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German Pages 340 Year 2017
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 41
Die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision – eine unzulässige Beschneidung kindlicher Rechte? Rechtliche Analyse des § 1631d BGB unter Bezugnahme des deutschen Verfassungsrechts und des internationalen Rechts
Von Yvonne Christina Schmid
Duncker & Humblot · Berlin
YVONNE CHRISTINA SCHMID
Die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision – eine unzulässige Beschneidung kindlicher Rechte?
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 41 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.
Die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision – eine unzulässige Beschneidung kindlicher Rechte? Rechtliche Analyse des § 1631d BGB unter Bezugnahme des deutschen Verfassungsrechts und des internationalen Rechts
Von Yvonne Christina Schmid
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen..
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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Fotosatz Voigt, Berlin Druck: CPI buch.bücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-15002-1 (Print) ISBN 978-3-428-55002-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85002-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Februar 2016 umfassend, danach nur vereinzelt berücksichtigt werden. Herzlich danken möchte ich allen voran Herrn Prof. Dr. Mario Martini, der mich während der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt und gefördert hat und jederzeit für Fragen sowie Diskussionen zur Verfügung stand. Die Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl war ausgesprochen lehr- und abwechslungsreich, seine erste Doktorandin zu sein, ehrt mich besonders. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Peter Sommermann danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Helge Sodan für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Schriften zum Gesundheitsrecht. Besonderer Dank gebührt meiner Familie, vor allem meinen Großeltern, meiner Mutter und meiner Schwester, sowie meinem Partner und besten Freund für die unermüdliche Unterstützung und Motivation, aber auch für die Zeit, die sie bereit waren zu opfern, und dafür, dass sie nie an mir gezweifelt haben. Vielen Dank auch an Beate und viele andere, die Fehler gesucht und gefunden haben. Mannheim, im Juli 2016
Yvonne Christina Schmid
Inhaltsübersicht A. Die Knabenbeschneidung – § 1631d BGB als „Problemlöser“ . . . . . . . . . . . . .
25
B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I.
Die Regelung in § 1631d BGB – Beschneidung des männlichen Kindes . .
27
II.
Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
III. Zirkumzision einer einsichts- und urteilsfähigen Person . . . . . . . . . . . . . . . .
28
IV.
Zirkumzision als medizinischer Heileingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
V.
Weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
C. Die Beschneidung als religiöses Gebot und kulturelle Besonderheit . . . . . . .
32
I.
Die Zirkumzision männlicher Kinder im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
II.
Die Zirkumzision männlicher Kinder im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
III. Bedeutung der Zirkumzision in anderen Glaubensgemeinschaften . . . . . . .
37
IV.
Nicht-religiös motivierte Beschneidungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
D. Einfachgesetzliche Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
I.
Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln . . . . . . . . . . . . . . .
40
II.
Tatbestandsmäßigkeit der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
III. Bedeutung des ärztlichen Standesrechts für die Zirkumzision . . . . . . . . . . .
56
IV.
Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
V.
Alternative Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
VI. Sozialrechtlicher Gesichtspunkt – Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . .
75
I.
Die Verbindlichkeit grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
II.
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . .
76
III. Die kollektive Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht religiöser Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
IV.
94
Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen . . . . . . . . . . . . . .
V.
Die abwägungsrelevanten Grundrechte des betroffenen Kindes . . . . . . . . . 117 VI. Abwägungsentscheidung: Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 VII. Die Rechte der rituellen Beschneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 IX. Zusammenfassung der grundrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
8
Inhaltsübersicht
F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht . . . . . . . . . . . I. Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen (KRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationaler Bürgerrechtepakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (Europäisches Minderheitenübereinkommen – EUMindÜbk) . . . . . . . . . . . . . . . . .
293 293 300 305 306
G. Notwendige Anpassungen – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 H. Das nicht gelöste Problem – Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Inhaltsverzeichnis A. Die Knabenbeschneidung – § 1631d BGB als „Problemlöser“ . . . . . . . . . . . . .
25
B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Regelung in § 1631d BGB – Beschneidung des männlichen Kindes . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zirkumzision einer einsichts- und urteilsfähigen Person . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Verstoß gegen die guten Sitten i. S. d. § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . IV. Zirkumzision als medizinischer Heileingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Medizinische Indikation einer Zirkumzision aus historischer Sicht und unter Beachtung des aktuellen medizinischen Standards . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Einordung des medizinischen Heileingriffs . . . . . . . . . . . . . . V. Weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Beschneidung als religiöses Gebot und kulturelle Besonderheit . . . . . . . I. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsgesetzliche Grundlagen des jüdischen Beschneidungsritus . . . 2. Die Ausführung des jüdischen Beschneidungsritus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Unblutige“ Alternativen zum jüdischen Beschneidungsritus (bris shalom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsgesetzliche Grundlagen des muslimischen Beschneidungsritus 2. Die Ausführungsmodalitäten des muslimischen Beschneidungsritus . . III. Bedeutung der Zirkumzision in anderen Glaubensgemeinschaften . . . . . . . IV. Nicht-religiös motivierte Beschneidungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Einfachgesetzliche Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der den Urteilen zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die rechtliche Wertung des AG Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die rechtliche Wertung der Berufungsinstanz – LG Köln . . . . . . . . . . . . 4. Verbotsirrtum i. S. d. § 17 S. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtliche Folgewirkung des landgerichtlichen Urteils . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestandsmäßigkeit der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einfache Körperverletzung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährliche Körperverletzung i. S. d. § 224 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . .
40 40 40 41 41 42 44 45 45 47
29 30 31
35 36 36 37 37 38
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Inhaltsverzeichnis a) Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefährliches Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonderfall: Der Einsatz von ärztlichem Operationsbesteck . . . . b) Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schwere Körperverletzung i. S. d. § 226 Abs. 1 StGB und Körperverletzung mit Todesfolge i. S. d. § 227 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit – Sozialadäquanz der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung der Sozialadäquanzlehre auf die rituelle Zirkumzision männlicher Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlegende Kritik am Institut der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . 5. Straffreiheit kraft Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Mögliche Strafbarkeit der die Beschneidung veranlassenden Eltern . . . a) Anstifterstrafbarkeit der Personensorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . b) Übergesetzlicher Entschuldigungsgrund aus Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . III. Bedeutung des ärztlichen Standesrechts für die Zirkumzision . . . . . . . . . . . IV. Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rückgriff auf spezialgesetzliche Altersgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückgriff auf das RelKErzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforschung und Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . 2. Co-Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzentwurf der parlamentarischen Opposition und geltende CoKonsens-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (System-)Kritik an der vorgeschlagenen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Alternative Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausnahme von § 223 Abs. 1 StGB – Vorschlag von Tonio Walter . . b) Normierung einer ausdrücklichen strafrechtlichen Erlaubnis – Vorschlag von Herzberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusatz im RelKErzG – Vorschlag von Heinig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften – Vorschlag von Schramm 4. Die Regelung zur Knabenbeschneidung in Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sozialrechtlicher Gesichtspunkt – Kostenerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Zirkumzision durch die GKV . . . 2. Möglichkeit zur Kostenerstattung außerhalb des Gesundheitssystems . .
47 47 48 49 50 51 51 51 53 54 55 55 55 56 58 59 59 62 63 65 65 66 67 68 68 68 70 70 71 72 72 72 73
Inhaltsverzeichnis
11
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . 75 I. Die Verbindlichkeit grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . 76 1. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das bürgerliche Recht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Ritueller Beschneider als „anderer Heilberuf“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Die Zulassung zu einem anderen Heilberuf i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG durch § 1631d Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 III. Die kollektive Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht religiöser Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Betroffenheit der kollektiven Religionsfreiheit als individuelles Recht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Betroffenheit des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts 85 a) Organisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 137 Abs. 5 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Organisation als Religionsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Der Inhalt des Selbstbestimmungsrechts (Art. 4 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Die Anforderungen an eine rituelle Zirkumzision in § 1631d Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Die Anforderungen an den rituellen Beschneider in § 1631d Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Das Gebot der strikten Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Der Schutzumfang des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . 94 a) Der personelle und zeitliche Schutz des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . 94 b) Die abwehrrechtliche Dimension des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Pflege und Erziehung des Kindes i. S. d. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG 95 bb) Das Recht zur religiösen Kindererziehung – Die Anreicherung des Elternrechts um die Religonsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Das Wohl des Kindes als Definitionsparameter und Grenze des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Die Bedeutung der elterlichen Religionsfreiheit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Der Schutzumfang der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Religion und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Der Schutz des forum internum und des forum externum . . . . . 101
12
Inhaltsverzeichnis
V.
cc) Die Definitionshoheit über die Bestimmung des Schutzbereichsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschränkung auf den „traditionellen“ Kern der Religionsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkung mittels der sog. Kulturvölkerformel . . . . . . . . (3) Ausschluss durch den Ordre-public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . (4) Rückgriff auf objektive Kriterien zur Schutzbereichsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die religiöse Begründetheit der rituellen Zirkumzision aus objektiver Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Grundsätzliche Kritik an der Inhaltsbestimmung anhand objektiver Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Bestimmung des Schutzbereichsinhalts durch die Gläubigen b) Die Bedeutung der Schranken für die elterliche Religionsfreiheit . . aa) Begrenzung der Religionsfreiheit aufgrund der Normen aus der WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 136 Abs. 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 136 Abs. 4 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit der Schranken aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG und Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die abwägungsrelevanten Grundrechte des betroffenen Kindes . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der kindlichen Grundrechte im Verhältnis zum Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kinder als Träger von Grundrechten – Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schutzdimension des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . b) Die Bedeutung der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der innere Gehalt der Menschenwürdegarantie . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Menschenwürderelevanz einer Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . 4. Das Recht zur körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechtsmündigkeit bzgl. des körperlichen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch Vorwegnahme der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Schutz der Persönlichkeitsentwicklung als Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102 103 104 104 105 106 107 107 109 110 110 114 115 116 117 117 118 118 118 119 119 121 122 122 127 128 129 131
Inhaltsverzeichnis 5. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechtsmündigkeit bzgl. der Religionsfreiheit – Abgrenzung des Elternrechts von der Religionsfreiheit des Kindes . . . . . . . . . . . . b) Die Betroffenheit der Religionsfreiheit – Vergleichbarkeit des Beschneidungsrituals mit dem christlichen Initiationsritus der Taufe . . c) Die negative Religionsfreiheit des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Grundrecht des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abwägungsentscheidung: Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kindlicher Lebensschutz als absolute Grenze elterlicher Entscheidungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bluttransfusionsverweigerung durch die Zeugen Jehovas . . . . . . . . . b) Die Tötung des Kindes aus religiösen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Implikation der gewonnenen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten in die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Anknüpfungspunkte für die Ausgestaltung der Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Präventive Schutzimpfungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Risiko-Nutzen-Abwägung im AMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Implementierung der gewonnenen Erkenntnisse auf die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nutzen einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision . . . . . . (1) Individueller Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vermeidung von Harnwegsinfektionen im Kindesalter (b) Prävention gegen sexuell übertragbare Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Reduktion der Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Reduktion der Ansteckungsgefahr mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Fehlende Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Reduktion der Gefahr, an einem Peniskarzinom zu erkranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kollektiver Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Anleihe bei den Regelungen zur klinischen Prüfung im AMG (§ 40 Abs. 4, § 41 Abs. 2 AMG) . . . . . . . . . . . . . (b) Anleihe bei den Regelungen zur Blutspende im TFG (§ 6 Abs. 1 TFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anleihe bei den Regelungen zur Knochenmarkspende im TPG (§ 8a TPG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zusammenfassende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 132 133 134 136 139 139 141 141 143 144 145 147 147 148 149 150 150 150 150 151 151 152 153 153 154 154 155 156
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Inhaltsverzeichnis bb) Mit einer Zirkumzision verbundene Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Akute Komplikationen und Risiken einer Zirkumzision . . . . (2) Die Verursachung von Schmerzen durch den Eingriff . . . . . (3) Gewalterfahrung mit potenzieller psychopathologischer Belastungsreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Psychosexuelle Störungen und Sensibilitätsverlust . . . . . . . . cc) Das Verhältnis der Risiken zu dem Nutzen einer Zirkumzision dd) Das Risiko-Nutzen-Verhältnis unter Einbeziehung von Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Änderung von Nutzen und/oder Risiko durch Abwarten der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Alternativen zur Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Implikation der Ergebnisse unter besonderer Beachtung des Elternrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vereinbarkeit der Erkenntnisse mit § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Nutzendefinition bei (zulässigen) Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das psychische Wohl des Kindes als Bestimmungsparameter der elterlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Kindeswohlkriterium des § 8a Nr. 4 S. 2 TPG . . . . . . . . . . . bb) Das Kindeswohlkriterium bei kosmetischen Eingriffen . . . . . . . . cc) Zusammenfassung der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Förderungen des psychischen Wohlbefindens durch eine Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderliche Wahrscheinlichkeit der Förderung des psychischen Wohlbefindens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschneidungswunsch der Personensorgeberechtigten . . . . . . . . bb) Religionszugehörigkeit der Eltern als Anhaltspunkt . . . . . . . . . . cc) Beschneidungswunsch des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erreichbarkeit des Nutzens durch die Beschneidung zu einem späteren Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vereinbarkeit der Erkenntnisse mit § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzmechanismen zur Wahrung kindlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrung des medizinischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die gesetzgeberische Wahl des Terminus „Regeln der ärztlichen Kunst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhaltliche Auffüllung des ärztlichen Standards . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beachtung des kindlichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Recht auf Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Aufklärung der Personensorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Aufklärung des betroffenen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . d) Dokumentationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 158 159 159 160 161 163 164 166 167 171 175 175 175 177 180 181 183 185 186 188 189 193 195 195 196 198 200 203 205 206 208
Inhaltsverzeichnis e) Reduktion der Belastungen – Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss der Schmerzbehandlung aufgrund religiöser Gebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schmerzbehandlung nach dem sechsten Lebensmonat . . . . . . . . cc) Schmerzbehandlung vor dem sechsten Lebensmonat . . . . . . . . . dd) Schaffung eines regulatorischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wahrung des entwickelten Schutzniveaus durch rituelle Beschneider – § 1631d Abs. 2 BGB auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrung des medizinischen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleichbare Befähigung und besondere Ausbildung . . . . . . . . . . . . c) Das Recht auf Aufklärung durch den rituellen Beschneider und die Beachtung des kindlichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dokumentationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Reduktion der Belastungen – Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung – Allgemeine Grundsätze zur Bewältigung von Kollisionslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Rechte der rituellen Beschneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders aus Art. 12 Abs. 1 GG . . a) Der persönliche und sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit . . . b) Gerechtfertigte Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriff in die Berufsfreiheit durch § 1631d BGB . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Rechtfertigung der Eingriffe in die Berufsfreiheit . . . (1) Berufswahlbeeinträchtigung durch § 1631d BGB . . . . . . . . . (2) Berufsausübungsbeeinträchtigung durch § 1631d BGB . . . . c) Zusammenfassende Beurteilung des § 1631d BGB vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestehender Anpassungsbedarf und Anpassungsoptionen . . . . . . . . . . . . a) Genereller Arztvorbehalt für die Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . . . b) Genereller Arztvorbehalt für die Durchführung des Eingriffs . . . . . . c) Zusammenwirken von Arzt und rituellem Beschneider . . . . . . . . . . . aa) Ausgestaltung der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Handlungspflichten des anwesenden Arztes bei Notfällen bzw. Fehlverhalten des rituellen Beschneiders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzlicher Erlaubnisvorbehalt für die Tätigkeit als ritueller Beschneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geeignetheit eines Erlaubniserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestehende Erlaubnispflichten nach geltendem Recht . . . . . . . . (1) Erlaubnispflicht nach dem HeilPraktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anzeige- und Erlaubnispflicht nach der GewO . . . . . . . . . . . (3) Lizenzierung durch die Religionsgemeinschaften . . . . . . . .
15 209 210 211 213 216 218 218 220 224 226 226 229 233 233 234 235 235 238 238 243
245 245 246 247 249 250 250 251 252 254 255 255 256
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Inhaltsverzeichnis cc) Konkrete Ausgestaltungsmöglichkeiten einer gesetzlichen Erlaubnisregelung – Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (1) Formenwahl des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (2) Inhalt der Erlaubnisregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (a) Fachliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (b) Persönliche Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (c) Beteiligung der Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . 263 (3) Verwaltungshandeln nach Erlaubniserteilung . . . . . . . . . . . . . 264 (4) Konsequenzen aus der Vornahme einer Beschneidung ohne Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (5) Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (6) Geeigneter Regelungsstandort und Wortlaut der Erlaubniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (a) Normierung mittels Parlamentsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (b) Erlass einer Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (c) Inhalt der Erlaubnisnorm innerhalb der zu erlassenden Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Die Benachteiligung respektive Bevorzugung wegen des Geschlechts . . 274 a) Der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 S. 1 und des Art. 3 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Die potenzielle Benachteiligung von Knaben durch § 226a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Die potenzielle Benachteiligung von Mädchen durch § 1631d BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Vergleichbarkeit der weiblichen mit der männlichen Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 aa) Medizinische Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Vergleichbarkeit der Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Die Bedeutung von Mythen und ökonomischen Anreizsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Die Bedeutung von Religion, Tradition und Kultur . . . . . . . . 281 (3) Die Bedeutung sonstiger Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 cc) Vergleichbarkeit der Eingriffsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 dd) Ergebnis der Vergleichbarkeitsanalyse der männlichen und weiblichen Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Fehlende Rechtfertigungsmöglichkeit der Ungleichbehandlung und legislative Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Die Benachteiligung respektive Bevorzugung aufgrund der elterlichen Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
Inhaltsverzeichnis
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3. Ungleichbehandlung sonstiger kindlicher Körpermodifikationen aufgrund religiöser bzw. kultureller Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4. Ungleichbehandlung aufgrund des Alters, von rituellen Beschneidern und Ärzten sowie aufgrund des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 IX. Zusammenfassung der grundrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht . . . . . . . . . . . I. Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen (KRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beurteilung der männlichen Zirkumzision im Lichte der KRK . . . 2. Konsequenzen für die Beurteilung der weiblichen Genitalbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verbot von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationaler Bürgerrechtepakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (Europäisches Minderheitenübereinkommen – EUMindÜbk) . . . . . . . . . . . . . . . .
293 293 293 299 300 300 301 303 304 305 306
G. Notwendige Anpassungen – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 H. Das nicht gelöste Problem – Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Abkürzungsverzeichnis a. A. AAP Abs. AEUV AG Alt. alt. a. M. AMG AMR Anm. AnwBl AöR AT BaWü BÄK BÄO BApO BayObLGZ BayVBl. BayVerfGH Bd. BeckRS Berl.SchulG Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BK BRD BSG BSGE BSHG
andere(r) Ansicht American Academy of Pediatrics (dt. Übersetzung: Amerikanische Akademie der Kinderärzte) Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Amtsgericht Alternative alternativ am Main Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) Ausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Allgemeiner Teil Baden-Württemberg Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundes-Apothekerordnung Entscheidungen des BayOLG in Zivilsachen Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band Beck-Rechtsprechung Schulgesetz für das Land Berlin Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bonner Kommentar Bundesrepublik Deutschland Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessozialhilfegesetz
Abkürzungsverzeichnis bspw. BT-Drucks. BtMG Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfGK BVerwG BVerwGE bzw. ca. CIC CRC DÄBl. – A, B, C dag. ders. d. h. DÖV dpa DRiZ dt. DVBl. EACH-Charta EG EGBGB Egl. EGMR EGMR-E EMRK EMRKZusProt. EU EuGH EuGRZ EuR e. V. f. FAZ FamRZ ff.
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beispielsweise Bundestag Drucksache Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise circa Codex Iuris Canonici Committee on the Rights of the Child Deutsches Ärzteblatt – Ausgabe A, B, C dagegen derselbe das heißt Die öffentliche Verwaltung Deutsche Presse-Agentur GmbH Deutsche Richterzeitung deutsch(e) Deutsches Verwaltungsblatt Charta für Kinder im Krankenhaus (European Association for Children in Hospital) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Ergänzungslieferung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) Zusatzprotokoll zur EMRK Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht eingetragener Verein folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende
20 FGC/FGM Fn. FPR FS GastG gem. GesR GG ggü. GKV GrCH HBKG BaWü HeilberufsG HeilBG Rh-Pf HeilPraktG HeilPraktGDV
HessStGH h. M. HRRS Hrsg. Hs. HStR i. d. F. i. d. R. i. d. S. i. E. i. e. S. IfSG IPbpR i. S. d. i. S. v. i. Ü. i.V. m. i. w. S. JA JGG JR Jura
Abkürzungsverzeichnis Female Genitale Cutting/Female Genitale Mutilation Fußnote Familie, Partnerschaft, Recht Festschrift Gaststättengesetz gemäß Gesundheitsrecht Grundgesetz gegenüber Gesetzliche Krankenversicherung Charta der Grundrechte der Europäischen Union Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg Heilberufsgesetz Heilberufsgesetz Rheinland-Pfalz Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) (Heilpraktikergesetz-Durchführungsverordnung) Staatsgerichtshof des Landes Hessen herrschende Meinung Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Sinne des/der im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristische Ausbildung
Abkürzungsverzeichnis JuS JZ KastrG KMG-EKD
krit. KritV KRK (alt. ÜRK) KrPflG Lfg. LG LOP m. Anm. MBO-Ä MDR MedR Monatsschr Kinderheilkd MPG MSM MüKo NJ NJW NJW-RR NK Nr. NStZ NStZ-RR NVwZ NVwZ-Beil. NVwZ-RR m.w. N. NZS OLG öStGB
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Juristische Schulung Juristische Zeitung Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder der Evangelischen Kirche in Deutschland kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Übereinkommen über die Rechte des Kindes/UN-Kinderrechtskonvention Krankenpflegegesetz Lieferung Landgericht Lag om omskärelse av pojkar (Gesetz über die Beschneidung von Jungen [Schweden]) mit Anmerkung Musterberufsordnung für Ärzte Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Monatsschrift Kinderheilkunde Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz) Männer, die Sex mit Männern haben Münchener Kommentar Neue Justiz – Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Neue Kriminalpolitik Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Beilage Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport mit weiteren Nachweisen Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Österreichisches Strafgesetzbuch)
22 OVG OwiG Pl. PStG PsychThG RdM RelKErzG RGSt RiStBV RKI Rn. Röm. Rspr. R&P RW S. SGB Slg. sog. sStGB StGB STIKO St.Rspr. str. StV TFG TierSchG TPG TSG
u. u. a. Urt. USA USC usw. u. U. v. v. a. Var.
Abkürzungsverzeichnis Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Plural Personenstandsgesetz Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Recht der Medizin Gesetz über die religiöse Kindererziehung Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Robert Koch-Institut Randnummer Brief des Paulus an die Römer (Römerbrief) Rechtsprechung Recht und Politik Rechtswissenschaft Seite Sozialgesetzbuch Sammlung sogenannte(n) Schweizerisches StGB Strafgesetzbuch Ständige Impfkommission ständige Rechtsprechung streitig Strafverteidiger Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz) Tierschutzgesetz Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz) Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz) und unter anderem Urteil Die Vereinigten Staaten von Amerika United States Code/Code of Laws of the United States of America und so weiter unter Umständen vom/gegen vor allem Variante
Abkürzungsverzeichnis VereinsG VersR Verwaltung VerwArch VerwR VG VGH vgl. VO Vorb. vs. Vss. VwGO VwVfG WHO WRV z. B. ZevKR ZFE ZHG ZiS ZJS ZKJ ZPO ZRP ZStW z. T. zust.
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Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Versicherungsrecht Die Verwaltung Verwaltungsarchiv Verwaltungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung versus Voraussetzung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Weltgesundheitsorganisation Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Familien- und Erbrecht Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zustimmend
A. Die Knabenbeschneidung – § 1631d BGB als „Problemlöser“ „Also, Papa, ich hab’s mir gut überlegt. Ich möchte lieber nicht beschnitten werden“, sagt ein kleiner Junge in der bildlichen Darstellung Riad Sattoufs,1 während er mit seinem Vater einen Spaziergang durch die Stadt unternimmt. „Das hast du nicht zu entscheiden“, antwortet der Vater schlicht. Das Entsetzen steht dem Jungen ins Gesicht geschrieben. „Aber es ist mein Pimmel, es steht mir frei, nach meinem eigenen Willen über ihn zu verfügen!“, versucht er den Vater zu überzeugen. Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Bestandskraft dieser Aussage juristisch zu untersuchen und § 1631d BGB – der elterliche Entscheidungen wie die soeben dargestellte möglicherweise decken kann – einer rechtlichen Analyse unter Bezugnahme des deutschen Verfassungsrechts und des internationalen Rechts zuzuführen. Mit § 1631d BGB reagierte der deutsche Gesetzgeber auf ein landgerichtliches Urteil aus dem Jahr 2012, das die Beschneidung einwilligungsunfähiger Kinder als strafbare Körperverletzung einordnete. Er ist das Ergebnis des Arbeitsauftrags an die Bundesregierung sicherzustellen, „dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“ 2. Der durch das Urteil entstandene Eindruck, die religiöse Tradition der Knabenbeschneidung sei in Deutschland strafbewehrtes Unrecht, sollte zügig beseitigt werden. Dabei stand der Gesetzgeber vor der schwierigen Aufgabe, die betroffenen Rechte aller Beteiligten in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das Zentrum der Rechte bildet neben dem elterlichen Erziehungsrecht insbesondere die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Zwischen Eltern und Kindern besteht eine besondere Beziehung, die die Findung eines angemessenen Ausgleichs nicht auf die Berücksichtigung zweier sich gegenüberstehender Rechtspositionen beschränkt. Vielmehr binden die Rechte des Kindes die Eltern bei der Ausübung ihrer elterlichen Erziehungsmacht, und deren besondere Ausprägung wiederum schränkt die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten ein. Die Auflösung dieser besonderen Spannungslage bildet einen Schwerpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung mit § 1631d BGB. Die Abwägung der betroffenen Grundrechte ist dabei kein Primat in der Verfassungsrechtsdogmatik. Sowohl Ju1 2
Sattouf. Dazu BT-Drucks. 17/10331, S. 1.
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A. Die Knabenbeschneidung
dikative als auch Legislative haben das Eltern-Kind-Verhältnis bereits ausgeformt. Der gesetzgeberische Entschluss, die Knabenbeschneidung der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit zu öffnen, hat sich auch an den Erkenntnissen bestehender Abwägungsentscheidungen zu messen und hält dieser Überprüfung nicht uneingeschränkt stand. Der körperliche Eingriff der Beschneidung soll, um den religiösen Bedürfnissen der Gläubigen gerecht zu werden, auch durch rituelle Beschneider möglich sein. Die im Zusammenhang mit dieser Erlaubnis normierten Voraussetzungen haben sich auch an deren Rechten, namentlich der Berufs- respektive der allgemeinen Handlungsfreiheit, zu orientieren. Die Untersuchung der Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit den Rechten der rituellen Beschneider, unter gleichzeitiger Berücksichtigung kindlicher Rechte, bildet einen weiteren Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Die jetzige Bestimmung wahrt die Rechte des Kindes indes nicht hinreichend. Der Anpassungsbedarf wird auch unter besonderer Berücksichtigung der Rechte der rituellen Beschneider ermittelt und mündet in einem Regelungsvorschlag. Im Unterschied zur männlichen Zirkumzision bleibt die weibliche Genitalbeschneidung der elterlichen Einwilligungsbefugnis des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB verschlossen. Die Rechte betroffener Mädchen und Frauen wurden im Jahr 2013 durch die Schaffung eines Straftatbestands für körperliche Eingriffe dieser Art gestärkt. Die augenscheinliche Differenzierung zwischen den Geschlechtern bedarf vor den Gleichbehandlungsgeboten des Grundgesetzes einer Begründung. Ob die Verfassung eine solche Differenzierung zulässt, bildet einen weiteren Untersuchungsgegenstand der Darstellung. Schließlich hat die deutsche Rechtsnorm auch die geltenden internationalen Vorgaben einzuhalten. Der Ausklang der rechtlichen Analyse zeigt, ob dies mit § 1631d BGB gelungen ist. Die Arbeit schließt mit einem Überblick über die aus der Sicht der Autorin notwendigen Anpassungen des § 1631d BGB.
B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands I. Die Regelung in § 1631d BGB – Beschneidung des männlichen Kindes Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf zu § 1631d BGB („Beschneidung des männlichen Kindes“) nach Beratung am 12.12.2012 angenommen.1 Am 28.12.2012 trat das Gesetz mit folgendem Wortlaut in Kraft:2 „(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“ 3
Der Regelungsumfang dieses kontrovers diskutierten Regierungsentwurfs und heutigen § 1631d BGB orientiert sich an dem durch das Urteil des LG Köln ausgelösten Bedarf.4 Die damalige politische Opposition und weitere Abgeordnetengruppierungen haben im Zuge des Gesetzgebungsprozesses einen Gegenentwurf sowie Änderungsvorschläge zum jetzigen § 1631d BGB eingebracht. Diese sind allesamt nicht zur Umsetzung gelangt.
II. Begriffsbestimmung Der Regelungszweck des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB erschöpft sich in der Möglichkeit der Personensorgeberechtigten, unter bestimmten Umständen in die „me-
1 Insgesamt wurden 580 Stimmen abgegeben. Davon 434 „Ja“-Stimmen und 100 „Nein“-Stimmen bei 46 Enthaltungen, vgl. Dt. Bundestag, Plenarprotokoll 17/213, 26110 (C). 2 BGBl. Jahrgang 2012 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 27. Dezember 2012, S. 2749. 3 BT-Drucks. 17/11295. Der Entwurf entspricht weitestgehend den Wünschen von Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 158. Die Vornahme der Zirkumzision aufgrund einer Einwilligung der Personensorgeberechtigten sollte unter bestimmten Umständen zulässig sein, auch wenn sie nicht durch einen Arzt vorgenommen wird. 4 BT-Drucks. 17/11295, S. 17.
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B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
dizinisch nicht erforderliche Beschneidung des (. . .) männlichen Kindes einzuwilligen“. Auf eine Legaldefinition des Beschneidungsbegriffes hat der Gesetzgeber verzichtet. Unter einer Beschneidung wird gemeinhin die – nicht notwendigerweise nur teilweise5 – Entfernung der männlichen Vorhaut verstanden.6 Der Terminus beschreibt damit auch den in den religiösen Gemeinschaften im Rahmen des Ritus vorgenommenen Akt und ist hinreichend bestimmt.
III. Zirkumzision einer einsichts- und urteilsfähigen Person 1. Rechtfertigende Einwilligung Die Beschneidung einer einsichts- und urteilsfähigen Person ist unabhängig von einer medizinischen Indikation oder religiösen Motivation für den Beschneider straffrei möglich, soweit der Betroffene wirksam in den Eingriff eingewilligt hat.7 Das Selbstbestimmungsrecht (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) ermächtigt den Einzelnen grundsätzlich, über das Rechtsgut seiner körperlichen Unversehrtheit zu disponieren.8 Der Regelungsbereich des § 1631d BGB erschöpft sich in der Normierung der Zirkumzisionen an nicht Einsichts- und Urteilsfähigen (Abs. 1 S. 1). Vergleichbare Eingriffe an Einwilligungsfähigen, auch an einwilligungsfähigen Minderjährigen, sind vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen und beurteilen sich nach den allgemeinen Regelungen zur rechtfertigenden Einwilligung. Die Entscheidungsbefugnis der Eltern erlischt und die staatliche Schutzpflicht reduziert sich auf ein Mindestmaß. Einwilligungsfähige brauchen – innerhalb der geltenden Grenzen der Entscheidungsfreiheit – nicht vor ihrer eigenen Entscheidung geschützt werden.9 2. Kein Verstoß gegen die guten Sitten i. S. d. § 228 StGB Eine Grenze erreicht die Entscheidungsfreiheit, wenn in dem gewünschten körperlichen Eingriff ein genereller Verstoß gegen die guten Sitten i. S. d. § 228 StGB zu sehen ist. Von einem Verstoß gegen die guten Sitten ist bei der Einwilligung in Eingriffe am eigenen Körper nur selten auszugehen. Denn die Annahme eines Sittenverstoßes beeinträchtigt den Einzelnen in seiner Dispositionsfreiheit
5
So aber mit dem Vorwurf der Ungenauigkeit der Vorschrift Mandla, S. 245. I d. S. auch verstanden in BT-Drucks. 17/11430, S. 6; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117, in seinem Regelungsvorschlag, vgl. D. IV. 1. a). Dazu auch unter E. VI. 4. a) bb). 7 So auch Isensee, S. 325; Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3620; Radtke, Stellungnahme, S. 11. Zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit unter D. IV. 1. 8 Hardtung, in: Joecks, § 228 StGB, Rn. 2. 9 Weilert, S. 329. 6
IV. Zirkumzision als medizinischer Heileingriff
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und seinem Selbstbestimmungsrecht.10 Die darin enthaltene staatliche Bevormundung kann nur in Ausnahmefällen – bei besonders schwerwiegenden Eingriffen – gerechtfertigt sein.11 Ein solcher liegt vor, „wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird“ 12 bzw. schwerwiegende irreversible Schädigungen durch den Eingriff drohen.13 Bei einer Zirkumzision handelt es sich generell nicht um einen Eingriff von der Art und dem Gewicht, die für die betroffene Person mit der Gefahr des Todes oder einer drohenden schwerwiegenden Schädigung verbunden ist.14 Die Einwilligung in den Eingriff am eigenen Körper verstößt demnach regelmäßig nicht gegen die guten Sitten i. S. d. § 228 StGB und kann rechtfertigende Wirkung entfalten.15
IV. Zirkumzision als medizinischer Heileingriff 1. Medizinische Indikation einer Zirkumzision aus historischer Sicht und unter Beachtung des aktuellen medizinischen Standards Die Vornahme gesundheitlich motivierter Zirkumzisionen geht zurück bis in das 19. Jahrhundert. Aufgrund der Unwissenheit hinsichtlich medizinischer Zusammenhänge kam zum damaligen Zeitpunkt die Theorie auf, die Masturbation sei Ursache zahlreicher Erkrankungen. Diese durch eine Beschneidung zu unterbinden – so die Vermutung – verhindere auch das Entstehen respektive die Verschlimmerung dieser Krankheiten, zu denen u. a. Alkoholismus, Epilepsie und Nierenkrankheiten zählten.16 Auf diese Vermutungen gestützt entwickelte sich, hauptsächlich in den USA, eine routinemäßige Beschneidungspraxis, die lange Zeit weder von der medizinischen Fachwelt noch von der betroffenen Öffentlichkeit hinterfragt wurde. 10 Bei einer religiösen Motivation des Einwilligenden ist darüber hinaus dessen Recht auf Religionsfreiheit zu berücksichtigen, vgl. Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 318; Putzke, Die strafrechtliche Relevanz, S. 683. 11 BGHSt 49, 166 (171); BGH, NJW 2013, 1379 (1380). 12 BGHSt 49, 166 (173); 53, 55 (62). 13 Hardtung, in: Joecks, § 228 StGB, Rn. 24; Roxin, § 13, Rn. 41, 43 f. 14 Siehe zu den Risiken und Komplikationen im Zusammenhang mit einer Zirkumzision unter E. VI. 2. b) bb). 15 So auch Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 91; Exner, S. 37; Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 52; Jorzig, S. 179; Putzke, Juristische Positionen, S. 1570; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 412. Dies gilt auch bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 90 öStGB, vgl. ErläutRV des BG über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG), 1807 BlgNR 24. GP 11, abrufbar unter: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_01807/fname_255440. pdf (30.5.2016). Anders die Beurteilung bei der Einwilligung in die eigene Genitalmodifikation durch Mädchen und Frauen, siehe dazu E. VIII. 1. a) bb). 16 Milos/Macris, S. 121.
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B. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
Viele dieser Annahmen sind aus heutiger wissenschaftlicher Sicht überholt. Dennoch gibt es mannigfaltige Krankheitsbilder, die auch nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen eine Zirkumzision indizieren. Dazu zählen u. a. die Verengung der Penisvorhaut (sog. Phimose), rezidivierende Entzündungen von Eichel und Vorhaut, Hauterkrankungen im Erwachsenenalter sowie das Vorliegen eines Peniskarzinoms.17 Häufig wird für eine Beschneidung die Phimose als medizinische Indikation angegeben. Diese berechtigt allerdings nur in seltenen Fällen zur Durchführung einer Beschneidung, da bereits die konservative Therapie, die in einer Behandlung mittels kortisonhaltiger Cremes besteht, häufig zum gewünschten Erfolg führt. Besteht die Phimose im Kindesalter, verwächst sich diese meist in der Pubertät.18 Insgesamt gilt daher auch aus medizinischer Sicht, dass viele Zirkumzisionen tatsächlich nicht indiziert sind.19 2. Rechtliche Einordung des medizinischen Heileingriffs Eine medizinisch indizierte Zirkumzision beurteilt sich nach den allgemeinen Bestimmungen zu medizinischen Heileingriffen und ist vom Anwendungsbereich des § 1631d BGB ausdrücklich ausgenommen (Abs. 1 S. 1: „medizinisch nicht erforderliche Beschneidung“).20 Die zivilrechtliche Beurteilung eines medizinischen Heileingriffs aufgrund eines Behandlungsvertrags zwischen dem Arzt und dem Patienten – respektive dessen Vertreter – folgt den §§ 630a ff. BGB. Seine Rechtmäßigkeit ist von einer wirksamen Einwilligung (§ 630d BGB) abhängig. Aus strafrechtlicher Perspektive ist jeder medizinische Heileingriff tatbestandsmäßig auch eine Körperverletzung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB, und zwar unabhängig von der Ordnungsgemäßheit und dem Erfolg seiner Durchführung.21 Der Staat unterscheidet nicht zwischen einem Operateur und anderen in die körperliche Integrität eines Dritten eingreifenden Personen, um zum Schutz der körper-
17 Dazu Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 88; Hakenberg, Stellungnahme; Stehr/ Schuster/Dietz u. a., S. 52. 18 Dazu Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 87 f.; Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Urologen, in: Preuk; so auch Hartmann, Stellungnahme, S. 1; Kupferschmid, S. 89; Tröbs/Becker/Burkhardt, S. 3 f. 19 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 54. Siehe zu den sozialrechtlichen Folgen falscher Abrechnungen unter D. VI. 1. 20 So auch OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3663). 21 St.Rspr. RGSt 25, 375 ff.; BGH, NJW 1956, 1106; BGHSt 11, 111 (112); 35, 246 (249); 45, 219 (221); BGH, NStZ-RR 2007, 340 (342). Eine a. A. in der Literatur nimmt den Wegfall der Tatbestandsmäßigkeit an: Ein ausgebildeter Arzt, der einen medizinischen Eingriff lege artis vornimmt, begeht keine Körperverletzung; vgl. zu diesem Streitstand auch Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 228 StGB, Rn. 56 ff. m.w. N.; Roxin, § 13, Rn. 26 ff. Zum Streitstand, ob durch einen Arzt eingesetztes Operationsbesteck auch ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB sein kann, vgl. ausführlich unten D. II. 2. a) bb).
V. Weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung
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lichen Unversehrtheit auch den approbierten Mediziner an den strafrechtlichen Vorgaben messen zu können und sein Handeln zu überwachen.22 Aufgrund der generellen Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffs hängt die Straflosigkeit des Operateurs von der rechtfertigenden Einwilligung des Patienten, respektive dessen gesetzlichen Vertreters, ab.23 Die Einwilligung in einen medizinischen Heileingriff durch die Personensorgeberechtigten ist Bestandteil der elterlichen Sorge.24
V. Weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung § 1631d BGB bezieht sich ausschließlich auf die Beschneidung männlicher Kinder (Abs. 1 S. 1). Weibliche Genitalmodifikationen spielen in der vorliegenden Arbeit lediglich im Rahmen einer möglichen Ungleichbehandlung von Mädchen und Jungen aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 1631d BGB, aber auch des – nur die weibliche Genitalverstümmelung erfassenden – § 226a StGB eine Rolle. In diesem Zusammenhang werden die Hintergründe der weiblichen Genitalbeschneidung er- und eingearbeitet. 25
22
Hochhuth. Siehe allgemein zu den Voraussetzungen an eine rechtfertigende Einwilligung auch unter D. IV. 24 Hamdan, in: Viefhues/Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., § 1631d BGB, Rn. 5; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258. 25 Siehe dazu unten E. VIII. 1. 23
C. Die Beschneidung als religiöses Gebot und kulturelle Besonderheit I. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Judentum 1. Religionsgesetzliche Grundlagen des jüdischen Beschneidungsritus Die Beschneidung (Brit Mila1) ist in der jüdischen Glaubensgemeinschaft, neben dem Gebet und dem Schabbat, fester Kernbestand der religiösen Gebote.2 Sie wird in allen Glaubensströmungen des Judentums praktiziert, sowohl von liberalen als auch von orthodoxen Juden.3 Selbst Juden, die den Glauben nicht aktiv leben, lassen ihre Kinder regelmäßig beschneiden.4 Die besondere Bedeutung des Rituals wird dadurch unterstrichen, dass die Beschneidung auch am Schabbat oder an Jom Kippur (dem höchsten jüdischen Feiertag) durchgeführt werden darf,5 obwohl an diesen Tagen sonst ein generelles Tätigkeitsverbot besteht.6 Die religiöse Grundlage der Beschneidung findet sich im Tanach7. Dort heißt es: „Und Gott sprach zu Abraham: Du aber halte meinen Bund, du und deine Nachkommen, Generation um Generation. Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld von irgendeinem Fremden erworben, der nicht von dir abstammt. Beschnitten muss sein der in deinem Haus Geborene und der um Geld Erworbene. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen.“ 8
1
Übersetzt: „Bund der Beschneidung“, vgl. Neumann. Siehe zu der gesamten Entwicklungsgeschichte aus jüdischer Sicht Deusel, Mein Bund, S. 47 ff.; Deusel, Stellungnahme, S. 3 ff., mit einer ausführlichen Darstellung zur geschichtlichen Entwicklung des Beschneidungsritus. 3 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 4; Deusel, Stellungnahme, S. 5. 4 Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 36. 5 Neumann. 6 Kramer, Stellungnahme, S. 6. 7 Bezeichnung für die „hebräische Bibel“, vgl. Deusel, Mein Bund, S. 167. 2
I. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Judentum
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Durch die Beschneidung wird der Junge in den Bund Abrahams und damit in das Judentum aufgenommen; sie ist „konstitutiv für das Judesein“ 9. Noch wichtiger als der Akt der Beschneidung ist im Judentum der daran anschließende Zustand des Beschnittenseins. Denn dieser Zustand bildet den Kern des religiösen Gebotes.10 Ohne die Durchführung des Rituals steht der Junge außerhalb des Bundes mit Abraham, ebenso der Vater, welcher die Beschneidung seines Sohnes nicht durchführen lässt. Die Verweigerung der Beschneidung gilt als „bewusste Abkehr vom Judentum“.11 Grundsätzlich ist zwar jedes Kind, das von einer jüdischen Mutter (und damit einer Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft) geboren wird, Jude.12 Dennoch gilt er als Unbeschnittener als Jude „zweiter Klasse“.13 Auch wenn die Beschneidung nicht glaubensbegründend wirkt, bildet sie dennoch die zentrale Voraussetzung für die Religionsausübung. Verstirbt ein männliches Kind vor seiner Beschneidung, kann es nicht nach jüdischem Ritus beigesetzt werden.14 Ein unbeschnittener Junge kann nicht zur Tora aufgerufen werden und die Bar Mitzwa-Zeremonie zum 13. Geburtstag entfällt.15 Umgekehrt macht die Beschneidung allein den Beschnittenen nicht zum Juden. Eine Beschneidung an einem Jungen ohne religiösen Status hat keine Bedeutung und ist nicht mehr als eine gewöhnliche medizinische Zirkumzision.16 Auch wenn ein erwachsener Mann zum Judentum konvertieren will, ist die Beschneidung unabdingbar.17 Neben dem Akt der Beschneidung und des daran anknüpfenden Zustandes ist auch der Zeitpunkt des Eingriffs wesentlicher Bestandteil des jüdischen Gebots: Die Beschneidung muss grundsätzlich am 8. Tag nach der Geburt stattfinden. Ausnahmen hiervon werden nur aus gesundheitlichen Gründen gemacht, wenn
8 Genesis 17, 9–14. Die Beschneidung findet an weiteren Stellen der hebräischen Bibel Erwähnung, z. B. im Buch Exodus, Kapitel 4, Vers 24 bis 26 und im Buch Josua, Kapitel 5, Vers 2 bis 9; Deusel, Stellungnahme, S. 1. 9 Kramer, Warum beschneiden Juden; Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 4. 10 Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 58; Deusel, Medizinische Aspekte, S. 181. 11 Deusel, Stellungnahme, S. 1. 12 Deusel, Medizinische Aspekte, S. 181; Veltri, S. 211. Z. T. wird auch als ausreichend erachtet, dass das Kind einen jüdischen Vater hat, so Raack/Doffing/Raack, S. 45. 13 Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 314. 14 Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 35. 15 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 4. Die Bar Mitzwa ist das Zeichen für den Eintritt der Religionsmündigkeit des Kindes. Ab diesem Zeitpunkt trägt es die Verantwortung für die Einhaltung der jüdischen Gebote, vgl. Raack/Doffing/Raack, S. 60. 16 Deusel, Mein Bund, S. 27; Raack/Doffing/Raack, S. 46 f. 17 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 4.
34
C. Die Beschneidung als religiöses Gebot
das Kind krank oder schwach ist.18 Dann wird die Beschneidung am 8. Tag nach der Gesundung des Kindes nachgeholt.19 Die Wichtigkeit der ursprünglichen Frist wird dadurch unterstrichen, dass – wird die Beschneidung aufgrund von Krankheit oder Schwäche des Kindes verschoben – diese nicht am 8. Tag nach der Genesung stattfindet, wenn dieser Tag ein Schabbat oder Feiertag ist. Dann wird die Zirkumzision erst am darauf folgenden Werktag ausgeführt.20 2. Die Ausführung des jüdischen Beschneidungsritus Der Talmud (Werk zur Interpretation des Tanach) enthält genaue Regelungen zum Beschneidungsvorgang, insbesondere zur chirurgischen Durchführung, dem religiösen Zeremoniell sowie den Segenssprüchen (Brachot). Darüber hinaus sind die zu beachtenden Kontraindikationen (z. B. genitale Missbildungen) des Eingriffs beschrieben, die eine Verschiebung oder Unterlassung der Beschneidung gebieten. Auch in der Familiengeschichte auftretende Krankheiten sind zu beachten.21 Der Eingriff selbst erfolgt in drei Schritten: Zunächst wird das äußere Vorhautblatt abgetrennt (Mila), dann folgt das Einschneiden (früher Einreißen) des inneren Vorhautblattes und die Ablösung desselben von der Eichel (Peria). Zuletzt wird das Blut aus der Wunde entfernt (Metzizah).22 Ursprünglich trennte der rituelle Beschneider die Vorhaut üblicherweise mit seinem Fingernagel ab, bevor er mit dem Mund das Blut aus der Wunde saugte (Metzitza be-pe). Heutzutage besteht – auch innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft – Einigkeit darüber, dass steriles Operationsbesteck zu verwenden ist und das Absaugen des Blutes mit dem Mund nicht erfolgen soll.23 Durchgeführt werden kann die Beschneidung durch einen Arzt oder einen fachkundigen, eigens dafür ausgebildeten jüdischen Beschneider (Mohel).24 Die Mohalim werden innerhalb der Religionsgemeinschaften für ihr Amt ausgebildet und eignen sich die erforderlichen medizinischen Kenntnisse mithilfe eines erfahrenen Kollegen, unter dessen Beaufsichtigung sie zunächst arbeiten, an. Erst nach intensiver Vorbereitung ist es dem Mohel gestattet, Beschneidungen selbstständig vorzunehmen.25 Innerhalb
18 Deusel, Mein Bund, S. 36 ff.; Neumann. Zu den Kontraindikationen des Eingriffs siehe auch E. VI. 4. a) bb). 19 Raack/Doffing/Raack, S. 58. 20 Dazu Deusel, Mein Bund, S. 25. 21 Deusel, Mein Bund, S. 38 f. 22 Zum Vorgang insgesamt Deusel, Mein Bund, S. 16 f.; Kramer, Stellungnahme, S. 8; Kramer, Warum beschneiden Juden. 23 Deusel, Stellungnahme, S. 7; Deusel, Mein Bund, S. 133 f.; dazu auch American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e756–e785 (e760 ff.). 24 Deusel, Stellungnahme, S. 3; weibliche Form: Mohelet, plural: Mohalim. 25 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 4; Deusel, Mein Bund, S. 41 f.
I. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Judentum
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mancher Glaubensgruppen gilt eine Beschneidung, die nicht durch einen Mohel vorgenommen wurde, jedoch nicht als religiöse Beschneidung.26 3. „Unblutige“ Alternativen zum jüdischen Beschneidungsritus (bris shalom) Auch religiöse Riten unterliegen dem Wandel der Zeit und gesellschaftlichen Veränderungen. Diese Entwicklung macht auch vor dem jüdischen Beschneidungsritual nicht Halt. Gläubige Juden diskutierten dies kontrovers, distanzierten sich häufig von der traditionellen Beschneidungsform und ersetzten diese durch einen symbolischen Akt.27 Für eine valide Aussage darüber, wie viele gläubige Elternpaare sich für den Weg einer symbolischen Beschneidung entscheiden, fehlt es allerdings an verlässlichen Zahlen. Noch gibt es jedenfalls keine durchsetzungsfähigen und von der Mehrheit der jüdischen Glaubensgemeinschaften angenommenen Änderungsbemühungen.28 Auch Rabbiner, die Nachteile und Schwierigkeiten in dem Beschneidungsakt erkennen, fühlen sich nach wie vor an das religiöse Gebot gebunden.29 Weitestgehend besteht daher noch immer Einigkeit dahin gehend, dass die Beschneidung in ihrer ursprünglichen Form beibehalten werden soll.30 Eine, im Ausnahmefall der Vorhautmissbildung, anerkannte Alternative ist der Ritus Hatafat Dam Brit. Dem Kind wird ein kleiner Stich in die Vorhaut beigebracht, aus dem ein bis zwei Blutstropfen austreten. Als taugliches Äquivalent für die Beschneidung eines gesunden Jungen konnte sich dieser Ersatzritus allerdings nicht allgemein durchsetzen.31
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Kramer, Stellungnahme, S. 4, 7. So existieren jüdische Protestbewegungen gegen die Beschneidung, wie die „Jews Against Circumsision“. Details zu dieser Organisation sind abrufbar unter: http:// www.jewsagainstcircumcision.org/ (30.5.2016). Siehe auch Ahituv und Lau. I. d. S. auch Britz, S. 253; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 174 und Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138, allerdings ohne Nachweise oder Stimmen aus den betroffenen Glaubensgemeinschaften. Siehe zu der Diskussion innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaften Jokisch, S. 162. 28 Breitbart, symbolische Beschneidungen werden meist von gemischt-religiösen Elternpaaren gewünscht. 29 Der Rabbi Hershy Worch äußerte sich zur Beschneidung z. B. folgendermaßen: „It’s painful. It’s abusive. It’s traumatic. And if anybody who is not in a covenant does it, I think they should be put in prison. I don’t think anybody has an excuse for mutilating a child, depriving them of their glans penis. (. . .) I think anybody who circumcises a baby is an abuser (. . .)“. Vgl. die Dokumentation von Eliyahu Ungar-Sargon, Slicing through the Myths of Circumcision, 2005. 30 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 17 f.; Breitbart; Klein, S. 236; so auch Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Zentralrat der Juden in Deutschland, Geradezu besessen. 31 Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 58. 27
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C. Die Beschneidung als religiöses Gebot
II. Die Zirkumzision männlicher Kinder im Islam 1. Religionsgesetzliche Grundlagen des muslimischen Beschneidungsritus Auch in den muslimischen Glaubensgemeinschaften ist die Zirkumzision (hiˇ ta¯n32, tahûr, tahâra, tahîr [arabisch] oder sünner [türkisch]) ein Bestandteil der religiösen Lebenswirklichkeit. Begründet liegt dies in der Weiterführung der Tradition des Propheten Abraham, die ihre Ursprünge im jüdischen und frühen christlichen Glauben hat.33 Der Koran enthält keine ausdrückliche Verpflichtung zur Beschneidung. Nur in der Sunna (Aussagen und Handlungen des Gesandten Allahs), welche für die Muslime ebenfalls eine Quelle der Rechtsfindung darstellt,34 und in der religiösen Dichtung wird der Ritus erwähnt.35 Sie gehört zu den fünf Handlungen, die der ursprünglichen Natur der Menschen entsprechen (fit¸ra). Neben der Beschneidung der Männer/Jungen sind dies „das Abrasieren der Schamhaare, das Schneiden der (Finger- und Fuß-)Nägel, das Auszupfen (bzw. Rasieren) der Achselhaare und das Kurzschneiden des Schnurrbarts“ 36. Die Beschneidung wird in den verschiedenen islamischen Rechtsschulen unterschiedlich beurteilt: Zum Teil gilt sie als religiöse Pflicht, in anderen Rechtsschulen wird sie als nachdrücklich empfohlene Prophetentradition verstanden.37 Auch in Letzteren gilt das Unterlassen der Beschneidung allerdings als verwerflich.38 Findet die Zirkumzision nicht statt, hat dies Folgen. Bei den Schiiten werden das tägliche Gebet,39 die Pilgerfahrt40 sowie die Eheschließung ungültig.41 Die Beschneidung wirkt nicht konstituierend für die Annahme des muslimischen Glaubens. Aus diesem Grund ist die Beschneidung, wenn auch empfohlen,42 bei einer Konvertierung zum Islam keine zwingende Voraussetzung.43 In der gesamten islamischen Rechtstradition bildet die Beschneidung für die Gläubigen einen festen, nicht er-
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Jokisch, S. 161. Elyas. 34 Elyas. 35 OVG Lüneburg, Urt. v. 22.9.1993 – Az.: 4 L 5670/92, BeckRS 2005, 21681. 36 Sahih Muslim, Buch 2, Nr. 495, 496; ebenfalls zu finden bei Jokisch, S. 162 f.; Mazyek, Stellungnahme, S. 2. 37 Dazu genauer Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25; Mazyek, Stellungnahme, S. 2 und Elyas. 38 Jokisch, S. 164. 39 So auch dargestellt in OVG Lüneburg, Urt. v. 22.9.1993 – Az.: 4 L 5670/92, BeckRS 2005, 21681. 40 Jokisch, S. 165. 41 Engin, in: Heil/Kramer, S. 257. 42 Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25; Mazyek, Stellungnahme, S. 2 f. 43 Rizivi/Naqvi/Hussain u. a., S. 13. 33
III. Zirkumzision in anderen Glaubensgemeinschaften
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setzbaren Ritus.44 Die oft geäußerten Bedenken gegen die Wichtigkeit der Beschneidung im Islam entbehren einer religiös-theoretischen Grundlage. Lediglich 10% aller in Deutschland geborenen muslimischen Jungen werden nicht beschnitten.45 2. Die Ausführungsmodalitäten des muslimischen Beschneidungsritus Einheitliche Vorgaben für das Beschneidungszeremoniell existieren im Islam nicht.46 In den muslimischen Glaubensgemeinschaften wird die Zirkumzision an dem Beschneidungskind durch einen tahhâr (arabisch) bzw. sünnetçi (türkisch) oder einen approbierten Mediziner vorgenommen.47 Weist der Beschneider die notwendige Sachkunde auf, sind seine Religion und sein Geschlecht unerheblich.48 Der Zeitpunkt der Zirkumzision ist in den muslimischen Glaubensgemeinschaften nicht an feste Altersvorgaben gebunden. Häufig erfolgt sie, gemeinsam mit der Namensgebung, am 7. Tag nach der Geburt des Kindes.49 In den türkischen Glaubensgemeinschaften ist es dagegen üblich, den Eingriff kurz vor Eintritt der Geschlechtsreife des Kindes vorzunehmen.50 Die Berücksichtigung des kindlichen Gesundheitszustandes kann die Vornahme der Zirkumzision zu einem bestimmten vordefinierten Zeitpunkt hindern.51
III. Bedeutung der Zirkumzision in anderen Glaubensgemeinschaften Weniger bekannt ist, dass die Zirkumzision an männlichen Kindern auch in anderen Glaubensgemeinschaften zur gängigen religiösen oder traditionellen Pra44 Engin, in: Heil/Kramer, S. 257 f.; Ilkilic, S. 66; Jokisch, S. 164; Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25; Mazyek, Stellungnahme, S. 2. 45 Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25; Mazyek, Stellungnahme, S. 1. 46 Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 314. 47 Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 26. 48 Dazu Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25. 49 Elyas. In Pakistan werden die meisten männlichen Kinder kurz nach der Geburt zirkumzidiert, die übrigen zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr, vgl. Rizivi/Naqvi/Hussain u. a., S. 14. 50 Elyas. Bei den türkischen Glaubensgemeinschaften erfolgt die Beschneidung häufig um das 7. Lebensjahr, vgl. Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 26. Oft wird die Beschneidung am 7. Tag nach der Geburt gemieden, um eine Parallele zur jüdischen Beschneidung zu vermeiden, so Jokisch, S. 165. 51 Jokisch, S. 166.
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C. Die Beschneidung als religiöses Gebot
xis gehört. Zu diesen zählen die koptischen Christen in Ägypten, die orthodoxen Christen in Äthiopien52 sowie einige christliche Religionsgemeinschaften in Afrika.53 Zum Teil wird die Beschneidung im südlichen Afrika auch auf kulturelle oder traditionelle Begründungen gestützt.54 Aus eher traditionellen Gründen wird die Zirkumzision auch in alevitischen Glaubensgemeinschaften vorgenommen.55
IV. Nicht-religiös motivierte Beschneidungstraditionen In den USA liegt die Anzahl beschnittener Männer, je nach Bevölkerungsgruppe und Landesteilen, zwischen 42% und 80%. In den Jahren 1999 bis 2010 wurden hier noch 60% aller männlichen Neugeborenen routinemäßig zirkumzidiert.56 Die Gründe dafür sind neben der angenommenen medizinischen Nützlichkeit der Beschneidung im Neugeborenenalter57 ästhetische Vorstellungen der Bevölkerung. Die langjährige Zirkumzisionspraxis führte zu einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz der Beschneidung.58 Die Zirkumzision wird daher auch vorgenommen, um die Ähnlichkeit des Sohnes zu seinem beschnittenen Vater herzustellen, oder um sicherzustellen, dass das Kind im Schulalltag nicht ausgegrenzt wird.59
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Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 120. Dazu Yalçin, S. 380. Der Schwerpunkt der Diskussion in der deutschen Debatte um die Beschneidung männlicher Kinder hat sich auf den Islam und das Judentum konzentriert. Die Arbeit beschränkt sich daher auf die ausführliche Darstellung der religionsgesetzlichen Hintergründe in diesen Glaubensgemeinschaften. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich auf sonstige religiöse Gruppen übertragen, soweit die Voraussetzungen für diese im Einzelfall vergleichbar sind. 54 Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 120. Für Kenia so auch in dem Verfahren vor dem OLG Hamm, NJW 2013, 2662 ff. 55 BT-Drucks. 17/11430, S. 9. 56 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e758 ff. 57 Dazu auch genauer unter E. VI. 2. b) aa). Daran konnten auch die bereits in den 70er-Jahren in den USA veröffentlichten Beiträge über die fehlende medizinische Wirksamkeit der Beschneidung im Neugeborenenalter nichts ändern. Die Anzahl der Beschneidungen ging nicht signifikant zurück, siehe Wallerstein, S. 123. Vermutungen und Spekulationen zufolge liegt das auch daran, dass es sich bei der Beschneidung um eine Einnahmequelle im medizinischen Sektor handelt, vgl. dazu Gollaher, S. 212. Zu den sozialrechtlichen Abrechnungsproblemen im deutschen Recht vgl. D. VI. 1. 58 Die Akzeptanz der Beschneidung kommt auch in der Ablehnung nicht-zirkumzidierter Geschlechtspartner zum Ausdruck. So zu sehen in der Fernsehserie „Sex and the City“ aus dem Jahr 1999. Hier wird zwischen den Hauptdarstellerinnen diskutiert, inwieweit ein unbeschnittener Mann als Sexualpartner überhaupt in Betracht kommen kann, vgl. Sex and the City, Staffel 2, Episode 9, „Old dogs, new dicks“. 59 Gollaher, S. 103. 53
IV. Nicht-religiös motivierte Beschneidungstraditionen
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Auch in Australien werden zwischen 10% und 20% aller neugeborenen Jungen beschnitten,60 in Kanada werden Beschneidungen kulturell bedingt oder aus präventiv-medizinischen Gründen durchgeführt61. Gleiches gilt für das Vereinigte Königreich.62 Hier sind die Zahlen allerdings seit Jahren rückläufig.63
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Paix/Peterson, S. 511. Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 120. 62 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e762 ff. 63 Kern/Köhler, S. 104. 61
D. Einfachgesetzliche Rechtslage in Deutschland I. Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln „Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt. Die Beschneidung von neugeborenen Juden ist fester Bestandteil der jüdischen Religion und wird seit Jahrtausenden weltweit praktiziert. In jedem Land der Welt wird dieses religiöse Recht respektiert.“ 1
Das Urteil des LG Köln vom Mai 20122 hat die religiös motivierte Beschneidung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit sowie der juristischen Fachwelt katapultiert.3 Dem landgerichtlichen Urteil ging die Entscheidung des AG Köln vom 21.9.20114 voraus, das von der Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht mittels einer Berufung angegriffen wurde.5 1. Der den Urteilen zugrunde liegende Sachverhalt Der angeklagte muslimische Arzt, gleichzeitig Facharzt für Chirurgie, führte am 4.11.2010 auf Wunsch und mit Einwilligung der Personensorgeberechtigten die Beschneidung an einem vierjährigen Jungen durch. Medizinisch indiziert war der lege artis und unter örtlicher Betäubung vorgenommene Eingriff nicht. Der Arzt vernähte die Wunde und übernahm am Abend desselben Tages die Wundversorgung im Haus der Eltern. Zwei Tage später brachte die Mutter das Kind in die Notaufnahme des Universitätsklinikums Köln, um Nachblutungen behandeln zu lassen. Die Beschneidung machte im Nachgang einen chirurgischen Eingriff unter Vollnarkose sowie einen mehrtägigen stationären Krankenhausaufenthalt
1 Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Zentralrat der Juden in Deutschland, Pressemitteilung. 2 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647. 3 Zur Beurteilung der Thematik vor dem Urteil des LG Köln vgl. vor allem Putzke, Die strafrechtliche Relevanz, S. 669 ff.; Putzke, Juristische Positionen, S. 1568 ff.; Putzke, Rechtliche Grenzen der Zirkumzision, S. 268 ff.; Putzke/Stehr/Dietz, S. 783 ff.; Exner; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 332; Schneider, S. 45 ff.; Stehr/Putzke/Dietz, S. 34 f. 4 AG Köln, Urt. v. 21.9.2011 – Az.: 528 Ds 30/11, BeckRS 2012, 13648. 5 Die Entscheidung oblag dem LG Köln als Berufungsinstanz, vgl. §§ 74 Abs. 3, 76 Abs. 1 S. 1 GVG. LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 5.
I. Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln
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des Kindes erforderlich. Die Nachbehandlung verlief im Ergebnis ohne Komplikationen und war erfolgreich.6 2. Die rechtliche Wertung des AG Köln Das AG Köln sah die Zirkumzision an dem minderjährigen Jungen von der elterlichen Einwilligung (§ 1627 BGB) gedeckt und damit die Strafbarkeitsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit der Körperverletzung, als nicht gegeben. Die Beschneidung habe sich am Wohl des Kindes orientiert.7 Als kulturell-religiöse Handlung diene die Beschneidung der Eingliederung des Kindes in die Religionsgemeinschaft und verhindere dessen Ausgrenzung.8 Darüber hinaus habe sie präventiv-medizinische Vorzüge, da sie u. a. geeignet sei Krebserkrankungen vorzubeugen.9 3. Die rechtliche Wertung der Berufungsinstanz – LG Köln Das LG Köln10 folgte der rechtlichen Wertung der Vorinstanz nicht. Vielmehr, so seine Auffassung, habe der Arzt durch die Beschneidung des Kindes den § 223 Abs. 1 StGB verwirklicht. Es handle sich nicht um eine sozialadäquate Verhaltensweise11 und die rechtfertigende Einwilligung der Personensorgeberechtigten könne den Eingriff nicht legitimieren.12 Das Kind könne aufgrund fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht selbst in den Eingriff einwilligen. Die elterliche Einwilligung diene nicht dem Wohl des Kindes (§ 1627 S. 1 BGB) und sei daher unwirksam. Die Kindeswohldienlichkeit einer Beschneidung ließe sich weder aus religiösen Gründen noch mit dem elterlichen Erziehungsrecht be6
Vgl. zum Sachverhalt Krüper, S. 548; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 331. AG Köln, Urt. v. 21.9.2011 – Az.: 528 Ds 30/11, BeckRS 2012, 13648, Rn. 5; zusammenfassend auch Beulke/Dießner, S. 340; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 135. 8 AG Köln, Urt. v. 21.9.2011 – Az.: 528 Ds 30/11, BeckRS 2012, 13648, Rn. 6 f. 9 AG Köln, Urt. v. 21.9.2011 – Az.: 528 Ds 30/11, BeckRS 2012, 13648, Rn. 8. Zu den tatsächlichen medizinischen Vorteilen und Risiken siehe E. VI. 2. b). 10 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647; NJW 2012, 2128 f.; NJW-Spezial 2012, 474; NStZ 2012, 449 f.; NVwZ 2012, 1424 (Leitsatz); RDG 2012, 233 ff.; FamRZ 2012, 1421 f. Eine Zusammenfassung des Urteils mit Anmerkungen auch bei: Antomo, S. 427 f.; Bartsch, S. 603 ff.; Beulke/Dießner, S. 338 ff.; Eppelsheim; Hassemer, S. 179 ff.; Isensee, S. 317; Jahn, S. 850 ff.; Kempf, S. 434 ff.; Kreß, S. 680 ff.; Krug; Krüper, S. 547 ff.; Lack, S. 337; Muckel, Strafbarkeit eines Arztes, S. 331; Putzke, Recht und Ritual, S. 621 ff.; Ring, S. 148 f.; Rox, Anmerkung, S. 806 ff.; Wiater, S. 1379; Zypries, S. 139. Zum österreichischen Recht Bernat, S. 196 ff. 11 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 11 f. Zu diesem Gesichtspunkt – mit einem anderen Ergebnis – ausführlich auch Exner, S. 189 f. Dazu genauer unter D. II. 4. 12 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 13. 7
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D. Einfachgesetzliche Rechtslage in Deutschland
gründen. Die betroffenen Grundrechte, auf Seiten der Eltern das Recht zur religiösen Kindererziehung aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG, für das Kind das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und 2 S. 1 GG), könnten durch Zulassung einer Beschneidung nicht in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Diese Einschätzung könne bereits auch aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV, der die Einschränkung von Freiheitsrechten durch Dritte generell untersage, folgen.13 Der Eingriff in die Rechte des Kindes sei jedenfalls unangemessen.14 Dies ergebe sich sowohl aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB als auch aus der Irreversibilität des körperlichen Eingriffs. Letztere verhindere eine selbstbestimmte Entscheidung des Kindes zu einem späteren Zeitpunkt. Die Rechte der Eltern würden durch die Verpflichtung, die Entscheidungsfähigkeit des Kindes abzuwarten, hingegen nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.15 In casu hat das LG Köln den Arzt wegen der bestehenden Unsicherheiten im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung der Knabenbeschneidung aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums i. S. d. § 17 StGB freigesprochen.16 4. Verbotsirrtum i. S. d. § 17 S. 1 StGB Unterliegt der Täter bei seiner Tat einem Verbotsirrtum i. S. d. § 17 S. 1 StGB, handelt er ohne Schuld und bleibt in der Folge straflos. Bedingende Voraussetzung für die Annahme eines Verbotsirrtums ist, dass dem Täter „bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun“ (§ 17 S. 1 StGB). Ein Verbotsirrtum kann auch durch die Fehlvorstellung hinsichtlich der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens begründet sein. Die Annahme des Täters, es liege eine – tatsächlich nicht wirksame – rechtmäßige Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die Zirkumzision des eigenen Kindes vor, kann im Einzelfall einen solchen Irrtum darstellen.17 Dieser führt nur dann zur Straflosigkeit, wenn der Täter den „Irrtum nicht vermeiden konnte“ (§ 17 S. 1 StGB). Bei der Unvermeidbarkeitsprüfung ist die Rechtsprechung besonders streng, umso mehr, wenn das Kernstrafrecht betroffen ist.18 Der Täter ist verpflichtet, sich all seiner Erkenntnis-
13 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14, gestützt auf Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 337 und Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 173. Dazu auch unter E. IV. 2. b) aa) (1). 14 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14. 15 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14 m.w. N. 16 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 15 ff. m.w. N. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Arztes aus § 229 StGB schied wegen fehlendem Pflichtwidrigkeitszusammenhang aufgrund des Verbotsirrtums ebenfalls aus, so Beulke/Dießner, S. 340 mit Fn. 15. 17 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 16. 18 Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 696.
I. Die Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln
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kräfte und sittlichen Wertvorstellungen – im Rahmen seiner persönlichen Fähigkeiten – zu bemühen;19 bei Rechtsfragen muss er sich im Zweifelsfall den Rat eines Kundigen einholen,20 wobei er auf diesen auch nicht blindlings – allein aufgrund der Stellung des Befragten (bspw. als Rechtsanwalt) – vertrauen darf.21 Eine Ausnahme von diesen strengen Anforderungen kann nur in seltenen Fällen zugelassen werden. Nämlich, wenn davon ausgegangen werden muss, dass sich der Irrtum auch durch rechtliche Fachberatung nicht hätte vermeiden lassen.22 Dies ist bei unterschiedlich vertretenen Auffassungen zu einer Rechtsfrage in der juristischen Literatur der Fall.23 Bereits vor dem Kölner Urteil war die rechtfertigende Wirkung elterlicher Einwilligung in die männliche Beschneidung umstritten. Beschneidungsbefürworter existierten ebenso wie die Gegner des zumeist religiös motivierten Rituals.24 Wie ein potenziell konsultierter Rechtsberater vor der aufkommenden Debatte entschieden hätte, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen. Der Verbotsirrtum des Beschneiders, wie er auch vom LG Köln angenommen wurde, wäre demnach auch nicht notwendig durch die Einholung rechtlichen Rates zu vermeiden gewesen.25 Für zukünftige Fälle lässt sich ein entsprechendes Ergebnis – zumindest ohne das Vorliegen weiterer entscheidungserheblicher Besonderheiten – aufgrund der öffentlichen Diskussion zu der Thematik kaum noch begründen.26 Aufgrund der geänderten Gesetzeslage ist ein Rückgriff auf die Regelungen zum Verbotsirrtum aber auch nicht mehr erforderlich. Der Beschneider darf sich auf die gesetzliche Wertung, die elterliche Einwilligung in die Zirkumzision des eigenen Kindes sei generell möglich (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB), verlassen.
19 BGHSt 3, 357 (365 f.); 4, 1 (5); 4, 237 (243); 21, 18 (20); BGH, NStZ 2000, 307 (309). 20 BGHSt 21, 18 (20); BGH, NStZ 2000, 307 (309); BayOLG, NJW 1989, 1744 f.; OLG Köln, NJW 1996, 472 (473). Nach Bartsch, S. 608, kann das für den Fall des Beschneiders in dem dem Urteil des LG Köln zugrundeliegenden Fall gerade nicht gelten. Denn zuvor wurden Beschneidungen nicht – zumindest nicht ohne das Vorliegen weiterer Besonderheiten – strafrechtlich verfolgt. 21 BGH, NStZ 2000, 307 (309) m.w. N. 22 Allein die fehlende Einholung reicht zur Begründung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht mehr aus, vgl. dazu Joecks, in: Joecks/von Heintschel-Heinegg/Miebach, § 17 StGB, Rn. 65. 23 Joecks, in: Joecks/von Heintschel-Heinegg/Miebach, § 17 StGB, Rn. 58. 24 Mit dieser Einschätzung im Jahr 2011 auch Exner, S. 26 m.w. N. Zu der Diskussion um die Beschneidung vor dem Urteil des LG Köln vgl. auch die Nachweise in Fn. 3. 25 LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 17, in diesem Punkt zust. Bartsch, S. 608; Jahn, S. 852. Nach Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 374, hätte sich der Arzt dennoch zumindest erkundigen müssen und sei die Annahme des Verbotsirrtums durch das LG Köln „zumindest fragwürdig“. 26 So auch Brocke/Weidling, S. 457.
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5. Rechtliche Folgewirkung des landgerichtlichen Urteils Das Urteil des LG Köln wurde heftig kritisiert.27 Es hat mit seiner Wertung die juristische Praxis und Wissenschaft sowie die betroffenen Glaubensgemeinschaften und Ärzte alarmiert und unbefriedigt zurückgelassen. Damit wurde dem Urteil gleichzeitig ein Stellenwert beigemessen, der seiner wahren Bedeutung nicht gerecht werden kann. Die landgerichtliche Entscheidung hat keine präjudizielle Wirkung und war damit bei künftigen Entscheidungen nicht zu beachten. Eine Präjudizwirkung ist dem deutschen Recht bis auf wenige Ausnahmen insgesamt fremd.28 Lediglich im Revisionsverfahren29 und für Entscheidungen des BVerfG (§ 31 Abs. 1 BVerfGG)30 gilt der Grundsatz der Bindungswirkung. Die Staatsanwaltschaft hingegen ist womöglich an die Entscheidung mittelbar gebunden. Es ist umstritten, ob die Vertreter der Anklage auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 152 Abs. 2 StPO) bzw. die Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO) verzichten dürfen, obwohl die Rechtsprechung die Strafbarkeit des Verhaltens annimmt.31 Will man eine entsprechende staatsanwaltschaftliche Verpflichtung begründen, ist jedenfalls eine „hinreichend gefestigte Rechtsprechung“ zu fordern,32 wie sie bei „fester höchstrichterlicher Gesetzesanwendung“ 33 oder jedenfalls zahlreichen unangefochtenen Entscheidungen unterer
27 Vgl. nur Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 20. Er bezeichnet das Urteil als „klassisches Fehlurteil“; krit. ebenfalls Klinkhammer, S. 1913; Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 98; Schütz, S. 390 ff. Die Strafbarkeit entbehrt einer rechtlichen Grundlage, die nur durch ein zusätzliches Parlamentsgesetz begründet werden kann (S. 391). Gegen die Auffassung von Schütz ausdrücklich Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 299; das Urteil ablehnend auch Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 337; Wapler, S. 540; a. A. Britz, S. 253. Er findet das Urteil des LG Köln richtig und begründet dies mit einer seiner Meinung nach übersehenen theologischen Begründung des Fehlens eines Beschneidungsgebots im jüdischen Glauben. Auf die Tradition der Beschneidung im Islam, welche bei dem Urteil des LG Köln im Mittelpunkt stand, geht er nicht ein. Zu der Meinung von Britz näher unter E. IV. 2. a) cc) (4) (a). Krüper, S. 551, hält das Urteil ebenfalls für richtig. Es sei nicht die Aufgabe der Strafrichter, sondern des Parlaments, politische, medizinische und historische Gesichtspunkte in die verfassungsrechtliche Abwägung einzubeziehen. 28 Lilie, S. 5. 29 Im Rahmen des Revisionsverfahrens wird das Urteil lediglich auf revisionsrelevante Verfahrensfehler und die Richtigkeit der Anwendung des materiellen Rechts geprüft. Eine erneute Sachverhaltsfeststellung findet nicht statt (vgl. § 337 StPO). 30 Siehe zu den Voraussetzungen der Bindungswirkung bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 20, Rn. 89 ff.; zum Umfang der Bindungswirkung Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein u. a., 43. Egl. 2014, § 31 BVerfGG, Rn. 94 ff. 31 M.w. N. aus Lit. und Praxis Beulke, Rn. 89 f.; Kretschmer, S. 453 f. 32 Beulke, Rn. 90. 33 BGHSt 15, 155 (158).
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Gerichte vorliegt.34 Ein einmaliges landgerichtliches Urteil wie das des LG Köln im Fall der Beschneidung, wäre demnach nicht ausreichend.35 Folgerichtig konnte das Urteil des LG Köln auch vor Einführung des § 1631d BGB für die Beurteilung ähnlich gelagerter Beschneidungsfälle keine rechtliche Bindungswirkung begründen; eine legislative Klarstellung war nicht aus diesem Grund erforderlich.
II. Tatbestandsmäßigkeit der Beschneidung 1. Einfache Körperverletzung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB Als objektive Tatbestandvoraussetzungen definiert § 223 Abs. 1 StGB die körperliche Misshandlung oder die Gesundheitsschädigung einer anderen Person durch den Täter. Eine körperliche Misshandlung ist „eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird“.36 Bei jeder Substanzverletzung – auch beim bloßen Abschneiden von Haaren37 – handelt es sich um eine körperliche Misshandlung; die Zufügung von Schmerzen ist keine notwendige Voraussetzung dieser Tatbestandsalternative.38 Die Zirkumzision führt zu einem Substanzverlust,39 da bei diesem Vorgang das Präputium ganz oder teilweise entfernt wird.40 Der objektive Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB in Gestalt der körperlichen Misshandlung ist
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Beulke, Rn. 90. Der Berliner Senator Heilmann hat sich ausdrücklich von dem Urteil des LG Köln distanziert und klargestellt, dass der Fall in Berlin einer anderen Lösung zugeführt worden wäre (Stand: 5.9.2012). In einer Pressemitteilung teilte er mit, dass „(. . .) im Land Berlin grundsätzlich von der strafrechtlichen Verfolgung von religiös motivierten Beschneidungen abgesehen [wird], wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Beide Elternteile bzw. die Sorgeberechtigten willigen schriftlich ein, nachdem sie ausführlich über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs aufgeklärt wurden. Die Eltern weisen die religiöse Motivation und die religiöse Notwendigkeit der Beschneidung vor Religionsmündigkeit des Kindes nach (etwa zusammen mit der Einwilligungserklärung oder durch eine Bestätigung der jeweiligen Religionsgemeinschaft). Der Eingriff wird nach medizinisch fachgerechtem Standard vorgenommen. Dazu gehören insbesondere die Sterilität der Umgebung sowie der medizinischen Hilfsmittel, eine größtmögliche Schmerzfreiheit und eine blutstillende Versorgung. Nach jetzigem Stand kann den Eingriff nur ein approbierter Arzt oder eine approbierte Ärztin durchführen.“, vgl. Heilmann. Auch in Baden-Württemberg sollte nach Aussage der Generalstaatsanwaltschaften Karlsruhe und Stuttgart die Beschneidung vorerst straffrei möglich bleiben, vgl. Staatsministerium Baden-Württemberg. Krit. ggü. einer administrativen Lösung Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1115. 36 BGHSt 14, 269 (271); 25, 277 (277 f.); 53, 145 (158); Lackner, in: Lackner/Kühl, 223 StGB, Rn. 4 m.w. N. 37 BGH NJW 1953, 1440; Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 StGB, Rn. 3. 38 Lackner, in: Lackner/Kühl, 223 StGB, Rn. 4. 39 Zu den medizinischen Aspekten des Eingriffs siehe E. VI. 2. b). 40 Siehe oben B. II. 35
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bei der Beschneidung aus diesen Gründen erfüllt.41 Darüber hinaus verwirklicht sich mit einer Zirkumzision auch die Tatbestandsalternative der Gesundheitsschädigung.42 Eine Gesundheitsschädigung ist „jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom normalen Zustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden (pathologischen) Zustandes, gleichgültig, auf welche Art und Weise er verursacht wird und ob das Opfer dabei Schmerz empfindet“.43 Die Zirkumzision geht mit dem Verlust eines Körperteiles und im Einzelfall mit erheblichen Schmerzen einher und verursacht eine blutende Wunde, deren Abheilung bis zu zwei Wochen dauern kann,44 was für die Erfüllung dieser Tatbestandsalternative ausreichend ist. Zudem muss von einer Gesundheitsschädigung im Einzelfall jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn es durch die Beschneidung zu psychotraumatischen Spätfolgen mit Krankheitswert kommt.45 Denn dabei handelt es sich um eine vom Normalzustand abweichende negative Veränderung. Die generelle Subsumtion der Zirkumzision unter die Tatbestandsalternative der Gesundheitsschädigung ist möglich. Dennoch ist eine einzelfallbezogene Subsumtion erforderlich. Im Ergebnis kommt es darauf nicht notwendig an, da durch die Zirkumzision zumindest eine körperliche Misshandlung vorliegt.46 Der die Beschneidung begleitende körperliche Eingriff erfüllt den Tatbestand der einfachen Körperverletzung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB, und zwar unabhängig davon, ob er von einem Arzt oder einem rituellen Beschneider vorgenommen wird.47 41 So auch Exner, S. 30; Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 121; Isensee, S. 320; Jorzig, S. 178; Kempf, S. 436; Putzke, Juristische Positionen, S. 1569; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, 2011, S. 224; nach Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 317, kommt es auf die Erfüllung der Erheblichkeitsschwelle für die körperliche Misshandlung nicht an, da eine Gesundheitsschädigung vorliegt. Allerdings ist aufgrund des Substanzverlusts und der mit der Zirkumzision verbundenen Schmerzen diese Schwelle ohnehin überschritten, sodass die Beurteilung am Ergebnis nichts ändern würde. 42 So auch Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 121; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 317; Kempf, S. 436 f.; Lack, S. 337; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 273. 43 Lackner, in: Lackner/Kühl, 223 StGB, Rn. 5 m.w. N. 44 Dazu Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 90. 45 So auch Exner, S. 31. Zu den Gefahren und Risiken der Zirkumzision auch E. VI. 2. b) bb). 46 Exner, S. 30 f. 47 So auch OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3582; Bartsch, S. 605; Exner, S. 30 f., 168, 189, der den Körperverletzungstatbestand seinem Wortlaut, nicht aber seinem Wortsinn nach als erfüllt ansieht und den objektiven Tatbestand über das Merkmal der Sozialadäquanz einer Korrektur dahin gehend unterzieht, dass dieser letztlich nicht erfüllt ist, vgl. dazu ausführlich unter D. II. 4. b). Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 87; Hahn, Erik, S. 215; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 170; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 471; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 501; Kern/Köhler, S. 105; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 412; Spickhoff, Strafrecht, S. 1423; Valerius, S. 484. Zur Erforderlichkeit der teleologischen Reduktion des Tatbestands aufgrund des kollektiven Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften vgl. unter E. III. 2. c) aa), dort mit Fn. 105. Zu der Frage, ob bei einem medizi-
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2. Gefährliche Körperverletzung i. S. d. § 224 Abs. 1 StGB Darüber hinaus kann eine Zirkumzision auch den Qualifikationstatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB) erfüllen. In Betracht kommen die Tatbestandsvarianten: Begehung einer Körperverletzung „mittels (. . .) eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ (Nr. 2 Alt. 2) sowie die Körperverletzung „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ (Nr. 4 StGB) und „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ (Nr. 5 StGB). a) Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) aa) Gefährliches Werkzeug Ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB bezeichnet einen „Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen“.48 Erheblich i. S. d. Definition sind solche Verletzungen, die nicht nur leichte Verletzungen oder Gesundheitsschädigungen sind.49 Regelmäßig wird zum Abtrennen der Vorhaut bei der Zirkumzision ein Schneidewerkzeug verwendet,50 das die Merkmale eines gefährlichen Werkzeuges zu erfüllen geeignet ist. Denn Messer werden als gefährliches Werkzeug eingestuft, wenn sie als stechendes oder schneidendes Instrument eingesetzt werden.51 Kommt ein Schneidewerkzeug zum Einsatz, das nicht die Merkmale eines Messers aufweist, handelt es sich dennoch um ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB, da es in der konkreten Situation dazu bestimmt und geeignet ist, die Vorhaut zu durchtrennen und damit auch dazu, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Die Risiken, die mit dem Eingriff verbunden sind, schließen bereits aus, diesen als unerhebliche Bagatelle zu begreifen.52 Dies wird auch durch die Tatsache gestützt, dass die Wunde, welche die Beschneidung hinterlässt, i. d. R. genäht werden muss.53 Ob es im Einzelfall zu erheblichen Verletzungen gekommen ist, ist nicht entscheidend. Die abstrakt-generelle Möglichkeit erheblicher Verletzungen ist ausreichend. nisch indizierten Eingriff eines Arztes der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt ist, vgl. bereits unter B. IV. 1. 48 BGHSt 3, 105 (109); BGH NStZ 87, 174; NStZ 2002, 30; NStZ 2002, 594; NStZ 2007, 95; NStZ-RR 2009, 50; NStZ 2010, 512 (513); Lackner, in: Lackner/Kühl, § 224 StGB, Rn. 5. 49 Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 224 StGB, Rn. 28. 50 Zu den Einzelheiten der Durchführung einer Beschneidung siehe E. VI. 4. a) bb). 51 BGH StV 2002, 21 (22). 52 Siehe dazu unter E. VI. 2. a) bb). 53 So Kempf, S. 437.
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bb) Sonderfall: Der Einsatz von ärztlichem Operationsbesteck Bei ärztlichem Operationsbesteck sehen Rechtsprechung und herrschende Lehre von der generellen Subsumtion des Gegenstands unter § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB – auch wenn dieser die Merkmale eines gefährlichen Werkzeugs grundsätzlich erfüllt – ab, wenn nicht – über die übliche Verwendung hinaus – hinzutritt, dass das Werkzeug als Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel eingesetzt wird.54 Denn die Strafschärfung resultiert aus dem Gebrauch eines Gegenstandes als Waffe oder eines (zumindest „waffenähnlichen“) gefährlichen Werkzeugs.55 Dem Gebrauch ärztlichen Operationsbestecks fehlt bei Handhabung durch einen Arzt und dem Einsatz nach den Regeln des ärztlichen Standards generell der notwendige Angriffs- und Verteidigungscharakter.56 Die ärztliche Behandlung dient regelmäßig der Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten bzw. jedenfalls der Linderung eines Leidens. Die Verletzung körperlicher Integrität bildet nicht das primäre Eingriffsziel.57 Der ärztliche Beschneider würde sich bei strikter Einhaltung dieser Regel, auch und trotz Einsatzes eines gefährlichen Werkzeuges, nicht (jedenfalls nicht aus diesem Grund) einer gefährlichen Körperverletzung schuldig machen. Denn auch ohne medizinische Indikation setzt er das Schneidewerkzeug bei der Beschneidung nicht zum Angriff oder zur Verteidigung ein. Aus strafrechtlicher Beurteilungsperspektive würde es bei einer – jedenfalls tatbestandsmäßigen – einfachen Körperverletzung bleiben. Gleiches Verhalten durch einen nicht-approbierten rituellen Beschneider wäre anders zu beurteilen. Die einschränkende Auslegung des Tatbestandes kann diesem nicht generell zum Vorteil gereichen. Denn er erfüllt die dafür notwendige Voraussetzung, Arzt zu sein, i. d. R. nicht. Dabei nehmen die rituellen Beschneider, die meist auch über eine Ausbildung zur Durchführung des Eingriffs verfügen,58 Zirkumzisionen oft regelmäßiger und routinierter als approbierte Mediziner vor, da sie häufig über eine langjährige Erfahrung auf diesem Spezialgebiet verfügen.59 Eine unterschiedliche Beurteilung einer ärztlichen Beschneidung und einer solchen durch einen rituellen Beschneider ist – zum Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit – daher nicht notwendig angezeigt.60 Dies verdeutlicht auch,
54 BGH, NJW 1978, 1206 (1206); Lackner, in: Lackner/Kühl, § 224 StGB, Rn. 5; Schramm, Ehe und Familie, S. 224. 55 BGH, NJW 1978, 1206 (1206). 56 BGH, NStZ 1987, 174; Lackner, in: Lackner/Kühl, § 224 StGB, Rn. 5; Schreiber/ Schott/Rascher u. a., S. 412; so auch LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 10. 57 Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 224 StGB, Rn. 28.1; Lilie, in: Jähnke/ Laufhütte/Odersky, § 224 StGB, Rn. 24, will dies als Begründung gerade nicht ausreichen lassen, da diese Argumentation bereits den Tatbestand der einfachen Körperverletzung entfallen lassen müsste. 58 Siehe dazu auch unter E. VI. 5. b). 59 So auch Yalçin, S. 387.
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dass eine entsprechende Differenzierung eine unnötige „Sonderdogmatik“ für zugelassene Ärzte schafft.61 Die Gefährlichkeit eines Werkzeugs löst sich nicht per se in den Händen eines approbierten Mediziners auf62 und hängt auch nicht allein von einem Vorgehen de lege artis ab.63 Eine sachgerechte strafrechtliche Einordnung des Verhaltens erfordert, die Beschaffenheit des Gegenstandes, die tatsächliche Qualifikation des Benutzers und die konkrete Gefährlichkeit der Benutzung in die Bewertung einzubeziehen.64 In diesen Punkten müssen sich die Behandlung durch einen approbierten Arzt und diejenige durch einen nicht-approbierten rituellen Beschneider nicht notwendig unterscheiden.65 Der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs durch einen rituellen Beschneider und durch einen Arzt ist aus strafrechtlicher Perspektive folglich gleich zu beurteilen. Die Sonderstellung approbierter Ärzte macht auch vor dem Hintergrund der fehlenden Differenzierung im Zusammenhang mit § 223 Abs. 1 StGB66 wenig Sinn. Der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann daher, unabhängig von der Person des Verwenders, aufgrund der Benutzung eines gefährlichen Werkzeugs durch die Beschneidung verwirklicht sein.67 b) Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) Die Zirkumzision wird zum Teil in Anwesenheit zahlreicher Erwachsener an dem Kind vollzogen. Für sich alleine ist dies nicht ausreichend, um die Tatbe60 Siehe dazu auch Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 224 StGB, Rn. 17, der für das Setzen einer Injektion die Befähigung einer Krankenschwester mit der des Inhabers eines medizinischen Lehrstuhls vergleicht, um aufzuzeigen, dass die Approbation nicht immer ein gelungenes Abgrenzungskriterium sein kann. 61 Dazu Bartsch, S. 605. 62 So Sowada, S. 124 f. 63 Fischer, § 224 StGB, Rn. 9; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 332; Kempf, S. 437; Putzke, Recht und Ritual, S. 622 m.w. N. Darüber hinaus auf die Problematik eines dann fehlenden Notstandsrechts hinweisend und aus diesem Grund ebenfalls krit. Peglau. Brocke/Weidling, S. 452, will daher den Einsatz des Operationswerkzeugs als Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel durch den Beschneider ebenfalls zur Voraussetzung machen und aufgrund des generellen Fehlens dieser Voraussetzung die Verwirklichung dieses Tatbestandes verneinen. 64 Lilie, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky, § 224 StGB, Rn. 24. 65 Insbesondere dient der Eingriff nicht der Verbesserung des körperlichen Zustandes, weshalb die Motivation kein taugliches Unterscheidungskriterium bilden kann, vgl. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 224 StGB, Rn. 28.4. 66 Siehe dazu bereits oben D. II. 1. 67 Mit diesem Ergebnis auch Bartsch, S. 605; Exner, S. 34; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 170; Kern/Köhler, S. 105; Putzke, Die strafrechtliche Relevanz, S. 682; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 274; Steiner, S. 58; Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 193, ohne nähere Begründung. A. A. LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/ 11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 10; Manok, S. 55.
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standsalternative der gemeinschaftlichen Begehung einer Körperverletzung i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu begründen. Die Strafschärfung liegt in der besonderen Gefährlichkeit für das Opfer begründet, die aus dem Zusammenwirken einer Gruppe resultiert.68 Bei einer Zirkumzision fehlt es regelmäßig an dieser Gruppendynamik. Zu der üblichen Beschneidungszeremonie müssten dafür besondere Umstände hinzutreten. So z. B., wenn das Kind ein Bewusstsein für die bevorstehende Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit besitzt, diese ablehnt und sich wehrlos einer Gruppe Erwachsener gegenübersieht.69 Das setzt ein gewisses Verständnis des betroffenen Kindes von dem Eingriff und dessen Folgen voraus. Bei Säuglingen kann ein solches nicht angenommen werden. Das erforderliche gruppendynamische Zusammenwirken der Erwachsenen fehlt in einer solchen Konstellation regelmäßig. Eine abschließende strafrechtliche Einordnung der Tatsituation bleibt der Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls überlassen. c) Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) Die Erfüllung dieser Tatbestandsalternative setzt voraus, dass die Handlung objektiv geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden, auch wenn die Lebensgefahr in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall nicht eingetreten sein muss.70 Eine Zirkumzision gefährdet regelmäßig nicht das Leben des betroffenen Kindes,71 sodass diese Tatbestandsvariante nicht notwendig erfüllt ist. Handelt es sich – jedenfalls aufgrund der Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB – bei Vornahme einer Zirkumzision um eine gefährliche Körperverletzung, wird die Tat – soweit sie rechtswidrig begangen wurde – ohne Strafantrag verfolgt. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 230 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB, der bestimmt, dass die einfache und die fahrlässige Körperverletzung grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt werden. Von der Stellung eines Strafantrags des Geschädigten (§ 77 Abs. 1 StGB) bzw. der Eltern (§ 77 Abs. 3 StGB) kann in den Fällen einer Zirkumzision auch nicht ausgegangen werden, da die Entscheidung für eine Zirkumzision regelmäßig von den Personensorgeberechtigten des noch nicht geschäftsfähigen Kindes getroffen wird. Entscheidend wäre folglich das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (vgl. § 230 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB), dessen Bejahung im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt.72 68
Lackner, in: Lackner/Kühl, § 224 StGB, Rn. 7. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.17. 70 Lackner, in: Lackner/Kühl, § 224 StGB, Rn. 8 m.w. N. 71 Vgl. dazu auch oben unter E. VI. 2. b) bb). Mit diesem Ergebnis auch Putzke, Buchrezension, S. 186; Putzke, Mit Lob, S. 65. 72 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 230 StGB, Rn. 3. Anhaltspunkte für die Ermessensentscheidung ergeben sich aus Nr. 234 Abs. 1, Nr. 235 Abs. 2 RiStBV. 69
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3. Schwere Körperverletzung i. S. d. § 226 Abs. 1 StGB und Körperverletzung mit Todesfolge i. S. d. § 227 Abs. 1 StGB Die Amputation der Vorhaut allein ist zur Erfüllung des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht ausreichend. Die Vorhaut ist kein wichtiges Glied i. S. d. Vorschrift.73 Glieder sind nur solche Teile des Körpers, die mittels eines Gelenks mit dem Rumpf oder anderen Körperteilen verbunden sind.74 Wenn es allerdings zu gravierenden Folgen kommt, wie z. B. dem Verlust des Penis, kann auch § 226 Abs. 1 StGB erfüllt sein; beim Tod des Kindes als Folge der Beschneidung kann auch eine Strafbarkeit nach § 227 Abs. 1 StGB in Betracht kommen.75 4. Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit – Sozialadäquanz der Beschneidung Die Sozialadäquanz der Zirkumzision kann ein taugliches Instrument sein, die Tatbestandsmäßigkeit76 der Beschneidung entfallen zu lassen.77 a) Anwendung der Sozialadäquanzlehre auf die rituelle Zirkumzision männlicher Kinder Nach der ursprünglich von Wenzel entwickelten Formel handelt sozialadäquat, wer zwar dem Wortlaut nach tatbestandsmäßig handelt, dessen Verhalten sich jedoch im Rahmen des sozial Üblichen und Normalen hält, sich als „verkehrsgerechtes“ Verhalten darstellt.78 Denn das Strafrecht sanktioniert nach seinem Sinn und Zweck nur Verhaltensweisen, die mit der geschichtlich entwickelten Ordnung des Soziallebens nicht in Einklang zu bringen sind. In den sonstigen Fällen fehlt es an der notwendigen missbilligenden Gefahr des Verhaltens.79 Ob aus diesem Grund auch die Tatbestandsmäßigkeit der Zirkumzision männlicher Kinder entfällt, bestimmt sich nach ihrer sozialen Unauffälligkeit sowie daran anknüpfend nach ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Billigung und ihrer geschichtlichen Üblichkeit im Rahmen geltender kultureller Überzeugungen.80 73
Putzke, Buchrezension, S. 186; Putzke, Mit Lob, S. 65. Kühl, in: Lackner/Kühl, § 226, Rn. 3. 75 Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.17. 76 Im dreistufigen Deliktsaufbau findet die Prüfung zur Sozialadäquanz im objektiven Tatbestand statt, sodass bei fehlendem Missbilligungsurteil bereits dieser entfällt. Der Unterschied zu allgemeingültigen Rechtfertigungsgründen besteht darin, dass Letztere eine Handlung ohne Berücksichtigung der sozialen Unauffälligkeit als rechtmäßig einordnen, siehe dazu Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 52, 54. 77 Vgl. dazu die Arbeit von Exner. 78 Welzel, Studien, S. 516 f.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 52. 79 Zum Ganzen Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 52, 54. 80 Dazu Exner, S. 167; Rox, Anmerkung, S. 807. 74
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Für die Einordnung einer Verhaltensweise als sozial unauffällig81 ist entscheidend, ob das Verhalten einem „sozial erwartbaren Handlungsmuster“ unterfällt;82 auf die Bewertung der Gesellschaft kommt es bei diesem Prüfungspunkt nicht an.83 In den jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften wird die Beschneidung nicht einheitlich praktiziert, zum Teil sind auch alternative Beschneidungsrituale ohne körperliche Eingriffe etabliert. Die Ersatzriten haben allerdings in den Glaubensgemeinschaften noch nicht einen solchen Stellenwert erreicht, dass deshalb eine Entscheidung für eine traditionelle Beschneidung seitens der muslimischen und jüdischen Eltern nicht mehr zu erwarten wäre.84 Diese Erwartbarkeit der Entscheidung für eine Beschneidung durch die Eltern ist ausreichend, um der Zirkumzision im religiösen Kontext das Prädikat „sozial unauffällig“ zu verleihen.85 Das Erfordernis der geschichtlichen Übung nimmt solche Verhaltensweisen aus dem Katalog sozialadäquater Verhaltensmuster aus, die nicht „verfestigter Kerngehalt der kulturellen Gesetzesverfassung der Bundesrepublik Deutschland“ sind.86 Es verhindert damit, dass das Strafrecht zum Spielball kultureller Wertvorstellungen wird und vermeidet die fehlerhafte Gleichsetzung von Akzeptanz und fehlender Aufmerksamkeit.87 Diese Gefahr besteht bei der rituellen Zirkumzision in den jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften nicht. Es handelt sich nicht um religiöse Neuerscheinungen, sondern um in den Kulturen ausreichend verankerte Riten.88 Die allgemeine gesellschaftliche Billigung der Zirkumzision darf sich nicht an einem einzelnen Beschneidungsakt orientieren, sondern stellt auf das Verhaltensmuster „rituelle Beschneidung“ als solches ab.89 Vor dem Urteil des LG Köln fand nahezu überhaupt keine öffentliche Debatte über die rituelle Knabenbeschneidung statt. Die fehlende gesellschaftliche Ablehnung des Ritus war nicht gleichzusetzen mit dessen gesellschaftlicher Anerkennung,90 konnte jedoch ein Indiz dafür sein.91 Seit Mai 2012 finden sich regelmäßig öffentliche Meinungs81 Exner überschreibt dieses Merkmal mit „Soziale Unverdächtigkeit“, vgl. Exner, S. 168 ff. 82 Exner, S. 168. 83 Exner, S. 171. 84 Mit einer ausführlichen Subsumtion zum religiösen Hintergrund Exner, S. 168 ff. Siehe zu den Ersatzriten in der jüdischen Glaubensgemeinschaft auch unter C. I. 3. 85 Exner, S. 171 f., 175. 86 Exner, S. 182. 87 Exner, S. 182 f. Krit. ggü. diesem Merkmal Kempf, S. 437. 88 Exner, S. 183 ff. Krit. zu diesem Merkmal Peglau. 89 Exner, S. 176. 90 Exner, S. 176. 91 Exner, S. 179 f., mit dem Rückschluss, dass die rituelle Zirkumzision gesellschaftlich gebilligt ist (S. 182).
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äußerungen zur rituellen Knabenbeschneidung. Die Haltung der Bevölkerung ist ambivalent. Auch wenn valide Daten fehlen, mehren sich jedoch Stimmen, die eine allgemeine gesellschaftliche Billigung der rituellen Zirkumzision ablehnen.92 b) Grundlegende Kritik am Institut der Sozialadäquanz Es ist daher begründbar, die Tatbestandsmäßigkeit der rituellen Zirkumzision aufgrund ihrer Sozialadäquanz entfallen zu lassen.93 Allerdings sieht sich bereits das Institut der Sozialadäquanz berechtigter Kritik gegenüber, die die Anwendung dieser Theorie als solche ausschließt:94 Die Theorie vom sozialadäquaten Verhalten ist aus sich selbst heraus nicht bestimmt genug, um eine Verhaltensweise von der Strafbarkeit auszunehmen.95 Darüber hinaus ist es innerhalb der 92 Vgl. dazu Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 181, bereits vor der durch das Urteil des LG Köln losgetretenen Debatte; so auch Putzke, Sozialadäquanz, S. 230. Er geht davon aus, dass die die Beschneidung ablehnende Mehrheit ihre Ablehnung lediglich noch nicht ausreichend artikuliert hat. Exner, S. 191, hat in seine Arbeit ebenfalls die Erwägung einbezogen, ein gesellschaftlicher Diskurs könnte im Laufe der Zeit die allgemeine Billigung der rituellen Zirkumzision entfallen lassen, will für die Annahme dieses Falles allerdings die „zweifelsfreie positive Feststellung der gesellschaftlichen Missbilligung der Knabenbeschneidung“ voraussetzen. Bartsch, S. 605. Bartsch bezieht sich zur Begründung der gesellschaftlichen Ablehnung der Knabenbeschneidung auf zwei Umfragen aus dem Jahr 2012, durchgeführt von YouGov und emnid. Die im Auftrag der dpa von YouGov durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 45% der Befragten für ein Verbot der rituellen Beschneidung, 42% dagegen sind. 13% der Befragten waren ohne eigene Meinung, vgl. YouGov Deutschland AG. Die im Auftrag von FOCUS durch TNT EMNID durchgeführte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Beschneidungsgesetz von 48% der Deutschen abgelehnt wird, in Ostdeutschland sogar von 55%, vgl. Jach/Stallmann/Wendt. 93 Exner, S. 186; Rohe, Islamisierung, S. 802; Rohe, Das islamische Recht, S. 342. A. A. Bartsch, S. 605, der davon ausgeht, dass Exner aufgrund der nun laufenden gesellschaftlichen Diskussion ebenfalls nicht mehr an der Sozialadäquanz von rituellen Beschneidungen festhalten wird (S. 606). Bernat, S. 196; Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 122; Fischer, § 223 StGB, Rn. 11. Fischer noch anders bis einschließlich zur 55. Auflage, dort § 223 StGB, Rn. 6b; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 171; Isensee, S. 320; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 317; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 181; Putzke, Juristische Positionen, S. 1569; Putzke, Sozialadäquanz, S. 229 f.; Rox, Anmerkung, S. 807; Yalçin, S. 381. Eine andere Beurteilung traf der schwedische Oberste Gerichtshof im Jahr 1997, vgl. Ring/OlsenRing, S. 523. Eine Urteilszusammenfassung in englischer Sprache auch bei Schiratzki, S. 37. Diese Auffassung wurde in Schweden durch das Gesetz aus dem Jahr 2001 ebenfalls aufgegeben. Zu der schwedischen Regelung auch unter D. V. 4. 94 Daher stellt sich auch eine rituelle Zirkumzision im Ergebnis nicht als sozialadäquates Verhalten dar. Mit diesem Ergebnis auch LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 11 f. mit Verweis u. a. auf: Freund, in: Joecks/von Heintschel-Heinegg/Miebach, Vorb. zu den §§ 13 ff. StGB, Rn. 159. Dem LG Köln ausdrücklich zust. Hahn, Erik, S. 215. Bei der Lehre von der Sozialadäquanz handelt es sich lediglich um einen „paraphrasierenden Sekundärbegriff“, so Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 171; ebenfalls ablehnend Scheinfeld, Erläuterungen, S. 274. 95 Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 382; Putzke, Sozialadäquanz, S. 229; Putzke, Recht und Ritual, S. 622; Radtke, Stellungnahme, S. 4; Steinbach, S. 3.
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deutschen Strafrechtsdogmatik auch nicht erforderlich, die Missbilligung eines Verhaltens über ein zusätzliches Element des objektiven Tatbestands einer Strafvorschrift auszuschließen. Vielmehr erfolgt dies im Rahmen der Rechtswidrigkeit oder auf der Schuldebene für den konkreten Einzelfall96 respektive – bei Schaffen eines „erlaubten Risikos“ oder bei „geringfügigen, allgemein tolerierten Handlungen“ – kann die Handlung nicht unter den Tatbestand subsumiert werden (Fall 2)97 oder entfällt bereits die objektive Zurechnung (Fall 1)98. Die Erfüllung des Tatbestandes der Körperverletzung enthält in der Definition der körperlichen Misshandlung mit dem Merkmal „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens“ bereits den Ausschluss von Bagatelleingriffen. Eine weitere Korrektur ist nicht angezeigt.99 Darüber hinaus verursacht die Lehre von der Sozialadäquanz einen nicht hinzunehmenden Widerspruch zu der Beurteilung medizinischer Heileingriffe100 bei denen der Körperverletzungstatbestand immer erfüllt ist.101 Die Lehre der Sozialadäquanz ist daher nicht geeignet die Tatbestandsmäßigkeit einer Beschneidung entfallen zu lassen. 5. Straffreiheit kraft Gewohnheitsrecht Eng mit der Sozialadäquanz verbunden ist die mögliche Anerkennung von zur Straffreiheit führendem Gewohnheitsrecht. Als solches definiert ist das „Recht, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muss und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird“.102 Das kann für die straffreie Durchführung von Zirkumzisionen an männlichen Kindern aufgrund elterlicher Einwilligung gelten. Obwohl die jüdische und muslimische Beschneidungspraxis in Deutschland bereits seit langer Zeit bekannt und üblich war, wurden Fälle nur selten von der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht. Die Beteiligten – rituelle Beschneider, Ärzte, Eltern und Religionsgemeinschaften – teilten die Ansicht von der Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung.103 Der Anerkennung von Gewohnheitsrecht im Straf96
Putzke, Sozialadäquanz, S. 230; Rox, Anmerkung, S. 807; Steinbach, S. 3. Roxin, § 10, Rn. 40. 98 Putzke, Buchrezension, S. 186; Roxin, § 10, Rn. 38. Für die Zirkumzision kann weder die objektive Zurechnung noch die Sozialadäquanz die Strafbarkeit vermeiden: Bei medizinischen Eingriffen, auch bei Heileingriffen, handelt es sich nicht um einen Fall des erlaubten Risikos, vgl. Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 122. 99 Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 122; Hörnle/Huster, S. 329. 100 Stehr/Putzke/Dietz, S. 24. Eine Vergleichbarkeit ablehnend Exner, S. 174. Letztlich sei der medizinische Heileingriff ebenfalls straffrei und, jedenfalls nach Teilen der Literatur, entfalle auch hier bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung. 101 Siehe dazu auch unter B. IV. 2. 102 BVerfGE 22, 114 (121). 103 Krebs/Becker, S. 99 f. 97
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recht stehen allerdings grundsätzliche Bedenken entgegen: Die gesetzlich bestimmte Strafbarkeit einer Verhaltensweise kann nicht durch eine übereinstimmend akzeptierte Verhaltensweise ausgehebelt werden.104 Vielmehr bedarf dies einer Gesetzesänderung. Gewohnheitsrecht kann folglich nicht die Grundlage einer rechtfertigenden Einwilligung bilden.105 Der Gesetzgeber hat mit § 1631d BGB eine Grundlage für die Zulässigkeit einer Einwilligung der Personensorgeberechtigten in die Körperverletzung des eigenen Kindes geschaffen und damit seinen Willen zum Ausdruck gebracht. Auch aus diesem Grund ist der, ohnehin abzulehnende, Rückgriff auf Gewohnheitsrecht nicht mehr möglich. 6. Mögliche Strafbarkeit der die Beschneidung veranlassenden Eltern a) Anstifterstrafbarkeit der Personensorgeberechtigten Die Eltern als Initiatoren des Beschneidungsgeschehens blieben bisher von einer Strafverfolgung verschont,106 obwohl eine Strafbarkeit als Anstifter zu einer Körperverletzung in Betracht kommen kann.107 Die in § 26 StGB geforderte vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat liegt – soweit die Einwilligung der Eltern nicht rechtfertigend wirkt – in der durch die Zirkumzision begangenen Körperverletzung.108 Grundsätzlich kann der ebenfalls erforderliche doppelte Anstiftervorsatz der Eltern bejaht werden. Zweck der elterlichen Handlung ist gerade die Vornahme einer Beschneidung am eigenen Kind. Der Eingriff in die körperliche Integrität des Kindes ist den Eltern dabei bekannt. Ebenso die Tatsache, dass der Beschneider nur auf ihren Wunsch tätig wird. b) Übergesetzlicher Entschuldigungsgrund aus Art. 4 Abs. 1 GG Die potenzielle Strafbarkeit elterlichen Verhaltens kann, unabhängig von der Bewertung der Rechtmäßigkeit elterlicher Einwilligung, auch aufgrund eines in Art. 4 Abs. 1 GG gründenden übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes entfal104
Hassemer/Kargl, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 1 StGB, Rn. 65 ff. m.w. N. Krebs/Becker, S. 101. 106 Zur möglichen mittelbaren Täterschaft eines nicht sorgeberechtigten Elternteils, welcher in die Beschneidung des minderjährigen Kindes einwilligt und dabei die fehlerhafte Vorstellung des beschneidenden Arztes hinsichtlich des tatsächlich nicht bestehenden Sorgerechts ausnutzt, vgl. OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3582. 107 So auch Exner, S. 30; Jahn, S. 851 f. Zudem könnten sich die Eltern durch ihr Verhalten auch wegen einer Verletzung ihrer Fürsorgepflicht strafbar machen (§ 171 StGB), so angedacht bei Kern/Köhler, S. 105 oder zusätzlich u. U. nach § 223, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 27 Abs. 1, § 13 Abs. 1 und/oder § 225 StGB, so auch Scheinfeld, Erläuterungen, S. 274. 108 Vgl. zur elterlichen Einwilligung auch D. IV. 3. Bei Annahme eines Verbotsirrtums wie im Fall des LG Köln bleibt die Rechtswidrigkeit der Körperverletzung bestehen. Die Straffreiheit findet ihre Begründung auf der Schuldebene, vgl. dazu D. I. 4. 105
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len. Dieser Entschuldigungsgrund deckt Fallgestaltungen ab, in denen dem Täter aus religiösen Gründen normgemäßes Alternativverhalten nicht zugemutet werden kann. Er begehrt dann nicht in strafrechtlich relevanter Weise gegen das rechtsstaatliche System auf, was eine Bestrafung als unverhältnismäßig und damit menschenrechtsverletzend wirken lassen kann.109 Der Entschuldigungsgrund setzt die Unzumutbarkeit rechtmäßigen Handelns voraus. Im Fall der elterlichen Einwilligung in die Zirkumzision des eigenen Kindes ist aber eine positive Entscheidung der Eltern für die Körperverletzung erforderlich. Im Bereich der Begehungsdelikte ist der übergesetzliche Entschuldigungsgrund grundsätzlich nicht vorgesehen und daher nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zuzulassen.110 Die Verpflichtung zu einer Handlung, welche von dem Betroffenen als unzumutbar empfunden wird, greift deutlich intensiver in dessen Rechte ein als die Verpflichtung, eine Handlung – hier die Erteilung der Einwilligung – zu unterlassen. Nichtsdestoweniger bringt das Verbot der Zirkumzision die Personensorgeberechtigten, die selbige als religiöse Verpflichtung empfinden, in einen Entscheidungskonflikt zwischen rechtmäßigem und als religiös verpflichtend empfundenem Verhalten. Dies ist bei der grundrechtlichen Güterabwägung auch zu berücksichtigen. Kann der Staat allerdings eine verfassungsgemäße Entscheidung gegen die Zirkumzision treffen, kann einer religiösen Begründung des Verhaltens nicht erneut über den Umweg eines strafrechtlichen Entschuldigungsgrundes Bedeutung beigemessen werden. Daher scheidet die Straffreiheit der Eltern aufgrund eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes hier grundsätzlich aus.111
III. Bedeutung des ärztlichen Standesrechts für die Zirkumzision Für approbierte Mediziner sind auch die Regelungen des ärztlichen Standesrechts von Bedeutung. Sie sind Pflichtmitglied in der für sie zuständigen Ärztekammer.112 Nach den Heilberufekammergesetzen der Länder überwachen die Kammern die Einhaltung der Berufspflichten ihrer Mitglieder.113 Verstößt die Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Zirkumzision gegen eine ärztliche Berufspflicht, hat der Mediziner Sanktionen durch die zuständige Ärztekammer zu befürchten. Diese reichen von der Erteilung einer Rüge bis zur Aberkennung 109
Zum Ganzen BVerfGE 32, 98 (109 f.); 33, 23 (29). Lackner, in: Lackner/Kühl, Vorb. § 32–§ 35 StGB, Rn. 30. Diesen Entschuldigungsgrund für Begehungsdelikte überhaupt nicht anerkennend Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, Vorb. zu den §§ 32 ff., Rn. 119 m.w. N. 111 A. A. Jahn, S. 852. Die Beschneider können sich bereits wegen des fehlenden Schutzes ihrer Verhaltensweise aus Art. 4 Abs. 1 GG nicht auf diesen Entschuldigungsgrund berufen. Vgl. zu den Rechten der rituellen Beschneider unter E. VII. 112 Laufs, in: Laufs/Kern, § 13, Rn. 7. 113 Vgl. exemplarisch § 4 Abs. 1 Nr. 2 HBKG BaWü; § 5 Abs. 1 Nr. 1 HeilberufsG Hessen; § 3 Abs. 1 Nr. 2 HeilBG Rh-Pf. 110
III. Bedeutung des ärztlichen Standesrechts
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der Approbation.114 Der – die Berufspflichten näher definierenden – ärztlichen Berufsordnung ist eine moderne und angepasste Form des hippokratischen Eides115 vorangestellt. Der Arzt gelobt dabei, sein „Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen“ 116 und die Gesundheit der Patienten als das „oberste Gebot“ seines Handelns anzuerkennen.117 Die Gesundheit des Kindes ist bei allein religiös motivierten Zirkumzisionen nicht die Intention des ärztlichen Handelns.118 Die Gesundheit des Patienten als obersten Wert zu betrachten bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass der Eingriff für den Patienten medizinisch sinnvoll sein muss.119 Vielmehr werden ärztliche Eingriffe auch ohne die Absicht, Heilung oder Linderung eines Leidens zu erreichen vorgenommen, wie u. a. kosmetische Operationen oder Organspenden.120 Ähnlich der Organspende hat der Gesetzgeber die religiös motivierte Zirkumzision ausdrücklich zugelassen (§ 1631d Abs. 1 BGB). Die einfachgesetzliche Erlaubnis bindet den Arzt allerdings nicht, wenn sich der Eingriff grundsätzlich nicht mit dem ärztlichen Berufsethos in Einklang bringen lässt.121 Letztlich kommt es darauf aber nicht entscheidend an. Das Gelöbnis ist einer Rechtsnorm nämlich nicht vergleichbar und begründet deshalb für den Arzt „keine eigenständigen Pflichten“ 122. Die Vornahme der rituellen Zirkumzision nach den Regeln der ärztlichen Kunst verstößt erkennbar nicht gegen sonstige in den Berufsordnungen festgeschriebene Berufspflichten.123 Für Ärzte besteht durch Vornahme einer religiös motivierten Zirkumzision keine grundsätzliche Gefahr standesrechtlicher Verfolgung.
114 Vgl. exemplarisch § 58 HBKG BaWü; § 50 HeilberufsG Hessen; §§ 11, 44 HeilBG Rh-Pf. 115 Im Wortlaut des Genfer Arztgelöbnisses. 116 Vgl. dazu BÄK, Deklaration von Genf, Gelöbnis, abrufbar unter: http://www. bundesaerztekammer.de/downloads/genf.pdf (30.5.2016). 117 Vgl. dazu BÄK, Deklaration von Genf, Gelöbnis, abrufbar unter: http://www. bundesaerztekammer.de/downloads/genf.pdf (30.5.2016). 118 So – in dem Zusammenhang – auch Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 45; Stehr in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, in: Szent-Ivanyi/Timot. 119 A. A. Stehr in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, in: Szent-Ivanyi/ Timot. Der Eingriff muss heilen oder jedenfalls helfen. 120 Siehe dazu auch unter E. VI. 2. b) aa) (2) (c), E. VI. 3. a) aa) und bb). 121 Dies ist aufgrund der einschränkenden Voraussetzungen des § 1631d BGB allerdings nicht der Fall, vgl. dazu auch unter E. VI. 6. A. A. Putzke/Dietz/Stehr, S. 5. Trotz der Einführung des § 1631d BGB gebietet die ärztliche Ethik, den operativen Eingriff einer Beschneidung an minderjährigen Kindern zu unterlassen. 122 Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, MBO – Gelöbnis, Rn. 1; BayVerfGH, BayVBl. 1980, 46 (46 f.). 123 A. A. Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413. Die Ärztinnen und Ärzte, die eine Beschneidung an Minderjährigen ohne medizinische Indikation durchführen, verstoßen unabhängig von der elterlichen Einwilligung gegen die Generalpflicht aus § 2 Abs. 1 MBO-Ä. Dabei gehen die Autoren allerdings davon aus, dass die elterliche Einwilligung den Beschneider nicht rechtfertigen kann.
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IV. Rechtfertigende Einwilligung Bei der Einwilligung handelt es sich um einen gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund.124 Einfachgesetzlich hat die Einwilligung in § 228 StGB und – für Eingriffe nach Abschluss eines Behandlungsvertrags (§ 630a BGB) – in § 630d BGB Niederschlag gefunden. Eine Einwilligung kann nur rechtfertigend wirken, wenn sie sich auf ein disponibles Rechtsgut bezieht. Nicht disponibel ist das Leben als aus der Menschenwürde ableitbares oberstes Recht des Menschen. Einwilligungen in die körperliche Unversehrtheit (z. B. in einen medizinischen Heileingriff) können hingegen rechtfertigende Wirkung entfalten.125 Die Zirkumzision ist auf die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und damit auf ein generell verfügbares Rechtsgut gerichtet. Die Einwilligung in selbige verstößt auch nicht per se gegen die guten Sitten (§ 228 StGB).126 In zeitlicher Hinsicht ist die Einwilligung als vorherige Zustimmung (vgl. 183 BGB) vor Durchführung des Eingriffs zu erteilen.127 Darüber hinaus hat die Einwilligung auf einer informierten Grundlage, welche durch die Aufklärung des Einwilligenden erreicht wird,128 nicht aufgrund einer Täuschung des Einwilligenden129 sowie nicht durch Nötigung beeinflusst zu erfolgen130. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Rechtsgutverletzung aufgrund einer Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn auch die essenziellste Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung, die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden gegeben ist respektive seine gesetzlichen Vertreter für diesen wirksam einwilligen. Die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit gestaltet sich bei Minderjährigen häufig schwierig.
124 Krey/Esser, Rn. 406. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird z. T. vertreten, dass die Einwilligung nicht die Rechtswidrigkeit, sondern bereits den Tatbestand entfallen lässt (so u. a. Roxin, § 13, Rn. 12 f., 26). Die St.Rspr. (bereits RGSt 25, 375 ff.) und die h. M. in der Literatur lassen bei Körperverletzungsdelikten gewöhnlich die Rechtswidrigkeit entfallen. Grundsätzlich gilt: Ist das Handeln „gegen den Willen“ des Betroffenen bereits Teil des Unrechts, das durch den Tatbestand bestraft werden soll, entfällt durch das Einverständnis der strafrechtliche Tatbestand (u. a. § 123 StGB). Ist dies nicht der Fall, entfällt nicht das tatbestandliche Unrecht, sondern ist dieses lediglich gerechtfertigt (u. a. § 223 StGB), vgl. dazu auch Schramm, Ehe und Familie, S. 216. 125 Vgl. nur § 630d Abs. 1 S. 1 BGB. 126 Siehe dazu bereits die Ausführungen oben unter B. III. 2. 127 Hamdan, in: Viefhues/Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., § 1631d BGB, Rn. 17; Fischer, § 228 StGB, Rn. 5. Zur Rspr. vgl. BGHSt 17, 359 (360) m.w. N. 128 Fischer, § 228 StGB, Rn. 13 f. Siehe zur Aufklärung auch unter E. VI. 4. c) sowie E. VI. 5. c). 129 So jedenfalls nach der Unwirksamkeitstheorie der Rspr, vgl. OLG Stuttgart, NJW 1982, 2266 (2267). 130 Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 StGB, Rn. 39.
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1. Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsinhabers Einwilligungsfähig sind Rechtsgutsinhaber, die ein solches Maß an natürlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufweisen, dass sie Bedeutung und Tragweite der aus dem Eingriff folgenden Rechtsguteinbußen beurteilen können.131 Einwilligungsfähige sind von der Regelung in § 1631d BGB ausgenommen. Die Einwilligung in eine Zirkumzision durch die Personensorgeberechtigten wird nur für den Fall fehlender Einwilligungsfähigkeit des Zirkumzidenten relevant (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Die für eine Einwilligung notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit beurteilt sich dabei nicht anhand fester Altersgrenzen,132 sondern ist abhängig vom Reifegrad des Disponenten sowie Art, Umfang und Schwere des Eingriffs.133 Das Fehlen fester Altersgrenzen bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit bringt erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich. Ob der Minderjährige bereits die Schwelle zur Einwilligungsfähigkeit überschritten hat, ist für jeden Einzelfall zu ermitteln. Durch den Rückgriff auf verbindliche spezialgesetzliche Altersgrenzen oder die Etablierung einer Regelung, die eine Altersgrenze für die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit gesetzlich fixiert, könnte diese Schwierigkeit im Zusammenhang mit der männlichen Zirkumzision beseitigt werden. a) Rückgriff auf spezialgesetzliche Altersgrenzen Das Privatrecht knüpft bestimmte Rechtsfolgen bereits an vordefinierte Altersgrenzen, u. a. die Bestimmungen zur Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB).134 Unbeschränkt geschäftsfähig sind Personen regelmäßig mit Vollendung des 18. Lebensjahres.135 Diese Beschränkung erfüllt im Zivilrecht verschiedene Funktionen: Sie trägt zu der, im Privatrechtsverhältnis erforderlichen, Rechtssicherheit im Hinblick auf die Wirksamkeit von Willenserklärungen bei, schützt den Minderjährigen und führt diesen schrittweise an die Regeln des Rechtsverkehrs heran.136 Zwischen der Geschäftsfähigkeit und der Einwilligungsfähigkeit bestehen 131 BGHSt 4, 88 (90); BGH, NJW 1978, 1206; Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, § 228 StGB, Rn. 14; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorb. zu den §§ 32 ff., Rn. 40. 132 So aber das OLG Hamm, NJW 1998, 3424 (3425), das davon ausgeht, dass Jugendliche vor Vollendung des 18. Lebensjahres eine wirksame Einwilligung in eine Heilbehandlung nicht erteilen können. 133 Kern, Fremdbestimmung, S. 755; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorb. zu den §§ 32 ff., Rn. 40; BGHZ 29, 33 (36). 134 Z. T. wurde und wird vertreten, die Einwilligung sei eine Willenserklärung mit der Folge unmittelbarer Anwendbarkeit der Regeln zur Geschäftsfähigkeit, vgl. dazu RGSt 25, 375 (381 f.); BGHZ 90, 96 (102). Ablehnend Kern, Fremdbestimmung, S. 755; LG München, NJW 1980, 646 (646); AG Celle, NJW 1987, 2307 (2308); AG Schlüchtern, NJW 1998, 832 (832). 135 Umkehrschluss aus §§ 104, 106 BGB. 136 Schmitt, in: Säcker/Rixecker, Bd. 1, Vorb. zu §§ 104 ff. BGB, Rn. 1 ff.
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durchaus Parallelen. Im Rahmen von Willenserklärungen kann es ebenso wie durch die Einwilligung zur Disposition von Vermögenswerten kommen. Im Mittelpunkt der aktuellen Betrachtung steht allerdings die Verfügung über die körperliche Unversehrtheit durch einen Minderjährigen, was eine Übertragung der Altersgrenze für die Geschäftsfähigkeit hindert. Zudem können auch Minderjährige, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bereits die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzen, um über das Rechtsgut ihrer körperlichen Unversehrtheit zu disponieren. In diesen Fällen wäre die Entscheidung der Personensorgeberechtigten eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des betroffenen Minderjährigen.137 Die alleinige Orientierung der Einwilligungsfähigkeit an der privatrechtlichen Geschäftsfähigkeit greift im Ergebnis zu kurz. Das BGB kennt indes auch Bestimmungen, die die Einwilligungsmöglichkeit in bestimmte körperliche Eingriffe normieren. So versagt z. B. § 1631c S. 2 BGB138 Minderjährigen die Möglichkeit, in die eigene Sterilisation wirksam einzuwilligen. Der Hauptgrund für diese gesetzgeberische Entscheidung liegt darin begründet, dass sich bei Minderjährigen eine Indikation für eine Sterilisation nur schwer feststellen lässt und Konsequenzen des Eingriffs nur schwer zu antizipieren sind.139 Um negative – zu einem früheren Zeitpunkt nicht vorhersehbare – Folgewirkungen sowie eine übereilte Entscheidung zu vermeiden,140 trifft § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG für die Kastration eine noch restriktivere Regelung. Die Einwilligung kann vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht wirksam erteilt werden. Mit diesen Eingriffen lässt sich eine Zirkumzision nicht uneingeschränkt vergleichen, insbesondere die Eingriffsfolgen divergieren. Die generalisierende Erhöhung der Altersgrenzen für Sterilisationen und Kastrationen verfolgen einen bestimmten Zweck. Der Minderjährige soll vor irreversiblen körperlichen Eingriffen mit erheblichen Auswirkungen auf sein späteres Leben bewahrt werden. Auch, weil die weitere Entwicklung der Persönlichkeit sich zu diesem Zeitpunkt nicht antizipieren lässt. Es handelt sich dabei um besonders schwerwiegende Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit mit weitreichenden Folgen für das gesamte Leben des Betroffenen, die sich in mehreren Sphären seines Privatlebens negativ auswirken können. Die generelle Erhöhung der Altersgrenze für die Einwilligung in die eigene Zirkumzision ist nicht aus den gleichen Gründen angezeigt. Dass das BGB ansonsten die Anknüpfung an bestimmte Altersgrenzen vermeidet, zeigt auch, dass die Entscheidung am Einzelfall anhand ausfüllungsbedürftiger Kriterien geeignet ist, überprüfungssichere Ergebnisse zu liefern und dabei den Rechten des Einzelnen am ehesten gerecht zu werden. Eine kategori137 Aus diesem Grund gegen die Übertragbarkeit der Altersgrenze auch Wölk, S. 82 f.; mit diesem Ergebnis auch BGHZ 29, 33 (36). 138 Die Einwilligung für einen Betreuten ist an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft, vgl. § 1905 BGB. 139 Kemper, in: Schulze/Dörner/Ebert, § 1631c BGB, Rn. 1. 140 Golbs, Rn. 1.
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sche Erhöhung der Altersgrenze für die Zustimmung zur Zirkumzision ist damit nicht erforderlich. Auch das Strafrecht kennt Altersgrenzen, an welche Sanktionen und sonstige Rechtsfolgen geknüpft werden. Nach § 19 StGB ist schuldunfähig, „wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist“. Nach dem Willen des Gesetzgebers, ist ein Jugendlicher141 grundsätzlich für durch ihn verursachte Rechtsgutverletzungen Dritter strafrechtlich verantwortlich. Eine wissenschaftliche Begründung für die Festlegung dieser Altersgrenze besteht nicht. Vielmehr handelt es sich um eine rechtspolitische Entscheidung,142 die jedenfalls eine Strafverfolgung von unter 14jährigen generell ausschließt. Diese generalisierende Bestimmung lässt sich nicht als Blaupause für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit heranziehen.143 Letztere bezieht sich auf die Dispositionsbefugnis im Hinblick auf eigene Rechtsgüter. Das Sozialrecht knüpft die sozialgesetzliche „Handlungsfähigkeit“ eines Minderjährigen an die Vollendung des 15. Lebensjahres. Ab diesem Zeitpunkt kann er selbstständig „Anträge auf Sozialleistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen entgegennehmen“ (§ 36 Abs. 1 SGB I). Die Reife des Minderjährigen ist keine gesetzliche Voraussetzung für die Wahrnehmung bestimmter Rechte. Allerdings kann die sozialgesetzliche Handlungsfähigkeit durch den gesetzlichen Vertreter beschränkt werden (§ 36 Abs. 2 S. 1 SGB I) und dieser ist über die „Antragstellung und die erbrachten Sozialleistungen zu unterrichten“ (§ 36 Abs. 1 S. 2 SGB I). Die sozialgesetzlichen Handlungsmöglichkeiten sind folglich ohne Kooperation zwischen dem Minderjährigen und seinem gesetzlichen Vertreter ein stumpfes Schwert. Die Entscheidungsfähigkeit steht ihm nicht grundsätzlich alleine zu. Zudem handelt es sich nicht um die Disposition über die körperliche Unversehrtheit des Minderjährigen. Für die Bestimmung einer tauglichen Altersgrenze kann die Vorschrift höchstens einen Anhaltspunkt bieten. Übertragen lässt sich diese aufgrund der völlig unterschiedlichen Rechtsbereiche und Rechtsfolgen jedoch nicht. Eine fixe Altersgrenze für den Zeitpunkt einer wirksamen Einwilligung in eine Zirkumzision lässt sich aus den spezialgesetzlichen Vorschriften des BGB, KastrG, StGB und SGB I nicht entnehmen. Eine bestimmte Wertung ist den Vorschriften allerdings immanent: Je schwerer und irreversibler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit wiegt, desto höher sind die für die Einwilligungsfähigkeit bestehenden Hürden. 141 Vgl. zur Begriffsbestimmung § 1 Abs. 2 JGG: „Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.“ 142 Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 19 StGB, Rn. 1. 143 So auch Amelung, S. 525 f.; Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 228 StGB, Rn. 15.
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b) Rückgriff auf das RelKErzG Die Besonderheit der religiösen Begründetheit einer Zirkumzision kann die Heranziehung der durch das RelKErzG144 vorgegebenen Altersgrenzen gebieten. Diese Bestimmungen wurden gerade für die Abgrenzung elterlicher Bestimmungsmacht und kindlicher Selbstbestimmung im religiösen Bereich geschaffen.145 Nach § 5 Abs. 2 RelKErzG kann ein 12jähriger nicht mehr gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Das OLG Frankfurt a. M. schlussfolgert aus dieser Norm, dass ein 12jähriger auch über die notwendige Einsichtsfähigkeit für die Einwilligung in eine Beschneidung als religiöses Symbol verfügt, soweit Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung fehlen.146 Die positive Entscheidung des Minderjährigen über einen religiös motivierten körperlichen Eingriff wäre damit an die gleiche Altersgrenze geknüpft wie die Weigerung, sich der elterlichen Entscheidung in Glaubensfragen anzuschließen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt kann hier allerdings nicht überzeugen: § 5 Abs. 2 RelKErzG dient dem Schutz des Minderjährigen vor einem Glaubenswechsel der Eltern.147 Die Vorschrift kann den Minderjährigen vor einer Zirkumzision schützen, wenn die Eltern nach Vollendung seines 12. Lebensjahres einer die Beschneidung als religiöses Symbol vorsehenden Glaubensgemeinschaft beitreten und der Minderjährige dies oder den Beschneidungsritus ablehnt. Das entspricht auch der im RelKErzG vorgesehenen stufenweisen Heranführung des Kindes an die eigene Selbstbestimmungsfähigkeit. Das Recht, selbst ein neues Bekenntnis zu wählen, ergibt sich daraus für den Minderjährigen nicht. Aktive Entscheidungen, wie die Einwilligung in die eigene Zirkumzision, sind davon folglich nicht gedeckt.148 Positive Entscheidungsmacht hinsichtlich des eigenen religiösen Bekenntnisses gesteht das RelKErzG dem Minderjährigen erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres zu (§ 5 Abs. 1 RelKErzG). Die Beschneidung als religiöses Symbol ist in einigen Glaubensgemeinschaften essenzielle Voraussetzung, um als vollwertiges Gemeinschaftsmitglied anerkannt zu werden.149 Die Entscheidung über das eigene Bekenntnis schließt die Entscheidung für eine Beschneidung dann notwendigerweise ein, sodass der Minderjährige – bei uneingeschränkter Anwendung dieser Norm – mit Vollendung des 14. Lebensjahres selbstständig über den körperlichen Eingriff entscheiden könnte. Dies entspricht allerdings nicht der grundsätzlichen Konzeption von § 5 Abs. 1 RelKErzG, der
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RelKErzG i. d. F. v. 17.12.2008. Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, Vorb. RelKErzG, Rn. 1. 146 OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580 (3581), allerdings ohne genauere Darlegung der Anwendbarkeit der Vorschrift auf eine positive Entscheidung des Kindes. 147 Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 5 RelKErzG, Rn. 4. 148 So auch Putzke, Juristische Positionen, S. 1570; Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 55. 149 Siehe dazu bereits oben C. I. 1. und C. II. 1. 145
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sich primär auf Entscheidungen wie den Kirchenaustritt oder die Teilnahme am christlichen Religionsunterricht bezieht.150 Von diesen Entscheidungen weicht die Entscheidung für eine Zirkumzision in einem wesentlichen Punkt ab: Sie umfasst nicht nur die Wahl eines religiösen Bekenntnisses, sondern stellt auch einen irreversiblen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Der Minderjährige entscheidet folglich nicht allein über die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, sondern ebenso über einen körperlichen Eingriff. Dafür ist die alleinige Heranziehung des RelKErzG nicht ausreichend. Das Schutzbedürfnis des Minderjährigen erfordert, dass die Regelungen zur Einwilligungsfähigkeit mit Blick auf körperliche Eingriffe ebenfalls zum Tragen kommen. Dies spricht gegen die vorgegebene Altersgrenze als fixes Moment der Bestimmung bestehender Einwilligungsfähigkeit.151 Sie kann allerdings tauglicher Anhaltspunkt für die Einzelfallentscheidung sein.152 c) Erforschung und Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Die spezialgesetzlichen Vorschriften können damit nur Anhaltspunkte für das Bestehen der Einwilligungsfähigkeit bereitstellen. Eine verallgemeinerbare Altersgrenze lässt sich daraus nicht extrahieren. Entscheidend bleibt die Einzelfallbeurteilung anhand der Einsichts- und Urteilsfähigkeit, abhängig vom Reifegrad des Minderjährigen, sowie Art, Umfang und Schwere des konkreten Eingriffs.153 Unzweifelhaft nicht einwilligungsfähig sind Babys und Kleinkinder, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Willen zu artikulieren,154 während nahezu erwachsenen Minderjährigen – meist in der Nähe gesetzlicher Volljährigkeit – die Ein-
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Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 5 RelKErzG, Rn. 2. I. d. S. auch Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 55; Putzke, Juristische Positionen, S. 1570, der seine Ansicht auch durch die Historie des RelKErzG gestützt sieht. Zur Zeit der Verabschiedung des RelKErzG im Jahr 1921 sei die Zirkumzision als religiöses Symbol weitestgehend unbekannt gewesen. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber diesen Teil eines Bekenntnisses beim Abfassen der Regelung nicht im Blick hatte. Dabei nimmt Putzke allerdings nur auf den damals in Deutschland nicht heimischen muslimischen Glauben Bezug. Dass die Beschneidung im Judentum schon viel länger in Deutschland praktiziert wird und in dieser Kultur auch verankert ist, bleibt unberücksichtigt. So auch im Zusammenhang mit der Einwilligungsfähigkeit bei einer Bluttransfusionsverweigerung aus religiösen Gründen Gleixner-Eberle, S. 403; a. A. Classen, Rn. 175. 152 So auch Bender, S. 265; Brocke/Weidling, S. 454; Hamdan, in: Viefhues/Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., § 1631d BGB, Rn. 10. 153 Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1626 BGB, Rn. 41; Kern, Fremdbestimmung, S. 755; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorb. zu den §§ 32 ff., Rn. 40; Schramm, Ehe und Familie, S. 217; BGHZ 29, 33 (36). 154 Die fehlende Fähigkeit, eine Einwilligung zu erteilen, schließt die Beachtung einer kindlichen Abwehrreaktion im Rahmen der elterlichen Entscheidung allerdings nicht aus, vgl. dazu ausführlich unter E. VI. 3. c) cc) sowie E. VI. 4. b). 151
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willigungsfähigkeit grundsätzlich zugesprochen werden kann.155 Problematisch ist die Entscheidung bei Kindern innerhalb der dazwischenliegenden Altersgruppierungen. Insgesamt lässt sich wohl ein Konsens dahin gehend erzielen, dass ein Junge bis zu neun Jahren nicht die erforderliche Reife besitzt um die Entscheidung selbst zu treffen.156 Jedenfalls mit Erreichen des 10. Lebensjahres ist die mögliche eigene Einwilligungsfähigkeit des Kindes umfassend im Rahmen elterlicher Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Um die Rechte der Kinder ausreichend zu wahren, müssen bei einer Beschneidung sowohl der Arzt als auch die Eltern die Einwilligungsfähigkeit des Kindes untersuchen.157 Eine pauschale Betrachtung, die die fehlende Einwilligungsfähigkeit antizipiert, scheidet aus. Gleichzeitig lässt sich vor Erreichen des 14. Lebensjahres auch keine Vermutung für die bestehende Einwilligungsfähigkeit definieren, sodass im Alter zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit besondere Rücksicht auf den tatsächlichen Entwicklungsstand des Kindes zu nehmen ist. Ein 12jähriger Junge kann demnach nicht grundsätzlich in seine eigene Beschneidung einwilligen.158 Bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit im Zusammenhang mit einer Zirkumzision kommt die Besonderheit hinzu, dass ihr Einfluss auf das sexuelle Empfinden nicht geklärt ist.159 Der betroffene Junge sollte daher jedenfalls die Pubertät durchlebt haben, damit er mögliche Folgen des Eingriffs in diesem sensiblen Bereich überhaupt einschätzen kann.160 Ob der Junge ein ausreichendes Verständnis hat, um die Entscheidung zu treffen, muss immer Teil der Einzelfallbeurteilung sein. Eine Vermutung für das Bestehen der Einwilligungsfähigkeit kann ab dem 16. Lebensjahr angenommen werden.161 Ab
155 Im Zusammenhang mit § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG kann die Einsichts- und Urteilsfähigkeit regelmäßig mit Vollendung des 16. Lebensjahres angenommen werden, vgl. BT-Drucks. 15/2109, S. 31. 156 LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244); zust. und diese Entscheidung auf einen Fünf- bis Sechsjährigen übertragend OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3663). 157 OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3663); Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3620. 158 A. A. OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580 (3581). Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Einwilligungsfähigkeit des 12jährigen allerdings aufgrund besonderer Umstände verneint; im Hinblick auf die konkrete Einwilligungsfähigkeit hatte die Vorinstanz noch anders entschieden; vgl. LG Hanau, Beschl. v. 2.2.2007 – Az.: 1 O 822/06 ebenfalls in OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580. 159 Vgl. dazu E. VI. 2. b) bb) (4). 160 Schramm, Ehe und Familie, S. 225. 161 Ähnlich auch Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 409; Steiner, S. 135; Putzke, Juristische Positionen, S. 1570, sieht die Beurteilungsreife zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr erreicht. In diese Richtung tendierend auch Brosius-Gersdorf, S. I; Schramm, Ehe und Familie, S. 225. Die Vollendung des 18. Lebensjahres fordern: Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433; Jahn, S. 851; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 177, 180; Zähle, S. 450. In Südafrika ist die Einwilligung des Jungen ab dem 16. Lebensjahr erforderlich, vgl. § 12 Abs. 9 Buchst. a) Children’s Act 38 of 2005.
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diesem Zeitpunkt müssen Anhaltspunkte vorliegen, die die Einwilligungsfähigkeit in Zweifel ziehen, soll die selbstbestimmte Entscheidung des Jungen verhindert werden. Diese liegen jedenfalls nicht in der besonderen Schwere des Eingriffs. Denn eine Schwere, die die Einwilligungsfähigkeit vor Vollendung des 18. Lebensjahres generell ausschließt, erreicht die Zirkumzision nicht.162 Letztlich können die eingezogenen Altersgrenzen nur eine grobe Richtschnur für die Entscheidung vorgeben. Eine feste Struktur ergibt sich daraus nicht. Im Ergebnis bleibt die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit eine Einzelfallentscheidung. 2. Co-Konsens Stellenweise sieht der Gesetzgeber das Modell des Co-Konsenses vor. Vor Eintritt der Volljährigkeit ist für Rechtsgutverletzungen an Minderjährigen dann neben der elterlichen Einwilligung auch die Einwilligung des betroffenen Minderjährigen erforderlich.163 Der Gesetzentwurf der parlamentarischen Opposition (BT-Drucks. 17/11430) sah eine solche Regelung auch für die Beschneidung von Jungen vor. a) Gesetzentwurf der parlamentarischen Opposition und geltende Co-Konsens-Regelungen Der Gesetzentwurf der parlamentarischen Opposition unterscheidet sich von dem geltenden § 1631d BGB hauptsächlich in den Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung in eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung. Die Personensorgeberechtigten können nur einwilligen, wenn das Kind „das 14. Lebensjahr vollendet hat, einsichts- und urteilsfähig ist [und] der Beschneidung zugestimmt hat“.164 Neben der elterlichen Einwilligung ist kumulativ auch die kindliche Einwilligung erforderlich.165 Letztere hat dabei den allgemeinen Voraussetzungen an eine wirksame Einwilligung ebenfalls zu genügen.166 Das Kind muss – wie in dem Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen – einsichts- und urteilsfähig sein.167 Die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit ist im Einzelfall
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Dazu auch D. IV. 1. a) sowie E. VI. 2. b) bb). Amelung, S. 530. 164 BT-Drucks. 17/11430. Der Gesetzentwurf wurde bei 583 abgegebenen Stimmen von 462 Abgeordneten abgelehnt, 91 stimmten mit „Ja“, 31 enthielten sich, vgl. Dt. Bundestag, Plenarprotokoll 17/213, 26095 (C). Dazu auch Rupprecht, S. 434 f. Zu dem ebenfalls statuierten Erfordernis eines generellen Arztvorbehalts für die Durchführung des Eingriffs siehe unter E. VII. 2. 165 Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 59, sieht dies zur Wahrung der Kinderrechte als erforderlich an. Dies befürwortend auch Merkel, Stellungnahme, S. 2. 166 BT-Drucks. 17/11430, S. 7. Siehe zu diesen Voraussetzungen oben unter D. IV. 167 BT-Drucks. 17/11430, S. 9 f. Vgl. oben unter D. IV. 163
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schwierig.168 Um Rechtssicherheit zu schaffen hat der Gesetzgeber hier die Altersgrenze mit mindestens 14 Jahren angegeben.169 Vor diesem Zeitpunkt soll eine wirksame Einwilligung nie – auch nicht stellvertretend allein durch die Personensorgeberechtigten – möglich sein.170 Das angedachte Co-Konsens-Modell findet sich bereits vereinzelt auch in gesetzlichen Einwilligungstatbeständen: § 40 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 3 AMG schreibt für Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen, § 20 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 4 MPG für die klinische Prüfung eines Medizinprodukts an Geschäftsunfähigen und § 8a Nr. 4, Nr. 5 TPG für die Entnahme von Knochenmark an Minderjährigen zum Zweck der Übertragung immer die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter und – bei gleichzeitig vorliegender Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen – auch die Einwilligung des Minderjährigen vor. Minderjährige können in diesem Einwilligungsmodell, trotz Vorliegen ihrer Einwilligungsfähigkeit, nicht ohne die Mitwirkung ihrer gesetzlichen Vertreter über ihre eigenen Rechtsgüter disponieren. Die Vorschriften dienen dem Minderjährigenschutz in besonderer Weise. Sie sollen Kinder vor negativen Erfahrungen bewahren.171 b) (System-)Kritik an der vorgeschlagenen Regelung Die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Kindes neben der Einwilligung der Personensorgeberechtigten zu fordern, ist eine Ausnahme im Rechtssystem, auf welche nur unter besonderen Voraussetzungen zurückgegriffen wird. Grundsätzlich handeln entweder die Eltern für ihr Kind, nämlich wenn dem Kind die nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt, oder das betroffene Kind trifft die Entscheidungen betreffend seine körperliche Unversehrtheit selbst, nämlich wenn es einsichts- und urteilsfähig ist.172 Die Kombination aus kindlicher und elterlicher Einwilligung bedarf daher einer besonderen Begründung. Die gesetzlichen Regelungen, in welchen ein sog. Co-Konsens angeordnet ist, betreffen Eingriffe in die körperliche Integrität mit nur wenig vorhersehbaren oder schweren Folgen.173 Dies lässt sich auf eine Zirkumzision nicht bruchfrei übertragen. Es handelt sich um einen körperlichen Eingriff, dessen Folgen im Wesentlichen prog-
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Dazu D. IV. 1. c). BT-Drucks. 17/11430, S. 7 f. 170 Die festgeschriebene Altersgrenze kann allerdings nur gelten, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt auch einsichts- und urteilsfähig ist. Die Festschreibung einer Altersgrenze ist grds. nicht erforderlich. Dazu D. IV. 1. c). 171 Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 AMG, Rn. 101; Rehmann/Wagner, in: Rehmann/Wagner, § 20 MPG, Rn. 15. 172 Dogmatisch sind daher Regelungen zum Co-Konsens nicht sinnig, vgl. dazu auch Schmidt-Recla, S. 569 f. 173 Siehe dazu oben unter D. IV. 2. a); Radtke, Stellungnahme, S. 7. 169
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nostizierbar und wenig intensiv sind.174 Die Vergleichbarkeit aufgrund fehlender unmittelbarer medizinischer Indikation kann nicht allein ausreichen, um hier eine Parallele zu begründen.175 Es hat daher bei dem an der Einwilligungsfähigkeit orientierten Zuständigkeitssystem zu bleiben. 3. Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten Fehlt dem Minderjährigen die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit kann er aus diesem Grund nicht über seine Rechtsgüter disponieren. Zuständig für die Einwilligung sind dann die Personenberechtigten, im Regelfall die Eltern.176 Die Einwilligung in einen medizinischen Eingriff am kindlichen Körper ist Bestandteil der elterlichen Personensorge nach § 1626 Abs. 1 BGB. Diese üben die Eltern i. d. R. in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes aus (§ 1627 S. 1 BGB). Bei unverheirateten Eltern obliegt die Personensorge grundsätzlich der Kindesmutter (§ 1623a Abs. 2 BGB).177 Darüber hinaus verpflichtet § 1631 Abs. 2 BGB die Eltern, bei ihrer Entscheidung die Interessen des betroffenen Kindes einzubeziehen und die Entscheidung mit dem Kind zu besprechen.178 Verstoßen die Eltern gegen dieses ihnen obliegende Gebot, ist die Einwilligung allerdings nicht unwirksam.179 Die Kindeswohldienlichkeit ist allein für das Innenverhältnis der Eltern zu ihrem Kind entscheidend. Lediglich in dieser Konstellation sind die §§ 1626, 1627 BGB von Bedeutung.180 Nach außen verwirklichen die Eltern ihr Recht und ihre Pflicht für das Kind zu sorgen, indem sie dieses gemeinschaftlich vertreten (§ 1629 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Entscheidung, ihr Kind beschneiden zu lassen, haben die Eltern daher ebenfalls in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes zu treffen.181 Eine Grenze elterlicher Entscheidungsbefugnis bildet das 174
Dazu auch E. VI. 2. b) bb). Aus diesen Gründen auch krit. ggü. dem Gesetzentwurf der parlamentarischen Opposition: Heinig, Stellungnahme, S. 5 f.; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Radtke, Stellungnahme, S. 10, schlägt aus diesen Gründen vor, dem Gesetzentwurf der Opposition nicht zu folgen; Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 14, 39 f. Die Co-Konsens-Lösung ablehnend auch Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 39. Zu medizinisch nicht indizierten Eingriffen in den kindlichen Körper aufgrund elterlicher Einwilligung auch unter E. VI. 3. a). 176 Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1626 BGB, Rn. 37. 177 Vgl. zu dem gerichtlich entschiedenen Fall der Zirkumzision ohne Einwilligung der allein sorgeberechtigten Mutter, OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3581. 178 BT-Drucks. 8/2788, S. 44. 179 Schramm, Ehe und Familie, S. 217. 180 Klinkhammer, S. 1913; die Klarstellung Klinkhammers würdigend Jakobs, S. 29 f. So auch Wapler, S. 541. 181 Vgl. auch die Entscheidung des LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244). Zur Notwendigkeit der Einwilligung beider Elternteile in eine religiös motivierte Beschneidung auch unter E. VI. 3. c) aa). 175
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kindliche Wohl. Der Gesetzgeber hat für bestimmte Fälle vordefiniert, durch welche Entscheidungen die Eltern ihre Bestimmungsmacht überschreiten (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB). Die gesetzlichen Regelungen bilden dabei die bei der Ausformung des Kindeswohls zu beachtenden Schranken des Elternrechts.182 § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB gewährleistet Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dies umfasst den Ausschluss körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen (§ 1631 Abs. 2 S. 2 BGB). Eine weitere Grenze elterlicher Bestimmungsmacht ergibt sich aus § 1666 Abs. 1 BGB. Jedenfalls Konstellationen, in denen ein familiengerichtliches Eingreifen erforderlich ist, können von der elterlichen Einwilligungsbefugnis nicht umfasst sein.183 § 1666 Abs. 1 BGB sichert die kindliche Entwicklung hin zu einer „eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ 184 und fungiert gegenüber den Eltern als einfachgesetzliche Ausgestaltung des staatlichen Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 2 GG.185 Sind die Voraussetzungen der Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB durch die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision erfüllt, scheidet eine solche aus. Wären die Eltern unter diesen Umständen auch nicht bereit den Eingriff zu unterlassen, müsste der Staat einschreiten.
V. Alternative Regelungsansätze Neben den Alternativvorschlägen zu § 1631d BGB im Gesetzgebungsprozess gab es auch Empfehlungen seitens der juristischen Literatur und Praxis. Der Regelungsstandort kann bei Auslegung des Normgehalts von Bedeutung sein186 und ist bereits aus diesem Grund – allerdings auch wegen der zu wahrenden Stringenz der Rechtsordnung – von entscheidender Bedeutung. 1. Strafrechtliche Lösungsansätze a) Ausnahme von § 223 Abs. 1 StGB – Vorschlag von Tonio Walter Einen strafrechtlichen Lösungsansatz hat Walter187 in den Diskussionsprozess eingebracht. Er hielt die Einführung eines neuen § 223 Abs. 3 StGB zur straf182
Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 88. So auch Radtke, Stellungnahme, S. 7; Klinkhammer, S. 1914; Lack, S. 341. 184 BVerfGK 14, 28 (35); BVerfGE 24, 119 (144); 121, 69 (92). 185 Das BVerfG hat entschieden, dass § 1666 BGB mit Art. 6 GG, der Elternverantwortung und dem Elternrecht, vereinbar ist, vgl. BVerfG, NJW 1982, 1379 (1380). Die Vorschrift wurde im Anschluss an die Entscheidung allerdings wieder modifiziert, zuletzt durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4.7.2008 (BGBl. I, S. 1188). 186 Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 142. 187 Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117. Für eine solche Lösung spricht sich auch Merkel aus. Durch die Regulierung der Beschneidung im StGB kann verhindert werden, 183
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rechtlichen Regelung der männlichen Zirkumzision für vorzugswürdig. Angedacht war eine Vorschrift folgenden Wortlauts: „Absatz 1 [von § 223 StGB] gilt nicht für die Beschneidung eines nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes, wenn seine Religionsgemeinschaft und die der Sorgeberechtigten die Beschneidung gebietet. Die Regeln der ärztlichen Kunst sind zu beachten. Ist das Kind fähig seinen Willen verständlich zu äußern, und lehnt es die Beschneidung nachhaltig ab, entscheidet das Familiengericht. [Optionale Ergänzung: Beschneidung heißt die Vorhaut ganz oder zum Teil entfernen.].“ 188 Formuliert wird damit eine Ausnahme zu der – eigentlich vorliegenden – Verwirklichung des einfachen Körperverletzungstatbestandes („Absatz 1 gilt nicht“). Die Vorschrift unterscheidet sich inhaltlich von § 1631d BGB hauptsächlich durch das Bedürfnis einer religiösen Begründetheit der Beschneidung sowie die ausdrückliche Aufnahme eines kindlichen Vetorechts.189 Sie ist geschlechtsneutral formuliert, auch wenn die Beschneidung der weiblichen Genitalien nicht davon erfasst sein soll.190 Die vorgeschlagene Tatbestandsausschlussregelung bietet den Vorteil, den Straftatbestand der einfachen Körperverletzung wertneutral einzuschränken. Eine rituelle Zirkumzision bliebe rechtswidrig, aber straffrei. Sie wäre aus dem Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB ausgenommen.191 Tatbestandsausschlussregelungen sind allerdings absolute Ausnahmen in der strafrechtlichen Dogmatik. So hat der Gesetzgeber u. a. auf eine entsprechende Regelung für den ärztlichen Heileingriff verzichtet192 und § 218a Abs. 1 StGB zum Schwangerschaftsabbruch ist auf nachhaltige Kritik gestoßen.193 dass dem Gesetz das Prädikat „Kindeswohlverträglich“ erteilt wird, vgl. Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 10; zust. auch Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3; ablehnend Yalçin, S. 386. 188 Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 315 f., hält die Vorschrift aufgrund der kindlichen Rechte für verfassungswidrig und aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 1631d BGB auch für überflüssig. 189 Dazu genauer unter E. VI. 3. c). Krit. ggü. der religiösen Motivation Kauschke. Zum Vetorecht des Kindes auch E. VI. 4. b) und E. VI. 5. c). 190 Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117. Letztere sei bereits deshalb aus dem Tatbestand ausgenommen, da es jedenfalls nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde, diese zuzulassen, und in der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft nur die männlichen Kinder beschnitten werden. Zu der im Zusammenhang mit § 1631d BGB und Art. 3 GG entstehenden Problematik vgl. ausführlich unter E. VIII. 1. 191 So bereits auch vorgeschlagen von Hefty. Die Handlung als rechtswidrig einzustufen würde sie mit einem Unwerturteil versehen. Aus diesem Grund ablehnend Brumlik, in: Heil/Kramer, S. 232; ablehnend auch Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 425. 192 Siehe zur strafrechtlichen Beurteilung des ärztlichen Heileingriffs oben unter B. IV. 2. 193 Dazu Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 12 f.; ebenfalls krit. Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 96; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 412. Gegen eine generelle Regelung der Beschneidung im Strafrecht Lack, S. 343; Brumlik, in: Heil/Kramer, S. 232.
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Die strafrechtliche Regelung in Form eines Tatbestandausschlusses sollte daher bereits aufgrund ihrer Systemfremdheit unterbleiben, wenn die Regelung sinnhaft auch im BGB erfolgen kann. b) Normierung einer ausdrücklichen strafrechtlichen Erlaubnis – Vorschlag von Herzberg Eine weitere strafrechtliche Regelungsalternative hat Herzberg in die Diskussion eingebracht: die strafrechtliche Erlaubnis.194 Dies würde die notstandsähnliche Situation der Eltern, welche sich zwischen ihrer religiösen Verpflichtung und den Rechten ihrer Kinder entscheiden müssen, herausstellen. Die Regelung, dass in diesen Fällen das Kindeswohl hinter den Rechten der Eltern zurückstehen müsste, könnte rechtliche Klarheit schaffen.195 Das Strafrecht ist dafür allerdings nicht der geeignete Regelungsstandort.196 Die Aufnahme eines einzelfallbezogenen Rechtfertigungsgrundes entspricht nicht dem strafrechtlichen System allgemeiner Rechtfertigungsgründe (vgl. z. B. § 228 StGB).197 Eine entsprechende Regelung sollte daher nicht Eingang in das StGB finden. 2. Zusatz im RelKErzG – Vorschlag von Heinig Heinig sieht das RelKErzG als tauglichen Regelungsstandort für die Einführung einer zusätzlichen Rechtsnorm zur Regelung der religiös motivierten männlichen Zirkumzision im Kindesalter.198 Er schlägt die Aufnahme eines § 3a RelKErzG mit dem folgenden Wortlaut vor: „Die elterliche Sorgeberechtigung in religiösen Angelegenheiten umfasst auch die Einwilligung in eine von medizinisch qualifiziertem Personal de lege artis durchgeführte Zirkumzision, wenn eine solche nach dem religiösen Selbstverständnis der Sorgeberechtigten zwingend geboten ist. Im Fall einer Vormundschaft oder Pflege findet § 3 Abs. 2 Anwendung.“ 199 194
Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 490. Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 490, 491. 196 Zur juristischen Begründetheit des Regelungsstandortes im BGB siehe auch unter E. II. 1. 197 Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 142. I. d. S. auch Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 96; Lack, S. 343. 198 Falls aber auch die medizinisch indizierte Beschneidung oder die Beschneidung ohne religiösen Hintergrund geregelt werden soll, kann das RelKErzG nicht der passende Regelungsstandort sein, vgl. dazu auch Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 142. 199 Heinig, Der Gesetzgeber ist gefordert (Hervorhebung hinzugefügt). Heinig selbst findet bei seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Bundestages den Regelungsstandort im BGB vorzugswürdig, um auch weitere Motive – nicht nur religiöse – als rechtfertigend gelten zu lassen; vgl. Heinig, Stellungnahme, S. 1; in letztgenanntem Sinne auch Yalçin, S. 386. 195
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Ähnlich dem strafrechtlichen Regelungsvorschlag von Walter unterscheidet sich diese Vorschrift von § 1631d BGB durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die religiöse Motivation der Personensorgeberechtigten. Die Eltern haben nur im Fall eines religiösen Gewissenskonflikts das Recht, in die körperliche Unversehrtheit des Kindes einzugreifen. Besteht ein solcher Konflikt nicht, hat das elterliche Entscheidungsrecht zurückzutreten.200 Bestehen Zweifel bzgl. des religiösen Selbstverständnisses, muss dieses plausibel dargelegt werden.201 Der Einwand, die Vorschrift erlaube, die Zirkumzision auch mit Gewaltanwendung möglich zu machen und durchzuführen, was sich mit der Verfassung nicht in Einklang bringen lasse,202 ist zurückzuweisen. Die elterliche Entscheidung hat das Wohl des Kindes auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung einzubeziehen.203 Die Regelungen des BGB würden neben dieser Regelung weiterhin fortgelten. 3. Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften – Vorschlag von Schramm Eine weitere Möglichkeit zur ausschließlichen Zulassung der religiös motivierten Knabenbeschneidung kommt von Schramm. Er befürwortet eine Ergänzung des Familienrechts durch folgende Vorschrift: „Die Zirkumzision eines minderjährigen männlichen Kindes kann aus ärztlicher Sicht gerechtfertigt sein, wenn (1) die Sorgeberechtigten zustimmen, (2) der Eingriff lege artis erfolgt und (3) die Beschneidung im Kindesalter ein zentrales Moment der Religionsausübung ist.“ 204
Der Erstentwurf dieser Vorschrift wurde zeitlich vor der Neuregelung in § 1631d BGB auf den Weg gebracht und enthält im Wesentlichen dessen Voraussetzungen an eine rechtmäßige elterliche Einwilligung. Allein bei der Normierung des religiösen Erfordernisses geht der Regelungsentwurf von Schramm weiter als die jetzige zivilrechtliche Regelung.205
200 Heinig, Der Gesetzgeber ist gefordert; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491, sieht darin ein nicht zu bewältigendes Beweisproblem. Krit. auch Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 425. Vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis auch unter E. VI. 3. c). 201 Heinig, Der Gesetzgeber ist gefordert; einer entsprechenden Regelung ebenfalls zust. Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 96. 202 So Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 495. 203 Dazu bereits D. IV. 3. 204 Schramm, Ehe und Familie, S. 229 (Hervorhebung hinzugefügt); Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 141 Fn. 36. 205 Siehe zu der Notwendigkeit dieser Einschränkung auch unter E. VI. 3. c).
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4. Die Regelung zur Knabenbeschneidung in Schweden Im Jahr 2001 hat Schweden die Entscheidung für eine gesetzliche Regelung der Knabenbeschneidung getroffen. Das „Gesetz über die Beschneidung von Jungen (LOP)“ 206 ist am 1.10.2001 in Kraft getreten. Die Zirkumzision gilt – auch in Schweden – als strafbarer Eingriff in die körperliche Integrität des Kindes.207 Die Strafbarkeit eines solchen Eingriffs kann nur unter bestimmten, im LOP und den dazu erlassenen Ausführungsvorschriften208 enthaltenen, Voraussetzungen entfallen. Die Personensorgeberechtigten müssen übereinstimmend und auf informierter Basis einwilligen (§ 3 Abs. 1 LOP).209 Das betroffene Kind muss, seinem Alter und Reifegrad entsprechend, ebenfalls informiert werden (§ 3 Abs. 2 LOP) und der entgegenstehende Wille des Kindes verhindert eine rechtmäßige Vornahme des Eingriffs (§ 3 Abs. 3 LOP). Ein offensichtlicher Unterschied zu § 1631d BGB besteht darin, dass die Schmerzbehandlung immer durch einen approbierten Mediziner oder einen Krankenpfleger vorzunehmen ist (§ 4 LOP) und der Eingriff nur rechtmäßig von einer Person durchgeführt werden kann, die, sofern sie nicht Arzt ist, eine Genehmigung für die Durchführung des Eingriffs besitzt (§ 5 Abs. 1 LOP). Nach dem zweiten Lebensmonat des Kindes unterliegt der gesamte Eingriff einem generellen Arztvorbehalt (§ 5 Abs. 2 LOP).210 Mit dieser Normierung hat Schweden eine Vorreiterrolle eingenommen. Andere europäische Länder, Deutschland ausgenommen, haben bisher keine gesetzlichen Regelungen zur Knabenbeschneidung geschaffen.
VI. Sozialrechtlicher Gesichtspunkt – Kostenerstattung 1. Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Zirkumzision durch die GKV Besteht für die Zirkumzision eine medizinische Indikation, ist deren Vornahme eine Krankenbehandlung i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V und damit vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt.211 Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Kosten für eine Behandlung zu übernehmen, wenn diese der Therapie einer Krankheit dient. Der Krankheitsbegriff
206
Lag om omskärelse av pojkar (LOP) – SFS 2001: 499. Carlsson, S. 2. 208 Nach § 11 LOP kann das Socialstyrelsen Ausführungsbestimmung erlassen. Von dieser Möglichkeit hat es Gebrauch gemacht und Detailregelungen erlassen. 209 Ring/Olsen-Ring, S. 524. 210 Ring/Olsen-Ring, S. 525. 211 So auch Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413. Gleiches gilt in Schweden. Carlsson, S. 2, sieht für Schweden eine Möglichkeit der Verringerung illegaler Beschneidungen, wenn diese in Kliniken zum Selbstkostenpreis angeboten werden. Bisher haben davon nicht alle Regionen des Landes Gebrauch gemacht. 207
VI. Sozialrechtlicher Gesichtspunkt – Kostenerstattung
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wurde vom Gesetzgeber nicht definiert, ist aber in ständiger Rechtsprechung hinreichend bestimmt worden. Krankheit beschreibt „einen regelwidrigen Körperoder Geisteszustand (. . .), der ärztlicher Behandlung bedarf oder – zugleich oder ausschließlich – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat“ 212. Der Zustand ist regelwidrig, wenn er „von der Norm, vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht“ 213. Eine allein religiös motivierte Zirkumzision dient nicht der Beseitigung eines regelwidrigen körperlichen Zustandes, sondern verursacht einen solchen erst. Der Eingriff ist daher keine erstattungsfähige Krankenbehandlung im klassischen Sinn. Allerdings können auch Leistungen der Primärprävention gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähig sein, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 4, § 20 Abs. 1 SGB V. Dies sind Leistungen, die der Verhinderung oder Verzögerung des Krankheitseintritts bei gesunden Menschen dienen.214 Bei der Zirkumzision im einwilligungsunfähigen Alter handelt es sich nicht um eine solche Maßnahme. Der Zirkumzision fehlt eine gesundheitsprophylaktische Wirkung, die ihre Risiken überwiegen kann.215 Die Gesetzlichen Krankenversicherungen haben die Zirkumzision zudem nicht als Leistung in ihren Satzungen verankert, wie dies in § 20 Abs. 1 SGB V vorausgesetzt ist. Wird die Zirkumzision allein aus religiös motivierten Gründen vorgenommen, ist sie folglich nicht vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt. Rechnet der Arzt diese Eingriffe dennoch als Krankenbehandlung ab, täuscht er konkludent die Kassenärztliche Vereinigung. Denn die Geltendmachung eines Honoraranspruchs beinhaltet die Behauptung, die Behandlung sei medizinisch begründet gewesen und wirtschaftlich erfolgt (vgl. § 12 SGB V).216 Diese Täuschung führt zu einer Falschberechnung des ärztlichen Honorars mit der Folge einer Reduktion des Honoraranspruchs der verbleibenden Kassenärzte aus der Facharztgruppe des Täuschenden. Dieses Verhalten kann den strafrechtlichen Betrugstatbestand erfüllen.217 2. Möglichkeit zur Kostenerstattung außerhalb des Gesundheitssystems Im Einzelfall kann eine Kostenerstattungspflicht seitens des Sozialhilfeträgers nach den Regelungen des SGB XII bestehen. Damit eine Kostenerstattung des Sozialhilfeträgers überhaupt in Betracht kommt, muss ein Anspruch auf Leistungen bestehen (§ 17 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Da es sich bei der Zirkumzision ohne 212
St.Rspr. BSGE 35, 10 (12) m.w. N.; 72, 96 (98). St.Rspr. BSGE 72, 96 (98); so bereits auch BSGE 26, 240 (242). 214 BSGE 50, 44 (45). 215 Siehe dazu unter E. VI. 2. b). 216 Schuhr, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 263 StGB, Rn. 16. 217 Zum Ganzen – einschließlich der strafrechtlichen Folgen – auch Homann, S. 46 ff. Vgl. zur praktischen Relevanz des Abrechnungsbetrugs im Zusammenhang mit Zirkumzisionen auch vom Lehn, S. 6. 213
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D. Einfachgesetzliche Rechtslage in Deutschland
medizinische Indikation nicht um eine Krankenbehandlung i. S. d. SGB V handelt, besteht jedenfalls kein Anspruch auf Leistungen nach § 48 S. 1 SGB XII.218 Vor Überführung des BSHG in das SGB XII zum 1.1.2005 waren für eine rituelle Beschneidung sowie die sich daran anschließende Beschneidungsfeier, ebenso wie für eine christliche Taufe219, einmalige Leistungen nach § 21 Abs. 1a Nr. 7 BSHG zu gewähren.220 § 31 SGB XII sieht einen Leistungsanspruch für besondere Anlässe nicht mehr vor. Der Bedarf ist aus dem Regelsatz zu decken. Der Gesetzgeber wollte durch die Vereinfachung der Regelung zur Gewährung einmaliger Leistungen die Eigenverantwortung der Sozialhilfeempfänger stärken und den Verwaltungsapparat entlasten.221 Zusätzliche Leistungen des Sozialhilfeträgers für rituelle Zirkumzisionen scheiden damit aus.
218 Noch zu § 37 Abs. 1 S. 1 BSHG so auch OVG Lüneburg, NJW 2003, 3290, für die Beschneidung eines muslimischen Jungen; so auch Heinig, Stellungnahme, S. 4. 219 Dazu BVerwG, NVwZ 1994, 170 f. 220 So entschieden durch OVG Lüneburg, Urt. v. 22.9.1993 – Az.: 4 L 5670/92, BeckRS 2005, 21681; OVG Lüneburg, NJW 2003, 3290. 221 Coseriu, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, § 31 SGB XII, Rn. 1.
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht Die Verfassungsmäßigkeit des § 1631d BGB bestimmt sich nach den formellen und materiellen Vorgaben des Grundgesetzes. Lässt sich die Neuregelung damit nicht in Einklang bringen und auch nicht verfassungskonform auslegen, ist sie nichtig.1
I. Die Verbindlichkeit grundgesetzlicher Vorgaben Die rituelle Zirkumzision männlicher Kinder ist älter als das Grundgesetz. Jedenfalls jüdische Beschneidungen wurden in Deutschland bereits vor seiner Einführung vorgenommen. Der zeitliche Vorsprung könnte – nach den Regeln eines Traditionsvorbehalts – einer Überprüfung des Rituals anhand der Vorgaben des Grundgesetzes entgegenstehen. Die Vereinbarkeit religiöser Knabenbeschneidung mit dem Grundgesetz entspricht auch dem vermuteten Willen der Verfassungsgeber damaliger Zeit: Insbesondere vor dem Hintergrund deutscher Geschichte muss davon ausgegangen werden, dass die religiöse Knabenbeschneidung nicht dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterfallen sollte. Ein genereller Traditionsvorbehalt ist überdies nicht anerkannt.2 Die Grundrechte unterliegen – wie i. Ü. die gesamte Gesellschaft – einem ständigen, der Weiterentwicklung geschuldeten Wandel und halten nicht an althergebrachten Wertvorstellungen fest.3 Deutlich wird dies z. B. auch an dem in den vergangenen Jahrzehnten stark reformierten Verständnis der Gleichberechtigung von Mann und Frau und deren Rollen in Ehe und Familie.4 Auch Rituale wie die religiös motivierte Zirkumzision sind einer Überprüfung ihrer Zulässigkeit anhand des heutigen grundrechtlichen Verständnisses nicht verschlossen. Vielmehr müssen sich diese an den entwicklungsoffenen Festschreibungen des Grundgesetzes messen lassen und so mit der – sich in einer kontinuierlichen Entwicklung befindlichen – Gesellschaft Schritt halten, was eine Einbeziehung des ursprünglichen Willens des Verfassungsgebers nicht notwendig ausschließt. Zudem reichen die Normierungen in § 1631d BGB – jedenfalls nach dem Wortlaut – über die rituellen Formen der Zirkumzision hinaus, was eine grundsätzliche Prüfung anhand grundgesetzlicher Regelungen möglich macht. 1
§ 78 BVerfGG. Isensee, S. 323. Siehe zu einem möglichen Traditionsvorbehalt in Bezug auf die Religionsfreiheit auch unter E. IV. 2. a) cc) (2). 3 Isensee, S. 324. 4 Isensee, S. 324, mit Beispielen. 2
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für § 1631d BGB Die Vereinbarkeit mit formellem Verfassungsrecht fordert die Gesetzgebungszuständigkeit des Normgebers, im Fall des § 1631d BGB die des Bundes. Nach der Konstruktion des Grundgesetzes kommt primär den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu (Art. 70 Abs. 1 GG). Der Bund ist zur gesetzlichen Normierung einer Rechtsmaterie nur und nur soweit befugt, wie eine Zuständigkeitsregelung ihm die Kompetenz ausdrücklich einräumt (Art. 70 Abs. 2 GG).5 1. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das bürgerliche Recht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) Dem Bund obliegt die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). Dem bürgerlichen Recht sind traditionell diejenigen Normen zugewiesen, die das Individualrechtsverhältnis privater Personen ausgestalten.6 Auch das Verhältnis der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern stellt ein Individualrechtsverhältnis Privater dar. Die Beteiligten begegnen sich gleichgeordnet. Dies schlägt sich in den bundesgesetzlichen Regelungen der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff. BGB) nieder, welche auch die elterliche Entscheidungsgewalt über Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der eigenen Kinder umfasst.7 Essenzieller Bestandteil dieser Entscheidungsgewalt bildet die elterliche Möglichkeit, Eingriffe Dritter durch eine rechtfertigende Einwilligung zu legitimieren.8 § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB normiert einen Spezialfall elterlicher Einwilligungsmöglichkeit in Eingriffe der körperlichen Unversehrtheit eines Kindes, während S. 2 der Vorschrift im Einzelfall der Kindeswohlgefährdung davon eine Ausnahme macht. Demnach unterfällt § 1631d Abs. 1 BGB dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Regelung des bürgerlichen Rechts.9 Da die Einwilligungsmöglichkeit des § 1631d Abs. 1 BGB das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG einfachgesetzlich ausgestaltet, fügt sich die Regelung auch bruchlos in das bürgerliche Familienrecht ein.10 5
Dazu auch Uhle, in: Maunz/Dürig, 53. Egl. 2008, Art. 70 GG, Rn. 2. Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl.1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, Rn. 53. 7 Hamdan, in: Viefhues/Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., § 1631d BGB, Rn. 5; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258 m.w. N. 8 Dazu genauer E. IV. 1. b) aa). 9 So auch BT-Drucks. 17/11295, S. 14. Krit. zu der gesetzgeberischen Begründung Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3618. 10 So im Ergebnis auch Brocke/Weidling, S. 458; Büscher, S. 330; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 157; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 421; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 142; Steinbach, S. 9; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 4; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 17; Yalçin, S. 386. A. A. Peschel-Gutzeit, in: Götz/Schwenzer/ 6
II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
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2. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) In § 1631d Abs. 2 BGB (sog. Mohel-Klausel11) ermöglicht der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen auch Nicht-Ärzten die Durchführung ritueller Zirkumzisionen und entnimmt die dafür erforderliche Regelungskompetenz ohne nähere Begründung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.12 Diese Kompetenzzuweisungsnorm verleiht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für die „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“. Die Vorschrift des § 1631 Abs. 2 BGB beinhaltet nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers folglich eine entsprechende Zulassungsregelung. Ärztliche Heilberufe i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG sind neben dem Beruf des Arztes selbst alle Berufe, die eine wissenschaftliche Ausbildung und eine Approbation erfordern, damit etwa die Berufe des Zahn- und des Tierarztes.13 Rituelle Beschneider sind nach dem gesetzgeberischen Willen gerade keine Ärzte (vgl. die Formulierung des § 1631d Abs. 2 BGB: „ohne Arzt zu sein“). Zwar verlangt die Norm, dass eine besondere Ausbildung und eine einem Arzt vergleichbare Befähigung vorliegen. Eine Approbation ist jedoch ebenso wenig gefordert wie eine wissenschaftliche Ausbildung. Die Tätigkeit eines rituellen Beschneiders erfüllt damit nicht die Anforderungen an einen ärztlichen Heilberuf. § 1631d Abs. 2 Seelmann u. a., S. 522. Zur Vorzugswürdigkeit einer zivilrechtlichen Regelung auch Isensee, S. 325; Lack, S. 343; Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 12. Auch das Verbot der Zirkumzision könnte in das BGB aufgenommen werden. Eine geeignete Stelle wäre § 1631c BGB. Der Vorschrift könnte ein weiterer Absatz angehängt werden, vgl. dazu Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 195, ohne konkreten Formulierungsvorschlag. Vgl. zu den im Prozess entwickelten strafrechtlichen Regelungsalternativen oben D. V. 1. Im Zuge des Regelungsprozesses wurde die Regelung der männlichen Zirkumzision im Patientenrechtsgesetz angedacht, vgl. FDP – Die Liberalen; mit dieser Lösung sympathisierend Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 158; Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 96. Ein solches Vorgehen wäre jedenfalls nicht stringent gewesen. Während das Patientenrecht das privatrechtliche Arzt-Patienten-Verhältnis betrifft, bestimmt die Reichweite des Elternrechts die Frage nach der Zulässigkeit der Zirkumzision an einwilligungsunfähigen Kindern. Eine mit den sonstigen Regelungen harmonisierende Bestimmung wäre schwerlich zu finden. Die in § 1631d Abs. 2 BGB enthaltene Möglichkeit der Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider wäre ein zusätzlicher Fremdkörper in den Regeln zum Patientenrecht, so auch Lack, S. 342 f.; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 142. 11 Diese Bezeichnung folgt aus der Tatsache, dass die Vorschrift den Eingriff der Beschneidung auch nicht-ärztlichen Beschneidern erlaubt. Jüdische Beschneider, für die diese Vorschrift hauptsächlich Relevanz entfaltet, werden als Mohel bezeichnet, vgl. bereits C. I. 2., dort mit Fn. 24. Ehrmann, Contra, S. 331, bezeichnet die Vorschrift als „Laienprivileg“. 12 BT-Drucks. 17/11295, S. 14. Der rituelle Beschneider übt jedenfalls kein Gewerbe i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG aus, vgl. dazu auch unten E. VII. 2. d) bb) (2). 13 BVerfGE 33, 125 (153).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
BGB normiert in der Folge nicht die Zulassung zu einem solchen. Für die Begründung der Bundeskompetenz kann in diesem Zusammenhang auch nicht auf die „Zulassung (. . .) zum Heilgewerbe“ zurückgegriffen werden. Zum Heilgewerbe i. S. d. Kompetenzzuweisungsnorm zählen die technischen Gesundheitsberufe wie u. a. Optiker und (nicht-ärztliche) Orthopäden.14 Die Ausübung des Heilgewerbes umfasst die – regelmäßig selbstständige – berufliche Anfertigung technischer Hilfsmittel, um körperliche Einschränkungen zu heilen oder zu mildern.15 Solche Maßnahmen und Handlungen nimmt der rituelle Beschneider im Rahmen seiner Tätigkeit gerade nicht vor. Er übt keinen technischen Gesundheitsberuf und folglich auch nicht das Heilgewerbe aus. a) Ritueller Beschneider als „anderer Heilberuf“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG Die Regelung des § 1631d Abs. 2 BGB kann die Zulassung zu einem „anderen Heilberuf“ beinhalten. Das Grundgesetz definiert den Begriff des „anderen Heilberufs“ nicht näher. Zumeist beschränkt sich die inhaltliche Eingrenzung der Begrifflichkeit auf eine beispielhafte Aufzählung einzelner Berufe bzw. Berufsgruppen.16 Typischerweise gehören dazu Hebammen, Heilpraktiker, Krankenpfleger und diesen vergleichbare berufliche Tätigkeiten.17 Die Tätigkeit als ritueller Beschneider wird in diesem Zusammenhang klassischerweise nicht genannt. Dies schließt seine Einbeziehung aber nicht aus. Die Begrifflichkeit „anderer Heilberuf“ ist entwicklungsoffen und nicht auf die zur Zeit der Formulierung des Grundgesetzes bestehenden Heilberufe beschränkt. Eine dynamische Begriffsentwicklung mit der Folge der Schaffung und Aufnahme neuer „anderer Heilberufe“ ist notwendig.18 Um eine Einordnung vornehmen zu können, ist eine inhaltliche Auffüllung der Begrifflichkeit aber unerlässlich. Hinweise können sich aus der Ausgestaltung des Terminus „Ausübung der Heilkunde“ in Zusammenhang mit dem HeilPraktG ergeben.19 Nach § 1 Abs. 2 HeilPraktG handelt es sich bei Ausübung der Heilkunde um jede „berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird“. Heilkunde beschränkt sich folglich nicht auf die Heilung von Krankheiten, sondern erfasst auch Maßnahmen zur Linderung eines Leidens oder zur 14
Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl. 1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, Rn. 214. Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl. 1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, Rn. 214. 16 BVerfGE 106, 62 (104 f.) m.w. N. 17 Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl. 1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, Rn. 213. Längere Zeit ungeklärt für den Beruf des Altenpflegers, ist dies mittlerweile positiv durch das BVerfG entschieden, vgl. BVerfGE 106, 62 (109). 18 BVerfGE 106, 62 (105). Vgl. insgesamt zum Traditionsvorbehalt im Zusammenhang mit dem Grundgesetz oben unter E. I. 19 BVerfGE 106, 62 (106 f.). 15
II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
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schlichten Situationsverbesserung.20 Jedenfalls knüpft die Behandlung an einen krankhaften Zustand an, mit dem Ziel, diesen zu beseitigen oder abzumildern. Es handelt sich um die Versorgung und Betreuung kranker Menschen. Eine Heilbehandlung ist damit jedenfalls die Durchführung einer medizinisch indizierten Zirkumzision.21 Diese ist von der Ermächtigung in § 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB ausgenommen und kann von einem rituellen Beschneider daher nicht auf Grundlage dieser Vorschrift vorgenommen werden. Eine allein religiös motivierte Zirkumzision entbehrt regelmäßig einer medizinischen Indikation und damit dem Charakter einer Heilbehandlung. Etwas anderes gilt, wenn zu der religiösen Motivation eine medizinische Indikation hinzutritt. Dann weist der Eingriff den Charakter einer Heilbehandlung auf. Diese Konstellation ist von der Ermächtigung an den rituellen Beschneider nicht gedeckt.22 Die Vorschrift erfasst ausschließlich „medizinisch nicht erforderliche Beschneidungen“ (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Es ist nicht ersichtlich notwendig, dass der Eingriff allein medizinisch motiviert ist. Eine neben dieser zusätzlich bestehende weitere Motivation macht den Eingriff nicht mehr oder weniger medizinisch erforderlich. Jede Motivation in Kumulation mit einer medizinischen Indikation schließt den Beschneider von der Durchführung des Eingriffs aus.23 Der Heilkundebegriff geht allerdings weiter. Neben der Behandlung kranker Menschen umfasst er auch die Behandlung gesunder Menschen zu (gesundheits-) prophylaktischen Zwecken.24 Der rituelle Beschneider kann nach § 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB gesundheitsprophylaktische Zirkumzisionen durchführen. Denn diese sind medizinisch nicht „erforderlich“ i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Der Eingriff hat keine medizinisch gebotene Situationsverbesserung des Beschnittenen zur Folge.25 Hat die Zirkumzision auch einen gesundheitsprophylaktischen Zweck, kann sie Heilkundeausübung darstellen. Dem Eingriff kann ein gesundheitsprophylaktischer Nutzen nicht absolut abgesprochen werden. In bestimmten Situationen kann eine Zirkumzision geeignet sein, die Gesundheit des Beschnittenen zu schützen.26 Aus diesem Grund kann auch jede religiös begründete Beschneidung gleichzeitig die Ausübung von Heilkunde darstellen. Das weitet die Möglichkeiten, Heilkunde auszuüben erheblich aus und wird dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Dieser ist es, die „Zulassung zu Heilberufen“ zu reglementieren. Ein Heilberuf kann nicht bereits jede Ausübung eines Berufes 20
Seiler, in: Epping/Hillgruber, Art. 74 GG, Rn. 71. Vgl. zu den medizinischen Indikationen einer Beschneidung oben unter B. IV. 1. 22 Dazu auch Hahn, Erik, S. 220. 23 Zur inhaltlichen Begründetheit dieser Einschränkung auch unter E. VI. 4. a) bb). 24 Seiler, in: Epping/Hillgruber, Art. 74 GG, Rn. 71. 25 Dazu E. VI. 2. b) aa). 26 Dazu genauer E. VI. 2. b) aa). Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass eine elterliche Einwilligung in eine gesundheitsprophylaktische Beschneidung automatisch mit den Rechten des Kindes zu vereinbaren ist, vgl. E. VI. 2. c). 21
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
sein, der möglicherweise gesundheitsprophylaktische Wirkungen für den Behandelten bereithält. Ansonsten wären vielerlei Berufe, wie z. B. Fitnesstrainer oder Ernährungsberater, als Heilberuf zu qualifizieren, da auch ihren Behandlungen u. U. eine gesundheitsprophylaktische Wirkung zukommen kann. Die mögliche gesundheitsprophylaktische Bedeutung kann in der Folge nicht ausreichen, um die Tätigkeit eines rituellen Beschneiders, bei Durchführung einer religiösen Zirkumzision, als Heilkundeausübung zu qualifizieren. Eine andere Beurteilung kann sich unter Berücksichtigung der Intention bei Schaffung des HeilPraktG ergeben, an dessen Begriffsbestimmung sich eine grundgesetzliche Definition der Heilkundeausübung anlehnen kann. Bei dessen Entstehung hatte der Gesetzgeber schwerpunktmäßig die Vermeidung von Gesundheitsgefahren und -schäden für die Bevölkerung, die durch umherziehende Heiler ohne ordnungsgemäße medizinische Ausbildung und Zulassung verursacht werden können, im Blick.27 Dem Regelungszweck sollte durch einheitliche Qualitätskontrollen und -standards im gesamten Bundesgebiet Rechnung getragen werden.28 Die allein am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung des Begriffs „Heilkunde“ wird dem nicht gerecht.29 Die Definition umfasst auch ungefährliche – ohne Fachwissen durchführbare – Behandlungen, die der Heilung oder Linderung dienen, während kosmetische Eingriffe mit erheblichem Gefährlichkeitspotenzial, die umfassende medizinische Kenntnisse erfordern, ausgenommen sind. Vor diesem Hintergrund kann es nicht allein auf die Heilung oder Linderung einer Krankheit ankommen. Entscheidungserheblich müssen auch die Gefahren für die Gesundheit der Patienten sowie die Eigenverantwortlichkeit des Handelnden sein.30 Ob Heilkundeausübung i. S. d. HeilPraktG vorliegt, orientiert sich damit nicht ausschließlich an dem Ziel des Eingriffs (Krankenbehandlung), sondern auch an Methode und Art der Tätigkeit.31 Gleichen diese einer ärztlichen Behandlung und ist entsprechendes Fachwissen erforderlich, wird Heilkunde ausgeübt.32 Dies ist bspw. bei der Entfernung von Leberflecken und Warzen sowie chiropraktischen Behandlungen und Fußreflexzonenmassagen der Fall,33 wäh27
BVerwG, NJW 1958, 833; VG Gießen, NJW 1999, 1800 (1801). BVerfGE 106, 62 (119); BVerwGE 23, 140 (143). 29 BVerwGE 23, 140 (141 ff.); OVG Lüneburg, Urt. v. 18.6.2009 – Az.: 8 LC 6/07, Rn. 23 ff.; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 HeilPraktG, Rn. 11 ff. 30 BVerfGE 106, 62 (119). In dieser Entscheidung wurden die Voraussetzungen für den Beruf des Altenpflegers bejaht. Altenpfleger treffen im täglichen Umgang mit den Patienten zahlreiche Entscheidungen selbst und eigenverantwortlich (S. 120). 31 OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2011 – Az.: 8 ME 8/11, BeckRS 2011, 48712; BVerwG, NVwZ-RR 2011, 23 (24). 32 BVerwG, NJW 1958, 833 (834); BVerwG, NJW 1966, 418; BVerwG, NJW 1973, 579; BVerwG, NJW 2006, 1879 (1880); OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2011 – Az.: 8 ME 8/11, BeckRS 2011, 48712; BVerwG, NVwZ-RR 2011, 23 (24). 33 Dazu Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 HeilPraktG, Rn. 13. So auch angenommen für das Piercen durch das VG Gießen, NJW 1999, 1800 (1801). Für das 28
II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
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rend Behandlungen, die keine ärztlichen oder heilkundlichen Fachkenntnisse voraussetzen, wie das Blutdruckmessen, aufgrund der Schutzrichtung der Regelung von dieser nicht umfasst sind.34 Ob Fachkenntnisse erforderlich sind, bestimmt sich dabei nicht ausschließlich nach der Durchführung der Behandlung, sondern umfasst auch die Entscheidung, wie die Behandlung durchgeführt werden soll, und die Antwort auf die Frage, ob deren Beginn angezeigt ist.35 Die Zirkumzision ist ein nicht völlig ungefährlicher Eingriff an einem besonders empfindsamen Körperteil. Der Behandelnde muss in der Lage sein, Kontraindikationen vor Durchführung des Eingriffs zu erkennen und auszuschließen, um das betroffene Kind nicht über Maß zu gefährden.36 Dass für die Durchführung des Eingriffs und die richtige Einschätzung der Gesamtsituation bestimmte Kenntnisse erforderlich sind, würdigt der Gesetzgeber, indem er die „besondere Ausbildung“ sowie die einem „Arzt vergleichbare Befähigung“ für rituelle Beschneider fordert (vgl. § 1631d Abs. 2 BGB).37 Diese Umstände sind ausreichend, um die Beschneidung als Ausübung von Heilkunde zu qualifizieren.38 Der Rückgriff auf eine gesundheitsprophylaktische Wirkung des Eingriffs ist aus diesem Grund auch entbehrlich. Selbst wenn ein Eingriff kein ärztliches Fachwissen voraussetzt, fällt die Tätigkeit unter den Heilkundebegriff, soweit sie geeignet ist, nicht nur unerheblichen Schaden zu verursachen.39 Schwere gesundheitliche Schäden als Folge einer Zirkumzision lassen sich ebenfalls nicht vollständig ausschließen.40 Neben die objektiven Bestimmungskriterien tritt ein zusätzliches subjektives Element: Das Empfinden des Behandelten respektive der Einwilligenden in der konkreten Behandlungssituation. Der Eindruck, es handle sich um eine heilbehandlungsähnliche Situation, mithin die Empfindung, die Behandlung sei auf Heilung oder Linderung eines Krankheitszustandes angelegt, ist ebenfalls ausrei-
Piercen ohne Lokalanästhetikum offen gelassen durch VGH Kassel, NJW 2000, 2760 (2760). 34 Vgl. BGH, NJW 1982, 1331 (1332); BVerwGE 66, 367 (369). 35 Pelchen, in: Kohlhaas/Ambs, 108. Egl., § 1 HeilPraktG, Rn. 8; BVerwG, NJW 1959, 833; BVerwG, NJW 1966, 418; BVerwGE 35, 308 (310); BVerwG, NJW 1973, 579; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.2011 – Az.: 8 ME 8/11, BeckRS 2011, 48712. 36 Vgl. dazu ausführlich E. VI. 4. a) bb). 37 Dazu genauer unter E. VI. 5. b). 38 So auch Hahn, Erik, S. 217 und Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258, der allerdings allein auf die Nachsorge und die Wundversorgung abstellt, um die Ausübung von Heilkunde bei der rituellen Zirkumzision zu begründen. 39 BVerfGE 106, 62 (107); BVerwG, NJW 1970 1987; BVerwG, NJW 1973, 579; BVerwG; Beschl. v. 24.10.2011 – Az.: 3 B 31.11, Rn. 4; VG Köln, Urt. v. 14.2.2012 – Az.: 7 K 4747/10, BeckRS 2012, 48600; BGH, NJW 2012, 3591. Völlig ungefährliche Behandlungen sind aufgrund einer teleologischen Reduktion aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen, vgl. dazu Hahn, Erik, S. 216. 40 Siehe dazu E. VI. 2. b) bb).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
chend, um das Schutzbedürfnis des HeilPraktG in Stellung zu bringen.41 Ein solches Empfinden liegt bei einer religiös begründeten Beschneidung i. d. R. wohl nicht vor.42 Die Eltern messen dem Eingriff vielmehr religiöse Bedeutung bei. Allerdings ist der Rückgriff auf das subjektive Empfinden in der Behandlungssituation hier auch nicht mehr erforderlich, um die Ausübung von Heilkunde zu begründen. Die Durchführung einer Zirkumzision kann demnach Ausübung von Heilkunde sein.43 Wann die Heilkunde im Einzelfall i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG ausgeübt wird, kann sich erneut an der Begriffsbestimmung des HeilPraktG orientieren. Handelt es sich um eine berufsmäßige Heilkundeausübung nach dem HeilPraktG, ist dies auch die Ausübung von Heilkunde i. S. d. Grundgesetzes.44 Berufsmäßige Ausübung der Heilkunde liegt – in erneuter Anlehnung an die Bestimmungen des HeilPraktG – vor, wenn die Tätigkeit in der Absicht geschieht, „sie in gleicher Weise zu wiederholen und dadurch zu einer, wenn auch nicht dauernden, so doch wiederkehrenden Beschäftigung zu machen“ 45. Die rituellen Beschneider bekleiden regelmäßig religiöse Ämter, in deren Rahmen sie die Zirkumzisionen vornehmen. Sie führen wiederkehrend religiös motivierte Beschneidungen durch, woraus sie auch ihr Fachwissen für diese Eingriffe schöpfen.46 Damit betätigt sich der rituelle Beschneider regelmäßig auch beruflich i. S. d. dieser Definition. Bei der Tätigkeit eines rituellen Beschneiders kann es sich folglich um einen „anderen Heilberuf“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG handeln.47 b) Die Zulassung zu einem anderen Heilberuf i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG durch § 1631d Abs. 2 BGB Handelt es sich bei der Tätigkeit eines rituellen Beschneiders um einen „anderen Heilberuf“, greift der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG, wenn § 1631d Abs. 2 BGB eine „Zulassung“ zu diesem Beruf darstellt. Der Zulassungsbegriff in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 2 GG ist eng auszulegen und schließt Berufsausübungsregelungen jedenfalls nicht ein. Dies ergibt sich in Abgrenzung zu der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Regulierung anderer freier 41
BGH, NJW 1978, 599; BVerwG, NVwZ-RR 2011, 23 (24); OLG Frankfurt a. M., NJW 2000, 1807; Hahn, Erik, S. 216. Allerdings nur, falls die Behandlung geeignet ist, auch gesundheitliche Schäden zu verursachen, vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 18.6.2009 – Az.: 8 LC 6/07, Rn. 26. 42 Hahn, Erik, S. 218, begründet damit die Heilkundeausübung bei gesundheitsprophylaktischen Maßnahmen. 43 So auch Hahn, Erik, S. 217; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258; im Ergebnis zust. auch Manok, S. 130 f. 44 Zur Übertragbarkeit der Begriffsbestimmung auch BVerfGE 106, 62 (107). 45 BGH, NJW 1955, 471. 46 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Berufsfreiheit unter E. VII. 1. 47 Mit diesem Ergebnis auch Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258.
II. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
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Berufe: Im Unterschied zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ermöglicht Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht nur Bestimmungen bzgl. der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern die Regulierung der Rechtsanwaltschaft als Gesamtes. Die ausdrückliche Beschränkung im Zusammenhang mit ärztlichen und anderen Heilberufen muss von Bedeutung, die Gesetzgebungszuständigkeit in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG restriktiver sein.48 Sinn der Kompetenzzuweisungsnorm in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ist die Sicherstellung bundeseinheitlicher Qualitätsanforderungen, um die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zu schützen.49 Dem Gesetzgeber obliegt in diesem Zusammenhang die Definitionshoheit hinsichtlich des zu regulierenden Berufes.50 Darüber hinaus sind von der Kompetenz die Gestattung der Berufsaufnahme,51 die Regelung der Voraussetzungen zur Berufsaufnahme (Prüfungswesen) und die dafür erforderlichen Nachweise sowie der Entzug der vormals erteilten Berufserlaubnis umfasst.52 Für Ärzte ist dies die Erteilung, die Zurücknahme und der Verlust der Approbation, welche für diese Berufsgruppe notwendige Voraussetzung einer rechtmäßigen Berufsausübung ist (vgl. § 2 Abs. 1 BÄO).53 Ähnlich dazu ist auch die Tätigkeit als Krankenpfleger an eine Erlaubnis geknüpft (§ 1 Abs. 1 KrPflG), deren Voraussetzungen in § 2 Abs. 1 KrPflG näher bestimmt sind. In § 1631d Abs. 2 BGB ist eine Erlaubnispflicht für die Tätigkeit des rituellen Beschneiders nicht vorgesehen. Besondere Voraussetzungen, um den Beruf auszuüben, sind allerdings normiert. Die Zirkumzision darf durch einen rituellen Beschneider nur vorgenommen werden, wenn dieser „dafür besonders ausgebildet“ und für die Eingriffsdurchführung einem Arzt „vergleichbar befähigt“ ist. Diesen Voraussetzungen ist mit sonstigen Zulassungsvorschriften gemein, dass sie dem Ziel der Qualitätssicherung und dem Schutz der von dem Eingriff Betroffenen verschrieben sind.54 Zudem handelt es sich um Voraussetzungen, die, ähnlich der erforderlichen Erlaubnis bei Ärzten oder Krankenpflegern, die Berufsausübung des Beschneiders legitimieren. Dabei definiert der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen an den Beruf des rituellen Beschneiders nicht allein. Vielmehr bestimmen die Religionsgemeinschaften selbstständig darüber, wen sie als rituellen Beschneider einsetzen. Diese Mitbestimmung der Religionsgemeinschaften schließt eine staatliche Zulassungsregelung allerdings nicht aus. Die Gläubigen treffen die Entscheidung darüber, wer als ritueller Beschneider aus spiritueller Sicht in Betracht kommt. Im Anschluss daran definiert der Gesetzgeber die an 48
BVerfGE 4, 74 (83); daran anknüpfend BVerfGE 7, 59 (60); 17, 287 (292). BVerfGE 78, 155 (163). 50 BVerfGE 106, 62 (130). 51 Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl. 1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, Rn. 215. 52 BVerfGE 106, 62 (130). 53 Maunz, in: Maunz/Dürig, 23. Egl. 1984, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, Rn. 217; BVerfGE 4, 74 (84 f.); 7, 18 (25); 33, 125 (154). 54 BT-Drucks. 17/11295, S. 18. 49
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
diesen Beruf zu stellenden weltlichen Anforderungen. Bereits in der Bestellung des rituellen Beschneiders durch die Religionsgemeinschaften kann zwar eine „Berufszulassung“ gesehen werden. Denn der Staat kann die innerreligiöse Entscheidung nicht beeinflussen.55 Im Rahmen des deutschen Gesetzes kann ein so „vorzugelassener“ ritueller Beschneider die Zirkumzision allerdings nur rechtmäßig vornehmen, wenn er auch die in § 1631d Abs. 2 BGB normierten Voraussetzungen erfüllen kann. Nur dann ist er ein ritueller Beschneider i. S. d. weltlichen Rechts. Zu Letzterem lässt der Gesetzgeber ihn i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – auch ohne die Normierung einer staatlichen Erlaubnispflicht – zu, wenn er die in § 1631d Abs. 2 BGB definierten Anforderungen erfüllt. Es handelt sich demnach bei § 1631d Abs. 2 BGB um eine Berufszulassungsregelung, die auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gestützt werden konnte.56 Der Bund hat formell von den ihm zugewiesenen Kompetenztiteln in einer mit der Verfassung in Einklang stehenden Weise Gebrauch gemacht.57 Andere formelle Fehler im Gesetzgebungsverfahren sind nicht ersichtlich. In formeller Hinsicht steht § 1631d BGB im Einklang mit dem Grundgesetz.
III. Die kollektive Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht religiöser Gemeinschaften 1. Betroffenheit der kollektiven Religionsfreiheit als individuelles Recht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) Neben der individuellen Schutzkomponente58 kommt der Religionsfreiheit auch eine kollektivrechtliche Dimension zu: Das Recht des Einzelnen, sich mit anderen auf der Grundlage eines gemeinsamen Glaubens zu einer religiösen Gemeinschaft zusammenzuschließen.59 Die Zusammenkunft, um den eigenen Glauben in der Gemeinschaft zu bekunden und religiöse Bräuche und Riten zu praktizieren, ist essenzieller Bestandteil zahlreicher religiöser Gemeinschaften und dient nicht zuletzt der Festigung des individuellen Glaubens.60 Die Freiheit zur 55
Vgl. dazu sogleich unter E. III. 2. So auch Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 258. 57 Zur materiellen Verfassungsgemäßheit der Vorschrift zusammenfassend unter E. IX. Zum Verbot des Einzelfallgesetzes und dem Zitiergebot im Zusammenhang mit § 1631d BGB, vgl. Manok, S. 131 ff. 58 Dazu ausführlich unter E. IV. 2. und E. V. 5. 59 BVerfGE 53, 366 (387); 83, 341 (354); 105, 279 (293 f.); BVerwGE 123, 49 (54 f.); BVerwG, NVwZ 2006, 694 (694); Hillgruber, S. 542. Nach Muckel/Tillmanns, S. 250 f., folgt dieses Recht nicht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern für Religionsgemeinschaften direkt aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 2 WRV und für sonstige religiöse Vereinigungen aus Art. 9 GG. 60 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 93. Darauf bezieht sich auch der ausdrückliche Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 1 EMRK: „(. . .) seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch 56
III. Die kollektive Religionsfreiheit
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religiösen Vereinigung ohne staatliche Beschränkung wird für Religionsgemeinschaften61 in Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 2 WRV zusätzlich garantiert. Dem Einzelnen steht es – grundgesetzlich abgesichert – frei, sich einer Glaubensgemeinschaft anzuschließen und die religiösen Feste gemeinschaftlich mit anderen zu begehen. Knabenbeschneidungen werden in jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften regelmäßig als kollektives Ereignis zelebriert.62 Auf dieses Recht der gemeinsamen Glaubensbekundung nimmt § 1631d BGB nicht unmittelbar Einfluss. Die Ausführungsmodalitäten in Absatz 1 der Norm sowie die Anforderungen an den rituellen Beschneider in Absatz 2 verhindern den Zusammenschluss der Gläubigen und die gemeinsame Begehung des Brauchs nicht. Dass bestimmte Voraussetzungen der Beschneidung normiert werden, tangiert daher nicht das Recht der kollektiven Religionsfreiheit. Ihnen fehlt eine gruppenspezifische Komponente. Primär werden durch die Regelung die Rechte der Eltern und der Kinder betroffen.63 Etwas anderes könnte aus einem generellen Zirkumzisionsverbot folgen oder aus Anforderungen, die so gravierend sind, dass die Durchführung einer Zirkumzision im Rahmen der Gemeinschaft faktisch unmöglich gemacht würde. Ob dies die kollektive Religionsfreiheit betreffen kann, folgt allerdings der Beantwortung der Frage, ob der Ritus durch die individuelle Komponente der Religionsfreiheit geschützt ist, nach.64 Denn § 1631d BGB normiert keine Voraussetzungen, die die gemeinschaftliche Begehung des Rituals vereiteln. Ist die individuelle Begehung des Rituals nicht von der Religionsfreiheit gedeckt, sondern mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, kann auch die kollektive Religionsfreiheit kein anderes Ergebnis gebieten. Umgekehrt kann die kollektive Religionsfreiheit die gemeinsame Begehung der rituellen Knabenbeschneidung schützen, wenn die individuellen Rechte der unmittelbar Betroffenen diese ermöglichen. 2. Betroffenheit des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts Der Schutz der kollektiven Religionsfreiheit kann seine Wirkung nur vollständig entfalten, wenn sich neben dem Einzelnen auch die religiösen Vereinigungen Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen“. Dazu auch unter F. II. 4. 61 Die WRV benutzt, ohne dass es einen inhaltlichen Unterschied gibt, den Begriff der Religionsgesellschaften, vgl. Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 140 GG, Rn. 25. Gemäß Art. 137 Abs. 7 WRV sind die Weltanschauungsgemeinschaften den Religionsgemeinschaften gleichgestellt. 62 Siehe zu der religionsgesetzlichen Bedeutung und den Ausführungsmodalitäten oben unter C. I. und C. II. 63 I. d. S. auch Kreß, S. 680; Rox, Schlusswort, S. 1062; zust. Isensee, S. 323; Steinbach, S. 2 Fn. 21. 64 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 93.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
auf eigene Rechte berufen können. Deshalb können diese ebenfalls Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit sein.65 Die einfachgesetzlich an die Knabenbeschneidung gestellten Anforderungen dürfen daher auch nicht ungerechtfertigt in das Selbstbestbestimmungsrecht der religiösen Gemeinschaften eingreifen. Der Schutz des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts setzt voraus, dass die Vereinigung „der Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses“ und/oder der „Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder“ dient.66 Den Vereinigungen stehen je nach Organisationsgrad, grundgesetzlich garantiert, unterschiedliche Rechte gegenüber staatlichen Einrichtungen zu. a) Organisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 137 Abs. 5 WRV Eine religiöse Vereinigung kann als Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. d. Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV organisiert sein. Voraussetzung hierfür ist, dass die Religionsgemeinschaften „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“ (Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV), soweit sie nicht schon vor Einführung dieser Vorschrift Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus waren (Art. 137 Abs. 5 S. 1 WRV). Darüber hinaus fordert das BVerfG – als ungeschriebene Voraussetzung – die Rechtstreue der Gemeinschaft.67 Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts – wie sie für die jüdische Gemeinschaft68 und die christlichen Kirchen69 besteht – ist mit zahlreichen weltlichen Vorteilen verknüpft, u. a. dem Recht, Steuern zu erheben,70 Beamte zu beschäftigen und öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse einzugehen.71 Auf diese Rechte nimmt § 1631d BGB keinen Einfluss. Vielmehr gestaltet die Vorschrift die Möglichkeit der Eltern, in eine Beschneidung einzuwilligen inhaltlich aus. Die Organisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift daher ohne Belang.
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BVerfGE 19, 129 (132); Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 GG, Rn. 47. St.Rspr. BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 f.); 99, 100 (118); 102, 370 (383); 105, 279 (293); BVerfG, DÖV 2007, 202 (202). 67 Siehe dazu die Entscheidung betreffend den Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas BVerfGE 102, 370 (390) sowie BVerwGE 105, 117 (126). 68 Rohe, Grundsatz religiöser Neutralität, S. 235. 69 Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 137 WRV, Rn. 63. Muslimische Gemeinschaften konnten die Voraussetzungen zur Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bislang nicht erfüllen, vgl. dazu auch Muckel/Tillmanns, S. 252; Schachtschneider, S. 114. Neben der Frage, ob es sich überhaupt um eine Religionsgemeinschaft handelt (dazu sogleich), wird auch die ausreichende innere Struktur der muslimischen Glaubensgemeinschaften angezweifelt, Muckel/Tillmanns, S. 253. 70 Vgl. Art. 137 Abs. 6 WRV. 71 Muckel/Tillmanns, S. 251. 66
III. Die kollektive Religionsfreiheit
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b) Organisation als Religionsgemeinschaft Die Organisation als Religionsgemeinschaft ist Voraussetzung für die Erlangung des Körperschaftsstatus sowie das in Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht. Eine Religionsgemeinschaft ist ein „Verband, der die Angehörigen eines und desselben Glaubensbekenntnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse – für ein Gebiet zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“ 72. Bei der Beurteilung, ob es sich um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis handelt, besteht ein weiter Beurteilungsspielraum der Gläubigen;73 im Rahmen der staatlichen Beurteilung kann auf das äußere Erscheinungsbild abgestellt werden.74 Die Knabenbeschneidung ist insbesondere innerhalb des Judentums und der islamischen Gemeinschaften als religiöser Ritus verfestigt. Das Judentum – als eine bereits bei Verfassung des Grundgesetzes etablierte religiöse Gemeinschaft – erfüllt die Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft.75 Auch viele muslimische Kulturvereine sehen sich als Religionsgemeinschaft. Ihre Zuordnung ist allerdings nicht so einfach. Der Islam kennt keine Amtskirche.76 Die Glaubensbekundungen finden hauptsächlich in privatrechtlich zusammengeschlossenen Organisationen, meist in der Form (stellenweise gemeinnütziger) Vereine i. S. d. §§ 21 ff. BGB, statt.77 Der klassischen Definition einer Religionsgemeinschaft unterfallen diese Vereine regelmäßig nicht. Ihnen fehlt es an der organisatorischen Einheit. Die Vereinsmitgliedschaft ist kein konstitutives Merkmal für die Teilnahme an dem durch diese Vereine organisierten religiösen Leben.78 Überörtliche Dach- und Spitzenverbände, denen sich die lokalen Vereine anschließen, erfüllen die organisatorischen Voraussetzungen hingegen regelmäßig. Sie setzen sich aber nicht aus natürlichen Mitgliedern zusammen, was jedoch Voraussetzung einer Religionsgemeinschaft ist.79 Das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV kann danach weder für einzelne muslimische Kulturvereine noch für die Dach- und Spit72 Diese Definition geht bereits zurück auf Anschütz, Art. 137 WRV, Anm. 2. In Anlehnung daran auch BVerwGE 99, 1 (3); 123, 49 (54). 73 BVerwGE 123, 49 (56). Dazu auch E. IV. 2. a) cc) (5). 74 BVerfGE 83, 341 (353). 75 Classen, Rn. 377. 76 Classen, Rn. 374; Kloepfer, Islam in Deutschland, S. 45. Zur Organisation der Muslime insgesamt Lemmen, S. 34 ff. 77 Rohe, Grundsatz religiöser Neutralität, S. 235. 78 Classen, Rn. 373; Muckel, Islamischer Religionsunterricht, S. 61. Aus diesem Grund sind nur 10%–15% der Muslime in Deutschland Mitglied einer religiösen Vereinigung, vgl. Uslucan, S. 145. 79 Classen, Rn. 373; Heckel, Zukunftsfähigkeit, S. 753 f.; Heimann, S. 243; Hillgruber, S. 545; Muckel/Tillmanns, S. 269; Muckel, Islamischer Religionsunterricht, S. 60. A. A. Eiselt, S. 206; zust. Fechner, S. 736 Fn. 10. Anders auch BVerwGE 123, 49 ff., im Zusammenhang mit der Einordnung eines Dachverbandes als Religionsgemeinschaft i. S. d. Art. 7 Abs. 3 GG.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
zenorganisationen Geltung entfalten. Allerdings fordert das Grundgesetz auch Offenheit gegenüber „neuen“ religiösen Vereinigungen und gebietet staatliche Neutralität und Zurückhaltung bei deren Beurteilung.80 Dem Islam darf vor diesem Hintergrund keine – einer Kirche respektive dem Judentum vergleichbare – Struktur aufgezwängt werden. Auch ohne die gängige Definition auszufüllen, können muslimische Vereinigungen aus diesem Grund möglicherweise unter den Begriff der Religionsgemeinschaft subsumiert werden. Dies ist im Rahmen des Begriffsverständnisses des TierSchG geschehen. Die Ausnahmegenehmigung für das rituelle Schächten kann nur erteilt werden, um „den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften (. . .) zu entsprechen“ (vgl. § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG). Als „bestimmte Religionsgemeinschaft“ i. d. S. wurden einzelne Gruppen innerhalb des Islam ausdrücklich anerkannt.81 Hierfür war es gerade nicht erforderlich, dass die Gemeinschaft die Voraussetzungen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft i. S. d. Art. 137 Abs. 5 WRV oder einer Religionsgemeinschaft i. S. v. Art. 7 Abs. 3 GG erfüllte.82 Das entscheidende Moment für die Einordnung als Religionsgemeinschaft ist vielmehr, dass die Betroffenen durch eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbunden sind.83 Diese Voraussetzung kann auch ein kleiner personeller Zusammenschluss ohne bestimmten Organisationsgrad innerhalb des Islam erfüllen.84 Die Wertungen, die bei Auslegung einer einfachgesetzlichen Vorschrift zugrunde gelegt werden, lassen sich jedoch nicht bruchfrei auf der verfassungsrechtlichen Ebene implementieren.85 Bereits die Gerichtsurteile weisen darauf hin, dass eine Religionsgemeinschaft i. S. d. § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG nicht den Anforderungen des Art. 7 Abs. 3 GG und damit dem verfassungsrechtlichen Begriffsverständnis genügen muss.86 Darüber hinaus verfolgt die Vorschrift einen anderen Zweck als die grundgesetzlichen Regelungen: Sie soll dem Einzelnen die Einhaltung von Glaubensregelungen ermöglichen.87 Ein bestimmter gruppeninterner Organisationsgrad ist dafür nicht erforderlich; die Religionsgemeinschaften treten nicht als Einheit gegenüber staatlichen Institutionen auf. Das zeigt, dass die einfachgesetzliche und die grundgesetzliche Begriffsbestimmung divergieren können, bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ein muslimischer Kulturverein oder Dachverband die Voraussetzungen an den verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsgemein80
Classen, Rn. 377 m.w. N. BVerwGE 112, 227 (234 f.); 127, 183 (185); BVerfGE 104, 337 (354). 82 BVerfGE 104, 337 (354). So in der Zwischenzeit auch BVerwGE 112, 227 (234). 83 BVerwGE 112, 227 (235); BVerfGE 104, 337 (354). 84 BVerwGE 127, 183 (185). Diese Rspr. übernehmend auch BVerfGE 104, 337 (353 ff.). 85 BVerwGE 110, 326 (330, 337), bejaht die Eigenschaft einer Vereinigung als Religionsgemeinschaft nach § 23 Berl.SchulG unabhängig von der grundgesetzlichen Definition. 86 BVerwGE 112, 227 (234); 127, 183 (185). 87 BVerwGE 112, 227 (234 f.); 127, 183 (185). 81
III. Die kollektive Religionsfreiheit
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schaften nie erfüllen kann. Ob es sich bei der betroffenen Gemeinschaft um eine Religionsgemeinschaft i. S. d. Art. 137 Abs. 3 GG handelt, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls, aber jedenfalls nach der grundgesetzlichen Verpflichtung zur Offenheit nicht ausgeschlossen. Die muslimischen Glaubenszusammenschlüsse können, davon unabhängig, einen ausreichenden Organisationsgrad aufweisen, um als juristische Person i. S. d. Art. 19 Abs. 3 GG anerkannt zu werden. Das Selbstbestimmungsrecht einer solchen Vereinigung wird durch Art. 9 GG geschützt, der im religiösen Bereich um Art. 4 GG ergänzt wird.88 Nach § 1631d Abs. 2 BGB dürfen nur „von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen“ den Eingriff durchführen. Inhaltlich sind die Begriffe Religionsgesellschaft und Religionsgemeinschaft deckungsgleich.89 Allerdings handelt es sich bei dem Begriff der Religionsgesellschaft eher um eine altmodische Bezeichnung, abgeleitet aus den Bestimmungen der WRV.90 Auch deshalb nutzen neuere Regelwerke vorrangig die Bezeichnung Religionsgemeinschaft, vgl. exemplarisch § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Der Gesetzgeber sollte daher – bei einer ohnehin notwendig werdenden Anpassung des Gesetzes – den Begriff der Religionsgesellschaft durch den der Religionsgemeinschaft ersetzen, um die Einheitlichkeit innerhalb der Rechtsordnung zu wahren.91 Auf den Inhalt der Bestimmung bleibt dies ohne Auswirkungen. c) Der Inhalt des Selbstbestimmungsrechts (Art. 4 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV) Das Selbstbestimmungsrecht islamischer Glaubensgemeinschaften wird daher weitestgehend über Art. 4 GG gewährleistet, während sich die jüdischen Glaubensgemeinschaften daneben auf Art. 137 Abs. 3 WRV berufen können. Letzterer sichert die korporative Religionsfreiheit zusätzlich ab,92 gewährleistet außerhalb von wirtschaftlicher Betätigung allerdings nur selten zusätzlichen Schutz.93 Entscheidend ist, ob § 1631d BGB das garantierte Recht auf Selbstbestimmung 88 Classen, Rn. 364. Bei Art. 9 Abs. 1 GG handelt es sich um ein Deutschengrundrecht. Der Schutz von Ausländervereinen ist enger. Sie können auch über die in Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich genannten Verbotsgründe hinaus verboten werden, vgl. dazu § 14 VereinsG. Auch Classen, Rn. 247 ff., ausführlich zur Anwendbarkeit des Art. 4 GG auf juristische Personen; Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 29. 89 Vgl. zur Begriffsbestimmung auch unter E. III. 2. b). 90 Campenhausen/Unruh, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 137 WRV, Rn. 19. 91 Vgl. zu den notwendigen bzw. empfohlenen Anpassungen im Überblick G. 92 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 22. 93 Classen, Rn. 262. Aus diesem Grund lassen sich die Ausführungen zum Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Religionsgemeinschaft auf muslimische Vereinigungen übertragen, sodass eine divergierende Beurteilung des § 1631d BGB in diesem Punkt ausscheidet.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
wahrt. Dieses dient in erster Linie – in der Funktion einer Kompetenzabgrenzung gegenüber dem Staat – der Bestimmung von Zuständigkeiten. Der religiös motivierten Zirkumzision Minderjähriger kommt weltliche Relevanz dergestalt zu, dass der Vorgang nicht allein auf eine rein spirituelle Ebene begrenzt ist, sondern einen körperlichen Eingriff zur Folge hat. Die Kompetenz, das Ritual auszugestalten kann aus diesem Grund nicht allein bei den Religionsgemeinschaften liegen. Gleichzeitig verbietet die religiöse Bedeutung des körperlichen Eingriffs eine, von der Bestimmungsmacht der Religionsgemeinschaften losgelöste, allein weltliche Beurteilung. Es handelt sich vielmehr um eine „gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Religionsgemeinschaft.94 Dabei obliegt dem Staat die weltliche, der Religionsgemeinschaft die inhaltlich-religiöse Ausgestaltung des Ritus. Dies wird auch durch die Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts durch die „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ in Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV verdeutlicht. Das auf den Schutz inhaltlich-religiöser Ausgestaltung zugeschnittene Selbstbestimmungsrecht darf nicht durch staatliche Vorgaben überlagert werden. Im Einzelnen vom Selbstbestimmungsrecht erfasst, ist „das Recht zu eigener weltanschaulicher oder religiöser Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens sowie zur Pflege und Förderung des Bekenntnisses“ 95. Das betrifft neben Personalangelegenheiten der Kirche96 auch „kultische Handlungen sowie die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche wie Gottesdienst, (. . .) [und] Gebete, (. . .) [die] religiöse Erziehung, Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens“.97 Die Bestimmungsmacht über diese Bereiche kommt den religiösen Gemeinschaften gerade deshalb zu, weil der Staat sich der Bewertung religiösen Handelns grundsätzlich enthalten muss.98 Aus diesem Grund definieren die Gläubigen auch selbst, was von dem gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht primär umfasst sein soll.99 Die staatliche Kontrolle ist in diesem Bereich beschränkt.100 Es obliegt folglich den Religionsgemeinschaften, die religiöse Bedeutung der Zirkumzision für sich und ihre Angehörigen zu definieren. Dieses Recht muss der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1631d BGB, in Abgrenzung zu staatlichen Zuständigkeiten, hinreichend berücksichtigt haben.
94 Zu den „gemeinsamen Angelegenheiten“ und insbesondere der Kompetenzabgrenzung in Bezug auf den schulischen Religionsunterricht vgl. Heckel, Zukunftsfähigkeit, S. 750 f.; BVerfGE 42, 312 (330 f.); 74, 244 (251). 95 BVerfG, DÖV 2007, 202 (203). 96 Linck, in: Schaub, XVII, § 184, Rn. 1, 2; zur Besetzung der Ämter vgl. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV. 97 BVerfG, DÖV 2007, 202 (203). 98 Vgl. dazu auch BVerfGE 24, 236 (247); 72, 278 (294); 74, 244 (255); 102, 370 (394). 99 BVerfG, DÖV 2007, 202 (203). 100 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 30 f.
III. Die kollektive Religionsfreiheit
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aa) Die Anforderungen an eine rituelle Zirkumzision in § 1631d Abs. 1 BGB § 1631d Abs. 1 BGB definiert die bei Ausführung des Rituals einzuhaltenden Mindestanforderungen. Religiöse Rituale, die weltliche Folgen für den Einzelnen zeichnen, können sich einer staatlichen Kontrolle nicht entziehen.101 Dies gilt auch für die Zirkumzision minderjähriger Kinder. Sie greift – in strafrechtlich relevanter Weise102 – in die körperliche Unversehrtheit des betroffenen Kindes ein und verlässt damit den allein religiös bedeutsamen Handlungsrahmen. Mit § 1631d Abs. 1 BGB darf der Staat nicht eine inhaltlich-religiöse Ausgestaltung des Rituals an Stelle der religiösen Gemeinschaft vornehmen. Er hat seine Zuständigkeitsgrenzen zu wahren. § 1631 Abs. 1 BGB definiert die Voraussetzungen einer rechtmäßigen elterlichen Einwilligung in die Beschneidung des eigenen Kindes, insbesondere die Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB).103 Die religiöse Bedeutung des Rituals wird davon nicht unmittelbar berührt.104 Diese bestimmen die religiösen Gemeinschaften nach wie vor selbst. Der Bundesgesetzgeber greift durch § 1631d Abs. 1 BGB folglich nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ein.105 Das Selbstbestimmungsrecht muss im Rahmen der Rechteabwägung keine Berücksichtigung finden.106 Vielmehr ist es dem Staat um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes bestellt. Das Verhältnis zwischen den Rechten des Kindes und den elterlichen Rechten unter Einbeziehung der staatlichen Schutzverpflichtung geben den weltlichen Handlungsrahmen des Staates vor.107 Der Staat hat auch im Zusammenhang mit anderen religiösen Riten bereits Mindestanforderungen zum Schutz weltlicher Rechte statuiert. So dient das in § 4a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 TierSchG normierte Erfordernis einer Ausnahmegenehmi101
Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 137 WRV, Rn. 33. Dazu D. II. 103 Zu den Details vgl. die Ausführungen unter E. VI. 4.–5. 104 I. d. S. auch Rox, Schlusswort, S. 1062. 105 A. A. Goerlich/Zabel, S. 1059. Sie sehen die Notwendigkeit, aufgrund des Selbstbestimmungsrechts den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB teleologisch zu reduzieren, um das religiöse Leben in ungestörter Art zu gewährleisten. Krit. ggü. der Tatsache, dass der Grundrechtsschutz davon abhängig gemacht werden soll, ob es sich um eine neue oder eine etablierte Religionsgemeinschaft handelt, Steinbach, S. 6. Eine solche Beurteilung widerspräche dem Grundsatz der Staatsneutralität. Aber auch insgesamt ist eine Tatbestandsreduktion nicht angezeigt, vgl. Brocke/Weidling, S. 453; Rox, Schlusswort, S. 1061; Steinbach, S. 2 Fn. 21, a. A. Radtke, Stellungnahme, S. 4. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV reduziert den Tatbestand des § 223 StGB. Allerdings ist nicht klar, warum es sich bei § 223 StGB nicht um einen für alle gültigen Straftatbestand handeln soll. 106 So auch Isensee, S. 323; Hörnle/Huster, S. 329. 107 Kreß, S. 680; Rox, Schlusswort, S. 1062; zust. Isensee, S. 323; Steinbach, S. 2 Fn. 21; a. A. Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V., Pressemitteilung. Zur Abwägung detailliert unter E. VI. 102
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
gung für das rituelle Schächten von Tieren dazu, dem Tierschutz als grundrechtliche Gewährleistung zur größtmöglichen Geltung zu verhelfen und gleichzeitig die Ausgestaltung der religiösen Bedeutung des Vorgangs den Gläubigen zu überlassen. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist durch § 4a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 TierSchG nicht betroffen.108 Auch wenn die Regelungen zum rituellen Schächten anderen Schutzgütern zu dienen bestimmt sind als § 1631d Abs. 1 BGB, lässt sich die Wertung dem Grunde nach übertragen. Der weltliche Vorgang wird in beiden Fallkonstellationen restringiert, die spirituelle Ausgestaltung verbleibt im Bestimmungsbereich der Gläubigen und der Religionsgemeinschaft. Etwas andere könnte gelten, wenn die rechtlichen Anforderungen in § 1631d Abs. 1 BGB zu einem faktischen Zirkumzisionsverbot führen würden. Dann wäre den Religionsgemeinschaften der Anknüpfungspunkt für ihr Selbstbestimmungsrecht entzogen. Sie könnten die Bedeutung des Ritus nicht mehr für sich und ihre Angehörigen selbst definieren, sondern wären aufgrund der staatlichen Vorgaben gehindert, den Brauch weiterhin auszuüben. Allerdings betrifft das Selbstbestimmungsrecht nur die Ausgestaltung des Brauchs und nicht dessen generelle Vereinbarkeit mit der staatlichen Rechtsordnung. Ob ein totales Zirkumzisionsverbot mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist, hat sich ebenfalls an den individuellen Rechten zu messen. Lässt sich die Zirkumzision mit diesen nicht in Einklang bringen, steht es auch den Religionsgemeinschaften nicht zu, ihren Anspruch auf Selbstbestimmung bei Ausgestaltung des Ritus durchzusetzen. Ansonsten wäre das religiöse Selbstbestimmungsrecht geeignet, die staatliche Rechtsordnung auszuhebeln.109 bb) Die Anforderungen an den rituellen Beschneider in § 1631d Abs. 2 BGB § 1631d Abs. 2 BGB beinhaltet eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Arztvorbehalt für die Durchführung einer rituellen Zirkumzision. Auch rituelle Beschneider können den Eingriff vornehmen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen und von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehen wurden. Die Entscheidung über die Besetzung religiöser Ämter ist essenzieller Bestandteil der religiösen Selbstbestimmung.110 Die Bestimmung, wer innerhalb der Religionsgemeinschaft als ritueller Beschneider agieren soll, entzieht sich folglich staatlicher Einflussnahme. Der Gesetzgeber hat dies bei der Formulierung des § 1631d
108 Zum religiösen Schächten, den damit verbundenen Rechten und den ergangenen Entscheidungen genauer unter E. VII. 2. d) aa). 109 Vgl. auch die Möglichkeit zur Einschränkung der individuellen Religionsfreiheit unter E. IV. 2. b). 110 Vgl. dazu bereits oben E. III. 2. c) sowie Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV.
III. Die kollektive Religionsfreiheit
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Abs. 2 BGB berücksichtigt.111 Die Bestimmung über die Person und die spirituelle Ausbildung des rituellen Beschneiders verbleiben damit, im Einklang mit dem grundgesetzlichen Selbstbestimmungsrecht, bei den Religionsgemeinschaften. Nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes können rituelle Beschneider den Eingriff allerdings nicht mehr vornehmen (§ 1631d Abs. 2 BGB). Der Staat formt den religiösen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes aus, indem er diesen approbierten Medizinern vorbehält. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften kann nicht mehr zur vollen Entfaltung gelangen. Religiöse Beschneider müssen zugleich Arzt sein.112 Diese Hürde kann durch das religiöse Selbstbestimmungsrecht nicht beseitigt werden. Allerdings geht auch § 1631d Abs. 2 BGB die Abwägung der individuellen Rechte voraus. Der Gesetzgeber sieht es zum Schutz kindlicher Rechte als erforderlich an, ab dem normierten Zeitpunkt rituelle Beschneider von dem Eingriff auszuschließen.113 Lässt sich das Ritual mit den kindlichen Rechten nicht vereinbaren, können die Religionsgemeinschaften dieses auch nicht inhaltlich ausgestalten. Lediglich soweit die grundsätzliche Vereinbarkeit der Beschneidung mit den individuellen Rechten besteht, haben die religiösen Gemeinschaften ein ausgestaltendes Recht zur Selbstbestimmung. Der Ausschluss ritueller Beschneider ab einem bestimmten Zeitpunkt beeinträchtigt das Selbstbestimmungsrecht der religiösen Gemeinschaften daher nicht unbedingt. cc) Das Gebot der strikten Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) Das aus Art. 137 Abs. 1 WRV ableitbare Gebot strikter Trennung von Staat und Kirche ist durch die Regelungen des religiösen Rituals der Zirkumzision nicht verletzt. Art. 137 Abs. 1 WRV verbietet nicht, dass es Bereiche gibt, in denen sowohl das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften als auch staatliche Bestimmungen gemeinschaftlich operieren. Erforderlich ist nur, dass die Kompetenzen einer klaren Verteilungsregel unterliegen und sich die beteiligten Akteure innerhalb ihrer Zuständigkeitsbereiche bewegen.114 Der Staat überschreitet durch die vorhandenen Regelungen nicht den Bereich weltlicher Zuständigkeit. Die Regelung grenzt die Kompetenzbereiche auch ausreichend klar voneinander ab: Die Religionsgemeinschaft bestimmt die spirituelle, der Staat die weltliche Komponente des Rituals.
111
Vgl. dazu auch BT-Drucks. 17/11295, S. 14. Dazu detailliert auch unter E. VII. 113 Die gesetzgeberische Begründung kann nicht durchgreifen, vgl. unter E. VI. 4. e) bb) sowie E. VI. 5. e). Zu den daraus folgenden Konsequenzen unter E. VII. 2. 114 Heckel, Zukunftsfähigkeit, S. 751. 112
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen Der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Analyse des § 1631d BGB betrifft die elterlichen Rechte in Abgrenzung zu den Rechten des Kindes. Auf Seiten der Eltern kommt aus verfassungsrechtlicher Perspektive das Recht zur (religiösen) Kindererziehung (Art. 6 Abs. 2 GG sowie gegebenenfalls Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) als Ausgangspunkt der Untersuchung in Betracht. 1. Der Schutzumfang des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie ist in Art. 6 Abs. 1 verankert. Den Kern des verfassungsrechtlichen Familienschutzes bildet „die umfassende Gemeinschaft von Eltern und ihren Kindern“ 115. Der sich aus dieser Beziehung ergebende Rechte- und Pflichtenkanon der Eltern gegenüber ihren Kindern findet sich vorrangig116 und ausdrücklich in Art. 6 Abs. 2 GG.117 Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind „Pflege und Erziehung der Kinder (. . .) das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. a) Der personelle und zeitliche Schutz des Elternrechts Das Erziehungsrecht als „natürliches“ Recht der Eltern wird vom Staat anerkannt, aber nicht durch ihn verliehen.118 Das Elternrecht muss nicht erworben werden, sondern besteht aus sich heraus gegenüber den eigenen Kindern. Eine leibliche Abstammung der Kinder von ihren Eltern ist nicht zwingend erforderlich.119 Adoptiveltern erlangen das in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Elternrecht mit der Adoption des Kindes.120 Das Erziehungsrecht der Eltern steht sachlogisch in einer Wechselbeziehung zu dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes121. Mit dessen zunehmendem Alter nimmt der Umfang elterlicher Einwirkungsmöglichkeiten ab, bis sie schließlich – jedenfalls bei normalem Verlauf der kindlichen Entwicklung – mit der Volljährigkeit des Kindes gänzlich erlischt.122 Das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG kann daher nur für die Zirkumzision an minderjährigen – selbst115
BVerfGE 10, 59 (66). Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 GG, Rn. 46. 117 Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 GG, Rn. 14. 118 BVerfG, NJW 1982, 1379 (1379); BVerfGE 60, 79 (88). 119 Badura, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 6 GG, Rn. 99. 120 BVerfGE 24, 119 (150). Pflegeeltern steht das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG hingegen grds. nicht zu, vgl. dazu auch BVerfGE 79, 51 (60). 121 Dazu unter E. V. 4. 122 Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 GG, Rn. 51. 116
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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bestimmungsunfähigen – Kindern von Bedeutung sein. Darauf ist die einfachgesetzliche Regelung in § 1631d BGB auch angelegt (vgl. Abs. 1 S. 1 „Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen [. . .] Kindes“).123 Das Recht der Eltern kann daher Einfluss auf die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Verfassungsrecht haben. Entscheidend ist, wie weit die elterliche Bestimmungsmacht über das eigene Kind reichen und, ob sie die Entscheidung für eine Zirkumzision legitimieren kann. b) Die abwehrrechtliche Dimension des Elternrechts Das Grundgesetz trifft in Art. 6 Abs. 2 S. 1 die Entscheidung über die primäre Zuordnung von Verantwortlichkeiten für die Belange der Kinder und siedelt diese – unter Gewährung eines Vertrauensvorschusses – bei den Eltern an. Der Grund dafür liegt in der besonderen Struktur der natürlichen Eltern-Kind-Beziehung, die gerade durch das besondere Schutz- und Fürsorgebedürfnis der Eltern für ihre Kinder geprägt ist. Im elterlichen Umfeld wird dem Kind regelmäßig die beste und umfassendste, gleichzeitig am ehesten an seinem Wohl orientierte Fürsorge zuteil.124 Der Staat soll sich einer Einflussnahme weitestgehend enthalten. Das Grundgesetz gibt den Eltern keinerlei Erziehungsziele vor. Die Erziehungszielbestimmung und die Methoden zur Zielerreichung liegen primär in den Händen der Eltern und damit in deren alleiniger Verantwortung.125 Dies fügt sich in die Dogmatik der Freiheitsrechte ein, die ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat begründen; einen Freiheitsbereich definieren, in welchen staatliche Eingriffe einer Rechtfertigung bedürfen.126 aa) Pflege und Erziehung des Kindes i. S. d. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Der geschützte Freiheitsbereich erstreckt sich auf die Pflege sowie Erziehung des Kindes (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Pflege meint in diesem Zusammenhang „die allgemeine Sorge für die Person des Kindes, für sein körperliches Wohl und seine geistige und charakterliche Entwicklung“ 127. Unter Erziehung wird dagegen die formende geistig-seelische Einwirkung der Eltern auf die Kinder verstanden, die die Anlagen und Fähigkeiten des Kindes zur Entfaltung bringt und das Kind zur
123 Siehe zur Bestimmung kindlicher Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf die Zirkumzision auch oben D. IV. 1. c). 124 Vgl. dazu auch BVerfGE 59, 360 (376); 60, 79 (94); 61, 358 (371); 72, 122 (140); Willutzki, Zum Umfang der Personensorge. 125 Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 GG, Rn. 53 m.w. N.; BVerfGE 107, 104 (117). 126 BVerfGE 4, 52 (57); 7, 320 (323); 24, 119 (138); 59, 360 (376); BVerfG, NJW 1968, 2233 (2234). 127 Badura, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 6 GG, Rn. 107.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Reife der Selbstbestimmung führt.128 Eine trennscharfe Unterscheidung lässt sich nicht immer vornehmen, ist aufgrund des einheitlichen Schutzniveaus aber auch nicht erforderlich. Die Entwicklung des Kindes hin zu einem selbstbewussten Erwachsenen kann mit pflegerischen Handlungen, die dem Kind Wertschätzung und Zuwendung entgegenbringen, unterstützt werden, sodass sich Pflege und Erziehung regelmäßig überschneiden und ergänzen. Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern vereinen sich zur elterlichen „Gesamtsorge und -verantwortung“ für das Kind.129 Bei der elterlichen Entscheidung für eine Zirkumzision können sich typischerweise pflegerische mit erzieherischen Elementen vermischen. Besteht eine medizinische Indikation für die Beschneidung,130 dient diese dem körperlichen Wohl des Kindes und ist bereits aus diesem Grund vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, aber nicht von § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB umfasst.131 Das elterliche Entscheidungsrecht ist für medizinische Heileingriffe bereits an anderer Stelle einfachgesetzlich verankert und so hinreichend geschützt.132 Ein Eingriff in das Elternrecht verbindet sich mit dem Fehlen einer Erlaubnisregelung für diesen Bereich daher nicht. Diese Wertung lässt sich auf gesundheitsprophylaktische Maßnahmen übertragen. Sie sind ebenfalls bestimmt, der kindlichen Gesundheit und damit dem Wohl des Kindes zu dienen und demzufolge grundsätzlich vom elterlichen Recht zur Pflege des Kindes gedeckt. Kommt einer Zirkumzision eine gesundheitsprophylaktische Wirkung zu, kann es sich bei der elterlichen Entscheidung für diesen Eingriff um einen Akt der Pflege handeln.133 bb) Das Recht zur religiösen Kindererziehung – Die Anreicherung des Elternrechts um die Religonsfreiheit Die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision wird in Deutschland regelmäßig aus religiösen oder kulturellen Gründen vorgenommen.134 Diese elterliche Motivation ist von der Einwilligungserlaubnis in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB erfasst. Die Beschneidung dient in dieser Konstellation nicht dem körperlichen Wohl des Kindes und stellt somit keinen Akt der Pflege dar. Vielmehr zielt die elterliche Entscheidung darauf, das Kind in seiner geistig-spirituellen Entwicklung zu be-
128
Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6 GG, Rn. 42. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 GG, Rn. 51. 130 Dazu unter B. IV. 1. 131 Eine Kumulation aus medizinischer Indikation und religiöser Motivation des Eingriffs ist von § 1631d BGB ebenfalls nicht gedeckt, vgl. dazu auch oben E. II. 2. a). 132 Siehe dazu bereits oben B. IV. 2. 133 Siehe zur gesundheitsprophylaktischen Wirkung einer Zirkumzision und der näheren Ausgestaltung der elterlichen Entscheidungsbefugnis in diesem Bereich im Detail unter E. VI. 2. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen religiösen und gesundheitsprophylaktisch motivierten Beschneidungen bereits unter E. II. 2. a). 134 Siehe zur religiösen Begründung der Beschneidungsgebote oben unter C. I.–II. 129
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
97
einflussen, indem es zum Mitglied einer bestimmten Glaubensgemeinschaft gemacht wird.135 Die Eltern legen mit dieser Entscheidung den Grundstein dafür, ihren Glauben gemeinsam mit ihrem Kind zu leben. Das elterliche Recht, die eigenen Kinder in religiöser Hinsicht zu erziehen und zu prägen, erwächst aus einer Kumulation der Rechte aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG mit der positiven Religionsfreiheit der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG136 und ist einfachgesetzlich in § 1 RelKErzG verankert. Es bildet für die Eltern die Grundlage der religiösen respektive weltanschaulichen Erziehung des Kindes nach eigenen Vorstellungen und erlaubt ihnen, ihren Kindern diejenige Glaubens- und Weltanschauungsansicht zu vermitteln, der sie auch selbst folgen.137 Die Durchführung von Riten und Bräuchen, die mit der gewählten religiösen Überzeugung zusammenhängen, ist von diesem Recht ebenfalls erfasst.138 Die Teilhabemöglichkeit des Kindes ist dabei nicht auf eine passive Teilnahme beschränkt. Ein Vergleich zu christlichen Riten, wie der Taufe, macht deutlich, dass das Kind auch den Mittelpunkt einer religiösen Feierlichkeit ausmachen kann.139 Ob der Schutz letztlich ausreicht, um die Zirkumzision in die Dispositionsfreiheit der Eltern zu stellen, bestimmt sich auch an den Grenzen des Elternrechts, welche sich u. a. aus den kindlichen Rechten ableiten.140 c) Das Wohl des Kindes als Definitionsparameter und Grenze des Elternrechts Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG legt den Eltern neben Rechten auch Pflichten auf. Pflege und Erziehung des Kindes sind eine „zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. In seiner verpflichtenden Ausprägung – der sog. Elternverantwortung141 – steht das Grundrecht nicht zur Disposition der Personensorgeberechtigten.142 Die Pflich135
Siehe dazu auch ausführlich oben C. I.–II. BVerfGE 41, 29 (47 f.); 93, 1 (17). Andere sehen das Recht zur religiösen Erziehung ausschließlich als Teil des elterlichen Erziehungsrechts, vgl. Isensee, S. 319; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 289. Auch die Entscheidung, den weiblichen Abkömmling genitalverstümmeln zu lassen, unterfällt dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. dazu Wüstenberg, Genitalverstümmelung, S. 225. Ob die Entscheidung für eine Zirkumzision von der elterlichen Religionsfreiheit gedeckt sein kann, entscheidet sich nach dem grundgesetzlichen Schutz aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, dazu sogleich E. IV. 2. 137 BVerfGE 41, 29 (47 f.); 93, 1 (17). 138 Schmid, § 1 RelKErzG, Rn. 1. 139 Zur abschließenden Vergleichbarkeit der religiösen Beschneidung mit der christlichen Taufe unter E. V. 5. b). 140 Siehe dazu ausführlich unten E. IV. 1. c) und E. V. 141 BVerfGE 24, 119 (143); BVerfG, NJW 1968, 2233 (2235); BVerfG, NJW 2010, 2333 (2334). 142 BVerfGE 121, 69 (93); Coelln, in: Sachs/Battis/Huber, Art. 6 GG, Rn. 53; Robbers, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 Abs. 2 GG, Rn. 149. Dem Kind kann aus dieser 136
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
tenbindung elterlichen Handels erwächst aus der besonderen Struktur des Elternrechts, welches die Bestimmungsbefugnis über einen Dritten einräumt.143 Sie gründet sich auf die Achtung der Menschenwürde sowie der eigenständigen Persönlichkeit des Kindes.144 Nicht nur die Grenze des Elternrechts ist deshalb durch die kindlichen Rechte determiniert, vielmehr bildet die Pflicht zur Pflege und Erziehung einen „wesensbestimmenden Bestandteil“ 145 des Elternrechts. Mit der Folge, dass die Eltern die Interessen des Kindes und dessen Wohl bei ihrer Entscheidungsfindung stets zu berücksichtigen haben.146 Als pflegerische respektive erzieherische Entscheidung der Eltern hat sich daher auch die Einwilligung in eine Zirkumzision am Wohl des Kindes zu orientieren. Die inhaltliche Ausgestaltung des Kindeswohlbegriffs folgt keiner staatlichen Definition.147 Die inhaltliche Auffüllung obliegt primär den Eltern aufgrund der Reichweite der elterlichen Rechte.148 Das Recht zur Erziehung verbleibt bei den Eltern, auch wenn diese aus objektiver Sicht nicht nachvollziehbare Fehlentscheidungen treffen. Dass die Kinder unter Umständen Nachteile erleiden, die bei divergierender Entscheidung hätten vermieden werden können, berechtigt den Staat nicht allein zum Eingreifen.149 Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die Eltern jede Verhaltensweise gegenüber dem Kind mit dessen Wohl rechtfertigen können. Nehmen die Eltern eine Auslegung vor, die sich mit den Rechten des Kindes nicht mehr vereinbaren lässt, ist der Staat zum Eingreifen berechtigt und verpflichtet.150 Der Staat tritt bei Bestimmung des Kindeswohls dann in ein Konkurrenzverhältnis zu den Eltern.151 Denn er überwacht im Rahmen seines sog. Wächteramts aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG die elterliche Betätigung. In die Rechte der Eltern soll der Staat aber nur in Ausnahmesituationen eingreifen. Eine solche
Pflichtenstellung der Eltern allerdings kein eigenes Grundrecht erwachsen, vgl. dazu unter E. V. 6. 143 BVerfGE 59, 360 (376). 144 Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1 GG, Rn. 29; BVerfGE 24, 119 (144); 121, 69 (92); BVerfG, NJW 1974, 1609 (1611). 145 Badura, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 6 GG, Rn. 107; Veit, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), § 1626 BGB, Rn. 9. 146 BVerfG, NJW 1974, 1609 (1611); BVerfG, NJW 1981, 1201 (1201); BVerfGE 10, 59 (76); 24, 119 (143); 56, 363 (381 f.); 59, 360 (376); 60, 79 (88); 103, 89 (107); 107, 104 (117); 121, 69 (92). 147 BVerfGE 35, 165 (184). 148 Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 464 f.; Hörnle/Huster, S. 330; Stumpf, S. 143 f., will die fehlende Ergebnisoffenheit elterlicher Entscheidung bereits ausreichen lassen, um die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung in die Beschneidung zu versagen. Steinbach, S. 3; Zacher, S. 422. 149 BVerfG, NJW 2010, 2333 (2334); BVerfGE 24, 119 (145); 107, 104 (117 f.); Isensee, S. 320; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 40. 150 BVerfGE 24, 119 (145). Steinbach, S. 3; ähnlich Walter, Christian, Stellungnahme, S. 2; Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 428. 151 Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 40.
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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ist gegeben, wenn die Personensorgeberechtigten durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes erheblich gefährden152 und auf diese Weise ihr Sorgerecht missbrauchen.153 Wird der Staat tätig, hat er dabei insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Ob und in welcher Ausgestaltung ein Eingreifen gerechtfertigt ist, bestimmt sich nach dem Grad des elterlichen Versagens und danach, was im Interesse des Kindes geboten ist.154 Der besonders gravierende Eingriff, der Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen, ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig (vgl. Art. 6 Abs. 3 GG).155 Eingriffe von geringerer Intensität lassen sich auch unter weniger strengen Voraussetzungen rechtfertigen. Die Entscheidung für eine Zirkumzision kann vom elterlichen Erziehungsrecht als pflegerische und/oder erzieherische Maßnahme gedeckt sein. Ob diese Entscheidung unter Einbeziehung der kindlichen Rechte Bestand haben kann oder ob eine Einschränkung der elterlichen Erziehungsverantwortung gerechtfertigt ist, bestimmt sich allerdings im Rahmen der Abwägungsentscheidung.156 2. Die Bedeutung der elterlichen Religionsfreiheit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG Die in § 1631d BGB normierte Beschneidung männlicher Kinder folgt regelmäßig einer religiösen Motivation der Eltern und findet daher möglicherweise eine Rückanbindung an den Schutzbereich der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Das Bedürfnis der Eltern, ihren Kindern eine religiöse Erziehung zukommen zu lassen, ist neben Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zusätzlich von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gedeckt.157 Um die religiöse Komponente des Rituals im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen und die Rechtfertigungsanforderungen für Eingriffe in die religiöse Erziehung zu erhöhen, muss der aus der Religionsfreiheit ableitbare Schutz ebenfalls bestehen.158
152
BVerfGE 60, 79 (91). Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 414; Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 131; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 151; Hörnle/Huster, S. 332; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 35; Rox, Anmerkung, S. 808; Wüstenberg, Genitalverstümmelung, S. 226; Yalçin, S. 382; a. A. Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 290 f., gegen Hörnle und Huster; Sonnekus, S. 3. 154 BVerfGE 107, 104 (118). 155 Dazu auch BVerfGE 72, 122 (137 f.); 107, 104 (118). 156 Siehe dazu unter E. VI. 157 Siehe dazu bereits oben E. IV. 1. b) bb). 158 So auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 417; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 41; Steinbach, S. 4. 153
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
a) Der Schutzumfang der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG Die elterliche Religionsfreiheit kann nur Eingang in die Abwägungsentscheidung finden, wenn der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG eröffnet ist. aa) Religion und Weltanschauung Nach Art. 4 Abs. 1 GG sind „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ unverletzlich; die ungestörte Religionsausübung wird in Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet. Religion und Weltanschauung i. d. S. sind „eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens (. . .); dabei legt die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende (,transzendente‘) Wirklichkeit zu Grunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche (,immanente‘) Bezüge beschränkt“ 159. Die Trennlinie zwischen Religion und Weltanschauung verläuft dabei fließend. Aufgrund des identischen Schutzbereichs ist eine eindeutige Zuordnung des Bekenntnisses aber auch nicht erforderlich.160 Der Islam und das Judentum erfüllen den grundgesetzlichen Religionsbegriff.161 Dass der Islam bei Begründung des Grundgesetzes als Religion in Deutschland nicht verbreitet war, spricht nicht gegen diese Einordnung.162 Das Grundgesetz kennt keinen Traditionsvorbehalt.163 Damit kann die Beschneidung, wie sie regelmäßig in den islamischen Glaubensgemeinschaften und im Judentum vorgenommen wird, grundsätzlich von den Gewährleistungen der grundgesetzlichen Religionsfreiheit profitieren. In personeller Hinsicht gilt die Religionsfreiheit auch für Ausländer164 und folglich auch für die in Deutschland lebenden Juden und Muslime ausländischer Staatsangehörigkeit.
159
BVerwGE 90, 112 (115); BVerwG, NJW 2006, 1303 (1303). Ob die Lehre von Scientology den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung erfüllt, wurde z. B. offengelassen in BVerwG, NJW 2006, 1303 ff. 161 So auch Janz/Rademacher, S. 710; Muckel, Islamischer Religionsunterricht, S. 59; Rohe, Grundsatz religiöser Neutralität, S. 234; Schramm, Ehe und Familie, S. 226. Die muslimischen Glaubensgemeinschaften können zwar den Religionsbegriff ausfüllen, sind aber regelmäßig keine Religionsgemeinschaften i. S. d. WRV, siehe dazu bereits oben E. III. 2. b). 162 Hillgruber, S. 540; Muckel/Tillmanns, S. 235. 163 Vgl. zu dem nicht bestehenden Traditionsvorbehalt bei Auslegung des Grundgesetzes auch oben unter E. I. sowie unter E. IV. 2. a) cc) (2). 164 Hillgruber, S. 541. 160
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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bb) Der Schutz des forum internum und des forum externum Die Religionsfreiheit lässt sich auf den obersten Wert des Grundgesetzes, die Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG, zurückführen.165 Die darin angelegte überragend wichtige Bedeutung dieses Grundrechts spiegelt sich in einer extensiven Auslegung seines Schutzumfangs wider.166 Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG bilden einen einheitlichen Schutzbereich.167 Geschützt wird neben dem forum internum auch das forum externum.168 Während das forum internum dem Einzelnen die Freiheit zugesteht, einen bestimmten Glauben zu haben, umfasst der Schutz des forum externum das Recht, den Glauben durch kultische Handlungen zu bekunden und zu verbreiten.169 Der Gläubige ist befugt, „sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“ 170. Die religiöse Erziehung des eigenen Kindes ist Gegenstand des forum externum. Die Eltern bekunden ihren Glauben durch erzieherische Handlungen nach außen und setzen ein religiöses Gebot um, indem sie ihre innere Glaubensüberzeugung an das eigene Kind weitergeben. Folgt die Entscheidung für die Zirkumzision des eigenen Kindes einer religiösen Motivation, ist diese Entscheidung dem forum externum der religiösen Freiheit zuordenbar.171 Die Beschneidung, als religiöses Handlungsgebot, ist in den islamischen Glaubensgemeinschaften und dem Judentum in den Verantwortungsbereich der Eltern gelegt. Im Judentum findet sich die ausdrückliche Verpflichtung des Vaters, den eigenen Sohn beschneiden zu lassen.172 Aufgrund der fehlenden Einwilligungsfähigkeit des Kindes kann die religiöse Verantwortlichkeit auch nur bei den Eltern liegen. Die Eltern kommen dann auch einer eigenen religiösen Verpflichtung nach. Ist dies die alleinige Motivation der Personensorgeberechtigten und verfolgen sie mit der Beschneidung kein Erziehungsziel, sind die Rechtfertigungsanforderungen allein an Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu messen. Allerdings dient die Beschneidung aus religiösen Gründen regelmäßig einer anderen Zielsetzung. Die Beschneidung macht das Kind zu einem vollwertigen Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Religiöses Leben in der Familie wird dadurch ermöglicht. Die Religionsfreiheit kann in dieser Konstellation die elterliche Erziehungsberechtigung 165
BVerfGE 52, 223 (247). BVerfGE 24, 236 (246). 167 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 7; BVerfGE 108, 282 (297). 168 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 23 f. 169 St.Rspr. des BVerfG, siehe BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (49); 93, 1 (15). 170 BVerfGE 108, 282 (297). 171 So auch Bielefeldt, S. 76; Exner, S. 46; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 41; Lilie, S. 3; Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1126; Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 102; Steinbach, S. 4; Zähle, S. 441. 172 Dazu oben C. I. 1. 166
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
aus Art. 6 Abs. 2 GG verstärken. Diese Wirkung der Religionsfreiheit ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die elterliche Entscheidung Bedeutung für die körperliche Unversehrtheit des Kindes hat,173 gilt gleichzeitig aber auch nicht schrankenlos.174 Die Möglichkeit, die Religionsfreiheit zu beschränken, macht eine Ausnahme bestimmter Handlungen aus dem Schutzbereich aufgrund der Rechte Dritter entbehrlich.175 Welche Eingriffe in das Recht des Kindes aufgrund der elterlichen Entscheidungsverantwortung möglich sind, bestimmt sich im Rahmen der Abwägungsentscheidung.176 cc) Die Definitionshoheit über die Bestimmung des Schutzbereichsinhalts Die elterliche Entscheidung für eine religiös motivierte Zirkumzision des eigenen Sohnes hat das Potenzial, den weiten Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit auszufüllen und damit eine grundgesetzlich geschützte religiöse Handlung darzustellen. Dafür muss der Schutzbereich auch im Einzelfall eröffnet sein. Für die erforderliche religiöse Komponente ist es ausreichend, dass das in Frage stehende Verhalten einer religiösen Motivation entspringt.177 Dies ist bei Zirkumzisionsentscheidungen muslimischer oder jüdischer Eltern oder Elternteile regelmäßig gegeben, falls die Beschneidung nicht ausnahmsweise allein aus medizinischen Gründen vorgenommen wird. Die notwendige Motivation ist allerdings eine allein subjektive Komponente, deren Stringenz und Inhalt sich schwerlich überprüfen lässt. Dies birgt die Gefahr einer unkontrollierbaren Ausweitung des Schutzes der Religionsfreiheit,178 mit der Folge, dass alle Lebensbereiche von dieser gedeckt werden können, wodurch eine Abgrenzung zu anderen Grundrechten erheblich erschwert wird. Es existieren daher Bestrebungen, das Grundrecht der Religionsfreiheit auf bestimmte Verhaltensweisen zu beschränken. Wie die Eindämmung des Schutzbereichs gelingen kann und welche Auswirkungen sich 173 A. A. Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4; zust. Holzner, S. 2; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 495: Die Religionsfreiheit erlaubt keine Eingriffe in die Rechte Dritter. Dies sei in der Verfassung verankert. Eine andere Beurteilung bedürfe einer Verfassungsänderung, welche den Anforderungen des Art. 79 GG genügen muss. Brosius-Gersdorf, S. I, mit der Begründung, dass zumindest irreversible körperliche Eingriffe nicht von der Religionsfreiheit der Eltern gedeckt sein können. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 35.3; Grams, S. 335, 337; Hörnle/Huster, S. 329 f.; Isensee, S. 319; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 371; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413; Sonnekus, S. 6 ff.; Rox, Schlusswort, S. 1062. Krit. ggü. der Meinung von Rox, Steinbach, S. 5. Die Religionsfreiheit auszuschließen ist nicht konsequent, wenn Letztere dann über das Elternrecht Eingang in den Abwägungsprozess findet. 174 Dazu genauer E. IV. 2. b). 175 Alberts, Schutzbereich, S. 1151; Borowski, S. 441; Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 50.1. 176 Dazu genauer E. VI. 177 Borowski, S. 380 f.; Classen, Rn. 151. 178 Classen, Rn. 155; BVerfGE 108, 282 (298 f.).
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daraus für die Zulässigkeit der Knabenbeschneidung ergeben, wird im folgenden Abschnitt untersucht. (1) Beschränkung auf den „traditionellen“ Kern der Religionsausübung Nach einer Auffassung soll der Schutz der Religionsfreiheit nur traditionelle Glaubensinhalte umfassen. Der Grundrechtsschutz bezieht sich dann ausschließlich auf christlich geprägte Verhaltensweisen, die bereits zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes üblich waren. Dies entspräche – so die Vertreter dieser Meinung – auch dem Bild der Religionsfreiheit, wie die Verfasser des Grundgesetzes dies bei dessen Formulierung vor Augen hatten.179 In der christlichen Glaubenstradition hat sich die Beschneidung als religiöses Gebot nicht durchgesetzt.180 Die Beschränkung auf traditionelle Verhaltensweisen wie Gottesdienste, Gebete und vergleichbare Glaubensbekundungen würde einen Ausschluss der religiösen Zirkumzision aus dem Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit bedeuten. Eine solche Schutzbereichsreduktion ist allerdings nicht sachgerecht. Vielmehr bietet die Religionsfreiheit eine umfassende Garantie, die sich nicht ausschließlich auf bestimmte Verhaltensweisen beschränkt. Die Gestaltung und Behandlung des eigenen Körpers auf Grundlage einer religiösen Motivation, davon erfasst ist z. B. auch die Einhaltung bestimmter Kleidungs- oder Ernährungsvorschriften, ist ebenso Teil der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG.181 Gleichzeitig ist das Grundgesetz entwicklungsoffen. Die Freiheitssicherung der Bürger verlangt eine kontinuierliche Anpassung bestehender Rechte.182 Neue religiöse Lebensweisen darf der zur Neutralität verpflichtete Staat nicht generell ausschließen oder deren Umsetzung erschweren. Der christliche Glaube darf in einer pluralistischen Gesellschaft nicht bevorzugt werden.183 Dies spiegelt sich auch im europäischen und internationalen Recht wider,184 hinter dessen Schutzniveau die Religionsfreiheit, bei einer solch eingeschränkten Betrachtungsweise, zurückbleiben würde.185 Der Rückgriff auf traditionelle Glaubensbekundungen ist daher kein tauglicher Ansatz, den Schutzbereich der Religionsfreiheit zu begrenzen. 179 Dazu Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Abs. 1, 2 GG, Rn. 61. Krit. Borowski, S. 420 f. 180 Allerdings war die religiös motivierte Zirkumzision im Judentum bereits bei Formulierung des Grundgesetzes Bestandteil des religiösen Lebens in Deutschland und kann daher auch nicht nach dieser Auffassung vom Schutzbereich der Religionsfreiheit ausgenommen werden. Dazu auch E. I. 181 Classen, Rn. 149 f.; Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 38; BVerfGE 24, 236 (246). 182 Siehe dazu auch die Diskussion zu einem grundsätzlichen Traditionsvorbehalt unter E. I. 183 Zur Kritik insgesamt siehe Fehlau, S. 441; Fischer/Groß, S. 938; Zähle, S. 437. 184 Vgl. dazu genauer unter F. II. 4. 185 Vgl. dazu auch Classen, Rn. 149 ff.
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(2) Beschränkung mittels der sog. Kulturvölkerformel Die sog. Kulturvölkerformel stuft nur Verhaltensweisen als geschützt ein, die „sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben“ 186. Diese Beschränkung hat keinen Einfluss auf den Schutz der religiös motivierten Knabenbeschneidung in den jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften. Es handelt sich in diesen um eine Tradition, die fest verankerter Bestandteil der Religionsausübung ist.187 Darüber hinaus hat das BVerfG die Kulturvölkerformel als Beschränkungsinstrument für die Religionsfreiheit wieder aufgegeben;188 ein deutliches Zeichen für ihre Überholtheit. Grund dafür war, dass bei strikter Anwendung dieser Formel neue religiöse Überzeugungen nicht zur Entwicklung kommen können, was in einem pluralistischen Staat unbedingt zu vermeiden ist.189 Darüber hinaus reichen, um eine verfassungswidrige Entwicklung zu unterbinden, auch die verfassungsimmanenten Schranken der Religionsfreiheit aus.190 (3) Ausschluss durch den Ordre-public-Vorbehalt Eine sachgemäße Schutzbereichsbegrenzung könnte durch den Ausschluss sozial unverträglicher Handlungen erreicht werden.191 Verstößt die Beschneidung gegen den Ordre-public-Vorbehalt, kann bereits der Schutzbereich der Religionsfreiheit nicht eröffnet sein. Auf die Abwägung betroffener Grundrechte auf Schrankenebene kommt es dann nicht mehr an.192 Ursprünglich wurde der Ordre-public-Grundsatz für die Beurteilung von Rechtshandlungen geschaffen, die in einem Land außerhalb Deutschlands als rechtmäßig anerkannt sind.193 Für 186
BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (246). Siehe oben C. I. 1. und C. II. 1. 188 BVerfGE 41, 29 (50); Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 575. Dag. Fehlau, S. 443, der in dem Urteil keine vollständige Abkehr von der Kulturvölkerformel erkennen will, da dieses sich nicht unmittelbar auf die Möglichkeit einer Ausgrenzung bestimmter Verhaltensweisen aus der Religionsfreiheit bezogen hätte. 189 Zähle, S. 437; so auch Alberts, Neue Religionen, S. 92; Fehlau, S. 443; Fischer/ Groß, S. 938. Grds. Kritik an der Kulturvölkerformel übt auch Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1127. 190 So Alberts, Neue Religionen, S. 92. 191 Vgl. BVerfGE 70, 138 (168); 76, 143 (159); BVerwGE 120, 16 (21); BGHZ 38, 317 (321). A. A. Borowski, S. 440. 192 Vgl. dazu Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 376. Der Ordre-public-Vorbehalt kann auch im Rahmen der Wesensgehaltsgarantie geprüft werden, vgl. Zähle, S. 439. Der Prüfungsort ist ohne weiteren Einfluss, entweder scheidet die Verhaltensweise bereits im Schutzbereich oder auf der Schrankenebene aus. Vgl. zu der Prüfung im Rahmen des Schutzbereichs: BVerfGE 76, 143 (159); BVerwGE 120, 16 (21); BGHZ 38, 317 (321). 193 Vgl. dazu von Hein, in: Säcker/Rixecker, Bd. 10, Art. 6 EGBGB, Rn. 1 ff. 187
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eine rein innerdeutsche Anwendung bedarf es einer Anpassung. Das religiöse Existenzminimum als beständiger Kern der Religionsfreiheit muss unangetastet bleiben. Das forum internum als essenzieller Bestandteil des religiösen Existenzminimums kann folglich nicht eingeschränkt werden.194 Das forum externum und daher die elterliche Entscheidung für eine rituelle Zirkumzision lassen sich dagegen am Ordre-public-Vorbehalt überprüfen. Handlungen, die mit den wesentlichen Grundsätzen des Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich nicht zu vereinbaren sind, sind nicht geschützt,195 etwa Witwenverbrennungen und Kindesopfer.196 Eine vergleichbare Intensität erreicht die Beschneidung männlicher Kinder nicht. Sie ist nicht offensichtlich mit den Grundrechten unvereinbar. Vielmehr ist dafür eine Abwägungsentscheidung notwendig, deren Ergebnis sich nicht prognostizieren lässt.197 (4) Rückgriff auf objektive Kriterien zur Schutzbereichsbestimmung Die Verlagerung des Inhaltsbestimmungsrechts hinsichtlich der religiösen Motivation, weg von den Gläubigen, hin zu einer objektiven Instanz, bildet eine weitere Möglichkeit zur inhaltlichen Beschränkung des Schutzbereichs. Die inhaltliche Ausfüllung der Religionsfreiheit orientiert sich dann ausschließlich an objektiven Parametern. Eine objektiv bestimmbare Größe ist die religiöse Begründetheit des Verhaltens. Zu unterscheiden ist zwischen Verhaltensweisen, die auf einem verbindlichen Glaubenssatz der religiösen Gemeinschaft gründen, und solchen, die allein der subjektiven Überzeugung eines Einzelnen entsprungen sind.198 Diese Beschränkungsmöglichkeit findet eine Stütze in der Entstehungsgeschichte der Religionsfreiheit. Denn Letztere ist gerade auf die kollektive Ausübung von Religion in einer Gemeinschaft gerichtet und stellt nicht auf die Glaubensüberzeugung des Einzelnen ab.199 Die rituelle Zirkumzision müsste, um auch nach dieser Ansicht vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst zu sein, auf einem verbindlichen und objektiv nachvollziehbaren Glaubenssatz fußen. 194
Dazu BVerfGE 76, 143 (159); BVerwGE 120, 16 (20 f.). Vgl. Art. 6 EGBGB für ausländische Rechtsnormen. 196 BVerfGE 73, 143 (159 f.); 76, 143 (159); BVerwGE 120, 16 (21). Auch angenommen für die weibliche Genitalverstümmelung vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 15.07.2003 – Az.: 20 UF 401/03, BeckRS 2009, 04705. 197 Mit diesem Ergebnis auch Isensee, S. 324; Rohe, Islamisierung, S. 802; Zähle, S. 446. 198 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 580. Zust. Fischer/Groß, S. 938 f.; Classen, Rn. 158 f., hält eine zurückhaltende Interpretation des Schutzbereichs ebenfalls für sachangemessen. In Anlehnung an Art. 9 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR will er einen gruppenbezogenen Religionsbegriff. Das bedeutet, die religiösen Gebote müssen in einer Religionsgemeinschaft anerkannt sein und nicht allein subjektiv durch den Einzelnen bestimmt. Zum anderen soll der Schutz der Religionsfreiheit auf „echte religiöse Gebote“ beschränkt werden. 199 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 576 f. 195
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(a) Die religiöse Begründetheit der rituellen Zirkumzision aus objektiver Perspektive Aus religionsgesetzlicher Sicht ist die Beschneidung im Judentum für die Gläubigen in der Tora verpflichtend festgeschrieben. Auch für einen objektiven Dritten lässt sich bereits aus dem Wortlaut erkennen, dass die Beschneidung nicht zur Disposition des Gläubigen stehen soll, so heißt es: „Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden“ 200. Vereinzelt wird der verpflichtende Charakter dieses Gebotes in Zweifel gezogen und behauptet, die physische Beschneidung sei im Judentum nicht zwingend.201 Die Stimmen Einzelner können an der grundsätzlichen – auch objektiven – Konsistenz des Beschneidungsgebots im Judentum allerdings nichts ändern. So gestehen auch die Verfechter dieser Ansicht ein, dass das Ritual der Beschneidung aus Sicht vieler Juden nicht zur Disposition steht.202 Die Beurteilung der religiösen Konsistenz einer Verhaltensweise hat sich an der Auslegung des religiösen Gebotes durch die Mehrheit der Gläubigen zu orientieren. Daher kann die Zirkumzision im Judentum jedenfalls als zwingendes religiöses Gebot begriffen werden. Schwieriger ist die Beurteilung der religiösen Verbindlichkeit der Zirkumzision in den islamischen Glaubensgemeinschaften. Der Koran enthält kein geschriebenes Beschneidungsgebot.203 Allerdings muss die Beschneidung im Islam nicht alleine deshalb dem Verdikt fehlender religiöser Verbindlichkeit unterfallen.204 Auch der Koran enthält die Verpflichtung, den Geboten Abrahams zu folgen und damit zumindest mittelbar einen Hinweis auf die Verpflichtung zur Beschneidung. Zudem findet sich diese in der Sunna, die Muslime für ihre Religionsausübung ebenfalls als Quelle heranziehen.205 Die objektive Bestimmung des Glaubensinhalts verpflichtet nicht dazu, allein in den primären Quellen der
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Genesis 17, 9–14 (Hervorhebung hinzugefügt). Dazu auch ausführlich oben C. I. 1. Britz, S. 253: „Schon vor fast 2000 Jahren schrieb dazu der gelehrte Jude (!) Paulus: ,Beschneidung nützt zwar, wenn du (das) Gesetz tust; wenn du aber Übertreter des Gesetzes bist, ist deine Beschneidung Vorhaut geworden. Wenn nun (umgekehrt) die Vorhaut die Rechtsforderungen des Gesetzes beachtet, wird dann nicht seine Vorhaut als Beschneidung gewertet werden? Und die von der Natur gegebene Vorhaut, die das Gesetz erfüllt, wird dich, der du bei Buchstabe und Beschneidung Übertreter des Gesetzes bist, richten. Es ist nämlich nicht derjenige Jude, der es im Sichtbaren ist, und es ist auch nicht diejenige Beschneidung, die im Sichtbaren am Fleisch (vollzogen worden ist), sondern derjenige ist Jude, der es im Verborgenen ist, und Beschneidung des Herzens (ist diejenige) durch (den) Geist und nicht durch (den) Buchstaben.‘ (Röm. 2,25 ff.)“ Die religiöse Begründetheit des Ritus in muslimischen Glaubensgemeinschaften wird bei Britz nicht angesprochen. 202 Britz, S. 253. 203 Dazu ausführlich unter C. II. 1. 204 So auch Isensee, S. 318. 205 Dazu C. II. 1. m.w. N. 201
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Glaubensgemeinschaft nach Auslegungshilfen zu suchen. Vielmehr sind die Gesamtumstände und die Beurteilung durch die Mehrheit der Gläubigen einzubeziehen, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten. Die Zirkumzision ist demnach sowohl in der muslimischen als auch der jüdischen Religionskultur essenzieller Bestandteil des gelebten Glaubens. (b) Grundsätzliche Kritik an der Inhaltsbestimmung anhand objektiver Kriterien Allein auf die objektive Bestimmung der Glaubensinhalte kommt es indes auch nicht an. Das BVerfG hat dem eine ausdrückliche Absage erteilt und die Offenheit des Grundgesetzes gegenüber verschiedensten religiösen Überzeugungen proklamiert.206 Diese resultiert aus der Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung des Einzelnen, die eine Rückanbindung an den obersten grundgesetzlichen Wert, die Menschenwürde, erfährt und den Staat zur Neutralität verpflichtet.207 Wenn aber Selbstbestimmung und Eigenverantwortung im Mittelpunkt stehen, muss der Staat sich bei der Definition des Inhalts gleichsam an dem Selbstverständnis der Gläubigen orientieren, um den gewährleisteten Bereich nicht zu verletzen.208 Diese Neutralität verpflichtet den Staat, nicht seine eigenen Vorstellungen an religiöse Verhaltensweisen anzulegen, sondern die inhaltliche Ausfüllung der Religion den Gläubigen zu überlassen und das Ergebnis dieses Vorgangs, in den grundgesetzlichen Grenzen, zu akzeptieren. Die alleinige Determination des Inhalts der Religionsfreiheit nach objektiven Kriterien ist nicht rechtfertigbar und daher nicht allein entscheidend für die inhaltliche Bestimmung des Schutzumfangs. (5) Bestimmung des Schutzbereichsinhalts durch die Gläubigen Die inhaltliche Definition dessen, was religiöses Verhalten ist, geht von dem Selbstverständnis der Gläubigen aus.209 Die Interpretationshoheit verschiebt sich zugunsten der Gläubigen in deren Sphäre. Ohne Einschränkung kann dies allerdings nicht gelten.210 Die staatliche Gewalt braucht neben der subjektiven Beurteilung auch objektive Anhaltspunkte, die das Verhalten als religiös motiviert erscheinen lassen: Es muss sich jedenfalls um eine Religion oder Weltanschau206
BVerfGE 41, 29 (50). BVerfGE 41, 29 (50). Dazu auch bereits E. IV. 2. a) bb). 208 BVerfGE 18, 385 (386 f.); 24, 236 (247 f.). 209 St.Rspr. BVerfGE 24, 236 (247 f.); 30, 315 (324 f.); 32, 98 (108 ff.); 33, 23 (28 ff.); 42, 312 (322 f.); 46, 73 (84 f., 95); 53, 366 (391 ff., 399, 401); 57, 220 (243 ff.); 66, 1 (19 f., 22); 70, 138 (166 ff.); 74, 244 (252 ff.), 83, 341 (354 ff.); 102, 370 (394); 104, 337 (354 f.). 210 Dazu bereits E. IV. 2. a) cc). 207
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ung handeln.211 Judentum und Islam erfüllen den grundgesetzlichen Religionsbegriff.212 Das geschützte Verhalten muss darüber hinaus objektiv aus dieser Religion oder Weltanschauung ableitbar sein.213 Denn die Religionsfreiheit soll den Einzelnen davor schützen, eine Entscheidung zwischen staatlich vorgegebenem ordnungsgemäßem Verhalten und dem eigenen Gewissen treffen zu müssen.214 Besteht eine ernsthafte Wahlmöglichkeit für den Gläubigen und sieht er sich zu einer bestimmten Verhaltensweise zwar motiviert, aber nicht verpflichtet, ist das Verhalten nicht von seiner Religionsfreiheit umfasst.215 Die Gläubigen müssen daher substantiiert darlegen, dass sie die entsprechende Handlung als bindendes religiöses Gebot empfinden.216 Nicht unerkannt bleiben darf, dass der inhaltliche Wahrheitsgehalt nur schwer zu bestimmen und im Zweifel auch nicht beweisbar ist.217 Es verbietet sich aus diesem Grund, überzogene Anforderungen an den Beweis der Glaubensgeleitetheit zu stellen. Ansonsten würden die Zugeständnisse, die sich im Rahmen einer extensiven Auslegung des Schutzbereichs ergeben, auf der Beweisebene relativiert.218 Eine strikte Grenzziehung zwischen religiös motiviertem und gerade nicht religiös motiviertem Handeln lässt sich nicht immer sicher vornehmen.219 Das Bedürfnis, die religiöse Motivation in der persönlichen Sphäre des Gläubigen entspringen zu lassen und die Ausnutzung der Religionsfreiheit zu schädlichen Zwecken zu verhindern, muss in einer Kompromisslösung münden: Allein die Behauptung, dass das Verhalten durch einen 211
BVerfGE 83, 341 (353). Dazu bereits oben, insbesondere Fn. 161. 213 BVerfGE 83, 341 (353). Das BVerfG (E 17, 302 [305]) hat bereits früh einen weiteren Begrenzungsversuch unternommen und dabei nicht unmittelbar religiösen Zwecken dienende Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich ausgenommen. Die Abgrenzung „unmittelbar religiösen Zwecken dienende Handlungen“ von „nur mittelbar religiösen Zwecken dienende Handlungen“ lässt sich allerdings nur sehr schwer vornehmen. Zudem birgt diese Theorie die Gefahr, die Abgrenzung auf eine rein theoretische Ebene zu verschieben, vgl. Fehlau, S. 443. Eine Entscheidung für oder gegen diese Theorie ist in diesem Punkt nicht notwendig. Die Beschneidung ist im Judentum und im Islam ein fest verankertes religiöses Gebot, das sich nicht nur mittelbar aus den religiösen Vorschriften ergibt, sondern ein festes Glaubensritual darstellt. Dazu auch C. I. 1. und C. II. 1. 214 Aus diesem Grund verdient auch die sog. „Trennungslehre“ (Mager, in: von Münch/Kunig, Art. 4 GG, Rn. 9 ff.) keine Zustimmung. Diese teilt die aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erwachsenden Grundrechtsgewährleistungen in fünf einzelne Grundrechte auf: die Freiheit des Glaubens, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Freiheit der Religionsausübung, die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses und die Freiheit des Gewissens. Die Gefahr, zwischen den Geboten des Staates und der Religion entscheiden zu müssen, besteht aber konsequenterweise bei allen religiösen Verhaltensweisen und gerade nicht nur bei kultischen Handlungen, vgl. Fischer/Groß, S. 938. 215 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 580; zust. Fischer/Groß, S. 938 f. 216 OLG Brandenburg, NJW-RR 2010, 1229 (1230); Borowski, S. 406 f. 217 Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1128. 218 Fehlau, S. 444. 219 Vgl. dazu auch Fehlau, S. 444. 212
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Glauben bestimmt ist, reicht nicht aus. Die Behauptung muss zumindest nachvollziehbar sein.220 Dies erfordert im Umkehrschluss nicht, dass es sich um ein innerhalb der Glaubensgemeinschaft von allen Gläubigen gelebtes Gebot handelt. Ausreichend ist, dass ein Teil der Gläubigen das Ritual als verpflichtend empfindet.221 Im Judentum und im Islam existieren Strömungen, die die Zirkumzision als essenziellen und unverrückbaren Bestandteil ihrer Religionsausübung begreifen.222 Dies reicht aus, um die erforderliche Konsistenz einer religiösen Motivation der Eltern anzuerkennen223 und den Schutzbereich der Religionsfreiheit für diese Entscheidung zu eröffnen.224 Die Bestimmung, ob eine konkrete Verhaltensweise religiös motiviert ist, bleibt aber immer eine Einzelfallbeurteilung.225 Die Interpretationshoheit obliegt den Gläubigen dann nicht nur hinsichtlich des „Ob“ der Durchführung, sondern umfasst grundsätzlich auch die Art der Ausführung. Dies hat insbesondere für den Zeitpunkt, zu welchem eine rituelle Zirkumzision vorgenommen wird, Bedeutung.226 Aber auch wenn der Schutzbereich eröffnet ist, kann die Religionsfreiheit nicht jedwedes Verhalten rechtfertigen. Die besondere Bedeutung der Religionsfreiheit im Rechtekanon nimmt religiöse Handlungen nicht von einem grundsätzlichen Rechtfertigungsbedürfnis aus, wenn und soweit auch die Rechte Dritter tangiert werden. b) Die Bedeutung der Schranken für die elterliche Religionsfreiheit Wenn sich die Gläubigen religiös betätigen, unterliegen sie dabei den allgemeinen – auch für die Religionsausübung – geltenden Schranken. Der Staat hat das Recht und u. U. die Pflicht, die elterliche Religionsfreiheit einzuschränken. 220 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 576; BVerfGE 47, 327 (385). So auch für die Gewissensentscheidung im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 GG, BVerfGE 12, 45 (55). Eine vergleichbare Einschränkung wird auch im Rahmen der EMRK vorgenommen. Die Religionsfreiheitsgarantie in Art. 9 Abs. 1 EMRK verlangt ein über die religiöse Motivation hinausgehendes „gewisses Maß an Nachhaltigkeit, Ernsthaftigkeit, Kohärenz und Bedeutung“ (vgl. EGMR, Urt. v. 6.11.2008, Leela Förderkreis e. V. u. a. v. Deutschland, 58911/00, NVwZ 2010, 177 [179, Ziffer 80]; Meyer-Ladewig, Art. 9 EMRK, Rn. 8; ähnlich Classen, Rn. 149 ff.) der schutzbedürftigen Handlung. 221 BVerfGE 104, 337 (354). 222 Dazu C. I. 1. und C. II. 1. sowie E. IV. 2. a) cc) (4). 223 So auch Isensee, S. 318. 224 So im Ergebnis auch Bielefeldt, S. 76; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 41; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 419; Lilie, S. 3; Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1128; Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 108 f., 114; Steinbach, S. 4; Zähle, S. 441. A. A. siehe Fn. 173. 225 BVerfGE 83, 341 (353). Zu den Anforderungen an die religiöse Begründetheit einer Zirkumzisionsentscheidung unter E. VI. 3. c). 226 Zu der Problematik des Verschiebens des Eingriffs auf einen späteren Zeitpunkt genauer unter E. VI. 3. d).
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Die Schrankenregelungen stecken dabei den möglichen staatlichen Eingriffsrahmen ab. Die Religionsfreiheit fügt sich nicht nahtlos in das grundrechtliche Gesamtgefüge ein. Dennoch besteht im Grunde Einigkeit dahin gehend, dass auch die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Einschränkungs- und Beschränkungsmöglichkeiten unterliegt. Denn auch die Religionsfreiheit ist generell geeignet, die Ausübung grundrechtlich gewährleisteter Rechte Dritter zu blockieren. Freiheitsrechte können allerdings nicht ohne erheblichen Rechtfertigungsbedarf auf Kosten anderer ausgeübt werden. Daraus folgt, dass eine Berufung auf Freiheitsrechte ausscheiden muss, wenn diese nur durch die unzulässige Beeinträchtigung von Rechten Dritter verwirklicht werden können.227 Die Religionsfreiheit ist dabei nicht in allen ihren Ausprägungen gleichermaßen schützenswert. Eingriffe, welche den Glauben selbst betreffen (forum internum) sind einer Rechtfertigung nur schwer zugänglich, während das forum externum beschränkende Eingriffe generell möglich sind.228 Bei der Beschneidung handelt es sich um einen dem forum externum zuzuordnenden Akt der Religionsausübung.229 Der generellen Beschränkung der elterlichen Entscheidung, eine Beschneidung an ihrem Kind vornehmen zu lassen, steht folglich nichts entgegen. aa) Begrenzung der Religionsfreiheit aufgrund der Normen aus der WRV Eine, die rituelle Zirkumzision erfassende Beschränkung des Schutzes religiöser Freiheit könnte sich aus den über Art. 140 GG „als Bestandteil des Grundgesetzes“ ausgewiesenen Artikeln der WRV, insbesondere aus Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 ergeben. (1) Art. 136 Abs. 1 WRV Nach Art. 136 Abs. 1 WRV werden „die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten (. . .) durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt“. Das bedeutet, der Handlungsspielraum des Einzelnen lässt sich durch seine Religionsfreiheit nicht erweitern, und umgekehrt lassen sich die Pflichten aus den einfachen Gesetzen nicht aufgrund der Religionsfreiheit einschränken.230 Der Gesetzesvorbehalt wird dabei – wie bereits zu Zeiten 227 So im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entschieden durch das BVerfG (NJW 1984, 1293 [1294]). 228 Classen, Rn. 191. 229 Dazu ausführlich oben E. IV. 2. a) bb). 230 Herzberg, Abwägungsgedanke, S. 57; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 338; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 173; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491 f.; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 471, mit dem Beispiel, dass eine betende Frau in der Kirche ihr Gebet unterbrechen müsste, wenn sie ansonsten eine gebotene Hilfeleistung unterlassen würde; zust. Fischer/Groß, S. 933; Holzner, S. 12; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 176, mit dem Hinweis, dass er davon ausgeht, diese Ansicht werde vom BVerfG nicht übernommen werden.
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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der originären Geltung der WRV – als qualifizierter Gesetzesvorbehalt verstanden.231 Die strafrechtlichen Körperverletzungstatbestände, die eine Zirkumzision im Einzelfall erfüllen kann,232 sind einfache Gesetze und folglich zur Beschränkung der Religionsfreiheit nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV geeignet.233 Die elterliche Religionsfreiheit könnte danach keine taugliche Grundlage für die rechtfertigende Einwilligung in die Zirkumzision des eigenen Kindes bilden.234 Das kann allerdings nur gelten, wenn Art. 136 Abs. 1 WRV als Schrankenregelung überhaupt herangezogen werden kann. Dafür sprechen sich in weiten Teilen die Literatur235 und stellenweise auch das BVerwG236 aus. Begründet wird dies u. a. mit der These, der Gesetzgeber hätte die Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ansonsten einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt unterstellt.237 Zudem sei der alleinige Ausschluss von Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt im Gesamtsystem der Weimarer Artikel nicht stringent und die Vorschrift auch vollgültiges und nicht nur nachgestuftes Verfassungsrecht.238
231 Fischer/Groß, S. 933; Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 53. A. A. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 600: Die Inkorporierung der Vorschrift unterstellt die Religionsfreiheit einem einfachen Gesetzesvorbehalt. 232 Siehe dazu die Ausführungen oben D. II. 233 Mit diesem Ergebnis Herzberg, Abwägungsgedanke, S. 58; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 337; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 173 f.; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 471; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 284 ff.; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 372. 234 Daran könnte § 1631d Abs. 1 BGB im Ergebnis nichts ändern. Die Vorschrift hätte aufgrund der fehlenden elterlichen Berufung auf die Religionsfreiheit im Abwägungsprozess mit den kindlichen Rechten keinen Bestand. Der durch die §§ 223 ff. StGB vermittelte Schutz der körperlichen Unversehrtheit würde vorgehen. Der Spielraum des Gesetzgebers wäre auf die Regelung eines Beschneidungsverbotes beschränkt. 235 Heckel, Religionsunterricht, S. 377 ff.; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Abs. 1, 2 GG, Rn. 87 ff. Mit einem differenzierenden Ansatz: Classen, Rn 197. Er will die Anwendung der Schrankenregelung nur auf die in Art. 4 GG nicht ausdrücklich enthaltenen Gewährleistungen, insbesondere auf das „Recht auf Leben nach religiösen Grundsätzen“, beschränken. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 4 GG, Rn. 32; Muckel/Tillmanns, S. 250. 236 Das BVerwG wendet in seinem „Schächt-Urteil“ erstmals Art. 136 Abs. 1 WRV als Schranke der Religionsfreiheit an, vgl. BVerwGE 112, 227 (231 f.). Vor diesem Urteil sah das BVerwG, auf einer Linie mit dem BVerfG, diese Vorschrift nicht als taugliche Schrankenregelung für Art. 4 GG an, vgl. dazu u. a. BVerwGE 82, 76 (82); 90, 112 (122). Entgegen dem ersten Eindruck handelt es sich bei BVerwGE 112, 227 (231 f.) nicht um eine Rechtsprechungsänderung, sondern um eine der Konstellation des Einzelfalls geschuldete Entscheidung des Gerichts. Die zu diesem Zeitpunkt fehlende grundrechtliche Verankerung des Tierschutzes forderte eine entsprechende rechtliche Einordnung des Art. 136 Abs. 1 WRV, vgl. zum Ganzen Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 314 f. In der Zwischenzeit hat sich das BVerwG wieder der Rechtsprechung des BVerfG angeschlossen, vgl. BVerwGE 112, 314 (318); 113, 361 (362 f.); 116, 359 (360); 121, 140 (148); 127, 302 (358). 237 Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 313. 238 BVerfGE 19, 206 (219).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Die besseren Gründe sprechen allerdings für das BVerfG239 und die Ablehnung des Art. 136 Abs. 1 WRV als ausdrücklichen gesetzlichen Vorbehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Bereits die Entstehungsgeschichte spricht gegen ein solches Verständnis der Vorschrift. Art. 136 Abs. 1 WRV war schon zu Zeiten der WRV nicht Gesetzesvorbehalt für die damals in Art. 135 WRV gewährleistete Religionsfreiheit. Diese stand nach Art. 135 S. 3 WRV unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt. Art. 136 Abs. 1 WRV könnte daher nur im Zusammenspiel mit dem nicht in das Grundgesetz übertragenen Art. 135 S. 3 WRV als Gesetzesvorbehalt verstanden werden. Das historische Verständnis der Vorschrift kann sich nicht allein durch deren Inkorporation in das Grundgesetz ändern.240 Zudem sollte Art. 136 WRV nach den ersten Beratungen überhaupt nicht in den Katalog der inkorporierten Artikel aufgenommen werden. Lediglich eine redaktionelle und ohne inhaltliche Beratung durchgeführte Änderung führte zur Aufnahme des gesamten Artikels, was eine zurückhaltende Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift gebietet.241 Die Religionsfreiheit wurde zudem bei Erstfassung des Grundgesetzes aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der WRV gelöst und an neuer Stelle formuliert. Im Zuge dieser Neuerung und, um der gewachsenen Bedeutung der Religionsfreiheit gerecht zu werden, wurde Art. 4 GG ohne Gesetzesvorbehalt aufgenommen.242 Ein zunächst vorgesehener Gesetzesvorbehalt wurde während der Beratungen mit der Begründung gestrichen, das Recht auf Religionsausübung sei zu bedeutend, um es einem einfachen Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen. Darüber hinaus gelte bereits die Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG auch für die Religionsfreiheit, was eine weitere Beschränkung entbehrlich mache.243 Dass die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 Hs. 1 GG aufgrund der Entwicklung der Grundrechtsauslegung nun keine Anwendung findet,244 kann Art. 136 Abs. 1 WRV nicht nachträglich zum Gesetzesvorbehalt erheben. Das Bedürfnis, die Religionsausübungsfreiheit einschränken zu können, ist kein juristisch-dogmatisches Argument für die Heranziehung von Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt.245 Zudem sind die verfassungsimmanenten Schranken, wie 239 BVerfGE 33, 23 (30 f.). Krit. hinsichtlich der Begründung, aber im Ergebnis zust. Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 54; Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 313. 240 Dazu Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 47.3. 241 Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 320. 242 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 52; Pieroth/Schlink/ Kingreen/Poscher, Rn. 600; BVerfGE 19, 206 (219 f.); 24, 236 (246); 33, 23 (31); 102, 370 (387). 243 Fehlau, S. 441; Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 318. Eine zusammenfassende Darstellung der Gesetzesberatung findet sich bei Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 316 ff. 244 Siehe zu Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG als Schranke der Religionsfreiheit auch E. IV. 2. b) bb). 245 Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 325; mit diesem Ergebnis auch Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 54.
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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bei den sonstigen schrankenlos gewährleisteten Grundrechten, hierfür auch ausreichend.246 Dies entspricht auch am ehesten der Konstruktion des Grundrechts als solches zum Schutz von Minderheiten. Die Anerkennung einer ausdrücklichen Schrankenregelung birgt die Gefahr, dass neuartige Glaubensrichtungen durch deren Anwendung verhindert werden.247 Aber auch das Gesamtgefüge des Grundgesetzes spricht gegen die Anwendung des Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt. Die Gewissensfreiheit wäre in dieser Schrankenkonstruktion umfassender geschützt als die Religionsfreiheit, da die „Schranken“ aus der WRV jedenfalls auf diese keine Anwendung finden könnten. Gleiches gilt für die im Grundgesetz schrankenlos gewährleistete Kunst- und Wissenschaftsfreiheit.248 Aufgrund der Gebote der Bestimmtheit und Übersichtlichkeit hätten die Schranken zudem direkt in Art. 4 GG aufgenommen werden müssen.249 Denn Schrankenregelungen finden sich systematisch immer im Anschluss an die inhaltliche Ausgestaltungsregelung der einzelnen Grundrechte. Allein für die Religionsfreiheit wäre dieses System durchbrochen worden.250 Gegen eine Einbeziehung spricht auch die Stellung des Art. 4 GG am Beginn des Grundrechtekatalogs, welche die überragende Wichtigkeit der Religionsfreiheit widerspiegelt.251 Schließlich können die Artikel der WRV auch aufgrund des besonderen Verhältnisses von Art. 4 GG und Art. 136 WRV nicht herangezogen werden: Art. 136 WRV wird von Art. 4 Abs. 1 GG überlagert und bildet für diesen daher kein taugliches Beschränkungsinstrument.252 Dass der Vorschrift dann keine eigene Bedeutung beizumessen ist, ist kein taugliches Gegenargument. Auch innerhalb der Schranken von Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG besteht neben der „verfassungsmäßigen Ordnung“ kein eigener Anwendungsbereich für die übrigen Schrankenbestimmungen.253 Es ist daher möglich, dass einzelne Vorschriften an Bedeutung verlieren. Die besseren Gründe sprechen damit insgesamt gegen die Heranziehung von Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt für Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.254 Art. 4 GG wird durch die Wiederholung einzelner Gewährleistun246
Siehe dazu auch unter E. IV. 2. b) cc). Fischer/Groß, S. 935. 248 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 47.3. 249 So Fischer/Groß, S. 936. 250 Dazu Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 325; Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 54. 251 Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 327. 252 BVerfGE 33, 23 (31); Kokott, in: Sachs/Battis/Huber, Art. 4 GG, Rn. 132; gegen dieses Argument, allerdings mit gleichem Ergebnis, auch Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 52 ff.; a. A. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 600. 253 Fischer/Groß, S. 935. 254 Fischer/Groß, S. 937; Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 47.3; Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 54. 247
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
gen in Art. 136 WRV in seiner Wirkung gestärkt und nicht beschränkt.255 Die Vorschrift schließt die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision nicht bereits aus.256 (2) Art. 136 Abs. 4 WRV Art. 136 Abs. 4 WRV bildet ebenfalls eine mögliche Schrankenregelung für die Religionsfreiheit. Danach darf „niemand (. . .) zur Teilnahme an religiösen Übungen (. . .) gezwungen werden“. Die Brisanz dieser Vorschrift als Schrankenregelung im Fall der religiösen Beschneidung ergibt sich aus der Tatsache, dass der betroffene Junge nicht selbst über die Beschneidung bestimmen kann. Vielmehr müssen die Personensorgeberechtigten diese Entscheidung für das Kind übernehmen. Allein daraus kann keine Zwangshandlung gegenüber dem Kind geschlussfolgert werden. Im entscheidungsunfähigen Alter des Kindes übernehmen die Eltern generell die Entscheidung über Eingriffe in den kindlichen Körper.257 Dies ist grundgesetzlich in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG auch so vorgesehen. Müsste die Beschneidung aufgrund einer kindlichen Abwehrreaktion allerdings mit Gewalt oder Zwang umgesetzt werden, würde sie gegen Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV verstoßen.258 Die elterliche Religionsfreiheit könnte die Entscheidung für den Eingriff nicht decken. Für dieses Ergebnis ist ein Rückgriff auf die potenzielle Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV aber nicht erforderlich. Die Anwendung von Gewalt und Zwang gegenüber dem eigenen Kind ist auch bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen.259 Aus diesem Grund bewirkt die Schrankenregelung in Art. 136 Abs. 4 WRV nicht notwendig die Unzulässigkeit der elterlichen Entscheidung für die Beschneidung des Kindes aus religiösen Gründen.
255
Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 47.3. So auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 156, allerdings auf einer anderen Grundlage. Aus seiner Sicht kann eine Beschränkung des Rechts der Beschneidung schon deshalb nicht aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV folgen, weil die Eltern sich zur Begründung der rechtfertigenden Einwilligung allein auf Art. 6 Abs. 2 GG berufen, nicht aber auf ihre Religionsfreiheit. Siehe zu dieser Meinung ausführlich auch oben unter E. IV. 1. b) bb). A. A. Fn. 233. 257 Dazu auch unter E. V. 1.–2. 258 Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 173; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 495; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 278 f.; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 372. Zur Beachtlichkeit kindlicher Abwehrreaktionen auch unter E. VI. 3. c) cc) sowie insbesondere E. VI. 4. b) und E. VI. 5. c). 259 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 140 GG, Rn. 13 m.w. N.; a. A. Korioth, in: Maunz/Dürig, 42. Egl. 2003, Art. 136 WRV, Rn. 109. Siehe dazu auch unter E. V. 3. b) bb) sowie E. V. 5. c). 256
IV. Die elterliche Entscheidungsbefugnis und deren Grenzen
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bb) Anwendbarkeit der Schranken aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG und Art. 5 Abs. 2 GG Die Religionsfreiheit der Eltern könnte bereits durch die ausdrücklichen Schrankenregelungen des Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG respektive Art. 5 Abs. 2 GG begrenzt sein. Die Schrankentrias sollte ursprünglich auf alle Grundrechte und damit auch auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG anwendbar sein.260 Die Bedeutung der verfassungsmäßigen Ordnung war zum damaligen Zeitpunkt umstritten, jedenfalls aber deutlich enger als das – aufgrund des weiten Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 Hs. 1 GG entwickelte – heutige Verständnis des Begriffs.261 Mit Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG auf die Religionsfreiheit könnte Letztere durch „elementare Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des Verfassungsgebers“ 262 beschränkt werden. Diese Schrankenregelung würde sich im Ergebnis nicht von den verfassungsimmanenten Schranken unterscheiden.263 Zudem handelt es sich bei Art. 2 Abs. 1 GG nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG um ein subsidiäres Auffanggrundrecht.264 Die Einordnung als subsidiäres Recht gegenüber den grundgesetzlich gewährleisteten Einzelfreiheitsrechten im Hinblick auf den Schutzbereich verbietet auch eine Erstreckung des Vorbehalts aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG.265 Die Religionsfreiheit lässt sich folglich nicht beschränken durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz.266 Eine Übertragung der Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG scheidet ebenfalls aus.267 Die Beschränkung der freien Meinungsäußerung unterscheidet sich erheblich von der Beschränkung einer in einem Menschen wurzelnden persönlichen Gewissheit über Wahrheiten im Zusammenhang mit Religion und Weltanschauung.268 Aber auch die gesamte grundrechtliche Systematik verbietet die angedachte Schrankenleihe. Die Grundrechte und die ihnen zugedachten Schranken folgen einem in sich geschlossenen stringenten System. Eine belie260 Vgl. Fehlau, S. 441; Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 318. Dazu auch schon oben E. IV. 2. b) aa) (1). 261 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 39. Egl. 2001, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 39. Das BVerfG hat in seinem „Elfes-Urteil“ erstmals klargestellt, dass sich der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung mit dem der verfassungsmäßigen Rechtsordnung deckt, vgl. BVerfGE 6, 32 (42). 262 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 39. Egl. 2001, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 39 m.w. N. in Fn. 5. 263 Fehlau, S. 445. 264 BVerfGE 6, 32 (36 ff.); 9, 63 (73); 9, 73 (77); 11, 234 (238); 23, 50 (55 f.); 32, 98 (107). 265 Ebenso für die Einschränkung der Kunstfreiheit auch BVerfGE 30, 173 (192). 266 BVerfGE 6, 32 (36 ff.); 23, 50 (55 f.); 32, 98 (107); 50, 223 (246); so auch Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 47.1. Dazu auch Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 114 ff. 267 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 92. 268 BVerfGE 32, 98 (107).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
bige Zuordnung von Schrankenregelungen durchbricht dieses in unzulässiger Weise.269 Auch hat der Bürger einen Anspruch darauf, die grundrechtlichen Gewährleistungen und deren Beschränkungen zu kennen. Dies ist nicht gewährleistet, wenn die Schranken nicht klar definiert und zugeordnet sind. Eine Schrankenleihe scheidet daher insgesamt aus.270 Die Religionsfreiheit steht nicht unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt.271 cc) Kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke der Religionsfreiheit Das Fehlen eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts führt nicht zur unbeschränkten Gewährleistung der Religionsausübungsfreiheit. Die Religionsfreiheit wird durch die verfassungsimmanenten Schranken begrenzt.272 Gemeint sind damit primär die Grundrechte Dritter.273 Der Einzelne darf seine Grundrechte nicht rücksichtslos gegenüber anderen Rechtssubjekten durchsetzen. Das würde dem Schutzgehalt der Freiheitsrechte nicht gerecht und diese letztlich in ihr Gegenteil verkehren.274 Durch die grenzenlose Ausdehnung des eigenen Freiheitsbereichs wird Dritten die Möglichkeit abgeschnitten, ihr Freiheitsrecht in vergleichbarer Weise auszuüben. Gleichzeitig muss die überragende Bedeutung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte in Rechnung gestellt und deren Relativierung vermieden werden. Begrenzungen der freien Religionsausübung sind daher nur zu rechtfertigen, wenn diese zum Schutz kollidierender Grundrechte oder anderer Güter mit Verfassungsrang notwendig sind.275 Die elterliche Religionsfreiheit ist folglich gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 GG geeignet, die Zirkumzisionsentscheidung zu decken, wenn die Rechte des Kindes dem nicht entgegenstehen. Entscheidend ist, welche Grundrechte des betroffenen Kindes in die Abwägung einzustellen sind und welches Gewicht diesen Rechten beizumessen ist.
269
Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundwerk 1958, Art. 5 Abs. 3 GG, Rn. 56. BVerfGE 28, 243 (261); 32, 98 (107). Zu der fehlenden Möglichkeit der Schrankenleihe bei Art. 5 Abs. 2 GG, um die Kunstfreiheit zu begrenzen auch BVerfGE 30, 173 (191 f.). Fischer/Groß, S. 937 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 3. 271 BVerfGE 19, 206 (219 f.); 24, 236 (246); 33, 23 (31); 102, 370 (387); 108, 282 (297); BVerfG, NVwZ 2008, 72 (73); BVerwGE 112, 314 (318); 113, 361 (362 f.); 116, 359 (360); 121, 140 (148); 127, 302 (358). 272 BVerfGE 28, 243 (260); 32, 98 (108); 52, 223 (246 f.); 102, 370 (387); 108, 282 (297); Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 50; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 318. 273 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 50. 274 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 111. 275 BVerfGE 28, 343 (261); 32, 98 (108); 41, 29 (50); 52, 223 (247). 270
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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V. Die abwägungsrelevanten Grundrechte des betroffenen Kindes 1. Die Bedeutung der kindlichen Grundrechte im Verhältnis zum Elternrecht Die Grundrechte des Kindes, als eigenständige, in die Abwägungsentscheidung einzustellende Rechte, sind nur von Relevanz, wenn sie mit Grundrechten Dritter, konkret dem elterlichen Entscheidungsrecht, kollidieren können. Das ist vor der Pflichtendimension des elterlichen Erziehungsrechts problematisch. Die Eltern sind im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 GG bereits verpflichtet, das Wohl des Kindes bei ihren Entscheidungen hinreichend zu berücksichtigen.276 Bei Ausfüllung des Kindeswohlbegriffs können die kindlichen Grundrechte bereits vollständig Berücksichtigung finden, was eine darüber hinausgehende Beachtung dieser Rechte ausschließen kann.277 Das wird den Rechten des Kindes allerdings nicht gerecht. Diese basieren auf einer eigenen dogmatischen Grundlage und gehen nicht notwendig vollständig in dem Elternrecht und der Elternpflicht auf, auch wenn es zu Überschneidungen kommen kann.278 Dieser Umstand wird besonders deutlich, wenn die kindlichen Rechte gegenüber Dritten, die nicht gleichzeitig das Elternrecht innehaben, geltend gemacht werden. Dann findet ein Abwägungsprozess unter Einbeziehung der kindlichen Rechte statt. Ein Ausschluss kindlicher Grundrechte im Verhältnis zu den Eltern würde bedeuten, dass das antagonistische Recht allein die Bedeutung der kindlichen Grundrechte definieren würde. Dafür gibt es keine taugliche Begründung.279 Daher können den Kindern in der Eltern-Kind-Staat-Beziehung eigene Rechte zukommen, die gegebenenfalls mit den elterlichen Rechten kollidieren.280 Die Kollision angemessen aufzulösen, kann einen Eingriff in das Elternrecht erforderlich machen. Die besondere Bedeutung des Elternrechts exkludiert nicht die Möglichkeit einer Abwägungsentscheidung, kann aber bei deren inhaltlicher Ausgestaltung von Relevanz sein.281 276
Dazu unter E. IV. 1. c). So u. a. Erichsen, S. 26; Ossenbühl, S. 55; Schmitt Glaeser, S. 56; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 65; Schild, in: Götz/Schwenzer/Seelmann u. a., S. 659. Classen, Rn. 170: Das Elternrecht wird allein treuhänderisch für das Kind ausgeübt. Es kommt daher nicht zu einer Kollision zwischen den Rechten der Eltern und den Rechten der Kinder. Die Eltern nehmen die Rechte der Kinder nur stellvertretend wahr. 278 Roth, S. 126 f. 279 So auch Roth, S. 127. 280 Roth, S. 126. 281 Roth, S. 128. Zur inhaltlichen Abwägungsentscheidung unter E. VI. Im Ergebnis kann es für die Entscheidung nicht bestimmend sein, ob die kindlichen Belange über eigene Rechte oder die Kindeswohlbindung des Elternrechts in die Abwägung einfließen. 277
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
2. Kinder als Träger von Grundrechten – Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger a) Die Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger Der Prüfung, welche kindlichen Grundrechte durch den körperlichen Eingriff einer Zirkumzision betroffen sein können, vorgelagert ist die Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger. Die Grundrechtsfähigkeit beschreibt die „Fähigkeit natürlicher oder juristischer Personen (. . .), Träger von (. . .) Grundrechten zu sein“ 282. Die Grundrechtsträgerschaft beginnt mit der Vollendung der Geburt, sodass folglich auch Minderjährige Träger von Grundrechten sind.283 Alter sowie die körperliche und geistige Fähigkeit, Grundrechte auszuüben, sind keine entscheidenden Kriterien bei der Bestimmung der Grundrechtsfähigkeit.284 Auch die von § 1631d BGB betroffenen Minderjährigen sind Träger von Grundrechten. b) Die Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger Von der Fähigkeit, Träger von Grundrechten zu sein, unterscheidet sich die Grundrechtsausübungsfähigkeit, die sog. Grundrechtsmündigkeit.285 Letztere kommt einer Person mit Erreichen der Einsichtsfähigkeit zu.286 Die Einsichtsfähigkeit setzt in diesem Kontext das Erkennen der Bedeutung der Grundrechte sowie die Fähigkeit voraus, die Folgen eigenen Handelns abzusehen und dafür auch einstehen zu können.287 Die Grundrechtsmündigkeit ist, ebenso wie die Einwilligungsfähigkeit,288 nicht an feste Altersgrenzen gebunden. Sie markiert die Grenzlinie zwischen elterlicher Entscheidungszuständigkeit und der eigenen Entscheidungsverantwortlichkeit des Kindes.289 Determinierend ist die Grundrechts-
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Hohm, S. 3108. Brosius-Gersdorf, S. I; Hohm, S. 3108. So auch die st.Rspr. des BVerfG, u. a. in BVerfGE 24, 119 (144); 37, 217 (252); 47, 46 (74); 57, 361 (382); 75, 201 (218); 99, 145 (156); BVerfG, NJW 1968, 2233 (2235); HessStGH, NJW 1966, 31 (32); BayObLGZ 1984, 184 (192); von Münch/Kunig, in: von Münch/Kunig, Vorb. Art. 1–19 GG, Rn. 31. 284 Dazu Roth, S. 11. Aus diesem Grund ist es auch nicht erforderlich, spezifische „Kindergrundrechte“ in das GG aufzunehmen. Für die Schließung einer Schutzlücke durch Einführung eines eigenen Kindergrundrechts spricht sich u. a. Wiesner, S. 228, aus. 285 Herdegen, in: Maunz/Dürig, 44. Egl. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 49. 286 Weilert, S. 303. 287 Roth, S. 46 f. 288 Siehe zu den Bestimmungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Einwilligungsfähigkeit oben unter D. IV. 1. c). 289 Weilert, S. 299. 283
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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mündigkeit des betroffenen Kindes für den jeweiligen Einzelfall. Eine Bestimmung hat in Bezug auf das potenziell betroffene Grundrecht zu erfolgen.290 Die Minderjährigkeit des Betroffenen schließt nicht aus, dass dieser sich als Grundrechtsträger auf eigene Grundrechte berufen kann. Die staatlich legitimierte elterliche Zirkumzisionsentscheidung kann das Kind in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (dazu E. V. 3.), seinem Selbstbestimmungsrecht (dazu E. V. 4.) sowie in seinem Recht zur freien Religionsausübung (E. V. 5.) beeinträchtigen. Erreichen diese Beeinträchtigungen die Qualität eines Grundrechtseingriffs, sind sie den elterlichen Rechten bei der staatlichen Abwägungsentscheidung gegenüberzustellen, soweit sie einer Rechtfertigung überhaupt zugänglich sein können. 3. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG a) Die Schutzdimension des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ist grundgesetzlich in Art. 2 Abs. 2 S. 1 gewährleistet. Das Grundrecht bedarf nicht der Ausübung durch den Minderjährigen und kommt diesem bereits ob seiner bloßen Existenz zu. Bestimmte Fähigkeiten des Betroffenen sind dafür gerade nicht erforderlich. Der Grundrechtsschutz ist aus diesem Grund auch nicht an ein bestimmtes Alter gebunden.291 Fehlt dem Kind die notwendige Reife, um das Grundrecht geltend zu machen, nehmen die Personensorgeberechtigten dieses Recht treuhänderisch wahr.292 Das Recht des Kindes wird nicht deshalb von den elterlichen Rechten konsumiert, sondern besteht als eigenständiges Recht des Kindes fort.293 Grundrechte sind primär als Abwehrrechte gegenüber dem Staat konzipiert und schützten in dieser Funktion den Einzelnen vor der Beeinträchtigung seiner Freiheitssphäre durch staatliche Gewalt.294 Der Staat greift Leben und körperliche Unversehrtheit des Kindes im Fall der Beschneidung nicht unmittelbar selbst an. Die elterliche Zirkumzisionsentscheidung ist das kausale Element für die Verletzung des kindlichen Körpers. Der Arzt respektive der rituelle Beschneider führt die Beschneidung auf Wunsch der Eltern aus. Der Staat ist nicht von seiner 290 Siehe für die Grundrechtsmündigkeit in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes unter E. V. 4. a) und für die Grundrechtsmündigkeit in Bezug auf die Religionsfreiheit unter E. V. 5. a). 291 Roth, S. 25 f. 292 Roth, S. 178. 293 Dazu bereits E. V. 1. 294 BVerfGE 7, 198 (204).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Grundrechtsbindung befreit, wenn er Dritten eine entsprechende Entscheidungsbefugnis – wie hier durch Einführung der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit in § 1631d Abs. 1 BGB – einräumt. Führt die elterliche Einwilligungsmöglichkeit zu einer Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, bedarf dieser Eingriff einer ausreichenden Rechtfertigung. Nur in Ausnahmefällen verdichten sich grundgesetzliche Gewährleistungen zum Schutz der Bürger zu staatlichen Handlungsverpflichtungen. Der Staat kann sich dann, soweit eine Bedrohungslage für die Wahrnehmung von Grundrechten besteht, nicht mehr auf die grundrechtliche Abwehrfunktion zurückziehen.295 Dies gilt aufgrund der überragenden Bedeutung des Lebens sowie der körperlichen Unversehrtheit auch für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.296 Um seiner Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gerecht zu werden, hat der Staat geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die den Einzelnen vor Beeinträchtigungen geschützter Güter – auch durch Dritte – bewahren.297 Im Einzelnen durch das Grundrecht geschützt sind das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Das Leben bildet die „vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ 298 und ist daher besonders schutzbedürftig. Der Staat lässt die Tötung eines Menschen nur in extremen Ausnahmesituationen zu.299 Dass eine Zirkumzision im Einzelfall das Leben des Betroffenen gefährdet, ist nicht vollständig ausgeschlossen.300 Der Staat ist daher verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Bedrohungslage zu beseitigen. Ob § 1631d BGB dem Rechnung trägt, bestimmt sich anhand dessen inhaltlicher Ausgestaltung.301 Neben dem Leben schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch die körperliche Unversehrtheit. Dieser Schutz umfasst primär die Gesundheit in „biologisch-physiologischer Hinsicht“ 302, im Wesentlichen die „Integrität körperlicher Substanz“ 303. 295
Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 74. BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 56, 54 (73); 77, 170 (214); 79, 174 (201 f.); 88, 203 (251); 115, 118 (152). Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319, nimmt eine Parallele zum Urteil des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch (E 39, 1) an. Die Schutzpflicht des Staates erstreckt sich auch auf die körperliche Unversehrtheit, insofern die Menschenwürde tangiert ist. Die unmittelbare Betroffenheit hat Auswirkungen auf die Abwägungsentscheidung, nicht auf den Schutzumfang. Die Schutzpflicht erwächst direkt aus Art. 2 Abs. 2 GG, vgl. dazu Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 74. 297 BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 56, 54 (73); 115, 118 (152). 298 BVerfGE 39, 1 (42). 299 Vgl. zu den Besonderheiten des „finalen Rettungsschusses“, Herdegen, in: Maunz/Dürig, 55. Egl. 2009, Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 96. 300 Dazu im Detail unter E. VI. 1. c). 301 Zum Lebensschutz im Rahmen der Abwägungsentscheidung unter E. VI. 1. 302 BVerfGE 56, 54 (73). 303 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 62. 296
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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Eine Zirkumzision bedeutet die vollständige respektive teilweise Entfernung der Vorhaut und damit einen Verlust körperlicher Substanz.304 Eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Bereich der biologisch-physiologischen Gesundheit ist gegeben.305 Dieser Eingriff darf die kindlichen Rechte nicht über Maß belasten. Dafür ist entscheidend, ob der Gesetzgeber mit § 1631d BGB das kindliche Recht auf körperliche Unversehrtheit ausreichend gewahrt hat, insbesondere, ob die elterliche Entscheidung unter Einhaltung der normierten Voraussetzungen ausreichen kann. Der Staat darf die elterliche Eingriffsbefugnis nicht unter Verletzung kindlicher Rechte ausweiten und hat korrespondierend dazu seiner Schutzverpflichtung gegenüber der körperlichen Unversehrtheit und dem Leben des Kindes nachzukommen. Daran haben sich § 1631d BGB und die darin normierten Eingriffsvoraussetzungen zu messen.306 b) Die Bedeutung der Menschenwürde Etwas anderes gilt, wenn die elterliche Zirkumzisionsentscheidung das Kind in seiner Menschenwürde tangiert. Dann ist der Staat zum Handeln verpflichtet. Denn eine Beeinträchtigung der Menschenwürdegarantie kann nicht gerechtfertigt werden. Sie gilt als oberster Wert des Grundgesetzes307 absolut und ist einer Abwägung nicht zugänglich.308 Sie bildet damit den äußeren Rahmen jedweder Grundrechtsbeeinträchtigung.309 Die Menschenwürdegarantie gilt, aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung, nicht subsidiär zu den übrigen grundrechtlichen Gewährleistungen,310 sondern bildet eine Schranken-Schranke für mögliche Grundrechtsbeeinträchtigungen. 311 Der Staat hat den Einzelnen auch vor Menschenwürdeverletzungen privater Dritter zu schützen.312 Träger der Menschenwürde ist jeder Mensch mit Beginn seiner Existenz313 und damit auch das entscheidungsunfähige Kind.
304 Zur Begriffsdefinition unter B. II. Zu den Folgen einer Beschneidung genauer unter E. VI. 2. b) bb). 305 So auch Hörnle/Huster, S. 329; Isensee, S. 320; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 366 f.; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269. Dazu bereits oben D. II. 1. m.w. N. 306 Dazu detailliert unter E. VI. 307 BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6). 308 St.Rspr. BVerfGE 75, 369 (380); 93, 266 (293). 309 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 GG, Rn. 2. 310 BVerfGE 51, 97 (105); Höfling, in: Sachs/Battis/Huber, Art. 1 GG, Rn. 67; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 GG, Rn. 5. 311 Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1 GG, Rn. 9. 312 BVerfGE 1, 97 (104); 49, 89 (142); 115, 118 (152); Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1 GG, Rn. 7. 313 BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251); 115, 118 (152).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
aa) Der innere Gehalt der Menschenwürdegarantie Zur inhaltlichen Bestimmung der Menschenwürdegarantie greift die Rechtsprechung auf die „Objektformel“ zurück, welche untersagt, den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen.314 Die Grundlage dieser Vorstellung entspringt der Ansicht von den Menschen als „geistig-sittlichen Wesen“, denen die Freiheit zur Selbstbestimmung und Selbstentfaltung zukommt.315 Um dem zu genügen, muss der Mensch immer „Zweck an sich selbst bleiben“ 316. Dennoch ist der Mensch häufig Objekt gesellschaftlicher und rechtlicher Veränderungen, ohne dass seine Menschenwürde ernsthaft in Zweifel gezogen würde.317 Die Objektformel ist daher nicht uneingeschränkt geeignet, den Inhalt der Menschenwürdegarantie klar zu umreißen und erfährt aus diesem Grund Einschränkungen dahin gehend, dass Art. 1 Abs. 1 GG erst dann verletzt ist, wenn die Subjektqualität der Person generell in Frage gestellt wird,318 die Behandlung gerade „Ausdruck der Verachtung des Wertes“ 319 einer Person ist. bb) Die Menschenwürderelevanz einer Zirkumzision Der Staat kann eine elterliche Zirkumzisionsentscheidung nicht legitimieren, wenn diese generell eine verächtliche Behandlung für das betroffene Kind darstellt.320 § 1631d Abs. 1 BGB wäre ein Verstoß gegen den Grundwert der Verfassung. Dass die Eltern mit ihrer Einwilligung eine irreversible Veränderung des kindlichen Körpers bezwecken, kann dafür noch nicht ausreichen.321 Nicht jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist gleichzeitig ein Angriff auf die Menschenwürde. Die körperliche Unversehrtheit erfährt grundgesetzlichen Schutz bereits über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Dieser ausdrücklich normierte Schutz wäre überflüssig, wenn jede Beeinträchtigung körperlicher Integrität eine Menschenwürdeverletzung zur Folge hätte. Eine Rechtfertigung von Verletzungen der körperlichen Integrität wäre dann auch nicht, wie in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG vorgesehen, rechtfertigungsfähig. Damit der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gleichzeitig eine Menschenwürdeverletzung begründet, müssen folglich wei314 BVerfGE 27, 1 (6); 45, 187 (228); 87, 209 (228); 96, 375 (399); 109, 133 (149 f.); 115, 118 (153). 315 BVerfGE 45, 187 (227). 316 BVerfGE 45, 187 (228); dazu auch BVerfGE 109, 279 (312). 317 BVerfGE 30, 1 (25 f.); 109, 279 (312 f.). 318 BVerfGE 30, 1 (25). 319 BVerfGE 30, 1 (25). 320 Ähnliche Beschränkungen zieht auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 151 f., ein. Es handelt sich um eine absolute Einwilligungssperre. Vgl. auch Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465; Hörnle/Huster, S. 332 f.; Rox, Anmerkung, S. 808. 321 A. A. Grams, S. 334.
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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tere Umstände hinzutreten.322 Eine Menschenwürdeverletzung aufgrund von körperlichen Eingriffen liegt vor, wenn die Behandlungen „final auf die Zufügung von starkem Schmerz (. . .) zielen“ 323 oder der Betroffene dadurch zum Opfer einer „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung u. s. w.“ 324 gemacht werden soll. Die elterliche Entscheidung für die Zirkumzision hat Menschenwürderelevanz, wenn neben der Verletzung der körperlichen Integrität eines der genannten Elemente tritt. Die Beschneidung respektive der Zustand des Beschnittenseins können bereits eine menschenwürderelevante „Brandmarkung“ 325 bzw. Stigmatisierung326 des Kindes verursachen. Jedenfalls soweit die Beschneidung einer religiösen Motivation folgt, wird dem Kind dadurch ein sichtbares Zeichen religiöser Zugehörigkeit beigebracht, welches sich nicht – jedenfalls nicht ohne korrigierenden medizinischen Eingriff – wieder beseitigen lässt. Ein körperliches Zeichen bedeutet allerdings nicht aus sich heraus eine Stigmatisierung. Eine Stigmatisierung ist die „Zuschreibung diskreditierender Merkmale“ 327. Der Zustand des Beschnittenseins muss daher jedenfalls geeignet sein, das betroffene Kind im Verhältnis zu Dritten abzuwerten und sein Selbst herabzusetzen. Unmittelbar weltliche Konsequenzen sind mit der Beschneidung und dem sich daran anschließenden Zustand nicht verbunden.328 Die – auch für Dritte erkennbare – Bestimmung der Glaubenszugehörigkeit durch die Eltern ist nicht gleichzeitig eine Minderachtung des Kindes. Selbst wenn das Kind aufgrund seiner Glaubenszugehörigkeit diskreditiert würde, ist der Zustand des Beschnittenseins nicht geeignet, Rückschlüsse auf diese Zugehörigkeit zuzulassen und damit die Missachtung der kindlichen Würde zu begründen.329 Denn die Zirkumzision kann auch aus nicht-religiösen, insbesondere medizinischen Gründen erfolgt sein.330 Es handelt sich folglich nicht um ein ausschließlich religiöses Zeichen. Allein die körperliche Veränderung ist nicht negativ vorbelastet, eine Stigmatisierung in menschenwürderelevanter Weise nicht gegeben. Wird die Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen Gründen vorgenommen, kann damit umso mehr keine Stigmatisierung verbunden sein. 322
Dazu Höfling, in: Sachs/Battis/Huber, Art. 1 GG, Rn. 69. Herdegen, in: Maunz/Dürig, 55. Egl. 2009, Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 95. 324 BVerfGE 1, 97 (104); 107, 275 (284); 109, 279 (312); 115, 118 (153). 325 Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 176; krit. dazu Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1125 Fn. 8. 326 Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 93, beschreiben dies als Kennzeichnung des Kindes. Hörnle/Huster, S. 333, sehen die Möglichkeit eines „sozialen Stigmas“ als Ausschlusskriterium für eine elterliche Einwilligung. Dieses Merkmal soll bei der männlichen Beschneidung allerdings nicht erfüllt sein. 327 Rixecker, in: Säcker/Rixecker, Bd. 1, Anhang zu § 12 BGB, Rn. 188. 328 Dazu auch E. V. 5. b). 329 Dazu auch E. VI. 3. b). 330 So auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 155; Heinig, Beschneidungs-Urteil; Isensee, S. 318. 323
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Das fehlende Element der Miss- oder Geringachtung des Kindes bei Ausführung einer Beschneidung wird durch die elterliche Motivation zusätzlich unterlegt. Die Eltern nehmen den Eingriff vor, um ihr Kind vor bestimmten Krankheiten zu schützen oder folgen einem religiösen Gebot. Eine, das Kind schützende, medizinisch sinnvolle Vorsorgemaßnahme zieht den Wert des Kindes nicht in Zweifel, sondern dient auch der Erhaltung dieses Wertes, indem die körperliche Substanz des Kindes geschützt wird. Hat die Beschneidung einen religiösen Hintergrund, wollen die Eltern die Aufnahme des Kindes in eine religiöse Gemeinschaft erreichen.331 Das Kind bildet, vor dieser elterlichen Motivation, gerade den Mittelpunkt der Entscheidung. Es wird nicht objektiviert,332 sondern seine Wertigkeit als Individuum wird verstärkt. In der jüdischen Tradition wird die Zirkumzision regelmäßig mit der Namensgebung des Kindes verbunden.333 In den islamischen Gemeinschaften ist es üblich, dass zu Ehren des Kindes ein Beschneidungsfest veranstaltet wird.334 Dies verdeutlicht, dass das Kind in beiden Glaubensgemeinschaften den subjektiven Mittelpunkt des Vorgangs bildet und die Eltern das Kind gerade nicht erniedrigen, sondern in die Gemeinschaft integrieren und als ihresgleichen anerkennen wollen. Die Zirkumzision und der sich daran anschließende Vorgang verletzen die kindliche Menschenwürde nicht per se. Es gibt aber auch Handlungen, die trotz edler Motive aufgrund ihrer konkreten Ausführungsmodalitäten die Menschenwürde des Kindes verletzen können. So sind Zwangsmaßnahmen nie mit der Menschenwürdegarantie des Kindes vereinbar.335 Entsprechende Handlungen der Eltern dürfen auch nicht einfachgesetzlich legitimiert werden. Der Gesetzgeber hat mit aus diesem Grund das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung in § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB verbürgt. Verstoßen die Eltern durch ihre Zirkumzisionsentscheidung gegen diese einfachgesetzliche Verpflichtung, hat die Einwilligung in den Eingriff keine rechtfertigende Wirkung.336 Die Vorschrift bietet Anhaltspunkte dafür, wann elterliches Verhalten die Menschwürde des Kindes nicht hinreichend wahrt. Gewaltfrei und damit menschenwürdekonform ist eine elterliche Handlung jedenfalls dann nicht, wenn sie einen der Fälle des § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB erfüllt. Die Vorschrift schließt körperliche Bestrafungen der Eltern gegenüber dem eigenen Kind aus (§ 1631 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB), da dies für das Kind eine generell demütigende Situation darstellt.337 Eine Zirkumzision darf aufgrund ihrer körperlichen Wir331
Dazu genauer unter E. VI. 3. b). So auch Exner, S. 47; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 154; Lack, S. 342. A. A. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.9. 333 Dazu auch oben C. I. 1. 334 Dazu auch E. VI. 3. b). 335 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 62; Veit, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), § 1631 BGB, Rn. 16. 336 Vgl. dazu auch D. IV. 3. 337 Dazu auch Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1631 BGB, Rn. 21. 332
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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kung nicht zur Bestrafung des Kindes eingesetzt werden. Treffen die Eltern ihre Entscheidung aus gesundheitsprophylaktischen oder religiösen Gründen, ist dieses Element nicht erfüllt. Auch ausgeschlossen sind elterliche Handlungen, die seelische Verletzungen des Kindes begründen (§ 1631 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB) sowie „andere entwürdigende Maßnahmen“ (§ 1631 Abs. 2 S. 2 Var. 3 BGB). Der Schutz der geistigseelischen Gesundheit ist auch Bestandteil der staatlichen Schutzverpflichtung, wenn der drohende Eingriff einem solchen in die körperliche Unversehrtheit vergleichbar ist.338 Seelische Verletzungen, die nicht geduldet werden können, sind insbesondere kränkende und herabsetzende Verhaltensweisen der Eltern gegenüber dem Kind.339 Eine solche Verhaltensweise ist in der Zirkumzision nicht grundsätzlich zu sehen.340 Für die Annahme, dass die männliche Beschneidung immer zu einer seelischen Verletzung des Betroffenen führt, fehlen gesicherte Erkenntnisse. Das schließt allerdings nicht aus, dass es im Einzelfall, auch zu einem zeitlich späteren Zeitpunkt, zu einer seelischen Verletzung des Beschnittenen durch die Zirkumzision kommt.341 Das Verbot „anderer entwürdigender Maßnahmen“ erfasst gerade Verhaltensweisen, die geeignet sind, seelische Verletzungen herbeizuführen, auch wenn diese vorerst ausgeblieben sind.342 Dabei handelt es sich primär um Maßnahmen, die das kindliche Selbstbewusstsein und Ehrgefühl verletzen.343 Eine Zirkumzision wirkt nicht aus sich heraus ehrverletzend.344 Allerdings können die besonderen Umstände einer religiösen Beschneidung eine Ehrverletzung begründen. Die religiösen Beschneidungszeremonien zeichnen sich häufig durch die Anwesenheit zahlreicher Erwachsener am Eingriffsort aus, während das Kind an einem besonders intimen Körperteil behandelt wird.345 Eine Ehrverletzung kann allerdings nur für Kinder in Betracht kommen, die bereits ein Schamgefühl entwickelt haben. Die Beschneidungszeremonie der jüdischen Glaubensgemeinschaften – soweit diese die Beschneidung 338
BVerfGE 56, 54 (75); dazu auch Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 62. Vgl. zur Einzelbegründung der Vorschrift BT-Drucks. 14/1247, S. 8. 340 Dazu schon soeben. 341 Lack, S. 339; Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 193, der eine seelische Verletzung beim Ohrlochstechen immer ausschließt und bei der weiblichen Genitalbeschneidung immer als gegeben sieht (S. 194). Seiner Meinung nach ist es begrüßenswert, dass die Unsicherheiten hinsichtlich der männlichen Beschneidung mittels der Wertung in § 1631d BGB beseitigt werden. A. A. Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 333. Bei Beschneidungen – zumindest innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft – muss nahezu in allen Fällen von einer seelischen Verletzung ausgegangen werden. 342 Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1631 BGB, Rn. 27. 343 So bereits festgelegt in BT-Drucks. 8/2788, S. 35. 344 Mit dem gleichen Ergebnis auch Bartsch, S. 608; Brocke/Weidling, S. 455; Heinig, Beschneidungs-Urteil. 345 Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.9, nimmt den entwürdigenden Charakter einer Zirkumzision aus diesem Grund an. 339
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
am 8. Tag nach der Geburt vornehmen – kann das Schamgefühl des Kindes nicht beeinträchtigen. Der Säugling erfasst die Umgebung, in welcher der Eingriff vorgenommen wird, noch nicht. Darüber hinaus fehlt es den Eltern und den anwesenden Erwachsenen, die meist in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Kind stehen, an der Motivation eine entwürdigende Situation zu erzeugen. Etwas anderes kann gelten, wenn das Kind ein Bewusstsein für sich und seinen eigenen Körper bereits entwickelt hat und sich durch den Vorgang der Zirkumzision und die vorgefundene Umgebung in einer entwürdigenden Situation wiederfindet.346 Dann ist dem natürlichen Schamgefühl des Kindes Rechnung zu tragen und sein Bedürfnis, nicht Teil eines Rituals sein zu müssen, zu achten.347 Missachten die Eltern dieses Recht des Kindes, handelt es sich um eine entwürdigende Maßnahme, die bereits nach § 1631 Abs. 2 S. 2 Var. 3 BGB nicht vom elterlichen Entscheidungsrecht gedeckt sein kann. Das gilt auch, wenn die Eltern ehrverletzende Motive, wie die bewusste Schwächung der Empfindungsfähigkeit des männlichen Geschlechtsorgans, um die Masturbation zu erschweren, verfolgen.348 Auswirkungen kann die staatliche Schutzverpflichtung auch im Hinblick auf die erforderliche Schmerzbehandlung im Rahmen des Eingriffs zeichnen. Der Eingriff darf nicht allein der Zufügung von Schmerzen dienen.349 Dies kann bereits als unzulässige Gewaltanwendung gegenüber dem Kind qualifiziert werden. Auch wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Herbeiführung von Schmerzen dient, ist er mit solchen verbunden. Jedenfalls erhebliche Schmerzzustände sind bereits aufgrund der Menschenwürdegarantie zu vermeiden.350 Die Beschneidung führt nicht generell zu einer Missachtung der kindlichen Würde.351 Sie ist nicht notwendig die Anwendung unzulässiger Gewalt gegenüber dem eigenen Kind.352 Es gibt elterliche Motive für die Durchführung des 346 So auch Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 333; Hörnle/Huster, S. 338; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 72. 347 Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 154, sieht eine Menschenwürdeverletzung daher als gegeben, wenn das Veto des Kindes übergangen wird. Zum kindlichen Vetorecht unter E. VI. 4. b). 348 BT-Drucks. 17/11295, S. 18; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.12. 349 Dazu bereits E. V. 3. b) aa). 350 Dazu genauer E. VI. 4. e) sowie E. VI. 5. e). 351 Exner, S. 47; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 154; Lack, S. 342; Manok, S. 172; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 35. A. A. Grams, S. 334; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.9; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; zust. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 381; PeschelGutzeit, Die neue Regelung, S. 3618; Sonnekus, S. 14. 352 So auch Klinkhammer, S. 1914; Muckel, Strafbarkeit eines Arztes, S. 638; Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 61 f. A. A. Grams, S. 335; Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 61; Peschel-Gutzeit, in: Götz/Schwenzer/Seelmann u. a.,
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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Eingriffs, die sich mit der Menschenwürde vereinbaren lassen. Dies gilt insbesondere für eine religiöse Motivation. Ist die Menschenwürde des Kindes im Einzelfall beeinträchtigt, ist der Staat zum Eingreifen verpflichtet. Elterliches Verhalten, welches das Kind in seiner Würde verletzt, kann bereits aufgrund des § 1631 Abs. 2 BGB nicht von der elterlichen Entscheidungsbefugnis gedeckt sein.353 Ein familiengerichtliches Einschreiten nach § 1666 Abs. 1 BGB schließt sich an einen Verstoß gegen § 1631 Abs. 2 BGB nicht notwendig an. § 1631 Abs. 2 BGB ist bei der Bestimmung der Kindeswohlgefährdung zwar zu berücksichtigen, allerdings haben die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB im Einzelfall vorzuliegen. Ein Rückschluss auf die Verwirklichung einer Kindeswohlgefährdung lässt sich aus dem Verstoß gegen § 1631 Abs. 2 BGB nicht ziehen.354 Dennoch hält der Gesetzgeber mit § 1631 Abs. 2 BGB und § 1666 Abs. 1 BGB Instrumentarien bereit, um Menschenwürdeverletzungen des Kindes zu unterbinden. Er ist seiner Schutzverpflichtung in diesem Bereich bereits hinreichend nachgekommen. 4. Das Recht zur körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in dem Katalog grundrechtlicher Gewährleistungen nicht ausdrücklich enthalten. Der Schutz leitet sich aus einem Zusammenspiel der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab355 und umfasst in persönlicher Hinsicht alle lebenden natürlichen Personen356. Auch Minderjährige können sich auf den Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen.357 Grundsätzlich muss sich auch die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision am allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes messen lassen. Das Persönlichkeitsrecht schützt den Einzelnen vor Angriffen auf den persönlichen Lebensbereich, vor denen die allgemeinen Freiheitsgewährleistungen keinen Schutz versprechen.358 Es garantiert die „Eigenverantwortlichkeit in Lebensentscheidungen“ 359. Der Einzelne hat grundsätzlich das Recht, Entscheidungen, die seinen Körper beeinträchtigen, selbst zu treffen. Das Persönlichkeitsrecht wird durch die eigenständige Entscheidung des Betroffenen immer am umfassendsten geS. 520; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 383; Schlehofer, in: Joecks/von Heintschel-Heinegg/Miebach, Vor §§ 32 ff. StGB, Rn. 143. 353 Dazu auch D. IV. 3. 354 Dazu Huber, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1631 BGB, Rn. 32. 355 Siehe zur Herleitung auch Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 33; BVerfGE 27, 344 (350 f.); 54, 148 (153). 356 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 47 f. Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz siehe die „Mephisto-Entscheidung“ des BVerfG (E 30, 173 [194]). 357 Roth, S. 25 f. 358 St.Rspr. BVerfGE 54, 148 (153); 99, 185 (193); 114, 339 (346); 119, 1 (24). 359 Herdegen, in: Maunz/Dürig, 55. Egl. 2009, Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 84.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
schützt.360 Die elterliche Zirkumzisionsentscheidung nimmt eine den Körper betreffende Entscheidung des Kindes vorweg. Das Recht zur körperlichen Selbstbestimmung wird dadurch gegebenenfalls vereitelt.361 a) Grundrechtsmündigkeit bzgl. des körperlichen Selbstbestimmungsrechts Der Minderjährige ist nur dann zu einer selbstbestimmten Entscheidung fähig, wenn er ein ausreichendes Verständnis für sich und seine Umwelt entwickelt hat. In den Bereichen, in welchen dem Kind diese Entscheidungsmöglichkeit noch nicht offen steht, geht das Recht, selbst zu entscheiden in dem Recht auf, die Entscheidung von den zuständigen Personensorgeberechtigten treffen zu lassen.362 Im selbstbestimmungsunfähigen Alter entscheiden die Eltern im Rahmen ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG für ihr Kind und damit auch für oder gegen eine Zirkumzision. Das kindliche Selbstbestimmungsrecht hat darauf generell keinen Einfluss. Die Grenzen der elterlichen Entscheidungsbefugnis bestimmen sich nicht daraus. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes als dessen eigenes Recht ist dann nur gegenüber außerhalb des Eltern-Kind-Verhältnisses stehenden Personen relevant. Es ist verletzt, wenn ein unzuständiger Dritter (auch ein nicht sorgeberechtigter Elternteil) die Zirkumzisionsentscheidung für das Kind trifft und dabei den Entscheidungsberechtigten umgeht.363 Hat das Kind die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit erreicht, können die Personensorgeberechtigten für das Kind keine Entscheidungen mehr treffen. Die Einsichtsfähigkeit ist anhand des Entwicklungsstandes des Kindes in jedem Einzelfall gesondert zu bestimmen. Eine feste Altersgrenze, ab welcher die Einwilligungsfähigkeit angenommen werden kann, existiert nicht. Allerdings kann im Hinblick auf die Beschneidung mit Vollendung des 16. Lebensjahres von der Einwilligungsfähigkeit des betroffenen Jungen ausgegangen werden, sofern entgegenstehende Anhaltspunkte fehlen.364 In diesem Fall steht ihm die alleinige Entscheidung 360 Dazu im Zusammenhang mit der Zirkumzision auch Schramm, Ehe und Familie, S. 226. Die bessere Lösung des Konflikts bestünde darin, den Knaben mit Eintritt des 14. Lebensjahres allein oder im Familienkreis über die Beschneidung entscheiden zu lassen, vgl. Bernat, S. 199, für das österreichische Recht, aber unter Einstellung der gleichen Abwägungspositionen. Mit diesem Ergebnis auch Ehrmann, Stellungnahme. 361 Dazu OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580 (3581). Siehe zu der religiösen Selbstbestimmungsfreiheit unten unter E. V. 5. a). 362 Gersdorf, in: Gersdorf/Paal, Art. 2 GG, Rn. 30. So auch OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580 (3581). 363 OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580 (3581). Anders hatte die Vorinstanz (LG Hanau, Beschl. v. 2.2.2007 – Az.: 1 O 822/06, ebenfalls in OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580) entschieden: Das Persönlichkeitsrecht sei nicht verletzt. Es handele sich um einen Ritus, welchem der Makel der Rechtswidrigkeit fehle, da es sich um ein sozialadäquates Verhalten handle. 364 Siehe dazu bereits oben D. IV. 1. c).
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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über die Körpermodifikation zu. Die Eltern sind von dieser Entscheidung ausgeschlossen. Dieses Recht erkennt § 1631d Abs. 1 BGB an, indem es die elterliche Entscheidungsbefugnis auf nicht einsichts- und urteilsfähige Kinder begrenzt. Das Selbstbestimmungsrecht entsteht in einem schleichenden Prozess kindlicher Persönlichkeitsentwicklung. Die Eltern dürfen die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes vor Eintritt dessen Selbstbestimmungsfähigkeit aber bei ihrer Entscheidung nicht unberücksichtigt lassen. Dieses Recht findet sich einfachgesetzlich in § 1626 Abs. 2 BGB und ist in der Kindeswohlbindung der elterlichen Entscheidungsermächtigung (Art. 6 Abs. 2 GG) verankert.365 b) Verletzung des Selbstbestimmungsrechts durch Vorwegnahme der Entscheidung Von der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zum Zeitpunkt der Zirkumzision im selbstbestimmungsunfähigen Alter des Kindes sowie dem Recht auf Persönlichkeitsentwicklung zu unterscheiden sind persönlichkeitsrelevante Folgen des Eingriffs zu einem späteren Zeitpunkt. Diese können bei der Abwägungsentscheidung ebenfalls von Bedeutung sein. Das Recht auf Selbstbestimmung erfasst auch die Möglichkeit, die eigenen Lebensvorstellungen zur gegebenen Zeit umzusetzen. Die Eltern nehmen die Zirkumzisionsentscheidung für ihr Kind vorweg. Das Kind kann sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr für oder gegen den Eingriff entscheiden. Die Beschneidung soll dem Kind Schutz vor bestimmten Krankheiten vermitteln oder ihm das religiöse Lebensmodell der Eltern auferlegen, wenn nicht sogar aufzwingen. Ihm wird dadurch die Möglichkeit genommen, sich selbst zu entscheiden.366 Das gilt für das Zufügen der körperlichen Veränderung unabhängig von der elterlichen Motivation, die diesen Eingriff begleitet. Denn der körperliche Zustand des Beschnittenseins lässt sich, wenn überhaupt, nur mit großem Aufwand rückgängig machen. Das allein hindert eine elterliche Entscheidung aufgrund des kindlichen Selbstbestimmungsrechts nicht. Stellvertretend für das Kind getroffene Entscheidungen prägen dieses häufig für sein gesamtes Leben.367 Dies gilt, auch außerhalb von körperlichen Eingriffen, insbesondere für Entscheidungen, die die schulische Ausbildung, die Ernährung oder die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes betreffen.368 Auch Folgen psy365 Zu den Folgen der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung im Hinblick auf die elterliche Zirkumzisionsentscheidung auch unter E. VI. 3. c) cc) sowie E. VI. 4. b). 366 So auch LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14; Exner, S. 47; Hörnle/Huster, S. 335, sehen in der „Reversibilität und Zukunftsoffenheit des Eingriffs“ ein Kriterium für die Beurteilung der elterlichen Entscheidungsbefugnis. Schramm, Ehe und Familie, S. 226. 367 So auch Hochhuth. 368 Schütz, S. 393. I. d. S. auch Brosius-Gersdorf, S. I.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
chisch prägender Entscheidungen sind für das Kind im Erwachsenenalter nicht immer umkehrbar, selbst wenn es die Möglichkeit hat, sich gegen die elterliche Entscheidung zu wenden.369 Dies gilt gleichermaßen für die elterliche Zirkumzisionsentscheidung. Auch wenn eine plastische Verlängerung der Vorhaut schwierig ist, so ist sie nicht ausgeschlossen. Elterliche Entscheidungen mit – u. U. auch unumkehrbarer – Zukunftswirkung sind gerade auch von der elterlichen Entscheidungsverantwortung aus Art. 6 Abs. 2 GG gedeckt. Dass der Eingriff irreversible körperliche Veränderungen herbeiführt, hat nicht notwendig zur Folge, dass ein Beschneidungsverbot bis zur Einwilligungsfähigkeit des Kindes zu statuieren ist.370 Allerdings haben die Eltern diese Folgen bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen und der Gesetzgeber ist verpflichtet, selbige in die Abwägungsentscheidung einzustellen.371 Elterliche Entscheidungen mit irreversiblen Folgen stehen vor höheren Rechtfertigungshürden als eine nur vorübergehend wirkende Einflussnahme. Etwas anderes gilt, wenn die Entscheidung einem uneingeschränkt schutzbedürftigen Teil des Persönlichkeitsrechts zuzuordnen ist. Dann hat der Gesetzgeber sich schützend vor das Kind zu stellen und die Eltern dürfen die selbstbestimmte Entscheidung des Kindes nicht durch Vorwegnahme dieser Entscheidung vereiteln. Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen auf dieser Stufe lassen sich nicht – auch nicht durch überwiegende Allgemeinwohlbelange – einer Rechtfertigung zuführen.372 Absoluten Schutz genießen die persönliche Intimsphäre und der Sexualbereich.373 Dazu zählen auch die eigenständige Bestimmung und Gestaltung von Sexualität sowie des Sexuallebens. Dritte haben sich Beeinträchtigungen in diesem Bereich zu enthalten.374 So sind irreversible Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht durch Sterilisation375 sowie die schweren Formen der weib369 Darin wohl einen Unterschied zur elterlichen Zirkumzisionsentscheidung erblickend Brosius-Gersdorf, S. I. 370 So auch Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 138. A. A. Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 172; ähnlich Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 381; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9 ff.; Grams, S. 334; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 365; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269; Jahn, S. 851, hält es aufgrund der Irreversibilität des Eingriffs zumindest für diskutabel, aber auch zumutbar, muslimischen Eltern lediglich eine symbolische Beschneidung zu erlauben und den tatsächlichen Eingriff bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes aufzuschieben. So auch Putzke, Juristische Positionen, S. 1570. 371 Brosius-Gersdorf, S. I; Putzke, Juristische Positionen, S. 1570. 372 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 39; BVerfGE 34, 238 (245); 109, 279 (313). 373 BVerfGE 47, 46 (73); so auch Hörnle/Huster, S. 329. 374 BVerfGE 96, 56 (61); 115, 1 (14); 119, 1 (29 f.); 121, 175 (190); 128, 109 (124); Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 39; Grams, S. 334. 375 Mit Blick auf eine unzulässige Operationserweiterung aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung BGHSt 45, 219 (222).
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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lichen Genitalverstümmelung mit nachgewiesenen negativen Folgen auf das Sexualleben der Betroffenen einer Rechtfertigung nicht zugänglich.376 Auch die männliche Beschneidung kann, sowohl in negativer als auch positiver Hinsicht, Auswirkungen auf das spätere Sexualleben des Zirkumzidierten zeichnen.377 Dem Betroffenen wird sexuelles Erleben dabei nicht unmöglich gemacht. Allerdings wird ihm die Möglichkeit genommen, sexuelle Erfahrungen mit einem unbeschnittenen Penis zu sammeln. Eine uneingeschränkt freie Entscheidung über das eigene Sexualleben steht dem Betroffenen nicht mehr zu. Wollen die Eltern durch ihre Zirkumzisionsentscheidung das Sexualleben ihres Kindes zu einem späteren Zeitpunkt beeinträchtigen, kann diese Entscheidung nicht von der elterlichen Entscheidungsbefugnis gedeckt sein. Auch aus diesem Grund scheidet eine Zirkumzision allein zur Verhinderung der Masturbation aus. Der Staat ist verpflichtet, solche Motive von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit auszunehmen. Die hier beschriebene elterliche Entscheidung scheidet bereits aufgrund des § 1631 Abs. 2 S. 2 BGB aus. Die Eltern fügen dem Kind u. U. eine seelische Verletzung zu, jedenfalls aber würdigen sie das Kind herab. Der Gesetzgeber ist seiner Schutzverpflichtung in diesem Bereich bereits nachgekommen.378 Eine religiös oder gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision wirkt sich nicht auf den uneingeschränkt schutzbedürftigen Teil des Persönlichkeitsrechts aus. Zudem kann auch sonstiges elterliches Erziehungsverhalten das Sexualleben des Kindes nachhaltig beeinträchtigen, ohne dass darin eine nicht zu rechtfertigende Persönlichkeitsrechtsverletzung gesehen wird. Auch die Erziehung im christlichen Glauben kann sich auf das Sexualleben zu einem späteren Zeitpunkt auswirken. Das zeigt, dass nicht jede elterliche Entscheidung, die sich auf das Sexualleben des Betroffenen auswirken kann, eine Verletzung des kindlichen Persönlichkeitsrechts darstellt. Die Zirkumzision gestaltet sich im Vergleich zu sonstigen Eingriffen in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als weniger schwer. Dass die Zirkumzision negative Folgen hat, ist jedenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich, um eine solche Entscheidung immer von der elterlichen Entscheidungsverantwortung auszunehmen.379 Dennoch sind die möglichen Auswirkungen im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen. c) Der Schutz der Persönlichkeitsentwicklung als Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelt Minderjährigen auch das Recht, ihre eigene Persön376 377 378 379
Vgl. zur Genitalverstümmelung ausführlich unter E. VIII. 1. Vgl. dazu unten E. VI. 2. b) bb) (4). Dazu genauer E. V. 3. b) bb). Siehe dazu auch unter E. VI. 2. b) bb) (4).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
lichkeit ungehindert zur freien Entfaltung zu bringen.380 Die Gewährleistungen des Persönlichkeitsrechts können mit eintretender Selbstbestimmungsfähigkeit nur Wirkung entfalten, wenn der Betroffene in der Phase seiner Minderjährigkeit die Möglichkeit hatte, die dafür notwendigen Anlagen zu erwerben. Der Minderjährigen soll seine Fähigkeiten entdecken und ausbilden und sich zu einem Mitglied der Sozialgemeinschaft entwickeln.381 Diese Entwicklungsmöglichkeit ist durch den Staat in den Grenzen des Verfassungsrechts zu gewährleisten.382 Die Umsetzung dieser Gewährleistung kann – insbesondere bei körperlichen Gefährdungen – nur durch eine Beschränkung des elterlichen Bestimmungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG erreicht werden.383 Hindert die Beschneidung im Kindesalter die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, hat der Staat, im Rahmen seiner Schutzverpflichtung, das elterliche Verhalten zu unterbinden. Die Beschneidung ist allerdings nicht generell geeignet, die kindliche Entwicklung nachhaltig zu sabotieren. Das Recht des Kindes hat in dieser Konstellation die ganzheitliche Entwicklung des Kindes im Blick. Diese ist durch den einmaligen körperlichen Eingriff der Zirkumzision nicht generell in Gefahr.384 Beschneidungszwecke und Methoden, die geeignet sind, das Vertrauensverhältnis zwischen den Eltern und ihrem Kind nachhaltig zu stören, und damit die Gefahr bergen, die Entwicklung des Kindes negativ zu beeinflussen, sind aber ausgeschlossen. Diese Beschneidungsmethoden und Motive verstoßen allerdings gleichzeitig gegen sonstige Rechte des Kindes, wie die Achtung seiner Menschenwürde und den Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit. Der Schutz der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung bildet dafür einen zusätzlichen Begründungsstrang. 5. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG Die religiös motivierte Zirkumzision eines nicht einsichts- und urteilsfähigen Jungen auf Wunsch seiner Eltern hat das Potenzial, das Kind in seiner Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu beeinträchtigen.
380 BVerfGE 45, 400 (417); 59, 360 (382); 72, 122 (137). Im schulischen Bereich knüpft dieses Recht an Art. 2 Abs. 1 GG an, vgl. BVerfGE 45, 400 (417); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 39. Egl. 2001, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 210. 381 BVerfGE 45, 400 (417); 79, 51 (63); 83, 130 (140); BVerfG, NJW 2000, 2191 (2192). 382 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 39. Egl. 2001, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 208. 383 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 39. Egl. 2001, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 208 f. 384 A. A. Bauer, S. 99. Sie konkretisiert das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein Recht auf „Person-Werden“.
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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a) Grundrechtsmündigkeit bzgl. der Religionsfreiheit – Abgrenzung des Elternrechts von der Religionsfreiheit des Kindes Jeder Mensch ist mit Geburt Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit.385 Bis zum Eintritt der Grundrechtsmündigkeit eines Kindes wird dessen Religionsfreiheit – ähnlich wie dessen Recht zur körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung – durch das elterliche Erziehungsrecht konsumiert. Eine Kollision zwischen dem elterlichen Bestimmungsrecht und der kindlichen Religionsfreiheit scheidet daher aus.386 Die Religionsmündigkeit ist für das einfache Recht in § 5 S. 1 RelKErzG bestimmt387 und beginnt mit Vollendung des 14. Lebensjahres. Die Grundrechtsmündigkeit kann sich an dieser Altersgrenze orientieren.388 Der Minderjährige entscheidet dann selbst über seine Teilnahme am religiösen Leben sowie seine Kirchenmitgliedschaft.389 Die Religionsfreiheit des Kindes überschreibt das elterliche Erziehungsrecht ab diesem Zeitpunkt vollständig.390 Eine elterliche Zirkumzisionsentscheidung gegen den Willen des Kindes ist spätestens ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen.391 Entscheiden die Eltern dennoch für ihr Kind, überschreiten sie ihr Erziehungsrecht und verletzen die kindliche Religionsfreiheit. Aber auch elterliche Entscheidungen, die vor Eintritt der Grundrechtsmündigkeit des Kindes liegen, sind geeignet, sich mit Eintritt der kindlichen Religionsmündigkeit zu einem Grundrechteingriff zu manifestieren. Den 385
Siehe allgemein zur Grundrechtsfähigkeit von Kindern oben unter E. V. 2. a). BVerfGE 30, 415 (424); Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 89; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 414 f.; Exner, S. 47 m.w. N.; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 318; Lack, S. 341; Roth, S. 52; Beulke/Dießner, S. 345, wollen einen Vergleich zur Patientenverfügung ziehen. Die Eltern übten die Religionsfreiheit stellvertretend aus und verzichteten für das Kind auf dessen körperliche Unversehrtheit. Die Entscheidung richteten sie am mutmaßlichen Willen des Kindes aus. Dem zust. Bartsch, S. 607. Das entspricht allerdings der Beachtung des kindlichen Wohls im Rahmen des Elternrechts. Die Konstruktion einer stellvertretenden Ausübung der Religionsfreiheit des Kindes ist dann gerade nicht notwendig. So auch Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 493 f. Krit. auch Putzke, Recht und Ritual, S. 624, unter dem Hinweis, dass – wie von Beulke/Dießner auch selbst erkannt – das Kind seinen eigenen Willen nicht formulieren konnte und eine Körperverletzung nie dem mutmaßlichen Willen des Kindes entsprechen kann; ebenfalls krit. Steinbach, S. 5. Gerade der Wille der Eltern ist konstituierend für den mutmaßlichen Religionswillen des Kindes und mit diesem daher deckungsgleich. Diese Betrachtung verbietet aber eine zusätzlich Einbeziehung der Religionsfreiheit des Kindes. Ablehnend auch Manok, S. 103 ff. A. A. Spickhoff, Strafrecht, S. 1423: Die Religionsfreiheit des Kindes ist als eigenständiges Recht in die Abwägung einzustellen. 387 Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 43. Zur Bedeutung der Vorschrift im Hinblick auf die kindliche Einwilligungsfähigkeit auch oben unter D. IV. 1. b). 388 Roth, S. 52 ff. 389 Schmid, § 5 RelKErzG, Rn. 2. 390 Schmid, § 5 RelKErzG, Rn. 1. Einschränkungen für das elterliche Entscheidungsrecht ergeben sich bereits ab dem 12. Lebensjahr des Kindes, vgl. § 5 S. 1 RelKErzG. 391 Dazu auch E. VI. 4. b). 386
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Eltern ist es nicht gestattet, die Religionsausübung ihres Kindes durch gegenwärtige Handlungen zu einem späteren Zeitpunkt unmöglich zu machen.392 § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB darf eine darauf gerichtete elterliche Entscheidung nicht legitimieren. b) Die Betroffenheit der Religionsfreiheit – Vergleichbarkeit des Beschneidungsrituals mit dem christlichen Initiationsritus der Taufe Die Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft ist essenzieller Bestandteil der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG.393 Eine Zirkumzision auf Grundlage elterlicher Entscheidung kann die Ausübung dieses Rechts mit Eintritt der Grundrechtmündigkeit verhindern oder jedenfalls erschweren und damit rechtfertigungsbedürftig beeinträchtigen. Auch außerhalb der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften sind Initiationsriten vor Eintritt der Grundrechtmündigkeit des Betroffenen üblich. Im christlichen Glaubenskontext findet die Beschneidung eine spirituelle Entsprechung in der Kindstaufe.394 Die Taufe des Kindes begründet dessen Kirchenmitgliedschaft.395 Die Entscheidung, das Kind taufen zu lassen, ist von dem elterlichen Recht zur religiösen Erziehung des Kindes gedeckt,396 die Religionsfreiheit des Kindes nicht beeinträchtigt.397 Ist eine religiös motivierte Zirkumzision mit der christlichen Taufe vergleichbar, muss diese Wertung für die elterliche Entscheidung, das eigene Kind beschneiden zu lassen, gleichfalls gelten. Die Vergleichbarkeit hat sich auf die spirituell-geistigen sowie die weltlichen Folgewirkungen der Initiationsriten zu erstrecken. Die Bestimmung der spirituell-geistigen Wirkung eines religiösen Rituals obliegt dabei den Religionsgemeinschaften sowie den Gläubigen. Der Staat hat sich einer Beurteilung zu enthalten.398 In spirituell-geistiger Hinsicht bindet die Taufe das Kind zeitlebens an die religiöse Gemeinschaft. Auch ein Kirchenaustritt kann dieses Band nicht kappen.399 Diese spirituell-geistige Verbundenheit kann daher nicht ausreichen, um die Religions392
Brosius-Gersdorf, S. I; Classen, Rn. 171; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 92 f. Borowski, S. 669; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 177, sieht darin das religiöse Selbstbestimmungsrecht als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verwirklicht. Der Schutzbereich ändert sich dadurch jedoch nicht. 394 Für die islamische Beschneidung – auch in rechtlicher Hinsicht – so entschieden durch das OVG Lüneburg, Urt. v. 22.9.1993 – Az.: 4 L 5670/92, BeckRS 2005, 21681. 395 Vgl. § 6 S. 1 KMG-EKD; Canon 96 CIC/1983. 396 BVerfGE 30, 415 (424); Schmid, § 1 RelKErzG, Rn. 1. Siehe zum elterlichen Erziehungsrecht in religiösen Angelegenheiten auch oben unter E. IV. 1. b) bb). 397 BVerfGE 30, 415 (424); Borowski, S. 674. 398 Siehe dazu bereits oben unter E. IV. 2. a) cc) (5); Isensee, S. 321. 399 Dazu Borowski, S. 675. 393
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
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freiheit des Kindes zu beeinträchtigen.400 Gleiches hat folglich für die geistigspirituelle Wirkung einer Zirkumzision zu gelten.401 Weltliche Verpflichtungen sind an die Taufe, bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit, nicht geknüpft.402 Mit Eintritt der Religionsmündigkeit können die sich an eine Taufe anschließenden weltlichen Verpflichtungen durch den Austritt aus der Kirchengemeinschaft gelöst werden. Der Ausgetretene wird behandelt, als wäre er nie Kirchenmitglied gewesen.403 Er kann sich einer anderen religiösen Gemeinschaft anschließen und deren Mitglied werden. Dem Grunde nach gilt dies auch für die Mitglieder solcher religiöser Gemeinschaften, die die Zirkumzision als religiösen Ritus durchführen. Aus objektiver Sicht ist ein Beschnittener nicht gehindert aus der religiösen Gemeinschaft auszutreten und sich einer anderen religiösen Gemeinschaft anzuschließen,404 was in der praktischen Lebenswelt auch geschieht.405 Eine religiöse Gemeinschaft, die gerade das Nicht-Beschnittensein des Mannes zur Aufnahmevoraussetzung gemacht hat, ist nicht bekannt.406 Darüber hinaus ist es äußert unwahrscheinlich, dass der Zustand des Beschnittenseins innerhalb einer religiösen Gemeinschaft, die die Beschneidung nicht als religiöses Gebot zelebriert, zur Kenntnis genommen wird. Gleichzeitig lässt ein beschnittenes Glied keinen unmittelbaren Rückschluss auf die Religionszugehörigkeit einer Person zu, da es dafür mannigfaltige Gründe gibt.407 Dennoch führt die Zirkumzision dem Betroffenen, im Unterschied zur christlichen Taufe, ein irreversibles körperliches Zugehörigkeitsmerkmal bei.408 Auch wenn sich aus objektiver Sicht daraus keine Hemmnisse für den Wechsel oder die 400
BVerfGE 30, 415 (424); Borowski, S. 674. Siehe zur religiösen Bedeutung des Ritus oben C. I. 1. und C. II. 1. 402 BVerfGE 30, 415 (424). 403 Borowski, S. 675. 404 So auch Bartsch, S. 607; Brocke/Weidling, S. 456; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 155; Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 90; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 415; Hörnle/Huster, S. 335; Strasser, S. 222. Dies selbst dann, wenn Nachteile innerhalb dieser religiösen Gruppe zu erwarten wären, so Jahn, S. 851. A. A. Brosius-Gersdorf, S. I; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 92 f.; Holzner, S. 12. 405 Schweizerischer Israelitischer Gemeinbund. 406 So auch Hörnle/Huster, S. 335. I. d. S. auch Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 90. 407 Siehe zu den möglichen medizinischen Indikationen und den kulturellen Gründen einer Zirkumzision auch oben unter B. IV. 1. und C. IV. Mit dieser Begründung auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 155; Heinig, Beschneidungs-Urteil; Isensee, S. 318. 408 Die Vergleichbarkeit der Zirkumzision mit der Taufe aus diesem Grund ablehnend: Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 382; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 93; Kreß, S. 684; Lack, S. 340 Fn. 67; Spickhoff, Strafrecht, S. 1423; Jahn, S. 851, will selbst ein Tattoo im Rahmen einer christlichen Taufe als weniger gravierend ansehen als die Zirkumzision, da sich ein Tattoo mittels Lasertechnik entfernen ließe. 401
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Aufgabe der eigenen Religionszugehörigkeit ergeben, kann die subjektive Bindung an die Glaubensgemeinschaft – aufgrund des sichtbaren Zeichens der Zugehörigkeit – für den Beschnittenen ein grundrechtsrelevantes subjektives Hemmnis darstellen.409 Das körperliche Merkmal kann ihn kontinuierlich an seine ursprüngliche Religionszugehörigkeit erinnern. Allerdings können auch eine christliche Taufe und die damit verbundene christliche Erziehung ein ähnliches subjektives Hemmnis erzeugen.410 Zu denken ist dabei an christliche Symbole im Elternhaus, die fortbestehende Religionszugehörigkeit der Familienmitglieder, die Dokumentation von Glaubensbekenntnissen des Kindes auf Foto- oder Videoaufnahmen sowie nicht zuletzt die Versicherung, die Abkehr von der religiösen Gemeinschaft habe unvermeidbar negative Konsequenzen. Dies macht deutlich, dass ein allein subjektives Hemmnis des Betroffenen für die Vergleichbarkeit der weltlichen Folgen religiöser Rituale nicht entscheidend sein kann. Lässt sich die christliche Kindstaufe mit der Religionsfreiheit des Kindes vereinbaren, hat dies auch für die rituelle Beschneidung eines Kindes zu gelten. Die Riten unterscheiden sich nachhaltig weder in ihrer geistig-spirituellen noch in ihrer weltlichen Wirkung. Es gibt auch kein Recht des Kindes auf eine neutrale Erziehung. Ein solches Recht hätte erheblichen Einfluss auf das Fortbestehen religiösen Lebens insgesamt. Denn Kinder orientieren sich primär an der religiösen Einstellung der Eltern.411 Zudem setzt die Fähigkeit, im Erwachsenenalter selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, zwecknotwendig voraus, dass sich das Kind mit religiösen Traditionen vertraut machen konnte.412 Die Religionsfreiheit des Kindes ist durch die elterliche Zirkumzisionsentscheidung nicht beeinträchtigt.413 c) Die negative Religionsfreiheit des Kindes Der Schutzbereich der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG beinhaltet auch eine negative Komponente: die Freiheit nicht zu glauben und religiöse, glaubensgeleitete Handlungen nicht vornehmen zu müssen.414 Dieses
409 So jedenfalls Putzke, Recht und Ritual, S. 624; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4; Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; ebenso Mandla, S. 244 Fn. 15; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 365; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269. 410 So auch Strasser, S. 222. Innerhalb eines pluralistischen Staates besteht kein Recht, völlig frei von jeglichen religiösen Symbolen zu leben. Die Irreversibilität der Beschneidung als Zeichen der Religion ist anzuerkennen. 411 I. d. S. auch Schiratzki, S. 41. 412 Heinig, Beschneidungs-Urteil. 413 So auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 155; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 43; Heinig, Beschneidungs-Urteil; Hörnle/Huster, S. 329; Isensee, S. 318; Wapler, S. 544. A. A. Bauer, S. 99; Mandla, S. 244 Fn. 15; Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3618; Putzke, Buchrezension, S. 185; Putzke, Recht und Ritual, S. 624; Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 365; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269.
V. Die Grundrechte des betroffenen Kindes
137
Recht beschränkt zugleich die positive Religionsausübungsfreiheit Dritter (Art. 136 Abs. 4 WRV).415 Sie ist betroffen, wenn dem an einer kultischen Handlung Teilnehmenden die Freiwilligkeit zur Teilnahme fehlt,416 er ohne Ausweichmöglichkeit mit staatlich zu verantwortenden religiösen Einflüssen konfrontiert wird.417 Eine religiöse Beschneidung auf Wunsch der Eltern ist nur mittelbar vom Staat zu verantworten. Primär obliegt den Eltern die Entscheidung im Rahmen ihres elterlichen Erziehungsrechts.418 Allerdings wurde mit § 1631d Abs. 1 BGB eine gesetzliche Grundlage für die elterliche Einwilligungsmöglichkeit geschaffen und diese dadurch legitimiert. Erteilt der Gesetzgeber die Legitimation, über Rechte eines Dritten zu verfügen, hat er diese Rechte bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigten. Die negative Religionsfreiheit des Kindes hat, soweit sie durch eine Beschneidung betroffen ist, in die Entscheidung einzufließen. Wird die Beschneidung nicht aus religiösen, sondern aus gesundheitsprophylaktischen oder sonstigen Gründen vorgenommen, fehlt es an der kultischen Handlung, vor welcher das Kind potenziell zu schützen ist. Anders, wenn die Zirkumzision religiös motiviert ist und – jedenfalls auch – eine Rückanbindung an die elterliche Religionsfreiheit erfährt. Die negative Komponente der Religionsfreiheit steht in keinem anderen Verhältnis zu den Rechten der Eltern als die positive Religionsfreiheit des Kindes.419 Fehlt dem Kind die notwendige Reife zur selbstständigen Ausübung der Religionsfreiheit, gehen die daraus ableitbaren positiven und negativen Rechte in das Recht über, die Eltern alle religiösen Entscheidungen treffen zu lassen.420 Diese Verantwortung nehmen die Eltern mit der Entscheidung für oder gegen eine rituelle Zirkumzision wahr. Der Staat schafft dadurch keine unzulässige religiöse Einflussnahmemöglichkeit ohne Ausweichgelegenheit für das betroffene Kind. Die Situation ist dem fehlenden kindlichen Verständnis und nicht der Religionsausübung der Eltern geschuldet. Dies ändert sich, wenn das Kind bereits eine Vorstellung von der religiösen Bedeutung der Beschneidung entwickelt hat. Bei Knabenbeschneidungen im Judentum scheidet eine Kollision der negativen Religionsfreiheit des Kindes mit dem elterlichen Entscheidungsrecht daher aus, wenn der Eingriff, wie religionsgesetzlich vorgesehen, am 8. Tag nach der Geburt des 414
BVerfGE 93, 1 (15); 108, 282 (302 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig, 27. Egl. 1988, Art. 4 GG, Rn. 78. Diese Schutzkomponente ist auch im Zusammenhang mit Art. 9 EMRK anerkannt. Dazu auch unter F. II. 4. 415 Dazu bereits E. IV. 2. b) aa) (2). 416 Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 GG, Rn. 21.6; Zähle, S. 436. Dazu auch oben unter E. IV. 2. b) aa) (2). 417 Classen, Rn. 162. 418 Dazu auch E. IV. 1. b) bb). 419 Dazu bereits aus E. V. 5. a). 420 Siehe dazu grds. E. IV. 1. b). Bauer, S. 99; Hörnle/Huster, S. 330; Zähle, S. 452. Die Anwendung von Zwang scheidet aus anderen Gründen dennoch aus. Siehe dazu auch E. V. 3. b) bb).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Kindes stattfindet.421 Hat das Kind hingegen eine eigene Vorstellung von sich und seiner Religion entwickelt, können die Eltern nicht mehr ohne Einschränkungen für das Kind entscheiden. Die Wünsche des Kindes sind zu erforschen und das Veto des Kindes hat für die elterliche Entscheidung Bedeutung.422 Auch bisher im Zusammenhang mit der negativen Religionsfreiheit des Kindes ergangene Entscheidungen vermögen an der fehlenden grundsätzlichen Betroffenheit dieses Rechts nichts zu ändern. Besondere Bedeutung erlangt das kindliche Abwehrrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG in seiner negativen Ausgestaltung im Zusammenhang mit dem Anbringen christlicher Symbole im Klassenzimmer423 sowie der religiösen Kopfbedeckung von Lehrpersonal an öffentlichen Schulen424. Eine Übertragung dieser Entscheidungen auf eine religiöse Zirkumzisionsentscheidung der Eltern dergestalt, dass diese grundsätzlich nicht legitimierbar ist, scheidet aufgrund unterschiedlicher Spannungslagen aus. Die Kopftuchund die Kruzifix-Entscheidung sind angereichert durch die Verpflichtung zur staatlichen Neutralität,425 die für die Zirkumzisionsentscheidung nicht von Bedeutung ist.426 Der Staat darf sich nicht mit religiösen Symbolen identifizieren.427 Die gebotene staatliche Zurückhaltung im Hinblick auf die religiöse Prägung des Kindes ist gerade der Tatsache geschuldet, dass diese den Eltern obliegt. Die Entscheidung für eine rituelle Zirkumzision den Eltern zu überlassen, wahrt dieses Zuständigkeitensystem.428 Mit § 1631d BGB gestaltet der Staat die elterliche Entscheidung aus, ist aber inhaltlich nicht an dieser beteiligt. Die Entscheidung bewegt sich im Rahmen des elterlichen Erziehungsrechts unter Berücksichtigung der kindlichen Rechte allerdings ohne die direkte Mitwirkung 421 So auch Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465. A. A. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 381; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 378; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269; Schneider, S. 67 ff. Die mögliche Zukunftswirkung der Zirkumzision ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts. Das Kind ist zu einem späteren Zeitpunkt nicht gehindert, seine Religionszugehörigkeit aufzugeben oder zu wechseln. Siehe dazu die Ausführungen im Zusammenhang mit der positiven Religionsfreiheit E. V. 5. b). 422 Dazu genauer unter E. VI. 3. c) cc) und E. VI. 4. b). 423 BVerfGE 93, 1. 424 BVerfGE 108, 282. 425 BVerfGE 93, 1 (15); 108, 282 (306). 426 A. A. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 381: Das Neutralitätsgebot im Kruzifix-Beschluss lässt sich nicht mit der parlamentarisch erlaubten Beschneidung in Einklang bringen. 427 Classen, Rn. 511. Dies ist beim Tragen eines Kopftuchs durch eine Lehrperson nicht der Fall, vgl. BVerfGE 108, 282 (306). Die Abwägung der kollidierenden Rechte kann ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen rechtfertigen, soweit dieses Verbot auf einer gesetzlichen Grundlage fußt (BVerfGE 108, 282 [309 f.]). Ein grds. Kopftuchverbot ist allerdings unverhältnismäßig und nicht mit dem Recht der Lehrperson auf Glaubensfreiheit zu vereinbaren, vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 27.1.2015 – Az.: 1 BvR 471/ 10, 1 BvR 118/10, BeckRS 2015, 42522. 428 Mit einer ähnlichen Differenzierung auch Alatovic/Helmken, S. 126.
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
139
Dritter. Die negative Religionsfreiheit des Kindes ist durch eine elterliche Zirkumzisionsentscheidung folglich nicht betroffen. 6. Das Grundrecht des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG Den betroffenen Kindern könnte ein, den elterlichen Rechten entgegenstehendes, Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG zukommen. Dieses Recht kann an die Pflicht der Eltern zur Wahrnehmung ihres Fürsorgeauftrags anknüpfen.429 Dies widerspricht allerdings der Konzeption des Art. 6 Abs. 2 GG als elterliches Recht, das dem Kind zwar verpflichtet und aus diesem Grund am Wohl des Kindes zu orientieren ist, diesem aber keine eigene Rechtsposition einräumt.430 Die Rechte des Kindes werden über dessen eigene Grundrechte auch hinreichend gewahrt.
VI. Abwägungsentscheidung: Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beschneidung primär entscheidend ist der Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes.431 Eingriffe in dieses durch Art. 2 Abs. 2 GG abgesicherte Recht sind einer Rechtfertigung grundsätzlich zugänglich. Mit § 1631d BGB hat der Gesetzgeber die formalen Voraussetzungen dafür geschaffen. Seiner Schutzverpflichtung gegenüber dem minderjährigen Kind wird der Gesetzgeber damit nur gerecht, wenn die Vorschrift geeignet ist, ein ausreichendes Schutzniveau zu gewährleisten. Das ist anhand der konkreten Betroffenheit der körperlichen Unversehrtheit sowie sonstiger auf Seiten des Kindes betroffener Grundrechte im Verhältnis zu dem elterlichen Erziehungsrecht, welches in religiöser Hinsicht durch die elterliche Religionsausübungsfreiheit ergänzt wird, zu entscheiden.432 Die elterliche Zirkumzisionsentscheidung beeinträchtigt nicht generell das Selbstbestimmungsrecht und auch nicht die Religionsfreiheit des Kindes. Dennoch sind die Bedeutung des Eingriffs und die fehlende Möglichkeit, diesen rückgängig zu machen, bei der Entschei429
Jeand’Heur, S. 18. A. A. Ditzen, S. 2519. BVerfGE 28, 104 (112); 61, 18 (24); Badura, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 6 GG, Rn. 135. 431 Bielefeldt, S. 78; Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433, stellt die körperliche Unversehrtheit und die negative Glaubensfreiheit des Kindes in den Abwägungsprozess ein. Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 364 f.; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 269, sieht neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die negative Religionsfreiheit des Kindes betroffen. Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3618: Tangiert sind die körperliche Unversehrtheit, das Persönlichkeitsrecht, die Religionsausübung und die Menschenwürde des Kindes. 432 Mit diesem Ergebnis auch Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433; Jorzig, S. 181 ff.; Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3618; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 140 f.; Schramm, Ehe und Familie, S. 229. 430
140
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
dung einzubeziehen. Die absolute Grenze elterlicher Bestimmungsmacht findet sich in der Menschenwürde. Menschenwürdeverletzende Motive und Handlungsweisen der Eltern im Zusammenhang mit der Zirkumzision können von der elterlichen Entscheidungsbefugnis nicht gedeckt sein.433 Die Kollision der Rechte ist nach allgemeinen Grundsätzen – den von Konrad Hesse entwickelten Regeln der „praktischen Konkordanz“ 434 – aufzulösen: Wenn verfassungsrechtlich gewährleistete Positionen aufeinandertreffen, muss ein schonender Ausgleich herbeigeführt werden, der beiden grundgesetzlich verbürgten Rechten gerecht wird.435 Ziel muss es sein, nicht eine der Rechtspositionen zu bevorzugen, sondern die betroffenen Rechte einem möglichst schonenden Ausgleich zuzuführen, allen betroffenen Grundrechten zur optimalen Wirksamkeit zu verhelfen.436 Dabei sind die Intensität der Beeinträchtigung und das grundsätzliche Gewicht der betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen.437 Die Auflösung der Kollisionslage über die praktische Konkordanz kennt – solange ihre Regeln eingehalten werden – weder ein richtiges noch ein falsches Abwägungsergebnis.438 Kann ein Ausgleich nicht erzielt werden, muss dem gewichtigeren Grundrecht der Vorrang eingeräumt werden.439 Kollidiert eine staatliche Schutzverpflichtung mit grundrechtlichen Gewährleistungen Dritter, ist die staatliche Entscheidung, in verhältnismäßiger Ausgestaltung der Auflösung der Grundrechtskollision, gesäumt durch das Unter- und Übermaßverbot, zu treffen. Zwischen dem einzuhaltenden Untermaß und dem absolut zu beachtenden Übermaß ist die Ermessensausübung des Gesetzgebers gefragt.440 Das beschriebene Spannungsverhältnis und dessen Auflösung mittels Anwendung der Lehre von der praktischen Konkordanz ist kein Exot in der Verfassungsrechtsdogmatik. Die grundrechtlichen Gewährleistungen treffen wiederkehrend aufeinander. In dieser Konstellation kann dafür potenziell auf – der Zirkumzision ähnliche – Kollisionsfälle zurückgegriffen werden. Einige wurden bereits durch das BVerfG, andere durch den Gesetzgeber aufgelöst. Die getroffenen Entscheidungen können Parameter bereithalten, die eine rechtlich stringente und grundrechtsdogmatisch nachvollziehbare Abwägung der einzelnen Belange auch im Fall der Knabenbeschneidung ermöglichen. Die gefundene Auflösung der Kolli-
433
Dazu bereits oben E. V. 3. b) bb). Hesse, Rn. 317 ff. 435 BVerfGE 28, 243 (261); 32, 98 (108); 77, 249 (255). Exner, S. 57: Das deutliche Überwiegen der Rechte der Kinder macht eine Abwägung mit den Rechten der Eltern redundant. Die empirischen Erkenntnisse sind nicht erforderlich in die Abwägung einzubeziehen, da die Rechte der Kinder ohnehin überwiegen. 436 Hesse, Rn. 318; BVerfGE 41, 29 (50 f.); 93, 1 (21); 108, 282 (301). 437 So bereits BVerfGE 2, 1 (72 f.); 39, 1 (43). 438 Lilie, S. 11. 439 Maurer, Schranken der Religionsfreiheit, S. 312. 440 BVerfGE 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); 85, 191 (213); 88, 203 (262). 434
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
141
sionslage hat sich dabei auch einer Überprüfung am Maßstab der Folgerichtigkeit zu stellen. 1. Kindlicher Lebensschutz als absolute Grenze elterlicher Entscheidungsbefugnis a) Bluttransfusionsverweigerung durch die Zeugen Jehovas Ähnlich wie die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision am eigenen Kind kann die Verweigerung einer medizinisch indizierten Bluttransfusion durch die Personensorgeberechtigten religiös begründet sein. Da beide Entscheidungen geeignet sind, Auswirkungen auf den kindlichen Körper zu zeichnen, kann eine Parallelbewertung in Betracht kommen. Die Eltern treffen auf der Grundlage ihres Erziehungsrechts in Kumulation mit ihrer Religionsfreiheit die Entscheidung, eine Bluttransfusion für ihr Kind abzulehnen. Angehörige der Zeugen Jehovas begreifen die Annahme einer Bluttransfusion als mit ihrem Glauben unvereinbar. Auch eine medizinisch indizierte – in Extremfällen lebenserhaltende oder lebensrettende – Transfusion scheidet für gläubige Zeugen Jehovas aus.441 Verstößt ein Gläubiger gegen das Verbot Blut anzunehmen, droht ihm der Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft und gegebenenfalls aus dem gläubigen Familienverbund.442 Die Regeln gelten auch für Minderjährige.443 Aufgrund der bestehenden medizinischen Indikation betrifft die Ablehnung auch die körperliche Unversehrtheit des betroffenen Kindes und die damit zusammenhängende staatliche Schutzverpflichtung. Einwilligungsfähigen ist durchaus gestattet, auch nachteilige Entscheidungen für ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zu treffen. Auch eine lebenserhaltende Operation kann grundsätzlich abgelehnt werden. Die dahin gehende Entscheidung des Patienten darf durch den Arzt nicht übergangen werden.444 Im Fall der Bluttransfusionsverweigerung wird allerdings, ebenso wie bei der Zirkumzision, die Entscheidung durch einen Dritten getroffen. Im Verhältnis der Eltern zu ihrem Kind muss der Staat eingreifen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Das ist bei der Verweigerung einer Bluttransfusion nicht per se der Fall.445 Wohl aber, wenn das Kind durch die Behandlungsverweigerung in Lebensgefahr oder die Gefahr einer dauerhaften Gesundheitsschädi441 Zum religiösen Hintergrund der Bluttransfusionsverweigerung Bleiler, S. 31 f. m.w. N. Die entscheidenden Verse sind auch abgedruckt bei Bender, S. 260. 442 Bender, S. 266 f. 443 Vgl. dazu Der Wachtturm v. 15.7.2011, S. 31 sowie Der Wachtturm v. 15.11.2011, S. 5. Die Folgen für Minderjährige werden in der juristischen Literatur teilweise relativiert, vgl. dazu Bender, S. 267; Hessler/Glockentin, S. 422. Allerdings reicht es nicht aus, auf objektive Erkenntnisse abzustellen. Im Rahmen der Religionsfreiheit ist die subjektive Beurteilung durch die Gläubigen entscheidend. Dazu auch oben unter E. IV. 2. a) cc) (5). 444 So bereits entschieden in BGHSt 11, 111 (114). 445 Hessler/Glockentin, S. 421 f.; dazu auch Gleixner-Eberle, S. 400 ff.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
gung gebracht wird. Die elterliche Entscheidung ist dann nicht vom Erziehungsrecht, auch nicht in Kumulation mit der Religionsfreiheit, gedeckt. In diesem Fall überwiegt das Recht des Kindes auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Religionsfreiheit hat hinter der allgemeinen Hilfeleistungspflicht zurückzutreten, welche als verfassungsimmanente Schranke herangezogen werden kann.446 Handeln die Eltern nicht, kommt die Schutzpflicht des Staates zum Tragen. Diese äußert sich darin, dass ein Arzt nicht auf die elterliche Einwilligung vertrauen darf. Den eigenen Gewissenskonflikt können die Eltern in dieser Situation dadurch abmildern, dass sie die Entscheidung einem Dritten übertragen. Wenn die Zeit nicht ausreichend ist, einen Pfleger (§ 1909 BGB) für das betroffene Kind zu bestellen, kommt für den behandelnden Arzt der Rechtfertigungsgrund des Notstands (§ 34 StGB) in Betracht.447 Diese Wertung lässt sich auf eine rituell motivierte Zirkumzision übertragen. Der drohende Ausschluss aus einer Glaubensgemeinschaft kann mit der fehlenden Aufnahme des Kindes in eine Glaubensgemeinschaft verglichen werden. Die elterliche Entscheidung kann bei einer Lebensgefährdung oder bei Gefahr einer dauerhaften Gesundheitsschädigung des Kindes keinen Bestand haben. Eine parallele rechtliche Beurteilung wird nicht durch die dogmatische Einordnung des elterlichen Verhaltens gehindert. Im Fall der Verweigerung einer Bluttransfusion unternehmen die Eltern nichts, um einen gesundheitlichen Schaden für ihr Kind zu vermeiden, während im Fall der Beschneidung gerade die elterliche Entscheidung den körperlichen Eingriff legitimieren kann. In ersterem Fall wird von den Personensorgeberechtigten ein aktives Tun verlangt, damit die Rechte des Kindes gewahrt werden. Bei der Zirkumzision sollen die Eltern eine Handlung unterlassen, die sie als religiös verpflichtend empfinden.448 Die elterliche Entscheidungsbefugnis wird unabhängig von der elterlichen Tätigkeitsbeschreibung durch das Wohl des Kindes und die staatliche Verpflichtung zum Schutz der kindlichen Rechte auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) umzäunt. Arten der Zirkumzision und ihre Vornahme unter Gegebenheiten, die eine solche Gefahr in sich tragen, können daher keinen Bestand haben.449 Diese dürfen nicht von § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB gedeckt sein. 446 OLG Celle, NJW 1995, 792 (793). So bereits das Ergebnis der Abwägungsentscheidung in OLG Hamm, NJW 1968, 213 (215). Das Gericht hat damals zur Beschränkung der Religionsfreiheit allerdings noch auf die Kulturadäquanzformel abgestellt. Dies kann aus heutiger Sicht nicht mehr überzeugen, vgl. dazu ausführlich oben E. IV. 2. a) cc) (2). Die Abwägungsentscheidung heute auf der Grundlage des verhältnismäßigen Ausgleichs wird allerdings zum gleichen Ergebnis führen müssen. Bender, S. 265; Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 50; Gleixner-Eberle, S. 401 f. m.w. N.; Steinbach, S. 6. 447 Schramm, Ehe und Familie, S. 220. 448 Zur unterschiedlichen Bedeutung eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes aufgrund der Begehungsform oben unter D. II. 6. b). 449 Exner, S. 53 f., will die Einwilligungsverweigerung aufgrund der Vergleichbarkeit zwischen der Bluttransfusionsverweigerung und der Entscheidung für eine rituelle
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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Führt die elterliche Entscheidung hingegen nicht zu einer Lebensgefahr respektive einer Gefahr dauerhafter Gesundheitsschädigung für das Kind, kann diese – trotz negativer Folgen für das betroffene Kind – grundsätzlich Bestand haben.450 Gleiches gilt beim Vorliegen tauglicher Alternativtherapien. Allerdings kann nicht jede mögliche Alternativtherapie den kindlichen Rechten gerecht werden. Es darf sich dabei nicht um einen individuellen Heilversuch handeln und die Erfolgsaussichten müssen mit denen der Standardtherapie jedenfalls vergleichbar sein.451 Fälle, in denen eine Bluttransfusion das einzige medizinisch sinnvolle Mittel zur Behandlung eines akuten Krankheitszustandes ist, spielen sich allerdings selten – wie die Beschneidung – auf der Ebene der körperlichen Unversehrtheit ab.452 Da die Verweigerung der Bluttransfusion eine erhöhte Gefahr für das Leben des Kindes birgt, ist die Eingriffsschwelle des Staates hier deutlich niedriger. Besteht aber eine elterliche Entscheidungsmöglichkeit, die die Rechte des Kindes ebenso wahrt wie die mehrheitlich vorgenommene Alternative, ist diese Verhaltensweise hinzunehmen. Diese grundsätzliche Entscheidung lässt sich auch auf die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision übertragen. Der Vergleich gebietet nicht, die generelle elterliche Einwilligungsmöglichkeit in eine Zirkumzision zu versagen.453 b) Die Tötung des Kindes aus religiösen Gründen Die elterliche Entscheidung zur Tötung des eigenen Kindes ist als aktive Entscheidung – wie im Fall von Ritual- und Ehrenmorden oder religiös motivierten Menschenopfern, im Gegensatz zum Unterlassen der Einwilligung im Fall der Behandlungsverweigerung mit Todesfolge – unter keinen Umständen verfassungsrechtlich zulässig. Die Betroffenen können ihr Verhalten nicht auf ihre Religionsfreiheit stützen. Die Tötung eines anderen Menschen aus religiösen Gründen ist bereits nicht vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst.454 Der Lebensschutz steht in jedem Fall über allen denkbaren religiösen Motiven, die eine Tötung nach Vorstellung der Religionsgemeinschaften legitimieren könn-
Zirkumzision auf die fehlende Einwilligungsmöglichkeit bzgl. der Knabenbeschneidung erweitern. 450 Dazu Bender, S. 266; a. A. Exner, S. 53 f. 451 Bender, S. 265 f.; Gleixner-Eberle, S. 402; Hessler/Glockentin, S. 421, mit dem Hinweis auf vorhandene Alternativtherapien. 452 Eine Vergleichbarkeit der Verweigerung einer Bluttransfusion mit der männlichen Zirkumzision aus diesem Grund ebenfalls ablehnend Alatovic/Helmken, S. 125; Gleixner-Eberle, S. 400 f.; Jorzig, S. 182. Siehe zu den medizinischen Folgen einer Zirkumzision detailliert unter E. VI. 2. b) bb). 453 A. A. Exner, S. 53 f. 454 Siehe dazu oben E. IV. 2. a) cc) (3). Jedenfalls überwiegen die Grundrechte des betroffenen Kindes, so Borowski, S. 440.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
ten.455 Im Rahmen der Abwägung ist dem Recht auf Leben folglich immer Vorrang zu gewähren. c) Implikation der gewonnenen Erkenntnisse Eine elterliche Entscheidung stößt an eine absolute Zulässigkeitsgrenze, wenn durch diese das Leben oder dauerhaft die Gesundheit des Kindes gefährdet wird.456 Die religiöse Begründetheit des Verhaltens rechtfertigt eine Ausnahme hiervon nicht. Daher hat der Staat im Rahmen seiner Schutzverpflichtung für Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zur Wahrung des Untermaßverbots entsprechendes Verhalten zu unterbinden.457 Der Anforderung muss die Legitimation einer elterlichen Zirkumzisionsentscheidung in § 1631d BGB daher ebenfalls genügen. Der Tod des Kindes oder schwere und dauerhafte Gesundheitsschädigungen sind mit der Beschneidung regelmäßig nicht verbunden.458 Vollständig unmöglich sind schwerwiegende Folgen, wie die Notwendigkeit einer Penisamputation als Folge des Eingriffs,459 allerdings nicht. Ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Häufigkeit schwerwiegender Spätfolgen existieren nicht.460 Die Unsicherheit des Folgeneintritts schließt die Schutzverpflichtung des Staates nicht aus. Er hat das Risiko für den Eintritt der Grundrechtsverletzung jedenfalls zu minimieren.461 Entscheidend für die Be-
455
Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 51; Schachtschneider,
S. 85. 456 Mit einer ähnlichen Kategorisierung auch Steinbach, S. 5 f. Er zieht zwei Stufen ein: Auf der ersten Stufe ist eine elterliche Einwilligung immer ausgeschlossen, auf Stufe 2 findet eine Abwägung statt. Rox, Anmerkung, S. 807 f., stellt auf eine „Unvertretbarkeitskontrolle“ ab. Hörnle/Huster, S. 332 ff., entwickelten ein an „harten“ und „weichen Kriterien“ orientiertes Entscheidungsraster. Sind „harte Kriterien“ durch die elterliche Entscheidung betroffen, hat eine solche zu unterbleiben. Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 151 f. Das elterliche Handeln hat sich einer „Unvertretbarkeitskontrolle durch ein dreistufiges normatives Prüfungsprogramm“ zu unterziehen. Es kann eine Abwägung zwischen den Rechten des Kindes und der Eltern stattfinden, wenn „spezifisch kindeswohlverletzende Eingriffsmodalitäten“ nicht vorliegen. Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465, will die Entscheidung an drei Faktoren festmachen. 457 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 76; siehe dazu auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 414. 458 Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 89; Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798. Zu den Risiken und Folgen des Eingriffs detailliert unter E. VI. 2. b) bb). 459 Aufsehen erregt hat in jüngster Zeit eine geglückte Penistransplantation in Südafrika, die eine Penisamputation korrigierte, die wegen Komplikationen nach einer rituellen Beschneidung notwendig geworden war, vgl. dpa, Erste erfolgreiche PenisTransplantation. Südafrika erlaubt in § 12 Abs. 8 Buchst. a) Children’s Act 38 of 2005 die religiöse Beschneidung von Kindern unter 16 Jahren, wenn diese in der „vorgeschriebenen Art und Weise“ erfolgt. 460 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798. 461 BVerfGE 49, 89 (142); 52, 214 (221); 53, 30 (59); 56, 54 (78).
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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urteilung sind einerseits „Art, (. . .) Nähe und (. . .) Ausmaß möglicher Gefahren, (. . .) Art und (. . .) Rang des geschützten Rechtsguts“ 462 sowie das Schutzniveau bereits bestehender Vorschriften.463 Die drohenden Folgen sind besonders schwerwiegend, gleichzeitig aber sehr selten. Im Unterschied zur fehlenden elterlichen Möglichkeit, die Einwilligung in eine Bluttransfusion zu verweigern, wenn diese Entscheidung das Leben des Kindes gefährdet, ist die Entscheidung für eine Zirkumzision daher nicht notwendig ausgeschlossen. Der Staat hat bereits Vorkehrungen getroffen, um das seltene Risiko schwerwiegender Folgen für das betroffene Kind zu verringern, indem er die Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst zur Einwilligungsvoraussetzung gemacht hat (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Hinter seiner Schutzpflicht bleibt der Staat damit nur dann zurück, wenn die Regelung zum Schutz der betroffenen Güter „gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich“ 464 ist. Dies ist allerdings nicht der Fall. Die staatliche Schutzverpflichtung reicht nicht soweit, jeden Einzelnen zu jeder Zeit vor einer Gefährdung zu bewahren. Auch eine Gefahr für Leben oder Gesundheit lässt sich nicht immer vermeiden. Elterliche Alltagsentscheidungen können das Kind in eine vergleichbare Gefahrensituation bringen. Ein absoluter Schutz, im Sinne einer staatlichen Garantie, kann nicht erreicht werden. Das ohnehin äußerst geringe Risiko einer Lebensgefährdung oder der Gefahr einer dauerhaften Gesundheitsschädigung wird durch die Festlegung des Standards zusätzlich verringert. Der Staat ist der Verpflichtung, das Leben des Kindes zu schützen, damit auch nachgekommen. 2. Die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten in die körperliche Unversehrtheit Auch wenn die Einwilligung der Eltern in die Zirkumzision nicht die absolute Handlungsgrenze überschreitet, betrifft sie das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit.465 Die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit muss gerechtfertigt werden. Die in § 1631d Abs. 1 BGB enthaltene Legitimation zur Einwilligung ist mit dem Grundgesetz nur vereinbar, wenn die Rechte der Eltern ausreichen, um einen körperlichen Eingriff zu rechtfertigen. Bei körperlichen Eingriffen, die aufgrund einer medizinischen Indikation erfolgen, ist dies der Fall.466 Primär medizinisch indizierte Eingriffe unterfallen nicht der Einwilligungsmöglichkeit in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vorschrift ist ausdrücklich auf die Einwilligung in „medizinisch nicht erforderliche Beschneidung[en]“ beschränkt.
462 463 464 465 466
BVerfGE 49, 89 (142). BVerfGE 49, 89 (142); 56, 54 (78). BVerfGE 77, 170 (215); 79, 174 (202). Ausführlich dazu oben E. V. 3. a). Zur rechtlichen Beurteilung medizinischer Heileingriffe bereits oben B. IV. 2.
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Auf die Einwilligung in Beschneidungen aus gesundheitsprophylaktischen Gründen soll die Vorschrift hingegen Anwendung finden.467 Gesundheitsprophylaktische Eingriffe zeichnen sich dadurch aus, dass der Körperverletzung nicht ein unmittelbarer körperlicher Nutzen gegenübersteht. Sie sind in Abgrenzung zu einem klassischen Heileingriff nicht medizinisch indiziert, stellen gleichzeitig aber auch keinen Bereich der wunscherfüllenden Medizin dar, sondern folgen einer eigenen rechtlichen Einordnung.468 Die elterliche Einwilligung in gesundheitsprophylaktische Maßnahmen am kindlichen Körper ist nicht generell ausgeschlossen,469 steht allerdings – aufgrund einer fehlenden unmittelbaren Verbesserung des aktuellen körperlichen Zustandes – unter einem erhöhten Rechtfertigungsdruck.470 Eine Entfernung von generell verzichtbaren Körperteilen, wie den Rachenmandeln oder dem Blinddarm, kann nicht allein mit deren zukünftiger Entzündungsgefahr begründet werden, selbst wenn die Entzündung erhebliche Schmerzen verursachen kann und mit zahlreichen Risiken verbunden ist.471 Allein die potenzielle Gefahr einer Erkrankung, die durch einen präventiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verhindert werden kann, trägt diesen Eingriff daher nicht ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen über die Schwelle der Rechtmäßigkeit. Um diese Voraussetzungen festzulegen, kann eine Anleihe bei vergleichbaren Konstellationen angedacht werden. Wann eine elterliche Einwilligung einen medizinisch nicht unmittelbar begründeten Eingriff decken kann, wurde für Einzelfälle bereits entschieden. Es handelt sich dabei um Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Auflösung der Kollision zwischen den Rechten des Kindes und den Rechten der Eltern unter Einbeziehung der staatlichen Schutzverpflichtung. Ist die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision mit zulässigen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen oder sonstigen, keinen unmittelbaren körperlichen Nutzen zeichnenden Eingriffen vergleichbar, kann sie ebenfalls von der elterlichen Entscheidung gedeckt sein und gefährdet im Umkehrschluss nicht das Wohl des Kindes. Die im Rahmen dieser Entscheidungen vorgenommenen Risiko-Nutzen-Abwägungen können Anhaltspunkte für eine vergleichbare Abwägung im Hinblick auf die gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision liefern. 467
BT-Drucks. 17/11295, S. 16. Kern, in: Laufs/Kern, § 49, Rn. 6. 469 Dazu auch sogleich unter E. VI. 2. a) aa). 470 Zu den konkreten Abwägungsparametern sogleich. 471 Joecks, in: Joecks, § 223 StGB, Rn. 61. Dies aber als Argument gegen die Zulässigkeit einer Zirkumzision aufgrund elterlicher Entscheidung anbringend Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.7; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 291; Isensee, S. 321; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 363. Dabei verkennen die Autoren, dass die Zirkumzision einen weitergehenden Nutzen zeichnen und nicht allein die Entstehung von Krankheiten an der Vorhaut verhindern soll, vgl. dazu unten E. VI. 3. 468
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a) Rechtliche Anknüpfungspunkte für die Ausgestaltung der Abwägungsentscheidung aa) Präventive Schutzimpfungen im Kindesalter Eine allgemeine Impfpflicht besteht in Deutschland zwar nicht,472 dennoch handelt es sich bei Schutzimpfungen um eine weit verbreitete präventiv-medizinische Maßnahme, insbesondere auch an minderjährigen Kindern. Eine Schutzimpfung ist nach § 2 Nr. 9 IfSG „die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen“. Der Schutz wird einerseits dadurch erreicht, dass der Geimpfte gegen die Krankheitsübertragung geschützt ist, andererseits dadurch, dass die Verbreitung der Krankheit insgesamt unterbunden und so die Gefahr der Ansteckung reduziert wird.473 Geschützt wird folglich neben der individuellen Gesundheit auch die kollektive Gesundheit der gesamten Bevölkerung.474 Rechtlich lehnt sich die Beurteilung der Zulässigkeit einer Impfung an die Regeln zum ärztlichen Heileingriff an.475 Impfungen beeinträchtigen rechtfertigungsbedürftig die körperliche Unversehrtheit, begründet durch die Substanzverletzung beim Einstich in die Haut mit einer Nadel oder, bei Schluckimpfungen, durch den Vorgang der Immunisierung im Körper.476 Gerechtfertigt werden kann die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, trotz fehlender medizinischer Indikation, bei einsichts- und urteilsunfähigen Kindern durch elterliche Einwilligung.477 Welche Impfungen nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen durchgeführt werden sollen, bestimmt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Die Beurteilung durch die STIKO bildet die Grundlage der offiziellen Impfempfehlungen der obersten Landesbehörden (vgl. 20 Abs. 3 IfSG).478 Die so empfohlenen gesundheitsprophylaktischen Maßnah472 BGH, NJW 2000, 1784 (1785). Eine Verpflichtung zur Teilnahme an Schutzimpfungen kann nach § 20 Abs. 6 S. 1 IfSG durch RVO vorgesehen werden. 473 Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 20d SGB V, Rn. 1; dazu auch BTDrucks. 16/3100, S. 100. 474 So gelang es, dank der flächendeckenden Impfpraxis die einheimische Kinderlähmung in Deutschland auszurotten, vgl. http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/ STIKO/Aufgaben_Methoden/methoden_node.html (20.3.2015). Der kollektive Nutzen wird bei Entscheidung über eine Impfempfehlung einbezogen. Dazu Ständige Impfkommission. 475 Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 StGB, Rn. 34; BGH, NJW 2000, 1784 (1785). Dazu auch oben B. IV. 2. 476 Vgl. auch AG Nordenham, Urt. v. 8.6.2007 – Az.: 5 Cs 135 Js 59229/04 (241/05), juris, Rn. 6. 477 So auch OLG Koblenz, Beschl. v. 9.10.2013 – Az.: 5 U 746/13, BeckRS 2013, 17416; die Entscheidung für die Durchführung von Schutzimpfungen entspricht auch dem Kindeswohl, so KG Tempelhof-Kreuzberg, Beschl. v. 18.5.2005 – Az.: 13 UF 12/05, BeckRS 2008, 26040. 478 Pelchen, in: Kohlhaas/Ambs, 145. Egl. 2002, § 20 IfSG, Rn. 2 f. An die Impfempfehlung sind weitere rechtliche Konsequenzen geknüpft: Der GBA darf bei der Bestimmung über die Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl.
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men sind in jedem Fall von der elterlichen Einwilligung gedeckt und keine unzulässige Gefährdung des Kindeswohls.479 Die von der STIKO zur Grundlage ihrer Einschätzung durchgeführte Risiko-Nutzen-Abwägung kann dabei, als Beurteilung einer zulässigen gesundheitsprophylaktischen Maßnahme am kindlichen Körper, die grundgesetzliche Abwägungsentscheidung in Bezug auf eine Zirkumzision konkretisieren.480 In die Risiko-Nutzen-Abwägung einbezogen werden der Schweregrad der zu verhindernden Erkrankung, die Wahrscheinlichkeit der Verhinderung dieser Krankheit (auch im Vergleich zur generellen Wahrscheinlichkeit der Erkrankung) und die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Impfung selbst (konkret die Risiken und Nebenwirkungen). Im Ergebnis entscheidend ist die Gesamtevidenz im Verhältnis zur Impfstoffwirksamkeit und -sicherheit.481 bb) Risiko-Nutzen-Abwägung im AMG Eine einfachgesetzlich konkretisierte Abwägungsentscheidung für zulässige körperliche Eingriffe findet sich, für die Zulässigkeit klinischer Arzneimittelprüfungen am Menschen, im AMG. Die klinische Prüfung dient, wie das gesamte AMG, der Sicherstellung der „Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit“ von Arzneimitteln (vgl. § 1 AMG), aber nicht notwendig dem unmittelbaren körperlichen Nutzen der Testperson. Die Entscheidung, ob eine Arzneimittelprüfung – auch an Minderjährigen (vgl. § 40 Abs. 4, § 41 Abs. 2 AMG) – zulässig ist, bestimmt sich u. a. anhand einer ärztlichen Vertretbarkeitsprüfung, welche „die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen (. . .) und der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde“ abwägt (§ 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG).482 Diese Prüfung konkretisiert die staatliche Schutzpflicht für § 20d Abs. 1 SGB V) nur aufgrund besonderer Umstände von der Impfempfehlung abweichen (BT-Drucks. 16/3100, S. 100). Handelt es sich um eine von der zuständigen Landesbehörde empfohlene Impfung, besteht unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG ein Anspruch auf Versorgung. 479 Dies schließt nicht notwendig aus, dass die Personensorgeberechtigten sich für andere oder keine Impfungen entscheiden. Maßgebend sind auch hier die Grenzen elterlicher Bestimmungsmacht. Die Krankenkassen können unter den Voraussetzungen des § 20d Abs. 2 SGB V auch die Kosten für nicht empfohlene Impfungen übernehmen. 480 Gegen die grds. Vergleichbarkeit von Schutzimpfungen mit der Zirkumzision: Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.7; Grams, S. 337; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413; Steinbach, S. 8; Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 57. Sie entsprächen dem medizinischen Standard, würden von den Krankenkassen finanziert und von der STIKO empfohlen. Dies ist für sich allein aber nicht notwendig ein Grund die Vergleichbarkeit abzulehnen. Entscheidend muss sein, ob eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision einer vergleichbaren Abwägungsentscheidung standhalten kann. Dazu sogleich E.VI. 2. b). 481 Ständige Impfkommission. Zu den Abwägungskriterien auch BGH, NJW 2000, 1784 (1785). 482 Das AMG beinhaltet zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Risiko-Nutzen-Betrachtung: § 5 Abs. 1 AMG verbietet das Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimit-
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die körperliche Unversehrtheit. Der Nutzen eines Arzneimittels wird anhand seiner therapeutischen Wirksamkeit bestimmt.483 Diese beurteilt sich nach dem Ausmaß der Wirkung, deren Häufigkeit sowie deren Dauer.484 Dem gegenüberzustellen ist das Risiko der Anwendung, das hauptsächlich in negativen Gesundheitsfolgen besteht.485 Die Wirkungslosigkeit zählt bei Arzneimitteln nicht zu den schädlichen Wirkungen.486 Die Bedeutung der negativen Gesundheitsfolgen im Rahmen der Abwägungsentscheidung ist abhängig von deren Schwere und deren Häufigkeit.487 Für das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko gilt: „Je besser die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels und je gravierender die Indikation, desto schwerere schädliche Wirkungen können toleriert werden.“ 488 Auch die „Dringlichkeit der Behandlung“ 489 sowie das Vorhandensein von Alternativen ist zu berücksichtigen.490 Gibt es Alternativtherapien mit geringeren Risiken und vergleichbarer Wirksamkeit, muss die risikoreichere Behandlung unterbleiben.491 Diese, die Abwägungsentscheidung konkretisierenden Parameter können eine Hilfestellung bei der Entscheidung über die Zulässigkeit elterlicher Einwilligung in eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision sein. b) Implementierung der gewonnenen Erkenntnisse auf die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision Die Erkenntnisse geben Hinweise für die Abwägungsentscheidung bei medizinisch nicht unmittelbar indizierten Eingriffen in den menschlichen Körper und konkretisieren damit eine verfassungsrechtliche Entscheidung. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Eingriffsarten lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auf die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision anwenden. Entscheidungserheblich sind die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Eingriffs, deren Schwere und Häufigkeit im Verhältnis zum möglichen Nutzen des Eingriffs, welcher die Schwere und Wahrscheinlichkeit einer zu verhindernden Krankheit einbezieht,
teln und deren Anwendung beim Menschen, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AMG enthält die Grundlage einer gesetzlichen Gefährdungshaftung des Inverkehrbringers von Arzneimitteln und die zuständige Bundesbehörde kann bei einem ungünstigen „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ die Zulassung eines Arzneimittels versagen (§ 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG). 483 Vgl. Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 76. 484 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 76. 485 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 84 AMG, Rn. 16. 486 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 77. 487 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 78; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 84 AMG, Rn. 17. 488 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 80. 489 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 84 AMG, Rn. 17. 490 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 84 AMG, Rn. 17; Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 76. 491 Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 81.
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ebenso wie die Dringlichkeit der Behandlung und die ausreichende Beachtung bestehender Alternativen.492 aa) Nutzen einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision (1) Individueller Nutzen Die Einbeziehung des individuellen Nutzens ist dabei essenzieller Bestandteil der Abwägungsentscheidung. Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit lassen sich durch einen auf gleicher Ebene erzielten körperlichen Nutzen relativieren. Diese Wertung kommt bei der Rechtfertigungsmöglichkeit eines medizinischen Heileingriffs zum Tragen,493 findet sich bei der Beurteilung der Vertretbarkeit von Schutzimpfungen sowie klinischen Prüfungen. Der medizinische Nutzen für den Betroffenen, der sich aus dem Eingriff und dem daran anschließenden Zustand ergibt, ist daher in die Abwägungsentscheidung einzustellen. (a) Vermeidung von Harnwegsinfektionen im Kindesalter Die Zirkumzision soll u. a. der Vermeidung von Harnwegsinfekten dienen. Die AAP geht davon aus, dass bei nicht beschnittenen Jungen die Gefahr, innerhalb des ersten Lebensjahres an einer Harnwegsinfektion zu erkranken, mehr als 10mal höher ist als bei der zirkumzidierten Vergleichsgruppe.494 Valide Studienergebnisse, die den Zusammenhang zwischen der Reduktion des Risikos, an einer Harnwegsinfektion zu erkranken, und der Zirkumzision belegen, fehlen allerdings.495 Die natürliche Funktion der Vorhaut besteht gerade darin, die Harnwege vor Infektionen zu schützen.496 (b) Prävention gegen sexuell übertragbare Infektionskrankheiten Eine potenzielle Verringerung der Übertragungswahrscheinlichkeit von Geschlechtskrankheiten auf einen beschnittenen Mann gilt als eine der tragenden medizinischen Begründungen für die vorbeugende Zirkumzision. Dabei bildet das Fehlen der Vorhaut gerade einen Grund für die Verringerung der Ansteckungsge492 Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 134; Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465; Rox, Anmerkung, S. 808; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 140 f. 493 Dazu auch oben B. IV. 2. 494 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e767 ff., weisen darauf hin, dass bei 7 bis 14 von 1.000 nicht zirkumzidierten Jungen eine Harnwegsinfektion im ersten Lebensjahr auftritt, während eine solche nur bei 1 bis 2 von 1.000 der zirkumzidierten Jungen zu verzeichnen ist; American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Cultural Bias and Circumcision, S. 801 ff. 495 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797. 496 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 51.
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fahr mit sexuell übertragbaren Krankheiten. Die innere Oberfläche des Präputiums ist anfällig für Hautabschürfungen und kleine Risse. Die aufgrund dieser Anfälligkeit entstehenden Verletzungen erleichtern das Eindringen von Krankheitserregern während des Geschlechtsakts.497 Zudem begünstigt die Vorhaut eine Umgebung, in welcher Krankheitserreger überleben und sich vermehren können.498 (aa) Reduktion der Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus Die WHO empfiehlt die Zirkumzision als Präventionsmaßnahme gegen die Infektion mit dem HI-Virus bei Männern.499 Diese Empfehlung resultiert aus den Erkenntnissen dreier randomisierter, kontrollierter Studien, durchgeführt in Kenia, Uganda und Südafrika. Die Studien kamen zu dem Ergebnis, dass sich das Ansteckungsrisiko mit dem HI-Virus bei der relevanten (zirkumzidierten) Gruppe um bis zu 60% verringerte.500 Für die Wirksamkeit der Zirkumzision in diesem Zusammenhang spricht auch, dass in afrikanischen Ländern mit hoher Zirkumzisionsrate die Verbreitungsrate von HIV geringer ist als in Ländern mit geringer Zirkumzisionsrate.501 Die Gründe für die Abnahme des Ansteckungsrisikos nach einer Zirkumzision sind neben der besonderen Verletzungsanfälligkeit der inneren Vorhaut die dort vorzufindende hohe Dichte an HIV-Zielzellen (z. B. Langerhans-Zellen), die eine Infektion zusätzlich begünstigen.502 (bb) Reduktion der Ansteckungsgefahr mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten Eine Zirkumzision kann auch der Reduktion der Übertragungswahrscheinlichkeit von Herpes (Humanem Herpes Simplex Virus Typ 2), bakterieller Vaginose (BV – tritt bei der weiblichen Partnerin auf), Chlamydia trachomatis sowie Genitalwarzen (Condylomata acuminata) dienen.503 497 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e764 ff. 498 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e764 ff.; krit. dazu Gollaher, S. 199. 499 WHO, WHO and UNAIDS; WHO/UNAIDS, S. 2, 3; ähnl. wohl auch Bruch, S. 3, ohne auf die Besonderheiten der vorhandenen Studienergebnisse in Bezug auf Deutschland einzugehen. 500 U. a. WHO, WHO and UNAIDS; WHO, Information package, Insert 1, S. 1. Allerdings wurden die Teilnehmer der Studie auch über weitere Präventionsmaßnahmen aufgeklärt, wie u. a. die Ansteckungsgefahr reduzierende Techniken und die Wichtigkeit von Kondomen, vgl. WHO, Information package, Insert 4, S. 2. 501 WHO, Information package, Insert 4, S. 1. 502 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e764 ff. 503 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e764–e766 ff.
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(cc) Fehlende Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland Die Erkenntnisse hinsichtlich der reduzierten Übertragungswahrscheinlichkeit von Geschlechtskrankheiten lassen sich nicht ohne Einschränkungen auf Deutschland übertragen. Belastbare Studienergebnisse existieren nur für (wenige) afrikanische Länder.504 Die Situation zwischen diesen Ländern und Deutschland unterscheidet sich in mehrerlei Hinsicht: Das ursprüngliche HIV-Infektionsrisiko in den afrikanischen Ländern ist bereits deutlich höher als in Deutschland.505 Auch sind die sozialen Gruppen, in denen die Übertragungswahrscheinlichkeit hoch ist, nicht vergleichbar. Die afrikanischen Untersuchungen beziehen sich auf Übertragungsraten bei Geschlechtsverkehr zwischen heterosexuellen Geschlechtspartnern. Diese stellen in Deutschland gerade nicht die Hauptgruppe der von einer HIV-Infektion Betroffenen dar. Hier dominiert die Ansteckungsgefahr bei homosexuellen Geschlechtskontakten.506 Auch die WHO erkennt, dass in Ländern, in denen die Ansteckungsgefahr zwischen Homosexuellen, Drogenabhängigen oder Sexarbeiterinnen problematisch ist, die Beschneidung keinen Effekt für die allgemeine Bevölkerung haben kann, sondern allenfalls individuellen Nutzen erzielt.507 Gegen die Übertragung der Studienergebnisse sprechen auch Erkenntnisse aus den USA. Diese haben die höchste HIV-Infektionsrate aller Industrienationen und eine vergleichsweise hohe Verbreitung von sonstigen Geschlechtskrankheiten, obwohl dort ca. die Hälfte aller Männer beschnitten ist.508 Andere Faktoren, insbesondere sozio-ökonomische, kulturelle und ethnische, spielen bei der Infektion eine entscheidende Rolle.509 Auch für die Übertragung der Ergebnisse bzgl. der Reduktion der Ansteckungsgefahr mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten fehlen valide Studienergebnisse, die einen Zusammenhang zwischen der Reduktion der Ansteckungswahrscheinlichkeit und der Zirkumzision nachweisen.510 Lediglich die Reduktion des Ansteckungsrisikos mit Genitalherpes bei zirkumzidierten Männern wurde für Gebiete in Südafrika und Uganda nachgewiesen.511 504 Andere Studien zeigen gerade keinen Zusammenhang zwischen der Zirkumzision und einer Reduktion der Ansteckungsgefahr, vgl. dazu Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798. 505 Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 88 f.; Hakenberg, Stellungnahme; Hartmann, Stellungnahme, S. 2, mit Hinweis auf die unterschiedlichen Hygienestandards und der in den Industrienationen uneingeschränkten Möglichkeit zur Benutzung von Kondomen, um die Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten zu verhindern. 506 Robert Koch-Institut, Aktuelle Daten, S. 432. 507 WHO, WHO and UNAIDS. 508 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 52; Gollaher, S. 198. 509 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 52; Gollaher, S. 198. 510 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 52; Gollaher, S. 201 m.w. N.; Hakenberg, Stellungnahme. Für Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydien so auch American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e764–e766 ff. 511 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e766 ff.
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(c) Reduktion der Gefahr, an einem Peniskarzinom zu erkranken Die Verringerung des Risikos, an einem Peniskarzinom zu erkranken, gilt als weiterer präventiv-medizinischer Vorteil einer Zirkumzision. Ein Grund dafür kann sein, dass bei der Beschneidung mit dem inneren Vorhautblatt der Penisteil entfernt wird, der häufig Ursprung eines Peniskarzinoms ist.512 Gleichzeitig erhöhen Phimosen und Harnwegsinfektionen – die durch die Zirkumzision ebenfalls verhindert werden sollen – das Risiko, an einem Peniskarzinom zu erkranken.513 Zwingend ist der Kausalzusammenhang allerdings nicht. Insoweit fehlen auch hier valide Studienergebnisse. Gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs lässt sich anbringen, dass die Krankheit in den nordeuropäischen Ländern, wo weniger als 10% der Männer zirkumzidiert sind, nicht häufiger auftritt als in Ländern mit einer deutlich höheren Zirkumzisionsquote, wie den USA.514 (2) Kollektiver Nutzen Neben den potenziellen individuellen Vorteilen einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision kann diese auch einen Nutzen für Dritte und die Gesamtbevölkerung stiften. Sie kann geeignet sein, die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten einzudämmen515 und hat das Potenzial, die Gefahr der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs bei Sexualpartnerinnen beschnittener Männer zu reduzieren.516 Diesem Nutzen fehlt eine unmittelbare, individuelle körperliche Komponente für den zirkumzidierten Jungen. Die Beachtung kollektiver Nutzenelemente bei der Entscheidung über die Zulässigkeit körperlicher Eingriffe, ist kein Fremdkörper im deutschen Rechtssystem. Die präventive Schutzimpfung dient neben dem individuellen Schutz des Betroffenen auch einer Verhinderung der Ausbreitung bestimmter Krankheiten in der Bevölkerung.517 Daneben existieren Eingriffsarten, die ihre Rechtfertigung ausschließlich aus dem körperlichen Nutzen Dritter ziehen. Dazu gehören u. a. Arzneimitteltests an gesunden Probanden, Blut- sowie Gewebe- und Organspenden. Diese Entscheidungen hat der Gesetzgeber, insbesondere auch zum Schutz Einwilligungsunfähiger, in Gesetzesform gegossen. Damit hat er für die konkreten Fälle bereits eine Abwägungsentscheidung vorgegeben. Diese gesetzgeberischen Entscheidungen können Anhaltspunkte über die Einbeziehungsmöglichkeiten und -voraussetzungen einer kollektiven Nutzenkomponente im Zusammenhang mit einer Zirkumzision geben. 512
Hakenberg, Stellungnahme. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e768 ff. 514 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797; Gollaher, S. 195. 515 Dazu oben E. VI. 2. b) aa) (1) (b). 516 Dazu unten E. VI. 2. b) aa) (2) (d). 517 Dazu bereits oben E. VI. 2. a) aa). 513
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(a) Anleihe bei den Regelungen zur klinischen Prüfung im AMG (§ 40 Abs. 4, § 41 Abs. 2 AMG) Die Anforderungen an den durch die klinische Prüfung zu erwartenden Nutzen eines Arzneimittels unterscheiden sich nach der Person des Probanden. Für eine rechtmäßige klinische Prüfung an gesunden, einwilligungsfähigen Volljährigen kann neben dem individuellen Nutzen auch ausreichen, dass das Arzneimittel Bedeutung für die Heilkunde hat (§ 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG). Eine Kumulation aus individuellem und kollektivem Nutzen ist dabei nicht erforderlich, auch wenn der Wortlaut der Vorschrift dies zunächst nahelegt.518 Ausreichend ist, dass die Anwendung des Mittels zur „Heilung oder Linderung oder zur Verhütung“ von „Krankheiten oder krankhaften Beschwerden“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG) beiträgt. Dabei genügt es, dass das Arzneimittel diese Eigenschaften für eine dritte Person hat. Bei gesunden Minderjährigen ist ein solcher Nutzen hingegen nicht ausreichend.519 Bei diesen Probanden muss das Arzneimittel „zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen“ dienen „und (. . .) angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen“.520 Der erforderliche Nutzen besteht folglich nur, wenn eine Krankheit durch das eingesetzte Mittel früher erkannt werden kann oder der (an dem Test teilnehmende) Minderjährige vor einer Krankheit geschützt wird.521 Letzteres ist u. a. für Kinderimpfstoffe anerkannt.522 Die Zirkumzision soll an gesunden Minderjährigen vorgenommen werden, weshalb diese Vorschrift die taugliche Vergleichsgrundlage darstellt. Wird hier eine Parallele zu den Fällen der gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision gezogen, bedeutet dies, dass ein allein kollektiver Nutzen nicht zur Rechtfertigung des körperlichen Eingriffs ausreichen kann. Gesundheitsprophylaktischen Maßnahmen ist es dabei immanent, dass ihr Nutzen nur antizipiert und nicht abschließend beurteilt werden kann. Insoweit ist die Prognoseentscheidung ausreichend. (b) Anleihe bei den Regelungen zur Blutspende im TFG (§ 6 Abs. 1 TFG) Bereits die Zwecksetzung des TFG macht deutlich, dass es nicht auf einen individuellen Nutzen des Blutspenders, sondern auf die „Gewinnung von Blut 518
Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 AMG, Rn. 44. Bei der Arzneimittelprüfung an kranken Minderjährigen kann neben dem individuellen Nutzen (§ 41 Abs. 2 Nr. 1 AMG) auch der Gruppennutzen ausreichen (§ 41 Abs. 2 Nr. 2 AMG). Die Zulassung des Gruppennutzens erfolgt allerdings vor einem anderen Hintergrund, nämlich den Off-Label-Use von Arzneimitteln bei Minderjährigen einzuschränken, vgl. BT-Drucks. 15/2109, S. 31. 520 Vgl. § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG. 521 Listl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 40 AMG, Rn. 37; Pestalozza, Risiken und Nebenwirkungen, S. 3378; Rehmann, in: Rehmann, § 40 AMG, Rn. 17; Wachenhausen, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 40 AMG, Rn. 104. 522 Listl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 40 AMG, Rn. 37. 519
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und Blutbestandteilen“ abzielt, um eine „sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten (. . .) auf der Basis der freiwilligen und unentgeltlichen Blutspende zu fördern“ (vgl. § 1 TFG). Nach § 6 Abs. 1 TFG setzt eine Blutspende eine wirksame Einwilligung des Spenders voraus. Die Einwilligung kann nur wirksam sein, wenn die allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer solchen, insbesondere die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden, vorliegen.523 Fehlt die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Spenders, kann dieser daher nicht wirksam in den Eingriff einwilligen. Das TFG enthält keine für die Personensorgeberechtigten geltenden Vertretungsregelungen. Eine stellvertretende elterliche Einwilligung scheidet aus.524 Im Unterschied zu AMG und TPG hat der Gesetzgeber im TFG auf eine Vertretungsregelung bewusst verzichtet. Ein Rückgriff auf allgemeine Vertretungsregelungen ist zwar möglich, führt, aufgrund fehlender Kindeswohldienlichkeit, allerdings auch nicht zu einer anderen Beurteilung.525 Auch daran wird deutlich, dass der Gesetzgeber einen kollektiven Nutzen für einen Eingriff am kindlichen Körper nicht per se ausreichen lässt. (c) Anleihe bei den Regelungen zur Knochenmarkspende im TPG (§ 8a TPG) Die Entnahme von Organen oder Geweben bei Minderjährigen zum Zweck der Übertragung auf andere, kann – im Gegensatz zur Knochenmarkspende durch einen Minderjährigen – von der elterlichen Einwilligung nicht gedeckt sein.526 Für eine Knochenmarkspende Minderjähriger, die einem unmittelbaren körperlichen Nutzen für das Kind entbehrt, hat der Gesetzgeber mit § 8a TPG eine spezielle Regelung geschaffen. Die – gegenüber der Knochenmarkentnahme bei einem Volljährigen ohnehin grundsätzlich nachrangige (§ 8a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG) – Knochenmarkentnahme bei Minderjährigen ist sowohl hinsichtlich des tauglichen Empfängerkreises („Verwandte ersten Grades oder Geschwister der minderjährigen Person“, vgl. § 8a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG) als auch hinsichtlich des Zwecks der Übertragung (Geeignetheit, eine lebensbedrohliche Krankheit bei dem Empfänger zu heilen, vgl. § 8a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG) restriktiver gefasst als bei Volljährigen527, aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.528 Der Nutzen für
523
Siehe dazu ausführlich unter D. IV. Mit diesem Ergebnis auch Deutsch, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 6 TFG, Rn. 4; Schmidt-Recla, S. 568. A. A. für besondere Ausnahmefälle Rixen, in: Höfling, TPG, § 1 TPG, Rn. 24. 525 So auch Gleixner-Eberle, S. 418. 526 Augsberg, in: Höfling, TPG, § 8 TPG, Rn. 26; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 8 TPG, Rn. 2. Für die Rückübertragung auf den Minderjährigen gilt § 8c TPG, vgl. auch BT-Drucks. 13/4355, S. 14. 527 Volljährige können in die Entnahme von Knochenmark „zum Zwecke der Übertragung auf andere“ einwilligen (§ 8 Abs. 1 S. 1 TPG). Bei nicht regenerierungsfähigen Organen wird der zulässige Empfängerkreis nach § 8 Abs. 1 S. 2 TPG auf „Verwandte 524
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einen Empfänger kann den Eingriff in den kindlichen Körper demnach nur rechtfertigen, wenn er alternativlos und zur Lebensrettung geeignet ist. Der Gesetzgeber lässt fremdnützige Eingriffe in den kindlichen Körper nur als ultima ratio zu. (d) Zusammenfassende Beurteilung Aus diesen gesetzgeberischen Abwägungsentscheidungen lässt sich entnehmen, dass ein Eingriff am kindlichen Körper ausschließlich zum Nutzen Dritter nicht bzw. nur unter besonders strengen Voraussetzungen einer Rechtfertigung zugänglich ist. Der Eingriff ist nur gestattet, wenn er geeignet ist, eine bereits bestehende lebensbedrohliche Krankheit zu heilen. Diese Voraussetzung erfüllt eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision nicht. Sie dient nicht der Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für das Leben eines Dritten. Kann der Betroffene allerdings einen individuellen körperlichen Nutzen aus dem Eingriff ziehen, kann ein zusätzlicher kollektiver Nutzen in die Abwägungsentscheidung einbezogen werden. Neben dem individuellen Nutzen einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision kann folglich auch deren kollektiver Nutzen Berücksichtigung finden.529 Um einen solchen auch bei der gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision im Rahmen der Abwägung berücksichtigen zu können, muss ein kollektiver Nutzen überhaupt gegeben sein. Für die Möglichkeit, Geschlechtskrankheiten zu verhindern, kann dies nur eingeschränkt gelten. Wird der Zirkumzision unterstellt, sie sei auch in Deutschland geeignet, die Übertragung von Geschlechtskrankheiten auf Männer zu reduzieren, sinkt auch das Ansteckungsrisiko in der Gesamtbevölkerung, da die Krankheiten insgesamt seltener übertragen werden. Allerdings ist bereits unsicher, ob die Zirkumzision eine schützende Wirkung haben kann.530 Ein möglicher Nutzen, der nicht unmittelbar bei dem Zirkumzidierten entsteht, kann die Reduktion des Risikos für Sexualpartnerinnen beschnittener Männer sein, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken. Hauptursächlich für das Entstehen von Gebärmutterhalskrebs ist eine Infektion mit dem humanen Papillomvirus (HPV), das sich auch am männlichen Geschlechtsteil findet.531 Bei zirkumzidierten Männern kommt dieses Virus allerdings bis zu 3mal seltener vor
ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“, begrenzt. Der gesetzlich zulässige Zweck einer Transplantation kann die Lebenserhaltung des Empfängers sein, aber auch „eine schwerwiegende Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Beschwerden zu lindern“ (§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG). 528 Dazu auch BT-Drucks. 16/3146, S. 29. 529 A. A. Hörnle/Huster, S. 336. Ebenfalls gegen die Einbeziehung eines kollektiven Nutzens Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 359. 530 Dazu E. VI. 2. b) aa) (1) (b). 531 Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 76.
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als bei unbeschnittenen,532 was Auswirkungen auf die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs bei den Sexualpartnerinnen der Männer haben kann. Diese Annahme wird allerdings durch die Tatsache in Zweifel gezogen, dass Gebärmutterhalskrebs weder in der muslimischen Gemeinschaft noch in den USA seltener auftritt als gewöhnlich.533 Es fehlt daher an einer ausreichend gesicherten Verbindung zwischen der Zirkumzision und dem verminderten Auftreten eines Zervixkarzinoms.534 Darüber hinaus sind u. a. eine mangelhafte Sexualhygiene, das individuelle Sexualverhalten sowie die Anzahl der Geburten Ursachen für das Entstehen von Gebärmutterhalskrebs.535 bb) Mit einer Zirkumzision verbundene Risiken Dem Nutzen einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision stehen die Risiken des Eingriffs gegenüber. Das Präputium ist ein äußerst empfindsames Hautorgan, das wichtige Schutzfunktionen übernimmt.536 Es verhindert den ständigen Kontakt der Eichel mit der Kleidung und eine dadurch verursachte Hornhautbildung.537 Gleichzeitig dient die Vorhaut der Aufrechterhaltung einer stabilen Bakterienflora, welche wiederum kausal ist für die Vermeidung von Infektionskrankheiten.538 Im Neugeborenenalter schützt die Vorhaut die Harnröhrenöffnung vor Verunreinigungen durch Ausscheidungen.539 Darüber hinaus ist das Präputium mit zahlreichen Nervenendigungen ausgestattet, die eine besondere Sensibilität garantieren.540 Auch bei dem Geschlechtsakt spielt die Vorhaut eine entscheidende Rolle.541 Diese Funktionen der Vorhaut entfallen nach ihrer Entfernung. Darüber hinaus ist der Eingriff mit unmittelbaren Folgen und der Gefahr von negativen Langzeitauswirkungen verknüpft. 532
Bosch/Qiao/Castellsagué, S. 12. Gollaher, S. 193. Anders Bruch, S. 3, er sieht in der Beschneidung eine prophylaktische Maßnahme gegen die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs. Robert KochInstitut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 79. Die Anzahl an Neuerkrankungen (in den Jahren 2009/2010) war in den USA niedriger als in Deutschland, was für einen Zusammenhang zwischen der Zirkumzision und der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs sprechen könnte. Allerdings hatten Finnland und die Schweiz im Verhältnis noch geringere Entstehungsraten, was letztlich gegen einen Zusammenhang spricht, da in diesen Ländern nicht routinemäßig zirkumzidiert wird. 534 Gollaher, S. 194. 535 Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 76; Stehr/ Schuster/Dietz u. a., S. 52; so auch American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, 768. 536 Hakenberg, Stellungnahme; Hartmann, Stellungnahme, S. 1. 537 Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 411. 538 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 51. 539 Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 411. 540 Hakenberg, Stellungnahme; Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 51. 541 Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 411. 533
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(1) Akute Komplikationen und Risiken einer Zirkumzision Wie jeder operative Eingriff am menschlichen Körper ist die Zirkumzision mit Risiken verbunden, wenngleich sie als komplikationsarmer Eingriff gilt. Die angegebene Komplikationsrate beträgt zwischen 0,19% und 2%.542 Zu den häufigsten Komplikationen gehören neben Blutungen und Infektionen die unvollständige oder übermäßige Entfernung von Gewebe,543 die unbeabsichtigte Verletzung des Penis,544 übermäßige Schmerzen nach der Operation, hochgradiger Blutverlust, Hämatome, Schwellungen, verzögerte Wundheilung und zum Teil auch häufiger auftretende Harnwegsinfektionen.545 Im weiteren Heilungsverlauf nach dem Eingriff kann es zu einer Bildung von Hautbrücken, der Verengung der Harnröhrenmündung (Meatusstenose)546, einer Phimose und zu epithelialen Inklusionszysten kommen.547 Nur äußerst selten kommt es zum Tod des Patienten oder zu einer Penisamputation.548 Dennoch berichten Kinderärzte auch von durch Zirkumzision verursachten „genitalen Totalschäden“, die häufig aufgrund der Scham und des Tabus, mit welchem das Thema behaftet ist, nicht öffentlich bekannt werden.549 Insgesamt fehlen allerdings einheitliche Berechnungen oder statistische Erhebungen der medizinischen Zwischenfälle550 ebenso wie valide Studienergebnisse zu der Häufigkeit von Spätfolgen.551 Wird vor dem Eingriff eine Anästhesie vorgenommen, ist auch diese mit Komplikationen und Risiken behaftet, die in den Abwägungsprozess einzustellen sind.552 542 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 53; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 89 m.w. N., gibt das Risiko mit 1,5% für Neugeborene und Kinder unter einem Jahr an und mit 6% für Kinder, die älter als ein Jahr sind, allerdings einschließlich medizinisch indizierter Zirkumzisionen, die ohnehin mit einem höheren Risiko behaftet sind; WHO, Information package, Insert 3, S. 1, gibt die Komplikationsrate mit 0,2% an; Hakenberg, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 5, mit unter 3%; Mazyek, Stellungnahme, S. 2, mit 0,09%; Kramer, Stellungnahme, S. 9, mit 0,19% für ärztliche Beschneidungen und mit 0,13% für die Durchführung durch einen Mohel. 543 Gollaher, S. 181 f., insbesondere in letzteren Fällen in den USA häufig einhergehend mit Schadensersatzforderungen der Eltern; im Erfolgsfall verbunden mit zum Teil aufsehenerregenden Schadensersatzsummen von bis zu 22,8 Mio. Dollar. 544 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e772 ff. 545 Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 89 m.w. N. 546 Diese Komplikation tritt bei bis zu 32% der Neugeborenenzirkumzisionen auf, vgl. Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 53. 547 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e772 ff. Siehe zu den möglichen Risiken und Folgen einer Zirkumzision auch Deusel, Mein Bund, S. 23. 548 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798; Schäfer/Stehr, S. 117 f. 549 So Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 411. 550 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798. 551 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e773 ff.
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(2) Die Verursachung von Schmerzen durch den Eingriff In medizinischen Fachkreisen war lange Zeit die Auffassung vorherrschend, ein Neugeborener habe bei der Beschneidung kein – jedenfalls nicht einem Erwachsenen vergleichbares – Schmerzempfinden. Dies ergebe sich daraus, dass die Nervenenden des Penis bei Neugeborenen bzw. deren Schmerzbewusstsein im Gehirn noch nicht ausgeprägt sei.553 Diese Einschätzung ist nach heutigen medizinischen Erkenntnissen nicht mehr haltbar.554 Inzwischen besteht Einigkeit, dass das kindliche Schmerzempfinden bereits zwischen der 35. und 37. Schwangerschaftswoche voll ausgebildet ist.555 Diametral zu der lange geltenden Meinung ist es vielmehr so, dass Neugeborene mehr Schmerz empfinden als Erwachsene, da das schmerzunterdrückende System noch nicht voll ausgebildet ist.556 Dass Neugeborene bei der Zirkumzision Schmerzen erleiden, konnte darüber hinaus durch objektive biochemische Parameter, die Schmerzempfinden anzeigen, belegt werden: Der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt, der Anteil des Stresshormons Cortisol nimmt zu und der Säugling beginnt zu schreien.557 Besonders gefährlich ist, dass Neugeborene ihren Schmerz nur unzureichend ausdrücken können. Die Kinder können sich der Situation nicht entziehen und ergeben sich ihrem Schicksal, indem sie sich kognitiv zurückziehen und in einen tranceähnlichen Zustand verfallen.558 (3) Gewalterfahrung mit potenzieller psychopathologischer Belastungsreaktion Die Auswirkungen von Gewalterfahrungen im Säuglings- und Kindesalter auf das spätere Leben sind nur schwer nachzuweisen.559 Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse über die möglichen psychischen Spätfolgen einer in diesem Alter durchgeführten Zirkumzision.560 Dass zirkumzidierte Väter ihre Söhne ebenfalls 552 Zu dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung und den daraus folgenden Konsequenzen unter E. VI. 4. e) sowie E. VI. 5. e). 553 Dazu Gollaher, S. 185. 554 So u. a. Das Präsidium der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. m.w. N.; Schäfer/ Stehr, S. 121 ff. 555 Hartmann, Stellungnahme, S. 4. 556 Interview mit Prof. Dr. Zernikow, vgl. Zernikow, S. 133. 557 Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Urologen, in: Preuk; Gollaher, S. 187; van Howe/Svoboda/Dwyer u. a., S. 67; dazu auch Paix/Peterson, S. 512. 558 Paix/Peterson, S. 512. 559 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 13; so auch Brumlik, in: Heil/Kramer, S. 228; Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Urologen, in: Preuk, nimmt an, dass seelische Traumata zumindest bei der Beschneidung ohne Betäubung möglich sind, auch wenn die Kinder sich später nicht mehr bewusst an das Geschehen erinnern. 560 So American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e773 ff.
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beschneiden lassen, lässt sich nicht als ausreichendes Argument gegen traumatische Erfahrungen fruchtbar machen. Neben die Vermutung, dass die betroffenen Väter sich einem gesellschaftlichen Druck beugen, tritt die Möglichkeit, dass sie die erlebten Traumatisierungen später in gleicher Weise aktiv weitergeben.561 Auch gibt es Anzeichen für ein erhöhtes Schmerzempfinden zirkumzidierter Kinder. Diese reagierten im Alter von vier bis sechs Monaten deutlich heftiger auf Schmerzen beim Impfen als die Kinder aus der Vergleichsgruppe.562 Möglicherweise kann die Zirkumzision auch negative Auswirkungen auf die kindliche Hirnentwicklung sowie auf das Vertrauen des Kindes in die eigene Mutter haben. Für eine überprüfungssichere Aussage fehlt es allerdings an gesicherten Langzeiterfahrungen.563 (4) Psychosexuelle Störungen und Sensibilitätsverlust Die Zirkumzision kann mit einem Sensibilitätsverlust an der Stelle des Eingriffs einhergehen, der mit steigendem Alter zunimmt564 und Auswirkungen auf das Sexualleben des Betroffenen haben kann. Mit der Zirkumzision wird der empfindlichste Teil des Penis entfernt.565 Das Auftreten eines Sensibilitätsverlusts sowie dessen Auswirkungen werden unterschiedlich beurteilt. Die Einschätzungen reichen von „erheblichen Einschränkungen des sexuellen Erlebens“ 566 über keinerlei Auswirkungen in diesem Bereich567 bis hin zu einem positiven Erleben des eintretenden Sensibilitätsverlusts568. Daher kann allein aus dem Fakt, dass ein Sensibilitätsverlust eintritt, noch keine Aussage über einen „sexualmedizinisch nachteiligen Befund“ getroffen werden.569 Im Ergebnis ist nicht hinreichend erforscht, ob die Zirkumzision tatsächlich mit einem veränderten sexuellen Empfinden der Betroffenen einhergeht.570 Gerade bei der Beschneidung im Kin561
Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 180, allerdings ohne Beleg. So Gollaher, S. 190; so auch Dunsmuir/Gordon, S. 2. 563 Berger/Hasgall/Hüber u. a., S. 15; Das Präsidium der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. 564 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 53; Sorrells/Snyder/Reiss u. a., S. 864. 565 Sorrells/Snyder/Reiss u. a., S. 864. 566 Hartmann, Stellungnahme, S. 2, gibt so die Schilderungen Betroffener wieder. Ähnlich auch Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 53, mit einer ausführlichen Begründung. Frisch/Lindholm/Grønbæk, S. 1367. Zirkumzidierte dänische Männer leiden häufiger unter Orgasmusschwierigkeiten als unbeschnittene Männer. 567 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e769 ff.; Deusel, Medizinische Aspekte, S. 189; Payne/Thaller/Kukkonen u. a., S. 667; Kim/Pang, S. 619, haben hinsichtlich Sexualtrieb, Erektion und Samenerguss keinen belastbaren Unterschied ausgemacht. 568 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 53. 569 Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 134 Fn. 98. 570 Hakenberg, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 5, 57. 562
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desalter fehlen – aufgrund der fehlenden Vergleichsmöglichkeit bzgl. der Sexualität – valide Datensätze.571 cc) Das Verhältnis der Risiken zu dem Nutzen einer Zirkumzision Die elterliche Entscheidung kann eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision nur decken, wenn sich Nutzen und Risiko des Eingriffs in einen Ausgleich bringen lassen, der die Belange des Kindes hinreichend berücksichtigt. Die mit dem Eingriff verbundenen Gefahren sind nicht aus sich heraus von einer solchen Intensität, dass der Eingriff generell verboten werden müsste.572 Ob der Nutzen des Eingriffs die Risiken überwiegt, orientiert sich an Schweregrad und Häufigkeit der zu verhindernden Erkrankungen sowie der Wahrscheinlichkeit, mit welcher sich die Erkrankungen durch eine Zirkumzision verhindern lassen.573 Eine Zirkumzision ist nicht sicher geeignet, Harnwegsinfektionen im Kindesalter zu vermeiden.574 Zudem handelt es sich bei einem Harnwegsinfekt um eine leichte Erkrankung, die gut mit Antibiotika therapierbar ist.575 Die Krankheit tritt insgesamt so selten auf, dass 100 Zirkumzisionen notwendig wären, um eine Infektion zu verhindern.576 Die Risiken des Eingriffs bleiben bestehen. Isoliert auf die Möglichkeit, eine Harnwegsinfektion zu vermeiden betrachtet, bildet die Zirkumzision kein adäquates Mittel.577 Die Risiken des prophylaktischen Eingriffs sind schwerwiegender und häufiger als die zu vermeidende Erkrankung. Auch mit Blick auf potenziell vermeidbare Geschlechtskrankheiten bestehen erhebliche Zweifel in Bezug auf die Wirkkraft einer Zirkumzision.578 HIV-Infektionen treten in Deutschland insgesamt nur selten und hauptsächlich innerhalb der Gruppe „Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)“ auf.579 Aufgrund der 571
Hakenberg, Stellungnahme. So auch Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 141 Fn. 35; Valerius, S. 485, aus einem Vergleich zu AMG und TPG. Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 152. Zu der absoluten Grenze elterlicher Einwilligungsmöglichkeit in diesem Zusammenhang auch unter E. VI. 1. c). 573 Dazu auch oben E. VI. 2. a). 574 Dazu bereits oben E. VI. 2. b) aa) (1) (a). 575 Kupferschmid, S. 97. 576 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797; Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 51 f. Andere Studien gehen davon aus, dass die Komplikationsrate bei der Beschneidung selbst auf unter 1% sinken müsste, um einen Vorteil für einen aus 1.000 Jungen zu erreichen, vgl. Gollaher, S. 210. 577 So auch Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 796, 798 f. 578 Dazu Stehr in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, in: Szent-Ivanyi/ Timot; Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797. 579 Die Zahl an HIV-Neuinfektionen wurde für 2013 auf 3.200 geschätzt, vgl. Robert Koch-Institut, Aktuelle Daten, S. 430. 75% der Neudiagnosen betreffen Männer aus der Gruppe MSM (S. 432). Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 89. 572
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Schwere dieser Erkrankung fällt das Abwägungsergebnis allerdings nicht eindeutig aus. Die mit einer HIV-Infektion verknüpften Folgen können ausreichen, die Zirkumzision trotz ihrer Risiken als taugliches Mittel zur Krankheitsvermeidung zu akzeptieren. Denn in diesem Fall ließen sich, wenn auch seltene, schwerwiegende Folgen durch einen im Vergleich dazu relativ risikoarmen Eingriff beseitigen. In Kombination dazu kann eine Zirkumzision geeignet sein, die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Peniskarzinoms zu reduzieren.580 Das Peniskarzinom ist eine der seltensten Krebsformen in der westlichen Welt. In Deutschland erkranken jährlich ca. 900 Männer an Krebs an den Geschlechtsorganen.581 Die Wahrscheinlichkeit an einem Peniskarzinom zu erkranken liegt damit bei ca. 0,002%.582 Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Zirkumzision zu Komplikationen kommt, ist folglich höher als die Wahrscheinlichkeit mit der Zirkumzision ein Peniskarzinom zu verhindern.583 Tritt die Krankheit auf, bestehen zudem gute Heilungschancen und eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit.584 Die Zirkumzision ist aus diesem Grund kein verhältnismäßiges Mittel zur Vermeidung eines Peniskarzinoms. Gleiches gilt für die Vermeidung von Gebärmutterhalskrebs bei den Sexualpartnerinnen beschnittener Männer. Dieser kollektive Nutzen kann – jedenfalls neben dem individuellen Nutzen – einbezogen werden. Allerdings entwickelt sich diese Krebsart in Deutschland bei lediglich ca. 0,01% der Frauen.585 Damit ist auch hier die Wahrscheinlichkeit zu erkranken geringer als die Komplikationsrate bei der Zirkumzision. Gleichzeitig sind die Anforderungen an diesen Nutzen höher, da er nicht bei dem betroffenen Jungen selbst entsteht.
580
Dazu auch E. VI. 2. b) aa) (1) (c). Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 128, weist für Peniskrebs, einschließlich Krebs an sonstigen männlichen Geschlechtsorganen für das Jahr 2009/2010 eine Zahl von 890 Neuerkrankungen aus. Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797: Ca. einer aus 100.000 Männern erkrankt pro Jahr. Für die USA hat die AAP für den Zeitraum 1993–2002 eine Zahl von 0,58 aus 100.000 Fällen eines bösartigen Peniskrebses ermittelt, vgl. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e768 ff. 582 Das Ergebnis gilt für Krebs an den männlichen Geschlechtsorganen insgesamt, ausgehend von 40 Mio. Männern in Deutschland (vgl. dazu statista). 583 American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e768 ff. Gollaher, S. 196, geht, ohne abschließende Zahlen zu nennen, von 140 notwendigen Zirkumzisionen pro Woche und Arzt aus, um eine Krebserkrankung zu verhindern. 584 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797. 585 Ausgehend von 41 Mio. Frauen in Deutschland (vgl. statista). Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 76: Im Jahr 2010 erkrankten in Deutschland ca. 4.700 Frauen an einem Zervixkarzinom; die Schätzungen für 2014 belaufen sich auf 4.600. 581
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Die Zirkumzision kann, isoliert betrachtet, kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zeichnen. Ein sicherer gesundheitsprophylaktischer Nutzen kann ihr nicht zugesprochen werden,586 die zu vermeidenden Krankheiten treten selten auf 587 und verlaufen regelmäßig harmlos. Allerdings muss, um den Eingriff als unangemessen abzulehnen, auch die Gesamtbilanz der Zirkumzision mit Blick auf die Krankheitsvermeidung negativ sein. Gesundheitsprophylaktischen Eingriffen ist dabei immanent, dass sich die Schutzwirkung für den Einzelnen nicht sicher prognostizieren lässt. Unterstellt, die Zirkumzision ist geeignet, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der genannten Krankheiten zu reduzieren, kann dies ausreichen, um die Entscheidung für eine Zirkumzision über die Schwelle der Rechtmäßigkeit zu tragen. Denn insgesamt handelt es sich bei der Zirkumzision um einen komplikationsarmen Eingriff, der mit nur wenigen, leichten Risiken verbunden ist.588 Die Tatsache, dass die Zirkumzision u. U. keine gesundheitsprophylaktische Wirkung erzielen kann, ist indes keine Eingriffskomplikation, sondern im Rahmen der Nutzendefinition bereits hinreichend berücksichtigt.589 Die Seltenheit sowie die Schwere der auftretenden Komplikationen können im Rahmen der Abwägung die fehlende Sicherheit der Krankheitsvermeidung überwinden und für eine generelle Zulässigkeit der Zirkumzision einstehen. Hinzu kommt, dass die Zirkumzision jedenfalls einen mittelbaren Vorteil leistet. Sie erleichtert die Einhaltung der Intimhygiene im Alltag, was wiederum Infektionsund Geschlechtskrankheiten vermeiden kann.590 dd) Das Risiko-Nutzen-Verhältnis unter Einbeziehung von Alternativen Eine umfassende Verhältnismäßigkeitsabwägung erfordert allerdings auch das Einbeziehen von Alternativen, die das gewünschte Ergebnis mit geringerer Eingriffswirkung erreichen können.591 Eine Alternative kann das Abwarten der kindlichen Selbstbestimmungsfähigkeit sein. Der Eingriff zum Zeitpunkt der Einwilligungsunfähigkeit ist jedenfalls nicht erforderlich, wenn das Abwarten bis zum Eintritt der Entscheidungsfähigkeit des Betroffenen keinen Einfluss auf den Nutzen und die Risiken der prophylaktischen Beschneidung hat592 bzw. der Nutzen durch alternative, weniger einschneidende Maßnahmen gleichfalls erreichbar ist.
586 So auch Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 52; Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Urologen, in: Preuk; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413. 587 Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 89. 588 Dazu bereits oben E. VI. 2. b) bb). So auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 153. 589 So auch für die Wirkungslosigkeit von Arzneimitteln als schädliche Wirkung Brock/Stoll, in: Kügel/Müller/Hofmann, § 84 AMG, Rn. 77. 590 Deusel, Mein Bund, S. 144; Yalçin, S. 383. 591 Dazu bereits oben E. VI. 2. a). 592 Ähnlich auch Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797.
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(1) Änderung von Nutzen und/oder Risiko durch Abwarten der Einwilligungsfähigkeit Wird die Zirkumzisionsentscheidung in das einwilligungsfähige Alter des Betroffenen verlagert, geht dieser des Schutzes vor Harnwegsinfektionen, soweit ein solcher überhaupt angenommen werden kann, und der verbesserten Hygienesituation im Kindesalter verlustig. Denn die Zirkumzision soll insbesondere vor Harnwegsinfektionen im Kindesalter schützen. Der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten beim Mann und seiner Sexualpartnerin wird erst virulent, wenn der Betroffene sexuelle Kontakte pflegt. In Deutschland ist dies für Jungen im Schnitt mit ca. 16 Jahren593 und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen meist angenommen werden kann.594 Der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten beim Mann reduziert sich durch das Abwarten nicht notwendig. Etwas anderes gilt, wenn der Junge bereits vor seiner Beschneidung sexuell aktiv wurde und sich mit einer übertragbaren Geschlechtskrankheit infiziert hat595 oder sich bewusst gegen eine Beschneidung entscheidet. Dann lässt sich dieser Nutzen mit einer Beschneidung nicht mehr erreichen. Der Schutz für potenzielle Sexualpartnerinnen dieses Mannes besteht dann ebenfalls nicht mehr. Durch die Beschneidung im frühen Kindesalter kann möglicherweise auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Sexualpartnerin an Gebärmutterhalskrebs erkrankt, reduziert werden. Dies soll durch die verminderte Wahrscheinlichkeit der Erkrankung bei Frauen jüdischer Männer im Vergleich zu Frauen muslimischer Männer belegt sein.596 Ein Peniskarzinom tritt zwar häufig erst im fortgeschrittenen Alter auf und lässt sich in der Folge durch eine Zirkumzision zu einem späteren Zeitpunkt vermeiden.597 Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Zirkumzision im frühen Kindesalter die Chance zur Vermeidung eines Peniskarzinoms zusätzlich erhöht.598 Nicht verhindert wird die Entscheidung des Mannes, sich aufgrund der zu einem späteren Zeitpunkt verbesserten Hygienesituation, der Vorliebe eines beschnittenen Gliedes bei Frauen oder zur Steigerung des eigenen Lustempfindens beschneiden zu lassen. Insgesamt erwachsen damit aus einer Beschneidung im frühen Kindesalter Vorteile, die sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erreichen lassen. Damit steht dem Vor-
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, S. 109. Siehe dazu im Detail oben D. IV. 1. c). 595 Dies als Argument für die Beschneidung im Kindesalter anbringend American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e760 ff. 596 So Deusel, Mein Bund, S. 140 f. 597 Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797. Das durchschnittliche Erkrankungsalter lag 2009/2010 bei 70 Jahren, vgl. Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 128. 598 So jedenfalls Deusel, Mein Bund, S. 139 f. 594
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teil der selbstbestimmten Entscheidung der Nachteil einer reduzierten Nutzenwahrscheinlichkeit gegenüber. Diese darf im Rahmen der Gesamtbetrachtung allerdings nicht überbewertet werden. Die Zirkumzision ist kein taugliches Mittel zur Verhinderung von Harnwegsinfektionen im Kindesalter und Peniskarzinomen, da das Risiko des Eingriffs höher ist als die Vermeidungswahrscheinlichkeit dieser Krankheiten. Ähnliches gilt für die Vermeidung sexuell übertragbarer Krankheiten.599 Wird angenommen, dass die Zirkumzision geeignet ist, die Übertragungswahrscheinlichkeit auch für Deutschland zu reduzieren, kann jedenfalls der Zeitpunkt abgewartet werden, zu welchem der Betroffene seine Meinung zu dem Eingriff äußern kann. Die eigene Meinung kann bei Minderjährigen, die bereits sexuelle Kontakte pflegen, jedenfalls Berücksichtigung finden. Dennoch verringert sich der ohnehin geringe körperliche Nutzen einer Zirkumzision durch das Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt zusätzlich. Gleichzeitig ist die Beurteilung allein des möglichen Nutzenverlustes nicht ausreichend, um abzuschätzen, ob ein Abwarten bis zur Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen noch verhältnismäßig ist. Auch die Reduktion respektive Steigerung des mit dem Eingriff verbundenen Risikos ist zu beachten. Das mit einer Zirkumzision verbundene Infektionsrisiko wird durch die Möglichkeit sexueller Aktivitäten während des Heilungsprozesses im Anschluss an den Eingriff erhöht. In dieser Phase werden Geschlechtskrankheiten durch sexuelle Kontakte mit erhöhter Wahrscheinlichkeit übertragen.600 Das ist allerdings der Risikosphäre des Zirkumzidierten und nicht dem Eingriff als solchem zuzurechnen. Hält sich der Zirkumzidierte an die ärztlichen Vorgaben zur Heilung, wird das Risiko, sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit zu infizieren, nicht erhöht. Bei Neugeborenen heilt die Wunde im Vergleich zu älteren Kindern und Erwachsenen allerdings schneller ab, wodurch sich gleichzeitig die Infektionsgefahr reduziert.601 Allerdings kommt die Wunde bei Neugeborenen fortwährend mit der Windel sowie Urin und Fäkalien in Berührung, was die Infektionsgefahr wiederum erhöht.602 Das Abwarten der Einwilligungsfähigkeit führt folglich zu einer Reduktion der Nutzenwahrscheinlichkeit einer Zirkumzision, ohne das Eingriffsrisiko entscheidend zu verändern.
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Dazu bereits E. VI. 2. b) cc). American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e760 ff. 601 So angenommen von Graf/Fellmann/Müller: In dem Jüdischen Krankenhaus in Berlin wurden bei Neugeborenenbeschneidungen innerhalb dieses Zeitraums keine Infektionen entwickelt. WHO, Information package, Insert 3, S. 1: Für Erwachsene ist von einer Heilungsphase von vier bis sechs Wochen auszugehen, während die Heilungsphase nach der Neugeborenenzirkumzision gewöhnlich nur eine Woche beträgt; BTDrucks. 17/11295, S. 7; Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 9. 602 So Paix/Peterson, S. 513. Zu der notwendigen Schmerzbehandlung genauer unter E. VI. 4. e) sowie E. VI. 5. e). 600
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(2) Alternativen zur Zirkumzision Dass das Abwarten den Nutzen einer Zirkumzision zusätzlich mindert, spricht nicht notwendig dafür, sie zu einem frühen Zeitpunkt vorzunehmen, wenn die Nutzenminimierung durch alternative, weniger einschneidende Maßnahmen aufgefangen werden kann. Der Betroffene respektive die Personensorgeberechtigten können die Wahrscheinlichkeit von Infektionskrankheiten durch eine ausreichende Intimhygiene reduzieren.603 Eine Zirkumzision ist dafür nicht notwendig. Lediglich wenn eine ausreichende Intimhygiene nicht eingehalten wird, was in Deutschland nicht an mangelnden strukturellen Voraussetzungen liegen kann, ist die Zirkumzision zu einem Zeitpunkt vor Einwilligungsfähigkeit ein taugliches Schutzinstrument.604 In Deutschland findet die Zirkumzision an Neugeborenen nicht als Routineeingriff statt, sondern beruht vielmehr auf einer positiven elterlichen Entscheidung. Es steht zu vermuten, dass Elternpaare, die sich aus gesundheitsprophylaktischen Gründen für eine nicht unmittelbar indizierte Zirkumzision entscheiden, auch die notwendigen Voraussetzungen einer hinreichenden Intimhygiene einhalten. Das Bewusstsein der Personensorgeberechtigten kann, für weniger intrinsisch motivierte Eltern, durch Aufklärung erreicht werden. Ein prophylaktischer Eingriff in den kindlichen Körper ist aus diesem Grund daher nicht erforderlich. Der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten kann bereits ab dem ersten sexuellen Kontakt durch die Verwendung von Kondomen sowie die Vermeidung von risikoerhöhenden Faktoren, wie z. B. das Rauchen, erreicht werden.605 Die Verwendung von Kondomen ist dabei nicht nur weniger eingriffsintensiv als ein fremdbestimmter körperlicher Eingriff, sondern auch effektiver. Kondome bieten eine nahezu 100%ige Sicherheit gegen die Übertragung sexueller Ansteckungskrankheiten,606 auch für die Sexualpartnerinnen. Gleichsam aus diesem Grund ist ein vorsorgliches Eingreifen nicht angezeigt. Dass der Einsatz entsprechender Verhütungsmittel möglicherweise unterbleibt, kann für sich genommen kein Argument für die Beschneidung im frühen Kindesalter sein. Auch hier ist die Aufklärung der Bevölkerung vorzugswürdig. Die Verwendung von Kondomen reduziert zudem auch die Entstehungswahrscheinlichkeit von Gebärmutterhalskrebs bei Sexualpartnerinnen. Die Schutzwirkung des Kondoms verhindert die Übertragung von Viren auf die Frau, die sich am Penis befinden und für die Entstehung 603
So auch OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). Deusel, Mein Bund, S. 144; Yalçin, S. 383. 605 Dazu Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 797; Gollaher, S. 195. 606 Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 52; Hakenberg, Stellungnahme; Frisch/Aigrain/Barauskas, S. 798. Siehe für die Gegenposition u. a. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Cultural Bias and Circumcision, S. 801 ff. Kondome seien nicht ausreichend, um das Übertragungsrisiko von sexuell übertragbaren Krankheiten einzudämmen, da trotz Aufklärung immer noch viele Menschen sexuellen Verkehr ohne Kondome praktizieren würden (S. 803). 604
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von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sein können.607 Zusätzlich haben Mädchen auch die Möglichkeit, sich durch eine Impfung zu schützen.608 Gegen bestimmte Viren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen können, bietet die Impfung einen umfassenden Schutz.609 Die STIKO spricht für Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren eine entsprechende Impfempfehlung aus.610 Als empfohlene gesundheitsprophylaktische Maßnahme am eigenen Körper geht die Impfung der Zirkumzision auch vor.611 Damit bestehen lediglich für die Vermeidung eines Peniskarzinoms keine tauglichen Alternativmaßnahmen, die vergleichbar wirken, wie die Alternativmaßnahmen zur Vermeidung der übrigen Krankheiten. Diese Erkrankung ist allerdings nicht allein geeignet, ein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis zu begründen.612 Dies gilt insbesondere unter Einbeziehung der Risiken, die mit dem Eingriff verbunden bleiben. c) Implikation der Ergebnisse unter besonderer Beachtung des Elternrechts Die objektive Kosten-Nutzen-Bilanz einer Zirkumzision kann diese nicht als positiv wirkende gesundheitsprophylaktische Maßnahme beschreiben. Eine staatliche Zirkumzisionsempfehlung oder gar -verpflichtung kann auf dieser Grundlage nicht ausgesprochen werden. Das würde insbesondere das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit unangemessen beeinträchtigen. Das allein steht der elterlichen Entscheidung für eine Zirkumzision nicht entgegen. Die Eltern sind nicht für jeden körperlichen Eingriff an ihrem Kind auf eine ausdrückliche staatliche Legitimation angewiesen. Auch nicht von der STIKO empfohlene Impfungen stehen nicht notwendig außerhalb der elterlichen Entscheidungsbefugnis.613 Vielmehr gilt umgekehrt, dass der Staat beim Schutz der kindlichen Unversehrtheit die Rechte der Eltern auf Pflege und Erziehung des Kindes angemessen berücksichtigen muss.614 Die staatliche Schutzpflicht findet ihre Grenze am Übermaßverbot. Durch das Gebot, die Freiheitssphäre der Bürger nicht über Maß zu beschränken, wird die obere Grenze der staatlichen Handlungsverpflichtung festgeschrieben.615 Das Elternrecht ist dabei allerdings nicht in Anschlag zu bringen, wenn es sich bei einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision nicht um einen Akt der 607
Robert Koch-Institut, Neuerungen, S. 342. Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung, S. 76. 609 Robert Koch-Institut, Impfungen, S. 320, Studien zeigen eine Wirksamkeit der Impfung gegen HPV 16 und HPV 18 von 97% bis 100%. 610 Robert Koch-Institut, Neuerungen, S. 343. 611 Vgl. zu Schutzimpfungen auch oben E. VI. 2. a) aa). 612 Siehe dazu bereits oben E. VI. 2. b) cc). 613 Siehe dazu bereits E. VI. 2. a) aa). 614 Dazu E. VI. 615 Lang, in: Epping/Hillgruber, Art. 2 GG, Rn. 76. 608
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Pflege oder Erziehung des Kindes handelt. Die elterliche Entscheidung in diesem Bereich kann einen Akt der Pflege darstellen, wenn sie dem körperlichen Wohl des Kindes zu dienen bestimmt ist.616 Erzieherische Elemente beinhaltet eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision nicht. Sie dient nicht der geistig-seelischen Entwicklung des Kindes. Die elterliche Motivation beschränkt sich auf die Herstellung eines körperlichen Nutzens. Dem Eingriff könnte aufgrund seiner negativen Kosten-Nutzen-Bilanz bereits der pflegende Charakter abgesprochen werden. Denn insgesamt kann der Eingriff nicht dem körperlichen Wohl des Kindes dienen. Die negative Aussage bezieht sich allerdings auf eine Gesamtbetrachtung. Einzelne Vorteile der Zirkumzision können, soweit die Risiken des Eingriffs und mögliche Alternativen ausgeblendet werden, dem körperlichen Wohl dienen.617 Das entspricht gerade auch der elterlichen Motivation. Versteht man den Pflegebegriff in dieser Art, kann dem auch die Entscheidung für eine Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen Gründen genügen. Das verengt den Schutz des Kindes auch nicht unzulässig. Denn die Eltern haben bei ihrer Zirkumzisionsentscheidung, wie bei jeder Entscheidung für das Kind, das Kindeswohl zu beachten.618 Das Elternrecht kann daher auch bei einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision in die Abwägung eingestellt werden. Bei Ausformung des Kindeswohls kann die gesamte Kosten-Nutzen-Abwägung des Eingriffs in Anschlag gebracht werden. Es ist daher nicht entscheidend, ob bereits das pflegende Element einer Zirkumzision verneint wird. Insgesamt hat die Zirkumzision keinen, nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen zu erreichenden, Nutzen, der die mit ihm verbundenen Risiken angemessen nivelliert.619 Allein der Präventionsgedanke trägt den Eingriff an einem einwilligungsunfähigen Kind im Ergebnis nicht. Die hygienischen Voraussetzungen sowie die Aufgeklärtheit der Bevölkerung bzw. die Möglichkeiten dazu machen eine Zirkumzision im selbstbestimmungsunfähigen Alter des Kindes unnötig.620 Mit Eintritt 616
Dazu bereits oben E. IV. 1. b) aa). Vgl. E. VI. 2. b) aa). 618 Dazu E. IV. 1. c). 619 Dazu detailliert E. VI. 2. b). A. A. Bartsch, S. 607; Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 15; BT-Drucks. 17/11430, S. 9: Eine eindeutige Aussage über das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Zirkumzision sei nicht möglich. Daher liege die Entscheidungsbefugnis bei den Eltern. Hörnle/Huster, S. 337 ff., sieht in dieser Situation den Gesetzgeber verpflichtet, eine Entscheidung zu treffen. § 1631d BGB genüge diesem Bedürfnis. Ein Verbot der Beschneidung sei gleichfalls denkbar gewesen. 620 So im Ergebnis auch LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 7. Alatovic/Helmken, S. 123; Deusel, Mein Bund, S. 144; Exner, S. 54; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9 ff.; Hakenberg, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 5; Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 6; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 488; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 303 ff.; Hoppe, S. 30; Isensee, S. 321; Kempf, S. 438; so auch – mit Beschränkung der Aussage auf Europa – Magheli/Hakenberg, S. 6; Putzke/Dietz/Stehr, 617
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der Einsichts- und Urteilsfähigkeit steht die Entscheidung dem Betroffenen als Ausfluss seines Selbstbestimmungsrechts allein zu. Er kann sich entscheiden, ob der Nutzen einer Zirkumzision für ihn persönlich besteht und ob er bereit ist, die damit verbundenen Risiken zu tragen. Die Personensorgeberechtigten sollen dieses Recht nicht durch eine paternalistische Entscheidung umgehen und damit die spätere Entscheidung des Betroffenen vereiteln. Den Eltern die Entscheidung für eine Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen Gründen zu versagen, beeinträchtigt das elterliche Entscheidungsrecht dabei auch nicht mit unangemessener Intensität.621 Der Staat hat zum Schutz des betroffenen Kindes die Möglichkeit, den Kindeswohlbegriff im Zusammenhang mit einer gesundheitsprophylaktischen Beschneidung in allgemeingültiger Weise dergestalt auszuformen, dass ein solcher Eingriff dem kindlichen Wohl nicht gerecht werden kann. Es ist für eine staatliche Regulierung nicht notwendig, dass die elterliche Zirkumzisionsentscheidung in jedem Fall eine Kindeswohlgefährdung und damit einen elterlichen Sorgerechtsmissbrauch darstellt.622 Auch in anderen Bereichen hat der Gesetzgeber die elterliche Erziehungsverantwortung eingeschränkt, ohne dass eine generelle Kindeswohlgefährdung anzunehmen war. So muss nicht jede Bluttransfusion, Knochenmarkspende oder Arzneimittelprüfung an gesunden Minderjährigen das Kindeswohl generell gefährden.623 Insbesondere die Entnahme von Blut ist S. 5; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 375 f.; Steinbach, S. 8; Tröbs/Becker/ Burkhardt, S. 3; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1113; Wiater, S. 1381; Yalçin, S. 383; a. A. Kramer, Stellungnahme, S. 7; Mazyek, Stellungnahme, S. 4; American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e756 ff., e761, e778. Für diesen Artikel wurden 1.031 relevante Artikel ausgewertet (e761). Die AAP wählt allerdings einen in Deutschland unzulässigen Ansatzpunkt, wenn sie die Zirkumzision als kosteneffektive Maßnahme zur Vermeidung von HIV ausweist (vgl. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e775 ff., e777). Bei der medizinischen Kosten-Nutzen-Rechnung müssen sich in Deutschland primär der individuelle Nutzen der Zirkumzision und deren individuelle Risiken und Komplikationen gegenüberstehen. So auch Hörnle/Huster, S. 336; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 359. 621 So auch Alatovic/Helmken, S. 132; Grams, S. 336; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 95; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 473; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 290 f.; Hörnle/Huster, S. 338; Schramm, Ehe und Familie, S. 230 f.; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413; Steinbach, S. 10. Kreß, S. 684, sieht in der Beschneidung eine nicht zu rechtfertigende Verletzung kindlicher Rechte, will, zur Wahrung des Friedens, die Beschneidung aber straffrei stellen. Dies ist mit dieser Begründung nicht haltbar. Wenn die Rechte des Kindes der Zulassung einer Beschneidung entgegenstehen, können politische Motive nicht ausreichen, um die Beschneidung zu erlauben. 622 A. A. Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 134 ff.; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 153; Germann, Vorgaben des Grundgesetzes, S. 40; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 414; Hörnle/Huster, S. 332; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259 f.; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 36; Rox, Anmerkung, S. 808; Steiner, S. 289; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 16; Wüstenberg, Genitalverstümmelung, S. 226; Yalçin, S. 382 f. 623 Zu den Regelungen im Einzelnen auch unter E. VI. 2. b) aa) (2).
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nur mit geringen, noch dazu kurzfristigen Beeinträchtigungen des kindlichen Körpers verbunden. Gleiches gilt für die Knochenmarkspende. Diese birgt nur geringe Risiken, insbesondere das allgemeine Narkoserisiko.624 Auch in diesen Bereichen hat der Staat die elterliche Erziehungsverantwortung eingeschränkt, um Eingriffe, die dem Wohl des Kindes im Ergebnis nicht dienen können, auszuschließen. Es ist dafür nicht notwendig, dass der Eingriff nachweisbar mit Spätschäden einhergeht oder solche zumindest höchstwahrscheinlich sind.625 Diese Auffassung wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die elterlichen Erziehungsmethoden ebenfalls einfachgesetzlich reglementiert sind (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB),626 obwohl nicht jede unzulässige Erziehungsmethode gleichzeitig eine Kindeswohlgefährdung verursacht, die ein staatliches Einschreiten, in diesem Fall nach § 1666 Abs. 1 BGB, notwendig macht.627 Für einen staatlichen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht einen Missbrauch der elterlichen Sorge oder eine Kindeswohlgefährdung zu fordern, geht daher fehl. Gefährdet die Zirkumzision im Einzelfall das Kindeswohl, hat der Staat bereits aufgrund der Verpflichtung in § 1666 Abs. 1 BGB einzugreifen. Die staatliche Ausgestaltung des Kindeswohls im Einzelfall ist daher nicht generell mit dem Elternrecht unvereinbar. Ob das staatliche Verbot an die Eltern, in eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision einzuwilligen, den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überschreitet, hängt entscheidend von der Intensität des Eingriffs ab. Das Elternrecht wäre jedenfalls unangemessen beeinträchtigt, wenn ein staatliches Eingreifen bereits dann gefordert wäre, wenn die Eltern den Nachweis fehlender Risiken des Eingriffs nicht erbringen könnten.628 Auch Alltagsentscheidungen der Eltern für ihr Kind sind regelmäßig mit Risiken verbunden. Dafür genügt bereits die Teilnahme am Straßenverkehr oder die Einwilligung in einen medizinischen oder gesundheitsprophylaktischen Routineeingriff. In die Gewichtung einzustellen ist, wie gravierend das Verbot einer gesundheitsprophylaktischen Zirkumzision die Eltern in ihrer Entscheidungsverantwortung tangiert. Dieser Eingriff ist von geringer Intensität. Das Verbot greift nicht nachhaltig in die elterliche Entscheidungsbefugnis ein. Das elterliche Erziehungskonzept und die primäre Verantwortung der Eltern für das Kind betreffende Entscheidungen, werden dadurch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Der Staat gibt keine individuellen Erziehungsziele vor, sondern trifft eine allgemeingültige Wertung. Lediglich ein überflüssiger Eingriff in den kindlichen Körper wird untersagt. Gleichzeitig wird das be624
Schmidt-Recla, S. 566. So aber Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 416, 420; Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 92, der aus diesem Grund eine medizinisch nicht indizierte Zirkumzision in die elterliche Entscheidungsbefugnis stellen will. 626 Zur Bedeutung dieser Vorschrift im Zusammenhang mit der elterlichen Zirkumzisionsentscheidung auch unter E. V. 3. b) bb). 627 Dazu genauer D. IV. 3. 628 So auch Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 38, Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465. 625
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sonders schützenswerte Gut der körperlichen Unversehrtheit des Kindes durch ein Versagen der elterlichen Einwilligungserlaubnis gestärkt. Die elterliche Einwilligung in eine Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen Gründen verstößt insgesamt gegen das Wohl des Kindes und ruft die staatliche Schutzpflicht dergestalt auf den Plan, dass eine elterliche Einwilligung ausscheiden muss. Die Möglichkeit, in eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision einzuwilligen, ist daher von der elterlichen Bestimmungsmacht auszunehmen. Das wird den kindlichen Rechten am ehesten gerecht und beeinträchtigt die elterliche Entscheidungsbefugnis nicht über Maß. Es ist daher das Ergebnis der Grundrechtsabwägung nach den Regeln der praktischen Konkordanz. d) Vereinbarkeit der Erkenntnisse mit § 1631d BGB Das Ergebnis der grundrechtlichen Abwägungsentscheidung muss sich auch in § 1631d BGB wiederfinden. Die Regelung ermöglicht nach ihrem Wortlaut auch die Einwilligung in eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision.629 Da sich dies mit der staatlichen Schutzverpflichtung und dem Kindeswohlvorbehalt des Elternrechts nicht in Einklang bringen lässt, verstößt die Vorschrift gegen das Grundgesetz, wenn die gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision nicht aus anderen Gründen von der elterlichen Einwilligungsbefugnis des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ausgenommen ist. Die Zirkumzision kann eine Gefährdung des Kindeswohls i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB630 begründen und bereits deshalb nicht von der elterlichen Entscheidungsbefugnis gedeckt sein.631 Bei der Bestimmung einer Kindeswohlgefährdung sind der Zweck der elterlichen Einwilligung, 629
Das entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen, vgl. BT-Drucks. 17/11295, S. 17 f. 630 Ausdrücklich Kritik an dieser Vorschrift übt u. a. Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 490: Die neue Vorschrift zieht der elterlichen Entscheidungsbefugnis eine Grenze, wo das Kindeswohl gefährdet wird. Dies widerspricht der Wertung aus § 1631b BGB. Es kann nicht darum gehen, Fälle auszuschließen, in denen das Kindeswohl ausnahmsweise gefährdet wird, sondern die Handlung muss grds. dem Wohl des Kindes zuträglich sein. 631 So Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 346. Auch die Zirkumzision aus gesundheitspräventiven Gründen ist ein Verstoß gegen § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB und bereits aus diesem Grund abzulehnen. A. A. Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 260; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 16. Nach ihrer Auffassung umfasst § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB nur Fälle, in welchen die Beschneidung aus gesundheitlichen Gründen des Kindes nicht zu verantworten ist. Die allein gesundheitsprophylaktisch motivierte Beschneidung soll davon nicht gedeckt sein. Dies kann allerdings nicht der alleinige Zweck der Vorschrift sein, da bei entgegenstehenden gesundheitlichen Gründen bereits die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst nicht gegeben ist; siehe dazu E. VI. 4. a) bb). Die Vorschrift muss einen darüber hinausgehenden Zweck verfolgen. So auch OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). Vgl. zu ähnlichen Interpretationsschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Kindeswohlvorbehalt des TPG auch unter E. VI. 3. a) aa).
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das konkrete Verhalten der Personensorgeberechtigten und deren Motiv für den Eingriff sowie das Lebensumfeld des Kindes von entscheidender Bedeutung.632 Was die Vorschrift genau unter einer Kindeswohlgefährdung versteht, ist nicht gesetzlich fixiert. Der Gesetzgeber hatte bei Formulierung der Ausnahme von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit konkret zwei zweckwidrige Motive vor Augen: Die Beschneidung nur aus ästhetischen Gründen oder zur Erschwerung der Masturbation.633 Diese Ausnahmen sind nur beispielhafte Ausfüllungen des unbestimmten Rechtsbegriffs und nicht abschließend zu verstehen. Sonstige zweckwidrige elterliche Motive oder kindeswohlgefährdende Eingriffsumstände lassen sich über diese Vorschrift ebenfalls auffangen. Anhaltspunkte, wie sich die Kindeswohlgefährdung inhaltlich ausgestalten lässt, können sich aus § 1666 Abs. 1 BGB ergeben.634 Die Vorschrift fordert für den Fall einer Kindeswohlgefährdung, die die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind abzuwenden, ein familiengerichtliches Einschreiten. § 1666 Abs. 1 BGB verwendet damit eine dem § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB identische Begrifflichkeit. Der Begriff der Kindeswohlgefährdung im Rahmen des § 1666 Abs. 1 BGB ist durch Rechtsprechung und Literatur bereits konkretisiert. Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, „wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ 635. Eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision verletzt die körperliche Unversehrtheit des Kindes, ohne dieser Schädigung einen angemessenen Nutzen gegenüberzustellen.636 Die Schädigung muss, um eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB zu begründen, auch erheblich sein. Abgesehen von den tatsächlichen, unmittelbaren körperlichen Folgen lassen sich die Auswirkungen des Eingriffs nicht sicher prognostizieren. Dass eine Zirkumzision mit erheblichen Schädigungen einhergeht, ist allerdings nicht ausreichend wahrscheinlich, um eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen.637 Bei der 632 Vgl. auch die Abwägungsentscheidung des OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664), aber auch BT-Drucks. 17/11295, S. 18. Krit. ggü. der Motivkontrolle hingegen Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 273; Merkel, Stellungnahme, S. 5; Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3. 633 BT-Drucks. 17/11295, S. 18. 634 So auch OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). 635 Olzen, in: Säcker/Rixecker, Bd. 8, § 1666 BGB, Rn. 48. So oder ähnlich in BGH, NJW 1956, 1434; BGH, NJW 2005, 672 (673); BGHZ 184, 269 (275); BGH, NJW 2012, 151 (153); OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.1.1984 – Az.: 3 W 8/84, BeckRS 2010, 03646, Rn. 1; OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521 (3521); OLG Saarbrücken, NJWRR 2009, 146 (147). 636 Dazu im Detail E. VI. b) cc)–dd). 637 So, für eine lege artis durchgeführte Zirkumzision, auch Brocke/Weidling, S. 455; Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1128; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 17. AG Düsseldorf Urt. v. 17.11.2004 – 411 DS 60 Js 3518/00: Ein 77jähriger Beschneider wurde zu einer Geld-
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Beurteilung der Schadenswahrscheinlichkeit greift die Regel der umgekehrten Proportionalität. Danach sind „an den Grad der Wahrscheinlichkeit (. . .) umso geringere Anforderungen zu stellen (. . .), je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist“ 638. Eine abstrakte Gefahrenlage ist nicht ausreichend, vielmehr sind konkrete Verdachtsmomente notwendig.639 Ist ein Schaden eingetreten, ist die Gefährdung des Kindeswohls zu bejahen.640 Erhebliche Schädigungen durch eine Zirkumzision, wie der Tod des Kindes oder der Verlust des Gliedes, treten nur in Ausnahmefällen auf641 und sind daher nicht hinreichend wahrscheinlich mit einer Zirkumzision verknüpft, um generell eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB zu begründen. Eine gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision kann, bei gleichartiger Auslegung des Kindeswohlbegriffs in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB, nicht von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit ausgenommen sein. Allerdings spricht das Bestehen des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB dafür, dass der Gesetzgeber auch Konstellationen unter die Ausnahme subsumieren wollte, die nicht gleichzeitig von § 1666 Abs. 1 BGB abgedeckt sind. Ansonsten wäre die Vorschrift ohne eigenen Anwendungsbereich. Für ein weiteres Verständnis des Ausnahmetatbestandes spricht auch der ausdrückliche gesetzgeberische Hinweis, dass Beschneidungen allein aus ästhetischen Gründen eine Gefährdung des Kindeswohls i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB begründen.642 Rein kosmetisch motivierte Beschneidungen haben dieselben Risiken wie gesundheitsprophylaktisch motivierte. Die Eingriffe unterscheiden sich nur durch die elterliche Motivation, nicht in Art und Schwere. Gleichzeitig haben ästhetisch motivierte Beschneidungen ebenfalls keinen erkennbaren Nutzen für das betroffene Kind. Dennoch muss darin nicht notwendig eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB liegen. Die Risiken sind dafür nicht ausreichend. Wird die Vorschrift in der Folge dahin gehend ausgelegt, dass an § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als an ein familiengerichtliches Eingreifen aufgrund
strafe verurteilt. Der Beschneider hatte „verdrecktes Besteck“ bei einer religiös motivierten Zirkumzision verwendet. Hätten die Eltern davon gewusst, hätten sie die rechtfertigende Einwilligung für den Eingriff nicht erteilt. Ähnlich die Wertung des LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244): Wenn die Beschneidung von einem Nichtmediziner unter nicht sterilen Bedingungen vorgenommen wird, kommt eine rechtfertigende Einwilligung der Eltern nicht in Betracht. Der Eingriff verstößt unter den oben angegebenen Bedingungen gegen das Kindeswohl und kann daher nicht von der elterlichen Sorge gedeckt sein (Sorgerechtsmissbrauch). Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 i.V. m. Art. 6 GG führen zu keiner anderen Beurteilung. Putzke, Juristische Positionen, S. 1568; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 316. 638 OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521 (3522). 639 OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521 (3522). 640 OLG Brandenburg, NJW-RR 2010, 872 (873). 641 Vgl. E. VI. 2. b) bb). 642 BT-Drucks. 17/11295, S. 18.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
einer Kindeswohlgefährdung, kann § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB, aufgrund der mit ihr verbundenen Risiken, auch eine allein gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzisionsentscheidung der Personensorgeberechtigten unzulässig machen.643 Eine solche, sich über den Willen des Gesetzgeber hinwegsetzende Auslegung der Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB geht mit erheblichen Rechtsunsicherheiten einher. Diese Rechtsunsicherheiten sind insbesondere der Wahl des unbestimmten Rechtsbegriffs geschuldet.644 Eine gesetzliche Klarstellung, die die Möglichkeit einer gesundheitsprophylaktischen Beschneidung eindeutig von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit ausnimmt, ist daher wünschenswert, aber nicht notwendig erforderlich, wenn die Vorschrift hinreichend bestimmt und entsprechend auslegungsfähig ist.645 Die Grundsätze der Klarheit und Bestimmtheit des Rechts sind Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips.646 Sie verpflichten den Gesetzgeber zur Abfassung von „inhaltlich klar und verständlichen“ Regelungen, die dem Bürger die Möglichkeit einräumen, sein Verhalten an geltendem Recht auszurichten.647 Das erfordert nicht eine in jeder Hinsicht optimierte – insbesondere einzelfallbezogene – Regelung. Überbürdende, den Normgeber in seiner Gesetzgebungstätigkeit zu sehr beschränkende, Anforderungen an die Bestimmtheit einer Vorschrift sind zu vermeiden. Vielmehr kann der Gesetzgeber – unter Beachtung von Eingriffsintensität und Wertigkeit der beeinträchtigten Rechte – unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden,648 solange diese mithilfe der Auslegung einer näheren Bestimmung zugänglich sind.649 § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB ermöglicht grundsätzlich eine Auslegung dahin gehend, dass auch die gesundheitsprophylaktische Beschneidung eine Kindeswohlgefährdung ist und damit nicht von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit gedeckt sein kann. Die damit verbundenen Schwierigkeiten hat der Bürger allerdings nicht hinzunehmen. Die Vorschrift wird den Anforderungen an Klarheit und Eindeutigkeit, die sich mit dem Bestimmtheitsgebot verbinden, nicht gerecht. Daraus ergibt sich in der Folge ein gesetzgeberischer Anpassungsbedarf. Die Einwilligungsmöglichkeit in eine gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision ist eindeutiger aus dem Bereich elterlicher Entscheidungszuständigkeit auszunehmen.650 643
A. A. Walter, Christian, Stellungnahme, S. 7, es geht um die Erfassung atypischer Konstellationen. Dazu auch Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 194. 644 So auch Heinig, Stellungnahme, S. 4; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 487; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 273; Steinbach, S. 10. 645 Gegen die ausreichende Bestimmtheit des Kindeswohlbegriffs Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 35.1; mit ähnlicher Kritik auch Holzner, S. 3; Isensee, S. 326. 646 BVerfGE 49, 168 (181); 93, 213 (238). 647 BVerfGE 17, 306 (314); 45, 400 (420); 47, 239 (247); 83, 130 (145); 87, 234 (263). 648 BVerfGE 31, 255 (264); 79, 174 (195); 87, 234 (263). 649 BVerfGE 21, 245 (261); 37, 132 (142); 45, 400 (420).
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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3. Die Nutzendefinition bei (zulässigen) Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Kindes Ergibt sich aus den bisherigen Untersuchungen, dass die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision keinen belastbaren medizinischen Mehrwert für das betroffene Kind bereithält, ist zu entscheiden, ob elterliche Beweggründe sonstiger Natur ausreichen können, das Kindeswohl positiv aufzufüllen und so eine dahin gehende elterliche Entscheidung zu decken. Zum Teil sind auch Eingriffe von der elterlichen Bestimmungsmacht umfasst, die keinen körperlichen Nutzen für das betroffene Kind bereithalten. Ein psychischer Nutzen kann in diesen Fällen ausreichend sein. Beurteilungshinweise, ob sich dies auf eine allein religiös motivierte Beschneidung übertragen lässt, können sich aus vergleichbaren – medizinisch nicht indizierten – Eingriffen ergeben. a) Das psychische Wohl des Kindes als Bestimmungsparameter der elterlichen Entscheidung aa) Das Kindeswohlkriterium des § 8a Nr. 4 S. 2 TPG Eine Knochenmarkentnahme, zum Zweck der Rettung eines Dritten, dient nicht dem körperlichen Wohlbefinden des betroffenen Kindes. Dennoch hat der Gesetzgeber die Knochenmarkspende einwilligungsunfähiger Minderjähriger grundsätzlich – wenngleich unter strengen Voraussetzungen (vgl. § 8a TPG) – zugelassen.651 Da die Eltern bei ihren Entscheidungen für das Kind immer dessen Wohl zu beachten haben652 und dieses Erfordernis im Zusammenhang mit der Knochenmarkspende ausdrücklich gesetzlich fixiert wurde (§ 8a Nr. 4 S. 2 TPG i. V. m. § 1627 BGB), kann aus dieser gesetzgeberischen Entscheidung der Schluss gezogen werden, dass eine Knochenmarkspende dem kindlichen Wohl dienen kann. Wie diese Kindeswohldienlichkeit zu definieren ist, ist auch im Zusammenhang mit der Knochenmarkspende nicht unproblematisch. Der Gesetzgeber schweigt sich zu der Bestimmung der Begrifflichkeit aus.653 Ebenso wie bei sonstigen elterlichen Entscheidungen kann eine Kindeswohldienlichkeit jedenfalls dann nicht mehr angenommen werden, wenn die Entscheidung das Kindeswohl gefährdet.654 Allerdings muss dem Kindeswohlvorbehalt, aufgrund der Be650 Ein Vorschlag zur Neuregelung findet sich unter G. Manok, S. 134 ff., nimmt bereits aufgrund der Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot an. 651 Siehe dazu bereits oben E. VI. 2. b) aa) (2) (c). Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 382, will aus der fehlenden Möglichkeit der Knochenmarkspende für Freunde des Kindes bereits einen Rückschluss auf die Unzulässigkeit der Zirkumzision ziehen. 652 Dazu bereits oben E. IV. 1. c). 653 Vgl. zur Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/3146, S. 29. 654 Dazu Schmidt-Recla, in: Höfling, TPG, § 8a TPG, Rn. 55.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
stimmung in § 1666 Abs. 1 BGB, eine darüber hinausgehende Bedeutung zukommen.655 Diese kann nicht allein darin bestehen, körperliche Eingriffe, die nicht medizinisch indiziert sind, auszuschließen. Wäre dies allein ausschlaggebend für das Kindeswohl, könnte das Kindeswohlkriterium des TPG – jedenfalls bei einer Knochenmarkentnahme zum Zweck der Übertragung auf Dritte – nie erfüllt sein.656 Das Fehlen einer medizinischen Indikation respektive eines eigenen körperlichen Nutzens führt daher im Umkehrschluss nicht zur generellen Unvereinbarkeit des Eingriffs mit den Rechten des Kindes.657 Die Ausfüllung des Begriff bleibt einer weiteren Interpretation offen: Einerseits könnte der geschriebene Kindeswohlvorbehalt darauf gerichtet sein, das Kind vor – über das allgemeine Operationsrisiko hinausgehenden – Belastungen schützen.658 Die Pflicht, körperliche Eingriffe möglichst schonend und ohne unnötige Belastungen durchzuführen, ergibt sich aber bereits aus allgemeinen Regelungen, die ihre Anknüpfung am Schutz körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen finden.659 Im Zusammenhang mit dem TPG findet sich die Verpflichtung, eine Gefährdung, die über das Operationsrisiko hinausgeht, zu vermeiden, bereits einfachgesetzlich in § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. c). Wahrscheinlicher ist, dass nach der gesetzgeberischen Intention bei der Beurteilung der Kindeswohldienlichkeit die gesamte Familiensituation des Spenderkindes einzubeziehen ist und die Spende durch das Kind auf dieses einen positiven Einfluss ausübt.660 Dann ist das antizipierte Wohl des Spenderkindes in psychischer Hinsicht ebenfalls ein taugliches Kriterium zur Ausfüllung des Kindeswohls.661 Bereits die Tatsache, dass der Kreis möglicher Empfänger erheblich eingeschränkt ist (vgl. § 8a Nr. 1 TPG), erzeugt eine besondere innerfamiliäre Drucksituation für das Spenderkind. Durch seine Spende kann es das Leben eines Geschwisterkindes oder Elternteils retten. Fällt 655
Dazu auch E. VI. 2. c). Weilert, S. 309. Mit dieser rechtlichen Wertung aber Schmidt-Recla, S. 571 f., kontraindizierte Eingriffe können dem Kindeswohl nie dienen und sind daher nach geltender Rechtslage unzulässig. Die Zulässigkeit setzt eine Gesetzesänderung dahin gehend voraus, dass fremdnützige Eingriffe an Minderjährigen unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls zulässig sind (S. 572). So auch Schmidt-Recla, in: Höfling, TPG, § 8a TPG, Rn. 54 ff., mit einem Vorschlag zur Lösung dieses Problems. 657 So auch Schütz, S. 392; Weilert, S. 309. So für die fremdnützige Blutspende eines Minderjährigen auch Rixen, in: Höfling, TPG, § 1 TPG, Rn. 24. Bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln muss jedenfalls auch ein Nutzen für das an der klinischen Prüfung teilnehmende Kind bestehen, vgl. dazu bereits oben E. VI. 2. b) aa) (2) (a). Die unterschiedliche Beurteilung ist aber auch sinnhaft. Die Drucksituation lässt sich nicht vergleichen. 658 Krit. ggü. dieser Interpretation Weilert, S. 310 f. 659 Dazu auch E. VI. 4. a) bb). 660 Weilert, S. 310. Zur Verfassungsgemäßheit dieser Beurteilung (S. 311 f.); krit. Schmidt-Recla, S. 571. Es gibt keine Beweise für die psychische Nützlichkeit eines solchen Eingriffs und das Spenderkind hat keinen juristischen Anspruch auf das Bestehen einer gesunden und intakten Familie. 661 Weilert, S. 311 f. 656
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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eine Entscheidung gegen die Spende, wird das Kind voraussichtlich mit der erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes, schlimmstenfalls dem Tod eines Familienmitglieds konfrontiert.662 Letzteres kann für die Psyche des potenziellen Spenderkindes eine größere Belastung darstellen als der körperliche Eingriff. All diese Umstände sind in die Beurteilung einzubeziehen. Die Entscheidung, ob der Eingriff das psychische Wohl des Kindes in ausreichendem Maß zu fördern geeignet ist, obliegt dabei primär den Eltern.663 Die Einbeziehung eines psychischen Nutzens, welcher sich durch einen nicht unmittelbar medizinisch indizierten Eingriff erzielen lässt, ist daher dem deutschen Recht nicht fremd und kann gegebenenfalls auf die Beurteilung der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision übertragen werden. bb) Das Kindeswohlkriterium bei kosmetischen Eingriffen Denkbar sind auch Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Kindes, die primär aus kosmetischen Gründen vorgenommen werden. Auch in diesen Fällen muss die körperliche Unversehrtheit des Kindes hinreichend in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden. Die Eltern sind bei diesen Entscheidungen ebenfalls verpflichtet, das Wohl ihres Kindes ausreichend zu berücksichtigen.664 Eingriffe aus ästhetischen Gründen am Körper des Kindes können geeignet sein, dem Eingriff eine medizinische Indikation zu unterlegen. Medizinische Heileingriffe sind grundsätzlich kindeswohldienlich und eröffnen die elterliche Einwilligungsmöglichkeit.665 Das zeigt erneut, dass auch Eingriffe ohne unmittelbaren körperlichen Nutzen dem Kindeswohl dienen können. Der Nutzen, der in diesen Konstellationen die Kindeswohldienlichkeit begründen kann, ist psychischer Natur. Wann im Zusammenhang mit einer kosmetischen Operation eine medizinische Indikation besteht und der fehlende körperliche Nutzen durch einen psychischen Nutzen für das Kind ausgeglichen werden kann, ist dabei nicht immer ganz leicht zu bestimmen. Anerkannt ist, dass ein erheblicher körperlicher Makel vorliegen muss, der die Gefahr einer seelischen Beeinträchtigung des Kindes birgt.666 Wie der Nutzen durch den Gesetzgeber und die rechtswissenschaftliche Literatur ausgestaltet wird, kann dabei Anhaltspunkte dafür vorgeben, welchen Anforderungen eine Zirkumzision genügen muss, um einen vergleichbaren Nutzen begründen zu können. Gesetzlich normiert ist der Umgang mit Eingriffen in den Körper aufgrund von Transsexualität. Eingriffe zur Anpassung des Ge662
Davon ist jedenfalls aufgrund der Anforderungen in § 8a Nr. 2 TPG auszugehen. Weilert, S. 310. 664 Siehe dazu oben E. IV. 1. c). 665 Zur rechtlichen Beurteilung des medizinischen Heileingriffs siehe im Einzelnen oben unter B. IV. 2. 666 Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 StGB, Rn. 50a; Gleixner-Eberle, S. 413 f.; Quaas, in: Quaas/Zuck, § 14, Rn. 32. Auch angeraten in BT-Drucks. 16/6779, S. 3. 663
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
schlechts sind nicht primär medizinisch indiziert. Sie dienen nicht der Beseitigung oder Linderung eines körperlichen Leidens.667 Dennoch kann der potenzielle Nutzen des Eingriffs für die Persönlichkeitsentwicklung des Betroffenen im Einzelfall eine medizinische Indikation begründen.668 Die Einwilligung in eine geschlechtsanpassende Operation an Minderjährigen ist nicht ausdrücklich untersagt.669 Das TSG gibt Anhaltspunkte vor, wann eine Einwilligung rechtfertigende Wirkung entfalten kann. Die Änderung des Vornamens (§ 1 Abs. 1 TSG) sowie die formelle Anpassung der Geschlechtszugehörigkeit (§ 8 Abs. 1 TSG) erfordern, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich (. . .) [das] Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird (. . .)“.670 Diese Voraussetzungen müssen auch bei dem darüber hinausgehenden körperlichen Eingriff zur Geschlechtsanpassung erfüllt sein. Wenn bereits die formelle Anpassung des Namens und der Geschlechtszugehörigkeit ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsniveau fordern, muss dies jedenfalls auch für die geschlechtsanpassende Operation gelten. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden nicht mehr ändern wird, ist dabei nicht an bestimmte Altersgrenzen gekoppelt.671 Dennoch spielt das Alter des Betroffenen eine entscheidende Rolle.672 Je älter und überzeugter der Betroffene ist, umso eher kann von einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Bei Einwilligungsunfähigen ist die Wahrscheinlichkeit hingegen nur schwer zu begründen, sodass eine stellvertretende elterliche Einwilligung aus tatsächlichen Gründen regelmäßig ausscheidet. Eine hinreichende Nutzenwahrscheinlichkeit ist bei Geschlechtszuweisungen, die häufig im Säuglingsalter durchgeführt werden und ihre Ursache in einem nicht eindeutig zuordenbaren Geschlecht des Kindes haben,673 ebenfalls nur schwer zu begründen. Daher reicht der psychische Nutzen nur im Ausnahmefall 667
Augstein, Einl., Rn. 4. Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 StGB, Rn. 50b; BSGE 62, 83 (83 f.). 669 Augstein, § 8 TSG, Rn. 2, verneint dabei die Anwendbarkeit des § 1631c BGB auf geschlechtsumwandelnde Operationen. 670 § 1 Abs. 1 Nr. 2 TSG, auf den auch in § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG verwiesen wird. Die Voraussetzungen, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 TSG an die Anpassung der Geschlechtszugehörigkeit gestellt werden, erklärte das BVerfG wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG für verfassungswidrig (E 128, 109 ff.). Damit entsprechen die Voraussetzungen für die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit auch den Anforderungen, die an eine Anpassung des Vornamens zu stellen sind, vgl. dazu auch Wielpütz, S. 474. 671 Zur Gleichheitswidrigkeit des ursprünglichen § 1 Abs. 1 Nr. 3 TSG, der die Vornamensänderung erst ab dem 25. Lebensjahr ermöglichte, BVerfGE 88, 87 ff. Als Grundlage für die Wahrscheinlichkeitsprognose hat das Gericht zwei Sachverständigengutachten einzuholen (§ 4 Abs. 3 TSG). 672 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 TSG, Rn. 10. 673 Dazu und zur Unterscheidung zwischen Trans- und Intersexualität Deutscher Ethikrat, S. 24 ff. 668
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aus, um eine medizinische Indikation und damit die Zulässigkeit des Eingriffs zu untermauern.674 Damit es zu Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentwicklung kommen kann, muss diese bereits begonnen haben und das Kind muss sein Geschlecht bzw. die fehlende eindeutige Zuordenbarkeit überhaupt als Einschränkung empfinden. Der Schutz des Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit und das Beibehalten der Möglichkeit zur eigenständigen Entscheidung gehen dem elterlichen Entscheidungsrecht in diesem Fall vor.675 Die Begründung einer Nutzenwahrscheinlichkeit hat besonders umsichtig zu erfolgen. Die Wahrscheinlichkeit des Nutzens muss dabei auch in Korrelation zu der Schwere und den Folgen des Eingriffs gesetzt werden, insbesondere bei irreversiblen Eingriffen mit schwerwiegenden Auswirkungen auf das spätere Leben des Betroffenen kann die notwendige Nutzenwahrscheinlichkeit ohne Mitwirkung des betroffenen Kindes nicht begründet werden. Lässt sich in den konkreten Beispielsfällen eine hinreichende Wahrscheinlichkeitsprognose in Bezug auf die Wohlbefindensförderung nicht sicher treffen, entfällt die medizinische Indikation des Eingriffs und die elterliche Einwilligung muss unterbleiben. Es handelt sich dann um einen Eingriff, der nach den Regeln der „wunscherfüllenden Medizin“ zu beurteilen ist. Eine elterliche Einwilligung kann Eingriffe dieser Art nicht legitimieren.676 Die Zirkumzision, wie sie in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit unterstellt ist, unterfällt ebenfalls dem Bereich der wunscherfüllenden Medizin.677 Besteht eine ausschließlich kosmetische Motivation, kann das Elternrecht das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit nicht überwiegen. Die Beschneidung aus rein ästhetischen Gründen ist nicht zulässig.678 Gleichzeitig bedarf nicht jeder, medizinisch nicht indizierte, Eingriff in den kindlichen Körper einer besonderen Begründung für die Zulässigkeit der elterlichen Einwilligung. Nicht selten werden einwilligungsunfähigen Kindern zum Zweck der „Verschönerung“ Ohrlöcher gestochen. Aus juristischer Perspektive handelt es sich dabei um eine tatbestandsmäßige Körperverletzung,679 die aber der elterlichen Einwilligung offensteht.680 674
Deutscher Ethikrat, S. 152. Deutscher Ethikrat, S. 155 f., 166 f.; Remus, S. 1. Zur Möglichkeit, das Geschlecht bei Eintragung in das Geburtenregister offenzulassen vgl. § 22 Abs. 3 PStG. 676 Laufs, in: Laufs/Kern, § 6, Rn. 21. 677 Kern, Fremdbestimmung, S. 756; Isensee, S. 321; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 384. Etwas anderes könnte z. B. nur bei einer für das Kind psychisch belastbaren Deformation der Vorhaut gelten. Dann allerdings wäre bereits die medizinische Indikation zu bejahen und die Anwendung des § 1631d Abs. 1 BGB nicht erforderlich, um die rechtfertigende Wirkung der elterlichen Einwilligung zu begründen. 678 BT-Drucks. 17/11295, S. 18; Hörnle/Huster, S. 338. 679 So auch klargestellt in einem Schmerzensgeldprozess vor dem AG Lichtenberg, Urt. v. 31.8.2012 – Az.: 14 C 58/12; vgl. Herold, Vergleich vor AG Berlin-Lichtenberg: Tattoo-Studio zahlt dreijährigem Kind nach Ohrlochstechen 70 Euro Schmerzensgeld, abrufbar unter: http://beck-online.beck.de/default.aspx?words=becklink+1022203&bt search.x=42&btsearch.x=0&btsearch.y=0 (30.5.2016). Der Richter nahm in dem Pro675
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Dies liegt allerdings in der Geringfügigkeit dieses körperlichen Eingriffs begründet. Es handelt sich um einen risikoarmen, reversiblen Eingriff, der i. d. R. keine Langzeitfolgen mit sich bringt und im Rahmen einer selbstbestimmten Entscheidung von dem Kind zu einem späteren Zeitpunkt korrigiert werden kann.681 In diesem Punkt unterscheidet sich die Zirkumzision von dem Stechen von Ohrlöchern. Es handelt sich um einen schwerwiegenderen Eingriff, der nur unter erschwerten Bedingungen rückgängig gemacht werden kann.682 Soll eine Zirkumzision durch die elterliche Einwilligung abgedeckt sein, bedarf sie folglich einer zusätzlichen Begründung. cc) Zusammenfassung der Erkenntnisse Aus den Vergleichsfällen lässt sich die Wertung entnehmen, dass nicht die körperliche Komponente allein über die Kindeswohldienlichkeit eines Eingriffs entscheiden kann, die elterliche Einwilligung nicht allein aufgrund eines fehlenden körperlichen Nutzens ausgeschlossen ist.683 Die Bedeutung des psychischen Wohlbefindens hat der Gesetzgeber auch in einfachgesetzlichen Vorschriften hervorgehoben. Bei elterlichen Entscheidungen ist auch das geistige und seelische Wohl des Kindes einzubeziehen. Wird dieses Wohl gefährdet, ist ein familiengerichtliches Eingreifen erforderlich (vgl. § 1666 Abs. 1 BGB). Zur Steigerung des psychischen Wohls des Kindes kann auch eine Knochenmarkspende684 sowie zess auf das Urteil des LG Köln zur Beschneidung eines minderjährigen Jungen Bezug und schloss eine strafrechtliche Klärung des Falls nicht aus. Zu einer strafrechtlichen Verurteilung der Eltern und/oder der Inhaber des Tattoo-Studios kam es letztlich nicht (Stand 20.2.2014). In Österreich ist das Piercen und Tätowieren der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik(Schönheitspflege)-Gewerbetreibende geregelt (BGBl. II Nr. 141/2003 zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 261/2008). Das Durchstechen des Ohrläppchens kann von der elterlichen Einwilligung gedeckt sein (Umkehrschluss aus § 2 Abs. 1 i.V. m. § 1 Abs. 1 der VO). Sonstige Piercings müssen durch die Einwilligung des Kindes und ggfs. der Eltern gedeckt sein (§ 2 Abs. 1 der VO); Tattoos sind erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres und zusätzlicher elterlicher Einwilligung möglich (§ 2 Abs. 1 der VO). 680 Kern, Fremdbestimmung, S. 756 Fn. 46; Isensee, S. 321. 681 Kern, Fremdbestimmung, S. 756 Fn. 46; so auch Isensee, S. 321. 682 Dazu E. VI. 2. b) bb). Stumpf, S. 146; Bruch, S. 3, will einen Vergleich zum Tätowieren und Piercen von Jugendlichen mit Zustimmung ihrer Eltern sehen. Dieser Vergleich hinkt bereits deshalb, weil der Wunsch nach entsprechenden Körperverzierungen von den Jugendlichen selbst ausgeht und die Eltern der Erfüllung dieses Wunsches durch Zustimmung lediglich nachkommen. Die Vornahme einer solchen körperlichen Verzierung an einwilligungsunfähigen Kindern nur auf Wunsch ihrer Eltern steht den gleichen Bedenken gegenüber wie die Beschneidung. 683 So auch Valerius, S. 484 f. Die Fallgruppen zur fehlenden Eiwilligungsmöglichkeit der Eltern (z. B. zur Sterilisation) wären überflüssig, wenn eine solche bereits an der fehlenden medizinischen Indikation scheitern würde. 684 Dazu genauer E. VI. 3. a) aa).
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– wenn auch unter erschwerten Bedingungen – eine geschlechtsanpassende Operation685 durch elterliche Einwilligung gerechtfertigt werden. Jedenfalls ein solcher Nutzen muss sich für die Zirkumzision ebenfalls begründen lassen. Für rein ästhetisch motivierte Eingriffe fehlt es an einer solchen Begründungsmöglichkeit. Diese sind von der elterlichen Entscheidungsbefugnis daher ausgenommen.686 Die Zirkumzision kann aufgrund der potenziellen Folgen des Eingriffs nicht bereits als Bagatelleingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes von der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit gedeckt sein.687 Die an die elterliche Einwilligung gestellten Anforderungen bei körperlichen Eingriffen zur Förderung des psychischen Nutzens machen gleichzeitig deutlich, dass nicht jeder irgendwie wahrscheinliche Nutzeneintritt ausreicht, um die elterliche Entscheidungsmöglichkeit zu sichern. Ansonsten würde der Schutz der körperlichen Unversehrtheit leer laufen. Der Eingriff in die kindliche Körperintegrität, ohne einen eigenen körperlichen Nutzen des Kindes begründen zu können, braucht einen gewichtigen Grund. Übertragen auf die elterliche Zirkumzisionsentscheidung bedeutet dies, dass für eine elterliche Einwilligung eine psychische Wohlbefindensförderung des Kindes ausreichen kann, wenn diese hinreichend wahrscheinlich ist. Die Steigerung des kindlichen Wohlbefindens durch eine gesundheitsprophylaktische Zirkumzision ist jedenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Betroffene kann den Eingriff im selbstbestimmungsfähigen Alter nachholen und sein Wohlbefinden dadurch steigern. Die Einbeziehung des psychischen Nutzens ändert daher nichts an der fehlenden Rechtmäßigkeit elterlicher Einwilligung in eine gesundheitsprophylaktisch motivierte Zirkumzision.688 b) Die Förderungen des psychischen Wohlbefindens durch eine Zirkumzision Etwas anderes kann gelten, wenn der Zirkumzision eine religiöse Motivation der Eltern zugrunde liegt. Die mögliche Förderung des kindlichen Wohls hängt nicht ausschließlich mit der religionsgesetzlichen, sondern auch mit der tatsächlichen Bedeutung des Ritus innerhalb einer Glaubensgemeinschaft sowie dem familiären Umfeld des Kindes zusammen. Der Eingriff dient – jedenfalls innerhalb der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften – dazu, das Kind in die soziale Gemeinschaft zu integrieren, und erspart ihm, aufgrund des Zustandes des Nichtbeschnittenseins, ausgeschlossen und stigmatisiert zu werden.689 Das posi685
Dazu genauer E. VI. 3. a) bb). Dazu bereits auch E. VI. 2. d). 687 Dazu E. VI. 3. a) bb) m.w. N. 688 Zu der Beurteilung einer gesundheitsprophylaktisch motivierten Zirkumzision unter E. VI. 2. b)–d). 689 So auch Bartsch, S. 607; Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 9; Goerlich/Zabel, S. 1060; Jorzig, S. 183; Kramer, in: 686
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tive Gefühl der Zugehörigkeit ist geeignet, das psychische Wohlbefinden und damit die Persönlichkeitsentwicklung sowie das Ausbilden einer religiösen Identität des Kindes zu fördern, was eine elterliche Einwilligung im Einklang mit den Rechten des Kindes möglich macht.690 Das gilt auch für das tatsächliche Erleben von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit im Rahmen religiöser Feierlichkeiten, aus welchen das nicht zirkumzidierte Kind ansonsten ausgeschlossen sein kann. In islamischen Gemeinschaften ist mit der Beschneidung häufig der Übergang des Kindes in die religiöse Selbstbestimmtheit verbunden.691 Auch die Beschneidung selbst kann für das betroffene Kind, wenn es ein Verständnis von dem Eingriff bereits entwickelt hat, ein positives Erlebnis darstellen. Das Kind bildet den Mittelpunkt einer religiösen Feierlichkeit, welche zahlreiche Verwandte und Bekannte mit ihm gemeinsam begehen.692 In den islamischen Gemeinschaften bekommt das Kind Geschenke und wird beglückwünscht.693 Die Förderung des kindlichen Wohlbefindens wird nicht dadurch nivelliert, dass auch das Unterlassen der Beschneidung einen positiven Effekt auf das Kindeswohl haben kann. Die Zulässigkeit einer positiven elterlichen Entscheidung macht eine andere, wenn auch diametral entgegengesetzte Entscheidung nicht per se unzulässig. Das ist der besonderen Ausgestaltung der elterlichen Erziehungsfreiheit geschuldet, bei deren Ausübung den Eltern ein weitreichender Beurteilungsspielraum zusteht. Denn das Kindeswohl ist gerade kein festgeschriebener und objektiv in Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 68; Steinbach, S. 6: Die Beschneidung wirkt zwar weder im jüdischen noch im muslimischen Glauben konstituierend, allerdings hat sie dennoch überragend wichtige Bedeutung und ist identitätsstiftend. Magheli/Hakenberg, S. 6; Wallner, S. 282; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 5; Yalçin, S. 384; Zähle, S. 451. A. A. LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14; Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433 f.; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 95; Isensee, S. 320; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 372 f.; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 271; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 276; zust. Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 349 f.; Putzke, Recht und Ritual, S. 625; Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4. Dass Taufe und Beschneidung das seelische Wohl des Kindes grds. fördern können, gesteht auch Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 489, zu. 690 So auch Bauer, S. 210 f.; Kramer, Stellungnahme, S. 2; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 21; Valerius, S. 485; Zähle, S. 451. Die Beschneidung an Jungen unter 16 Jahren ist auch in Südafrika nur auf der Grundlage einer religiösen Motivation oder mit einer medizinischen Begründung zulässig, vgl. § 12 Abs. 8 Children’s Act 38 of 2005. 691 Ilkilic, S. 66. 692 Dazu auch Ilkilic, S. 66. Ähnlich Brantl, S. 52. 693 Wie eine „Beschneidungsparty“ in der Türkei ablaufen kann, beschreibt Akyol. In Deutschland werden für Beschneidungsfeiern regelmäßig große Veranstaltungsräume angemietet und das Fest wird mit Musik, Tanz und einem großzügigen Essen verbunden. Die Stadt kann verbieten, dass am Karfreitag eine solche Beschneidungsfeier durchgeführt wird, vgl. dazu die jüngste Entscheidung des VG Köln, Beschl. v. 8.1. 2015 – Az.: 20 L 1916/14, BeckRS 2015, 40571.
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Gänze ausfüllbarer Begriff.694 Das zeigt auch die Beurteilung elterlicher Entscheidung in anderen Bereichen: Die Einwilligung in eine Knochenmarkspende kann auch unterlassen und damit dem Kindeswohlkriterium ebenfalls genügt werden. Dass Vornahme und Unterlassen des körperlichen Eingriffs gleichsam geeignet sein können das Kindeswohl zu fördern, macht die Entscheidung für den Eingriff nicht unzulässig.695 Die letztlich getroffene Entscheidung muss sich an den Rechten der Eltern und Kinder messen lassen. c) Erforderliche Wahrscheinlichkeit der Förderung des psychischen Wohlbefindens Ob die elterliche Entscheidung das psychische Wohlbefinden des Kindes gegenwärtig oder zukünftig tatsächlich fördern kann, bleibt hingegen nicht ohne Zweifel. Viele Unbekannte, wie die Abkehr des Kindes und/oder der Eltern von der religiösen Gemeinschaft und dem damit zusammenhängenden Lebensentwurf, haben darauf Einfluss. Welchen Grad die Wahrscheinlichkeit der Kindeswohlförderung annehmen muss, bestimmt sich auch anhand des Rechts der Eltern, das Kind in religiöser Hinsicht zu erziehen. Im Unterschied zu einer ausschließlich gesundheitsprophylaktisch motivierten Zirkumzisionsentscheidung wird das Elternrecht bei einer religiös motivierten Entscheidung um die elterliche Religionsfreiheit verstärkt und erfährt dadurch ein größeres Gewicht.696 Gleichzeitig entfällt die staatliche Verpflichtung zum Schutz der kindlichen Rechte nicht. Die Bestimmung der ausreichenden Wahrscheinlichkeitsprognose hat praktische Konkordanz zwischen den Rechten des Kindes und dem Recht der Eltern herzustellen.697 Ein sicheres 694
Siehe dazu bereits oben E. IV. 1. c). A. A. Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 172 Fn. 9; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 472; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 489; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 333 ff.; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 303 ff. Wenn die Eltern Entscheidungen für ihr Kind treffen, die die Religion betreffen, sind diese „kindeswohlneutral“. Herzberg leitet dies aus der Tatsache her, dass die Entscheidung, sein Kind nicht taufen oder beschneiden zu lassen bzw. gerade nicht religiös zu erziehen, auch nicht gegen das Kindeswohl verstößt, unabhängig davon, in welchem Umfeld das Kind aufwächst und welcher Religion die Eltern angehören. Herzberg zust. Putzke, Buchrezension, S. 185 und Kempf, S. 438 f.: Die Religionsfreiheit kann niemals eine Rechtfertigung für ein strafbares Verhalten sein. Die These von der „Kindeswohlneutralität“ verkennt den Beurteilungsblickwinkel. Die Eltern bestimmen im Rahmen ihres Elternrechts über die religiöse Erziehung des Kindes. Die Erziehung steht im Mittelpunkt der Betrachtung, nicht die Religion. Erziehung ist nie kindeswohlneutral, sondern beeinflusst das Kind immer. Zudem ist das Kindeswohl in Art. 6 Abs. 2 GG gerade ausdrücklich zu beachten. Dies ist die Besonderheit elterlicher Entscheidungsbefugnis. Die elterliche Freiheit muss sich nicht sinnhaft umkehren und spiegeln lassen. Vielmehr sind die Grenzen des Verfassungsrechts die entscheidenden Beschränkungsinstrumente für die elterliche Entscheidungsfindung. Krit. zu der „Kindeswohlneutralität“ auch Stumpf, S. 143. 696 Dazu genauer E. IV. 2. 697 Dazu bereits E. VI. 695
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Ergebnis im Sinne einer Garantie, dass sich das kindliche Wohlbefinden durch den Eingriff steigern lässt, kann nicht gefordert werden.698 Eine solche lässt sich für ein positives Auswirken elterlicher Entscheidungen nie abgeben. Das gilt nicht nur in den Fällen, in denen ausschließlich das psychische Wohlbefinden des Kindes gefördert wird, wie bei kosmetischen Eingriffen, sondern für nahezu alle elterlichen Alltagsentscheidungen, z. B. auch im Hinblick auf die kindliche Ernährung. Den Eltern verbleibt, gerade bei prognostischen Entscheidungen, ein weiter Verantwortungsbereich. Auf der anderen Seite kann eine bloße Vermutung der staatlichen Schutzpflicht und den kindlichen Rechten nicht gerecht werden. Es müssen jedenfalls Anhaltspunkte vorliegen, die für eine Förderung des kindlichen Wohlbefindens sprechen können. Dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes gebührt zwar nicht per se der Vorrang vor dem Elternrecht und der elterlichen Religionsfreiheit. Mit der Zirkumzision sind auch keine unvertretbaren Risiken verbunden, die eine elterliche Einwilligung grundsätzlich ausschließen müssten. Die Schwere des Eingriffs bei der Beschneidung reicht damit nicht aus, um das Recht der Eltern auf null zu reduzieren.699 Art. 2 Abs. 2 GG ist kein abwägungsfestes Grundrecht. Die körperliche Unversehrtheit des Kindes ist nicht absolut geschützt.700 Dennoch sind die Art und Schwere des Eingriffs von Bedeutung.701 Mit einer Zirkumzisionsentscheidung greifen die Eltern erheblich und nachhaltig in den kindlichen Körper ein und verändern diesen irreversibel.702 Ohne kosmetische Korrektur lässt sich der Eingriff nicht wieder rückgängig machen. Für eine geschlechtsangleichende Operation fordert der Gesetzgeber eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ im Hinblick auf das Eintreten eines bestimmten Zukunftsereignisses. Die Zirkumzision ist ein vergleichsweise leichter Eingriff in den menschlichen Körper.703 Daher muss der Wahrscheinlichkeitsgrad nicht notwendig vergleichbar sein. Allerdings kann eine Vermutung für die Wahrscheinlichkeit der Kindeswohldienlichkeit ebenfalls nicht angeführt werden. Mit der Beschneidung wird der körperliche „Normalzustand“ aufgegeben. Der Eingriff führt zu einer körperlichen Veränderung, die zu einem späteren Zeitpunkt die Rechtfertigung für einen kosmetischen Eingriff bilden und – je nach 698 So, unter besonderer Berücksichtigung der Religionsfreiheit, auch Bielefeldt, S. 77 f. und Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 91 f.; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 419. Anders Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1113 f., er fordert eine „hinreichend sichere Prognose“ für die Benachteiligung des Kindes bei Unterlassen des Eingriffs. 699 Steinbach, S. 8; Valerius, S. 485; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; mit dieser Argumentation aber BT-Drucks. 17/11430, S. 9 f. 700 Vgl. dazu bereits oben unter E. V. 3. a); so auch Walter, Christian, Stellungnahme, S. 2. 701 Ähnlich Steinbach, S. 6; Hörnle/Huster, S. 333. 702 Zur Bedeutung der Reversibilität elterlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht unter E. V. 4. b) sowie mit der Religionsfreiheit unter E. V. 5. b). 703 So auch Yalçin, S. 384. Dazu auch E. VI. 2. b) bb).
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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Entwicklung des Kindes – außerhalb der religiösen Gemeinschaft zu einer Ausgrenzung führen kann.704 Um die Förderung des psychischen Wohlbefindens wahrscheinlich erscheinen zu lassen, müssen daher zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen.705 Diese können in dem elterlichen Verhalten sowie in der Person des Kindes begründet sein. aa) Beschneidungswunsch der Personensorgeberechtigten Bevor das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat, obliegt den Eltern die Entscheidung über dessen Religionszugehörigkeit (vgl. § 5 S. 1 RelKErzG). Die Beschneidung, als ein Bestandteil dieser Entscheidung, kann dem Wohl des Kindes am ehesten dienen, wenn die Eltern sich hinsichtlich der religiösen Erziehung des Kindes einig sind und die Beschneidung gemeinsam wünschen.706 Denn die ablehnende Haltung eines Elternteils kann zur Verunsicherung des Kindes führen mit der Folge, dass das Kind unter der körperlichen Veränderung leidet. Dies gilt es zum Schutz des Kindes zu vermeiden. Auch das einfachgesetzliche Recht sieht das Kind und dessen Bedürfnisse grundsätzlich durch die gemeinschaftliche Vertretung durch beide Elternteile am umfassendsten wahrgenommen (§ 1629 Abs. 1 BGB).707 Das bedeutet nicht notwendig, dass jeder körperliche Eingriff an dem Kind zur Legitimation einer ausdrücklichen Erklärung beider Personensorgeberechtigten bedarf. Bei medizinischen Routine- und Bagatelleingriffen kann der Arzt darauf vertrauen, dass der einwilligende von dem abwesenden Elternteil ermächtigt wurde, die Einwilligung zu erteilen.708 Bei komplizierteren und risikobehafteten Eingriffen gilt dieses Vertrauen aber nicht. Zum Schutz der kind-
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So auch Kempf, S. 438. Ähnlich OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). Einschränkungen hinsichtlich der elterlichen Entscheidungsfreiheit werden auch von Hörnle/Huster, S. 339, vorgenommen. Die elterliche Entscheidung für die Beschneidung muss einem „Erziehungskonzept“ folgen. Krit. Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 274 f. Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465, schließt die elterliche Entscheidung bei „defizitäre[r] Kommunikabilität bzw. Authentizität der elterlichen Entscheidung“ aus und Alatovic/Helmken, S. 130, wollen nur eine Beschneidung aus nicht „unerheblichen Gründen“ ausreichen lassen. 706 Die gemeinschaftliche Einwilligung fordernd auch: Bauer, S. 214; Deusel, Medizinische Aspekte, S. 184; Putzke, Beschneidungsgesetz, S. 951; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 347; Steiner, S. 271; Zähle, S. 451. Das entspricht auch der Regelung in Schweden (vgl. § 3 Abs. 1 LOP). Ähnlich hat das AG Erlangen (Beschl. v. 30.7.2002 – Az.: 4 F 1092/01) vor Einführung des § 1631d BGB entschieden, indem es den leiblichen Eltern die Einwilligungsmöglichkeit in eine religiöse Zirkumzision des Kindes versagte. Das bei Pflegeeltern lebende Kind habe keinen Nutzen aus dem Eingriff, der dessen Risiken überwiegen könne. Dazu Putzke, Juristische Positionen, S. 1568; Schreiber/Rösch, S. 345. 707 Bei religiösen Erziehungsentscheidungen wird die notwendige Einigung der Eltern zusätzlich durch § 1 S. 1 RelKErzG gestützt. 708 BGHZ 105, 45 (49); 144, 1 (4). 705
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
lichen und elterlichen Rechte muss der Arzt hier gezielt nachfragen, ob der abwesende Personensorgeberechtigte ebenfalls mit der Behandlung einverstanden ist, sich der Wahrheitsgemäßheit der Antwort versichern und entgegenstehende Anhaltspunkte beachten.709 Bei der Zirkumzision handelt es sich nicht um einen bloßen Routineeingriff. Zudem fehlt diesem Eingriff der körperliche Nutzen, und die Entstehung eines psychischen Nutzens hängt auch von dem gemeinsamen Wunsch der Eltern ab. Der Arzt darf sich daher, bei ausdrücklicher Einwilligung durch ein Elternteil, nicht ohne Weiteres auf die Zustimmung des abwesenden Personensorgeberechtigten verlassen. Er muss auch hier gezielt nachfragen und sich der Zustimmung des abwesenden Elternteils versichern.710 Etwas anderes gilt nur, wenn die Personensorge auf ein Elternteil übertragen wurde (§ 1671 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Können die Eltern keine Einigung erzielen, obliegt die Entscheidung dem Familiengericht (§ 1628 BGB). In diesem Fall bedarf es weiterer Gründe, die die Förderung des kindlichen Wohlbefindens durch eine Zirkumzision wahrscheinlich machen, obwohl ein Personensorgeberechtigter den Eingriff ablehnt.711 Die Ablehnung eines Elternteils spricht dabei eher gegen die Wahrscheinlichkeit einer kindlichen Wohlbefindensförderung durch den Eingriff.712 bb) Religionszugehörigkeit der Eltern als Anhaltspunkt Ausschließlich eine religiös begründete Beschneidung ist geeignet, das Wohlbefinden des Kindes zu fördern. Die Wahrscheinlichkeit der Wohlbefindensförderung orientiert sich folglich auch an dem religiösen Fundament der elterlichen Entscheidung. Dieses kann durch die Zugehörigkeit – jedenfalls eines Elternteils – zu einer das religiöse Ritual ausführenden Glaubensgemeinschaft713 sowie die 709
BGHZ 105, 45 (49 f.). Nach dem Vorschlag von Schramm, Ehe und Familie, S. 229; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 141 mit Fn. 36, müssen beide Sorgeberechtigten zustimmen. Stimmt nur ein Elternteil zu und nimmt der behandelnde Arzt aufgrund des Vorliegens besonderer Umstände an, der andere Elternteil sei mit dem Eingriff ebenfalls einverstanden, kann er aus strafrechtlicher Sicht einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterliegen und schuldlos handeln. So auch Schramm, Ehe und Familie, S. 219. Dazu ausführlich auch unter D. IV. 711 Dazu auch AG Düsseldorf, Beschl. v. 7.4.2014 – Az.: 269 F 58/14, BeckRS 2014, 14400. 712 In Schweden darf der Eingriff ohne elterlichen Konsens nicht durchgeführt werden, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 524. 713 Ähnlich auch Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1116 f., dem religiösen Motiv kann nur genügt werden, wenn die Eltern und die Kinder Mitglied in einer die Beschneidung ausführenden Glaubensgemeinschaft sind. Die Kinder können einer Religionsgemeinschaft allerdings noch nicht angehören, wenn die Beschneidung religionsbegründend wirkt, vgl. dazu oben C. I. 1. anders C. II. 1. A. A. Kauschke. In Österreich können die Eltern aufgrund der dortigen, kulturellen Verwurzelung der Beschneidung nach § 90 Abs. 1 öStGB in diesen Eingriff einwilligen, ohne dass der Behandler die Zugehörigkeit der Eltern zu einer die Beschneidung regelmäßig vornehmenden Glau710
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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Verfestigung des Beschneidungsrituals innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft belegt werden. Die Verfestigung des Beschneidungsrituals innerhalb einer religiösen Gemeinschaft kann angenommen werden, wenn die Gläubigen dieses – ähnlich wie das rituelle Schächten (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG)714 – als zwingendes religiöses Gebot empfinden.715 Die Verbindlichkeit bestimmt sich nicht ausschließlich anhand objektiver Kriterien, sondern orientiert sich primär am Selbstverständnis der Gläubigen. Es genügt eine substantiierte und nachvollziehbare Darlegung der eigenen Glaubensüberzeugung.716 Gehören die Eltern dem Judentum oder einer islamischen Glaubensgemeinschaft an, spricht eine Vermutung für ein solches Selbstverständnis im Zusammenhang mit der Knabenbeschneidung. Eine ausreichende religiöse Begründetheit des Rituals kann sich bereits aus dessen Vornahme durch einen rituellen Beschneider im religiösen Rahmen ergeben. Nimmt ein Arzt den Eingriff vor, hat er die religiöse Motivation der Eltern im Rahmen des Aufklärungsgespräches zu erfragen. Fehlen entgegenstehende Anhaltspunkte, darf der Arzt auch hier auf die Angaben der Personensorgeberechtigten vertrauen.717 Offizielle Nachweise der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft sind nicht zu fordern. Das Schutzniveau für das betroffene Kind würde sich dadurch nicht wesentlich erhöhen. Denn ein informeller Nachweis der Eltern müsste, um deren Religionsfreiheit und Elternrecht nicht zu sehr einzuschränken, ausreichen. Nicht selten lässt sich die Zugehörigkeit zu einer die Beschneidung regelmäßig vornehmenden Religionsgemeinschaft nicht durch staatliche Nachweise belegen. Dies gilt insbesondere für die islamischen Gemeinschaften, die hauptsächlich in privatrechtlichen Vereinigungen organisiert sind. Wird ein formeller Nachweis nicht gefordert, verbindet sich damit aber
bensgemeinschaft abfragt, vgl. Strasser, S. 222. Steinbach, S. 6, macht den elterlichen Eingriffsspielraum auch an der Bedeutung des Ritus fest. 714 Das Element einer „zwingenden Vorschrift“ für das rituelle Schächten wurde abgelehnt in BT-Drucks. 10/5259, S. 38. 715 Ähnlich auch Schramm, Ehe und Familie, S. 229; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 141 mit Fn. 36. Er fordert, dass es sich bei der Beschneidung um „ein zentrales Moment der Religionsausübung“ handelt. Heinig, Der Gesetzgeber ist gefordert, formuliert eine Einschränkung mittels des Erfordernisses, die Zirkumzision müsse „nach dem religiösen Selbstverständnis der Sorgeberechtigten zwingend geboten“ sein. Insgesamt will Heinig allerdings auch nicht-religiöse Motivationen der Eltern ausreichen lassen, vgl. Heinig, Stellungnahme, S. 1. Gegen eine Vergleichbarkeit der Erkenntnisse aus den Urteilen und Vorschriften zum rituellen Schächten: Alatovic/Helmken, S. 124; Exner, S. 50; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 318; zust. Isensee, S. 327; Schramm, Ehe und Familie, S. 228; ebenfalls Bernat, S. 198, für das österreichische Recht. 716 Dazu auch oben E. IV. 2. a) cc) (5). Zur Auslegung im Zusammenhang mit dem rituellen Schächten auch BVerwGE 112, 227 (234 f.); BVerfGE 104, 337 (355). 717 Machen die Personensorgeberechtigten im Aufklärungsgespräch „falsche“ Angaben, kommen zugunsten des Arztes die Irrtumsregelungen zum Tragen, vgl. dazu bereits D. I. 4. Zum konkreten Fall auch Steinbach, S. 8.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
auch die Gefahr des Missbrauchs.718 Das religiöse Selbstverständnis und die religiöse Motivation einer Person lassen sich allerdings nie zweifelsfrei erforschen. Sie sind objektiv nicht fassbar. Es muss daher ausreichen, auf eine plausible und konsistente Darlegung der Gläubigen zu vertrauen.719 Gleiches gilt, wenn die Eltern ihre wahren Motive verschleiern und insgeheim ein mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbarendes Ziel, wie die Verhinderung der Masturbation, verfolgen.720 Ohne das Komplettverbot des Eingriffs, welcher sich mit den Rechten der Eltern und des Kindes nicht vereinbaren ließe, kann nie wirksam ausgeschlossen werden, dass die Kinder Opfer unzulässiger Zirkumzisionen werden. Willigen die Eltern aus unlauteren Motiven in den Eingriff ein, ist diese Verletzung kindlicher Rechte im Eltern-Kind-Verhältnis, eventuell unter Zuhilfenahme familiengerichtlicher Maßnahmen, zu lösen. Bestehen allerdings Zweifel an der religiösen Motivation der Eltern, ist diesen nachzugehen. Zweifel sind jedenfalls angebracht, wenn das Kind einer Konfession angehört, in der die Beschneidung unüblich ist721 oder, auch ohne offizielle Konfessionszugehörigkeit, bisher in einem anderen Glauben erzogen wurde.722 Gelingt es den Eltern nicht, berechtigte Zweifel des Arztes auszuräumen, muss die Beschneidung unterbleiben. cc) Beschneidungswunsch des Kindes Ein weiteres Indiz, welches die Wahrscheinlichkeit einer kindlichen Wohlbefindensförderung stützen kann, ist der Beschneidungswunsch des Kindes. Der kindliche Wille ist auch aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben zu berücksichtigen. Seine Berücksichtigung ist Teil der Kindeswohlbindung des Elternrechts und wird durch das – mit zunehmendem Alter anwachsende – Selbstbestimmungsrecht sowie die Religionsausübungsfreiheit des Kindes unterstützt.723 Eine Vermutung spricht für die Förderung des kindlichen Wohlbefindens durch eine Zirkumzision, wenn der Beschneidungswunsch sowohl bei den Eltern als auch bei dem betroffenen Kind besteht.724 Das Ziel, Einvernehmen zwischen Eltern und Kind herzustellen, ist in Bezug auf elterliche Entscheidungen einfachgesetzlich auch in § 1626 Abs. 2 BGB geregelt. Die Berücksichtigung des kindlichen Willens darf dabei nicht pauschal erfolgen. Das Kind ist für die Bildung 718 So auch Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491, gleichzeitig Kritik an dem Vorschlag von Heinig. 719 Vgl. Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 422. 720 Mit dieser Befürchtung auch Mandla, S. 246; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 280; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1114. 721 So angenommen in OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). 722 Dazu auch AG Düsseldorf, Beschl. v. 7.4.2014 – Az.: 269 F 58/14, BeckRS 2014, 14400. 723 Dazu bereits unter E. IV. 1. c); E. V. 4. b) sowie unter E. V. 5. c). 724 Steiner, S. 241 f., stellt den Willen des Kindes in die Risiko-Nutzen-Abwägung des Eingriffs ebenfalls ein.
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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eines Willens auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Eine völlig unbeeinflusste kindliche Entscheidung ist nicht realistisch möglich.725 Das zu erwarten, entspricht allerdings auch nicht der Konzeption des elterlichen Erziehungsrechts. Die Eltern nehmen im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung immer Einfluss auf das Kind. Diesen Einfluss, der bei der kindlichen Entwicklung unerlässlich ist, gesteht das Grundgesetz dabei gerade ausdrücklich den Eltern und nicht einer dritten Instanz zu.726 Es ist ihnen allerdings nicht erlaubt, das Kind von der eigenen Position zu überzeugen, ohne die kindlichen Belange hinreichend in die eigene Entscheidungsfindung einzubeziehen.727 Auf dieser Grundlage können der Beschneider respektive der Arzt die Wünsche des Kindes ermitteln.728 Je mehr Verständnis das Kind für den bevorstehenden Eingriff hat, umso mehr ist sein Beschneidungswunsch entscheidend für die Bestimmung der kindlichen Wohlbefindensförderung.729 Entscheidet das Kind über seine Religionszugehörigkeit selbst und äußert es den Wunsch beschnitten zu werden, können die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der psychischen Wohlbefindensförderung herabgesetzt werden. Da dem Kind nach § 5 Abs. 1 RelKErzG ein eigenes Entscheidungsrecht im religiösen Bereich zusteht, ist die Zugehörigkeit der Eltern zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft nicht mehr erforderlich. Der Minderjährige hat auch das Recht sich einer neuen Religion zuzuwenden, sodass eine primär christliche Erziehung durch die Eltern und die Taufe des Kindes zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr gleichermaßen geeignet sind, Zweifel an der Wohlbefindensförderung zu begründen, wenngleich der Minderjährige auf die Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten angewiesen bleibt. Auch hier sind Anhaltspunkte, welche für eine unzulässig beeinflusste Willensbildung des Kindes sprechen, zu berücksichtigen. d) Erreichbarkeit des Nutzens durch die Beschneidung zu einem späteren Zeitpunkt Die staatliche Schutzverpflichtung könnte die elterlichen Rechte dahin gehend überlagern, dass auch eine religiös motivierte Zirkumzision auf der Grundlage elterlicher Einwilligung nicht zulässig ist, wenn der psychische Nutzen für das Kind, ebenso wie der gesundheitsprophylaktische Nutzen, auch zu einem späteren Zeitpunkt noch erreicht werden kann. Wird der Zeitpunkt abgewartet, zu dem das Kind seine Wünsche jedenfalls verlässlich artikulieren kann, reduziert sich 725 Holzner, S. 11, will aus diesem Grund eine mündige Position des Kindes abwarten. Ebenso Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433. 726 Dazu genauer E. IV. 1. b). 727 Veit, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), § 1626 BGB, Rn. 32. 728 So, im Zusammenhang mit der Nutzenermittlung im TPG, auch Weilert, S. 329. 729 Dies gilt auch für den Fall der Ablehnung des bevorstehenden Eingriffs, vgl. dazu E. VI. 4. b).
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die Gefahr eines Eingriffs, der keinen psychischen Nutzen für das Kind zeichnen kann. Selbst eine nicht unbeeinflusste Entscheidung gibt Anhaltspunkte vor. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn das Kind den Eingriff ablehnt.730 Das elterliche Entscheidungsrecht darf durch das Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt allerdings nicht über Maß belastet werden. Für ein Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt kann angeführt werden, dass das Kind Ausgrenzung nur erleben kann, wenn es ein Verständnis für sich und seine Umwelt bereits entwickelt hat. Ist dies der Fall, liegt die Vermutung nahe, dass die kindlichen Tendenzen hinsichtlich des Eingriffs abgefragt und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden können. Vor diesem Hintergrund könnte die Beschneidung jedenfalls auf den Zeitpunkt verschoben werden, in dem das Kind seine „Andersartigkeit“ im Vergleich zu anderen Kindern und Jugendlichen in seiner religiösen Umgebung als einschränkend empfindet und sich dadurch belastet fühlt731 oder die religiöse Bedeutung des Rituals für sich selbst als besonders wichtig definiert und dadurch seine eigene Glaubenszugehörigkeit gerne zum Ausdruck bringen möchte.732 Die für das Kind belastende Situation kann durch eine elterliche Entscheidung zeitnah behoben werden. Eine dauerhafte Ausgrenzungssituation mit nachhaltigen seelischen Beeinträchtigungen für das Kind muss nicht entstehen. Eine kurzzeitige Belastung des psychischen Wohlbefindens kann vor dem Hintergrund der Bedeutung der körperlichen Unversehrtheit auch hingenommen werden. Dadurch würden insbesondere die Rechte der Kinder gestärkt, welche psychische Belastungen aufgrund des Zustandes des Nichtbeschnittenseins gerade nicht erfahren. Ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung im einwilligungsfähigen Alter könnte zur vollen Geltung gebracht werden. Im Unterschied zu einer gesundheitsprophylaktischen Beschneidung, die sich allein an den elterlichen Rechten aus Art. 6 Abs. 2 GG orientiert, ist bei einer religiös motivierten elterlichen Entscheidung allerdings zusätzlich der Schutz der elterlichen Religionsfreiheit einzubeziehen. Gemeinsam verdichten sich die grundrechtlichen Gewährleistungen hin zu einem religiösen Erziehungsrecht.733 730
Zur Beachtung des kindlichen Willens genauer auch unter E. VI. 4. b). Isensee, S. 321, sieht die Zielerreichung auch bei Abwarten der Volljährigkeit des Betroffenen gegeben. So – vor dem religiösen Bedeutungshintergrund der Zirkumzision – auch Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433 f.; Jahn, S. 851; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 177, 180; Manok, S. 102 f. und Exner, S. 48 f. Letzterer verweist zusätzlich darauf, dass die religiösen Zirkumzisionsrituale auch aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen aufgeschoben werden können. BT-Drucks. 17/11430, S. 9 f., will das 14. Lebensjahr des Betroffenen abwarten. Die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen abwarten wollen auch LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4; Putzke, Recht und Ritual, S. 625; Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 409. 732 Zur eigenen Einwilligungsfähigkeit des Kindes oben unter D. IV. 1. 733 Dazu bereits E. IV. 1. b) bb). Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 339; Spickhoff, Strafrecht, S. 1424, will aus diesem Grund die Einwilligungsfähigkeit 731
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Die Eltern definieren in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung des religiösen Gebots der Beschneidung für sich und ihr Kind. Der Staat darf den Bedeutungsgehalt einer religiösen Handlung für die Gläubigen nicht antizipieren. Vielmehr verbleibt den Gläubigen, innerhalb der Grenzen zulässiger Religionsausübung, die Definitionshoheit.734 Im Judentum ist der Beschneidungszeitpunkt in der Tora auf den 8. Tag nach der Geburt des Kindes festgelegt. Für gläubige Juden ist der Zeitpunkt, zu dem die Beschneidung vorgenommen werden soll, von entscheidender Bedeutung und fester Bestandteil des religiösen Gebots.735 Nur in absoluten Ausnahmefällen, insbesondere aus gesundheitlichen Gründen, wird die Beschneidung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Wird die Beschneidung nachgeholt, was grundsätzlich möglich ist, kann dies Einfluss auf die Wertigkeit des Rituals haben.736 Die Bedeutung des Ritus und auch die religiösen Folgen der Vornahme zu einem späteren Zeitpunkt zu bestimmen, obliegt dabei ebenfalls den Gläubigen selbst. Für gläubige Juden jedenfalls bildet die Möglichkeit, die Beschneidung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, keine Alternative zu der Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt des Kindes.737 Dadurch soll auch der Eindruck vermieden werden, es handle sich bei dem Eingriff um ein Mannbarkeitsritual.738 Diesen, der Beschneidung beigebrachten Bedeutungsgehalt hat der Staat zu akzeptieren.739 Die elterlichen Rechte, den Bedeutungsgehalt des Rituals auszufüllen und an die Kinder im Rahmen ihrer Erziehungsverantwortung weiterzugeben, kann nur dann nicht durchgreifen, wenn die Rechte des Kindes dem derart entgegenstehen, dass das Ergebnis praktischer Konkordanz lediglich ein Beschneidungsverbot zur Folge haben kann. Die Rechte des Kindes werden bereits dadurch abgesichert, dass ein Nutzen für das psychische Wohlbefinden wahrscheinlich eintreten muss und dies durch das Einhalten bestimmter Voraussetzungen nachzuweisen ist. Gleichzeitig handelt es sich um einen relativ risikoarmen und leichten Eingriff.740 Auch wenn dieser Eingriff irreversible Folgen hat, ergeben sich daraus nicht notwendig Beeinträchtigungen für das Selbstbestimmungsrecht und des Betroffenen abwarten, wenn die Beschneidung zu einem früheren Zeitpunkt religionsgesetzlich nicht notwendig erforderlich ist. 734 Genauer E. IV. 2. a) cc) (5). 735 Siehe zu der besonderen Bedeutung des Beschneidungszeitpunktes auch oben unter C. I. 1. 736 E. V. 4. b). 737 Deusel, Stellungnahme, S. 2; Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 9; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 419; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 23; Kramer, Warum beschneiden Juden. 738 Deusel, Stellungnahme, S. 2; siehe dazu auch oben unter C. I. 1. 739 Dazu auch E. IV. 2. a) bb); Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 109. 740 Siehe auch E. VI. 2. b) bb).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
die Religionsfreiheit des Kindes.741 Die Vornahme des Eingriffs zu einem späteren Zeitpunkt kann hingegen für das betroffene Kind mit Nachteilen im religiösen Nahraum verbunden sein. Verstirbt das Kind, bevor die Beschneidung durchgeführt wurde, kann den Eltern eine religiöse Bestattung verwehrt werden.742 Das Kind kann nicht zu einem vollständig integrierten Mitglied der Glaubensgemeinschaft gemacht werden. Die Eltern können ihren Glauben nicht gemeinsam mit ihrem Kind leben.743 Selbst wenn die Beschneidung, auch auf Wunsch des Kindes, zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt wird, ist nicht sicher, dass das psychische Wohlbefinden in der Art und Weise gesteigert werden kann, wie dies durch eine Beschneidung zur rechten Zeit geschehen sein würde. Dies zu beurteilen, obliegt wiederum den Eltern, die diese Gesichtspunkte in ihre Wahrscheinlichkeitsprognose einbeziehen dürfen.744 Die Bedeutung des religiösen Erziehungsrechts, mit den positiven Auswirkungen für das Kind, kann daher bedeutender sein als die Rechte des Kindes und diesen im Rahmen der Abwägung auch vorgehen.745 Die besondere Bedeutung der Religionsfreiheit rechtfertigt auch eine unterschiedliche Behandlung von religiös und gesundheitsprophylaktisch motivierter Beschneidung. Ohne den Einfluss der Religionsfreiheit, welche die elterlichen Rechte verstärkt, greift ein Beschneidungsverbot nicht mit vergleichbarer Intensität in die elterlichen Rechte ein.746 Der Schutz der kindlichen Religionsfreiheit ist daher nicht notwendig, aber auch nicht geeignet, um die Verfassungsgemäßheit einer religiösen Beschneidung aufgrund eines elterlichen Wunsches zu begründen. Die Beschneidung als religiöses Symbol am eigenen Körper vornehmen zu lassen, ist von der Religionsfreiheit gedeckt.747 Sind die Kinder im Hinblick auf die Religionsfreiheit nicht mündig, ihr Grundrecht wahrzunehmen, entscheiden die Eltern im Rahmen ihres Elternrechts. Allerdings zeichnet das Verbot der Beschneidung im Kindesalter auch Auswirkungen auf die Religionsfreiheit des Kindes zu einem späteren Zeitpunkt. Der Beschneidung haftet der Makel an, nicht zur rechten Zeit vorge741
Siehe dazu auch E. V. 4.–5. Siehe auch C. I. 1. 743 Dazu auch C. I. 1. 744 I. d. S. auch Radtke, Stellungnahme, S. 9 f.; Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 13; Rox, Anmerkung, S. 808. So, mit Kritik an dem Urteil des LG Köln, auch Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 149. BT-Drucks. 17/11430, in welcher ein Verschieben auf das 14. Lebensjahr des Kindes vorgesehen ist, lässt sich daher nicht mit der Verfassung vereinbaren, so auch Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 109; Steinbach, S. 8; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 429; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 17. 745 Brocke/Weidling, S. 455 f. A. A. Sonnekus, S. 10. 746 Zur Abwägungsentscheidung mit Bezug auf die gesundheitsprophylaktische Zirkumzision oben E. VI. 2. b). 747 Siehe dazu bereits oben E. IV. 2. a) bb). 742
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nommen worden zu sein, was einen Eingriff in die kindliche Religionsfreiheit bereits begründen könnte.748 Allerdings finden diese Belange bereits ausreichend Beachtung bei Ausgestaltung des Kindeswohls im Rahmen der Elternverantwortung. Die kindliche Religionsfreiheit ist daher nicht entscheidend.749 Entscheidend bleiben die elterliche Wahrscheinlichkeitsprognose und deren Nachvollziehbarkeit. Die obigen Ausführungen beziehen sich dabei auf die Bedeutung der Beschneidung im Judentum. In den islamischen Glaubensgemeinschaften fehlt eine Regelung, die den Beschneidungszeitpunkt fixiert. Regelmäßig werden Beschneidungen in den islamischen Glaubensgemeinschaften daher auch zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt vorgenommen. Auch hier ist den Eltern in Ausgestaltung ihres religiösen Erziehungsrechts zuzugestehen, die Bedeutung des Beschneidungszeitpunkts eigenständig zu definieren. Die Wahrscheinlichkeitsprognose hat sich dabei auch an den Besonderheiten der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu orientieren. Können die Eltern nicht nachvollziehbar darlegen, dass der von ihnen gewählte Zeitpunkt auch einen religiösen Bedeutungsgehalt aufweist, kann eine ausreichende Wahrscheinlichkeit kindlicher Wohlbefindensförderung nicht angenommen werden. Konstitutive Bedeutung für die Aufnahme hat die Beschneidung in den islamischen Gemeinschaften, im Unterschied zum Judentum, gerade nicht.750 Häufig wird die Beschneidung daher zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu welchem sich das Kind bereits artikulieren kann. Ist dies der Fall, sind die kindlichen Äußerungen bei Stellung der Wahrscheinlichkeitsprognose einzubeziehen. e) Vereinbarkeit der Erkenntnisse mit § 1631d BGB Eine religiös motivierte Zirkumzision kann das psychische Wohl des Kindes fördern. Zum Schutz der Kinder muss für die Wohlbefindensförderung eine ausreichende Wahrscheinlichkeit bestehen. Diese kann – je nach Alter des betroffenen Kindes – mittels unterschiedlicher Parameter nachgewiesen werden. Kann das Kind seine Wünsche nicht äußern, wie es bei Beschneidungen im Judentum regelmäßig der Fall ist, ist der gemeinsame Beschneidungswunsch der Eltern erforderlich.751 Der Arzt respektive der rituelle Beschneider dürfen sich nur darauf verlassen, dass auch der abwesende sorgeberechtigte Elternteil eingewilligt hat, wenn er nach dessen Zustimmung ausdrücklich gefragt und eine zufriedenstellende Antwort erhalten hat. Bei Zweifeln hat die Beschneidung zu unterbleiben. Gleiches gilt, wenn die religiöse Motivation des Eingriffs oder die religiöse Be748 So auch Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 91; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 415; Lack, S. 341; Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 339; Yalçin, S. 384. 749 So auch Hörnle/Huster, S. 329. 750 Dazu C. II. 1. 751 Dazu E. VI. 3. c) aa).
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deutung des Beschneidungszeitpunktes nicht nachvollziehbar dargestellt wird. Bei Beschneidungen durch rituelle Beschneider im religiösen Rahmen kann regelmäßig von einer ausreichenden religiösen Begründetheit des Eingriffs ausgegangen werden. Ein Arzt, der die Beschneidung in einem nicht religiösen Rahmen vornimmt, hat sich der religiösen Motivation der Eltern durch Nachfrage im Aufklärungsgespräch zu versichern. Ergeben sich an der Rechtmäßigkeit der elterlichen Motivation keine Zweifel, kann die Beschneidung mit deren Einwilligung zur Förderung des kindlichen Wohlbefindens durchgeführt werden.752 In manchen Ländern wird die Beschneidung auch aus kulturellen Gründen vorgenommen.753 Kulturelle Gründe können im Rahmen von Art. 4 GG ebenfalls berücksichtigt werden754 und gleichsam dem kindlichen Wohlbefinden dienen.755 § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB deckt die elterliche Einwilligung in eine religiös motivierte Beschneidung ab. Die Vorschrift wurde gerade zu diesem Zweck geschaffen.756 Die religiös motivierte Beschneidung führt nicht per se zu einer Gefährdung des kindlichen Wohls und ist damit auch nicht nach § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB von der elterlichen Entscheidungsbefugnis ausgenommen. Ist eine Gefährdung des Kindeswohls im Einzelfall gegeben, kann die elterliche Einwilligung dennoch keine rechtfertigende Wirkung entfalten. Dies ergibt sich bereits aus § 1631 Abs. 2 BGB und § 1666 Abs. 1 BGB, der in diesen Fällen ein familiengerichtliches Einschreiten fordert.757 Eine Notwendigkeit für den Ausnahmetatbestand in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB besteht damit aus diesem Grund nicht. Gleichzeitig sind an die elterliche Einwilligung in eine religiös motivierte Beschneidung, zum Schutz kindlicher Rechte und in Ausgestaltung der Bedeutung des kindlichen Wohls bei der elterlichen Entscheidungsfindung, bestimmte weitere Anforderungen zu stellen. Die notwendige Wahrscheinlichkeit einer kindlichen Wohlbefindensförderung durch den Eingriff lässt sich § 1631d Abs. 1 BGB nicht unmittelbar entnehmen. Allerdings haben die Eltern das Kindeswohl bereits nach den geltenden einfachgesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 1626 Abs. 2 BGB, zu beachten.758 Dieses Wohl kann im Ergebnis durch die Entscheidung der Eltern nur gefördert werden, wenn der Eingriff wahrscheinlich einen Nutzen stiftet. Die Beachtung des Kindeswohls in dieser Vorschrift lässt sich mit Bezug auf die rituelle Zirkumzision dahin auslegen, dass bestimmte Voraussetzungen einzu752
Dazu E. VI. 3. c) aa)–bb). Dazu C. III. 754 Steinbach, S. 10. 755 So auch Schramm, Ehe und Familie, S. 231, mit dem Hinweis, dass u. U. fremdländisches Familienrecht zur Anwendung kommt und die Beschneidung bereits aus diesem Grund zulässig sein kann. Der Rückgriff ist allerdings nicht erforderlich, wenn die kulturelle Beschneidung auch nach deutschem Recht zulässig ist. 756 BT-Drucks. 17/11295, S. 17. 757 Dazu auch E. VI. 2. d). 758 So auch Veit, in: Bamberger/Roth (Hrsg.), § 1631d BGB, Rn. 18. 753
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halten sind, um die Wahrscheinlichkeitsprognose zu stützen. Diese Voraussetzungen müssen nicht notwendig in die Vorschrift integriert werden. Die äußere Grenzlinie notwendigen gesetzgeberischen Tätigwerdens ist dem, aus Art. 20 Abs. 3 GG ableitbaren, Wesentlichkeitsgebot759 zu entnehmen. Dieses verpflichtet den Gesetzgeber, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Indem der Gesetzgeber den Kindeswohlvorbehalt ausdrücklich in § 1626 Abs. 2 BGB verankert hat, ist er dieser Verpflichtung allerdings nachgekommen. Eine detailliertere Regelung ist zum Schutz der betroffenen Kinder auch nicht notwendig. Die Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs ist in diesem Zusammenhang hilfreich, da er sich für jeden Einzelfall elterlichen Handelns auffüllen lässt.760 Dennoch kann eine gesetzgeberische Anpassung Sinn machen, um die Bedeutung des Kindeswohls im Zusammenhang mit der rituellen Zirkumzision zusätzlich zu stärken und die Voraussetzungen an die notwendige Wahrscheinlichkeitsprognose deutlich zu machen. 4. Schutzmechanismen zur Wahrung kindlicher Rechte Die rituell motivierte Zirkumzision lässt sich mit den Rechten des Kindes in Einklang bringen, wenn dessen Wohlbefinden dadurch hinreichend gefördert wird. An die Ausgestaltung des Eingriffs sind aufgrund der kindlichen Rechte und der darauf bezogenen staatlichen Schutzverpflichtung allerdings weitere Anforderungen zu stellen. a) Wahrung des medizinischen Standards Der Eingriff lässt sich mit den Rechten des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit nur vereinbaren, wenn das Eingriffsrisiko auf ein Minimum reduziert wird.761 Es ist daher jedenfalls erforderlich, dass bei Durchführung einer Zirkumzision der medizinische Standard gewahrt wird.762 § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB hat die „Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst“ zur notwendigen Voraus-
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BVerfGE 83, 130 (142) m.w. N. Anders, wenn auch die Regelung im Ergebnis als verfassungswidrig beurteilend, Manok. 761 Siehe dazu bereits oben E. V. 3. a). Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 92. 762 Valerius, S. 485; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Zähle, S. 452; Strasser, S. 222, unter Bezugnahme auf das österreichische Recht aber unter Einstellung vergleichbarer Grundrechte in die Abwägungsentscheidung; Wallner, S. 283; LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244). Die Durchführung der Zirkumzision in „vorgeschriebener Art und Weise“ ist auch in Südafrika Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs, vgl. § 12 Abs. 8 Buchst. a) und Abs. 9 Buchst. a) Children’s Act 38 of 2005. Schweden hat hinsichtlich der einzuhaltenden Anforderungen ebenfalls Restriktionen in die Ausführungsbestimmungen aufgenommen (vgl. § 4 der Ausführungsbestimmungen des Socialstyrelsen). 760
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setzung einer wirksamen elterlichen Einwilligungserklärung gemacht. Die Verpflichtung, den „fachlichen Standard“ zu wahren, kann sich zusätzlich aus § 630a Abs. 2 BGB ergeben, wenn mit dem Beschneider ein Behandlungsvertrag nach § 630a Abs. 1 BGB zustande gekommen ist. Gegenstand eines Behandlungsvertrages sind medizinische Behandlungen (vgl. § 630a Abs. 1 BGB). Behandlungen dieser Art sind nicht notwendig medizinisch indiziert. Vielmehr sind auch Behandlungen aus ästhetischen Gründen davon umfasst.763 Aus arztrechtlicher Sicht handelt es sich bei einer rituellen Zirkumzision um einen ästhetischen Eingriff, da ihm die medizinische Indikation fehlt. Die rituelle Beschneidung kann daher tauglicher Gegenstand eines Behandlungsvertrages sein. Dass die Eltern allein aus ästhetischen Gründen in eine Beschneidung nicht einwilligen können,764 ändert daran nichts. In diesem Zusammenhang bildet die Bestimmung des Eingriffs als ästhetische Behandlung lediglich den Gegenbegriff zu medizinisch indizierten Eingriffen. Die Eltern schließen den Behandlungsvertrag für das betroffene Kind entweder in eigenem Namen zugunsten des Kindes (§ 328 Abs. 1 BGB) oder als gesetzliche Vertreter des Kindes in dessen Namen mit dem Behandler ab.765 Bei Durchführung der Beschneidung durch einen approbierten Mediziner kommt ein Behandlungsvertrag regelmäßig zustande. aa) Die gesetzgeberische Wahl des Terminus „Regeln der ärztlichen Kunst“ Dass § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB begrifflich auf die „Regeln der ärztlichen Kunst“ abstellt, ist aus Perspektive des Medizinrechts unsauber und im regulatorischen Gesamtgefüge jedenfalls ungewöhnlich.766 Regelgerechtes ärztliches Verhalten misst sich am medizinischen Standard.767 Der rechtliche Terminus ist dabei inhaltlich auf medizinische Anreicherung angewiesen.768 Er umschreibt den „jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrungen, die zur Erreichung des ärztlichen Behandlungszieles erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat“ 769.770 Vorgabe für den einzuhaltenden Behandlungsstandard ist der Standard eines erfahrenen Facharztes mit durchschnitt763
BT-Drucks. 17/10488, S. 17; Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 5. Siehe dazu bereits E. VI. 3. a) bb). 765 Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 3. 766 Ähnlich auch Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 340; Manok, S. 135. 767 Lilie, S. 12; zum medizinischen Standard insgesamt auch Katzenmeier, X. Arztfehler und Haftpflicht, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Rn. 6 ff.; Quaas, in: Quaas/Zuck, § 14, Rn. 72. 768 Hart, S. 8. 769 Erstmals mit dieser Definition Carstensen, A-2432. 770 Ebenso Kern, Spannungsverhältnis, S. 301; Laufs, in: Laufs/Kern, § 3, Rn. 17; Lilie, S. 12; OLG Köln, VersR 2000, 493. 764
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lichen Fähigkeiten und Kenntnissen.771 Wird der ärztliche Standard von dem behandelnden Arzt nicht eingehalten, ist – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – ein Behandlungsfehler mit straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen gegeben.772 Eine Vorgehensweise, die nicht dem medizinischen Standard entspricht, ist rechtlich unzulässig und von der Einwilligung des Patienten nicht gedeckt. Im Gegensatz zum ärztlichen bzw. medizinischen Standard wird unter Kunst „etwas in das Belieben des Einzelnen“ Gestelltes verstanden, das sich an dessen „Stil, Geschmack und Empfinden“ 773 ausrichtet. Die Verwendung des Begriffs der „ärztlichen Kunst“ in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB kann auf das gewährleistete Schutzniveau Auswirkungen haben. Es wird offen gelassen, ob Operationstechniken, die hinter dem ärztlichen Standard zurückbleiben, zu akzeptieren sind,774 wenn diese dem Stil des Behandlers entsprechen. Dies entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser wollte, zum Schutz kindlicher Rechte, die Einhaltung des medizinischen Standards verbindlich festschreiben.775 Nur innerhalb dieser Grenzen darf sich der persönliche Stil des Operateurs entfalten. Eine andere Beurteilung ist aufgrund der entgegenstehenden Rechte der Kinder auch nicht haltbar. Das Erfordernis der Beachtung der „Regeln ärztlicher Kunst“ ist dahin gehend auszulegen. Dies ist auch möglich; die Vorschrift nicht aus diesem Grund verfassungswidrig. Der Gesetzgeber nutzt die Begrifflichkeit „Regeln ärztlicher Kunst“ in einigen Regelwerken synonym für das Erfordernis der Einhaltung des medizinischen Standards,776 ohne damit eine Reduktion der einzuhaltenden Voraussetzungen bewirken zu wollen. Operationstechniken, die hinter dem ärztlichen Standard zurückbleiben, sind – auch wenn sie der ärztlichen Kunst entsprechen – bei Durchführung einer rituellen Zirkumzision nicht zu akzeptieren. Dennoch handelt es sich um eine überholte Begrifflichkeit, die aus Gründen der Rechtssicherheit keine Verwendung finden sollte.777 Der Gesetzgeber kann die (ohnehin notwendige) Anpassung des Gesetzestextes dazu nutzen, den Terminus „ärztliche Kunst“ durch den Begriff des ärztlichen/medizinischen oder fachlichen Standards zu ersetzen.778 771
BGHZ 144, 296 (306); BGH, NJW 1999, 1778 (1779); Brocke/Weidling, S. 458. Katzenmeier, X. Arztfehler und Haftpflicht, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Rn. 7; dazu auch Hart, S. 12 f. 773 So jedenfalls für den Begriff des „Kunstfehlers“ auch Lilie, S. 12 f. 774 Dazu auch Isensee, S. 325. 775 BT-Drucks. 17/11295, S. 17. 776 So u. a. in § 81a Abs. 1 S. 2 StPO, § 28 Abs. 1 S. 1 SGB V, § 4 Abs. 2 S. 1 BÄO. Teilweise auch „fachlicher Standard“, so in § 630a Abs. 2 BGB und „allgemein anerkannter Stand medizinischer Erkenntnisse“, so in § 70 Abs. 1, § 72 Abs. 2 SGB V. 777 Erlinger/Warntjen/Bock, in: Widmaier/Barton/Müller, § 50, Rn. 13; so auch Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 340. 778 Vgl. zum Anpassungsbedarf zusammenfassend unter G. Im Folgenden werden die Begrifflichkeiten synonym verwendet. 772
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bb) Inhaltliche Auffüllung des ärztlichen Standards Die fachgerechte Durchführung der Zirkumzision ist ein essenzieller Bestandteil der Wahrung des ärztlichen Standards. Ausgeführt wird die Zirkumzision i. d. R. mit einen Skalpell (sog. Dorsalschnitt) oder durch Abschnürung der Vorhaut. Das Vorhautbändchen darf dabei nicht durchtrennt werden. Anschließend wird die Wunde mit einer chirurgischen Naht verschlossen.779 Der Operateur hat diesen Standard bei Durchführung des Eingriffs zu wahren (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Ob sich die konkrete Vorgehensweise mit dem aktuellen ärztlichen Standard deckt, ist im Einzelfall aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Neben der konkreten Art der Durchführung gilt dies auch für den Umfang des Eingriffs. Die Intensität einer Zirkumzision kann unterschiedlich ausfallen. Die radikale Form der Beschneidung erfasst die komplette Entfernung der Vorhaut; die partielle Zirkumzision beschränkt sich auf die Entfernung des äußeren, überstehenden Teils des Präputiums. Begrifflich sind die verschiedenen Intensitätsgrade von § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB erfasst.780 Inwieweit diese mit dem ärztlichen Standard in Einklang zu bringen sind, obliegt der Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls. Jedenfalls ist die Entfernung zusätzlichen Gewebes nicht mehr Beschneidung i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB und daher nicht mehr vom medizinischen Standard gedeckt.781 Neben Art und Umfang des Eingriffs ist auch die Beachtung bestehender Kontraindikationen ein Bestandteil der Einhaltung des medizinisch gebotenen Standards. An Neugeborenen soll eine Zirkumzision nicht vorgenommen werden, wenn sie deutlich zu früh geboren wurden oder unter einer Blutbildungsstörung leiden. Gleiches gilt für Kinder mit angeborenen Anomalien, wie Hypospadie, neurologischen Fehlbildungen, oder wenn in der Familiengeschichte des Kindes Blutungsstörungen vorkommen.782 Liegen diese – oder ähnliche Krankheitsbilder vor – ist der Eingriff nicht von § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB und der elterlichen Einwilligungsbefugnis gedeckt.783 779
Dazu genauer Hakenberg, Stellungnahme. Vgl. zur Begriffsbestimmung bereits oben unter B. II. Hörnle/Huster, S. 338. Die Entfernung eines großen Teils an Haut und Gewebe lässt sich allerdings nicht mit dem Kindeswohl vereinbaren. 781 So bereits vor Schaffung des § 1631d BGB LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244). Der rituelle Beschneider entfernte neben der Vorhaut auch einen Teil des Penisschafts, was einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt des Kindes und zwei weitere Operationen notwendig machte. Die Einwilligung der Eltern war aufgrund der Umstände des Einzelfalls unwirksam. Zur Notwendigkeit der Einhaltung des medizinischen Standards durch rituelle Beschneider unter E. VI. 5. a). 782 Dazu Deusel, Mein Bund, S. 22; auch American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e772 ff. Zur Hypospadie auch Schreiber/ Schott/Rascher u. a., S. 412; zu den Indikationen und Kontraindikationen einer Zirkumzision auch Schäfer/Stehr, S. 112; Tröbs/Becker/Burkhardt, S. 4. 783 So auch Hörnle/Huster, S. 338; Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 341; mit gleichem Ergebnis auch Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 260 und Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, 780
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Praktisch ist es, insbesondere bei Neugeborenenzirkumzisionen, häufig schwierig, bestehende Kontraindikationen zu erkennen. Die Routineuntersuchungen (U1- und U2-Untersuchung) sind nicht ausreichend, um alle Kontraindikationen einer Zirkumzision zu ermitteln, da die dafür notwendigen Untersuchungen in deren Umfang nicht vorgesehen sind.784 Zur Behebung dieses Problems wurde im Gesetzgebungsprozess ein Alternativentwurf eingebracht, der eine gesonderte Ermächtigung für das Bundesministerium der Gesundheit zur Regelung „der Anforderungen und Modalitäten zur Feststellung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung für das minderjährige männliche Kind“ 785 vorsah. Den mit einer Standardisierung der Voraussetzungen verbundenen Vorteilen stehen auch Nachteile gegenüber. Der medizinische Standard orientiert sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.786 Diese unterliegen einem ständigen Wandel. Aus diesem Grund sollte auf eine detaillierte Bestimmung im Rahmen einer Rechtsverordnung verzichtet werden. Besser ist die flexible Anpassung an den geltenden medizinischen Stand der Wissenschaft.787 Das ermöglicht, das Schutzniveau für die betroffenen Kinder konstant an den aktuellen Vorgaben zu orientieren und damit besonders hoch zu halten. Der Beschneider ist verpflichtet, die Eltern im Rahmen des Aufklärungsgespräches zu familiären Vorerkrankungen zu befragen und deren Bedeutung deutlich zu machen.788 Ein weiterer Bestandteil der Beachtung des medizinischen Standards ist die Einhaltung geltender Hygienevorschriften.789 Das Absaugen des Blutes mit dem Mund aus der Wunde, wie dies innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft im Einzelfall praktiziert wird, lässt sich damit nicht vereinbaren.790 Der Operateur S. 16. Allerdings prüfen diese die medizinischen Ausschlussgründe im Rahmen der Kindeswohlgefährdung. 784 Dazu auch Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 55; BT-Drucks. 17/11815, S. 5; Hartmann, Stellungnahme, S. 4; Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 46. Krankheiten wie Gerinnungsstörungen, Hämoglobinopathien oder Antikörpermangelsyndrom werden nicht getestet. Dafür ist die Blutentnahme und -untersuchung unerlässlich. Diese dürfe der Arzt aufgrund der fehlenden medizinischen Indikation aber gar nicht vornehmen. 785 BT-Drucks. 17/11815. 786 Dazu bereits soeben E. VI. 4. a) bb). 787 Heinig, Stellungnahme, S. 3; Radtke, Stellungnahme, S. 10; Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 15. 788 Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 55. Zur Aufklärung auch unter E. VI. 4. c) und E. VI. 5. c). 789 Schweden hat hierzu eine ausdrückliche Regelung getroffen, vgl. § 4 LOP. Dazu Ring/Olsen-Ring, S. 525. 790 So auch Staatsanwaltschaft Berlin, Bescheid über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO v. 1.11.2014, S. 5, abrufbar unter: http://justiz alltag-justizskandale.info/wp-content/uploads/2013/12/Einstellung-der-Berliner-Staats anwaltschaft.pdf (30.5.2016). Bereits die Veranlassung der Königlich Preußischen Re-
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hat eine diesen Anforderungen genügende Operationsumgebung zu schaffen. Dafür ist es nicht grundsätzlich erforderlich, den Eingriff in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis vorzunehmen. Auch religiöse Räumlichkeiten oder das Zuhause des Kindes können eine ausreichend hygienische Umgebung für den Vorgang bieten.791 Eine Verankerung detaillierter Hygienebestimmungen ist nicht notwendig erforderlich. Die Voraussetzung der Einhaltung des ärztlichen Standards deckt diese Verpflichtung bereits hinreichend ab.792 b) Die Beachtung des kindlichen Willens Der kindliche Wille muss bei der elterlichen Entscheidung Berücksichtigung finden.793 Besteht dahin gehend Einigkeit, ist die Bestimmung, wie der kindliche Wille zum Ausdruck gebracht werden kann, und welche Folgen dieser letztlich für die elterliche Entscheidung zeichnet, schwierig. Die kindlichen Abwehrreaktionen sind facettenreich. Sie reichen von der Formulierung einer ablehnenden Haltung bei älteren Kindern bis hin zu unspezifischen Reaktionen, wie Weinen, Schreien und Strampeln bei Säuglingen und Kleinkindern. Eine ausdrückliche Erklärung des Kindes ist nicht notwendig, um eine ablehnende Haltung zu begründen.794 Um das kindliche Verhalten als Weigerung gegen den bevorstehenden Eingriff deuten zu können, ist aber zumindest ein gewisses Verständnis des gierung zu Breslau, Oppeln und Liegnitz von 1819 verbot dieses Verhalten, vgl. zum Wortlaut der Regelung Augustin, S. 9. 791 Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 56; krit. ggü. der Möglichkeit zur Gewährleistung eines sterilen Raumes außerhalb eines Krankenhauses Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 344. Ob dies auch noch gelten kann, wenn von der Notwendigkeit einer ärztlichen Schmerzbehandlung ausgegangen wird [vgl. dazu unter E. VI. 4. e) bb)–cc)], ist eine medizinische Einzelfallbeurteilung. 792 A. A. Holzner, S. 14. Die Verbindlichkeit der Empfehlungen des Robert KochInstituts sollten in das Gesetz aufgenommen werden. 793 Dazu bereits oben E. IV. 1. c), E. V. 4. b), E. V. 5. c) und E. VI. 3. c) cc). Zust. Ehrmann, Stellungnahme; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 155; Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 173; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 495, leitet das Vetorecht des Kindes aus Art. 136 Abs. 4 WRV ab. Siehe zu der Anwendbarkeit des Art. 136 Abs. 4 WRV auch oben unter E. IV. 2. d) aa) (2). Holzner, S. 15; Lilie, S. 13; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 280, mit Anleihe im TPG; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117; Wapler, S. 544; Willutzki, Zum Umfang der Personensorge; OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3663): Es finden die §§ 1626 Abs. 2 S. 2, 1631 Abs. 2 BGB Anwendung. So, im Zusammenhang mit der Kindeswohlbestimmung im TPG, auch Weilert, S. 314 f. Zum Recht des Kindes, an der Entscheidung beteiligt zu werden, siehe auch Art. 12 Abs. 1 KRK. Beschneidungsregelungen in anderen Länder sehen ein Recht des Kindes, die Zirkumzision abzulehnen, ausdrücklich vor (vgl. für Südafrika § 12 Abs. 10 Children’s Act 38 of 2005: „(. . .) the child has the right to refuse circumcision“). § 3 Abs. 3 LOP bestimmt, dass „ein entgegenstehender Wille des Jungen (. . .) dem Eingriff entgegen[steht]“, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 525. 794 Vgl. auch die Formulierung zum kindlichen Vetorecht in § 8a Nr. 4 S. 3 TPG und § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 3 AMG: „oder bringt (. . .) dies in sonstiger Weise zum Ausdruck“.
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Kindes von dem Eingriff zu fordern.795 Ab wann ein ausreichendes Verständnis des Kindes angenommen werden kann, ist eine Einzelfallentscheidung. Für ablehnende Entscheidungen im religiösen Bereich gilt dies jedenfalls – in Anlehnung an § 5 S. 2 RelKErzG – mit Vollendung des 12. Lebensjahres.796 Grundsätzlich kann die elterliche Entscheidung eine kindliche Abwehrreaktion bis zu diesem Zeitpunkt überlagern.797 Andernfalls könnte das Kind durch eine ablehnende Haltung die elterliche Entscheidung aushebeln und damit das Zuständigkeitssystem des Grundgesetzes umgehen. Die absolute Grenze der elterlichen Entscheidungsbefugnis wird durch die Kindeswohlgefährdung gezogen.798 Erst wenn eine solche zu befürchten ist, haben die Eltern keine Möglichkeit mehr, den kindlichen Willen zu übergehen. Bei der religiös motivierten Zirkumzision ist eine davon abweichende Beurteilung geboten. Die Rechtfertigung für die elterliche Einwilligung findet sich in dem Nutzen für das psychische Wohlbefinden des Kindes. Kann das Kind sich artikulieren und hat es Verständnis für den bevorstehenden Eingriff, kann sein Beschneidungswunsch mitursächlich sein für die Begründung einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit kindlicher Wohlbefindensförderung und damit die elterliche Entscheidung stützen.799 Äußert sich das Kind ablehnend, spricht eine Vermutung für die fehlende Wohlbefindensförderung durch den Eingriff.800 Da durch die kindliche Ablehnung kein körperlicher Schaden droht, kann diese die mit dem Eingriff grundsätzlich einhergehende Wohlbefindensförderung nivellieren. Denn die ablehnende Haltung legt den 795 Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 55; Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, in: Oestreich, „Beschneider dürfen Kinder nicht betäuben“; Hörnle/Huster, S. 338 ff.; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 24; Kramer, Stellungnahme, S. 6; Steinbach, S. 7; Schramm, Ehe und Familie, S. 217 f.; Wölk, S. 88, will in diesen Fällen die kindliche Willensfähigkeit ausreichen lassen. Graf/Fellmann/Müller: Im Jüdischen Krankenhaus Berlin wird auch das Einverständnis des Jungen gefordert, sobald er „älter“ ist. Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117, stellt auf die Willensäußerungsfähigkeit ab und fordert nachhaltigen Widerstand. Dazu sein Gesetzesvorschlag unter D. V. 1. b). Unter Einbeziehung von Art. 12 Abs. 1 KRK so auch Kelle, S. 130. Für die Bestimmung im TPG so auch Weilert, S. 315. A. A. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 35.6.; Merkel, Stellungnahme, S. 3 f.; Schmidt-Recla, S. 569, will im Zusammenhang mit dem TPG auch unspezifische Reaktionen ausreichen lassen. 796 Dazu D. IV. 1. b). Büscher, S. 330, will die Vollendung des 10. Lebensjahres in Anlehnung an die Bestimmung in § 2 Abs. 3 S. 5 RelKErzG als Zeitpunkt notwendiger kindlicher Anhörung bestimmen. 797 Vgl. dazu die einfachgesetzliche Bestimmung des kindlichen Vetorechts in § 8a Nr. 4 S. 3 TPG, § 40 Abs. 4 Nr. 3 S. 2 AMG: die ablehnende Haltung des Kindes ist „zu beachten“. 798 Gleixner-Eberle, S. 326. 799 Dazu oben E. VI. 3. c) cc). 800 So für die Regelung im TPG auch Weilert, S. 319, nur im Ausnahmefall kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines (psychischen) Nutzens dann die elterliche Entscheidung noch decken. Ähnlich auch BGH, NJW 2007, 217 (218).
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Schluss nahe, dass der Eingriff das Wohlbefinden des Kindes insgesamt belasten würde. Kann das Kind sich artikulieren, greift zudem die Vermutung, dass es sich um einen aufschiebbaren Eingriff handelt. Die Beschneidung im Judentum, am 8. Tag nach der Geburt des Kindes, schließt eine eindeutige kindliche Willensbekundung aus. Wird eine jüdische Beschneidung zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen oder findet die Beschneidung innerhalb einer islamischen Glaubensgemeinschaft statt, reduziert sich die Bedeutung des Beschneidungszeitpunkts zusätzlich. Die Eltern haben dann von einer Einwilligung in den Eingriff abzusehen. Allerdings trifft auch den behandelnden Arzt bzw. den rituellen Beschneider die Verpflichtung, den kindlichen Willen zu erforschen und bei kindlicher Ablehnung des Eingriffs von diesem abzusehen.801 Der Eingriff kann zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Allerdings muss der geäußerte Wille nicht immer mit dem wahren Willen übereinstimmen. Voraussetzung für eine belastbare kindliche Vorstellung von dem Eingriff ist die kindliche Willensbildung auf einer informierten Grundlage.802 Handelt es sich um unrealistische Ängste, sind diese dem Kind – in einem altersangemessenen Gespräch – zu nehmen. Die Umstände des Einzelfalls sind hier entscheidend. Ein Abwarten bis zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist nicht erforderlich, wenn das Kind den religiösen Bedeutungsgehalt der Beschneidung zuvor erkennt und seine ablehnende Haltung gegen den Eingriff, nicht allein aufgrund einer familiären Drucksituation, aufgibt.803 Fehlt dem Kind das Verständnis in Bezug auf den Eingriff vollständig, kann eine kindliche Abwehrreaktion nur Bedeutung erlangen, wenn der Eingriff das Kindeswohl gefährden würde.804 Wehrt sich ein Kind in einer Art und Weise, die entweder auf physische oder psychische Schäden durch die Beschneidung schließen lässt, sind Eltern und Arzt verpflichtet, von einer solchen abzusehen. Der Arzt hat die Eltern auf mögliche Risiken hinzuweisen und gesondert aufzuklären. Eine Angstreaktion des Kindes, die eine medizinische Kontraindikation darstellt, ist auch bereits im Rahmen der Regeln der ärztlichen Kunst zu beachten.805 Die Einschränkungen der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit aufgrund einer kindlichen Abwehrreaktion sind bereits aufgrund der Kindeswohlbedeutung im Rahmen elterlichen Handelns zu berücksichtigen. Diese Voraussetzung findet sich in allgemeingültigen Regelungen zum Eltern-Kind-Verhältnis wie § 1626
801 Auch in diesen Fällen wird der Behandler u. U. durch die Irrtumsregeln geschützt, wenn er die Situation falsch einschätzt. 802 In einer ähnlichen Konstellation so auch BGH, NJW 2007, 217 (218). 803 Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1117, will in diesen Fällen die Entscheidung des Familiengerichts einholen. 804 Dazu bereits zu Beginn der Seite. 805 Dazu sogleich unter E. VI. 4. a) bb).
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Abs. 2 BGB.806 Eine zusätzliche Verankerung des kindlichen Vetorechts im Zusammenhang mit der elterlichen Einwilligung in eine religiös motivierte Zirkumzision ist daher nicht zwingend erforderlich.807 Ein im Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung des § 1631d BGB eingebrachter Änderungsantrag808 sah eine Ergänzung des Gesetzestextes dahin gehend vor, dass die elterliche Einwilligung nicht möglich sei, „wenn das Kind einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringt“. Dies würde die Problematik, wann ein entgegenstehender Wille des Kindes zum Ausdruck gebracht wird, allerdings nicht lösen und damit die geltende Rechtslage nicht verbessern.809 Diesem Problem wollte ein weiterer Gesetzentwurf begegnen, indem in einer Rechtsverordnung die „Anforderungen an die Ermittlung und Feststellung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des minderjährigen männlichen Kindes gegen eine Beschneidung“ 810 geregelt werden sollten.811 Die Schwierigkeit der Festlegung und Bestimmung eines kindlichen Vetorechts wird damit nur auf eine allgemeingültige Ebene verschoben. Die Rechtsunsicherheiten, die in jedem Einzelfall gesondert bestehen bleiben, lassen sich dadurch ebenfalls nicht lösen.812 Die Grenzen bleiben auch bei Regulierung in einer Rechtsverordnung fließend. Der Mehrwert einer solchen Regelung ist daher begrenzt. Eine flexible Auslegung der allgemeinen Regelungen ist vorzugswürdig. c) Das Recht auf Aufklärung Das Recht des Patienten und die Pflicht des Arztes zur Aufklärung finden innerhalb der Rechtsordnung an verschiedenen Stellen Anbindung: Eine wirksame Aufklärung schützt das Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und trägt seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) Rechnung.813 Einfachgesetzlich ist sie – als Voraussetzung einer rechtfertigenden Einwilligung – in § 228 StGB, in § 630e BGB814 und dem ärztlichen Standesrecht, dort in § 8a MBO-Ä, verankert. Ge-
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Dazu bereits E. VI. 3. e). Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 64; Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 431; so auch Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 19; Heinig, Stellungnahme, S. 4. A. A. BT-Drucks. 17/11816, S. 2. 808 BT-Drucks. 17/11816, S. 1 ff. 809 Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 38, hegt die Befürchtung, dass damit mehr Rechtsunsicherheit verbunden wäre. 810 BT-Drucks. 17/11815. 811 Dies begrüßend Merkel, Stellungnahme, S. 4. 812 Ablehnend auch Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 16. 813 BGHZ 29, 46 (49 f.); 29, 176 (181); 106, 391 (394, 397). 814 Vor Einführung von § 630e BGB ergab sich die Aufklärungspflicht als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag, vgl. Jorzig, S. 179. Aus § 630c Abs. 2 BGB erge807
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schuldet ist im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufklärung eine umfassende Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung.815 Dies umfasst im Detail „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“ (vgl. dazu § 630e Abs. 1 S. 2 BGB816).817 Aufgrund ihrer weitreichenden Bedeutung, haben die möglichen Risiken des Eingriffs im Mittelpunkt zu stehen.818 Umso mehr, wenn diese geeignet sind, Auswirkungen auf die zukünftige Lebensgestaltung zu haben.819 Der Behandler ist allerdings nicht verpflichtet, alle mit dem Eingriff verbundenen Risiken aufzuzeigen. Dies wäre nicht nur praxisuntauglich, sondern bei komplizierten Eingriffen nahezu unmöglich. Er schuldet die Aufklärung über den Eingriff im „Großen und Ganzen“.820 Das schwerste in Betracht kommende Risiko ist Bestandteil der Grundaufklärung.821 Zu nennen sind vor allem auch die Risiken, die die Entscheidung des Patienten beeinflussen können und mit welchen dieser nicht unbedingt gerechnet hat.822 Zu Letzteren zählen bei einem operativen Eingriff regelmäßig nicht die allgemeinen Operationsrisiken wie u. a. Wundinfektionen, weshalb auf diese nicht gesondert hingewiesen werden muss.823 Bei einer medizinisch nicht indizierten Operation hat die Aufklärung grundsätzlich ohne Rücksicht und schonungslos zu erfolgen.824 Bei einer medizinisch nicht indizierten Beschneidung, wie in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ausschließlich geregelt, ist daher eine umfassendere Aufklärung geboten als bei einem medizinisch begründeten Eingriff. Neben den gravierendsten Eingriffsfolgen, wie der Möglichkeit einer Penisamputation oder dem Tod des Kindes, sind – auch noch nicht sicher be-
ben sich weitere Informationspflichten. Die Vorschrift tritt in Bezug auf die Aufklärungspflichten hinter § 630e BGB zurück. Dazu Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630c BGB, Rn. 11. 815 Knauer/Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 223 StGB, Rn. 27. 816 § 630e BGB entfaltet zwar nur unmittelbar Geltung, wenn zwischen Patient und Arzt ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, sein Inhalt lässt allerdings Rückschlüsse auf die – für alle Aufklärungen geltenden – Mindestanforderungen zu. Dazu Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 1. 817 Zu den Anforderungen im Zusammenhang mit Zirkumzisionen nach schwedischem Recht Ring/Olsen-Ring, S. 527. 818 BGHZ 90, 103 (108); BGH, NJW 2000, 1784 (1785); NJW 2011, 1088 (1089). 819 St.Rspr. BGH, NJW 2000, 1784 (1785); NJW 2007, 217 (218); BGHZ 90, 103 (108); 126, 386 (389); OLG Oldenburg, VersR 2001, 1381 (1381). 820 BGH, NJW 2011, 1088 (1089). 821 BGH, NJW 1996, 777 (779); NJW 2011, 1088 (1089). 822 BGHZ 90, 103 (106); BGH, NJW 1986, 780 (780); NJW 1991, 2346 (2347); NJW 1995, 2410 (2411); NJW 2000, 1784 (1786). 823 BGH, NJW 1980, 633 (635); NJW 1986, 780 (780); NJW 1992, 743 (743). 824 St.Rspr. OLG Oldenburg, VersR 1998, 854 (855); VersR 2001, 1381 (1381); BGH, NJW 1972, 335 (337); NJW 1991, 2349.
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legte – Spätfolgen der Beschneidung zu beleuchten.825 Stehen mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung, muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden, insbesondere, wenn diese mit unterschiedlichen Risiken und Erfolgswahrscheinlichkeiten einhergehen.826 Daher muss, gerade bei medizinisch indizierten Zirkumzisionen, auf Alternativtherapien – z. B. die Behandlung mit kortisonhaltigen Cremes – hingewiesen werden.827 In zeitlicher Hinsicht hat die Aufklärung so rechtzeitig zu erfolgen, dass genügend Gelegenheit verbleibt, das Für und Wider des Eingriffs ohne innerlichen Zwang gegeneinander abzuwägen.828 Die Angemessenheit der Fristenlänge beurteilt sich am jeweiligen Einzelfall. Bei ambulanten Eingriffen lässt die Rechtsprechung regelmäßig die Aufklärung am Tag des Eingriffs ausreichen.829 Die Zirkumzision wird i. d. R. ambulant vorgenommen, sodass auf diese Wertung zurückgegriffen werden kann. Allerdings ist eine Zwangssituation (z. B. die Aufklärung unmittelbar vor dem Operationssaal) zu vermeiden, die dem Betroffenen den subjektiven Eindruck vermittelt, nicht mehr Herr über den weiteren Ablauf zu sein.830 Bei stationären Eingriffen kann die Aufklärung am Vortag des Eingriffs genügen.831 Die Aufklärung hat mündlich und grundsätzlich durch den Behandler – bei medizinischen Maßnahmen durch den Arzt – zu erfolgen.832 Sie muss der Situation und dem Aufzuklärenden entsprechend angepasst werden. aa) Die Aufklärung der Personensorgeberechtigten Fehlt den betroffenen Minderjährigen die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit zur eigenständigen Einwilligung in den Eingriff, übernehmen die Eltern, im Rahmen ihrer elterlichen Entscheidungsbefugnis, den legitimierenden Akt der Einwilligung gegenüber dem Arzt respektive dem rituellen Beschneider. Damit 825 Dazu auch Putzke, Beschneidungsgesetz, S. 950. Eine Liste möglicher Komplikationen bei und Folgen einer Zirkumzision, auf die im Rahmen des Aufklärungsgespräches hinzuweisen ist, findet sich bei Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 340 f.; ähnlich auch bei Scheinfeld, Erläuterungen, S. 277. Zur Erstreckung der – unter Umständen bestehenden – Hinweispflicht auf die potenzielle Dauer von Wundheilungsstörungen bei einer Zirkumzision OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, 1376 f. 826 BGH, NJW 2000, 1788 (1789) m.w. N. 827 Siehe dazu B. IV. 1. 828 St.Rspr. BGH, NJW 1994, 3010 (3010); NJW 1996, 777 (779); NJW 2007, 217 (218). 829 St.Rspr. BGH, NJW 1994, 3010 (3011); NJW 2000, 1784 (1787). 830 BGH, NJW 1994, 3010 (3011); NJW 1996, 777 (779); NJW 2000, 1784 (1787). 831 BGH, NJW 2007, 217 (218). 832 § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB. St.Rspr. BGH, NStZ 1981, 351; BGHZ 169, 364 (366). Wird die Aufklärung an einen anderen Mediziner übertragen, muss sich der Behandler der rechtmäßigen Durchführung der Aufklärung versichern, vgl. dazu BGHZ 169, 364 (367); BGH, NJW 2011, 1088 (1090). Zu den Schwierigkeiten einer Aufklärung durch den rituellen Beschneider siehe unter E. VI. 5. c).
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die Einwilligung der Eltern rechtfertigende Wirkung entfalten kann, müssen diese – in Übereinstimmung mit der bereits bestehenden Rechtslage833 – ordnungsgemäß über den Eingriff aufgeklärt worden sein.834 Das Aufklärungsgespräch kann auch den Vorteil einer Verschiebung des Eingriffs aufzeigen. Gleichzeitig dient das Aufklärungsgespräch dem Behandler dazu, die notwendigen Informationen für eine hinreichende Wahrscheinlichkeitsprognose hinsichtlich der kindlichen Wohlbefindensförderung abzufragen.835 Im Rahmen des Behandlungsvertrages trägt der Behandler die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung nach § 630h Abs. 2 S. 1 BGB. Diese Beweislastverteilung gilt – trotz der Neuregelung der vertraglichen Haftung – für das Deliktsrecht ebenfalls fort, sodass auch zukünftig der Arzt die Beweislast trägt.836 In dem Verhältnis der Personensorgeberechtigten zu ihrem Kind tragen Erstere die Beweislast dafür, ordnungsgemäß aufgeklärt worden zu sein.837 Ohne ordnungsgemäße Aufklärung kann die Einwilligung der Personensorgeberechtigten keine Wirksamkeit entfalten.838 bb) Die Aufklärung des betroffenen Minderjährigen Das kindliche Persönlichkeitsrecht erfordert, dass auch ein nicht Einwilligungsfähiger über den bevorstehenden körperlichen Eingriff aufgeklärt wird.839 Diese grundgesetzliche Wertung hat Niederschlag in zahlreichen einfachgesetzlichen Regelungen gefunden, u. a. in § 630e Abs. 5 BGB, § 1626 Abs. 2 BGB, und ist auch in internationalen Rechtsquellen verbürgt: Art. 12 und 13 der KRK fordern eine Aufklärung des betroffenen Kindes. Das sichert gleichzeitig die Bildung des kindlichen Willens und dessen Vetomöglichkeit ab. Nur auf einer informierten Grundlage kann das Kind dieses Recht wahrnehmen.840 Daher ist das Kind auch bei einer rituellen Zirkumzision grundsätzlich über den bevorstehenden Eingriff aufzuklären. Art und Umfang der Aufklärung sind dabei an Alter und Verständnis des Kindes anzupassen.841 Damit die Aufklärung ihren Zweck
833 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung wie in § 3 Abs. 1 LOP (vgl. dazu Ring/ Olsen-Ring, S. 524) ist daher nicht erforderlich. A. A. Ehrmann, Stellungnahme. 834 OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664); Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3620, sieht darin eine positive Entwicklung bei der Auslegung der neuen Beschneidungsvorschrift. Vgl. auch § 630d Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 630e Abs. 4 BGB. Dazu auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 13. 835 Dazu bereits E. VI. 3. c). 836 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 3; so auch Holzner, S. 5. 837 OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). 838 Einfachgesetzlich ist dies in § 630d Abs. 2 BGB festgeschrieben. 839 Grundlegend BVerfGE 128, 282 (310); BT-Drucks. 17/11710, S. 29. 840 Dazu bereits oben E. VI. 3. c) cc), E. VI. 4. b) und BGH, NJW 2007, 217 (218). 841 Dazu auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 14.
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erfüllen kann, ist die Weitergabe von Informationen in einer für das Kind verständlichen Sprache erforderlich.842 Je näher sich das betroffene Kind am Alter der Einwilligungsfähigkeit befindet, umso umfassender hat die Aufklärung zu erfolgen. Bei jüngeren Kindern, insbesondere vor Vollendung des 10. Lebensjahres, kann auf die Darstellung der Risiken des Eingriffs verzichtet werden und eine bloße Information über den Verlauf des Eingriffs ausreichen.843 Da es sich jedoch nicht um einen dringenden körperlichen, sondern um einen medizinisch nicht indizierten Eingriff handelt, muss nicht so schonend aufgeklärt werden, wie bei einer medizinisch indizierten Operation.844 Der betroffene Junge muss auch darüber informiert werden, dass er bei entgegenstehendem Willen den Eingriff verhindern kann.845 Das ist vor dem Hintergrund der erforderlichen Wahrscheinlichkeitsprognose von zusätzlicher Bedeutung.846 Bei Neugeborenen und Kleinkindern, die überhaupt kein Verständnis von sich und ihre Umwelt haben, scheidet das Bedürfnis nach persönlicher Aufklärung bereits sachlogisch aus.847 Wird der betroffene Minderjährige nicht oder nicht ordnungsgemäß über den bevorstehenden Eingriff aufgeklärt, wirkt sich dies nicht auf die rechtfertigende Einwilligung der Eltern aus, wenn diese auf informierter Grundlage wirksam in den Eingriff eingewilligt haben.848 Allerdings können sich mittelbare Folgen, wie – jedenfalls bei Vorliegen eines Schuldverhältnisses – Schadensersatzsprüche des Kindes nach § 280 Abs. 1 BGB, ergeben.849 Bestehen Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Aufklärung, gehen diese – im ArztPatienten-Verhältnis – zulasten des aufklärenden Arztes der die Beweislast für die Ordnungsgemäßheit der Aufklärung trägt.850 Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeitsprognose kann eine unterlassene Aufklärung des minderjährigen 842 Dies ergibt sich auch aus § 630e Abs. 5 BGB. So im Zusammenhang mit der KRK Schmahl, in: Schmahl, Art. 12 KRK, Rn. 22. Schweden hat in § 6 der Ausführungsbestimmungen des Socialstyrelsen die Aufklärung des Minderjährigen detailliert geregelt. Die Informationen sollten von einer Person, die Erfahrung mit Gesprächen dieser Art hat, an den Jungen weitergegeben werden. Dazu Ring/Olsen-Ring, S. 527. In Südafrika kann die Beschneidung an über 16jährigen nur „after proper councelling of the child“ stattfinden, vgl. § 12 Abs. 9 Buchst. b) Children’s Act 38 of 2005. Für die rituelle Beschneidung jüngerer Kinder gilt diese Einschränkung nicht ausdrücklich, vgl. § 12 Abs. 8 Children’s Act 38 of 2005. 843 Deutsch/Spickhoff, Rn. 1130. 844 Deutsch/Spickhoff, Rn. 1130. 845 Ring/Olsen-Ring, S. 527. 846 Dazu E. VI. 3. c) cc). 847 So für Säuglinge und Bewusstlose im Zusammenhang mit der Verpflichtung nach § 630e Abs. 5 BGB auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 14; BT-Drucks. 17/11710, S. 29. 848 So auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 14; BT-Drucks. 17/11710, S. 29. 849 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 14. 850 Vgl. § 630h Abs. 2 BGB. Dazu bereits E. VI. 4. c) aa).
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Kindes allerdings dafür sprechen, dass der Eingriff nicht dem kindlichen Willen entsprach. Die Eltern haben diesen vor Einwilligung in den Eingriff zu erforschen. Der Behandler ist ebenfalls verpflichtet, den kindlichen Willen zu berücksichtigen. Ein Gespräch mit dem Kind, um dessen Willen zu erforschen, ist daher unerlässlich. Eine zusätzliche Regelung hinsichtlich der Aufklärungsverpflichtung gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Kind ist nicht erforderlich. Als Voraussetzung der Einwilligung auch i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB hat sie nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen.851 d) Dokumentationspflichten Eine Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis (§ 630f Abs. 1 S. 1 BGB), eine standesrechtliche (§ 10 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä) und deliktische Verpflichtung, ist die Dokumentation der Behandlung durch den Arzt.852 Die Dokumentationsverpflichtung dient auch der Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Behandelten.853 Der Behandler ist angehalten, „eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen“ (vgl. § 630f Abs. 1 S. 1 BGB). Die notwendigen Bestandteile der Aufzeichnungen sind in § 630f Abs. 2 BGB genauer bestimmt. Zu dokumentieren sind danach neben den wesentlichen fachlichen Maßnahmen auch die Aufklärung und die Einwilligung des Patienten respektive dessen gesetzlicher Vertreter (vgl. dazu § 630d Abs. 1 S. 1 und 2 BGB).854 Auch weitere Besonderheiten, wie die kindliche Reaktion auf den Eingriff und dessen mögliche ablehnende Haltung, können einen notwendigen Bestandteil der Aufzeichnungen ausmachen.855 Die Dokumentation hat dabei keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit elterlicher Einwilligung nach § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB. Sie beeinflusst allerdings die Beweislastverteilung zwischen dem Arzt und dem Patienten, wenn ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist. Der Arzt hat im Streitfall zu beweisen, dass er den Patienten respektive dessen Vertreter ordnungsgemäß aufgeklärt und dieser in die Behandlung eingewilligt hat (vgl. § 630 Abs. 2 S. 1 BGB). Dies kann durch eine ordnungsgemäße Dokumentation erleichtert werden. Für den Be851 BT-Drucks. 17/11430, S. 10. Die Verfasser dieses Gesetzentwurfs gehen allerdings davon aus, dass das Kind bereits einsichts- und urteilsfähig sein muss. Für diese Personengruppe ist die persönliche Aufklärung bei einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit immer erforderlich. A. A. Grams, S. 335, es handelt sich um einen Verstoß gegen die Wesentlichkeitstheorie; Ehrmann, Stellungnahme, mit der Beschränkung der Verpflichtung auf religionsmündige Kinder; Holzner, S. 11. Zum möglichen Inhalt einer solchen Regelung siehe Holzner, S. 3. Dafür könnte die unsichere Regelung aus § 1631d Abs. 1 S. 2 gestrichen werden. 852 Dazu Mansel, in: Jauernig, § 630f BGB, Rn. 1. 853 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630f BGB, Rn. 1. 854 Dazu im Zusammenhang mit der Zirkumzision auch Deusel, Medizinische Aspekte, S. 190. Die Ausgestaltung der vertraglichen Verpflichtung kann für die Bestimmung der Verpflichtung auch im Deliktsrecht herangezogen werden. 855 Dazu Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 347.
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handler gilt nach § 630h Abs. 3 BGB für „eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis“, die nicht dokumentiert wurde, erschwerend die Vermutung, diese habe nicht stattgefunden. Es ist aus Sicht des Behandlers zu empfehlen, bei Durchführung einer Zirkumzision, aufgrund der standesrechtlichen und deliktischen Verpflichtung auch ohne vertragliche Bindung, auf eine ordnungsgemäße Dokumentation zu achten, um eventuellen Beweisschwierigkeiten in einem Schadensersatzprozess vorzubeugen. Eine solche ist auch aufgrund der Persönlichkeitsrechte des Kindes zu fordern. Die Dokumentationsverpflichtung ergibt sich im Arzt-Patienten-Verhältnis bereits aus den geltenden Bestimmungen. Eine zusätzliche Regulierung dieses Erfordernisses ist zum Schutz der betroffenen Kinder nicht erforderlich. e) Reduktion der Belastungen – Schmerzbehandlung Das Präputium ist ein besonders sensibler, mit zahlreichen Nervenendigungen ausgestatteter Körperteil,856 was die Schmerzbelastung bei einer Zirkumzision erhöht. Das Alter des Zirkumzidenten spielt – entgegen früherer medizinischer Auffassungen – bei der Beurteilung des Schmerzempfindens keine Rolle. Neugeborene haben gegenüber Erwachsenen insbesondere kein reduziertes – sondern vielmehr ein erhöhtes – Schmerzempfinden.857 Umso beachtenswerter ist die Feststellung, dass es meist an einer ausreichenden Schmerzlinderung während und nach dem Eingriff fehlt.858 Das Bereithalten einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung ist Bestandteil der Einhaltung des ärztlichen Standards (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB).859 Letzterer sichert die kindlichen Rechte ab. Eine gesetzliche Spezifikation der Anforderungen unterbleibt. Auch die Gesetzesbegründung schweigt sich zur genauen Ausgestaltung der Schmerzbehandlung aus. Lediglich die Effektivität selbiger wird gefordert.860 Die Effektivität einer Maßnahme beschreibt allerdings ausschließlich den Grad ihrer Zielerreichung. Das zu erreichende Ziel der Schmerzbehandlung muss zwecknotwendig bestimmt sein, um die Effektivität der Maßnahme zu beurteilen. Eine Schmerzbehandlung kann dabei unterschiedliche Ziele verfolgen: 856
Stehr/Schuster/Dietz u. a., S. 51. Dazu auch unter E. VI. 2. b) bb). Siehe dazu ausführlich auch oben unter E. VI. 2. b) bb) (2). 858 Yalçin, S. 386, bezeichnet die Verabreichung von schmerzlindernden Substanzen im Islam als „nicht immer üblich“. Auch die American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e773 ff., hält eine Anästhesie bei Neugeborenenbeschneidungen für verzichtbar. 859 BT-Drucks. 17/11295, S. 17. Hörnle/Huster, S. 339; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 39. Die Schmerzbehandlung ist in § 4 LOP ebenfalls als zwingende Voraussetzung enthalten, vgl. auch Ring/Olsen-Ring, S. 525. 860 BT-Drucks. 17/11295, S. 17. Zum Schweigen des Gesetzgebers ebenfalls krit. Isensee, S. 325 f. Dazu auch E. V. 3. b) bb). 857
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von der Minderung des entstehenden Schmerzes bis zu dessen vollständiger Vermeidung. Diese Zielvorgabe hat im Rahmen einer an den Rechten des betroffenen Kindes orientierten medizinischen Nutzen-Risiko-Abwägung zu erfolgen. Ausgehend von der Prämisse, dass eine vollständige Schmerzvermeidung den Rechten des Kindes am besten gerecht wird, darf davon nur aufgrund medizinischer Risikomomente – auch abhängig von dem Alter des Kindes – abgewichen werden. Der Schutz kindlicher Rechte verlangt, dass der Eingriff mit so wenig wie möglichen Belastungen für das Kind verbunden ist. Dadurch kann das Schutzniveau für das betroffene Kind am besten gewahrt werden. Nur nicht vermeidbare Schmerzen sind hinzunehmen, soweit sie nicht die absolute Zulässigkeitsgrenze überschreiten.861 Dieser Gedanke hat, im Zusammenhang mit körperlichen Eingriffen anderer Art, einfachgesetzlich Niederschlag gefunden. Nach § 40 Abs. 4 Nr. 4 AMG ist die Belastung bei Arzneimitteltests an Minderjährigen so gering wie möglich zu halten. Unter Belastungen werden in diesem Zusammenhang auch Schmerzen verstanden.862 Der Gedanke lässt sich auf die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision übertragen. Denn das psychische Wohlbefinden des Kindes lässt sich durch den Eingriff grundsätzlich nur fördern, wenn dieser mit nur geringen Belastungen für den kindlichen Körper einhergeht. Die Behandlung erfüllt den medizinischen Standard und die gesetzlichen Vorgaben demnach nur, wenn sie das aus medizinischer Sicht am besten geeignete und noch vertretbare Mittel zur Schmerzbehandlung einsetzt. Ziel muss dabei sein, die Schmerzen während und nach der Operation für den Patienten mit medizinisch vertretbaren Methoden und Arzneimitteln so gering wie möglich zu halten.863 Dieses Ziel muss mit den effektivsten, also zur Zielerreichung am besten geeigneten, Maßnahmen verfolgt werden. aa) Ausschluss der Schmerzbehandlung aufgrund religiöser Gebote Der Schutz kindlicher Rechte, der eine wirksame Schmerzbehandlung fordert, kann durch die religiöse Bedeutung der Zirkumzision und damit zusammenhängende religiöse Vorgaben u. U. überlagert werden. Innerhalb der orthodoxen Strömungen im Judentum ist die Gabe schmerzlindernder Medikamente, insbesondere eine lokale oder systematische Anästhesie, nicht vorgesehen.864 Die 861
Dazu bereits E. V. 3. b) bb). Listl, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 40 AMG, Rn. 40. 863 Ähnlich die Begründung für § 3 der Ausführungsbestimmungen des Socialstyrelsen: Ziel muss die bestmögliche Schmerzlinderung mit dem geringsten Risiko und den geringsten Komplikationen sein, siehe dazu die Ausführungen bei Ring/Olsen-Ring, S. 527; Hörnle/Huster, S. 339, will dagegen eine Schmerzbehandlung ausreichen lassen, die nach „aktuellem medizinischen Kenntnisstand, die Entstehung erheblicher Schmerzen verhindert“. 864 Dazu Deusel, Mein Bund, S. 130. 862
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Schmerzen werden als ein Bestandteil des Rituals verstanden. Lediglich ein Tropfen süßen Weines soll verabreicht werden.865 Ob es sich dabei um ein verpflichtendes religiöses Gebot handelt oder ob die Mehrheit der Juden die Beschneidung ohne Schmerzmedikation an ihrem Kind vornehmen lässt,866 ist vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit nicht entscheidend. Der Schutz der Religionsfreiheit orientiert sich vielmehr an dem religiösen Verständnis des Gläubigen.867 Eine Behandlung am kindlichen Körper zu dem Zweck, dem Kind Schmerzen zuzufügen, verstößt bereits gegen die Menschenwürde des betroffenen Kindes und kann aus diesem Grund nicht mit dem elterlichen Erziehungsrecht, auch nicht in Kombination mit der Religionsfreiheit, gerechtfertigt werden.868 Die kindlichen Rechte schließen die Rechtmäßigkeit des elterlichen Wunsches absolut aus. Wird der Ritus vorgenommen, besteht aufgrund der staatlichen Schutzverpflichtung kein Spielraum dahin gehend, vermeidbare Schmerzen zuzulassen. Dies wird auch nicht dadurch relativiert, dass die Eltern primär die Aufnahme des Kindes in die religiöse Gemeinschaft bezwecken und die Zufügung von Schmerzen lediglich damit verbunden ist. Denn die Zufügung unnötiger Schmerzen ist, auch in Kombination mit ehrenwerten elterlichen Motiven, immer eine Gewaltanwendung.869 Bei muslimischen Beschneidungszeremonien existieren keine religionsgesetzlichen Einschränkungen in Bezug auf die Schmerzbehandlung. Aufgrund des kindlichen Alters ist eine ärztliche Vornahme unter Vollnarkose üblich.870 bb) Schmerzbehandlung nach dem sechsten Lebensmonat Die Vornahme des Eingriffs unter Vollnarkose ist die wirksamste Form der Schmerzvermeidung.871 Diese Form der Schmerzbehandlung ist mit Risiken und Nebenwirkungen für das Kind verbunden, u. a. der Gefahr eines dauerhaften Hirnschadens aufgrund eines vorübergehenden oder anhaltenden Sauerstoffmangels, die bei der Beurteilung einzubeziehen sind.872 Besonders risikobehaftet ist eine Vollnarkose für Säuglinge und Kleinkinder. Eine bestimmte allgemeingültige Altersgrenze, ab welcher eine Vollnarkose medizinisch vertretbar erscheint,
865 So Israels Oberrabbiner Yona Metzger auf einer Bundespressekonferenz in Berlin, vgl. dazu Scholz. 866 Ausführlich dazu Deusel, Mein Bund, S. 134. 867 Dazu bereits oben E. IV. 2. a) cc) (5). 868 Dazu E. V. 3. b) bb). 869 Genauer unter E. V. 3. b) bb). 870 Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 73; Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 33. 871 Paix/Peterson, S. 513. 872 Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413.
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existiert aufgrund der Verschiedenheit menschlicher Körper nicht; die Entscheidung ist am Einzelfall auszurichten.873 Ein allgemein anerkannter Richtwert ist, dass die Beschneidung jedenfalls an Kindern, die älter als sechs Monate sind, nur unter Vollnarkose vorgenommen werden soll.874 Diese Annahme hat den Gesetzgeber bei Formulierung des § 1631d BGB dazu veranlasst, die Zirkumzision ab diesem Zeitpunkt einem approbierten Mediziner vorzubehalten (vgl. § 1631d Abs. 2 BGB),875 da dem rituellen Beschneider – der nicht zugleich Arzt ist – die erforderliche Ausbildung fehlt, um eine Vollnarkose einzuleiten und zu überwachen.876 Bei Säuglingen und Kleinkindern kommt es häufiger zu Anästhesiekomplikationen als bei älteren Kindern und Erwachsenen. Die neurokognitiven Auswirkungen einer Anästhesie im frühen Kindesalter sind noch nicht umfassend erforscht, weshalb auf eine Narkotisierung des Kindes verzichtet werden sollte, wenn diese nicht notwendig erforderlich ist.877 Darauf sind die Eltern im Rahmen des Aufklärungsgesprächs hinzuweisen.878 Die erforderliche Wahrscheinlichkeitsprognose879 fordert von den Eltern eine zusätzliche Begründung dafür, warum das erhöhte Narkoserisiko in Kauf genommen werden soll. Das Erfordernis, die Wahrscheinlichkeit einer kindlichen Wohlbefindensförderung zu diesem Zeitpunkt plausibel zu begründen, dürfte eine Behandlung im für eine Vollnarkose besonders kritischen Alter des Kindes ausschließen. Die Eltern haben einen späteren Zeitpunkt abzuwarten. Von der Vollnarkose ist auch abzusehen, wenn Besonderheiten hinzutreten, die eine entsprechende Anästhesie aus ärztlicher Sicht unvertretbar erscheinen lassen. Ob eine alternative Schmerzmedikation den Rechten des Kindes genügen kann, orientiert sich ebenfalls an der Einhaltung des 873 Hakenberg, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 73. 874 Deusel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 9; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 34; Kramer, Stellungnahme, S. 4; BT-Drucks. 17/11816, S. 3. Die Vollnarkose nach der zweiten Lebenswoche anratend Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 46 f. Graf räumt gleichzeitig ein, dass eine Schmerzlosigkeit mit der EMLA-Creme nicht zu 100% zu erreichen ist (S. 56), siehe dazu auch Graf/Fellmann/Müller. 875 Die Frist berechnet sich nach § 188 Abs. 2 Hs. 1, Abs. 3 BGB, vgl. Hamdan, in: Viefhues/Herberger/Martinek/Rüßmann u. a., § 1631d BGB, Rn. 26; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 261. 876 Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 46 f., 73; Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 33. Auch im Judentum wird die Zirkumzision ab diesem Zeitpunkt regelmäßig durch einen Arzt vorgenommen, vgl. dazu Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 34; Kramer, Stellungnahme, S. 4. Zu dieser Problematik noch genauer unter E. VI. 5. e). 877 Becke/Eich/Höhne u. a. 878 I. d. S. auch Graf/Fellmann/Müller. 879 Dazu ausführlich E. VI. 3. c).
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ärztlichen Standards unter Berücksichtigung der Besonderheit, dass es sich um einen medizinisch nicht indizierten Eingriff handelt. Zum Schutz kindlicher Rechte darf von einer Vollnarkose nur in besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden. Ist hingegen absehbar, dass der Umstand, der eine Vollnarkose unvertretbar erscheinen lässt, später beseitigt wird, ist dieser Zeitpunkt abzuwarten. Gleichzeitig sollte die Narkose bei Säuglingen und Kleinkindern nur von einem „erfahrenen Kinderanästhesisten“ in einer angepassten Umgebung durchgeführt werden.880 Das Anästhesieerfordernis schließt eine Vornahme der Beschneidung außerhalb medizinischer Räume aus. cc) Schmerzbehandlung vor dem sechsten Lebensmonat Besteht über den Behandlungsstandard bei der Durchführung einer Zirkumzision nach dem sechsten Lebensmonat Einigkeit, gehen die Meinungen über eine regelgerechte Schmerzmedikation vor Erreichen dieser Altersgrenze weit auseinander: Sie reichen von der Erforderlichkeit einer Vollnarkose,881 zum Teil in Kombination mit der Verwendung eines Lokalanästhetikums,882 der alleinigen Verwendung eines mittels Injektion beigebrachten Lokalanästhetikums bis hin zu der ausschließlichen Anwendung einer hautbetäubenden Salbe (EMLACreme).883 Eine wissenschaftliche Studie, deren Ergebnisse im Jahr 2012 veröffentlicht wurden, sah den subkutanen Ringblock – bei dem eine lokale Anästhesie mittels Injektion um den Penisschaft eingeführt wird –, abgesehen von der Vollnarkose, als die effektivste Methode zur Schmerzvermeidung an.884 Bei Kindern unter sechs Monaten entspricht eine Vollnarkose nicht dem medizinischen
880
Becke/Eich/Höhne u. a. Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 45; Hartmann, Stellungnahme, S. 4; ähnlich Grams, S. 335; Holzner, S. 13. 882 So Bühmann, Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Urologen, in: Preuk; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1114. Dies entspricht auch der Empfehlung in Tröbs/ Becker/Burkhardt, S. 4. Diese sollen allerdings nur für medizinisch indizierte Operationen Anwendung finden. Die rituelle Beschneidung soll ausdrücklich nicht von der Empfehlung umfasst sein (S. 1). Dennoch kann der Gedanke hier Anwendung finden, denn es handelt sich um einen vergleichbaren operativen Eingriff. 883 Deusel, Mein Bund, S. 136; so auch Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 4, 46, der dabei auf den Erfahrungsschatz des jüdischen Krankenhauses Berlin zurückgreifen kann, wo Neugeborenenbeschneidungen unter Verwendung der EMLA-Creme stattfinden; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 23; Kramer, Stellungnahme, S. 3, 8 f.; BT-Drucks. 17/11816, S. 3. Dies entspricht auch den Empfehlungen in den USA, vgl. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e757 ff. 884 Paix/Peterson, S. 512. In den USA wird diese Methode nur bei Kindern mit geringem Geburtsgewicht empfohlen, vgl. American Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Technical Report, e757 ff. 881
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Standard885 und scheidet bereits deshalb als Methode zur Schmerzvermeidung aus. Die Verwendung eines Lokalanästhetikums (subkutaner Ringblock) hingegen kann zu diesem Zeitpunkt vorgenommen werden. Die Einstichstelle der Injektion wird regelmäßig mit einer betäubenden Creme oder Salbe behandelt.886 Insgesamt muss sich aber auch diese Form der Schmerzlinderung an den kindlichen Rechten messen lassen. Vergleichbar wirkende Methoden der Schmerzvermeidung bzw. -linderung, die den kindlichen Körper weniger beeinträchtigen bzw. mit geringeren Risiken verbunden sind, sind vorzugswürdig. Als solche grundsätzlich in Betracht kommt insbesondere die Anwendung der EMLA-Salbe. Diese wird als Creme aufgetragen und verursacht keine Substanzverletzung am kindlichen Körper. Allerdings ist die Verwendung der EMLA-Creme bei Zirkumzisionen mit Schwierigkeiten verbunden. Um einen betäubenden Effekt des Arzneimittels erreichen zu können, muss dieses auf die genitale Schleimhaut des betroffenen Jungen aufgetragen werden.887 Diese Anwendung ist bei Kindern unter 12 Jahren nicht von der arzneimittelrechtlichen Zulassung des Medikaments gedeckt. Das entschied, aufgrund unbefriedigender Differenzen in der Zulassungs-
885 Kramer, Stellungnahme, S. 3, 8 f., so auch Paix/Peterson, S. 513, schlagen aus diesem Grund vor, die Zirkumzision auf diesen Zeitpunkt zu verschieben. Dazu auch E. VI. 4. e) bb). 886 Paix/Peterson, S. 512. So sieht es auch die schwedische Regelung in § 3 der Ausführungsbestimmungen des Socialstyrelsen vor, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 527. Damit scheidet das Argument, die Betäubung sei in dieser Konstellation schmerzhafter als die Zirkumzision selbst, aus. So aber Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 23; Yona Metzger, in: Sydow; krit. dazu Deusel, Medizinische Aspekte, S. 183. Es widerspricht bereits den Gesetzen der Logik, dass ein kurzer Einstich mit einer Spritze mehr Schmerzen verursacht als das Abtrennen der Vorhaut mittels eines Skalpells. 887 Laut Packungsbeilage und ärztlicher Fachinformation des in Deutschland vertriebenen Produktes sollte diese Anwendung grds. ausgeschlossen sein. „Bis zum Vorliegen ausreichender Daten zur Resorption soll EMLA nicht auf der genitalen Schleimhaut von Kindern unter 12 Jahren angewendet werden.“ So die Fachinformation (Zusammenfassung der Produkteigenschaften/SPC), 2011, S. 7; inhaltlich gleich auch die Gebrauchsinformationen: Informationen für den Anwender, 2010. Eine Ausnahme wurde – aufgrund der Ergebnisse einer kanadischen Dissertation aus dem Jahr 1995, die die Wirksamkeit von EMLA untermauerte (vgl. dazu Schulte von Drach, S. 2.) – nur für die Beschneidung Neugeborener gemacht. „Allerdings hat sich bei Neugeborenen vor der Beschneidung die Anwendung von 1g EMLA auf der Vorhaut als unbedenklich erwiesen.“, so die Fachinformationen für EMLA, S. 7; inhaltlich gleich auch die Gebrauchsinformationen. Aufgefallen ist diese Ungereimtheit erstmals der Anästhesistin Birgit Pabst, vgl. Schulte von Drach, S. 1. In den Fachinformationen (Zusammenfassung der Produkteigenschaften/SPC), 2013, S. 13, finden sich für Ärztinnen und Ärzte zusätzlich die folgenden Informationen: „Es liegen nur begrenzte pädiatrische Daten zu Anwendung von EMLA auf der Vorhaut vor einer Beschneidung männlicher Neugeborener vor. In einer monozentrischen, doppel-blinden, randomisierten Studie bei 68 männlichen Neugeborenen wurde durch die Anwendung von 1g EMLA im Vergleich zu Placebo ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Schmerzreduktion beobachtet, demonstriert anhand reduzierter Gesichtsaktivität, Reduktion der Schreidauer und Verringerung der Herzfrequenz (. . .).“
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praxis, für die EMLA-Creme auch die Europäische Kommission. Auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2013 hat sich der Ausschuss für Humanarzneimittel mit der unterschiedlichen mitgliedschaftlichen Zulassungspraxis befasst und ein Harmonisierungsbedürfnis festgestellt.888 Auf Grundlage der Erkenntnisse des Ausschusses hat die Europäische Kommission, insbesondere gestützt auf Art. 34 Abs. 1 RL 2001/83/EG, beschlossen, dass die nationalen Zulassungen auf Grundlage der in Anhang II des Beschlusses dargestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ändern sind.889 Die EMLA-Creme ist u. a. indiziert für die „Oberflächenanästhesie der genitalen Schleimhaut, z. B. vor chirurgischen Eingriffen an der Hautoberfläche oder vor einer Infiltrationsanästhesie; bei Erwachsenen und Jugendlichen 12 Jahren“.890 Eine entsprechende Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren ist nicht vom Anwendungsgebiet des Arzneimittels umfasst und aus der Zulassung auszunehmen.891 In Bezug auf die Zirkumzision bedeutet dies, dass die Benutzung der EMLA-Creme bei einer Vielzahl der Eingriffe nicht mehr von der arzneimittelrechtlichen Zulassung dieses Medikaments gedeckt ist. Das macht einen entsprechenden ärztlichen Einsatz des Arzneimittels nicht per se unzulässig. Überschreitet der Gebrauch eines Arzneimittels die behördliche Zulassung, handelt es sich um einen sog. Off-Label-Use.892 Wendet der Arzt die Creme bei einem Jungen unter 12 Jahren auf die genitale Schleimhaut an, liegt diese Anwendung außerhalb des zulässigen Indikationsbereichs des Arzneimittels und stellt damit einen Off-Label-Use dar.893 Das hat primär Konsequenzen für den Kostenerstattungsanspruch Versicherter im Rahmen der GKVVersorgung. Die GKV ist generell nicht verpflichtet, die Kosten für eine OffLabel-Anwendung von Medikamenten zu erstatten.894 Da die Kosten einer medizinisch nicht indizierten Zirkumzision ohnehin nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten sind,895 spielt dies hier allerdings keine Rolle. 888 Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C(2014) 9276 final, Erwägungsgrund Nr. 2 und Nr. 3. 889 Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C(2014) 9276 final, Art. 1. 890 Anhang III zu: Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C(2014) 9276 final, S. 20. 891 Der arzneimittelrechtliche Zulassungsinhaber hat die Gebrauchs- und Fachinformationen des Arzneimittels bereits im Juli 2013 geändert. Die Rückausnahme für die Anwendung bei Beschneidungen Neugeborener (vgl. Fn. 887) wurde entfernt, die Anwendung „bei Kindern unter 12 Jahren auf der genitalen Schleimhaut“ ist nun insgesamt nicht mehr vom Anwendungsbereich umfasst, vgl. Gebrauchsinformation: Information für den Anwender, 2013, S. 4. 892 Dazu Kortland, in: Kügel/Müller/Hofmann, Vorb. zu § 21, Rn. 22 m.w. N. 893 So auch Schulte von Drach, S. 3; Putzke, Beschneidungsgesetz, S. 951; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 345. 894 Kortland, in: Kügel/Müller/Hofmann, Vorb. zu § 21, Rn. 22. Davon ist im Einzelfall eine Ausnahme zuzulassen. Vgl. dazu grundlegend den Nikolaus-Beschluss des BVerfG (E 115, 25). 895 Vgl. dazu bereits oben D. VI. 1.
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Der Arzt kann im Rahmen seiner Therapiefreiheit grundsätzlich von dem zugelassenen Anwendungsbereich des Arzneimittels abweichen. Fehlt es an einer alternativen Behandlungsmethode kann dies sogar geboten sein.896 Dies gilt dann nicht, wenn die Anwendung des Arzneimittels gerade für diesen Gebrauch ausgeschlossen ist.897 Die EMLA-Creme soll ausdrücklich nicht auf die genitale Schleimhaut von unter 12jährigen aufgetragen werden.898 Bereits aus diesem Grund kann ein Beschneider nicht auf diese Methode der Schmerzbehandlung zurückgreifen. Darüber hinaus ist eine ausreichende Wirksamkeit der EMLA-Creme für das Anwendungsgebiet nicht gegeben.899 Für einen ausreichenden Wirksamkeitsbeleg fehlen Daten, weshalb die Anwendung der EMLA-Creme bei Zirkumzisionen in dem Beschluss der Europäischen Kommission nicht empfohlen wird.900 Damit kann die Verwendung der EMLA-Salbe keine taugliche Betäubungsalternative darstellen. Der subkutane Ringblock bildet die einzige medizinisch vertretbare Methode zur Schmerzvermeidung bei der Beschneidung von Jungen vor Vollendung des sechsten Lebensmonats.901 Eine andere Beurteilung durch den behandelnden Arzt ist nicht von dessen Therapiefreiheit gedeckt. Kann die Anästhesie aufgrund der kindlichen Konstitution nicht durchgeführt werden, muss die Beschneidung unterbleiben. Im Einzelfall kann es auch nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes vertretbar sein, diese Art der Schmerzbehandlung zu wählen, wenn eine Vollnarkose nicht möglich ist. dd) Schaffung eines regulatorischen Standards Die Einhaltung des ärztlichen Standards bei Durchführung einer Beschneidung, wie dies auch in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehen ist, verlangt nach 896 Kortland, in: Kügel/Müller/Hofmann, Vorb. zu § 21, Rn. 22; Walter, Ute, S. 361 f. m.w. N. 897 Deutsch/Spickhoff, Rn. 1679. 898 Dazu schon Fn. 891. So auch Anhang III zu: Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C(2014) 9276 final, S. 11. 899 So Paix/Peterson, S. 512; ebenso auch Hartmann, Stellungnahme, S. 4; Hartmann, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 7; Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, in: Oestreich; Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 11; Osterloh, S. 13; Schulte von Drach, S. 1; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1114. 900 Anhang II zu: Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C (2014) 9276 final, S. 11 sowie Anhang III zu: Europäische Kommission, Durchführungsbeschl. der Kommission v. 28.11.2014, C (2014) 9276 final, S. 20, 28, 41. 901 Zu den damit verbundenen Folgen für rituelle Beschneider vgl. unter E. VI. 5. e) sowie unter E. VII. 2. Manok, S. 95, 151, beurteilt den Eingriff an Neugeborenen als unzulässig, weil eine Anästhesie nicht möglich ist.
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einer tauglichen Schmerzbehandlung. Dies erfordert, dass der Eingriff nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes nicht ohne vorherige Einleitung einer Vollnarkose stattfindet.902 Hat das Kind den sechsten Lebensmonat noch nicht vollendet, entspricht eine Lokalanästhesie, unter gleichzeitiger Anwendung einer hautbetäubenden Salbe zur Schmerzlinderung an der Einstichstelle, dem medizinischen Standard.903 Seiner grundsätzlichen Regelungsverpflichtung ist der Gesetzgeber mit Schaffung des § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB bereits nachgekommen. Allerdings wird der medizinische Standard zur Schmerzbehandlung bei einer Zirkumzision auch in der medizinischen Wissenschaft uneinheitlich bestimmt, weshalb eine detaillierte Regelung geboten sein kann.904 Zu diesem Zweck sah ein Alternativentwurf zum jetzigen § 1631d BGB eine Ermächtigung an das Bundesministerium für Gesundheit vor, das Nähere zu den „Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, insbesondere der Schmerzbehandlung“ 905 zu bestimmen. Eine detaillierte Regelung hat den Vorteil, dass der Standard eindeutig und für den Behandler erkennbar festgeschrieben ist. Das kann die betroffenen Kinder vor Zirkumzisionen ohne hinlängliche Schmerzbehandlung schützen. Allerdings bietet die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs gegenüber der Fixierung des aktuellen medizinischen Standards einen entscheidenden Vorteil. Der medizinische Standard und damit der Standard einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung bei Zirkumzisionen unterliegen dem ständigen Wandel. Aus diesem Grund sind Mediziner verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden.906 Das garantiert, dass sie fähig sind den ärztlichen Standard zu wahren.907 In der Wandelbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs liegen auch gerade dessen Vorzüge begründet. Dadurch lässt sich das Schutzniveau für die betroffene Kinder, ohne regulatorischen Anpassungsbedarf, an die aktuellen Erkenntnisse anpassen. Dem kann die Abbildung des status quo in einer Rechtsverordnung nicht gerecht werden. Die Regelung in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ist ausreichend und vorzugswürdig.908
902
Dazu E. VI. 4. e) bb). Dazu E. VI. 4. e) cc). 904 So Grams, S. 335; Holzner, S. 14. 905 BT-Drucks. 17/11815, Nr. 2 der Ermächtigung in Abs. 3 der Vorschrift. Merkel hält dies für die Erfüllung des Mindeststandards, vgl. Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 12; Merkel, Stellungnahme, S. 6. 906 Vgl. dazu § 4 Abs. 1 MBO-Ä und die in diesem Zusammenhang erlassene Musterfortbildungsverordnung. 907 Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 4 MBO-Ä, Rn. 1. 908 Heinig, Stellungnahme, S. 3; Radtke, Stellungnahme, S. 10; Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 15; a. A. Grams, S. 335, die Schmerzmedikation ist eine wesentliche, vom Gesetzgeber nicht getroffene, Regelung. Holzner, S. 13, das Gesetz ist nicht hinreichend spezifiziert. 903
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5. Wahrung des entwickelten Schutzniveaus durch rituelle Beschneider – § 1631d Abs. 2 BGB auf dem Prüfstand Nach § 1631d Abs. 2 BGB dürfen auch nicht-approbierte rituelle Beschneider Zirkumzisionen vornehmen, wenn der Zirkumzident den sechsten Lebensmonat noch nicht vollendet hat, der Beschneider über eine „einem Arzt vergleichbare“ Befähigung zur Vornahme des Eingriffs und zu diesem Zweck über eine besondere Ausbildung verfügt (§ 1631d Abs. 2 BGB), was ihm ermöglichen soll, die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB).909 Durch die Aufhebung des grundsätzlichen Arztvorbehalts wird dem Selbstbestimmungsrecht der religiösen Gemeinschaften Rechnung getragen.910 Die Regelung kann nur Bestand haben, wenn sie die kindlichen Rechte ausreichend wahrt. a) Wahrung des medizinischen Standards Die Einhaltung des medizinischen Standards ist eine Mindestvoraussetzung zur Wahrung der kindlichen Rechte bei Durchführung der Zirkumzision.911 Dass der rituelle Beschneider kein approbierter Mediziner ist, entpflichtet ihn nicht von der Einhaltung des ärztlichen Standards.912 Dies ergibt sich auch aus einer Parallele zur Beurteilung der Behandlung durch Heilpraktiker. Ein Heilpraktiker hat den medizinischen Standard bei der Durchführung von Behandlungen nicht grundsätzlich zu wahren. Dies ist ihm aufgrund der fehlenden ärztlichen Ausbildung auch nicht möglich.913 Traut sich der Heilpraktiker eine Behandlung, die grundsätzlich von approbierten Medizinern vorgenommen wird, allerdings zu und führt er eine solche aus, muss er auch den für diese Behandlung geltenden medizinischen Standard einhalten.914 Bei der Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider verhält es sich ähnlich. Auch wenn die Beschneidung aufgrund ihrer religiösen Bedeutung häufig von rituellen Beschneidern vorgenommen wird, ist sie ihrem Wesen nach eine medizinische Behandlung die, insbesondere in Deutschland, fast ausschließlich von approbierten Medizinern durchgeführt wird. Es handelt sich demnach um eine originär ärztliche Behandlung. Der einzuhal909
BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. Dazu auch E. III. 2. c) bb). 911 Siehe dazu bereits E. VI. 4. a) m.w. N. 912 So bereits vor Schaffung des § 1631d BGB LG Frankenthal, MedR 2005, 243 (244). Die Eltern haben einen rituellen Beschneider ohne medizinische Ausbildung beauftragt, die Zirkumzision an ihrem Kind durchzuführen. Zur Betäubung wurde lediglich ein Eisspray verwendet. Der rituelle Beschneider entfernte neben der Vorhaut auch einen Teil des Penisschafts, was einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt des Kindes und zwei weitere Operationen notwendig machte. Die Einwilligung der Eltern war aufgrund der Umstände des Einzelfalls hier unwirksam. Auch bei der rituellen Beschneidung muss der medizinische Standard eingehalten werden. 913 Zuck, in: Quaas/Zuck, § 34, Rn. 9. 914 Zuck, in: Quaas/Zuck, § 34, Rn. 9. 910
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tende Standard reduziert sich daher nicht, wenn die Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider durchgeführt wird. Dies hat der Gesetzgeber erkannt und in § 1631d BGB umgesetzt. Die Einhaltung des ärztlichen Standards, wie in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehen, ist auch notwendig einzuhaltende Voraussetzung bei der Durchführung der Zirkumzision durch den rituellen Beschneider. Der rituelle Beschneider kann die Beschneidung „gemäß“ Abs. 1 durchführen (§ 1631d Abs. 2 BGB) und muss in der Folge die „Regeln der ärztlichen Kunst“, als eine zentrale Voraussetzung für die rechtfertigende Wirkung elterlicher Einwilligung, einhalten.915 § 1631d Abs. 2 BGB erlaubt dem rituellen Beschneider folglich nicht, den Eingriff von den Voraussetzungen des Abs. 1 losgelöst vorzunehmen. Der Verweis auf § 1631d Abs. 1 BGB in Abs. 2 der Vorschrift führt auch dazu, dass Beschneidungen, die gleichzeitig medizinisch indiziert und rituell motiviert sind, nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst sein können. Denn § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB nimmt medizinisch indizierte Behandlungen von diesem Anwendungsbereich ausdrücklich aus.916 Die Regeln der ärztlichen Kunst sind nicht statisch, sondern passen sich aktuellen Entwicklungen an. Die rituellen Beschneider sind aus diesem Grund verpflichtet, sich auf ihrem Fachgebiet über die aktuellen Entwicklungen und Neuerungen zu informieren und sich fortzubilden, um diese Voraussetzung einhalten zu können.917 Kommt mit dem Beschneider ein Behandlungsvertrag zustande, ist er auch nach § 630a Abs. 2 BGB verpflichtet, den fachlichen Standard zu wahren. Nicht jeder, der einen körperlichen Eingriff an einem Dritten vornimmt, kann einen Behandlungsvertrag i. S. d. gesetzlichen Regelungen schließen.918 Eine Beschränkung auf die akademischen Heilberufe als alleinige taugliche Vertragspartner hat allerdings nicht stattgefunden.919 Ausreichend kann sein, dass die Ausbildung zu dem ausgeführten Beruf bundesgesetzlich auf Grundlage der Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG reguliert und das Führen der Berufsbezeichnung an staatliches Recht gebunden ist.920 Dies ist bei rituellen Beschneidern nach § 1631 Abs. 2 BGB nicht der Fall. Das Führen der Bezeichnung „ritueller Beschneider“ ist nicht an gesetzlich normierte Voraussetzungen geknüpft und die Berufsausbildung nicht festgeschrieben.921 Dies gilt allerdings auch für Heilpraktiker, die dennoch einen Behandlungsvertrag nach § 630a 915
So auch Lilie, S. 14; Steinbach, S. 7; Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 195. Dazu bereits unter E. II. 2. a). Zur Vereinbarkeit dieser Ausnahme mit der Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders unter E. VII. 1. b). 917 Zum Inhalt des medizinischen Standards auch unter E. VI. 4. a) bb). 918 Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 8. 919 Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 6. 920 Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 6. 921 Siehe zu einem dahin gehenden Anpassungserfordernis unter E. VII. 2. 916
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Abs. 1 BGB abschließen können. Dies begründet sich daraus, dass Heilpraktiker bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, um zu ihrem Beruf zugelassen zu werden.922 Diese Wertung lässt sich auf die rituellen Beschneider übertragen. Sie werden durch § 1631d Abs. 2 BGB und unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen ebenfalls zu ihrem Beruf zugelassen.923 Ob zwischen dem rituellen Beschneider und den Personensorgeberechtigten respektive dem Kind ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist, beurteilt sich anhand des Einzelfalls. Der Vertragsschluss folgt den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen über den Abschluss von Verträgen.924 Die sich aus § 630a Abs. 2 BGB für den rituellen Beschneider ergebenden fachlichen Anforderungen müssen dabei nicht notwendig dem ärztlichen Standard entsprechen.925 Die obige Wertung, dass der Behandler den Standard einhalten muss, wenn er sich eine ärztliche Behandlung zutraut, findet allerdings auch hier Anwendung. Nur so kann dem Schutz kindlicher Rechte auch Rechnung getragen werden. b) Vergleichbare Befähigung und besondere Ausbildung Die Einhaltung des medizinischen Standards ist Voraussetzung zur Wahrung der Rechte des Kindes.926 Approbierte Mediziner sind im Rahmen ihrer Tätigkeit verpflichtet, sich über den aktuellen medizinischen Standard zu informieren und sich diesen anzueignen.927 Die dafür notwendigen Fähigkeiten erlangen Ärzte im Rahmen ihrer Ausbildung.928 Der rituelle Beschneider hat eine entsprechende Ausbildung nicht durchlaufen. Es kann daher nicht unterstellt werden, dass dieser die Zirkumzision unter Einhaltung des ärztlichen Standards durchführen kann. Vielmehr kann grundsätzlich jeder, der von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehen wird, als Beschneider tätig werden. Dadurch können die Rechte des Kindes nicht hinreichend abgesichert werden. Die Verpflichtung, den medizinischen Standard einzuhalten (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB), läuft leer, wenn dem Beschneider die dafür notwendigen Fähigkeiten fehlen. Zum Schutz der Kinder ist daher erforderlich, dass die Anforderungen an die Fähigkeiten der traditionellen Beschneider gesetzlich geregelt werden. Seiner Regelungsverpflich922
Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 6. BT-Drucks. 17/10488, S. 18. Siehe dazu bereits oben im Rahmen der Überprüfung der Einhaltung bestehender Gesetzgebungskompetenzen E. II. 2. b). 924 Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 1 ff. 925 Vgl. die Ausführung zur Wahrung des Standards durch nicht-ärztliche Heilberufe bei Mansel, in: Jauernig, § 630a BGB, Rn. 19. 926 Dazu E. VI. 4. a) und E. VI. 5. a). 927 Dazu E. VI. 4. a) bb). 928 Voraussetzung für die Approbation ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BÄO u. a. ein „Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren, von denen mindestens acht, höchstens zwölf Monate auf eine praktische Ausbildung (. . .) entfallen müssen“. 923
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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tung ist der Gesetzgeber mit § 1631d Abs. 2 BGB grundsätzlich nachgekommen. Der rituelle Beschneider muss „für die Durchführung der Beschneidung“ einem Arzt „vergleichbar befähigt“ und dafür „besonders ausgebildet“ sein.929 Die vergleichbare Befähigung kann sich, bei enger Interpretation der Vorschrift, allein auf den Akt der Entfernung der Vorhaut beschränken. Denn nur während dieses Vorgangs wird die Beschneidung „durchgeführt“. Eine vergleichbare Befähigung des Beschneiders für die notwendigen Voruntersuchungen, die erforderliche Schmerzbehandlung sowie die Nachsorge würden nach dieser Auslegung entfallen. Zirkumzidiert der rituelle Beschneider in eigener Verantwortung, muss er allerdings auch die Fähigkeiten besitzen, die Vor- und Nachsorge ordnungsgemäß vorzunehmen, insbesondere Kontraindikationen zu erkennen. Eine andere Beurteilung spaltet den Vorgang künstlich auf. Die vergleichbare Befähigung des rituellen Beschneiders muss daher für den gesamten Eingriff und nicht ausschließlich für den operativen Akt der Vorhautentfernung bestehen.930 Die Anforderung an den rituellen Beschneider „einem Arzt vergleichbar befähigt zu sein“ lässt sich auch dahin auslegen. Der Gesetzgeber ist nicht aus diesem Grund hinter seiner Regelungsverpflichtung zurückgeblieben. Ob ein ritueller Beschneider einem Arzt überhaupt „vergleichbar befähigt“ sein kann, ohne gleichzeitig Arzt zu sein, ist fraglich. Ärzte erlangen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten gerade durch eine universitäre Ausbildung,931 die dem rituellen Beschneider in aller Regel nicht zuteilwird. Allerdings haben sich die Kenntnisse des Beschneiders auch nur auf dem Bereich der Zirkumzision mit den Fähigkeiten eines Arztes zu messen.932 Dass Beschneider solche Kenntnisse durch Ausbildung und Ausübung ihrer Tätigkeit erlangen, ist nicht per se ausgeschlossen.933 Das zeigt ein erneuter Vergleich zu der Tätigkeit als Heilpraktiker. Auch Heilpraktiker können für bestimmte Handlungen, selbst ohne universitäre Ausbildung, den ärztlichen Standard wahren. Das setzt voraus, dass sie über Fähigkeiten verfügen, die
929 Nach der schwedischen Bestimmung (§ 11 LOP) muss ein ritueller Beschneider „über Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, die erforderlich sind, um die Beschneidung in einer Weise durchführen zu können, die innerhalb des Gesundheitswesens als der Wissenschaft und bewährter Erfahrung entsprechend gelten. Die Kenntnisse und Erfahrungen müssen dokumentiert werden“. Vgl. dazu Ring, S. 154; Ring/Olsen-Ring, S. 527. Ein vergleichbares Zulassungserfordernis für rituelle Beschneider, die nicht zugleich Ärzte sind, sieht Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 466, auch für Deutschland als gangbaren Weg. Manok, S. 137 ff., hält § 1631d Abs. 2 BGB insgesamt für zu unbestimmt. 930 BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. 931 Siehe Fn. 928. 932 Zur Bedeutung des Sorgfaltsmaßstabes bei Vornahme einer körperlichen Behandlung durch Nicht-Ärzte siehe auch Zuck, in: Quaas/Zuck, § 34, Rn. 9. 933 BT-Drucks. 17/11430. Zust. Merkel, Stellungnahme, S. 2; ähnlich auch Bruch, S. 3; Ehrmann, Stellungnahme; Zähle, S. 452. So auch Heilmann vor Einführung des § 1631d BGB, vgl. D. I. 5., dort mit Fn. 35.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
denen eines Arztes vergleichbar sind.934 Der Vorgang der Beschneidung ist sachlich ebenfalls begrenzt. Darüber hinaus handelt es sich um einen leichten und nur mit geringen Risiken behafteten Eingriff. Es ist daher nicht generell ausgeschlossen, dass ein Nicht-Arzt sich die notwendigen Fähigkeiten aneignet, insbesondere da Beschneider Routine auf dem Gebiet der Zirkumzision erlangen können und den Eingriff u. U. sogar häufiger und routinierter vornehmen als approbierte Mediziner.935 Nachzuweisen hat der rituelle Beschneider seine Fähigkeiten nach § 1631d Abs. 2 BGB nicht. Allerdings erkennt der Gesetzgeber, dass der rituelle Beschneider für die einem Arzt vergleichbare Befähigung einer besonderen Ausbildung bedarf, und macht dies zur Voraussetzung einer elterlichen Einwilligung in eine Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider (§ 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB). Diese besondere Ausbildung ist gesetzlich nicht näher reglementiert. Der Beruf des rituellen Beschneiders ist in Deutschland kein Ausbildungsberuf, sodass die Regelung nicht an bestehende berufsrechtliche Bestimmungen über Ausbildungsinhalte oder Prüfungsvoraussetzungen anknüpfen kann. Auch außerhalb Deutschlands existiert kein einheitliches Prüfungs- und/oder Zulassungssystem.936 Vielmehr stehen den rituellen Beschneidern zahlreiche Möglichkeiten offen, ihre „Ausbildung“ zu absolvieren. Eine staatliche Ausbildung oder konkrete Schulungsmaßnahmen hat der rituelle Beschneider nicht nachzuweisen.937 Die Ausbildung ist nicht an Vorgaben, wie z. B. einen Schulabschluss, gebunden. Sie muss auch nicht in Deutschland erbracht werden. Der rituelle Beschneider ist in der Folge weitestgehend frei darin, wo und wann er seine Ausbildung macht und welche Form der Ausbildung er wählt. Ist der rituelle Beschneider wie ein Arzt befähigt und hat er eine besondere Ausbildung durchlaufen, kann angenommen werden, dass er den medizinischen Standard einhalten kann und die körperliche Unversehrtheit des Kindes nicht stärker gefährdet wird als bei Vornahme des Eingriffs durch einen approbierten Mediziner. Der Gesetzgeber hat mit § 1631d Abs. 2 BGB die Grundlage dafür geschaffen, dass die Rechte des Kindes bei dem Eingriff gewahrt werden. Durch diese Anforderungen werden rituelle Beschneider, denen die notwendigen Fähigkeiten fehlen, aus dem Kreis der Berechtigten ausgenommen. Dem Eingreifenden wird durch § 1631d Abs. 2 BGB auch die Bedeutung der kindlichen Rechte vor Augen geführt und der Apellcharakter der Vorschrift soll ihn anhalten, eine ordnungsgemäße Ausbildung zu absolvieren und sich seiner Fähigkeiten zu versichern. Die Vorschrift leistet daher jedenfalls auch einen Beitrag zum Schutz der kindlichen Rechte.938 934
Dazu bereits E. VI. 5. a). So auch Yalçin, S. 387. 936 Dazu genauer unter E. VII. 2. d) bb) (3). 937 BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. 938 Siehe zur Rechtfertigung des dadurch etablierten Eingriffs in die Berufsfreiheit respektive die allgemeine Handlungsfreiheit ritueller Beschneider unter E. VII. 1. b) bb) (1). 935
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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Entscheidender für den Schutz der Kinder ist allerdings, dass die rituellen Beschneider die Voraussetzungen in praxi auch einhalten können. Behördliche Nachweispflichten oder staatliche Überwachungsmaßnahmen sind in § 1631d Abs. 2 BGB nicht vorgesehen. Die Ausbildungs- und Fähigkeitsanforderungen, die an den rituellen Beschneider gestellt werden, sind daher zahnlose Tiger. Sie schützen das Kind primär nur auf dem Papier. Für die Beurteilung, ob der Beschneider die erforderlichen Fähigkeiten besitzt, gibt es keinen objektiven Prüfmechanismus. Die Beteiligten, wie Religionsgemeinschaften, Eltern und rituelle Beschneider selbst, welchen die Beurteilung der Fähigkeiten überlassen bleibt, haben nicht notwendig das für eine solche Prüfung erforderliche Fachwissen und die dafür notwendige Informationsgrundlage. Dennoch wird den Eltern die Verpflichtung auferlegt, die Fähigkeiten des rituellen Beschneiders abzuschätzen, um nicht Gefahr zu laufen, dass sie eine unwirksame Einwilligung erteilen und dadurch ihr Kind gefährden. Ob sich der körperliche Eingriff durch den rituellen Beschneider aufgrund seiner mangelnden Befähigung zu einem Schaden verdichtet, bleibt einer Beurteilung ex post überlassen. Der Schutz des Kindes wird dadurch de facto nur minimal erhöht. Es besteht die Gefahr, dass die statuierten Anforderungen unqualifizierte Personen nicht von der Vornahme des Eingriffs abhalten können. Dieser Gefahr lässt sich durch staatliche Prüf- und Kontrollmaßnahmen begegnen. Ein staatliches Verfahren bürgt für Objektivität, eine vorgelagerte Überprüfung für den Schutz vor unrechtmäßigen Eingriffen. Auch wenn der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten, muss er jedenfalls hinreichend geeignete Maßnahmen ergreifen.939 Dies lässt sich durch die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB nicht allein erreichen. Der geringe Spezifikationsgrad der Vorschrift und die weiten Auslegungs- und Interpretationsspielräume reichen nicht aus, um eine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit des Kindes angemessen zu reduzieren. Durch die Einführung einer objektiven Eignungskontrolle für rituelle Beschneider kann die notwendige Stärkung des kindlichen Rechtsschutzes erreicht werden.940 Gleichzeitig können sich Religionsgemeinschaften und Eltern auf das staatliche Votum verlassen, sodass auch dem Bedürfnis der Rechtssicherheit gebührend Rechnung getragen wird. Die Einführung einer Eignungskontrolle ex ante kann vor den Rechten der Eltern und der Religionsgemeinschaften jedoch nur Bestand haben, wenn diese nicht unzulässig beeinträchtigt werden. Die Rechte der Eltern werden durch die Eignungskontrolle der rituellen Beschneider gewahrt. Die Personensorgeberechtigten dürfen den
939
Dazu bereits auch E. V. 3. a). So auch Ringel/Meyer, S. 109. Für ein formelles Verfahren auch Hahn, Erik, S. 221; Heinig, Stellungnahme, S. 5; ähnlich auch Brocke/Weidling, S. 459; Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 466; Isensee, S. 326; Lilie, S. 14; Manok, S. 139. Zur Ausgestaltung eines Erlaubnisverfahrens genauer unter E. VII. 2. d). 940
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
körperlichen Eingriff nur legitimieren, wenn dieser den Mindestanforderungen zum Schutz kindlicher Rechte gerecht wird. Bei der Vornahme der rituellen Zirkumzision durch einen Beschneider, dem die notwendigen Fähigkeiten fehlen, besteht dieses Recht der Eltern nicht. Zudem ist das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht notwendig unzulässig durch eine Erlaubnisverpflichtung betroffen. Die religiöse Ausbildung der Beschneider wird den Religionsgemeinschaften nicht entzogen, ebenso wenig die Bestimmungsmacht darüber, wer als religiöser Beschneider in Betracht kommt.941 Die Erlaubnisregelung kann in die Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders eingreifen. Die Anforderungen an die Fähigkeiten und die Ausbildung eines rituellen Beschneiders dürfen diesen nur soweit belasten, wie dies zur Wahrung kindlicher Rechte geeignet, erforderlich und angemessen ist. Zum weiteren Schutz der kindlichen Unversehrtheit können in diesem Zusammenhang auch zusätzliche an den rituellen Beschneider zu stellende Anforderungen angedacht werden. Neben dem Nachweis der fachlichen Eignung kommt insbesondere die Überprüfung der persönlichen und gesundheitlichen Eignung in Betracht.942 c) Das Recht auf Aufklärung durch den rituellen Beschneider und die Beachtung des kindlichen Willens Die ordnungsgemäße Aufklärung ist notwendige Voraussetzung für eine rechtmäßig wirkende Einwilligung der Personensorgeberechtigten. Bei der rituellen Zirkumzision besteht darüber hinaus im Einzelfall die Pflicht, das betroffene Kind über den Eingriff zu informieren.943 Dieser Verpflichtung hat auch ein ritueller Beschneider nachzukommen, wenn er den Eingriff vornimmt.944 Auch Nicht-Ärzte sind bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit grundsätzlich verpflichtet, den Betroffenen und/oder dessen Personensorgeberechtigten aufzuklären.945 941
Dazu auch bereits oben E. III. 2. c) bb). Dazu ausführlich unter E. VII. 2. Ein Genehmigungsvorbehalt findet sich in den schwedischen Vorschriften. Für die Erteilung der erforderlichen Genehmigung, hat der Antragsteller die in den Ausführungsbestimmungen näher definierten Anforderungen nachzuweisen (§ 11 LOP). Das Socialstyrelsen hat Ausführungsbestimmungen zu den „Kompetenzen der nach einer Genehmigung nachsuchenden Person“ (§ 2 der Ausführungsbestimmungen) erlassen; vgl. dazu Ring/Olsen-Ring, S. 526: Zusätzlich können davon umfasst sein, Regelungen zur Schmerzlinderung, grundsätzliche Durchführungsbestimmungen für den Eingriff und Informationen, die den Eltern und dem Kind im Rahmen des Aufklärungsgesprächs übermittelt werden müssen. 943 Dazu E. VI. 4. c). 944 Hat der rituelle Beschneider einen Behandlungsvertrag i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB abgeschlossen [dazu E. VI. 5. a)], ergibt sich die Aufklärungspflicht bereits aus § 630e BGB. So auch angenommen für Heilpraktiker durch Zuck, in: Quaas/Zuck, § 34, Rn. 2. 945 Vgl. dazu LG Koblenz, Urt. v. 24.1.2006 – Az.: 10 O 176/04, BeckRS 2008, 01943; Hennig, S. 79 f. 942
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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An den Inhalt der Aufklärung ist bei Nicht-Ärzten nicht notwendig der gleiche Maßstab anzulegen wie bei approbierten Medizinern. Die Aufklärung über bekannte Risiken kann ausreichen.946 Das lässt sich auf den rituellen Beschneider nicht bruchfrei übertragen. Traditionelle Beschneider haben, um den Eingriff ordnungsgemäß durchführen zu können, in diesem Bereich einem Arzt vergleichbar befähigt zu sein (§ 1631d Abs. 2 BGB).947 Sie verfügen über einen ausreichenden Wissensschatz.948 Ihre Kenntnisse über Risiken und Folgewirkungen müssen sie daher auch im Aufklärungsgespräch einem Arzt, der die Aufklärung ordnungsgemäß vornimmt, vergleichbar weitergeben.949 Einer zusätzlichen ärztlichen Aufklärung bedarf es dann nicht.950 Eine andere Beurteilung wäre schwer nachvollziehbar. Ist der Beschneider hinreichend befähigt, den Eingriff vorzunehmen, hat er auch die Kenntnisse, die notwendig sind, um ein ordnungsgemäßes Aufklärungsgespräch zu führen. Fehlt dem rituellen Beschneider die erforderliche Informationsgrundlage, muss er sich diese aneignen, bereits auch, um bei Durchführung des Eingriffs den Anforderungen an den ärztlichen Standard gerecht werden zu können.951 Ein staatlicher Nachweis an die Fähigkeiten und die Ausbildung des rituellen Beschneiders sichert damit auch ab, dass dieser die Aufklärung vor dem Eingriff ordnungsgemäß vornehmen kann.952 Dass ein ritueller Beschneider die Aufklärung ordnungsgemäß vornimmt, ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil er von der religiösen Bedeutung des Eingriffs überzeugt ist. Es kann nicht verallgemeinernd unterstellt werden, dass die traditionellen Beschneider die Risiken des Eingriffs bagatellisieren oder verschweigen.953 Ein entsprechendes Risiko der Bagatellisierung ist auch gegeben, wenn sonstige Personen zur Aufklärung vor einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verpflichtet sind. Auch Ärzte nehmen die Aufklärung nicht im946 LG Koblenz, Urt. v. 24.1.2006 – Az.: 10 O 176/04, BeckRS 2008, 01943. So für Heilpraktiker auch Taupitz, S. 1510. 947 Dazu bereits soeben E. VI. 5. b). 948 Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 55; so auch Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 23. 949 Zum Inhalt dieser Aufklärungsgespräche bereits oben E. VI. 4. c); Lilie, S. 14. 950 So auch Kramer, Stellungnahme, S. 5. A. A. BT-Drucks. 17/11815, S. 3. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen und die Erforderlichkeit der ärztlichen Aufklärung über Art, Umfang und Folgen des Eingriffs festzuschreiben, ist folgende Ergänzung sinnvoll: „Die Personensorge umfasst auch das Recht, nach vorangegangener ärztlicher Aufklärung in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen (. . .).“ Diesen Vorstoß unterstützend Merkel, Stellungnahme, S. 2. 951 Dazu E. VI. 5. a). 952 Dazu bereits E. VI. 5. b) sowie unter E. VII. 2. 953 Mit dieser Befürchtung aber Alatovic/Helmken, S. 131; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.12. Ebenso Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 340 ff.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
mer in einer neutralen Art und Weise vor, sondern äußern in aller Regel ihre Präferenzen. Gleichzeitig verfolgt ein Arzt zwar kein religiöses, u. U. aber ein finanzielles Interesse mit der Durchführung eines Eingriffs. Eine grundsätzliche Vermutung der Voreingenommenheit darf daher nicht allein bei der Aufklärung durch einen traditionellen Beschneider unterstellt werden. Ob die Aufklärung den Anforderungen im Einzelfall genügen kann, ist für jeden Fall gesondert zu entscheiden. Ist die ordnungsgemäße Aufklärung streitig, hat der rituelle Beschneider diese, als Voraussetzung der rechtfertigenden elterlichen Einwilligung, zu beweisen.954 Der rituelle Beschneider ist, ebenso wie ein Arzt, verpflichtet, den Willen des Kindes zu beachten.955 Eine unterschiedliche Beurteilung aufgrund der Person des Durchführenden ist nicht gerechtfertigt. d) Dokumentationspflichten Besteht zwischen dem rituellen Beschneider und den Personensorgeberechtigten ein Behandlungsvertrag i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB, ergibt sich die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Dokumentation bereits aus § 630f Abs. 1 S. 1 BGB.956 Ansonsten trifft den rituellen Beschneider eine solche Verpflichtung nach geltendem Recht nicht.957 Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte macht eine Dokumentation allerdings erforderlich958 und kann dem rituellen Beschneider in einem Schadensersatzprozess wertvolle Dienste leisten. Der rituelle Beschneider hat daher die wesentlichen Inhalte des Eingriffs, der Aufklärung und Einwilligung sowie mögliche Komplikationen zu dokumentieren. Da der rituelle Beschneider einem Arzt vergleichbar befähigt sein muss den Eingriff durchzuführen, kann er auch die wesentlichen Inhalte des Eingriffs erfassen. Bei der Dokumentation der Ordnungsgemäßheit des Eingriffs handelt es sich lediglich um eine Verlängerung der Verpflichtung, den Eingriff dem medizinischen Standard entsprechend vorzunehmen. e) Reduktion der Belastungen – Schmerzbehandlung Als Bestandteil der Regeln ärztlicher Kunst ist eine angemessene Schmerzbehandlung unerlässlich. Die Durchführung der Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider erlaubt nicht davon abzuweichen. Das Kind darf nicht durch die Zu954 Ähnlich entschieden hat das LG Koblenz, Urt. v. 24.1.2006 – Az.: 10 O 176/04, BeckRS 2008, 01943, für den Betreiber eines Piercingstudios. Kommt ein Behandlungsvertrag zustande, ergibt sich die Beweislastverteilung bereits aus § 630h Abs. 2 S. 1 BGB. 955 Zu den Einzelheiten unter E. VI. 4. b). 956 Zum Inhalt der Verpflichtung und der möglichen Beweislastumkehr unter E. VI. 4. d). 957 So auch Lilie, S. 14. 958 Vgl. E. VI. 4. d).
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fügung unnötiger Schmerzen belastet werden.959 Der rituelle Beschneider muss, um die Zirkumzision eigenständig vornehmen zu können, fähig sein, eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung zu gewährleisten. Ab dem sechsten Lebensmonat des Kindes kann der Eingriff grundsätzlich nur unter Vollnarkose durchgeführt werden.960 Zur Einleitung einer Vollnarkose sind Medikamente erforderlich, die in Anlage III des BtMG aufgeführt sind und daher nur im Rahmen einer ärztlichen Behandlung verabreicht werden dürfen (§ 13 Abs. 1 S. 1 BtMG).961 Eine ärztliche Behandlung i. S. d. Vorschrift liegt vor, wenn ein Arzt im Rahmen seines Heilauftrags handelt.962 Der Arzt überschreitet seinen Heilauftrag nicht, wenn er das Medikament zur Schmerzlinderung verschreibt und dies medizinisch unumgänglich ist.963 Dies trifft auf eine Zirkumzision zu. Die Vollnarkose entspricht dem medizinischen Standard und ist daher medizinisch notwendig. Dass der Eingriff insgesamt einer medizinischen Notwendigkeit entbehrt, bleibt bei dieser Beurteilung außen vor. Betrachtungsgegenstand ist allein die Schmerzbehandlung im Zusammenhang mit dem Eingriff der Zirkumzision. Ob der Eingriff generell zulässig ist, orientiert sich nicht an den Regelungen des BtMG, sondern an den elterlichen und kindlichen Rechten. Auf ärztliche Anweisung können die Medikamente auch durch ärztliches Hilfspersonal verabreicht werden.964 Der rituelle Beschneider ist bei Vornahme einer Zirkumzision in eigener Verantwortung weder Arzt noch ärztliches Hilfspersonal. Er ist daher nicht befugt, die Medikamente zur Einleitung einer Vollnarkose zu verabreichen.965 Dies sollte durch § 1631d Abs. 2 BGB auch nicht geändert werden.966 Da eine Vollnarkose erst nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes erforderlich ist und § 1631d Abs. 2 BGB ab diesem Zeitpunkt einen allgemeinen Arztvorbehalt statuiert, kollidiert die Voraussetzung einer ärztlichen Anästhesie nicht mit dieser Vorschrift. Die Rechte der betroffenen Kinder auf eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung sind durch den Ausschluss ritueller Beschneider von der Durchführung des Eingriffs ab dem sechsten Lebensmonat ausreichend gewahrt. Vor dem sechsten Lebensmonat des Kindes ist zur Schmerzbehandlung eine Lokalanästhesie notwendig.967 Die dafür erforderlichen Medikamente unterliegen regelmäßig der arzneimittelrechtlichen Verschreibungspflicht nach § 48 959
Dazu bereits E. VI. 4. e). Dazu E. VI. 4. e) bb). 961 Dazu auch Ringel/Meyer, S. 26 f. BT-Drucks. 16/6779, S. 3, schließt daher im Zusammenhang mit der erforderlichen Anästhesie bei Schönheitsoperationen den Heilpraktiker von deren Vornahme aus. 962 Weber, § 13 BtMG, Rn. 22. 963 Weber, § 13 BtMG, Rn. 22. 964 Weber, § 13 BtMG, Rn. 9. 965 Verstößt der rituelle Beschneider dagegen, macht er sich ggfs. gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b) BtMG und § 95 Abs. 1 Nr. 6, § 96 Nr. 13 AMG strafbar. 966 BT-Drucks. 17/11295, S. 19. 967 Dazu ausführlich E. VI. 4. e) cc). 960
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Abs. 1 AMG. Der rituelle Beschneider kann diese Medikamente nicht rechtmäßig erwerben und damit die notwendige Betäubung nicht eigenständig vornehmen. Darüber hinaus fehlt den rituellen Beschneidern auch die notwendige Ausbildung, um die Schmerzbehandlung vorzunehmen. Damit besteht auch für die Schmerzbehandlung vor dem sechsten Lebensmonat des Kindes ein Arztvorbehalt.968 Der rituelle Beschneider kann daher die Regeln des ärztlichen Standards, wie in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB, zu denen die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung zählt, nicht einhalten. Die Erlaubnis in § 1631d Abs. 2 BGB kann daran nichts ändern. Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung lässt sich mit den Rechten des Kindes nicht vereinbaren. Jedenfalls im Hinblick auf die Vornahme einer Schmerzbehandlung ist die Mohel-Klausel (§ 1631d Abs. 2 BGB) in der Folge nicht mit den Rechten des Kindes in Einklang zu bringen.969 Steht die Schmerzbehandlung immer unter Arztvorbehalt, kann dies Auswirkungen auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Zirkumzision durch rituelle Beschneider haben. Eine solche Schlussfolgerung hat der Gesetzgeber gezogen und nach dem sechsten Lebensmonat, aufgrund der notwendigen Vollnarkose, einen umfassenden Arztvorbehalt statuiert (§ 1631d Abs. 2 BGB). Der Schutz der betroffenen Kinder sollte dadurch erhöht werden. Denn ein approbierter Mediziner bürgt mit seiner Ausbildung dafür, den Eingriff unter Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst durchführen zu können. Es ist zum Schutz der Kinder aber nicht zwingend erforderlich einen Arztvorbehalt zu statuieren. Hält der Beschneider die Anforderungen hinsichtlich Befähigung und Ausbildung ein, soll gerade kein wesentlicher Unterschied in der Qualität der Durchführung zwischen ihm und einem approbierten Mediziner bestehen. Dem Gesetzgeber steht für die Wahrung seiner Schutzverpflichtung ein entsprechender Spielraum zu. Dieser wird auch durch die Rechte der rituellen Beschneider begrenzt, die bei der Entscheidung angemessen zu berücksichtigen sind.970 Kann die Frist von sechs Monaten allerdings nicht mehr durch den Arztvorbehalt aufgrund der notwendigen Schmerzbehandlung gedeckt sein, ist diese kritisch zu hinterfragen. Unterscheiden sich Arzt und ritueller Beschneider in ihren Fähigkeiten zur Durchführung der rituellen Zirkumzision nicht und ist die Schmerzbehandlung kein taugliches Kriterium für eine Differenzierung, ist die Fristenregelung in § 1631d Abs. 2 BGB nicht mehr erforderlich.971 Das kann so allerdings keinen Bestand haben. Die Fristenrege968 So auch Ehrmann, Contra, S. 331; Hartmann, Stellungnahme, S. 4; Kupferschmid, S. 103; Loewenich, S. 79; Paix/Peterson, S. 513; Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 345; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 276. Dies gilt auch für die schwedische Regelung: Nach § 4 LOP kann die Schmerzmedikation nur durch einen Arzt oder einen Krankenpfleger vorgenommen werden, vgl. dazu Ring/Olsen-Ring, S. 525. 969 Zum notwendig werdenden Anpassungsbedarf unter E. VII. 2. 970 Vgl. zu den konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten unter E. VII. 2.
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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lung steht auch bei einem generellen Arztvorbehalt aufgrund der unterschiedlichen Anästhesieanforderungen auf einem tauglichen Begründungssockel.972 Zum Schutz der elterlichen Rechte ist eine solche Ausdehnung der Frist nicht erforderlich. Die Zirkumzision in den jüdischen Glaubensgemeinschaften findet regelmäßig am 8. Tag nach der Geburt,973 in den islamischen Glaubensgemeinschaften meist zu einem späteren Zeitpunkt und durch einen Arzt statt.974 Ein Bedürfnis zur weiteren Ausdehnung der Frist besteht auch aus diesem Grund nicht. Lediglich die Ausnahme, dass die Beschneidung des Kindes aufgrund seines Gesundheitszustandes verschoben werden muss, sollte bei Festlegung einer Frist berücksichtigt werden.975 Dem könnte eine Frist von zwei Monaten anstelle von sechs Monaten nach der Geburt gleichsam genügen.976 § 1631d Abs. 2 BGB verstößt nicht notwendig aus diesem Grund gegen die Verfassung. Die Rechte des Kindes machen eine Reduktion der Frist nicht notwendig erforderlich. Die geforderte Befähigung des Beschneiders reicht grundsätzlich aus, um die Beschneidung ordnungsgemäß durchführen zu können.977 6. Zusammenfassung – Allgemeine Grundsätze zur Bewältigung von Kollisionslagen Die elterliche Zirkumzisionsentscheidung lässt sich mit den Rechten des Kindes grundsätzlich vereinbaren. Die Entscheidung überschreitet nicht generell die elterliche Handlungsbefugnis, wie sie durch absolut unverfügbare Rechte des Kindes, wie den Lebensschutz oder die Menschenwürde, gezogen wird.978 Motive und Handlungsweisen, die das Leben des Kindes gefährden oder gegen die Menschenwürde des Kindes verstoßen, sind bereits nach allgemeinen Regeln nicht von der elterlichen Entscheidungsbefugnis gedeckt. Der Staat darf Ein971 Mit diesem Ergebnis auch Hahn, Erik, S. 220; Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 195; wohl auch Steiner, S. 295. 972 Siehe dazu E. VI. 4. e) bb). 973 Siehe dazu oben C. I. 1. 974 Siehe dazu oben C. II. 1; Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 33. 975 Daher lehnen Graf, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 4 und Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 23; Kramer, Stellungnahme, S. 4, den Vorschlang in dem Änderungsantrag (BT-Drucks. 17/11816, S. 1), die Frist auf vierzehn Tage zu reduzieren, ab. 976 So vorgeschlagen in dem Änderungsantrag BT-Drucks. 17/11816. Zust. Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 17, ebenso Hakenberg, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 6, 73. Das entspricht auch der Rechtslage in Schweden, vgl. § 5 Abs. 2 LOP. In BT-Drucks. 17/11835, war eine Verkürzung auf zwei Wochen vorgesehen. 977 So auch Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 37; Manok, S. 143 f., hält die gewählte Frist aufgrund fehlender Erforderlichkeit für verfassungswidrig. 978 Vgl. dazu bereits E. V. 3. b) bb), E. VI. 1. c) mit Fn. 456.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
griffe, die generell auf die Vernichtung des kindlichen Lebens979 oder die Missachtung seiner Würde gerichtet sind, nicht zulassen. Maßnahmen, die in den Bereich einer Menschenwürdeverletzung vordringen, sind der elterlichen Entscheidungsbefugnis entzogen.980 Bestimmte elterliche Verhaltensweisen sind bereits nach § 1631 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wie die Zirkumzision zur Verhinderung der Masturbation durch das Kind sowie die Verwendung der Zirkumzision als Erziehungsmittel. 981 Verletzt eine elterliche Handlung oder Motivation die Menschenwürde des Kindes, liegt häufig bereits eine Verletzung des Gewaltverbots, einfachgesetzlich in § 1631 Abs. 2 BGB niedergelegt, vor. Die elterliche Einwilligung ist dann bereits aus diesem Grund nicht möglich. Auch wenn aus der Verletzung des § 1631 Abs. 2 BGB nicht notwendig eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB folgt und staatliches Eingreifen nicht immer deshalb einfachgesetzlich legitimiert ist, ist dies bei Verletzung der Menschenwürde der Fall.982 Eine Zirkumzision ist nicht generell geeignet, das Leben des Kindes zu gefährden. Der Staat hat die Gefahr für das Leben des Kindes auch im Einzelfall reduziert, indem er Schutzmechanismen, wie die Einhaltung des ärztlichen Standards, in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB aufgenommen hat.983 Eine weitere Begrenzung elterlicher Einwilligungsbefugnis aufgrund des kindlichen Lebensschutzes respektive der Achtung kindlicher Menschenwürde, war daher nicht erforderlich. Das bedeutet nicht, dass jede elterliche Entscheidung außerhalb dieser absoluten Handlungsbegrenzung mit den Rechten des Kindes und der staatlichen Schutzverpflichtung in Einklang zu bringen ist. Es kann zu einer Kollision dieser Rechte kommen, die nach den Regeln der praktischen Konkordanz aufzulösen ist.984 Zum Schutz der kindlichen Rechte ist es nicht erforderlich, jede Zirkumzisionsentscheidung zu untersagen. Der Gesetzgeber hat allerdings die Mindestvoraussetzungen, die eingehalten werden müssen, um die kindlichen Rechte zu wahren, zu definieren.985 979
Dazu E. V. 3. a) sowie E. VI. 1. Dazu E. V. 3. b) bb). 981 Vgl. E. V. 3. b) bb). 982 Auch unter E. V. 3. b) bb). 983 Siehe dazu im Detail E. VI. 4. a). 984 Dazu auch E. V. 1. sowie E. VI. Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 131; Fateh-Moghadam, Strafrecht und Religion, S. 151 f. Krit. dazu Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 474. 985 Zu diesen Mindestvoraussetzungen auch unter E. VI. 4.–5. Mit diesem Ergebnis: Alatovic/Helmken, S. 130; Bartsch, S. 607; Bielefeldt, S. 80; Brocke/Weidling, S. 455 f.; Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 134; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 424; Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 92; Hörnle/Huster, S. 338, fordern eine gesetzliche Grundlage oder eine eindeutige Aussage der Verfassung. Eine gesetzliche Grundlage fordert auch Krüper, in: Heinig/Munsonius, S. 15 f.; Heinig, Stellungnahme, S. 3; Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 37; Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, 980
VI. Eltern- vs. Kinderrechte im Fall der Knabenbeschneidung
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Den Eltern kommt ein weiter Beurteilungsspielraum dahin gehend zu, welche Eingriffe am kindlichen Körper mit dem kindlichen Wohl vereinbar sind. Letzteres haben sie bei all ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.986 Der Staat kann im Rahmen seiner Schutzverpflichtung das Kindeswohl gleichfalls mitgestalten, und zwar auch außerhalb der Grenzen einer elterlichen Kindeswohlgefährdung bzw. eines evidenten Sorgerechtsmissbrauch. Eine fremdbestimmte Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen Gründen ist nicht möglich.987 Der Eingriff hat für das betroffene Kind keinen, die Risiken überwiegenden, Nutzen. Die Entscheidung kann im einwilligungsfähigen Alter getroffen werden. Der Gesetzgeber hat die Ermächtigung der Eltern, in Eingriffe dieser Art einzuwilligen, aus § 1631d Abs. 1 BGB auszunehmen. Dies hat der Gesetzgeber nicht in hinreichend bestimmter Weise getan. Der Eingriff beschreibt nicht in jedem Einzelfall eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB, auch wenn die Vorschrift sich entsprechend auslegen lässt.988 Ebenfalls von der elterlichen Entscheidung auszunehmen sind Zirkumzisionen allein aus ästhetischen Gründen. Kosmetische Eingriffe sind nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig. Diesen Voraussetzungen vermag eine allein ästhetisch begründete Zirkumzision nicht S. 465 f.; Muckel, Strafbarkeit eines Arztes, S. 639; Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3619; Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 13; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 260; Rohe, Islamisierung, S. 802; Rox, Anmerkung, S. 808; Schramm/Gierthmühlen/Eckstein u. a., S. 872 f.; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 144; Steinbach, S. 7; Valerius, S. 485; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Willutzki, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 17; Yalçin, S. 383; Zähle, S. 452; Zypries, S. 139; Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 111 f.; Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1125 ff. Krit. ggü. der Auffassung von Schwarz – wegen Nichtbeachtung kindlicher Grundrechte aus Art. 2 GG – auch das LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14. Krit. auch Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 332 ff. Zum österreichischen Recht so auch Strasser, S. 222 und Wallner, S. 282. Die Beschneidung als unzulässig deklarierend allerdings: LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – Az.: 151 Ns 169/11, BeckRS 2012, 13647, Rn. 14; Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 1), S. 382; Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 433 f.; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9 ff.; Grams, S. 336; Isensee, S. 321; Jahn, S. 851; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 177, 180; Kreß, S. 684; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 372 f.; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 271; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 413; Putzke, Recht und Ritual, S. 625; Putzke, Religiöse Beschneidung, S. 138; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4. Ausdrücklich krit. ggü. dem Vorgehen Putzkes Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 334 f.; Exner, S. 57; krit. Herzberg, Gebot der Beschneidung, S. 171 f.; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 489; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 303 ff.; Herzberg, Religionsfreiheit und Kindeswohl, S. 472; Herzberg, Rechtliche Probleme, S. 333 ff. Zust. Putzke, Buchrezension, S. 185 und Kempf, S. 438 f. Krit. zu der „Kindeswohlneutralität“ Stumpf, S. 143. Für das österreichische Recht so auch Bernat, S. 198 und Ehrmann, Stellungnahme. 986 Dazu bereits E. IV. 1. c). 987 Dazu ausführlich oben E. VI. 2. c). Auch m.w. N. zur anderen Ansicht. 988 Dazu E. VI. 2. d).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
zu genügen. Auch ästhetisch motivierte Beschneidungen sind nach dem Willen des Gesetzgebers immer von § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB erfasst, erfüllen den Begriff der Kindeswohlgefährdung dem Wortlaut nach aber nicht notwendigerweise. Die Eltern können daher in eine Zirkumzision ihres einwilligungsunfähigen Kindes nur einwilligen, wenn diese medizinisch indiziert989 oder religiös motiviert990 ist. Dem Schutz kindlicher Rechte kann durch eine positive Formulierung der Einwilligungsvorschrift Rechnung getragen werden. Die elterliche Einwilligungsmöglichkeit bezieht sich mit einer solchen Formulierung ausschließlich auf religiös motivierte Beschneidungen. Darüber hinaus kann die Wahrscheinlichkeit kindlicher Wohlbefindensförderung durch den Eingriff als zusätzliche Voraussetzung der Einwilligung in den Gesetzestext aufgenommen werden, um den Schutz für die betroffenen Kinder zusätzlich zu erhöhen und zur Rechtssicherheit beizutragen. Eine Vorschrift mit dem folgenden Wortlaut erscheint praktikabel: Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche religiös motivierte Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese unter Einhaltung des ärztlichen Standards durchgeführt werden soll und die Förderung des psychischen Wohlbefindens durch den Eingriff hinreichend wahrscheinlich ist.
Nach dem Willen des Gesetzgerbers sollte eine Differenzierung nach der Motivationslage der Eltern gerade nicht stattfinden. Ein Sonderrecht allein für religiös motivierte Beschneidungen soll § 1631d BGB nicht abbilden.991Allerdings ist auch im Rahmen der aktuellen Regelung eine Motivprüfung erforderlich. Diese findet in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB bei Auslegung des Kindeswohls statt.992 Dadurch entsteht das Problem der Nachweisbarkeit von bestimmten Motiven zur Begründung rechtmäßiger elterlicher Einwilligungen ebenfalls.993 Dieses Problem lässt sich aufgrund der Rechte des Kindes auch nicht umgehen. Wie die Motivprüfung Eingang in die Entscheidung findet, spielt darüber hinaus keine Rolle. Wird die Motivkontrolle, wie vorgeschlagen, in die Prüfung der Ein989 Dies als einzig taugliche Motivation der Eltern akzeptierend Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9 ff.; Ehrmann, Stellungnahme: Die Beschneidung kann bei konsequenter Anwendung des § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB nie zulässig sein; so wohl auch Grams, S. 336; Manok, S. 151 ff. 990 Schramm, Ehe und Familie, S. 231; Schumann, S. 736 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1631d BGB, Rn. 10; Steinbach, S. 2; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1114; Wiater, S. 1381. A. A. Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 25; Mazyek, Stellungnahme, S. 1: Auf die religiöse Motivation der Eltern kann es nicht ankommen. Eine Gesinnungsprüfung darf den Eltern nicht aufgebürdet werden. 991 BT-Drucks. 17/11295, S. 16. So versteht auch Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1113, die Vorschrift. Dazu krit. Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3. 992 OLG Hamm, NJW 2013, 3662 (3664). 993 Isensee, S. 325; krit. hinsichtlich den Nachweisschwierigkeiten bei Prüfung der Motivationslage auch Wüstenberg, Zirkumzision im Recht, S. 194.
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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willigungsvoraussetzungen verschoben, sind nur noch taugliche Motive zulässig und der Ausschluss kindeswohlgefährdender Verhaltensweisen über die Ausnahmevorschrift nicht mehr erforderlich.994 Kindeswohlgefährdungen sind entweder aufgrund der fehlenden tauglichen Motivation, § 1631 Abs. 2 BGB oder § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen. Um die Grundrechte des Kindes zu wahren, hat der Gesetzgeber die Vorschrift bereits aus diesem Grund nachzubessern.995
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider Neben den Personensorgeberechtigten als Entscheidern und dem Kind als Hauptakteur sind an einer rituellen Zirkumzision zusätzlich Ärzte oder rituelle Beschneider als Durchführende des Eingriffs beteiligt. Zirkumzisionen innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaften werden dabei regelmäßig von rituellen Beschneidern (die auch gleichzeitig Ärzte sein können, aber nicht zwingend sein müssen) vorgenommen, während in den muslimischen Glaubensgemeinschaften – auch aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Zirkumzidenten – häufig ein approbierter Mediziner den Eingriff ausführt.996 Diese Besonderheit hat der Gesetzgeber erkannt und in § 1631d Abs. 2 BGB (sog. Mohel-Klausel) berücksichtigt. Zirkumzisionen können in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes von rituellen Beschneidern legal vorgenommen werden, wenn diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen. 1. Die Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders aus Art. 12 Abs. 1 GG § 1631d BGB könnte rituelle Beschneider in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG997 ungerechtfertigt beeinträchtigen und, in der Folge, die uneingeschränkte Zulassung der Zirkumzision durch diese gebieten. 994 So zur geltenden Rechtslage auch Heinig, Stellungnahme, S. 4; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 7; ähnlich auch Mazyek, Stellungnahme, S. 1, solange das Kindeswohl wie bisher verstanden wird und eine Neuinterpretation nicht zu Rechtsschwierigkeiten führt; so auch Radtke, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 40. 995 A. A. Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 424; Heinig, Stellungnahme, S. 3; Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 37; Walter, Christian, Stellungnahme, S. 6; Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 424. Zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift auch Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9 ff.; Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 312; Isensee, S. 327; Merkel, Stellungnahme, S. 1; Manok, S. 151 ff.; Peschel-Gutzeit, Die neue Regelung, S. 3618; Peschel-Gutzeit, in: Götz/ Schwenzer/Seelmann u. a., S. 520; Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 346, 354; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 389, 391; Sonnekus, S. 12. 996 Zu dem religionsgesetzlichen Hintergrund der Beschneidung und der Ausführungsmodalitäten innerhalb der Glaubensgemeinschaften vgl. oben unter C. I.–II. 997 Die EMRK kennt keinen ausdrücklichen Schutz der Berufsfreiheit. Lediglich, wenn die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit auch im privaten Leben nicht mehr oder
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
a) Der persönliche und sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit Der persönliche Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist beschränkt: Satz 1 der Vorschrift eröffnet allen Deutschen998 die Möglichkeit, ihren Beruf (. . .) frei zu wählen. Als sog. Deutschengrundrecht bietet es Ausländern und Staatenlosen keinen Schutz. Nur wenige der in Deutschland tätigen rituellen Beschneider besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Üblicher ist ihre Einreise zur Durchführung der Eingriffe. Als Nicht-Deutsche können sich diese Personen nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, bleiben deshalb aber nicht ohne Schutz. Sie können sich auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG stützen,999 wenn sie rituelle Zirkumzisionen in Deutschland durchführen. Für deutsche Beschneider ist der Schutzbereich in persönlicher Hinsicht uneingeschränkt eröffnet. Für die Beurteilung, ob die allgemeine Handlungsfreiheit ausländischer Beschneider durch die Vorschriften ungerechtfertigt beeinträchtigt ist, ergeben sich aus der Überprüfung der Berufsfreiheit jedenfalls Anhaltspunkte. Die Berufsfreiheit ist einheitlich geschützt.1000 Neben der Freiheit, einen bestimmten Beruf zu wählen, ist auch die Freiheit gewährleistet, den gewählten Beruf auszuüben.1001 Ein Beruf ist eine auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit.1002 Dabei ist der Schutzbereich möglichst weit auszulegen und nicht allein auf traditionelle Berufsbilder beschränkt.1003 Üblicherweise bekleiden die rituellen Beschneider innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft religiöse Ämter. Diese werden nicht nur vorübergehend zugeteilt, sondern dauerhaft zugewiesen. Das Element der Dauerhaftigkeit ist damit regelmäßig erfüllt. Nicht notwendigerweise dient die Vornahme ritueller Beschneidungen auch der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage. In den jüdischen Glaubensgemeinschaften ist es eher üblich, dass der Mohel kein Entgelt für die Vornahme der Zirkumzision erhält; ihm wird lediglich der entstandene Aufwand – wie z. B. angefallene Reisekosten – ersetzt und er erhält eine
nur unter erheblich erschwerten Bedingungen ausgeübt werden kann, fällt dies unter den Schutz des Privatlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK. Dazu Meyer-Ladewig, Art. 8 EMRK, Rn. 31 m.w. N. Aus der eigenen Religionsfreiheit erwächst dem Beschneider nicht das Recht, in die Sphäre des Kindes einzugreifen, vgl. dazu auch Isensee, S. 319. 998 Zur Begriffsbestimmung vgl. Art. 116 Abs. 1 GG. 999 BVerfGE 78, 179 (196 f.); 104, 337 (346); Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 34. Zu der Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 1 GG auf Unionsbürger vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 35 ff. Auf den durch das GG gewährleisteten Schutz hat dieser Streit im Ergebnis keine Auswirkungen. 1000 St.Rspr. BVerfGE 7, 377 (401 ff.); 95, 193 (214). 1001 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 16. 1002 BVerfGE 54, 301 (313); 97, 228 (252 f.); 102, 197 (212); 105, 252 (265); 115, 267 (300); 126, 112 (136). 1003 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 41.
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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Entschädigung.1004 Die Durchführung einer rituellen Beschneidung bildet allerdings einen Bestandteil der Ausübung seines religiösen Amtes, für welches der Amtsinhaber entlohnt wird, und dient dann – jedenfalls auch – der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage. Fehlt es an diesem Element, handelt es sich nicht um eine dem Schutzbereich der Berufsfreiheit unterfallende Tätigkeit.1005 Jedenfalls soweit traditionelle Beschneider ihren Lebensunterhalt durch die Vornahme ritueller Beschneidungen bestreiten, handelt es sich um einen Beruf.1006 Einfachgesetzlich erlaubt muss die Tätigkeit dafür nicht sein.1007 Aus dem Schutzbereich ausgenommen sind lediglich evident sozial schädliche Verhaltensweisen, „die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben können“ 1008. Davon umfasst sind für eine soziale Gemeinschaft generell schädliche Verhaltensweisen, wie das berufsmäßige Töten von Menschen. Ein leichter körperlicher Eingriff, wenn er auch ohne medizinische Indikation erfolgt, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Es handelt sich um ein religiöses Gebot, das das kindliche Wohlbefinden im Einzelfall fördern kann.1009 Das Prädikat „Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit“ kann ihm daher nicht zukommen. b) Gerechtfertigte Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch § 1631d BGB aa) Eingriff in die Berufsfreiheit durch § 1631d BGB Als Abwehrrecht schützt das Grundrecht der Berufsfreiheit den Einzelnen vor Beeinträchtigungen, die geschütztes Verhalten erschweren oder unmöglich machen. Sie soll verhindern, dass der Beruf „nicht mehr in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann“ 1010. Die Eingriffe können dabei von allen drei Staatsgewalten ausgehen, umfassen folglich auch Rechtsetzungsakte1011 und damit auch 1004 Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 66. Für die muslimische Glaubensgemeinschaft fehlt es an Erkenntnissen. 1005 Es verbleibt der Rückgriff auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit. Art. 2 Abs. 1 GG ist in seiner Anwendung ggü. den spezielleren Freiheitsgrundrechten subsidiär, Kloepfer, Verfassungsrecht, § 56, Rn. 3. Der Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit bleibt zulässig, solange nicht der Schutzbereich eines spezielleren Grundrechts eröffnet, der Eingriff aber einer Rechtfertigung zugänglich ist, vgl. BVerfGE 6, 32 (37). 1006 So auch Isensee, S. 319. 1007 BVerfGE 115, 276 (300 f.); anders noch BVerfGE 7, 377 (397); 14, 19 (22). 1008 BVerfGE 115, 276 (301); 117, 126 (137). 1009 Dazu umfassend unter E. VI. 3. b). 1010 BVerfGE 82, 209 (223); Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 301. 1011 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 52 f.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
§ 1631d BGB. Um einen Eingriff zu begründen, muss die Berufstätigkeit durch die Bestimmung unmittelbar betroffen sein oder muss dieser zumindest eine „berufsregelnde Tendenz“ zukommen,1012 jedenfalls gerade eine Tätigkeit schwerpunktmäßig von der Bestimmung betroffen sein, die regelmäßig als Beruf wahrgenommen wird.1013 Ansonsten besteht die Gefahr der uferlosen Ausweitung der Berufsfreiheit, da nahezu jede gesetzliche Regelung mittelbare Auswirkungen auf einen Beruf zeitigen kann.1014 Ausschließlich medizinisch indizierte Zirkumzisionen dürfen von den rituellen Beschneidern nicht vorgenommen werden (vgl. § 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB). Gleiches gilt für gesundheitsprophylaktische Beschneidungen, die einer elterlichen Einwilligung grundsätzlich nicht offen stehen.1015 Diesen Einschränkungen des potenziellen Tätigkeitsfeldes kommt allerdings bereits keine berufsregelnde Tendenz zu. Denn der rituelle Beschneider nimmt schwerpunktmäßig gerade nur religiös veranlasste Zirkumzisionen innerhalb der betroffenen Glaubensgemeinschaften vor. Allein medizinisch oder gesundheitsprophylaktisch begründete Eingriffe sind nicht Bestandteil seiner Berufsausübung. Die fehlende ausdrückliche Erlaubnis zur Vornahme ausschließlich medizinisch bedingter Beschneidungen durch den rituellen Beschneider ist folglich kein Eingriff in dessen Berufsfreiheit. Eine Sonderkonstellation ergibt sich bei dem Zusammentreffen von religiöser Motivation und medizinischer Indikation.1016 Dann ist nur ein Teil des Eingriffs von der schwerpunktmäßig beruflichen Tätigkeit des rituellen Beschneiders gedeckt. Werden dem rituellen Beschneider in diesem Bereich Beschränkungen auferlegt, verlieren diese nicht aufgrund der doppelten Bedeutung des Eingriffs ihre potenziell berufsregelnde Tendenz. Das Gewicht der religiösen Begründung verändert sich durch das Hinzutreten einer medizinischen Indikation nicht. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit bleibt in diesem Bereich – wie für Beschränkungen ausschließlich religiös motivierter Eingriffe – denkbar. Die rituelle Zirkumzision kann von einem nicht-approbierten rituellen Beschneider nur in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes vorgenommen werden (§ 1631d Abs. 2 BGB); sie ist danach immer einem Arzt vorbehalten. Die Tätigkeit des rituellen Beschneiders wird dadurch in zeitlicher Hinsicht beschränkt. Die gesetzliche Regelung nimmt nicht nur mittelbar Einfluss, sondern reglementiert die berufliche Tätigkeit ausdrücklich und unmittelbar sowie mit be1012
Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 300. Dazu BVerfGE 70, 191 (214); 95, 267 (302); 98, 218 (258); 129, 208 (266 f.). Krit. ggü. dem Erfordernis einer „berufsregelnden Tendenz“ Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 57. 1014 BVerfGE 97, 228 (253 f.). 1015 Dazu ausführlich oben E. VI. 2. 1016 Dazu bereits oben E. II. 2. a) und E. VI. 4. a) bb). 1013
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rufsregelnder Tendenz. Die Berufsausübung ist für den Bereich einsichts- und urteilsunfähiger Minderjähriger, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr zugelassen. Die grundsätzliche Möglichkeit, die Zirkumzision vor dem sechsten Lebensmonat des Kindes vorzunehmen, vermag daran nichts zu ändern. Das Tätigkeitsfeld ritueller Beschneider ist nicht aus sich heraus auf die Durchführung des Eingriffs bei Neugeborenen und Kleinkindern begrenzt, auch wenn die Vornahme zu einem frühen Zeitpunkt, insbesondere im Judentum, üblich ist. Weiter verlangt § 1631d Abs. 2 BGB von den rituellen Beschneidern eine besondere Ausbildung sowie die einem „Arzt vergleichbare Befähigung“ für die Durchführung des Eingriffs. Durch diese Anforderungen soll gleichzeitig die Möglichkeit der Einhaltung der Regeln des ärztlichen Standards (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB) gesichert werden.1017 Fehlen dem Beschneider die entsprechenden Kenntnisse oder kann er aus sonstigen Gründen den notwendigen medizinischen Standard nicht einhalten, kann er seinen Beruf nicht ausüben, ohne strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Die normierten Anforderungen sind geeignet, einzelne rituelle Beschneider von der Vornahme der Eingriffe auszuschließen, erfüllen sie die genannten Voraussetzungen nicht. Die Tätigkeit ist daher unmittelbar von diesen Regelungen betroffen. Der Beruf kann dann nicht in gewünschter Weise ausgeübt werden. Gleiches gilt für die Verpflichtung, die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten. Dass dies auch Ärzten, die die Beschneidung vornehmen wollen, auferlegt wird, hindert den Eingriff in die Berufsfreiheit der rituellen Beschneider nicht. Ob ihre Tätigkeit schwerpunktmäßig betroffen wird, orientiert sich nicht daran, ob auch die ärztliche Tätigkeit durch die Regelung ausgestaltet wird. Die Unterscheidung wird zwischen der Vornahme als berufliche oder nur allgemeine Tätigkeit gezogen, nicht zwischen zwei beruflichen Tätigkeiten. Neben der Fristenregelung weisen damit auch die an die rituellen Beschneider gestellten Anforderungen berufsregelnde Tendenz auf. Der rituelle Beschneider muss „eine von einer Religionsgemeinschaft“ zur Durchführung des Eingriffs „vorgesehene Person“ sein (vgl. § 1631d Abs. 2 BGB). Sieht keine Religionsgemeinschaft, die die Beschneidung als religiöses Ritual versteht, die Person als Beschneider vor, kann diese Person den Beruf des rituellen Beschneiders nicht ausüben. Diese Voraussetzung kann den Betroffenen von der Ausübung eines Berufs ausschließen. Allerdings führt erst die Bestimmung durch eine Religionsgemeinschaft dazu, dass es sich um einen rituellen Beschneider handelt. Die Religionsgemeinschaft lässt den Beschneider sozusagen als Instanz vor der staatlichen Instanz zu dem Beruf zu. Die Vorschriften mit berufsregelnder Tendenz knüpfen erst an, wenn der Beschneider durch eine Religionsgemeinschaft zugelassen und damit ein ritueller Beschneider ist. Das notwendige „Vorgesehensein“ des Beschneiders ist Bestandteil der Definition des Berufes, nicht eine berufsbezogene Regelung. Rituelle Beschneider werden da1017
BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. Dazu bereits E. VI. 5. b).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
durch von Beschneidern, die weder approbierte Mediziner noch von einer Religionsgemeinschaft beauftragt sind, unterschieden. Ein solcher Berufsstand neben Ärzten und rituellen Beschneidern ist allerdings nicht bekannt. bb) Mögliche Rechtfertigung der Eingriffe in die Berufsfreiheit Eingriffe in die Berufsfreiheit lassen sich durch oder aufgrund einer gesetzlichen Regelung rechtfertigen (Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG). Dies gilt aufgrund der Einheitlichkeit der Berufsfreiheit sowohl für die Berufsausübung als auch die Berufswahl.1018 Der Eingriff erfolgt im vorliegenden Fall durch und aufgrund des § 1631d BGB und damit auf Grundlage eines Parlamentsgesetzes. Dieses muss, um rechtfertigend durchzugreifen, gleichzeitig auch den Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – insbesondere dem Übermaßverbot – genügen.1019 Entscheidend dafür ist die regulatorische Eingriffsintensität, die das BVerfG mithilfe der Drei-Stufen-Theorie präzisiert:1020 Die inhaltlichen Anforderungen an die gesetzliche Bestimmung divergieren je nach Schweregrad der Beeinträchtigung. Am eingriffsintensivsten und damit einem gehobenen Rechtfertigungsbedürfnis unterworfen sind objektive, gefolgt von subjektiven Berufszulassungsregelungen. Weniger rechtfertigungsbedürftig sind einfache Berufsausübungsregelungen.1021 (1) Berufswahlbeeinträchtigung durch § 1631d BGB Berufswahlbeeinträchtigungen können objektiv oder subjektiv ausgestaltet sein. Objektive Berufszulassungsregelungen – als die gravierendste Form eines Eingriffs – knüpfen an durch den Betroffenen nicht zu beeinflussende Kriterien, insbesondere ein bestehendes volkswirtschaftliches Bedürfnis an1022 und sind dabei unabhängig von individueller Qualifikation oder persönlichen Eigenschaften des Berufsinhabers.1023 An dieser Stellschraube setzt § 1631d Abs. 2 BGB nicht an. Die Vorschrift lässt die Beschneidung nur durch Beschneider mit bestimmten 1018 Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 312; dazu und zur notwendigen inhaltlichen Differenzierung des Gesetzesvorbehalts vgl. das Apothekenurteil des BVerfG (E 7, 377 [402 ff.]). 1019 BVerfGE 102, 197 (213); 115, 276 (304); 117, 163 (182). 1020 Eingeführt und entwickelt hat das BVerfG diese Lehre erstmals im Apothekenurteil, BVerfGE 7, 377 (404 ff.); zum Verhältnis zwischen Stufentheorie und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 101. 1021 Dazu und zur Kritik an der Stufentheorie ausführlich Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 335 f. 1022 Dazu ausführlich Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 366 ff. 1023 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 99; Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 351.
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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Fähigkeiten zu und beschränkt den Eingriff auf Kinder, die den sechsten Lebensmonat noch nicht vollendet haben. Eine Bedürfnisprüfung mit positivem Ausgang wird für die Zulassung zu dem Beruf des rituellen Beschneiders nicht gefordert. Die notwendige Rechtfertigungshürde, einer „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ 1024 zwingend zu dienen, muss § 1631d Abs. 2 BGB folglich nicht nehmen, um den Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu genügen.1025 Allerdings enthält § 1631d Abs. 2 BGB verbindliche Vorgaben für – nicht notwendig vom Einfluss des Betroffenen abhängige – „persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ 1026, gegebenenfalls nachzuweisen durch Vor- oder Ausbildung oder erworbene Abschlüsse,1027 und damit subjektive Zulassungsregelungen. Denn der Beschneider bedarf einer „einem Arzt vergleichbare[n]“ Befähigung für die Durchführung des Eingriffs und zu diesem Zweck einer besonderen Ausbildung (§ 1631d Abs. 2 BGB) – auch, um die Einhaltung des ärztlichen Standards (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB) gewährleisten zu können.1028 Die Fähigkeiten und Fertigkeiten des rituellen Beschneiders stehen im Regulierungsmittelpunkt. Eingriffe dieser Art sind in Anlehnung an die Intensität ihrer Beeinträchtigung mittleren Grades.1029 Für die Rechtfertigung dieses gesetzgeberischen Eingreifens in die Berufsfreiheit entscheidend ist, ob die Normierung als Zweck dem „Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts“ 1030 dient und dabei auch die weiteren Anforderungen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Blick behält.1031 Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der erst überschritten ist, wenn die Entscheidung „offensichtlich fehlerhaft oder mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbar“ 1032 ist. Mit § 1631d BGB bezweckt der Gesetzgeber primär den Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit des betroffenen Jungen. Es soll sichergestellt werden, dass die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs, auch bei der Vornahme durch Nicht-Ärzte, vertretbar bleiben.1033 Die individuelle Gesundheit und körperliche Unversehrtheit sind von herausragender – auch gesamtgesellschaftlicher – Bedeutung. Sie bilden, wie das Leben, die „natürliche Basis der Frei1024
St.Rspr. BVerfGE 7, 377 (408); 11, 168 (183); 102, 197 (214); 126, 112 (141). Vgl. zu der Vereinbarkeit von Bedürfnisregelungen mit der Berufsfreiheit u. a. BVerfGE 11, 168 ff. 1026 BVerfGE 9, 338 (345); 40, 17 (20). 1027 BVerfGE 13, 97 (107); 19, 330 (337). Dazu auch Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 97; Scholz, in: Maunz/Dürig, 47. Egl. 2006, Art. 12 GG, Rn. 355. 1028 BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. Dazu bereits E. VI. 5. b). 1029 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 97. 1030 BVerfGE 93, 213 (235); ähnlich auch BVerfGE 119, 59 (83). 1031 BVerfGE 7, 377 (407); BVerfG, NJW 2003, 3618 (3619). 1032 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 98; BVerfGE 13, 97 (105). 1033 BT-Drucks. 17/11295, S. 18 f. 1025
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
heit“.1034 Die staatliche Schutzverpflichtung wird verstärkt durch die Tatsache fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen sowie die Irreversibilität des Eingriffs.1035 Unter Zugrundelegung des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums sind die normierten Anforderungen geeignet, dem angestrebten Zweck gerecht zu werden. Allein entscheidend ist dafür, dass die getroffene Regelung einen tauglichen Beitrag zum Schutz kindlicher Rechte leistet.1036 Denn im Rahmen der Geeignetheitsprüfung ist bereits die Förderung der gewünschten Zielerreichung ausreichend; lediglich von vorneherein untaugliche Maßnahmen sind ausgeschlossen.1037 Auch wenn die Regelung das notwendige Schutzniveau nicht ausfüllt, trägt sie zur Zielerreichung bei. Völlig ungeeignet ist § 1631d Abs. 2 BGB zum Schutz kindlicher Rechte nicht.1038 Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung durch das gewählte Instrument ist die Möglichkeit hierzu bereits ausreichend.1039 Die Normierung bestimmter Anforderungen garantiert zumindest, dass die rituellen Beschneider die Bedeutung des körperlichen Eingriffs richtig einordnen und die notwendigen medizinischen Vorschriften einhalten können. Die Unterstützung der Zielerreichung durch den § 1631d Abs. 2 BGB erscheint jedenfalls möglich. Die getroffene Regelung ist darüber hinaus nur erforderlich, wenn ein Eingriff auf einer niedrigeren Beeinträchtigungsstufe nicht ausreicht, um den gewünschten Zweck zu erreichen.1040 Auch hier ist dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungs- und Prognosespielraum zuzugestehen.1041 Auf der niedrigeren Eingriffsstufe, derjenigen der Berufsausübung, können Anforderungen an die persönlichen Fähigkeiten der rituellen Beschneider nicht gestellt werden. Lediglich eine gesetzliche Präzisierung der Ausführungsmodalitäten ist möglich.1042 Dies kann ebenfalls zum Schutz des Kindes beitragen, ein vergleichbares Schutzniveau allerdings nicht notwendig erreichen. Subjektive Berufszulassungsregelungen sichern die Tauglichkeit des Berufsinhabers zur Ausübung seines Berufs grundsätzlich ab, während die Regelungen zur Berufsausübung nur den konkreten Einzelfall beruflichen Tätigwerdens erfassen. Durch subjektive Berufszulassungsregelungen gelingt daher die Sicherstellung 1034 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, 43. Egl. 2004, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Rn. 51. So für die Volksgesundheit auch entschieden durch BVerfGE 7, 377 (414); 19, 330 (338); 25, 236 (247); 87, 363 (385 f.); 110, 141 (163); 121, 317 (356) zum Rauchverbot in Gaststätten; 126, 112 (140). BVerwGE 4, 167 (171); 65, 323 (339); zur Rechtfertigung einer Berufsausübungsregelung BVerfGE 20, 283 (295). 1035 Siehe dazu bereits oben E. V. 4. b). 1036 Ob vor dem Schutz kindlicher Rechte strengere Regelungen oder eine Erlaubnispflicht notwendig sind, ist nicht an dieser Stelle zu beantworten. Siehe dazu E. VI. 5. b) und E. VII. 2. 1037 BVerfGE 63, 88 (115); 96, 10 (23); 100, 313 (373); 121, 317 (354). 1038 Dazu auch E. VI. 5. b). 1039 BVerfGE 67, 157 (175); 96, 10 (23); 103, 293 (307); 117, 163 (188 f.). 1040 BVerfGE 80, 1 (30); 117, 163 (189); 119, 59 (85). 1041 BVerfGE 117, 163 (189). 1042 Dazu auch sogleich unter E. VII. 1. b) bb) (2).
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eines erhöhten Schutzniveaus im Vergleich zu bloßen Berufsausübungsregelungen, auch wenn dieses Schutzniveau im konkreten Fall die kindlichen Rechte nicht hinreichend absichert.1043 Schließlich dürfen die gesetzlichen Anforderungen die rituellen Beschneider nicht unzumutbar belasten.1044 Dafür ist eine Gesamtschau der normierten Voraussetzungen erforderlich. Die Rechte des Kindes sind hier ebenfalls einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund ist die staatliche Regelung keine unangemessene Beeinträchtigung für die rituellen Beschneider. Vielmehr bleiben die Anforderungen hinter dem zurück, was zum Schutz kindlicher Rechte erforderlich ist.1045 Dies ist insbesondere den nicht vorhandenen Nachweispflichten und Kontrollrechten im Hinblick auf die Fähigkeiten der rituellen Beschneider geschuldet. Die normierten Voraussetzungen beeinträchtigen die rituellen Beschneider daher nicht über Maß. Der Eingriff in Form der subjektiven Zulassungsbeschränkungen ist gerechtfertigt und mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit vereinbar. Nach § 1631d Abs. 2 BGB kann der rituelle Beschneider die Zirkumzision nur an Kindern im Alter unter sechs Monaten vornehmen; im Anschluss daran bleibt der Eingriff, bis zur Einwilligungsfähigkeit des Zirkumzidenten, approbierten Medizinern vorbehalten. Das BVerfG hat die Normierung gesetzlicher Altersgrenzen im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall als subjektive Zulassungsschranke eingestuft.1046 Bezugspunkt dieser Entscheidungen war allerdings ausschließlich der Berufsinhaber. Die entwickelten Rechtfertigungsanforderungen lassen sich daher nicht bruchfrei auf die vorliegende Konstellation übertragen. Aber auch die Fristenregelung in § 1631d Abs. 2 BGB knüpft nach ihrem Sinn und Zweck an bestimmte Fähigkeiten der rituellen Beschneider an. Aufgrund der fehlenden universitären Ausbildung kann er eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sicherstellen.1047 Gleichzeitig kann der rituelle Beschneider seinen Beruf weiterhin an jüngeren Kindern und Einwilligungsfähigen ausüben. Nach der „Lehre von den Berufsbildern“ handelt es sich aufgrund des Alters des Zirkumzidenten, bei Vornahme der Zirkumzision, nicht um eine andere berufliche Tätigkeit. Innerhalb eines bestimmten Altersabschnitts des Zirkumzidenten ist lediglich die Berufsausübung eingeschränkt. Damit beschreibt die Fristenregelung mehr eine Beschränkung der Berufsausübung und nicht der Berufswahl.1048 Nicht außen vor bleiben darf da1043
Dazu bereits E. VI. 5. b). Vgl. zu dem Zumutbarkeitskriterium auch BVerfGE 75, 284 (298); 102, 197 (220); 112, 255 (267); 121, 317 (355). 1045 Dazu genauer unter E. VI. 5. b). 1046 Vgl. dazu BVerfGE 9, 338 (345); 64, 72 (82). 1047 Dazu auch E. VI. 5. e). 1048 Ähnlich gestaltet sich auch die Entscheidung im „Kassenarzt-Urteil“ des BVerfG (E 11, 30 [42]). Kassenarzt ist im Vergleich zu einem frei praktizierenden Arzt kein eigenständiger Beruf. 1044
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
bei, dass es einen großen Teil der Beschneidungstätigkeit ausmachen kann, auch die – nun ausgeschlossene – Altersgruppe als Kreis potenzieller Klienten zu behalten. Insbesondere in muslimischen Glaubensgemeinschaften findet die Zirkumzision generell zu einem nach dem sechsten Lebensmonat, aber vor Einwilligungsfähigkeit des Kindes liegenden Zeitpunkt statt.1049 Ein entscheidender Teil der Berufsausübungsmöglichkeit kann dadurch wegfallen, was die Berufsausübungsregelung in ihrer Intensität in die Nähe einer Berufszulassungsregelung bringt. Die Stufentheorie kann bei der Formulierung der Rechtfertigungsanforderungen daher kein festes Raster vorgeben. Aufgrund der Nähe zur Berufswahlregelung können die Anforderungen an die Begründung der Einschränkung höher liegen als bei einer reinen Berufsausübungsregelung und sich mehr an den Voraussetzungen zur Rechtfertigung einer Berufszulassungsregelung bewegen.1050 Die Fristenregelung hat folglich in verhältnismäßiger Ausgestaltung dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes zu dienen.1051 Sie dient dem kindlichen Gesundheitsschutz, dem ein besonders hoher Stellenwert zukommt.1052 Die ab dem sechsten Lebensmonat zur Wahrung kindlicher Rechte erforderliche Vollnarkose setzt, insbesondere wegen der damit einhergehenden Risiken und Nebenwirkungen, aber auch wegen den Vorbehalten im BtMG und AMG, eine ärztliche Ausbildung voraus.1053 Der Komplettausschluss der rituellen Beschneider von der Durchführung der Zirkumzision ist allerdings nicht notwendig erforderlich. Die Zuständigkeiten könnten zwischen einem approbierten Mediziner und einem rituellen Beschneider aufgeteilt werden: Ersterer würde die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung tragen, der rituelle Beschneider die Vorhaut operativ entfernen.1054 Der rituelle Beschneider wäre von seiner beruflichen Haupttätigkeit, die insbesondere das religiöse Zeremoniell und die Vorhautentfernung umfasst, nicht ausgeschlossen und damit in seiner Berufsfreiheit weniger schwer beeinträchtigt. Hält der rituelle Beschneider die übrigen Voraussetzungen ein, reduziert sich durch die Tätigkeitstrennung das Schutzniveau des Kindes nicht. Vielmehr kann unterstellt werden, dass der rituelle Beschneider einem Arzt vergleichbar agieren kann.1055 Die dafür notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen wird ihm in § 1631d Abs. 2 BGB abverlangt. Es fehlen daher taugliche Gründe, eine Tätigkeitstrennung abzulehnen und dadurch die Eingriffstiefe in die Rechte der Beschneider zu reduzieren.1056 Das beschreibt
1049 1050 1051 1052 1053 1054 1055
Dazu bereits oben C. II. 1. So auch BVerfGE 11, 30 (42 f.). BVerfGE 93, 213 (235); ähnlich auch BVerfGE 119, 59 (83). Dazu auch oben E. V. 2. a). Siehe dazu oben E. VI. 5. e). Dazu ausführlich unter E. VII. 2. c). Dazu E. VI. 5. b).
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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noch nicht gleichzeitig einen Verfassungsverstoß. Auch hier ist der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum zu beachten. Nur ein offensichtliches Überschreiten desselben, d. h. das Fehlen jedweder Grundlage für die getroffene Regelung, kann ausreichen, um einen Verfassungsverstoß zu begründen.1057 Der Gesetzgeber musste die Aufsplitterung der Zuständigkeiten zwischen rituellem Beschneider und approbiertem Mediziner nicht notwendig statuieren. Der Rückschluss, dass die Schmerzbehandlung einem approbierten Mediziner vorzubehalten ist und daher der gesamte Eingriff nur durch einen Arzt vorgenommen werden kann, überschreitet den Einschätzungsspielraum nicht zwingend. Die Rechtfertigung kann in der, durch eine Vollnarkose verursachten erhöhten Gefährlichkeit des Eingriffs begründet sein.1058 Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ist demzufolge nicht in einer nicht mehr nachvollziehbaren und ausschließlich unvernünftigen Erwägungen folgenden Weise ausgestaltet. Die Fristenregelung kann die Rechtfertigungshürden einer Berufszulassungsregelung nehmen und ist daher mit der Verfassung in Einklang zu bringen. (2) Berufsausübungsbeeinträchtigung durch § 1631d BGB Im Unterschied zu Zulassungsregelungen definieren Berufsausübungsregelungen die Rahmenbedingungen des beruflichen Tätigwerdens.1059 Eine Berufsausübungsregelung findet sich in dem Erfordernis zur Beachtung der Regeln ärztlicher Kunst, welches auch für den rituellen Beschneider gilt (§ 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB). Der Beschneider muss sich in Vorbereitung, Methode und Durchführung des Eingriffs an allgemein anerkannte Standards halten und über den Eingriff ordnungsgemäß aufklären.1060 Diese grundrechtliche Beeinträchtigung lässt sich „durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls“ 1061 legitimieren. Die Notwendigkeit der Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst dient dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit sowie der Gesundheit des Kindes. Dabei handelt es sich um Güter von besonderer Bedeutung, auch mit Gemeinwohlbezug.1062 Ausreichend ist, dass das gesetzgeberische Handeln vor diesem Hintergrund zweckmäßig erscheint.1063 Lediglich Voraussetzungen an die Fähigkeiten des rituellen Beschneiders zu definieren, schützt die kindlichen Rechte nicht, wenn dieser bei Durchführung des Eingriffs nicht im Rahmen seiner Fähigkeiten tätig 1056 Der Gesetzgeber geht von einer falschen Tatsachengrundlage aus, da er den Betäubungsvorbehalt offensichtlich erst ab diesem Zeitpunkt als gegeben sieht, vgl. BTDrucks. 17/11295, S. 17. 1057 BVerfGE 25, 1 (17); 77, 84 (106); 110, 141 (158); 117, 163 (189). 1058 Dazu auch E. VI. 4. e) bb). 1059 BVerfGE 7, 377 (405 f.). 1060 Vgl. dazu ausführlich unter E. VI. 5. a) und E. VI. 5. c). 1061 BVerfGE 94, 372 (390); 101, 331 (347); 121, 317 (346); 125, 260 (369). 1062 Dazu oben E. V. 3. a). 1063 BVerfGE 7, 377 (405); ähnlich auch 16, 286 (297).
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
werden muss, sondern dahinter zurückbleiben kann. Die Berufszulassungsregelungen in § 1631d Abs. 2 BGB bilden dann eine bedeutungslose Hülle. Die Berufsausübungsregelung ergänzt die Berufszulassungsregelungen des § 1631d Abs. 2 BGB daher in sinnhafter Weise. Ein das Schutzniveau vergleichbar erreichender, aber weniger belastender Eingriff ist nicht ersichtlich. Eine Berufsausübungsregelung befindet sich bereits auf der rangniedrigsten Eingriffsstufe.1064 Eine andere Beurteilung ist allerdings geboten, wenn der rituelle Beschneider die Regeln der ärztlichen Kunst nicht einhalten kann, ohne gleichzeitig approbierter Mediziner zu sein. Zwingt die Berufsausübungsregelung zur Berufsaufgabe, haben sich die Rechtfertigungsanforderungen an solchen für die Berufszulassung zu orientieren.1065 Davon geht der Gesetzgeber nicht aus. Er sieht die Möglichkeit einer einem Arzt vergleichbaren Befähigung bei dem rituellen Beschneider, was darauf schließen lässt, dass dieser generell auch fähig sein kann, die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten, was auch praktisch umsetzbar ist.1066 Ansonsten wäre die Sonderregelung in § 1631d Abs. 2 BGB ohne Anwendungsbereich. Die Rechtfertigungsanforderungen orientieren sich auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit i. e. S. an dem Maßstab für Berufsausübungsregelungen. Die Gründe, welche die Berufszulassungsregelung stützen können, können auch zur Rechtfertigung der konkreten Berufsausübungsregelung herangezogen werden. Schließlich wird durch die Berufsausübungsregelung garantiert, dass die Fähigkeiten zum Schutz kindlicher Rechte auch eingesetzt werden. Daher steht auch die Normierung der Durchführungsvoraussetzungen nicht außer Verhältnis. Gleiches gilt auch für das Aufklärungserfordernis, welches die Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung bildet. Der Gesetzgeber schützt dadurch das Selbstbestimmungsrecht der Person in einer geeigneten Form. Der rituelle Beschneider ist grundsätzlich auch befähigt, die Aufklärung ordnungsgemäß durchzuführen.1067 Da der Beruf des rituellen Beschneiders ein „anderer Heilberuf“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ist, kann der Bundesgesetzgeber nur Zulassungsregelungen normieren. Die Berufsausübung darf dieser Gesetzgeber nicht beschränken.1068 Dagegen verstößt die Reglementierung der Einwilligungsvoraussetzungen allerdings nicht. Der Gesetzgeber hat das Verhältnis der Eltern zu ihrem Kind näher ausgestaltet, indem er die Voraussetzungen an eine elterliche Einwilligung definiert hat. Diese Voraussetzung ist von dem Kompetenztitel des Bundes in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst.1069 Dass sie von der Kompetenzzuweisung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ausgenommen ist, ist daher ohne Belang.
1064 1065 1066 1067 1068 1069
Siehe oben E. VII. 1. b) bb) (2). BVerfGE 17, 269 (276); 30, 292 (313); 31, 8 (29); 68, 155 (170 f.). Siehe dazu ausführlich oben E. VI. 5. b). Siehe zu dem Aufklärungserfordernis durch einen Arzt oben unter E. VI. 4. c). Siehe E. II. 2. b). Dazu bereits E. II. 1.
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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c) Zusammenfassende Beurteilung des § 1631d BGB vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit des rituellen Beschneiders aus Art. 12 Abs. 1 GG Die Anforderungen an die Fähigkeiten der rituellen Beschneider (§ 1631d Abs. 2 BGB), die Notwendigkeit der Einhaltung der Regeln ärztlicher Kunst (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB) sowie die Fristenregelung in § 1631d Abs. 2 BGB sind vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit der rituellen Beschneider verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Eingriffe sind aufgrund des Schutzes kindlicher Rechte im Rahmen verhältnismäßiger Auflösung der Konfliktlage rechtfertigbar. Ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit, aufgrund fehlender persönlicher Voraussetzungen des rituellen Beschneiders, nicht eröffnet, orientiert sich die Rechtfertigungsfähigkeit der Beeinträchtigungen an der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG.1070 Eine im Ergebnis andere Beurteilung ergibt sich daraus nicht. Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit, wie sie durch § 1631d BGB für rituelle Beschneider normiert sind, können durch die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden. Als Schranke in Betracht kommt insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung, die alle Rechtnormen erfasst, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen.1071 § 1631d BGB als Rechtnorm gestaltet die Freiheit der rituellen Beschneider vor dem Hintergrund kindlicher Rechte verfassungsgemäß aus und erfüllt daher diese Anforderungen. Die Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit lassen sich mit den Rechten der betroffenen Kinder ebenso rechtfertigen. 2. Bestehender Anpassungsbedarf und Anpassungsoptionen Die derzeit normierten Anforderungen an die rituellen Beschneider können die staatliche Schutzverpflichtung nicht erfüllen. Jedenfalls die fehlenden Nachweisverpflichtungen und Kontrollrechte sorgen dafür, dass die Rechte des Kindes durch § 1631d Abs. 2 BGB nicht angemessen abgesichert sind.1072 Der Gesetzgeber hat § 1631d BGB daher nachzubessern. Welche weiteren Anforderungen er in diesem Bereich gesetzlich normieren kann, orientiert sich entscheidend an den Rechten der rituellen Beschneider. Das Bouquet der Beschränkungsmöglichkeiten ist bunt und reicht von einem generellen Arztvorbehalt über eine gemäßigte Form des Arztvorbehalts bis hin zu einer Genehmigungserteilung durch die deutschen Verwaltungsbehörden für die Tätigkeit der rituellen Beschneider. Die Idee, rituelle Zirkumzisionen einem Arzt vorzubehalten, ist nicht neu. Bereits im 19. Jahrhundert hat Preußen aufgrund der Risiken des Eingriffs einen 1070
Siehe Fn. 1005. St.Rspr. seit BVerfGE 6, 32 (42), u. a. auch BVerfGE 63, 88 (109); 90, 145 (172); 128, 193 (206). 1072 Dazu ausführlich unter E. VI. 5. b). 1071
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Arztvorbehalt eingeführt, in der Ausgestaltung, dass ein Arzt bei dem Eingriff jedenfalls zugegen sein musste.1073 Dem vergleichbar ist die Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB bezogen auf den Zeitraum nach Vollendung des sechsten Lebensmonats des Kindes. Auch darüber hinaus besteht die Option, die rituelle Zirkumzision unter einen generellen Arztvorbehalt zu stellen. Dieser kann sich ausschließlich auf die Durchführung der Schmerzbehandlung (dazu unter [a]) oder auf den gesamten Eingriff (dazu unter [b]) beziehen. Alternativ dazu sind die Möglichkeiten des Zusammenwirkens zwischen Ärzten und rituellen Beschneidern auszuloten (dazu unter [c]) sowie die Sinnhaftigkeit einer behördlichen Erlaubnispflicht für die rituellen Beschneider und deren praktische Ausgestaltungsmöglichkeiten (dazu unter [d]) vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts zu untersuchen. a) Genereller Arztvorbehalt für die Schmerzbehandlung Aus den Rechten des Kindes ergibt sich ein genereller Arztvorbehalt für die Durchführung der Schmerzbehandlung. Der rituelle Beschneider kann die Mindestanforderungen, die an den Eingriff im Hinblick auf die Schmerzbehandlung zu stellen sind, nicht hinreichend sicher einhalten.1074 Die Schmerzbehandlung gehört zwar nicht zum Kernbestandteil der beruflichen Tätigkeit eines rituellen Beschneiders, sondern stellt vielmehr eine notwendige Vorbereitungshandlung dar, beeinträchtigt Letzteren allerdings dennoch in seiner Berufsfreiheit.1075 Der rituelle Beschneider darf den Eingriff nicht vollständig eigenverantwortlich vornehmen, wenn er nicht gleichzeitig approbierter Mediziner ist. Durch diese Beschränkung verändert sich der Schwerpunkt der Tätigkeit nicht. Sie gestaltet lediglich die Berufsausübung ritueller Beschneider näher aus. Gleichzeitig handelt es sich um eine Beschränkung von erheblicher Intensität, da der rituelle Beschneider den Eingriff jedenfalls nicht in Abwesenheit eines approbierten Mediziners vornehmen kann. Die Rechtfertigungsanforderungen bestimmen sich daher wie bei subjektiven Berufszulassungsregelungen.1076 Zum Schutz kindlicher Rechte, die eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung zwingend erforderlich machen, ist der Ausschluss des rituellen Beschneiders von der Schmerzbehandlung allerdings zwingend notwendig. Schmerzbehandlungen, die dem rituellen Beschneider ohne Approbation vorbehalten werden können, sind zur Wahrung kindlicher Rechte nicht ausreichend. Dem rituellen Beschneider die Durchführung einer Vollnarkose respektive einer Lokalanästhesie zuzugestehen, würde ihn 1073 Dies wurde von der Königlich Preußischen Regierung zu Breslau, Oppeln und Liegnitz 1819 veranlasst. Zuvor war es bei jüdischen Beschneidungen zu Zwischenfällen gekommen. Vgl. zum Wortlaut der Regelung Augustin, S. 9. 1074 Siehe dazu ausführlich oben E. VI. 5. e). 1075 Zur damit zusammenhängenden Fristenregelung in § 1631d Abs. 2 BGB und deren Eingriffsqualität auch unter E. VII. 1. b) aa). 1076 Siehe dazu oben die Beurteilung der Fristenregelung E. VII. 1. b) bb) (1).
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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nicht in seinen Rechten beeinträchtigen. Dies verstößt jedoch gegen geltende Regelungen in BtMG und AMG und kann dem Schutz kindlicher Rechte ebenfalls nicht genügen. Denn dadurch erhöht sich die tatsächliche Fähigkeit des rituellen Beschneiders zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Schmerzbehandlung nicht. Der Ausschluss ritueller Beschneider von der Schmerzbehandlung ist in der Folge geeignet und auch erforderlich. Eine daraus resultierende Belastung über Maß gilt es zu verhindern.1077 Die Mitwirkungspflicht des Arztes kann die Durchführung ritueller Zirkumzisionen praktisch unmöglich machen.1078 Es besteht die Gefahr, dass approbierte Mediziner ihre Mitwirkung an rituellen Beschneidungen verweigern.1079 Eine weiter reichende Zuständigkeit ritueller Beschneider könnte allerdings nur unter einer nicht hinzunehmenden Vernachlässigung kindlicher Rechte erreicht werden.1080 Darüber hinaus lassen sich die dargestellten Schwierigkeiten auch beseitigen, indem sich z. B. Ärzte, welche zur Mitwirkung bereit sind, bei den Glaubensgemeinschaften listen lassen. Für Zirkumzisionen innerhalb muslimischer Glaubensgemeinschaften, wo diese hauptsächlich von Ärzten vorgenommen werden, wurde diese Schwierigkeit mithin auch nicht vorgebracht. Die Bedeutung kindlicher Rechte in diesem Zusammenhang relativiert die Schwere des Eingriffs und belastet den rituellen Beschneider nicht über Maß, insbesondere da ihm dadurch nicht der Kernbestandteil seiner Tätigkeit entzogen wird. b) Genereller Arztvorbehalt für die Durchführung des Eingriffs Nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes besteht ein genereller Arztvorbehalt für die Durchführung einer Zirkumzision (§ 1631d Abs. 2 BGB), der den zulässigen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum nicht überschreitet.1081 Ein genereller Arztvorbehalt würde das Tätigkeitsfeld des rituellen Beschneiders weiter einschränken. Der Eingriff durch ihn wäre ausschließlich an Einwilligungsfähigen möglich. Will er auch Einwilligungsunfähige beschneiden, bedarf er einer ärztlichen Ausbildung. Die Begrenzung des Tätigkeitsfeldes des Beschneiders beeinträchtigt diesen in besonderer Weise. Religiös begründete Zirkumzisionen werden fast ausschließlich an Einwilligungsunfähigen vorgenommen. Da für den rituellen Beschneider kein relevantes Tätigkeitsfeld mehr verbleibt, handelt es sich um eine, in ihrer Schwere einer Berufszulassungsregelung vergleichbare, Beschränkung,1082 welche den Rechtfertigungsanforderungen an eine solche 1077
Dazu BVerfGE 75, 284 (298); 102, 197 (220); 112, 255 (267); 121, 317 (355). Ähnlich auch Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 71; Kramer, Stellungnahme, S. 4. 1079 So Ehrmann, Contra, S. 331. 1080 E. VI. 4. e) sowie E. VI. 5. e). 1081 Siehe dazu E. VII. 1. b) bb) (1). 1082 Dazu bereits oben E. VII. 1. b) bb) (1). 1078
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
auch gerecht werden muss. Die Erhöhung des Schutzes kindlicher Rechte kann ein dafür ausreichendes legitimes Ziel sein. Allerdings ist ein genereller Arztvorbehalt – auch vor diesem Hintergrund – nicht zwingend erforderlich.1083 § 1631d BGB statuiert bereits Voraussetzungen, um dem Schutz kindlicher Rechte zur Geltung zu verhelfen. Ist der rituelle Beschneider für den Eingriff wie ein Arzt befähigt, ist die vorgenommene Differenzierung nicht aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten der Akteure angezeigt. Die Art der Komplikationen unterscheidet sich nicht aufgrund der Person des Durchführenden.1084 Die grundsätzliche Häufigkeit auftretender Komplikationen führt nicht zu einer Unzulässigkeit des Eingriffs.1085 Die Tatsache, dass die Schmerzbehandlung immer durch einen Arzt vorgenommen werden muss, zwingt u. U. dazu, dass der gesamte Eingriff nur durch einen approbierten Mediziner vorgenommen werden kann. Das ärztliche Standesrecht verbietet die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Nicht-Ärzten (vgl. 29a Abs. 1 MBO-Ä).1086 Die Vorschrift sowie der dahinter stehende Zweck untersagen eine Zusammenarbeit von Ärzten und z. B. Heilpraktikern bei der Behandlung und Untersuchung von Patienten.1087 Rituelle Beschneider sind keine Ärzte und daher dem Wortlaut nach von dem Zusammenwirkungsverbot erfasst. Die Vorschrift soll insbesondere verhindern, dass der Arzt sich durch die Zusammenarbeit mit einem Dritten seiner Verantwortung entledigt.1088 Nimmt ein Nicht-Arzt Einfluss auf die ärztliche Behandlung, können damit erhebliche Gesundheitsgefahren für den Patienten verbunden sein, die aus der fehlenden Ausbildung der Nicht-Ärzte und dem durch den Patienten fälschlicherweise ent-
1083 A. A. BT-Drucks. 17/11430. Zust. Bruch, S. 3; Ehrmann, Stellungnahme; Merkel, Stellungnahme, S. 2; Heilmann, vgl. D. I. 5., dort mit Fn. 35; Zähle, S. 452. Ein Arztvorbehalt besteht in Österreich: Die Zirkumzision an nicht einwilligungsfähigen Jungen ist dort als operativer Eingriff qualifiziert und damit der Vornahme durch einen Arzt vorbehalten, vgl. ErläutRV des BG über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG), 1807 BlgNR 24. GP 11, abrufbar unter: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_01807/fname_255440.pdf (30.5. 2016). Wallner, S. 281: So die Position des österreichischen Gesundheitsministeriums. Das österreichische Justizministerium ging bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2013 von einer „sozial akzeptierten“ Praxis in Bezug auf die Beschneidung durch einen rituellen Beschneider aus (S. 281). Dazu auch Warenski. Zur Beurteilung des deutschen Urteils nach österreichischem und internationalem Recht auch Bernat, S. 196 ff.; Strasser, S. 220 ff. 1084 Ben Chaim/Livne/Binyamini u. a., S. 370. Aussagen über eine Differenz in der Häufigkeit der Komplikationen sind hingegen nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 1085 Vgl. dazu zusammenfassend E. VI. 6. 1086 Die MBO-Ä der BÄK hat nur empfehlenden Charakter. Verbindlichkeit beanspruchen allerdings die darauf aufbauenden Berufsordnungen der Landesärztekammern, die vergleichbare Regelungen vorsehen. Dazu auch Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, MBO-Ä Vorb., Rn. 1. Zur Verfassungsgemäßheit des Zusammenwirkungsverbots bereits BayVerfGH, VerwRspr 1966, 908 ff. 1087 Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 29a MBO, Rn. 2. 1088 BayVerfGH, VerwRspr 1966, 908 (914).
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gegengebrachten Vertrauen aufgrund der Anwesenheit des Arztes resultiert.1089 Zudem soll dem Patienten in jeder Behandlungssituation erkennbar sein, wer die Verantwortung für die vorgenommene Behandlung trägt.1090 Diesem Schutzzweck kann ein Zusammenwirken von Arzt und rituellem Beschneider allerdings gerecht werden. Der rituelle Beschneider hat die notwendigen Fähigkeiten, um den Eingriff ordnungsgemäß vornehmen zu können.1091 Dass u. U. eine Ausnahme von dem generellen Verbot der Zusammenarbeit zu machen ist, erkennt § 29a MBO-Ä auch in Abs. 2 der Vorschrift an, der die Zusammenarbeit ermöglicht, wenn die Verantwortungsbereiche der Akteure klar voneinander getrennt bleiben. Das kann im vorliegenden Fall gewährleistet sein. Die Gefahr, dass den Personensorgeberechtigten die Aufgabenteilung nicht klar ist, besteht hier nicht in vergleichbarer Weise. Sie wollen, dass der rituelle Teil des Eingriffs durch einen rituellen Beschneider vorgenommen wird und dem Arzt nur den Verantwortungsbereich der Schmerzbehandlung überlassen. Dies ist darüber hinaus aus einem weiteren Grund geboten. In manchen Religionen kann die Beschneidung religiös wirksam nur von einem rituellen Beschneider vorgenommen werden.1092 Die Rechte der diesen Religionsgruppen angehörenden Personen wären zu sehr beeinträchtigt, würde ein „uneingeschränkter Arztvorbehalt“ gefordert.1093 Da dies aufgrund der Rechte des Kindes auch nicht erforderlich ist, wahrt ein uneingeschränkter Arztvorbehalt auch das Recht der Eltern sowie das Selbstbestimmungsrecht der religiösen Gemeinschaften nicht in ausreichendem Maße. Den Eltern muss die Entscheidung verbleiben, ob das religiöse Ritual wirksam nur durch einen rituellen Beschneider vorgenommen werden kann. Dies ist Bestandteil ihrer Entscheidungsverantwortung, wie sie aus dem Elternrecht im Zusammenspiel mit der Religionsfreiheit erwächst.1094 Den Religionsgemeinschaften hat die Bestimmung darüber zu verbleiben, wer den Eingriff vornehmen soll. Eine Beschränkung dieses Rechts ist nicht aufgrund der Bedeutung kindlicher Rechte geboten und daher eine unzulässige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts.1095 c) Zusammenwirken von Arzt und rituellem Beschneider Ein weniger einschneidender Eingriff in die Rechte der rituellen Beschneider ist ein Zusammenwirken zwischen dem Arzt und dem rituellen Beschneider.
1089 1090 1091 1092 1093 1094 1095
Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 29a MBO, Rn. 1. BayVerfGH, VerwRspr 1966, 908 (916). Dazu bereits E. VI. 5. b). Dazu auch oben C. I. 1. Bedenken haben auch Alatovic/Helmken, S. 133. Dazu E. IV. 2. Dazu E. III. 2. c).
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aa) Ausgestaltung der Zusammenarbeit Nimmt der Arzt die Anästhesie vor, trägt er die Verantwortung für diesen Behandlungsteil. Aus diesem Grund muss der Arzt während des Eingriffs anwesend sein, um die Wirksamkeit der Betäubung zu überwachen1096 und bei Komplikationen einzugreifen. Dem rituellen Beschneider verbleiben der religiöse Teil des Rituals sowie die operative Entfernung der Vorhaut. Eine Aufklärung hat grundsätzlich durch den Behandler selbst oder eine Person mit vergleichbarer Ausbildung zu erfolgen.1097 Der Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt sich nach der „übernommenen Behandlungsaufgabe“.1098 Nimmt der Arzt die Betäubung vor, ist er hinsichtlich dieses Eingriffs auch aufklärungspflichtig1099 respektive hat die Aufklärung durch einen approbierten Mediziner zu erfolgen.1100 Der Arzt kann darüber hinaus über den gesamten Vorgang aufklären. Der rituelle Beschneider nur über den operativen Eingriff, nicht über die Risiken und Gefahren der Narkotisierung. bb) Handlungspflichten des anwesenden Arztes bei Notfällen bzw. Fehlverhalten des rituellen Beschneiders Aus der Zusammenarbeit mit einem rituellen Beschneider können sich für den beteiligten Mediziner besondere Sorgfaltspflichten ergeben. Die Sorgfaltspflicht orientiert sich grundsätzlich an dem jeweiligen Verantwortungsbereich der Beteiligten.1101 Das hat aufgrund der Ausbildung und Fähigkeiten des rituellen Beschneiders auch beim Zusammenwirken von Arzt und rituellem Beschneider Bedeutung. Der beteiligte Arzt trägt primär die Verantwortung für die Durchführung der Schmerzbehandlung und darf auf die ordnungsgemäße Durchführung der Vorhautentfernung durch den traditionellen Beschneider so lange vertrauen, wie sich daran keine ernsthaften Zweifel ergeben.1102 Eine andere Beurteilung würde die Aufteilung der Handlungsbereiche ad absurdum führen. Das dem rituellen Beschneider entgegengebrachte Vertrauen darf nicht durch eine überhöhte Sorgfaltsverpflichtung beteiligter Ärzte umgangen werden. Dies würde zudem die Gefahr erhöhen, dass Ärzte die Mitwirkung an dem Eingriff verweigern. Bestehen allerdings ernsthafte Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Zir1096 Paix/Peterson, S. 513; Hartmann, Stellungnahme, S. 4; ähnlich Grams, S. 335, der gleichzeitig Kritik an der Mohel-Klausel übt. 1097 So, im Zusammenhang mit einem Behandlungsvertrag, auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630e BGB, Rn. 4. 1098 BGHZ 169, 364 (366). 1099 Scheinfeld, Erläuterungen, S. 278. 1100 Siehe dazu bereits oben E. VI. 4. c). 1101 Fischer, § 222 StGB, Rn. 10, BGH, NJW 1980, 649 (650). 1102 So für das Zusammenwirken von Ärzten BGHSt 43, 306 (310); BGH, NJW 1980, 649 (650).
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kumzision durch den rituellen Beschneider, verpflichtet die berufliche Sorgfaltsverpflichtung den Arzt zum Eingreifen. Mischt sich der anwesende Arzt in die Behandlung durch den traditionellen Beschneider ein, kann sich daraus auch eine Garantenstellung ergeben,1103 welche die Strafbarkeit des Arztes aus einem unechten Unterlassungsdelikt begründen kann und daher vom ihm die Abwendung eines drohenden Schadens fordert. Kommt es während des Eingriffs zu einem Unglücksfall, ist der beteiligte Mediziner u. U. auch nach § 323c StGB zum Handeln verpflichtet.1104 Ein Unglücksfall i. d. S. ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für Menschen oder Sachen hervorzurufen droht.1105 Eine plötzliche und bedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann im Einzelfall als Unglücksfall gesehen werden.1106 Grundsätzlich ergeben sich für den Arzt aus § 323c StGB keine zusätzlichen Berufspflichten. Tritt der Unglücksfall im Rahmen einer Behandlung ein, hat er allerdings wie ein Arzt Fürsorge zu leisten.1107 d) Gesetzlicher Erlaubnisvorbehalt für die Tätigkeit als ritueller Beschneider Der rituelle Beschneider und der approbierte Mediziner können damit bei der Zirkumzision zusammenarbeiten. Das kann allerdings nur Bestand haben, wenn der Gesetzgeber seiner Schutzverpflichtung für die Rechte des Kindes nachkommt und § 1631d BGB nachbessert.1108 Eine Tätigkeit unter den Vorbehalt einer Erlaubnis zu stellen, die ihrerseits ebenfalls an bestimmte Anforderungen geknüpft ist, ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Person. Es handelt sich um eine subjektive Berufszulassungsregel.1109 Für die Rechtfertigung ist entscheidend, ob die Normierung dem „Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts“ 1110 als legitimem Zweck dient und auch den übrigen Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung trägt.1111 Der Schutz 1103 Für das Verhältnis zwischen approbierten Medizinern dazu BGH, NJW 1979, 1258 (1258). 1104 § 323c StGB ist ggü. unechten Unterlassungsdelikten subsidiär, vgl. im Zusammenhang mit der Garantenstellung eines Arztes Schuhr, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 323c StGB, Rn. 5. 1105 BGHSt 3, 65 (66); 6, 147 (152). 1106 Lackner, in: Lackner/Kühl, § 323c StGB, Rn. 2. 1107 Deutsch/Spickhoff, Rn. 718. 1108 Dazu bereits E. VI. 5. b). 1109 Siehe dazu auch BVerfGE 19, 330 (337); 117, 126 (138); 119, 59 (80). Das gilt u. a. auch für das Erlaubniserfordernis im HeilPraktG, siehe dazu Haage, HeilPraktG, Einl., Rn. 5; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 HeilPraktG, Rn. 1. Für den Fall, dass der Betroffene sich auf Art. 2 Abs. 1 GG beruft, weil der Schutzbereich des Art. 12 GG in seinem Fall nicht eröffnet ist, bestimmt sich die Rechtfertigung anhand dieses Artikels. Siehe dazu bereits oben Fn. 999. 1110 BVerfGE 93, 213 (235); 119, 59 (83). 1111 BVerfGE 7, 377 (407); BVerfG, NJW 2003, 3618 (3619).
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der betroffenen Kinder ist ein tauglicher und legitimer Zweck zur Begrenzung der Rechte ritueller Beschneider.1112 Das gewählte Mittel des Erlaubnisvorbehalts müsste für die Zielerreichung darüber hinaus geeignet und erforderlich sowie verhältnismäßig i. e. S. sein.1113 aa) Geeignetheit eines Erlaubniserfordernisses Die Einführung einer Erlaubnisregelung, die die Fähigkeiten der rituellen Beschneider überprüft, kann verhindern, dass schlecht oder nicht ausgebildete rituelle Beschneider den Eingriff vornehmen. Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung ist die Möglichkeit der Zweckförderung ausreichend. Gesicherte Erkenntnisse sind nicht zu fordern.1114 Schweden verlangt von NichtÄrzten eine Genehmigung für die Durchführung der Zirkumzision (vgl. § 5 Abs. 1 LOP). Der Genehmigungsvorbehalt stiftet dort u. a. bei der Einhaltung des hygienischen Standards einen Nutzen.1115 Und auch der deutsche Gesetzgeber nutzt Genehmigungserfordernisse, um Güter und Werte zu schützen. Im Zusammenhang mit dem religiösen Schächten wurde zum Schutz der Tiere, der in Art. 20a GG ausdrücklich Niederschlag gefunden hat, die Notwendigkeit einer Ausnahmegenehmigung eingeführt. Schächten beschreibt dabei das betäubungslose Schlachten warmblütiger Tiere (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 1. Hs. TierSchG). Das Tier wird durch einen Schnitt unterhalb der Kehle, der zum „Ausbluten“ des Tieres führt, getötet.1116 Dieses Vorgehen ist aus Tierschutzgründen generell verboten (vgl. § 4a Abs. 1 TierSchG) und nur unter Einhaltung besonderer Voraussetzungen legitimierbar (§ 4a Abs. 2 TierSchG). Innerhalb der jüdischen und den muslimischen Glaubensgemeinschaften ist das Schächten eines Tieres notwendige Voraussetzung, um dessen Fleisch verzehren zu dürfen. Dem dadurch entstehenden Bedürfnis, geschächtetes Fleisch erwerben zu können, hat der Gesetzgeber durch die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung Rechnung getragen (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 Hs. 1 TierSchG).1117 Die Erforderlichkeit einer Ausnahmegenehmigung greift in die Rechte des rituellen Schlachters aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. 1112
Siehe dazu bereits ausführlich oben unter E. VII. 1. b) bb). BVerfGE 85, 248 (259); 94, 372 (390). Dies wird für eine behördliche Erlaubnisregelung im konkreten Fall angenommen von Ringel/Meyer, S. 96. 1114 Vgl. zum Prognosespielraum bereits oben unter E. VII. 1. b) bb). 1115 Carlsson, S. 2. 1116 Kuhl/Unruh, S. 95, mit der Darstellung der Rechtslage bis zum Jahr 1991, als der Tierschutz noch nicht in die Verfassung aufgenommen war. 1117 Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom generellen Schächtverbot nach dem TierSchG war bereits Bestandteil zahlreicher – verfassungsrechtlich motivierter – Entscheidungen, vgl. nur OVG Hamburg, NVwZ 1994, 592; OLG Hamm, NVwZ 1994, 623; VG Koblenz, NVwZ 1994, 615. Eine Zusammenfassung der Entscheidungen bis zum Jahr 1994 findet sich bei Brandhuber, S. 561 ff. Insbesondere auch BVerwGE 99, 1 ff. Dem zust. Hillgruber, S. 543; modifiziert durch BVerwGE 112, 227 und BVerwGE 127, 183 ff.; BVerfGE 104, 337 ff. 1113
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein.1118 Für den türkischen Metzger wird der Schutz seines Berufes aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die Religionsfreiheit verstärkt.1119 Er kann seinen Beruf nicht ohne Einschränkung ausüben. Dieser Eingriff in die grundgesetzlich gewährleisteten Rechte bedarf einer Rechtfertigung, die den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit ebenfalls genügen muss. Die Notwendigkeit einer Ausnahmegenehmigung, die eine staatliche Kontrolle sowie „die Prüfung der Sachkunde und der persönlichen Eignung der antragstellenden Person“ und die Möglichkeit, Nebenbestimmungen zur Ausnahmegenehmigung zu erlassen, beinhaltet, eignet sich, den Schutz des betroffenen Tieres zu gewährleisten.1120 Diese Eignungsvermutung lässt sich dem Grunde nach auch auf den vorliegenden Fall übertragen. Die genannten Anforderungen sind generell geeignet, den Schutz kindlicher Rechte zu steigern. Die Besonderheiten des vorliegenden Falls könnten dennoch zu einem Ausschluss der Geeignetheit einer Erlaubnisregelung führen. In Deutschland kommen derzeit nur vier Kandidatinnen und Kandidaten für eine Ausbildung zum jüdischen Beschneider in Betracht.1121 In Schweden haben bis zum Jahr 2007 insgesamt fünf Personen die für die Durchführung von Beschneidungen obligatorische Genehmigung erhalten.1122 Allerdings reduziert die quantitativ geringe Anzahl nicht-ärztlicher Beschneider das Gefahrenpotenzial für das betroffene Kind nicht, wenn diese unzureichend ausgebildet sind. Ein Genehmigungserfordernis unterfällt nicht aus diesem Grund dem Prädikat der Ungeeignetheit. Dieses könnte einem Genehmigungsvorbehalt aus anderen Gründen dennoch anhaften. Trotz – oder gerade wegen – des Genehmigungserfordernisses wurden in Schweden 2/3 der 3.000 muslimischen Jungen, die einer Zirkumzision unterzogen wurden, entweder außerhalb Schwedens oder ohne die Voraussetzungen des 1118 BVerfGE 104, 337 (347). Zu der Beschränkung des personellen Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG, vgl. E. VII. 1. a). Der EGMR betrachtet das rituelle Schächten als Teil der Religionsausübung, vgl. dazu EGMR, Urt. v. 20.6.2000, Cha’are Shalom Ve Tsedek v. Frankreich, 27417/95, Ziffer 74. 1119 Der Eingriff ist gerechtfertigt (BVerfGE 104, 337 [346 f.]). Der Schutz der Tiere ist legitimer Zweck zur Begrenzung der Grundrechte des Metzgers (BVerfGE 104, 337 [346]). Die Erforderlichkeit einer Ausnahmegenehmigung ist zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und auch angemessen (BVerfGE 104, 337 [348 f.]; BVerwGE 112, 227 [230]). Sie bringt im konkreten Fall die widerstreitenden Rechte der Religionsfreiheit von Juden und Muslime sowie die Staatszielbestimmung des Tierschutzes in einen angemessenen Ausgleich (BVerwGE 127, 183 [186 f.]). Dieses Ergebnis hatte bereits vor Einführung des Art. 20a GG Gültigkeit. Die Einfügung der Staatszielbestimmung des Tierschutzes im Jahr 2002 ändert an der Möglichkeit zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nichts, vgl. BVerwGE 127, 183 (186 f.). 1120 BVerfGE 104, 337 (348); BT-Drucks. 10/5259, S. 38. 1121 Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 69. Für muslimische Beschneider liegen keine offiziellen Zahlen vor. Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 432, hält eine Überprüfung der Kenntnisse aus diesem Grund für entbehrlich. 1122 Carlsson, S. 2.
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Gesetzes zu wahren – insbesondere die Anforderungen an die Lizenzierung des Beschneiders – innerhalb Schwedens beschnitten.1123 Dass die betroffenen Jungen u. U. außerhalb Deutschlands und unter unzureichenden Bedingungen beschnitten werden, ist eine Gefahr, die durch ein Genehmigungserfordernis begründet werden kann. Das gesetzlich durch § 1631d BGB festgeschriebene Schutzniveau würde dadurch reduziert. Die mögliche Umgehung gesetzlicher Regelungen kann aber keinen Einfluss auf deren Existenzberechtigung haben. Wäre die bestehende Umgehungsgefahr ein tragendes Argument gegen eine gesetzliche Normierung, wäre eine solche nie möglich.1124 Bereits in zahlreichen Fällen hat der Gesetzgeber sich jedoch anders entschieden, u. a. mit den Straftatbeständen in §§ 29 ff. BtMG1125 sowie dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB)1126. Auch in diesen Fällen besteht die Gefahr der Vornahme dieser Handlungen außerhalb der geltenden Regelungen. Darüber hinaus kann nicht unterstellt werden, dass sich die Verpflichteten gegen das geltende Recht stellen werden.1127 Der fehlenden Akzeptanz des Gesetzes und der Gefahr der Durchführung von Beschneidungen außerhalb des Gesetzes ist vielmehr mit geeigneten Maßnahmen entgegenzuwirken. Die Genehmigungsverpflichtung könnte mit Aufklärungskampagnen innerhalb der betroffenen Gemeinschaften verbunden werden. Das kann die Akzeptanz und das Wissen um die neue Vorschrift steigern. Die Geeignetheit der Vorschrift ist unter der Prämisse der Befolgung derselben durch die Betroffenen zu untersuchen. Eine Erlaubnisregelung hat darüber hinaus auch im repressiven Bereich einen Nutzen. Die zuständige Behörde kann die ordnungsgemäße Einhaltung der gestellten Voraussetzungen überwachen und bei Verfehlungen die Genehmigung entziehen.1128 Die Geeignetheit einer Erlaubnisregelung zum Schutz kindlicher Rechte als legitimer Zweck kann in der Folge bejaht werden. bb) Bestehende Erlaubnispflichten nach geltendem Recht Eine Erlaubnisregelung für die rituellen Beschneider ist entbehrlich, wenn das geltende Recht bereits eine auf den vorliegenden Fall anwendbare Regelung ge1123 So das Ergebnis einer Überprüfung des Gesetzes in den Jahren 2003 und 2005, vgl. dazu Schiratzki, S. 38 und auch Carlsson, S. 2. 1124 So – im Hinblick auf ein strafrechtliches Verbotsgesetz – auch Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 496; Jerouschek, Beschneidung und das deutsche Recht, S. 319; Krebs/Becker, S. 103; Putzke/Dietz/Stehr, S. 4; Smith, S. 465; Stumpf, S. 150. 1125 Diese Regelungen sind – auch soweit sie sich auf ein Konsumverbot beziehen – nicht grundrechtswidrig, vgl. dazu Weber, Vorb. zu den §§ 29 ff. BtMG, Rn. 6. 1126 Dieses Verbot wird abgemildert, zum Schutz der Schwangeren vor unsachgemäßer Durchführung in der Illegalität, durch die Tatbestandsausschlussmöglichkeit in § 218a StGB. 1127 So für das komplette Verbot der rituellen Beschneidung auch Putzke/Dietz/Stehr, S. 4. 1128 Hahn, Erik, S. 221; dazu auch unter E. VII. 2. d) cc) (3).
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troffen hat. Das geltende Recht hält eine Vielzahl an Genehmigungs- und Erlaubnispflichten vor. In Betracht kommt eine Erlaubnispflicht nach den Regelungen des HeilPraktG (unter [1]) respektive nach der GewO (unter [2]) sowie eine eigenständige Lizensierung durch die Religionsgemeinschaften (unter [3]). (1) Erlaubnispflicht nach dem HeilPraktG Zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit des Volkes behält § 1 Abs. 1 HeilPraktG die Ausübung von Heilkunde Ärzten oder mit einer entsprechenden Erlaubnis ausgestatteten Personen vor.1129 Die Durchführung einer rituellen Zirkumzision ist Ausübung von Heilkunde i. S. d. des HeilPraktG.1130 Soweit der Beschneider nicht gleichzeitig approbierter Mediziner ist, bedarf er daher nach § 1 Abs. 1 HeilPraktG der Erlaubnis.1131 Diese muss dem nicht-ärztlichen Beschneider nicht auf der Grundlage des HeilPraktG erteilt worden sein. Die Zulassung zur Ausübung von Heilkunde kann auch in einer sonstigen gesetzlichen Regelung vorgesehen sein.1132 Nach § 1631d Abs. 2 BGB dürfen unter bestimmten Voraussetzungen auch rituelle Beschneider die Zirkumzision durchführen. Die Norm erlaubt damit die Ausübung der Heilkunde durch rituelle Beschneider in dem bestimmten Bereich medizinisch nicht indizierter Zirkumzisionen. Es handelt sich folglich auch um eine Erlaubnisregelung nach § 1 Abs. 1 HeilPraktG.1133 Aufgrund der Erlaubnis in § 1631d Abs. 2 BGB ist die Vornahme einer medizinisch nicht indizierten Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider nicht eine strafbewehrte Ausübung der Heilkunde ohne Erlaubnis i. S. d. § 5 HeilPraktG.1134 Eine weitere Überprüfung der Fähigkeiten der rituellen Beschneider zum Schutz kindlicher Rechte wird dadurch nicht erreicht. Die Erlaubnis nach dem HeilPraktG macht daher einen Befähigungsnachweis nicht entbehrlich. (2) Anzeige- und Erlaubnispflicht nach der GewO Die GewO statuiert eine Anzeigeverpflichtung (§ 14 Abs. 1 S. 1 GewO) sowie u. U. eine Erlaubnispflicht (§§ 29 ff. GewO), die auch den rituellen Beschneider 1129 Haage, HeilPraktG, Einl., Rn. 2; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 HeilPraktG, Rn. 1. 1130 Vgl. dazu oben E. II. 2. a). 1131 So auch Hahn, Erik, S. 216 ff. 1132 Dazu und mit Kritik an dieser Möglichkeit Haage, HeilPraktG, § 1 HeilPraktG, Rn. 3 f.; Hahn, Erik, S. 219. 1133 So auch Hahn, Erik, S. 220; BT-Drucks. 17/11295, S. 18. Eine zusätzliche Erlaubnis ist nicht erforderlich. 1134 Hahn, Erik, S. 219, versteht den Beruf des rituellen Beschneiders als ärztlichen Beruf. Das „Vorsehen“ durch die Religionsgemeinschaften sei der notwendige Bestallungsakt. § 5 HeilPraktG sei nicht anwendbar.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
treffen können. Vorausgesetzt ist die Ausübung eines Gewerbes. Unter einem Gewerbe wird, nach allgemeiner Auffassung, „jede nicht sozial unwertige (. . .), auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbstständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe (freie wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit höherer Art, sowie persönliche Dienstleistungen höherer Art, die eine höhere Bildung erfordern) und bloße Verwaltung eigenen Vermögens“ 1135 verstanden. Ob der rituelle Beschneider diese Voraussetzungen erfüllt, ist vor dem Hintergrund einer gewerberechtlichen Verpflichtung nur von Bedeutung, wenn die GewO auf diese Tätigkeit generell anwendbar ist. § 6 Abs. 1 S. 1 GewO nimmt „die Ausübung der ärztlichen und anderen Heilberufe“ vom Anwendungsbereich der GewO aus. Obwohl ein ritueller Beschneider nicht zur Heilung oder Linderung eines Leidens tätig wird, unterfällt seine Tätigkeit der Erlaubnispflicht nach dem HeilPraktG.1136 Letzteres lässt die Notwendigkeit einer gewerberechtlichen Erlaubnis entfallen.1137 Die Tätigkeit als ritueller Beschneider ist vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen.1138 Seine Fähigkeiten werden daher nicht auf dieser Grundlage staatlich überprüft. (3) Lizenzierung durch die Religionsgemeinschaften In Betracht kommt die Überprüfung der Fähigkeiten der rituellen Beschneider durch die Religionsgemeinschaften. Dies würde den rituellen Beschneider weniger belasten als ein behördliches Erlaubnisverfahren, insbesondere da er bereits von einer Religionsgemeinschaft für die Durchführung der Beschneidung vorgesehen sein muss (vgl. § 1631d Abs. 2 BGB), was primär der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften dient.1139 Eine rechtliche Verpflichtung, eine bestimmte Ausbildung durchlaufen zu haben bzw. über notwendige Fähigkeiten zu verfügen, verbindet sich damit nicht.1140 Sind die praktischen Anforderungen auch ohne rechtliche Bindungswirkung allerdings bereits fest etablierter Bestandteil der „Bestimmung“ zum rituellen Beschneider durch die Religionsgemeinschaften, kann dies u. U. ausreichen. Ein einheitliches System existiert allerdings nicht. Weltweit gibt es zahlreiche Institutionen, die die Ausbildung zum Mohel anbieten und die Tätigkeit zertifizieren. Darunter das 1135
Marcks, in: von Landmann/Rohmer, § 14 GewO, Rn. 13. Siehe dazu bereits ausführlich oben E. VII. 2. d) bb) (1). 1137 So, im Zusammenhang mit dem Piercen, auch VGH Kassel, NJW 2000, 2760 (2761). 1138 Hahn, Erik, S. 220, beschreibt die Tätigkeit des rituellen Beschneiders als freien Beruf und sieht diesen daher ebenfalls nicht als von der GewO umfasst. 1139 Dazu oben E. III. 2. c) bb). 1140 In Israel muss ein Beschneider bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um als „lizensierter Mohel“ tätig sein zu können, u. a. eine Ausbildung absolvieren und medizinische Atteste vorlegen, vgl. BT-Drucks. 17/11815, S. 4. Allerdings ist es auch in Israel möglich, ohne Lizenz zu praktizieren. 1136
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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Israelische Oberrabbinat1141, die Initiation Society in England1142 oder die National Organization of American Mohalim1143. Die Union of Mohalim in Europe ist eine im Sommer 2013 ins Leben gerufene europäische Vertretung der Mohalim. Voraussetzung für die Aufnahme in diese Organisation ist eine Ausbildung und die Zertifizierung als Mohel. Die Organisation will zu einem professionellen Standard in medizinischer und religiöser Hinsicht bei der Durchführung einer Beschneidung beitragen, die praktizierenden Mohalim unterstützen und vermitteln.1144 Verbindliche Regelungen, die eine Lizenz für die Durchführung einer rituellen Beschneidung vorsehen, bestehen allerdings nicht. Auch in Israel kann die Beschneidung ohne Lizensierung durchgeführt werden.1145 Für Deutschland wurden die Einführung einer einheitlichen Ausbildung unter der Mitwirkung von Ärzten sowie die Lizenzierung ritueller Beschneider diskutiert.1146 Für bereits tätige Mohalim sollte es Aufbaukurse gebe. Die zulässigen Ausbildungsinstitutionen sollten festgelegt und nur Seminare dieser Institutionen anerkannt werden.1147 Die Zuständigkeit für die Zertifizierung ritueller Beschneider sollte bei dem allein dafür eingerichteten „Institut für die Zertifizierung von Mohalim“ liegen.1148 Die Einrichtung einer solchen Stelle, die wiederum staatlich überprüft wird, kann die Rechte der Kinder absichern und eine zusätzliche staatliche Erlaubnis entbehrlich machen. Diesen Anforderungen werden die jetzigen Schulungen der jüdischen Gemeinschaft allerdings nicht gerecht. Bisher haben für die rituellen Beschneider in Deutschland ausschließlich Tagesschulungen stattgefunden, deren Inhalt sich primär auf die Übermittlung des Regelungsinhalts des § 1631d BGB bezog. Im Anschluss daran erhielten die teilnehmenden Mohalim ein Zertifikat, welches allerdings keine Voraussetzung für die Durchführung legitimer Zirkumzisionen darstellen soll.1149 Eine verlässliche und eigenständige Überprüfung durch die betroffenen Glaubensgemeinschaften kann darin noch nicht gesehen werden. Für muslimische Beschneider sind entsprechende Ausbzw. Fortbildungen nicht geplant. Es bleibt daher erforderlich, gewisse Anforderungen an die rituellen Beschneider durch staatliche Institutionen zu stellen und 1141 1142
BT-Drucks. 17/11815, S. 4. Zur Initiation Society, vgl. http://www.initiationsociety.org.uk/_index.htm (30.5.
2016). 1143 National Organization of American Mohalim (http://www.beritmila.org/Become Mohel/index.htm#Course [30.5.2016]). 1144 Siehe dazu unter http://www.confeurorabbis.org/en/ume.html (16.2.2015). 1145 Ben Chaim/Livne/Binyamini u. a., S. 368. 1146 Yona Metzger, in: Sydow; dpa, Zentralrat; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 22. 1147 dpa, Zentralrat; Kramer, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 22. 1148 Kramer, Stellungnahme, S. 8. 1149 Josef Schuster, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in: Sobotka.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
zu überwachen. Aber auch nach Etablierung bestimmter Ausbildungsanforderungen birgt die alleinige Bestimmung ritueller Beschneider durch Religionsgemeinschaften ein Risiko. Dieses besteht darin, dass die Religionsgemeinschaften möglicherweise nicht unvoreingenommen bzgl. Risiken, Folgen und Nebenwirkungen der rituellen Zirkumzision informieren respektive das Ausbilderpersonal nach bestimmten Kriterien auswählen, sodass die Anforderungen an deren Objektivität nicht gewahrt werden. Die Lizensierung durch die Religionsgemeinschaften macht eine staatliche Überwachung – jedenfalls eine einmalige Überprüfung der Ausbildungsinstitute – nicht entbehrlich. Auch aus diesem Grund sind in Schweden nicht allein die Religionsgemeinschaften zur Lizensierung befugt.1150 Das lässt sich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in Einklang bringen. Diese sind weiterhin zur Auswahl und der religiösen Ausbildung ihrer Beschneider berechtigt.1151 Eine staatliche Erlaubnispflicht bleibt aber vorerst erforderlich. cc) Konkrete Ausgestaltungsmöglichkeiten einer gesetzlichen Erlaubnisregelung – Angemessenheit Damit die gewählte Erlaubnisregelung auch insgesamt mit den Rechten der rituellen Beschneider vereinbar ist, darf ihre konkrete Ausgestaltung diese nicht über Maß belasten. (1) Formenwahl des Verwaltungshandelns Die Erlaubniserteilung, für die Durchführung ritueller Zirkumzisionen kann unterschiedlich ausgestaltet sein. I. d. R. stellt eine Erlaubnis einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, der ein verbotenes Verhalten legitimiert.1152 In Betracht kommt ein generelles Handlungsverbot, welches nur in absoluten Ausnahmefällen eine Durchbrechung erfahren soll (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt). Daneben besteht auch die Option einer vorgelagerten behördlichen Kontrolle, die, bei Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen, in einen Anspruch auf Erlaubniserteilung mündet (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt).1153 Im Fall der Zulassung ritueller Beschneider ist die Normierung eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, welches lediglich eine vorgeschaltete behördliche Unbedenklichkeitskontrolle darstellt,1154 ein gangbarer Weg. Repressive Erlaubnisvorbehalte, von denen nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf, be1150
Ring/Olsen-Ring, S. 526. Dazu auch oben E. III. 2. c) bb). 1152 Dazu Detterbeck, Rn. 504. 1153 Detterbeck, Rn. 504; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 51. Auf Erteilung einer Approbation besteht ein Anspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen in § 3 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 BÄO, vgl. Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 1. 1154 Metzner, § 18 GastG, Rn. 17. 1151
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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treffen regelmäßig sozialwidriges Verhalten.1155 Die Erlaubniserteilung unterliegt bei dieser Fallgruppe, auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, der behördlichen Ermessensentscheidung. Die Zirkumzision durch rituelle Beschneider hat nicht ein solches Gefährlichkeitspotenzial, dass die Zulassung der Handlung generell zu untersagen ist.1156 Ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt kann dem notwendigen Regelungsinhalt Rechnung tragen. Dieser Lösung kommt – auch in Anlehnung an die Regelungen im HeilPraktG – der Vorrang zu.1157 (2) Inhalt der Erlaubnisregelung Wird ein präventiver Erlaubnisvorbehalt in die gesetzliche Regelung integriert, bedarf dieser einer inhaltlichen Ausgestaltung, die mit den Rechten der rituellen Beschneider ebenfalls in Einklang zu bringen ist und den betroffenen Kindern dabei ein ausreichendes Schutzniveau zukommen lässt. (a) Fachliche Anforderungen Der Gesetzgeber hat das Tätigwerden eines rituellen Beschneiders in § 1631d Abs. 2 BGB bereits an dessen Ausbildung und die „einem Arzt vergleichbare Befähigung“ geknüpft. Solche Kenntnisse sind auch erforderlich, um die Regeln der ärztlichen Kunst (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB) einhalten zu können. Die daraus resultierenden fachlichen Anforderungen an die rituellen Beschneider sind für sich genommen ausreichend, um die betroffenen Kinder zu schützen.1158 Durch die Verpflichtung, eine die Fähigkeiten bestätigende Erlaubnis einzuholen, werden die inhaltlichen Anforderungen an die fachliche Qualifikation des rituellen Beschneiders nicht erhöht. Allerdings verschärfen zusätzliche formale Anforderungen den Eingriff in die Berufsfreiheit. Die formalen Anforderungen dürfen daher keine unangemessenen Belastungen verursachen. Handelt es sich bei dem rituellen Beschneider, der eine Zirkumzision in Deutschland vornimmt, um einen Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates, sind bei Regulierung der Tätigkeit auch die grundfreiheitlichen Gewährleistungen zu beachten. Durch die Statuierung von Zulassungsvoraussetzungen kann die Dienstleistungsfreiheit i. S. d. Art. 56 und Art. 57 AEUV beeinträchtigt sein.1159 Dienstleistungen sind vor1155 Dies betrifft u. a. die Sperrzeitregelung in § 18 GastG, vgl. Metzner, § 18 GastG, Rn. 17 m.w. N. Dazu auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, Rn. 55. 1156 Vgl. dazu auch E. VI. 6. 1157 Eine solche Regelung wurde u. a. auch für das rituelle Schächten von Tieren als verfassungsgemäß betrachtet E. VII. 2. d) aa) mit Fn. 1119. 1158 Vgl. dazu ausführlich E. VI. 5. b). 1159 Bei Eingliederung in die Volkswirtschaft Deutschlands kann im Einzelfall die Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 49 ff. AEUV betroffen sein, vgl. Kluth, in: Calliess/ Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 1. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) ist
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
übergehende, selbstständige, gegen Entgelt erbrachte Tätigkeiten über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinweg.1160 Der rituelle Beschneider wird regelmäßig selbstständig tätig und enthält für seine Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung.1161 Auf die Erzielung von Gewinn kommt es ihm nicht notwendigerweise an. Fehlt dieses Element, kann die Tätigkeit nicht dem Schutz der Dienstleistungsfreiheit unterfallen.1162 Wird im Einzelfall die rituelle Beschneidung gegen Entgelt und grenzüberschreitend vorgenommen, kann sie von der Dienstleistungsfreiheit gedeckt sein. Die Voraussetzungen, die für die Leistung von Diensten zu erfüllen sind, dürfen dann keinen diskriminierenden Charakter haben. Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, wie sie aber auch nicht vorgesehen ist, scheidet aus.1163 Gleichzeitig ist zu verhindern, dass die Regelung Ausländer aufgrund tatsächlicher Umstände ungleich schwerer trifft als Inländer. Dafür ist es nicht entscheidend, ob die Beeinträchtigung In- und Ausländer in gleicher Weise verpflichtet.1164 Ausreichend ist vielmehr, dass die Aufnahme oder Durchführung der Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat unterbunden, behindert oder jedenfalls weniger attraktiv gemacht wird.1165 Der Erlaubnisvorbehalt erschwert die Ausübung der Tätigkeit eines rituellen Beschneiders auf deutschem Hoheitsgebiet.1166 Beschränkungen aufgrund zwingender Gründe des Allgemeinwohls sind bei Vorliegen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gerechtfertigt.1167 Der Schutz der Gesundheit der betroffenen Kinder reicht – wie im Rahmen der grundgesetzlichen Berufsfreiheit – aus, um die Beeinträchtigung zu rechtfertigen. Die Verpflichtung, Qualifikationsnachweise vorzulegen, ist zum Schutz der betroffenen Kinder geeignet. Schließlich müssen die erforderlichen Nachweise nur einmal vorgelegt werden. Dass ein ritueller Beschneider aus dem europäischen Ausland nur vereinzelt in Deutschland tätig wird, lässt das Erlaubniserfordernis daher ebenfalls nicht unverhältnismäßig erscheinen. Die beschränkende Wirkung des Erlaubnisvorbehalts kann durch die gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung der Ausbildungen abgemildert werden.1168 Da es keine einheitliche Ausbil-
nur bei unselbstständiger Tätigkeit einschlägig, vgl. Brechmann, in: Calliess/Ruffert, Art. 45 AEUV, Rn. 14. 1160 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 9 ff. 1161 Siehe dazu bereits oben E. VII. 1. a). 1162 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 11. 1163 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 74. 1164 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 83. 1165 EuGH, Urt. v. 30.11.1996, Rs. C-55/94 – Gebhard, Rn. 37. 1166 In Schweden gibt es ein Genehmigungserfordernis, welches nicht an die schwedische Staatsangehörigkeit oder einen Wohnsitz in Schweden geknüpft ist, weshalb in dem Regierungsentwurf von der Vereinbarkeit mit europarechtlichen Vorschriften ausgegangen wurde, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 525. 1167 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 57 AEUV, Rn. 72. 1168 So allgemein für die Niederlassungsfreiheit Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 49 AEUV, Rn. 2. Vgl. zur gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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dungspraxis gibt,1169 dürfen an die Qualifikationsnachweise keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Ausreichend sein können daher im Einzelfall Bescheinigungen, sowie eigene Versicherungen oder die Referenzen Dritter.1170 Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass traditionelle Beschneider ihre Fähigkeiten zur Durchführung einer Zirkumzision regelmäßig nicht in deutschen Institutionen erwerben. Solange eine Vereinheitlichung der Qualifikationsanforderungen an die rituellen Beschneider nicht stattgefunden hat, sind die im europäischen Ausland erworbenen Nachweise, soweit sie geeignet sind, in Deutschland ebenfalls anzuerkennen. Gleiches gilt für Bescheinigungen und Nachweise aus Drittstaaten. In Deutschland praktizieren derzeit zehn Mohalim aktiv, die allesamt in Israel ausgebildet wurden.1171 Zur Steigerung der Rechtssicherheit sollten gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften anerkannte Ausbildungsinstitute bestimmt werden, deren Zertifizierung in Deutschland – ohne weitere Überprüfung – als ausreichende fachliche Qualifizierung anerkennt wird. (b) Persönliche Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Antragstellers Während § 1631d Abs. 2 BGB bereits fachliche Anforderungen normiert, schweigt die Vorschrift im Hinblick auf persönliche Anforderungen. Die persönliche Zuverlässigkeit und Geeignetheit der Antragsteller ist in zahlreichen Erlaubnisregelungen, insbesondere im Bereich der Ausübung von Heilkunde (vgl. u. a. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO, § 2 Abs. 1 Buchst. f) HeilPraktGDV, § 4 Abs. 1 Nr. 2 BApO) essenzieller Regelungsbestandteil.1172 Diese Anforderungen bilden einen Baustein im Rahmen der Absicherung des betroffenen Kindes. Ist zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung – unter Zugrundelegung einer alle Umstände einbeziehenden Prognoseentscheidung1173 – bereits erkennbar, dass der Antragsteller nicht die „Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung“ 1174 bietet, geht das das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen. 1169 Dazu u. a. E. VII. 2. d) bb) (3). 1170 So für Schweden § 2 der Ausführungsbestimmungen des Socialstyrelsen. Dazu Ring/Olsen-Ring, S. 527. 1171 So die Angaben des Oberrabbiners Yona Metzger, in: Sydow. Für die Muslime ist dies weniger relevant, da ihre Söhne meist von Ärzten in einem Krankenhaus beschnitten werden, vgl. Mazyek, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 33. 1172 Auch die schwedische Regelung normiert ähnliche Voraussetzungen an die Person des rituellen Beschneiders in § 6 Abs. 1 LOP, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 525; Ring, S. 153. 1173 Haage, HeilPraktG, § 7 HeilPraktG, Rn. 10; Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 4; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 3 BÄO, Rn. 6; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 27.10.2010 – Az.: 3 B 61/10, juris, Rn. 5. 1174 Haage, HeilPraktG, § 7 HeilPraktG, Rn. 10; Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 4; ähnlich bereits BVerwGE 4, 250 (257).
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Schutzbedürfnis des Kindes dem Recht des Antragstellers auf Erteilung der Erlaubnis vor. Denn in diesem Fall ist nicht absehbar, ob der Antragsteller im Zeitpunkt einer Zirkumzision an Ausfallerscheinungen leidet, die das Kind einer erheblichen Gefährdung aussetzen würden. Die Vermutung der fehlenden Zuverlässigkeit kann sich aus „strafrechtlichen oder sittlichen Verfehlungen“ 1175 ergeben. Nicht jede Verurteilung ist aber ausreichend. Ob die Verfehlung in einem inneren Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen muss, ist umstritten.1176 Damit dieses persönliche Element einer Überprüfung zugänglich ist, sollte es in die Anforderungen an den rituellen Beschneider aufgenommen werden. Die „Würdigkeit“ des rituellen Beschneiders zur Ausübung seines Berufes ist hingegen nicht notwendiger Bestandteil einer Erlaubniserteilung (anders für die ärztliche Approbation, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO1177 oder die Approbation des Apothekers, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2). Der rituelle Beschneider gehört einer Religionsgemeinschaft an, wird meist von den Eltern beauftragt und bietet seine Dienstleistung nicht, wie ein Arzt oder Apotheker, frei am Markt an. Die Würdigkeit des rituellen Beschneiders wird durch die Vorauswahl der Religionsgesellschaften antizipiert.1178 Daneben kann die körperliche Eignung des rituellen Beschneiders Einfluss auf seine Tätigkeit haben. Um einer Gefährdung von Patienten angemessen vorzubeugen, knüpfen die BÄO (§ 3 Abs. 1 Nr. 3), die BApO (§ 4 Abs. 1 Nr. 3) sowie die HeilPraktGDV (§ 2 Abs. 1 Buchst. g)) die Erlaubniserteilung auch an die gesundheitliche Eignung der Antragsteller.1179 Bestimmte Krankheitsbilder lassen u. U. einen Rückschluss darauf zu, dass der rituelle Beschneider eine Zirkumzision nicht ordnungsgemäß durchführen kann.1180 Ist dies der Fall und bietet der rituelle Beschneider nicht die Gewähr für die ordnungsgemäße Durchführung der Zirkumzision, ist ihm die Erlaubniserteilung zu versagen. Nicht jeder Krankheit oder körperlichen Beeinträchtigung können solche Folgewirkungen unterstellt werden. Zum Schutz der Rechte der rituellen Beschneider ist jedenfalls erforderlich, dass es sich um eine dauerhafte und die Berufsausübung nachhaltig und schwer beeinträchtigende Störung handelt.1181 Unverhältnismäßig wäre es, im Fall der rituellen Beschneider, Kenntnisse der deutschen Sprache zu fordern, wie dies u. a. in § 3 Abs. 1 Nr. 5 BÄO oder § 4 1175
So ausdrücklich vorgesehen in § 2 Abs. 1 Buchst. f) HeilPraktGDV. Dies zu Recht ablehnend VGH Kassel, NJW 1986, 2390 (2391); VGH BaWü, DÖV 1982, 557. 1177 Vgl. zu der eigenständigen Bedeutung des Unwürdigkeitsmerkmals im Rahmen des BÄO VGH Kassel, NJW 1986, 2390 (2391). 1178 Das „Unwürdigkeitselement“ wird in diesem Fall kompensiert durch das Vorschlagsrecht der religiösen Gemeinschaften, vgl. dazu sogleich unter E. VII. d) cc) (2) (c). 1179 Für die BÄO Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 5; Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 3 BÄO, Rn. 10. 1180 So – zur Begründung der schwedischen Regelung – auch Ring/Olsen-Ring, S. 525. 1181 Im Zusammenhang mit der BÄO Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 4. 1176
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
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Abs. 1 Nr. 5 BApO vorgesehen ist. Im Unterschied zu Ärzten und Apothekern treffen rituelle Beschneider bei Ausübung ihres Berufes regelmäßig auf Personen des gleichen Herkunftslandes. Jedenfalls kann unterstellt werden, dass sich die Personensorgeberechtigten mit dem rituellen Beschneider verständigen können. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, ist der rituelle Beschneider dennoch – notfalls unter Zuhilfenahme eines Übersetzers – verpflichtet, ein verständliches Aufklärungsgespräch zu führen. Grundsätzlich deutsche Sprachkenntnisse zu fordern würde die Tätigkeit ausländischer ritueller Beschneider unangemessen beschränken und ist aus den genannten Gründen zum Schutz der Kinder in dieser Sondersituation auch nicht erforderlich. Werden schließlich von den rituellen Beschneidern Nachweise bzgl. ihrer grundsätzlichen sowie gesundheitlichen Eignung verlangt, ist zu bedenken, dass rituelle Beschneider aus sonstigen EU-Mitgliedstaaten respektive Drittstaaten einreisen, um Zirkumzisionen vorzunehmen. Werden in dem Herkunftsland des Beschneiders entsprechende Nachweise ebenfalls gefordert, müssen diese – jedenfalls bei Gleichwertigkeit – auch für die Erlaubniserteilung in Deutschland ausreichen.1182 Fehlt es an Nachweisen aus dem Herkunftsland, was bei rituellen Beschneidern aufgrund fehlender Regelungen häufig der Fall sein kann, kann – in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 4 BÄO – eine eidesstaatliche oder eine vergleichbare Erklärung ausreichen.1183 Die gesundheitliche Eignung kann durch vergleichbare ausländische Nachweise oder durch den Nachweis im Inland erbracht werden.1184 Die Nachweise sollten in einer vertretbaren Zeitspanne vor Antragstellung erteilt worden sein, um sicherzustellen, dass die Voraussetzungen noch vorliegen.1185 Bei inländischen Beschneidern gestaltet sich eine Nachweispflicht aufgrund bereits bestehender vergleichbarer Regelungen in anderen Gesetzen als unkompliziert umsetzbar. (c) Beteiligung der Religionsgemeinschaften Auch durch die Etablierung von Erlaubnisregelungen darf das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Religionsgemeinschaften nicht unterlaufen werden.1186 1182
Vgl. dazu auch § 3 Abs. 6 S. 1 Nrn. 3 und 4 BÄO. Zu dieser Option im Zusammenhang mit der ärztlichen Approbation auch Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 46. 1184 So für die Nachweise im Rahmen der BÄO Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 46. Vgl. für Apotheker die identische Regelung in § 4 Abs. 6 Nr. 4 BApO. 1185 Haage, BÄO, § 3 BÄO, Rn. 50. Für die Nachweise im Rahmen der Approbation dürfen die Nachweise nicht älter als drei Monate sein, vgl. § 3 Abs. 6 S. 2 BÄO. Zu den Handlungsoptionen, wenn die Voraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorliegen vgl. E. VII. 2. d) cc) (3). 1186 Radtke, Stellungnahme, S. 11. Zum Selbstbestimmungsrecht und dem inhaltlichen Umfang vgl. E. III. 2. c). 1183
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Die Erlaubnis darf sich auf die weltlichen Anforderungen beziehen, während die religiöse (spirituelle) Ausbildung in den Händen der Religionsgemeinschaft verbleiben muss.1187 Die Erlaubniserteilung sollte daher auf „von den Religionsgesellschaften (. . .) vorgesehene Personen“ beschränkt bleiben, wie dies bereits in § 1631d Abs. 2 BGB geregelt ist.1188 Die Erteilung einer Erlaubnis an Personen, die praktisch keine rituellen Zirkumzisionen vornehmen können, da sie von den betroffenen Religionsgemeinschaften nicht akzeptiert werden, liefe im Ergebnis ohnehin leer. Im Rahmen der Erlaubniserteilung kann das „Vorgesehensein“ durch einen, nicht notwendig standardisierten, Beleg der jeweiligen Religionsgemeinschaft nachgewiesen werden. Zum Schutz der Rechte des betroffenen Kindes ist darüber hinaus erforderlich, dass die Religionsgemeinschaft die Beschneidung als Teil ihrer religiösen Praxis begreift und die Zirkumzision auf der Grundlage einer religiösen Motivation durchführt.1189 Nur vor dem religiösen Hintergrund kann das psychische Wohl des Kindes ausreichend gefördert werden.1190 Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft muss der Zusammenschluss der Gläubigen dabei nicht notwendig genügen. Dies ist insbesondere für die islamischen Glaubensgemeinschaften von Relevanz, da diese häufig nicht in festen Organisationsstrukturen verbunden sind. Ähnlich wie bei Bestimmung der Religionsgemeinschaft in § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG kann es auch im Fall des § 1631d Abs. 2 BGB und der notwendigen Erlaubniserteilung ausreichend sein, dass der Beschneider von einer „Gruppe von Muslimen“ 1191, die die Beschneidung als zwingende religiöse Verpflichtung empfindet, vorgesehen wird. (3) Verwaltungshandeln nach Erlaubniserteilung Nach Erlaubniserteilung lässt sich das Fortbestehen der Erteilungsvoraussetzungen durch die zuständigen Behörden kontrollieren. Der Wegfall notwendiger Erteilungsvoraussetzungen eröffnet Handlungsoptionen, wodurch die kindlichen Rechte auch im Nachgang der Genehmigungserteilung abgesichert werden können. Das Recht der rituellen Beschneider, ihren Beruf frei auszuüben, steht dem nicht entgegen. Der Erlaubnisentzug lässt sich als actus contrarius spiegelbildlich zur Erlaubniserteilung beurteilen. Die Situation, in der die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, unterscheidet sich – aus Sicht der Gefahrgeneigtheit der Hand-
1187
Siehe dazu oben E. III. 2. c) bb). Ein vergleichbares Recht findet sich auch in Schweden (§ 6 Abs. 1 LOP), vgl. dazu auch Ring/Olsen-Ring, S. 525; Ring, S. 153. 1189 So auch in Schweden vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 525. 1190 Dazu oben E. VI. 3. c). 1191 Vgl. BVerwGE 127, 183 (185). 1188
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lung für das betroffene Kind – nicht von der Konstellation einer bereits zu Beginn fehlenden Voraussetzung für die Erlaubniserteilung. Liegen die Voraussetzungen der Erlaubniserteilung nicht mehr vor bzw. lagen diese bereits bei Erteilung der Genehmigung nicht vor, ist es geboten, die erteilte Genehmigung zu korrigieren. Dem Staat muss es möglich sein, schädigendes Verhalten zu unterbinden.1192 Dogmatisch wird zwischen zwei Alternativen der Erlaubnisentziehung differenziert: Die Erlaubnis wird widerrufen, wenn die Erteilungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind. Die Erteilung der Erlaubnis wird zurückgenommen, wenn die Voraussetzungen ihrer Erteilung bereits zum Zeitpunkt der Erlaubniserteilung nicht vorgelegen haben.1193 Orientiert man sich an dem Schutzzweck der Erlaubnisregelung, muss bzw. kann der begünstigende Verwaltungsakt gegenüber dem rituellen Beschneider widerrufen werden, wenn er die notwendigen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.1194 Die Rechte des Kindes überwiegen in diesem Fall immer die Rechte des rituellen Beschneiders. Der Wegfall der Erlaubnisvoraussetzungen ist dabei nicht anders zu beurteilen als das Fehlen der Voraussetzungen bei Erlaubniserteilung, was eine solche ebenfalls verhindert. Fehlen dem rituellen Beschneider die fachlichen Kenntnisse oder die Zuverlässigkeit, ist die Erlaubnis zum Schutz der betroffenen Kinder zu widerrufen.1195 In dieser Konstellation ist der Behörde ein Ermessen nicht einzuräumen.1196 Die geschützten kindlichen Rechte sind nicht disponibel. Erwirbt der Beschneider die notwendigen Fähigkeiten oder kann er seine Zuverlässigkeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder garantieren, kann er
1192 So im Zusammenhang mit der Heilpraktikererlaubnis auch Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 1. 1193 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11, Rn. 11. 1194 Ähnlich § 7 Abs. 1 S. 1 HeilPraktGDV. Dazu Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 2. Die HeilPraktGDV verwendet an dieser Stelle einen falschen terminus technicus, es handelt sich rechtlich um einen Widerruf der Erlaubnis, nicht eine Zurücknahme, vgl. dazu auch VGH BaWü, NJW 2009, 458 (458). Im Zusammenhang mit der ärztlichen Approbation vgl. § 5 Abs. 2 BÄO. Dazu Haage, BÄO, § 5 BÄO. § 5 Abs. 2 BÄO geht §§ 48, 49 VwVfG als spezialgesetzliche Vorschrift vor, vgl. BVerwGE 105, 214 (217 ff.). Die Widerrufsmöglichkeit in Schweden besteht nach § 7 Abs. 1 LOP, wenn die „Beschneidung unsachgemäß oder in anderer ungeeigneter Weise durchgeführt [wird], bzw. [die] Person aus anderen Gründen ungeeignet ist oder von der Genehmigung nicht länger Gebrauch gemacht wird.“, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 525. Der Gesetzentwurf zu dem schwedischen Gesetz nennt folgende Gründe exemplarisch für das Bestehen eines Widerrufgrundes: „Unbeholfenheit; Eingriff in einer Weise durchgeführt, die die Gesundheit des Kindes in Gefahr bringt; andere Gründe fehlender Fürsorge und Respekts vor dem Kind; Krankheit, Anzeichen für Missbrauch der Genehmigung (. . .).“, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 526. 1195 Im Zusammenhang mit der Approbation gilt dies ebenfalls, vgl. § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO. Dazu Haage, BÄO, § 5 BÄO, Rn. 6. 1196 Zur HeilPraktGDV Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 1. Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Erlaubnis widerrufen werden; vgl. Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 7.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
die Erlaubnis erneut beantragen. Allein aus dem Grund, dass diese bereits widerrufen wurde, darf eine Ablehnung nicht erfolgen.1197 Davon zu unterscheiden ist der Wegfall der gesundheitlichen Eignung. In diesen Fällen ist es ausreichend, dass die Behörde die Erlaubnis widerrufen kann (vgl. auch die entsprechende Regelung in § 5 Abs. 2 S. 2 BÄO). Ein milderes Mittel kann ein lediglich vorübergehender Erlaubnisentzug (ähnlich wie das Ruhen einer Approbation in § 6 BÄO) sein.1198 Dies gilt insbesondere, wenn sich die Besserung des gesundheitlichen Zustandes bereits absehen lässt. Da das „Vorgesehensein“ durch die Religionsgemeinschaft eine Voraussetzung der Erlaubniserteilung ist (§ 1631d Abs. 2 BGB), kann sich auch daran ein Widerrufsgrund anknüpfen. Der rituelle Beschneider ist nicht berechtigt, die Erlaubnis zu besitzen, wenn die ihn vorschlagende Religionsgemeinschaft den Vorschlag zurücknimmt und keine andere zugelassene Gemeinschaft ihn vorschlagen möchte.1199 Lagen die Voraussetzungen bereits bei Erteilung der Erlaubnis nicht vor, können die Handlungsoptionen der zuständigen Verwaltungsbehörden weiter ausgestaltet werden. Ob die Voraussetzungen der Rücknahme gegeben sind, kann in das Ermessen der Behörde gestellt werden,1200 da der rituelle Beschneider die Voraussetzungen in der Zwischenzeit erworben bzw. die Gründe für seine Unzuverlässigkeit beseitigt haben kann. Die Ermessensentscheidung muss den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügen und dabei insbesondere die Berufsfreiheit des Art. 12 GG berücksichtigen.1201 Die zuständige Behörde hat die Möglichkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, insbesondere wenn bereits vor Rechtskraft mit weiteren gesundheitsgefährdenden Handlungen zu rechnen ist.1202 1197 So im Zusammenhang mit der Heilpraktikererlaubnis auch Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 10. 1198 Haage, BÄO, § 5 BÄO, Rn. 7. 1199 Dies ist auch nach der schwedischen Regelung ein Widerrufsgrund, siehe dazu Ring/Olsen-Ring, S. 526. 1200 Dem entspricht auch die Rücknahmemöglichkeit in § 5 Abs. 1 BÄO. Die Approbation muss nur dann zurückgenommen werden, wenn die Ausbildung (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BÄO) nicht erfolgreich abgeschlossen wurde (§ 5 Abs. 1 S. 1 BÄO). Nach § 5 Abs. 1 S. 2 BÄO kann die Approbation zurückgenommen werden, wenn die gesundheitliche Eignung nicht vorgelegen hat oder die Zuverlässigkeit und Würdigkeit fehlte. § 5 Abs. 1 S. 3 BÄO: Ebenfalls Kann-Entscheidung bei fehlender Gleichwertigkeit der Ausbildung. Dazu krit. Haage, BÄO, § 5 BOÄ, Rn. 5. Auch die Rücknahme der Heilpraktikererlaubnis, die sich mangels spezieller Regelung nach § 48 Abs. 1 VwVfG richtet, steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Dazu Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 11. 1201 So im Zusammenhang mit der Heilpraktikererlaubnis Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 7 HeilPraktGDV, Rn. 11. 1202 So für den Widerruf einer Heilpraktikererlaubnis auch VGH BaWü, NJW 2009, 458 (460). Die schwedische Regelung sieht hingegen generell vor, dass Rechtsmittel
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
267
Das kann im Einzelfall – je nach fehlender Voraussetzung der Erlaubniserteilung – zum Schutz der betroffenen Kinder zwingend geboten sein. Der potenzielle Schaden durch den rituellen Beschneider überwiegt in dieser Situation dessen Recht zur weiteren Durchführung von Operationen als Teil seiner Berufsausübung. Gegen einen Widerruf oder die Rücknahme der Erlaubnis sowie die Anordnung der sofortigen Vollziehung steht dem betroffenen rituellen Beschneider der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO offen.1203 Bei der Möglichkeit zum Widerruf und zur Rücknahme der Erlaubnis handelt es sich um ein untaugliches Instrument, wenn den Behörden die Kontrollmöglichkeit der Einhaltung der Voraussetzungen versagt wird. Daher sind flankierende Kontrollbefugnisse der Behörde zu gewährleisten.1204 Auch hier sind die Rechte der rituellen Beschneider sowie der betroffenen Kinder und Eltern in die Einzelfallentscheidung einzubeziehen. (4) Konsequenzen aus der Vornahme einer Beschneidung ohne Erlaubnis Wird ein Erlaubnisvorbehalt für die Vornahme von Zirkumzisionen durch nicht-ärztliche Beschneider normiert, ergeben sich aus der Durchführung selbiger ohne die notwendige Erlaubnis Konsequenzen. Die elterliche Einwilligung entfaltet für den rituellen Beschneider keine rechtfertigende Wirkung. Bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen macht er sich nach §§ 223 ff. StGB strafbar.1205 Darüber hinaus könnte zur weiteren Absicherung kindlicher Rechte ein abstraktes Gefährdungsdelikt in das Regelwerk aufgenommen werden, welches die Strafbarkeit des rituellen Beschneiders allein an das Fehlen der Erlaubnis knüpft.1206 Dadurch wird die strafrechtliche Sanktionierung des rituellen Beschneiders auch ohne konkrete Gefährdungssituation oder Schadensverursachung möglich, was geboten ist, wenn die Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider ohne die notwendige behördliche Erlaubnis ein solches Gefahrenpotenzial aufweist, dass die zusätzliche Sanktionsmöglichkeit erforderlich ist, um die Rechgegen den Widerrufsbeschluss keine aufschiebende Wirkung haben (§ 7 Abs. 2 LOP), vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 526. 1203 Dies gilt auch nach dem schwedischen Gesetz (§ 10 LOP); Ring/Olsen-Ring, S. 526. 1204 Das Socialstyrelsen übt auch die Kontrolle über die Tätigkeit der Beschneider aus und kann alle Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um zu überprüfen, ob die Vorschriften eingehalten werden, vgl. dazu Ring/Olsen-Ring, S. 526. 1205 Vgl. zur Strafbarkeit der Zirkumzision oben D. II. 1206 Zur grds. Verfassungsgemäßheit abstrakter Gefährdungsdelikte, vgl. Heine/ Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorb. zu den §§ 306 ff., Rn. 5 m.w. N. Strafrechtliche Konsequenzen sind für die Zirkumzision ohne Genehmigung in Schweden gesetzlich vorgesehen: Die Durchführung der Beschneidung ohne Genehmigung bzw. Approbation steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten (§ 9 LOP); vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 526.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
te der betroffenen Kinder abzusichern. Ein solches Bedürfnis hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Fehlen einer Heilpraktikererlaubnis erkannt (vgl. § 5 HeilPraktG). Strafbar ist nach dem Wortlaut die Ausübung von Heilkunde durch Nicht-Ärzte ohne Erlaubnis. Die Rechtsprechung verlangt darüber hinaus, dass es sich um eine Verhaltensweise handelt, die nicht nur geringfügige Gesundheitsgefahren zu verursachen geeignet ist1207 und dass die konkrete Tat zumindest generell gefährlich war1208. Die Zirkumzision durch einen rituellen Beschneider ist bereits an zahlreiche Voraussetzungen geknüpft (§ 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 BGB). Die Strafbarkeit würde allein das Fehlen einer formalen Voraussetzung erfordern. Die Vermutung, dass eine Gesundheitsgefährdung wahrscheinlich ist, wenn die Erlaubnis zur Vornahme der Handlung fehlt, lässt sich damit nicht in gleicher Weise halten. Zudem wird der rituelle Beschneider nur auf einem Teilbereich der Heilkunde und innerhalb eines bestimmten Personenkreises tätig. Eine vergleichbare Gefährdung wie bei der Ausübung der Heilkunde ohne diese Einschränkungen besteht folglich nicht. Insgesamt hat sich der Gesetzgeber auch gegen einen zusätzlichen Straftatbestand entschieden. Diese Wertung kann auch nach Einführung einer Erlaubnisregelung eingehalten werden. Erfüllt der rituelle Beschneider die Voraussetzungen des § 1631d BGB und fehlt im lediglich die formale Absicherung, kommt eine Strafbarkeit nur bei Verursachung eines Schadens in Betracht. (5) Zuständigkeiten Die sachliche Zuständigkeit für die Erlaubniserteilung hat bei einer neutralen staatlichen Stelle zu liegen, die das notwendige Fachwissen hat, um die Erlaubnisvoraussetzungen zu prüfen. Die Erlaubniserteilung für die Durchführung von Beschneidungen hat hinsichtlich ihrer Voraussetzungen zahlreiche Schnittstellen mit den Anforderungen an eine Heilpraktikererlaubnis. Daher kann für die Erteilung der Erlaubnis an einen rituellen Beschneider ebenfalls die Zuständigkeit der unteren Verwaltungsbehörden begründet werden, wie diese für die Erteilung einer Heilpraktikererlaubnis in § 3 Abs. 1 HeilPraktGDV vorgesehen ist. Die Bestimmung der zuständigen unteren Verwaltungsbehörde liegt bei den Landesgesetzgebern. Aufgrund der sachlichen Nähe scheint eine Übertragung der sachlichen Zuständigkeit an die Gesundheitsämter tauglich.1209 Für den Widerruf und die Rücknahme der Erlaubnis ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts diejenige Behörde zuständig, die zum Zeitpunkt der Entscheidung für
1207 Zuletzt AG Gießen, Urt. v. 12.6.2014 – Az.: 507 Cs 402 Js 6823/11, BeckRS 2014, 14746; aber auch BGH, NJW 2011, 3591 (3591); BGH, NStZ 1981, 433; BayOLG, NStZ-RR 2000, 381 (382). 1208 BGH, NJW 2011, 3591 (3591). 1209 So auch angedacht bei Lack, S. 343. In Schweden ist das Socialstyrelsen als neutrale Verwaltungsbehörde zuständig, vgl. Ring/Olsen-Ring, S. 526.
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
269
die Ausgangsentscheidung zuständig wäre.1210 Da die Erlaubniserteilung sich auf die Berufsausübung bezieht, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Ort der Berufsausübung (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Im Fall ritueller Beschneider gestaltet sich die Bestimmung schwierig. Diese reisen häufig aus dem Ausland ein und üben ihren Beruf nicht wiederkehrend an einem bestimmten Ort, sondern u. U. im gesamten Bundesgebiet aus. Die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist indes auch nicht an die langfristige Berufsausübung in einem Bezirk geknüpft. Die einmalige Durchführung einer Beschneidung an einem Ort reicht aus. Lediglich die Tätigkeit selbst muss zur Ausfüllung des Berufsbegriffs dem Element der Dauerhaftigkeit genügen.1211 Der rituelle Beschneider ist zudem regelmäßig mit einer Glaubensgemeinschaft verbunden, sodass die Erlaubnis an dem Ort der Glaubensgemeinschaft beantragt werden kann. Die Prognose, dass der Beruf in einem bestimmten Bezirk „ausgeübt (. . .) werden soll“, genügt (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Dass der rituelle Beschneider für die Glaubensgemeinschaft und damit in ihrem näheren Umkreis Beschneidungen vornehmen wird, ist insbesondere anzunehmen, wenn er von dieser Religionsgemeinschaft gerade i. S. d. § 1631d Abs. 2 BGB dazu „vorgesehen“ wurde. Die Begründung der örtlichen Zuständigkeit kann damit nach den allgemeinen Regelungen erfolgen. Eine zusätzliche Normierung ist nicht erforderlich. (6) Geeigneter Regelungsstandort und Wortlaut der Erlaubniserteilung Die Voraussetzung, vor Ausübung der Tätigkeit als ritueller Beschneider eine Erlaubnis durch die zuständige Behörde einzuholen, lässt sich als Eingriff in die Berufsfreiheit nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes rechtfertigen (Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG).1212 Geeignet, die Berufsfreiheit einzuschränken, sind jedenfalls formelle Gesetze sowie Rechtsverordnungen.1213 Die Normierung der Voraussetzung zur Erlaubniserteilung und die Erlaubniserteilung selbst können unterschiedlich ausgestaltet werden.
1210 Müller, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), § 48 VwVfG, Rn. 126 und Abel, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), § 49 VwVfG, Rn. 86. 1211 Dazu bereits oben E. VII. 1. a). 1212 Ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit nicht eröffnet, kann sich der rituelle Beschneider auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen (vgl. dazu bereits oben Fn. 1005). Diese kann durch, mit der Verfassung in Einklang stehende, Rechtsnormen ebenfalls eingeschränkt werden (st.Rspr. u. a. BVerfGE 128, 193 [206]), sodass sich das gefundene Ergebnis übertragen lässt. 1213 Ruffert, in: Epping/Hillgruber, Art. 12 GG, Rn. 76.
270
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
(a) Normierung mittels Parlamentsgesetz In Betracht kommt die Aufnahme der grundsätzlichen Erlaubnispflichtigkeit in § 1631d Abs. 2 BGB. Es handelt sich um eine Konkretisierung der Zulassungsvoraussetzungen für den Beruf des rituellen Beschneiders. Die Gesetzgebungszuständigkeit ergibt sich für den Bund aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.1214 Folgende Ergänzung in § 1631 Abs. 2 BGB kann dem Regelungsbedürfnis genügen: In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür die Erlaubnis besitzen, besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
Eine bundeseinheitliche Regelung kann zur Rechtssicherheit beitragen und verhindern, dass die Bundesländer unterschiedliche Ausbildungs- und Genehmigungsvoraussetzungen schaffen.1215 § 1631d BGB hat mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe bereits Auslegungsschwierigkeiten verursacht. Diese sollten nicht durch zusätzliche landesgesetzliche Bestimmungen verschärft werden. Solche Zweckmäßigkeitserwägungen machen eine landesgesetzliche Regelung jedoch nicht per se unzulässig.1216 Eine Regelung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, zu welchem Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zählt, ist den Ländern nur so lange und so weit verschlossen, wie der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG). Die Sperrwirkung für landesgesetzliche Regelungen wird durch „eine erschöpfende und damit abschließende Regelung“ 1217 des Bundes ausgelöst. Ob eine solche Normierung gegeben ist, bestimmt sich nach deren Gesamtkonzeption sowie nach dem dahin gehenden Willen des Gesetzgebers.1218 Primär kann dafür auf das Gesetz und dessen Regelungszweck abgestellt werden.1219 Der Gesetzgeber hat mit § 1631d Abs. 2 BGB nicht ausdrücklich eine abschließende Regelung getroffen. Auch der Inhalt der Vorschrift spricht gegen eine lückenlose und abschließende Ausfüllung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund, die insbesondere bei konkreten und detaillierten Regelungen anzunehmen ist1220. § 1631d Abs. 2 BGB lässt den Bundesländern gerade einen Spielraum, die Anforderungen an die rituellen Beschneider zu konkretisieren und die formalen Voraussetzungen auszu-
1214
Siehe dazu bereits ausführlich oben unter E. II. 2. b). Zu dieser Zwecksetzung im Zusammenhang mit der BÄO auch Haage, BÄO, Einl., Rn. 4. 1216 Für die Zulässigkeit ergänzender Regelungen durch die Länder auch Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 466; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 261. 1217 BVerfGE 85, 134 (142). 1218 BVerfGE 109, 190 (230). 1219 BVerfGE 109, 190 (230). 1220 Uhle, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 72 GG, Rn. 87. 1215
VII. Die Rechte der rituellen Beschneider
271
gestalten, indem er sich dazu ausschweigt. Will der Bund eine weiterführende und ergänzende Regelung durch die Landesgesetzgeber verhindern, hat er dies durch eine klare und eindeutige Normierung selbst sicherzustellen.1221 (b) Erlass einer Rechtsverordnung Eine umfassende Regelung durch den Bundesgesetzgeber hat die Voraussetzungen an die Erlaubniserteilung, die Voraussetzung für Widerruf und Rücknahme der Erlaubnis sowie die behördlichen Zuständigkeiten zu bestimmen. Der Bund hat dafür nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit, da es sich um die Ausgestaltung einer Berufszulassungsregelung handelt. Auch wenn eine entsprechende Regelung in § 1631d Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen ist, erscheint die Formulierung einzelner Erlaubnisvoraussetzungen in einer Rechtsverordnung vorzugswürdig.1222 Dies ermöglicht die Einbeziehung des exekutivischen Sachverstandes, eröffnet dem Verordnungsgeber flexible Reaktionsmöglichkeiten im Hinblick auf sich verändernde Umstände und trägt zur Entlastung des parlamentarischen Gesetzgebers bei.1223 Diese Vorteile lassen sich auch bei Ausgestaltung des Erlaubniserfordernisses für den rituellen Beschneider fruchtbar machen. Die Zulassungspraxis kann mittels Anpassung der Verordnung zügig an sich verändernde Gegebenheiten angepasst werden. Damit kann die aktuelle Entwicklung der Ausbildungs- und Qualifizierungspraxis dieser Berufsgruppe berücksichtigt werden, die sich zurzeit auf verschiedene Institutionen und Staaten verteilt. Sobald, gemeinsam mit den betroffenen Religionsgemeinschaften, einheitliche Strukturen erarbeitet wurden, können diese Eingang in die Verordnung finden und damit zur Rechtssicherheit beitragen, ohne den parlamentarischen Gesetzgeber zu bemühen. Zudem kann eine detaillierte Regelung innerhalb der familienrechtlichen Vorschriften des BGB vermieden werden. Zwar gehört die Erlaubnisregelung in den Sinnzusammenhang der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit in eine rituelle Beschneidung. Eine detaillierte Regelung zu den Erlaubnisvoraussetzungen würde in diesem Regelungszusammenhang allerdings als Fremdkörper erscheinen. Unter Berücksichtigung
1221
Uhle, in: Maunz/Dürig, 69. Egl. 2013, Art. 72 GG, Rn. 84. Für ergänzende Bestimmungen einer RVO, unabhängig von dem hier entwickelten detaillierten Regelungsvorschlag, auch: BT-Drucks. 17/11815, S. 4. I. d. S. auch Heinig, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 20; Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 12. Zusätzlich sollte die RVO eine Meldepflicht für Beschneidungen, die eine kinderurologische Operation erforderlich machen, enthalten, um ggfs. weitere Maßnahmen ergreifen zu können. Ebenso, allerdings mit Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit einer starren Festschreibung bestimmter Voraussetzungen Radtke, Stellungnahme, S. 11; Walter, Christian, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 15. 1223 Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 80 GG, vor Rn. 1. 1222
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
aller mit einer Rechtsverordnung verbundenen Vorteile darf sich der parlamentarische Gesetzgeber durch Erlass einer Verordnungsermächtigung allerdings nicht seiner Regelungsverantwortung entledigen.1224 Die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG sind einzuhalten.1225 Die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung hat in einem Gesetz zu erfolgen (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG). Angeknüpft werden kann dabei an den, innerhalb des Gesetzgebungsprozesses zu § 1631d BGB unterbreiteten, Vorschlag folgenden Inhalts: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere (. . .) zu regeln.“ 1226 Das Bundesministerium ist ein tauglicher Adressat der Verordnungsermächtigung (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG) und aufgrund der sachlichen Nähe auch geeignet, die Ausgestaltung einer entsprechenden Rechtsverordnung zu übernehmen. Die an das Ministerium gerichtete Ermächtigung muss den Bestimmtheitsanforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Verordnungsermächtigung genügen (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG). Den Regelungszweck bildet die Festlegung der Erlaubnisvoraussetzungen. Gleichzeitig werden dadurch die äußere Grenze der Regelungszuständigkeit des Verordnungsgebers und damit das Ausmaß der Regelung markiert.1227 Für die Bestimmtheit ist entscheidend, dass sich der Inhalt der Rechtsverordnung aus der Ermächtigungsnorm bereits absehen lässt.1228 Dafür ist es gerade nicht erforderlich, dass die Regelung so detailliert wie möglich abgefasst ist, sondern ausreichend, dass sich der Verordnungsinhalt aus der Ermächtigung ermitteln lässt.1229 Eine Verordnungsermächtigung folgenden Inhalts erscheint tauglich: Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere hinsichtlich 1. der fachlichen, persönlichen und gesundheitlichen Anforderungen für eine Erlaubniserteilung,1230 2. der Möglichkeiten zum Widerruf und zur Rücknahme einer erteilten Erlaubnis zu regeln.
Mit einer solchen Formulierung wird der Gesetzgeber den Anforderungen an eine „hinreichende Bestimmtheit“ gerecht.
1224 1225 1226 1227 1228
BVerfGE 5, 71 (76 f.). Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 80 GG, Rn. 17 ff. BT-Drucks. 17/11815. Dies ist möglich, vgl. BVerfGE 26, 228 (241). Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 80 GG, Rn. 19; BVerfGE 2, 307 (334); 5, 71
(76). 1229
BVerfGE 8, 274 (307); 26, 228 (241); 55, 207 (226). Eine ähnliche Ermächtigungsvorschrift war vorgesehen in BT-Drucks. 17/11815, „hinsichtlich der Ausbildungsvoraussetzungen und des Befähigungsnachweises der nicht-ärztlichen Beschneider“. Dort in Abs. 3 Nr. 1 der vorgeschlagenen Neuregelung. 1230
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
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(c) Inhalt der Erlaubnisnorm innerhalb der zu erlassenden Rechtsverordnung Mit einer Rechtsverordnung folgenden Inhalts kann das Bundesministerium für Gesundheit die Verordnungsermächtigung ausfüllen: § 1 Erlaubniserteilung Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller 1. durch geeignete Nachweise belegt, dass er für die Durchführung einer Beschneidung besonders ausgebildet und einem Arzt vergleichbar befähigt ist, 2. durch geeignete Nachweise belegt, dass er von einer Religionsgemeinschaft für die Durchführung einer Zirkumzision vorgesehen ist, 3. sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit ergibt, 4. nicht aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet ist, Beschneidungen durchzuführen. § 2 Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis 1
Die Erlaubnis ist zu widerrufen, wenn nachträglich eine der Voraussetzungen nach § 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 3 weggefallen ist. 2Sie kann widerrufen werden, wenn die Voraussetzung nach § 1 S. 1 Nr. 4 weggefallen ist. 3Sie kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung eine der Voraussetzungen nach § 1 nicht vorgelegen hat. § 3 Zuständigkeit Sachlich zuständig für die Erteilung, die Rücknahme und den Widerruf der Erlaubnis sind die unteren Verwaltungsbehörden.
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz Der grundgesetzlich verbürgte Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) ist Ausfluss der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und daher verfassungsdogmatisch von herausragender Wichtigkeit.1231 Der Gesetzgeber ist zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet.1232 § 1631d BGB verstößt gegen diesen, wenn er eine – von dem Artikel umfasste – ungerechtfertigte Ungleichbehandlung statuiert.
1231 P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 75. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 2. Art. 14 EMRK enthält ebenfalls ein Diskriminierungsverbot bezogen auf die in der Konvention gewährleisteten Rechte. Allerdings enthält die Vorschrift im Vergleich zu Art. 3 GG keinen weitergehenden Schutz, vgl. Meyer-Ladewig, Art. 14 EMRK, Rn. 1. Ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot findet sich auch in Art. 26 IPbpR. 1232 Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 9.
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
1. Die Benachteiligung respektive Bevorzugung wegen des Geschlechts Die Beschneidung der Genitalien ist kein ausschließlich Jungen bzw. Männer betreffendes Phänomen. Täglich werden weltweit ca. 8.000 Mädchen1233 aus den unterschiedlichsten Gründen beschnitten; in Deutschland sind es Schätzungen zufolge jährlich zwischen 7.000 und 8.000.1234 Die Formen der weiblichen Genitalbeschneidung1235 sind weder einer bestimmten Religion noch Kultur- oder Bevölkerungsgruppe eindeutig zuordenbar. Regional am weitesten verbreitet ist diese Art der Körpermodifikation in Afrika. Aber auch in Asien sowie in einzelnen Teilen Australiens und Südamerikas ist sie zu beobachten.1236 a) Der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 S. 1 und des Art. 3 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist im Grundgesetz – als leges speciales zum allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG1237 – zweifach verbrieft: in Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 Alt. 1. Die Vorschriften bilden einen einheitlichen Schutzbereich ab. Der Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG) ist verletzt, wenn jemand wegen seines Geschlechts bevorzugt oder benachteiligt wird (Art. 3 Abs. 3 S. 1 Alt. 1).1238 Dass die Benachteiligung oder Bevorzugung „wegen“ des Geschlechts erfolgen muss, indiziert deren notwendige Zielgerichtetheit. Die ungleiche Behandlung muss gerade der Zweck des Gesetzes sein und nicht bloßer Regelungsreflex.1239 Unterscheidungen hingegen, die ausschließlich auf biologischen Unterschieden zwischen Män-
1233
Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 410. Kern/Köhler, 104; BT-Drucks. 17/13707, S. 4. 1235 Je nach der Schwere des Eingriffs wird in der internationalen Literatur zwischen Female Genital Cutting (FGC; deutsch: Genitalbeschneidung) und Female Genital Mutilation (FGM; deutsch: Genitalverstümmelung) differenziert. Die WHO empfiehlt die Verwendung des Begriffs Genitalverstümmelung für alle Formen weiblicher Beschneidung. Dadurch soll bereits eine sprachliche Unterscheidung zur männlichen Zirkumzision erreicht werden, mit der die weibliche Genitalverstümmelung nicht zu vergleichen sei; vgl. WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 22, Annex 1: Note on terminology. Im Folgenden wird für alle Formen des Eingriffs der Begriff Genitalbeschneidung verwendet. Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Eingriffsintensitäten wird unabhängig von der Begrifflichkeit anhand zusätzlicher Kriterien geschaffen. 1236 Rosenke, Verstümmelung, S. 377; Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 410; WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 29, Annex 3: Countries where female genital mutilation has been documented. 1237 Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 2. 1238 Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 2 GG, Rn. 1; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 36. 1239 BVerfGE 2, 266 (285). 1234
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
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nern und Frauen gründen, können nicht vom Schutzumfang der Gleichbehandlungsgebote gedeckt sein.1240 aa) Die potenzielle Benachteiligung von Knaben durch § 226a StGB Im Gegensatz zur männlichen Beschneidung besteht in Deutschland (wie auch in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern), im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung der weiblichen Genitalbeschneidung, weitestgehend Einigkeit darin, dass es sich immer um strafrechtlich zu sanktionierendes Unrecht handelt.1241 Dies galt für Deutschland bereits vor Einführung des § 226a StGB.1242 Dieser im Jahr 2013 eingeführte Straftatbestand bestimmt in seinem Absatz 1, dass, wer „die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, (. . .) mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft“ wird, während nach Absatz 2 in „minder schweren Fällen (. . .) auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen“ ist. Damit ist die weibliche Genitalverstümmelung ein Ver-
1240
Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 2 GG, Rn. 82. Festgeschrieben ist die Strafdrohung für die weibliche Genitalbeschneidung u. a. in Frankreich (Art. 222-9 Code pénal), Großbritannien (vgl. für England: Prohibition of Female Circumcision Act 1985; dazu auch Poulter, S. 602), Österreich (§ 90 Abs. 3 öStGB) sowie außerhalb der EU u. a. in den USA (18 USC § 116) und der Schweiz (Art. 124 StGB sStGB). Unzulässig sind alle Formen der weiblichen Genitalbeschneidung auch in Südafrika (§ 12 Abs. 3 Children’s Act 38 of 2005). 1242 Zur Rechtslage vor Einführung des § 226a StGB: Die strafrechtliche Beurteilung des Deutschen Bundestages u. a. in BT-Drucks. 16/3842, S. 2; BT-Drucks. 17/ 11295, S. 14; BT-Drucks. 16/1391, S. 3; BT-Drucks. 17/1217, S. 6. Auf die weibliche Genitalverstümmelung sind die Vorschriften §§ 223, 224 und ggf. § 226 StGB anwendbar. Die Eltern machen sich der Teilnahme an § 224 StGB, ggf. § 226 StGB und potenziell § 225 StGB schuldig. Antomo, S. 427; Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 21 ff.; Isensee, S. 322; Kern/Köhler, S. 105; Rosenke, Verstümmelung, S. 378; Steinbach, S. 7; Valerius, S. 485; Wüstenberg, Kindeswohlgefährdung, S. 452; Wüstenberg, Tatbestandsmerkmal, S. 465, sieht die Klitoris nicht als Glied i. S. d. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB, sondern als Organ und daher diesen Tatbestand als nicht erfüllt an. So auch Hahn, Jörg-Uwe, S. 38. Zur weiblichen Genitalverstümmelung als Asylgrund, vgl. Bumke, S. 423 ff. und VG Magdeburg, NVwZ-Beil. 1998, 18 (19); OVG Hamburg, NVwZ-Beil. 1999, 92 (93 f.); VGH Kassel, NVwZ-RR 2006, 504 (507). Der Eingriff verstößt auch gegen ärztliche Berufspflichten, dazu auch Deutscher Ärztetag, Beschlussprotokoll des 99. DEUTSCHEN ÄRZTETAGES, S. 76; Deutscher Ärztetag, Beschlussprotokoll des 100. DEUTSCHEN ÄRZTETAGES, S. 45. Zu dem fehlgeschlagenen Versuch aus dem Jahr 2009, der weiblichen Genitalverstümmelung einen eigenen Straftatbestand zu widmen: Entwurf und dessen Begründung BR-Drucks. 867/09, 2009. Zu den Alternativen im damaligen Gesetzgebungsverfahren vgl. BTDrucks. 16/1210. Die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes befürwortend auch Hagemeier/Bülte, S. 407; Rosenke, Verstümmelung, S. 379, mit weiteren Vorschlägen zur Problemlösung wie einem „Beratungsscheinmodell“ oder der Schaffung finanzieller Anreize für Eltern, die sich gegen die Genitalbeschneidung entscheiden. Dazu krit. Möller, S. 186 f. Er lehnt die Einwilligung der Eltern bereits wegen Verstoßes gegen § 228 StGB ab. 1241
276
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
brechen mit einer möglichen Höchststrafe von 15 Jahren.1243 Der Wortlaut der Vorschrift verzichtet dabei bewusst auf den Begriff der „Beschneidung“. Dadurch soll auch klargestellt werden, „dass es sich um negative Veränderungen an den äußeren Genitalien von einigem Gewicht handeln muss“ 1244, und eine Parallele zur männlichen Beschneidung verhindert werden.1245 Von der Begrifflichkeit umfasst sind die Klitoridektomie, Exzision und Infibulation sowie sonstige nachteilige Veränderungen der Genitalien (beispielhaft Einschnitte, Ätzungen oder Ausbrennen).1246 Diese Begriffsdefinition ist deckungsgleich mit der Klassifizierung weiblicher Genitalbeschneidung durch die WHO (siehe nebenstehende Tabelle).1247 Eingriffe, die ausschließlich der kosmetischen Korrektur oder Verschönerung des weiblichen Genitalbereichs dienen, z. B. Intimpiercing und rein kosmetische Operationen, sollen aufgrund fehlender Vergleichbarkeit der Eingriffsfolgen nicht erfasst sein.1248 Der Gesetzgeber unterscheidet im StGB folglich zwischen weiblichen und männlichen Genitalmodifikationen in ihrer besonderen Form der Beschneidung. Frauen und Mädchen werden vor Eingriffen durch einen Straftatbestand (§ 226a StGB) geschützt, Eingriffe am männlichen Geschlecht sind einer rechtfertigenden, elterlichen Einwilligung ausdrücklich zugänglich (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB). Bei fehlender rechtfertigender Wirkung der elterlichen Einwilligung in eine Zirkumzision beträgt das Strafmaß Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (vgl. § 224 Abs. 1 StGB).1249 Damit werden die von einer Beschneidung betroffenen Jungen – soweit es sich um vergleichbare Beschneidungsformen handelt – potenziell benachteiligt.
1243
Vgl. § 12 Abs. 1 StGB; § 38 Abs. 2 Hs. 1 StGB. BT-Drucks. 17/13707, S. 6; Fünfsinn, S. 12, will alle Veränderungen der weiblichen Genitalien als Verstümmelung und vergleichsweise gering belastende Eingriffe als minder schweren Fall i. S. d. § 226a Abs. 2 StGB ansehen. 1245 Dazu auch Schramm, Stellungnahme, 2013, S. 21. 1246 BT-Drucks. 17/13707, S. 6; dazu auch Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 226a StGB, Rn. 8; Hoffmann-Holland, S. 5. Für einen weitergehenden – alle Formen der Genitalverstümmelung und -beschneidung erfassenden – Tatbestand in § 224 Abs. 3 StGB mit einem Strafrahmen nicht unter einem Jahr, BT-Drucks. 17/12374, S. 5. 1247 WHO, Eliminating female genital mutilation, Annex 2: Note on the classification of female genital mutilation. Die Übereinstimmung ist beabsichtigt, vgl. BT-Drucks. 17/13707, S. 6. 1248 BT-Drucks. 17/13707, S. 7 f.; Ladiges, S. 17. 1249 Zu der Verwirklichung des § 224 StGB durch eine männliche Genitalbeschneidung, vgl. oben D. II. 2. 1244
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
277
Typ I
Die teilweise oder vollständige Entfernung de Klitoris (Klitoridektomie) und/oder der Klitorisvorhaut (Klitorisvorhautreduktion), auch „Sunna“ genannt.
Typ I a
Die ausschließliche Entfernung der Klitorisvorhaut, auch „milde Sunna“ genannt.
Typ I b
Die Entfernung der Klitorisvorhaut und der Klitoris.
Typ II
Die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen (Exzision).
Typ II a
Die ausschließliche Entfernung der kleinen Schamlippen.
Typ II b
Die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen.
Typ II c
Die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen und großen Schamlippen.
Typ III
Die Verengung der Vaginalöffnung durch Bildung einer Abdeckung, indem die inneren und/oder die äußeren Schamlippen eingeschnitten und zusammengebracht werden, teilweise mit Entfernung der Klitoris (Infibulation, auch Pharaonische Beschneidung).
Typ III a
Die Abdeckung entsteht durch Entfernung und Zusammenbringen der kleinen Schamlippen.
Typ III b
Die Abdeckung entsteht durch Entfernung und Zusammenbringen der großen Schamlippen.
Typ IV
Alle bisher nicht qualifizierten, dem weiblichen Genital ohne medizinische Begründung schadenden Verhaltensweisen, wie das Einstechen, Piercen, Einschneiden (Introzision), Abschaben, Verätzen oder Ausbrennen.
278
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
bb) Die potenzielle Benachteiligung von Mädchen durch § 1631d BGB Gleichzeitig können Mädchen durch § 1631d BGB in einer verfassungsrechtlich unzulässigen Weise benachteiligt werden, da die Einwilligung in die Genitalbeschneidung der Tochter durch die Personensorgeberechtigten unabhängig von der elterlichen Motivation nicht möglich sein soll.1250 Auch religiöse Begründungen vermögen daran nichts zu ändern. Eine Rechtfertigung des Eingriffs unter Bezugnahme auf dessen Förderung des kindlichen Wohlbefindens, wie sie für die männliche Zirkumzision möglich ist,1251 scheidet aus. Dies kann Personen weiblichen Geschlechts – soweit die Eingriffe der Vergleichbarkeit zugänglich sind – unzulässig benachteiligen. Darüber hinaus ist selbst die Einwilligung einsichts- und urteilsfähiger Frauen in die eigene Genitalbeschneidung regelmäßig unwirksam.1252 Bestehen Unterschiede von der Art und dem Gewicht, dass eine Differenzierung geboten ist, scheidet der Schutz des Benachteiligungsverbotes aus.1253 Sind 1250 BT-Drucks. 17/11295, S. 13 f. Mit Kritik an der stiefmütterlichen Behandlung der weiblichen Beschneidung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung Isensee, S. 325. Zur Unzulässigkeit der weiblichen Genitalbeschneidung auch BGH, NJW 2005, 672 (673); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 1174 (1175). Es handelt sich um eine Gefährdung des Kindeswohls, die lediglich bei medizinischer Indikation entfällt. Die weibliche Genitalverstümmelung enthält demütigende Elemente und kann daher vom Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht gedeckt sein. Die Religionsfreiheit ist in diesem Fall nicht ausreichend, um den Eingriff zu legitimieren, dazu BT-Drucks. 17/4759, S. 5; BTDrucks. 17/11430, S. 10; Antomo, S. 427; Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 23; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 226a StGB, Rn. 12 f.; Germann, Körper als Gegenstand der Religionsfreiheit, S. 53; Hoffmann-Holland, S. 9; Höfling, Entscheidung über die Beschneidung, S. 465; Schramm, Ehe und Familie, S. 221 f.; Schramm, Beschneidung von Knaben, S. 140; Schramm, Stellungnahme, 2013, S. 21; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 226a StGB, Rn. 5; Wüstenberg, Schriftliche Stellungnahme, S. 2. Z. T. wird bereits die Schutzbereichseröffnung der Religionsfreiheit abgelehnt, vgl. BT-Drucks. 16/4152, S. 2; Zähle, S. 443. 1251 Dazu oben E. VI. 3. b)–e). 1252 So auch Schreiber/Schott/Rascher u. a., S. 409 f. Intimpiercing verstoßen, obwohl sie grundsätzlich Typ IV zuzuordnen sind, aufgrund der gewandelten gesellschaftlichen Ansichten nicht gegen die guten Sitten. Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 23; BT-Drucks. 16/4152, S. 5. A. A. für einsichts- und urteilsfähige Frauen Hardtung, Stellungnahme, Rn. 23, 76: Die Sittenwidrigkeit ist bei keiner Form der Frauenbeschneidung (einschließlich Infibulation) gegeben; so auch BT-Drucks. 17/ 13707, S. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 226a StGB, Rn. 5. Die Sittenwidrigkeit nur im Einzelfall annehmend Fünfsinn, S. 4. Zur Sittenwidrigkeit einer Einwilligung vgl. oben unter B. III. 2. In Deutschland wird die weibliche Genitalbeschneidung nur aus ästhetischen Gründen vorgenommen oder um das Lustempfinden beim Geschlechtsverkehr zu steigern, vgl. Wüstenberg, Genitalverstümmelung, S. 225. Die Typisierung (auch Typ IV) soll erhalten bleiben, um zu verhindern, dass ansonsten unter dem Deckmantel der Legalität Genitalverstümmelungen dieser Art vorgenommen werden. Kosmetische Eingriffe sind davon nicht umfasst, auch wenn sie den Wortlaut erfüllen können, vgl. WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 28, Annex 2. 1253 BVerfGE 85, 191 (207); 92, 91 (109).
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
279
Art und Weise des Eingriffs sowie dessen Folgen und die Motivation der Eltern nicht vergleichbar, ist eine vollständige Parallelbewertung der Fallgruppen nicht angezeigt. Die Differenzierung würde dann nicht pauschal an das Gesetz, sondern an taugliche Differenzierungsaspekte anknüpfen. b) Vergleichbarkeit der weiblichen mit der männlichen Genitalbeschneidung Damit eine Benachteiligung des weiblichen respektive männlichen Geschlechts durch die geltende Rechtslage verursacht wird, müssen die Eingriffe grundsätzlich vergleichbar sein. Eine grundsätzliche Vergleichbarkeit ist nur gegeben, wenn sich die Genitalmodifikationen in medizinischer (unter [aa]) und motivischer (unter [bb]) Hinsicht sowie unter Einbeziehung möglicher Eingriffsfolgen (unter [cc]) nicht wesentlich unterscheiden. aa) Medizinische Vergleichbarkeit Die Beschneidung der weiblichen Genitalien ist nach Art und Intensität des Eingriffs kein einheitlicher Vorgang. Um eine Vergleichsgrundlage zu schaffen, ist zunächst zu bestimmen, mit welchem weiblichen Körperteil die männliche Vorhaut vergleichbar ist. Der männliche Penis bildet das Pendant zur weiblichen Klitoris.1254 Bei Frauen würde daher die in § 1631d BGB geregelte männliche Beschneidung1255 die alleinige Entfernung der Klitorisvorhaut (Typ I a) bedeuten.1256 Diese Form der weiblichen Genitalbeschneidung sowie leichtere Formen (Typ IV) sind medizinisch mit der männlichen Beschneidung vergleichbar.1257 Dass die alleinige Entfernung der Klitorisvorhaut bei der weiblichen Genitalbeschneidung den absoluten Ausnahmefall bildet,1258 ändert an der grundsätzlichen 1254
Wüstenberg, Schriftliche Stellungnahme, S. 6 Vgl. dazu die Definition oben B. II. 1256 So auch Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 18; Schewe-Gerigk, S. 411; Schramm, Stellungnahme, 2013, S. 6. 1257 Mit diesem Ergebnis auch Putzke, Recht und Ritual, S. 623; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491; Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.18, der allerdings aufgrund der Vergleichbarkeit für ein Verbot der Knabenbeschneidung eintritt; ebenso Walter, Tonio, Das unantastbare Geschlecht; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1112; Manok, S. 43 ff., 158. Zur fehlenden Vergleichbarkeit als Grundlage für das österreichische Strafgesetz, vgl. Bernat, S. 197. 1258 Mit 85% sind die Klitoridektomie (Typ I) und die Exzision (Typ II) die häufigsten Varianten weiblicher Genitalmodifikation, vgl. dazu Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 8; Europäisches Parlament, S. 128, Erwägungsgrund D. Klein, S. 255; Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 18 f., lehnt eine Vergleichbarkeit auch aus diesem Grund ab: Ausschließlich die Entfernung der Klitorisvorhaut würde nie stattfinden, jedenfalls die Spitze der Klitoris (vergleichbar mit der Penisspitze) werde regelmäßig mitentfernt. Die Vermeidung einer Verletzung der Klitoris, bei ausschließlicher Entfernung der Vorhaut, sei fast unmöglich. Dazu, ob die Folgen und 1255
280
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
medizinischen Vergleichbarkeit nichts.1259 Aus juristischer Sicht ist die undifferenzierte Beschränkung der weiblichen Genitalbeschneidung auf deren schwerste Erscheinungsformen, die unzweifelhaft nicht mit der Knabenbeschneidung vergleichbar sind,1260 zu kurz gegriffen. Allein die medizinische Vergleichbarkeit bestimmter Eingriffsintensitäten reicht nicht aus, um eine Beurteilung vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebots zu treffen. Die medizinisch vergleichbaren Beschneidungsformen müssen auch auf weiteren Ebenen einer Vergleichbarkeit zugänglich sein. Die schweren Formen der Genitalbeschneidung scheiden bereits hier aus. bb) Vergleichbarkeit der Motive (1) Die Bedeutung von Mythen und ökonomischen Anreizsystemen Ebenso wie für die Beschneidung männlicher gibt es für die Modifikation weiblicher Genitalien mannigfaltige Gründe. Die vorgebrachten Motive sind nicht selten durch Mythen und/oder Unwissenheit über biologische und medizinische Vorgänge geprägt.1261 Elterliche Entscheidungskatalysatoren sind in vielen Fällen auch ökonomische und soziologische Gründe. In den betroffenen Ländern profitieren neben den „Beschneiderinnen“ häufig auch die Eltern wirtschaftlich von der Genitalverstümmelung der Tochter. Der Brautpreis („Wert“ eines Mädchens bei dessen Hochzeit) korreliert nicht selten mit der Wahrscheinlichkeit der Jungfräulichkeit der Braut, die sich wiederum – je nach Verstümmelungstyp – aufgrund der Genitalmodifikation nachweisen lässt.1262 Gleichzeitig werden unbeschnittene Mädchen in den betroffenen Kulturkreisen oft nicht geheiratet und demnach auch nicht versorgt. In vielen Ländern, in denen die Genitalbeschneidung üblich ist, dürfen sie weder Land noch Geld erben.1263 Für männliche Zirkumzisionen bestehen entsprechende Anreize regelmäßig nicht. Vielmehr soll der Eingriff das Wohlbefinden des betroffenen Jungen dadurch steigern, dass er sich in der Mitte einer religiösen Gemeinschaft findet und gemeinsam mit seinen Eltern den eigenen Glauben leben kann.1264 Auf seine Schwierigkeiten des Eingriffs geeignet sind, die Vergleichbarkeit auszuschließen, vgl. unten E. VIII. 1. b) cc). 1259 A. A. Bielefeldt, S. 78 f.; Hochhuth, sieht in der weiblichen Genitalbeschneidung nicht eine bloße Steigerung der männlichen Beschneidung, sondern ein aliud. Kern/ Köhler, S. 105; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259; Schwarz, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 1126; WHO/UNAIDS, S. 4. 1260 Zu den Folgen dieser Eingriffsformen ausführlich unter E. VIII. 1. b) cc). 1261 Vgl. dazu die umfassenden Ausführungen bei Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 29 ff.; auch WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 11. 1262 Dazu Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 36 f. mit Nachweisen. 1263 Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 40. 1264 Dazu ausführlich oben E. VI. 3. b).
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
281
finanzielle Versorgung zu einem späteren Zeitpunkt hat der Eingriff keine Auswirkungen. Eine verallgemeinernde Betrachtung verbietet sich allerdings auch in diesem Punkt. Eltern, die sich für eine weibliche Genitalbeschneidung ihrer Tochter entscheiden, können auch von anderen Motiven geleitet sein. Die elterliche Motivationslage kann daher einer Vergleichbarkeit entgegenstehen, muss dies aber nicht. (2) Die Bedeutung von Religion, Tradition und Kultur Ähnlich der männlichen Beschneidung spielen auch bei den weiblichen Eingriffsritualen häufig religiöse Gründe eine entscheidende Rolle, auch wenn im Unterschied zur Knabenbeschneidung eine Rückanbindung an bestimmte Glaubensgemeinschaften nicht möglich ist.1265 Ob es sich um ein religiöses Gebot des Islam handelt, ist – auch innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaften – umstritten.1266 Im Koran und in der religiösen Literatur findet die weibliche Genitalbeschneidung keine ausdrückliche Stütze.1267 Auch wenn die Genitalbeschneidung nicht in allen muslimisch geprägten Ländern stattfindet, handelt es sich um eine weitestgehend akzeptierte Glaubensbetätigung, die zum Teil auch den Stellenwert einer „Empfehlung“ bzw. einer „gebotenen Handlung“ erreicht.1268 Eine der männlichen Beschneidung vergleichbare religiöse Verfestigung existiert hingegen nicht. Das allein schließt die Vergleichbarkeit zwischen männlicher und weiblicher Genitalbeschneidung im Ergebnis noch nicht aus.1269 Der Inhalt religiöser Verpflichtungen lässt sich – insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG – nicht allein anhand objektiver Kriterien bestimmen, sondern erfährt Ausfüllung durch die Gläubigen.1270 Empfinden diese die weibliche Genitalbeschneidung als ihre religiöse Pflicht, kann eine entsprechende Entscheidung ebenso wie die Entscheidung für die Knabenbeschneidung, von der elterlichen Religionsfreiheit gedeckt sein. Entspricht es dem Sinn des Eingriffs, das Mädchen als vollwertiges Mitglied in die Gemeinschaft zu in1265
Dazu auch schon oben E. VIII. 1. Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 11; Jerouschek, Beschneidung – Heileingriff, S. 171; Jokisch, S. 161; Rizivi/Naqvi/Hussain u. a., S. 16; WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 6. 1267 So hat der ägyptische Supreme Court bereits im Jahr 1997 entschieden, dass es sich bei der Beschneidung von Mädchen nicht um ein in der Scharia enthaltenes Recht handelt und der Koran keine Erlaubnis derselben enthält, vgl. Rizivi/Naqvi/Hussain u. a., S. 14. 1268 Mit dieser Einschätzung Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 124 und Wüstenberg, Kindeswohlgefährdung, S. 453. 1269 A. A. Spickhoff, Grund, Voraussetzungen und Grenzen, S. 339. Er sieht die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung in der Religion. Dieses Element fehle bei der weiblichen Beschneidung immer. Eine Differenzierung der beiden Beschneidungsformen sei daher möglich. 1270 Siehe dazu ausführlich oben unter E. IV. 2. a) cc) (5). 1266
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
tegrieren und diesem die Kultur des Herkunftslandes zu vermitteln, kann dieser genauso förderlich sein wie der Ritus der männlichen Beschneidung in den islamischen Glaubensgemeinschaften und im Judentum.1271 Die Werte und Ideale, die es durch die Beschneidung zu beachten und denen es Ausdruck zu verleihen gilt, können sich bei der weiblichen und bei der männlichen Beschneidung ähneln.1272 Vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit kann der weiblichen ebenso wie der männlichen Genitalbeschneidung eine religiöse Begründung unterlegt werden. (3) Die Bedeutung sonstiger Motive Ebenso wie bei der männlichen Beschneidung kann es auch bei den weiblichen Eingriffsformen elterliche Motive geben, die die Wirksamkeit einer rechtfertigenden Einwilligung hindern. Sind diese Motive handlungsleitend, scheidet eine Vergleichbarkeit der weiblichen Genitalbeschneidung mit den zulässigen Formen männlicher Beschneidung aus. Der Schutz kindlicher Rechte überwiegt u. a. bei entwürdigenden Maßnahmen.1273 Solche liegen vor, wenn der wahre Grund der Beschneidung die Zügelung des sexuellen Verlangens der Frau ist, wie häufig im islamischen Kulturraum.1274 Ebenso, wenn die Beschneidung dazu dient, Mädchen gefügig zu machen und in ihrer Eigenwilligkeit und Aktivität zu beschränken, was nicht selten durch die psychischen Folgen des Eingriffs und das zugefügte Stigma erreicht wird.1275 Der Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG statuiert in diesen Fällen ein absolutes Einwilligungsverbot.1276 Würden die genannten unzulässigen Motive jeder weiblichen Genitalbeschneidung innewohnen, wären diese immer unzulässig und einem Vergleich mit den zulässigen Formen männlicher Beschneidung nie zugänglich.1277 Eine Pauschalisierung ist aber nicht ohne Weiteres möglich. Solange taugliche Gründe – wie die religiöse Begründetheit – und weitere Vergleichskriterien zusammentreffen, fehlt es nicht an 1271 Zur Förderung des kindlichen Wohlbefindens durch eine Zirkumzision oben E. VI. 3. b)–c). 1272 Mit diesem Ergebnis auch Gollaher, S. 240; a. A. Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 93; Schramm, Ehe und Familie, S. 221 f.; Schwarz, Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung, S. 100; diese Einschätzung krit. hinterfragend Stumpf, S. 146. 1273 Siehe dazu bereits oben E. V. 3. b) bb). Zusammenfassend auch unter E. VI. 2. d). 1274 Dazu Gollaher, S. 244 f. 1275 Dazu Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 11; Europäisches Parlament, S. 129, Erwägungsgrund J; Hochhuth; Kentenich/Utz-Billing, S. 213; Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 41. 1276 Vgl. dazu auch oben E. V. 3. b) bb). 1277 So Exner, S. 186 f., der in dieser Begründung ein taugliches Differenzierungskriterium erkennt. Ähnlich auch Hörnle/Huster, S. 335; dag. Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 379 ff.; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 272. Walter, Tonio, Das unantastbare Geschlecht. A. A. und gleichzeitig Kritik an Höfling, Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 309.
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
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der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der weiblichen und männlichen Genitalbeschneidung. cc) Vergleichbarkeit der Eingriffsfolgen Schließlich müssten die männliche und weibliche Beschneidung auch in ihren Folgen vergleichbar sein. Die weibliche Genitalbeschneidung hat in den meisten ihrer Erscheinungsformen verheerende gesundheitliche Folgen1278 und entbehrt gleichzeitig – in jeder Typisierungsform – der Vermutung eines präventiv-medizinischen Vorteils.1279 Mögliche Eingriffsfolgen, insbesondere ausgelöst durch die Durchführung unter unhygienischen Bedingungen, sind Entzündungen, die Ansteckung mit Tetanus, HIV und anderen Infektionskrankheiten, aber auch Traumata des benachbarten Gewebes und akute Probleme beim Wasserlassen.1280 In Fällen mit besonders schweren Eingriffsfolgen kommt es zu Verletzungen innerer Organe, häufig ausgelöst durch anatomische Unkenntnis der Beschneiderin.1281 Abhängig von der Eingriffsintensität und der Erreichbarkeit medizinischer Hilfe, sterben Schätzungen zufolge zwischen 3% und 30% der betroffenen Mädchen an den Folgen des Eingriffs.1282 Neben den unmittelbaren Folgen kann die weibliche Genitalbeschneidung auch Spätfolgen verursachen. So kann der Geburtsvorgang beschnittener Mütter mit einem erhöhten Risiko für die Gesundheit von Mutter und Kind belastet sein.1283 Aber auch psychische Schäden sind möglich. Die Entfernung eines intakten Körperteils kann für die betroffenen Mädchen ein traumatisches Erlebnis darstellen, das Auswirkungen auf ihr gesamtes weiteres Leben zeichnet. Zurückbleiben können psychische und physische Deformationen1284 und zwar unabhängig davon, ob die Beschneidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird.1285 Zu den konkreten Folgen zählen u. a. Verhaltensstörungen, ein geringes Selbstwertgefühl und Einschränkungen in Bezug auf das Sexualleben.1286 1278
Hochhuth. So auch Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 135. Zu der Vergleichbarkeit zwischen männlicher und weiblicher Beschneidung auch Ringel/Meyer. 1280 Bundesministerium für Familie, Genitale Verstümmelung, S. 15 ff.; Rosenke, Verstümmelung, S. 377; Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 47 ff.; WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 33 ff., Annex 5: Health complications of female genital mutilation. 1281 Rosenke, Verstümmelung, S. 378. 1282 Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 48. Für die männliche Beschneidung dazu E. VI. 2. b) bb) (1). 1283 WHO, Eliminating female genital mutilation, S. 34, Annex 5: Health complications of female genital mutilation. 1284 Dazu Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 42 f. Für die männliche Beschneidung dazu auch oben E. VI. 2. b) bb) (3). 1285 BGH NJW 2005, 672 (673). 1286 Rosenke, Die rechtlichen Probleme, S. 51 ff. Für die männliche Beschneidung dazu E. VI. 2. b) bb) (4). 1279
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Bei den genannten Eingriffsfolgen handelt es sich mitunter um solche, die die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit erheblich beeinträchtigen. Diese Folgen in ihrer Gesamtheit einzubeziehen, würde eine Vergleichbarkeit zwischen männlicher und weiblicher Genitalbeschneidung verhindern.1287 Da sich die Vergleichbarkeit bereits aufgrund der Eingriffsintensität nur auf Fälle des Typs I a oder leichtere Formen weiblicher Genitalbeschneidung beziehen kann,1288 müssen nur die Folgen dieses Eingriffstyps einer Vergleichbarkeitsprüfung standhalten. Bei dieser Eingriffsform treten hauptsächlich leichte Komplikationen, wie Infektionen oder Wundheilungsstörungen, auf.1289 Das Risiko kann durch die Einhaltung des ärztlichen Standards wie in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB ebenfalls gefordert, insbesondere durch Beschneidung in einem sterilen Umfeld unter hygienischen Bedingungen, auch hier weiter abgemildert werden. Die psychischen Belastungen entstehen hauptsächlich bei den schweren Formen der weiblichen Genitalbeschneidung, die einem Vergleich und einer rechtfertigenden Einwilligung der Personensorgeberechtigten bereits aus anderen Gründen nicht zugänglich sind.1290 Die Art und Häufigkeit der Komplikationen, die bei der weiblichen Beschneidung in den afrikanischen Ländern häufig zu beobachten sind, kann daher nicht als die Vergleichbarkeit der Beschneidungen ausschließendes Kriterium gesehen werden.1291 Die medizinisch vergleichbaren Eingriffsformen sind auch nicht aufgrund der Eingriffsfolgen einer Vergleichbarkeit generell entzogen. dd) Ergebnis der Vergleichbarkeitsanalyse der männlichen und weiblichen Genitalbeschneidung Die meisten Formen weiblicher Genitalbeschneidung unterscheiden sich bereits durch die Eingriffsintensität von der in § 1631d BGB geregelten Knabenbeschneidung1292 und sind einer Vergleichbarkeit bereits aus diesem Grund nicht zugänglich.1293 Aber auch bei den aus medizinischer Sicht vergleichbaren oder leichteren Eingriffsformen trägt das Argument der Vergleichbarkeit meist nur vordergründig. Will die männliche Beschneidung die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft herbeiführen oder bestätigen, existieren für das weibliche 1287 Vgl. zu den möglichen gesundheitlichen Folgen einer männlichen Zirkumzision insgesamt E. VI. 2. b) bb). 1288 Vgl. dazu bereits unter E. VIII. 1. b) aa). 1289 Munhoz/Filassi/Ricci u. a., S. 1242. 1290 Vgl. dazu bereits E. VIII. 1. b) bb) (3). 1291 A. A. Germann, Die grundrechtliche Freiheit, S. 93; so auch Schramm, Ehe und Familie, S. 221 f. 1292 Vgl. zur Definition des Beschneidungsbegriffs in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB unter B. II. 1293 Dazu E. VIII. 1. b) aa).
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
285
Pendant mannigfaltige Gründe und liegt die Motivation häufig in einem Motivbündel begründet. Neben religiösen Gründen und traditionellen Verpflichtungen spielen auch Mythen, Unwissenheit sowie nicht selten die Vorherrschaft des männlichen Geschlechts in den betroffenen Kulturkreisen eine entscheidende Rolle. So dienen weibliche Genitalmodifikationen oft primär der Unterdrückung von Frauen und Mädchen und symbolisieren die untergeordnete Stellung weiblicher Gesellschaftsmitglieder.1294 Auch in religiöser Hinsicht steht die weibliche Genitalbeschneidung nicht auf einem mit der männlichen Beschneidung vergleichbaren Begründungssockel.1295 Dies schließt jedoch nicht per se aus, dass es Formen und Konstellationen weiblicher Genitalbeschneidungen gibt, die sich mit den in § 1631d BGB geregelten männlichen Formen des Eingriffs vergleichen lassen. Begreifen die Personensorgeberechtigten die Beschneidung der Tochter als religiös verpflichtendes Gebot, wollen nur die mit der männlichen Form vergleichbare Art oder eine „leichtere“ Form der Beschneidung vornehmen lassen, sind von keinen untauglichen Motiven geleitet und befolgen die in § 1631d BGB normierten respektive anzupassenden Voraussetzungen, besteht eine Vergleichbarkeit zwischen den Geschlechtern. Auch wenn dies in praxi höchst selten der Fall ist.1296 Die religiöse Begründetheit kann dabei nicht, wie im Fall der Knabenbeschneidung meist, unterstellt werden, sondern ist aufgrund der fehlenden Einheitlichkeit der Praxis in den betroffenen Glaubensgemeinschaften begründungsbedürftiger. Hier steht die weibliche Genitalbeschneidung vor weit höheren Argumentationshürden als der vergleichbare Eingriff am männlichen Körper, spricht die Vermutung eher für ein unzulässiges elterliches Motiv. Eine für die elterliche Entscheidung nachvollziehbare Begründung des Eingriffs schließt dies aber nicht aus. Das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität minderjähriger Jungen wird damit weniger geschützt als die der Mädchen und Frauen; vice versa können die Eltern nur in die Knabenbeschneidung wirksam einwilligen. Nach jetziger Rechtslage besteht eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte.1297
1294
Dazu bereits E. VIII. 1. b) bb) (3). Dazu E. VIII. 1. b) bb) (2). 1296 Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 423, hält eine solche Konstruktion für „weitgehend spekulativ“. Mit diesem Ergebnis auch Steinbach, S. 6 f. 1297 Mit diesem Ergebnis auch Grams, S. 336; Hardtung, Stellungnahme, Rn. 78 f.; Mandla, S. 247 f.; Manok, S. 157; Putzke, Beschneidungsgesetz, S. 591; Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 353; Ringel/ Meyer, S. 85; Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 368, 370, 382, 388; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 270, 273; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1112; Walter, Tonio, Das unantastbare Geschlecht. A. A. Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 37; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491, sieht auch in dem Vorschlag von Heinig (dazu oben D. V. 2.) eine potenzielle Ungleichbehandlung von Mädchen und Jungen. 1295
286
E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
c) Fehlende Rechtfertigungsmöglichkeit der Ungleichbehandlung und legislative Folgen § 1631d BGB und § 226a StGB knüpfen die unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen – in den Beschneidungsformen, die vergleichbar sind – allein an das Geschlecht.1298 Dies ist unter Berücksichtigung des Benachteiligungsverbots in Art. 3 Abs. 3 GG nur zulässig, soweit eine ungleiche Behandlung „zwingend erforderlich“ ist „zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können“ 1299. Dies ist bei den vergleichbaren Beschneidungsformen nicht der Fall.1300 Auch wenn die weibliche Genitalbeschneidung häufig verwerflichen und nicht zu tolerierenden Zwecksetzungen folgt, kann dies nicht unreflektiert pauschalisiert werden. Bestehende staatliche Kontrollmechanismen sind zur Überprüfung der Einhaltung von Vorschriften wirksam einzusetzen. Geschieht dies, sind das grundsätzliche Verbot weiblicher Genitalbeschneidung zum Schutz von einzelnen Opfern und die fehlende Einwilligungsmöglichkeit der Eltern in Bezug auf diesen Eingriff nicht gerechtfertigt. Zwingende Gründe für eine Differenzierung sind nicht ersichtlich.1301 Eine Ungleichbehandlung – trotz fehlender zwingender Gründe – ist vor dem Schutzgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG, der das Gebot der Gleichberechtigung auf die „gesellschaftliche Wirklichkeit“ 1302 spiegelt, nur aufgrund von kollidierendem Verfassungsrecht möglich.1303 Der Gesetzgeber macht davon i. d. R. Gebrauch, um faktische Nachteile von Frauen auszugleichen.1304 Die Grundlage der elterlichen Erlaubnis zur Einwilligung in eine Zirkumzision liegt im Elternrecht und der Religionsfreiheit.1305 Diese Begründungsstränge lassen sich gleichsam für die weibliche Genitalbeschneidung fruchtbar machen. Die grundgesetzlichen Abwägungsentscheidungen sind vergleichbar. Die Differenzierung zwischen weiblicher und männlicher Genitalbeschneidung lässt sich nicht rechtfertigen.1306 1298
Vgl. dazu die Ausführungen oben unter E. VIII. 1. b). BVerfGE 85, 191 (207); 92, 91 (109). 1300 Mit diesem Ergebnis auch Ringel/Meyer, S. 85. A. A. Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 423. Es handelt sich um ein allein männliche Personen betreffendes Phänomen. 1301 Ein solcher Grund kann auch nicht sein, den Jungen die Zirkumzision in der Illegalität zu ersparen. Diese Zielsetzung muss für die weibliche Genitalbeschneidung in gleicher Weise gelten, so auch Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1112. Siehe dazu auch unter E. VII. 2. d) aa). 1302 BVerfGE 85, 109 (109; dazu auch 209 f.); 92, 91 (109). 1303 BVerfGE 92, 91 (109). 1304 BVerfGE 92, 91 (109); 74, 163 (180). 1305 Dazu genauer unter E. IV. 1306 Scheinfeld, Die Knabenbeschneidung, S. 368, 370, 382, 388, mit der Folge, dass alle Formen der Beschneidung nicht mit dem GG in Einklang gebracht werden können; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 270, 273. Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1112. 1299
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
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Ein grundsätzliches Verbot der männlichen Beschneidung ist aufgrund der Bedeutung elterlicher Grundrechte nicht möglich.1307 Folglich muss die Sanktionierung vergleichbarer weiblicher Formen der Genitalbeschneidung ausscheiden. Da mit einer kurzfristigen Änderung der Rechtslage nicht zu rechnen ist, bleibt allein die Möglichkeit zur analogen Anwendung des § 1631d BGB auf die entsprechenden Beschneidungsformen bei Mädchen1308 sowie eine entsprechende Auslegung der Tatbestandsmerkmale in § 226a StGB. Die Ausnahmeregelung in § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB verhindert eine generelle analoge Anwendung auf die Beschneidung von Mädchen dabei nicht. Eine Kindeswohlgefährdung liegt nach den Vorgaben der Gesetzesbegründung auch bei der Mädchenbeschneidung nicht grundsätzlich vor.1309 Eine andere Beurteilung bezogen auf den jeweiligen Einzelfall bleibt hingegen möglich. Bei den vergleichbaren Beschneidungsformen muss das Tatbestandsmerkmal der „Verstümmelung“ in § 226a Abs. 1 StGB entsprechend teleologisch reduziert werden.1310 Eine Anwendung des Straftatbestandes § 226a StGB auf die Knabenbeschneidung ist hingegen wegen Art. 103 Abs. 3 GG nicht möglich,1311 aufgrund der Verfassungsgemäßheit der elterlichen Entscheidung für eine rituelle Zirkumzision aber auch nicht geboten. De lege ferenda sollte § 226a StGB auch dahin gehend geändert werden, die Verstümmelung männlicher Genitalien zu erfassen und so das Schutzniveau von Knaben und Männern zu erhöhen.1312 Die Beschneider/Innen haben den gleichen Anforderungen zu genügen und auch die übrigen Voraussetzungen sind in gleicher Weise einzuhalten.1313 Rechtspoltisch sollte eine neutrale Formulierung im BGB gewählt werden. Durch diese Anwendungsausweitung des § 1631d BGB sind keine Ausuferungen zu befürchten. Die strengen Voraussetzungen der Vorschrift sind einzuhalten. Zudem sind die leichten Formen der Genitalbeschneidung äußerst selten und die notwendigen Einschränkungen, die sich bereits für die männliche Zirkumzision ergeben auch ausreichend, um ein taugliches Schutzniveau für Mädchen zu gewährleisten. Die unterschiedlichen Vorschriften statuieren eine
1307
Siehe dazu das Ergebnis der Abwägungsentscheidung oben unter E. VI. 6. Mit diesem Ergebnis auch Hardtung, Stellungnahme, Rn. 24, 26, 47, 78 f.; Ringel/Meyer, S. 74, 88 f. Dag. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 226a StGB, Rn. 14. Die fehlende Möglichkeit zur Rechtfertigung der Knabenbeschneidung lässt sich auch auf die weibliche Genitalbeschneidung übertragen. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Manok, S. 159, sieht aufgrund einer fehlenden Gesetzeslücke eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift nicht als gangbaren Weg. 1309 Hardtung, Stellungnahme, Rn. 79. 1310 So auch Lackner, in: Lackner/Kühl, § 226a StGB, Rn. 3. 1311 Lackner, in: Lackner/Kühl, § 226a StGB, Rn. 1. 1312 Die männliche Genitalverstümmelung ist z. B. von § 90 Abs. 3 öStGB ebenfalls erfasst. Siehe dazu auch Gleixner-Eberle, S. 94 ff. 1313 Zur Ungleichbehandlung zwischen den Beschneidern männlicher und weiblicher Kinder vgl. auch Ringel/Meyer, S. 106. 1308
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen Jungen und Mädchen.1314 Der Gesetzgeber hat seinen Gestaltungsspielraum überschritten, da sachlich einleuchtende Gründe für die unterschiedliche Behandlung nicht erkennbar sind.1315 2. Die Benachteiligung respektive Bevorzugung aufgrund der elterlichen Motivation Gründe des Glaubens oder der religiösen Anschauung1316 sind nicht geeignet, eine Bevorzugung oder Benachteiligung zu legitimieren (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG). Inhaltlich lässt sich der Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, bezogen auf diesen Bereich, wie folgt umreißen: Solange und soweit sich ein Verhalten in den Grenzen der durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verbürgten Rechte bewegt, kann eine Benachteiligung nicht gerechtfertigt werden. Gleichzeitig darf Dritten durch Geltendmachung dieser Rechte kein Nachteil entstehen.1317 Die Beachtung kindlicher Rechte führt bei der Bestimmung elterlicher Entscheidungsmacht dazu, dass die Einwilligungsmöglichkeit im Wesentlichen auf eine rein religiös motivierte Zirkumzision beschränkt ist.1318 Sowohl Muslime als auch Juden können die Beschneidung auf Grundlage des § 1631d BGB durchführen. Damit sind religiöse – durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG getragene – Gründe eine Möglichkeit zur Legitimation elterlicher Entscheidung pro Zirkumzision. Eine Benachteiligung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG findet nicht statt. Personensorgeberechtigte hingegen, die eine Zirkumzision allein aus ästhetischen oder medizinischen Gründen veranlassen wollen, können nicht zulässig in den Eingriff einwilligen.1319 Die Differenzierung erfolgt nicht aufgrund eines der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Gründe. Der Rückgriff auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG ist möglich.1320 Die Vorschrift untersagt die Un-
1314 Mit diesem Ergebnis auch Grams, S. 336; Hardtung, Stellungnahme, Rn. 78 f.; Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491; Mandla, S. 247 f.; Putzke, Beschneidungsgesetz, S. 591; Putzke, Gesetzgeber hat der Teufel geritten, S. 3; Putzke, Beschneidungsdebatte, S. 353; Ringel/Meyer, S. 85; Scheinfeld, Knabenbeschneidung, S. 368, 370, 382, 388; Scheinfeld, Erläuterungen, S. 270, 273; Walter, Tonio, Gesetzentwurf, S. 1112; Walter, Tonio, Das unantastbare Geschlecht. 1315 Zum Prüfungsmaßstab einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung siehe auch BVerfGE 50, 142 (162) m.w. N. 1316 Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 68: Eine Unterscheidung innerhalb dieser, ein Differenzierungsverbot auslösender Gründe findet in der juristischen Betrachtung nicht statt. 1317 Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 72. 1318 Siehe dazu ausführlich unter E. VI. 6. In der vorgeschlagenen Neuregelung im RelKErzG (dazu oben D. VI. 2.) aus Gründen des Ausschlusses von kulturell motivierten Zirkumzisionen eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sehend Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 491. 1319 Dazu unter E. VI. 6. 1320 Dazu Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 14.
VIII. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz
289
gleichbehandlung von wesentlich Gleichem.1321 Die religiös motivierte Zirkumzision ist bereits nicht mit einer Zirkumzision aus ästhetischen oder gesundheitsprophylaktischen Gründen vergleichbar.1322 Die religiöse Motivation der Eltern ist das entscheidende Element bei der Legitimation einer Beschneidung. Die Differenzierung findet ihren Anknüpfungspunkt zulässig im Schutz kindlicher Rechte und behandelt damit Ungleiches ungleich. 3. Ungleichbehandlung sonstiger kindlicher Körpermodifikationen aufgrund religiöser bzw. kultureller Motivation Besteht die Möglichkeit zur elterlichen Einwilligung in die Zirkumzision (§ 1631d Abs. 1 BGB), muss der Blick auch auf sonstige Körpermodifikationen aus religiösen oder kulturellen Gründen gerichtet werden. Dass der Zirkumzision ähnliche Eingriffe anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland nicht (jedenfalls nur äußerst selten) vorgenommen werden,1323 schließt eine grundgesetzlich relevante Ungleichbehandlung nicht per se aus. Um dem grundrechtlichen Schutz des Art. 3 Abs. 1 GG zu unterfallen, haben diese Eingriffsarten allerdings die Hürde der Vergleichbarkeit zu nehmen. Dies erfordert neben einer zumindest vergleichbaren religiösen oder kulturellen Motivation der Eltern in der Folge des Eingriffs auch vergleichbare Auswirkungen für das betroffene Kind. Viele Rituale in sonstigen Kulturkreisen haben irreversible Auswirkungen auf das – für jeden erkennbare – äußere Erscheinungsbild, z. B. das Gesicht des betroffenen Kindes, sodass es bereits aus diesem Grund an der Vergleichbarkeit zur männlichen Zirkumzision und folglich an einer grundrechtlich relevanten Ungleichbehandlung fehlt.1324 Im Ergebnis bleibt die Beurteilung anhand des Einzelfalls entscheidend. 4. Ungleichbehandlung aufgrund des Alters, von rituellen Beschneidern und Ärzten sowie aufgrund des Glaubens § 1631d Abs. 2 BGB lässt die Zirkumzision nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes nur durch einen Arzt, davor auch durch einen rituellen Beschneider, zu.1325 Ab diesem Zeitpunkt ist zum Schutz kindlicher Rechte immer eine Vollnarkose erforderlich. Letztere steht unter einem generellen Arztvorbehalt.1326 1321
BVerfGE 50, 142 (162). So auch, ohne nähere Begründung, Walter, Christian, Stellungnahme, S. 4. 1323 So auch Walter, Christian, Stellungnahme, S. 4. 1324 A. A. Herzberg, Aspekte der Genitalbeschneidung, S. 310. Andere Riten seien verboten. Das sei ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. 1325 Der Zentralrat der Muslime in Deutschland sieht Bedarf, diese Regelung vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz kritisch zu hinterfragen, vgl. Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V., ZMD begrüßt Straffreiheit. 1326 Siehe dazu bereits oben E. VI. 5. e). 1322
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
Ärzte bürgen aufgrund ihrer universitären Ausbildung, welche die Voraussetzung für die Ausübung des Arztberufs darstellt, grundsätzlich für eine ordnungsgemäße Schmerzbehandlung und eine dem medizinischen Standard entsprechende Durchführung des Eingriffs. Rituelle Beschneider haben ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf den Eingriff nach geltender Rechtslage nicht gegenüber einer staatlichen Stelle nachzuweisen.1327 Das reduziert das Schutzniveau für den vor Vollendung des sechsten Lebensmonats von dem Eingriff betroffenen Jungen. Die Kinder werden aufgrund einer Differenzierung nach ihrem Alter ungleich behandelt.1328 Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters ist – aufgrund fehlender besonderer Differenzierungsverbote – an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen,1329 soweit das Verbot der Differenzierung nicht bereits aufgrund eines speziellen Freiheitsrechts abgedeckt ist.1330 Als solches kommt der Schutz körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 GG in Betracht. Das Erfordernis der Schmerzbehandlung durch einen Arzt besteht in jedem Alter, da die eingriffsärmere Schmerzmedikation keine ausreichende Schmerzlinderung sichert bzw. für die Schmerzbehandlung nicht zugelassen ist.1331 Die Schmerzmedikation hat immer durch einen approbierten Mediziner zu erfolgen. Eine Differenzierung aufgrund des Alters ist hier bereits wegen der staatlichen Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht haltbar.1332 Muss nach dieser Erkenntnis immer ein Arzt die Schmerzbehandlung vornehmen und verbleibt für den rituellen Beschneider auch vor Vollendung des sechsten Lebensmonats des Zirkumzidenten nur der Bereich des operativen Eingriffs selbst, kann der rituelle Beschneider ohne tauglichen Differenzierungsgrund benachteiligt werden respektive das Schutzniveau für den betroffenen Jungen unzulässig herabgesetzt sein. Da auch weiterhin unterschiedliche Anästhesiemethoden verwendet werden, besteht ein taugliches Differenzierungskriterium.1333 Durch den Arztvorbehalt wird das Schutzniveau für das betroffene Kind erhöht. Zudem besteht für die Ausdehnung der Frist auch kein religiöses Bedürfnis. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist dadurch nicht verletzt.1334 Darüber hinaus zeichnet § 1631d Abs. 2 BGB erhebliche praktische Auswirkungen, die eine Differenzierung aufgrund der Glaubenszugehörigkeit darstellen 1327
Dazu bereits oben E. VI. 5. b). Grams, S. 334; Ringel/Meyer, S. 107, sehen aufgrund der Anforderungen, die an approbierte Mediziner gestellt werden, hier auch eine Ungleichbehandlung zwischen rituellen Beschneidern und Ärzten zu Lasten Letzterer. Mit diesem Ergebnis auch Manok, S. 160 f. 1329 Langenfeld, in: Maunz/Dürig, 74. Egl. 2015, Art. 3 Abs. 3 GG, Rn. 14. 1330 Zum Verhältnis von Freiheits- und Gleichheitsrechten vgl. Kischel, in: Epping/ Hillgruber, Art. 3 GG, Rn. 5. 1331 Vgl. dazu ausführlich oben unter E. VI. 4. e). 1332 Dazu bereits E. VI. 5. e). 1333 Dazu E. VI. 5. e). 1334 A. A. Brocke/Weidling, S. 459; Manok, S. 161 ff. 1328
IX. Zusammenfassung der grundrechtlichen Prüfung
291
können. Innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaften bestehen keine dem Judentum vergleichbare Regelungen hinsichtlich des Beschneidungszeitpunktes. Muslimische Jungen können aus religiöser Sicht unschädlich in fortgeschrittenem Alter zirkumzidiert werden, was auch häufig geschieht.1335 § 1631d Abs. 2 BGB begünstigt demnach hauptsächlich die Durchführung der Zirkumzision durch Mohalim. Muslimische Beschneider, Kinder und Eltern können dadurch rechtlich relevant benachteiligt sein.1336 Diese unterschiedliche Möglichkeit ist allerdings nicht durch das Gesetz verursacht, sondern knüpft an andere (wenn auch nicht durchschlagende) Gründe – wie den Schutz des Kindes – an.1337 Muslime und Juden haben im Rahmen der gesetzlichen Grenzen gerade die gleichen rechtlichen Möglichkeiten. Die Zulässigkeit der Differenzierung ergibt sich aus der „Gleichheit des Angebots“.1338
IX. Zusammenfassung der grundrechtlichen Prüfung Der Gesetzgeber hat seine Gesetzgebungszuständigkeiten sowie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gewahrt.1339 Allerdings lässt sich eine Beschneidung aus anderen als religiösen Gründen nicht mit den Rechten des Kindes vereinbaren. § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB kann dieser Erkenntnis entsprechend ausgelegt werden, was jedoch zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt. Die Vorschrift sollte daher dahin gehend angepasst werden, dass ausdrücklich nur religiös motivierte Beschneidungen zulässig sind.1340 Wird der Eingriff aus religiösen Gründen vorgenommen, wird den Rechten des Kindes nur genügt, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dieser geeignet ist, das kindliche Wohlbefinden zu fördern. Eine religiös motivierte Zirkumzision kann dafür generell geeignet sein.1341 Ohne einen wahrscheinlichen psychischen Nutzen überwiegt die Schwere des Eingriffs mit der Folge, dass die elterliche Einwilligung ausscheiden muss. Die Prognose einer ausreichenden Wohlbefindensförderung orientiert sich dabei am Beschneidungswunsch der Eltern, dessen Fundiertheit sowie dem Beschneidungswunsch des Kindes.1342 Besteht eine ausreichende Wahrscheinlichkeitsprognose, hat sich auch die konkrete Ausführung des Eingriffs an den kindlichen Rechten zu orientieren. Indem der Gesetzgeber die Einhaltung der „Regeln der ärztlichen Kunst“ zu einer zen1335
Dazu auch C. II. Dazu Scheinfeld, Erläuterungen, S. 270 f. 1337 So auch Manok, S. 160. A. A. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.18. Er sieht keinen rechtlich relevanten Grund für die Differenzierung. 1338 Dazu Heckel, Zukunftsfähigkeit, S. 745. 1339 Dazu im Detail unter E. II. sowie unter E. III. 1340 Dazu E. VI. 2. d). 1341 Dazu E. VI. 3. b). 1342 Dazu E. VI. 3. c). 1336
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E. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit dem Verfassungsrecht
tralen Einwilligungsvoraussetzung gemacht hat (vgl. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB), hat er einen erheblichen Beitrag zum Schutz kindlicher Rechte geleistet. Die Regeln der ärztlichen Kunst sind nur eingehalten, wenn der konkrete Eingriff diesen genügt und die Schmerzbehandlung durch einen approbierten Mediziner erfolgt. Der für die Schmerzbehandlung bestehende generelle Arztvorbehalt sollte ausdrücklich in den Gesetzestext integriert werden, da sich ein solcher nicht eindeutig aus der geltenden Regelung entnehmen lässt. Vielmehr lässt § 1631d Abs. 2 BGB den rituellen Beschneider ohne entsprechende Einschränkungen zur Beschneidung zu.1343 Ebenfalls notwendig ist die Aufklärung der Eltern und – je nach Entwicklungsstand – des betroffenen Kindes sowie die Beachtung des kindlichen Willens.1344 Die Anforderungen, die § 1631d Abs. 2 BGB an die rituellen Beschneider stellt, reichen inhaltlich aus, um ein ausreichendes Schutzniveau für das betroffene Kind zu statuieren. Zusätzlich ist allerdings erforderlich, dass diese Voraussetzungen auch formal abgesichert werden. Eine Beurteilung der Möglichkeiten des rituellen Beschneiders, den Eingriff ordnungsgemäß durchzuführen ex post, ist dafür nicht ausreichend.1345 Eine staatliche Kontrollmöglichkeit sowie Nachweisverpflichtungen können unter Wahrung der Berufsfreiheit respektive der allgemeinen Handlungsfreiheit der rituellen Beschneider sowie der Wahrung der Rechte der Eltern und der Religionsgemeinschaften etabliert werden.1346 Dadurch lässt sich auch das Schutzniveau für das betroffene Kind erhöhen und Sicherheit für Eltern und Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Geeignetheit ritueller Beschneider herbeiführen. Die Normierung der konkreten Anforderungen, die an rituelle Beschneider zu stellen sind, in einer Rechtsverordnung ermöglicht eine flexible Reaktion auf Reformbewegungen innerhalb der betroffenen Glaubensgemeinschaften. Haben diese taugliche Ausbildungsinstitutionen und Fortbildungsveranstaltungen eingerichtet, können in diesem Rahmen absolvierte Aus- und Fortbildungen durch die staatlichen Stellen akzeptiert werden.1347 Die unterschiedliche Recht lässt sich nicht § 1631d BGB muss für net werden.1348 Weitere verursacht.1349 1343 1344 1345 1346 1347 1348 1349
Behandlung von Jungen und Mädchen nach geltendem mit dem Benachteiligungsverbot in Einklang bringen. vergleichbare Eingriffe in den weiblichen Körper geöffUngleichbehandlungen werden durch die Vorschrift nicht
Dazu E. VI. 5. e). Dazu E. VI. 4. c) sowie für die rituellen Beschneider E. VI. 5. c). Dazu E. VI. 5. b). Dazu E. VII. 2. d). Dazu E. VII. 2. d) cc) (6) (b)–(c). Dazu E. VIII. 1. Dazu E. VIII. 2.–4.
F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht I. Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen (KRK) Der KRK1 kommt in Deutschland der Rang eines Bundesgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG i.V. m. Art. 25 GG) zu. Sie bindet Rechtsprechung und vollziehende Gewalt nach Art. 20 Abs. 3 GG. Um Kollisionen zwischen dem Völkerrecht und deutschen Rechtsquellen zu vermeiden, gilt das Prinzip völkerrechtskonformer Auslegung für das innerstaatliche Recht.2 Die Vorschriften können die inhaltliche Auslegung der Grundrechte beeinflussen. Die Zirkumzision, wie sie in § 1631d BGB von der elterlichen Einwilligung gedeckt sein kann, kann den Verpflichtungen aus der Konvention zuwiderlaufen. Die grundrechtliche Abwägungsentscheidung, die die religiös motivierte Zirkumzision deckt, müsste unter diesen Umständen einer erneuten Überprüfung unterzogen werden. 1. Die Beurteilung der männlichen Zirkumzision im Lichte der KRK Die Konvention ist in ihrer Gesamtheit dem Schutz kindlicher Rechte verschrieben. Die besondere Schutzbedürftigkeit dieser Gesellschaftsmitglieder ergibt sich primär aus ihrer „mangelnden körperlichen und geistigen Reife“,3 aufgrund derer sie sich nicht selbst ausreichend gegen Eingriffe in ihre Rechte zur Wehr setzen können. Ebenso wie im Grundgesetz ist der Schutz des Lebens, als Basis aller weiteren Rechte, umfassend geschützt (Art. 6 Abs. 1 KRK). Dieses kindliche Recht wird durch die Möglichkeit der elterlichen Einwilligung in eine Zirkumzision (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB) nicht beeinträchtigt.4 Darüber hinaus schützt Art. 6 Abs. 2 KRK die „(gesundheitliche) Entwicklung des Kindes“ 5 hin 1 Das Übereinkommen wird z. T. auch als UN-Kinderrechtskonvention bezeichnet. Die Konvention wurde im Jahr 1990 verabschiedet und trat am 5.4.1992 in Kraft (Bekanntmachung v. 10.7.1992 in BGBl. II, S. 990 ff.). Einen ursprünglich bestehenden Vorbehalt hat die BRD am 15.7.2010 zurückgenommen, sodass die Konvention jetzt ohne Einschränkungen Geltung beansprucht. 2 BVerfGE 111, 307 (317); 128, 282 (306). 3 Präambel der KRK. 4 Dazu auch die Ausführungen zum Schutzniveau von Art. 2 Abs. 2 GG oben E. V. 3. a) sowie E. VI. 1. So auch Kelle, S. 126 f. 5 Bundesministerium für Familie, Übereinkommen, S. 48.
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F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht
zu einem gesunden, selbstbestimmt agierenden Erwachsenen. In weiteren Vorschriften stellt der Konventionstext klar, welche Verhaltensweisen die kindlichen Entwicklungsmöglichkeiten aus gesundheitlicher Perspektive jedenfalls unzulässig beeinträchtigen.6 Im Zusammenhang mit der religiös motivierten Zirkumzision von Relevanz ist die Verpflichtung der Vertragsstaaten, „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen“ (Art. 24 Abs. 3 KRK).7 Ein Brauch bezeichnet dabei „eine innerhalb einer Gemeinschaft fest gewordene und in bestimmten Formen ausgebildete Gewohnheit“ 8. Die religiös motivierte Beschneidung folgt festen Regeln und einer langen Tradition. Sie wird als religiöses Gebot nicht hinterfragt und seit Jahrtausenden nahezu unverändert durchgeführt.9 Damit erfüllt die religiös motivierte Knabenbeschneidung den Begriff des überlieferten Brauchs,10 der nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn er für die kindliche Gesundheit schädlich ist.11 Die – in eine andere Richtung weisende – Entstehungsgeschichte der Vorschrift hindert die Einordung der rituellen Zirkumzision als schädlichen Brauch nicht, auch wenn bei Abfassung der Vorschrift nicht davon ausgegangen wurde, dass die männliche Beschneidung einen schädlichen Brauch in diesem Sinne darstellt.12 Insgesamt haben 193 und damit die meisten Staaten der Erde die KRK ratifiziert.13 Unter den Unterzeichnern finden sich auch solche, namentlich Israel und die Türkei, in deren religiöser Tradition die männliche Zirkumzision fest verankert ist.14 Die grundsätzliche Zulässigkeit der männlichen Zirkumzision an 6
Bundesministerium für Familie, Übereinkommen, S. 48, 71. Der in Art. 30 KRK statuierte Minderheitenschutz geht Art. 24 Abs. 3 KRK vor, vgl. Willutzki, Zum Umfang der Personensorge. Bei der jüdischen und islamischen Glaubensgemeinschaft und deren Angehörigen handelt es sich in der BRD nicht um Minderheiten i. S. d. Vorschrift. Darüber hinaus widerspricht es nicht dem Schutz von Minderheiten, deren religiöse Gewohnheiten – wie die rituelle Zirkumzision – zum Schutz der Kinder bestimmten Anforderungen zu unterwerfen. Siehe dazu auch unter F. IV. 8 Duden, abrufbar unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/Brauch (30.5.2016). 9 Siehe dazu auch unter C. I. 1. und C. II. 1. 10 So auch Bauer, S. 212. 11 Dazu auch Kelle, S. 125; Wapler, S. 542. 12 A. A. Merkel, in: Deutscher Bundestag, Protokoll der 102. Sitzung (Protokoll Nr. 74), 2012, S. 60; Merkel, Stellungnahme, S. 1. Das Argument, die Geschichte der Konvention spreche gegen die Einbeziehung der rituellen Beschneidung, ist nicht korrekt: Innerhalb des völkerrechtlichen Vertrags sollte keine Entscheidung getroffen werden, die beteiligten Staaten sollten den Umgang mit der Beschneidung männlicher Genitalien selbst regeln. Es ging folglich bei der Entstehung der Konvention nicht darum, die männliche Beschneidung nicht zu erfassen. 13 Vgl. dazu die Angaben des Auswärtigen Amtes, abrufbar unter: http://www.aus waertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Menschenrechte/KinderrechteVN_node.html (30.5. 2016). 14 Bauer, S. 213; Kluth, Folie 17. 7
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Kindern war nicht Beratungsgegenstand, lediglich im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Einhaltung medizinischer Voraussetzungen bei Vornahme des Eingriffs kam diese zur Sprache.15 Dies lässt den Umkehrschluss zu, dass es sich nicht um einen schädlichen Brauch handeln soll, soweit diese Voraussetzungen eingehalten werden.16 Den Hauptgrund der Vorschrift bildete vielmehr die Notwendigkeit der Bekämpfung weiblicher Genitalverstümmelungen.17 Einigkeit, die sich in der Aufnahme eines entsprechenden Regelbeispiels ausgedrückt hätte, konnte aber auch hier nicht erzielt werden.18 Bieten Entstehungsgeschichte der Vorschrift und Intention der Verfasser damit Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der männlichen Beschneidung nicht generell um einen schädlichen Brauch handeln soll, schließt dies eine Subsumtion des Eingriffs unter Art. 24 Abs. 3 KRK aber nicht notwendig aus. Entscheidend können auch der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck der Vorschrift sein.19 Gesundheit i. S. v. Art. 24 KRK meint neben dem „Freisein von Krankheit und Gebrechlichkeit“ einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ 20. Als Eingriff in die körperliche Integrität des Kindes beeinträchtigt die Zirkumzision das kindliche Wohlbefinden negativ.21 Dass der Eingriff von geringer Intensität ist und häufig ohne Komplikationen verläuft, ist dabei unbeachtlich.22 Daraus, dass der Eingriff und seine unmittelbaren körperlichen Folgen das Kind in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigen, folgt nicht notwendig auch dessen 15 Siehe dazu auch CRC, Concluding Observations CRC/C/15/Add.147, Rn. 43 zu Lesotho, CRC/C/15/Add.122, Rn. 33 zu Südafrika sowie Concluding Observations CRC/C/15/Add.206, Rn. 46 zu Sambia. 16 BT-Drucks. 17/11295, S. 15. 17 Schmahl, in: Schmahl, Art. 24 KRK, Rn. 20; Kluth, Folie 17. 18 Vgl. E/CN.4/1987/25, S. 8 Nr. 29 und Nr. 35; abrufbar unter: http://www.un.org/ en/ga/search/view_doc.asp?symbol=E/CN.4/1987/25 (30.5.2016). BT-Drucks. 17/11295, S. 14 f. und Yalçin, S. 385, schließen daraus, dass die männliche Beschneidung erst recht nicht erfasst sein sollte. 19 Nach Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention sind völkerrechtliche Verträge auch primär nach ihrem Wortlaut zu interpretieren und nicht nach dem Willen der Vertragsparteien, vgl. dazu auch Kelle, S. 116 f. 20 Schmahl, in: Schmahl, Art. 24 KRK, Rn. 5. Ähnlich auch Kelle, S. 123; Gesundheitsschädlichkeit i. S. d. Vorschrift ist dabei nicht mit der Gesundheitsschädigung nach § 223 Abs. 1 Alt. 2 StGB gleichzusetzen, vgl. Steinbach, S. 4; gleichzeitig Kritik an Putzke, Die strafrechtliche Relevanz, S. 704. 21 Aus diesem Grund bereits eine Gesundheitsschädlichkeit annehmend Bauer, S. 212. A. A. Lack, S. 342. Solange die Beschneidung de lege artis durchgeführt wird, ist sie nicht notwendig immer gesundheitsschädlich. Für die Annahme der Gesundheitsschädlichkeit fehlt es an ausreichenden Erkenntnissen. So auch Kelle, S. 124 f., allerdings die fehlende gesundheitsprophylaktische Wirkung der Zirkumzision verkennend; Willutzki, Zum Umfang der Personensorge. Insgesamt zur Unvereinbarkeit der Zirkumzision an nicht einwilligungsfähigen Kindern mit dem geltenden Recht in den USA van Howe/Svoboda/Dwyer u. a., S. 67. Die USA sind neben dem Südsudan und Somalia die einzigen Mitglieder der Vereinten Nationen, die die KRK nicht ratifiziert haben. 22 So auch Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., S. 96.
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Schädlichkeit, wie sie in Art. 24 Abs. 3 KRK gefordert wird. Diese zu beurteilen erfordert vielmehr eine Gesamtschau, auch unter Einbeziehung der Wertung weiterer Konventionsartikel. Einen tauglichen Anknüpfungspunkt bietet Art. 3 Abs. 1 KRK, der zwar keine subjektiven Rechte des Kindes oder eine staatliche Verpflichtung normiert, aber Einfluss auf die Auslegung der übrigen Vorschriften der KRK hat.23 Danach ist das Wohl des Kindes als stets vorrangig zu beachtender Gesichtspunkt bei staatlichen Entscheidungen einzubeziehen,24 auch wenn dieser Vorrang nicht absolut gilt.25 Der Kindeswohlbegriff ist auch im Rahmen der KRK ausfüllungsbedürftig. Ebenso wie im Rahmen der grundgesetzlichen Beurteilung ist der Kindeswohlbegriff der KRK unterschiedlich interpretierbar.26 Wird allein auf die körperliche Integrität des Kindes abgestellt, kann die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision nie dem Wohl des Kindes dienen.27 Dagegen spricht allerdings, dass die KRK neben der Körperlichkeit, an anderer Stelle, weitere Aspekte angemessen berücksichtigt wissen will. Dies wird durch Nr. 12 der Präambel28 verdeutlicht, die die „gebührende Beachtung der Bedeutung der Traditionen und kulturellen Werte jedes Volkes für den Schutz und die harmonische Entwicklung des Kindes“ fordert. Das legt den Schluss nahe, dass die KRK auch traditionelle Riten als förderlich für die Kindesentwicklung und das Wohl des Kindes anerkennt. Die Definition des Gesundheitsbegriffs in Art. 24 KRK unterstreicht den weiten Interpretationsansatz ebenfalls, indem es auch das „geistige und soziale Wohlbefinden“ in die Wertung einbezieht.29 Bei der Bestimmung des Kindeswohls kann daher auch die religiöse Bedeutung des Eingriffs für das geistige und soziale Wohlbefinden des Kindes entscheidungserheblich sein. Ist dies der Fall, dient die rituelle Beschneidung auch dem Interesse des Kindes und steht mit der Vorgabe des Art. 3 KRK in Einklang.30 Ob die Zirkumzision im jungen Kindesalter das Wohl des betroffenen Kindes fördert, obliegt – auch vor dem Hintergrund der KRK – primär der elterlichen Entscheidungsbefugnis und Bestimmung. Die elterliche Bestimmungsmacht wird in Art. 3, Art. 5, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 S. 2 und 3, Art. 24 Abs. 1, Art. 30 KRK garan-
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Schmahl, in: Schmahl, Art. 3 KRK, Rn. 1. U. a. Kelle, S. 116. Draus bereits die Unzulässigkeit der Zirkumzision ableitend Herzberg, Beschneidung gesetzlich gestatten, S. 490; Schewe-Gerigk, S. 403. 25 Kluth, Folie 21. 26 Siehe zur grundgesetzlichen Bedeutung des Kindeswohlbegriffs oben E. IV. 1. c). 27 Schiratzki, S. 45; so auch Willutzki, Zum Umfang der Personensorge. Zum Kindeswohl in der KRK Zacher, S. 428 f. 28 Kelle, S. 124. 29 Schmahl, in: Schmahl, Art. 24 KRK, Rn. 5. 30 Schiratzki, S. 45 f. Die Mehrheit der schwedischen Bevölkerung und des Parlaments sprechen sich daher gegen die Zulässigkeit einer Beschneidung ohne religiöse Motivation aus. 24
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tiert.31 Diese Regelungen gehen – ebenso wie Art. 6 Abs. 2 GG – davon aus, dass die Eltern am ehesten befähigt sind, dem Wohl des Kindes zu dienen und überantworten diesen daher die primäre Entscheidungszuständigkeit.32 Die KRK kann das Elternrecht, wie es in Art. 6 Abs. 2 GG verbürgt ist, auch nicht verkürzen. Das Übereinkommen wollte durch seine Regelungen die Rechte der Eltern nicht schmälern. Auf weitere Bestimmungen hinsichtlich elterlicher Entscheidungsbefugnisse hat die KRK aufgrund des Gesamtgefüges des Schutzes kindlicher Rechte verzichtet. Inhaltliche Beschränkungen sollten damit aber nicht verbunden sein.33 Die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision kann damit auch vor dem Hintergrund des Kindeswohls zulässig sein. Sie kann das kindliche Wohlbefinden fördern und ist daher für das Kind nicht schädlich, selbst wenn sie das körperliche Wohlbefinden zunächst beeinträchtigt. Art. 24 Abs. 3 KRK ist nicht verletzt.34 Indem die Eltern sich für eine Zirkumzision aus religiösen Gründen entscheiden, überschreiten sie auch nicht das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 KRK), wie es die Vertragsstaaten zu achten haben. Bei der Beschneidung handelt es sich um einen Kernbestandteil der Religionsausübung.35 Solange das Kind keine eigenen Entscheidungen treffen kann, sind die Eltern berufen, stellvertretend für das Kind dessen Rechte wahrzunehmen.36 Eine Beschränkung dieses Elternrechts aufgrund der Schrankenklausel in Art. 14 Abs. 3 KRK ist grundsätzlich nicht möglich.37 Eine Ausnahme davon kann nur gemacht werden, wenn „das Kind durch die religiöse Anleitung seiner Eltern in seiner Entwicklung nachhaltig gestört wird“ 38. Werden die Voraussetzungen des ärztlichen Standards gewahrt, ist Art. 14 KRK grundsätzlich nicht gegen eine Beschneidung im Kleinkind- und Säuglingsalter in Stellung zu bringen.39 Die KRK schließt die elterliche Entscheidung im Einzelfall dennoch aus. Auch die KRK hat, durch Schaffung weiterer Vorschriften, dem Elternrecht absolute Grenzen gezogen, indem es die Ver31
Ähnlich Kelle, S. 131, die nur auf Art. 3, 5 und 18 KRK Bezug nimmt. So auch Willutzki, Zum Umfang der Personensorge; BT-Drucks. 17/11295, S. 15. 33 Bundesministerium für Familie, Übereinkommen, S. 40. 34 So auch Schmahl, in: Schmahl, Art. 24 KRK, Rn. 25; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 38; Walter, Christian, Freiheit und Verpflichtung zugleich, S. 432. A. A. Peschel-Gutzeit, in: Götz/Schwenzer/Seelmann u. a., S. 528; Schewe-Gerigk, S. 403 f. 35 Willutzki, Zum Umfang der Personensorge. Dazu auch oben E. IV. 2. sowie E. V. 5. 36 Kelle, S. 131; Schmahl, in: Schmahl, Art. 14 KRK, Rn. 7. Dies entspricht im Ergebnis dem deutschen System der Entscheidungszuständigkeit. 37 Schmahl, in: Schmahl, Art. 14 KRK, Rn. 10. 38 Schmahl, in: Schmahl, Art. 14 KRK, Rn. 8. 39 So auch Schmahl, in: Schmahl, Art. 14 KRK, Rn. 8; a. A. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 434 und Stumpf, S. 146 f., die beide davon ausgehen, der Entscheidungsspielraum des Kindes in religiösen Angelegenheiten werde durch die Beschneidung vorweggenommen, was einen irreversiblen Eingriff in das Recht des Kindes aus Art. 14 Abs. 1 KRK darstellt. Zu der Bedeutung dieser Annahme im Rahmen der grundgesetzlichen Religionsfreiheit unter E. V. 5. b). 32
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tragsstaaten u. a. verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, „um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, (. . .) vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung (. . .) zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils (. . .) befindet (. . .)“ (Art. 19 Abs. 1 KRK).40 Der Gewaltbegriff in diesem Zusammenhang ist ebenfalls ausfüllungsbedürftig.41 Nicht abhängig ist er von der Häufigkeit, der Intensität des Eingriffs oder der Intention des Gewaltanwenders.42 Hilfestellungen bei der Begriffsfindung und Ausfüllung der Vorschrift bieten die Allgemeinen Bemerkungen des CRC. Eine unzulässige körperliche Gewaltanwendung liegt danach bei „jede[r] Form der körperlichen Bestrafung sowie alle[n] Formen von Folter und von grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Bestrafung; bei körperliche[m] Schikanieren und Hazing[43] durch Erwachsene (. . .)“ 44 vor. Ausdrücklich unzulässig nach Art. 19 Abs. 1 KRK sind auch die weibliche Genitalverstümmelung sowie „gewalttätige und erniedrigende Initiationsriten“ im Allgemeinen.45 Beschneidungskonstellationen, welche diese Merkmale erfüllen können, lassen sich weder mit der KRK noch dem Grundgesetz in Einklang bringen. Sie stellen einen Verstoß gegen die Würde des Kindes dar und sind damit auch nicht legitimierbar. Solche Verhaltensweisen der Eltern sind von § 1631d BGB nicht gedeckt.46 Die Vorschrift erweitert die elterliche Bestimmungszuständigkeit daher nicht in unzulässiger Weise.47 Nicht jede Eingriffsform und -motivation einer Beschneidung kann mit den Anforderungen aus der KRK vereinbart werden. Damit der Eingriff das Kind nicht unangemessen belastet, gibt der Kindeswohlvorbehalt in Art. 3 Abs. 1 KRK ebenfalls einzuhaltende 40 Siehe zu der vergleichbaren Beschränkung der elterlichen Rechte aufgrund der Menschenwürde des Kindes unter E. V. 3. b). 41 Bundesministerium für Familie, Übereinkommen, S. 65 f. Er umfasst nicht notwendig jede Form der Gewaltanwendung, wie aus dem Zusatz in englischer Fassung „unlawful use of force“ deutlich werden soll. 42 UN Committee on the Rights of the Child (CRC), Rn. 17. 43 Der Begriff meint schädliche Initiationsrituale. Vgl. zu dieser Begriffsbestimmung UN Committee on the Rights of the Child (CRC), Rn. 21 g). Die Begriffsbildung ist abgeleitet von dem englischen Verb „to haze“ was im Deutschen so viel bedeutet wie „schikanieren“. 44 UN Committee on the Rights of the Child (CRC), Rn. 22 a) und b). 45 UN Committee on the Rights of the Child (CRC), Rn. 29 b), c) und d). 46 Vgl. dazu oben unter E. V. 3. b) bb). 47 BT-Drucks. 17/11295, S. 15, ohne weitergehende Begründung und ohne Differenzierung zwischen der rituellen und anderen Beschneidungsmotivationen; im Ergebnis so auch – in Abgrenzung zur FGM, die der Vorschrift unterfällt – Kelle, S. 128; Schiratzki, S. 44; Schmahl, in: Schmahl, Art. 19 KRK, Rn. 2. A. A. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 434; krit. auch Stumpf, S. 147. Aus den gleichen Gründen scheidet regelmäßig eine Verletzung des Art. 37 Buchst. a) KRK aus. Jedenfalls, wenn der Gewaltbegriff des Art. 19 Abs. 1 KRK nicht verletzt ist, handelt es sich auch nicht um eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Vgl. dazu BT-Drucks. 17/ 11295, S. 15, ohne nähere Begründung; so auch Kelle, S. 128. A. A. bzgl. der weiblichen Genitalverstümmelung Schmahl, in: Schmahl, Art. 37 KRK, Rn. 4.
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Mindestanforderungen vor. Zumindest muss eine fachgerechte Durchführung gesichert sein, Schmerzen müssen verhindert und die Anforderungen an die Ausbildung der Beschneider eingehalten werden.48 Art. 12 KRK fordert die Beachtung des kindlichen Willens.49 Insgesamt weist die KRK keinen über das Grundgesetz hinausgehenden Schutz für die betroffenen Kinder auf.50 Eine angepasste Auslegung der Grundrechte ist daher nicht geboten. 2. Konsequenzen für die Beurteilung der weiblichen Genitalbeschneidung Die Konsistenz des gefundenen Ergebnisses muss sich auch vor dem Hintergrund der Beurteilung der weiblichen Genitalbeschneidung behaupten können. Der grundgesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet, bestimmte Formen der weiblichen Genitalbeschneidung mit denen der männlichen Zirkumzision rechtlich gleich zu behandeln.51 Im Rahmen des Art. 24 Abs. 3 KRK wird die weibliche Genitalverstümmelung regelmäßig als ein Beispiel eines unzulässigen, gesundheitsschädlichen Brauchs angeführt. Zudem soll sie, nach dem Willen des CRC, auch selbst in ihren leichtesten Erscheinungsformen, nicht mit den Vorgaben des Art. 19 Abs. 1 KRK in Einklang zu bringen sein.52 Diese Beurteilung verkennt jedoch die theoretische Möglichkeit einer Vergleichbarkeit zwischen männlicher und weiblicher Beschneidung. Die Grausamkeit und der erniedrigende Charakter, der einer weiblichen Genitalverstümmelung regelmäßig anhaftet, darf nicht generalisierend auf alle Formen der Beschneidung übertragen werden.53 Handelt es sich um einen vergleichbaren Eingriff, kann auch dieser dem Kindeswohl dienlich sein. Der Charakter der Schädlichkeit i. S. d. Art. 24 Abs. 3 KRK kommt diesem dann nicht zu. Dem Eingriff fehlt in diesem Fall gleichzeitig der grausame, unmenschliche und erniedrigende Charakter, der ihn regelmäßig nach Art. 19 KRK unzulässig macht. Ausdrücklich vom Wortlaut der Vorschriften umfasst ist die weibliche Genitalverstümmelung nicht. Eine andere Beurteilung ist daher auch ohne teleologische Reduktion der Vorschrift möglich. Das vor Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 Alt. 1 GG gefundene Ergebnis kann auch vor dem Hintergrund der KRK Bestand haben. Eine Anpassung ist nicht erforderlich. 48 So auch Kluth, Folie 24–25; ähnlich auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 420; Kelle, S. 124 f.; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259. 49 Dazu ausführlich oben E. VI. 3. c) cc) und E. VI. 4. b). 50 So auch Brocke/Weidling, S. 457; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259; ähnlich auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 420. Manok, S. 181, sieht in der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision auch einen Verstoß gegen die KRK. 51 Siehe dazu genauer E. VIII. 1. 52 UN Committee on the Rights of the Child (CRC), Rn. 29 b), c) und d). Vgl. zum Hintergrund der Vorschrift auch Schmahl, in: Schmahl, Art. 19 KRK, Rn. 2. 53 Dazu genauerer oben E. VIII. 1. b).
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II. Europäische Menschenrechtskonvention Bei der EMRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag. Dieser schreibt nicht verpflichtend vor, wie seine Vorgaben in nationales Recht zu transformieren sind, sondern überlässt dies der Entscheidungsgewalt der Vertragsstaaten.54 Deutschland hat der Konvention zugestimmt (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG).55 In der BRD genießt die EMRK den Rang von Bundesrecht.56 Als solches ist sie „kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab“ 57.58 Allerdings kann die EMRK ebenso wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung grundrechtlicher Gewährleistungen eine entscheidende Rolle einnehmen und dabei den Anwendungsbereich der Grundrechte mitbestimmen.59 Bei der Bestimmung der Verfassungsgemäßheit des § 1631d BGB müssen die Vorschriften der EMRK daher jedenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden. 1. Das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK) Die Konvention verbürgt dem Einzelnen ein Recht auf Leben als grundlegenden Wert.60 Dieses bildet – ähnlich wie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – die Grundlage für die Geltendmachung der übrigen Konventionsrechte. Dieses Recht umfasst die „biologisch-physische Existenz des Menschen“.61 Letztere ist durch die Zir-
54 EGMR, Urt. v. 6.2.1976, Schwedischer Lokomotivführerverband v. Schweden, 5614/72, EGMR-E 1, 165, Ziffer 50; Geiger, S. 370 f. 55 Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 7.8.1952, BGBl. II 1952/14, S. 685. 56 BVerfGE 74, 358 (370); 111, 307 (317). 57 BVerfGE 111, 307 (317). 58 „Im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht dabei allerdings in besonderem Maße darauf zu achten, dass Verletzungen des Völkerrechts, die in der fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen durch deutsche Gerichte liegen und eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründen könnten, nach Möglichkeit verhindert oder beseitigt werden.“, siehe BVerfGE 58, 1 (34). Ebenfalls dazu BVerfGE 59, 63 (89); 111, 307 (328). 59 BVerfGE 111, 307 (317). Dazu auch BVerfGE 82, 106 (120). 60 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 27.6.2000, Salman v. Türkei, 21986/93, NJW 2001, 2001 (2003, Ziffer 97); EGMR (Große Kammer), Urt. v. 24.10.2002, Mastromatteo/Italien, 37703/97, NJW 2003, 3259 (3260, Ziffer 67); EGMR (Große Kammer), Urt. v. 8.7.2004, Vo v. Frankreich, 53924/00, NJW 2005, 727 (731, Ziffer 88); EGMR, Urt. v. 17.1.2008, Dodov v. Bulgarien, 59548/00, NJW-RR 2009, 1394 (1396, Ziffer 79). Zur Schutzpflichtdimension von Art. 2 Abs. 1 EMRK auch Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 EMRK, Rn. 8; Valerius, in: Graf, Art. 2 EMRK, Rn. 3. Das Recht auf Leben ist auch in Art. 6 Abs. 1 S. 1 IPbpR ausdrücklich verbürgt. Siehe dazu genauer Hofmann/Boldt, Art. 6 IPbpR, Rn. 1. 61 Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, 1. Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), Rn. 6.
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kumzision – auch aufgrund der eingezogenen Mindestvoraussetzungen – regelmäßig nicht in Gefahr.62 Damit erweitert sich das gebotene Schutzniveau aufgrund der Regelungen der EMRK in diesem Bereich nicht. Im Unterschied zu Art. 2 Abs. 2 GG ist die körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht generell geschützt. Ihr Schutz ist an weitere Parameter (z. B. das Element der Folter, vgl. Art. 3 EMRK) geknüpft.63 2. Das Verbot von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) Art. 3 EMRK verbietet Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen.64 Das Folterverbot ist ein „grundlegender Wert der demokratischen Gesellschaften“ 65 und Hauptbestandteil des Art. 3 EMRK. Inhaltlich geht die Norm weit über ein reines Unterlassungsgebot hinaus und begründet auch eine staatliche Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung.66 Der Staat hat in angemessener Weise zu verhindern, dass Personen in seinem Hoheitsgebiet Opfer von Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung werden (Art. 1 i.V. m. Art. 3 EMRK). Das Verhinderungsgebot besteht dabei nicht allein für Handlungen staatlicher Vertreter, sondern auch für die Handlungen privater Personen.67 Die staatliche Schutzverpflichtung ist bei einer Gefährdung von Kindern besonders ausgeprägt68 und kann der elterlichen Einwilligungsbefugnis in § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB entgegenstehen. Die rituelle Zirkumzision ist keine Strafe i. S. d. Art. 3 EMRK, da ihr nicht der Charakter einer hoheitlichen Sanktionierung innewohnt. Der Behandlungsbegriff des Art. 3 EMRK ist hingegen ausgesprochen weit zu verstehen und erfasst „jedes Tun oder Unterlassen in Bezug auf die betroffene Person“ 69 und damit auch eine Beschneidung. Eine Legitimation der Eltern, in eine Beschneidung einzuwilligen, wenn diese unmenschliche oder erniedrigende Züge für das Kind aufweist, ist ausgeschlossen. Eine erniedrigende Behandlung kann in facettenreicher Form erfolgen: Wenn die Menschen-
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Dazu oben E. VI. 1. c). Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 EMRK, Rn. 7. Dazu und zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz auch Meyer-Ladewig, Art. 2 EMRK, Rn. 4 f. 64 Diese Verbote finden sich auch in Art. 7 Abs. 1 S. 1 IPbpR. Dazu Hofmann/Boldt, Art. 7 IPbpR, Rn. 1 ff. 65 Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 1 m.w. N. 66 Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 8. 67 EGMR, Urt. v. 10.5.2001, Z. u. a. v. Vereinigtes Königreich, 29392/95, Ziffer 70; EGMR, NJW 2002, 2851 (2852, Ziffer 51). 68 EGMR, Urt. v. 10.5.2001, Z. u. a. v. Vereinigtes Königreich, 29392/95, Ziffer 73; Meyer-Ladewig, Art. 3 EMRK, Rn. 9; Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 8. 69 Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 2. 63
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F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht
würde des Betroffenen nicht geachtet wird,70 bei dem Opfer „Gefühle der Angst, des Schmerzes oder der Unterlegenheit erweckt (werden), die geeignet sind, den moralischen und körperlichen Widerstand der Person zu brechen“ 71 oder die Person gezwungen wird, gegen ihren Willen und das eigene Gewissen zu handeln72. Bei der Beurteilung ist – wenn auch nicht allein entscheidend – die Intention des Täters zu beachten.73 Mit der Entscheidung für eine rituelle Zirkumzision verfolgen die Eltern regelmäßig keinen der genannten Zwecke.74 § 1631d BGB ermöglicht keinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, der generell erniedrigenden Charakter hat. Eine unmenschliche Behandlung qualifiziert sich dadurch, dass sie „vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt [wird] und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht“ 75. Diese Voraussetzungen erfüllt eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführte Beschneidung regelmäßig nicht.76 Die rituelle Beschneidung, wie sie in § 1631d BGB in die Entscheidungsverantwortung der Eltern gestellt wird, ist daher i. d. R. keine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK.77 Eine andere Entscheidung bleibt allerdings immer dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten. Insoweit decken sich die von Art. 3 EMRK gezogenen Grenzen mit denen, die das Grundgesetz der elterlichen Entscheidung setzt.78
70 Meyer-Ladewig, Art. 3 EMRK, Rn. 22. Siehe dazu auch die Ausführungen zu Art. 1 Abs. 1 GG unter E. V. 3. b). 71 Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 4; nahezu wortlautgetreu auch die Entscheidungen des EGMR u. a. EGMR, Urt. v. 7.7.1989, Soering v. Vereinigtes Königreich, 1/1989/161/217, NJW 1990, 2183 (2186, Ziffer 100); EGMR (Große Kammer), Urt. v. 26.10.2000, Kudla v. Polen, 30210/96, NJW 2001, 2694 (2695, Ziffer 92); EGMR, Urt. v. 10.5.2001, Z. u. a. v. Vereinigtes Königreich, 29392/95, Ziffer 70; EGMR, NJW 2002, 2851 (2853, Ziffer 52). 72 EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Pretty v. Vereinigtes Königreich, 2346/02, NJW 2002, 2851 (2853, Ziffer 52); EGMR (Große Kammer), Urt. v. 26. 10. 2000, Kudla v. Polen, 30210/96, NJW 2001, 2694 (2695, Ziffer 92). 73 Meyer-Ladewig, Art. 3 EMRK, Rn. 22; Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 4. Siehe zu den Problemen im Zusammenhang mit dem Absichtskriterium Bank, in: Dörr/ Grote/Marauhn, Art. 3 EMRK, Kap. 11, Rn. 42 ff. 74 Dazu auch oben E. V. 3. b) bb). 75 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 26.10.2000, Kudla v. Polen, 30210/96, NJW 2001, 2694 (2695, Ziffer 92); EGMR, Urt. v. 7.7.1989, Soering v. Vereinigtes Königreich, 1/1989/161/217, NJW 1990, 2183 (2186, Ziffer 100); Valerius, in: Graf, Art. 3 EMRK, Rn. 4. 76 Dazu auch E. V. 3. b) bb). 77 BT-Drucks. 17/11295, S. 15; Brocke/Weidling, S. 457; Fateh-Moghadam, Religiöse Rechtfertigung, S. 123; a. A. Eschelbach, in: von Heintschel-Heinegg, § 223 StGB, Rn. 9.9; Gilbert, S. 291; wohl auch Peschel-Gutzeit, in: Götz/Schwenzer/Seelmann u. a., S. 529. 78 Ähnlich auch Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 38; Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 420.
II. Europäische Menschenrechtskonvention
303
3. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt u. a. das Privat- und Familienleben.79 Der Inhalt des Schutzbereichs ist umfassend zu verstehen: Geschützt wird neben dem Recht auf Selbstbestimmung80 auch die „körperliche, psychische und soziale Integrität“ 81 des Einzelnen. Die elterliche Entscheidung für eine Zirkumzision kann das Kind in seinem Selbstbestimmungsrecht verletzen82 und beeinträchtigt dessen körperliche Unversehrtheit.83 Hauptanwendungsbereich der Vorschrift ist der Schutz der Gesundheit und vor Zwangsmaßnahmen.84 Eine – auch unter Einhaltung des ärztlichen Standards durchgeführte – medizinische Behandlung darf nicht ohne das Einverständnis des Betroffenen erfolgen.85 Das Selbstbestimmungsrecht kann gegenüber den Eltern dabei auch im Rahmen der EMRK erst Geltung erlangen, wenn das Kind ein selbststimmungsfähiges Alter erreicht hat.86 Vor diesem Zeitpunkt sind die Eltern zur Entscheidung berufen, bei der sie die Rechte und Wünsche des Kindes angemessen zu berücksichtigen haben.87 Zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes hat Deutschland geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dabei beschränkt auch Art. 8 Abs. 1 EMRK die Pflicht des Staates nicht allein auf die Unterlassung hoheitlicher Eingriffe in die gewährleisteten Rechte, sondern verpflichtet diesen gleichzeitig, angemessenen Schutz vor Eingriffen – auch privater – Dritter bereitzustellen.88 Im Einzelfall kann die staatliche Schutzpflicht den Erlass normativer Grundlagen notwendig machen.89 Bei der Entscheidung, welche Maßnahmen im Rahmen des Art. 8 EMRK zu treffen sind, kommt dem nationalen Staat ein weiter Beurteilungsspielraum zu.90 In § 1631d BGB hat der deutsche Gesetzgeber Mindest79 Schutz erfährt das Privatleben auch in Art. 17 IPbpR. Dazu Hofmann/Boldt, Art. 17 IPbpR, Rn. 3. 80 EGMR (Große Kammer), Urt. v. 13.2.2003, Odièvre v. Frankreich, 42326/98, NJW 2003, 2145 (2149, Ziffer 11); Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 24. 81 EGMR Urt. v. 29.4.2002, Pretty v. Vereinigtes Königreich, 2346/02, NJW 2002, 2851 (2853, Ziffer 61); EGMR, Urt. v. 15.11.2007, Pfeifer v. Österreich, 12556/03, NJW-RR 2008, 1218 (1219, Ziffer 35). 82 Dazu umfassend E. V. 4. b). 83 Dazu E. V. 3. a). So auch BT-Drucks. 17/11295, S. 15. 84 Meyer-Ladewig, Art. 8 EMRK, Rn. 11. 85 EGMR, Urt. v. 16.6.2005, Storck v. Deutschland, 61603/00, NJW-RR 2006, 308 (315 f., Ziffer 144). 86 Dazu auch E. V. 4. a). 87 Dies ergibt sich auch aus des Grundrechten, vgl. E. IV. 1. c) und E. V. 4. b). 88 Meyer-Ladewig, Art. 8 EMRK, Rn. 6. 89 EGMR, Urt. v. 9.10.1979, Airey v. Irland, 6289/73, EGMR-E 1, 414 (422, Ziffer 32 f.). 90 BT-Drucks. 17/11295, S. 15.
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F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht
anforderungen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes festgeschrieben. Diese sind nicht abschließend geeignet, das aus dem Grundgesetz notwendig folgende Schutzniveau für das betroffene Kind bereitzustellen und müssen daher angepasst werden.91 Gleichzeitig hat der deutsche Gesetzgeber auch im Rahmen der EMRK die elterlichen Rechte zu wahren. Die Achtung des Familienlebens verpflichtet den Staat, das elterliche Recht auf Erziehung des eigenen Kindes zu sichern.92 Dabei ist auch das Recht der Eltern zur religiösen Erziehung anzuerkennen, wie sich ausdrücklich aus Art. 2 S. 2 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (EMRKZusProt.) ergibt.93 Das Zusatzprotokoll zur EMRK ist Bestandteil des zu beachtenden Rechtekanons. Die Vertragsstaaten, u. a. auch Deutschland,94 haben darin ergänzende Regelungen vereinbart, die in der EMRK nicht enthalten waren. Dieses Recht der Eltern deckt sich mit dem grundgesetzlich gewährleisteten Erziehungsrecht. Es gelangt nur dann nicht zur Entfaltung, wenn es gegen die Menschenwürde respektive die Grundrechte des Kindes verstößt.95 In der Abwägung kann nur eine religiös motivierte elterliche Entscheidung den Rechten des Kindes gerecht werden. Die Vorschrift geht nicht über den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz hinaus.96 4. Religionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 EMRK) Auch die Religionsfreiheit erfährt Schutz durch die EMRK. Ausdrücklich vom Schutz der EMRK umfasst ist dabei die Möglichkeit, religiöse Bräuche und Riten zu praktizieren. Daher ist die Entscheidung, eine Beschneidung vornehmen zu lassen, grundsätzlich von Art. 9 Abs. 1 EMRK geschützt.97 Dem Ritus muss dafür allerdings ein „gewisses Maß an Nachhaltigkeit, Ernsthaftigkeit, Kohärenz und Bedeutung“ 98 zukommen. Die rituelle Knabenbeschneidung kann diese Voraussetzung erfüllen.99 Die Einwilligung der Eltern in eine Beschneidung ist folglich grundsätzlich von der Religionsfreiheit gedeckt.100 In Art. 9 Abs. 2 EMRK 91
Dazu zusammenfassend unter E. IX. Meyer-Ladewig, Art. 8 EMRK, Rn. 49; EGMR, Urt. v. 22.12.2004, Merger u. Cros v. Frankreich, 68864/01, Ziffer 46. 93 BT-Drucks. 17/11295, S. 15. Dazu auch EGMR, Urt. v. 7.12.1976, Kjeldsen u. a. v. Dänemark, EGMR-E 1, 203, (212, Ziffer 51 ff.). 94 BGBl. II 1956/37, S. 1879 (1880). 95 Meyer-Ladewig, Art. 2 EMRKZusProt., Rn. 10. 96 So auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 420; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 38. 97 Dazu bereits oben E. IV. 2. a) bb). 98 EGMR, Urt. v. 6.11.2008, Leela Förderkreis e. V. u. a. v. Deutschland, 58911/00, NVwZ 2010, 177 (179, Ziffer 80); Meyer-Ladewig, Art. 9 EMRK, Rn. 8; ähnlich Classen, Rn. 150 ff. 99 Dazu auch E. IV., dort mit Fn. 220. 100 BT-Drucks. 17/11295, S. 15; Bernat, S. 198; a. A. Czerner, Kindeswohlgefährdung (Teil 2), S. 435. 92
III. Internationaler Bürgerrechtepakt
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werden Beschränkungsmöglichkeiten für die Religionsfreiheit aufgezeigt, die über die Möglichkeit zur Einschränkung des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG hinausgehen.101 Auch im Rahmen der EMRK widerstreitet dem elterlichen Recht das Recht des Kindes auf körperlicher Unversehrtheit. Die Einschränkung der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit dient neben dem Schutz der Gesundheit des Kindes auch dem generellen Schutz kindlicher Rechte und wurde im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ermittelt.102 Damit geht der Schutz der Religionsfreiheit aus der EMRK nicht weiter als der grundgesetzliche Schutz aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG.103
III. Internationaler Bürgerrechtepakt Der Internationale Bürgerrechtspakt (IPbpR) hat die Gestalt eines völkerrechtlichen Vertrages. Deutschland hat diesen durch ein Zustimmungsgesetz i. S. d. Art. 59 Abs. 2 GG zu verbindlichem innerstaatlichem Recht erhoben.104 Die Vorschriften des Paktes finden bei innerdeutschen Gerichtsentscheidungen Berücksichtigung und können durch Individualbeschwerden vor dem AMR geltend gemacht werden.105 Daher müssen auch die elterliche Einwilligungsmöglichkeit sowie deren konkrete Ausgestaltung in § 1631d BGB den Bestimmungen des Paktes genügen.106 Gegenüber den bereits diskutierten völkerrechtlichen Verträgen verbürgt der IPbpR in Art. 18 Abs. 4 den Eltern das Recht, „die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen“. Die religiöse Erziehung des eigenen Kindes soll frei von staatlicher Einflussnahme erfolgen, was sich weitestgehend mit dem grundgesetzlich geschützten Recht der Eltern zur religiösen Erziehung des eigenen Kindes deckt.107 Art. 18 Abs. 1 S. 2 IPbpR beschreibt die „Beachtung religiöser Bräuche“ ausdrücklich als Bestandteil der Religionsausübung. Mit § 1631d BGB schränkt der deutsche Gesetzgeber diese Möglichkeit ein. Die religiöse Erziehung wird allerdings auch im Rahmen des IPbpR nicht ohne Einschränkungen zugesichert. Die kindlichen Rechte sind zu beachten. Lediglich der vollständige Entzug elterlicher Erziehungsverantwortung muss unterbleiben. Aus diesem Grund
101
Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Abs. 1, 2 GG, Rn. 17. Zu der grundrechtlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit ausführlich unter E. VI. 103 So auch Germann, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, S. 420; Rixen, Gesetz über den Umfang, S. 259; Rixen, Beschneidungsgesetz, S. 38. 104 Ratifiziert für die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz v. 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533). 105 Vgl. dazu Hofmann/Boldt, Einl., Rn. 2 ff. 106 Vgl. zu weiteren Bestimmungen des IPbpR Fn. 60, 64, 79 sowie E. VIII., dort Fn. 1231. 107 Siehe dazu bereits oben unter E. IV. 1. a) bb). Auch Hofmann/Boldt, Art. 18 IPbpR, Rn. 5. 102
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F. Die Vereinbarkeit des § 1631d BGB mit internationalem Recht
wäre ein grundsätzliches Zirkumzisionsverbot auch nicht mit Art. 18 Abs. 4 IPbpR in Einklang zu bringen. Für die getroffene Regelung gilt dieses Ergebnis nicht.108
IV. Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (Europäisches Minderheitenübereinkommen – EUMindÜbk) In Art. 8 des EUMindÜbk109 verpflichten sich „die Vertragsparteien (. . .) anzuerkennen, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, ihre Religion oder Weltanschauung zu bekunden sowie religiöse Einrichtungen, Organisationen und Vereinigungen zu gründen“. Die Beschneidung des Sohnes ist eine religiös motivierte Glaubensbekundung110 und in der Folge vom Schutzumfang der Vorschrift gedeckt. Allerdings handelt es sich bei den die Zirkumzision an minderjährigen Jungen vornehmenden Glaubensgemeinschaften in Deutschland nicht um nationale Minderheiten i. S. d. Vorschrift. Deutschland kann als Vertragspartei autonom bestimmen, auf welche nationalen Gruppen sich der Schutz des Übereinkommens erstreckt und hat diesen auf „die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit“ sowie „die Angehörigen der traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit“ 111 beschränkt. Diese Gruppen nehmen die Beschneidung nicht als religiöses Ritual wahr, sodass der Schutz der EUMindÜbK keine Auswirkungen auf die Regulierung der Knabenbeschneidung hat.
108
So auch BT-Drucks. 17/11295, S. 15. A. A. Manok, S. 175 ff. BGBl. II 1997, S. 1406. Eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 30 KRK. Dazu oben Fn. 7. Religiöse Minderheiten sind hinsichtlich ihrer Religionsausübung auch in Art. 27 IPbpR geschützt. Zur Bestimmung der Minderheiten in diesem Zusammenhang auch Hofmann/Boldt, Art. 27 IPbpR, Rn. 1. 110 Dazu oben unter E. IV. 2. 111 Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Zeichnung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten am 11. Mai 1995, S. 3 und 4. 109
G. Notwendige Anpassungen – Ein Überblick Die Überprüfung des § 1631d BGB anhand des Grundgesetzes und internationaler Rechtsquellen zum Schutz der Kinder offenbart Anpassungsbedarf, dem die folgende Neuregelung gerecht werden kann: § 1631d BGB aktueller Gesetzestext
§ 1631d BGB modifizierte Fassung
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche religiös motivierte Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes einzuwilligen, wenn diese unter Einhaltung des ärztlichen Standards durchgeführt werden soll und die Förderung des psychischen Wohlbefindens durch den Eingriff hinreichend wahrscheinlich ist.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür die Erlaubnis besitzen, besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind. Die Schmerzbehandlung hat durch einen approbierten Mediziner zu erfolgen. (3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung1 das Nähere hinsichtlich 1. der fachlichen, persönlichen und gesundheitlichen Anforderungen für eine Erlaubniserteilung, 2. der Möglichkeiten zum Widerruf und zur Rücknahme einer erteilten Erlaubnis zu regeln.
1 Zum möglichen Inhalt der Rechtsverordnung und einem entsprechenden Formulierungsvorschlag siehe E. VII. 2. d) cc) (6) (c).
H. Das nicht gelöste Problem – Ergebnis Das Anliegen des Gesetzgebers, mit der Neuregelung des § 1631d BGB Rechtssicherheit zu schaffen, wurde nicht erreicht. Zwar hat der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungszuständigkeit sowie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gewahrt,1 die Rechte des Kindes allerdings nicht hinreichend berücksichtigt. Die Beschneidung aus anderen als religiösen Gründen lässt sich mit den Rechten des Kindes nicht in Einklang bringen. Das elterliche Erziehungsrecht, das sich dann ausschließlich aus Art. 6 Abs. 2 GG begründen lässt, hat in der Abwägung hinter den Rechten des Kindes, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, zurückzutreten. Lediglich wenn das elterliche Erziehungsrecht um die Komponente religiöser Begründetheit des Eingriffs angereichert wird, kann dieses ausreichen, um den körperlichen Eingriff zu legitimieren. Die Notwendigkeit zur Förderung des kindlichen Wohlbefindens, wie sie sich aus den Grundrechten des Kindes und auch aus einem Vergleich zu anderen Vorschriften, die medizinisch nicht indizierte Eingriffe in den Körper des Kindes auf Wunsch der Eltern rechtfertigen können, ergibt, kann ohne religiöse Bedeutung des Eingriffs nicht erreicht werden.2 Die Zirkumzision aus gesundheitsprophylaktischen oder ästhetischen Gründen hat keinen, respektive keinen die negativen Auswirkungen des Eingriffs überwiegenden Nutzen für das betroffene Kind.3 § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB, der jedenfalls auch die gesundheitsprophylaktische Beschneidung erfassen soll, ist nicht aus diesem Grund verfassungswidrig. Die Vorschrift lässt sich rechtskonform auslegen. Eine Korrektur über § 1631d Abs. 1 S. 2 BGB, der den Eingriff nur zulässt, solange das Kindeswohl nicht gefährdet wird, ist grundsätzlich möglich. Es lässt sich begründen, dass ein Eingriff in die körperliche Substanz ohne Nutzen für das Kind auch dessen Wohl gefährdet. Ein Verweis auf die Möglichkeit zur entsprechenden Auslegung der Vorschrift bleibt jedoch mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden, insbesondere weil der Gesetzgeber die Norm anders verstanden wissen wollte. Aus diesem Grund ist erneut gesetzgeberisches Handeln gefragt. Der Normgeber sollte die Vorschrift anpassen und die Möglichkeit zur Einwilligung in eine Zirkumzision für die Eltern ausdrücklich auf religiös motivierte Eingriffe beschränken.4 1 2 3 4
Dazu im Detail unter E. II. sowie unter E. III. Dazu E. VI. 3. Dazu E. VI. 2. c) und E. VI. 3. a) bb). Dazu E. VI. 2. d) sowie E. VI. 6.
H. Das nicht gelöste Problem – Ergebnis
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An dem Maßstab der Erforderlichkeit der Wohlbefindensförderung hat sich hingegen auch eine religiös motivierte Zirkumzision zu messen. Aufgrund der Integration des Kindes in eine Glaubensgemeinschaft ist die religiös motivierte Zirkumzision zwar grundsätzlich geeignet, das psychische Wohlbefinden des Zirkumzidenten zu fördern, muss diese Voraussetzung allerdings auch im Einzelfall erfüllen.5 Davon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Eingriff ohne negative Folgen für das kindliche Wohlbefinden auch zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden kann, zu welchem das Kind seinen Willen kundtun kann. Ist dies der Fall, können die Rechte des Kindes nur dadurch gewahrt werden, dass diesem eine selbstbestimmte Entscheidung zugestanden wird. Ob ein Verschieben der Beschneidung auf einen späteren Zeitpunkt den Zweck des Eingriffs noch erfüllen und das kindliche Wohlbefinden noch fördern kann, verbleibt in der Entscheidungszuständigkeit der Gläubigen. Die Religionsfreiheit sichert einen weiten Bereich selbstständiger Entscheidungsbefugnis zu, die es ermöglicht, die religiöse Bedeutung eines Rituals für sich zu definieren. Gerade die Beschneidung im Judentum folgt für gläubige Juden auch in zeitlicher Hinsicht strengen Regeln. Der Eingriff kann in religiöser Hinsicht nur vollumfängliche Gültigkeit entfalten, wenn er am 8. Tag nach der Geburt des Kindes vorgenommen wird. Nur in absoluten Ausnahmefällen soll von diesem Zeitpunkt abgewichen werden. Daher kann die Förderung des kindlichen Wohlbefindens auch entscheidend von dem Zeitpunkt der Eingriffsdurchführung abhängen.6 Die Eltern, die diese Prognoseentscheidung für ihr Kind treffen, haben zum Schutz kindlicher Rechte jedenfalls eine nachvollziehbare Entscheidung zu fällen. Die Nachvollziehbarkeit kann angenommen werden, wenn ein – grundsätzlich übereinstimmender – Beschneidungswunsch der Eltern besteht, jedenfalls ein Elternteil einer Glaubensgemeinschaft angehört, die Beschneidungen als religiöses Ritual praktiziert, und Anhaltspunkte, die gegen eine Wohlbefindensförderung durch den Eingriff sprechen, wie die Zugehörigkeit des Kindes zu einer anderen Glaubensgemeinschaft, nicht ersichtlich sind.7 Ein weiterer Parameter der elterlichen Entscheidungsfindung ist der Wunsch des Kindes, der auch vor Eintritt der Einwilligungsfähigkeit zu berücksichtigen ist. Entspricht die Beschneidung nicht dem Wunsch des Kindes, kann eine Wohlbefindensförderung nicht erreicht werden, hat der Eingriff zu unterbleiben.8 Eine dahin gehende Anpassung des § 1631d BGB, der das Erfordernis der Wohlbefindensförderung aufnimmt, ist zwar nicht zwingend durch das Verfassungsrecht geboten, aber zur Schaffung von Rechtssicherheit wünschenswert.9 5 6 7 8 9
Dazu E. VI. 3. b). Dazu E. VI. 3. d). Dazu E. VI. 3. c). Dazu E. VI. 3. c) cc). Dazu E. VI. 6.
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H. Das nicht gelöste Problem – Ergebnis
Über die Frage hinaus, ob eine Beschneidung generell mit den Rechten des Kindes zu vereinbaren ist, ist auch entscheidend, wie der Eingriff inhaltlich auszugestalten ist, um die kindlichen Rechte hinreichend zu schützen. § 1631d BGB bleibt dabei hinter den Anforderungen des Grundgesetzes zurück. Der Schutzmechanismus, der besagt, dass die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten sind (§ 1631d Abs. 1 S. 1 BGB), leistet zwar einen erheblichen Beitrag zum Schutz der Kinder, ist aber nicht ausreichend. Damit sowie mit den Voraussetzungen, die an eine rechtfertigende Einwilligung in körperliche Eingriffe immer zu stellen sind, lassen sich das Erfordernis einer ordnungsgemäßen, dem ärztlichen Standard entsprechenden Durchführung, die Notwendigkeit der Aufklärung von Eltern und Kind – soweit dieses bereits ein Verständnis von dem Eingriff entwickelt hat – sowie die Einbeziehung des kindlichen Wunsches ableiten.10 Allerdings erlaubt die Vorschrift bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes auch die eigenständige Vornahme des Eingriffs durch einen Beschneider ohne ärztliche Ausbildung (§ 1631d Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 S. 1 BGB). Die Durchführung einer Zirkumzision durch rituelle Beschneider, die nicht gleichzeitig approbierte Mediziner sind, ist ohne das Mitwirken eines Arztes aber nicht möglich, die – unter Berücksichtigung der Grundrechte des Kindes – angemessene Schmerzbehandlung ist nicht gewährleistet. Nach geltendem Recht fehlt dem rituellen Beschneider bereits der Zugang zu den Arzneimitteln, die für eine solche Schmerzbehandlung notwendig sind. Daher besteht in diesem Punkt erheblicher Nachbesserungsbedarf. Die Schmerzbehandlung ist immer einem approbierten Mediziner vorzubehalten.11 Ein genereller Arztvorbehalt für den gesamten Eingriff erscheint hingegen nicht notwendig. Die rituellen Beschneider können daher den Eingriff durchführen, während der Mediziner die Schmerzbehandlung sicherstellt.12 Unabhängig von der fehlenden ausdrücklichen Einschränkung, den Eingriff nur nach Schmerzbehandlung durch einen approbierten Mediziner vornehmen zu dürfen, ist § 1631d Abs. 2 BGB inhaltlich nachzujustieren und die gesamte Vorschrift durch einen Absatz 3 zu ergänzen. Auch wenn die Vorschrift ausreicht, um die Fähigkeiten der rituellen Beschneider für die Durchführung des Eingriffs sicherzustellen, ist sie zum Schutz kindlicher Rechte unzureichend. Die Fähigkeiten der rituellen Beschneider können durch staatliche Stellen ex ante nicht kontrolliert werden und bieten daher faktisch nur geringen Schutz für die betroffenen Kinder.13 Hier ist eine Anpassung tauglich, die sich an bereits bestehenden Berufszulassungsvorschriften, wie sie in der BÄO, der BApO sowie der HeilPraktGDV enthalten sind, orientiert. Einerseits, um die fachlichen Kenntnisse und die persönliche Eignung der rituellen Beschneider vorab staatlich zu überprüfen. 10 11 12 13
Dazu E. VI. 4.–5. Dazu E. VI. 5. e). Dazu E. VI. 5. e) sowie E. VII. 2. c). Dazu E. VI. 5. b).
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Andererseits, um eine dauerhafte Kontrollmöglichkeit zu institutionalisieren, die den Entzug der Erlaubnis zulässt, sollten die Voraussetzungen ihrer Erteilung nicht mehr vorliegen. Die Normierung in einer Rechtsverordnung ermöglicht die Überprüfung der Fähigkeiten und persönlichen Eignung der rituellen Beschneider, gewährleistet den Kindern ein ausreichendes Schutzniveau und belastet Eltern und rituelle Beschneider nicht über Maß. Die Regelung der konkreten Anforderungen in einer Rechtsverordnung erscheint darüber hinaus tauglich, um eine flexible Reaktion auf Reformbewegungen innerhalb der betroffenen Glaubensgemeinschaften zu gewährleisten. Haben diese Ausbildungsinstitutionen und Fortbildungsveranstaltungen eingerichtet, können in diesem Rahmen absolvierte Aus- und Fortbildungen durch die staatlichen Stellen akzeptiert werden, sollten sie den Anforderungen genügen. Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, die Vorschrift entsprechend nachzubessern und die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung in den Gesetzestext aufzunehmen.14 Handlungsbedarf besteht ferner in Bezug auf die nicht gerechtfertigte Bevorzugung männlicher Kinder und deren Eltern im Vergleich zu weiblichen Kindern und deren Eltern. § 1631d Abs. 1 S. 1 BGB beschränkt die elterliche Einwilligungsbefugnis allein auf die Beschneidung männlicher Kinder, obwohl es für beide Geschlechter Beschneidungsformen gibt, die absolute Rechte des Kindes nicht verletzen und in Schwere, Motivation und Eingriffsfolgen vergleichbar sind. Diese Beschneidungsformen sind der elterlichen Einwilligungsmöglichkeit unabhängig von dem Geschlecht des Kindes zu eröffnen. Die Voraussetzungen, die für eine männliche Beschneidung gelten, sind dabei allerdings immer einzuhalten.15 Die vor dem Grundgesetz gefundenen Ergebnisse werden auch durch die Erkenntnisse, welche sich aus europäischen und internationalen Rechtsquellen ergeben, getragen.16 Die Vorschrift kann einer Analyse anhand des deutschen Verfassungsrechts sowie internationaler Rechtsquellen damit aus den genannten Gründen nicht uneingeschränkt standhalten. So bekommt auch der Protagonist der Darstellungen in dem Comic von Riad Sattouf 17, der sich gegen seine Beschneidung zur Wehr setzen will, Unterstützung durch das Verfassungsrecht: Die Eltern können, jedenfalls wenn das Kind seinen Willen zum Ausdruck bringen kann, nicht allein über die Durchführung einer religiösen Beschneidung entscheiden.
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Dazu E. VII. 2. d). Dazu E. VIII. 1. Dazu F. Sattouf. Dazu bereits unter A.
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Bevor sich die Verfassungsrichter mit § 1631d BGB beschäftigen,18 sollte der Gesetzgeber aktiv werden und die Vorschrift an die Vorgaben des Grundgesetzes anpassen.
18 Eine erste Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.2.2013 – Az.: 1 BvR 102/13, BeckRS 2013, 47804. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde abgelehnt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.2.2013 – Az.: 1 BvQ 2/13, BeckRS 2013, 47055.
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Sachverzeichnis Abwägungsentscheidung 139 ff. Abwarten der Einwilligungsfähigkeit 164 ff., 189 ff. Abwehrreaktion, kindliche 200 ff. Anästhesie 212 ff., 246 Anstifterstrafbarkeit 55 Approbation 262 ff. Arzneimittelprüfung 66, 148 f., 154 Ärztekammer 56 f. Arztvorbehalt 227 ff., 246 ff. Aufklärung – der Personensorgeberechtigten 203 ff. – des Minderjährigen 206 ff. – durch rituelle Beschneider 224 ff., 244, 263 Behandlungsvertrag 196, 208, 219 f. Berufsausübungsregelung 82, 241 ff. Berufsfreiheit 233 ff. Berufsordnung 57 Beschneider, rituelle 34, 78 ff., 92 f., 218 ff., 233 ff., 249 ff., 289 f. Beschneidung, Definition 28 Beschneidungsfeier/Beschneidungszeremonie 74, 124 f., 182 Beschneidungsritus – jüdische 32 ff. – muslimische 36 ff. Beschneidungsverbot 92, 191 f., 306 Beschneidungswunsch – der Eltern 185 – des Kindes 188, 201 Beschneidungszeitpunkt 33, 109, 129, 164 ff., 189 ff. Bestimmtheitsgebot 172 ff., 270 Bestrafung, körperliche 68, 124 f. Bluttransfusion 141 ff.
Brandmarkung 123 Bund Abrahams 33 Co-Konsens 65 f. Diagnoseaufklärung siehe Aufklärung Diskriminierungsverbot 273 Dokumentationspflichten 208 f., 226 Drei-Stufen-Theorie 238 Ehrenmord 143 Ehrverletzung 125 Eignung der Beschneider 224, 262, 310 f. Eignungskontrolle 223 Einsichts- und Urteilsfähigkeit 59 ff. Einwilligung, rechtfertigende 28, 58 ff. Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten 67 f. Einwilligungsfähigkeit siehe Einsichtsund Urteilsfähigkeit Elternrecht 94 ff., 117, 133, 167 ff., 286, 297 Elternverantwortung 97, 169 f., 189, 193 EMLA-Creme 213 ff. entwürdigende Maßnahmen 68, 125 f., 282 Erlaubnispflicht 83 f., 251 ff. Erlaubnisentzug 264 f. Erniedrigung 123 Erziehung 94 ff. – gewaltfreie 68, 124, 170 – neutrale 136 – religiöse 96 f., 99, 101, 190 ff., 304 f. Europäische Menschenrechtskonvention 300 ff.
Sachverzeichnis
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familiengerichtliches Eingreifen 68, 173, 180 forum externum/forum internum 101, 105, 110
Intimsphäre 130 Irreversibilität 122, 130, 179, 184, 191 Islam 36 ff., 87 ff., 100 ff., 182, 193, 281 ff.
Gebärmutterhalskrebs 153, 156 f., 164, 166 f. Gebot strikter Trennung von Staat und Kirche 93 Genitalverstümmelung 31, 274 ff., 299 Gesetzgebungskompetenz/Gesetzgebungszuständigkeit 76 ff., 270 f. Gesetzliche Krankenversicherung 72 f., 215 gesundheitsprophylaktische Wirkung 79 ff., 146 ff., 167 ff., 231, 236 Gesundheitsschädigung 45 ff., 142 ff. Gewalterfahrung 119, 159 Gewebespende 153, 155 Gewohnheitsrecht 54 f. Gleichbehandlungsgrundsatz 273 ff. Grundaufklärung siehe Aufklärung Grundfreiheiten 259 f. Grundrechtsausübungsfreiheit/Grundrechtsmündigkeit 118, 128, 133 Grundrechtsfähigkeit/Grundrechtsträgerschaft 118 gute Sitten 28 f., 58, 278
Judentum 36 ff., 87 f., 100 f., 106, 191, 193, 210, 282
Handlungsfreiheit, allgemeine 234 f., 245, 269 Harnwegsinfektion 150, 161, 164 f. Heilberuf 76 ff., 244 Heileingriff, ärztlicher 29 ff., 96, 177 Heilgewerbe 77 f. Heilkunde 78 ff., 255, 268 HI-Virus/HIV 151 f., 161 f. Hygienevorschriften 199 Impfung 147 f., 153, 167 Indikation, medizinische 29 f. Infektionskrankheit 150, 157, 283 Internationaler Bürgerrechtspakt 305 Intimhygiene 163, 166
Kindergrundrechte 118 Kinderrechtskonvention 293 ff. Kindeswohl 98, 168 ff., 175 ff., 230 ff.; 296 f. Kindeswohlförderung 181 ff. Kindeswohlgefährdung 68, 127, 169 ff., 230 ff., 296 kindlicher Wille 200 ff., 224 ff. Kindstaufe, christliche siehe Taufe Kirche, christliche 86 ff. Kirchenmitgliedschaft/Kirchenaustritt 63, 133 ff. klinische Prüfung siehe Arzneimittelprüfung Knochenmarkentnahme 155, 169 f., 175 f., 182 f. Komplikationen 158 ff., 212, 248, 284 f. Konfessionszugehörigkeit 188 Kontraindikation 81, 198 ff., 221 Kopftuch-Entscheidung 138 Koran 36, 106, 281 körperliche Unversehrtheit 119 ff., 141 ff., 175 ff., 303 ff. Körperschaft des öffentlichen Rechts 86 ff. Körperverletzung 45 ff. – gefährliche 47 ff. – schwere 51 kosmetischer Eingriff 57, 177, 231, 276 Kosten-Nutzen-Bilanz 167 f. Krankenbehandlung 72 ff. Kruzifix-Entscheidung 138 Lag om omskärelse av pojkar (LOP) 72, 185, 199 f., 206, 209, 221, 225, 228 f., 252, 261, 263 ff.
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Sachverzeichnis
Landgericht Köln 40 ff. Lehre von der praktischen Konkordanz 140, 171, 230 Lizensierung 255 ff. Lokalanästhetikum siehe Anästhesie Mannbarkeitsritual 191 Maßstab der Folgerichtigkeit 141 Menschenwürde 58, 101, 121 ff.,140, 229 f., 282 Mitglied einer Glaubensgemeinschaft 62, 97, 101, 192 Mohel/Mohalim/Mohelet 34, 234, 257 Mohel-Klausel 77, 228, 233 Nachweispflichten 223, 241 Namensgebung 37, 124 Neutralität, staatliche 103, 107, 138 Nutzen – individuelle 150 ff., 162 – kollektive 153 ff., 162 – medizinische 79, 163, 165, 168 – psychische 175 ff., 189 ff. Objektformel 122 Off-Label-Use 215 Ordre-public-Vorbehalt 104 f. Organspende 57, 153 Peniskarzinom 153, 162, 164 ff. Persönlichkeitsentwicklung 129, 131 f., 178 ff. Persönlichkeitsrecht 127 ff., 203, 206, 208 f., 226 Pflege 95 ff., 167 f. Phimose 30, 153, 158 Präjudiz 44 Prävention 73, 150 ff., 283 Prognoseentscheidung 183 ff., 192 ff., 207 psychopathologische Belastungsreaktion 159 psychosexuelle Störung 160
Recht auf gewaltfreie Erziehung siehe Erziehung, gewaltfreie Rechtsgut, disponibles 58 Rechtsstaatsprinzip 174 Rechtsverordnung 269 ff. Regeln der ärztlichen Kunst 91, 195 ff., 219, 243 f. Regierungsentwurf 27 Religionsausübungsfreiheit 100 ff., 134 ff., 188, 191, 297, 305 Religionsfreiheit 99 ff., 132 ff., 141 ff., 183 ff., 211, 297, 304 f. – kollektive 84 f. – korporative 89 – negative 136 ff. Religionsgemeinschaft 87 ff., 187, 223 f., 256 ff. Religionsgesellschaft siehe Religionsgemeinschaft Religionsmündigkeit 133, 135 Religionszugehörigkeit 135 f., 185 f. religiöse Vereinigung 85 ff. religiöses Amt 234 religiöses Existenzminimum 105 religiöses Gebot 32 ff., 106, 191, 210 f., 280 f., 294 RelKErzG 62 ff. Reversibilität siehe Irreversibilität Risikoaufklärung siehe Aufklärung Risiko-Nutzen-Abwägung 148 Ritualmord siehe Ehrenmord Schächten 88, 92, 187, 252 f. Schmerzbehandlung 209 ff., 226 ff., 241 ff., 289 f. Schmerzempfinden 159 f., 209 Schmerzvermeidung siehe Schmerzbehandlung Schutzimpfung siehe Impfung Schutzpflicht 119, 142, 148, 167, 301, 303 Schwangerschaftsabbruch 69, 254 seelische Verletzung 125, 131 Selbstbestimmungsfähigkeit 62, 132
Sachverzeichnis Selbstbestimmungsrecht – der religiösen Gemeinschaften 84 ff., 224, 256 f. – des Kindes 62, 128 ff., 163, 188 Selbstverständnis der Gläubigen 107, 187 f. Sensibilitätsverlust 160 Sozialadäquanz 51 ff. Sozialleistung 61 Spätfolgen 158 f., 283 staatliche Handlungsverpflichtung siehe Schutzpflicht Standard, medizinischer 29, 195 ff., 216 f., 218 ff. Standesrecht, ärztliches 56, 248 Stigmatisierung 123, 282 Subjektqualität 122 Sunna 36, 106, 277 Taufe, christliche 74, 134 ff. Therapiefreiheit 216 Traditionsvorbehalt 75, 100 Transfusion siehe Bluttransfusion Transsexualität 177 f. Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen siehe Kinderrechtskonvention Überwachungsmaßnahmen 223, 258 Unionsbürger 234 Unter- und Übermaßverbot 140, 144, 167, 238 Verbotsirrtum, unvermeidbarer 42 f. Verschieben des Eingriffs siehe Abwarten der Einwilligungsfähigkeit
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Vetorecht, kindliches siehe Wille, kindlicher Vollnarkose siehe Anästhesie Vorwegnahme der Entscheidung 129 f. Wächteramt, staatliche 68, 98 Wahrscheinlichkeitsprognose siehe Prognoseentscheidung Weltanschauung 100 Wille, kindlicher 188 f., 200 ff., 224, 299 Wohl des Kindes, psychisches 175 ff., 189 ff. Wohlbefindensförderung siehe Kindeswohlförderung WRV 86 ff., 110 ff. wunscherfüllende Medizin 146 Würdigkeit 262 Zeitpunkt des Eingriffs siehe Beschneidungszeitpunkt Zertifizierung siehe Lizensierung Zervixkarzinom siehe Gebärmutterhalskrebs Zeugen Jehovas 141 Zirkumzisionsverbot siehe Beschneidungsverbot Zugehörigkeitsmerkmal 123, 135 f. Zulassung 77 ff., 239 ff., 246, 251, 270 f. Zusammenwirkungsverbot 249 ff. Zustand des Beschnittenseins 33, 123, 129 Zuverlässigkeit 261 ff. Zwangsmaßnahme 124, 303