus" (GPS 110) beobachtete. Weber wollte aber weder diesen Idealismus mit jenen realistischen Argumenten hinterfragen, sondern hob zunächst die Fähigkeit hervor, überhaupt noch idealistisch Politik denken zu können, die er in Rußland von den Sozialrevolutionären bis zu den Ethikern beobachtete, verbunden mit einer Bereitschaft zum politischen Martyrium, die in Deutschland nicht einmal mehr dem Gedanken nach noch vorhanden war (GPS 110f.). Obwohl also Max Weber die rein machtpolitischen und institutionellen Konsequenzen der Durchsetzung politischer Normen, deren Gewicht überwiegend moralischer Art war, nicht außer Acht lassen wollte, so war er deswegen keineswegs bereit, auf die Bedeutung der Normen als solcher zu verzichten. In einem Brief an Keyserling vom 21. Juni 1911 bedankte sich Weber bei den „Prinzipien von 89" auch in ihrer „Kindlichkeit" und „pedantischen Vergewaltigungen der Realität", weil sie in hellem Kontrast zum politischen Bewußtsein seines eigenen Landes standen: „Und ein Volk, welches (wie wir Deutsche) niemals den traditionellen Gewalten den Kopf vor die Füße zu legen die Nerven hat, wird nie die stolze Sicherheit seiner selbst gewinnen, welche die Angelsachsen und Romanen uns (politisch [ausgestrichen]) in der Welt so überlegen macht, trotz all unserer (durch Disziplin gewonnenen) ,Siege' im Krieg und in der Technik" 293 . Im Briefwechsel mit Robert Michels, den er nach Kräften auch akademisch unterstützte, erklärte er Begriffe wie Volkswille oder wahrer Wille des Volkes wissenschaftlich betrachtet zu reinen Fiktionen, 294 worin er der Sache nach Lowells Ablehnung der Annahme eines Volkswillens als Anknüpfungspunkt für die Regierungslehre gleich kommt. Diese Skepsis bezüglich der analytischen Aussagekraft normativer Begriffe erstreckte Weber auf der anderen Seite auch auf Begriffe, deren scheinbar analytische Unhintergehbarkeit zu normativen Schlüssen veranlassen konnte. In diesem Sinne war
292
Gemeint ist Bernstein in der Lassalle-Ausgabe Band I, S. 124, bei Weber: GPS 38 Anm. 1.
293
Baumgarten, Max Weber - Werk und Person,
294
Max Weber an Michels vom 4. August 1908, Briefe 1906-1908, M WG II/5, S. 615.
1964, S. 429.
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
für Weber auch der Begriff des Staates, der Kernbegriff der zeitgenössischen politischen Theorie im Gewände der allgemeinen Staatslehre fraglich geworden. Max Weber bezeichnete den Begriff des Staates als den „kompliziertesten und interessantesten" Fall seiner Idealtypenlehre, 295 von dem aber prinzipiell keine konstruktive Theorie mehr ausgehen könne angesichts der Vielheit der damit verbundenen Vorstellungen. Eine Identifizierung des Politischen mit dem Staat, wie sie Georg Jellinek vornahm, oder dessen Vorstellung von der normativen Kraft des Faktischen besaß fur Max Weber genausowenig Evidenz wie die Auffassung, man könne aus der bloßen Annahme der normativen Überlegenheit einer politischen Idee heraus auf ihre soziologische Überlebensfähigkeit schließen. Max Weber ließ sich daher auch nicht von dem Idealbild der Preußischen Reformen blenden. Er hatte schon vor dem Weltkrieg darauf hinweisen, daß die Idee der allgemeinen Wehrpflicht in Zeiten der Selbstequippierung der Wehrpflichtigen eine ganz andere politische Konnotation haben konnte als in der Moderne, in welcher die Verwaltung des Militärischen im Zuge der staatlichen Equippierung nur der weiteren und verdichteteren Bürokratisierung Vorschub leistete und man also bei der Einschätzung des Vorbildes der Befreiungskriege nicht die soziologische Differenzierung der veränderten Begleitumstände vergessen sollte. Daher wollte Weber der allgemeinen Wehrpflicht in der Moderne allenfalls die Wirkung einer „passiven" Demokratisierungswirkung zusprechen. 296 Auch ohne normativen Gesinnungsdemokratismus war Weber daher in der Lage, der Demokratie auch positive Aspekte abzugewinnen. Er sah aber vor dem Weltkrieg keine Anhaltspunkte dafür, daß diese positiven, bürokratiehemmenden Aspekte der Demokratie zur Geltung kommen könnten. Vor dem Weltkrieg skizzierte Weber in einem Brief an Naumann nur vage seine Gegenvorstellungen zum Scheinparlamentarismus des Deutschen Reiches. 297 Die Demokratie diente als Folie seiner Kritik am „Scheinkonstitutionalismus", die sich vor allen Dingen an die Adresse der politischen Parteien richtete. Sie stützten das Scheinsystem auch noch und ließen sich in Gestalt der „parlamentarischen Patronage" das Zuckerbrot verabreichen. Sie hatten nicht einmal das Bedürfnis zur Auf-
295
Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl. Tübingen 1988, S. 146-214, S. 200f.: „eine Unendlichkeit diffuser und diskreter menschlicher Handlungen und Duldungen, faktischer und rechtlich geordneter Beziehungen, teils einmaligen, teils regelmäßig wiederkehrenden Charakters, zusammengehalten durch eine Idee, den Glauben an tatsächlich geltende oder gelten sollende Normen und Herrschaftsverhältnisse von Menschen über Menschen. Dieser Glaube ist teils gedanklich entwickelter geistiger Besitz, teils dunkel empfunden, teils passiv hingenommen und auf das mannigfaltigste abschattiert in den Köpfen der Einzelnen vorhanden, welche, wenn sie die ,Idee' wirklich selbst klar als solche dächten, ja nicht erst der ,allgemeinen Staatslehre' bedürften, die sie entwickeln will. Der wissenschaftliche Staatsbegriff, wie immer er formuliert werde, ist nun natürlich stets eine Synthese, die wir zu bestimmten Erkenntniszwecken vornehmen. Aber er ist andererseits auch abstrahiert aus den unklaren Synthesen, welche in den Köpfen der historischen Menschen vorgefunden werden".
296 297
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1980, S. 569. Brief an Naumann vom 14. Dezember 1906: Max Weber, Politische Briefe, Anhang zu Gesammelte politische Schriften, 3. Aufl. (in den späteren Auflagen gestrichen), S. 4 5 1 - 4 8 8 , S. 451 f.
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Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
lehnung. Was Weber erzürnte, war dieses Sich-Gefallen-Lassen des persönlichen Regimentes des Kaisers (GPS 3. Aufl. 451), das erst wirklich die Isolation Deutschlands im gesamten Ausland verursachte, weil es ein gänzlich anderes politisches Selbstverständnis offenbarte, ein Vorgang, der sich im Weltkrieg als unüberwindbare Schranke einer Verständigung mit den Kriegsgegnern erweisen sollte. Webers Gegenvorstellung hierzu sollte „in irgendeinem Sinn demokratische und zugleich nationalpolitische Ideale" verfolgen (GPS 3. Aufl. 452). Das wurde von ihm aber nicht weiter beschrieben und zu der in dem Brief an Naumann angekündigten Arbeit zu Problemen des Parlamentarismus kam es vor dem Weltkrieg nicht mehr. Weber verband also vor dem Weltkrieg mit dem Demokratiegedanken ein Spannungsverhältnis, das er zwischen mehreren Polen angelegt sah. Einerseits kann die Demokratie den nötigen Schub an politischem Selbstbewußtein im Kampf gegen den Obrigkeitsstaat erbringen, aber andererseits kann die Demokratie zugleich einer beschleunigten bürokratische Massenverwaltung Vorschub leisten. Der von Weber überwiegend soziologisch gebrauchte Begriff der Demokratie hatte vor dem Krieg keinerlei institutionelle Bezugspunkte zum Problem des Parlamentarismus in Deutschland, von einer parlamentarischen Demokratie war noch keine Rede. Die Demokratie diente Weber zunächst nur dem Nachweis der mehr oder weniger unpolitischen Grundeinstellung des Bürgertum. Das demokratische Wahlrecht einerseits und der Parlamentarismus anderseits standen für Weber noch nicht in jener Wechselbeziehung, die er nach der Julikrise 1917 in seiner eigenen Parteiensoziologie bei der Behauptung vom Übergang des Honoratiorenparlaments zum Parlament der Berufspolitiker auf der Grundlage der Demokratisierung der politischen Ordnung nachzuweisen versuchte. Die Theorie der parlamentarischen Demokratie Webers war erst Resultat der Kriegserfahrung. Webers plötzliches Auftreten in Uniform bei Kriegsausbruch und sein markiger Patriotismus schockierte seine Schüler und Freunde, wie etwa Ernst Bloch und Georg von Lukács, die an Weber seinen kosmopolitischen und national-kritischen Geist verehrten. 298 Rückblickend erinnerte sich Lukács einer Äußerung gegenüber Marianne Weber, die das Dilemma dieser Tage verdeutlichte: „Meine innerste Position war eine vehemente, globale, besonders anfangs wenig artikulierte Ablehnung des Krieges, vor allem der Kriegsbegeisterung. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Frau Marianne Weber im Spätherbst 1914. Sie wollte meine Abwehr widerlegen, indem sie mir einzelne, konkrete Heldentaten erzählte. Ich erwiderte nur: ,Je besser, desto schlimmer'. Als ich in diesen Tagen meine gefühlsmäßige Stellungnahme mir selbst bewußt zu machen versuchte, kam ich etwa zu folgendem Ergebnis: die Mittelmächte werden voraussichtlich Rußland schlagen; das kann zum Sturz des Zarismus führen: einverstanden. Es ist eine gewiße Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß der Westen gegen Deutschland siegt; wenn das den Untergang der Hohenzollern und Habsburger zur Folge hat, bin ich ebenfalls einverstanden. Aber dann entsteht die Frage: wer rettet uns vor der westlichen Zivilisation?" 299 Eine solche Perspektive, die nationale Entwicklungen im Kontext zivilisatorischer Fragestellungen entfaltete, war aus dem Umfeld Webers erwachsen. Um so verblüffender
298
Baumgarten, Max Weber - Werk und Person,
299
Vorwort von 1962 zu: Theorie des Romans, Neuwied 1971, S. 5.
1964, S. 611 nach mündlicher Mitteilung Blochs.
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waren dann anfängliche Äußerungen Webers, daß mit Ausbruch des Krieges in ihm „stärkste kriegerische Instinkte" erwachten und er es nur bedauerte, daß der Krieg für ihn zwanzig Jahre zu spät ausgebrochen sei, so daß er nun nicht daran Teil nehmen könne.300 Noch vor der kritisch-analytische Wende seiner Haltung zum Kriege und zur Kriegführung veröffentlichte Weber 1915 den Aufsatz Zwischen zwei Gesetzen,301 in dem er die Auffassung vertrat, wonach im Verhältnis zu den leeren Werten des Friedens der Vorkriegszeit das Sterben im Kriege immerhin noch dem Leben der Bevölkerung einen Sinn gebe. Das war zwar polemisch gegen die Schweiz und den durch sie symbolisierten Friedensbegriff gerichtet, verrät aber einiges über die entflammte Begeisterung Webers für den Gedanken der Nation. Dokument dieses Kriegseinflusses ist das Kapitel Zwischenbetrachtungen seiner religionssoziologischen Aufsatzreihe. Weber vergleicht darin die Wirkung der Nation als integrative Idee mit derjenigen früherer Erlösungsreligionen.302 Bei allen Unterschieden zwischen Preuß und Max Weber verband aber beide das Entsetzen über die Unkultur der öffentlichen Meinung in Deutschland, die fehlende politische Urteilskraft der Gelehrten und das leichte Spiel der alldeutschen Demagogie, aus dieser mit wenig Argumenten überzeugbaren öffentlichen Meinung ein gefährliches Instrument gegen die zur Mäßigung entschlossenen Regierung zu schmieden. Mit zunehmender Beobachtung dieses Wirkens eines außer Rand und Band geratenen Nationalismus nahm Weber sein eigenes patriotisches Pathos zurück und begann, seine Vorstellung von Nation von derjenigen des Alldeutschtums zu unterscheiden. Sein Ärger über die völlige Unbelehrbarkeit des von den alldeutschen Parolen verblendeten Mediums der gelehrten und intellektuellen Öffentlichkeit war sehr groß. „Das Literatenpack ist das politisch unreifste von allen unseren Schichten", schrieb er im April 1917.303 Max Weber versuchte in einer Denkschrift vom März 1916 an die Parteiführer, bekannte Abgeordnete und an das Auswärtige Amt die Vor- und Nachteile des uneingeschränkten U-Bootkrieges nüchtern zu erörtern und formulierte vorsichtig erstmalig seine Skepsis: „Der Unterzeichnete hat von Anfang des Krieges an dessen Ausgang mit unbedingtem Vertrauen darauf, daß wir mit Ehren aus ihm hervorgehen werden, entgegengesehen. Zum ersten mal angesichts solcher Erscheinungen und angesichts der Chance, daß auf einen ganz unsicheren Einsatz hin, ein Krieg mit Amerika in den Bereich des Möglichen tritt, hegt er ernste Besorgnisse für das Land und eventuell für die Zukunft der Dynastie".304
300 301 302 303 304
Max Weber, Brief an Frieda Groß 1915, nach Baumgarten, Max Weber - Werk und Person, 1964, S. 491. Max Weber, Zwischen zwei Gesetzen, Februar 1916, in: Gesammelte politische Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 142-145. RS I 548, hierzu: Baumgarten, Max Weber - Werk und Person, 1964, S. 668 zu den zeitgenössischen Umständen dieses Einschubes in die Aufsatzreihe. Weber an Oncken vom 20. April 1917, nach Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 268. Max Weber, Der verschärfte U-Boot-Krieg, unveröffentlichte Denkschrift, geschrieben im 1916, in: Gesammelte politische Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 146-154, S. 152.
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Weber suchte vergeblich in Berlin nach einer geeigneten Beschäftigung im Herzen der politischen Willensbildung gesucht. Nachdem er Berlin verlassen hatte, kam es zur den ersten politischen Reden Webers seit Ausbruch seiner Krankheit. Im August 1916 sprach er in Nürnberg, im Oktober in München vor dem Fortschrittlichen Volksverein. Doch erst 1917 griff er in die politische Publizistik mit Macht ein. Als die regierungsamtliche Diskussion die Wahlreform noch als eine Frage der Nachkriegszeit behandelte, legte die Regierung die bereits erwähnte sog. Fideikommißvorlage mit Wirksamkeit bereits für die Kriegszeit dem Preußischen Landtag vor. Der Versuch einer dauerhaften Privilegierung der Gegner der Demokratisierung zerriß den Geduldsfaden bei Weber. Mit nur mühsam gebändigter Leidenschaft erklärte er das Projekt der Neuorientierung für gescheitert. „Der innere Burgfrieden ist durch den Fideikommißentwurf gebrochen und damit der Weg frei, um dem vielen unverbindlichen Sprechen über das, was nach dem Kriege geschehen soll, ein Ende zu machen", so eröffnete Max Weber seine „Zuschrift" an die Frankfurter Zeitung, die am 28. März 1917 veröffentlicht wurde. 305 Weber hatte wenige Tage zuvor bereits an gleicher Stelle einen Artikel zu dem Fideikommißentwurf unter dem polemischen Titel „Die Nobilitierung der Kriegsgewinne" veröffentlicht, dort aber eher sachlich Stellung bezogen und erst am Ende hervorgehoben, daß mit dieser Vorlage der Burgfrieden gebrochen sei, ohne deutlich zu machen, was das eigentlich heißen sollte und welche Folgerungen er daraus zog. Mit Bezug auf die Reden im Herrenhaus und die putschistische Kanzlerfronde verlangte er ein „Wahlrechtsnotgesetz des Reiches". Damit war zweierlei grundsätzlich ausgesprochen: Zum einen verlangte er Reformen sofort und nicht erst Reformversprechungen nach dem Kriege. Zum anderen verlangte er nicht eine Reform Preußens nach der dort geltenden Verfassung, sondern in Gestalt eines Reichsgesetzes. Er verlangte also nichts weniger als die verfassungsrechtliche Akzeptanz der im Kriege in der Sache vollzogenen Primatstellung des Reiches gegenüber den Ländern. Weber hegte den Verdacht, daß der ganze nach außen zur Geltung gebrachte Nationalismus und Herren-Rassismus des Alldeutschtums in Wahrheit gar keinen Begriff von Weltpolitik hatte, sondern ihn nur als demagogisches Mittel verwendete, um das eigentliche Anliegen ihrer Politik zu erreichen: die Verhinderung der Demokratisierung der politischen Ordnung und damit des Verlustes ihrer politischen Privilegien, die sie mit ihrem substantiellen Nationalismus gewissermaßen rechtfertigten und diese Legitimation durch einen ständig gesteigerten Nationalismus unter Beweis stellen mußten. Mit anderen Worten: die Demagogie diente der Suggestion einer Krypto-Freiheit, einer insoweit „deutschen Freiheit", die nur um so angenehmer die politische Unfreiheit verschleierte und auch verschleiern sollte. Weber warf den Kreisen der Alldeutschen und der Vaterlandspartei vor, sich nicht aus Sorge um das Gedeihen des Deutschtums in Europa um die Kriegsziele zu bekümmern, sondern aus „innenpolitischen Gründen" (GPS 158) sich der wortgewaltigen Demagogie dieser Kriegsziele zu bemächtigten: nämlich aus Sorge um die Demokratisierung und der damit verbundenen Einschränkung ihrer sozialen wie politischen Privilegien. Demagogie war
305
Max Weber, Die Wahlrechtsnotgesetze des Reichs; Das Recht der heimkehrenden Krieger; preußische Wahlrecht, in: Gesamtausgabe 1/15 S. 215-235.
Das
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für Weber also zu diesem Zeitpunkt keineswegs ein akzeptables Mittel der Politik, sondern sollte ausgeschaltet vielmehr ausgeschaltet werden. Aus dieser Kritik Webers an der alldeutschen Agitation gegen die Demokratisierung folgt aber nicht, daß Weber bereits vor der Julikrise 1917 ein Anhänger der Demokratie gewesen wäre. Weber sprach keineswegs von einem demokratischen Wahlrecht, sondern davon, daß die heimkehrenden Krieger in Ländern insbesondere mit Klassenwahlrecht, in der bevorzugtesten Klasse Stimmrecht haben sollten (MWG 1/ 15, S. 217f.). Er verlangte in einem weiteren Aufsatz das demokratische Wahlrecht aus Gründen des Anstandes gegenüber den Kriegern. Ferner gebühre dem Menschen das gleiche Wahlrecht schon als Staatsbürger, und nicht als Besitzender oder Gebildeter oder Kinderreicher, da er als Staatsbürger gleich zu seinen Kameraden in den Krieg geschickt wird. 306 Aber verfassungspolitisch interessiert Weber zu diesem Zeitpunkt zunächst nicht die „Demokratie" als solche, die ihm, wie er nachhaltig bekundet „niemals Selbstzweck gewesen" ist (MWG 1/ 15, S. 234). Darin kam auch seine Rücksicht auf die taktischen Konflikte der liberalen Parteien, insbesondere des Fortschritts zum Ausdruck, die er vor der Julikrise noch ernst nahm. Als ihn Conrad Haußmann im Frühjahr um ein verfassungspolitisches Gutachten bat, hielt sich Weber in Fragen der Demokratie sehr bedeckt. Im Februar 1917 hatte Haußmann bereits Gerhard Anschütz um eine verfassungsrechtliche Klärung der Frage gebeten, ob Friedrich von Payer durch Artikel 9 Satz 2 Reichsverfassung daran gehindert sei, in die Reichsleitung zu gelangen. Diese Frage berührte das Problem der Inkompatibilität einer gleichzeitigen Zugehörigkeit zu Bundesrat und Reichstag und war eine der wichtigsten Anknüpfungspunkte für eine verfassungspolitische Grundsatzerörterung des Regierungssystems. Anschütz verarbeitete seine Antwort in einem einflußreichen Artikel, der aber erst nach der Julikrise erschien. 307 In der gleichen Sache wandte sich Haußmann nun mit Brief vom 29. April 1917 an Max Weber, verbunden mit der allgemeiner gehaltenen Bitte um Vorschläge zur Verfassungsreform. 308 Weber schlug seinen alten Gedanken des Enquete-Rechts des Parlaments vor. Das Enqueterecht diente jetzt als Hilfsmittel nicht nur zur besseren Beamtenkontrolle, sondern sollte nun als Hebel dienen, von dem aus ein erzieherischer Einfluß auf die von Bismarck wie vom Beamtentum so schmählich behandelte Öffentlichkeit ausgeübt werden konnte. Weber verlangte ferner eine Kontrollinstanz kaiserlicher Verlautbarungen auf ihre außenpolitische Wirkung in Gestalt eines Reichskronrates. Schließlich schlug er die Aufhebung der Inkompatibilitätsnorm des Art. 9 Satz 2 vor, um die einzige formale Hürde „der parlamentarischen' Regierung im Sinne der Besetzung politischer Amtsstellen durch Vertrauensleute des Parlaments"
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Max Weber, Das preußische Wahlrecht, in: Europäische Staats- und Wirtschafts-Zeitung 2 (1917) Nr. 16 vom 21. April 1917, S. 398^102, in: MWG V 15, S. 222-235, S. 233. Haußmann an Anschütz in einem Brief vom 13. Februar 1917, Nachlaß Haußmann Nr. 30, Hinweis bei Gottschalk, Linskliberale, 1969, S. 52. Eine Antwort von Anschütz ist unbekannt. Weber antwortete mit Schreiben vom 1. Mai 1917, gefolgt von einem auf den 5. Mai 1917 datierten Brief. Das Ergebnis blieb unpubliziert: Max Weber, Vorschläge zur Reform der Verfassung des Deutschen Reiches, in: MWG 1/ 15, S. 261-288. Datierungsangaben der Herausgeber ebda, S. 262f.
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auszuräumen. Er bezeichnete es politisch direkt als fehlerhaft, wenn Bundesrat und Reichstag wie zwei notwendig gegnerische Mächte behandelt werden (MWG 1/ 15, S. 281). Schließlich will Weber sicherstellen, daß die Verantwortung des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament sich auch auf die Instruktion der preußischen Stimme im Bundesrat (und nicht ihrer alleinigen Verantwortung gegenüber dem Landtag) erstreckt. Weber wollte also unabhängig von der Demokratisierung des Landtages dessen Parlamentarisierung durchgeführt sehen. Parlamentarisierung und Demokratisierung stehen hier noch ganz unverbunden nebeneinander. Weber will „die Stellung des Reiches gegenüber Preußen, also des deutschen Reichstages gegenüber dem preuß. Landtag" stärken (MWG 1/15, S. 282). Damit soll eine Stärkung des Reichskanzlers erreicht werden, weil Weber bei einer nur „mittelständischen Demokratisierung" des preußischen Landtages vor dem Hintergrund der in der Öffentlichkeit grassierenden Pluralwahlrechtsvorschläge zunächst nur eine Verbreiterung der reaktionären Wählerschicht der im Landtag vertretenen Rechten befurchtet (MWG 1/ 15, S. 282). Daher soll die Verfassungsreform des Reiches nicht mit der Frage der „Demokratie" belastet werden. Sie ist für Weber vor der Julikrise 1917 noch keinesfalls der entscheidende Hebel der Wandlung der politischen Ordnung. Ferner boten die gemachten Vorschläge nur bescheidene Möglichkeiten, der Demagogie in der Öffentlichkeit Herr zu werden. Mit der Forderung nach einer Reichslösung des preußischen Wahlproblems traf Weber einen wunden Punkt. Das Stekkenbleiben der Preußischen Wahlreform bewies die prekäre Situation einer Regierung, die sich nicht ohne Brüskierung von ihrem vermeintlichen Fundament, von der Trägerschaft des staatlichen Gedankens trennen wollte. Aber für den Analytiker Weber war es offenkundig, daß die nun einmal eingetretene Situation der Sackgasse, in welche sich die deutsche Politik außen- wie innenpolitisch manövriert hatte, nicht zufallig verschuldet war, sondern durchaus in der Konsequenz der politischen Ordnung und ihrer herrschaftssoziologischen und herrschaftspsychologischen Wechselwirksamkeit lag. Dieser Grundsatzfrage ging Weber in der berühmten Artikelfolge Deutscher Parlamentarismus in Vergangenheit und Zukunft in der Frankfurter Zeitung nach, aus deren monographischer Verarbeitung ein Jahr später das Buch Parlament und Regierung hervorging. Es ist üblich, die Frühjahrsaufsätze, die vor der Julikrise geschrieben und publiziert waren, nach der späteren monographischen Ausgabe vom Mai 1918 zu zitieren. Diese Vorgehensweise übersieht aber die signifikanten Änderungen und Vertiefungen, die Weber in der Zeit zwischen Juni 1917 und Anfang 1918 vornahm. Diese Änderungen beruhen auf den neuartigen, systematisch entfalteten Gedanken zu Demagogie und Demokratie und zur parlamentarischen Massendemokratie. Sie waren das Ergebnis der Julikrise und der Analysen sowohl ihrer Ursache wie ihres Ausgangs. Ging es Max Weber im Frühjahr 1917 noch darum, alleine die Bedingung der Möglichkeit einer politischen Führungspersönlichkeit darzulegen, so verschob sich das Erkenntnisinteresse als Reaktion auf die Julikrise 1917 auf die Frage, wie politische Führung überhaupt zu begreifen war und wie der Reichstag seine Disposition zu rein negativen Mehrheiten und seine Unfähigkeit zur Bildung einer konstruktiven und regierungsfähigen Mehrheit überwinden konnte. Es fehlen ferner die erst zum Jahreswechsel 1917/1918 ausgearbeiteten Gesichtspunkte der politischen Parteien, des politischen Kampfes und der Auslese der Schicht verantwortungsfahiger Berufspolitiker, das unvermeidbare Verhältnis von
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
Demagogie und Demokratie und der Zusammenhang von politischer Führung und Verantwortung. 309 Das Anliegen Webers in der Aufsatzreihe aus der Zeit vor der Julikrise bestand zunächst einmal darin, das Problem des mangelnden politischen Personals deutlich zu machen, das er in der Struktur der politischen Ordnung seit Bismarck angelegt sah und daher ohne Strukturveränderungen auch nicht für lösbar erachtete. Diese von Weber kritisierte Struktur beruhte auf der Verkennung der Differenz zwischen Verwaltung und Politik, zwischen der Logik des Verwaltungshandelns und der Grammatik der Handlungsweise politischer Führungspersönlichkeiten. Weber entwickelte im Anschluß an seine alte Bürokratisierungsthese folgende weitere Fragestellungen: wie ist unter den Bedingungen der unausweichlichen Bürokratisierung 1) überhaupt noch individualistische Bewegungsfreiheit und wie sind Menschenrechte noch möglich und 2) wie kann die überwältigende Macht der Bürokratie überhaupt noch kontrolliert werden? (1917 MWG 1/15, S. 465f., GPS S. 333), und schließlich 3) und zugleich als Antwort auf die beiden ersten Fragen: wie sieht ein leitender Minister, ein leitender Geist aus? Formell ist er Beamter, aber in der Sache darf und kann er gerade nicht Beamter sein, wenn er diese politische Aufgabe der Kontrolle ausüben möchte. Politik war hier auf die Frage der Kontrolle der Beamtenschaft konzentriert. Im Juni 1917 stand die Frage der Kontrolle des Fachbeamtentums keineswegs abstrakt im luftleeren Raum. Ohne daß Weber es beim Namen nennen durfte und angesichts des Meinungsstreites in der Tagespresse auch gar nicht mußte, war die Frage der Kontrolle des Fachbeamtentums unmittelbar relevant. Nach der optimistischen Zusage des Sieges nach Eröffnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieg zeichnete sich im Frühjahr 1917 immer deutlicher ab, daß sich die Aussagen der Marine und der übrigen Verwaltung nicht bestätigten. Regierung und Parlament hatten auf die Aussagen der Marine und ihrer Berechnungen vertraut. Das Vertrauen in den Sachverstand war so groß, daß das Parlament ζ. B. noch im Herbst 1916 den Kanzler aufgefordert hatte, zwar in der Frage der Kriegfuhrung formell frei zu sein, aber in der Sache dem Votum der OHL, also der Auffassung der in der Sache kompetent erscheinenden Personen und damit der Fachbeamten im übertragenen Sinne zu folgen. 310 Man muß diese Konstellation vergleichen mit den massiven Eingriffen, die der etwa zur gleichen Zeit zum Premierminister ernannte Lloyd George bei der Frage der Kriegführung vornahm und den Aussagen in seinen Memoiren, in welche fatale Richtung das sich selbst überlassene Militär geriet, wenn es nicht der politischen Kontrolle derjenigen unterlag, die die Verantwortung für die politische Gesamtstrategie trugen. 3 " Es ging also um den Primat des Politischen über denjenigen des
309
So fehlt ζ. B. der Abschnitt MWG 1/ 15, S. 452 bis 458 (GPS 3 2 1 - 3 2 8 ) der monographischen Ausarbeitung von 1918 in der Aufsatzreihe vor der Julikrise praktisch komplett. Die Unterschiede der beiden Textschichten wird noch am ehesten von Wolfgang J. Mommsen berücksichtigt. Im folgenden wird zur besseren Orientierung dem Zitationsnachweis bei Bedarf das Jahr der Publikation vorangestellt.
310
Schiffers, Hauptausschuß,
311
Lloyd George, Mein Anteil am Weltkrieg. Kriegsmemoiren, Berlin 1935, Band 1, S. 136f. am Beispiel daran, wie lange die militärischen Führung auf die Kavallerieoffensive beharrte und dort auch über die Legitimität des Primates des Politischen, die sich aus der politischen Verantwortung der Regierung ableitet.
1983, 90. Sitzung vom 7. Oktober 1916.
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Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
Militärischen. Max Weber hatte zwar die Ernennung der 3. OHL unter Hindenburg zunächst begrüßt, aber aus rein politischen Gründen: Er nahm nämlich an, das ein von Hindenburg unternommener Friedensschluß, „wie sein Inhalt auch aussehen möge", von jedem in Deutschland akzeptiert werde. 312 Freilich änderte sich die Stimmung angesichts der seiner Ansicht nach größenwahnsinnigen Fehler der „verrückten Alldeutschen" und der Marineleitung, die mit ihrer Haltung Webers größter Sorge Vorschub leisteten, nämlich den Kriegseintritt Amerikas zu provozieren. 313 Wenn Max Weber nun im Juni 1917 das Porträt eines leitenden Staatsmannes skizzierte, so entfaltete er das Bild eines verantwortlichen Mannes, der in der Lage war, die fatale Fehleinschätzung des U-Boot-Kriegs nicht nur zu durchschauen, sondern auch durch ein tragfahiges Alternativkonzept zu ersetzen. Selbstverständlich gehörte auch nach Weber zur politischen Führung die nötige Fachkompetenz, deren Besitz zunächst der Beamtenregierung den Vorzug vor der parlamentarischen Regierung zu geben scheint. Zu dem von Weber entworfenen Bild des Staatsmannes und nicht nur des guten Beamten gehört aber vor allen Dingen die Fähigkeit, dem Militär Paroli zu bieten. Als Vorbild konnte wiederum die übermächtige Gestalt Bismarcks herangezogen werden, der diese Eigenschaften ja besaß, wie Delbrück in seinem Buch zu Bismarcks Erbe ausgiebig dargelegt hatte. Weber hatte bereits eine Art kurze Fortsetzung zu Delbrücks Buch verfaßt. So wie Delbrück Bismarcks Politik im deutsch-deutschen Krieg als Muster herbeigezogen hatte, den Primat der Politik beharrlich zu behaupten, so skizzierte Weber nun die Bismarcksche Außenpolitik nach dem Deutsch-Französischen Krieg, in der sich Bismarck erneut gegen die Wünsche der Militärs durchzusetzen wußte. 314 Während Bismarck nach Weber zu den politisch denkenden Gestalten zählte, der auch die Argumentationen seiner Gegner nachzuvollziehen versuchte, zeichneten sich seine Erben dagegen als platte Epigonen der Bismarckschen Politik aus, ohne alle Fähigkeiten, die solche Leistungen erst ermöglichten: Kenntnis und Urteilskraft. Das galt nach Weber sowohl fur die „Literaten" wie für die Beamtenregierung. „Das Freundlichste, was man über sie [gemeint ist: die Leitung der deutschen Politik: im Vorsatz] gesagt hat, war: daß ,die Siege der deutschen Heere ihre Niederlagen wieder wettgemacht' haben" (1917 M WG 468). Kurz, was Deutschland fehlt, ist die Leitung des Staatswesens durch einen Politiker", womit er aber ausdrücklich nicht eine geniale Begabung meint, sondern schlicht „einen Politiker überhaupt" (1917 MWG 469, GPS 336). Es war gerade Bismarcks verderbliche Wirkung gewesen, das Parlament als mögliche Stätte der Ausbildung des politischen Führungspersonals auszuschalten. Er habe eine Nation ohne alle politische Erziehung und ohne jeglichen Machtwillen hinterlassen, und zwar als Ernte eigener Saat und mitten darin ein „völlig machtloses Parlament". Das Parlament rückt Weber 1917 nur insofern in den Blick, als er bei ihm ebenso wie beim Staat die Übergewalt der Bü-
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Max Weber an seine Schwester Lilli vom 1. September 1916, Baumgarten, Max Weber und Person, 1964, S. 496.
313
So in den Briefen an seine Frau, Marianne Weber, Lebensbild ber- Werk und Person, 1964, S. 495.
314
Max Weber, Bismarcks Außenpolitik und die Gegenwart, Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 112-129.
Werk
569ff. und Baumgarten, Max We-
Dezember 1915, Gesammelte politische
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Demokratie im Westen und Demagogie in Deutschland
rokratisierung aller politischen Lebensräume demonstriert. Und es ist gerade die Sozialdemokratie „also gerade in der demokratischsten Partei" (1917 M WG 459), in welcher das Parteibeamtentum am weitesten vorangeschritten ist. Immerhin ist aber das Parlament denkbar als Ort der Führerauslese, was aber nur gelingt, wenn aus seinen Reihen auch die Besetzung der verantwortlichen Positionen im Staat erfolgt (1917 M WG 474f.). Denn nur dann ist gewährleistet, daß sich die zur Politik „geborenen Führernaturen" auch in den Prozeß der parlamentarischen Willensbildung einschalten. Das heißt also nicht, daß der Reichstag in Webers Augen in seiner jetzigen Zusammensetzung überquillt an solchen Persönlichkeiten. Es habe sie allerdings früher gegeben: Weber nennt Benningsen, Miquel und auf sozialdemokratischer Seite Vollmar (GPS 345). Bismarcks Wirken habe sie von der Macht und damit von der Verantwortung abgehalten und als Ergebnis haben sich keine hierzu talentierten Personen mehr um einen Sitz im Parlament beworben. Im Augenblick sieht Weber jedoch keine Talente mehr im Reichstag sitzen. Interessanterweise erklärt Weber Erzbergers Stellung innerhalb der Zentrumsfraktion vor der Julikrise mit dessen „Bienenfleiß, der den sonst, nach dem immerhin begrenzten Maß seiner politischen Begabung, schwer verständlichen Einfluß dieses Politikers begründet" (GPS 345). Nur dort, wo die Reden und Taten des Handelnden auch unmittelbar Folgen und Konsequenzen nach sich ziehen, können solche Persönlichkeiten heranwachsen und dies sieht Weber im Augenblick nur in der Wirtschaft gewährleistet, denn: Beim Geld hört die Gemütlichkeit auf! (1917 M WG 481). Nur in der Wirtschaft sieht Weber noch „geborene Führernaturen" (GPS 346) zu finden. Mit Gemütlichkeit meint Weber aber: der Luxus eines verantwortungslosen „Literatengeschwätzes" bei den Gelehrten. Am Ende der Artikelserie im Juni 1917 verwies Weber für die Frage einer strukturellen Wandlung des politischen Systems auf das Verhalten der Dynastien und der Monarchie. „Man muß nun abwarten, was sie vorziehen: die Thronrechte als Pfründen und das Reich als eine Art von Versicherungsanstalt dafür zu behandeln, - oder ihren Stolz darin zu finden, ihre Krone inmitten eines Herrenvolkes in jenem zugleich schlichten und echten Sinn des Wortes zu tragen. Sollten wir dies aufatmend erleben, - dann könnte der eiserne Frühling, dem Deutschland entgegen geht, wenn der größte Krieg aller Zeiten zu Ende sein wird, uns neue Blüten bringen. Sonst nur Gezänk, innere und dadurch bedingt äußere Ohnmacht" (MWG 1/15, S. 526). Der Stellenwert von „Herrenvolk" als Topos von Webers politischer Argumentation zeigt sich im nächsten Abschnitt. Die Stoßrichtung von Webers Juni-Aufsätzen war in erster Linie die Entscheidungskompetenz der Dynastien, vor allen Dingen der Hohenzollern und dort war die Wirkung sehr stark. Nach Riezlers Beobachtung hatte Weber mehr Porzellan zerschlagen, als politisch klug gewesen wäre. Aufgrund der Veröffentlichung erlitt die Frankfurter Zeitung militärische Vorzensur. Nur Payers Intervention beim preußischen Kriegsminister auf der ersten Sitzung des Hauptausschusses nach der Juni-Vertagung machte diese scharfe Maßnahme rückgängig. Aber auch außerhalb der Höfe stieß Weber nicht auf genuines Verständnis. Troeltsch wie andere konservativ-liberale Denker konnten die Entwicklung Webers zu einem „derartigen Radikalismus" nicht recht verstehen. 315 Während sie sich um Kompromisse, um
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Troeltsch an Paul Honigsheim vom 12. Juni 1917, bei Baumgarten, Max Weber - Werk und
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Die Strategie einer offensiven Demokratisierung
Gemeinsamkeiten bemühten, wollte Weber die seiner Ansicht nach gefährlichen Elemente politisch neutralisieren. Er kalkulierte mit seinen Anschuldigungen und Vorwürfen einen Majestätsbeleidigungsprozeß ein, um in der Öffentlichkeit des Gerichtssaals die seiner Ansicht nach unverantwortliche Politik der Führung zu geißeln und die dann als Zeugen herbeigezogenen verantwortlichen Politiker von Bülow bis Ludendorff darin bloßstellen, „was an dem deutschen Volk gesündigt worden" sei, wie er auf der ersten Lauensteiner Tagung zu Pfingsten 1917 sagte.316 Das Publikum befürchtete gar eine polizeiliche Auflösung der Veranstaltung angesichts solcher tollkühner Reden. 317 Max Webers Eingreifen in die Debatte war noch nicht von einem systematischen Grundgedanken geprägt. Er reagierte punktuell auf einzelne Ereignisse, nahm Rücksicht auf Interessen der ihm nahestehenden Parteien und erörterte grundsätzliche Fragen unter Auslassung konstruktiver Alternativen. Warum Deutschland keinen mit dem Westen vergleichbare politische Führungspersönlichkeit im Weltkrieg hervorgebracht hatte war sicherlich eine drängende Frage, zumal sie auch die Legitimität der BismarckVerfassung berührte und daher ihre Reformbedürftigkeit mit Nachdruck rechtfertigte. Was aber politische Führung selber ist, wie sie im Zusammenhang politischer Institutionen zustande kommt, wie personelle und institutionelle Aspekte ein Gesamtbild ergeben konnten und weshalb die parlamentarische Demokratie das Ergebnis einer sachlichen Fragestellung und nicht einer bestimmten verfassungspolitischen Kultur war, die in diesen Ländern anders sein konnte als in jenen, diese Fragen blieben vor der Julikrise von Max Weber unerörtert. Erst die Julikrise offenbarte die tiefen strukturellen Probleme der politischen Ordnung des Kaiserreichs und provozierte eine weit ausholende Überarbeitung der Juni-Artikel, die dann in zwei der bedeutendsten Monographien der deutschsprachigen politischen Theorie zum Jahreswechsel 1917 auf 1918 kulminierten. Wer die Parlamentarisierung wünschte, wollte damit die politischen Parteien in das Zentrum der politischen Willensbildung rücken. Dazu bedurfte es aber wiederum keiner Demokratisierung, sondern nur einer Veränderung der Stellung des Reichstages im Gefuge der politischen Ordnung. So wie die Anhänger einer defensiven Argumentationsstrategie der Demokratisierung auf die Regierung setzten, so mußten die Anhänger der offensiven Strategie auf die politischen Parteien setzen. Würden die politischen Parteien das Vakuum der politischen Initiative, das die zögernde Regierung eröffnete, nutzen, um selber die Zügel in die Hand zu nehmen? Die Chance dazu boten Julikrise und Kanzlersturz 1917, die die nächste Zäsur der Debatte im Weltkrieg markiert.
Person,
1964, S. 489.
316
Nach Baumgarten, Max Weber - Werk und Person,
317
Krieck zu Heuss, bei Baumgarten, Max Weber - Werk und Person,
1964, S. 499. 1964, S. 499.
IV. Die Julikrise 1917 als Wendepunkt der politischen Argumentation
1.
Der Reichstag und die politische Parteien
In der historischen Betrachtung der Parlamentarisierung Deutschlands ist die bereits im Weltkrieg wachsende Stellung des Reichstags im politischen Gefüge des Kaiserreichs beobachtet und dokumentiert worden. Die Einrichtung des interfraktionellen Ausschusses im Juli 1917 hat in der Forschung zu der Auffassung geführt, darin eine Vorform parlamentarischer Majoritätsbildung zu sehen, 1 die eine mit der späteren Weimarer Koalition vergleichbare Parteienkonstellation zusammenführte. Der Prozeß der Parlamentarisierung schien damit bereits vor der Revolution 1918 unaufhaltsam vorangeschritten zu sein. Der vom Reichstag erzwungene Rücktritt des Kanzlers Bethmann, die Übergangsperiode der Kanzlerschaft Michaelis, der ohne Mitwirkung des Reichstages vom Kaiser ernannt wurde und schließlich die Kanzlerschaft Hertlings unter enger Mitwirkung von Parlamentariern, die teilweise auch in die Regierung eintraten, legt eine solche Vermutung nahe und sie wurde bereits kurz nach Ende des Krieges auch von verschiedenen Protagonisten rückblickend geäußert. 2 Schon mit der Einrichtung des IFA schien der Wille der reformfreudigen Parteien des Reichstages zum Ausdruck zu gelangen, dauerhaft eine Mehrheit zu bilden und hinter der Öffentlichkeit der Sessionen gewissermaßen eine Koalitionsrunde zu installieren, die alle wesentlichen Punkte der Politik erörterte. Ihr erster großer Erfolg war der Entwurf einer Friedensresolution vom 19. Juli 1917, die dann auch vom Reichstag angenommen wurde. Kann hierin nicht ein erster und maßgeblicher Schritt in Richtung Parlamentarisierung der politischen Ordnung des Kaiserreichs gesehen werden? 3 Aus der Sicht vieler zeitgenössischer Kritiker konnten diese
1 2
Bermbach, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung, 1967. Matthias Erzberger, Erlebnisse im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 287ff. und Karl Helfferich, Der Weltkrieg, 2. Band, 3. Teil: V o m Eingreifen Amerikas bis zum Zusammenbruch, Berlin, 1919, S. 228: „Mit meiner Entlassung und der Ernennung des Herrn Payer zu meinem Nachfolger als Stellvertreter des Reichskanzlers war die Krisis abgeschlossen. Der Übergang v o m sogenannten .konstitutionellen Regime' zum .parlamentarischen Regime' war in der Sache abgeschlossen".
3
Nach der Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle des IFA: Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, wurde die Diskussion in der Forschung erneut angeregt. Bermbach, Vorformen
Der Reichstag und die politischen Parteien
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Ereignisse aber auch ganz anders ausgelegt. Ihrer Auffassung nach hätte zwar die Einrichtung des Interfraktionellen Ausschusses (IFA) die Möglichkeit geschaffen, die politische Willensbildung maßgeblich zu prägen und auch die Zusammensetzung der Regierung zu bestimmen. Tatsächlich wurde aber das einzige wirkliche Mehrheitsprogramm des IFA, das sich auch gar nicht auf innenpolitische Fragen konzentrierte, sondern in der Friedensresolution vom 19. Juli 1917 erschöpfte, nie Regierungspolitik, da es gar nicht zu einem maßgeblichen Einfluß auf die Regierung kam. Vielmehr drohte die Mehrheit ständig zu zerfallen, sie war selbst in ihren tragenden Parteien, Zentrum und Linksliberalismus umstritten. Die Anhänger von Parlamentarisierung und Demokratisierung in der Publizistik waren geradezu erschüttert darüber, wie wenig sich der Reichstag in der Lage zeigte, inmitten des politischen Vakuums und der Unklarheiten der politischen Willensbildung auf Seiten der vielköpfigen Exekutive mit schöpferischer Kraft die Initiative an sich zu reißen und maßgeblich die Politik zu bestimmen. Viele von ihnen und allen voran Hugo Preuß und Max Weber vermuteten sogar, daß es geradezu herrschaftssoziologische Hindernisse gab, die die bestehenden politischen Parteien daran hinderten, ihren Beruf zur Politik überhaupt wahrzunehmen und gegen Barrieren durchzusetzen und zu behaupten. Angesichts der Julikrise und der verpaßten Chance des Reichstages vollzog zum Beispiel Max Weber die Wende in seiner Fragestellung: Nun lag das Augenmerk nicht mehr auf der Suche nach einer überragenden Führungspersönlichkeit, sondern auf der Frage: „Wie macht man das Parlament fähig zur Macht?" Dieser Reichstag, dessen Stellung und Funktion in der politischen Ordnung seit jeher Gegenstand historischen Streites ist, etwa bezüglich der Frage, ob das Kaiserreich sich nicht auch ohne Revolution zum parlamentarischen Regierungssystems hätte fortentwikkelt können, war im Januar 1912 gewählt worden und blieb in dieser Zusammensetzung bis Ende 1918 bestehen, nur durch Nachwahlen verwaister Wahlkreise ergänzt. Schon 1912 hatte die Öffentlichkeit den Eindruck gewonnen, daß mit diesem Reichstag die Ära einer wilhelminischen Form der politischen Willensbildung an ihr Ende gekommen war. Auf der Grundlage einer Rekordhöhe der Wahlbeteiligung hatten Nationalliberale und Konservative verloren, das Zentrum blieb knapp behauptet, bevorteilt durch das Mehrheitswahlrecht, während der Linksliberalismus aus dem gleichen Grund und trotz Stimmengewinne einige Sitze verlor. Der eigentliche Sieger der Wahl war die Sozialdemo-
parlamentarischer Kabinettsbildung, 1967; Glum, Parlamentarische Regierungssystem, 1965, S. 65ff.; Hagen Schulze beginnt daher seine Geschichte der Weimarer Republik mit dem Jahr 1917: Schulze, Weimar - Deutschland, 1994, S. 143: „Die Geburtsstunde der Weimarer Republik...schlug also am 6. Juli 1917", d. h. am Tag der Formierung des interfraktionellen Ausschusses. Rauh, S. 8. Demgegenüber lehnt Wehler, Kaiserreich, 1988, S. 216 die Zurückverlagerung des Weimarer Parlamentarismus in den Weltkrieg ab und Kocka, Klassengesellschaft, 1988, S. 108ff. gestand den Zuwachs der Macht des Reichstages seit 1916 insbesondere in der Gesetzgebung zum Vaterländischen Hilfsdienst nur als Konzession der OHL zu: S. 109f. Gegen die Annahme einer Kontinuität der Parlamentarisierung auch Boldt, der die strukturelle Reformbereitschaft erst mit der Erfahrung der Krise der Reichsverfassung im Weltkrieg ansetzt: Boldt, Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie, 1993, S. 170. Die Frage ist aber, ob aus der Perspektive der Zeitgenossen nicht die Unfähigkeit der Parlamentarier, das Machtvakuum zu nutzen zu den wesentlichen Merkmalen dieser Krise zählte.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
kratie gewesen, die ihre Mandatszahl mehr als verdoppelte und nun zur zahlenmäßig stärksten Fraktion angestiegen war. Im Ergebnis jedoch kam es nur zu einer „stabilen Krise" 4 zwischen Regierung und Parlament. Die bereits erwähnte Zabern-Affare enthüllte für die meisten Zeitgenossen die eingeschränkten Möglichkeiten und Fähigkeiten des Reichstages, enthüllte seinen mangelnden politischen Willen, ob er seine eigene Stellung im Gefüge der politischen Ordnung überhaupt ernst nehmen wollte oder nicht. Tatsächlich schien der Reichstag mit Ausbruch des Krieges und bis 1917 zunächst Schritt für Schritt an Kompetenz und Initiative zu gewinnen. Wie der Krieg zu einem deutlichen Übergewicht der Reichsebene im System der politischen Willensbildung im Kaiserreich geführt hatte, so führte der Krieg auch für den Reichstag zunächst zu einem erheblichen Prestigegewinn. Immerhin war der Reichstag mit der einstimmigen Gewährung der Kriegskredite der symbolische Schauplatz der Einheit des deutschen Volkes gewesen. Ferner begann der Reichstag schon am Anfang des dritten Kriegsjahres mit einer vorher ungekannten Aktivität seine innere Neuorganisation in die Hand zu nehmen. Auf Antrag des Zentrums vom 27. Oktober 1916 wurde mit 303 gegen 31 Stimmen ein besonderer Ausschuß gebildet, der auch während der Vertagung des Reichstages zusammentreten konnte und später allgemein „Hauptausschuß" genannt wurde. Damit reagierten verschiedene Parteien auf die beobachtbare Problematik der uneinheitlichen Reichsleitung zwischen militärischer und politischer Führung und zwischen Reich und Preußen. 5 Frühzeitig wurde die Bildung des Hauptausschusses als Zeichen des zu Ende gehenden Burgfriedens gewertet, ja als sichtbarer Wille des Reichstages, mit Mehrheit etwas konkretes veranlassen und bestimmen zu wollen. 6 Der nächste Schritt in dieser Richtung gelang mit der Einsetzung des Verfassungsausschusses, 7 der zweieinhalb Jahre nach den ersten Überlegungen zur Neuorientierung nun selber Vorschläge zur innenpolitischen Reform ausarbeiten sollte. Nachdem Bernstein für die Arbeitsgemeinschaft der Unabhängigen Sozialisten einen entsprechenden Antrag eingebracht hatte, forderte Gustav Stresemann für die Nationalliberalen die Einsetzung eines Verfassungsausschusses, der die nötigen umfassenden Verfassungsreformen behandeln und vorbereiten sollte. Dieser Antrag wurde am 30. März gebilligt und bereits am 2. Mai konstituierte sich dieser Ausschuß unter dem Vorsitz des Mehrheitssozialdemokraten Philipp Scheidemann. Diese Aktivität wurde von den reaktionären Kreisen sogleich bekämpft. 8 Aber während die Nationalliberalen im preußischen Landtag zu
4 5
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8
Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Band 2, 1995, S. 748ff. Der Antrag des Zentrums überflügelte in seiner Reichweite einen ähnlichen Antrag der Nationalliberalen vom 9. Oktober 1916, der dieser Ausweitung des Reichstages zuvorzukommen versuchte, aber abgelehnt wurde, während ein Antrag der liberalen Linken mit dem des Zentrums vergleichbar war und ihn unterstützte. Johann Victor Bredt, Der Reichstag im Weltkrieg. Gutachten für den Untersuchungsauschuß des Reichstages S. 68; vgl. Hackl, Versuch einer Parlamentarisierung, 1949, S. 7. Auf Antrag der Abgeordneten Albrecht und Genossen vom 28. März 1917 am 30. März 1917 vom Reichstag angenommen: Hackl, Der Versuch einer Parlamentarisierung, 1949, S. 60-84 ausführlich zu der Ausschußtätigkeit und den Verfassungsänderungssplänen. Etwa in verschiedenen Artikeln in der Kreuzzeitung unter dem Titel Parlamentarismus und Reichsverfassung der Nr. 217, 219 und 221 vom 30. April, 1. und 2. Mai 1917, bei Hackl, Der
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Der Reichstag und die politischen Parteien
den reaktionären Kräften zählten, die auch in der Frage des Verfassungsausschusses jede Reformbemühung torpedierten, setzte sich in der nationalliberalen Reichstagsfraktion Gustav Stresemann an die Spitze der Reformkräfte. 9 Für Stresemann war der Verfassungsausschuß jedoch auch Ausdruck eines machtpolitischen Kalküls in seinem Kampf gegen Bethmann. Mit der Parlamentarisierung wollte er eine institutionelle Möglichkeit zum Kanzlersturz Bethmanns eröffnen. 10 Man hat diese Strategie auch „negativen Parlamentarismus" genannt," weil sie nicht der konstruktive Bildung eines dauerhaften Regierung diente, sondern nur als Instrument zum Sturz einer ungeliebten Regierungspolitik. Stresemanns Aktivitäten führten auf der anderen Seite dazu, die Ambitionen vor allen Dingen bei den Linksliberalen abzubremsen, die eigentlich programmatische Befürworter der Parlamentarisierung waren. Das hatte zur Folge, daß eine der wichtigsten Reformbestrebungen, die Abschaffung der Inkompatibilitätsnorm des Artikel 9, Satz 2 der Reichsverfassung, die den Eintritt von Parlamentariern in den Bundesrat verhinderte, nur dilatorisch behandelt wurde. 12 Die Linksliberalen hatten in dieser Norm den Dreh- und Angelpunkt einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs ausgemacht und im Frühjahr 1917 wurden wie gezeigt Max Weber und Gerhard Anschütz um die Erstellung von Gutachten über die Kompatibilitätsfrage gebeten. In der Situation vor der Julikrise schreckten die Linksliberalen aber vor der Forderung der Parlamentarisierung zurück. Eine Parlamentarisierung erschien ihnen nur als Stärkung der im Reichstag vorhandenen Kanzlerfronde, die über den Reichstag den Kanzlersturz vorbereitete. Mit diesem Argument wies auch Ebert diejenigen seiner Fraktionskollegen zurück, die ihrerseits unbedacht auf eine Parlamentarisierung drängten. Ebert warnte in einer Sitzung der Reichstagsfraktion vom 10. Juli 1917, daß rasch an die Stelle Zimmermanns der Staatssekretär des Auswärtigen Stresemann heißen könne, und er deshalb lieber auf die Parlamentarisierung verzichten wolle. 13 Die Linksliberalen bezogen die Frage der Neuorientierung des Reiches daher zunächst nur auf verschiedene nachrangige politische Bereiche, die sich der Wahlrechtsreform Preußens anschlössen: die Reform der Gemeindeverfassung, der Ausbau der Selbstverwaltung, die Wahlkreiseinteilung, die Frauenrechte, das Koalitionsrecht, die
Versuch einer Parlamentarisierung, 9 10
1949, S. 16f.
Vgl. die Erörterungen hierzu in Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, S. XXf. Und bei Grosser, Konstitutionalismus, 1970, S. 128. Gustav Stresemann in Reden vom 29. März 1917 und vom 9. Juli 1917. In letzterer verteidigte er vor dem nationalliberalen Zentralvorstand seine Strategie: „Der Ruf nach Parlamentarismus war der Aufschrei gegenüber dem Niederbruch diplomatischer Staatskunst bei unserem heutigen System", womit die Politik Bethmann-Hollwegs gemeint war: vgl. Rauh, Parlamentarisierung 1977, S. 394f.
11
Beyme, Die parlamentarischen
12
Hackl, Der Versuch einer Parlamentarisierung, Artikel 9 der Reichsverfassung.
Regierungssysteme,
1973, S. 255.
13
Matthias/Pikart, Reichstagsfraktion, 1966, Bd. 2, S. 295. Zum Hintergrund der sozialdemokratischen Skepsis gegenüber einem forcierten Parlamentarisierungsbestrebungen in der Julikrise vgl. Grosser, Konstitutionalismus, 1970, S. 13lf.
1949, S. 7 2 - 8 3 zur Frage der Änderung des
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Verbesserung der sozialen Verhältnisse, die Demokratisierung des Heeres und die Abschaffung der Fideikommisse. 14 Von Parlamentarisierung war keine Rede. Es stellt sich daher die Frage, ob es nur machtpolitische und taktische Fragen waren, die dazu führten, daß der Reichstag die Chance nicht beherzt ergriff, die das entstandene politische Vakuum eröffnet hatte. Waren die maßgeblich beteiligten Parteien überhaupt willens und entschlossen, die gebotene Gelegenheit zur Parlamentarisierung zu nutzen? Noch kurz vor Ausbruch der Julikrise bekannte sich Bernhard Dernburg von den Linksliberalen zur Notwendigkeit einer Demokratisierung Deutschlands im parlamentarischen Sinne und trat wiederholt für eine forcierte Parlamentarisierung ein.15 Aber unter den Wortführern der Partei war Dernburg keineswegs repräsentativ. Selbst Conrad Haußmann vom linken Flügel des linksliberalen Fortschritts vertrat noch im Januar 1917 die Auffassung, daß der Umfang des linksliberalen Parlamentarisierungswunsches alleine in der vollständigen Ausgestaltung des „Constitutionalismus" liege, d. h. in der gleichwertigen Ausübung der Verantwortung der Regierung sowohl gegenüber dem Monarchen wie dem Parlament. „Der echte Constitutionalismus fordert für die Regierung ein doppeltes Vertrauen, das des Herrschers, bekundet durch die Berufung, das der Volksvertretung, bekundet durch ihr Mehrheitsvotum; m. a. W. Berufung der Leiter der Staatsgeschäfte durch die Krone aus der Mehrheit". 16 Haußmann hob das Vorbild des württembergischen Konstitutionalismus als beispielhaft hervor, woraus er schloß, daß kein Systemwechsel erforderlich war, sondern nur eine Änderung der Regierungsmethode hin zu einem „echten" Konstitutionalismus. 17 Nicht ohne Grund hat man den Reformwillen als Wunsch auf „folgerichtigen Weiterbau des verfassungsmäßigen Konstitutionalismus" bezeichnet. 18 Die hierfür gebräuchlichste Formel nannte dies den Wunsch nach einer „engeren Fühlungnahme zwischen Regierung und Volk", vermittelt durch eine „engere Fühlungnahme zwischen Parlament und Reichsleitung", wie sie Friedrich Naumann in einer Reichstagsrede für die Linksliberalen im Frühjahr 1917 geltend machte. 19 Diese Formel war bereits von dem Nationalliberalen Eugen Schiffer 1915 verwendet worden, der charakteristischerweise auch von einer „organischen Verbindung von Parlament und
14
Die politische Neuordnung und die Fortschrittliche Volkspartei, Berlin 1917, zitiert bei Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 53f.
15
Auf einer Rede auf dem Parteitag der Schleswig-Holsteinischen Fortschrittlichen Volkspartei, vgl. den Bericht im Berliner Tageblatt: Dernburg über die politische Ordnung Nr. 333 vom 3. Juli 1917, Morgenblatt S. 4 mit anderthalb Spalten Wiedergabe dieser Rede. Vgl. ferner: Bernhard Dernburg, Von Verheißungen zu Taten, in: Berliner Tageblatt Nr. 341 vom 7. Juli 1917, MorgenblattS. lf. Conrad Haußmann, Die Schäden des nichtparlamentarischen Regierungssystems, Aufsatzfragment vom Januar 1917, aus dem Nachlaß zitiert bei Franz, Das Problem der konstitutionellen Parlamentarisierung, 1977, S. 135.
16
17
Conrad Haußmann, Rede vom 22. Juni 1917 auf der 177. Sitzung der 2. Kammer Württemberg, Spalte 4442f., zitiert bei Franz, Das Problem der konstitutionellen Parlamentarisierung, 1977, S. 139.
18 19
Rauh, Parlamentarisierung 1977, S. 375. Friedrich Naumann, in seiner Reichstagsrede vom 15. Mai 1917, Stenographische Berichte Bd. 309, S. 3425, vgl. Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 52.
197
Der Reichstag und die politischen Parteien
Regierung" sprach. 20 Sie wurde in Schiffers Partei spätestens am 16. Juni aufgegriffen, als der Vorstand der Landesorganisationen in einer Entschließung meinte, die zweckmäßige Neuordnung des Reichs richte sich auf ein engeres Zusammenwirken von Parlament und Regierung und könne erfolgen, „ohne daß dadurch die Herbeiführung einer Parlamentsherrschaft nach fremdem Muster erstrebt werden soll".21 Im Zentrum war ferner von der Notwendigkeit eines „vertrauensvollen Zusammenwirkens" von Regierung und Volk die Rede. 22 Das wurde als deutsche Form des Parlamentarismus bezeichnet, womit eine im Verhältnis zu den Westmächten bewußt unvollständige Parlamentarisierung gemeint war. 23 Doch diese Formel konnte auch einfach nur verschleiern, daß sich die Verantwortlichen im unklaren über Inhalt und Bedeutung des Parlamentarismus waren. Naumann gab dies selbstkritisch öffentlich zu. Nachdem am 3. und 4. Mai 1917 verschiedene Entwürfe zur Verfassungsänderung seitens der Linksliberalen, des Zentrums und der Nationalliberalen eingegangen waren, 24 die bis zum 8. Mai beraten wurden, ging Naumann in seiner oben genannten Rede vor dem Reichstag am 15. Mai auf die von ihm selbst so bezeichnete Enttäuschung über die Arbeit des Verfassungsausschusses ein. Er entschuldigte ihn mit der Kompliziertheit der Mechanismen von Verwaltung und Staatsverfassung: man habe noch keine Vorstellung, an wie vielen Stellen eine Änderung vorgenommen werden müßte, um größere Verschiebungen ins Werk zu setzen. 25 Am 3. Juli nahm der Verfassungsausschuß seine Arbeit wieder auf, um mit Eröffnung der Session des Reichstages zu einem Kompromiß zu kommen. Das Wahlrecht stand dabei im Mittelpunkt der Debatten. Am 5. Juli schien ein Kompromiß tatsächlich erreicht, der von der „vollständigen Gleichberechtigung in allen Bundesstaaten" sprach. 26 Aber schon einen Tag später wurde klar, daß die SPD darunter das gleiche Wahlrecht verstand, das die Nationalliberalen mit dem Zusatz einer Altersstimme aber wieder abschwächen wollten, woraufhin man sich ergebnislos vertagte. Über die Formel der Wünschbarkeit einer „engeren Fühlungnahme zwischen Regierung und Volksvertretung" schien man nicht hinaus zu kommen. Eine Rolle in der nur wenig ausgeprägten Reformbereitschaft mochte freilich auch spielen, daß jede wesentliche Veränderung des Wahlsystems gravierende Fol-
20
Schiffer in einer Notiz vom 24. April 1917, aus dem Nachlaß zitiert von Grosser, lismus, 1970, S. 117.
21 22 23
Nach Rauh, Parlamentarisierung 1977, S. 395. Timborn in einer Rede vom 29. November 1917 im Reichstag. Grosser, Konstitutionalismus, 1970, S. 145, 163, 207f.; Vgl. dagegen Rauh, Parlamentarisierung 1977, S. 397f., der die Forderung nach einer solchen Fühlungnahme fur eine ausreichende Interpretation des Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit erachtet. Für Rauh standen die Politiker in voller Kenntnis der politischen Theorie, sahen sich aber durch objektive Sachzwänge an einer forcierteren Parlamentarisierung gehindert S. 402f., wobei Rauh unter Sachzwängen allgemein die Existenz des Kaisers und seiner Prärogativen und die föderale Struktur des Reichs versteht. Hier war es aber gerade die Erfahrung des Krieges, die die letzten föderalen Wirkungen beseitigte, die Zweitrangigkeit des Bundesrates und die Unselbständigkeit der Länder im Verhältnis zum Vorrang der Reichsleitung als notwendig und überzeugend erwies.
24
Schiller, Die Einfiihrung des parlamentarischen
25 26
Stenograph. Berichte Bd. 310, S. 3425. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform,
Regierungssystems, 1964, S. 87.
Konstitutiona-
1924, S. 3 2 2 - 3 2 6 .
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
gen für das jeweilige politische Gewicht hatte. Das Berliner Tageblatt hatte zum Beispiel die Vertretung der Parteien im Parlament bei Einfuhrung des Verhältniswahlrechtes berechnet und kam dabei zu einem verheerenden Ausblick für das Zentrum. Denn neben deutlichen Verlusten etwa für die Konservativen, deutlichen Gewinnen für die Nationalliberalen und klaren Vorteilen für die Sozialdemokratie würde nach dieser Berechnung das Zentrum am deutlichsten verlieren, nämlich von 97 auf 34 Sitze zurückfallen. 27 Die fortschrittliche Presse verfolgte die Vorgänge schon bald ernüchtert. Die mit dem Verfassungsausschuß verbundenen Hoffnungen und Erwartungen schien dieser gar nicht zu begreifen. Wie schon Thimme an anderer Stelle geäußert hatte, so war auch das „Berliner Tageblatt" der Auffassung, daß der Verfassungsausschuß im Zusammenhang mit der Osterbotschaft Wilhelms II. freie Hand haben müsse bei den Beratungen über die Neugestaltung der Verfassung. 28 Bereits am 27. Juni hatten zeitgleich der Vorwärts und das Berliner Tageblatt vom Verfassungsausschuß den Beschluß zur Ausweitung des Reichstagswahlrechts auf alle Länder gefordert. 29 Am Abend vor Ausbruch der Julikrise resümierte das Berliner Tageblatt Tätigkeit und Ergebnis der Arbeit des Verfassungsausschusses mit der bitteren Bemerkung, der Reichstag habe offensichtlich nicht genug Willenskraft zur Durchsetzung des parlamentarischen Systems, in welcher Gestalt auch immer. 30 Die Trägheit des Verfassungsausschusses kontrastierte mit der Entwicklung der tagespolitischen Diskussionen. 31 Die Stockholmer Konferenz der europäischen Sozialisten hatte den deutschen Sozialdemokraten gezeigt, wie weit man selbst auf dieser Ebene von einer Einigung der kriegführenden Staaten entfernt war. Daraufhin machte im Juni die sozialdemokratische Führung in Besprechungen mit der Regierung deutlich, daß die moralische Wirkung der Osterbotschaft angesichts des anhaltenden Widerstandes gegen die Neuorientierung verflog, das Vertrauen der Bevölkerung gesunken sei und daher nun klare Schritte der Demokratisierung erforderlich seien.
27 28 29
Erich Dembrowski, Das Verhältniswahlrecht - Einwirkungen auf die Parteiengliederung, Berliner Tageblatt Nr. 240 vom 12. Mai 1917, Morgenblatt S. 1. Tageblatt Nr. 234 vom 9. Mai 1917, Morgenblatt S. 1 f. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 85.
30 31
Tageblatt Nr. 338 vom 5. Juli 1917, Abendblatt S. 3. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 83f.
in:
Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
2.
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Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
Ausbruch und Verlauf der Julikrise 191732 gaben den Zeitgenossen einen Probierstein an die Hand für die Frage, ob die politischen Parteien sich überhaupt zur Regierungsübernahme willens und fähig zeigten. Am 6. Juli vormittags trug Müller-Meiningen in seiner Rede vor dem Plenum des Reichstages die Ergebnisse des Verfassungsausschusses vor, die dann in einer Resolution vom 12. Juli auch vom Reichstag angenommen wurden: Erhöhung der Anzahl der Abgeordneten in den großen Wahlbezirken, wo auch das Verhältniswahlrecht eingeführt werden sollte. Dieser Vertreter des rechten Flügels der FVP erklärte ausdrücklich noch einmal, daß man Überlegungen zu Rechten und Freiheiten ablehne, „die uns die Gnade unserer auswärtigen Feinde verleihen möchte". 33 Damit aber traf Müller-Meiningen nicht den Nerv der Diskussion zu diesem Zeitpunkt. Die Arbeit des Verfassungsausschusses konnte wie gezeigt bei weitem nicht die Erwartungen sowohl der Öffentlichkeit wie vieler Politiker erfüllen. Das Ergebnis des Verfassungsausschusses wurde nicht als eine angemessene Antwort auf die drängenden Probleme verstanden, die mit zunehmender Einsicht in die völlig überschätzten Wirkungen des U-Boot-Krieges, mit dem sich so viele maßlos geschürte Hoffnungen verbunden hatten, noch mehr anwuchsen. Daher hatte sich bereits zuvor die Aufmerksamkeit vom Verfassungsausschuß weg bewegt und zur Tätigkeit des Hauptausschusses verlagert. Dort war die Session des Reichstages bereits mit der vorbereitenden Sitzung des Hauptausschusses am 3. Juli eröffnet worden. Nach Einlassungen verschiedener Staatssekretäre (Capelle für die Marine, Zimmermann für das Äußere, von Stein für das preußische Kriegsministerium) brachte Friedrich Ebert für die Sozialdemokraten die drängenden, von den Fachbeamten aber unerörtert gelassenen Probleme zur Sprache. Nach der Stockholmer Konferenz im Juni 1917 und den anschließenden parteiinternen Beratungen sowie den hieran anschließenden Konferenzen mit Regierungsmitgliedern hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, daß sofortige Reformen unausweichlich waren. Ebert faßte für seine Fraktion wie für viele andere Abgeordnete in einer sehr sachlichen, dennoch geschliffenen und pointierten Rede die augenblicklichen Sorgen zusammen. 34 Die enttäuschten Erwartungen bezüglich des U-BootKrieges hätten dazu geführt, daß die Bevölkerung alles Vertrauen in die Kompetenz der Regierung verloren hätte, innere Reformen noch währen des Krieges seien zur Wiederherstellung dieses Vertrauens dringend erforderlich und bloße Deklarationen wie die Osterbotschaft des preußischen Königs nicht mehr ausreichend. Die Reformanstrengungen in England wiesen nach Ebert auf die Möglichkeit einer ganz anderen Gangart hin,
32 33 34
Bermbach, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung, 1967, S. 54-62 und Ribhegge, Frieden für Europa, 1988, S. 171-200. Müller-Meiningen, Rede auf der 112. Sitzung des Reichstages, Stenographische Berichte Bd. 310, S. 3507ff. Ebert im Hauptausschuß vom 6. Juli 1917, Schiffers, Hauptausschuß, 1983, S. 1483ff.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
wobei die überragende Bedeutung Preußens die Frage seines Wahlrechts zur Angelegenheit des Reichs macht und daher nicht als innere Angelegenheit des Landes Preußen behandelt werden dürfe. Ebert verwies an dieser Stelle auf die Erklärung „meist konservativer Gelehrter", mit welcher er ohne Zweifel die Delbrück-Erklärung vom 1. Juli meinte.35 Über sie hinausgehend verlangte Ebert die „politische Gleichberechtigung" und sagte schließlich: „Die demokratische Reform im Innern Deutschlands sei eine Voraussetzung sowohl für die innere Festigkeit des Volkes wie auch für die Stärkung nach außen hin".36 Payer schloß sich für die Linksliberalen den Überlegungen Eberts an und verlangte u. a. noch die Aufhebung der Präventivzensur, die nach Max Webers Artikeln über die Frankfurter Zeitung verhängt worden war, mit dem Argument, daß die Zensur keine Befähigung besitze, über staatsorganisatorische Meinungen zu befinden.37 Erzberger argumentierte in eine mit Ebert vergleichbare Richtung. Sachlich vorgetragen und mit der Bestimmtheit von Personen, die von der Richtigkeit ihrer Befürchtungen überzeugt waren und sich auch nicht mehr durch die Behauptung des Informationsvorsprunges der Regierung beirren ließen, wurde der Widerstand der Parlamentarier spürbar. Nach zwischenparteilichen Konsultationen versammelten sich schließlich auf Anregung Friedrich Naumanns vom 5. Juli die Fraktionsführer am Folgetag zur Vorbereitung der Reichstagssitzungen und vereinbarten die Bildung des sog. Interfraktionelle Ausschusses.38 Es kam zwar zur Friedensresolution vom 19.7.1917. Der springende Punkt aber war die Regierungsbildung, die erst sicherstellen konnte, daß die Resolution zum Programm des Regierungshandelns wurde. Über die Voraussetzungen einer erfolgreichen Resolution waren sich die beteiligten Akteure uneins. Die Uneinheitlichkeit der Reformparteien kommt schon in der Zusammensetzung ihrer Delegationen fur den IFA zum Ausdruck. Für die Linksliberalen ζ. B. wurden jeweils zwei Vertreter des rechten (Payer und Müller-Meiningen) und linken Flügel (Haußmann und Gothein) entsandt, die in der Frage der Parlamentarisierung wie in der Frage der Annexionen konträr zueinander standen.39 Wie sollte es ohne die Disziplinierung der Parteiflügel durch die Regierungsverantwortung es überhaupt zu einer gemeinsamen Handlungsweise kommen können? Am 6. Juli erfolgte schließlich der „Vorstoß des Abgeordneten Erzberger gegen das Regierungssystem".40 Matthias Erzberger, der jahrelang annexionistische Maximalforderungen gestellt hatte und daher als Falke galt, zugleich aber auch als hervorragender Kenner der regierungsamtlich geheim gehaltenen Situation bekannt war, zeichnete im Hauptausschuß ein düsteres Bild der Kriegslage und verlangte einen Friedensschluß auf der Grundlage des status quo. Man solle die 25 000 Alldeutschen ruhig verrückt werden lassen, meinte Erzberger ironisch, für sie Sanatorien bauen zu lassen sei viel billiger als 35 36 37 38 39 40
Sie konnte von den Herausgebern der Sitzungsprotokolle des Hauptausschusses seinerzeit noch nicht identifiziert werden: vgl. dort Schiffers, Hauptausschuß, 1983, Anm. 37. Schiffers, Hauptausschuß, 1983, 163. Sitzung vom 3. Juli, S. 1491. Die Protokolle geben die Äußerungen in indirekter Rede wieder. Schiffers, Hauptausschuß, 1983, S. 1493. Kriegsminister von Stein berichtete am 4. Juli dem Hauptausschuß, die Aufhebung der Zensur verfügt zu haben: ebda., S. 1505. Haußmann, Durchsetzung des parlamentarischen Systems, 1927, S. 56. Bermbach, Vorformen parlamentarischer Kabinettsbildung, 1967, S. 69. Wie das Tageblatt im Abendblatt des Folgetages titelte: Nr. 342.
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Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
den Krieg ein Jahr fortzuführen. „Gewiß könne Deutschland keinen Unterwerfungsfrieden abschließen, der sein Volk ruiniert, aber unerbittlich und kalt müßten auch aus den gegebenen Verhältnissen mit dem Verstände die politischen Konsequenzen gezogen werden, auch für die ganze innere Politik, sowohl in der Wahlrechtsfrage wie in der Frage der engeren Fühlungnahme zwischen Regierung und Parlament. Nie dürfe unser Volk dem Reichstag das grausame Wort entgegenschleudern: ,Zu spät'!"41 Diese Rede brachte in der Sache wenig Neuigkeiten, aber sie wagte sich mit einer vorher unbekannten ungeschminkten Drastigkeit hervor, die sensationell wirkte. Ihre Wirkung war so groß und die Unfähigkeit der Regierungsvertreter, dieser Wirkung entgegenzutreten so augenscheinlich, daß Bethmann selber in die Bresche springen mußte und auf der Sitzung des Hauptausschusses am Folgetag redete. Nach dem Bericht der Frankfurter Zeitung mußte man den größten Sitzungsaal wählen, der gleich frühmorgens um 9 Uhr überfüllt war mit Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, es mochten 300 Personen sein.42 Alle politische Aufmerksamkeit war voller Spannung auf das Parlament gerichtet. Die Parlamentarier ließen sich in dieser Sitzung auch nicht vom herbeigeeilten Kanzler beruhigen. Umfängliche Diskussionen wurden entfacht und eine lange angestaute Unzufriedenheit brach sich Bahn. Die ungewöhnliche Klarheit des Erzbergerschen Vorstoßes und ihre Aufnahme bei den Parlamentariern blendete für einen Augenblick sogar einen so erfahrenen und bis dahin äußerst skeptischen politischen Beobachter wie Theodor Wolff. „Es sieht so aus, als marschiere die Reichstagsmehrheit hinter Erzberger entschlossen auf Verständigungsfrieden, ohne Annexion, und auf Parlamentarisierung los, und als sei alles im Wanken".43 In einer Parallelaktion wurde die Frage der gemeinschaftlichen Friedensresolution erörtert, wie sie am 12. Juli in einem Sonderausschuß des Interfraktionellen Ausschusses beschlossen und am 19. Juli auch vom Reichstag mehrheitlich angenommen wurde. Doch die Frage des Textes der Friedensresolution stand bereits im Zeichen machtstrategischen Kalküls. Die Nationalliberalen wollten einen Kompromiß mit den Vorstellungen Bethmanns vermeiden, da es ihnen im wesentlichen um den Sturz des Kanzlers ging. Innenpolitisch erwirkte Bethmann jedoch gleichzeitig und unabhängig von den politischen Parteien, vor allen Dingen aber auch ohne deren Konsultation einen Beschluß des Kronrates, der die Einführung des demokratischen Wahlrechts für Preußen beinhaltete und die Reform noch während des Kriegs vorsah. Dieser Beschluß wurde im Julierlaß des preußischen Königs am 12. Juli mit Datum vom 11. Juli veröffentlicht. Noch am Tage der Publikation wurde er in der konservativen Presse vernichtend kommentiert.44 Gleichwohl mochte Bethmann aber die Hoffnung haben, wenigstens die Unterstützung der Reformparteien wieder zu gewinnen. In dieser Situation erwies sich aber die Unklarheit der Wege politischer Willensbildung im Gewirr der überschneidenden Kompetenzen
41
Schiffers, Hauptausschuß, 1983, S. 1529. Zu Erzbergers Motiven vgl. Epstein, Matthias ger, Berlin 1962, S. 2 0 4 - 2 1 5 und Ribhegge, Frieden für Europa, 1988, S. 121-136.
42
Frankfurter Zeitung Nr. 186 vom 8. Juli 1917, Morgenblatt S. 1, vgl. Schiffers, 1983, Einl. S. XV.
43 44
Theodor Wolff, Tagebücher 1984, Eintragung vom 7. Juli 1917, Bd. 1, S. 510. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 94.
Erzber-
Hauptausschuß,
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
als verheerend. Denn gleichzeitig traten die OHL und der Kronprinz als Akteure auf, empfingen Delegationen der Reichstagsfraktionen, die bis hin zu Eduard David als (unbeauftragten) Vertreter der Sozialdemokratie in einer erstaunlich devoten Haltung verharrten und jegliche Initiative vermissen ließen. Als die OHL den Rücktritt einreichte und die Fraktionsführer mitteilten, sie stützten Bethmann nicht, kam der Kanzler dem Monarchen mit seinem Rücktrittsgesuch zuvor. Insbesondere die Nationalliberalen suchten ihre eigenen Kanäle des Zugangs zum Machthaber zu nutzen. In einem Brief an Valentini, den Chef des Zivilkabinetts des Kaisers, forderten sie den Rücktritt des Kanzlers. In diesem Brief wurde behauptet, der Kanzler fände keinen Rückhalt mehr im Reichstag. Als dieser Brief ruchbar wurde, kommentierte ihn Haußmann gegenüber Schiffer voller Bitternis. Angesichts der früher gezeigten Forcierung einer Parlamentarisierung seitens Stresemanns kam es ihm wie ein Verrat an den gemeinsam verfolgten Prinzipien vor: „Parlamentarisierung verlangen und als Minderheit zu Valentini laufen und eine Kanzlerentfernung hinter der Mehrheit zu verlangen, ist das Unparlamentarischste, was sich denken läßt".45 Was aber wäre denn ein Verhalten gewesen, das dem parlamentarischen Prinzip entsprochen hätte? Der Reichstag schuf das Umfeld, das zum Kanzlersturz führte, ohne eine Vorstellung von einem Gegenkandidaten zu haben, für den Bethmann seinen Posten räumen mußte, um das verloren gegangene Vertrauen wiederzugewinnen. Am gleichen Tag, als Haußmann sich über Stresemanns Verständnis von Parlamentarismus mockierte, aß Theodor Wolff mit Albert Ballin, dem Hamburger Reeder und Freund des Kaisers, der stets gut informiert war und Valentinis amüsierte Schilderung dieser Tage wiedergab, wonach ein ununterbrochener Aufmarsch von Leuten bei ihm zu verzeichnen sei, die den Sturz Bethmanns forderten, auf Nachfrage Valentinis aber keinen Ersatzkandidaten benennen konnten. 46 Das war die Achillesferse der Juliaktion des Reichstages: wer sollte an die Stelle Bethmanns treten? Während es also Bethmann gelang, die Julierklärung des Kaisers zustande zu bringen und damit den mehrheitlichen Willen des Parlamentes in innenpolitischen Fragen umzusetzen, intrigierte dieser in Zusammenarbeit mit verschiedenen außerparlamentarischen Faktoren der vielfaltigen nicht-konstitutionellen Nebenregierungen. 47 Die Verwirrung war perfekt. Am Abend des 14. Juli traf Riezler Haußmann und äußerte sich resigniert über den deutschen Konstitutionalismus. Das Parlament halb handelnd, halb benützt, die Verantwortung zersplittert, habe man den Kanzler gestürzt, der einen Tag zuvor die Wahlrechtsreform im Sinne der Fortschrittlichen durchgesetzt habe, ohne jede Sicherung, daß dieses Programm nun durch einen Vertrauten des Parlaments fortgesetzt wer-
45 46 47
Haußmann zu Schiffer am 12. Juli: Haußmann, Schlaglichter, 1924, S. 123. Theodor Wolff, Tagebücher 1984, Eintragung vom 12. Juli, Bd. 1, S. 514. Fritz Härtung, Die Regierung der Kabinette im 1. Weltkrieg (1940), 1972, S. 3 1 1 - 3 2 2 hat die Problematik der fehlenden einheitlichen politischen Regierungskompetenz des Kaiserreichs im Nebeneinander von persönlichem Regiment, Zivilkabinett, Reichsleitung, preußischer Regierung und OHL thematisiert und gemeint, sie sei auch mit den Mitteln der konstitutionellen Monarchie nicht lösbar gewesen.
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Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
de. „Ich habe Ihnen mit dem parlamentarischen System immer widersprochen. Ich bin bekehrt, denn verworrener als jetzt das herrschende System kann es nicht sein". 48 Wie hatte es zum Verstreichen lassen dieser Chance kommen können? Gerade die Linksliberalen waren sich nicht darüber einig, welche verfassungspolitischen Konsequenzen ihr eigenes Vorhaben nach sich ziehen sollte. Conrad Haußmann äußerte sich noch am Gründungstag des IFA besorgt über die nationalliberale Systemrevolutionsstrategie. 49 Payer hob in der ersten Sitzung des IFA hervor, daß dessen Aufgabe die Friedensresolution, nicht die Frage des parlamentarischen Regiments sei. Haußmann wollte langfristig die Parlamentarisierung als die strukturell vorrangige Frage behandelt wissen, fürchtete freilich deren taktische Ausbeutung seitens der Nationalliberalen, während Payer diese Frage als nachrangig im Verhältnis zur Friedensresolution bezeichnete und dilatorisch behandelt wissen wollte. 50 Payer räsonierte im Reichstag am 19. Juli 1917 über die Unklarheiten und die Vieldeutigkeit des Begriffs „Parlamentarismus". 51 Die Forderung nach Parlamentarisierung erschien ihm ebenso doktrinär wie die nach Erhalt des Obrigkeitsstaates. Während Haußmann als Grundlage des Mehrheitsprogramms auch die Parlamentarisierung ansah, 52 zumal seiner Darstellung nach Ludendorff selber im persönlichen Gespräch eine solche Wandlung angeregt hatte, wenn auch in einer „deutschen Form", 53 gelang es Payer diese Frage auszuklammern und er schätzte sich glücklich, einen Weg zu ihrer Vertagung gefunden zu haben, nämlich die Schaffung eines Kriegsrates an Stelle der Parlamentarisierung. 54 Doch diese institutionellen Geplänkel überdeckten nur die viel tiefer reichende Sorge der Linksliberalen: ihnen wurde bewußt, wie sehr ihnen das Personal fehlte, die mögliche politische Initiative auch in konstruktive Politik umzusetzen. Haußmann notierte, daß mangels hierzu geeigneter Menschen es dem Reichstag an der Befähigung ermangelte, seinen vage angedeuteten Herrschaftsanspruch zu erfüllen. In einem Brief vom 8. Juli 1917 schrieb Haußmann seinem Sohn Robert: „Der Reichstag fängt an, zum allerersten mal Politik zu machen. Er tut es für deutsche Verhältnisse kräftig, für die Weltverhältnisse zu zahm". 55 Haußmann hatte bereits am 14. April 1917 an Theodor Wolff geschrieben, daß das größte Erschwernis für die gemeinsam erstrebte Parlamentarisierung der Mangel an Parlamentarier sei, die zum parlamentarischen Regime erzogen sind. 56 Ähnlich äußerte sich Payer am 12. Juli 1917 zu der zunächst Hoffnungen machenden Entwicklung in der Kanzlerkrisis: was es denn
48 49
Riezlers Äußerung findet sich bei Haußmann: Haußmann, Schlaglichter, 1924, S. 130. Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, 6. Juli 1917, S. 7 Dok la; 7. Juli 1917, Bd. 1, S. 14 Dok 3a.
50
Matthias/ Morsey, Interfraktionelle
51 52
Sten. Berichte, Bd. 309, S. 3582, vgl. Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 49. Tagebuchnotiz vom 6. Juli 1917, aus dem Nachlaß bei Franz, Das Problem der Parlamentarisierung, 1977, S. 142 zitiert.
53 54
Haußmann, Schlaglichter, 1924, S. 106, 109. Nachlaß Payer, Brief an seine Frau vom 1. Juli 1917, am 11. Juli im IFA vorgeschlagen; zu diesen Auseinandersetzungen und den inhaltlichen Differenzen innerhalb des Linksliberalismus vgl. Franz, Das Problem der konstitutionellen Parlamentarisierung, 1977, S. 140f.
55 56
Haußmann, Politische Arbeit, 1923, S. 174, vgl. Haußmann, Schlaglichter, Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, Bd. 1, S. XIX.
Ausschuß
1959, 9. Juli 1917, S. 24 Dok 5a. konstitutionellen
1924, S. 240.
204
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
fur eine parlamentarische Mehrheit sei, die sich nur in einer Frage, in der Frage der Friedensresolution zusammenfinde. 57 Er äußerte, daß allen Parlamentariern „sogar der Gedanke, in Person oder durch Parteifreunde auf dem Weg des Eintritts in die Regierung fur sich und die Partei die Verantwortung übernehmen zu sollen, nichts weniger als sympathisch" war. 58 Immerhin schien aber wenigstens die Friedensresolution eine klare politische Mehrheitsentscheidung zu sein, auf deren Grundlage man die Regierung verpflichten und man innerhalb des Reichstages eine solide Koalition fortentwickeln konnte. Payer hatte bereits am 9. Juli im Interfraktionellen Ausschuß geäußert, daß dem Volke die Frage der Parlamentarisierung „wurscht" sei, es wolle alleine den Frieden. Diese Bemerkung fand viel Zuspruch. Aber war fur die Umsetzung dieses Friedenswunsches eine Resolution tatsächlich ausreichend, war nicht vielmehr ein Regierungsprogramm gefordert? Der Appell des Parlamentes mußte in dem Moment wirkungslos verhallen, als die Frage unbeantwortet blieb, wer diesen Mehrheitswillen des Parlaments zur Maxime seines Handelns erheben sollte. Auch der IFA war nie bis zu dem Punkt durchgedrungen, wer an Stelle Bethmanns Kanzler werden sollte. Vielleicht hatte Erzberger im Bunde mit den modernisierungswilligen Teilen der Nationalliberalen geplant, an Bethmanns Stelle Fürst Bülow zu plazieren, was Bethmann in seinen Memoiren selber mutmaßte, um die Hinterlistigkeit des Erzberger-Vorstosses aufzuzeigen. Diese Spekulationen waren nicht unbegründet, denn auf der Grundlage des Kandidaten Bülow konnte Erzberger zumindest partiell eine Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen begründen und auch seine eigenen Reihen, die er mit seinem Vorstoß zunächst überrumpelt hatte, schließen. Immerhin nahm auch Theodor Wolff diese Gerüchte ernst und versuchte die Kanzlerschaft Bülows nach Kräften zu torpedieren. Im Berliner Tageblatt wurden Auszüge aus Bülows Schrift Deutsche Politik abgedruckt, die deutlich seine Ablehnung des Parlamentarismus zeigten. 59 Bülow selber wies in einem späteren Gespräch mit Wolff auf die Wirkung dieses Abdrucks zu diesem Zeitpunkt und Wolffs übrigen Hintertreiben hin.60 Auch ohne diese Vorgänge mußte ein Kandidat Bülow auf Wilhelm II., der ihn seit der DailyTelegraph-Affäre grundsätzlich ablehnte, wie eine Provokation wirken, und schließlich war er es, der den neuen Kanzler zu ernennen hatte, wenn nicht das Parlament aus eigener Legitimität, nicht de jure, aber de facto einen eigenen Kandidaten durchzusetzen verstand. Aber der Reichstag konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen, es scheint sogar, daß nur den wenigsten die Möglichkeit in den Sinn kam, diese Frage überhaupt zu erörtern. Für Theodor Wolff gehörte die Unfähigkeit der Präsentierung eines ministeriablen Kandidaten, der auf der Grundlage des Vertrauens des Reichstages die Politik an sich reißen konnte, zu den eigentlichen Versäumnissen des Reichstages. Das Berliner Tageblatt hob hervor, daß die Ernennung von Michaelis ohne den mindestens Einfluß der Volksvertretung erfolgt sei.61
57
Matthias/ Morsey, Interfraktionelle
58 59 60 61
Zitiert nach Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 55. Berliner Tageblatt Nr. 354 vom 14. Juli 1917, Morgenblatt S. 2. Theodor Wolff, Tagebücher 1984, Eintragung vom 18. September 1917, Bd. 1, S. 543. Berliner Tageblatt Nr. 355 vom 14. Juli Abendblatt.
Ausschuß
1959, Bd. 1, S. 59.
Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
205
Als der Kaiser Georg Michaelis zum Kanzler ernannte, ohne jede Konsultation des Reichstages, hatte er einen typischen Repräsentanten der herkömmlichen Beamtenlaufbahn ausgewählt, der sich gegenüber allen Parlamentarisierungs- und Demokratisierungsbestrebungen viel resistenter zeigte als sein Vorgänger. Michaelis war der Inbegriff des politischen Beamten, der sich gegen jede Einmischung der Legislative in die Regierungstätigkeit unaufgeschlossen zeigte. Daher verlor die Friedensresolution jegliche politische Überzeugungskraft bereits in dem Augenblick, da Michaelis es geschickt verstand, sich von ihrem Einfluß zu lösen. Michaelis stellte sich in seiner Rede vor dem Reichstag deklaratorisch auf die Seite des Parlamentes, nicht aber auf der Grundlage der Friedensresolution, die er behandelt wissen wollte, „wie ich sie auffasse". 62 Damit aber ging der Resolution jegliches außenpolitisches Gewicht verloren, da nach außen der Stellenwert einer Meinungsäußerung des Reichstages ganz unklar war: wer hatte hier fur wen gesprochen? In welchem Umfang war die Regierungspolitik auf die Friedensresolution verpflichtet? Jetzt mußte klar werden, daß nicht der Kompromiß auf einen beliebigen Text, sondern die Stellung des Textes als verbindliches Programm der Regierungspolitik der Angelpunkt war für den Einfluß des Parlamentes. Die parlamentarische Mehrheit fand sich nur in dem Punkt der Friedensresolution zusammen, nicht aber in der Aufstellung eines Programms, das den dauerhaften Einfluß des Reichstages und die andauernde Kontrolle seines mehrheitlichen Friedenswunsches sicherstellte. Mit umsichtiger Kritik erläuterte Delbrück das baldige Verpuffen der Friedensresolution des Reichstages, mit der doch so große Hoffnungen verbunden worden waren. Voller Bitterkeit stellte Delbrück den Zusammenhang her zwischen der rein nominellen Friedensresolution und ihrem mangelnden politischen Gewicht, da sie von einer Institution ausgesprochen wurde, die ohne alle politische Verantwortung war. 63 Welcher friedenswillige Alliierte sollte auch das Risiko eingehen wollen, auf eine Karte zu setzen, deren Stichhaltigkeit gar nicht feststand, da die Autoren der Resolution sich um die Schaffung der Voraussetzungen ihrer Durchsetzung nicht bemühten? Viele Beobachter mußte das Ringen um die Friedensresolution an die verlorene Liebesmüh des Frankfurter Paulskirchenparlamentes erinnern, die honorig um die beste Verfassung gestritten hatten, ohne zu bedenken, von welchen Faktoren die Verwirklichung der Verfassung abhing. Hatten also die grundsätzlichen Kritiker des Parlamentarismus doch recht gehabt, von vornherein kein Vertrauen in die politischen Parteien zu setzen und daher einen Verfassungsrahmen abzulehnen, dessen Lebenswirklichkeit von der Lebendigkeit seiner wesentlichen Kräfte abhing? Rechtfertigte der Mangel an Regierungskandidaten aus den Reihen der politischen Parteien nicht nachträglich deren Ausschluß aus dem Kreis der
62
Rede im Reichstag am 19. Juli, vgl. Ullrich, Die nervöse Großmacht, 1997, S. 528. Die Absicht von Michaelis, sich in seiner Außenpolitik gänzlich von dem Einfuß des Reichstages zu entkoppeln geht aus einem Brief an den Kronprinzen vom 25. Juli 1917 hervor: vgl. Fischer, Griff nach der Weltmacht, 1977, S. 344.
63
Das Berliner Tageblatt berichtete von Delbrücks Artikel Reichskanzler und Reichstag in ihrer Nummer 4 3 7 vom 28. August 1917, Morgenblatt S. 3 aus dem gerade erschienen September-Heft der Preußischen Jahrbücher 169 (Juli-September 1917), S. 469ff.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
politischen Faktoren, die auf die Regierungsbildung maßgeblichen Einfluß nehmen sollten? Der erste ernsthafte Test einer „engeren Fühlungnahme zwischen Regierung und Volk", vermittelt durch eine „engere Fühlungnahme zwischen Parlament und Reichsleitung" oder eines „vertrauensvollen Zusammenwirkens" von Regierung und Volk war gescheitert. Die kurzzeitig gewonnene Entschlußkraft des Parlaments litt unter den ganz unklaren Vorstellungen der Parteipolitiker, was sie unter Reformen während des Krieges verstanden. Im Augenblick der Ergreifung der Initiative wurde spürbar, was man bislang versäumt hatte: Ohne die gedankliche Klärung des vertretenen innenpolitischen Zieles konnte es nicht zu konstruktiver politischer Handlung kommen. Die Unklarheit bezog sich auf die prinzipielle Vorstellung einer Institutionalisierung politischer Willensbildung. Die reformerischen Bemühungen galten eher einer organischen Fortentwicklung des konstitutionellen Systems, deren Zielhorizont sich alleine an der diffusen Formel einer „engeren Fühlungnahme" orientierte. Zwar gaben die unklaren Mehrheitsverhältnisse und die taktischen Rücksichtnahmen nicht nur auf andere Parteien, sondern auch auf die verschiedenen Flügel der je eigenen Partei, genug Anlaß, Fragen nach politischen Prinzipien und Ordnungsvorstellungen als abstrakte und rein theoretische Überlegungen zu vernachlässigen. Doch wie wollten sich die Parteien und das Parlament Orientierung verschaffen, wenn sie immer nur von Mal zu Mal auf Ereignisse reagierten und sich überfordert zeigten, als man plötzlich selber in die Lage geriet, die Ereignisse zu steuern? Das Beharren auf unklaren Formulierungen wie derjenigen von der „engeren Fühlungnahme" war Ausdruck der Unsicherheit und der mangelnden Entschlußkraft. Mit dem Regierungswechsel zu Hertling Anfang November 1917 schien sich die Lage endlich auch in Deutschland zugunsten des Parlamentarismus zu verschieben. Michaelis war informell das Vertrauen entzogen worden, der Abgeordnete des Fortschritts Payer trat nicht nur in die Regierung ein, sondern es wurde für ihn das neue Amt des Vizekanzlers geschaffen. Sogleich wurden wieder hoffnungsfroh Spekulationen laut, daß mit diesen Maßnahmen endlich ein wirksamer Weg in die weitere Parlamentarisierung gefunden worden sein könnte. Das Vizekanzleramt wurde optimistisch als Sprungbrett einer eigenständigen Entwicklung zum parlamentarischen Regierungssystem debattiert. 64 Das Zustandekommen der Kanzlerschaft Hertlings erfüllte ζ. B. Meinecke wieder mit der Hoffnung, „endlich die lang gesuchte, eigenartig deutsche Form eines freien, Volkswillen und Regierungswillen vereinigenden Verfassungslebens gefunden" zu haben. 65 Aber Hertling war kein Kandidat des Reichstages gewesen und es gelang den lose zusammengefugten Mehrheitsparteien auch nicht, ihre Regierungsbeteiligung zu verstetigen oder zu effektivieren. Der Krypto-Parlamentarismus vermochte es zwar, Parlamentarier in die Regierung zu entsenden und sogar eigene Regierungsinstitutionen zu schaffen wie die Vizekanzlerschaft Payers, die dieser aber krankheitshalber erst Anfang 1918
64
Bernhard Dernburg, Der Vizekanzler, genblatt S. lf.
in: Berliner Tageblatt Nr. 515 vom 9. Oktober 1917, Mor-
65
Friedrich Meinecke, Die Lösung, in: ders., Politische Friedrich Meinecke, 1995, S. 292.
Schriften,
1958, S. 212. Vgl. Meineke,
Die Julikrise und der parlamentarische Machtwille
207
antreten konnte. 66 Aber ein inhaltlicher Einfluß auf die Regierungspolitik erfolgte daraus noch bei weitem nicht. Alle mit der Regierung Hertling verbundenen Hoffnungen erwiesen sich schließlich als trügerisch, als gegen alle Erwartungen die angekündigte Wahlrechtsreform in Preußen erneut verschleppt wurde. Der von der preußischen Regierung eingebrachte Gesetzesentwurf wurde am 5. Dezember 1917 in erster Lesung behandelt und am Tag darauf überraschend abgelehnt. Trotz einer regelrechten Kampagne der Reichstagsfraktion der Nationalliberalen Partei durch Stresemann und Friedberg für die Wahlrechtsreform kam es zu einer Zusammenarbeit der Landtagsfraktionen von Nationalliberalen und Zentrum im Abgeordneten-Haus, die mit den Konservativen die Reform torpedierten. Trotz mehrheitlicher Zustimmung für das gleiche Wahlrecht im gewerkschaftlich orientierten Flügel des Zentrums favorisierten Fraktion und Parteiführung immer wieder pluralwahlrechtliche Modelle zwecks Sicherung des konservativen Elements als Gegengewicht zum befürchteten demokratischen Radikalismus und als Gegengabe für den vom Obrigkeitsstaat erhofften Schutz der Kirche. 67 Katholische Bischöfe sprachen sich noch im September 1918 gegen die Wahlreform aus.68 Die Obstruktion der Zentrumsfraktion im preußischen Landtag empörte die Zentrumsbasis, die immer weniger durch den Primat der Kirche und immer deutlicher durch die Erfahrung der gewerkschaftlichen Tätigkeit im und am Staat geprägt wurde. 69 Diese Vorgänge zeigten erneut, daß es den Reichstag nicht gelang, in struktureller oder auch nur punktueller Hinsicht entscheidendes Gewicht zu erringen, die politische Willensbildung konkret zu beeinflussen oder auch nur das vermeintliche Regierungsprogramm, auf das sich Hertling verpflichtet hatte, zu verwirklichen (mit Ausnahme einiger kleinerer Reformen wie der Gewerbeordnung). Das Parlament war nicht imstande war, zum eigenen Autoren der Parlamentarisierung zu werden. 70 Der mißglückte Versuch, einen Vertreter des Interfraktionellen Ausschusses nach Brest-Litowsk zu den Friedensverhandlungen mit den Bolschewisten zu entsenden, unterstrich diesen Eindruck. 71 Trotz der oft genug beklagten Umstände des Einflusses von so vielen Faktoren, die überhaupt nicht in der Verfassung vorgesehen waren wie der Hof, insbesondere der Kronprinz, Konsultationen mit der Minderheit und vor allen Dingen die OHL, vermochte es der Reichstag und seine scheinbare Mehrheit nicht, sich mehr Geltung zu verschaffen. Seine halbherzige Einbindung in die Regierung hatte nur den Nachteil, daß nun auch noch die Kritik an der Regierung verstummen mußte. Als Erzberger im Mai 1918 aus der Erfahrung der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk und der Unübersichtlichkeit der Frühjahrsoffensive heraus beantragte, eine Kontrolle des Militärs aus dem Parlament heraus zu institutionalisieren, mußte er den Antrag aufgrund der mangelnden Unterstüt66 67 68 69 70 71
Simon, Die Württembergischen Demokraten, 1969, S. 170, Payer, Von Bethmann bis Eberl, 1923, S. 50ff. Loth, Katholiken im Kaiserreich, 1984, S. 347ff. Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, Bd. 2, S. 560f. Diskussion bei Lepper, Rheinische Katholiken, 1982. Boldt, Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie, 1993, S. 170f. Grosser, Konstitutionalismus, 1970, S. 148 Matthias/ Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, Bd. 1, S. 631, 634; Bd. 2, S. 75, 109f. Vgl. Simon, Die Württembergischen Demokraten, 1969, S. 168.
208
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zung seiner eigenen Fraktion zurückziehen. Als im Juni 1918 der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Richard von Kühlmann darauf hinwies, daß der Krieg mit militärischen Mitteln alleine nicht gewonnen werden konnte, mußte er demissionieren, auch weil er keinerlei Unterstützung im Parlament fand. Das Parlament vermochte es dauerhaft nicht, die politische Initiative zu ergreifen. Selbst der Parlamentarisierungserlaß vom September 1918 ging nicht vom Parlament aus. Seine Legitimität war zutiefst erschüttert. Insofern wird man den Zusammenhang zwischen den Ereignissen des Juli 1917 und der späteren Weimarer Koalition nicht überschätzen dürfen. Im Gegenteil kam es mit der Verarbeitung der Julikrise in der Öffentlichkeit sogar zu einem Rückschlag für die Plausibilität der Parlamentarisierungsforderung. Während die einen sich enttäuscht vom Parlament abwandten, sahen sich die anderen in ihrer fundamentalen Skepsis bestätigt, ob eine Parlamentarisierung Deutschlands angesichts der bestehenden politischen Parteien überhaupt wünschenswert war. Diese Abwendung vom Parlamentarisierungsbestreben erfolgte innerhalb der Mehrheitsparteien. Sowohl innerhalb des Linksliberalismus wie des Zentrums wurden Stimmen laut, die zeigten, wie tief die selbstverschuldete Desavouierung des Parlamentes reichte.
3.
Die Verarbeitung der Julikrise
Bereits Ende Juli 1917 mußte Erzberger konstatieren, daß er zwar die Reichstagsfraktion des Zentrums für seinen Vorstoß hatte gewinnen können, nicht aber die Partei und noch weniger die Basis. Der Reichsausschuß des Zentrums tagte in Frankfurt/M. am 23. und 24. Juli und zwang Erzberger zu einer Korrektur seiner Politik nach außen. Weder die Friedensbemühungen des Papstes noch der Geheimbericht Czernins über den bevorstehenden Zusammenbruch Österreichs vermochte es, die Partei hinter Erzberger zu bringen. Die Kölnische Volkszeitung äußerte sich am heftigsten über die Versuche des Parlamentes, die politische Initiative zu ergreifen und machte dafür die „Berliner Linkspresse" vom Berliner Tageblatt bis zum Vorwärts verantwortlich, die Deutschland mit den zweifelhaften „Segnungen der westeuropäischen Demokratie" bereichern wollten, von denen aber selbst in England und Frankreich „in Wahrheit" keine Spur zu finden sei.72 Statt Demokratisierung durch Parlamentarisierung forderte man eine „vernünftige Demokratisierung" ohne Parlamentarisierung.73 Im September kam es zu deutlichen Bekenntnissen gegen jede Demokratisierung, die als Weg in das „Sklavenjoch des amerikanischen Dollarkönigtums" eingestuft wurde.74
72
Kölnische Volkszeitung Nr. 680 vom 31. August 1917, zitiert bei Illich, Zentrumspresse S. 27.
73
Augsburger Postzeitung Nr. 431 vom 20. September 1917, zitiert bei Illich, Zentrumspresse, 1937, S. 30. Beschluß des Bayrisch-Christlichen Bauernvereins vom 12. September 1917 auf seiner 11. Kriegstagung, zitiert bei Fischer, Griff nach der Weltmacht, 1977, S. 371.
74
1937,
Die Verarbeitung der Julikrise
209
Κ. J. Möndel, ein ansonsten unbekannt gebliebener Autor des rechten Zentrumsflügels, versammelte die im Zentrum weit verbreiteten Vorbehalte gegen eine fortschreitende Parlamentarisierung und Demokratisierung, wie sie Martin Spahn und die Kölner Zeitung, aber auch Hertling75 u. a. vor und während des Krieges zum Ausdruck brachten,76 und beklagte sich über den „Vorstoß eines einzigen geschäftsgewandten Abgeordneten am 6. Juli 1917", der in ein paar Tagen die Fraktion, die Parteipresse und die Organisation auf die Seite der Sozialdemokratie gestellt und zum Verständigungsfrieden „bekehrt" hätte, während gleichzeitig zu konstatieren war: „Die Hundertausende Wähler im Lande mochten knirschen vor Empörung; sie hatten nichts zu sagen!"77 Möndel versuchte Erzbergers publizistisches Eintreten für den Parlamentarismus vor dem Krieg als phrasenhafte Begeisterung für das westliche System zu denunzieren,78 das man angesichts seiner wirklichen Funktionsweise kaum ernsthaft für das deutsche System eintauschen wollen könnte. Gerade Erzbergers Vorstoß vom 6. Juli interpretierte Möndel als Bestätigung seiner Ablehnung des modernen Parlamentarismus. Es regierten seiner Kritik zufolge keineswegs die gewählten Abgeordneten und mithin die Fraktion, sondern diejenigen wenigen, die den Apparat, die Maschine im Griff hatten und schloß sich der zuvor vergleichbar geäußerten Auffassung in der Kölner Zeitung an.79 Bei dieser Argumentation konnte sich Möndel typischerweise auf die umfangreiche demokratiekritische Literatur stützen, d. h. neben Hasbach und Tönnies (S. 71 und 123) auch auf Gustaf Steffen und Valkenier Kips (S. 104 und S. 133). Die dort ausgebreitete Ansicht bezüglich des Parlamentarismus als Herrschaft einer Oligarchie sah Möndel am Beispiel Erzbergers nun auch für Deutschland bestätigt, weshalb er weiteren Parlamentarisierungsbestrebungen energisch entgegentreten wollte. Möndels argumentatives Kunststück bestand nun darin, den Obrigkeitsstaat nicht nur aus dem passiven Schutzbedürfnis der katholischen Minderheit zu preisen, sondern sogar ohne Parlamentarisierung und Demokratisierung für reformfähig zu halten, wenn die Katholiken sich endlich zu jener politischen Mitarbeit am Staate aufraffen könnten, die den Protestanten angesichts ihrer Leistungen und Verdienste auch entsprechende Privilegien vor allen Dingen in den Reihen der Beamtenschaft einbrachte (S. 139ff.). Aufgrund seiner Ablehnung des numerischen Mehrheitsprinzips zog Möndel zur Rechtfertigung
75
Hertling, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, Band II S. 312: „In einem demokratischen Volksstaate wendet sich die große Zahl der Mittelmäßigen sofort eifersüchtig und mißtrauisch gegen jeden, der sich durch irgendeinen ungewohnten Zug vor den übrigen auszeichnet. Der Buchstabe der Verfassung mag der individuellen Betätigung noch so weite Grenzen ziehen, der Zwang der öffentlichen Meinung wird sie in Wirklichkeit in die Schranken dessen einengen, was alle tun" (bei K. J. Möndel, Deutschland auf dem Wege zur Demokratie? 2. Auf. Bonn 1917, S. 16).
76
Die Kölner Volkszeitung hob am 30. Oktober 1917 hervor, Hertling teile seine Aversion gegen den Parlamentarismus mit der großen Mehrheit der Bevölkerung: Illich, Zentrumspresse, 1937, S. 51.
77 78
K. J. Möndel, Deutschland auf dem Wege zur Demokratie? 2. Auf. Bonn 1917, S. 58. Möndel zog hierfür Erzbergers Broschüre Politik und Völkerleben von 1914 heran.
79
Κ .J. Möndel, Deutschland auf dem Wege zur Demokratie? 2. Auf. Bonn 1917, S. 3 8 - 5 1 : Die Herrschaft der Parteiführer unter Rückgriff auf die Kölner Zeitung Nr. 1287 von 1915.
210
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
dieser Privilegierung das Prinzip vom Vorrecht des Tüchtigen heran und ordnete diesem Prinzip seine Reformempfehlungen nach. Möndel empfahl daher an Reformen das Pluralwahlrecht (S. 136) und vor allen Dingen die Beteiligung von Fachleuten aus der Wirtschaft an Aufgaben der Exekutive und sah gerade in letzterem Vorgang während des Weltkrieges die auch für die Friedenszeit bevorzugenswerte Alternative zum parteipolitischen Parlamentarismus (S. 142). Nichtsdestotrotz verlangte Möndel für die Ermöglichung einer größeren Mitarbeit des Volkes am Staate eine verbesserte staatsbürgerliche Erziehung, die zwar einerseits gegen die Phrasen der westlichen Demokratie imprägnieren sollte, andererseits aber überhaupt erst dasjenige politische Bewußtsein entstehen lassen sollte, das er so vorbildhaft in der römischen Republik wie im modernen England am Werke sah (S. 144). Dieser Widerspruch, über dessen Aufklärung er sich keine weiteren Gedanken machte, beherrschte viele andere Autoren, die angesichts des Krieges für Reformen und eine größere Mitarbeit der Bevölkerung am politischen Leben waren, aber hierzu weder Parlamentarisierung noch Demokratisierung und schon gar nicht eine Kombination beider für erwägenswert erachteten. Statt dessen führte die Reaktion auf die Julikrise zum Anwachsen der Zustimmung für ein Pluralwahlrecht erneuerten. 80 Aus den Reihen der Linksliberalen klagten Theodor Heuß und Walter Goetz darüber, daß die Friedensresolution die Position Deutschlands geschwächt und dem Eindruck Vorschub geleistet habe, wonach sie als Zeichen der Panik gewertet werden könne. 81 Auf der anderen Seite führte Conrad Haußmann die Verwirrung der Nachjuli-Zeit darauf zurück, daß der Reichstag sich nur mit halbherzigen institutionellen Reformen abspeisen ließ, die allesamt den Sinn hatten, sich vor der Hauptfrage wegzuschleichen, ob nämlich der Reichstag imstande war, selbst die Macht zu übernehmen. Haußmann verwarf nun alle früheren Vorstellungen einer nichtparlamentarischen Demokratisierung. 82 Geradezu verzweifelt suchten Anhänger der Parlamentarisierung in kleinen institutionellen Änderungen nach Anzeichen und neuen Wegen einer verstärkten Mitarbeit des Parlamentes. Noch vor Ausbruch der Julikrise erwog Max Weber die Möglichkeit, aus den neuen Ausschüssen des Reichstags gleich den Grundstein einer völligen Grunderneuerung zu machen und forderte in einem Vortrag vom 8. Juni 1917 in München, den Hauptausschuß als Parlamentskontrolle der Regierung fest zu etablieren, ihn als Auslesestätte zukünftiger Regierungsmitglieder zu begreifen und mit Hilfe eines dauerhaften etablierten Verfassungsausschusses aus dem Reichstag ein Arbeitsparlament zu machen. 83 Die Hoffnungen, die mit dem Verfassungsausschuß verbunden gewesen waren, waren bereits gezeigt worden. Der Verfassungsausschuß spielte in der öffentlichen Diskussion nun keine Rolle mehr. Als aber zur Erwiderung der päpstlichen Friedensnote eine sog. Siebe80 81
Loth, Katholiken im Kaiserreich, 1984, S. 349. So Theodor Heuß, Von Bethmann zu Michaelis, März vom 28. Juli 1917, S. 6 9 3 - 6 9 6 , S. 694 (gegen den linken Flügel um Haußmann und Gothein gerichtet) und noch schärfer in der Wortwahl: Walter Goetz in der Hilfe vom 11. Oktober 1917, S. 628, vgl. Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 35.
82
Conrad Haußmann, Die unparlamentarischen 26. August 1917, Morgenblatt S. lf.
83
Max Weber, Was erwartet das deutsche Volk vom Verfassungsausschuß ges? Rede am 8. Juni 1917 in München, in: MWG 1/15, S. 7 0 8 - 7 1 9 .
,Ersatzmittel
in: Berliner Tageblatt Nr. 434 v o m des deutschen
Reichsta-
Die Verarbeitung der Julikrise
211
ner-Ausschuß gebildet wurde, verbanden sich sogleich Hoffnungen mit diesem Gremium, darin eine greifbare und konkrete Umsetzung der allseits gewünschten „engeren Fühlungnahme" erblicken zu dürfen. Begierig wurden Überlegungen aufgegriffen, Politiker des Linksliberalismus oder des Zentrums in die Regierung aufzunehmen. Am 8. August berichtete das Tageblatt von Bemühungen des Zentrums, es durch eine besondere Gesetzgebung Martin Spahn zu ermöglichen, in die Regierung einzutreten und trotz der dann notwendigen Zugehörigkeit zum Bundesrat Abgeordneter des Reichstages bleiben zu können. Das Berliner Tageblatt begrüßte diese Entwicklung sogleich, würde damit doch die dringend erforderliche Reform des Artikels 9, Satz 2 der Verfassung zur Inkompatibilität von Reichstagsmandat und Bundesratszugehörigkeit entfallen.84 Als sich dieses Vorhaben zerschlug, titelte es: „Das befriedete Zentrum" und kritisierte den fehlenden Machtwillen des Zentrums.85 Das sozialdemokratische Reichstagsmitglied Wolfgang Heine konnte im Berliner Tageblatt kolportieren, Payer sei der Auffassung, seine Partei habe nur wenig Neigung zur Ausübung parlamentarischer Macht, kommentierte er sogleich: „Die Furcht vor dem Machtwillen heißt Kapitulation vor dem Willen der Bürokratie und der Junker".86 Die Kritik am Reichstag spitzte sich auf die Frage des fehlenden Machtwillens der politischen Parteien zu. Nicht politische oder verfassungsrechtliche Bedenken schienen den Ausschlag gegeben zu haben für die Versäumnisse im Juli 1917, sondern das fehlende politische Selbstverständnis. In dieser Situation erfuhr eine staatsrechtliche Meinung um so größere Aufmerksamkeit, die behauptete, mit marginalster verfassungsrechtlicher Änderung die Weichen stellen zu können für eine strukturelle Reform der politischen Ordnung. Das Berliner Tageblatt machte auf diese Möglichkeit aufmerksam, in dem es auf einen Aufsatz des Staatslehrers Gerhard Anschütz aus Heidelberg hinwies, der zum einen die Parlamentarisierung erst bei Bestellung des Reichskanzlers durch den Reichstag als gegeben ansah, hierfür aber nur die Streichung des Satzes 2 des Artikels 9 der Reichsverfassung als verfassungsrechtliche Voraussetzung veranschlagte.87 Anschütz hatte diese Meinung im gerade erschienenen Augustheft der Deutschen Juristenzeitung geäußert, womit er Überlegungen publizierte, die wie schon angesprochen im Frühjahr durch eine Anfrage von Conrad Haußmann angestoßen worden waren. Im Gegensatz zu Delbrück, Thimme und Meinecke zu diesem Zeitpunkt wollte Anschütz Parlamentarisierung und Demokratisierung identisch verwenden, was seinerzeit entweder als unscharfe Begriffsauffassung oder als eine politische Stellungnahme aufgefaßt werden mußte.88 Gleichzeitig jedoch sah Anschütz keine Notwendigkeit, deshalb sogleich den Weg einer parlamentarischen Demokratie zu gehen. Immer noch ging es ihm zunächst nur um die Stärkung der Zentralgewalt, die er wesentlich mit dem Kaisertum in Verbindung brachte,
84
Berliner Tageblatt Nr. 4 0 0 vom 8. August 1917, Morgenblatt S. 3.
85 86
Vgl. Berliner Tageblatt Nr. 405 vom 10. August 1917, Abendausgabe S. 2. Wolfgang Heine, Die nächsten Schritte, in: Tageblatt Nr. 369 vom 22. Juli 1917, Morgenblatt S. lf.
87
Berliner Tageblatt Nr. 386 vom 31. Juli 1917, Abendblatt S. lf.
88
Gerhard Anschütz, Die Parlamentarisierung der Reichsleitung, Nr. 1 5 - 1 6 vom 1. August 1917, Sp. 6 9 7 - 7 0 2 , 698.
in: Deutsche Juristen-Zeitung,
212
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
nun aber nur noch als Spitze des Reiches, wohingegen die föderalen Ansprüche zur Minderung der Reichskompetenzen Gegenstand seiner Kritik waren. Die Parlamentarisierung sollte also nicht dem Parteienregime zugute kommen, wie er die Parteienherrschaft ausdrücklich von dem Parlamentarismus differenzieren wollte, sondern einer einheitlichen Reichsgewalt, die aber letztlich abstrakt blieb. Trotz dieser zurückhaltenden Position erfuhr Anschützens Aufsatz große Resonanz gerade in der linksliberalen Tagespresse, weil hier wenigstens die Parlamentarisierung am Maßstab des entscheidenden Einflusses auf die Kanzlerwahl bewertet wurde und hierfür verfassungsrechtlich nur die Änderung des Art. 9 Satz 2 der Reichsverfassung zur Inkompatibilität der Mandate in Reichstag und Bundesrat für erforderlich angesehen wurde.89 Wenn die erforderlichen rechtlichen Maßnahmen zur Parlamentarisierung des Kaiserreiches wirklich so marginal waren, so wurde nur umso deutlicher, daß nicht die Verfassung der Reform im Wege stand, sondern der fehlende Gestaltungswille der Reformer. In dieser Frage schlössen sich zahlreiche Autoren der Argumentation Anschützens an, u.a. Lujo Brentano.90 In diese Kerbe schlug auch Max Weber im September 1917. Dem Hinweis Anschützens folgend diskutierte Max Weber die Inkompatibilitätsnorm der Reichsverfassung in Artikel 9 Satz 2, die eine gleichzeitige Zugehörigkeit zu Reichstag und Bundesrat ausschloß, als Angelpunkt der Parlamentarisierung aus verfassungsrechtlicher Sicht.91 Zu diesem Zeitpunkt, in einem ersten Versuch der Verarbeitung der Juli-Krise sieht man Weber bei dem Versuch, an verschiedenen losen Enden der institutionellen Entwicklung den Faden erneut aufzunehmen. Erst etwas später wurde sich Weber darüber klar, daß seine Kritik wesentlich tiefer greifen mußte und es erfolgten die beiden großen monographischen Arbeiten des Jahreswechsel 1917/1918, in denen seine institutionelle Argumentation ihren systematischen Höhepunkt in einer eigenständigen Theorie parlamentarischer Demokratie erreichte, wie wir noch sehen werden. Sie war die Reaktion auf die tiefe Enttäuschung über die Unfähigkeit der politischen Parteien, die politische Initiative zu ergreifen. Die Julikrise brachte aber auch grundsätzliche Erörterungen hervor, die die politische Ordnung des Kaiserreichs als Ergebnis einer bestimmten eigenständigen historischen Entwicklung ansehen wollten und daher alle Maßstäbe seiner Bewertung, die man der westlichen Demokratie entnahm, zurückwiesen. Das wichtigste Werk hierzu war die weit rezipierte Schrift Erich Kaufmanns zu Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung vom September 1917.92 Der Staatsrechtslehrer und Völkerrechtler Kaufmann war vor dem
89
90
91 92
Die Parlamentarisierung— ein Vorschlag des Professor Anschiitz, in: Berliner Tageblatt Nr. 386 vom 31. August 1917, Abendausgabe S. lf. Vgl. auch den Bericht in der Frankfurter Zeitung Nr. 214 vom 5. August 1917, 1. Morgenblatt, S. 2. Bereits wenige Tage später wurde Anschützens Argumentation von Lujo Brentano aufgegriffen: Lujo Brentano, Weitere Vorteile einer Parlamentarisierung, in: Berliner Tageblatt Nr. 404 vom 10. August 1917, Morgenblatt S. lf. In Erwiderung einiger seitens der Kölnischen Zeitung geäußerten Einwände gegen seinen ersten Artikel schrieb er einen zweiten Artikel: Lujo Brentano, Die Gegner der Parlamentarisierung, Berliner Tageblatt Nr. 426 vom 22. August 1917, Morgenblatt S. lf. Max Weber, Die Abänderung des Artikel 9 der Reichsverfassung, in: Frankfurter Zeitung vom 8. September 1917. Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Berlin 1917, in: ders., Gesammelte
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213
Krieg mit einer berüchtigten Stellungnahme zum Stellenwert des Krieges in der Staatsund Rechtstheorie hervorgetreten. „Im Krieg offenbart sich der Staat in seinem wahren Wesen, er ist seine höchste Leistung, in dem seine Eigenart zur vollsten Entfaltung kommt." 93 Kaufmann schien also dazu prädestiniert, Wortführer der Kulturkriegsthese zu sein. Aber der zitierte Gedanke eignete sich nicht dazu und Kaufmann verwendete ihn auch nicht weiter. Seiner Intention nach war er gegen theoretische Bestrebungen in der Staatslehre gerichtet, die ihm zu idealisierend zu argumentieren schienen und Tatsachen der staatlichen Wirklichkeit leugneten, auf die er mit diesem drastischen Satz aufmerksam machen wollte. Kaufmann lehnte Rudolf Stammlers soziales Ideal einer Gemeinschaft frei wollender Menschen ab, sofern dieser vermeinte, darin das Wesen des Staates anzutreffen. 94 Ähnliches galt für Bestrebungen, die Kaufmann zufolge politische, insbesondere machtpolitische Probleme aus der staatsrechtlichen Betrachtung zu exkludieren versuchten wie Georg Jellineks berühmter Satz von der „normativen Kraft des Faktischen", gegen den Kaufmann ausdrücklich seine eigenen Auffassung stellte (S. 9 Anm. 1). Kaufmanns Bismarcks Erbe fand selbst bei Max Weber Anerkennung: „Es ist angenehm, sich ausnahmsweise mit einem sachlichen Gegner auseinanderzusetzen". 95 Diese Wertschätzung mochte auch darin begründet sein, daß sich Kaufmann auf die Argumentation von Preuß, Rathenau und Weber aus ihren Veröffentlichungen vor der Julikrise einließ. Im Gegensatz zu ihnen behauptete Kaufmanns das Vorliegen einer aus der spezifisch deutschen historischen Entwicklung resultierenden Politisierung des Bürgertums, die gerade das Beamtentum gewesen sei. Während sich das Bürgertum in England über seine wirtschaftliche Tätigkeit Geltung verschaffte und im Parlament das Forum seiner politischen Mitsprache fand, sei es in Deutschland das Beamtentum gewesen, in das das Bürgertum zwecks politischer Partizipation hineingedrängt wurde. Die Erziehung zum politischen Denken erfolgte demnach unter den besonderen Bedingungen Deutschlands in der staatlichen Sphäre. So betrachtet konnten Bourgeoisie und Gentry keine Vorbilder darstellen, weil sich das deutsche Bürgertum nun einmal nicht über diesen Weg in die politische Partizipation am Staat den Weg gebahnt habe, sondern nur durch die Pforte der Beamtenschaft, die sich wiederum durch ihre Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Interessen profiliert und bewährte hatte (S. 220f.). 96
Schriften, Band I, Göttingen 1960, S. 143-223. Die Broschüre erschien im September 1917 auf dem Buchmarkt: vgl. den Hinweis in MWG 1/15, S. 338. Vgl. hierzu auch Friedrich, Erich Kaufmann, 1987, S. 237f. und Dreier, Ein Staatsrechtslehrer im Zeitalter des Umbruchs, 1998, S. 3 lf. 93
Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sie stantibus, Tübingen, 1911, S. 135. In den Gesammelten Schriften Kaufmanns, die er nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte, wurde diese Arbeit nur in Auszügen abgedruckt und auf verschiedene Bände verteilt.
94
Rudolf Stammler, Recht und Wirtschaft, Berlin 1896, S. 554.
95
Max Weber, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung, Rezension des gleichnamigen Buches von Erich Kaufmann in der Frankfurter Zeitung vom 28. Oktober 1917, in: Gesammelte politische Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 2 4 1 - 2 4 4 , S. 241.
96
Die besondere Affinität des deutschen Bürgertums zur Beamtenschaft war Ausdruck der spezifischen „Staatslastigkeit" des bürgerlichen Selbstverständnis im Kaiserreich, vgl. Kocka, Obrig-
214
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Für die mangelnde Entfaltung politischen Denkens im allgemeinen und des Bedürfnisses nach politischer Selbstbestimmung, also der Demokratie im besonderen, wird regelmäßig der in einer spezifisch deutschen Tradition wurzelnde Begriff des „Staates" verantwortlich gemacht. Es war aber auch nicht nur die Ersetzung einer institutionellen oder analytischen politischen Theorie durch eine letztlich irrationale Staatsidee, die für die intellektuelle und gelehrte Legitimierung des Obrigkeitsstaates verantwortlich gemacht werden kann. Wenn eine lange und hartnäckige, bis in die Weimarer Republik und darüber hinaus wirkmächtige Tradition existierte, die mit dem Verlust der Politik als Gegenstand des aristotelischen Verständnisses von Politikwissenschaft begann und eine entpolitisierte Staatslehre zur Folge hatte 97 und sich zur Staatsideologie steigerte, 98 die vielleicht sogar in einer neuidealistischen „Trinität von Geist, Freiheit und Macht" 99 kulminierte, so versuchte ihr Kaufmann jedenfalls eine entwicklungslogische Erklärung zu geben, die auf die gegnerischen Argumente einzugehen verstand. Denn dieses Modell sollte Kaufmann zufolge erklären, warum die Diagnose Max Webers, wonach dem deutschen Reichstag die Talente fehlen, zwar richtig war, daß aber sein Erklärungsmodell eher die Beamtenregierung rechtfertigt, als sie zu delegitimieren. Trotz dieser bedenkenswerten Erwägungen stand auch Kaufmann ganz im Zeichen der demokratischen Herausforderung vom März 1917. Mit Wilson habe dieser Krieg ein neues Stadium erreicht. In Verbindung mit dem Wegfall des zaristischen Rußland und den Wandlungen in England werde dem deutschen Volk vom Ausland „das Evangelium der demokratischen Freiheit gepredigt" (S. 147). In diesem Vorgang zeigt sich für Kaufmann zugleich, was das wirksamste Kriegsmittel der Gegner sei: ihre Propaganda, die Zwietracht zwischen Regierung und Volk in Deutschland säen will. Kaufmann versucht nun aber keineswegs die deutsche Beamtenregierung als quasi-demokratisch zu bezeichnen oder als den besseren Demokratismus zu fingieren. Er weist einfach den Anspruch der westlichen Demokratie zurück, die überlegenere politische Ordnung darzustellen. Darin folgt Kaufmann ausdrücklich der von Tönnies hervorgehobenen Kritik am Charakter der öffentlichen Meinung in der Demokratie. Es ist aber vor allen Dingen deren Parteiregime, für dessen Kritik Kaufmann zu den härtesten Worten greift: „Das ganze politische Wahl- und Parteigeschäft ist in wirklichen demokratisierten Staaten untrennbar verbunden mit den Erscheinungen der politischen Massenhypnotiseuren, politischen Marktschreiern und politischen Schreckfabrikanten". Besoldete politische
keitsstaat
und Bürgerlichkeit,
1993, S. 117.
97
Maier, Politische Wissenschaft, 1969; Riedel, Der Staatsbegriff schreibung, 1963; Mandt, Tyrannislehre, 1974.
der deutschen
Geschichts-
98
Gablentz, Der Staat als Mythos und Wirklichkeit, 1963; Krockow, Staatsideologie oder demokratisches Bewußtsein, 1965; Bracher, Staats begriff und Demokratie, 1968; Hennis, Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, 1968; Weinacht, 'Staatsbürger', 1969: Hardtwig, Bürgertum, Staatssymbolik und Staatsbewußtsein, 1990.
99
Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 1990, Band 1, S. 639, der dazu B. Erdmannsdorfs, M. Ritter, M. Lenz, E. Mareks, aber auch fälschlicherweise - H. Delbrück und M. Lehmann dazu zählte. In eine ähnliche Tradition wird Hans Delbrück auch von Mommsen gestellt, ohne daß dessen Wandlungen während des Weltkrieges und die Alternativen zu seiner Argumentation im konservativen Lager berücksichtigt werden: Mommsen, Die „ deutsche Idee der Freiheit ", 1992.
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Die Verarbeitung der Julikrise
Sensationsmacher, gedungene Volksfiihrer, Humbugmacher, moderne politische Medizinmänner und Auguren komplettierten dieses Bild (S. 220). Was in der Demokratie nur am deutlichsten zum Vorschein gelangt, gilt fur die Parteiregierung generell. Kaufmann weist daher jeglichen Anspruch des Reichstags zurück, die legitime Volksvertretung zu sein. Ein Parlament kann nur der Fiktion nach mit dem Volk identifiziert werden, ist aber in Wirklichkeit der Ort der politischen Parteien. Die im Reichstag vertretenen gesellschaftlichen Interessen sind nicht politischer Natur, sondern sozialer oder ökonomischer Herkunft. Die Beamtenregierung ist in Deutschland Kaufmann zufolge also die angemessene, historisch gewachsene Form der politischen Partizipation des deutschen Bürgertums. Sie gilt es zu stärken, wenn an Reformen des Kaiserreichs gedacht wird. Daher will Kaufmann das institutionelle Gewicht des Bundesrates im Gesamtgefüge der Reichsverfassung durch eine Interpretation seiner Herkunft und seiner Funktion erheblich stärken. Aber auch wenn er behauptet, jede Reform des föderalen Aufbaus stelle eine gefahrliche Verletzung eines der wesentlichen Fundamente der politischen Ordnung des Kaiserreichs dar, so geht es Kaufmann weniger um dogmatische Fragen des Föderalismus als vielmehr um die Geltung des exekutiven Prinzips, das er ganz im Sinne der Theorie von der überparteilichen Beamtenregierung durch eine Stärkung des Bundesrates gegen die befürchtete vergrößerte Macht des Reichstages schützen will. Auch der Gegner Erzbergers in der Zentrumspublizistik, K. J. Möndel hatte das Vordringen der Macht des Reichstags kritisierte, etwa die Überflügelung des Bundesrates durch § 17 des Hilfsdienstgesetzes, wo die Exekutivkontrolle durch Ausschüsse des Reichstages ermöglicht wurde. 100 Solche Entwicklungen sind für Kaufmann besorgniserregend. Seine Ablehnung der Aufhebung der Inkompatibilitätsvorschrift des Artikel 9 resultiert daher nicht aus Gründen, die im Wunsch nach Erhalt des föderalistischen Geistes die Eigenstaatlichkeit der Länder stärken möchte. Kaufmann ist keineswegs die unitarisierende Entwicklung entgangen, die schon für die Zeit vor dem Weltkrieg treffend analysiert wurde 101 und die sich nun unter den Einwirkungen des Krieges unübersehbar und auch kaum anzweifelbar gesteigert hatte. Kaufmann unterscheidet zwischen einem bündischen Unitarismus, der noch verträglich sei mit dem Geist der Bismarckschen Reichsverfassung, und einem demokratischen Unitarismus (S. 182), welcher damit nicht mehr vereinbar ist. Der Geist und das Erbe Bismarcks beruht für Kaufmann also nicht auf dem Gedanken des Föderalismus, sondern auf einem bestimmten politischen Prinzip, das im Bundesrat seinen institutionellen Ausdruck findet und in der Inkompatibilitätsnorm ihre wichtigste verfassungsrechtliche Stütze hat. Mit der Verteidigung des Bundesrates will Kaufmann nicht die Bewahrung von Einzelstaatsinteressen sichergestellt wissen gegenüber dem Reichsinteresse, sondern das politische Prinzip der Beamtenregierung. „Im Bundesrat sollen staatliche, d. h. über den Parteien stehende Mächte ihr Organ finden neben dem Reichstage, in dem sich auf Grund seines freien Wahlrechts die aus dem Leben einer reich gegliederten Gesellschaft hervorgehenden Parteien tummeln können und tummeln sollen" (S. 205). Der Bundesrat verkörpert für Kaufmann die politische Denk- und Arbeitsweise
100
K. J. Möndel, Deutschland
101
Schönberger, Parlament
auf dem Wege zur Demokratie? im Anstaltsstaat,
2. Auf. Bonn 1917, S. 76f.
1997, S. 162ff., 184ff.
216
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
der Beamtenregierung und ist weit mehr noch als der Kaiser Kennzeichen und Wirkungsmöglichkeit der überparteilichen Regierungsberatung. Freilich verlangt auch Kaufmann eine bessere Verknüpfung der jeweiligen Interessen von Staat einerseits und Gesellschaft andererseits. Doch lehnt er es vehement ab, den Primat der Gesellschaft durch die Privilegierung des Parlamentes als gangbaren Weg anzusehen, es sei denn, man wollte die gesamte politische Denk- und Arbeitsweise verändern. Statt dessen plädiert Kaufmann für eine Politisierung des genossenschaftlichen Elementes durch seine politische Organisierung und Einbettung in den Weg der politischen Willensbildung. Korporationen, Bünde, Berufsgenossenschaften usf. sollen auf diese Weise gesellschaftliche Interessen bündeln und ins Politische übersetzen: das heißt vor allen Dingen, daß diese Aufgabe nicht den politischen Parteien zufallen sollte. Die erhofften Wirkungen bezeichnet Kaufmann wie folgt: „Der Staatsgedanke selber wird so bereichert und vertieft, und das Beamtentum zu gesellschaftlichem Denken gezwungen und erzogen, wie die [genossenschaftlichen] Organisationen selber zu politischem Denken" (S. 222). In diesem Sinne schließt sich Kaufmann auch ausdrücklich dem Gedanken der Organisation an, wie er in den „Ideen von 1914" zum Ausdruck kommt. In Kaufmann fanden die Bestrebungen, die das Parlament in den Mittelpunkt der politischen Ordnung Deutschlands stellen wollten, ihre bestechendste Ablehnung. In Verbindung mit der Erfahrung der Julikrise bahnte sich hier ein tiefgreifender Legitimationsverlust des Parlamentarismus schlechthin an. Was Kaufmann in der Idee eines berufsständischen Modells, verbunden mit genossenschaftlichen Vorstellungen und Pluralwahlrechtsideen angedacht hatte, wurde nach der Julikrise zu einem allgemeinen Gegenstand der Diskussion. Gab es nicht Alternativen zur Repräsentation durch politische Parteien? Die neu erwachte Plausibilität eines berufsständischen Parlamentes speiste sich wesentlich aus der Abneigung gegen die politischen Parteien, deren Versagen diesen Bestrebungen zusätzlichen Vorschub leisteten.
4.
Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
Die ohnehin in Deutschland verbreitete antiparlamentarische Grundstimmung 102 verbunden mit einer allgemeinen Parteienschelte vertiefte sich noch unter den Einwirkungen des Krieges. Bereits im September 1914 hatte sich Fischbeck besorgt darüber geäußert, daß die Euphorie der durch den Krieg ins Leben gerufenen Idee der „Volksgemeinschaft" die Illusion nähren könnte, daß das Zeitalter der Parteien vorüber sei.103 Frühzeitig waren sich insbesondere die liberalen politischen Parteien darüber im klaren, daß die ohnehin in der öffentlichen Meinung wie in der politischen Theorie zumeist geringschät-
102 103
Wasser, Parlamentarismuskritik, 1974. Brief Fischbecks an Gothein vom 14. September 1914, zitiert bei Albertin, Liberalismus Demokratie, 1972, S. 237.
und
Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
217
zig gehandelten politischen Parteien einer steten Hinterfragung ausgesetzt waren. Die Julikrise brachte Sinn und Stellenwert des Parlaments und der politischen Parteien in Verruf. In einer Anfang Oktober 1917 von Johannes Haller angeregten 104 und rasch durch 900 Unterzeichner unterstützten Eingabe von Gelehrten gegen die vom Reichstag beschlossene Friedensresolution, wurde dem Reichstag das Recht abgesprochen, sich auf den „Volkswillen" zu berufen. Darüber hinaus verloren auch die Reformparteien bei ihren Sympathisanten in der Debatte an Unterstützung, da sie sich außerstande sahen, den Primat des Politischen auch nur einzufordern. Die politischen Parteien hatten sich in deren Augen nicht als fähig und willens erwiesen, politische Verantwortung zu übernehmen. In Gestalt von „Vaterlandspartei" und „Volksbund" entstanden nun große Sammlungsbewegungen, die als solche bereits, mochten sie sich nun um annexionistische Siegfriedensparolen oder um die Idee des Verständigungsfriedens scharen, Ausdruck des Vertrauensverlustes in die herkömmlichen politischen Parteien war. Sie bildeten neue Kanäle für die Dynamik der politischen Meinungsbildung in der Öffentlichkeit. Mit der Gründung der Vaterlandspartei 105 im September 1917 erfuhr die Umorientierung der Organisation der politischen Willensbildung eine neue und prägnante Gestalt. Am Sedanstag 1917 wurde im Yorck-Saal der ostpreußischen Landschaft in Königsberg die Gründung der Vaterlandspartei vollzogen. Symbolisch knüpften die Gründer, Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg und der General landschafitsdirektor Kapp, der später durch den sog. Kapp-Lüttwitz-Putsch traurige Berühmtheit in Weimar erlangen sollte, an Traditionen an, die sie im Augenblick durch die Friedensresolution der Reichstagsmehrheit bedroht sahen. Als Inhalt dieser Traditionen wurde die Reichsgründung und das politische Genie Bismarcks angerufen, der militärische Genius als Hintergrund der politischen Tat, und die Wurzeln des preußischen Königtums, die am traditionellen Krönungsort Königsberg präsent waren. Mit der Wahl des Yorck-Saales und der Erinnerung an den Unterzeichner der Tauroggener Konvention wurde aber zugleich auch ein Signal gegeben, denn Yorck wurde nicht als Speerspitze aufklärerisch gesonnener Offiziere und Minister angesehen, sondern als derjenige, der notfalls auch gegen den König den Gehorsam aufzukündigen bereit war, wenn es um die nationale Sache ging. Immerhin hatte es Heinrich Claß, einer der vehementesten Agitatoren der Annexionspolitik, in seinen Memoiren als sein politisches Erweckungserlebnis bezeichnet, sehen zu dürfen, daß man ein „begeisterter Sohn des Volkes und doch ein entschiedener Gegner seiner Regierenden" sein konnte und die Gegnerschaft sogar zur Pflicht werden konnte, „wenn die Regierung falsch und gefährlich, unsittlich und widerpolitisch handle". 106 Die Vaterlandspartei versuchte sich nach außen strikt aller innenpolitischen Stellungnahme zu enthalten. 107 Selbst in der Satzung war die Nichteinmischung in die Fragen der
104 105 106 107
Böhme, Aufrufe, 1975, 184f.; Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 161. Gründungsaufruf vom 2. September 1917, Michaelis/ Schraepler, Ursachen und Folgen, 1958ff, Bd. 2, S. 48ff. Heinrich Claß, Wider den Strom, 1932, S. 19 und 22. Vgl. auch die Darstellung bei Werner, Der Alldeutsche Verband, 1938, S. 38ff. Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 1997, S. 216-228 zur innenpolitischen Ausrichtung der Vaterlandspartei, der nicht so sehr wie Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 497-518 auf die
218
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Innenpolitik aufgenommen worden. Damit wurde auch die Forderung verbunden, während des Krieges keinerlei Reformen vorzunehmen, um durch Aussparung des innenpolitischen Streites die nationale Einheit nach außen zu bewahren. Da es aber in der Regel immer nur um die Frage der Wahlrechtsreform in Preußen ging, stellte die zur Schau gestellte Neutralität in innenpolitischen Fragen, verbunden mit einem generellen Reformverzicht, zugleich eine politische Stellungnahme gegen jegliche Reform dar, und dies, obgleich die Krone in ihrem Julierlaß die Reform noch während des Krieges in Aussicht gestellt hatte. Auf der anderen Seite war es kein Geheimnis, daß es gerade die innenpolitische Konstellation war, die die Gründungsmotivation prägte. Kapp gab selbst zu, daß es gerade die Friedensresolution des Reichstages und des damit zur Geltung gebrachten Machtanspruches dar, den er dahinter vermutete und den er gerade mit der Gründung bekämpfen wollte. Die Aufhebung dieser Resolution war dementsprechend eines der erklärten Ziele der Partei. Dem Parlament wurde der Anspruch bestritten, Vertretung des Volkes zu sein und im besonderen wurde der Verständigungsfriede, der in der Semantik der Annexionisten „Verzichtfriede" oder „Scheidemannfriede" hieß, verurteilt. Obwohl die Spannbreite der Mitglieder der Vaterlandspartei groß war, waren es doch im wesentlichen die Alldeutschen, die darin ein neues Instrument ihrer Politik erblickten und besonders die regionalen Vertreter der Vaterlandspartei wurden aus dem Alldeutschen Verband rekrutiert. 108 Ferner wurde mit Admiral Tirpitz nicht nur eine der prominentesten konservativen Persönlichkeiten zum Vorsitzenden der Vaterlandspartei gewählt, sondern auch ein Mann, der bereits in der anonymen Schrift von Claß vor dem Krieg indirekt als ersehnter „Führer" im Kampf gegen den Verfall des Kaiserreichs gefeiert wurde und seit seiner Entlassung aus dem Dienst im März 1916 zugleich politisch tätig geblieben war. Tirpitz hatte 1915 sogar einen Putsch gegen Wilhelm II. erwogen, um mit dem Kronprinzen jemanden auf den Thron zu bringen, der bekanntlich den Vorstellungen der Alldeutschen, der annexionistischen Kreise und schließlich auch der Vaterlandspartei äußerst gewogen war. Man braucht für die grundsätzliche Einstellung des alldeutschen Verbandes nur ein Dokument wie die genannte anonyme Schrift von Heinrich Class 109 zu betrachten, die vor den Lehren einer „undeutschen Demokratie" warnte und die parteipolitischen Einflüssen gegenüber „unverantwortliche" politische Führung forderte „nicht weil sie [gemeint sind die vorerwähnten „Besten des Volkes"] knechtisch gesinnt wären oder charakterschwach, sondern weil sie wissen, daß Großes nur bewirkt werden kann durch die Zusammenfassung der Einzelkräfte, was sich wiederum nur durch die Unterordnung unter einen Führer erreichen läßt" (S. 227). In diesem Zusammenhang steht die Ablehnung jeglichen etwaigen Frauenwahlrechts (S. 118f.) und schließlich die Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts auch für Männer (S. 64). Im Weltkrieg hingegen ging es den Alldeutschen nicht darum, die Regierung vor der Gesellschaft zu schützen, son-
Zusammenhänge der wirtschaftlichen, und politischen Interessen, die sich in der Vaterlandspartei versammelten, abhebt. 108
Werner, Der Alldeutsche
109
Daniel Frymann (d. i. H. Class), Wenn ich der Kaiser war' - politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, 4. Aufl. 1913, zitiert bei Pross, Die Zerstörung der deutschen Politik, 1959, S. 128ff.
Verband, 1938, S. 241.
Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
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dem ihre eigenen Vorstellungen im Staatsinteresse „erforderlicher" Politik durchzusetzen. Dieser Kampf nahm putschistischen Charakter an, wie die Konferenz im Hotel Adlon im Februar 1917 gezeigt hatte, die regelrecht der Absetzung Bethmanns dienen sollte. 110 Das Vordringen des Demokratie als politischer Begriff, an dem man nicht mehr vorbei konnte, läßt sich daran beobachten, daß im Juni 1917 selbst Heinrich Claß darum bemüht war, 111 den Begriff der Demokratie nicht einfach preiszugeben, sondern ihm einen nichtwestlichen Anstrich zu geben, aus dem gerade nicht diejenigen institutionellen Forderungen abgeleitet werden konnten, die man von seiner Werbekraft befürchtete. Ausdrücklich gegen die Frankfurter Zeitung und das Berliner Tageblatt wollte Claß richtig stellen, daß er nicht gegen die Demokratie als solche ist, sondern nur gegen eine bestimmte Variante derselben. Wenn Demokratie dahingehend verstanden werden soll, daß dem Maße der Pflichten der Staatsbürger auch ihre Rechte zukommen, so will Claß den demokratischen Gedanken als etwas „durchaus gesundes" bezeichnen. Aber im Sinne dieses „nicht entarteten demokratischen Gedankens" ist das Deutsche Reich bereits eine Demokratie. Was hingegen die linksliberalen Tagesblätter sich erwünschen, das sei keineswegs Demokratie in diesem Sinne, sondern „Ochlokratie": „Entartung zur angestrebten Herrschaft der Massen, zur Ochlokratie, der Vorstufe der Anarchie". Wenn auf einer Veranstaltung im Oktober 1917 eines der Mitglieder in seiner Rede sagte: „Einige Parteien wollen die augenblickliche Demokratisierung des Reichs fordern; diesem Unheil will die Vaterlandspartei entgegenwirken, das ist ihr einziger Zweck", 112 so wurde nur ausgesprochen, was die meisten Mitglieder dachten und aus taktischen Gründen sich öffentlich zu äußern versagten. Diese Gefahr der Wandlung des Obrigkeitsstaates durch innerpolitischer Reformen wurde von Tirpitz als Antrieb der „nationalen" Politik der Vaterlandspartei bezeichnet: „gerade auf die innere Politik komme es am meisten an, es gelte für die Vaterlandspartei der demokratischen Entwicklung entgegenzuwirken". 113 Für die gemäßigten Kräfte wie Max Weber war aber die deutlich gegen jede demokratische Modernisierung der politischen Ordnung orientierte innenpolitische Ausrichtung der eigentliche Sinn der Vaterlandspartei. 114 Bei der Gründung der Vaterlandspartei gab es aber hinter den nationalistischen und überparteilichen Parolen auch handfeste innenpolitische Interessen, die zur Mitarbeit motivierten. Insbesondere wirtschaftliche Interessen verbanden sich nicht nur mit der Sicherung von Märkten durch deren Eroberung und Abschließung nach außen, sondern
110
Hierzu Conrad Haußmanns Erlebnisbericht der Unterbindung der Verschwörung der KanzlerFronde, die im Hotel Adlon industrielle, annexionistische Verbandsvertreter und Politiker zusammen fuhren sollte, um den Kanzlersturz zu betreiben: Haußmann, Schlaglichter, 1924, S. 87.
111
Heinrich Claß, Demokratie und Demokratie, aus: Deutsche Zeitung vom 6. Juni 1917, zitiert bei Werner, Der Alldeutsche Verband, 1938, S. 251 f.
112
Generalleutnant von Kluge auf einer Versammlung der Vaterlandspartei in Kolberg, zitiert bei: Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 1997, S. 221.
113
Die Frankfurter Zeitung zitiert Tirpitz Rede in München 16. November 1917 Morgenausgabe, zitiert nach: Matthias/Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, Bd. 1, S. 606 Anm. 5 Max Weber, Vaterland und Vaterlandspartei, in: Münchener Neueste Nachrichten vom 30. September 1917, in: MWG I /15, S. 3 2 2 - 3 2 6 .
114
220
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
auch mit der Frage, welche Form der Zusammenarbeit mit der organisierten Arbeiterschaft vorzuziehen war. Die Mitwirkung des Reichstages am Hilfsdienstgesetz hatte auch dazu gefuhrt, die wirtschaftsfriedlichen Arbeitnehmervertretungen, die auf Streiks verzichteten, die sog. „Gelben" Gewerkschaften von der Zusammenarbeit mit der Regierung im Rahmen des Hilfsdienstgesetzes auszuschließen. Ludendorff bat in einem Brief vom 15. Oktober 1917 um die Berücksichtigung der Gelben, was aber das Kriegsamt ignorierte. 115 In dieser Intervention Ludendorffs deutete sich spätestens an, daß die OHL mittlerweile die Partei derjenigen Wirtschaftsorganisationen ergriffen hatte, die diese Zusammenarbeit der freien Gewerkschaften mit der Regierung aus größter Sorge für ihre eigenen Interessen und Einflußmöglichkeiten zu hintertreiben trachteten. 116 Die am 29. September 1916 gebildete 3. OHL unter Hindenburg und Ludendorff hatte in einer Denkschrift an Bethmann vom 2. November 1916 gefordert, das gesamte Volk in den Dienst des Krieges zu nehmen und analog zur Wehrpflicht eine Arbeitspflicht einzuführen. Diesem Wunsch war Bethmann mit dem Hilfsdienstgesetz nachgekommen. Diese Vorgänge forcierten aber die Tätigkeiten der Schwerindustrie, die sich nach dem Eklat der Rede Adolf von Harnacks, der die ungeheuren Profite der Wirtschaft im Krieg angeprangert hatte, nun von der Freien Vaterländischen Vereinigung zurückzog 117 - sofern sie dort überhaupt engagiert gewesen war - und nach Bekanntgabe von Regierungsplänen zur Reform des Vereinsgesetzes zwecks Besserstellung der Gewerkschaften sich wieder stärker für die Alldeutschen und den Unabhängigen Ausschusses von Dietrich Schäfer interessierten. 118 Über den Obersten Bauer wurde wesentlich der unmittelbare Kontakt zur OHL hergestellt. 119 Unter dem Einfluß industrieller Kreise, die in nationaler Pose ihrer Besorgnis über den zunehmenden Einfluß der Freien Gewerkschaften auf die Regierung Ausdruck gaben und zugleich mit den militärisch inspirierten Annexionsgelüsten der Militärstrategen ganz besondere Interessen der Ausweitung ihrer Marktmächte verbinden konnten, wurde die OHL zu dem eigentlichen Einfalltor derjenigen Interessen, die sich nicht mehr auf die im Reichstag vertretenen politischen Parteien alleine stützen zu können glaubten. Jetzt festigte sich die vorher nur spürbar gewordene Konkurrenz von Regierungen und Entscheidungsgremien in der exekutiven Spitze des Reiches, 120 die sich auch bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung bekämpften. 121 Hier war nun die Vaterlandspartei als eine außerparlamentarische Sammlungsbewegung das geeignete Instrument, um die skizzierte Interessenpolitik zu verfolgen. Ihre Existenz erleichterte es ζ. B. der OHL, ihre Politik wenn nötig mit dem Volkswillen zu rechtfertigen, wie er
115 116 117 118 119
120 121
Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1975ff., Bd. 5, S. 104ff. Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei, 1997, S. 334-343 zu den Verbindungen zwischen der Vaterlandspartei und der wirtschaftsfriedlichen Vereinen. Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 474. Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 483f. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 160. Ludendorff hatte noch in einem Brief vom 21. September 1916 an Kapp sich von dessen Demagogie distanziert, vgl. Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 487. Fritz Härtung, Die Regierung der Kabinette im 1. Weltkrieg (1940), in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hg., Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, Köln 1972, S. 311-322. Stegmann, Die deutsche Inlandspropaganda, 1972.
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Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
angeblich in der Vaterlandspartei zum Ausdruck kam, bzw. um den Repräsentationsanspruch des Reichstages zu relativieren. Die Gemäßigten versuchten mit der Gegengründung des Volksbundes für Freiheit und Vaterland zu antworten.122 Dieser Sammlungsbewegung waren verschiedene Professorenresolutionen der Gemäßigten gegen die Vaterlandspartei vorausgegangen.123 Rasch wurde aber klar, daß in der Vaterlandspartei eine neue Qualität der politischen Agitation sichtbar wurde, die man nicht mit Resolutionen alleine bekämpfen konnte. Ernst Troeltsch gehörte zu den treibenden Kräften zur Gründung des Volksbundes. Er berichtete in einem Brief an Martin Rade, daß die Gründung vom gemeinsamen Wunsche Meineckes und Adolf Grabowskys ausging, „einen agitatorischen Verein mit einer moralischpolitischen Plattform zu schaffen (vor allem mit Rücksicht auf das Ausland)". Troeltsch betonte die Wünsche „der christlichen Gewerkschaften, die eine Belebung und Tröstung des Volkes für nötig halten, da es ,sonst nicht durchhalten werde'. ... Die Arbeiterführer fürchten die Revolution - Hungerkrawalle, oder Entmutigung und Gleichgültigkeit. Dem stimmen die übrigen Organisationen bei, und darum steht für sie die innere Politik, Wahlrecht und Parlamentarisierung im Vordergrund ...Unter diesen Umständen ist der Bund ein schwieriges Instrument gerade in der Frage einer moralisierten und verständigen Politik. Die Zusammenfassung war maßlos schwer, und ich habe alle Not der politischen Kleinarbeit kennengelernt".124 Als sich der Volksbund auf der Versammlung vom 4. Dezember 1917 konstituierte, erfolgten Ansprachen von Johann Giesberts, Meinecke und Gustav Bauer. Der Volksbund versammelte also Repräsentanten der christlichen und der sozialistischen Gewerkschaften und der gemäßigten Gelehrtenpolitik. Diese zur Modernisierung strebenden Kräfte sahen sich in dem Ziel vereint, die Katastrophe abzuwenden, die sie von einer hemmungslosen Demagogie der Alldeutschen erwarteten. Im November 1917 beschloß die Vorständekonferenz der Freien Gewerkschaften, dem Volksbund beizutreten, was auch ausdrücklich als Maßnahme des Kampfes gegen die Reaktion verstanden werden sollte.125 Meinecke bezeichnete später den Volksbund als eine Art Vorstufe zur Weimarer Koalition.126 Aber das verkennt, daß es sich hierbei gerade nicht um eine Parteienkoalition handelte, sondern daß sich Parteien unter einem überparteilichen Dach, insbesondere mit Gewerkschaften und parteineutralen Gruppierungen versammelten, und zwar in deklaratorischer und aufklärerischer Absicht, nicht jedoch in der Absicht, eine Basis zu schaffen für die Wahrnehmung politischer Verantwortung. Durch die automatische Mitgliedschaft der Gewerkschaftsangehörigen war der Volksbund zahlenmäßig seinen annexionistischen Gegnern überlegen, aber in der Frage des tatsächlichen Einflusses deren Agitation unterlegen. Dabei wurde deutlich, wie sehr eine
122
Gegründet am 4. Dezember 1917, Programm: Michaelis/ Schraepler, Ursachen I958ff„ Bd. 2, S. 50f.
123
In der Frankfurter Zeitung vom 14. Oktober 1917 und im Berliner Tageblatt vom 15. Januar 1917, vgl. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, 1969, S. 162ff und Döring, Der Weimarer Kreis, 1975, S. 256ÍT.
124
Bei Drescher, Troeltsch,
125
Correspondenzblatt 1918, S. 19, zitiert bei Varain, Freie Gewerkschaften,
126
Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe,
und
1991, S. 449. Wiesbaden 1946, S. 48.
1956, S. 103.
Folgen,
222
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
völlig undifferenzierte, aber einheitliche und auf einprägsamen Schlagworten beruhende Propaganda, die auf einer bestimmten Grundüberzeugung der Bevölkerung aufbauen konnte, jeder Sammlung differenzierterer und selbständiger Meinungen überlegen war, wenn ihnen eine vergleichbar klare programmatische Ausrichtung fehlte. Der Volksbund versammelte heterogene Gruppen, die sich im wesentlichen nur in der Ablehnung des nationalistischen Starrsinns einig waren. Die Demokratie wurde noch nicht als vereinende Leitidee akzeptiert. Wenn Troeltsch in seiner Eröffnungsrede des Volksbundes erneut versuchte, nach Kompromissen Ausschau zu halten und Vermittlungsbrücken zur Vaterlandspartei zu bauen, unterschätzte er die politische Auseinandersetzung erheblich. 127 Er betonte, daß die Friedensfähigkeit mit einer Demobilisierung der Geister enger zusammenhinge als mit einer Umwandlung der politischen Ordnung und erntete dafür nur den Vorwurf, in einer defätistischen Geisteshaltung einem „Verzichtfrieden" das Wort zu reden und damit seine mangelnde vaterländische Gesinnung zu offenbaren. 128 In diesem Zusammenhang wurde vielleicht das erste Mal in der politischen Ideengeschichte der Vorwurf der „Friedenshetze" laut. Das Scheitern des Volksbundes, eine der Vaterlandspartei auch nur annähernd gleichrangige Wirksamkeit entgegenstellen zu können, zeigte die Untauglichkeit der reformerisch gesonnenen parteipolitischen und gelehrten Kräfte fur die Aufgabe, die Massen und die öffentliche Meinung für ihre politischen Ziele zu mobilisieren. 129 Die Idee des Parlamentarismus hat es generell in Kriegszeiten schwer, sich zu behaupten. Das galt nicht nur in den Ländern ohne vollzogene Parlamentarisierung, sondern auch in solchen, die auf eine parlamentarische Tradition zurückgreifen konnten. Auch in England und Frankreich sah sich das Parlament mit Wünschen nach einem ganz plausibel erscheinenden Primat der Exekutive konfrontiert. Zu sehr schien z.B. der Gedanke der Öffentlichkeit der Debatten den Geheimhaltungswünschen der militärischen Führung zu widersprechen, zu sehr die Debatte politischer Entscheidungen den Führungsabsichten der Regierung. Auch in Frankreich wurde Kritik am Dualismus von ziviler und militärischer Gewalt einerseits und von Parlament und Regierung andererseits laut.130 In England war die Kritik an der gesteuerten Informationspolitik der Regierung gegenüber dem Parlament unüberhörbar. 131 Dort wurde auch der Versuch kritisiert, das Problem der Geheimhaltung durch die Einfuhrung von Geheimsitzungen des Unterhauses zu lösen, da man den sukzessiven Ausschluß des Unterhauses von Friedensverhand-
127 128
Ernst Troeltsch, Freiheil und Vaterland, Eröffnungsrede des ,Volksbundes für Freiheit und Vaterland', in: Deutsche Politik 3 (1918), S. 7 2 - 7 6 , S. 76. Hans Volkelt, Demobilisierung der Geister? Eine Auseinandersetzung vornehmlich mit Geheimrat Prof. Dr. Ernst Troeltsch, München 1918 mit der Antwort Troeltschs: Anklagen auf Defaitismus, in: Deutsche Politik 3 (1918), S. 6 6 1 - 6 6 9 ; hierzu insgesamt Sösemann, Das „erneuerte Deutschland", 1984, S. 120-144, S 138f. und Drescher, Ernst Troeltsch, 1991.
129
Dahingehend analysiert Albertin den Volksbund und die Fortschrittliche Volkspartei, vgl. Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 240fF.
130
Schultheß, Europäischer 417, 445, 456.
Geschichtskalender,
1916 Bd. II S. 216, 220, 246f.; 1917 Bd. II S. 392,
131
Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, S. 2 0 4 , 2 1 2 ; 1917 II 387.
1915 Bd. II S. 97, 127; Frankreich: 1916 Bd. II
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lungen befürchtete. 132 Das Problem beruhte also nicht auf den Herausforderungen, die der Krieg mit sich brachte, sondern der Fähigkeit der Parlamente, mit ihnen umzugehen, ohne sich selber dabei zu decouvrieren. Verstärkte Kontrollansprüche des Parlaments 133 und die Bildung von Überwachungs- und Untersuchungsausschüssen 134 wurden angemahnt und häufig auch durchgesetzt. Dadurch konnte einigen Fehlentwicklungen der militärischen Strategie entgegengewirkt werden. Selbst Frankreich, dessen undurchsichtiges System der politischen Willensbildung, die Redslob am Ende des Weltkrieges als „unechten Parlamentarismus" bezeichnen sollte, und das der deutschen Kritik an den Mängeln der Demokratie aufgrund ihrer angeblich so anarchisch-chaotischen Struktur gedient hatte, erwies sich als den Anforderungen des Krieges gewachsen. Für gewöhnlich wird eine dreigliedrige Abfolge des Schwergewichts der politischen Kompetenzen im Laufe des Krieges für Frankreich angenommen: der Vorherrschaft der Militärs bis 1915 folgte die Vorherrschaft des Parlaments 1915-1917 und schließlich die Wiederherstellung der Exekutivgewalt durch Clemenceau ab 1917.135 Hiergegen ist die weitaus stärkere Zurückhaltung des Parlamentes hervorgehoben worden, und zwar ausdrücklich um der konservativen Kritik am Parlamentarismus in Frankreich entgegen zu treten, die für die Mißerfolge der Politik bis 1917 das politische System des Parlamentarismus verantwortlich machen wollte. 136 Tatsächlich stand Frankreich ganz unabhängig vom politischen System im Weltkrieg vor schier unlösbaren Aufgaben. Der Feind hatte einen erheblichen und vor allen Dingen volkswirtschaftlich bedeutenden Teil des Territoriums besetzt und dies blockierte nicht nur die Mobilisierung der vorhandenen Ressourcen, sondern erforderte die Schaffung neuer. Das verstärkte sich noch unter dem Druck der französischen Militärstrategie, in immer wieder aufgenommenen Offensiven den Feind von der „heiligen Erde" des Vaterlandes zu vertreiben. Die damit einhergehende Überforderung der psychischen und physischen Kapazitäten der Truppen, führte nach den Anstrengungen der Verdun-Schlacht von 1916 zu Krise des Jahres 1917, in welcher Auflösungserscheinungen der Armee sogar in offener Meuterei kulminierten. Die ungeheuren Verluste der Verdun-Schlacht ermutigte bereits 1916 das Parlament zur Aufgabe der bis dahin selbstauferlegten Zurückhaltung in militärischen Fragen. Es kam im JuniJuli 1916 zur Einrichtung von comités secrets als Institutionen der Ausnahmesituation, die geheim, aber unter Beteiligung der politischen Parteien im Parlament militärische Fragen erörterten. 137 Die Leistungen des französischen Parlamentarismus brachten sogar Gustav Stresemann dazu, in seiner Rede für die Einsetzung des Verfassungsausschusses im März 1917, jede pauschale Kritik an der strukturellen Unfähigkeit der parlamentarischen Demokratie zur Kriegführung zurückzunehmen. Die Anerkennung der parlamenta-
132
Schultheß 1916 Bd. II S. 125, 171, 175; 1917 Bd. II S. 293.
133
Frankreich: Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, Bd. II S. 417; England: 1917 Bd. II S. 270ff., 303. Frankreich: Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, Schultheß 1916 Bd. II S. 96, 113; 1917 II 270, 303.
134 135
Saatmann, Parlament,
1978, S. 41 m. w. N.
136 137
Saatmann, Parlament, Saatmann, Parlament,
1978, S. 329f. 1978, S. 3 2 9 - 4 1 0 .
1916 Bd. II S. 203, 215f„ 225f.; 1917 1916 Bd. II S. 203, 2 1 5 Í ; England:
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rischen Leistungen der Gegner stand freilich in einem deutlichen Widerspruch zu den gleichzeitig erhobenen Vorwürfen an die Adresse des Parteiregimes in den westlichen Demokratien. Eine auf Destruktion gerichtete Kritik konnte sich die Pauschalverurteilung eines politischen Systems durch die Hervorhebung bestimmter negativ erscheinender Kennzeichen und die Vernachlässigung von Aspekten, die zu seinen Gunsten sprachen, leisten. Wenn aber nach einer konstruktiven Alternative gesucht wurde, wurde man bei der berufsständischen Idee rasch fündig. Alte Modelle berufsständischer Parlamente erfreuten sich unter dem Eindruck des Krieges neuer Plausibilität und als Alternative zum Parteienparlamentarismus auch großer Beliebtheit. Die Idee berufsständischer Organisation der politischen Willensbildung hatte eine gewisse Tradition im Kaiserreich und wurde bereits vor dem Weltkrieg als eigentliches „Erbe Bismarcks" propagiert, freilich wesentlich gefördert durch wirtschaftliche Interessenverbände, die nach anderen als parteipolitischen Einflußmöglichkeiten auf die Regierungspolitik Ausschau hielten. 138 Die Diskussion des berufsständischen Gedankens als einer Alternative zum parteipolitischen Parlamentarismus erfolgte in aller Breite und Intensität erst in der Weimarer Republik, 139 wo allerdings ständig auf die Erfahrung des Weltkrieges Bezug genommen wurde. 140 Die Idee einer berufsständischen Vertretung fand selbst bei der Deutschen Demokratischen Partei zahlreiche Befürworter in Weimar. 141 In der während des Krieges geführten Debatte hatte sich gezeigt, daß bereits das Pluralwahlrecht auf dem Grundgedanken beruht, der ziffernmäßigen Kopfzahl und damit dem Individualismus als Grundprinzip eine sozial differenziertere Einschätzung des angemessenen Stimmgewichts entgegenzustellen. Bestimmte persönliche Qualifizierungen der Wahlberechtigten, die auf dem Alter, der Kinderzahl, der Berufsausbildung u. a. beruhen, sollten das Stimmgewicht beeinflussen. Bei der Diskussion des Parlamentarismus wurde nun auch erwogen, ob die Repräsentation der in Gesellschaft und Wirtschaft vertretenen sozialen Funktionen nicht sinnvoller und vor allen Dingen objektiver, d. h. sachgemäßer erfolgen konnte, wenn man die politische Willensbildung nicht der Vielzahl weltanschaulich geprägter, klientelistischer politischer Parteien überließ, sondern die Bevölkerung und ihre Vertretung nach sachlichen Kriterien organisierte. Gerade die Erfahrung des Weltkrieges und die im Bewußtsein der Zeitgenossen gewachsene Rolle der Wirtschaft für die elementarsten Funktionsbedingungen des Staates machten dabei berufsständische Überlegungen plausibel. Es waren auch nicht-konservative Autoren, die hier eine ernste und in Grenzen erstrebenswerte Möglichkeit einer zeitgemäßen Erweiterung der politischen Regierungslehre sahen. Während des Krieges gab es Denkschriften mit dem Vorschlag berufsständisch
138 139
140 141
Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 113-128. Arnold Bergstraesser, Die -wirtschaftliche Mächt und die Bildung des Staatswillens nach der deutschen Revolution - Studie zur Frage der berufsständischen Verfassung, diss. phil. Heidelberg 1924 (ms.). Edgar Tatarin-Tarnheyden, Die Berufsstände - Ihre Stellung im Staatsrecht und die Deutsche Wirtschaftsverfassung, Berlin 1922. Fischenberg, Deutscher Liberalismus, 1958, S. 111-113 zu den Anhängern des berufsständischen Gedankens innerhalb der DDP.
Berufsständische Vertretung und politische Sammlungsbewegung
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organisierter Volksvertretungen, zu deren Anhängern Edgar Jaffé, Eduard Heyck oder Wilhelm Hasbach zählten. 142 Auf Seiten des Zentrums hatte sich z.B. Martin Spahn für ein solches Modell ausgesprochen. 143 Zwar hatte eine Denkschrift der Regierung vom 12. April 1915 das berufsständische Modell schon deswegen abgelehnt, weil es nicht für umsetzbar und praktisch unmöglich erachtet wurde. 144 Aber vor allen Dingen Ludendorff ließ sich für solche Modelle erwärmen und seine Unterstützung gab diesem Modell wiederum eine besondere Autorität. 145 Westarp brachte die deutliche anti-demokratische Stoßrichtung des berufsständischen Wahlrechts in der Diskussion nach der Julikrise zum Ausdruck. 146 Für Hans Delbrück waren die Modelle einer berufsständischen Vertretung als Alternative zur ungeliebten Parteipolitik nur Zeichen einer zunehmend abschreckenderen Verflachung des politischen Konservatismus. Im Januar 1918 verlangte Delbrück von ihm, sich vor dem unvermeidlichen Walten der Demokratie in der Zukunft als lebensfähig zu erweisen und innerlich zu erneuern, oder anderen Kräften den Vortritt zu überlassen. Delbrück erklärte sich zum uneingeschränkten Befürworter der Demokratisierung des Wahlrechts, und zwar als dauerhafter Lösung, und nicht nur als Konzession an den Krieg. 147 Neben der strategischen Überlegung, nur auf diese Weise die Bereitschaft der Sozialdemokratie und damit der organisierten Arbeiterschaft zur politischen Zusammenarbeit erhalten zu können, vertrat Delbrück aber auch noch einen anderen, nur das konservative politische Denken berührenden Punkt. Er erinnerte erneut an die Preußischen Reformen 1807 in ihrem Ringen um eine Vermittlung zwischen ständischer Überlieferung und modernem Staatsbürgertum (S. 1). Preußentum hieß ihm neben Autorität, Disziplin und Regierung auch „nie rastender Fortschritt" (S. 10). Die Wirkungen für die konservative Partei sind sicherlich erheblich, wie Delbrück konstatiert, sie würde nach Verlust ihrer rechtlichen Privilegierung zur Volkspartei werden müssen. Doch wird sie sich dadurch „im Wasser der Demokratie gebadet" gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich zu verjüngen (S. 4). Auch das Herrenhaus verliert seine Bedeutung, denn ein wirkliches Gegengewicht zu den Auswüchsen der Demokratie kann nur die „selbständige Regierung als Moderator zwischen sechs bis zehn Parteien, die jede für sich in der Minorität sind" sein und wird es auch angesichts dieser Zersplitterung sein können (S. 5). Delbrück sah also die alte Struktur und den alten Stellenwert des Konservatismus zerbrechen, aber nicht ohne Chancen der Erneuerung. Nachdem er sich einmal zur Befürwortung des demokratischen Wahlrechts durchgerungen hatte und darin die unausweichliche
142 143
Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 113 m. w. N. Martin Spahn, Das preußische Wahlrecht und die ständische Neugliederung der deutschen Nation, in: Hochland 15 (1918), S. 561-580. Zu Spahn allgemein: Ferber, Der Weg Martin Spahns, 1970.
144 145
Bergsträßer, Die preußische Wahlrechtsfrage, 1929, S. 28. Patemann, Kampf um die Preußische Wahlreform, 1964, S. 125, Anm. 2.
146
Westarp in der Kreuzzeitung Nr. 672 v. 16. September 1917, wie er selber in seinen Erinnerungen berichtet: Westarp, Konservative Politik, 1935, Bd. 2, S. 509ff., vgl. auch Stegmann, Erben Bismarcks, 1970, S. 514.
147
Hans Delbrück, Die preußische Wahlreform, in: Preußische Jahrbücher (Jan 1918), in: Krieg Politik, Bd. 3 (Aufsätze 1918), 1919, S. 1-11.
und
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Zukunft sah verteidigte Delbrück diese Wahlreform auch gegen Versuche ihrer ständischen Hemmung in Gestalt von Pluralwahlrecht (S. 3) und berufsständischer Vertretung (S. 4ff.), die Delbrück insgesamt ablehnte. Den Parlamentarismus lehnte er aber als Durchgriff der Demokratie weiterhin ab, zur Wandlung des konservativen politischen Denkens schien ihm die Herausforderung des Bestehens unter demokratischen Bedingungen der Wahl ausreichend zu sein. Wie nun reagierten die Autoren, die nachdrücklich eine offensive Variante der Demokratisierung unter Betonung der Notwendigkeit einer Politisierung der Willensbildung vertreten hatten, auf diese Angriffe?
5.
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
Wenn man mit Hugo Preuß gerade auf die Fiktion eines harmonischen, homogenen, mit sich selbst identischen Volkswillens verzichtete, sondern statt dessen die selbständige Ausformung und Bildung dieses Volkswillens als Aufgabe des Mehrheitswillen der Allgemeinheit postulierte, mußten die politischen Parteien zwangsläufig in den Mittelpunkt der Problemlösung treten. In dieser Frage jedoch hielt sich Preuß äußerst bedeckt. Seine Schriften von Berlin bis nach Weimar hinein begleitete eine tiefe Skepsis, ob die politischen Parteien in Deutschland angesichts des von ihm selber ja konstatierten mangelnden politischen Selbstbewußtseins gegenwärtig überhaupt in der Lage waren, der ihnen von Preuß zugedachten Aufgabe nachkommen zu können. Angesichts der Zurückhaltung des Verfassungsausschusses und vor allen Dingen unter dem Eindruck der Julikrise nahm Preuß Abstand von der noch im Frühjahr erneut erhobenen Forderung nach Parlamentarisierung und suchte nach Wegen, wie die politischen Parteien in die Lage versetzt werden konnten, in die Rolle der politischen Initiative und Regierungsbildung zumindest hineinzuwachsen. Diese Aufgabenstellung prägte noch seine Überlegungen zur Verfassungsgebung in Weimar. Im Berlin des Frühjahres 1917 hatte sich eine solche Demokratisierungsstimmung verbreitet, daß ein sichtlich verblüffter Heinrich Mann am 28. April 1917 seiner Frau erzählen konnte, ein Geheimrat habe ihn dazu aufgefordert, von der Bühne aus zur Revolution aufzurufen. 148 Es hatte sich dabei um den Geheimrat Witting gehandelt, dem Direktor der Nationalbank und früherem Oberbürgermeister von Posen. Der gleiche Geheimrat Witting vermittelte Hugo Preuß seinen ersten Auftrag zur Verfertigung eines Verfassungsentwurfes zur Demokratisierung Deutschlands, und die OHL und Ludendorff waren die Auftraggeber. 149
148
149
„Gestern hat ein Geheimrath (Witting, Präsident der Nationalbank) mich dringend aufgefordert, von der Bühne herab fur die deutsche Revolution zu wirken", zitiert bei Mendelssohn, Der Zauberer, 1975, S. 1783. Gillessen, Hugo Preuß, 1955, S. 217 Anm. 52. Gillessen beruft sich hierbei auf eine mündliche Mitteilung des Sohnes von Hugo Preuß, E. G. Preuß.
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
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Der Entwurf Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung wurde vor dem Kanzlersturz verfaßt, aber kursierte erst hernach und Preuß äußerte in seiner auf den 1. September datierten Vorbemerkung, die nun auf den Kanzlersturz Bezug nehmen konnte, daß die Umstände der Bildung der neuen Regierung Michaelis keinesfalls auf einen „Systemwechsel" hindeuteten, dieser vielmehr erst noch notwendig sei.150 Preuß wollte das politische Grundverständnis befragen, welches seiner Auffassung nach erst eine verfassungsrechtliche Institution zur politischen Wirklichkeit verhilft. Daher wiederholte er erneut, „daß für eine Neugestaltung des politischen Lebens das formale Verfassungsrecht keineswegs das Entscheidende und Primäre ist. Dieser Rang gebührt vielmehr den im Volke lebendigen politischen Energien, als deren Niederschlag ein formales Verfassungsrecht fruchtbar und wirksam wird" (S. 290). Diese Überlegung ist die Schlußfolgerung einer rein politischen Beobachtung, nämlich des Mangels an der Energie zur Reform, die erst Institutionen zum Leben verhelfen können. „Wären die auf eine Neugestaltung unseres Staatslebens hindrängenden politischen Energien im Gemeinwillen einheitlich, stark und handlungsfähig genug, so würden sie jene Neugestaltung zunächst praktisch erzwingen auch ohne formale Verfassungsänderungen, die dann als Niederschlag der tatsächlichen Entwicklung folgen würde" (S. 291). Denn: „Durch formale Verfassungsänderung die volksstaatliche Struktur oder auch nur das parlamentarische System einzuführen, ist unmöglich; denn dies hat die Bildung eines regierungswilligen und regierungsfähigen Gemeinwillens in Volk und Parlament zur Voraussetzung. Ist ein solcher wirklich vorhanden, so erzwingt es seine Geltung trotz jeden formalen Verfassungsrechts; andererseits kann er nicht durch formale Verfassungsbestimmungen geschaffen werden" (S. 297). Das beschrieb präzise das Grundproblem der Reformer im Weltkrieg. Wie sollen die von Preuß intendierten Reformen durchgesetzt werden, wenn es tatsächlich den zu jeder Reform benötigten politischen Willen ermangelt? Preuß erwägt daher auch ungewöhnliche Maßnahmen, um diesem Dilemma zu entfliehen. Er geht davon aus, daß man entweder auf eine Reform ganz verzichten muß, um die Zweideutigkeiten und das quälende Unterlassen zu beenden. Dann muß eine „konservative alldeutsche Diktatur" das Heft in die Hand nehmen, „auf Biegen und Brechen" (S. 293) und die Reformkräfte sollten sich zunächst jeder Intervention enthalten, um wenigstens auf diese Weise die beängstigende militärische Situation nicht auch noch durch politische Reformspiele zu verschlechtern. Wenn man dies aber nicht will, dann darf man sich nicht mit Einzelreformen aufhalten wie der Preußischen Wahlreform, sondern muß gleich zu einem „fundamentalen System Wechsel" schreiten (S. 296). Der System Wechsel kann wie Preuß selber hervorhebt, offensichtlich nicht mehr aus der Initiative der Parlamentarier erwachsen und er kann auch nicht durch die Änderung des bloßen Verfas-
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Hugo Preuß, Vorschläge zur Abänderung der Reichsverfassung und der Preußischen Verfassung, nebst Begründung, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, übergeben von Else Preuß, Tübingen 1926, S. 291-335, 290 (Vorbemerkung datiert vom 1. September 1917). Vgl. zu diesem Entwurf ferner Grassmann, Hugo Preuß, 1965, S. 88-91; Gillessen, Hugo Preuß, 1955, S. 108ff„ Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 324ff.; Mauersberg, Ideen und Konzeption, 1991, S. 47ff.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
sungsrechts alleine eingeleitet werden. Aber das Verfassungsrecht soll wenigstens Bedingungen schaffen, die „eine Bildung solchen politischen Gemeinwillens vorbereiten und fördern." Wenn man auch nicht auf einen bereits bestehenden konstruktiven Gestaltungswillen hoffen darf, so kann man doch auf der Existenz eines wirksamen negativen Willens aufbauen (S. 297). Damit sprach Preuß indirekt die Julikrise an. Sie hatte für Preuß gezeigt, daß es im Augenblick zu einer negativen Mehrheit reichte, nicht aber zu einer konstruktiven Regierungsmehrheit. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen sind die Reformvorschläge von Preuß zu verstehen. Sie formulieren nicht das Idealbild einer parlamentarischen Demokratie oder eines Volksstaates, sondern reagieren auf den Umfang des gegenwärtig zur Verfugung stehenden politischen Gestaltungswillens. Der Umfang der vorgesehenen Reformen ist daher nicht revolutionär. Aber in den Glossen zu dem vorgelegten Verfassungsentwurf wird die verfassungspolitische Absicht von Preuß deutlich. Es geht Preuß zunächst um Transparenz und Öffentlichkeit. So soll der Kaiser als echter Faktor der Gesetzgebung anerkannt werden und nicht mehr verdeckt über die preußischen Bundesratsstimmen ein Veto ausüben können und der Bundesrat soll von einem verdeckten Instrument zur Verhinderung jeder Verfassungsentwicklung zu einem echten Faktor der politischen Willensbildung ausgebaut werden, zu einem „Reichsrat", wobei keine Inkompatibilität zwischen der Mitgliedschaft zu Reichstag und Reichsrat gelten soll. Preuß will ferner die Anerkennung der unterschiedlichen Prinzipien rechtlicher und politischer Erfassung des politischen Systems durchsetzen und hierzu sauber zwischen der juridischen und der politischen Ministerverantwortung unterscheiden. Nicht alle politischen Fragen sind rechtlich erfaßbar. „Ob die Regierungspolitik, äußere wie innere, gut oder schlecht sei, ist eine Frage des Vertrauens" (S. 312). Auch will Preuß den Überlegungen zur Vermeidung eines Berufspolitikertums zuvorkommen, die aus Art. 21 der bestehenden Reichsverfassung sprechen und bei Übernahme eines Regierungsamtes den Wegfall des Parlamentsmandates vorsehen. „Das Streben, seine politische Überzeugung in der Regierung zu verwirklichen, ist die nationale Pflicht jedes Abgeordneten, der nicht bloß reden will" (S. 319). Politik als Wille zur Macht ist demnach nicht die zu vermeidende, sondern die zu erstrebende Voraussetzung aller parlamentarischen Politik schlechthin. Auch diese Bemerkung war nur vor dem Hintergrund der Julikrise verständlich. Die Reformvorschläge waren das Ergebnis tiefer Enttäuschungserfahrungen, die eine klare Entscheidung gegen die Parlamentarisierung letztlich als Ausgangspunkt einer neuen Reformanstrengung zu begrüßen bereit war. Wenige Wochen später unterscheidet Preuß zwischen den Institutionen und ihren Bedingungsvoraussetzungen und wendet dies auf das Parlament an. Es gilt nicht nur, die richtigen Institutionen einzusetzen, sondern auch in sie hineinzuwachsen. Das gelingt aber nur durch die Praxis der Institutionen selber. Demokratisierung ist ohne Parlamentarisierung nicht denkbar, aber umgekehrt hat es keinen Zweck, diese Institutionen nur mit Obrigkeitsgeist beleben zu wollen. In dem Aufsatz Die deutsche Demokratisierung151
151
Hugo Preuß, Die deutsche Demokratisierung, in: Internationale Rundschau 3. Jahrgang vom 5. September 1917, vermutlich im August geschrieben, wie der Hinweis auf den Anbruch des vierten Kriegsjahres S. 336 nahe legt. Neu abgedruckt in: ders., Staat, Recht und Freiheit, aus 40
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
229
von 1917 spricht Preuß daher unverblümt von der Notwendigkeit eines „geistigen Umbildungsprozesses", der durch die „harte Lehrmeisterin" von durchgeführter Demokratisierung und Parlamentarisierung nicht unmittelbar erreicht, aber beschleunigt werden könnte (S. 344). Preuß wollte nun nicht mehr nur Inhalt und Sinn des Volksstaates aufzeigen, sondern wurde sich dessen bewußt, daß das eigentliche Problem in der Transformation eines Obrigkeitsstaates in einen Volksstaat besteht, und dies unter den erschwerten Bedingungen eines Krieges. Gerade die Beobachtung der fuhrenden, ihrer offiziellen Programmatik nach zur Parlamentarisierung strebenden Partei- und Fraktionsführer und ihre tatsächlich gezeigte Abstinenz war es, die Preuß dazu veranlaßte, nicht schon in einer formalen Parlamentarisierung das Heil zu suchen, wenn gerade den dort vertretenen Politikern nach eigenem Bekunden der „Wille zur politischen Macht" fehlte und sie auf einer bequemen, d.h. der Regierung gegenüber rein oppositionellen Haltung verharrten und sich nur auf Kritik beschränkten, statt eine an konstruktiven politischen Problemlösungen ausgerichtete Rolle zu übernehmen. Mit dieser politisch-analytischen Betrachtungsweise wollte Preuß, der scharfe Kritiker des Obrigkeitssystems, auch erklären, warum sich denn die Obrigkeitsregierung überhaupt so lange halten konnte und immer noch hält: es scheint Preuß einseitig zu sein, in der Obrigkeitsregierung nur die „herrschende Kaste" sehen zu wollen. Sie würde sich nicht so lange halten können, wenn sie nicht gleichzeitig eine bestimmte Funktion erfüllen würde, die sie geradezu unentbehrlich macht (S. 337). Zwar ist der Reichstag demokratisch gewählt und hätte daher die besten Aussichten, sich als politisches Organ der Bevölkerung zu verstehen und daraus die Legitimität zu schöpfen, in der jetzigen Krisensituation die politische Initiative zu übernehmen. Aber zum Zeitpunkt der Reichsgründung führte das demokratische Wahlrecht zunächst nur zu einer Vertiefung der Grenzen zwischen den Parteien und schuf eine Lage, in welcher sich der Glaube verfestigen konnte, wonach angesichts der Unausgewogenheit des Parlamentes alleine in der Obrigkeitsregierung die nötige „politisch schöpferische Initiative" (S. 343) gefunden werden könne. So glaubte das Bürgertum Preuß zufolge mit guten Gründen auf den politischen Herrschaftsanspruch verzichten zu dürfen. Da nun aber der Krieg zwischen Ländern geführt wird, die auf der einen Seite die politische Selbstregierung vor der Demokratisierung kennen lernten und anderen, die keine Erfahrung damit gesammelt hatten, befürchtet Preuß auf absehbare Zeit gefährliche Konsequenzen. Denn die eigentlich europäische Grundidee politischer Selbstbestimmung könnte dauerhaft diskreditiert werden. „Sollen wir in einer gar nicht fernen Zukunft erfahren, daß der Weltkrieg an sich noch nicht das schlimmste Schicksal war, das unsere ganze politische Kultur treffen konnte?" (S. 344), gibt Preuß zu bedenken. Ob er damit ahnungsvoll den russischen Bolschewismus oder eine dauerhafte Verfestigung diktatorischer Machtkonzentration auch nach dem Krieg meinte, ist unklar. Angesichts des Scheiterns der in der Aufklärung wurzelnden europäischen politischen Kultur appelliert Preuß jetzt daran, sich bedeutender Schnittstellen europäischer, und nicht nur einseitig deutscher oder nicht-deutscher Traditionen bewußt zu sein. Daher grenzte Preuß jetzt seine Idee des „Volksstaates" ausdrücklich von organischen Vorstel-
Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, übergeben von Else Preuß, Tübingen 1926, N D 1964, S. 3 3 5 - 3 4 4 , S. 343.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
lungen von „Volksgemeinschaft" ab und stellte sie in den Kontext einer republikanischen Auslegungsvariante, die vom Kantischen Begriff der Republik bis zu einer ausdrücklich an Ernest Renan orientierten Definition der Nation als eines tagtäglichen Plebiszites reicht. 152 Die Erfahrung der Julikrise hatte auch Rathenau ernüchtert. In einem Brief vom September 1917 blickte Rathenau auf die innenpolitischen Ereignisse des Jahres zurück und schrieb: „Was Sie beklagen, beklage auch ich: und wenn Sie alles zusammenfassen, so lautet es: .führerlos'. Wir haben genug tüchtige Menschen, und für stille Zeiten reicht das; aber in unseren Tagen erfahren wir, was wir längst wußten: Tüchtigkeit ist nicht Führerschaft...Da nun die Menge spürt, daß es an Propheten fehlt, so reden alle Professoren in Zungen: das kann den Hörer zum Wahnsinn treiben. Die Menge aber, durch das Berufsdenken und die Interessendialektik des Jahrhunderts geistig atomisiert, ist nicht mehr zu sammeln und zu verbinden. Käme ein Luther, Moses und Mohamed, er würde von Dialektik zerrissen. Bedenken Sie, daß in dieser Anarchie jeder Deutsche denkt, schreibt, redet, räsonniert; der Generalsekretär des Verbandes zur Wahrung der Interessen der Abfuhrmittelindustrie ist ein Demosthenes, der Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Vereins der Kotillonordenfabrikanten ist ein Mirabeau; jeder doziert, debattiert und macht Politik, weil die Führung sie nicht macht". 153 Erst die Leerstelle der regierungsamtlichen „Führung" in der öffentlichen Meinung schuf nach Rathenau das Vakuum, in das alle hineinströmten, die sich dazu bemüßigt fühlten. Die so mißverständliche und facettenreiche Vokabel der „Führung" meinte bei Rathenau also die Aufnahme und Bündelung der in der öffentlichen Meinung vorhanden Strömungen zu einer Politik, die regierungsfähig nach innen wie nach außen sein konnte und geistige Orientierung erleichterte, statt in Abwesenheit der Führung nur Desorientierung zu erzeugen, die zu hysterischen Sinnstiftungsversuchen animierte. Eine Modernisierung der politischen Ordnung durch ihre Parlamentarisierung schien Rathenau angesichts der mangelnden politischen Kraft der politischen Parteien auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden. Er ging davon aus, daß im emphatischen Sinne Volksherrschaft nie wirksam gewesen sei, außer in kurzen Epochen der „Revolution" und die Herrschaft immer nur in einzelnen Personen gelegen habe. Hier aber sei der alles entscheidende Gesichtspunkt, ob diese Personen einer kastenförmigen, erblich-privilegierten Schicht entstammten, oder „aus der Gesammtheit des Volkes auserlesen" würden. 154 Gegenüber dieser Grundsatzfrage war die Institution des Parlamentes nur ein „notwendiges Übel", ein nachrangiges Problem, dessen Unvollkommenheiten ohne weiteren Belang waren und keiner moralischen Entrüstung bedürften, sondern die ganz einfach als einer der notwendigen Bausteine jeder organisierten politischen Ordnung angesehen werden sollte. Die entscheidende Frage ist allein, ob institutionelle Einrichtungen im Geiste des Volksstaates oder des „Obrigkeitsstaates" erfolgen, wobei „Obrigkeits-
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153 154
Hugo Preuss, Nationaler Gegensatz und internationale Gemeinschaft - Rede bei Antritt des Rektorates der Handelshochschule Berlin am 19. Oktober 1918, Berlin 1918, 21 S., in: ders., Staat, Recht und Freiheit, 1926, S. 3 4 5 - 3 6 1 . Walther Rathenau in einem Brief an Walther Kröner vom 28. September 1917 (Briefe I 319f.) Walther Rathenau, Die neue Wirtschaft, Berlin 1918, S. 80.
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Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
geist" bedeutet, daß das Volk sich nichts selbst zutraut und alles von der ererbten Führungsschicht erwartet (S. 29) und angesichts dieser „Entpolitisierung des Bürgertums" eine Situation verschuldet, „die es uns heute so sehr schwer [macht], gemeinsame Verantwortungen zu übernehmen" (S. 20). Statt dessen könnten die Institutionen aus dem Geist der Selbstorganisation ihre Lebenskraft beziehen, wenn man sie wesentlich an Fragen der Logik ihrer Funktionsweise und nicht an Fragen ihrer ideologischen Wertschätzung mißt. Denn die Organisation als sachliches Medium kennt keine binnendifferenzierenden Abschichtungen historischer, sozialer oder anderer Art, sondern nur die Leistungsbereitschaft und sachliche Kompetenz, die keinerlei Einflüssen weltanschaulicher und politischer Gesinnung ausgesetzt ist. Damit deutet sich an, daß Rathenau den Unterschied zwischen Obrigkeitsstaat und Volksstaat nicht an der Staatsform festmachen möchte und daher die Frage der Demokratie als der formalen Partizipation der Bevölkerung am Staat für ihn nur eine nachrangige Frage ist. Es geht vielmehr um die Möglichkeit, Organisation und Verantwortung miteinander zu verbinden. Das Scheitern der reformorientierten politischen Kräfte lag häufig an den Paradoxien ihres eigenen politischen Denkens. Hierfür ist der bereits mehrfach genannte Friedrich Naumann ein aufschlußreiches Beispiel, der wie schon gezeigt wurde, einer der wesentlichen Verfechter der vermittelnden und klare Ausgrenzungen vermeidenden Idee einer „engeren Fühlungnahme" zwischen Regierung und Volk war. Naumanns Bemühungen hatten bereits vor dem Weltkrieg einer Versöhnung und Vermittlung der Ideen von Kaisertum bzw. sozialem Königtum und Demokratie gegolten. Zu den berühmtesten politischen Schriften des Wilhelminismus gehörte Naumanns Buch Demokratie und Kaisertum. Seinerzeit hatte Naumann unter dem Eindruck von Max Webers Freiburger Antrittsrede von 1895 sein ursprünglich rein pastorales Anliegen einer Integration der Arbeiterschaft in den Obrigkeitsstaat alleine durch innere Missionierung aufgegeben und sich der Realpolitik zugewandt. Mit der Gründung des National-Sozialen Vereins versuchte Naumann, diesen Bemühungen eine parteipolitische Gestalt zu geben. Ihm blieb jedoch der Wahlerfolg versagt. Die Erfahrung mit dem parteipolitischen System im Kaiserreich trug zur Skepsis Naumanns bei, ob die angestrebte politische Modernisierung Deutschlands auf Veranlassung der politischen Parteien alleine erfolgen konnte. Der Beitrag der Parteien zur politischen Willensbildung war gering. Sie schienen in der Regel zur Opposition leichter imstande zu sein als zur Formulierung einer konstruktiven Politik. Die mangelnde Fähigkeit zur stabilen Majoritätsbildung gehörte daher zu den Lamentos aller Anhänger einer größeren Partizipation des Bürgertums an der politischen Verantwortung. „Solange die Majoritätsbildung sich auf der jetzigen deutschen Entwicklungsstufe befindet, kann die Initiative des Reichstages nur gering sein. In dieser Hinsicht bietet die Verfassung mehr, als bis heute der Reichstag leisten kann ...Über Vergewaltigung des Reichstages zu deklamieren ist so lange zwecklos, solange er nicht von sich aus fähig ist, bei größeren gesetzgeberischen Aktionen eine feste Grundlage zu bilden." 155 Naumanns Lösungsversuch hatte deshalb darin bestanden, die modernen Kräfte, die in Deutschland beobachtbar waren, unabhängig vom Parlament zusammenzufuhren. Unter modernen Kräften verstand Naumann dabei diejenigen Faktoren in Staat und Gesellschaft, die sich
155
Friedrich Naumann, Demokratie
und Kaisertum,
Berlin 1905, S. 54.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
gegenüber der modernen Industriegesellschaft aufgeschlossen zeigten, und das waren nach Naumann sowohl die Industriearbeiterschaft wie der Kaiser und sein Bemühen um die Schaffung einer Weltmarktstellung Deutschlands, was Naumann als eigentliche Intention der kaiserlichen Flottenbaupolitik interpretierte. Naumann wollte daher am Reichstag wie an den politisch privilegierten Schichten vorbei eine Arbeitsgemeinschaft zwischen Kaiser und Arbeiterschaft stiften. Dieser Versuch, die vital erscheinenden Kräfte Deutschlands zusammenzufuhren, war nicht nur der alten Tradition des sozialen Königtums geschuldet, die hier freilich eine neue Variante ihrer Auslegung erfuhr, 156 sondern war auch Resultat der Auffassung, daß die ihm notwendig erscheinende politische Modernisierung, die er freilich als Anpassung der politischen Ordnung an die Bedingungen des modernen Imperialismus aller Industrienationen verstand, nicht aus der Mitte des Parlamentes erfolgen konnte, weil sich ihm zufolge die politischen Parteien zuwenig aufgeschlossen zeigten für diese moderne Problematik. Friedrich Naumann hatte sich noch im Oktober 1916 dahingehend geäußert, daß erst der Krieg gewonnen werden müsse, dann würde die Neuorientierung von selbst kommen. 157 Er suchte in der Formel von der „engeren Fühlungnahme zwischen Parlament und Reichsleitung" einen Kompromiß zwischen den ihm gleichberechtigt erscheinenden Anliegen von Obrigkeitsstaat und Volksstaat. 158 Aber sein Ton wurde zunehmend drängender und im Laufe des Jahres 1917 verlangte er schließlich bereits im Krieg Reformen. 159 Seine Aufnahme des Begriffs „Deutsche Freiheit" von 1917 diente weniger der Abgrenzung und Abwehr des Universalanspruches westlicher Demokratie. Sie stellte vielmehr den Versuch dar, auf der Grundlage dieser interpretationsfähigen Formel einen Vermittlungsversuch zu unternehmen, um eine Plattform gemeinsamen parlamentarischen Handelns zu schaffen. In diesem Sinne wollte Naumanns Denkschrift Freiheit in Deutschland160 auf die alliierte Propaganda reagieren, die Deutschland als Hort der Un156
Fehrenbach, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens, 1969, S. 200ff. sieht Naumanns Überlegungen in der Tradition des sozialen Königtums stehen, um cäsaristische und imperiale Motive der Moderne angereichert, übersieht aber dabei das zentrale innenpolitische Motiv Naumanns und die ihn beschäftigende demokratietheoretische Problematik. Vgl. auch Schönberger, Parlament im Anstaltsstaat, 1997, S. 186, der kritisiert, daß Naumann die Verwobenheit der Verwaltung mit dem reaktionärem Junkterum übersieht. Hiergegen wendet sich Naumanns Idee der Berücksichtigung „neuer Aristokratien". Vgl. zu diesem Komplex auch Gagel, Die Wahlrechtsfrage, 1958, S. 151-154, insbesondere zu Naumanns Position im Zusammenhang der allgemeinen Wahlrechtsdebatte vor dem Krieg.
157
Friedrich Naumann, Rede in der Reichstagssitzung vom 1. Oktober 1916, Sten. Berichte Bd. 304, S. 228; vgl. hierzu Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 39. Friedrich Naumann, in seiner Reichstagsrede vom 15. Mai 1917, Stenographische Berichte Bd. 309, S. 3425.
158 159
Friedrich Naumann, Der deutsche Volksstaat, in: Die Hilfe 23. Jahrgang Nr. 4 vom 25. Januar 1917, S. 52ff. und ders., Auf dem Wege zum Volksstaat, Reichstagsrede vom 15. Mai 1917, Sten. Berichte Bd. 310, S. 3425ff.
160
Friedrich Naumann, Die Freiheit in Deutschland, Denkschrift 1917, in Teilen veröffentlicht unter dem Titel Der Staat der Volkserhaltung in: Neue Züricher Zeitung Nr. 979 Morgenblatt v o m 25. Juli 1918, in: Werke Band 2: Schriften zur Verfassungspolitik, S. 4 4 5 - 4 6 1 . Vgl. Gottschalk, Linksliberale, 1969, S. 51.
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
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freiheit und militärischer Tyrannei darzustellen suchte. Die Denkschrift wollte an seine früheren Überlegungen zum demokratischen Kaisertum anschließen. 161 In ihr kommt Webers nachhaltiger Einfluß auf Naumann dort zum Ausdruck, wo Naumann vor jeder mit der Demokratisierung des Staates verbundenen Steigerung der Bürokratisierung warnte. „Man wird sich darum hüten müssen zu sagen: ihr Westvölker gebt inhaltlose Rechte, wir Deutsche aber geben rechtlose Wohltat! Vielmehr scheint die Sache so zu liegen, daß nach unserer Volksart selbst die weitgehendste Demokratisierung des Staates den Polizeicharakter nicht beseitigen, sondern in verschiedenen Richtungen nur noch weiter steigern würde. Fast alle Anträge der Sozialdemokratie bedeuten, daß etwas kontrolliert, reguliert oder syndiziert werden soll. Unsere Beamtenschaft vermehrt sich weniger aus Bedürfnis von oben als auf Drängen von unten. Zugegeben, daß dieselbe Demokratie eine Milderung des Beamtentons verlangt, so ist sie doch selbst hochgradig bürokratisch" (S. 459f.). Naumann versuchte den Gegensatz zur westlichen Tradition auf das deutsche Freiheitsverständnis zu konzentrieren, verstanden als eine „soziale Volksgesinnung". „Die Freiheit der Schwachen (und die Schwachen sind die Vielen) besteht nicht nur in aktiven und passiven politischen Rechten, sondern darin, daß ihre schwache Existenz staatlich geschützt wird" (S. 458). Dies war ein vielleicht nicht mehr obrigkeitlich intendierter aber in seinem wohlfahrtsstaatlichen Grundzug staatspatriachalisch motivierter Gedanke. Wie konnte hier eine konstruktive Grenzziehung zum bestehenden System, zum ancien regime gezogen werden, das all jene politisch intransigenten Kräfte schützte und mit Legitimation und Privilegierung versah, die nicht einmal Naumanns Idee einer „sozialen Volksgesinnung" teilten? Die Denkschrift Deutsche Freiheit in Deutschland sollte nach Naumanns Intentionen gerade nicht einer Legitimation der auch von ihm persönlich bekämpften militaristischen Zweckentfremdung des preußischen Staatsgedankens und seiner reductio ad absurdum dienen. So wurde sie aber von Regierungskreisen verstanden und auch zitiert. Reichskanzler Michaelis bezog sich auf einer Sitzung des Haushaltsausschusses des Reichstages vom 25. August 1917 mehrfach auf diese Denkschrift im Sinne einer Begründung des Festhaltens am bisherigen Verfassungssystems. 162 Dieser Mißbrauch von Naumanns Anliegens und der Umgang von Michaelis mit dem Reichstag brachte Naumann noch einmal dazu, bündig Stellung zu nehmen. Naumann machte in der anschließenden Schrift Der Kaiser im Volksstaatm gleichsam einen letzten Versuch, aus einer gemäßigten Haltung heraus Geist und Geschichte des deutschen Kaiserreichs in seiner Vielfalt sich kreuzender politischer Bezüge und Prinzipien noch einmal zusammenzufassen. Das leise aber präzise Wegrücken des Kanzlers von der Reichstagsmehrheit in der Frage der
161 162 163
Zur Einordnung dieser Schrift als erneuter Anklang der frühen nationalsozialen Zeit vgl. Heuss, Friedrich Naumann, 1937, S. 472ff. Vgl. Werke Bd. 2, S. 445. Friedrich Naumann, Der Kaiser im Volksstaat, Berlin-Schöneberg 1917, Vorwort von Ende September 1917, im Herbst 1917 erschienen als Heft 1 der von Wilhelm Heile und Walter Schotte herausgegebene Reihe Der deutsche Volksstaat, in: Werke Band 2: S. 4 6 1 - 5 2 1 . Zitiert wird nach dem Original.
234
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Friedensresolution war Anstoß seiner Kritik. Er stellte klar, daß seine Rede von der deutschen Freiheit nicht so verstanden werden durfte, als ob er die Regierung darin unterstützen wolle, wenn sie meinte, sich einfach über den Willen des Parlamentes hinwegsetzen zu können. „Es war im Juli 1917 der in Deutschland ganz seltene Fall eingetreten, daß eine große parlamentarische Mehrheit für eine bestimmte Auffassung der außerpolitischen Aufgaben sich zeigte. Mag nun inhaltlich der Gedankengang dieser Mehrheit für richtig gehalten werden oder nicht, so muß in einem parlamentarisch erzogenen Volke selbst im Frieden, mehr aber noch im Krieg, auch der heftigste Meinungsgegensatz am Tage der Abstimmung einer gewissen Achtung vor dem Ergebnisse des Mehrheitswillens Platz machen" (S. 53f.). Eine solche Haltung, die Hugo Preuß wohl als Zeichen von eingeübtem politischen Verantwortungsgefühl bezeichnen würde, vermißte Naumann schmerzlich. Naumann leugnete nicht die Tradition des monarchischen Herkommens, sah aber die Demokratie als bereits seit der Reichgründungszeit gleichrangig vorhandenes tragendes Element, so daß ein weiterer Schub an Demokratisierung nicht wie das Aufpropfen einer fremden oder unhistorisch adaptierten Modells westlicher Demokratie verschrieen werden dürfe, sondern als geradezu natürliche Fortentwicklung eines bereits im deutschen Staat angelegten Faktors der politischen Ordnung. Naumann wollte damit eine vermittelnde Position zwischen Obrigkeitsstaat und Volksstaat einnehmen, die es beiden Lagern ermöglichen sollte, sich aufeinander zuzubewegen und die nicht den Anspruch erhob, eine in sich geschlossene und konsistente Ordnungsidee zu bieten. Dieses Anliegen führte aber zu einer Verwischung der sachlichen Gegensätze und zu der Tendenz, in Kompromißformeln die miteinander ringenden politischen Prinzipien zu vermitteln. Am deutlichsten wird dies dort, wo Naumann versuchte, den Begriff des Volksstaates in einen Gegensatz zum Prinzip des Republikanismus und die politische Verantwortung außerhalb der durch Wahlen konstituierten politischen Willensbildung zu stellen. „Während nämlich die Idee der Republik letztlich auf der Vorstellung von lauter unorganisierten Einzelnen beruht, die erst durch Vertrag (contrat social) zu Staatsmitgliedern werden, so setzt der Volksstaat das Volk als eine gewachsene und gewordene Naturgröße voraus. Das Volk ist größer, wichtiger und älter als alle seine Glieder. Der einzelne stirbt, das Volk aber lebt. Wir alle sind nur Wassertropfen, das Volk aber ist quellende Flut." (S. 22) Naumann lehnte die „naive" Auffassung des alten Republikanismus der 1848er ab, die glaubten, wenn man sich nur von der Fremdbestimmung durch Erbmonarchen befreie, würde „von selber die Fähigkeit der Völker zum Regieren sich wunderbar entfalten" (S. 25), Jahrzehnte der Beobachtung der Demokratien in Frankreich, der Schweiz und den USA hätten das Gegenteil gezeigt. Was aber will Naumann an die Stelle der Selbstregierung, die ja Hugo Preuß mit der Begriff des Volksstaates zwingend in Verbindung gebracht hatte, treten lassen? Auch die Repräsentation durch gewählte Vertrauensmänner, die in Ämter berufen werden, lehnt Naumann für die Übernahme von politischer Verantwortung ab. Es ist „längst nicht gesagt, daß der Mann, der die stärkste Parteiführereigenschaft hat, der die erfolgreichsten Wahlreden hält, der das zweckmäßigste Programm entwirft, nun am Tage der Wahl innere Größe und Elastizität genug besitzt, um aus dem Agitator ein Herrscher, ein Vermittler, ein Ausgleicher zu werden" (S. 33). Er könnte es auch nicht, selbst wenn er die Fähigkeiten dazu hätte. Ist er nämlich
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
235
nur Produkt der Kreation durch Wahlen, so ist er den Stimmungen der Wählermillionen ausgesetzt und „die ihn wählen, behalten sich innerlich vor, ihn zu verwerfen, wenn er die Erwartungen enttäuscht" (S. 33). Die politische Verantwortung ist vielmehr von einer Natur, die nicht zur Wahl stehen darf, sie muß dort plaziert werden, wo sie der Wahl entzogen ist. Denn politische Verantwortung ist Verantwortung fur jenes Volksganze, das nicht durch ein mehrheitlich addiertes Konglomerat seiner Teile kreiert werden kann. Hierzu ist die durch Volkswahlen legitimierte politische Institution überfordert und besser in einer Erbmonarchie aufgehoben. Naumann konnte sich von der Kritik an der westlichen Demokratie und ihrem Individualismus nicht befreien. Die begriffliche Paradoxie, der Naumann unterliegt, besteht darin, die verfassungsrechtliche Stellung des Kaisers als „unverantwortlicher" Monarch zugleich als Beweis für seine Geeignetheit anzusehen, die einzig angemessene Institution zur Übernahme politischer Verantwortung zu sein. Wie Preuß oder Weber weist er die Vorstellung zurück, die Natur der politischen Verantwortung rechtlich erfassen zu können, so daß auch die Idee der juridischen Ministerverantwortlichkeit zu kurz greift (S. 34). Anders als Preuß oder Weber sieht er politische Verantwortung aber nicht als Begriff der institutionellen Zurechnung von Taten und Handlungen, sondern will sie eher mit einem Mythos der Repräsentation als mit der nüchternen Regierungslehre in Verbindung bringen. Er bringt daher die politische Verantwortung in einen Zusammenhang mit integrativen Vorstellungen von Repräsentation, die nicht mit Interessenvertretung verwechselt werden darf. In dieser Hinsicht bedürfen nach Naumann alle Staatsformen der Mystik im Sinne äußerster Repräsentanz des politischen Ganzen. Auch die Republik und die Demokratie bedürfen der „Illusionen" und der „Mystik". „Zeigt man den Menschen nur, daß sie Erde und Asche sind und nichts weiter, so wird man sie nie zu großen Taten erheben. Es steht nicht so, als ob etwa auf der republikanischen Seite Realität wäre und nur auf der monarchischen Seite die Mystik, sondern hier wie dort muß mit hohen Begriffen gearbeitet werden, die Kunstwerke vieler Generationen sind und die man nicht ohne Not wegwerfen soll" (S. 36). Daher muß Deutschland darauf zurückgreifen, was es an Möglichkeiten der politischen Repräsentation hat und darf diese nicht zum Gegenstand einer prinzipiellen und beliebig gestaltbaren Modellierung verstehen. „Der König ist vom Staatsbegriff völlig umgössen, ragt ins Übersinnliche und Unausdenkliche hinein, ist ein Symbol wie ein altes Heiligtum, voll von bereits wieder verstorbenen Wundern, gesättigt mit merkwürdiger Mystik, und gerade in dieser unglaublichen und überverständigen Gestaltung wird er erst das Instrument, das die Menge der Verständigen braucht, wenn allerletzte, alleräußerste Entscheidungen gefallt werden müssen" (S. 35). Wenn nun zwar das Königtum als eine Art Repräsentationsinstanz der Nation gedeutet wird und nicht dem Zugriff von Wählern unterstellt werden soll, so mag gerade daraus die Möglichkeit erwachsen, ohne Gefahr für die Monarchie die sozialdemokratisch organisierten Arbeitermassen, deren „sozialistische Disziplin zur staatserhaltenden Kraft" geworden ist in diesem Krieg (S. 47) als gleichberechtigte Staatsbürger anzuerkennen und in den gewöhnlichen Prozeß der politischen Willensbildung einzubeziehen. Diese Forderung ist der eigentliche Gehalt der Argumentation und die Überfrachtung des Königtums als mystischer Ort der politischen Letztverantwortung dient letztlich der Eröffnung dieses Weges. Auf der Suche nach einem Kompromiß opferte Naumann freilich alle politischen Begrif-
236
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
fe. Er entkleidete sie aller differenzierenden Schärfe, so daß sie zu Leerformeln wurden und ohne verbindliche Kompetenzabgrenzung blieben, um wenigstens den „Kaiser im Volksstaat" denkbar zu machen. Wenn dies eine vage Anlehnung an die Formel des „king in parliament" sein sollte, so markierte sie damit unfreiwillig den wesentlichen Unterschied des monarchischen Selbstverständnisses in England zu der Beharrungskraft der preußischen Monarchie, die stets der Auffassung blieb, aus eigenem unbestreitbaren Recht den Anspruch auf Letztentscheidung erheben zu dürfen. Naumann verweigerte sich einer Entscheidung zwischen dem Weg kontrollierter und verantwortlicher politischer Willensbildung und der Repräsentation, die nach Max Weber gerade dann ihr Amt der Gesamtvertretung wahrnehmen konnte, wenn es nicht Teil des Entscheidungsprozesses war und damit auch nicht Gefahr lief, wieder Partei zu werden oder zu ergreifen. Naumann verzichtete ja bewußt auf eine dezidiert institutionelle Argumentation. Fragen der Verfassung schienen ihm nachrangig, wenn es nur gelang, auf der integrativen Argumentationsebene eine umfassende Vorstellung zu etablieren, aus deren Begriff und Wesen diejenigen politischen Erfordernisse ableitbar waren, nach denen sich wiederum institutionelle Einrichtungen auszurichten hatten, um sie dann effizient zu verwirklichen. Man kann daher Naumann vorwerfen, daß er das Gewicht institutioneller Fragestellung unterschätzte, weil er insgeheim von der Geltung integrativer Leitideen ausging. Aber Naumann war der Auffassung, daß sie erforderlich seien, um den Hintergrund aller politischen Verständigung zwischen den innenpolitischen Gegnern darzustellen, wenn diese nur in angemessener Weise sich der Integrationsidee der Nation unterstellten. Naumann appellierte an die innenpolitischen Konfliktparteien, die Nation als das alle Gegensätze überspannende Haus zu verstehen, vor dessen Gesamtwohl sich der Interessengegensatz der Parteien relativieren und die Möglichkeit der Einvernehmlichkeit schaffen sollte. Gegen die Alldeutschen freilich, die sich ihrem eigenen Bekunden zufolge ja auch der Idee der Nation unterstellten, sie aber nicht integrativ, sondern exkludierend und damit nationalistisch interpretierten, versagte Naumanns Argumentation. Diese Verquickung von Wunschdenken und von unklarer Auffassung über den Weg der politischen Willensbildung flüchtete aus den Widersprüchen des Wunschergebnissen in die Vagheit von nichtrepublikanischer Volksstaatsidee, die der Volksgemeinschaft sehr nahe. Freilich beruhte diese Flucht in die Wunschvorstellung auch auf der Beobachtung der Sackgasse, in die liberale Reformpolitik geraten war: ihr mangelte offenkundig der aus den eigenen Reihen entstammende politische Träger. Wenn Naumann erneut auszutarieren versuchte, inwiefern der Kaiser die politische Initiative ergreifen konnte, so war dies auch eine Reaktion auf die Unfähigkeit der politischen Parteien, das Vakuum, das die Julikrise eröffnet hatte, konstruktiv zu füllen. Deutschland war kein parlamentarisch erzogenes Volk. Die Leichtigkeit der Beeinflußbarkeit der öffentlichen Meinung und die große Plausibilität der Abwendung von Parlament und politischen Parteien zeigte, wie wenig moderne Formen der politischen Partizipation und Willensbildung in Deutschland verwurzelt waren. Der Erfolg einer Publizistik, die dem Reichstag einfach den Anspruch auf Volksvertretung absprach, seine bloße Existenz schon als Gefährdung der inneren Eintracht darstellte und ihn permanent bei der Einflußnahme auf die Regierungspolitik umgehen wollte, zeigte nur zu deutlich, daß mit der bloßen Forderung der Parlamentarisierung als einer Glaubensformel nichts gewonnen war. Es waren nicht nur parteitakti-
237
Naumann, Preuß und Rathenau nach der Julikrise
sehe Gründe, die für eine Zurückhaltung gegenüber dem Parlamentarismus unter den gegebenen Umständen sprachen, sondern auch die Frage, wer denn die mit dem Parlamentarismus aufgegebene politische Rolle ausfüllen sollte. Die Julikrise hatte ein Dilemma der politischen Ordnung des Kaiserreichs offenbar gemacht., das als Strukturfehler angelegt war und nicht durch einzelne Reformen, sondern nur durch Alternativen überwunden werden konnte.
6.
Max Weber und die parlamentarische Demokratie
Während Friedrich Naumann sein Heil in der integrativen Idee der Nation suchte, blieb Max Weber bei dem einmal eingeschlagenen Weg der institutionellen Reform. Weber kam aber nach der Julikrise zu der Auffassung, daß nur eine Radikalisierung der Reform den nötigen Wandlungsprozeß im politischen Bewußtsein der Elite einleiten konnte, wenn es hierfür nicht bereits zu spät war. Insofern war auch für Weber die Erfahrung der Julikrise eine Zäsur in seiner Argumentation und ihr Resultat war die vielleicht berühmteste politische Schrift, die während des Weltkrieges geschrieben wurde und eines der bleibenden Zeugnisse politischer Literatur deutscher Sprache: Parlament und Regierung vom Frühjahr 1918. Zusammen mit der kurz zuvor geschriebenen, noch 1917 veröffentlichten Broschüre Wahlrecht und Demokratie bildet sie den Kern seiner Theorie parlamentarischer Demokratie. Die Juni-Aufsätze Max Webers waren in gewisser Hinsicht auf halbem Wege stehen geblieben. Als Akteur hatte Weber die Dynastien angesprochen, die den entscheidenden Reformschritt vornehmen sollten. Das Ziel seiner Argumentation war es gewesen, die Notwendigkeit einer ausgesprochen politischen Führungspersönlichkeit zu zeigen. Daher hatte er die Rolle der Parteien und des Reichstages nur am Rande berührt, nämlich als Auslesestätte einer solchen Führungspersönlichkeit. Die unmittelbare Funktion des Parlamentes inmitten des Systems politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung hatte Weber ausgespart. Das nahm eine später häufig zitierte Arbeit zum Anlaß, von Weber aus über Weber hinaus zu denken und das parlamentarische Regierungssystem zu fordern. Robert von Piloty war ein bayerischer Staatsrechtslehrer, der sich bereits vor dem Krieg grundsätzliche Gedanken über den Zusammenhang von Politik und Recht auf dem Gebiet der Staatslehre gemacht hatte164 und in mehreren Aufsätzen während des Krieges die Unvereinbarkeit eines vormodernen Politikverständnisses in Gestalt des „persönlichen Regiments" mit den Erfordernissen moderner Politik hervorgehoben hatte.165 Mit seiner Betonung der Besonderheit „politischer Verantwortung" und seiner Auffassung von der Unmöglichkeit einer ausschließlich staatsrechtlichen Erfassung dieses Moments der politischen Willensbildung gehörte Piloty der Sache nach zu dem Argu-
164
Robert von Piloty, Autorität
165
Robert von Piloty, Verantwortliche Regierung und persönliches Regiment, in: Deutsche Juristenzeitung 1917, S. 772 und ders., Die Verwirrung des Machtbegriffs, in: Deutsche Juristenzeitung (1917), S. 84Iff.
und Staatsgewalt,
Tübingen 1905.
238
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
mentationsstrang, den Hugo Preuß im Weltkrieg prominent gemacht hatte. In einem umfangreichen Aufsatz nach der Julikrise knüpfte Piloty nach der Julikrise an den Ergebnissen von Max Webers Juni-Aufsätzen an.166 Er stimmt Webers Kritik an der bestehenden politischen Ordnung zu, machte ihm aber die Halbherzigkeit seiner Alternativforderungen zum Vorwurf. „Aber Weber verlangt nicht ausdrücklich das letzte und entscheidende Glied in der Kette dieser rechtspolitischen Gedanken - die parlamentarische Regierung" (S. 66). Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Weberschen Forderungen sieht Piloty nur im Zusammenhang mit dem parlamentarischen System gesichert, das er mit dem Zwang der Ministerbestellung aus dem Kreis der im Parlament vertretenen Parteiführer definiert. In einer weit ausholenden, dialogisch konstruierten Argumentation und Gegenargumentation für und wider Republik und Monarchie (S. 75-121) läßt Piloty formale staatsrechtliche Erwägungen nicht mehr gelten. Unabhängig der klassischen Staatsformenlehre würde bereits die Einführung des parlamentarischen Systems Deutschland der politischen Sacherwägung nach zur Republik machen, ob sie nun eine monarchische Repräsentationsspitze hat oder nicht (S. 122).167 Die Julikrise jedoch hat nach Piloty eindeutig nicht zu einer Stärkung des Parlamentarismus, sondern zur Stärkung des konstitutionellen Systems geführt, da ein Nichtparlamentarier Kanzler wurde. „Das also war des Pudels Kern, positiv ausgedrückt: der Kanzler stürzte über die Lanzen der Konservativen in die Falle des Zentrums, negativ ausgedrückt: Herr Erzberger wurde nicht Kanzler" (S. 131). Für Piloty ist es nun ganz gleich, ob man auf dem Wege der „Normierung" oder der „Verfügung" den Weg in Richtung des parlamentarischen Systems einschlägt, also etwa ob man über die Streichung des Art. 9 Satz 2 Parteipolitiker in den Bundesrat bringt oder über die unformelle aber alsbald gewohnheitsmäßige Ernennung von Parteiführern zu Ministern die Wirkung des Parlaments erhöhte: beide Wege sind für Piloty eher durch „Enthaltsamkeit" als durch Entschlossenheit gekennzeichnet. Der angesprochene Grundgedanke des parlamentarischen Systems, wonach Parlamentarier zu Ministern ernannt werden, beruht nach Piloty nämlich wesentlich darauf, „nur eine bestimmte Parteirichtung jeweils ans Ruder gelangen zu lassen" (S. 127). Es geht also nicht um die Personalfrage und die Frage, wie es zur Auslese von politischen Persönlichkeiten kommen kann, sondern wesentlich um die Parteiherrschaft selbst, der sich nur in Gestalt des geordneten Mehrheitswechsels organisieren und dadurch zugleich bändigen läßt. Nur der eingespielte politische Wechsel der Mehrheiten vermag es, als eine „sich selbst mäßigende Demokratie" die „heftigen Stöße und Unruhen" der reinen Demokratie zu vermeiden (S. 142). „Es handelt sich beim parlamentarischen System darum, daß Führer mächtiger Parteien zur Regierung gelangen sollen, um das Programm ihrer Parteien zum Regierungsprogramm zu machen und sich selbst in der Leitung der Geschäfte samt ihrem Programm durch die Tat zu erproben" (S. 128). Stellt man die Frage also richtig, dann liegt
166
Robert von Piloty, Das parlamentarische System: eine Untersuchung seines Wesens und seines Wertes, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 11 (1917/18), S. 6 5 - 1 4 5 , separat gedruckt Berlin, Leipzig 1917.
167
Vgl. hierzu auch die Darstellung von Piloty bei Monz, Die parlamentarische Göttingen 1965.
Verantwortlichkeit,
239
Max Weber und die parlamentarische Demokratie
das Problem der Modernisierung der politischen Ordnung nicht in staatsrechtlichen oder doktrinären Erwägungen, sondern einzig und alleine in der Frage: „Besitzen wir im Reich Parteien, welche die Voraussetzung erfüllen, die solche Probe ermöglichen und aussichtsvoll gestalten?" (S. 128). Den einzig gangbaren Weg sieht Piloty daher in einer Homogenisierung der politischen Bedingungen Deutschlands, die es den Parteien erlauben würde, die für die Übernahme der Regierungsgeschäfte erforderliche innere Festigkeit zu gewinnen und nicht ständig ihr Selbstverständnis aus partikularen Merkmalen zu beziehen. Statt dessen muß jede zur Regierung bestimmte Partei „vielerlei solcher Standpunkte in sich ertragen und versöhnen" können. Dazu ist es erforderlich, daß sie sich dessen bewußt werden, „daß ihr Streben nach Regierung ihnen selbst die größte Zucht und sorgfältigste Auswahl zur Pflicht macht" (S. 136f.). Um dies zu ermöglichen, ist nach Piloty die Homogenisierung des Wahlrechts auf allen Ebenen und zwar auf der Grundlage des Demokratiegedankens erforderlich. Nur die Wahlgleichheit ermöglicht es, über alle Differenzierungen der Bevölkerung hinweg das Ganze des Staates in den Blick zu bekommen, und nicht den Staat nur nach Maßgabe eines bestimmten Kriteriums zu betrachten. Daher ist die Reform des preußischen Wahlrechts nicht der bloßen Durchsetzung des Demokratiegedankens geschuldet, sondern vor allen Dingen ein Mittel zur Schaffung eines Parteiensystems, das zur Regierungsübernahme imstande ist. Das Problem der Fähigkeit zur Regierungsübernahme beschäftigte auch den Parteipolitiker Gustav Stresemann. Als sich Stresemann im September 1917 auf einer gemeinsamen Sitzung des Zentralvorstands der Nationalliberalen und ihrer Reichstagsfraktion für seinen Parlamentarismuskurs im Frühjahr rechtfertigen mußte, wurde ihm vorgehalten, er habe das westliche System zu sehr gelobt, überschätzt und damit den Eklat der Julikrise mitverursacht. In dieser Situation sprang ihm aber der Fraktionskollege Friedrich List zur Seite. Der Reichstagsabgeordneter und Präsident des Deutschen Sängerbundes hob hervor, daß England Regierungspolitiker habe, denen Deutschland nichts vergleichbares entgegensetzen könne und daß es gerade das parlamentarische System sei, aus dem sie hervorgingen. Bethmann wie Michaelis seien Beispiele für die Grenzen der politischen Fähigkeiten, die die Verwaltungslaufbahn mit sich bringe. Der Ort der „politischen Erziehung" sei das Parlament, aber ein Parlament, das regierungsbestimmend ist.168 Diese Aussage traf durchaus auf Zustimmung. Eine Änderung dieses Umstandes erschien also selbst den Nationalliberalen wünschenswert, aber die Furcht vor einem Stimmenzuwachs für den parteipolitischen Gegner bei vollzogener Parlamentarisierung bestimmte das Handeln, so daß am Ende nur das gezielte Unterlassen als Handlungsoption verblieb. Aber woran lag es, daß die Alliierten über die überzeugungsfahigeren Politiker verfügten? Hing diese Frage von der Staatsform alleine ab? War das Problem tatsächlich die größere „Fühlungnahme" zwischen Regierung und Parlament? Max Webers Reaktion auf die Julikrise bestand aus einer Vertiefung seiner im Juni vorgelegten Kritik des deutschen Parlamentarismus und ihrer Ausweitung zur Formulierung einer eigenständigen Theorie parlamentarischer Demokratie, die vielerlei Anregungen und Hinweise aus der Debatte aufgriff, und es war nicht zuletzt der von Piloty gegen seine Überlegungen der Vorjulizeit vorgebrachte Aspekt der Parteiherrschaft und ihrer Voraussetzungen, der die
168
Sitzung v o m 23. September 1917, in: Reiß, Von Bassermann
zu Stresemann,
1967, S. 416ff., 421.
240
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Wendung in Webers Denken herbeiführte. Mit seinen Überlegungen gab Piloty den Anstoß für die Frage, die Max Weber nach der Julikrise beschäftigte: Wie macht an das Parlament zur Macht fähig? Im September 1917 begnügte sich Weber noch mit Hinweisen auf einzelne institutionelle Veränderungen. So schlug er in Anlehnung an Gerhard Anschützens Aufsatz die Aufhebung des Art. 9 Satz 2 der Reichsverfassung vor, was er intern freilich bereits in seiner Denkschrift für Haußmann vorgeschlagen hatte, also bereits seinem älteren Repertoire an Reformvorstellungen entnommen war. Es deutete sich aber bereits ein Wechsel des Standpunktes an, da Weber nun hervorhebt, daß nicht die Herkunft des Regierungsmitgliedes bedeutsam ist, sondern die Tatsache, daß der Regierungschef oder die Spitzenposten in der Regierung von Personen besetzt werden, die zugleich „Parteiführer" 169 sind und ihren Rückhalt in der Partei und Fraktion beibehalten, in dem sie gleichzeitig Mitglied des Parlamentes bleiben. Dieser Rückhalt des Parteiführers ist nach Weber nur die spiegelbildlich umgekehrte Seite der Wirkung, die der mit der Regierung betraute Parteiführer entfalten soll, nämlich die Partei zu disziplinieren und damit eine einheitliche Politik überhaupt erst zu ermöglichen. Es geht also nicht nur um die Kontrolle der Regierung, sondern vor allen Dingen darum, daß konstruktive Politik ermöglicht wird. Das in den Juni-Aufsätzen verlangte politische Bewußtsein des leitenden „Staatsmannes" im Gegensatz zur Beamtenmentalität sieht Weber nun in einem Zusammenhang mit dem mangelnden politischen Selbstverständnis der Parteien im Parlament. Das Parlament ist „direktionslos", weil nicht „politisch strukturiert", 170 woraus sich ergibt, daß das Parlament nicht führt, sondern selber von Stimmungen und Meinungsumschwüngen geführt wird. Die Krise des Juli war besonders eine solche der öffentlichen Austragung der Meinungskämpfe, die ohne Ergebnis blieben. Daher nimmt Weber seine noch im Frühjahr geäußerte Hoffnung, im Hauptausschuß den Nukleus eines politisch tätigen Parlamentes zu machen, ausdrücklich zurück (GPS 219). Er ist für die Kontrolle der Regierung geeignet, nicht aber für die Entscheidung „hochpolitischer" Fragen wie der Regierungsbildung. Die Aufgabe jeder Reform stellt sich für Weber jetzt weitaus grundsätzlicher: „Wie ist das nach seiner jetzigen inneren Struktur zur negativen Politik verdammte Parlament zum Mitträger der politischen Verantwortung umzuformen?" (GPS 221). Hatte er also noch im Juni 1917 das persönliche Regiment als das Hauptproblem bezeichnet, 171 und als das Problem einer mangelnden überragenden Führungspersönlichkeit diskutiert, so trat nun das Parlament in den Mittelpunkt von Webers Überlegungen. Der häufige Wechsel der politischen Argumentation Max Webers hat die Frage nach der ihn hintergründig leitenden politischen Idee aufkommen lassen. Wenn als Leitgedanke von Webers politischem Denken etwa der gleichbleibende Vorrang der Idee eines
169
Max Weber, Die Abänderung des Artikel 9 der Reichsverfassung, 8. September 1917, in: GPS 2 2 2 - 2 2 5 , S. 222.
170
Max Weber, Die Lehren der deutschen 1917, in: GPS 2 1 6 - 2 2 1 , S. 220.
171
Max Weber an Delbrück vom 28. Juni 1917, zitiert bei Mommsen, Max Weber und die Politik, 1974, S. 173f.
Kanzlerkrisis,
in: Frankfurter Zeitung v o m
in: Frankfurter Zeitung vom 7. September deutsche
Max Weber und die parlamentarische Demokratie
241
nationalen Machtstaates angenommen wird, oder aus der „irritierenden" Verwendung des Begriffs des „Herrenvolkes" auf Webers hintergründig bestimmende ethisch-imperialistische Grundoption geschlossen wird, 172 so unterschlägt man allerdings den polemischen Kontext seiner politischen Argumentation und der Gebrauch dieses Wortes als bereits im Gesprächsfeld geläufiger Argumentationstopos. Auch Max Weber war der Auffassung, daß das Interesse des Nationalstaates über alle anderen hinaus ging und daß daher die Machterhaltung des Nationalstaates, die der Durchsetzung seiner Interessen dienen sollte, Ziel staatlichen Handelns sein sollte. Den Wert des machtbewußten Nationalsstaates hätte Max Weber nicht für ernstlich diskutabel erachtet, weder in Deutschland noch bei den Alliierten. Die Frage ist also nicht, ob Weber Patriot oder Anhänger des nationalen Machtstaates war oder nicht: das ist vielmehr der Ausgangspunkt, der auch für zahlreiche Pazifisten und Sozialisten galt. Wenn die politische Führung der Sozialdemokratie im September 1918 aufrichtig erschüttert war ob der Einlassung Ludendorffs, daß der Krieg verloren war und nur noch zu retten galt, was zu retten blieb, so kann man sich darüber wundern, woher dieser Patriotismus einer politischen Gruppierung rühren mochte und die ihn trotz jahrzehntelanger Verfemung und politischer Ausgrenzung offenkundig bewahrt und nun auch noch nach vier Jahren enttäuschter Erwartungen bezüglich versprochener aber ausgebliebener innerer Reform nichtsdestotrotz ohne Schadenfreude über die Niederlage der Militärs durchgehalten hatte: aus der bloßen Tatsache des Patriotismus läßt sich kein differenzierendes Kriterium gewinnen. Wenn Hugo Preuß nach Jahrzehnten antisemitischer Infragestellung, die sich wie gezeigt auch im Krieg gegen seine politische Argumentation bemerkbar machte, und zwar selbst bei wohlmeinenden Autoren, er sich dennoch so sehr mit seinem Vaterland identifizieren konnte, daß er 1919 bis auf das äußerste innerlich betroffen war über den Versailler Friedensvertrag und aus Protest von seinem Amt als Staatssekretär des Inneren zurücktrat, so spricht daraus eine patriotische Grundhaltung, die die Verfaßtheit und das Schicksal des Gemeinwesens als eigenes, persönliches Schicksal begreift. Den Kultur- und Machtstaat zu gefährden, um normativ inspirierter demokratischer Experimente willen wäre Weber nicht eingefallen. Diese integrative Perspektive, die auf den Nationalstaat gerichtet war, kann aber Max Weber nur dann vorgehalten werden, wenn er diese Perspektive exklusiv oder in besonders nationalistischer Manier vertreten hätte. Statt dessen hat Weber eine klare Unterscheidung zwischen Nation und Nationalismus verlangt 173 und der von ihm vertretene Patriotismus wurde von vielen anderen Liberalen geteilt und teilweise weitaus undifferenzierter und zum Nationalismus tendierend überhöht. 174 Ob diese Form des Patriotismus unter heutigen
172
Beetham, Max Weber, 1985, S. 61: „By ,Herrenvolk' Weber means a people who have the capacity to play a role in world politics, a minimum qualification for which is the capacity for internal self-government"; Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 289, 291, 297, der aus diesem Zusammenhang folgert, daß in der Logik dieser Ausrichtung bei Weber schließlich die Wertideale der freien Selbstbestimmung mehr und mehr in den Hintergrund getreten seien (S. 418).
173
„Unsere Politik wird ferner antinationalistisch, nicht antinational sein müssen": Max Weber, Das neue Deutschland, Rede vom 5. Dezember 1918, MWG 1/16, S. 3 8 8 f f , S. 390.
174
Heß, Das ganze Deutschland
soll es sein, 1978.
242
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Bedingungen vollständig nachvollzogen werden kann, ist eine ganz andere Frage und erfordert durchaus kritische Einwendungen. Für die ideengeschichtliche Rekonstruktion muß ihre prägende Existenz bei den meisten der besprochenen Autoren aber zunächst vorausgesetzt werden und kann nicht als hervorstechendes Charakteristikum einzelner Personen behauptet werden. Der Patriotismus ist nicht nur die motivierende Kraft nationalistischer Kreise, sondern auch der Antrieb der Reformkräfte gewesen. Nicht ob diese Autoren also patriotisch eingestellt waren oder nicht, kann zum Ausgangspunkt der Betrachtung erhoben werden, sondern welche Schlußfolgerungen sie aus ihrem eigenen Patriotismus zogen. 175 Zwar konnte die Argumentation für die Demokratisierung auch aus Zweckerwägungen der Stabilisierung des nationalen Machtstaates erfolgen, sie konnte zumindest mit diesem Argument bei dem weniger für den Demokratiegedanken aufgeschlossenen Publikum um Verständnis werben. Aber es stellt sich dennoch die Frage, wie offen man für innere Reformen und noch gar nicht absehbare Wandlungen dieses nationalen Machtstaates war, wenn er der Kur der Demokratisierung unterzogen wurde. 176 Was im einzelnen unter Nation verstanden werden soll und wie der Wille der Nation ermittelt, in politische Willensbildung gegossen und institutionell auf Dauer gestellt werden soll, darüber schieden sich die Geister. Vor allen Dingen konnte man an diesem Punkt ganz anderer Meinung sein als diejenigen politischen Kräfte, die die Idee der Nation und der vaterländischen Gesinnung für ihre eigene Weltanschauung reservieren zu können glaubten, dabei auch noch konkurrierende Auffassungen exkludierten und in der Sache um den Schutz ihrer politischen Privilegien bemüht waren. Gerade die von Weber gebrauchte Wendung vom „Herrenvolk" und seine Einstellung zu den „Ideen von 1914" geben über Webers differenzierten Patriotismus Aufschluß. Troeltschs enthusiastische Aufnahme von Plenges „Ideen von 1914" in seinem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft von 1914 im März 1916 hatte Max Weber im Gegensatz zu den meisten anderen Zuhörern „enttäuscht". 177 Plenge schrieb später Weber in Reaktion auf dessen Juniaufsätze, daß Weber seiner Jugendvorstellung von Parlamentarismus anhinge, die den modernen Problemen der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft gar nicht gewachsen sei. Hinter Webers „wertfreien Wissenschaft" verstecke sich nur seine Orientierung an einem mittlerweile vergangenen Ideal des politischen Liberalismus, wäh-
175
Schmidt, Deutscher Historismus, 1964, S. 44ff. sieht das Jahr 1917 als große Wende der Argumentation der von ihm behandelten Meinecke, Troeltsch und Max Weber, die den Schritt von der Nation als Mythos der Anfangsjahre des Krieges zur Nation als Schicksalsgemeinschaft unternommen hätten, um daraus die Forderung an das Bürgertum abzuleiten, sich um das Wohl und die innere Organisation dieser politischen Gemeinschaft zu kümmern.
176
Mommsens Insistieren auf den nationalen Machtstaat als eigentlichen Zentralgedanken von Weber schließt diese Überlegung nicht aus. Der nationale Machtstaatsgedanke muß aus sich heraus keineswegs anti-demokratisch sein, kann aber so gewendet werden wie es diejenigen Autoren vornehmen, gegen die Weber so erbittert polemisiert. Unterstellt man freilich, daß es der „Wille des Volkes" ist, den man alleine gelten lassen will, Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 206f., gerät man auf der anderen Seite in die Kritik derjenigen, die retrospektiv den Weimarianern „vulgär-demokratische" Vorstellungen vorwarfen, etwa bei Ernst Fraenkel.
177
Weber an seine Frau Marianne vom 22. März 1916, vgl. Krüger, Die Nationalökonomen, S. 203.
1983,
Max Weber und die parlamentarische Demokratie
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rend man doch besser „aus dem tiefen Miterleben der verschiedenen Werte Methode" machen solle, d. h. wenn schon gefühlsbetont, so doch wenigstens in der Gegenwart ankommend. 178 Dieser Argumentation hielt Weber das Pathos der Nüchternheit und Sachlichkeit entgegen, das er später auch dem Überschwang der Studenten in der Revolution mäßigend entgegenhielt. Anders als Naumann versuchte Weber gerade nicht, eine inhaltlich vollständig bestimmte integrative Leitidee zu ermitteln, die alle innenpolitischen Gegner umfaßt und auf die man sich zunächst verständigen muß, um daraus institutionelle Schlußfolgerungen ableiten zu können, die also eine homogene und friedfertige Politik ermöglichen soll. Die Enthaltung von solchen integrativen Einlassungen, die Naumann genausowenig unterlassen konnte wie zahlreichen Sozialisten (nur daß der Bezugspunkt ihrer integrativen Leitidee wechselte, ob es nun die Nation oder die Klasse war, die Geschichte einer Bevölkerung als der Nation oder die Geschichte einer Bevölkerung als Gesellschaft) stellte für Max Weber als Soziologen die Voraussetzung aller politischen Argumentation dar, die für eine so heterogene Gesellschaft, wie es die deutsche war, Relevanz beanspruchen wollte. Für Max Weber bedurfte gerade die deutsche Bevölkerung einer Politik, die nicht auf integrativer Homogenität aus war, sondern des Kompromisses nicht entbehren konnte, nämlich den „Kompromiß, auf welchem in jedem Massenstaat mit starken regionalen, sozialen, konfessionellen und anderen Gegensätzen der inneren Struktur unvermeidlich die Mehrzahl der Gesetze beruht". 179 Max Weber hat auf der integrativen Ebene unzweifelhaft die Nation als zentralen Bezugspunkt verstanden, und zwar in dem Sinne des besten Entfaltungsraums einer Persönlichkeit sowohl als Individuum wie als Teil einer politischen Schicksals- und Erfahrungsgemeinschaft, wie Weber dies bereits 1912 gegen konkurrierende Vorstellungen rein emotionaler, religiöser, ethnischer oder rassischer Vorstellungen von Nationalität geäußert hatte.180 In diesem Zusammenhang erörterte Weber auch das Wechselverhältnis von sprachlicher Identifikation und fortschreitender Demokratisierung. Für institutionelle und im engeren Sinne politische Fragen hat Weber dagegen nie aus solchen integrativen Überlegungen eine argumentative Ableitung vorgenommen. Er hat sogar einen falsch verstandenen nationalistischen Orientierungssinn bei politischen Fragen entschieden zurückgewiesen. Die großen Klassiker der Dichtung und des Denkens, auf die im Zuge der Besinnung auf eine spezifische deutsche Freiheit und Demokratie im Weltkrieg so gerne zurückgegriffen wurde, hat Weber mit Verve als Vorbild abgelehnt und dabei sich auch über sein Verständnis von Patriotismus geäußert. „Das deutsche Vaterland" ist ihm „wie in so vielen Hinsichten, nicht das Land seiner Väter, sondern das Land seiner Kinder" (GPS 284). 181 Diese
178 179 180 181
Plenge an Weber vom 30. August 1917, bei Krüger, Die Nationalökonomen, 1983, S. 206. Max Weber, Parlament und Regierung {1918), Gesammelte Politische Schriften, S. 398. Diskussionsbeitrag auf dem 2. Deutschen Soziologentag in Berlin 1912, in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, S. 484. Diese Wendung hat Weber auch nach der Novemberrevolution wiederholt, in dem Vortrag Deutschlands künftige Staatsordnung (GPS 454), worin seine Offenheit für die Revolution und seine Unerschrockenheit bezüglich der durch sie herbeigeführten möglichen Gefahren für tradierte Bestände nationalen Selbstverständnisses besonders deutlich zum Ausdruck kommt.
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Orientierung des Patriotismus als einer Einstellung, die die Nation als eine erst zu schaffende und zu bewältigende Aufgabe versteht und sich dabei nicht vom Erbe der Väter an seiner eigenständigen und selbstverantwortlichen Gestaltung des Schicksals unnötig behindern lassen darf, gilt nach Weber besonders „in bezug auf die politischen Probleme. Der ,deutsche Geist' ist für deren Lösung nicht aus noch so wertvollen Geisteswerken unserer Vergangenheit zu destillieren... Sobald die Eitelkeit unserer Literaten, weil es ihr Schriftstellerberuf ist, sie der Nation zu interpretieren, daraus das Recht ableitet, unsere politische Zukunftsgestaltung damit wie mit einem Bakel zu schulmeistern: in die Ecke mit den alten Scharteken!"(GPS 285f.) Zwar bewiesen diese „Klassiker", womit Weber vornehmlich auf die bekannten abschätzigen Bemerkungen Schillers und Goethes zum einfachen Volk anspielte, daß ein Volk auch in Armut und politischer Ohnmacht zu bedeutenden geistigen Leistungen imstande sein kann (Weber sollte nach der Niederlage erneut daran erinnern). Sittliche Forderungen und geistiges Vorbild in der Formgebung, das hob Weber als mögliche Orientierung hervor, „nicht aber: als Wegweiser. Die modernen Probleme des Parlamentarismus und der Demokratie und die Wesensart unseres modernen Staates überhaupt lagen ganz außerhalb ihres Gesichtskreises" (GPS 286). „Der typische Snobismus vieler Literaten freilich (auch ganz intelligenter Literaten) findet diese nüchternen Probleme der Parlaments- und Parteireform unendlich subaltern': technische Eintagsfragen' seien das im Verhältnis zu allerhand Spekulationen über die ,Ideen von 1914"' (GPS 443). Das Land der Dichter und Denker hatte für Weber keinen aus seiner literarischen Potenz resultierenden privilegierten Anspruch auf exklusive politisch-theoretische Weisheit. Das bot die deutsche Nation gerade nicht, und erst recht nicht in Gestalt der Ideen von 1914 und des „Literatengeschwätzes", das nicht nur Webers politischen Widerstand herausforderte, sondern auch sein ästhetischkulturelles Empfinden. Das galt erst recht für die Rede vom deutschen Herrenvolk. Weber verwendete den Begriff des Herrenmenschen nicht als Terminus, sondern griff damit ein politisches Schlagwort auf, dessen Verwendung Weber bei den Nationalisten beobachtete. Er nahm den Topos auf und schleuderte ihn mit einem neuen Inhalt gefüllt gegen seine Urheber zurück. Weber lehnte entschieden die alldeutschen „Deutschtums"-Überlegungen á la Houston S. Chamberlain ab, die den „Beruf' zur Weltpolitik gewissermaßen aus der Rasse glaubten ableiten zu können (GPS 442). Weber spielt damit auf die im April 1917 gegründete Zeitschrift Deutschlands Erneuerung an, die das „radikalste völkischantidemokratische" Organ während des Krieges war.182 Zu den Gründern gehörten Mitglieder des Unabhängigen Ausschusses und der Vaterlandspartei, u. a. Kapp, Claß, Schäfer, Below und zu den weiteren Mitarbeitern zählten der von Weber erwähnte Chamberlain, Freytag-Loringhoven und der später bedeutende Nationalist und Theoretiker der Herrschaft der Minderwertigen, Edgar Julius Jung. 183 Neben seinen allgemein rassistischen Theorien nahm Chamberlain in seinen Kriegsschriften auch eine Unterscheidung der in Deutschland aktiven politischen Kräfte vor, wobei er auf der einen Seite Luden-
182
Stegmann, Erben Bismarcks,
183
Edgar J. Jung, Parlamentarismus und Königtum, fúr das deutsche Volk 1 (1917), S. 159-164.
1970, S. 515. in: Deutschlands Erneuerung - Monatsschrift
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dorff, Tirpitz, Schäfer und die hinter ihnen stehenden Kräfte sah und auf der anderen Seite die Regierung und die Reichstagsmehrheit. Letzteren unterstellte er ein Revolutionsideal, während erstere die „wissenschaftliche Organisation" der gesunden Volkskräfte im Sinne hätten.184 Die Meinung in diesen Kreisen über die argumentativen Bemühungen von Autoren wie Preuß oder Max Weber um die Erweiterung des politischen Handlungsspielraums und das Erfordernis einer gemäßigten Außenpolitik auch und gerade aus aufrichtiger patriotischer Gesinnung heraus war eindeutig. Für Ludendorff blieb Max Weber, den er im Krieg nicht kennengelernt hatte, ein wiederholt als „Vaterlandsverräter" bezeichneter Autor in Erinnerung. 185 Ein aus der germanischen Rasse abgeleiteter Anspruch auf Herrenpolitik in der Welt scheitert aber nach Weber an den dafür nötigen Voraussetzungen. Im November 1917 betonte Weber, daß die Befähigung zur Weltpolitik vor allen Dingen in der inneren Freiheit eines Volkes liege:186 „Wir wollen Weltpolitik treiben, aber dazu ist nur ein Herrenvolk fähig, nicht ein Herrenvolk im Sinne der alldeutschen Parvenüphrase, sondern ganz einfach ein Volk, das die Kontrolle seiner Verwaltung fest in den Händen hält. Die alldeutsche Bewegung aber würde von neuem zu einer Entpolitisierung des Volkes fuhren. Als ein freies reifes Volk wollen wir in den Kreis der Herrenvölker der Erde eintreten". 187 Ohne die Qualität eines „Herrenvolkes" scheitert die von alldeutscher Seite gewünschte Weltpolitik am „sicheren Instinkt der anderen Nationen", die sich gegen dieses Gebaren innerlich auflehnen, wie an der eigenen Überforderung des Herren selbst (GPS 442). Es geht demnach nicht um die metaphysische Legitimation von Machtpolitik gegenüber Untertanenvölkern, die es zu unterwerfen gilt. Anhand dieser von den All-
184
Chamberlain, Politische Ideale, 3. Aufl. München 1916, S. 76ff. und Der Wille zum Sieg, München 1918, S. 26ff.; vgl. Krüger, Die Nationalökonomen, 1983, S. 206.
185
Ludendorff an Eduard Baumgarten, als dieser 1921 versuchte, den Brief Webers an Ludendorff von diesem zu erhalten, in dem Weber dem ehemaligen Militärdiktator vorgeschlagen hatte, sich als wahrer politisch Verantwortlicher freiwillig vor das Versailler Kriegsschuldtribunal zu begeben. Baumgarten, Max Weber - Werk und Person, 1964, S. 512.
186
Aus dem Redebericht der Münchener Neuesten Nachrichten zu einer Rede Webers Für den Verständigungsfrieden und gegen die alldeutsche Gefahr vom 5. November 1917, in: MWG 1/15, S. 7 2 0 - 7 3 2 , S. 727, auch bei Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, abgedruckt im Anhang IV: S. 5 2 1 - 5 2 3 , S. 523.
187
Schon in den Juniaufsätzen hatte Weber gesagt: „Daß der Deutsche draußen, wenn er das gewohnte Gehäuse bürokratischer Bevormundung um sich herum vermißt, meist jede Steuerung und jedes Sicherheitsgefühl verliert - eine Folge davon, daß er zu Hause sich lediglich als Objekt, nicht als Träger der eigenen Lebensordnungen zu fühlen gewohnt... Und seine politische .Unreife' ist, soweit sie besteht, Folge der Unkontrolliertheit der Beamtenherrschaft und der Gewöhnung der beherrschten daran, sich ohne eigene Anteilnahme an der Verantwortlichkeit und folglich ohne Interesse an den Bedingungen und Hergängen der Beamtenarbeit ihr zu fugen. Nur ein politisch reifes Volk ist ein ,Herrenvolk': ein Volk heißt das, welches die Kontrolle der Verwaltung seiner Angelegenheiten in eigener Hand hält und durch seine gewählten Vertreter die Auslese seiner politischen Führer entscheidend mitbestimmt. Das hatte sich die Nation durch die Art, wie sie auf die politische Herrschergröße Bismarcks reagierte, verscherzt". Diesen Absatz übernahm Weber fur die monograpische Verarbeitung, verschob ihn aber an eine andre Stelle: GPS 441, MWG 1/15 S. 524f.
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deutschen gewünschten machtpolitischen Mentalität will Weber aufzeigen, daß man gerade dann um so mehr der innenpolitischen Fähigkeiten zur Politik bedarf. Eine Nation dagegen, die „nur gute Beamte ... tüchtige Gelehrte und Techniker und - treue Diener hervorbrächte und im übrigen eine kontrollfreie Beamtenherrschaft unter pseudomonarchischen Phrasen über sich ergehen ließe, - die wäre kein Herrenvolk und täte besser, ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, anstatt die Eitelkeit zu haben, sich um Weltschicksale zu kümmern" (GPS 442). Statt einem „Deutschland, Deutschland über alles" das Wort zu reden und auf ein bloßes Machtstreben abzuzielen um der blanken Größe willen und ohne Beachtung des kulturellen Ertrages (und vor allen Dingen: des humanitären Schadens und des kulturellen Verlustes der geknechteten Länder) wütete Weber mit betonter Schonungslosigkeit: „Die Deutschen sind ein Plebejervolk" (GPS 284). Es fehlt ihnen an Formen, die die Bevölkerung nachahmen und ihr eigenes Verhalten damit kultivieren könnte. „Die Formwerte des deutschen satisfaktionsfähigen Prüfungsdiplommenschen" sind nicht weltmännisch genug, um politisches Verhalten konstruktiv zu prägen. Weber sieht also keine besonders erhaltenswerten Formen. Darüber hinaus weist er aber auch die kulturpessimistische Furcht zurück, die bereits in der Vorkriegszeit grassierte und wonach die Demokratie zur allgemeinen Kulturnivellierung fuhren werde. Umgekehrt verlangt Weber, danach zu fragen, wieviel kulturell und gesellschaftlich tatsächlich verloren ginge, wenn man mit der politischen Demokratisierung gegebenenfalls die Gefahr ihres Verlustes herausbeschwörte, deren Verlust er bei einem gründlichen Strukturwandel der politischen Ordnung bedauert hätte. Den genannten Parvenüs, Junkern, Couleurstudenten 188 und Prüfungsdiplommenschen spricht er die Kraft ab, aus welcher sich die Gesellschaft vital erneuern könnte. Statt Kraft zu spenden, leben sie ihrerseits wesentlich aus dem Ressentiment, aus der Distanz zur Masse, die häufig genug mit Nietzsche kulturphilosophisch begründet wurde. Diese Art der Selbstrechtfertigung lehnt Weber entschieden ab. „Distanz ist aber keineswegs, wie der Mißverstand der verschiedenen auf Nietzsche zurückgehenden ,Prophetien' bei uns glaubt, nur auf dem Kothurn [d. h. im erhabenen, pathetischen Stil des klassischen Theaters] der .aristokratischen' Kontrastierung seiner selbst gegen die ,Vielzuvielen' zu gewinnen: - sie ist im Gegenteil stets unecht, wenn sie heute dieser inneren Stütze bedarf. Gerade als Probe ihrer Echtheit kann ihr vielleicht die Notwendigkeit, sich innerhalb einer demokratischen Welt zu behaupten, nur dienlich sein" (GPS 285). Hier sah Weber immer schon die eigentliche Wurzel für die Herrschaft der kontrollfreien Beamtenregierung: die Furcht des Bürgertums, sich den Gefahren und Zumutungen einer Politik auszusetzen, die in welcher Form der Freiheit auch immer sich mit dem Problem der Straße und der Masse auseinandersetzen mußte, ohne gleich nach der autoritären Gewalt zu rufen. Diese Furcht gibt dem Obrigkeitsstaat seine eigentümlich unpolitische Legitimität. Die „Feigheit vor der Demokratie" (GPS 252, 260) ist es, die das gelehrte Bürgertum fìir die Demagogie der hinter dem Alldeutschtum versammelten Interessen anfällig macht. Vor dem Krieg konnte sich Weber in seiner in beißende Ironie
188
Die Weber erbarmungslos anhand des einzigen Zitates in dieser Schrift: aus einer Korpszeitung am Attribut der Trinkfestigkeit authentisch markieren kann: 279f. Anm.
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gehüllten Kritik an der obrigkeitlichen Mentalität des Deutschen meiden, wenn er den Gesangsverein als typische Erscheinungsweise des Vereins in Deutschland hervorhob, der, ohne es zu wissen, Einfluß auf das politische Leben ausübe: „Ein Mensch, der täglich gewohnt ist, gewaltige Empfindungen aus seiner Brust durch seinen Kehlkopf herausströmen zu lassen, ohne irgendeine Beziehung zu seinem Handeln, ohne daß also die adäquate Abreaktion dieses ausgedrückten mächtigen Gefühls in entsprechend mächtigen Handlungen erfolgt... das wird ein Mensch, der, kurz gesagt, sehr leicht ein ,guter Staatsbürger' wird, im passiven Sinn des Wortes". 189 Was 1910 noch ein Scherz sein konnte, erwies sich in der Anfälligkeit des deutschen Staatsbürgers für die Demagogie des Alldeutschtums im Weltkrieg in den Augen Webers als äußerst gefährliche Untugend, die um so weniger bemerkt wurde, als sie sich im Zuge eines aufrichtig empfundenen nationalen Staatsempfindens äußerte, das deswegen nur um so bornierter war. Für diese Art des Bürgertums, die aus Furcht vor der Demokratie sich in die Obhut des Alldeutschtums flüchtet und weiterhin eine kontrollfreies Beamtentum duldet, findet Weber also nur vernichtende Worte. Neben der Klage darüber versucht aber Weber zugleich Wege zur nötigen Abhilfe aufzuzeigen, die er nun im Anschluß an die Julikrise hauptsächlich in den politischen Parteien und der Parlamentarisierung sieht. In der Überarbeitung der Juni-Aufsätze für die Monographie Parlament und Regierung steht die Analyse der Julikrise im Mittelpunkt (1918 GPS 360ff.). Weber faßt nun die Situation nicht mehr als Folge persönlicher Mängel oder als Folge des Fehlens einer überragenden Führerpersönlichkeit auf, sondern als das grundsätzliche Dilemma der nicht-parlamentarischen Regierungsbildung. Die Regierung konnte nicht agieren, weil sie keinen Rückhalt in den Parteiorganisationen besaß und der Reichstag selbst „bot in seiner politischen Führerlosigkeit das Bild voller Anarchie, weil die (sog.) Parteiführer niemals ihren Platz am Regierungstisch gehabt hatten und auch damals als künftige Leiter der Regierung nicht in Betracht kamen. Die Parteien sahen sich vor eine Aufgabe gestellt, die bisher nie in ihren Gesichtskreis getreten war, und der sie daher weder nach ihrer Organisation, noch nach ihrem Personalbestand gewachsen waren: eine Regierung aus sich zu bilden" (1918 GPS 360). Eine in der Regierungspraxis geübte Partei hätte sich jene „kleinbürgerliche und zünftlerische Organisation", wie sie für Deutschland so typisch ist, gar nicht leisten können. Sie erschwert jede Führung und macht jede Unterordnung unter Führung unmöglich, damit aber auch jede Koalition, die unter dem Zwang gestanden hätte, auf der Basis eines gemeinsamen Programms eine Regierung zu bilden und die nötigen Abstriche am Parteiprogramm durch entsprechende Führung auch gegenüber der eigenen Partei durchzusetzen. „Bei dem bestehenden System konnte nichts anderes eintreten als die Konsequenz einer rein negativen Politik" (1918 GPS 362). Weber formuliert nun als zentrale Frage, die sich an diese Analyse des Ablaufs der Julikrise anschließt: „Wer überhaupt die Zukunftsfrage der deutschen Staatsordnung anders stellt als dahin: Wie macht man das Parlament fähig zur Macht?, der stellt sie von vornherein falsch. Denn alles andere ist Nebenwerk" (1918 GPS 363). Noch deutlicher wird der Umschwung der Fragestellung bzw. die Vertiefung des Problembewußtseins in
189
Max Weber, Rede auf dem 1. Deutschen Soziologentag in Frankfurt, 1910, in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, 2. Aufl. Tübingen 1988, S. 445.
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der anschließenden Passage, in welcher Weber die Bedeutung und Nützlichkeit verfassungsrechtlicher Änderungen in Erwähnung des Artikels 9 Satz 2 wiederholt, aber als einzig maßgebliche Lösung ausdrücklich betont, daß nur die „Entwicklung eines geeigneten Berufsparlamentariertums" das Parlament zur Macht fuhrt (1918 GPS 363f.). Damit hat Weber die Perspektive der großen Einzelpersönlichkeit verlassen. Nun tritt wieder die Perspektive nach der „soziologischen" Bedingung der Möglichkeit eines bestimmten Verhaltens in den Vordergrund: weniger die geniale Einzelpersönlichkeit, als vielmehr die Ausbildung einer bestimmten Verhaltensqualität, die politische Führung ermöglicht, sieht Weber als drängende Aufgabe vor Augen. Nur in den politischen Parteien kann man laut Weber diese Verhaltensqualitäten erwerben und die Stätte ihres Erwerbs ist das Parlament. Nicht die Parlamentarisierung an sich ist also Webers eigentliches Anliegen, sondern das Parlament als Ort der Auseinandersetzung politischer Parteien verständlich zu machen, wo sich die von vielen verpönten „Berufspolitiker" und „Berufsparlamentarier" schulen sollen. In den Juni-Aufsätzen hatte Weber das soziologische Problem der politischen Parteien und des Parlamentes noch vernachlässigt. Das Parlament war nur in seiner Rolle als Ort der Verwaltungskontrolle erörtert worden. Weber hatte den Handlungsspielraum der Beamtenregierung untersucht und an die verbündeten Regierungen der Dynastien, vor allen Dingen aber an die preußische Monarchie appelliert, Politiker und nicht nur verdiente Beamte mit der Aufgage der Führung zu betreuen. Nach der Julikrise sah Weber das Hauptproblem in der Unfähigkeit der politischen Parteien, aus sich heraus den Schritt in die politische Selbstverantwortung zu unternehmen. Der Reichstag als Parlament wird von Weber weder als Umsetzungs- und Vermittlungsorgan des Volkswillens verstanden, noch als Organisationsstätte einer durch objektive Interessen berufsständisch strukturierten Bevölkerung, sondern als Kampfstätte der politischen Parteien. Politische Auseinandersetzung ist nach Weber geprägt durch den „politischen K a m p f . Aber Weber verstand unter politischem Kampf nicht die blutige oder skrupellose Machtpolitik des Erringens und Behauptens einer politischen Vormachtstellung, sei es nach außen, oder nach innen. Politischer Kampf meint vor allen Dingen das ganz andere als Verwaltung, er zielt auf „Werbung von Bundesgenossen und freiwilliger Gefolgschaft" (MWG 482, erneut: MWG 487). Das Parlament sollte die Hauptbühne dieses politischen Kampfes sein und die politischen Parteien seine Hauptträger. Webers Emphase für den „politischen Kampf' 1 9 0 als Charakteristikum des Parlaments dient zu diesem Zeitpunkt der polemischen Abgrenzung von den Ideen einer berufsständischen Vertretung, die an die Stelle der Auseinandersetzung politischer Parteien treten soll. Max Weber war ein deut-
190
Hennis, Max Weber Fragestellung, 1987, S. 235 unterscheidet diesbezüglich zwei politische Denkweisen. Die eine knüpft an Thomas Hobbes an und will den Kampf um die Macht definitiv beenden und dadurch Frieden schaffen, der freilich nur durch die Grenzziehung freier Betätigung ermöglicht wird. Die andere Denkweise reicht von Machiavelli über Rousseau zu Tocqueville. Sie will um der Freiheit willen den Kampf nicht ausschließen. Zu letzterer zählt Hennis auch Weber. Dem kann man sich ideengeschichtlich anschließen. Welchen diskursiven Sinn es aber macht, mit einem so provozierenden Gestus vom politischen Kampf zu sprechen, erschließt sich zunächst aus dem polemischen Hintergrund, der Weber veranlaßt, provozieren zu wollen.
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licher und erklärter Gegner berufsständischer Ideen.191 Sie symbolisierten für ihn die weit verbreitete Furcht vor der nötigen Politisierung und die Flucht in die Illusion von scheinbar sachlichen und damit wiederum überparteilichen Lösungsmodellen der politischen Willensbildung. Die wie gezeigt nach der Julikrise erneut diskutierten Modelle einer berufsständischen Vertretung waren für Max Weber letztlich nur Ausdruck einer politischen Denkweise, die den politischen Kampf ausschalten wollte. Die Hervorhebung der politischen Auseinandersetzung als eines Kampfes gehörte zu den thematischen Erweiterungen, die Weber nach der Julikrise den Juniaufsätzen hinzufügte. 192 Der politische Kampf ist für Weber vor allen Dingen Ausdruck der willentlichen Freiheit und der Selbstorganisation in eigens hierfür geschaffenen Gebilden, den politischen Parteien. Politisch meint in diesem Zusammenhang zunächst soviel wie in Freiheit handeln. Das macht den großen Unterschied zwischen politischen Parteien und allen nach sachlichen Kriterien vorab organisierten und nicht der Selbstorganisation überlassenen Gebilden aus. Die freiwillige Natur politischer Parteien und ihre Überlegenheit über alle obrigkeitlich strukturierten Verbände war Gegenstand der Broschüre Wahlrecht und Demokratie in Deutschland.193 Berufsverbände, die im Modell der berufsständischen Vertretung deren Grundlage bilden sollten, sind „staatlich organisierte Interessenkörperschaften", die aber gerade ob ihrer staatlichen Zwangsreglementierung nicht für den „lebendigen Strom der wirtschaftlichen Interessen" (GPS 261) geeignet sind, während die auf freiwilliger Basis begründeten Interessenorganisationen den unmittelbaren Bedürfnissen des Wirtschaftslebens näher sind und sich deren Wandel auch leichter anpassen können. Der Vorzug ihres „voluntaristischen" Grundzugs gilt nun auch im Gebiet der Politik für die politischen Parteien, die auf „freiwilliger Werbung" beruhen und deswegen weitaus besser in der Lage sind, auf die unterschiedlichen politischen Interessen zu reagieren und sie zu bündeln. Jene nicht-staatlichen Organisationen sind infolge ihrer Struktur der freiwilligen Selbstorganisation „die geeigneten Organisationen für Kampf und Kompromiß", dagegen alle staatlich organisierten Verbände nur „für sachliche gutachtliche Äußerung oder rein ,pflegliche' friedliche Verwaltungsarbeit" geeignet. Die Unterschätzung dieses für Weber elementaren Unterschiedes in der öffentlichen Debatte liegt nun an der Konjunktur des Organisationsgedankens im Weltkrieg. Hugo Preuß hatte diesen Aspekt bereits 1915 hervorgehoben und Weber folgt ihm hier der Sache nach. „Der Eifer für Organisation' versteht bei uns unter diesem Wort eben leider immer nur: Zwangsorganisation mit obrigkeitlichem Reglement durch die Polizei. Die auf dem Boden der freien Eigeninitiative (,voluntaristisch l ) geschaffenen Organisationen werden von den Literaten gern als eigentlich illegitim, günstigstenfalls aber nur als provisorisch, zum dereinstigen Aufgehen in eine polizeilich reglementierte Organisation bestimmt,
191
Vgl. GPS S. 2 5 2 - 2 6 8 , 325f., 332f., 529 und hierzu Mommsen, Max Weber und die Politik, 1974, S. 256.
deutsche
192
So fehlte 1917 die Anmerkung, wonach Politik nicht Verwaltung sei, sondern: „Politik ist: Kampf' (1918 GPS S. 329, MWG S. 460).
193
Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, in: Der Deutsche Volksstaat - Schriften zur inneren Politik, hg. von Wilhelm Heile und Walter Schotte im Buchverlag der .Hilfe' (2. Heft), Dezember 1917, GPS S. 2 4 5 - 2 9 1 , S. 285.
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angesehen, ohne Rücksicht darauf, ob sie vielleicht ihrem Wesen und Sinn nach nur einer voluntaristischen Struktur fähig sind" (GPS 261). Zieht man eine ständische, nicht auf politische Auseinandersetzung beruhende Gliederung vor, so muß der immer notwendig zu erzielende Kompromiß der divergierenden Interessen bereits im System selbst gefunden worden sein. Man muß gewissermaßen vorher schon wissen, was die Probleme und die entscheidenden Konfliktlinien sind. Das aber ist unter modernen Bedingungen unmöglich. „Es gehört zu den Erbtorheiten unseres dilettantischen politischen Literatentums: ,mit Worten', in diesem Fall: mit Paragraphen eines von ihnen zu entwerfenden Status, ,ein System bereiten' zu wollen, wo alle Bedingungen mangeln" (GPS 261). Der Fluß gesellschaftlicher Interessen kann nicht aufgehalten werden mit einem System, das man wie ein Netz über die Probleme wirft. Solche Vorstellungen sind fur Weber nicht „organisch", wie ihre Verfasser gerne behaupten, sondern nur „mechanisch". Will man den Kompromiß, jene politische Ausdrucksform des modernen Rationalismus im Felde des Politischen, so bedarf man sowohl der freiwilligen Selbstorganisation der Interessen wie des freien Austrages ihres politischen Kampfes, aber mit dem Stimmzettel als ultima ratio, der erst den politischen Kampf der Parteien strukturiert. Der Stimmzettel leistet nämlich den „Druck, daß in Ermangelung des Zustandekommens des Kompromisses die dann stattfindende Wahl oder Abstimmung ein vielleicht allen Beteiligten annähernd gleich unerwünschtes Resultat haben werde" (GPS 265). Nur die Drohung der Wahl und die Sorge vor einer Verschlechterung der eigenen Position erzwingt daher den Kompromiß, also das Zurückweichen hinter die eigene Ursprungsposition, das Aufgeben von Details zugunsten wichtigerer Interessen. An dieser Stelle betritt das Argument der Demokratie erstmals mit Gewicht den Raum der politischen Argumentation Webers im Krieg. Denn hinter den berufsständischen Ideen standen ja, wie gezeigt wurde, die Bemühungen, eine Demokratisierung des preußischen Wahlrechts zu vermeiden. Gewogen werden sollten die Stimmen, nicht nach Köpfen gezählt: diese seit Schiller gebrauchte Floskel ist für Weber der Inbegriff politischer Borniertheit im Land der Dichter und Denker. Ihr stellte Weber ein eindringliches Plädoyer für die Wahlrechtsgleichheit entgegen. „Es ist rein politisch kein bloßer Zufall, wenn heute das gleiche ,Ziffernwahlrecht' überall im Vordringen ist. Denn diese Gleichheit des Stimmrechtes entspricht in ihrer .mechanischen' Natur dem Wesen des heutigen Staates. Dem modernen Staat erst gehört der Begriff des ,Staatsbürgers' an. Und das gleiche Wahlrecht bedeutet schlechterdings nichts anderes als: daß an diesem Punkt des sozialen Lebens der einzelne einmal nicht, wie sonst überall, nach seiner Besonderung in beruflichen und familienhaften Stellungen und nach den Verschiedenheiten seiner materiellen oder sozialen Lage in Betracht kommt, sondern eben nur: als Staatsbürger. Die Einheit des Staatsvolks an Stelle der Gespaltenheit der privaten Lebenssphären kommt darin zum Ausdruck" (GPS 266). Die Gleichheit war also eine der Idee des Staates als der aller gesellschaftlichen Differenzierung entzogenen, gewissermaßen künstlichen, aber einheitlichen Ordnung gemäße Perspektive auf den Menschen. Sie war für Weber ein funktionales Äquivalent für die sozialen Ungleichheiten, nicht Ausdruck einer angenommenen anthropologischen Gleichheit. „Das hat mit der Theorie von irgendeiner natürlichen ,Gleichheit' der Menschen natürlich nicht das geringste zu schaffen. Seinem Sinne nach ist es gerade im Ge-
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genteil ein gewisses Gegengewicht gegen die nicht durch natürliche Qualitäten, sondern, oft im schroffsten Gegensatz zu ihnen, durch gesellschaftliche Bedingungen, vor allem durch das Portemonnaie geschaffenen unvermeidlichen, aber in keinerlei natürlichen Unterschieden begründeten sozialen Ungleichheiten" (GPS 266). Gewiß gab die Erfahrung des Krieges der Gleichheit einen spezifischen, würdevollen Sinn als „Gleichheit gewisser Schicksale, die wiederum der moderne Staat als solcher schafft. ,Gleich' sind die Menschen vor dem Tod. Annähernd gleich sind sie auch in den unentbehrlichsten Bedürfnissen des körperlichen Lebens. Eben dies Ordinärste und andererseits jenes pathetisch Erhabenste aber umfassen auch diejenigen Gleichheiten, welche der moderne Staat allen seinen Bürgern wirklich dauernd und unbezweifelbar bietet: die rein physische Sicherheit und das Existenzminimum zum Leben, und: das Schlachtfeld für den Tod" (GPS 268). Aber bei allem Pathos ist hier doch der unbestechliche Soziologe am Werk, wenn er nicht den Gesang auf den Heroismus oder die Sittlichkeit des Staates anstimmt, sondern eben dieses pathetische Gleichheitserleben als Gewordenes, sozial verursachtes, nämlich durch den modernen Staat ins Leben Gerufenes darstellt. Gerade das Wirken der gesellschaftlichen Kräfte wird nach Weber auch unter den Bedingungen der Massendemokratie zu sozialen Differenzierungen fuhren, die tatsächlich soziale Ungleichheiten schaffen wird. Vor allen Dingen wird das Gesetz der Bürokratie dem Fachbeamtentum immer einen Vorteil verschaffen, und deswegen ist es nach Weber sinnvoll, daß hiergegen mit dem gleichen Stimmgewicht „ein Äquivalent: die Gleichstellung der an Masse überlegenen sozial beherrschten gegenüber den privilegierten Schichten zum mindesten bei der Wahl der kontrollierenden und als Auslesestätte der Führer fungierenden Körperschaft geschaffen wird" (GPS 266). Das Parlament wird nun also von Weber unter den Bedingungen der modernen Massendemokratie verstanden. Parlamentarismus und Demokratie werden nicht getrennt, um etwa den feinen Mechanismus parlamentarischer Arbeit von den demokratischen Zumutungen insbesondere der öffentlichen Meinung zu befreien, sondern um sie durch die Drohung der ultima ratio der Wahl überhaupt arbeitsfähig zu machen und d. h.: kompromißbereit. Denn der Kompromiß ist für Weber ganz selbstverständlich die Voraussetzung aller Mehrheitsbildung, der freie politische Kampf die Voraussetzung zur Schaffung und Einhaltung desselben. Das Parlament soll sich für die Demokratie öffnen, um parlamentarisch, d. h. um wirkliche Stätte der politischen Auseinandersetzung zu werden, in der in frei geworbenen politischen Gruppierungen gesellschaftliche Interessen kompromißfähig verhandelt werden. Zugleich bietet nur der demokratische Rückhalt die Chance, ein wirksames Gegengewicht gegen die Überlegenheit des Fachbeamtentums aufzubauen. Weber hatte schon vor dem Krieg den Begriff des Volkswillens zur Fiktion erklärt und das erleichterte im Weltkrieg seine analytische Arbeit erheblich. Das Volk tritt bei Weber nirgendwo begrifflich in Erscheinung und er ist auch durchaus skeptisch, ob in dem Begriff des Volksstaates von Hugo Preuß nicht doch die Illusion einer integrativen Leitidee stecken könnte, die von den institutionellen Problemen ablenkt, und wenn sie Preuß auch selber nicht intendierte, so doch in dieser Hinsicht rezipiert werden könnte (GPS 340). Demokratie ist für Weber herrschaftssoziologisch schon dort wirkmächtig, wo „die Massen nicht mehr rein als passives Verwaltungsobjekt behandelt werden kön-
252
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nen, sondern in ihrer Stellungnahme irgendwie ins Gewicht fallen" (GPS 393), und zwar unabhängig von der Staatsform. Das Gewicht der Massen aber hatte der Weltkrieg zur Genüge bewiesen. Damit nahm Weber seine schon vor dem Weltkrieg erörterten Demokratieauffassung als Förderin der Rationalisierung und Bürokratisierung der Lebenswelt wie als Chance ihrer politischen Kontrolle wieder auf. Aus der Annahme des wirkenden Hintergrunds der Demokratie im herrschaftssoziologischen Bereich folgt für Weber aber keineswegs für die Regierungstechnik, daß auch die demokratische Regierung die angemessene Ableitung sei. Der Hinweis auf die objektive Erfordernis von Kompromissen ist von Weber ausdrücklich auch gegen die Regierungsform der reinen Demokratie gerichtet, die in Referenden den scheinbar homogenen Volkswillen am reinsten, weil am wenigsten durch intermediäre Gewalten und Instanzen verfälscht, zum Ausdruck bringen. Für Weber steht dagegen unzweifelhaft fest: „Das Referendum kennt eben nicht: das Kompromiß" (GPS 398). Die Vorstellung, daß der Volkswille sich von unten nach oben Geltung verschafft und nur aus organisatorischen Gründen die Vermittlungsinstanz des Parlaments benötigt, gehört für Weber zu den Argumentationsweisen, die er gerade bei den Anhängern der Ideen von 1914 vermutet: weil die Alldeutschen und Vaterländler glauben, daß die öffentliche Meinung auf ihrer Seite ist und ihre imperialistischen und siegfriedensorientierten Postulate gutheißt, wird bezweifelt, daß der Reichstag und seine Mehrheit, wie sie sich in der Friedensresolution niederschlug, noch den Volkswillen repräsentiert. Der Volkswille ist für Weber Gegenstand der Organisation, er ist nicht präexistent. Wenn nun Weber nach der Julikrise die Idee die Demokratie als Möglichkeit der Kontrolle der Bürokratie wieder erörterte,194 so stellte sich die Frage, wie er für die Massendemokratie typische Erscheinung der Demagogie behandelt, die ja die Hauptkritik der Demokratiegegner darstellte. Die neue Erkenntnis Webers lautet nun: Demagogie ist unvermeidlich, und zwar ganz unabhängig von der Regierungsform. Es gilt aber nach Weber zwischen der unvermeidlichen und durchaus leistungsfähigen und konstruktiven Demagogie einerseits, und der zerstörerischen Demagogie des „Literatengeschwätzes" andererseits zu unterscheiden. Der Unterschied beruht darauf, daß etwa die alldeutsche Demagogie, die Weber während der Dauer des ganzen Krieges verurteilte und anprangerte, unverantwortlich war und dies auch sein konnte, weil sie niemand zur Verantwortung zog. Nur verantwortliche Demagogie übt eine Selbstkontrolle aus, da mit Übernahme der Verantwortung der Redende zum Handelnden wird und sich zeigt, ob seinen Worten auch Taten folgen können, für die er wiederum Rechenschaft abzulegen hat. Die Sicherstellung der Verantwortung des Demagogen für seine Taten ist neben anderen Leistungen die wichtigste Funktion des Parlaments in der Massendemokratie. Weber hatte vor der Julikrise die Demagogie bekämpft. Wir hatten seine Empörung über das Literatenpack und die alldeutsche Demagogie gesehen. Aber schon Mitte 1916 erwähnte er in seinen noch im Weltkrieg erscheinenden Studien zur Religionssoziologie,
194
Vgl. die an der zu den Juniaufsätzen gleich gebliebenen Diagnose der Bürokratisierung aller politischen Ordnung, die er in Erweiterung seines Textes von 1917 ergänzt um die Frage: „Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinne überhaupt möglich sein?" (MWG 466).
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Max Weber und die parlamentarische Demokratie
daß er im Phänomen des vorexilischen Propheten, des Unheilspropheten des Alten Testamentes die erste geschichtlich beglaubigte Gestalt des politischen Demagogen erblikken zu können vermeinte. 195 Mit der vertieften Verarbeitung der Julikrise erfolgte an diesem Punkt nun eine entscheidende Wende. Weber war nun bereit, die Demagogie als unumgängliche Erscheinung moderner Politik anzuerkennen und sich nur darauf zu konzentrieren, sie zu kontrollieren und als verantwortliche Politik in die politische Ordnung einzubinden. Bereits im Juni 1917 hatte Weber die Wirkung des englischen Parlaments gelobt, wo alleine die Versammlung „zu einer Auslesestätte nicht für bloße Demagogen, sondern für sachlich arbeitende Politiker" geworden sei. In dieser Leistung steht für Weber das englische Parlament weiterhin unerreicht da (MWG 491). Aus dieser Randbemerkung wurde nun das Herzstück seiner Institutionenlehre des Parlaments in der modernen Massendemokratie. Das „modische Literatengerede bei uns diskreditiert die Parlamente gerne als Ort, wo nur .geredet' wird". Aber dennoch habe sich das englische Parlament zum ausschlaggebenden Träger der englischen Weltmacht aufgeschwungen, und dies verdanke es gerade der dort geschulten Fertigkeit der politischen Rede. „Heute ist nun einmal nicht das eigene Dreinschlagen mit dem Schwert, sondern sind ganz prosaische Schallwellen und Tintentropfen: geschriebene und gesprochene Worte, die physischen Träger des leitenden (politischen und: militärischen!) Handelns." Das habe dazu geführt, daß das englische Parlament zur Auslesestätte jener Politiker wurde, „welche es verstanden haben, ein Viertel der Menschheit zur Unterordnung unter die Herrschaft einer winzigen staatsklugen Minderheit zu bringen. Und zwar - die Hauptsache! - zu einem immerhin erheblichen Teil zur freiwilligen Unterordnung. Wo hat der vielgepriesene Obrigkeitsstaat denn ähnliche Leistungen aufzuweisen?" (MWG 490f.). Was der Demokratiekritiker als demagogische Unterdrückung der Bevölkerung versteht, sieht Max Weber als Leistung der politischen Führung: die Überredung der Massen zu freiwilliger und deswegen um so erfolgreicher erbrachten Leistung. Hier hat das Parlament also eine erheblich veränderte Funktion gegenüber dem Enqueterecht, das Weber im Frühjahr noch als zentrale Forderung erhoben hatte. Allerdings bedingt diese parlamentarisch eingeübte Form der Demagogie im Sinne der politischen Führung der Massen (und darin ganz im zunächst durchaus neutralen Wortsinne des griechischen Begriffs des dem Volk Voranschreitenden gebraucht) auch eine Veränderung der Auslese der politischen Führer. Die moderne Auslese der Führungspersönlichkeiten unter den Bedingungen der Demokratisierung im beschriebenen faktischen, nicht staatsrechtlich-formalen Sinne, stellt eine „cäsaristische Wendung der Führerauslese" dar. Dazu zählt Weber vor allen Dingen den englischen Premier (1918 GPS 395). Lloyd George ist für Weber das große Beispiel des modernen Politikers. Weber hatte dabei die ungeheuren Umwälzungen vor Augen, die England im Krieg durchmachen mußte, um sich den Anforderungen des Weltkriege gewachsen zu zeigen. Im Gegensatz zu Deutschland war England viel weniger eingestellt auf die moderne Kriegführung von Millionenheeren. Sein kleines Berufsheer stellte wohl qualitativ eine der besten Kontingente im Kampfgeschehen der ersten Monate dar, konnte aber aufgrund
195
Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, derne, 1996, S. 16.
1988, S. 604f. und Schluchter, Unversöhnte
Mo-
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
seiner geringen Truppenzahl nur wenig ausrichten. Aus dem Nichts mußte die Politik Massenheere bilden, aus dem schieren Boden wurden Millionenkontingente gestampft, und dies durch den bloßen Appell an die Freiwilligkeit der Rekrutierung, die einen solchen Erfolg hatte, daß die Ausrüstung der Zahl der Freiwilligen nicht nachkommen konnte. Die Erkenntnis der Granatenlücke, die strategische Option des Brückenkopfes in der Ägäis, die Formierung eines entscheidungsfahigen Kriegskabinetts und schließlich die Förderung waffentechnischer Neuerungen in Gestalt des Tanks: solche Leistungsfähigkeit war für Weber kein Zufall, sondern Resultat eines politischen Erziehungsprozesses der englischen Führung, die zäh am Primat des Politischen festhielt. Weber ist zu diesem Zeitpunkt keineswegs von einer besonderen Vorliebe fur eine cäsaristische Politik erfüllt, die als eine Vorform seiner späteren systematischen Entfaltung charismatischer Herrschaft verstanden werden könnte. Das Charisma tritt in dieser Phase des Weberschen Denkens noch gar nicht maßgeblich in Erscheinung. 196 Demagogie als moderne Form politischer Führung sieht Weber rein analytisch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Demokratie, wobei er aber Demokratie nicht so sehr als politische Demokratie oder als Staatsform, sondern im soziologischen Sinne verstanden wissen wollte. Man muß die Massen fuhren können und dies ist die Realität, ganz gleich in welche Staatsform sie sich kleidet. Nimmt man den sozialen Begriff der Demokratie zum Ausgangspunkt, so lautet Webers Schlußfolgerung für institutionelle Fragen der Regierung: „Demokratisierung und Demagogie gehören zusammen" (GPS 393). Demokratie ist für Weber insofern kein Modell politischer Ordnung oder eine Alternative zum Obrigkeitsstaat, sondern soziologische Wirklichkeit und die Frage ist für ihn alleine, ob man sich in die Lage versetzt, daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen, oder nicht. Die Auslese des demagogischen Führers ist eine Resultante des Vertrauens und ob nun das Vertrauen bei den Massen oder bei anderen Referenzobjekten sichergestellt werden muß, es bleibt immer ein irrationaler Zug bestehen. Die durch Auslese geschaffene politische Führung beruht demnach nicht auf der Selbstillusionierung des Obrigkeitsstaates, wonach alleine die Unabhängigkeit vom Parteibetrieb und nur die hierarchische Auslese nach Maßgabe der reinen Sachkompetenz, wie sie letztlich nur die Beamtenschaft gewährleistet, das Kriterium des leitenden Staatsmannes darstellt. Vertrauen muß der Kanzler in der Monarchie auch beim Monarchen finden. Auch und gerade Bismarck erhielt nicht die Aufgabe und Möglichkeit politischer Führung durch die Beamtenlaufbahn, sondern durch das Vertrauen des Monarchen. Und wie in der Zeit der Honoratiorenparteien sich die Auslese durch das Vertrauen der Honoratioren einstellte, so in der Massendemokratie (verstanden als einem sozialen, nicht politischen Phänomen) durch das Vertrauen der Massen. Je nach Referenzobjekt der Verantwortung wird dieses Vertrauen auch gewonnen, und das heißt in der Massendemokratie notwendig auch mit massendemagogischen Mitteln, die vor allen Dingen zur Emotionalisierung
196
Vgl. Breuer, Bürokratie und Charisma, 1994, S. 202ff. Erst in dem Vortrag „Politik als Beruf wird behauptet, das charismatische Element sei aller Führung eigen (GPS 533), aber wenn man sieht, daß Weber auch vom Charisma der Vernunft sprach (WuG 142), so wird man zunächst die analytische Verwendungsweise Webers hervorheben müssen, bevor man aus dem Charisma Rückschlüsse auf Webers gleichsam subkutane Vorliebe für irrationale Politik zieht.
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führt. Wenngleich auch Weber die Emotionalisierung als eine politische Gefahr ansieht, so ist aber deswegen nicht die soziale Masse zwingend der Emotionalisierung verhaftet, wie umgekehrt der soziale Status von Honoratioren alleine keine nüchterne Politik gewährleistet. Umgekehrt: wer sich der Emotionalisierung ausliefert, gehört bereits zur „Masse" in einem politischen Sinn. Weber zählt ausdrücklich alle sozialen Schichten und selbst den Monarchen dazu. „Die 'Masse' als solche (einerlei, welche sozialen Schichten sie zusammensetzen) 'denkt nur bis übermorgen'. Denn sie ist, wie jede Erfahrung lehrt, stets der aktuellen rein emotionalen und irrationalen Beeinflussung ausgesetzt" und er fügt hinzu: „Sie teilt das übrigens mit der modernen selbstregierenden Monarchie, welche ganz die gleichen Erscheinungen zeigt" (404). Nun birgt Demagogie also als Grenzfall die emotionale Massenbeeinflussung, die Manipulation, und darin sieht Weber auch ihre grundsätzliche Gefahr für die politische Ordnung. Er glaubt aber nicht, daß sie überhaupt vermieden werden kann. Denn wollte man ihre Gefahr gänzlich ausschließen, müßte man verhindern, was gerade den Wert dieser Form der Politik ausmacht: die Freiwilligkeit. Man darf nämlich nicht vergessen, daß für Weber selbst die demagogische Manipulation nicht als heterogene Nötigung eines Zwangsapparates zu verstehen ist, sondern nur als Verschärfung einer immer schon mannigfachen Einflüssen ausgesetzten Willensbestimmung, die freiwilliges Handeln und Dulden nach sich zieht. Da die Demagogie Weber zufolge also unvermeidbar ist, und zwar unabhängig von der Staatsform, weist er entschieden die einseitige Zurechnung der Demagogie zur Demokratie als einer politischen Staatsform verstanden, zurück (GPS 391). Das Alldeutschtum beweise ja geradezu, daß es im Obrigkeitsstaat Demagogie zuhauf gebe: „Demokratisierung Deutschlands bedeutet nicht Auslieferung an Sozialismus oder Pazifismus, bedeutet vor allen Dingen nicht Auslieferung an Demagogie. Eine so tolle Demagogie, wie sie jetzt geübt wird, ist überhaupt nicht wieder denkbar". 197 Die Demagogie ist zur „Tatsache" der modernen Politik geworden und die alldeutsche und VaterlandsDemagogie (1918 GPS 406) ist hierfür der Beweis. Die Kampagnen ihrer „Pressedemagogie" seit 1916 „konnten jedermann zeigen, daß .Demagogie' schlimmster Art: eine Pöbelherrschaft, auch ohne alle Demokratie, ja gerade infolge des Fehlens einer geordneten Demokratie, sich findet" (1918 GPS 435 Anm. 1). Mit dem Wort vom „modernen Sykophantentum" (1918 GPS 388 Anm.l) nahm Weber einen Vorwurf der Althistoriker gegen die attische Demokratie auf und wendete ihn gegen die Demokratiekritiker. Gemeint war der Vorwurf von Houston S. Chamberlain, der 1917 behauptet hatte, England bediene sich bei seiner Propaganda der Frankfurter Zeitung, eine Behauptung, die die Vaterlandspartei gerne verbreiten ließ. Diese Unterstellung verfolgte die angegriffene Zeitung gerichtlich. Der Anwalt Chamberlains war nicht zufällig Heinrich Claß, der argumentierte, die Frankfurter Zeitung sei ein Organ der Hochfinanz und des Handels, die schon von ihrem Interesse her kosmopolitisch und international und nicht national orientiert seien, weshalb die Behauptung Chamberlains nicht aus der Luft gegriffen
197
Max Weber, Aristokratie und Demokratisierung in Deutschland, Vortrag vom 16. Januar 1918, in: MWG 1/15 7 3 3 - 7 3 8 , S. 736 oder Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, Anhang V.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
sei. Diese Art der Argumentation gehörte zu einer ganzen Kampagne der Verunglimpfung reformerisch gesonnener Kräfte. 198 Aber während sich Weber vor der Julikrise darüber erregte und den Alldeutschen ihr demagogisches Gebaren vorwarf, drehte Weber in der zweiten Hälfte des Jahres 1917 einfach die Argumentation um. Er erklärt nun, daß die Demagogie der Alldeutschen nur deswegen verwerflich sein kann, weil sie ohne jede demokratische Verantwortung der Demagogen erfolgt. „Wir haben in Deutschland Demagogie und Pöbeleinfluß ohne Demokratie, vielmehr: wegen des Fehlens einer geordneten Demokratie" (GPS 393 und 1918 GPS 435 Anm. 1). Das Hauptbeispiel fur diese „tolle Demagogie" war nach dem U-Boot-Krieg vor allen Dingen das Treiben um die Friedensverhandlungen mit den Bolschewiki. Die Umstände der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk waren für Weber der letzte Beweis für die immanenten Grenzen der Beamtenregierung, für den Zusammenhang einer ausgebliebenen Auslese politischer Führungskräfte zu verantwortlichen Politikern und die korrespondierende Erscheinung einer unsachlichen Gelehrtenöffentlichkeit, die gerade mangels Führung nur wildeste Blüten politischer Phantasmagorien züchtete. Weber ging so weit, die ausbrechenden Januarstreiks in Berlin mit dem demagogischen Wüten der Annexionsanhänger zu erklären. Mit den Januarstreiks im Jahre 1918 geriet die burgfriedenstreue Mehrheitssozialdemokratie in eine zunehmend schwierigere Lage. Sie hatte den innenpolitischen Erfolg nicht erreicht, mit dem sie gehofft hatte, solche Unruhen vermeiden zu können und mußte sich an die Spitze der Streikbewegung setzen, um sie überhaupt noch kontrollieren zu können. Dieser Schwenk machte die Sozialdemokratie in den Augen der konservativen Tagesblätter wieder verdächtig. In dieser Situation brach Max Weber eine Lanze für die Haltung der MSPD. Der Streik sei kein geeigneter Gegenstand für die in der Tagespresse erfolgten Entrüstung, er war nach Weber sogar seitens der sozialdemokratischen Führung stets befürchtet worden und sei nicht ihr Verschulden, sondern „ganz und gar die Frucht dessen, was andere gesät hatten", nämlich die konservativen Demagogie: „Der Streik war ganz selbstverständlich angesichts dessen, was man in Berlin Mitte Januar erlebte und was tatsächlich jeden, der einen rein sachlichen Betrieb der Politik verlangt, zum Rasen bringen konnte: wildeste Demagogie ohne Demokratie, vielmehr wegen fehlender Demokratie. Man muß dort gewesen sein, um das zu verstehen: man glaubte, im Irrenhaus zu sein". 199 Erneut machte Weber den für ihn nun maßgeblichen Zusammenhang zwischen Demagogie und fehlender Demokratie deutlich: Ohne Verantwortung kann die ohnehin unvermeidliche Demagogie nicht in eine vernünftige Regierungspolitik transformiert werden. Mit dieser Argumentation einer Differenzierung der Demagogie nach verantwortlicher und unverantwortlicher Politik gelang es Weber, das Phänomen der Demagogie in eine sachliche Beurteilung der politischen Systeme einzubinden. Weber leugnet also nicht die dem
198
Die liberale Einstellung der Frankfurter Zeitung gab gelegentlich Anlaß zu Einwänden bezüglich ihrer mangelnden vaterländischen Gesinnung. Vgl. F. Collasius, Die Außenpolitik der Frankfurter Zeitung, diss. Greifswald 1920. Vgl. auch Becker, Demokratie des sozialen Rechts, 1971.
199
Max Weber in der Frankfurter Zeitung vom 7. Februar 1918, zitiert nach: ders., Innere Lage und Außenpolitik (Artikel aus der FZ von 3., 5. und 7. Februar 1918, Gesammelte politische Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 2 9 2 - 3 0 5 , S. 299.
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Cäsarismus der modernen Führerauslese verbundenen Gefahren, denn sie favorisiert eine kurzfristige und auf rasche populäre Wirkungen zielende Politik. Man kann diese Gefahr jedoch nicht bannen, ohne ganz auf moderne Politik zu verzichten, aber man kann sie eindämmen, wenn man Demagogie und Verantwortung in ein Wechselverhältnis bringt. Wenn der Demagoge für seine Politik verantwortlich gemacht werden kann, so besteht die Möglichkeit, „verantwortliche Führer, nicht bloße Demagogen und Dilettanten" zu bekommen (GPS 365). Der Begriff der Verantwortung wird für Weber Ende 1917 geradezu zum Inbegriff des Politischen und der politischen Führung. Verantwortung ist das Pendant zur politischen Macht. Wer die „überparteiliche" Politik bevorzugt, schafft deswegen nicht eine verantwortliche Politik, sondern verzichtet auf Sinn für die „Eigenverantwortung" des Politikers „für seine Sache", Verantwortung ist mithin das „Lebenselement des Politikers wie des Unternehmers" (MWG 1/ 15 468, Zusatz von 1918). Das greift den späteren Überlegungen in Politik als Beruf von 1919 vor. Es kommt also auf die Ermöglichung verantwortlicher Führer, des „politischen Führertums" überhaupt an. „Es ist eine der stärksten Argumente für die Schaffung geordneter verantwortlicher Leitung der Politik durch ein parlamentarisches Führertum, daß dadurch die Wirksamkeit rein emotionaler Motive von ,oben' [gemeint ist der Kaiser, vgl. S. 271] und von .unten' so weit geschwächt wird, als dies möglich ist. Mit dem gleichen Wahlrecht hat die 'Herrschaft der Straße' nichts zu tun...Im Gegenteil kann nur die geordnete Führung der Massen durch verantwortliche Politiker die regellose Straßenherrschaft und die Führung von Zufallsdemagogen überhaupt brechen" (GPS 287). 200 So wenig daher das persönliche Regiment eines Monarchen für die politische Führung in Frage kommt, so wenig darf die Demokratie als Politik der Straße mißverstanden werden, sie kann umgekehrt sogar der politischen Führungsspitze ganz neuartiges Personal zukommen lassen. Herrschaftssoziologisch gilt vielmehr auch in der Demokratie das Gesetz der kleinen Zahl und tatsächlich kann es auch in einer Demokratie politische Traditionen geben, die echte Aristokratie befördern, und zwar sowohl in Frankreich (GPS 270) wie in den USA (GPS 284). Der Vorzug der echten politischen Aristokratie vor der klassischen politischen Demokratie zeigt sich nach Weber in ihrer Fähigkeit zur emotionsfreien Politik an Stelle des von Massenemotionen Getriebenseins (GPS 270f.) Als Personal der politischen Führung verlangt Weber „echte Aristokratie", die „die Gabe schweigenden Handelns" aufweist (GPS 270), aber eine Aristokratie „im politischen Sinne des Wortes" (272). Das meinte eine in der Praxis ausgelesene Führungsschicht, die
200
Diese Stelle gebrauchte Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 25Iff. als Widerlegung der These Mommsens, Webers Argumentation sei ganz einseitig auf die Machtstellung der Elite gegenüber der Bevölkerung bezogen. Im Zusammenhang mit der hier gezeigten Hervorhebung des voluntaristischen und freiwilligen Charakters der Politik, der polemischen Pointierung des politischen Kampfes in der Argumentation gegen alle Vorstellungen von Berufsständen und überparteilicher Regierung und in einem Plädoyer für Sinn und Erfordernis politischer Parteien, sofern diese nur sich auch als politische erwiesen, kann Albertins Auffassung zusätzlich gestützt werden. Mommsens Einwände (Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 199) gegen Albertin übersehen bei Webers Plädoyer für das politische Führertum u. a. dessen Intention, die Selbstdisziplin der politischen Parteien herzustellen, ohne die eine Regierungsverantwortung seiner Auffassung nach unmöglich ist.
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sich nicht kraft Erbrechts, sondern kraft ihrer praktischer Leistung rekrutiert, modern gesprochen also eine Funktionselite. Da die bestehenden politischen Parteien in Deutschland aufgrund ihrer Herkunft aus einer Zeit der Machtlosigkeit des Parlaments die nötige Stätte der Auslese noch nicht darbieten konnten, will Weber auf andere Orte der Rekrutierung des nötigen politischen Personals hinweisen, auf die Arbeiterführern. „Nicht die an ihre Arbeitsstätten gebundene Arbeiterschaft, sondern die Tagediebe und Kaffeehausintellektuellen in Rom und Paris sind es, welche dort die kriegshetzerische Politik der .Straße' fabriziert haben ... Das Gegengewicht des industriellen Proletariates fehlte. Das industrielle Proletariat ist, wenn es geschlossen ist, sicherlich eine gewaltige Macht, auch in der Beherrschung der .Straße'. Aber, verglichen mit jenen gänzlich verantwortungslosen Elementen, eine Macht, die der Ordnung und geordneten Führung durch ihre Vertrauensmänner, durch rational denkende Politiker also, zumindestens fähig ist. Auf die Steigerung der Macht dieser Führer, bei uns der Gewerkschaftsführer, über die Augenblicksinstinkte kommt daher staatspolitisch alles an" (287). Das heißt aber nicht; daß die Arbeiterführer nur außerhalb des Parlamentes tätig werden sollen. Max Weber will nicht nur eine sachliche Auseinandersetzung um das Verhältnis von Demokratie und Demagogie ermöglichen, sondern will zugleich ein Plädoyer für das parlamentarische Regime als institutioneller Zuweisung von Verantwortung und Meinungsbildung halten. „Parlamentarisches Führertum", d. h. im Parlament integriertes Führertum ist das Ideal zu diesem Zeitpunkt. Zur raschen Geltendmachung der Verantwortung des Demagogen für seine Politik ist für Weber weiterhin nun das Parlament die geeignetste politische Institution. „Ohne innere Katastrophengefahr vollzieht sich Aufstieg, Ausschaltung und Fortfall eines cäsaristischen Führers am ehesten da, wo die effektive Mitherrschaft machtvoller Vertretungskörperschaften die politische Kontinuität und die staatsrechtlichen Garantien der bürgerlichen Ordnung in ungebrochenem Bestand aufrecht erhält" (401). Das ist die Funktion des Parlaments in der Massendemokratie. Das Parlament ist nicht nur Erziehungsstätte des sich cäsaristisch legitimierenden „leaders", sondern zugleich seine ideale Ergänzung. „Die Existenz des Parlamentes ist...nicht wertlos. Denn gegenüber dem (der Sache nach) cäsaristischen Vertrauensmann der Massen gewährleistet sie in England 1. die Stetigkeit und 2. die Kontrolliertheit seiner Machtstellung; 3. die Erhaltung der bürgerlichen Rechtsgarantien gegen ihn; 4. eine geordnete Form der politischen Bewährung der um das Vertrauen der Massen werbenden Politiker innerhalb der Parlamentsarbeit und 5. eine friedliche Form der Ausschaltung des cäsaristischen Diktators, wenn er das Massenvertrauen verloren hat" (GPS 395). „Die feste Organisation der Parteien und vor allem der Zwang für den Massenführer, in der konventionell fest geregelten Teilnahme an den Komiteearbeiten des Parlamentes sich zu schulen und sich dort zu bewähren, bietet andererseits ein immerhin starkes Maß von Gewähr dafür: daß diese cäsaristischen Vertrauensleute der Massen sich den festen Rechtsformen des Staatslebens einfügen und daß sie nicht rein emotional, also lediglich nach den im üblen Sinne des Wortes .demagogischen' Qualitäten, ausgelesen werden" (1918 GPS 403). Umgekehrt hat die Notwendigkeit der Sicherstellung des Massenvertrauens eines demokratisch kreierten Parlaments eine organisierende Wirkung auf die Arbeit der politischen Parteien. „Gerade straff organisierte Parteien, welcher sich wirklich in der Staats-
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macht behaupten wollen, müssen sich den Vertrauensmännern der Massen, wenn sie Führernaturen sind, unterordnen" (1918 GPS 403). Damit wird jener Grad an Disziplinierung erreicht, der die Handlungsfähigkeit, also die Regierung ermöglicht. Um das Parlament zu einer solchen Auslesestätte zu machen, ist aber ganz einfach Macht erforderlich: das Parlament darf nicht nur reden, sondern muß maßgeblich entscheiden können (MWG 450: 1918). Weber ergänzt aber auch: Das Parlament muß nicht nur mit der Macht winken, sondern auch mit der Verantwortung betreuen (MWG 485f.). Die Macht ist also ein Vehikel zur Erziehung und Schulung der Politiker, sie muß jedoch einhergehen mit der übertragenen Verantwortung, um die Ausübung der Macht zu kontrollieren. Nur die politische Demokratie als geordnete Demokratie vermag demnach der unvermeidlichen Demagogieanfälligkeit der modernen Massengesellschaft das einzig mäßigende Mittel entgegenzustellen: sie schafft zwar die Möglichkeit zur Demagogie, aber auch den Zwang, dafür die politische Verantwortung zu übernehmen und mit der Antizipation dieses Zwanges zur Übernahme der Verantwortung wird eine Selbstkontrolle ausgeübt, die in Webers Augen wirkungsvoller ist als jede institutionelle Strategie einer Vorabvermeidung des Aufkommens von Demagogie durch die Fiktion einer überparteilichen Regierung. Weber versuchte also zumindest die Möglichkeit einer institutionellen Verknüpfung herkömmlicher politischer Institutionen mit der Problematik der Massendemokratie zu erweisen, die die jeweiligen Stärken und Erfordernisse konstruktiv miteinander verbinden sollte. Die Masse ist in der Moderne das relevante Medium der Politik. Es in Bewegung zu setzen ist aber Leistung und Aufgabe der Führung. Sie muß sowohl zur rationalen Formulierung der Politik wie zu ihrer notfalls auch emotionalen Vermittlung bei der Bevölkerung in der Lage sein. Darin sieht Weber die Verbindung der klassischen politischen Institution des Parlamentes mit dem modernen Phänomen der Massendemokratie. Ein Parlament ohne die Fähigkeit zur Führung wird in der Massendemokratie wirkungslos bleiben. Eine Massendemokratie ohne rational verfahrende Institutionen erliegt der Gefahr der unkontrollierten Demagogie. Der Hintergrund der Demokratiedebatte zeigt, welche Überlegungen Max Weber in seiner Publizistik Ende 1917 und Anfang 1918 übernahm und zu einem verhältnismäßig geschlossenen Bild von parlamentarischer Demokratie verarbeitete. Führung und Verantwortung waren Begriffe, auf deren inneren Zusammenhang vor ihm bereits Hugo Preuß und Walther Rathenau nachdrücklich hingewiesen hatten und Robert von Piloty hatte Weber klar gemacht, daß der Sinn des Parlamentarismus in der Regierungsarbeit der politischen Parteien liegt und sich nicht ausschließlich in Fragen der Personalrekrutierung erschöpft. Über diese Anregungen hinaus vermochte es Weber, Probleme der institutionellen Regierungsbildung und der öffentlichen Meinung nicht getrennt, sondern im Zusammenhang zu erörtern und es war auch nicht die am geringsten einzuschätzende Intention Webers, der Fratze des Nationalismus seine Vorstellung eines unhinterfragbaren Patriotismus entgegenzustellen, der sich nicht von Versatzstücken politischer Argumentation blenden läßt. Statt der Bekenntnishaftigkeit eines Gesinnungsdemokratismus versuchte er im Rahmen seiner Möglichkeiten eine aufklärerische Arbeit über die Bedingungen der Möglichkeit von Regierung zu leisten. Das alles war unter den Umständen des Krieges ein bemerkenswerter Vorgang. Weber mußte sich nicht nur gegen die obrigkeitliche Tradition der Sehnsucht nach Überparteilichkeit, Beamtenregierung und berufs-
260
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ständischen Alternativen zum Parlament behaupten, sondern in den von ihm argumentativ unterstützten parlamentarischen Berufspolitikern erst noch den Sinn für ihre eigene Tätigkeit wecken. Dieser Sinn läßt sich jedoch inmitten der komplexen Argumentation zwischen institutionellen, herrschaftssoziologischen und sozialpsychologischen Gesichtspunkten auf die einfache Formel des Wechselverhältnisses von Macht und Freiheit bringen. Weber war sich im Sommer 1918 dessen bewußt, daß es für eine an den Wurzeln ansetzende Wandlung der Innenpolitik zu spät war, die noch während des Krieges reifen und Frucht bringen konnte. Es blieb alleine übrig, seinen Standpunkt klar zu machen. Auf das Drängen seine Gesinnungsfreunde veröffentlichte Weber daher im Sommer 1918 (aufgrund anderer Belastungen und der wachsenden Drucklegungsprobleme wegen der kriegsbedingten Papiernot wesentlich später als ihm selber lieb war) seine zentrale Aufsatzreihe aus dem Sommer 1917. Ihre monograpische Verarbeitung unter dem Titel Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland - zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens gehört zu den klassischen Werken der deutschprachigen politikwissenschaftlichen Arbeiten. Um nun nicht selbst seine Auffassung mit dem Wahrheitsanspruch der Wissenschaft oder dem kulturellen Führungsanspruch der Kulturschaffenden zu versehen, wie es nach Webers Meinung die „Literaten" im Krieg so gerne unternahmen, wies er in seiner Vorbemerkung vom Sommer 1918 betont auf den Gelegenheitscharakter der Schrift hin, d. h. ihren unmittelbaren Bezug zu den Umständen des Krieges und der Entwicklung der innenpolitischen Ordnung Deutschlands. Damit wollte Weber vor allen Dingen sagen, daß es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk von Objektivität erheischender Unparteilichkeit handelte. Dies aber nicht deswegen, weil er nun eine parteipolitisch gefärbte Polemik vorlegen wollte, vielmehr distanzierte er sich von allen Parteien, bekannte aber freilich seine Wandlung vom „vor bald drei Jahrzehnten konservativ" Wählenden zum nun „demokratisch" Abstimmenden (GPS 309). Seine Abhandlung „deckt sich aber auch nicht mit der Autorität einer Wissenschaft. Denn die letzten Stellungnahmen des Wollens können mit den Mitteln der Wissenschaft nicht entschieden werden" (GPS 306). Diesen Willen sah er bei der gegenwärtigen politischen Führung als nicht vorhanden an. So setzte er seine Hoffnung auf die heimkehrenden Soldaten, deren moralisches Vorrecht er hervorhob, eine künftige Neuordnung herbeizuführen und sich dabei nicht vom gelehrten Führungsanspruch beirren zu lassen. Zur Charakterisierung der öffentlichen Meinung zählte Weber das imaginierte „Wir", das in ständiger öffentlicher Polemik gegen die angeblich undeutsche Demokratisierungsforderung angerufen wurde. In Wahrheit aber umfaßte dieses „Wir" weder die politisch Tätigen und Verantwortung suchenden, noch die Soldaten im Felde. Es war nur immer das „Wir" der „Daheimgebliebenen" (GPS 307) gewesen, deren fehlende Sachlichkeit und mangelndes politisches Augenmaß Weber immer heftiger attackierte (MWG 1/15 373). Er sprach den Daheimgebliebenen das moralische Recht ab, den „Kriegern im Felde" vorzuschreiben, wie lange und wofür sie ihr Blut zu opfern hätten. Würden die Krieger in ihren Ansprüchen weiter gehen, als es die politische Klugheit erlaube, so hätten „wir Daheimgebliebenen" einschließlich Weber das Recht, auf die Erfordernisse politischer Klugheit hinzuweisen, bei bleibendem Willen der Soldaten aber schließlich nur die moralische Pflicht, zu schweigen. Die Situation aber war nach Weber umgekehrt:
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politische Klugheit sprach nicht aus den Mahnrufen der Daheimgebliebenen, sondern wildester Unverstand und darin erblickte Weber den eigentlichen Verrat der Heimatfront. Wie sehr Weber sich in der Rolle des Ratgebers verstand, wird deutlich in seiner Anspielung auf Sokrates, die er in diesen Tagen vornahm. Als er von der wilden Demagogie in Berlin sprach im Umfeld der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, hatte er die Situation mit dem Irrenhaus verglichen, und angefugt: „oder in Athen nach der Arginusenschlacht".201 Nach dem Seesieg der Athener über Sparta hatten bei der anschließenden Verfolgung der Feinde die athenischen Strategen die Bergung Schiffbrüchiger unterlassen und wurden dafür zum Tode verurteilt. Sie fanden einzig im unbestechlichen und demagogisch unbeeindruckbaren Sokrates einen Fürsprecher. Dieser Vergleich zeigt Max Webers Selbststilisierung, aber auch seine Einschätzung der eigenen Einsamkeit inmitten einer für „Sachlichkeit" und „nüchternen Analyse" völlig unempfänglich gewordenen öffentlichen Meinung. Als Erzieher der jungen Nation, die er verändert und gestaltungswillig von der Front zurück ersehnte, wollte er künftig tätig werden und behielt diesen Gestus bei, wenn er in seinen berühmten Vorträgen über Wissenschaft als Beruf und über Politik als Beruf mit dem Pathos der Sachlichkeit zu Augenmaß und Leidenschaft mahnte, Urteilskraft anspornte, in der Frage der Richtung der politischen Veränderung sich aber sehr zurückhielt und eher auf die Voraussetzungen und Konsequenzen verschiedenster Entwicklungsmöglichkeiten hinwies und die Entscheidung selber den hierzu Aufgerufenen überließ. 1895 hatte er sich in seiner Antrittsrede als klassenbewußten Bürger verstanden und mußte nun am Ende des Weltkrieges für sich eingestehen, daß seine Klasse das stets von ihm eingeforderte politische Verantwortungsbewußtsein vermissen ließ. Die Demokratie sollte das Feuer sein, aus dem das politische Potential des Bürgertums sich neu schmieden sollte, oder als wertlose Schlacke im Orkus der Weltgeschichte verschwinden. Wenn aber der Beruf des Bürgertums zur politischen Führung der Nation verspielt sein sollte, so war Weber bereit, den Sozialismus, dessen inneren Zusammenhang zur Demokratie er herausstreichte, als künftiges Orientierungsmuster anzuerkennen,202 wenn er sich als vital genug erwiesen, neue politische Ordnungen zu stiften. Auch für diesen Fall wollte Weber versuchen, abwägend deren Vorzüge und Nachteile und die Chancen und Möglichkeiten der Fruchtbarmachung der Vorzüge und der Kontrollierung der Nachteile zu Bewußtsein zu führen. Obwohl Max Webers Parlament und Regierung erst im Sommer 1918 erschien, kam es schon bald rasch zu zwei bemerkenswerten Rezensionen. In der Neuen Rundschau wurde Weber von Samuel Saenger für seine stichhaltigen Überlegungen gefeiert geradezu.203 Politisches Denken in Deutschland sollte sich an der dort beispielhaft vorgelegten
201
Max Weber in der Frankfurter Zeitung vom 7. Februar 1918, zitiert nach: ders., Innere Lage und Außenpolitik (Artikel aus der FZ von 3., 5. und 7. Februar 1918, Gesammelte politische Schriften (1921), 5. Aufl. Tübingen 1988, S. 2 9 2 - 3 0 5 , S. 299.
202
Max Weber, Der Sozialismus (1918), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1988, S. 4 9 2 - 5 1 8 . Vgl. zu dieser Schrift Münkler, Max Weber, 1995, S. 7 - 6 7 .
203
Samuel Saenger, Parlament S. 1346-1356.
und Regierung,
in: Neue Rundschau 29 (Oktober 1918) Bd. II,
262
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Argumentationsweise schulen. Zurückhaltender fiel die Besprechung bei Rudolf Smend aus. Eigentlich hätte Weber bei Smend auf einen vorurteilsfreien Vertreter der moderneren Staatslehre treffen können. Er hatte sich 1915 ausdrücklich gegen jeglichen „Chauvinismus" als einer bloßen Massenstimmung verwahrt und alle Reden über den Krieg als kulturelle Erscheinung für sittlich wertlos erklärt.204 Sogar die Gefahren des Chauvinismus für den Staat hatte Smend frühzeitig bedacht. Dieser neige dazu, seine selbsterhobenen Maßstäbe als Fixpunkt seiner Forderungen über die Interessen des Staates zu stellen (18). Gleichwohl kritisierte er bei aller Anerkennung der Weberschen Argumentation die zu einseitige Konzentration auf die ihm nur technisch anmutende Seite der Regierung. 205 Der Leitbegriff des Staates, den Smend hier gefährdet sah, war aber für Smend keineswegs weniger durch die parlamentarische Demokratie in Frage gestellt als durch die diffusen Massenstimmungen, wie sie sich im Krieg offenbarten. Ein Jahr später äußerte sich Smend methodisch zum Wandel leitender Begriffe des Staatsrechts und zum Problem der juristischen Erfassung politischer Zusammenhänge am Beispiel des „ungeschriebenen Verfassungsrechts". 206 Damit gab sich Smend als Autor zu erkennen, der bereits vor dem Krieg gegen den am zivilrechtlichen Vorbild geschulten Positivismus aufbegehrt hatte.207 Den Parlamentarismus als demokratischen Durchgriff, als moderne Form der Selbstregierung zu begreifen, war das Modell einer offensiven Strategie der Demokratisierung, die den Parlamentarismus als institutionelle Verwirklichung der Demokratie ansah. Hierzu bedurfte es aber dringend einer theoretischen Klärung dessen, was Parlamentarismus war, und zwar gerade unter dem Gesichtspunkt des Parlamentarismus als einer genuin demokratischen Konsequenz, die nicht nur Folgen für den Obrigkeitsstaat hatte, sondern auch und vor allen Dingen für die politischen Parteien. Die Anhänger einer offensiven Strategie der Demokratisierung befürworteten die Parlamentarisierung nicht in dem Sinne, daß sie damit den gegenwärtig im Reichstag vertretenen Parteien das Privileg der Macht geben wollten, sondern sie erwarteten, daß sich die gegenwärtige Struktur der Parteien, die sie als unpolitisch und verantwortungslos charakterisierten, nur durch einen mittels der Demokratisierung revitalisierten kämpferischen Parlamentarismus verändern würde, um auf diese Weise zur Macht fähig zu werden. Das sollte heißen: um dauerhaft politische Verantwortung zu übernehmen. Die Anhänger einer offensiven Demokratisierung im institutionellen Sinne waren nicht Vertreter des demokratischen Gedankens aus rein normativen Gründen. Sie wünschten eine Politisierung der Eliten, um Selbstregierung unter den modernen Bedingungen der Massengesellschaft insgesamt zu ermöglichen. Wenn hierzu die Demokratisierung der parlamentarischen Strukturen nötig war, so 204 205 206
207
Rudolf Smend, Krieg und Kultur, Vortrag vom 18. Februar 1915, Tübingen 1915 (Heft 8 der Reihe Durch Kampf zum Sieg, Tübinger Kriegsschriften). Rudolf Smend, Besprechung von Max Weber „Parlament und Regierung", in: Schmollers Jahrbuch 42(1918), S. 369-373. Rudolf Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundestaat, in: Festgabe für Otto Mayer zum 70. Geburtstag, Tübingen 1916, S. 245-270, N D in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Auflage 1968, S. 39-59. Korioth, Erschütterungen des staatsrechtlichen Positivismus, 1992 und ders., Integration und Bundesstaat, Berlin 1990.
Max Weber und die parlamentarische Demokratie
263
befürworteten sie die Demokratisierung, und zwar maßgeblich aus institutionellen Überlegungen. Dadurch unterschieden sie sich von den Anhängern einer Strategie offensiver Demokratisierung, die die Demokratie aus integrativen Gründen befürworteten und die institutionelle Fragen eher nachrangig behandelten. Es ist kein Wunder, daß die Protagonisten der institutionell verstandenen offensiven Demokratisierung sich nicht um Fragen eines Völkerbundes, völkerrechtlicher Fragen insgesamt, nicht um Fragen der sozialen Emanzipation und der gesellschaftlichen Zusammenarbeit kümmerten, sondern sich auf den politischen Bereich im engeren Sinne konzentrierten, also auf den Bereich der politischen Willensbildung und damit der politischen Eliten. Im Zuge der polemischen Auseinandersetzungen verengte sich die Aufmerksamkeit auch von Hugo Preuß auf die Spitze der politischen Ordnung und die Problematik, ob die politische Elite überhaupt imstande war, mit dem nötigen politischen Selbstverständnis zu agieren. Sein Wunsch nach politischer Selbstregierung hatte ursprünglich eine normative Dimension gehabt, die von der Absicht geprägt war, die Menschen durch die Möglichkeit der politischen Einflußnahme auf ihr eigenes Schicksal aufzuklären und nicht zu bevormunden. Davon war in seinem Bild von einer verantwortlichen öffentlichen Meinung auch noch einiges spürbar. Die Verengung der Betrachtung auf die Elite war angesichts der früheren, aus dem Genossenschaftsdenken stammenden Absichten eine bemerkenswerte Einschnürung des Gegenstandes. Auch die öffentliche Meinung als traditionelles Medium einer zumindest vermittelten Partizipation des Volkes war für diese Argumentationstrategie kein Ersatz zur Elitenregierung. Im Gegenteil: Der Weltkrieg hatte gezeigt, wie verhängnisvoll die Wirkung der öffentlichen Meinung auf die politische Willensbildung sein konnte, wenn sie keinen Ort fand, wechselwirksam und verantwortlich im Bereich der Institutionen verankert zu werden. Das war aber nur in einer parlamentarisch-demokratischen Regierungsweise möglich, die nicht einen Volkswillen repräsentieren, sondern Regierung ermöglichen sollte. Für Max Weber wie für Hugo Preuß war diese Überlegung ein gewichtiges, j a das entscheidende Argument für eine Elitenregierung, sicherlich nicht für eine „basisdemokratische" Selbstregierung des unorganisiert vorgestellten, politisch unschuldigen Volkes. Immerhin bot das Beispiel einer institutionellen Argumentation die Möglichkeit, sich aus nebulösen Erwägungen doktrinärer Art geflissentlich heraus halten zu können. Unter den polemischen Bedingungen des Gesprächsfeldes im Krieg war das keine gering zu schätzende Leistung der Gedankenführung. Sie hatte aber ihre Grenzen. Die offensive Argumentationsstrategie der Demokratisierung barg in Anbetracht der ihr entgegenwirkenden retardierenden Kräfte erhebliche Sprengkraft. Mochte die Beweisführung für die Demokratisierung auf der institutionellen Ebene auch den nationalen Machtstaat nicht ausschließen, die Demokratie vielleicht sogar als ein Mittel zu dessen Stärkung verstehen, so war ihr Reformpotential und ihre Offenheit auch für grundsätzliche Wandlungen der politischen Ordnung und ihrer Kultur beträchtlich. Wenn man einen jedoch einen radikalen Wechsel des leitenden Politikverständnisses wünschte, so konnte man die Wirkung des Demokratiegedankens auch in einer Erweiterung der politischen Partizipation von unten denken. Es gab eine offensive Argumentationsstrategie der Demokratisierung, die weniger auf der institutionellen als auf der integrativen Ebene argumentierte und auch hierfür bot das Genossenschaftsdenken wesentliche Anregungen.
264
7.
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
Demokratie und Völkerrecht Der erste Impuls für eine integrative Argumentation der Demokratieidee erfolgte im Bereich der Völkerrechtstheorie, für die naturgemäß der Krieg eine große Herausforderung darstellte. Es gab umfangreiche Überlegungen zur völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit der Verletzung der belgischen Neutralität, der alliierten Blockade oder der Frage des Eigentums an Prisen und rasch stellte sich die Ernüchterung ein, daß diese Fragen mit einem herkömmlichen Rechtsverständnis positiver Normativität nicht angemessen beantwortet werden konnten. Die Völkerrechtslehre erblickte im Weltkrieg den Zertrümmerer des alten Völkerrechts. Die meisten Autoren glaubten, angesichts Wirklichkeit des Krieges „totes" von „lebendigem" Völkerrecht unterscheiden zu müssen und zogen hierfür weniger rechtliche als realpolitische Faktoren heran.208 So wurde vielfach erörtert, u. a. in zwei Aufsätzen von Ferdinand Tönnies, 209 aber auch innerhalb der Völkerrechtslehre selbst, 210 inwiefern der klassische Begriff des Völkerrechts mitsamt seiner naturrechtlichen Wurzel nicht endgültig durch den Krieg als überholt angesehen werden mußte. Es eröffnete sich das theoretische Bewußtsein für ganz neuartige Gebilde, die angesichts der Ereignisse des Krieges Plausibilität gewannen und große Diskussionen beförderten. Auf der einen Seite wurden Hegemonial-Strukturen wie das vor allen Dingen von Friedrich Naumann propagierte Mitteleuropa-Projekt, die in völkerrechtlichen Diskussionen als avantgardistische Neuerung angesehen wurde, ausgiebig diskutiert, etwa bei dem Doyen der deutschen Völkerrechts, Franz von Liszt. 2 " Auf der anderen Seite fand sich die Idee des Völkerbundes und in diesem Zusammenhang auch das Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. 212 Der Gedanke einer
208
Paul Eitzbacher, Totes und lebendiges
209
Ferdinand Tönnies, Naturrecht und Völkerrecht, in: Neue Rundschau 27 I (1916), S. 5 7 7 - 5 8 7 und Die Zukunft des Völkerrechts, in: Neue Rundschau 28 I (1917), S. 1 - 2 5 Ludwig Quidde, Die Idee des Völkerbundes in der deutschen Friedensbewegung während des ersten Weltkrieges, in: Friedenswarte 1944, S. 2 9 9 - 3 1 4 ; Robert Redslob, Das Problem des Völkerrechts, Leipzig 1917, der ferner in der Otto Mayer-Festschrift an völkerrechtliche Lehren der französischen Revolution in konstruktiver und wohlwollender und keineswegs polemisch-patriotischer Hinsicht erinnerte und gemeinsame Wurzeln reklamierte.
210
Völkerrecht,
München, Leipzig 1916.
211
Franz von Liszt, Das Völkerrecht - systematisch dargestellt, 9. Aufl. 1913, 10. Aufl. 1915, 11. Aufl. Berlin 1918; ders., Vom Staatenverband zur Völkergemeinschaft, München, Berlin 1917. Der auch den Naumannschen Gedanken von Mitteleuropa vorformuliert und entscheidend zu seiner Verbreitung in juristischen Kreisen beigetragen hatte: Franz von Liszt, Ein mitteleuropäischer Staatenbund, Leipzig 1914.
212
Ludwig Quidde, Die Idee des Völkerbundes in der deutschen Friedensbewegung während des ersten Weltkrieges, in: Friedenswarte 1944, S. 2 9 9 - 3 1 4 . Vgl. Fortuna, Der Völkerbundsgedanke in
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Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
internationalen Schiedsstelle, die Schlichtungen zwischen Staaten zwecks Unterbindung kriegerischer Auseinandersetzung vornehmen soll, hatte seine Vorgeschichte bereits vor dem Weltkrieg. Die Völkerbundidee überschreitet die alte Integrationsidee der Staatlichkeit, insofern sie nicht mehr alleine die Staaten als ihre souveränen Bestandteile akzeptiert, sondern alle Staaten als einer sie verbindenden internationalen Rechtsordnung zugehörig aufgefaßt werden, der sie als Rechtsgenossen auch unterworfen sind.213 Dahinter stand ein Wechsel in der Perspektive auf politische Ordnung schlechthin, die nicht mehr mit der Staatlichkeit identifiziert wird. Es war kein Zufall, daß viele der diese Idee unterstützenden Autoren während des Weltkrieges aus dem Umkreis des Genossenschaftsdenkens stammten. Für Hugo Sinzheimer und Walther Schücking war die Idee des demokratischen Selbstbestimmungsrechts der Völker nur auf der Grundlage eines neuartigen Politikverständnisses möglich: des Vorrangs bürgerschaftlicher Selbstbestimmung vor der herrschaftlichen Fremdbestimmung durch die Obrigkeit. Sinzheimer vertiefte dann diesen Gedanken und stellte ihn parallel zum Gedanken der gesellschaftlichen Selbstorganisation im Bereich der Sozialpolitik, aber auch im Bereich der politischen Willensbildung. Der Marburger Völkerrechtler Walther Schücking, der nach dem Krieg lange Jahre dem Reichstages angehörte, war bereits vor dem Weltkrieg in der Debatte um die Demokratisierung des Preußischen Dreiklassenwahlrechts als Vertreter des Volksstaatmodells hervorgetreten. 214 Noch kurz vor Ausbruch des Weltkriegs legte er eine bemerkenswerte Analyse der Verfassungspolitik des Liberalismus vor, in der er vor allen Dingen die Konzeptionslosigkeit des politischen Liberalismus beklagte, dessen verweigerte Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften ein machtpolitisches Vakuum belassen hatte, das mittelbar zur Stärkung des Obrigkeitsstaates führte. „Ein antidemokratischer Liberalismus hat überhaupt kein eigenes Verfassungsprogramm, sondern liefert nur eine willkommene Stütze fur das konservative Gebäude." 215 Damit vertrat Schücking jedoch eine völlige Mindermeinung innerhalb der Kriegsdiskussion. Schücking erlebte dann mit Kriegsausbruch das Unverständnis seiner völkerrechtlichen Kollegen, als er im August 1914 in einem Vortrag gegen die Vorstellung einer Zertrümmerung des alten Völkerrechts durch den Weltkrieg argumentierte und hierfür daran erinnerte, daß auch das moderne Völkerrecht das Kind eines Krieges gewesen war. Schon Grotius hatte angesichts der europäischen Katastrophe des 30jährigen Krieges gedanklich zu ermessen versucht, inwiefern auch die Entfesselung des Krieges unter das
Deutschland,
1974.
213
Die klarste Konsequenz aus diesem Gedanke fur das Rechtsverhältnis von Staaten hatte bereits Hans Kelsen in seiner Idee der Einheit der Rechtsordnung gezogen. Die sich daran anschließenden demokratietheoretischen Erörterungen, die das Gegenstück zu Carl Schmitts Idee des Pluriversums der Staatenwelt bildet, finden sich bei ihm aber erst in der Weimarer Republik.
214
Walther Schücking, Die Reform des preußischen Wahlrechts, in: Juristisches Literaturblatt 20 (1908), S. 26ff.; und ders., Der Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem, in: März 4 (1910), S. 177ff„ vgl. hierzu Acker, Walther Schücking, 1970, S. 24ff. und Kohl, Walther Schükking, 1988.
215
Walther Schücking, Neue Ziele der staatlichen 3. Aufl. Marburg 1913, S. 37
Entwicklung
- eine politische
Studie,
2. und
266
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Recht und seine Humanität zu stellen sei. So äußerte Schücking im Anschluß an Grotius die Hoffnung, daß nun, 1914 nach dem „Waten durch ein Meer an Blut" endlich das Ziel des Völkerrechts, der dauerhafte Frieden erreicht werden könne.216 Aber nicht nur ein ethisches Ideal fernab aller Erfordernisse der Politik und der Staatsräson sprachen nach Schücking für den Frieden nach Maßgabe des Rechts und nicht nur der Macht, sondern auch realpolitische Erfordernisse, zumal für Deutschland. Denn wie könne eine dauerhafte Sicherung der deutschen Interessen gegen Rußland, das 44mal größer sei und gegen England, das ein Viertel der Weltbevölkerung unter seinem Einfluß stehen habe, verwirklicht werden, wenn nicht durch ein europäisches Rechtssystem, das den Sieg des Rechts über die Macht sicherstellte, während die im Zuge der Kriegseuphorie geäußerten Weltherrschaftsvisionen schon vom eigentlichen Ziehvater des konservativen politischen Denkens, von Treitschke abgelehnt worden seien?217 Um seinen Überlegungen größere Resonanz zu verschaffen, engagierte sich Schücking bei der Gründung der Zentralstelle für Völkerrecht, die am 30. Juli 1916 in Frankfurt/M. als Gegenorganisation zum Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden gegründet wurde.218 Ihre Publikationen standen zeitweilig unter Zensur und wurden schließlich verboten.219 Der leitende theoretische Gedanke für Schückings Völkerbundidee entstammte dem Genossenschaftsrecht, wie er es der deutschen Rechtstradition zu entnehmen versuchte (zu der er in diesem Sinne auch Grotius zählte). Vor dem Krieg hatte er geäußert, daß das „germanische Denken" den theoretischen Raum erschloß, der das zu lösende Problem des Völkerbundes überhaupt erst einmal in seiner Lösbarkeit denkbar macht. „Erst wenn wir auf Grund der germanischen Staatsidee auch in der ganzen Welt die Einheit in der Vielheit errungen haben, dann wird jenes schlichte und doch so tiefsinnige Wort Mark Aurels in Erfüllung gehen: ,Die Staaten werden sich zueinander verhalten wie die Häuser einer Stadt".220 Einheit in der Vielheit war die Formel, die Gierke als Inbegriff des germanischen Genossenschaftswesens der politischen Theorie mitgegeben hatte. Im Krieg ließ Schücking allerdings den Begriff des germanischen Staates angesichts seines Mißbrauchs in der nationalistisch motivierten Literatur rasch fallen. Zu den Mißbrauch treibenden Autoren gehörte Otto von Gierke selber. Gierke betonte in seinen Reden und Vorträgen während des Weltkrieges das Wechselverhältnis „gegenseitiger Treupflicht" und sprach vom „Fortleben des alten germanischen Gedankens der Dienertreue und der Herrentreue".221 Die kurz nach Ende des Kriegs verfaßte Schrift zum „germanischen
216
Walther Schücking, Der Weltfriedensbund (Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik), Leipzig 1917, S. 9. Vorher hatte sich Schcking bereits bündig zum Problem der Politik der Gelehrten nach Ausbruch des Weltkrieges geäußert: Walther Schücking, Deutsche Professoren und der Weltkrieg, Berlin 1915.
217
Walther Schücking, Der Weltfriedensbund (Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik) Leipzig 1917, S. 8. Gülzow, Der , Bund Neues Vaterland', 1969, S. 274ff. Erst auf parlamentarisch Druck auf die Zensurverwaltung hin wurde das Verbot zurückgenommen, vgl. hierzu die instruktive Debatte im Hauptausschuß des Reichstages, Schiffers, Hauptausschuß, 1983, S. 2310. Walther Schücking, Die Organisation der Welt, Leipzig 1909, S. 84. Otto von Gierke, Recht und Sittlichkeit, in: Logos 6 (1916/1917), S. 21 Iff., 218. Vgl. zuvor:
218 219
220 221
Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
267
Staatsgedanken" gibt den Stand seiner politischen Überlegungen in dieser Zeit wieder. Der deutsche Staat war und ist „um moderne Schlagworte zu gebrauchen, gleichzeitig Volksstaat und Obrigkeitsstaat", 222 insofern er auf genossenschaftlicher Grundlage dennoch sich herrschaftlich betätigte und in dieser Verbindung von Freiheit und Herrschaft bestehen bleiben sollte. Statt sich von fremden Gedanken überfluten zu lassen, sollte er sich nicht zur „Auslieferung an die jeweilige ungegliederte Masse oder an eine an Kopfzahl überwiegende Klasse" hinreißen lassen (S. 26). Der Gierke der Weltkriegszeit bot keine Anknüpfungspunkte fur die integrative Argumentationsstrategie der Demokratisierung. Nach Schücking hatten die Erfahrungen des Umgangs der intellektuellen Krieger mit der Ethik und die vorschnellen, allzu raschen Verabschiedungen rechtlicher und ethischer Traditionen gezeigt, wie wenig mit dem formalen Recht und institutionellen Innovationen alleine gewonnen war, wenn ihnen nicht ein entsprechendes politisches Denken korrespondierte, das bereit war, auf den Staat als Focus seiner Begriffsbildung zu verzichten. Der Gegenentwurf eines Völkerbundes zur Neuorganisierung der Staatenwelt war daher auch nur vordergründig institutionell intendiert. Denn gerade die Forderung eines Exekutionsrechts eines solches Bundes gegenüber nicht rechtmäßigem Verhalten einzelner Staaten erforderte eine Umwälzung des traditionellen politischen Denkens. Auf die institutionellen Schwierigkeiten der Völkerbundidee machte noch im Krieg Hans Delbrück aufmerksam, der aber dennoch gerade unter realpolitischen Gesichtspunkten es mit dieser Idee „probieren" wollte, da die Schwierigkeiten alle Staaten gleichmäßig betrafen. 223 Diese Probleme waren den Verfechtern der Völkerbundidee selber bewußt. Für sie war es angesichts der geringen Mittel und mangelnder lobbyistischer Möglichkeiten bereits ein bemerkenswerte Erfolg, daß die Völkerbundidee von Bethmann-Hollwegs in seiner Rede vom 9. November 1916 in Beantwortung einer Rede des englischen Außenministers Grey vom 26. Oktober 1916 als offizielle Regierungspolitik anerkannt wurde.224 Mit dem Regierungswechsel von Asquith zu Lloyd George und seiner Politik des kompromißlosen militärischen Sieges verlor dieser Gedanke seine Relevanz, bis ihn Wilson wieder aufgriff. Schücking schloß aus den massendemagogischen Erscheinungen des Weltkrieges und den Exzessen an Chauvinismus und Nationalismus, daß eine Änderung in der „Psychologie der Massen" notwendig sei, um die Idee einer transnationalen Organisation des Völkerbundes dem staatsfixierten Denken plausibel zu machen, dem sie als Anmaßung erscheinen mußte. Ein solcher Bund war für Schücking nicht nur Aufgabe Juristischer Technik", sondern eines „sittlichen Willens in der Kulturwelt". 225 Auch die institutioders., Der deutsche Volksgeist im Kriege, Stuttgart 1915. Während des Krieges hatte er eine berühmte Abhandlung über die Herkunft des Majoritätsprinzips geschrieben, die die historischen Bedingungen der Geltung dieses Prinzips aufzeigen wollte: ders., Über die Geschichte des Majoritätsprinzips, in: Schmollers Jahrbuch 39 (1915), S. 565ff. 222
Otto von Gierke, Der germanische
223
Hans Delbrück, Realpolitischer Pazifismus, in: Preußische Jahrbücher 166 (Oktober-Dezember 1916) S. 177-187. Haupts, Deutsche Friedenspolitik, 1976; Acker, Walther Schücking, 1970, S. 103f. Walther Schücking, Der Weltfriedensbund, Leipzig 1917, S. 27ff.
224 225
Staatsgedanke,
in: Staat und Volk, 5. Heft Berlin 1919, S. 7.
268
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
nelle Errichtung des Völker- oder Weltbundes der Staaten würde nichts helfen, wenn er nicht von den Beteiligten mit dem entsprechenden Geist und Ethos erfüllt wäre. Dessen war man sich also bereits vor Errichtung des Versailler Völkerbundes gewiß. Die Probleme lagen demnach tiefer als Fragen normativer oder institutioneller Prinzipien und darin ähnelten sie dem Demokratieproblem zusehends. Denn die Gleichheit der Beteiligten, seien es Bürger in einem Staat, seien es Staaten untereinander, mußte als permanente Selbstverpflichtung begriffen werden. Sie mußte einer autoritären Gewalt entbehren, die die Befolgung der Normen sicherstellte und bedurfte um so mehr der Verankerung im politischen Bewußtsein der Bevölkerung und ihren politischen Repräsentanten. Eine Antwort auf dieses Problem gab Hugo Sinzheimer, ein Mitstreiter Schückings, wenn er die Idee sozialer Selbstbestimmung zum Ausgangspunkt jeglicher politischer Selbstbestimmung erhob.
Hugo Sinzheimer Während des Krieges widmete sich Sinzheimer zunächst der von Schücking bezeichneten Problematik, wie rechtliche Selbstverpflichtung wieder denkbar sei. Sinzheimers Aktivitäten in der Zentralstelle für Völkerrecht galten dem Kampf gegen die Staatsgesinnung, die eine eigene Moral verkündete, dafür aber rechtliche Selbstverpflichtung auf internationaler Ebene leugnete. Auf der Tagung der Zentralstelle vom 3. Dezember 1916 in Frankfurt referierte Sinzheimer neben Schücking über den Völkerrechtsgeist, d.h. über die Frage, was die gedanklichen Voraussetzungen waren, um das Modell des Völkerbundes lebensfähig zu machen.226 Sinzheimer hatte im Ausschuß fur Volksvorlesung in Frankfurt bereits vor dem Krieg eine rege Tätigkeit entfaltet und unter anderem Arbeiter-Austauschbesuche zwischen Deutschland und England organisiert, die im Weltkrieg den Umständen der Zeit zum Opfer fielen. Dennoch beharrte Sinzheimer auf der Richtigkeit dieser Art der Völkerverständigung und skizzierte in einem Vortrag von 1915 die ethischen und politischen Ideale, die dahinter standen.227 Sinzheimer legte dar, daß der Krieg den Triumph der „Macht des menschlichen Geistes über die Natur" in Gestalt seiner waffentechnischen Leistungsfähigkeit gezeigt habe, daß aber im Verhältnis dazu die Versuche, die „Beziehungen der Menschen untereinander" in „höhere Formen menschlichen Zusammenlebens" zu heben, seltsam zwergenhaft anmuteten und dies wiederum in Kontrast stand zu den Erscheinungen der „Organisierung des sozialen Lebens", zu welchen die Kriegsnotwendigkeiten animierten (S. 2f.). Sinzheimer nannte nun das „Bewußtsein der Notwendigkeit planvoller Weltgestaltung durch staatliche und gesellschaftliche Formen" die spezifisch „politische Weltanschauung" (S. 4). Damit wollte Sinzheimer zweierlei betonen: zum einen, daß Staat und Gesellschaft Gegenstand menschlicher Gestaltungsfahigkeit waren und zum anderen, daß sie vor allen Dingen Gegenstand politischer Auseinan-
226 227
Hugo Sinzheimer, Völkerrechtsgeist, Leipzig 1917. Zu dieser Tagung vergleiche die Darstellung bei Gülzow, Der .BundNeues Vaterland1969, S. 308ff. Hugo Sinzheimer, Die Aufgabe der Volksbildung und der Krieg, Frankfurt/M 1916.
Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
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dersetzung waren, die von politischen Überzeugungen abhängig sind. Den „Geist der politischen Weltanschauung" zu pflegen, welches er als Ziel der Volksbildung formulierte, bestand also darin, nicht nur das „Reich des Seins", sondern auch das „Reich der Zwecke" zu enthüllen, in dem der Mensch wirkt und gestaltet (S. 5). Für die Volksbildung hieß das, daß angesichts der letztlichen Unbeweisbarkeit solcher politischer Weltanschauungen, die bis zu einem gewissen Grade menschliche Willenssysteme sind, Toleranz eingeübt und nicht Gesinnungen gefördert oder erzeugt werden sollten (S. 8ff.). Daher konnte die Orientierung auf den Staat oder die Staatsgesinnung alleine keineswegs das Problem lösen, wie eine soziale Ordnung, die nach selbst gegebenen Normen eingerichtet werden sollte, lebensfähig sein konnte. Diese Überlegung wurde zum Kern seines Vortrages auf der erwähnten Gründungsversammlung der Zentralstelle für Völkerrecht vom Juli 1916.228 „Der Staat als Organisation des Volkes wirkt, aber er lebt nicht. Ist also der Staat als ein besonderes soziales Instrument für die Verwirklichung individueller Lebensgüter zu denken, so folgt daraus, daß er den sittlichen Lebenswillen der einzelnen nicht durchkreuzen d a r f (S. 7). Damit lehnte Sinzheimer eine auf die bloße Betrachtung der Bedürfnisse der Staatlichkeit orientierte Politik grundsätzlich ab. Der Staat dient der Verwirklichung von Normen, deren Herkunft außerhalb der staatlichen Sphäre liegen kann, vor allen Dingen wenn sie in sozialer Selbstbestimmung gefunden und für die Praxis durchgesetzt wurden. Die politische Ordnung kann sich von dieser Auseinandersetzung nicht abschotten, sondern sie ist gerade der Ort ihres friedlichen Austrags. Es sind „nicht nur die staatlich gesetzten Normen, welche die Gemeinschaftsverhältnisse der Menschen begründen, sondern die sozialen Kräfte selbst, welche die Normen ihres gegenseitigen Verhaltens bestimmen" (S. 31 ). Machtpolitischer Erfolg, Landgewinn oder ähnliches wurde von Sinzheimer nicht akzeptiert, „Realpolitik... ist nur scheinbar vorhanden" (S. 8), Macht ist kein Zweck des Staates (S. 9), Ergebnisse der Gewalt sind kein sicheres Kriterium begrüßenswerter Auslese, da sie zu sehr vom Zufall bestimmt sind: „Erst wenn einmal mit derselben Sorgfalt und Liebe die Geschichte der zertretenen Völker geschrieben werden wird, wie die Geschichte der sieghaften Völker geschrieben ist, können wir ein objektives Urteil darüber finden, ob die gestorbenen Kulturen, die der Krieg geknickt hat, wert waren, daß sie untergingen, ob der Krieg nicht mehr zerstört, als gegeben hat" (S. 11). Der für das soziale Leben von Sinzheimer anerkannte und auch als notwendig erachtete „Kampf um Geltung, Leistung und Vollendung" bedarf nicht des Krieges, „dazu gibt es das bessere Mittel der inneren sozialen Blutzirkulation" (S. 11), das wiederum vor allen Dingen nur belebend wirkt, wenn es Ausdruck der Selbstbestimmung ist. Freiheit ist nichts als „Fähigkeit zur Selbstbestimmung". Aber für Sinzheimer meint Selbstbestimmung nicht selbstbezügliche Behauptung gegenüber Interventionen fremder Staaten. Schon faktisch sind die Normen im Innern wie nach außen abhängig von der Existenz sozialer Gemeinschaften, die gleichfalls um Selbstbestimmung bestrebt sind. Ist aber die gegenseitige Abhängigkeit und wechselseitige Verwiesenheit als das Wesen der sozialen Wirklichkeit erkannt, dann ist der Ausgleich zu betonen, nicht der Gegensatz (S. 7) und diesem politischen Prinzip, dieser „politischen Methode"
228
Hugo Sinzheimer, Völkerrechtsgeist Leipzig 1917.
(Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik),
270
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
(S. 32ff.) Geltung zu verschaffen, dient nach Sinzheimer die Idee des Völkerbundes. Sie kann nicht das Wesen der Nationen ändern, noch die Existenz ihrer staatlichen Gliederung, aber sie will dem normativen Eigengewicht der Staatlichkeit entgegenwirken und die alle Staaten miteinander verbindenden Gemeinsamkeiten zur Geltung bringen. Sinzheimer zufolge argumentierten kurioser Weise die kriegführenden Staaten allesamt derart, daß sie solche Kriege wie den gegenwärtigen für die Zukunft verhindern wollten. Es war aber ihr Staatsbegriff und die damit zusammenhängende „politische Methode" der Schutzbündnisse und Geheimdiplomatie, der es verhinderte, dieses erklärte gemeinsame Ziel als zugleich verbindendes Ziel auch zu erkennen, in Politik zu formulieren und mit friedlichen Mitteln zu verwirklichen (S. 32f.). Die angesprochene Grundidee politischer Selbstbestimmung vertiefte Sinzheimer am Problem gesellschaftlicher Selbstorganisation, das er wiederum anhand des Phänomens der kollektiven Arbeitstarifverträge exemplarisch durchdachte. Sinzheimer gilt als einer der Begründer und Förderer des kollektiven Arbeitsrechts. Im Rahmen der rechtlichen Traditionen Deutschland stellte die Frage der rechtlichen Natur des Arbeitstarifvertrages eine große gedankliche Herausforderung dar. Sinzheimer knüpfte unmittelbar an Gierkes Idee des Sozialrechts an,229 als der zwischen öffentlich-staatlicher und privat-individualistischer Sphäre gelegenen Ebene der Rechtserzeugung. 230 Gierke hatte damit eine gedankliche Vorstellung zur Geltung gebracht, die es anbot, die Idee des Staates angesichts der modernen Industriegesellschaft von innen heraus neu zu konzipieren. Gierke selber entfaltete in dem Gedanken des „Sozialrechts" als Zwischen- und Bindeglied des öffentlichen und privaten Rechts progressive Interpretationsmöglichkeiten. 231 In diesem Vorgehen gab es zumindest in der Sache einige Parallelen und Anknüpfungspunkte zu sozialreformerischen, ja sozialistischen Gedanken dieser Zeit.232 Für die Frage der modernen industriellen Massengesellschaft hatte Sinzheimers Idee eines „korporativen Arbeitsnormenvertrages" unmittelbare Relevanz, handelte es sich doch um die Problematik, wie inmitten der Gleichförmigkeit massenhafter Globalverträge das betroffene Individuum sich als Rechtssubjekt erachten durfte, obwohl es vertraglich gar nicht mitwirkte und sich doch den ausgehandelten Normen unterwarf. Sinzheimer wollte dem bereits seit geraumer Zeit gebräuchlichen Tarifvertrag, der die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses insbesondere in der Frage des Arbeitslohnes, dann aber auch der Arbeitsumstände regelte, eine rechtstheoretische Grundlage verschaffen. Er lehnte es daher ab, von Tarifverträgen zu sprechen, sondern sah diese nur als den zeittypischen Unterfall kollektiver Normenverträge, der aber als einer um die Arbeit gruppierten Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Organisierung der sozialen Wirklichkeit die größte und modernste Bedeutung hat. Drei Grund-
229 230 231 232
Kilian, Soziale Selbstbestimmung, 1965. Hugo Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag - eine privatrechtliche Untersuchung, 2 Teile, Leipzig 1907-08. Hans Werner Mündt, Sozialpolitische Wertung als methodischer Ansatz in Gierkes privatrechtlichen Schriften, diss. jur. Frankfurt/M. 1976. Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht 1974/75; Dilcher, Das Genossenschaftsbild der Rechtswissenschaft, 1976.
Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
271
funktionell kennzeichnen den Tarifvertrag (S. lf.): seine normative Funktion, d. h. er hat die Normen zu „liefern, die den Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge, die in einem Herrschaftsbereich geschlossen werden" bestimmen. Er hat ferner eine obligatorische Funktion, nämlich die Bestimmung und Verpflichtung der Leistung und schließlich hat er eine sozialrechtliche Funktion (S. 238ff.), nämlich die Beziehung zwischen den betroffenen Menschengruppen und ihren Vertretern auszuhandeln, also zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. 233 Nur unter Hinzuziehung einer Organisation wie der Gewerkschaft war das Aushandeln dieser Verträge überhaupt technisch durchfuhrbar (S. 63ff.), aber vor allen Dingen schuf auch erst diese Vertretung annähernd die vertragliche Gleichheit, die dem liberalen Ideal der gleichstarken Vertragssituation gleichkommen konnte. Das Arbeitsrecht und auch die rechtstheoretischen Fragen stehen hier nicht im Vordergrund. 234 Sie sind von Sinzheimer in ihrer insbesondere vertragstheoretischen Problematik permanent weiterentwickelt worden. 235 Von Interesse ist aber das in dieser Idee sozialer Selbstbestimmung zum Ausdruck gelangende politische Vorverständnis. Die im Weltkrieg angestoßene Entwicklung der faktischen Anerkennung der Gewerkschaften als gleichrangige Vertragspartner der Arbeitgeber gab Sinzheimers Vorstellungen der Vorkriegszeit eine zusätzliche Plausibilität. Er entwickelte seine Argumentation fort und legte sie noch während des Krieges in dem Werk Ein Arbeitstarifgesetz vor. 236 Sinzheimers Überlegungen waren der „Neuorientierung des Arbeitsrechts" unter dem Gedanken der sozialen Selbstbestimmung gewidmet (S. 209). Es galt nicht nur die Relevanz des Arbeitsrechts für die politische Ordnung zu betonen, sondern die Veränderung des staatlichen Selbstverständnisses in den Vordergrund zu stellen, wenn er dem Problem der kollektiven Arbeitsverhältnisse gerecht werden wollte. Dieser Zusammenhang ging rasch verloren, wenn nur die Idee der erhöhten Relevanz von Arbeits- und Sozialpolitik betont wurde. Wenn man nämlich nur betonte, daß es allgemeines Interesse sei, für das Wohl der Arbeiter Sorge zu tragen, konnte darin allzu rasch wieder das dem genossenschaftlichen Prinzip entgegengesetzte Prinzip der Bevormundung zum Vorschein gelangen. Das rechtstheoretische Problem, das auch eines des juristischen Selbstverständnisses der Jurisprudenz war, kleidete Sinzheimer nun in das allgemeine Problem einer „legislativen Rechtswissenschaft". Nicht mehr nur die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer „sozialen Bestrebung" am Maßstab der Rechtsordnung sei die Aufgabe, sondern „diese Bestrebungen in ihren rechtlichen Bedingungen mit sich selbst in Einklang zu bringen"
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236
Wildberger, Hugo Sinzheimers Beitrag, 1965. Die Lösung des Rechts vom Staate war eine auch von der Freirechtsbewegung intendierte Vorstellung, die dort aber eher methodisch und in Hinblick auf die Rechtsprechung erwogen wurde. Sinzheimers Nähe zu Eugen Ehrlich etwa stellte er selber heraus in seiner Darstellung dieses Hauptes der Freirechtsbewegung in seinen „Jüdischen Klassikern", vgl. Albrecht, Hugo Sinzheimer, 1970, S. 107. Mestitz, Zur Geschichte des Tarifvertragrechts, 1987; vgl. fur den rechtshistorischen Hintergrund auch neuerdings: Drescher, Die Entwicklung des Rechts der Tarifvertrages, 1994, rechtspolitisch vgl. Ullmann, Tarifverträge und Tarifpolitik, 1977. Hugo Sinzheimer, Ein Arbeitstarifgesetz - die Idee der sozialen Selbstbestimmung im Recht, München Leipzig 1916. Vgl. die Darstellung bei Martiny, Integration oder Konfrontation?, 1976, S. 85ff.
272
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
(S. 7). Diese Aufgabe impliziert aber nicht nur die Auflösung eines möglichen Widerspruches zwischen sozialen Zwecken und ihren rechtlichen Mitteln (S. 10), wobei die Rechtlichkeit der Mittel sich wieder an der Rechtsordnung zu messen hätte. Sie meint vor allen Dingen, daß die formale Betrachtung des Rechts, die sich nach gleichsam immanenten Rechtsprinzipien orientiert, nun einer Betrachtungsweise weichen muß, nach welcher alle Rechtsverhältnisse wesentliche „soziale Funktionsverhältnisse" sind (S. 21 f.). Wenn Recht aber eine Funktion erfüllt, dann ist der Maßstab ihre entsprechende Leistung, die Erfüllung ihres Zweckes. „Zwecke" sind aber nicht ihrerseits abgeleitet von übergeordneten Prinzipien wie der Erhaltung der Gesellschaft, ihrer Ordnung usf., sondern Sinzheimer meint die Ziele, die in den von den Personen selbst gestalteten Rechtsverhältnissen zum Tragen kommen. Da es aber auch nicht um die Anarchie scheinbar unverbundener Zwecksetzungen von Individuen geht, sondern um gemeinsame Zwecksetzungen aus gemeinsamen sozialen Problemstellungen, will Sinzheimer insgesamt den Ballast der Grundvorstellung des „abstrakten Einzelmenschen" zugunsten der Vorstellung des je schon „vergesellschafteten Menschen" aufgeben und nennt insoweit als Vorbild einer sozialwissenschaftlichen Wende der Rechtswissenschaft ausdrücklich Karl Marx, allerdings in einer nicht Sozialrevolutionären Lesart. 237 Sinzheimer betont die kognitiven Schwierigkeiten, denen die traditionellen juristischen Kategorien in der moderne Massengesellschaft ausgesetzt sind: „Die Massenhaftigkeit des Tarifvertrages muß das gewöhnliche juristische Vorstellungsleben überwältigen, wenn es nicht bereit ist, neue Denkformen anzunehmen" (S, 31). Es geht daher nicht nur um eine einfache gesetzliche Anerkennung und Regelung des Tarifvertrages, sondern um einen Wandel des Rechtsdenkens insgesamt, der für die systematische Integration korporativer Normenverträge in die herkömmliche Rechtsordnung zwingend erforderlich ist (S. 31). Es handelt sich um die „ A u f g a b e , e ¡ n e a u s neuen sachlichen Bedingungen erwachsene, nicht aus alten Prinzipien geschöpfte eigene Form, die Massenform, zu finden. Im Tarifvertrag will die Masse rechtlich selbständig auftreten und sich selbst regulieren. Dies sind die neuen sachlichen Bedingungen, denen das Recht Ausdruck geben muß" (S. 32). Sinzheimer überträgt nun alle uns bereits bekannten Probleme des Verhältnisses organisierter und unorganisierter Massen auf die Problematik kollektiver Verträge und fordert dazu auf, daß das Recht die passende Kollektivform für die unorganisierten Massen schaffen muß (S. 32f.). Die Organisationen sind das „Bindeglied zwischen Masse und Recht" (S. 36). „Es wird sodann die Kunst des Staates sein, statt Normen im einzelnen aufzustellen, die in der Masse vorhandene Kraft zur Selbstorganisation für die Regulierung der Tarifbeziehungen nutzbar zu machen. Bevormundung durch schematisierende Gesetzesbureaukratie kann der im Tarifvertrag lebende Massenwille nicht ertragen. Seine Formen sind zu reich, seine Kräfte zu eigenwillig, sein eigener Betätigungsdrang zu stark"
237
Das Vorbild einer nicht-revolutionären aber dennoch produktiven Aneignung Marxschen Denkens für die Rechtswissenschaft ist fur Sinzheimer Karl Renner, der vor dem Krieg unter dem Pseudonym Josef Karner über die „soziale Funktion der Rechtsinstitute" gearbeitet hatte: Karl Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, 1904, 2. Aufl. Tübingen 1929.
Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
273
(S. 34). Sinzheimer stand dem Hilfsdienstgesetz zunächst skeptisch gegenüber, da er dessen Überbürokratisierung, die freilich den Kriegsbedingungen geschuldet war, grundsätzlich für abträglich hielt.238 Aber in deren Einrichtung von paritätisch besetzten Kommissionen bestehend aus Vertretern der Arbeiter und der Arbeitgeber und der behördlichen de facto Anerkennung ihrer Beschlüsse nahm Sinzheimers Grundgedanke ein Stück Gestalt an, wenngleich die Rolle des Staates ein strittiger Punkt der ganzen Konstruktion auch in der Weimarer Republik bleiben sollte. Gierke rezipierte Sinzheimers Arbeit noch im Kriege nur mit großen Vorbehalten, denn seiner Auffassung nach handelte es sich gar nicht um ein politisches oder staatliches Problem, besaß doch nach germanistischer Auffassung schon das Zivilrecht eine erhebliche kollektivistische, also über das individualistische Vertragsrecht des romanistischen Rechtskreises hinausweisende sozialpolitisch relevante Komponente. 239 Gierke verkannte aber Sinzheimers weit über das Arbeitsrecht hinausreichende gesamtpolitische Zielsetzung, denn was Gierke als immanente Schutzaufgabe des Staates begriff, wollte Sinzheimer ohne immanente teleologische Einschnürung in den Bereich sozialer Selbstbestimmung verlagern. Die Übertragbarkeit des Gedankens sozialer Selbstbestimmung auf andere Rechtsgebiete demonstrierte Sinzheimer (unter Rückgriff auf das von Gierke rechtshistorisch zusammengestellte Material) an der Selbstverwaltung mit ihren selbstgeschaffenen Verwaltungsnormen (S. 46f.) und vor allen Dingen am Völkerrecht (S. 47f.). Beides sind Bereiche, in denen „rechtsschöpferische Verträge" geschlossen werden (S. 47). Ihre Obligation beruht nicht auf der Überordnung einer Rechtsordnung, sondern auf der eingegangenen Selbstbindung. Damit gelangte Sinzheimer zum eigentlichen Problem, dem Staat, bzw. dem Begriff des Staates, wie er zeitgenössisch immer noch vorherrschend war und alle juristischen Kategorien prägte. Der gesamte Schlußteil zur „Idee der sozialen Selbstbestimmung im Recht" war der Frage gewidmet, wie sich das Verhältnis des Staates zum Rechtsbegriff wandeln mußte, um die geforderte Selbstentfaltung organisierter rechtsschöpferischer Autonomie zu ermöglichen. Wie es einer der ersten Rezensenten von Sinzheimers Ein Arbeitstarifgesetz formulierte, wollte Sinzheimer den Tarifvertrag nicht nur als Rechtsverhältnis, sondern als Rechtsquelle gelten lassen.240 Das heißt, daß die von den Konfliktparteien erzielten Ergebnisse als Recht anzusehen und vom Staat als solche anzuerkennen sind. Sinzheimer folgerte aus dem genossenschaftsrechtlichen Ansatz keineswegs den extrem-pluralistischen Gedanken einer Aufhebung des Staates und seiner zwanglosen Einreihung in alle übrigen gesellschaftlichen Verbände. Nach der Novemberrevolution 1918 sollte Sinzheimer in seiner Betriebsrätekonzeption, die in die Weimarer Verfassung aufgenommen wurde, gegen die Vorstellung direktdemokratischer Rätemodelle darauf beharren, daß alle autonomen Organisationen
238 239
Hugo Sinzheimer, Das vaterländische Hilfsdienstgesetz, in: Arbeitsrecht 4 (1917), S. 6 3 - 6 5 . Otto von Gierke, Die Zukunft des Tarifvertragsrechts, in: Archiv fur Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 42 Heft 3 (Mai 1917), S. 8 1 5 - 8 4 1 . Vgl. Martiny, Integration oder Konfrontation?, 1976, S. 90.
240
Roman Boos, Zur Frage eines Arbeitstarifgesetzes, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 11 (1917/1918), S. 2 7 4 - 2 7 9 , S. 275 unter Anspielung auf die Formulierung von Sinzheimer in: Ein Arbeitstarifgesetz, 1916, S. 39.
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nur im Angesicht eines Staates bürgerkriegsfrei gedeihen können. Er gehörte sicherlich nicht zu den Theoretikern, die eine Alternative zum Staat als solchen suchten. Aber sein Ansatz implizierte die Frage, inwiefern sich der Begriff des Staates unter einer solchen Vorstellung selbstschöpferischen Rechtes selber verändern mußte. Denn Sinzheimer definierte vorab: „Auch das staatliche Recht ist soziale Technik" (181). Alleine dies war bereits eine Herausforderung an die Adresse der Sittlichkeits-Metaphysik. Was Georg Jellinek noch zögerlich „Volksinitiative" nannte, 241 war für Sinzheimer bereits die Realität: wesentliche Teile der gesellschaftlich wirksamen Rechtsregeln waren bereits gesellschaftlichen Ursprunges (S. 187), von den Lieferungsbedingungen der Kohlensyndikate bis zu den Mietvertragsformularen der Hausbesitzervereine. Die gefährliche Monopolisierung solch kollektiver Rechtsschöpfungsmacht veranlaßte Sinzheimer dazu, dem Staat die Kompetenz zu belassen, die Formen der Selbstschöpfung des Rechts zu bestimmen und zu überwachen. „Die soziale Selbstbestimmung löst das Verhältnis zum Staat nicht, sie ändert es nur" (S. 190). „Ohne den Staat auszuschalten, der die Bedingung eines einheitlichen gesellschaftlichen Lebens ist, hebt sie durch unmittelbare Rechtserzeugung die Fremdheit des Rechts dem sozialen Leben gegenüber" auf und dient damit nicht zuletzt dem „gesellschaftlichen Frieden" (S. 194). Sinzheimers Überlegungen zur Wandlung des Staatsbegriffs unter dem Eindruck des Vordringens der sozialen Selbstbestimmung haben auch Konsequenzen für die politische Theorie, da er mit der Vorstellung vom „sozialen Parlamentarismus" (S. 197ff.) den schwierigen Weg beschritt, zwischen den reaktionär intendierten berufsständischen Modellen, die gerade im Weltkrieg als Alternative zum demokratischen Wahlrecht Konjunktur hatten, und den auch von ihm in den Vordergrund gestellten Mängeln des herkömmlichen liberalen Parlamentarismus einen Weg zu suchen. Seine Idee wollte die politischen Entscheidungen entlasten von sozialen Selbstbestimmungsfragen, die an anderer Stelle autonom von den betroffenen Bevölkerungsgruppen verhandelt werden konnten. Für die Plausibilität eines berufsständischen Parlamentes sprachen sich neben den Interessenten einer modernen Neofeudalisierung der komplexen arbeitsteiligen und individualistischen Gesellschaft und den Verächtern eines von Parteien dominierten Parlaments auch Theoretiker wie Hugo Sinzheimer aus, die damit ganz andere gesellschaftspolitische Ziele verfolgten. Denn der Gedanke der Selbstverwaltung konnte unter dem im Weltkrieg einziehenden Primat des Wirtschaftlichen auch als wirtschaftliche Selbstverwaltung und diese wiederum als Sozialpartnerschaft, als Wirtschaftsdemokratie usf. gesehen werden. Die Vermittlung dieser Organisationsrolle mußte keineswegs zwingend einem „organischen" Prinzip folgen, sondern hier konnten sich auch demokratische und republikanische Ideen im Rahmen der modernen, arbeitsteilig und dynamisch strukturierten Gesellschaft verwirklichen. Hinter der Völkerbundidee und der sozialen Selbstbestimmung wirkte bei Sinzheimer also ein vergleichbares Prinzip: aus der Erkenntnis der Gestaltbarkeit der sozialen Ordnung und dem Recht als deren Instrument folgte die Erfahrung gemeinsamer Gestaltbarkeit von sozialer Wirklichkeit durch eine kollektiv organisierte, im Verhältnis zum
241
Georg Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung Abhandlung, Berlin 1906, S. 74f„ bei Sinzheimer 187 zitiert.
- eine
staatsrechtlich-politische
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Die genossenschaftlich inspirierte integrative Demokratie
Staat aber autonome Rechtsschöpfung. Der Herausforderung der modernen Massengesellschaft konnte also nicht durch eine liberale Zurückweisung kollektiver Ideen begegnet werden, zumal dann nicht, wenn sie durch exkludierende, gar nicht an der sozialen Wirklichkeit orientierte integrative Ideen wie der der Nation ersetzt wurden. Andererseits bedurfte auch der Demokratiegedanke einer integrativen und zugleich organisatorischen Durchdringung, die Sinzheimer im Gedanken der kollektiven Selbstbestimmung fand, zu deren Rahmengebung er aber zugleich auf die Erfordernis einer durchaus herrschaftlichen staatlichen Instanz aufmerksam machte, womit er alle Blütenträume grenzenloser Selbstbestimmung zurückwies. Als die Wahlrechtsvorlage der Preußischen Regierung im Dezember 1917 scheiterte, meldeten sich Sinzheimer und Schücking in der Frankfurter Zeitung noch einmal zu Wort. Schücking erörterte stärker die institutionellen Probleme, die mit dem Wahlrecht verbunden waren. 242 Gerade aus der Perspektive des Obrigkeitsstaates war für Schücking nicht erkennbar, mit welchen Gründen man ein Pluralwahlrecht unterstützte und ζ. B. den Besitz privilegieren wollte. „Aber hat sich nicht gerade in diesem Krieg gezeigt, daß die Millionen der besitzlosen, aber politisch erzogenen industriellen Arbeiter in unseren großen Städten viel mehr Verständnis für die notwendigen Kriegsmaßregeln gezeigt haben als all jene ländlichen Besitzer?" Und warum sollte das Alter privilegiert werden, wenn man doch allgemein lobend hervorhebt, daß niemals zuvor die Jugend vergleichbares geleistet habe. Daher beklagte Schücking die „Engherzigkeit der Gebildeten", die am charakteristischsten in der Nationalliberalen Partei zu erkennen sei: Noch vor 50 Jahre habe sie die Einführung des gleichen Wahlrechts in allen Ländern gefordert und verteidige nun das Preußische Dreiklassenwahlrecht. Diese Engherzigkeit der Gebildeten hat nach Schücking zur geistigen Isolierung Deutschlands geführt und sie habe erst die Notwendigkeit geschaffen, mangelnde politische Leistungen durch außergewöhnliche Kriegsleistungen kompensieren zu müssen. Diesen Punkt griff auch Sinzheimer einen Tag vor Heiligabend auf.243 Die beklagte Isolierung Deutschlands führt er auf die Entwicklung der Geisteshaltung zurück. Die von den Gebildeten bis zum Überdruß gefeierte Machttheorie des Staates, die scheinbar im Krieg ihre Bewährung findet, ist ursächlich für die Notwendigkeit, diesen Krieg zu führen, statt mit politischen Mitteln die Konflikte zu bestehen. Denn die Machttheorie ersetzt nicht nur die Kultur als den ursprünglichen Zweck des Staates zugunsten der bloßen Macht selbst; die Machttheorie ersetzt darüber hinaus auch noch die Mittel: „fremder Wille kann nur gebeugt, nicht gewonnen werden", weil das Ziel des Machtstaates die Herrschaft eines Willens und nicht die Willensgemeinschaft sei. Aber die mangelnde Kraft zur politischen Selbstgestaltung offenbart für Sinzheimer nicht nur die Grenzen des machtstaatlichen Prinzips, sondern hier schlägt die Fehlentwicklung unmittelbar zurück auf die Fähigkeit des Machtstaates zur Selbstbehauptung: „Mit dem Mangel an schöpferischem Leben zahlt der Geist dem Staat heim, was der Staat ihm an Freiheit genommen.
242
Walther Schücking, Das gleiche Wahlrecht vom 29. Januar 1918, 1. Morgenblatt S. 1.
und die Gebildeten,
243
Hugo Sinzheimer, Der Staat und das geistige 23. Dezember 1917, 1. Morgenblatt, S. 1-3.
Leben,
in: Frankfurter Zeitung Nr. 29
in: Frankfurter Zeitung Nr. 354 v.
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Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
Wenn wir heute alle ausblicken nach dem politischen Menschen, der innerlich frei in sicherer Gemeinschaft mit der Idee den Sinn des Weltgeschehens durch die entschlossene Tat mit heiterer Festigkeit vollstrecken kann, wenn wir ausblicken, in tiefer Not und fast ohne Glauben mehr, und doch ins Leere sehen, so wissen wir, daß damit die Schuld der Kultur gebüßt wird, die den Geist von sich stieß, um das Nützliche zu finden, die die trotzigen, seltsamen Menschen bei Seite schob und den Menschen ohne Eigenart und Eigenwillen, den fügsamen Menschen, zu ihrem Liebling erkor." Für einen Autoren wie Sinzheimer war es bitter, mit ansehen zu müssen, wie die Chancen des Weltkrieges durch Sturheit und gedankliche Engstirnigkeit vertan wurden. Die Jahreswende 1917/1918 und das Frühjahr 1918 waren für die meisten Vertreter einer energischen Reform der politischen Ordnung Anlaß zu Pessimismus, ja zur Resignation. Das faktische Ausscheiden Rußlands aus dem Kreis der Alliierten nach der Oktoberevolution und die Umstände der Friedensverhandlungen mit den Bolschewisten bewiesen erneut, daß der Reichstag weder Autorität noch Kompetenz genug besaß, gestalterisch tätig zu werden und daß die öffentliche Meinung nach einigen Monaten der Reformbereitschaft sich wieder voller Zuversicht auf die Logik des Siegfriedens einließ. In umgekehrter Reihenfolge des ursprünglichen Kriegsplanes schien der Zweifrontenkrieg nun doch noch zu einem glücklichen Ende zu kommen. Nach Jahren der überwiegend defensiven Ausrichtung wollte und konnte man wieder in die Offensive gehen und zum letzten Schlag gegen die Alliierten ausholen. Diese Hochstimmung verstärkte sich durch die Anfangserfolge der Frühjahrsoffensiven im Westen am 23. März und änderte das Klima der innenpolitischen Auseinandersetzung erheblich. Nun schwand jegliche Plausibilität der Demokratisierung, diejenige des autoritären Obrigkeitsstaates stieg dagegen an, schien doch der Siegfriede erneut erreichbar und die Gewinne im Osten beeindruckten alle Schwankenden. Im Zeichen der Frühjahrssoffensive von 1918 versuchte eine bedeutende Fraktionsgruppe der Linksliberalen um Fischbeck, Müller-Meiningen, Ablaß und Kopsch die Partei sogar ganz von der Friedensresolution abzubringen, was Haußmann nur mit Mühe verhindern konnte.244 Alle geleisteten Bemühungen um die Schaffung einer gemeinsamen Plattform, die die Grundlage hätte bilden können für eine parlamentarisch initiierte oder sogar geführte Regierungspolitik, verflüchtigten sich wieder und selbst Troeltsch atmete erleichtert auf: „Die Bolschewiki und unsere Einwirkung auf die russische Lage., .haben uns gerettet". 245
244
Nach Haußmanns eigenem Bericht, vgl. Conrad Haußmann, Schlaglichter Aufzeichnungen, Frankfurt/M., 1924, S. 187.
- Reichstagsbriefe
245
Troeltsch in einem Brief an H.v.Schubert am 26. Dezember 1917, zitiert bei Drescher, 1991, S. 449.
und
Troeltsch,
Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
8.
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Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
Sozialistische Demokratie und bürgerlicher Parlamentarismus Trotz aller mit großer Hartnäckigkeit betriebenen Forderungen nach einer Demokratisierung des Preußischen Wahlrechts war damit bei vielen sozialistischen Autoren häufig auch eine gleichzeitige Zurückweisung des Vorbildes der westlichen Demokratie und des Parlamentarismus verbunden. Die wichtigsten theoretischen Köpfe jedoch, Eduard Bernstein und Karl Kautsky konnten in diese Debatte nur vom Rande her eingreifen, weil sie spätestens 1917 bereits politisch isoliert waren. Ihre Kritik an der Parteiführung der Mehrheit trieb sie zu den Unabhängigen Sozialisten, die ihrerseits der russischen Revolution zusehends jede institutionelle Debatte als nachrangig im Verhältnis zur Chance der Revolution betrachteten und damit der Chance einer schlagartigen Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft. Diese Isolierung bedeutender Theoretiker gerade im wichtigen Debattenjahr 1917 gehört zu den tragischen Konstellationen innerhalb des sozialistischen Gesprächsfeldes im Krieg. Die Beobachtung, daß die „Ideen von 1914" im sozialistischen Denken Fuß gefaßt hatten 246 und das politische Urteilsvermögen verblendeten, war auch der Ausgangspunkt einer Reihe von publizistischen Attacken Max Adlers gegen die Parteiführung in Deutschland. Ausgehend von der stärksten Amplitude dieser Ideen von 1914, der Sombartschen Gegenüberstellung von englischen Händlern und deutschen Helden, wollte Adler die Anglophobie in der sozialistischen Literatur bloßstellen. Erst Sombart habe aus Plenges Ideen von 1914 eine „Harlekinade" gemacht „indem er die Ideale von 1789, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, als echte und rechte Händlerideale darstellte, als Grundformen der Bourgeoisie, und zwar der verkommerzialisierten englischen Bourgeoisie...Damit war die Grundlage zu dem schamlosen Gegensatz von Händler und Helden gegeben, welchen Sombart... ohne jede sonstige Besinnung forsch zu dem tröstlichen Ende fuhrt, daß die Engländer in Philosophie, Wissenschaft, Staat und Kultur ein Krämervolk, ein Volk der Vergangenheit, der Ideen von 1789 sind, die Deutschen aber überall ein Volk heldischer Gesinnung und Taten, ein Volk der Zukunft, in welche die Ideen von 1914 weisen, ja eigentlich nach den Juden und Griechen das dritte auserwählte Volk." 247 Übergehend zu Kjéllens Aufgreifen dieses Schlagwortes und seiner Vertiefung durch Johann Plenge widmete sich Adler der dortigen Behauptung, daß die Ideen von 246 247
Vgl. die ausfuhrliche Schilderung der Aufnahme und Verbreitung der Ideen von 1914 innerhalb der Sozialdemokratie bei Becker, Deutscher Sozialismus, 1957, S. 2 3 5 - 2 5 4 . Max Adler, Die Ideen von 1914, in: Die Neue Zeit 35 (1916/1917) II, S. 5 3 7 - 5 4 6 und S. 5 8 6 593, S. 537.
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1914 sich anschickten, das Vorwalten der Ideen von 1789 zu überwinden und fragt demgegenüber, wo denn im deutschen Sprachkreis die Ideen von 1789 tatsächlich bereits zur Entfaltung gekommen seien, daß man sie nun bereits wieder überwinden kann (S. 539). Adler möchte vor allen Dingen auf die haltlose Identifizierung von westlicher Freiheit mit schrankenloser, individualistischer Ungebundenheit hinweisen, die im rationalen Naturrecht gar nicht behauptet worden sei, wo vielmehr stets ein innerer Zusammenhang von individueller Freiheit und vernünftiger Gebundenheit sowie Selbstverantwortung hergestellt wurde (S. 540). Adler unterscheidet daher die Ideen von 1789 im Sinne des Republikanismus Rousseau'scher Prägung vom ökonomischen Liberalismus, der zwar erst durch die Durchbrechung der alten sozialen Ordnung durch die Verkündung der Menschenrechte zur Geltung kam, aber deswegen mit den sozialen und freiheitlichen Ideen von 1789 keineswegs identifiziert werden darf (S. 543). „Wir aber reißen uns los von dem kläglichen Jammerbild einer Denkarbeit, die alle Schätze des Geistes und der Bildung nicht anders zu verwenden weiß, als um aus der schrecklichsten Not, die je noch eine Zeit erfassen konnte, eine Tugend zu machen, um den Abfall von allen Ideen der Kultur in eine neue Ideenerhöhung umzulügen und den Schmerz, die Verzweiflung, j a die Empörung einer gequälten Menschheit als die Geburtswehen einer neuen Zeit anzupreisen" (S. 593). Adlers Aufforderung des Loßreißens hieß vor allen Dingen eingestehen, daß die Sozialisten sich keineswegs als immun gegen diese Ideen erwiesen hatten. Adlers Appell war jedoch überwiegend vergeblich. Zu tief hatte sich das Erlebnis des Krieges im sozialistischen Denken eingegraben und die daran anknüpfende Überlegung, Augenzeuge einer Erfahrung zu sein, die alle überkommenen Ideen und Werte in Frage stellt. Zu eingängig erwies sich die daran anschließende Vorstellung, durch einseitig negative Interpretation der aufklärerischen Tradition des Sozialismus die Ideen von 1789 den alliierten Feinden als deren eigentümliche Weltanschauung zuzuordnen. Statt sich von ihnen aus scheinbar vaterländischer Gesinnung loszureißen, verlangte Adler, daß man sich ihnen mit noch größerem Elan zuwenden sollte, trat der Krieg doch gerade die Ideen von 1789 mit Füßen. Die falsche vaterländische Gesinnung von einem Patriotismus demokratischer Provenienz zu unterscheiden war Bernsteins erste Antwort auf diese Phänomene. Denn es half nur wenig, die Begeisterungsfahigkeit der proletarischen Massen fur integrative Ideen wie diejenigen der Nation und des Vaterlandes einfach zu ignorieren. Bernstein wollte die dort frei gewordenen politischen Energien umlenken. Dazu bedurfte es aber zunächst einer Klärung der Begriffe, um die gedanklichen Spielräume fern der Ideen von 1914 zu öffnen. Bernsteins Loyalität zur Parteiführung wurde von ihm wie gezeigt spätestens nach der Parteikonferenz vom 21.-23. September 1916 aufgekündigt. Statt des gewünschten Parteitages hatte die Parteiführung zu einer um Geschlossenheit bemühten erweiterten Sitzung der Fraktion geladen. Trotz der schwierigen Frage der Repräsentativität dieser Konferenz ergab sich eine überwältigende Mehrheit für den von David eingereichten Entschluß, worin die Politik der Regierung weitestgehend Unterstützung fand. Diese Auffassung und vor allen Dingen das dahinter wirksame politische Denken wurde von Bernstein auf das schärfste kritisiert.248 Bernstein unterschied im Sinne der bereits
248
Eduard Bernstein, Kritik des Manifests
(der Mehrheitsfraktion der deutschen Sozialdemokratie),
Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
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von Kautsky vorgenommenen Trennung scharf zwischen der Kreditbewilligung vom 4. August 1914 und der Politik des 4. August 1914 (S. 213) und las das Manifest als Formulierung dieser Politik des 4. August 1914, der er in ungewohnt polemischer Weise vorwarf, in einem „Geist des flachsten Dutzendpatriotismus" geschrieben worden zu sein, welcher sich nicht bemühte, „über die platte Selbstgerechtigkeit des Gedanken- und grundsatzlosen Haufens" zu erheben (S. 218), der ferner die „Sprache der Bourgeoisie" übernimmt und Forderungen stellt, von denen gesagt werden könne: „Es gibt keinen Reaktionär, der sich anders ausdrücken könnte" (S. 215). Das Septembermanifest der Parteiführung bestätigte Bernstein endgültig darin, daß die Parteiführung keinen Sinn für politisches Denken hatte. Daher versuchte er in den weiteren Kriegsjahren in Aufsätzen und Monographien die Notwendigkeit einer Neuorientierung des politischen Denkens zu begründen und einzuleiten. Für Bernsteins Bemühungen zur Formulierung einer sozialistischen Theorie der Politik ist es nun kennzeichnend, daß er das politologische Defizit des Marxismus nicht durch eine überstürzte Vereinnahmung des Staatsbegriffs kompensierte, sondern vielmehr fast ganz auf den Begriff des Staates verzichtete und eine hiervon unabhängige politische Theorie zu entwickeln versuchte. Seine Polemik vom Oktober 1916 war dem Zorn geschuldet, zu welchen Verirrungen die Parteiführung in politischen Fragen verleitet wurde, weil sie über keine politische Theorie verfügte. Denn nach Bernsteins Auffassung handelte es sich bei der Politik des 4. August nur um „die politische Selbstentmannung der Partei" (S. 216), und zwar nicht nur deswegen, weil sie die Frage der Kriegspolitik vollständig umgangen hatte. Das wäre nach Bernstein noch verständlich gewesen, da sie für die Durchfuhrung einer solchen Politik gar keine Verantwortung übernehmen konnte. Bernstein beklagt vielmehr, daß die Parteiführung auch keinerlei Willen zeigte, diese Einflußlosigkeit zu überwinden und gleichzeitig dennoch beinahe bedingungslos die Regierung unterstützte. Er wirft der Parteiführung vor, die Sprache einer „Regierungspartei" zu verwenden, die kein Bestreben hat, Regierungspartei zu werden (S. 214). Er kritisiert dabei grundsätzlich, daß die Parteiführung politische Vokabeln verwendet, ohne sich über deren Sinn im klaren zu sein: „Landesverteidigung", „Volk" oder „Patriotismus" wurden von der Parteiführung einseitig vom Bürgertum übernommen, ohne ihre mögliche Auslegung nach Maßgabe sozialistischer oder zumindest demokratischer Grundsätze in Erwägung zu ziehen. Bernstein geht es nicht um die Ersetzung dieser Vokabeln durch andere, „sozialistische" Vokabeln, sondern um das politische Vorverständnis, wie sie als politische Begriffe gebraucht werden. Nach seinem Dafürhalten hat sich die Parteiführung durch die unreflektierte Übernahme der nationalistischen Auslegung der politischen Begriffe unweigerlich auch der Logik des Nationalismus verschrieben. Das demonstriert Bernstein anhand der Verwendung des Volksbegriffs. „Wo es sich um die Zusammensetzung der Gesamtheit der Angehörigen eines Landes ohne Unterschied der Klasse als politische Einheit handelt, da ist der angemessene politische Ausdruck Nation und nicht Volk" (S. 215), da nur so die spezifischen
zuerst in der Neuen Zeit vom 13. Oktober 1916, unter obigen Titel abgedruckt in: Eduard Bernstein, Sozialdemokratische Völkerpolitik - die Sozialdemokratie und die Frage Europa - gesammelte Aufsätze Leipzig 1917, S. 2 1 1 - 2 2 0 , dort auch der Text des Mehrheitsmanifestes, S. 2 0 7 - 2 1 0 .
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Interessendivergenzen der unterschiedlich politisch privilegierten Bevölkerungsteile Berücksichtigung finden. Die Verschleierung dieser Gegensätze erfolgt einseitig auf Kosten der Arbeiterpartei. Freilich will sich Bernstein mit seinen Bedenken nicht grundsätzlich gegen die Notwendigkeit von Landesverteidigung und Patriotismus äußern. Aber er verlangt durch begriffliche Klarheit den Mißbrauch dieser Vokabeln vermeiden zu helfen, der gerade in der Politik betrieben wird und zu den maßlosen Forderungen der Annexionspolitik geführt hat (S. 212). Die begriffliche Klärung traditioneller politischer Begriffe nach Maßgabe einer eigenständigen, aber nicht kompromißlos auf Antagonismus bedachten sozialistischen politischen Theorie wurde zum Hauptanliegen Bernsteins in den weiteren Jahren des Krieges. Hier zeigt sich auch, daß es keineswegs der Revisionismus war, der die Burgfriedenspolitik der sozialdemokratischen Führung subkutan vorbereitete. Der Schöpfer des Revisionismus gehörte vielmehr zu den schärfsten Kritikern dieser Politik, der er vorwarf, keine echte Politik zu betreiben, sondern nur in der Zustimmung zur Regierung zu verharren. In Bernsteins Kritik kam zum Tragen, was bereits sein eigentliches Anliegen zur Revision des Marxismus vor dem Krieg gewesen war. Es ging ihm um die Wiederbelebung genuin politischen Denkens, das er im Zeichen der marxistischen Gesellschaftstheorie, die fur politologische Überlegungen kaum Raum ließ, in einer Phase zunehmender Degeneration wähnte. Bernstein wollte das „politische Defizit" in der SPD füllen, das im Zuge der Zusammenbruchstheorie und Revolutionserwartung entstanden war.249 Zu den von Bernstein traktierten Begriffen, auf welchen er im Weltkrieg die Umrisse einer politischen Theorie aufbauen wollte, gehörten die Begriffe des Patriotismus in seinem Verhältnis zum Klassenkampf und der Demokratie im Verhältnis zum Sozialismus. Er behandelte sie im Zuge der Entwicklung einer Theorie von „Völkerrecht und Völkerpolitik". 250 Diese Begriffe waren wohl erwogen, setzte er sie doch in Gegensatz zum Staatenrecht und zur Staatenpolitik. Schon 1915 deutete er in der Zeitschrift des Pazifisten René Schickele Die Weißen Blätter sein Bestreben an.251 Bernstein beklagte darin die jüngsten Erscheinungen des Nationalismus und setzte sie in Beziehung zu den Chancen demokratischer politischer Theorie und Politik. „Die alte Ideologie und Psychologie des Patriotismus war und wäre noch ganz gut mit den Grundsätzen und Interessen der proletarischen Bewegung zu vereinbaren", nicht dagegen J e n e neue Ideologie und Psychologie des Nationalismus, wie sie zur Zeit namentlich in Deutschland Annahme gefunden hat. Die alte Ideologie forderte das Selbstbestimmungsrecht der Nation im Namen der Kulturvölker, sie war wesentlich demokratisch, wie ja der Begriff .patriotisch' selbst ursprünglich mit .demokratisch' zusammenfiel" (S. 1045). Der neue Nationalismus dagegen suggeriere eine größere Solidarität der Arbeiter mit den nationalen
249 250
Walther,... aber nach der Sintflut kommen wir und nur wir, 1981, S. 150-156. Eduard Bernstein, Sozialdemokratische Völkerpolitik - die Sozialdemokratie und die Frage Europa, gesammelte Aufsätze, Leipzig 1917. Nach dem Krieg veröffentlichte Bernstein hierzu ferner eine Vorlesungsreihe, die er in der Kriegszeit gehalten hatte: ders., Völkerrecht und Völkerpolitik, Berlin 1919 (Vorlesungsmanuskript 1917/1918 mit einem Zusatzkapitel von 1919).
251
Eduard Bernstein, Revisionismus 3. Quartal, S. 1044-1046.
und Internationalismus,
in: Die Weißen Blätter, 2 (1915)
Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
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Kapitalistengruppen als die der Völker und damit auch der Proletarier untereinander. Insofern sei dieser neue Nationalismus gerade nicht demokratisch, denn er treibt „mit Notwendigkeit dahin, Staatenpolitik an die Stelle der Völkerpolitik zu setzen" (S. 1045). Demokratisch heißt für Bernstein, die Interessen der Völker und daher insbesondere die Interessen der breiten Bevölkerung zur Richtschnur eigenen Handelns zu erheben. Daraus folgte sein Bemühen, Klassenkampf und Patriotismus nicht für unvereinbar zu erklären, sondern sie auf ihre Gemeinsamkeiten und auf ihre Trennlinie hin zu überprüfen. Gemäß dem „neuen Nationalismus" besteht der Patriotismus dagegen darin, „als NichtDemokrat zu handeln und im Effekt die Demokratie zu verraten", 252 d. h. ungeachtet aller Gesichtspunkte der Gerechtigkeit in der Außenpolitik immer nur die eigene Sache zu verteidigen. Für Bernstein hingegen, gerade aus dem Selbstverständnis eines Demokraten heraus, muß der Patriotismus darin bestehen, das eigene Land gegen die Feinde der Demokratie im Innern wie gegenüber dem Ausland zu verteidigen (S. 133). In diesem Sinne kann der demokratische Patriot selbst die Niederlage des eigenen Landes wünschen, wenn er Befürchtungen hegt, ein Sieg könne gerade der demokratischen Struktur und damit dem eigentlichen Interesse der Bevölkerung schaden (S. 132f.). Aber eine solche Auffassung, die den politischen Anforderungen des internationalen Klassenkampfes der Arbeiterklasse gegen den Feind dieser Klasse im eigenen wie im fremden Land als Kampf für die eigene Kulturnation im wohlverstandenen Sinne einschloß, verlangt nach Bernstein erst einen umfangreichen Bewußtseinswandel. Dessen Chancen sind in Kriegszeiten sicherlich geschmälert, werden aber gänzlich unmöglich gemacht, wenn man von vornherein einen begrifflichen Gegensatz von Klassenkampf und Patriotismus doktrinär behauptet. Denn der Kampf des Menschen gegen die Liebe zum eigenen Land und der Nation sei unmöglich und politisch unwirksam. Nicht ob, sondern vielmehr „wie er es liebt, und wie er dessen Stellung in der Familie der Völker begreift", sei entscheidend (S. 135). Um in der Frage des „wie" den Menschen eine Richtschnur zu geben, bedarf es eines politischen Erkennens, dem eine Weltanschauung zugrunde liegt (S. 136). In diesem Sinne lag die Lösung für Bernstein also langfristig darin, den Klassenkampf so zu führen, daß er „zu einer bestimmten, besonderen Auffassung des Patriotismus erziehe" (S. 136), und nicht in einem Bestreben, Affektualität und Emotionalität generell zu verwerfen. Denn „von ihrem Volk, ihrem Land können sich immer nur einzelne ablösen, und nur einzelne können daher im Klassenkampf jedes patriotische Empfinden ersticken, die Masse wird es in der einen oder anderen Gestalt oder Auffassung immer behalten" (S. 136). In diesen Erörterungen kam Bernsteins Grundauffassung zur Geltung, wonach der Sozialismus als Ziel bezüglich der von ihm zu erstrebenden politischen Ordnung nicht etwas „ganz anderes" gegenüber der bürgerlichen Demokratie oder dem Staat als solchem darstellt, sondern als seine Fortentwicklung, als „Veredlung" der ihnen inhärenten, aber durch gesellschaftliche Verhältnisse verdeckten und verstellten Grundgedanken aufgefaßt werden muß. Demokratie und Sozialismus waren für Bernstein daher nichts wesens-
252
Eduard Bernstein, Patriotismus und Klassenkampf, in: ders., Sozialdemokratische Völkerpolitik die Sozialdemokratie und die Frage Europa, gesammelte Aufsätze, Leipzig 1917, S. 131-136, S. 133.
282
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fremdes.253 Gleichwohl fuhrt nicht das eine schnurstracks zum anderen, es gilt vielmehr, die jeweils damit verbundenen, verschiedenartigen Probleme zu berücksichtigen und zunächst einmal für eine sozialistisch inspirierte politische Theorie die „Demokratie als Problem" (S. 4) und damit zugleich als Aufgabe zu formulieren, deren institutionellen Probleme jenseits der gesellschaftlichen Struktur von einer eigenständigen politischen Theorie gelöst werden müssen. Damit sprach Bernstein das zwiespältige Verhältnis der anglophoben sozialistischen Autoren zum Problem des Parlamentarismus an, zu dem sich Bernstein als Anhänger des englischen Vorbildes weiterhin bekennt. Der Parlamentarismus erfreute sich im Lager der Sozialdemokratie keineswegs einer ungeteilten Zustimmung. Die sozialdemokratische Publizistik war bis zur bolschewistischen Revolution von der Frage der Parteispaltung absorbiert worden und widmete institutionelle Fragen nur wenig Aufmerksamkeit. Aber Äußerungen im Vorwärts aus dem Jahre 1916, wonach das deutsche demokratische Wahlrecht zum Reichstag wesentlich fortschrittlicher sei als im englischen Parlamentarismus,254 waren stellvertretend für die auch im sozialistischen Lager weit verbreitete Denkweise, eine nicht ausschließlich parlamentarisch geprägte Idee von Demokratie befürworten zu wollen. Die kurz nach Veröffentlichung der Osterbotschaft des Königs auftretenden wilden Streiks in verschiedenen Rüstungsbetrieben wurden von konservativen Blättern wie der Deutschen Tageszeitung zum Anlaß genommen, sie als Gefahrensignal zu deuten, welches vor jeder weitergehenden Demokratisierung warnen müsse. Hierauf erwiderte Heinrich Cunow, daß nicht die Rezeption der westlichen Demokratie und ihre verführerischen Verheißungen für das Aufbegehren der Arbeiter verantwortlich sei, sondern die konservative Blockade der Neuorientierung, die gerade nach der königlichen Osterbotschaft zeige, wie gering die angeblich monarchische Gesinnung bei den Konservativen und den von ihnen repräsentierten sozialen Schichten ausgeprägt war. Die Sorge um die Erhaltung ihrer politischen Privilegien bedroht die Fundamente des Staates. Demgegenüber kann Cunow auf die organisierte Arbeiterschaft als die im Krieg erprobte eigentliche Stütze einer modernen Monarchie verweisen.255 Cunow hatte anfänglich zu den Kritikern der Kriegskreditbewilligung gehört und in einem geheimen Redaktionsschreiben des Vorwärts an die Parteiführung erklärt, daß nur die Loyalität zur Parteiführung eine von ihm angeregte öffentliche Diskussion dieser Frage verhindert habe.256 Bald aber wurde er zu einem der wichtigsten Autoren, die die Position der Parteiführung verteidigten.257 Zu
253
254 255 256 257
Eduard Bernstein, Der sozialistische Begriff der Demokratie, in: ders., Sozialdemokratische Völkerpolitik - die Sozialdemokratie und die Frage Europa, gesammelte Aufsätze, Leipzig 1917, S. 1-15. Vorwärts Nr. 291, als Argument gegen die behauptete Mehrheit für den Parlamentarismus verwendet bei K. J. Möndel, Deutschland auf dem Wege zur Demokratie?, 2. Auf. Bonn 1917, S. 48. Heinrich Cunow, Preußengeist und Reichsdemokratie, in: Die Glocke 3 (1917) Band I vom 5. Mai 1917, S. 161-169. Zusammen mit Hilferding, Däumig, Ströbel u. a.: Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 44f. Heinrich Cunow, Parteizusammenbruch? Ein offenes Wort zum inneren Parteistreit, Berlin 1915.
283
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seinen Kritikern zählte dabei neben den ohnehin von Cunows Konversion enttäuschten Linken auch Kautsky.258 Angesichts der halbherzigen Umsetzung des Neuorientierungsversprechens wuchs bald schon die Unzufriedenheit mit der politischen Führung im Reich. Selbst Eduard David zeigte sich zunehmend enttäuscht über die Entwicklung der Neuorientierung und der Reformbereitschaft der liberalen Parteien, weshalb er angesichts des Hintergehens des Parlamentes bei der Kanzlernominierung von Michaelis sogar kurzzeitig einen „nichtlegalen weiteren Verlauf' bedachte.259 Die kurzzeitigen bürgerlichen Hoffnungen, mit dem Sturz Bethmanns habe sich das politische System dem Parlamentarismus genähert, teilte David nicht, er bezeichnete die Kanzlerschaft von Michaelis verächtlich als „Krypto-Parlamentarismus"260 und sagte auf dem Würzburger Parteitag Mitte Oktober 1917, daß die Demokratie die große Kraftquelle sei, aus dem das gemeinsame Staatsgefuhl entspringe und er deshalb jetzt bereits für die Zeit des Krieges die Demokratisierung des Wahlrechts in Preußen forderte.261 Die Kritik bezog sich polemisch auf das Zurückbleiben der politischen Klasse (zu der sich die SPD nicht zählte) hinter den Erfordernissen der Zeit und den Notwendigkeiten der Modernisierung. Die Forderungen nach Demokratisierung und Parlamentarisierung waren daher stets als Attacke gegen die Halbherzigkeit der Reformbestrebungen außerhalb der Sozialdemokratie gemünzt. So lange diese Kritik negativ orientiert war, konnte sie die hierfür herangezogenen Begriffe in ihrer Ambivalenz belassen. Wenn es aber um eine konstruktive Antwort auf die Frage ging, mit welchen politischen Kräften man in gestaltender Absicht auf welcher institutionellen Grundlage zusammenarbeiten wollte, mußte man zu einer inhaltlichen Aussage über das Verhältnis von Demokratie und Parlamentarismus gelangen. Als sich sozialdemokratische Theoretiker näher mit der Frage beschäftigten, wie die von ihnen favorisierte politische Ordnung aussehen soll, machte sich der Einfluß der Debatte des Weltkrieges auch in der Sozialdemokratie bemerkbar. Auch hier diente die Trennung von Demokratie und Parlamentarismus der Absicht, der westlichen Demokratie ein eigenständiges deutsches Profil von Demokratie entgegenzustellen. Die Juliereignissen eröffneten eine breite Diskussion in den Reihen der sozialdemokratischen Theoretiker und Praktiker. Alleine die Hefte vom August bis zum September 1917 der im Krieg gegründeten Glocke262 verzeichneten zahlreiche Stellungnahmen hier-
258
Karl Kautsky, Zwei Schriften zum Umlernen, in: Neue Zeit 33 (1915) II, S. 33ff„ 7Iff., 107ff„ 138ff., mit einer Erwiderung Cunows: Illusionen-Kultus - eine Entgegnung auf Kautskys Kritik meines Buches „Parteizusammenbruch, ebda. S. 230ff., 264ff., und einer Abschlußrunde beider 347ff.
259
David, Kriegstagebuch,
260
So lautete die Bezeichnung Eduard Davids fìir das politische System Michaelis, die er im einer Rede vor dem Hauptausschuß vom 25. August 1917 gebrauchte. Schwieger, Zwischen Obstruktion und Kooperation, 1970, S. 276 glaubt darin aber den Intentionen Davids nach nicht eine polemische Spitze, sondern ein konstruktives Modell erblicken zu können.
261
Protokoll S. 336ff.
262
Zur „Glocke" vgl. Matthias, Die deutsche Sozialdemokratie, Freibeuter der Revolution, Köln 1964; Lösche, Bolschewismus,
über die
1966, Eintragung vom 20. Juli 1917, S. 250.
Verhandlungen
des Parteitages
der SPD,
Würzburg 1917, Berlin 1917, 1954, S. 32ff.; Scharlan/Zeman, 1967, S. 70f.
284
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
zu. Sie reichten von dem Gewerkschaftler August Winnig, der die Demokratie als Bluff wertete, 263 über Ernst Heilmann, der den englischen Parlamentarismus als Resultat der dortigen „Advokaten" einstufte, d. h. als ein Klassenkampfinstrument, das seiner institutionellen Einrichtung nach bereits mit dem proletarischen Klasseninteresse kollidierte, 264 zu A. Rundé, der der Auffassung war, daß der bereits jetzt erreichte Stand der deutschen Staatlichkeit in Hinblick auf die sozialpolitische Gesetzgebung dessen Überlegenheit gegenüber den westlichen Alliierten dokumentierte. 265 Die Kritiker der parlamentarischen Demokratie westlicher Provenienz unter den Sozialisten erörterten lieber Möglichkeiten einer monarchisch geprägten Demokratie, die zwar stärker Rücksicht nehmen sollte auf die in der Volksvertretung geäußerten Überlegungen, aber zugleich als ein Gegengewicht zu der oligarchisch instrumentalisierten öffentlichen Meinung und den konservativen Kampagnen außerhalb der politischen Parteien wirken sollte. Bekanntlich stützte auch Friedrich Ebert selbst noch im September 1918 die Monarchie. Die Monarchie hatte in den Augen vieler Sozialdemokraten noch keineswegs abgewirtschaftet, die harte Kritik von Max Weber blieb in ihren Augen überzogen. Dieser Ablehnung der westlichen Demokratie standen auf der anderen Seite vorsichtig abwägende Befürworter des Prinzips des Parlamentarismus gegenüber, die überwiegend aus der praktischen Perspektive und mit institutionellen Argumenten operierten. Das Reichstagsmitglied Ludwig Quessel, der 1919 in der Nationalversammlung mitwirkte, argumentierte ganz typisch fur diese Auffassung, wenn er eine analytische Trennung zwischen den konstruktiven und den unvermeidlich kritischen Seiten des Parlamentarismus verlangte. 266 Der sozialdemokratische Redakteur Hans Marckwald erwiderte scharf gegen Heilmann und vermutete, daß dessen Kritik indirekt den deutschen Obrigkeitsstaat legitimieren wollte 267 und der Veteran der parlamentarischen Arbeit in der Sozialdemokratie, Wilhelm Kolb, wies wie Quessel alle prinzipielle Kritik an rein praktischen Erscheinungsweisen des Parlamentarismus als überzogen und nur dogmatisch argumentierend zurück. 268 Eine ähnliche Dichte und Intensität der Debatte kann in der Neuen Zeit und den Sozialistischen Monatsheften beobachtet werden, ferner in den großen sozialdemokratischen Tageszeitungen, allen voran der Vorwärts, die sich zum Jahreswechsel 1917/1918 noch einmal zuspitzten. Dabei wird insgesamt deutlich, daß die Verteidiger der parlamentarischen Demokratie Mühe hatten, den Parlamentarismus als einzig mögliche und sachlich geeignete Regierungsform der Demokratie zu behaupten, da sie seinem latenten legitimatorischen Defizit nicht ausweichen konnten, und zwar auch aus demokratischer 263 264 265 266 267 268
August Winnig, Die Demokratie als Bluff, in: Die Glocke 3. Jahrgang, 1. Band (1917/1918) II vom 18. August 1917, S. 728-733. Ernst Heilmann, Proletarisches Klasseninteresse und parlamentarische Advokatenwirtschaft, S. 801-816. A. Rudé, Demokratie - zur Debatte über die Regierungsform, S. 845-858. Ludwig Quessel, Die Praxis des Parlamentarismus, S. 888-899. Hans Marckwald, Parlaments-Herrschaft oder Herrschafts-Parlament? Zur Diskussion über die Regierungsform, S. 932-936. Wilhelm Kolb, In einem falschen Gleis - zur Debatte über das parlamentarische Regierungssystem, S. 966-979.
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Perspektive: Jeder Parlamentarismus kann nur unvollkommen und beschränkt die Idee der Volksherrschaft verwirklichen und den Volkswillen durchsetzen. Aufschlußreich ist nun, wie die sozialistische Debatte Argumente aus der bürgerlichen Diskussion um Demokratie und Parlamentarismus rezipierte. Die Gegner der parlamentarischen Demokratie entlehnten ihre Argumente gerne der von Ferdinand Tönnies geübten Kritik, während die Befürworter sich den Argumenten aus der Linie der offensiven Demokraten näherten und dabei in ihren Überlegungen insbesondere auf Gedanken von Max Weber zurückgriffen. Im gleichen Heft der Glocke, in dem Cunow die Nähe des sozialistischen Strang zur Monarchie und ihre Feindschaft zum Konservatismus herausstellte, rezensierte Paul Lensch das Buch von Ferdinand Tönnies Der englische und der deutsche Staat.269 Mit großer Zustimmung nahm Lensch die Argumente von Tönnies auf und richtete sie gegen Bernstein und Kautsky, die „auffahren, sobald irgendwelche Zweifel an der Gottähnlichkeit John Bulls geäußert werden" (S. 170). Jetzt habe endlich das deutsche Bürgertum die Irrlehren Gneists von der Verwirklichung der Freiheit in England aufgegeben und nun müsse diese Einsicht auch in der Sozialdemokratie Einkehr halten. Nur aus Rücksicht auf die Agitation habe etwa Wilhelm Liebknecht das Vorbild Englands für Deutschland hervorgehoben, doch schon Karl Marx' Aufsatz zu Palmerston hätte darüber aufklären können, wie leicht der sich selbst überlassene Parlamentarismus dazu neige, sich betrügen zu lassen. Ferner ist der englische Parlamentarismus zutiefst aristokratisch, nicht demokratisch: „Bei den Kämpfen um die Neuorientierung in Deutschland kann es sich also keineswegs um eine einfache Übertragung englischer Verhältnisse auf deutsche Zustände handeln" (S. 177). Auch Cunow rezensierte Tönnies Buch zum Vergleich des deutschen und des englischen politischen Systems sehr positiv.270 Tönnies habe die prinzipielle Differenz zwischen liberalem und demokratischen Denken aufgezeigt und es waren für Cunow gerade die im Weltkrieg beobachtbaren Wandlungen des englischen Staatsgedankens, die diese Auffassung bestätigten. 271 Auch nach der Julikrise behielten die meisten Parlamentarismus-Kritiker ihre Argumente bei. In einem Aufsatz vom 23. November 1917 stellte Cunow kurz nach seiner Übernahme der Redaktion der Neuen Zeit die klassische Frage dieses Gesprächsfeldes, ob die parlamentarische Regierung den Volkswillen am besten zum Ausdruck bringe. 272 Seine systematische Kritik an der westlichen parlamentarischen Demokratie schloß an der Tönnies'schen Grundthese an, wonach das englische System eine Aristokratie mit demokratischen Verzierungen sei (S. 174). Er betonte den Fortschritt dieses Systems gegenüber der bürokratischen Regierungsform, stellte aber besonders die Schwächen
269
Paul Lensch, Der englische 5. Mai 1917, S. 169-178.
270
Heinrich Cunow, Rezension von Ferdinand in: N e u e Zeit 36 (1917/18), S. 310ff.
271
Heinrich Cunow, Zur Entwicklung des Staatsgedankens in England, in: Neue Zeit 36 ( 1917/18) I, S. 1 0 2 - 1 0 7 und 126-131 (vom 2. November 1917). Heinrich Cunow, Volksherrschaft und parlamentarisches System, in: Neue Zeit 36 (1917/18) I, S. 169-175.
272
Staat und der deutsche Staat, in: Die Glocke 3 (1917) Band I vom Tönnies, Der englische
und der deutsche Staat
1917,
286
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heraus, wobei er die von Tönnies einseitig bereit gestellten Argumente von Sidney Low und Lowell gegen die Cliquenwirtschaft übernahm. Die „plutokratische Oligarchie" war eine mögliche, historisch reale Folge eines solchen Systems, die man stets bedenken mußte, wenn man dieses System einfuhren wollte. Daher diente fur Cunow der Parlamentarismus nur dem strategischen Interesse der Überwindung des Obrigkeitsstaates, gehörte aber keineswegs einem authentischen sozialistischen politischen Denken an. Cunow forderte dementsprechend zu einer „marxistischen Staats- und Regierungslehre" auf, um unabhängig von den liberalen Vorgaben eine eigenständige Institutionenlehre zu entwickeln. Er versuchte vor allen Dingen das beklagte Defizit politischer Theoriekenntnisse in der Sozialdemokratie systematisch aufzuarbeiten und auszugleichen. So veröffentlichte er noch im Weltkrieg eine Reihe an Aufsätzen hierzu und unternahm kurz darauf einen großangelegten Rekonstruktionsversuch der „Staatslehre" bei Marx,273 als er nach der Novemberrevolution unter dem neuen Kultusminister Preußens, Haenisch, einer der ersten sozialdemokratischen Staatslehrer an der Berliner Universität wurde. Die positive Rezeption seiner Überlegungen veranlaßte Tönnies dazu, selbst einen Aufsatz in der Neuen Zeit zu veröffentlichten, in dem er erklärte, daß er sich von Cunow im Gegensatz zu Rezensionen anderer Zeitungen besonders klar verstanden fühlte.274 Er nutzte die Gelegenheit dazu, noch einmal die Parlamentarismuskritik zusammenzufassen. Dabei machte Tönnies nun deutlich, daß die einzige normative Legitimation des Parlamentarismus in der Behauptung seines demokratischen Charakters zu suchen sei, der Blick hinter die institutionellen Kulissen aber gerade zeige, daß der demokratische Einfluß gering gehalten wird. Folglich lehnte er die Selbstbezeichnung Englands und Frankreichs als „westliche Demokratien" ab, die im Weltkrieg pauschal zum Unterscheidungsmerkmal von Deutschland erklärt worden war. Gerade wer Demokratisierung wünsche, müsse sich über die Mittel im klaren sein, mit welchen man sie zu verwirklichen trachtete. An seiner beharrlichen Kritik an der parlamentarischen Demokratie zeigt sich, wie man auf der Grundlage eines rein integrativen Verständnisses von Demokratie als „Volksherrschaft" jegliche institutionelle Übertragung dieses Grundanspruches auf die Erfordernisse der Regierungsbildung leicht als defizitär hinstellen konnte. Während also Tönnies in Teilen der sozialistischen Debatte eine gute Resonanz fand, wurde an gleicher Stelle die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie, wie sie ζ. B. bei Hugo Preuß zu finden war, ausdrücklich abgelehnt.275 Gleichwohl fand die Grundüberlegung von Preuß oder auch von Max Weber, daß institutionelle Fragen letztlich vom begleitenden Vorverständnis des Politischen abhingen, auch in der sozialistischen Debatte Berücksichtigung. Für diese Vorstellung waren u. a. Wolfgang Heine und Georg Gradnauer mit die wichtigsten Wortführer. Im Verfassungsausschuß hatten neben
273
Heinrich Cunow, Die Marxsche Geschichts-, Gesellschaftsund Staatslehre - Grundzüge der Marxschen Soziologie, Berlin, Band 1: 1920 und Band 2: 1921. Die Vorarbeiten im Weltkrieg waren vor allen Dingen Die deutsche Sozialdemokratie und die Marxsche Staatstheorie, in: Die Glocke 2 (1917) vom Januar und Februar 1917, S. 6 1 0 - 6 2 0 , 6 6 1 - 6 7 1 und 7 0 3 - 7 1 3 .
274
Ferdinand Tönnies, Demokratie
275
Hans Teschenmacher, Der Schulmeister des parlamentarischen Parteienstaates, eine Nachlese Hugo Preuß .Das deutsche Volk und die Politik in: Die Glocke 4 (1918), S. 41^16.
und Plutokratie,
in: Neue Zeit 36 (1917/18), S. 433—441. zu
Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
287
Philipp Scheidemann, Eduard David und Landsberg auch die publizistisch umtriebigen Gradnauer und Heine mitgewirkt. Das Reichstagsmitglied Heine besaß mit Unterstützung Theodor Wolffs im Berliner Tageblatt eine Publikationsstätte ersten Ranges, in der er seine parlamentarischen Vorstöße flankieren konnte. Der spätere preußische Justizund Innenminister war ein Befürworter der Demokratie, die er als politisches Prinzip auch an Beispielen erörterte, die über die politische Willensbildung hinausgingen, etwa in der Frage der Vor- und Nachteile der Ersetzung des Berufsrichterkollegiums durch Richter, die unmittelbar vom Volk bzw. seinen Ausschüssen gewählt wurden. 276 Aber vor aller demokratischen Reform im einzelnen stand für ihn die Machtfrage, die überhaupt erst die Möglichkeit schaffen mußte, solche Eingriffe in Politik und Gesellschaft aus dem demokratischen Geiste heraus zu erlauben. Kurz vor Ausbruch der Julikrise gab Heine im Berliner Tageblatt zu Bedenken, daß es letztlich nur eine Frage des „Willens zur Macht" sei, um die Verfassungsreformen in Gang zu bringen. Wo dieser vorhanden sei, würden sich schon Formeln finden. Bestehende Verfassungsgesetze sollten daher nicht als Hinderungsgrund angesehen werden. Heine verlangte statt dessen, daß man die Denkweise ändern müsse: Es sollte darum gehen, dem Willen zur Macht verfassungsrechtlichen Ausdruck zu verleihen. 277 Für Wolfgang Heine war die Unfähigkeit der Linken, einen deutlichen Einfluß auf die Reformbestrebungen zu nehmen ein „tragikomisches Schauspiel". Der Anspruch auf Volksherrschaft verlange auch die Bereitschaft, im Namen des Volkes nach der Herrschaft zu greifen, 278 was aber die Linke verweigerte. Georg Gradnauer, Reichstagsabgeordneter im Krieg, später in der Weimarer Nationalversammlung und dann sächsischer Ministerpräsident in der Weimarer Republik, versuchte über Heine hinaus die Unausweichlichkeit einer parlamentarischen Demokratie zu beweisen. Er argumentierte ausdrücklich gegen Cunows Trennung von Volksherrschaft und parlamentarischem System, der dann auch auf Gradnauer replizierte. 279 Mangels einer anderen praktischen Alternative sah Gradnauer den „Weg zum Volksstaat" nur über das parlamentarische Regierungssystem gehen (S. 338). So wenig nach der bloßen Möglichkeit einer bonapartistischen Ausnutzung des demokratischen Wahlrechts sein Prinzip bewertet werden kann, so wenig kann man den Parlamentarismus nach seinen Schwächen alleine bewerten (S. 339). Gradnauer machte vor allen Dingen das Prinzip der Führerauslese im Parlamentarismus stark, wobei er ganz im Sinne Max Webers zwischen den Fähigkeiten zur Verwaltungsleitung und denjenigen zur politischen Führung
276 277 278 279
Wolfgang Heine, Berufsrichter und Volksrichter, in: Alfred Bozi/Hugo Heinemann, Hg., Recht, Verwaltung und Politik im neuen Deutschland, Stuttgart 1916, S. 54—71. Berliner Tagblatt Nr. 232 vom 8. Mai 1917, Morgenblatt S. lf. Wolfgang Heine, Der Weg zur Demokratie, in: Sozialistische Monatshefte 24. Jahrgang, 50. Band, 1918 Teilband I, S. 1 - 7 vom 8. Januar 1918, S. 4. Georg Gradnauer, Für das parlamentarische Regierungsystem, in: Neue Zeit 36 (1917/1918) I, S. 3 3 7 - 3 4 4 vom 11. Januar 1918 gegen Heinrich Cunow, Volksherrschaft und parlamentarisches System, in: Neue Zeit 36 (1917/18) I, S. 169-175, der dann auf Gradnauer erwiderte: Heinrich Cunow, Nochmals Volksherrschaft und parlamentarisches System, in: Neue Zeit 36 (1917/1918) I, S. 344ff.
288
Die Julikrise 1917 als Wendepunkt
unterschied und daraus die Eigenständigkeit, Singularität und Unverzichtbarkeit des Parlaments als Erziehungsstätte für Politiker ableitete. 280 Ganz auf dieser Linie betonte Wilhelm Kolb, daß die Kernfrage darin liegt, ob die Sozialdemokratie überhaupt fähig ist, politische Initiative zu entwickeln oder nicht. Nicht die Demokratisierung im institutionellen Sinne fehle bzw. reiche aus, sondern erforderlich sei „die politische Kunst", die demokratischen Elemente überhaupt erst zu entwikkeln, die nicht in der Verfassung stehen und auch nicht schon vorhanden und wirksam werden, wenn sie nur in die Verfassung aufgenommen werden. Auch die bereits parlamentarisierten Länder bedürfen keiner Verfassungsbestimmung, um parlamentarisch regiert zu werden. 281 Trotz dieser „mangelnden Neigung der Parteiführer" zur Übernahme von Regierungsverantwortung sah Wolfgang Heine nichtsdestotrotz die Parlamentarisierung für erforderlich an und wendete das antiparlamentarische Argument, wonach die gegenwärtige Parteizerklüftung in Deutschland ein parlamentarisches Regime unmöglich mache, zugunsten des Parlaments: denn die sodann erforderliche Koalitionsregierung werde ein gemeinsames Arbeitsprogramm und die Schließung tragfähiger Kompromisse notwendig machen, aus welchem Prozeß heraus auch die politischen Parteien über ihre Partikularität und Phraseologie hinaus zu eine konstruktiven Regierungsarbeit gelangen könnten (S. 2). Wie bei Max Weber wurde auch hier die Fähigkeit zum Kompromiß als Inbegriff politischer Rationalität aufgefaßt, zu deren Erwerb man die Logik ihres Wirkens von doktrinären und ideologischen Erklärungsmustern trennen können mußte. Hugo Poetzsch formulierte diese Situation wesentlich schärfer. „Hinter all dem Klassenkampfgerede gegen den Parlamentarismus steckt doch nur die altgewohnte Philisterscheu, die sich selbst nichts zutraut, daher zu dem höhern Verstand der Obrigkeit emporblickt (um freilich bei passender Gelegenheit über diese wieder räsonieren zu können)." 282 Demokratie und Parlamentarismus konnten demnach nicht nach Maßgabe der Doktrin und damit im Rahmen von überkommenen, insbesondere staatsrechtlich geprägten Vorstellungen bewertet werden. Es galt, sie aus dem Blickwinkel politischer Notwendigkeit einzuschätzen. Vorbild für diese Argumentation wurde zusehends Max Weber. Hugo Poetzsch schloß sich ausdrücklich Webers Kritik an, wenn er Bismarck für den Niedergang politischer Führungskompetenz verantwortlich machte. Bemerkenswert war hier, daß nun in diesen Fragen nicht mehr zwischen Personen der organisierten Arbeiterbewegung und des Bürgertums unterschieden wurde, sondern die unterlassene Reform 1917 sowohl der SPD wie der bürgerlichen Linken angelastet wurde. Die Erklärung für diese Unfähigkeit suchte Poetzsch in einer in beiden Lagern wirkenden gemeinsame Wurzel, dem politischen Denken, das erwachsen war aus dem Geist des Obrigkeitsstaates (S. 1057). Ludwig Quessel sprach in dieser Hinsicht im Sinne von Max We-
280
Vgl. auch Grosser, Konstitutionalismus,
281
Wilhelm Kolb, Die Kernfrage und der Weg zu ihrer Lösung, in: Die Glocke 3 (1917) I, S. 141— 148. Hugo Poetzsch, Die deutsche Sozialdemokratie und der Parlamentarismus, in: Sozialistische Monatshefte 23. Jahrgang, 49. Band, 1917, Teilband III, S. 1051-1059 vom 10. Oktober 1917, S. 1058.
282
1970, S. 156.
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289
ber und Hugo Preuß von den „an bloße Opposition gewohnten deutschen linken Parteien", die sie vor der Parlamentarisierung zurückschrecken lasse, da Parlamentarismus wesentlich „Verantwortung" heißt.283 Mochte diese Furcht vor der Verantwortung" noch ihre historische und psychologische Erklärung haben, war es Quessel zufolge nunmehr absurd, diese Haltung auch noch demokratietheoretisch rechtfertigen zu wollen. „Das Palladium dieser demokratischen Antiparlamentaristen ist die Trennung der Gewalten". Diese Lehre zur liberalen Hemmung politischer Gewalt verhinderte die Einsicht in die Natur des parlamentarischen Systems, das legislative und exekutive Gewalt zusammenfuhrt und nicht künstlich trennt. Doch diese Gewaltentrennungslehre werde immer wieder nur als Doktrin ausgesprochen, wohingegen bereits die staatsrechtliche Literatur erkannt habe, daß sie in der Praxis des Staates nicht vorzufinden sei und man daher besser von einer Verteilung der Kompetenzen und Zuständigkeiten spreche. 284 Quessel wollte statt dessen eine sozial orientierte Gewaltenteilungslehre vorschlagen, die dann auch der Monarchie eine institutionelle Rolle im Gefüge eines modernisierten Kaiserreichs zubilligte. In Gestalt einer „parlamentarisch-demokratischen Volksmonarchie" nämlich sollte an Stelle der rein „konstitutionellen Obrigkeitsmonarchie" der nicht mehr entscheidend an der politischen Willensbildung beteiligte Monarch das Gleichgewicht zu plutokratischen Einflüssen auf das parlamentarische System herstellen können. 285 Die Sorge vor einer Machtkonzentration war also auch in den Reihen der Verfechter des Parlamentarismus spürbar. Einige Autoren sahen im marxistischen Erbe einen Hemmschuh der Ausbildung eines eigenständigen und unabhängigen politischen Denkens, sofern dieses Erbe einseitig ökonomisch interpretiert wurde und nicht in Hinblick auf seine notwendigen politischen Ergänzungen. Für den Herausgeber des sozialdemokratischen Volksblatt für Anhalt, das zeitweilige Reichstagsmitglied Heinrich Peus bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der politischen Ökonomie und der politischen Demokratie. 286 Man durfte seiner Ansicht nach nur nicht der Auffassung sein, daß die Lehre vom Sein, welches das Denken bestimme, politische Passivität nach sich ziehe. Vielmehr verlange die politische Ökonomie die Unterwerfung unter die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft, aber mit dem Ziel, diese zu beherrschen. Peus verlangt also aus der Unmöglichkeit, ein vom Sein unabhängiges Denken annehmen zu können, zu folgern, daß es kein Recht gibt, sich der Verantwortung für diese Wirklichkeit zu entziehen, man sich vielmehr der Aufgabe der Umsetzung gesellschaftlicher Entwicklungskräfte aktiv unterziehen muß. Daher betont Peus, daß der Sozialismus verantwortungsbereite Glieder der Gesellschaft braucht, die in gemeinnütziger Gesinnung furs Ganze streben. „Der Sozia-
283 284 285 286
Ludwig Quessel, Die nationale Leistung des Parlamentarismus, in: Sozialistische Monatshefte 49. Band 1917, Teilband III, S. 9 0 7 - 9 1 3 , S. 911. Unter Hinweis auf Conrad Bornhaks Allgemeine Staatslehre von 1896, S. 58 und im Anschluß an Georg Jellinek, Das Recht der modernen Staaten, Band 1, Berlin 1900, S. 457. Ludwig Quessel, Sozialdemokratie und Monarchie, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung 2 (15. September 1917), S. 8 6 6 - 8 6 9 . Heinrich Peus, Marxismus I, S. 4 0 0 - 4 0 4 .
und Demokratie,
in: Sozialistische Monatshefte 24 (1. Mai 1918) Bd.
290
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list muß deshalb echter Demokrat von der Art sein, daß er an der Selbstverwaltung und Selbstregierung des Volkes in dem Glauben teilnimmt, das Ganze werde nicht getan, wenn er nicht sein Teil dazu beitrage". Der Weltkrieg habe gezeigt, daß das Wohl vom Säugling bis zum Greis vom Geschehen im Staat abhängt, woraus die Notwendigkeit der Mitwirkung auch des letzten Staatsbürgers folge. Erst dann kann es gelingen, die Gefahr zu bannen, die darin besteht, daß sich die Demagogie an die Stelle der Demokratie setzt. Wenn man aber durch die Demokratie die Voraussetzungen eines sozialistischen Menschen schaffen will, dann ist auch die parlamentarische Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien erforderlich und der Kompromiß nötig. Gleichwohl war diesen Autoren bewußt, wie tief die Skepsis gegenüber dem Parlamentarismus verwurzelt war. Daher versuchten einige einfach aus dem Vergleich der politischen Kapazitäten der Alliierten mit denjenigen Deutschlands die sachliche und organisatorische Überlegenheit des Parlamentarismus nachzuweisen. Denn der Sozialismus beruhte ja auf der Vorstellung, die in den Produktivkräften schlummernden gesellschaftlichen Kräfte von anachronistischen Fesseln der Produktionsverhältnisse zu befreien, und zwar mit dem erwarteten Ergebnis größerer Ertragskraft. Diese Grundüberlegung machte ja die Erfahrung des Weltkrieges so attraktiv fur sozialistische Theoretiker, die in Deutschland allerdings gerne der Auffassung waren, daß hier die Entfaltung dieser Potentiale bereits am weitesten vorangetrieben war. Wie konnte es dann aber kommen, daß ausgerechnet das Regierungssystem, dessen bürgerliche Herkunft man monierte, sich mit zunehmender Dauer des Krieges als wesentlich leistungsfähiger erwies? Am deutlichsten wurde an diesem Punkt Ludwig Quessel. Er verglich einfach das Arbeitsprogramm und die Leistungsfähigkeit der alliierten parlamentarischen Staaten mit demjenigen des deutschen Obrigkeitsstaates unter dem Gesichtspunkt der reformerischen Anpassung der politischen Ordnung an die Erfordernisse des Krieges und kam zu einer Bilanz, die uneingeschränkt sowohl für Frankreich wie vor allen Dingen für England sprach. Von der Fähigkeit der militärischen Umstellung auf Millionenheere (bei wesentlich geringerer Bevölkerungsziffer) bis zur Erhöhung des Steuerertrages, von der außenpolitischen Fähigkeit der Schaffung von Allianzen bis zur innenpolitischen Anpassung an die demokratischen Auswirkungen des Krieges in Gestalt einer ganz reibungslos verlaufenden Demokratisierung des englischen Wahlrechts verlief die Entwicklung eindeutig zugunsten der westlichen Demokratien. 287 Für Quessel waren die Erklärungsversuche auf deutscher Seite für die außenpolitischen Erfolge der Alliierten geradezu symptomatisch für eine politische Geisteshaltung, die für die geringe Leistungsfähigkeit der deutschen politischen Ordnung sprach. „Es ist die Manier von Spießbürgern Mißerfolge der auswärtigen Politik mit den Ränken der Feinde zu entschuldigen" (S. 909). Er widersprach damit den landläufigen Vorstellungen von der machiavellistischen Überlegenheit der englischen Demagogie. Dagegen zog Quessel lieber die von Max Weber verbreitete Erklärungsvariante herbei, daß die Unmöglichkeit zu einer eigenständigen politischen Denkweise dem Obrigkeitsstaat selber geschuldet sei. Für diese Auffassung sprach nach Quessel gerade das Beispiel eines nicht in der Beamtenlaufbahn groß gewordenen
287
Ludwig Quessel, Die nationale Leistung des Parlamentarismus, 49. Band 1917, Teilband III, S. 9 0 7 - 9 1 3 .
in: Sozialistische Monatshefte
Die sozialdemokratische Debatte um Demokratie und Parlamentarismus
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Quereinsteigers wie des Bankiers Helfferich im Schatzamt. Zwar sei dessen Ernennung gerade von den Sachkundigen lebhaft begrüßt worden und tatsächlich habe Helfferich frischen Wind in die Verwaltung gebracht, aber gerade in Hinblick auf die aufgetragene Erhöhung der Steuerlast zur besseren Finanzierung des Krieges habe auch Helfferich versagt, da kein einziges seiner Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluß gekommen sei. 288 Er habe innerhalb des Systems des Obrigkeitsstaates auch versagen müssen, da dieses für reformerischen Wandel geradezu unempfänglich und zu schwerfallig sei. Denn man betreibe zwar den Kult des Sachverstandes als wertvollsten Ertrag der Beamtenregierung und äußere sich höhnisch über die politischen Amateure in England, aber wie sehe denn dieser Sachverstand aus? Für Quessel war es kein Sachverstand im technischen Sinne, sondern der Geist des „Assessorismus", des in der Verwaltung groß gewordenen Juristen, der die Verwaltung prägt und lähmt (S. 910f.). Ganz im Sinne Max Webers verlangte Quessel, die Logik der „Direktion" von derjenigen der „Verwaltung" zu unterschieden und genauso die politische Direktive von der Sachkunde des Verwaltungsamtes zu trennen (S. 910). Zwar kann auch der Parlamentarismus entarten, doch bewirkt er zumindest die Aufhebung eines Dualismus von kritischem Räsonnement einerseits und praktischer Verantwortung andererseits. Da er insoweit die Konzentration der Kräfte ermöglicht, ist der Parlamentarismus bereits aus rein staatserhaltenden Gründen politisch notwendig, wie immer man auch zu seiner Doktrin steht und dies beweist gerade die Praxis des alliierten Parlamentarismus und nicht dessen theoretische Aneignung in der deutschen Diskussion (S. 913). In der Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und den Gegnern der parlamentarischen Demokratie zeichnete sich zunächst ein Übergewicht letzterer aus. Das manifestierte sich, als Heinrich Cunow die Redaktion der Neuen Zeit von Karl Kautsky übernahm. Mit dem Heft vom 5. Oktober 1917 wurde dieser Redaktionswechsel angezeigt. 289 In der beigefügten Erklärung wurde erst gar nicht der Versuch unternommen, den damit zusammenhängenden politischen Vorgang zu vertuschen. Er war bereits im Vorfeld dieses Wechsels in der gesamten Presse erörtert worden. Mit der Parteispaltung hatte sich die Konstellation ergeben, daß die von der Mehrheitsdemokratie getragene, fuhrende theoretische Parteizeitschrift in der Redaktionsverantwortung eines prominenten Mitglieds der Unabhängigen stand. Mit Cunow sollte nun ausdrücklich ein Wortführer des rechten Flügels das wichtigste theoretische Publikationsorgan wieder auf die mehrheitliche Parteilinie bringen. Dieser Vorgang mußte Kautsky, den Gründer der Neuen Zeit verbittern. Vor allen Dinge führte das zu einer seltsamen Konstellation von Parlamentarismus-Befürwortern und Gegner im reformistischen Flügel des Sozialismus. Kautsky lehnte es ab, eine grundsätzliche Position gegen das parlamentarische System zu beziehen, nur weil es englischer Herkunft war, wogegen die Anhänger des Neumarxismus in England den eigentlichen politischen, ökonomischen und geschichtsphilosophi-
288 289
Für den Fall Helfferichs im Schatzamt stützte sich Quessel auf die Studie von Kuczynski, Die deutsche Finanzpolitik, in: Deutsche Politik 1917, S. 156ff. Neuer Jahrgang - neuer Lebensabschnitt, in: Neue Zeit Bd. 36 (1917/18) Teilband I, S. 1 - 3 . Zu dem Hintergrund vgl. Koszyk, Zwischen Kaiserreich und Diktatur, 1958, S. 101.
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sehen Kriegsgegner erblickten und daher eine eigenständige Sympathie hatten für Demokratiekonzeptionen, die nicht parlamentarisch im klassischen Sinne waren. Karl Kautsky gehörte wie Eduard Bernstein zu den Theoretikern, die sich im Laufe des Krieges tiefer und tiefer in die geistige und politische Isolation gedrängt sahen. 290 Seine Zuwendung zu den Unabhängigen war nur die politische Konsequenz des Scheiterns seiner vielfachen und mitunter verzweifelten Bemühungen, die Ereignisse des Krieges theoretisch im Rahmen des Sozialismus zu begreifen und nach Bündnispartnern Ausschau zu halten, die die Kraft hatten, den Krieg zu beenden. Wo waren diese zu suchen, wenn man nicht der Suggestion des Nationalismus und der Integration in die Volksgemeinschaft folgte, andererseits aber das bisherige alternative Integrationsmodell des internationalen Sozialismus wirkungslos geblieben war? Bereits 1914 hatte Kautsky die theoretische „Vorbereitung des Friedens" zum Thema gemacht und nach einem neuen konstruktiven Ziel Ausschau gehalten. Zu diesem Zeitpunkt erwog er bereits, ob nach dem Scheitern der bisherigen Integrationsmodelle nicht die „Demokratie" geeignet war, als ein neues, selbstbezügliches Ziel angesehen zu werden. 291 Die Demokratie wurde im Laufe seines politischen Denkens allmählich zum Kernbegriff seiner weiteren politischen Erörterungen während des Weltkrieges. Aber der Weg von Kautskys Denken vom Kriegsausbruch bis zur Rezeption der Machtergreifung der Bolschewiki war verschlungen und die Bedeutung der Demokratie darin wechselte. Der Wechsel des Strandpunktes ist symptomatisch für die intellektuellen Probleme einer politischen Theoriebildung unter den Bedingungen eines Krieges. Gegen Luxemburgs Imperialismus-Theorie sah Kautsky keineswegs den Krieg als imperialistisch bedingt an, d.h. als Ergebnis des derzeitigen Grades der kapitalistischen Entwicklung. 292 Er betonte statt dessen, daß der Krieg eigentlich ökonomisch schädlich war und seine tatsächlichen Hintergründe daher eher in Machtfragen und allgemein politischen Faktoren zu suchen sei als in ausschließlich ökonomischen Strukturproblemen. Kautsky erblickte in Fragen „nationaler Selbständigkeit und Integrität" solche Faktoren und erklärte sie zu den maßgeblichen Ursachen des Krieges (S. 21 f.). Er betonte, daß es für die immanenten Ausdehnungsbestrebungen des industriellen Kapitalismus, die Kautsky als sein Charakteristikum anerkannte, ökonomisch betrachtet wesentlich sinnvollere Alternativen gab als die machtpolitisch-kriegerischen (S. 36). Insbesondere sei es die Demokratie, die weitaus friedlichere und ökonomisch erfolgreichere Wege versprach zur Eroberung agrarisch strukturierter Länder. Ihre Demokratisierung öffnete diese Länder erfolgreicher für den gesellschaftlichen Fortschritt als ihre militärische Eroberung (S. 70). Kautsky versuchte nun zu erörtern, ob sich daraus nicht eine Zweckgemeinschaft zwischen dem Proletariat und dem international orientierten Teil des Bürgertums ergeben konnte, aus deren Erkenntnis vielleicht auch ein Bündnis gegen den Krieg erwachsen mochte. Um dies gedanklich zu ermöglichen, wollte Kautsky zwischen den materi-
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Gilcher-Holtey, Das Mandat des Intellektuellen, 1986 behandelt Kautsky Rolle im Krieg nur kursorisch, es muß daher auf Salvadori, Sozialismus, 1982 zurückgegriffen werden. Ferner: Rojahn, Karl Kautsky im 1. Weltkrieg, 1992 und Euchner, Karl Kautskys Beitrag, 1992, S. 2 2 0 - 2 3 2 .
291 292
Karl Kautsky, Vorbereitung des Friedens, in: Neue Zeit 32 (1914), S. 8 7 6 - 8 8 2 , 876f. Karl Kautsky, Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund, Nürnberg 1915, S. 22.
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eilen Bedingungen und den materiellen Interessen unterscheiden (S. 19). Erstere waren letztendlich für alle historische Entwicklung bestimmend, in dieser Frage blieb Kautsky seinem Verständnis nach Marxist und Anhänger des historischen Materialismus. Aber die materiellen Interessen waren flexibler und eröffneten neue politische Konstellationen, innerhalb welcher sich das proletarische Interesse mittelfristig neu orientieren konnte und mußte (S. 22). Hierfür müssen die Sozialisten anerkennen, daß der Krieg letztlich nur um der Schaffung von Nationaldemokratien willen den Charakter des Volkskrieges angenommen hat, daß es also um „nationale Selbständigkeit und Integrität" (S. 21 f.) geht und erst die Durchsetzung dieses Zwischenschrittes werde der weiteren Entfaltung der gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die Kautsky weiterhin als zum Sozialismus strebend ansah, wieder die nötige Geltung verschaffen. Daher sah Kautsky das demokratische Selbstbestimmungsrecht als die Formel an, die Sozialisten aus sozialistischen und Bürgerliche aus kapitalistischen Interessen heraus als gemeinsame Plattform der Friedensbemühungen akzeptieren konnten. Kautsky wollte mit diesen Überlegungen nicht nur das Spannungsverhältnis zwischen ostelbischer Reaktion und industrialisiertem Rheinland ansprechen, sondern auch für die verschlungenen nationalen Probleme der Donau-Monarchie eine Lösung zur selbstgewählten Modernisierung ihrer politischen Ordnung anbieten. Dieser Problemhorizont leitete auch Kautskys Überlegungen zur Stellung von Belgien und Serbien und aller kleinen Staaten in einer zu schaffenden Friedensordnung. In diesem Zusammenhang wandte sich Kautsky gegen die einseitige Wahrnehmung des modernen Staates als eines imperialistischen Zwangsstaates, die nicht bereit ist, auch seine Möglichkeiten zur Entfaltung des demokratischen Potentials in Betracht zu ziehen. 293 Kautsky erhoffte sich einen Fortschritt der Demokratie mit Ende des Krieges, wenn auch noch nicht den Sieg des Proletariats (S. 93). Wenn nun die „moderne Demokratie" mit Parlamentarismus, Presse und Parteiorganisationen sich durchsetzen konnte, war eine solche Möglichkeit der Erzwingung von friedlichen Formen der kapitalistischen Ausdehnung in einer Interessengemeinschaft mit nicht-proletarischen Faktoren denkbar. Kautsky wollte zwar dem langfristigen Primat des Ökonomischen weiterhin Geltung verschaffen, indem er seine augenscheinliche Unwirksamkeit in der Heraufkunfit und Gegenwart des Krieges nur als mittelfristige Hemmung bezeichnete. Dadurch wurde aber auch politisch ein Spielraum geschaffen für Überlegungen einer Handlungs- und Bündnisstrategie, in der sich politische Interessen der Arbeiterbewegung mit „bürgerlichen" Interessen verbinden ließen, um auf einen raschen Frieden hinzuwirken. Die Art und Weise jedoch wie die sozialdemokratische Parteiführung es unterließ, diese Fragen nach eigenen Maßstäben zu beantworten und sich an die Regierungspolitik des Obrigkeitsstaates anschmiegte, wollte Kautsky mit seinen Überlegungen gerade nicht rechtfertigen. Als in der Kriegszielpolitik der Parteiführung auch noch unüberhörbar annexionistische Forderungen laut wurden, kam es zu einer partiellen Radikalisierung von Kautskys Denken. Er verfaßte das Gründungsmanifest der USP und forderte in seiner Rede auf dem Gründungsparteitag im April 1917 zur Unterstützung der russischen Arbeiter auf. Er endete seine Rede sogar mit
293
Karl Kautsky, Serbien und Belgien in der Geschichte, Salvador!, Sozialismus, 1982, S. 282.
Stuttgart 1917, S. 93, vgl. hierzu auch
294
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einem verbalen Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats.294 Kurz vor der Abreise zur Stockholmer Friedenskonferenz der Internationale verfaßte Kautsky noch eine Studie, die vergleichbare Probleme wie in der Schrift von 1915 zum Nationalstaat nun unter einer weitaus weniger konzilianten Perspektive betrachtete. Die moderne Demokratie sah Kautsky jetzt wesentlich kritischer 295 und betonte, daß die Industrialisierung mit dem modernen Massenverkehr die Demokratie ermöglicht habe, diese aber durch die Massenmedien auch der kapitalistischen Beherrschung ausgesetzt waren, die bis zum „parlamentarischen Kretenismus" führte (S. 16). Diese Seite der Demokratie hatte er 1915 noch völlig unerwähnt gelassen, aber mittlerweile zwei Jahre Demagogie der alldeutschen Presse erleben dürfen. Das gegenwärtige Stadium der Demokratie erschien Kautsky nur unter dem Gesichtspunkt des „proletarischen Emanzipationskampfes" sinnvoll, insofern als die Arbeiter in der Demokratie die Fähigkeit erlernen, Staatsgewalt auszuüben, die gegen ihre Unterdrücker gewendet werden kann. Für die Übergangszeit verlangte Kautsky aber die uneingeschränkte Anerkennung des Prinzips der Selbstbestimmung der Völker im Falle von Gebietsveränderungen im Gefolge des Krieges. Mochte die moderne Demokratie die bonapartistische Instrumentalisierung des Wahlrechts und Plebiszits gezeigt haben, so handelte es sich bei Gebietsfragen und der Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Staat doch um so eindeutige und überschaubare Fragen, daß er dieses Mittel in diesen Fällen für angebracht hielt (S. 52f.). Die Demokratie wurde wieder als reines Durchgangsstadium des Klassenkampfes begriffen, ein instrumenteller Zugriff auf politische Fragen kennzeichnete in diesem Stadium Kautsyks Denken. Das änderte sich wieder zusehends mit der Machtergreifung der Bolschewiki. Sie veranlaßte Kautsky, schließlich uneingeschränkt die parlamentarische Demokratie nicht nur als gemeinsames politisches Interesse proletarischer und nicht-proletarischer Strategien zu sehen, sondern als Voraussetzung und Bedingung von Sozialismus schlechthin. Angesichts der Alternative des Bolschewismus schlug sich Kautsky ohne Einschränkung auf die Seite der parlamentarischen Demokratie. Er gestand dieser Regierungsform einen immanenten Zweck zu, der nicht einfach durch angeblich genuin sozialistische Vorstellungen politischer Ordnungen aufgehoben werden konnte. Was er zuvor als Möglichkeit der Entartung parlamentarischen Kretenismus angeprangert hatte, erschien ihm nun vor dem Hintergrund der bolschewistischen Machtpolitik als das bei weitem geringere Übel.
294
Protokoll über die Verhandlungen des Gründungs-Parteitages der U S P D vom 6 . - 8 . April 1917 in Gotha, mit Anhang: Bericht über die gemeinsame Konferenz der Arbeitsgemeinschaft und der Spartakusgruppe vom 7. Januar 1917 in Berlin, hg. von Emil Eichhorn, Berlin 1921, S. 5 7 - 7 7 , 76f. Vgl. auch die Darstellung bei Schelz-Brandenburg, Eduard Bernstein und Karl Kautsky, 1992, S. 384.
295
Karl Kautsky, Die Befreiung der Nationen, Stuttgart 1917.
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295
Der Bolschewismus und die Zuwendung zur parlamentarischen Demokratie Der Plausibilität demokratischer Forderungen in der innerdeutschen sozialistischen Diskussion konkurrierte im Umfeld des Friedens von Brest-Litowsk mit Bestrebungen, auch einem Annexionsfrieden zuzustimmen, es erwachten imperialistische Überlegungen. Das Correspondenzblatt meinte angesichts der anfänglichen Erfolge der Westoffensive, daß man offen sein müsse für „Veränderungen der Landesgrenzen". 296 Es war auch die Konkurrenz zum Bolschewismus, die es erklärte, warum der rechte Flügel der Reichstagsfraktion die Annahme des Friedensvertrages von Brest-Litowsk für politisch fortschrittlich anzusehen: die vorgesehenen Annexionen sollten der Zurückdrängung des „neuen Zarismus" dienen. 297 Dieser Argumentation Lenschs, Südekums und Gradnauers schlössen sich die Gewerkschaftsführer Legien und Bauer an. Das läßt darauf schließen, daß auch die Sozialdemokratie nie felsenfest von den Prinzipien der Demokratie überzeugt gewesen war und ein Blick auf die Diskussionen im Jahr 1917 bestätigen das. Erst mit der Erfahrung des Bolschewismus gab es wieder eine Besinnung auf Nutzen und Leistung der Demokratie, die man zuvor in Adaption der antidemokratischen bürgerlichen Kritik mit größter Skepsis bedacht hatte. Die Forschung sieht im BolschewismusRessentiment der MSPD eine der wesentlichen Hindernisse einer ungestörten und nüchternen, alle Handlungsoptionen vorurteilsfrei betrachtenden politischen Analyse der revolutionären Situation, wie sie sich im November 1918 einstellte. 298 Das angebliche Versagen der Sozialdemokratie im November 1918 vernachlässigt in der Retrospektive aber, daß auf der anderen Seite es gerade die Einschätzung des Bolschewismus war, die zum endgültigen Durchbruch des Gedankens einer parlamentarischen Demokratie in der Sozialdemokratie führte, und zwar ohne Abstriche bezüglich einer angeblich gefahrlichen Adaption der westlichen Demokratie. Das Vorbild der russischen Oktoberrevolution beruhte zunächst auf der Ernsthaftigkeit des gezeigten Friedenswillens, den man notfalls auch mit politischer Gewalt durchsetzen wollte. Ging es aber um die Frage der innenpolitischen Ordnung, so besaß das Modell der bolschewistischen Räterepublik zunächst nur wenig Wirkung als nachahmenswertes Modell. Auch der Januarstreik 1918 bekannte sich keineswegs zur Räterepublik, er verwendete die Rätekonzeption im wesentlichen nur als Form der eigenen Organisation. Die Streikforderungen der Revolutionären Obleute verlangten neben dem Verzicht auf einen Annexionsfrieden und der Lösung der Ernährungsfragen als einzige strukturpolitische Veränderung von Gewicht die Demokratisierung der politischen Ordnung. In Punkt 7 der Streikforderungen hieß es: „Durchgreifende Demokratisierung der
296
Bieber, Gewerkschaften, Bd. 1, S. 489 und Anm. 20 in Band 2, S. 1004f. allgemein über die durchaus imperialistischen Kriegsziele anderer Funktionäre.
297
Matthias/Pikart, Reichstagsfraktion, 1966, vom 18. März 1918, S. 386ff., und vom 22. März 1918, S. 390ff. Vgl. Boll, Frieden ohne Revolution?, Bonn 1980, S. 249.
298
Merz, Das Schreckbild, 1995; Lösche, Der Bolschewismus, 1967; Schöler, „Despotischer lismus" oder „Staatssklaverei"?, 1990; Matthias, Die deutsche Sozialdemokratie, 1954.
Sozia-
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gesamten Staatseinrichtungen in Deutschland, und zwar zunächst die Einfuhrung des allgemeinem, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für Männer und Frauen im Alter von mehr als 20 Jahren für den preußischen Landtag". 299 Diese angesichts der jahrelangen Diskussionen um genau diesen Punkt sehr gemäßigt erscheinende Forderung befriedigte die radikale Linke nicht. Der Spartakus vermied angesichts der Unklarheiten einer Übernahmemöglichkeit des sowjetischen Modells alle institutionellen Erörterungen, insbesondere die Frage der Parlamentarisierung und sprach nur abstrakt von „Volksrepublik", während die Forderungen nach Wiederherstellung der politischen Freiheiten wie der Versammlungsfreiheit, also die Aufhebung des Belagerungsrechtes ausdrücklich nur als Vorbedingungen erfolgreicher Revolutionierung verstanden wurden. 300 Liebknecht befürwortete den bloßen Aktionismus, sofern er nur zur Verschärfung der Krise beitrug. Aus der Krise sollte eine Lage entstehen, die aus sich heraus die Revolution gebären würde. In diesem Sinne lehnte Liebknecht auch den Kampf der Mehrheitssozialdemokratie für die Demokratisierung des Preußischen Dreiklassenwahlrechtes ab, sie sei angesichts der siegreichen sozialistischen Revolution in Rußland nur noch eine „Parole der Konterrevolution" 301 Liebknecht wähnte sich also bereits mitten in der Revolution, für welche jede reformerische Pazifizierung des innenpolitischen Konfliktes wie eine konterrevolutionäre Politik wirken mußte. Nach dem Januar-Aufstand 1918 sprach er sich für den blinden Aktionismus aus: „Aktion - Aktion! Ist gar nichts möglich? Es muß aber! Und darf nicht nachlassen, sondern nur noch verschärft werden. Gerade jetzt... Hauptsache Aktion, Aktion, Aktion!" 302 Die gemäßigten Forderungen der Streikenden entsprach daher kaum den Wünschen der wirklichen Revolutionäre. Gleichwohl erkannte die Mehrheitsparteiführung zunehmend, daß der Bolschewismus wenigstens eine sehnlichst erwünschte Leistung erbrachte hatte: den Frieden. Wenn sie daher nach einer Erklärung des SPD-Parteivorstandes zum Massenstreik vom Februar 19 1 8303 und dem anschließenden Konzept des Aktionsprogrammes 304 des SPD-Parteivorstandes vom 23. Mai 1918 die Devise der „demokratischen Durchdringung des Staates" erneut aufnahm, so zielte das schon nicht mehr nur gegen bürgerliche Obstruktionen, sondern auch gegen die bolschewistische Alternative. Es wurde die Volksherrschaft verlangt, die durch Wahlrecht beider Geschlechter, der Verhältniswahl, der parlamentarischen Entscheidung über die Regierungsbildung und ihrer vollen Verantwortung gegenüber der Volksvertretung und schließlich durch Selbstverwaltung ermöglicht werden sollte. Das Ziel lautete: „politische Reformen durchzuführen, die dem
299 300
Bei Boll, Frieden ohne Revolution?, 1980, S. 243. Anonymes Flugblatt des Spartakus zum Januarstreik, bei: Boll, Frieden ohne Revolution?, S. 244.
301
Karl Liebknecht, Die Reifeprüfung, Spartacus Nr. 8 vom Januar 1918, in: Spartakusbriefe, vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1958, S. 418ff., S. 421.
hg.
302
Aus dem Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus in Moskau zitiert von Weber, Problem der Wahlrechtsreform, 1964, 189ff„ S. 200.
Das
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Erklärung des SPD-Parteivorstandes zum Massenstreik (Februar 1918), in: Matthias/ Pikart, Die Reichstagsfraktion, 2. Teil, 1966, S. 3 6 4 - 3 7 2 . Aktionsprogramm des SPD-Parteivorstandes vom 23. Mai 1918, zitiert nach: Wilhelm Mommsen, 1960, S. 3 9 1 - 3 9 7 .
304
1980,
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deutschen Volke einen maßgeblichen Einfluß auf die Regierung sichern und den Übergang des alten Obrigkeitsstaates in einen demokratisch-sozialistischen Verwaltungsstaat vorbereiten" sollen (S. 392). Die Debatte über die theoretischen und institutionellen Konsequenzen aus der bolschewistischen Erfahrung entzündete sich an der gewaltsamen Auflösung der russischen Nationalversammlung im November 1917 durch die Bolschewisten (die „Oktoberrevolution") und die nominelle Errichtung der Diktatur des Proletariats. 305 In dieser Debatte wurde zusehends Karl Kautsky zum Theoretiker der parlamentarischen Demokratie. Er verlangte für die Fortentwicklung der russischen Verhältnisse sowohl die Demokratie in der politischen wie den Sozialismus für die wirtschaftliche Ordnung. Diktatur und Demokratie bilden einen unversöhnlichen Gegensatz, der auch nicht durch ein Sozialismusverständnis auf der integrativen Ebene verschleiert werden darf. Kautskys Argument beruhte nicht nur auf der mangelnden wirtschaftlichen Entwicklung Rußlands in Hinblick auf die strukturelle Reife der ökonomischen Situation für den Sozialismus, sondern er sah vor allen Dingen für die Bevölkerung selber den zeitlichen Vorrang der Demokratie, um auch die persönliche Reife der Menschen zu gewährleisten, die sie erst in die Lage versetzte, zu den handelnden und selbstbestimmten Akteuren zu werden, die der Sozialismus als die höhere Form der Gesellschaft und des vergesellschafteten Menschen versprach. Die politische Demokratie und der Parlamentarismus emanzipierten sich in dieser Sichtweise damit endgültig vom Vorbehalt des Primates der Ökonomie. Kautskys antwortete auf Lenins Rede vom 28. April 1918 zu den Nächsten Aufgaben der Sowjetmacht™ Das theoretische Werk, in dem Lenin den Übergang von der Frühjahrsrevolution 1917 bis zur Zerschlagung der Konstitutante überdachte und den Gedanken einer eigenständigen proletarischen Gewalt darlegte, Staat und Revolution, blieb in Deutschland bis in das Jahr 1919 unbekannt. Was Kautsky provozierte, war der Versuch Lenins, sich von allen demokratietheoretischen Argumenten, die der Diktatur der Bolschewiki entgegengehalten wurden, öffentlich zu befreien. Lenin hatte von den Sowjets als der „höchsten Form des Demokratismus" und vom Anfang einer eigenständigen sozialistischen Form der Demokratie (S. 210) gesprochen, wobei die personalisierte Diktatur des Proletariats angeblich in keinem Widerspruch mit dem demokratischen Grundgedanken stand (S. 211). Der politische Kurs der Bolschewiki sollte nicht von demokratischen Einwänden gehemmt werden. Das Kennzeichen der Diktatur war der Ausschluß des Bürgertums aus der Wahlberechtigung, aber Kautsky sah nicht ohne Grund, daß die Hauptwirkung der Ausschluß der oppositionellen Menschewiki sein sollte. Hier setzte nun die Diskussion der Vorstellung einer spezifischen „Diktatur des Proletariats"
305
Der Auslöser für die große Bolschewismus-Debatte war Alexander Stein, Demokratie oder tatur?, in: Leipziger Volkszeitung 17. Dezember 1917: Bolschewismus ist nicht Diktatur Proletariats, sondern einer Partei; hiergegen Franz Mehring ebda. 19. Dezember 1917, vgl. sche, Bolschewismus, 1967, S. 122ff„ Kraus, Die Imperialismusdebatte, 1978, S. 1 9 5 - 2 2 0 Schöler, „ Despotischer Sozialismus " oder „ Staatssklaverei "?, 1990, S. 276ff.
Dikdes Löund
306
Lenin, Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht - die internationale Lage der Russischen Sowjetrepublik und die Hauptaufgaben der sozialistischen Revolution, in: Studienausgabe, hg. von Iring Fetscher, 2 Bände Frankfurt/M. 1970, II, S. 185-219.
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ein, die insbesondere die Weimarer Republik beschäftigen würde. 307 Kautsky antwortete Lenin mit seiner Schrift Diktatur des Proletariats308 vom August 1918. Die Antwort erfolgte auch weniger in Hinblick auf die russische Entwicklung, sondern auf die durch die Bolschewiki in Deutschland ausgelöste Diskussion. Rußland selber bescheinigte Kautsky, ähnlich wie dies etwas später auch Luxemburg tat, das Obwalten spezifischer Probleme, die eine scharfe Form der diktatorischen Politik durchaus plausibel machte (S. 82), wie auch die Zerschlagung der Konstituante unter den Rahmenbedingungen Rußlands für Kautsky noch keinen Anlaß zur Kritik bot. Er hatte jedenfalls keine Einwände und schien in der Sache zuzustimmen, wenn Lenin sagte, daß in dieser Situation es um die bloße Alternative einer bürgerlichen zur proletarischen Diktatur ginge. Kautsky wollte den im Sommer 1918 hörbar werdenden Forderungen in Deutschland begegnen, das in der bolschewistischen Form der politischen Gewalt sichtbare Modell auf Europa und Deutschland zu übertragen (S. 86f.). Immerhin war der bolschewistische Weg nicht ohne Überzeugungskraft, wenn man die Hemmnisse in Deutschland gegen eine bloße Reform des Systems in Rechnung stellte. Warum sollte man sich von demokratischen Einwänden beirren lassen, wenn man in der revolutionären Diktatur dem Obrigkeitsstaat eine weitaus wirkungsvollere Alternative entgegenstellen konnte? Wenn Kautsky nun einleitet, daß es sich um zwei verschiedene Methoden auf dem Weg zum Sozialismus handelte (S. 9), um die es in der Auseinandersetzung des deutschen und des russischen Sozialismus und der Diskussion zwischen den Bolschewiki und den Menschewiki ging, so kann er zunächst auf die Kontinuität seiner schon vor dem Weltkrieg geäußerten Gedanken verweisen, in denen er die Möglichkeit eines friedlichen, parlamentarischen Weges des Sozialismus stets erwogen und befürwortet hatte (S. 27f.). Freilich, und das vergißt Kautsky zu sagen, hatte er diese Form nicht für Deutschland und den Obrigkeitsstaat in Betracht gezogen. Aber dieser Kontinuitätshinweis sollte auch nur dem Argument des Opportunismus entgegenwirken. In der Sache war er schon deswegen verfehlt und traf auch nicht seine eigentlichen Intentionen, da er nun im Sommer 1918 nicht mehr von der Demokratie als einem politischen Mittel sprach, sondern der Demo-
307 308
Schöler, „ Despotischer Sozialismus " oder „ Staatssklaverei "?, 1990, S. 283ff. Karl Kautsky, Diktatur des Proletariats, Wien 1918, zitiert nach: dass., zusammen mit Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky und dessen Erwiderung, Terrorismus und Kommunismus, hg. von Hans-Jürgen Mende, Berlin 1990, S. 7-88. Die Angabe der Niederschrift Anfang August 1918: vgl. S. 73. In diesem Werk vereinigte Kautsky verschiedene Aufsätze, darunter Demokratie und Sozialismus, in: Sozialistische Auslandzeitung 4 Nr. 1 vom 3. Januar 1918. Nach Lösche ist dieser Artikel die „Nahtstelle, an der Kautsky den funktionslos gewordenen Kautskyanismus und den zur Integrationsideologie erstarrenden Anti-Bolschewismus mit seiner bisherigen Methode übereinander hefteten" (Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 125). Der gewandelten Institutionenlehre wird wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das gilt auch für Zarusky, Die deutschen Sozialdemokraten, 1992, S. 53-57, anders dagegen Schöler, „Despotischer Sozialismus" oder „Staatssklaverei"?, 1990, S. 290ff. und 300ff. Hilferding äußerte sich übrigens brieflich zustimmend zu Kautskys Analyse, Otto Bauer jedoch dagegen (Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 146). Auszüge aus Diktatur des Proletariats wurden später unter dem Titel Demokratie und Diktatur veröffentlicht, in denen aber die russischen Probleme nicht behandelt wurden: vgl. Lösche, Bolschewismus, 1967, S. 145f.
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kratie einen Zweck zubilligte, der für sich selbst verteidigenswert sei, und zwar mit „Zähnen und Klauen". Die Demokratie erhielt nun integrativen Rang und war nicht mehr nur taktisches Mittel für höhere Ziele. Die Demokratie ist jetzt für Kautsky geradezu die Voraussetzung des Klassenkampfes (S. 18). Die Tatsache des Gewichtes der modernen Bürokratie macht deren Kontrolle dauerhaft notwendig (die Kontrolle erklärte auch Lenin für notwendig) und hierfür sei das Parlament das geeignete Mittel (Lenin dagegen wollte das geeignete Instrument hierzu in den Sowjets sehen) (S. 21ff.). Ferner hält er nun die modernen politischen Parteien für unabdingbar und aus sich selbst heraus zu betrachtende Gebilde, die unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen eine unterstützenswerte Bedeutung haben, und zwar nicht in einer Gestalt der „Partei neuen Typs", wie sie Lenin bereits vor dem Krieg propagiert hatte. Kautsky gesteht vielmehr zu, daß das Klasseninteresse von verschiedenen Parteien unterschiedlich vertreten werden kann. Er weist aber daraufhin, daß der Herrschaftswechsel von Parteien in der Demokratie rascher und flexibler möglich ist als der Wechsel einer Klassenherrschaft (S. 25f.) und damit in der Demokratie im geordneten parlamentarischen Kampf um die Regierungsgewalt Herrschaft errungen werden kann, ohne daß bereits der Klassenkampf ein für alle mal siegreich beendet werden muß. Zwar habe auch die Demokratie Gefahren, Kautsky hebt die „verphilisternden Wirkungen der Demokratie auf den Proletarier" (S. 30) hervor. Aber auf der anderen Seite ist die Demokratie eben nicht nur Mittel zum Zweck der Klassenherrschaft, sondern ermöglicht die politische Schulung des Proletariats. Kautsky betont jetzt unter dem Eindruck des Kriegssozialismus und seiner Bürokratie, daß das Ziel darin besteht, über Möglichkeiten demokratischer Strukturen in der Wirtschaft nachzudenken (S. 20) und weniger die Wirtschaft zu vergesellschaften, d. h. die „Volksmassen" an die „alltägliche Praxis zur Selbstverwaltung" (S. 30) zu gewöhnen. Dies sei aber ein wechselvoller Lernprozeß mit vielen Möglichkeiten des Rückschlags, und gerade hier gewinne die Demokratie ihre langfristige Bedeutung. Sie sichere nämlich nicht nur die Gestaltungsmacht im Falle, daß das Proletariat die faktische Mehrheit übernommen habe, sondern ermöglicht auch bei etwaigen Rückschlägen, die Kautsky ausdrücklich als wahrscheinlich ansieht, die Reorganisierung des Proletariats und sein Lernen in der Niederlage, weil die Demokratie neben der Mehrheitsherrschaft auch den Minderheitenschutz vorsieht (S. 24), also die Opposition. Die in Deutschland vordringende Parole von der Diktatur des Proletariats meinte aus demokratischer Perspektive betrachtet die ohne Rücksicht auf demokratische Verpflichtungen erfolgende politische Machtergreifung. Kautsky will daher eine Vermittlung des bei Marx geäußerten Diktaturgedankens mit dem von ihm erörterten übergreifenden Zweck der Demokratie erreichen (S. 3 I f f ) . Seine Lösung besteht darin, zu behaupten, daß die Diktatur des Proletariats als Beschreibung eines Zustandes intendiert gewesen sei und nicht einer Regierungsform (S. 31). Die Diktatur des Proletariats muß sogar auf einer demokratischen Grundlage organisiert sein. Denn in der Kommune-Schrift, in welcher Marx die eigenständige politische Form der Pariser Commune feierte- eben jene Schrift, auf die sich Lenin selber berief309 - formulierte als Grundlage ihrer gepriesenen politischen Gewalt
309
Lenin, Staat und Revolution, Werke Bd. XX; hierzu vgl. Anweiler, Die Rätebewegung, S. 188ff.
1958,
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das allgemeine demokratische Stimmrecht. Marx habe also jedenfalls nicht die politische Diktatur einer Minderheit gemeint, wenn er von der Diktatur des Proletariats sprach. Die Diktatur des Proletariats als einer Klasse sei nichts anderes, als der Zustand der proletarischen Revolution als eines umfassenden gesellschaftlichen Prozesses auf der Grundlage in der Regierungsform der Demokratie (38ff.). Denn zwar sei tatsächlich eine politische Diktatur des Proletariats denkbar, d. h. die Gewinnung der politischen Herrschaft in einer Minderheitenposition, wenngleich er in der Möglichkeit einer solchen Minderheitenherschaft kein gutes Zeichen einer sozialen Ordnung bezüglich ihrer objektiven Reife zum Sozialismus sieht; jedenfalls kann man nach Kautsky die Möglichkeit der Ausnutzung einer günstigen Lage nicht ausschließen. Aber Kautsky stellte die Frage, welchen Nutzen für den Sozialismus eine solche politische Diktatur haben sollte. Denn Diktatur der Minderheit heißt auf Dauer Bürgerkrieg und Bürgerkrieg sei dem Sozialismus abträglich. Diese Überlegung wird verständlich, wenn man wie Kautsky hartnäckig an der ökonomischen Überlegenheit sozialistischer Betriebe festhielt. Diese seien aber abhängig von der Sicherheit des Verkehrs und der Einhaltung geschlossener Verträge. Er lehnte es daher ab, die proletarische Revolution am Vorbild der bürgerlichen blutigen Revolutionen zu messen. Vielmehr sollte nun gewährleistet werden, daß die gesellschaftliche Entwicklung ihren Verlauf nehmen kann, der sich durch die Freiheit der Subjekte eher und dauerhafter erreichen läßt, als durch ihre Unterdrückung. So reichte Kautsky der Zusammenarbeit mit dem Bürgertum die Hand und gab der Demokratie auch in ihrer bürgerlichen Form einen sozialistischen Sinn. Für Rosa Luxemburg ging die Identifizierung der bürgerlichen Demokratie mit Sozialismus ebenso zu weit wie die Distanzierung der Bolschewiki von der bürgerlichen Demokratie. 310 Ihre Lösung bestand darin, die bürgerlichen demokratischen Möglichkeiten revolutionär zu wenden. Diktatur sei nicht Abschaffung der Demokratie, sondern die Art der Anwendung der Demokratie. Sie sah in einer spezifisch sozialistischen Politik eine Synthese, die bürgerliche Politikformen wie den Parlamentarismus nicht obsolet machte, sondern sie erst wirklich zur Entfaltung brachte, indem sie die politischen Gestaltungskräfte, die fur den Umbau der Gesellschaft nötig waren, erst zur Geltung kommen ließ. Voraussetzung dafür war aber der bereits errungene Sieg des Proletariats. Luxemburg machte sich am Beispiel des Bolschewismus keine Gedanken über eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Bürgertum, sondern über das Zusammenspiel verschiedener sozialistischer Strömungen. Das war um so bedeutsamer, als die Parteispaltung von 1917 dauerhaft die politische Handlungsfähigkeit der Sozialisten in der Weimarer Republik belasten sollte. Luxemburg anerkannte aus einer klassenspezifischen Verwendung von Demokratie die Machtergreifung der Bolschewiki. „Wir sind nie Götzendiener der formalen Demokratie gewesen, das heißt nur: Wir unterscheiden stets den sozialen Kern von der politischen Form der bürgerlichen Demokratie, wir enthüllten stets den herben Kern der sozialen Ungleichheit und Unfreiheit unter der süßen Schale der formalen Gleichheit und Freiheit - nicht um diese zu verwerfen, sondern um die Arbeiterklasse dazu anzusta-
310
Die unübersehbare Diskussion von Luxemburgs politischen Schriften ist zuletzt zusammengefaßt bei Schöler, „Despotischer Sozialismus" oder „Staatssklaverei"?, 1990, S. 365ff.
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cheln, sich nicht mit der Schale zu begnügen, vielmehr die politische Macht zu erobern, um sie mit neuem sozialen Inhalt zu füllen. Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zu Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen" (S. 569). Politisch sah sie sich in ihren Überzeugungen gestärkt, daß man nicht erst die Mehrheit abwarten mußte, um revolutionäre, also mit Bezug auf die Gesellschaft umstürzende Politik betreiben zu können, sondern daß man umgekehrt „durch revolutionäre Taktik zur Mehrheit gelangt", d. h. durch Führerschaft im Sturm sich die mehrheitliche Anhängerschaft erwirbt (S. 545). Sie lehnte es sogar ausdrücklich ab, zu glauben, daß über demokratische Selbstbestimmung unter den Bedingungen gesellschaftlicher Unterdrückung, sei sie mittelbar oder unmittelbar, sozialistische Veränderungen erreichbar seien. „Bei der geistigen Verfassung der Bauernmasse und großer Schichten noch indifferenter Proletarier, bei der reaktionären Tendenz des Kleinbürgertums und den tausend Mitteln der Beeinflussung der Abstimmung durch die Bourgeoisie" (S. 553) durfte man nicht erwarten, daß die Verleihung demokratischer Rechte im Rahmen der weiterhin unterdrückend wirkenden Gesellschaftsform bereits ausreichte, um die Massen zu befreien. Die Masse mußte erst aus dem gesellschaftlichen Zustand befreit werden, der sie darin hinderte, ihre formalen Rechte auch materiell zur Geltung zu bringen. Die Frage war, in welcher Eigenschaft die einzelne Person gleiches Stimmrecht erhielt. Sie erörterte die Abhängigkeit formaler Rechte von der gesellschaftlichen Verfassung. „Jedes Wahlrecht, wie jedes politische Recht, ist nicht nach irgendwelchen abstrakten Schemen der 'Gerechtigkeit' und ähnlicher bürgerlicher demokratischer Phraseologie zu messen, sondern an den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, auf die es zugeschnitten ist" (S. 561). Sie stimmte prinzipiell Überlegungen zu, die etwa nur Arbeitern das Wahlrecht verlieh. Aber das hieß fur sie, daß die Einzelperson als Arbeiter, und eben nicht mehr eine Klasse gegenüber der anderen zu privilegieren sei, und dies setzte wiederum voraus, daß überhaupt jeder durch Arbeit das Stimmrecht erlangen konnte: ein in russischen Verhältnissen selbst für Proletarier nicht vorhandener Zustand. Es handelte sich um die Formulierung des Rechtes, das nur für eine bereits vollständig sozialistische Gesellschaft sinnvoll war, nicht für eine Übergangsgesellschaft (S. 561 f.). Mochte die bolschewistische Machtergreifung auch legitim gewesen sein, so brachte die Verlängerung der Diktatur neue Gefahren. Die Übergangsgesellschaft hat die Massen zu sich selbst zu befreien. Das aber leistet die Diktatur der Partei Luxemburg zufolge gerade nicht. Idealistische Revolutionäre, die die Revolution gemacht hatten, sie aber auf diese Weise nicht dauerhaft zum Erfolg fuhren konnten, drohten in die Herrschaft einer Bürokratie abzudriften. Gerade diese Form der politischen Willensbildung erweist sich nach Luxemburg aber langfristig als verderblich, beläßt sie doch die Massen in ihrer politischen Unmündigkeit. Nur die klassischen bürgerlichen Institutionen können die Massen politisch emanzipieren: „Lenin und Trotzki haben an die Stelle der aus allgemeinen Volkswahlen hervorgegangenen Vertretungskörperschaften die Sowjets als die einzige wahre Vertretung der arbeitenden Massen hingestellt. Aber mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Land muß auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf, erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum
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Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren ... eine Elite der Arbeiterschaft ... im Grunde also eine Cliquenwirtschaft - eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d. h. Diktatur im bürgerlichen Sinne, im Sinne der Jakobiner-Herrschaft" (S. 566). Luxemburg lehnte also nicht bürgerliche Institutionen ab, sie lehnte ihre Handhabung in bürgerlichem Geiste ab, sei es die Demokratie, sei es die Diktatur. Erforderlich war die Erfüllung der klassischen Institutionen mit neuem Geist, mit politischem Denken, das erst die Revolution eröffnen konnte, wofür sie aber dauerhaft nicht auf die Institutionen selbst verzichten durfte. „Die Praxis des Sozialismus erfordert eine ganze geistige Umwälzung in den durch Jahrhunderte der bürgerlichen Klassenherrschaft degradierten Massen. Soziale Instinkte anstelle egoistischer, Masseninitiative anstelle der Trägheit, Idealismus, der über alle Leiden hinweg trägt usw. Niemand weiß das besser, schildert das eindringlicher, wiederholt das hartnäckiger als Lenin. Nur vergreift er sich völlig im Mittel. Dekret, diktatorische Gewalt der Fabrikaufseher, drakonische Strafen, Schrekkensherrschaft, das sind alles Palliative. Der einzige Weg zur Wiedergeburt ist die Schule des öffentlichen Lebens selbst, uneingeschränkteste, breiteste Demokratie, öffentliche Meinung. Gerade die Schreckensherrschaft demoralisiert" (S. 565f.). Für diese geistige Umorientierung sind wiederum bürgerliche politische Formen durchaus sinnvoll, denn nicht die Formen, sondern der Geist, in dem sie ausgeübt worden sind, hatte unterdrückenden Charakter. So stellt sie dar, daß auch reaktionäre Parlamente unter dem ungehinderten Druck der Massen und der öffentlichen Meinung sich plötzlich zu heroischen Verfechtern der Revolution entwickelten (ihr historisches Vorbild ist das „long parliament" der englischen Revolution) (S. 559f.). Durch den Kontakt zu den Massen kann der „schwerfällige Mechanismus der demokratischen Institutionen" einen „kräftigen Korrektor" erhalten, weil nur die Massen, ihr unausgesetzter Druck die Institutionen lebendig machen mittels des „lebendigen Quelles selbst, aus dem heraus alle angeborenen Unzulänglichkeiten der sozialen Institutionen allein korrigiert werden können", wenn „das lebendige Fluidum der Volksstimmung beständig die Vertretungskörperschaft umspült, in sie eindringt, sie lenkt" (S. 559). „Und diese ständig lebendige Einwirkung der Stimmung und der politischen Reife der Massen auf die gewählten Körperschaften sollte gerade in einer Revolution vor dem starren Schema der Parteischilder und der Wahllisten versagen? Gerade umgekehrt! Gerade die Revolution schafft durch ihre Gluthitze jene dünne, vibrierende, empfangliche politische Luft, in der die Wellen der Volksstimmung, der Pulsschlag des Volkslebens augenblicklich in wunderbarster Weise auf die Vertretungskörperschaften einwirken"(S. 559). Aus dieser Institutionenlehre heraus kann Luxemburg dann weiterhin von Diktatur und Demokratie sprechen, von der Diktatur der Demokratie, die die gewünschten Leistungen der Demokratie erst zur Geltung bringen muß, um sie dann aber ihrem freien Gang zu überlassen: „Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei. Sie ist nichts anderes als Diktatur des Proletariats. (Abs.) Jawohl: Diktatur! Aber diese Diktatur besteht in der Art der Verwen-
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dung der Demokratie, nicht in ihrer Abschaffung ... Aber diese Diktatur muß das Werk einer Klasse, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse sein, d. h. sie muß auf Schritt und Tritt aus der aktiven Teilnahme der Massen hervorgehen, unter ihrer unmittelbaren Beeinflußung stehen, der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit unterstehen, aus der wachsenden politischen Schulung der Volksmassen hervorgehen" (S. 569). Selten haben die namenlosen „vielen, allzuvielen" eine redegewandtere Fürsprecherin gefunden als in Rosa Luxemburg, die sich „das aktive ungehemmte, energische politische Leben der breitesten Volksmassen" (S. 560) als eigentliches Ziel einer sozialistischen politischen Übergangsordnung wünschte. Die bürgerlichen politischen Freiheiten der Versammlung, der Presse und der Vereine sind hierfür unabdingbar und besonders schützenswert, und zwar nicht als propagandistische Mittel, sondern als aufklärerisches Medium (563). In diesem Sinne fallen dann auch die berühmten, unzählige Male zitierten Äußerungen Luxemburgs zur Freiheit der anders Denkenden (S. 564): „Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird" (S. 564). Allerdings geht es ihr an dieser Stelle zuvörderst um die Freiheit verschiedener sozialistischer Interpretationen, nicht um die Freiheit der bürgerlichen Klasse. Luxemburgs im Gefängnis entstandener Entwurf vom Herbst 1918 versuchte aus der Darstellung der in Rußland gemachten, vielleicht unvermeidlichen Fehler die politischen Lehren zu ziehen, die für die ihrer Ansicht nach entscheidende Frage herangezogen werden konnten: nämlich wie ein „Erwachen der revolutionären Tatkraft der Arbeiterklasse in Deutschland" (S. 539) zu erzielen sei. Sie erwähnte dabei die Sowjets, die Räte mit keiner Silbe und erörterte sie auch nicht als ernsthafte institutionelle Alternative zu den klassischen bürgerlichen Institutionen. Daher ist es um so erstaunlicher, daß sie nach ihrer Gefangnisentlassung mit einer Polemik ohne gleichen den Parlamentarismus und den Wunsch nach einer Nationalversammlung verurteilte und sich selber unter die Parole „Alle Macht den Räten" stellte. Diese Polemik wurde dann aber wieder konterkariert, als sie auf dem Gründungsparteitag der KPD dafür plädierte, sich zur Wahl für die Nationalversammlung zu stellen, um aus dem Innern der unausweichlich erscheinenden parlamentarischen Demokratie für die Revolution durch Aufklärung und Opposition zu wirken. Die russische Revolution jedenfalls, die erst 1922 von Paul Levi nach dessen Austritt aus der KPD veröffentlicht wurde, bezog Stellung zugunsten des Parlamentarismus, die zur Zeit ihrer Entstehung für die Öffentlichkeit und die Einschätzung Luxemburgs unsichtbar blieb. Insofern ist für die politisch sichtbare Seite der Luxemburgischen Politiktheorie der Vorwurf des politischen Voluntarismus durchaus berechtigt. 311 Betrachtet man jedoch die demokratietheoretische Anlage des Luxemburgischen politischen Denkens, erkennt man das dort vorhandene Potential, das sich durch ihren frühen Tod nie entfalten und fortentwickeln konnte.
311
Lösche, Bolschewismus,
1967, S. 126ff.
V. Die Demokraten an der Macht und ihre Ohnmacht
Die 1918 erfolgten Oktoberreformen markieren die fünfte Zäsur des Krieges. Noch im Krieg wirksam geworden, nährten sie wieder Hoffnungen, daß jetzt endlich die lange aussichtslos erschienenen Bemühungen um eine Reform der politischen Ordnung an ihr Ziel gelangen konnten. Was in den meisten Darstellungen der Geschichte des Kaiserreichs als wenig ruhmreicher und viel zu spät erfolgter Versuch der Rettung des ancien regime Erwähnung findet, war aus der Perspektive der reformerisch gesonnenen Zeitgenossen Frucht und Ertrag einer jahrelang geführten Diskussion, wenigstens für einige Wochen. Aber die Parlamentarisierung des Kaiserreichs ging nicht vom Parlament selber aus, sondern von der exekutiven Spitze und sie war auch nicht das Resultat einer Überzeugungsleistung, sondern Folge des militärischen Zusammenbruchs im Westen. Erst der Schwarze Tag des deutschen Heeres im August 1918 und das Eingeständnis Ludendorffs im September, die Front nicht mehr halten zu können, erzwangen diese Maßnahme, die aus der konstitutionellen eine parlamentarische Monarchie machte. Mitte 1918 schien für die Demokraten die Lage noch hoffnungslos zu sein. Das jedenfalls gestand Ernst Troeltsch ein. „Die Tragödie des preußischen Wahlrechts, die unsichere Existenz und die schwankenden Erklärungen unserer parlamentarischen Reichsleitung, die Stimmung großer Volksteile infolge des russischen 'Friedens' und die Frühjahreserfolge der westlichen Offensive, alles das wies zunächst in eine ganz andere Richtung, in unbestimmte und unklare Verhältnisse, die der 'Realpolitik' ein weniger gehindertes Feld zu öffnen und die demokratischen Hilfslinien unserer Politik überflüssig oder unmöglich zu machen schienen". 1 Zum gleichen Zeitpunkt resümierte Friedrich Meinecke noch einmal sein eigenes Bemühen um die Vermittlung der beiden konkurrierenden politischen Systeme. 2 Er kritisierte, daß die Anhänger des status quo nicht bereit gewesen waren, sich auf die guten Gründe der Volksstaatsanhänger einzulassen, so wie diese bereit gewesen waren, die guten Absichten der Anhänger des Obrigkeitsstaates anzuerkennen (S. 708). Angesichts der weiterhin anhaltenden Verschleppung der Wahlrechtsfrage in Preußen appellierte Meinecke nun an den „aufgeklärten Soldaten, mit
1 2
Ernst Troeltsch, Zweierlei Realpolitik, in: Der Tag Nr. 184/185 vom 8./9.8.1918, zitiert bei Sösemann, Das ,erneuerte Deutschland', 1984, S. 139 Anm. 121. Friedrich Meinecke, Zwei Systeme, in: Deutsche Politik 3 (1918) 707-710, S. 707f.
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voller politischer Verantwortlichkeit" den Gegensatz beider politischer Systeme zu überbrücken (S. 710). Meinecke hatte also bereits die Diktatur der OHL als Faktum anerkannt. Der Diktator aber mußte überstürzt die Verantwortung abtreten und obwohl er dabei auf ein immer noch nicht auf die politische Verantwortung eingestelltes Parlament traf, gingen die nötigen Verfassungsänderungen sowohl im Reich wie in Preußen erstaunlich schnell. In Windeseile nahm der Preußische Landtag die Wahlrechtsreform nach demokratischem Muster an, alle Widerstände schienen gebrochen und mit Prinz Max von Baden trat der letzte Hoffnungsträger des Obrigkeitsstaates die Kanzlerschaft an. Im Umfeld des neuen Kanzlers hatte sich seit Monaten ein Mitarbeiterstab aufgebaut, der beständig auf eine Modernisierung der politischen Ordnung gedrängt und hingearbeitet hatte. Dazu zählten auch Kurt Hahn, der spätere Pädagoge und Alfred Weber. Häufig war die Deutsche Gesellschaft von 1914 der Ort des Kennenlernens der reformerisch orientierten Personen. Prinz Max machte ζ. B. in der Deutschen Gesellschaft am 17. Juli 1917 die Bekanntschaft Conrad Haußmanns, der für die spätere Formulierung seiner Politik von nachhaltiger Bedeutung sein sollte.3 Zu des Prinzen Beratern gehörten Autoren, die er im Delbrück-Kreis kennen gelernt hatten. Der Delbrück-Kreis wurde gelegentlich auch als „privater Staatsrat des Prinzen" bezeichnet, 4 der bei dessen Regierungsbildung im Oktober 1918 nach Meinung vieler Zeitgenossen seinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt haben soll.3 Hans Delbrück selber machte im Oktober 1918 angesichts der eilig durchgeführten Reformen für die konservativ-liberalen Anhänger des modernen Obrigkeitsstaates deutlich, daß er mit der Kanzlerschaft des Prinzen Max eine Zeit anbrechen sah, die manches verloren gehen lasse, woran sein eigenes Herz hing. Er erinnert aber erneut an die Preußischen Reformen von 1807 und an die Möglichkeit, daß wo Unheil drohte auch „Segen erblühte". 6 Gleichzeitig hebt er hervor, daß gerade die antiken Demokratien sich nicht selten unter die Führung eines Aristokraten gestellt hatten. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Gracchen. Damit deutet Delbrück bereits an, daß man mit durchgreifenden Reformen zu rechnen hatte. Umgekehrt verbürgt der Wille der Demokratie, sich unter die Führung eines Aristokraten zu stellen, die Gewähr dafür, daß die weiteren, nun unweigerlich kommenden und auch von Delbrück für nötig erachteten Veränderungen der sozialen und politischen Ordnungen auf „gesetzlichem", also nichtrevolutionärem Wege erfolgten. Dafür freilich war das Beispiel der Gracchen gewiß kein beruhigendes Vorbild. Delbrück ging es zunächst auch nur darum, zu zeigen, daß entgegen „liberalen Mißverständnissen", die sich augenblicklich die Situation weniger drama-
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6
Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften, 1968, S. 234f. Ein Zitat eines ungenannten Mitglieds, von Friedrich Meinecke überliefert, Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften, 1968, S. 241-244, S. 242. In einer Aufzeichnung von Haußmann von 9. Oktober bis 9. November 1917, aus dem Nachlaß, bei Matthias/Morsey, Interfraktionelle Ausschuß 1959, Bd. 1, S. 584ff. erwähnt dieser S. 595, daß Schiffer Unterstaatsekretär bleibe, denn er gehöre der Delbrück-Gruppe an, was Matthias/Morsey S. 595 Anm. 59 veranlaßt zur Spekulation, welchen Einfluß dieser Kreis auf die Bestallung von Staatssekretären hatte, zumal Haußmann ebda, noch Solf, Roedern und Kühlmann erwähnt. Hans Delbrück, Prinz Max als Reichskanzler, Schreiben an die Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 516, Morgenausgabe vom 9. Oktober 1918, S. lf.
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tisch zu denken versuchten, es sich nicht um einen Personenwechsel, sondern um den Wechsel des politischen Systems insgesamt handelte. Delbrück sprach von der Chance und Notwendigkeit einer umfassenden Wende in der Politik, die von der Unumkehrbarkeit der Demokratie auszugehen hat und eine neue Epoche eröffnet. Die Frankfurter Zeitung hob in ihrem Abendblatt des folgenden Tages Delbrücks Artikel aus der Norddeutsche Allgemeine Zeitung hervor als Bestätigung für die „Unwiderruflichkeit der Demokratisierung" und des Anbruchs eines neuen Zeitalters, 7 denn die Nähe Delbrücks zu Prinz Max war bekannt. Dieser Einfluß wurde übertrieben, aber seine Annahme versah seine Publikationen in diesem Zeitraum mit zusätzlichem Gewicht. Hans Delbrück forderte bald darauf dazu auf, die Neugestaltung des Reiches nicht an den Traditionen Preußens scheitern zu lassen. Er ging sogar so weit, auf Preußen wie man es bislang kannte, verzichten zu wollen. Es habe seine historische Mission erfüllt und müsse notfalls einer Neugestaltung Deutschlands weichen, wenn sie ihr im Wege stünde. 8 Ähnlich wie Delbrück argumentierte Friedrich Thimme. Für ihn war das alte Preußen zwar tot, aber sein Geist wirkte weiter und war auch in der Revolution sichtbar, die sich zu organisieren wußte und nicht dem Chaos anheim fiel. Der Rückmarsch der Soldaten von der Westfront, der in Zucht und Ordnung und ohne nennenswertes Marodieren erfolgte, bestätigte ihn hierin. Aus diesem Geist konnte eine neue politische Ordnung erwachsen, die einen Gestaltwandel des Preußentums beinhaltete. Die alte Gestalt des militärischen und obrigkeitlichen Preußen jedoch habe sich unumkehrbar historisch überlebt hatte. 9 Die SPD zögerte lange, das Heft in die Hand zu nehmen, zu erdrückend schien die Situation, zu unwägbar die Folgen. In der gemeinsamen Sitzung der Fraktion und des Parteiausschusses vom 23. September 1918 wegen der Frage des Regierungseintritts hatte Cohen-Reuß argumentiert, die Übernahme der Verantwortung ohne eine an „Diktatur grenzende Macht" sei zwecklos. 10 In der Erläuterung Lobes zu seinem, Landsbergs u. a. Text zu einer Resolution interpretierte er die Möglichkeit des Regierungsantritts nur als Wahrnehmung einer Nothelfer-Rolle für die SPD: angesichts des Fortbestandes der Militärautokratie könne man nicht von einer Abtretung der Macht an die Demokratie sprechen (S. 454f.). Dagegen wertete Ebert den Regierungseintritt als „gewaltigen Sprungauf im Kampf um die Demokratie". Auf der Fraktionssitzung vom 2. Oktober schlug Hoche an Stelle des Prinzen lieber Erzberger, besser noch Ebert selber vor, der daraufhin mit Hochrufen animiert wurde, wogegen Wolfgang Heine aber einwandte, Ebert würde in dieser wohl nur kurzen Regierung einfach verschlissen werden und sollte diesen Schritt nicht tun." Die Implosion des Obrigkeitsstaates im Oktober 1918 zwang zur Aufgabe dieser zögerlichen Haltung. Wenn man sich jetzt weiterhin der Diktatur versagte, auf welcher
7
Frankfurter Zeitung Nr. 281, Abendblatt vom 22. Oktober 1918, S. 2.
8 9
Hans Delbrück, in: Preußische Jahrbücher 175 (Januar-März 1919), S. 133-35. Friedrich Thimme, Das alte Preußen, in: Deutsche Politik 1918 v. 22. November 1918, S. 1 4 7 9 1484. Matthias/Pikart, Reichstagsfraktion, 1966, Bd. 2, S. 435. Matthias/Pikart, Reichstagsfraktion, 1966, Bd. 2, Dokument Nr. 495 a/b.
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Grundlage sollte die Zusammenarbeit mit den reformorientierten Teilen des Bürgertums erfolgen? Jetzt wurden die Begriffe des Volksstaates und der Demokratie zu den maßgeblichen integrativen Maßstäben der Stunde erhoben. Ebert sprach im Reichstag bereits am 22. Oktober 1918 im Zusammenhang der Debatte zur Verfassungsänderung vom Bolschewismus als der gefahrlichen Alternative zum „deutschen Volksstaat". 12 In der Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses vom 5. November 1918 sagte Ebert, daß nicht mehr das Kaisertum, sondern die Demokratie das einigende Band sei. Im Vorwärts vom gleichen Tag gab man ein Selbstbildnis der SPD als „einer grundsätzlich demokratischen Partei, die aber - siehe Bebel - auf die bloße Form der repräsentativen Spitze bisher nie entscheidenden Wert gelegt hat. Die Aussicht, sich in einer jungen Republik vielleicht dreißig Jahre lang mit royalistischen Don Quichotes herumschlagen zu müssen und dadurch notwendige innere Entwicklungen gestört zu sehen, gehört ja auch nicht zu den angenehmsten". 13 Der anti-bolschewistische Reflex verstärkte die Ablehnung der Diktatur und die Zuwendung zu bürgerlichen Formen der Demokratie erheblich und weiterhin war auch die Zuneigung zu einer demokratischen Monarchie spürbar, die den Parlamentarisierungswillen bereits im Juli 1917 erheblich gehemmt hatte. Die Demokratie bildete die Brücke zum Bürgertum und markierte zugleich die Grenzlinie zu den russischen Sozialisten. Nicht allen Anhängern der alten Ordnung fiel die Abwendung von der Vergangenheit leicht. Für die Anhänger vermittelnder Vorstellungen von Tradition und Moderne, Herkommen und Reformen war die Implosion des Obrigkeitsstaates ein Schock. Friedrich Naumann war angesichts der militärischen Katastrophe verzweifelt. Die „Lebenserhaltung der Nation" sollte das „letzte Gesetz" des eigenen Opfers, des eigenen Daseins schlechthin sein, sprach er in einer der letzten Reden im Reichstags des Kaiserreichs.14 Dies waren keine analytisch-konstruktiven Aussagen mehr, sondern Postulate, deren Inhalt und konkrete Anwendungsfähigkeit dem Postulierenden selbst fraglich und undurchschaubar geworden waren. So blieb nur mehr die Form, die innere Haltung, die er demonstrieren wollte, aus welcher sich aber kein konkretes politisches Ziel mehr formulieren ließ. Von einer „Götterdämmerung" für die ältere Generation schrieb er Anfang Oktober 1918 an Gertrud Bäumer, gegenüber der „alles zerfließt" 15 . Die Zuwendung zur Vorstellung einer gänzlich neuen politischen Ordnung verlangte eine zumindest gedankliche Vermittlung. Für die Anhänger der defensiven Demokratisierung, die den allerdings modernisiert gewünschten Obrigkeitsstaat hatten retten wollen, war die Anerkennung völligen Wandels schwer. Statt sich aber wie so viele andere Anhänger des Obrigkeitsstaates schmollend zurückzulehnen und auf ihre Stunde zu warten, stellte sich Meinecke der Öffentlichkeit, auch wenn es ihm schwer fiel. „Alles kommt darauf an, daß wir
12
Friedrich Ebert, Schriften, 1967, S. 144.
2 Bände, Dresden 1926, S. 72; vgl. hierzu Lösche,
Bolschewismus,
13 14
Zitiert bei Winkler, Weimar, 1993, S. 27. A m 22. Oktober 1918, Stenograph. Bericht Bd. 314, S. 6172, bei Heß, Das ganze soll es sein, 1978, S. 24.
15
Brief v o m 6. Oktober 1918, bei Theodor Heuss, Naumann - Werk und Zeit, 3. Aufl. 1968, S. 458, vgl. auch bei Heß, Das ganze Deutschland soll es sein, 1978, S. 24.
Deutschland
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die neue demokratische Ordnung unseres Vaterlandes anerkennen und stützen, nicht nur mit Vorbehalt und auf Zeit, sondern mit der Einsicht, daß sie das notwendige unwiderrufliche Ergebnis unserer gesamten Entwicklung und Lage ist", äußerte er Ende Oktober in dem Artikel Zur nationalen Selbstkritik.'6 Aber wie kam gerade Meinecke zu einer solchen entschlossenen Behauptung, wo er doch jahrelang bis zur Resignation gerungen hatte um eine Demokratisierung bestimmter Institutionen, nicht aber der politischen Ordnung insgesamt? Meinecke erzählte selber von der Verwunderung seiner älteren Schüler, die nun, aus dem Felde kommend, ihn fragten, wie er zu einer solchen Einstellung komme. Um „allen in gleicher Not Befindlichen" gedanklich zu helfen (S. 256), breitete Meinecke den Gedankengang öffentlich aus. Er ließ noch einmal den Weltkrieg Revue passieren und erzählte, wie der „falsch gerichtete Geist, der in den gebildeten Schichten dominierte" selber zur Macht wurde, „die durch mannigfache Kanäle auch auf unsere Politik zu wirken vermochte" und „phantastische Täuschungen über die Wirkung des Tauchbootkrieges" zur Grundlage der Politik erhob. Darunter mußte man einen Strich ziehen und dies konnte nur eine „demokratische Volksregierung". Die Demokratisierung mußte alleine schon wegen des Versagens der zur „Führung der Nation berufenen Schichten" in der Außenpolitik kommen. „Nur Selbstprüfung und Selbsteinkehr kann ihnen in Zukunft den Platz im öffentlichen Leben sichern, den man ihnen dringend wünschen muß, um die Kontinuität unseres Staats- und Kulturlebens und alle lebendigen Werte der Vergangenheit zu erhalten" (S. 258). Meinecke gab damit seiner gleichbleibenden Hoffnung erneuten Ausdruck, wonach die Kontinuität nicht zerbrochen werden durfte, er befürchtete weiterhin das unabwägbar Neue der Demokratie und sah dennoch keine Alternative mehr zu ihr. Die Novemberrevolution versetzte aber der von diesen Autoren gehegten Hoffnung nach einem geordneten Übergang vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat einen erheblichen Schlag. Man sah nur widerwillig, daß einer der Auslöser der revolutionären Gärungen die politische Ungeduld war, die sich nach den langen Jahren vergeblicher Bemühungen um eine Demokratisierung des Obrigkeitsstaates angestaut hatte. Nur die wenigsten Autoren waren bereit, das revolutionäre Treiben als Geburtswehen einer neuen politischen Ordnung zu tolerieren, die aus Selbstbestimmung erfolgte. Der Ruf nach der Nationalversammlung war zugleich die Hoffnung auf eine geordnete Demokratie. Die große symbolische Parole der Nationalversammlung war von der Regierung des Prinzen Max lange Zeit nicht aufgegriffen worden. Der Prinz wollte sie zunächst auch nur aus einer defensiven Überlegung heraus unterstützen, insofern er mit ihrer Hilfe die Revolution vermeiden wollte. „Es galt, den demokratischen Gedanken gegen die Revolution aufzurufen" wie Prinz Max meinte. 17 Aber er war erst viel zu spät bereit, sich überhaupt auf diese Parole einzulassen. Früheren Vorschlägen seitens Riezlers, die Einberufung der Nationalversammlung zum strategischen Ziel seiner Politik zu erheben, begegnete der Prinz noch lange mit dem Hinweis auf die Rechte des Reichstages, die er nicht verletzen
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17
Friedrich Meinecke, Zur nationalen Selbstkritik, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 550, Morgenausgabe vom 27. Oktober 1918, S. lf. Zitiert nach: ders., Politischen Schriften, 1958, S. 255. Prinz Max, Erinnerungen und Dokumente, 1927, S. 598.
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wollte. Der Reichstag aber hatte sich seiner Routine folgend für den November vertagt und seine Mitglieder sahen aus der Provinz zu, was sich in Berlin ereignete in einer Zeit, da sein permanentes Tagen unbedingt erforderlich gewesen wäre. Bereits Arthur Rosenberg nannte diesen Vorgang „geradezu unbegreiflich".18 Die Akteure im alten Zentrum der politischen Willensbildung ergriffen also nur skeptisch und zögerlich die Chance der Demokratisierung. Sie sahen sich eher von den Umständen getrieben und gedrängt, als daß sie gewillt waren, sich an die Spitze ihrer Veränderungen zu stellen. Dagegen machte sich in der öffentlichen Meinung des fortschrittlichen Bürgertums Euphorie breit. In den Wirren der Übergangszeit brachte Gerhard Anschütz noch einmal in Erinnerung, was das Anliegen der Demokraten im Weltkrieg gewesen war, das nun vielleicht endlich zur Geltung kommen konnte: „Es handelte sich darum, in stärkerem Maße, als es bis dahin für nötig und nützlich erachtet worden war, demokratische Gedanken in den Organismus unseres Staatswesens einströmen zu lassen. Deutschlands Erneuerung sollte Demokratisierung bedeuten. Verstärkung der politischen Rechte in Reich, Staat und Gemeinde, volle Durchführung der Gleichberechtigung aller Staatsbürger, Verbreiterung insbesondere des Wahlrechts dort, wo dies nötig war (namentlich in Preußen), Beseitigung aller unverdienten Bevorzugungen und aller Ausnahmegesetze, Herstellung der Einheit von Staat und Volk, das waren die neuen Richtlinien. Und das Bekenntnis zu ihnen entsprang der Einsicht, daß Ansehen und Festigkeit, ja letzten Endes das Dasein des Staates auf dem Vertrauen beruht, welches das Volk dem Staate entgegenbringt, daß dieses Vertrauen aber nicht allein durch gute Leistungen des Staates für das Volk, durch seine fürsorgliche und lautere Gesetzgebung und Verwaltung, kurz, nicht bloß dadurch erworben wird, daß vieles für das Volk geschieht, sondern nur dadurch, daß, was immer für das Volk getan wird, möglichst auch durch das Volk geschieht. Und so erschien die Abkehr von der obrigkeitlich-autoritären zur demokratischen Staatsauffassung als ein Gebot nicht sowohl der Gerechtigkeit als der Staatsklugheit, ja der Staatsnotwendigkeit".19 Diese Klugheit setzte sich in den einzelnen Ländern endlich durch. Mit dem Kanzlerwechsel und der Einleitung der Reformen kam es zu einer ungeheurer Aufbruchstimmung in Deutschland. Von Baden bis Bayern, von Württemberg bis Hamburg und selbst in Preußen nahm man die erwarteten Reformen im Reich für das je eigene Land vorweg und übertraf sie im Ergebnis. Es wurde im Oktober 1918 nach der Auffassung der Beteiligten ein neuer Volksstaat geboren. In der Öffentlichkeit erschien die Parlamentarisierung des Reiches nämlich als Wechsel des Integrationsmodells. Ohne weiteren Verzug kam es zur Umsetzung der nun für selbstverständlich und zwangsläufig angenommenen Demokratisierung Deutschlands. Überall wurde das 18 19
Arthur Rosenberg, Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, 1961, S. 227. Gerhard Anschütz/Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl. München/Leipzig 1919, Nachtrag: I. Staatsrechtliche Reformen und Reformbestrebungen während der Kriegszeit, S. 1023-1030, S. 1022f. Für die Literatur dieser Debatte zieht Anschütz u. a. Thimme und Legien, Hg., Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, 1915; Bozl und Heinemann, Hg., Recht, Verwaltung und Politik im neuen Deutschland, 1916; Friedrich Naumann, Der Kaiser im Volksstaat, 1917; Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, 1917; Stier-Somlo, Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik, 1917; Artikel aus ,Die Hilfe' 1914-1918, allen voran aber Hugo Preuss, Das deutsche Volk und die Politik, Jena 1915 heran.
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Wahlrecht demokratisiert. Bürgerlich-demokratische und sozialdemokratische Politiker wurden mit der Regierungsbildung beauftragt, während die Fürsten freiwillig den Weg hierzu frei machten, ohne dabei aber gleich an einen vollständigen Rücktritt oder an die Aufgabe der Monarchie zu denken, was wiederum von den bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikern weder erwartet noch erhofft wurde. Die nun in den Ländern statthabenden Demokratisierungsprozesse waren schon zu einem sehr weiten Teil gediehen, als die Revolution ausbrach. In Bayern zum Beispiel war zwar die Demokratisierungsdebatte während des Krieges bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten wie auf der Reichsebene. Auf dem Höhepunkt der Julikrise hatte sich die Bayerische Regierung zum Wesen des Konstitutionalismus im Sinne des Geistes der Verständigung ausgesprochen und daraus keine weiteren institutionellen Schlüsse gezogen. 20 Es waren nicht nur das staatstragende bayerische Zentrum oder die Regierung alleine, die sich ablehnend zu Demokratisierungsforderungen äußerten, als sie den Antrag von Süßheim für die SPD nach Umwandlung des Obrigkeitsstaates in den Volksstaat vom 19. Dezember 1917 zurückwiesen. Auch die progressiveren Liberalen hatten sich diesem Ansinnen verweigert: „Wir wollen unsere Königlich-bayerische Ruhe haben. Wir wollen sie nicht eintauschen gegen das verlogene Getreibe unserer Feinde". 21 Im Oktober 1918 jedoch konnte sich die Sozialdemokratie durchsetzen. Sie leitete in interfraktionellen Verhandlungen die Verfassungsreform in Bayern ein und kam nach einigen Widerständen endlich am 2. November zu einem förmlichen Ergebnis, die das allgemeine Männerwahlrecht einführte, die parlamentarische Monarchie festschrieb und die Regierungsbildung unter Beteiligung des SPD vorsah, aber zunächst unter dem amtierenden Ministerpräsidenten von Dandi. 22 Hier wie in vielen anderen Ländern sahen sich die Reformer nicht zu revolutionären Schritten veranlaßt. In Württemberg trat der Ministerpräsident Karl von Weizsäcker angesichts der Oktoberreformen im Reich am 24. Oktober 1918 mit allen Parteien in Verbindung, um seine Regierung durch Parlamentarier zu ergänzen. Doch am 6. November 1918 verlas der Abgeordnete Liesching von der linksliberalen Volkspartei vor der Regierung die Erklärung der Mehrheitsparteien, die eine parlamentarische Regierung verlangten und mit Liesching als Ministerpräsidenten auch anschließend bekamen. Weizsäcker trat am 4. November zurück und der König berief am 8. November ein parlamentarisches Ministerium unter Liesching. Am Tag der Vereidigung, dem 9. November 1918, erlebte Stuttgart jedoch bereits die ersten revolutionären Unruhen in den Straßen. 23 Die Veränderungen in den Ländern häuften sich derart, daß die Frankfurter Zeitung eine eigene Kolumne einrichtet, die unter der Überschrift „Das neue Deutschland" täg-
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Bayerische Staatszeitung Nr. 159 vom 12. Juli 1917, zitiert bei Leo Wittmayer, Deutscher Reichstag und Reichsregierung - eine politische Untersuchung, Wien und Leipzig 1918, S. 2. Abgeordneter Friedrich Beckh fur die Freie Vereinigung in der Aussprache des Antrags von Süßheim, zitiert nach Albrecht, Landtag und Regierung in Bayern, Berlin 1968, S. 266f. Albrecht, Landtag und Regierung in Bayern, Berlin 1968, S. 382. Menzinger, Verfassungsrevision und Demokratisierungprozeß, 1969, S. 176-180.
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lieh von einschneidenden Veränderungen in den Ländern berichten konnte. 24 Alleine in der Norddeutschen Zeitung erschienen bereits im Oktober in rascher Folge Artikel, die den Anbruch dieses neuen politischen Zeitalters hervorhoben und die politischen Konsequenzen diskutierten. Der Theologe Martin Rade aus Marburg rief die „Idealisten heraus!" Ideen hätten nun die Führung übernommen, es bedürfte der Ideen, um dem Volksstaat im einzelnen seine Geltung zu verschaffen und dauerhaft zu sichern. Wie aber ist der Lebenskraft von Ideen gedient? Rade hob hervor, daß der erste Schritt in der Überwindung des Mißtrauens liege. Der Volksstaat sei keine allein westliche Idee, ebensowenig wie der Völkerbund. Dafür erinnerte Rade an Kant. Der Idee des Volksstaates zu folgen, bedeute „kein blindes und blödes Sichpreisgeben", sondern die Neuerweckung einer eigenständigen Tradition. 25 Der spätere Reichskanzler Hans Luther, im Oktober 1918 amtierender Oberbürgermeister von Essen, meldete sich gleichfalls zu Wort. Volksstaat sei das deutsche Wort für Demokratie. Das bisherige Reich sei bislang ein Gemisch von „Demokratie und Obrigkeitsstaat" gewesen und habe sich nun von den unvereinbaren Elemente des letzteren zu trennen. Es gelte aber der befürchteten einseitigen Entwicklung der Demokratie zur „Politik des Geldes", also der Plutokratie, durch den Gedanken der Sozialpolitik entgegenzuwirken und den Rechtsfrieden einzuhalten. 26 Der frühere protestantische Pfarrer und seit 1903 sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Paul Göhre betonte, das nun der Wille des Volkes oberstes Gesetz geworden sei und nur darauf die politische Ordnung aufgebaut werden könne. Friedrich Lenz verlangte die Wiedervereinigung der öffentlichen Meinung mit der wirklichen Nationalgesinnung, letztere habe immer stark demokratische Elemente gehabt, erstere habe sich aber im Weltkrieg davon zusehends entfernt. Matthias Erzberger wurde am deutlichsten, wenn er dazu aufforderte, sich gänzlich vom Obrigkeitsstaat zu befreien, und zwar zunächst und zumeist gedanklich: „Nur die Tatsache der mangelnden Politisiertheit unseres gebildeten Bürgertums erklärt es, daß der Zustand, wie er jetzt zu Recht besteht und von führenden Männern seit langem erstrebt wurde, nicht schon früher durchgesetzt worden ist. Zu sehr waren wir im Bann des Obrigkeitsstaates, der vielen das politische Denken zu ersetzen geeignet erschien". 27 Zahlreiche Autoren, die während des Weltkrieges das demokratische Argument vertreten hatten, wurden nun politisch aktiv. Einige von ihnen gründeten eine neue liberale Partei, die Deutsche Demokratische Partei. Maßgeblicher Initiator war Theodor Wolff, der seine Position als Chefredakteur des Berliner Tageblattes dazu nutzte, der Parteigründung genügend Publizität zu verschaffen. Der erste Vorsitzende war Alfred Weber. 28 Die neuformierte Linksliberalismus versuchte die im Weltkrieg „kompromittier24 25 26 27 28
Nach täglichen Meldungen aus den Ländern über die dort statthabenden Veränderungen wurde ab der Nr. 293 vom 22. Oktober geschlossen unter dieser Rubrik hiervon berichtet. Martin Rade, Das Gebot der Stunde, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 529, Morgenausgabe vom 16. Oktober 1918, S. 1. Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 539 vom 21. Oktober 1918, Abendausgabe S. lf. Matthias Erzberger, Der neue deutsche Volksstaat, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 555, Morgenausgabe vom 30. Oktober 1918, S. lf. Demm, Ein Liberaler, 1990, S. 256-282 zu Alfred Webers kurzer Zeit als Vorsitzender der Partei.
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ten" Mitglieder des Nationalliberalismus aus der neuen Partei herauszuhalten. Jeder Befürworter eines annexionistischen Kurses sollte der Partei fern bleiben, ausdrücklich waren damit die Nationalliberalen um Gustav Stresemann gemeint, der es aber vermochte, der DDP eine eigene Parteineugründung entgegenzustellen, die Deutsche Volkspartei. So setzte sich die Spaltung des Liberalismus in Weimar fort. Aber bis zum Sommer 1920 genoß der Linksliberalismus das größere Vertrauen in der Bevölkerung. Die DDP erhielt bei den Wahlen zur Nationalversammlung später nie wieder erreichte 18,6% der Wählerstimmen. Auch außerhalb der politischen Parteienlandschaft wurden Autoren, die das demokratische Argument verfochten hatten, tätig. Die deutsche Gesellschaft für Völkerrecht hatte bereits am 21. September 1918 eine Studienkommission eingerichtet (bestehend aus Schücking, Mendelssohn-Bartholdy, Quidde, Sinzheimer und Hans Wehberg) zur Erarbeitung eines Völkerbundentwurfes, der bis zum 8. Januar 1919 fertiggestellt und am 11. Januar der Regierung übergeben wurde. 29 Schücking wurde Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles und versuchte sie zusammen mit Hans Delbrück als Beratergruppe zu unterstützen. Ernst Troeltsch trat in das Preußische Kulturministerium ein und war unter den bürgerlichen Autoren, die sich im Weltkrieg an der Demokratiedebatte beteiligt hatten, derjenige, der am längsten politische Verantwortung übernahm. Die den Sozialdemokraten und Sozialisten nahestehenden Autoren wurden vielfach aktive Politiker. Kautsky, Hilferding und Bernstein wurden Beigeordnete in verschiedenen Ministerien. Ihr Agieren war aber nicht mit demjenigen der Volkskommissare im Bolschewismus vergleichbar, vielmehr gesellte sich zum mangelnden Sachverstand zugleich eine auf die bürgerlichen Beobachter gelegentlich belustigend wirkende Hochachtung vor der Tätigkeit der Beamten, die in einem seltsamen Kontrast stand zu ihren vormaligen publizistischen Äußerungen gegen den Geist des Obrigkeitsstaates. 30 Max Weber war am Ende des Weltkrieges nicht voller Zukunftshoffnung. Er resümierte düster die Diskussionen und den langen Erfolg der Gegenpartei, der Anhänger der Ideen von 1914. „Die deutschen Ideen von 1914 waren ein Literatenprodukt. Der Sozialismus der Zukunft ist eine Phrase für die Rationalisierung der Wirtschaft...Wenn der Fanatismus wirtschaftspolitischer Ressortpatrioten für diese rein technische Maßnahmen, statt sachlicher Erörterung ihrer Zweckmäßigkeit...die Weihe nicht nur der deutschen Philosophie, sondern auch der Religion heraufbeschwört, - wie es heute massenhaft geschieht -, so ist das nichts als eine widerwärtige Geschmacksentgleisung sich wichtig nehmender Literaten. Wie die realen Ideen von 1918, bei dessen Formung die heimkehrenden Krieger das Wort haben werden, aussehen können oder sollten, kann heute vorweg wohl niemand sagen. Auf diese aber wird es wohl für die Zukunft ankommen". 31
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Theodor Niemeyer, Hg., Völkerbundentwurf der DGV, Berlin 1919, S. 15ff., vgl. die Darstellung bei Brink, Deutschlands Stellung zum Völkerbund, 1968, S. 52f. Vgl. die Schilderung Schiffers über Eduard Bernstein als Beigeordneter des Schatzamtes: Eugen Schiffer, Ein Leben fiir den Liberalismus, Berlin-Grunewald 1951, S. 220f. Max Weber, Der Sinn der , Wertfreiheit ' der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, in: ders., Wissenschaftslehre, S. 540.
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Was aber würden die „Ideen von 1918" erbringen? Als Max Weber in seinem berühmten Vortrag über Politik als Beruf die studentische Jugend dazu aufrief, bei aller verständlichen Leidenschaft für idealistische Ziele nicht zu vergessen, daß die Politik sowohl Leidenschaft wie Augenmaß bedarf sowie die Geduld des Bohrens dicker Bretter, so sprach hieraus auch die Sorge, der rasch entflammbare Enthusiasmus könne ebenso rasch in Resignation umkippen. Ein solches Beispiel war der junge Karl Löwith, der den Vortrag Webers selber mit anhörte. Aber seine Zeit als Frontsoldat hatte ihn zu diesem Zeitpunkt so erschöpft, daß er es vorzog, sich zunächst auf die Introspektion zu besinnen. Er zog sich in die Berge zurück und ließ die Politik den Politikern. 32 Wie leicht es war, aus Resignation der Politik den Rücken zu kehren und sie den traditionellen Kräften zu überlassen, statt der Forderung Max Webers nach Augenmaß, Leidenschaft und Geduld nachzukommen, zeigt das Beispiel Hellmuth von Gerlachs. Gerlach war unter Breidscheid vom 10. November bis Anfang März Unterstaatssekretär im Innenministerium. 33 Seine Klagen über die Obstruktionsversuche der „Geheimräte" im preußischen Innenministerium zeigen eher seine eigene politische Naivität als den kaum überraschenden Widerstand der im Obrigkeitsstaat groß gewordenen Beamten. 34 Gerlach äußerte sich enttäuscht über den ersten Verfassungsentwurf im März 1919 und warf ihm bourgeoise Ängstlichkeit und zu große Nähe zum Bismarckschen Vorbild vor. 35 Statt nun die wesentlich erweiterten Chancen zur politischen Gestaltung auch praktisch zu nutzen, verfiel Gerlach der Resignation und räumte das Feld. Wenn Max Weber gesagt hatte, daß Politik Kampf sei, so war dies nicht nur auf die machtbewußten Kalkulatoren der Staatsräson gemünzt, sondern auch auf diejenigen, die politisch gestaltend aktiv werden wollten und wissen mußten, worauf sie sich einließen. Während die Nationalversammlung sich nach dem Januaraufstand gegen die Spartakisten als überragende Losung durchgesetzt hatte, versuchte sich gleichzeitig die Idee der Rätedemokratie als Alternative zur parlamentarischen Demokratie zu etablieren. Ohne auf die bemerkenswerte Erscheinung der Rätedemokratie eingehen zu können, muß sie doch als eine der großen Alternativen zur parlamentarischen Demokratie erwähnt werden, die die Anfangsjahre der Weimarer Debatte prägte, und zwar weit über die sozialistisch-revolutionären Kreise hinaus. Die Rätedemokratie besaß während des Weltkrieges kaum publizistische Resonanz und war nur partiell in der Selbstorganisation so mancher Streiks beobachtbar gewesen. In Verbindung mit den russischen, dann wesentlich den bolschwistischen Sowjets bekamen die Räte teilweise einen mit Revolution synonymen Klang. Aber selbst die kurzzeitige Münchener Räterepublik widersetzte sich bolschewistischen Führungsansprüchen, der Begriff des Sozialismus hatte in seiner zeitgenössischen politisch-polemischen Verwendung ohnehin einen diffusen Charakter. Für Emil Lederer hatte sich der Terminus von der sozialistischen Tradition gelöst und besaß nur
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Löwith, Mein Leben in Deutschland, 1986, S. 16-18. Vgl. hierzu Kolb, Arbeiterräte, 1962, S. 277. Hellmut v. Gerlach, Meine Erlebnisse in der preußischen Verwaltung, Berlin 1919, S. 246f. über die Sabotage der „Geheimbürokratie" der Geheimräte gegen die Stellenbesetzung seitens Hirsch, der zugleich Ministerpräsident und Innenminister war. Hellmut v. Gerlach, Die verpfuschte Republik, in: Welt am Montag vom 3. März 1919.
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im Kontext der diffusen Erwartungshaltung einer Überwindung des ancien regime Konjunktur. 36 Die Rätebewegung als Ganze sah sich keineswegs als Repräsentant von Soldaten und Arbeitern als den unmittelbar vom Krieg betroffenen Personengruppen an. In der Provinz verstanden sich die Räte als Platzhalter der Nationalversammlung. Sie waren zunächst nur eine Form der politischen Selbstorganisation, die auch das Bürgertum zu integrieren trachtete und seine reformorientierten Teile keineswegs ausschließen wollte. Dieses war sogar in einem erheblichen Maße an den ersten Rätebildungen beteiligt.37 Der Vorstand des Karlsruher Arbeiter und Soldaten-Rates beschloß die Zusammenarbeit mit allen Verbänden auf Grundlage einer Loyalitätserklärung, sofern diese sich auf den „Boden der jetzigen Umwälzung" stellten und sich verpflichteten, einen „Zustand sozialen Gerechtigkeit zu schaffen, in dem alle Stände sich frei entwickeln können". 38 Diesen Berufsgruppen wurden z. B. im Mannheimer Arbeiterrat 15 Sitze überlassen, die den 25 der SPD und USPD und 20 der Soldaten abgezogen wurden. In Heidelberg wurden Vertreter der bürgerlichen Parteien aufgenommen, für den Linksliberalismus Max Weber, 39 in Frankfurt/Main war Hugo Sinzheimer Versorgungskommissar im Auftrage des dortigen Rates. Die Frankfurter Zeitung vom 9. November meldete, daß in der vergangenen Nacht der Soldatenrat die öffentliche Gewalt in seine Hand gebracht habe und veröffentlichte dessen Aufruf an die „Mitbürger". Danach gab die Zeitung im Namen des Soldatenrates bekannt, daß Hugo Sinzheimer zum vorläufigen Polizeipräsidenten und „Lebensmitteldiktator" ernannt worden sei.40 Wie es zu dieser Wahl kam, ist unbekannt. Jedenfalls zeigt aber die Wahl des erst im Weltkrieg zur SPD beigetretenen Juristen, der erst 1917 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden, war das rasch erworbene Ansehen Sinzheimers. Sinzheimer rechtfertigte sein Verhalten vor der Stadtverordnetenversammlung, wo er die neue Bewegung regelrecht als Erneuerungsbewegung feierte. „Der neuen Volkskraft, die sich in Arbeiter- und Soldatenräten gebildet habe, müsse man helfen mit aller Energie, ohne bürokratische Sinn" lautete seine Meinung.41 Im Rahmen seiner gesamtpolitischen Vorstellungen war Sinzheimer auch bemüht, den Gedanken der Räte in veränderter Gestalt in die Weimarer Verfassung zu integrieren, auf die er einen bedeu-
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Emil Lederer, Einige Gedanken zur Soziologie der Revolutionen, in: Der neue Geist - eine Schriftenreihe Band 10, Leipzig 1918. Bieber, Das Bürgertum in der Revolution, 1992, S. 54ff., der diese Erscheinung viel zu gering würdigt und nur diejenigen Bürgerräte, die sich als Streikbewegung gegen die Revolution betätigten als Repräsentanten des Bürgertums hervorhebt. Brandt/Rürup, Volksbewegung und demokratische Neuordnung, 1991, S. 102. Nach dem Heidelberger Tageblatt Nr. 264 und 270 vom 11. November 1918 und 18. November 1918; vgl. hierzu zuletzt Brandt/Rürup, Volksbewegung und demokratische Neuordnung, 1991, S. 103. Frankfurter Zeitung Nr. 311 vom 9. November Abendblatt, S. 1. Die Rolle Sinzheimers im Frankfurter Soldatenrat ist noch unerforscht und wird in den biographischen Arbeiten zu seiner Person stets nur am Rande behandelt. Das preußische Innenministerium bestätigte die Wahl des (sodann gemeinsamen) Arbeiter- und Soldatenrates am 8. November 1918: Kubo, Hugo Sinzheimer, 1995, S. 175. Bericht in der Frankfurter Zeitung Nr. 315 vom 13. November, 2. Morgenblatt S. 2.
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tenden Einfluß besaß. Erst als ihm klar wurde, daß die Gewerkschaften jegliche Beschneidung ihres Einflusses zugunsten von unkontrollierbaren Räten in den Betrieben ablehnten, denen Sinzheimer kurzzeitig auch politische Aufgaben übertragen wollte, konzentrierte sich Sinzheimer auf eine Integration und letztlich auch Domestizierung des Rätegedankens in Gestalt der Betriebsräte, denen er allerdings im Rahmen eines Konzeptes von sozialpolitischer Wirtschaftsdemokratie einen größeren Einfluß zutraute, als ihn diese dann tatsächlich inmitten der Wirtschaftskrise entfalten konnten. 42 Oft wird Max Webers Abneigung gegenüber den Räten und der Rätebewegung behauptet. Weber habe die örtliche Machtergreifung durch die Räte auf das schärfste mißbilligt, heißt es in der Forschung. 43 Doch die zum Beweis herbeigezogenen Briefe Webers im November 1918 differenzieren deutlich zwischen den Räten als einer allgemeinen Erscheinung und der Berliner und Münchener Räteregierung im besonderen, d. h. zwischen den Räten, die sich als Übergangsinstitution politischer Selbstregierung bis zur Bildung der Nationalversammlung verstanden und Versuchen, die Räte politisch einseitig zu instrumentalisieren und als Alternative zur parlamentarischen Demokratie fest zu installieren. Auf letztere konzentrierte Weber seine Kritik, er geißelte öffentlich insbesondere in den Wahlkampfreden die von den zentralen Räteorganisationen ausgehende bzw. von ihr zu verantwortende Mißwirtschaft und die Finanzverschwendung durch doppelte Bürokratie. Davon muß aber Webers Einstellung zu den Räten als einem politischen Phänomen der Übergangsordnung unterschieden werden: Weber war ja selber in den Heidelberger Arbeiter- und Soldatenrat gewählt worden und wußte hier ganz anderes zu berichten: „Echt und relativ erquickend sind nur die ganz4 schlichten Leute, auch die Revolutionäre, die Arbeiterführer oder dergleichen sind und wirklich arbeiten, wie das die sehr einfach gearteten Leute hier wirklich tun. Davor habe ich immer unbedingt Respekt". 44 Insgesamt befürchtete Weber politisch vor allen Dingen den Mißbrauch der Räte durch die Parteiorganisationen und deren Ideologisierung. Zwar sprach er von dem „blutigen Karneval", 45 aber dies war nicht auf die „Revolution" gemünzt, sondern auf die Ereignisse in der Münchener Räterepublik: dieser sei ein „Karneval" der Revolution, der - wie das Zitat fortsetzt „den ehrenvollen Namen einer Revolution nicht verdient". Seine Polemik beruhte auf der Sorge, daß Exzesse und Unüberlegtheiten gerade die revolutionäre Neugründung erheblich belasten und ihren Erfolg in Frage stellen könnte und auf der Gefahr, sie könnten den Aufbau der Demokratie „diskreditieren" und kontraintentional der „Reaktion" Vorschub leisten. Weber hatte sich immer aufgeschlossen gezeigt gegenüber Versuchen revolutionärer Neuordnung, die er im Gegensatz zu so vielen seiner linksliberalen Parteifreunde ehrlich begrüßte und sachlich-nüchtern und ohne alle Attitüde analysierte. Gerade er forderte zur politischen Selbstgestaltung auf und ermunterte zum Verzicht auf insbesondere liberal-bürgerliche Phrasen, zur Befreiung von
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Martiny, Integration oder Konfrontation?, 1976, S. 9Iff. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 319f., auf dessen Darstellung diese Behauptung sich stutzte und tradierte. Ende November 1918, zitiert bei Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 320, der deswegen schon davon sprach, daß Weber seine anfangliche Empörung modifiziert hatte. Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, 1988, S. 642.
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„Spießbürger"-Vorstellungen von Demokratie, 46 die er bereits im Weltkrieg als größtes Hemmnis bei der Überwindung des Obrigkeitsstaates angeprangert hatte. In Gestalt der Räte gewann der Gedanke der Demokratie eine weit über die Diskussion der Weltkriegszeit hinausreichende politische Eigendynamik, die nur aus dem Wunsch nach radikaler Neuorientierung in der „Traumzeit der Waffenstillstandsperiode", wie Troeltsch diese Phase bis zum Versailler Vertrag nannte, erklärbar wird und deren Darstellung hier nicht weiter erfolgen kann. Hugo Preuß schließlich wurde Staatssekretär des Innern. Obwohl im Ersten Weltkrieg jahrelang über Verfassungsreformen debattiert wurde und gerade die Sozialdemokratie vehement eine Modernisierung der Regierungsbildung forderte, lag von ihrer Seite kein Verfassungsentwurf vor, als sie im November 1918 die Macht übernahm und sie legte auch keinen Entwurf vor, als sie gegen die Spartakisten eine Nationalversammlung durchsetzen konnte, die ja nichts anderes als eine Verfassung geben sollte. Statt dessen ernannte sie Hugo Preuß zum Staatssekretär des Inneren und beauftragte ihn mit dem Entwurf einer Verfassung. Das Vertrauen der Sozialdemokratie zu Preuß beruhte auf dessen geradliniger Verfechtung des Demokratiegedankens während des Weltkrieges. Hugo Preuß hatte noch im Oktober 1918 davor gewarnt, daß der Wechsel der Institutionen noch nicht den Wechsel des für die neue politische Ordnung unabdingbaren politischen Denkens gewährleisten konnte. „Man kann Parlamentarier und Demokraten haufenweise zu Ministern und Staatssekretären machen, hat aber damit noch keinen Parlamentarismus und keine Demokratie. Daß die wider alles Erwarten zur Regierung gekommenen Parlamentarier nicht alle Wechsel werden honorieren können, die sie in der gesicherten Stellung lebenslänglicher Opposition gezogen haben, ist selbstverständlich und belastet nicht ihr Schuldkonto, sondern das des alten Systems". 47 Damit knüpfte Preuß an seine seit 1915 vertretene Argumentationslinie nahtlos an. Er betonte erneut das Vorbild von Steins Reformplänen, aber er sah auch deutlich den Widerstand des alten Geistes im neuen institutionellen Gewände, die „alten Fraktionsobrigkeiten" (S. 364). Wenn der Übergang vom „Obrigkeitsstaat zum Volksstaat" gelingen soll, so dürfe man nicht glauben, daß die jetzige Veränderung alleine ausreiche: für sich betrachtet stelle sie nur eine Improvisation dar, deren Lebensfähigkeit von anderen als institutionellen Faktoren abhängt. Preuß nahm an, daß es eines langen Lernprozesses bedurfte, um aus den im Obrigkeitsstaat groß gewordenen Politiker Demokraten zu machen, die die Probleme aller Selbstregierung verantwortlich zu meistern verstanden. Die Erforderiichkeit dieses Lernprozesses bestätigte sich für Weber angesichts eines Vorfalls Mitte Oktober 1918, der ihn in helle Aufregung versetzte. In einer Nachwahl zum Reichstag im 2. Berliner Wahlbezirk war bei der Kandidatenaufstellung der Fortschrittlichen Bernhard Dernburg durchgefallen zugunsten Max Kempners. Den Unterschied beider Kandidaten skizzierte Weber mit dem Wort „politisch" und „ministeria-
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Alles aus einem Brief an Ludo Moritz Hartmann vom 3. Januar 1919, bei Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 322f. vollständig wiedergegeben. Hugo Preuß, Die improvisierung des Parlamentarismus, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 549, Abendausgabe vom 26. Oktober 1918, S. lf., zitiert nach: ders., Staat, Recht und Freiheit, 1926, S. 361-364, S. 363.
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bei". Er kritisierte die Parteiführung und diejenige der Linksbürgerlichen stellvertretend für alle übrigen bürgerlichen Parteien, für ihre Unfähigkeit, die seiner Ansicht nach klaren Anforderungen an das Profil eines Parlamentspolitikers zu erkennen, der in der Lage sein mußte, auch Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er selber bezeichnete sich dabei als Sprachrohr der „Radikalen", womit er diejenigen meinte, die bereit waren, sich auf die Anforderungen und Zumutungen politischer Selbstregierung einzulassen im Gegensatz zu denjenigen, die noch in der Logik des ancien regime einen aus sich selbst heraus existenzfähigen Staat nur kontrollieren zu müssen glaubten.48 Ähnliche Bedenken wie Weber äußerte der Leitartikler der Frankfurter Zeitung zur Wahlabsprache der Hauptvorstände der Fortschrittlichen Volkspartei und der Nationalliberalen: „Wer glaubt denn im Ernst, daß die heutigen Hauptvorstände [dieser Parteien] einen wahrhaft demokratischen Volkskörper schaffen und zu wahrhaft demokratischen Zielen führen können?" Das sei nur möglich, wenn sie sich von Kopf bis zu den Füßen erneuen. „Aber daß die nationalliberale Partei in einer ganz rein und rücksichtslos demokratischen Gemeinschaft aufgehen soll, das kann für den ersten Augenblick wenigstens nur Kopfschütteln erregen. Können Menschen, können alte, gewiegte Berufspolitiker so schnell und so gründlich umdenken?"49 Vor Abfassung des ersten Verfassungsentwurfes wuchs bereits das Mißtrauen, ob die im Kaiserreich politisch sozialisierten Parteipolitiker der ihnen zufallenden Rolle gerecht werden konnten. Die zögerliche und unentschlossene Haltung der Reichspolitiker bestärkte bei den Anhängern einer offensiven Demokratisierung nur den Verdacht, daß nicht nur von der Reaktion oder von den Radikalen Gefahren für die neue Ordnung drohten, sondern auch von ihren vermeindlichen Befürwortern, den Parteipolitikern. Gerade Max Weber oder Hugo Preuß wurden sich immer unklarer darüber, ob die existierenden politischen Parteien überhaupt mental in der Lage waren, den politischen Anforderungen der neuen Demokratie zu genügen. Vergleichbar zu der Warnung von Hugo Preuß vor dem verkehrten Obrigkeitsstaates statt des echten Volksstaates äußerte Weber, daß Fragen rein staatstechnischer Art, also insbesondere die Frage der künftigen Regierungsbildung, nur nachrangig seien. Entscheidender sei die Frage, „ob das Bürgertum in seinen Massen einen neuen verantwortungsbereiteren und selbstbewußteren politischen Geist anziehen wird. Bisher herrschte seit Jahrzehnten der Geist der ,Sekurität': der Geborgenheit im obrigkeitlichen Schutz, der ängstlichen Sorge vor jeder Kühnheit der Neuerung, kurz: der feige Wille zur Ohnmacht."50 Hugo Preuß und Max Weber sahen sich in ihrer im Weltkrieg geübten und von Zäsur zu Zäsur gesteigerten Kritik am mangelnden politischen Bewußtsein der Parteien in Deutschland auch nach dem Krieg bestätigt. Wenn aber die politischen Parteien sich aufgrund ihrer im Obrigkeitsstaat erworbenen mentalen Disposition außerstande zeigten, das Herz der neuen parlamentarischen Demokratie bilden zu können, sah sich Max Weber veranlaßt, nach einem anderen
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Max Weber, Deutschlands künftige Staatsform, GPS 455 Hinweis bei MWG 1/16, S. 109. Frankfurter Zeitung Nr. 318, Abendblatt vom 16. November 1918. Zu der allmählichen Ausschaltung der Linken aus der Führung der D D P vgl. auch Albertin, Liberalismus und Demokratie, 1972, S. 78.
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Max Weber, Deutschlands
künftige Staatsform,
MWG 1/16, S. 106f.
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Herzstück in der politischen Ordnung Ausschau zu halten. Max Webers bekanntes Plädoyer für den plebiszitären Reichspräsidenten beruhte neben den sachlichen Erwägungen, daß die absehbare Krise des Reiches angesichts separatistischer, revolutionärer und reaktionärer Bewegungen zumindest einer einheitlichen exekutiven Spitze bedurfte, auch auf Erfahrungen, die er bereits im Weltkrieg gemacht und zum Ausgangspunkt seiner theoretischen Überlegungen erhoben hatte. Es sei erinnert, daß Max Weber fast der einzige Autor war, der nach der Julikrise 1917 an Sinn und Zweck der politischen Parteien festgehalten hatte. Erst als er mit ansehen mußte, daß die politischen Parteien sich weiterhin als unfähig erwiesen, die ihnen zugedachte Rolle auszuüben, erklärte Weber den Reichspräsidenten als einzig verbleibenden institutionellen Ort der politischen Führung. Nur der aufgrund der plebiszitären Wahl sich wenigstens teilweise vom Einfluß der Parteien lösende Reichspräsident war für Weber im Augenblick das „Palladium der Demokratie". „Früher, im Obrigkeitsstaat, mußte man für die Steigerung der Macht der Parlamentsmehrheit eintreten, damit endlich die Bedeutung und das Niveau des Parlaments gehoben würde. Heute ist die Lage die, daß alle Verfassungsentwürfe einem geradezu blinden Köhlerglauben an die Unfehlbarkeit und Allmacht der Mehrheit - nicht etwa des Volkes, sondern der Parlamentarier - verfallen sind: das entgegengesetzte, ganz ebenso undemokratische Extrem". 51 Die anstehenden schweren Aufgaben der jungen Demokratie: die Bewältigung der Niederlage, die prekäre außenpolitische Lage, die Umstrukturierung der Kriegswirtschaft, vielleicht ihre Sozialisierung waren für Weber letztlich nur Hilfsargumente, um die Notwendigkeit einer echten politischen Führung aufzuzeigen. Aus der Anlage seiner Argumentation mußte die Lösung dieser Probleme keineswegs zwingend nur in einer plebiszitär gewählten exekutiven Spitze gesucht werden. Aber unter den gegebenen Umständen traute Weber im Augenblick nur einem weitestgehend vom Parlament unabhängigen Reichspräsidenten zu, den Ort politischer Führung auszufüllen. Der Widerstand der Rechten in der Nationalversammlung gegen die parlamentarische Demokratie überraschte Hugo Preuß nicht, aber die Beobachtung, daß selbst die gerade mit der Regierung beauftragten Sozialdemokraten die Institution der Regierung weiterhin als den Ort verstanden, den es mißtrauisch zu kontrollieren galt, und zwar in jeder seiner Maßnahmen, verblüffte ihn. Im Verfassungsausschuß äußerte Preuß einmal: „Man beobachtet...wie wesensfremd den Anschauungen unseres Volkes auch in seinen fortschrittlichsten politischen Richtungen eigentlich das parlamentarische System erscheint ... Überall begegnet man dem Mißtrauen, und die Herren kommen vielfach nicht von der Scheu vor der Obrigkeitsregierung los. Sie begreifen nicht, daß die Regierung Blut von ihrem Blute und Fleisch von ihrem Fleische sein muß, daß ihre Vertrauensleute darin sitzen müssen". 52 Rückblickend auf die Zeit der ersten Legislaturperiode des Reichstages bemerkte Hugo Preuß 1924 mit aller Deutlichkeit, daß „das Ansehen der Regierungsgewalt und der parlamentarischen Demokratie" tief gesunken sei, weil das Parlament „zur Erfüllung seiner wesentlichen Funktionen: eine starke und dauerhafte,
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Max Weber, Der Reichspräsident, Februar 1919, in: GPS 4 9 8 - 5 0 1 , S. 500. Hugo Preuß im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung in Weimar am 8. April 1919.
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regierungsfähige Mehrheit zu bilden" 53 unfähig ist. Auf der anderen Seite machte sich seiner Darstellung zufolge weiterhin bemerkbar, was bereits im Kaiserreich vorgeprägt gewesen war und sich im Parteienwesen bis in die Republik fortschleppte. Man „kann das politische Wesen einer regierungsfähigen Opposition überhaupt nicht begreifen" (52). „Die berufsmäßigen Oppositionsparteien der Rechten und äußersten Linken sind nicht regierungsfähig, weil sie nicht zur jeweiligen Regierung, sondern zur bestehenden Staatsordnung in Opposition stehen", und die Parteien der Mitte sind zu schwach, um eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden. Daher kann es nicht zum vernünftigen Wechsel der Regierungen im Sinne des parlamentarischen Regierungssystems kommen und an die Stelle sachlicher Auseinandersetzung tritt das leidlich beobachtbare Intrigen- und Kombinationsspiel (52f.). Damit aber war für Preuß die Grundlage des Parlamentarismus in Frage gestellt. Preuß hatte in seinen Verfassungsentwürfen von 1919 die Regierung als bewegliches Glied zwischen Reichspräsident und Reichstag verstanden. Meinecke warf ihm schon frühzeitig vor, damit zwei verschiedene Prinzipien der Regierungsbildung vermischt zu haben. 54 Preuß aber wollte die Regierungsbildung vor zwei Gefahren schützen, die er auf das politische System in Deutschland zukommen sah: die Vertrauensabhängigkeit der Regierung vom Parlament sollte die Macht des Präsidenten in Schranken halten, 55 aber der Präsident hatte zugleich die Aufgabe, die Regierungsbildung zu erleichtern und bedurfte hierzu einer gewissen Unabhängigkeit vom Parlament. Daher sollten verschiedene Kombinationen möglich und dadurch keine übergewichtig werden. Eines besonderen Einflusses von Überlegungen von Robert Redslob über „echten" und „unechten" Parlamentarismus bedurfte es nicht, denn die diesen Überlegungen zugrunde liegende Problematik hatte Preuß bereits im Laufe des Weltkrieges beschäftigt. 56 Die Rolle des Präsidenten weit stärker einschränkend als dies Weber gewünscht hatte, war Preuß von der plebiszitären Wahl des Reichspräsidenten aus anderen Gründen überzeugt, als sie Weber vertrat, da er den Präsidenten im Spiel der Balance eingebettet sah.57 Der Möglichkeit der Absetzung des Präsidenten durch das Parlament kompensierte Preuß mit dessen
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Hugo Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar, Berlin 1924, S. 81. Friedrich Meinecke, Bemerkungen zum Entwurf der Reichsverfassung, in: Deutsche Politik 4. Jahrgang vom 31. Januar und 7. Februar 1919, zitiert nach dem Abdruck in: ders., Politische Schriften, 1958, S. 2 9 9 - 3 1 2 , S. 309.
55
Hugo Preuß, Denkschrift zum Entwurf des allgemeinen Teils der Reichsverfassung vom 3. Januar 1919, in: ders., Staat, Recht und Freiheit, aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, übergeben von Else Preuß, Tübingen 1926, S. 387.
56
Robert Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form eine vergleichende Studie über die Verfassung von England, Belgien, Ungarn, Schweden und Frankreich, Tübingen 1918. Diese Arbeit erschien am Ende des Kriegs und nahm auf die Demokratiedebatte während des Krieges keinen Einfluß. Redslob beeinflußte weder Preuß noch Weber, sondern bestärkte nur deren weitaus grundsätzlicheren und keineswegs doktrinär argumentierenden Vorbehalte bezüglich der Geeignetheit des politischen Personals für eine rein parlamentarische Demokratie.
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Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, tatur und Demokratie, 1963, Bd. 1, S. 125f.
1974, S. 376, Anm. 60; Schulz, Zwischen
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Möglichkeit des Verweises auf Neuwahlen bzw. auf ein Referendum. Für Preuß kamen dabei weniger plebiszitäre Vorlieben zum Tragen, die man auch bei Redslob kaum finden konnte, als Überlegungen, die an Redslobs Balancetheorie anknüpften.5® Der dabei leitende Gedanke kam darin zum Ausdruck, daß als ausbalancierende Schwerkraft der Gewalten die Wahlen durch die Bürgerschaft angesehen wurde. Diese Idee hatte auch Redslob 1918 geleitet39 und genau an diesem Punkt konstatierte auch der alte Gegner von Preuß, Wilhelm Hasbach, daß sowohl die Ideen von Redslob wie das von Preuß intendierte Regierungssystem einen primär demokratischen Charakter trugen.60 Hasbach machte das aber Preuß zum Vorwurf. Ihm wie zahllosen anderen konservativen, aber auch vielen liberalen Autoren wäre eine weit mehr vom Parlament unabhängige Rolle des Reichspräsidenten lieber gewesen. Die alte Kontroverse über die angeblichen Fehler der Verfassungsväter bei der Installierung des Reichspräsidenten kann hier aber vernachlässigt werden.61 Aufschlußreich ist eher die in Webers und Preuß' Überlegungen zum Ausdruck gelangende Hoffnung, daß der gegenwärtigen politischen Urteilskraft der Bevölkerung mehr zugetraut wurde als derjenigen der parteipolitischen Eliten. Mochte diese Hoffnung vielleicht auch geradezu idealistisch anmuten, so war das Mißtrauen in die politische Führungskraft der etablierten Parteipolitiker das Ergebnis der im Weltkrieg geführten Debatten. Aus der Sicht der Verfassungsväter war die Weimarer Reichsverfassung aus der Verfassungskrise des Kaiserreichs im Weltkrieg erwachsen62 und sollte anhand des Demokratiegedankens eine neue integrative Ausrichtung erhalten. Gewiß hatte sich Preuß über die Stärke des Reichstages, den er als gleichrangigen Spieler angenommen hatte, getäuscht. Die permanente Verweigerung des Reichstages, die politische Verantwortung zu übernehmen und die Akzeptanz der Regierungspraxis, in Gestalt von Notverordnungen des Reichspräsidenten legislative Kompetenzen auszufüllen, und dies mit Zustimmung republiktreuer Parteien, mußte Hugo Preuß nicht mehr erleben. Es gehört zu den bezeichnenden Umständen des Umschwungs des Meinungsklimas der Republik, daß ausgerechnet Carl Schmitt den Lehrstuhl von Hugo Preuß an der Deutschen Hochschule für Politik übernahm. Diese Hochschule war von Friedrich Naumann 1919 gegründet worden, um das Defizit an politischen Bewußtsein der im Obrigkeitsstaat groß gewordenen Bevölkerung auszugleichen. Nun trat an die Stelle eines Denkers, dem es letztlich um die politische Selbstregierung des Volkes gegangen war, ein Autor, dem die Erhaltung der autoritären Staatlichkeit so weit zur zentralen 58
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Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1974, S. 372-377, der dafür bei Weber das Vorwalten plebiszitärer Neigungen bei seiner Befürwortung des Reichspräsidenten am Werke sah. Vgl. Stronk, Gleichgewicht und Volkssouveränität, 1976. Wilhelm Hasbach, Rezension von Redsobs „parlamentarische Regierung", in: Schmollers Jahrbuch 43 (1919), S. 1167-1173. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 1990, S. 196ff. warf Hugo Preuß vor, durch die Übernahme von Redslobs „falschen" Vorstellungen von Parlamentarismus einem wiederum falschen Bild von Demokratie erlegen zu sein. Vgl. die ähnlichen Vorwürfe bei Schönberger, Parlament im Anstaltsstaat, 1997, S. 384-404. Hierzu zuletzt Gusy, Weimarer Reichsverfassung, 1997, lf. und Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 3, 1999.
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Überzeugung wurde, daß er bereit war, den Demokratiegedanken in unmittelbare Nähe zur faschistischen Diktatur zu bringen und damit alle seine Inhalte preiszugeben, die die Verfechter des Demokratiegedankens im Weltkrieg mit ihm verbunden hatten. Der Erfolg dieser intentional antidemokratischen Argumentation, die sich virtuos prima facie demokratischen Überlegungen zu bedienen vermochte, ergab sich vor dem Hintergrund von Ereignissen, die der nach 1919 anhebenden Demokratiedebatte der Weimarer Republik eine ganz eigenständige Struktur gaben, von der latenten Bürgerkriegsdrohung bis zur Verschiebung der politischen Kernprobleme in den Bereich der Wirtschaftspolitik. Max Weber starb 1920, Friedrich Naumann bereits 1919. Die vielleicht bedeutendsten deutschen Parlamentarier, Stresemann, Erzberger und Ebert, starben früh, sie wurden entweder ermordet oder erschöpften sich im zähen Ringen um die Geltung der republikanischen Institutionen. Die Aufbruchsstimmung wich nach dem Versailler Friedensvertrag der Depression oder dem Revanche-Begehren. Die erste Inflation erschütterte das soziale Fundament des Bürgertums. Die „heimkehrenden Krieger" erblickten in der Republik nur zu geringen Teilen eine neue politische Heimat. Mit welchen theoretischen Mitteln die Demokraten der Anfangszeit diesen neuen Herausforderungen begegnet wären, ist Gegenstand der Spekulation. Ihre Beharrlichkeit und Lernfähigkeit jedoch hatten sie im Weltkrieg unter Beweis gestellt.
Fazit
Die während des Ersten Weltkrieges geführte Debatte um Inhalt und Sinn des Demokratiegedankens war intensiv und polemisch zugleich. Sie zeigt, gegen welche Widerstände das demokratische Argument seine Plausibilität durchsetzen und behaupten mußte. Oft mußten die reformwilligen Autoren sich erst selbst gegen die auch bei ihnen vorhandenen Vorbehalte und Vorurteile für das demokratische Argument öffnen und das unter widrigsten Umständen, gegen Vorwürfe des Defätismus und des Mangels „vaterländischer Gesinnung", gegen eine demagogisch verblendete öffentliche Meinung und gegen Positionen, die handfeste soziale und politische Privilegien schützen wollten. Ihr Sieg kam zu spät. Die Befreiung vom Obrigkeitsstaat und die Durchsetzung des demokratischen Gedankens erfolgte unter den Bedingungen von Niederlage und bald einsetzender wirtschaftlicher Zerrüttung auf der einen Seite und einer gefährlichen Überspannung des Demokratiegedankens auf der anderen Seite. Von sozialistischer Seite etablierten sich zahlreiche Autoren, die auf alle bürgerlichen Gehalte der Demokratie verzichten wollten, und dies nicht zuletzt mit Blick auf die im Weltkrieg gezeigte geringe Reformwilligkeit des Bürgertums. Der Weltkrieg bot als Erfahrungsraum der „Volksgemeinschaft" aber auch den Hintergrund, um den Demokratiegedanken auf eine völkisch motivierte, gänzlich unpolitische und auf alle aufklärerische Traditionen verzichtende Linie zu verengen. Diese Entwicklung wurde von den Vertretern des demokratischen Arguments im Weltkrieg nicht verursacht und sie darf auch nicht zum Maßstab der demokratischen Argumentation im Weltkrieg erhoben werden. Sie zeigt nur, wie schwer es fiel, zwischen Skylla und Charybdis das Modell einer parteipolitischen Demokratie zu vertreten. Die Demokratiedebatte im Ersten Weltkrieg zeigt darüber hinaus, wie sehr eine politische Argumentation, die in einem praktischen Gesprächsfeld Stellung nehmen und intervenieren möchte, aus dem polemischen Gebrauch der Argumente lebt und auf diese Umstände der Argumentation Rücksicht nimmt. Sie muß das auch, wenn sie nicht an ihrem Publikum, an den mit theoretischen Mitteln zu beratenden Akteuren und der Öffentlichkeit vorbeireden will, sondern handlungsorientierende Vorgaben für die politische Meinungs- und Willensbildung geben möchte. Aber auch wenn man aus methodischen Überlegungen nicht bereit ist, den Vorrang der politischen Rhetorik, der beratenden Betrachtung eines Gegenstandes, über den es kein Wissen geben kann, zu akzeptieren, kann die hier dargestellte Debatte zeigen, wie leicht der vielschichtige Begriff der Demokratie durch eine Gegenüberstellung verschiedener seiner Bedeutungsebenen ausgehebelt wer-
Fazit
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den kann. Wenn die Demokratie nicht einfach selbstverständlich als leitender integrativer Begriff im Hintergrund der Diskussion steht und hierfür auch überwiegende Zustimmung findet, geraten einzelne ihrer Aspekte leicht in einen argumentativen Zugzwang. Diese systematischen Schwierigkeiten des Demokratiegedankens, die aus der Unklarheit des Verhältnisses bzw. des Vorrangs seiner normativen, institutionellen und integrativen Komponenten zueinander resultieren, können durch eine immunisierende Dogmatisierung vermieden werden. Man kann ein Meinungsklima anstreben, das jede Argumentation, die sich dem Verdacht aussetzt, nicht-demokratische Absichten zu verfolgen, in das Gesinnungsabseits stellt. Das kann gelingen und damit politische Debatten entlasten, aber es ist keine Garantie für Beständigkeit. Gute Gründe müssen sich weniger in Zeiten einer routinisierten Demokratie durchsetzen, sondern in Krisenzeiten, wenn die Intensität des auf der Debatte lastenden Problemdrucks Plausibilitäten schwinden läßt, auf die man unter gewöhnlichen Umständen wie selbstverständlich glaubte, vertrauen zu dürfen. Die Demokratie ist nicht das selbstverständliche Telos der Menschheitsgeschichte, sie ist deren anspruchsvollstes Unterfangen, zu dessen Durchsetzung und Bewahrung man sich auch dadurch schulen kann, daß man die Schwierigkeiten antizipiert, deren der Demokratiegedanke in krisenhaften Zeiten ausgesetzt sein kann. Die Demokraten der Gründungszeit der Weimarer Republik konnten auf ein solches Dogma nicht zurückgreifen, sie mußten vielmehr bestehende, dem Demokratiegedanken keineswegs aufgeschlossene Dogmen argumentativ niederringen und diese Problematik muß bei der Bewertung ihrer Demokratievorstellungen berücksichtigt werden, will man ein ideengeschichtlich angemessenes Urteil fallen. Insofern gehört ihr Beitrag zur Ausbreitung und Festigung des Gedankens der Demokratie in Deutschland nicht zu geringsten Leistungen und verdiente in der Forschung mindestens die gleiche Aufmerksamkeit, die seit Jahrzehnten den Antidemokraten geschenkt wird. Das Ungleichgewicht der Aufmerksamkeit gehört zu den Resultaten des gebrochenen Verhältnisses zur eigenen Tradition, einer Tradition, die die hier behandelten Autoren als demokratische überhaupt erst neu begründen wollten, die sie im Laufe weiterer Erfahrung mit der praktizierten Demokratie gewiß weiterentwickelt hätten, die zu etablieren und zu festigen mangels geeigneter Rahmenbedingungen ihnen aber nicht vergönnt war.
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Register
Register
Personenregister Adler, Max
147, 278f.
Anschütz, Gerhard
62-
64, 85, 88f., 100, 186, 195, 212f„ 240, 309 Baden, Prinz Max von
305-8
Barker, Ernest
26, 11 Of.
Bauer, Wilhelm
123f.
Baumgarten, Otto
141 ff., 153
Belloc, Hillary
108
Below, Georg von75f„ 92, 100f„ 134, 143, 244 25ff., 39f„ 49
Bernstein, Eduard 46ff., 52, 56, 123, 181, 194,277-282, 285, 292,312 Bethmann-Hollweg, Theobald von
39-45,
74, 86, 116, 133f., 138f„ 152, 156-164, 192, 195, 201-204, 219f., 239,267, 283 Bredt, Johann Victor
155f.
Brentano, Lujo
Cunow, Heinrich
196, 206, 316
Dicey, Albert Vernon
87, 126, 128
Duguit, Léon Ebert, Friedrich
114 195, 199f„ 284, 306f., 321
Erzberger, Matthias
190,
200f., 204, 207ff„ 215, 238, 306, 311, 321 George, Lloyd
107, 124, 188, 253, 267
Gerlach, Hellmuth von Gierke, Otto von
212 109-113, 124,130 50, 53, 282f.. 285ff., 291
David, Eduard 48, 126, 164, 202, 278, 283, 287
44f.,
Delbrück, Hans 30f„ 41, 89-96, 128, 135f„ 140-144, 147f., 152-158, 164-169, 172, 189, 200, 205, 211, 225f„ 267, 305f., 312
158f„ 313
26f., 68ff., 266f„ 270, 273
Goetz, Walter
Bernhardt, Friedrich von
Bryce, James
Dernburg, Bernhard
142,210
Gothein, Georg
115, 200,216
Grabowsky, Adolf
155-157, 221
Gradnauer, Georg
286f„ 295
Haenisch, Konrad
50, 53, 286
Hahn, Kurt
305
Harnack, Adolf von
27,
116, 136, 141, 165, 220 Härtung, Fritz Hasbach; Wilhelm
155 96f„
125Í, 130ff., 209, 225, 320 Hatschek, Julius
87
Haußmann, Conrad
141,
186, 196, 200-203, 21 Of., 240, 276, 305 Heine, Wolfgang Hertling, Georg Graf von
211, 286ff„ 306 192, 206f., 209
363
Register
Heuß, Theodor
115,210
Hintze, Otto
23, 141 f.
Hobson, John Atkinson
76, 111, 129
Jellinek, Georg
43,
Jung, Edgar Julius
244 68, 85, 95, 126, 212-216
Kautsky, Karl
43-48, 123,
35, 128, 138, 277
Kolb, Walter
51,284, 288
Lasswell, Harold
127
Lederer, Emil
56ff„ 65, 313
Lensch, Paul
43, 50-60, 285, 295
Lippmann, Walter
127
Low, Sidney
108ff„ 128f„ 286
Lowell, Abbot Lawrence
108ff.,
Lukács, Georg von
183
Luxemburg, Rosa 52, 56ff„ 123, 292,298-303
48f.,
Meinecke, Friedrich
62f.,
Michaelis, Georg
192,
204ff., 227, 233, 239, 283 90, 107, 122, 127f„ 179ff.
Mill, John Stuart
72, 104, 108f„ 117
Mohl, Robert von
75
Möndl, K.J
209f., 215 45, 53, 82,115, 182f.,
196f„ 200, 231-237, 243, 264, 307, 320f. Oncken, Hermann
62f., 99, 122, 147, 178
Ostrogorski, Moisei Payer, Friedrich von
107, 128 186,
Piloty, Robert von
65, 93
Rade, Martin
221,311
Rathenau, Walther
28,
30-33, 59, 172-179, 213, 230f„ 259
Riezler, Kurt
223, 264, 319f. 30,42, 134, 160f„ 165, 190,
02, 308 Ritter, Gerhard
130, 158
Roscher, Wilhelm
76
Saenger, Samuel
261
Schäfer, Dietrich
133f„ 153, 220, 244f.
Scheler, Max
23, 175
Schmitt, Carl
37f„ 82, 90, 322 65f.,
91 f., 97-100, 126ff„ 151, 175 Schnabel, Franz
Sinzheimer, Hugo
77, 97 265-268, 275, 312 265, 268-276, 312-315
Smend, Rudolf
262
Sombart, Werner
22,277
Spahn, Martin
209,211,225
Steffen, Gustav
126, 129, 209
Stresemann, Gustav 194f„ 202, 207, 2 2 3 , 2 3 9 , 3 1 2
133f.,
Thimme, Friedrich 60-63, 82, 119, 144, 148ff„ 154-157, 165-169, 198,211,306, 309 Tocqueville, Alexis de
72, 110, 113, 117
Tönnies, Ferdinand 61 f., 118-128, 209,214, 264, 285f.
57,
Troeltsch, Ernst
23,
35ff„ 60, 101, 116ff., 135, 142, 146, 148,
190, 200, 203-206,211 Peus, Heinrich
284, 288-291
Schücking, Walther
76, 82, 116ff„ 135-140, 144-152, 164-167, 169, 206, 211, 221, 304f„ 307f„ 319
Naumann, Friedrich
Quessel, Ludwig
Schmoller, Gustav von
127f„ 181,286
Michels, Robert
168-179, 184, 193, 214, 226-229, 234f„ 241, 249f., 259, 263, 286ff„ 316-320
Redslob, Robert
277ff„ 283, 285, 291-294, 297-300, 312 Kjéllen, Rudolf
59,
Radbruch, Gustav
76, 86f„ 129, 182,213, 274
Kaufmann, Erich
34-37, 117, 128, 242, 277
Preuß, Hugo
68-72, 78-85, 88-92, 99-102, 128-132, 135,
93-95, 116, 144, 147, 151, 176-179 Hobohm, Martin
Plenge, Johann
289 237ff., 259
190, 221 f., 242, 276, 304, 312, 316 Weber, Alfred
64-67, 119, 305, 311
364
Register
Weber, Max 76, 80, 113, 119, 129-131, 168, 171, 173f„ 179-191, 193ff., 210-214, 219, 235-263, 284-290, 312-320 Wilson, Woodrow llOf., 114ff.,214, 267
105-107,
184-187, 246f., 252-261, 267, 290, 294 „Demokratie, deutsche" (nicht-rationale, nichtindividualististische, germanische, organische usf) 150, 185
36, 56, 63, 83, 101, 147,
Demokratie und Liberalismus
Wolff, Theodor 100, 141, 163, 201-204, 287,311
59,
66,
75ff., 79ff„ 97f. Demokratie,
als
soziale
Selbstbestimmung 269-275
Demokratie, institutionelle 16f., 71, 78ff„ 84, 90, 132, 186ff„ 218f„ 228ff., 238ff„ 250ff., 274, 286, 301 f.
Sachregister
Demokratie, integrative
16f.,
236, 264ff„ 278, 280ff„ 298, 309 Alldeutscher Verein
21, 115, 133-
143, 15 Off., 157, 160f„ 172, 175, 184ff„ 200,218-221,244-247
Argumentation,
A.Strategie der 143-154,164-169
Gemeinplätze
Ideen von Ideen von
64, 282
Demokratie, nationale
Argumentation, antidemokratische A.Strategie 119-132, 136, 218f. Argumentation, defensive Demokratisierung
Demokratie, monarchische
(Topoi)
vgl.
1789, Ideen von
45, 50, 63, 280f.
Demokratie, normative
16f., 180f.
Demokratie, parlamentarische
130ff.,
209f„ 285ff„ 298ff„ 316ff. Demokratie, präsidiale
319ff.
Demokratie, sozial-ökonomische 51,54, 56, 179ff., 183,279
32,
1918, Überparteilichkeit, Seeley-Theorem,
Demokratie, westliche 64, 67, 103f„ 107-118, 121, 125, 277, 283, 286
Herrenvolk, Vertrauensdiktatur, Volksstaat/
Diktatur
1807/1813, Ideen von 1914, Ideen von
Argumentation,
32, 38f„
48, 78, 109, 113, 135, 138ff„ 173, 227,
Obrigkeitsstaat offensive
Demokratisierung
A.Strategie
der
168-191, 237-263
229, 258, 293, 296-302, 305ff„ 314, 321 Dreiklassenwahlrecht
44f.,
62ff„ 72ff., 78, 84, 99, 119f., 148f., 305f.
Aristokratie 66, 78f., 109, 119, 149ff„ 179, 246, 257, 285, 305
Föderalismus
Beamtenregierung
26, 39, 56, 6 5 f f ,
Frauenwahlrecht
195, 218, 296
89, 9Iff., 96ff„ 126, 130ff„ 136f„ 141, 164, 168, 189, 214ff„ 246ff„ 256ff„ 291
Gelehrtenpolitik
27, 174, 221
Berufsständische Vertretung 216, 224ff., 248ff., 259, 274
76,
Bismarck-Bild 26f., 62, 75ff„ 80ff„ 98f„ 153ff, 157-160, 168, 186-189, 215ff„ 224, 254, 288 Cäsarismus
75f., 91, 119, 128, 253f„ 257f.
Demagogie
39, 63, 67, 102, 110, 119, 121,
125f„ 132-143, 150, 161, 164ff„ 170ff„
36, 72, 95, 212, 215
Genossenschaftsdenken
57,
68-71,216, 263-267, 27Iff. Herrenvolk Ideen von 1789 Ideen von 1807/1813 Ideen von 1914
190, 242-246 35f., 277f. 143-148, 170, 277f. 22, 28,33-37,
8Iff., 118, 146, 216, 242ff„ 252, 277f„ 312 Ideen von 1918
313
365
Register
Masse und Massendemokratie
67,
75,90, 99, 108, 113, 118, 122f., 126f„ 132, 148f., 179ff„ 214, 252ff., 272, 299, 301 Massenpsychologie
122f., 127
Militarismus
22,
25f., 43, 4 6 , 6 6 , 106f„ 111, 124, 146, 233 Ministerverantwortlichkeit
85-
88,124, 228, 235 2Iff.,
25ff., 31, 39, 82ff„ 8 8 f f , 102ff„ 109, 119144, 170ff., 180ff., 214ff„ 220ff„ 230, 251 f., 259-263, 276, 284, 301f., 309f. Oligarchie 79, 89, 107110, 119, 121, 125f., 131f„ 174, 209, 284f. parlamentarische Regierung
167f., 186,189
Parlamentarismus, in Deutschland
44,
64-67, 72, 76, 79, 82, 87-94, 99, 130ff„ 150, 156, 162, 166, 172ff„ 182f„ 190-216, 226ff., 314-318 Parlamentarismus, in England
73,
86, 108, 112f., 120,131, 222f. Parlamentarismus, in Frankreich... 113f., 222f. 89, 126, 13lf., 215
Patriotismus
22-28,
40ff„ 45, 49f„ 54, 80, 100, 115, 135, 140ff„ 148, 183f., 241-245, 259, 278-281 Plutokratie
128,175, 209, 286, 290, 312
Politische Parteien
55, 65, 88,
90-99, 102, 107f., 115, 120, 125f., 154f„ 182-187, 191-201, 205-208, 21 lf., 215226, 231 f., 236-240, 247-250, 258-262, 273f., 283f., 297f„ 310, 314f„ 317-320 Politische Sammlungsbewegungen
216-221
Politische und sachlogische Denkweise 32, 35, 51, 69, 80, 87f„ 141, 173, 179, 249, 287, 290 politische Verantwortung
26,
55, 81-88, 92, 102, 138-143, 171-178, 187191, 196f., 200-205, 217f„ 221, 231, 234240, 244, 248, 252-263, 278f., 288-291, 296, 305f., 312, 316f., 320 popular government
70, 85, 105, 107
313-316
Regierung, konstitutionelle
131 f.,
150, 182, 196f„ 201 f., 206, 211, 231 f., 23 8f., 289 Selbstregierung
54,
67, 70, 79, 83, 94, 93, 229, 234, 289, 320 Seeley-Theorem Staatsgedanke
Öffentliche Meinung
Parteiregierung
Rätedemokratie
176ff. 159, 214ff., 233, 275f.
Tory-Konservative
112, 154ff., 164
Überparteilichkeit
34,
65, 88f„ 102, 93-96, 125, 132, 136ff„ 175, 215f.,219ff„ 249, 257, 259 Verhältniswahlrecht
198f.
Vertrauensdiktatur
138ff.
Volksstaat/ Obrigkeitsstaat
64 u. passim
Volkswille
92,
108, 170ff„ 181,251,275, 284ff. Volksgemeinschaft
15, 81 f., 229, 235, 322
Wahlrecht, berufsständisches
225
Wahlrecht, demokratisches bzw. gleiches....54, 72-78, 89ff., 95, 104, 107, 112f„ 116, 125, 130, 148ff., 153-156, 163, 166, 186, 197, 207, 250, 257, 275, 287, 294f„ 301, 310 Wahlrecht, plurales
64,
74, 89, 148, 151, 165f„ 179, 187, 207, 210, 216, 224ff„ 275