Die Devotio Moderna: Sozialer und kultureller Transfer (1350-1580). Band II: Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna - Zur Dynamik ihres Gedankenguts 3402130025, 9783402130025


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Title
Inhalt
Iris Kwiatkowski: Einleitung
Dieter Scheler: Zur Ästhetik der Devotio moderna: Louis de Blois in Liessies
Matthias Bley: Canonici regulares unweerdich des namen. Ulrich von Dornum und die Augustiner-Chorherren von Marienkamp
Cornel Zwierlein: Johannes a Lasco und die Devotio moderna um 1540: Kontinuität oder Bruch?
Andreas Rüther: Mittel und Wege neuer Frömmigkeitskulturen im Königreich Böhmen vor und nach der Reformation
Martin Biersack: Die Rezeptionsbedingungen der Devotio moderna in Spanien
Koen Goudriaan: Geert Grote, On Simony to the Beguines, and Church Reform
Fiona Somerset: Lollards, Devotion, and Knowledge from an English Perspective
Michael Oberweis: Die niederrheinischen Kreuzherren und ihre Beziehungen zuden „Brüdern vom Gemeinen Leben“
Iris: Kwiatkowski: non verbo sed scripto predicantes. Die Rezeption der Devotio-Literatur im Rahmen kartäusischer Schreib- und Übersetzertätigkeit
Ulrike Hascher-Burger: Gender und Fokus: Weihnachtsmeditation in Liedern der Devotio Moderna
Catrien Santing: Learning and the Modern Devotion: contradictio in terminis or inextricably bound unity?
Mathilde van Dijk: Performing the Fathers in the Devotio Moderna
Bert Roest: Die Devotio Moderna als Medium und Element
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Die Devotio Moderna: Sozialer und kultureller Transfer (1350-1580). Band II: Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna - Zur Dynamik ihres Gedankenguts
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Iris Kwiatkowski Jörg Engelbrecht (†) (Hrsg.)

Der vorliegende Band ist ein Ergebnis des deutsch-niederländischen Forschungsprojektes "Die Devotio moderna als Medium für Wissen und Wissensvermittlung und als Element des sozialen und kulturellen Transfers innerhalb der Rhein-Maas-Region (1350–1580)". Dabei stand nicht die Institutionengeschichte der Devotio Moderna im Mittelpunkt, sondern die Verbreitung ihres Gedankengutes in Gesellschaft und Kultur. Die in diesem Band publizierten Beiträge der Tagung, die 2010 in Bochum stattgefunden hat, erweitern das Blickfeld über die Rhein-Maas-Region hinaus auf andere europäische Regionen und vertiefen den Aspekt der Wissensvermittlung. Der Bogen reicht von Böhmen bis England und Spanien, von den Orden über Bildungsmuster bis hin zum Liedgut der Devoten.

DIE DEVOTIO MODERNA Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580)

Iris Kwiatkowski / Jörg Engelbrecht (†) (Hrsg.)

ISBN: 978-3-402-13002-5

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DIE DEVOTIO MODERNA Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580)

BAND II Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna – Zur Dynamik ihres Gedankenguts

Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580) Band 2

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Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580) Band 2

Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna – Zur Dynamik ihres Gedankengutes

Herausgegeben von Iris Kwiatkowski und Jörg Engelbrecht (†)

Münster 2013

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Abbildung auf dem Titelblatt: Deventer (NL) Athenaeumbibliotheek Hs. 101 F 1, f. 7r (ca. 1475): Beginn der Psalmenübersetzung von Geert Grote und Johannes Scutken; am Rand Zeichnung mit Text Sirach 14,5 („Sibi nequam nulli bonus esse potest“) Wir danken „Stadsarchief en Athenaeumbibliotheek | Saxion Bibliotheek“ Deventer für die freundliche Abdruckgenehmigung.

© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG, werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, 201 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-13002-5

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Inhalt Iris Kwiatkowski Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Dieter Scheler Zur Ästhetik der Devotio moderna: Louis de Blois in Liessies  . . . . . . . . . . 13 Matthias Bley Canonici regulares unweerdich des namen. Ulrich von Dornum und die Augustiner-Chorherren von Marienkamp  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Cornel Zwierlein Johannes a Lasco und die Devotio moderna um 1540: Kontinuität oder Bruch?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Andreas Rüther Mittel und Wege neuer Frömmigkeitskulturen im Königreich Böhmen vor und nach der Reformation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Martin Biersack Die Rezeptionsbedingungen der Devotio moderna in Spanien  . . . . . . . . . 89 Koen Goudriaan Geert Grote, On Simony to the Beguines, and Church Reform  . . . . . . . . . 115 Fiona Somerset Lollards, Devotion, and Knowledge from an English Perspective  . . . . . . . 141 Michael Oberweis Die niederrheinischen Kreuzherren und ihre Beziehungen zu den „Brüdern vom Gemeinen Leben“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Iris Kwiatkowski non verbo sed scripto predicantes. Die Rezeption der Devotio-Literatur im Rahmen kartäusischer Schreib- und Übersetzertätigkeit  . . . . . . . . . . . . 169

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Ulrike Hascher-Burger Gender und Fokus: Weihnachtsmeditation in Liedern der Devotio Moderna  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Catrien Santing Learning and the Modern Devotion: contradictio in terminis or inextricably bound unity?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Mathilde van Dijk Performing the Fathers in the Devotio Moderna  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Bert Roest Die Devotio Moderna als Medium und Element  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

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Einleitung Iris Kwiatkowski

„Die Devotio Moderna als Medium für Wissen und Wissensvermittlung und als Element des sozialen und kulturellen Transfers innerhalb der Rhein-Maas-­Region 1350–1580“ – unter dieser Fragestellung stand der Deutsch-Niederländische Workshop, der am 29./30. Oktober 2010 in Bochum stattfand und im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts von Angehörigen der Universität Duisburg-Essen, der Ruhr-Universität Bochum, der Rijksuniversiteit Groningen und des Gelders Archief Arnhem organisiert wurde. Nachdem 2009 auf einem ersten Workshop in Arnheim der Rhein-Maas-Raum im Mittelpunkt gestanden hatte, wurde nun das Blickfeld über dieses Kerngebiet der Devotio hinaus auf andere europäische Regionen erweitert und der Aspekt der Wissensvermittlung, auch im Bezug auf das Ordenswesen, vertieft. Der Tagungsort Bochum scheint – wie Jörg Engelbrecht in seinem Grußwort hervorhob – nicht unbedingt in einem engeren Zusammenhang mit den Devoten zu stehen. Und doch gehört auch Bochum, gehört Westfalen insgesamt zu jenem Raum, in dem der Einfluss der Devotio wirksam wurde. Gemeint ist der RheinMaas-Raum in seinem weitesten Sinne, also nicht nur die „pays entre Meuse et Rhin“, wie sie die Franzosen 1794 genannt haben, sondern eine viel weiter ausgreifende Region, die das Territorium der heutigen Benelux-Staaten, NordrheinWestfalens und Teile Niedersachsens umfasst. Ganz bewusst widmete sich ein Großteil der Tagungsbeiträge jenen Regionen, die von der Devotio allenfalls peripher erfasst wurden. Matthias Bley begab sich auf eine mühsame „Spurensuche“, die der Ausbreitung der Devotio Moderna in Ostfriesland galt. Dabei setzte er sich mit der allgemein verbreiteten These auseinander, die deutsche Nordseeküste sei von den Einflüssen der Devotio weitgehend ausgeschlossen geblieben. Trotz ungünstiger Quellenlage konnte er eine gewisse „Strahlkraft“ der Devotio ausmachen, die, vom Groninger Raum ausgehend, in Ostfriesland ihre Wirkung entfaltete. Auch Cornel Zwierlein widmete sich dem ostfriesischen Raum, wobei er den Akzent auf die dort um 1540 herrschende „religiöse Pluralität“ legte. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand der polnische Reformator Johannes a Lasco (1499–1560), den er als weitgereisten, vielerorts tätigen Theologen mit „großer europäischer Perspektive“ würdigte. 1539 dürfte dieser in Löwen die „Brüder vom gemeinen Leben“ kennen gelernt haben, bevor er 1542 als Superintendent nach Emden ging. Das Gedankengut der Devoten hat in sei-

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nem Œuvre jedoch kaum einen Niederschlag gefunden; allenfalls bezüglich der zentralen Rolle der Gesellschaft sind vage Berührungspunkte erkennbar. Andreas Rüther richtete den Blick auf ein weiteres „Randgebiet“ der Devotio: das Königreich Böhmen vor und nach der Reformation. Zu Beginn seines Vortrags verwies er auf begriffliche Probleme, die es erschwerten, die Verhältnisse in Böhmen mit denen anderer Regionen zu vergleichen. Eine gewisse „Ungleichzeitigkeit“ ergebe sich schon daraus, dass die eigentliche reformatorische Zäsur in Böhmen durch den Hussitismus markiert werde. Schwer einzuordnen sei auch eine vielschichtige Persönlichkeit wie Kaiser Karl IV.: Seine Frömmigkeitspraxis lasse ebenso traditionelle Prägungen (Reliquienkult, Heiligenverehrung) erkennen wie Andeutungen einer „modernen“ Religiosität (Betonung des Armutsideals). Martin Biersack untersuchte die Rezeptionsbedingungen der Devotio Moderna in Spanien und befasste sich dabei vor allem mit zwei bedeutenden Reformern: Abt García de Cisneros und Erzbischof Hernando de Talavera. Dabei setzte er sich zentral mit der Frage auseinander, ob die Devotio in Spanien eigene Impulse zur Erneuerung geben konnte oder ob ihr Schrift- und Gedankengut lediglich passiv rezipiert wurde, ohne neue Akzente zu setzen. Zwei weitere Vorträge unternahmen einen Vergleich mit den englischen ­Lollarden. Koen Goudriaan analysierte einen volkssprachlichen Traktat Geert Grotes, von dem sich nur ein handschriftliches Exemplar erhalten hat: De ­simonia ad beguttas. Das Werk richtete sich an Beginen, die nach der Dritten Regel des hl. Franziskus lebten, vermutlich in Zwolle oder Kampen. In einem Vergleich zwischen Geert Grote und John Wyclif stellte Goudriaan fest, dass beide kritisch gegenüber der Kirche ihrer Zeit eingestellt waren. Während Grote aber auch das aktuelle Kirchenrecht in seine Argumentation einbezog, berief sich Wyclif nur auf ältere kirchenrechtliche Normen bis zur Zeit des IV. Laterankonzils. Auch Fiona Somerset ging auf Parallelen zwischen der Devotio Moderna und den englischen Lollarden ein: Beide Bewegungen strebten nach einer imitatio Christi, beide standen den kirchlichen Verhältnissen ihrer Zeit kritisch gegenüber, beide maßen der Buchlektüre große Bedeutung bei, und beide zeigten sich sehr interessiert an volkssprachlichen Übersetzungen religiöser Literatur. Diese auffallenden Übereinstimmungen seien in der bisherigen Forschung kaum beachtet worden, weil man das Lollardentum voreilig als „Häresie“ wahrnehme und entsprechend einseitig interpretiere. Der grenzüberschreitende Einfluss der Devotio machte sich freilich nicht nur in fernen Regionen geltend; auch im spätmittelalterlichen Ordenswesen sind mancherlei Wechselwirkungen spürbar. In scheinbarer Paradoxie thematisierte Dieter Scheler die „Eleganz der Devoten“. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war eine Bemerkung des Xantener Dekans Arnold Heymerick, der den gemessenen Habitus der Windesheimer Chorherren bewunderte. Wie Scheler anhand der Windesheimer Statuten zeigen konnte, legten die Reformer tatsächlich großen

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Einleitung

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Wert auf die andächtige Ausführung des Chorgesangs. Störungen durch undiszipliniertes Gerede oder Stühleklappern waren strengstens untersagt. Ein ähnliches Bild ergab sich im Blick auf die nordfranzösische Abtei Liessies, die in den 1530er Jahren von Louis de Blois reformiert wurde. So entstand eine gleichsam „unbeabsichtigte Ästhetik“; die angestrebte Schmucklosigkeit der Sprache entwickelte ihre eigene stilistische Eleganz. Michael Oberweis erörterte die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Devotio Moderna und dem 1410 reformierten Orden der Kreuzherren. Nicht wenige Zöglinge der Schulen zu Zwolle und Deventer schlossen sich in späteren Jahren dem Kreuzherrenorden an, und in den Bibliotheken der Kreuzherren finden sich zahlreiche Beispiele devoter Literatur. Insgesamt zeigen die untersuchten Einzelfälle, wie die „Wissensvermittlung“ zwischen den Devoten und den ihnen geistesverwandten Ordensleuten funktionierte; neben Schulen und Büchern kam dabei Einzelpersonen und ihren vielfältigen Kontakten, auch über Ordensgrenzen hinaus, große Bedeutung zu. Iris Kwiatkowski referierte über den kartäusischen Beitrag zur spätmittelalterlichen Rezeption der Devotio-Literatur. Sie verwies auf den Anspruch der Kartäuser, wegen ihres Schweigegelübdes „nicht mit dem Mund, sondern mit den Händen“ (d. h. durch Bücherschreiben) zu predigen, der später wortgleich von Vertretern der Devotio übernommen wurde. In der Forschung wurde das kartäusische Diktum vielfach nur auf das seelsorgliche Bedürfnis der eigenen Ordensmitglieder bezogen, während die Devoten auch für Außenstehende geschrieben hätten. Doch diese zugespitzte Gegenüberstellung wird den kartäusischen Intentionen keineswegs gerecht: Namhafte kartäusische Übersetzer wie Johannes Haller, Erhard Groß oder Ludwig Moser wurden nachweislich auf Bitten adliger und bürgerlicher Laien tätig. Kennzeichnend für ihre Nähe zur Devotio sind nicht nur die von ihnen übersetzten Werke (Thomas von Kempen, Gerhard Zerbolt), sondern auch ihr Bemühen um eine schlichte und schmucklose Sprache („gemaines Deutsch“). Mathilde van Dijk untersuchte den Umgang der Devotio mit dem Schrifttum der geistlichen Autoritäten. Dabei konstatierte sie deutliche Präferenzen für die Überlieferungen der Wüstenväter, den hl. Augustinus, Gregor den Großen und Bernhard von Clairvaux; unter den neueren Autoren dominierten David von Augsburg und Heinrich Seuse. In der Lektüre gab man Exzerptsammlungen den Vorzug vor vollständigen Textausgaben; in Form von Rapiarien sammelte man einschlägige Zitate als Grundlage für die eigene Meditation. Wie selbstverständlich ging man davon aus, dass die Kirchenväter und -lehrer stets die Wahrheit verbürgten; daher konnten auch Zitatfragmente verschiedener Verfasser frei kombiniert und in einen neuen gedanklichen Zusammenhang eingeordnet werden. Mit einer bisher wenig beachteten Quellengattung setzte sich Ulrike HascherBurger auseinander: Sie zog lateinische und volkssprachliche Lieder als Informationsträger heran und zeigte, dass diese Lieder bei den Devoten fest in die täg­

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liche Meditation integriert waren. Beispielhaft wählte sie sechs Liedtexte aus, von denen drei aus weiblicher, drei aus männlicher Perspektive das weihnachtliche Heilsgeschehen reflektierten. Dabei erwiesen sich die Lieder weiblicher Provenienz stark von einem geschlechtsspezifischen Rollenverständnis geprägt; dagegen dominierten in den Liedern, die in einem männlichen Kontext entstanden sind, theologische Inhalte wie die Vorstellung des kindgewordenen Weltenschöpfers. Catrien Santing erörterte den Stellenwert der Gelehrsamkeit innerhalb der Devotio Moderna und betonte, dass auch der Aspekt der humanistischen Bildung bei den Devoten nicht vernachlässigt werden dürfe: Manche ihrer Vertreter hätten ausgezeichnete Kenntnisse in Latein und Griechisch besessen. Viele Brüder zu Deventer seien in der lokalen Lateinschule ausgebildet worden, einige von ihnen hätten sogar dort gelehrt, obwohl das den eigenen Statuten zufolge eigentlich nicht zulässig war. Beispielhaft verwies sie in diesem Zusammenhang auf Namen wie Johannes Sinthen und Servatius Aedicollius. Bert Roest fasste die Ergebnisse der Tagung zusammen und formulierte abschließend vier Desiderata: Zum ersten seien weitere vergleichbare Phänomene näher zu erforschen, um zu einem vertieften Verständnis für die Ursprünge der Devotio zu gelangen; dabei sei auch die Begrifflichkeit (moderna/nova) eingehender zu untersuchen. Zum zweiten müsse die Buchkultur der Devotio präziser definiert werden: Was sei daran als allgemein zeittypisch, was als Devotio-spezifisch zu betrachten? Zum dritten müsse der Spätzeit der Devotio vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn der Akzent der bisherigen Forschung liege meist auf den Anfängen und der Frühgeschichte. Und schließlich müssten auch die geographischen Rahmenbedingungen des Ausbreitungsgebietes, die Prosopographie der Devoten sowie die verfügbaren Möglichkeiten der Kommunikation stärker ins Auge gefasst werden. Von Beginn an hat sich Jörg Engelbrecht in unserem Deutsch-Niederländischen Forschungsprojekt tatkräftig engagiert. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, das Erscheinen der beiden Tagungsbände mitzuerleben. Gleichsam als sein Vermächtnis sei daher der Appell zitiert, den er seinerzeit an die Teilnehmer des Bochumer Workshops richtete: „In einem ‚Europa der Regionen‘ kann und muss sich auch N ­ ordwesteuropa positionieren. Es sind heute zugegebenermaßen in erster Linie ­wirtschaftliche Beziehungen, die diesen Raum zusammenhalten, doch ist zu hoffen, dass daneben bald auch historisch-kulturelle Faktoren zum Zusammenhalt der ­Region beitragen. Dazu rechnet auch die grenzüberschreitende Kooperation der Universitäten und Forschungseinrichtungen, wie wir sie hier praktizieren. Die ­wissenschaftlichen Verbindungen werden sich hoffentlich im Laufe der Jahre noch intensivieren und zur Einrichtung gemeinsamer deutsch-niederländischer oder deutsch-belgischer Studiengänge führen. Erste Anläufe hierzu haben wir an der Universität Duisburg-Essen bereits unternommen, indem wir zusammen mit

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Einleitung

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der Radboud-Universität in Nimwegen einen Master-Studiengang ‚Niederländische Sprache und Kultur‘ etabliert haben, der soeben in beiden Ländern akkreditiert wurde. Ich bin davon überzeugt, dass solche Studiengänge auch in den historischen Disziplinen sinnvoll wären – wir sollten einmal darüber nachdenken.“

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Zur Ästhetik der Devotio moderna: Louis de Blois in Liessies

Dieter Scheler

Es mag auf den ersten Blick etwas abenteuerlich erscheinen, von der Ästhetik der Devotio moderna zu sprechen. Denn das schlichte nach innen gerichtete Ideal devoten Lebens scheint das genaue Gegenteil eines Lebens der schönen Form zu sein. Aber ganz so verhält es sich denn doch nicht. Schon Zeitgenossen wie der Xantener Dekan Arnold Heymerick nahmen nicht nur die vorbildliche innere Einstellung der Gemeinschaften der Devoten wahr, sondern auch ihre beeindruckende äußere Haltung. Denn ihr Habitus beim Gehen und Stehen hielt seiner Meinung nach die genaue Mitte zwischen Unterwürfigkeit und stolzem Gehabe.1 Er war – nach modernen Maßstäben – ästhetisch. Wenn aber diese Haltung so beeindruckend war, verriet sie damit so etwas wie einen eigenen Stil der von der Devotio geprägten religösen Gruppen? Gab es also eine Ästhetik der Devotio? Und wenn, war sie gewollt oder nur ein unbeabsichtigt eintretender Nebeneffekt? War sie in ihrer damaligen Gesellschaft so etwas wie ein einmaliges bewusstes Gegenmodell eines Habitus oder konnte sie sich – als Stil – mit zeitgenössischen Strömungen in der Gesellschaft verbinden? Die nahe liegendsten Quellen zu diesem Fragenkomplex sind die Statuten der von der Devotio geprägten oder beeinflussten Ordensgemeinschaften und die Erbauungsliteratur dieser Kreise. Bei der Durchsicht der Statuten der Windesheimer und der von der Devotio beeinflussten benediktinischen Reformkongregationen (Santa Giustiniana in Padua, Melk, Liessies im Hennegau) erwies sich das Bendiktinerkloster Liessies unter seinem Abt Louis de Blois als der aufschlussreichste Fall der Verbindung von devoter Spiritualiät und ästhetischer Haltung. Er wird deshalb im Mittelpunkt der folgenden Erörterungen stehen.2 1 2

Vgl. meinen Beitrag, Die „neuen Frommen“ in der Sicht eines „alten Frommen“: der Xantener Dekan Arnold Heymerick über die Devotio moderna‘ im ersten Band dieser Publikation. Zu Louis de Blois: F. Baix, Art. „Blois, Blosius (Vénérable Louis de)“, in: Alfred Baudrillart (Hrsg.), Dictionnaire d’Histoire et de Géographie ecclésiastiques 9 (1937), Sp. 228–242. – Lambert Vos, Louis de Blois, abbé de Liessies (1506–1566), Recherches bibliographiques sur son œuvre, (Publications de l’Encyclopédie Bénédictine, 1), Turnhout 1992. – Zu Lies-

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Neben der Frage der Ordensorganisation war einer der zentralen Programmpunkte der inneren Erneuerung des Benediktinertums im 15. und 16. Jahrhundert die Orientierung an der spezifisch persönlichen Frömmigkeitsform der Devotio. Das gilt sowohl für die Reform von Santa Giustiniana durch Ludovico Barbo wie für die Reform von Melk, die die Rolle der Meditation im mönchischen Leben betonen, aber auch für die Reform von Bursfelde. Einerseits spiegelt sich das im Einfluss devoter Texte auf die spirituellen Werke der Ordensreformer wie Barbo und Blois selbst wieder, andererseits in der Verbreitung devoter „Klassiker“ in den Bibliotheken der reformierten Klöster. Zentraler Text ist die Imitatio Christi, der nicht nur den Ordensreformern vertraut ist, sondern den sie auch im Kloster nicht nur den Mönchen, sondern auch den Konversen zur geistlichen Lektüre vorschreiben.3 So gibt etwa Louis de Blois in seinen Statuten für Liessies seinen Mönchen als verpflichtende geistliche Lektüre ausdrücklich Texte wie die von Thomas von Kempen vor.4 Dennoch unterscheidet sich der Reformansatz in Liessies deutlich von denen der genannten Ordensreformen. Zunächst einmal dadurch, dass die Reform auf dieses Kloster beschränkt bleibt. Louis de Blois gründet keine Reformkongregation. Dann aber durch die Betonung der geistlichen Seelenführung des einzelnen Mönchs durch den Abt und eine bewusste Milderung der aketischen Strenge der Regula Benedicti. Beides gehört zusammen und erklärt sich zunächst aus der Lebensgeschichte von Louis de Blois. 1506 geboren, entstammte Louis einer hochadeligen Familie des Hennegau und war ursprünglich nicht für eine geistliche Karriere bestimmt. Als Page bei Erzherzog Karl, dem späteren Karl V., wurde er bei einem Turnier verwundet und trat mit sechzehn Jahren in das Kloster Liessies ein. Sein Abt förderte ihn, schicksies: Joseph Peter, L’abbaye de Liessies en Hainaut depuis ses origines jusqu’après la ré­ forme de Louis de Blois, 764–1566, (Mémoires et travaux pub. par des professeurs des Facultés catholiques de Lille, fasc. 9), Lille 1912. 3 Im Gegensatz zu dem, was nach Heinrich Rüthing, Frömmigkeit, Arbeit, Gehorsam: zum religiösen Leben von Laienbrüdern in der Windesheimer Kongregation, in: Klaus Schreiner (Hrsg.): Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter, (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20), München 1992, S. 205–210 aus den Windesheimer Statuten über die Konversen zu schließen ist, gehörte zumindest in einzelnen ihrer Konvente auch die Imitatio Christi zum Lese- oder Lesungsprogramm der Laienbrüder. Vgl. den Eintrag im Augsburger Druck der oberdeutschen Imitatio von 1486 (Eine ware nachfolgung Cristi) aus dem Windesheimer Konvent Rebdorf: Das puch gehört den leyen brüdern zu rebdorf in das gemein (Abbildung bei Karl Klaus Walther: Lexikon der Buchkunst und der Bibliophilie, Leipzig 1987, S. 231). 4 Ursmer Berlière (Hrsg.), Ven. Ludovici Blosii abbatis Laetiensis, O. S. B., Statuta monastica, (Scripta monastica n. 10; series historio-hagiographica, n. 2), Padua 1929, c. 15, S. 58: Täglich gibt es abgesehen von der Tischlesung eine mindestens halbstündige lectio regularis aus den libri Laurentii Justiniani et opuscula Thomae a Kempis vel etiam alii consimiles devoti monachisque convenientes tractatus.

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Zur Ästhetik der Devotio moderna: Louis de Blois in Liessies

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te ihn auf die Schule nach Gent und 1524–1530 zum Studium an die Universität Löwen, wo er am Collegium Trilingue auch Griechisch und Hebräisch erlernte. In dieser Zeit – 1528 – wurde er bereits Koadjutor seines Abts und trat nach dessen Tod im Jahre 1530 seine Nachfolge an. Sein Versuch das Kloster gemäß der Benediktinerregel zu reformieren, scheiterte zunächst. Erst 1537 gelang sie – mit deutlichen Milderungen der Regel, aber entschiedenerAkzentuierung des geistlichen Lebens der Mönche, das in erster Linie der persönlichen Initiative des einzelnen verdankt sein sollte und erst in zweiter Linie dem Gehorsam gegenüber der Regel.5 Die beiden Texte aus der Hand des Abtes, die das am deutlichsten dokumentieren, sind sein Speculum monachorum (1538) und die päpstlich approbierten Statuten für Liessies von 1539. Die Art und Weise der Seelenführung, die Louis de Blois praktizierte, haben seine Biographen mit den Begriffen „douceur … patience et … calme“ umschrieben.6 Denn bei aller Festigkeit in den Regelanforderungen an seine Mönche, was Klausur, Besitzlosigkeit, Schweigen und Gebet betraf, ließ er doch im Einzelfall bewußt Milde und Nachsicht walten. Diese Grundeinstellung bestätigen auch sein zahlreichen geistlichen Schriften. Er wünschte weder Übertreibungen beim Fasten oder Schweigen noch bei der persönlichen Gewissenserforschung, die extrem skrupulös durchgeführt zu seelischer Niedergeschlagenheit führen konnte. Es kam darauf an, in allem das richtige Maß zu finden, in der inneren Einstellung ebenso wie im äußeren Verhalten. Auf angemessenes äußeres Verhalten kam es Louis de Blois zunächst beim gemeinsamen Gottesdienst des Konvents an. In diesem Punkt tragen die Vorschriften für Liessies ganz die Züge der Gemeinschaften der Devotio moderna. Die Windesheimer Statuten schreiben detailliert vor, dass die Bewegungen des Einzelnen gemessen zu sein haben, dass Augen und Hände zu hüten sind, dass jede Unruhe zu vermeiden ist, selbst unnötiges Blättern im Buch, und dass für verursachten Lärm durch Herunterfallen eines Buches oder Zurückklappen eines Sitzes der Windesheimer Bruder um Verzeihung zu bitten hat. Ähnlich strikt sind die Vorschriften über die korrekte Artikulation beim Chorgebet und die saubere Intonation beim Chorgesang.7 Das alles entspricht den Empfehlungen von Thomas von Kempen, innerlich demütig und maßvoll zu bleiben und in allen Bewegungen und in jeder Haltung nichts zu tun und zu zeigen, was den Blick eines Menschen beleidigen könnte: humiles et compositos mores habeas.8 Auf dieser 5 Baix, Blois, Blosius (wie Anm. 2), Sp. 228–231. 6 Baix, Blois, Blosius (wie Anm. 2), Sp. 228. 7 Eusebius Amort (Hrsg.), Vetus disciplina canonicorum regularium et saecularium, t. 1, 8

Venedig 1747, Cap. 3. Qualiter fratres habere se debent in horis regularibus, S. 577–580. Thomas von Kempen, Brevis Admonitio Spiritualis Exercitii, 8, 2; 15, 10, in: Thomas von Kempen, De Imitatione Christi; Nachfolge Christi und vier andere Schriften, hrsg. von Friedrich Eichler, München 1966, S. 562 f., 573.

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Linie bewegen sich auch die Vorschriften von Louis de Blois für Liessies, nur dass sie noch detaillierter sind und die zugrunde liegenden Prinzipien entschiedener betonen.9 Honestas und modestia sollen die äußere Haltung bestimmen. Die Mönche sollen im Chor nicht zu schnell und außerhalb nicht zu langsam gehen, sie sollen ein fröhliches, aber durch angemessene gravitas bestimmtes Gesicht zeigen. Nicht Lachen ziemt sich, sondern nur ein leichtes Lächeln. Das Reden hat gemessen zu sein, der Redende soll eine mittlere Tonlage einhalten.10 Angewandt auf die Liturgie heißt das wie in Windesheim, dass nicht die kleinste Silbe, Senkung oder Hebung und nicht der geringste Intervall und die kleinste Pause bei Gebet und Gesang verloren gehen darf.11 Devota gravitate et gravi devotione ist der Chordienst zu leisten.12 Auch was die Praxis der geistlichen Lektüre betrifft, bewegen sich die Vorschriften für Liessies ganz in den Bahnen der Devotio. Nicht Neugier oder die Hochschätzung guten Stils sollen das Lesen bestimmen, sondern nur die Intention, Wissen zu erwerben zum besseren Verständnis der Christusnachfolge  –

Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), Cap. II: Quae diligentia et disciplina circa divinum officium servari debeat, S. 4–9. 10 Speculum monachorum, in: Ludovici Blosi abbatis Laetiensis nostri saeculi laudatissimi opera, Köln 1606, S. 728b: Incessus tuus non sit nimium celer aut concitatus, praecipue in oratorio … neque rursus extra oratorium appareat nimium tardus aut remissius: sed sit modestus et honestus. totum corpus tuum ubique sub laudabili compositione contine. ­Vultum cum decenti gravitate hilarem coram aliis exhibe, benignam et affabilem omnibus prae­ bens. … Quando ridere compelleris, non nisi continenter et monastice rideto: ut risus tuus vix risus dici potest. Cachinnum, tamquam ingens propositi tui impedimentum, atque altum animae praecipitium fuge … Non praeceps, non turbulentus, non clamosus, non contentiosus in verbis appareas: sed modeste, verecunde et benigne, sine simulatione, quae vera rectaque sunt, loquere. Non, inquam indecenter vocem eleves: neque rursum sic deprimas, ut intelligi vix possis: praesertim si locus, tempus, causa vel persona cui loqueris, exigit ut clarius loquaris. Nam vox monachi sicut semper quidem verecunda, frequenter autem submissa debet, iuxta sanctas religionis ordinationes: ita debet et nonunquam esse rationabiliter clara. 11 Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), Cap. XXXII: Paterna exhortatio, S. 132: Estote diligentes in divinis officiis; ea non ex arida quadam consuetudine, sed ex sincera charitate stu­diose peragite; omnia ipsorum divinorum officiorum verba sacratissima, quae Spiritus sanctus dictavit, integre et cum reverentia, religiosis vocibus pronuntiate et cantate; certo credentes nec minimam quidem syllabam, nec unius notulae cantum nec modicam inclinatiunculam ibi perire, si spiritus vester vigil, si intentio recta et affectus purus fuerit. 12 Vita Venerabilis Domini Ludovici Blosii Abbatis Laetiensis, in: Acta Sanctorum, Jan. t. 1, Antwerpen 1643, S. 447 über Zierde und Würde von Gotteshaus und Gottesdienst unter Louis de Blois: Hic est ille decor, haec illa maiestas domus Dei, quae cernitur in divinorum Officiorum sacrificiorumque statis ac solemnibus caeremoniis devota gravitate et gravi devotione obeundis, in Gregoriano cantu clare, lente, sonore, et per congrua intervalla sive respirationes, distincte atque articulate celebrando, in omni denique opere Dei, cum interno sapore et externa modestia rite decenterque peragendo. 9

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nicht anders als dies die Imitatio Christi empfiehlt.13 Doch in der Absicht den „inneren“ Mönch zu erbauen, geht Louis de Blois sowohl über die Regula Benedicti wie über die Devotio deutlich hinaus. Während nach seinen Statuten Klausur und Armut in benediktinischer Tradition konsequent einzuhalten sind, werden die aszetischen Anforderungen und das Schweigegebot deutlich abgemildert. Es gibt in Liessies keinen Nachtchor mehr und an Fastentagen hat der Mönch beim Abendessen die Wahl zwischen zwei Angeboten: einer normalen Mahlzeit oder dem Verzicht darauf zugunsten eines bloßen Stücks Brot und etwas Wein. Die Abweichungen vom ursprünglich strengen Schweigegebot gehen noch weiter, denn insgesamt drei Stunden täglich haben die Mönche Gelegenheit zum Gespräch.14 Als Handarbeit empfiehlt Louis de Blois das Abschreiben von Texten trotz vorhandener gedruckter Bücher  – wie dies auch Johannes Trithemius aus der Bursfelder Kongregation 1492 in seinem Traktat De laude scriptorum empfohlen hatte und wie es auch bei den Windesheimern üblich war. Es sei eine Konzentrationsübung und fördere die Versenkung in den abzuschreibenden Text.15 Jeder Mönch bekommt ein Gärtchen zugewiesen, in dem er Nutzpflanzen oder Blumen ziehen kann. – Absicht des Abtes war es, durch die Anlage dieser Gärtchen neben dem gemeinsamen Klostergarten, den Mönchen, die in strenger Klausur abgeschieden von der Außenwelt leben sollten, innerhalb des Kloster Entspannung und Erheiterung zu bieten. Die Gärten waren so angelegt, dass sie auch einen weiten Blick in die Umgebung gestatteten, durch die der gesamte Kon13 Speculum monachorum, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), S. 717b: Ut igitur tantum fruc-

tum merearis, lectioni libenter atque sapienter intende: hoc est, in ipsa lectione utilitatem consolationemque spiritualem, et Dei amorem quaerere, non curiositatem, non superfluam intelligentiam et scientiam, non verborum ornatum atque elegantiam. Regnum enim Dei non in venustate sermonis, sed in sanctitate vitae est. – Ausführlicher Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), Cap. XV. De quotidianis sacrae lectionis execercitiis et labore manuum, hier S.  61.  – Thomas von Kempen, De Imitatione (wie Anm.  8), I, 5: De lectione sanctarum scripturarum; S. 44–47. 14 Peter, L’abbaye de Liessies (wie Anm. 2), S. 301–305. 15 Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), Cap. XV. De quotidianis sacrae lectionis execercitiis et labore manuum, S. 62 f.: Caeterum inter exteriores labores scriptio monachis admodum convenit, per quam et corpus exterius et animus interius decentissime occupatur. – Quamvis autem absque scribendi labore, libros typis excusos comparare liceat, hoc tamen non debet nos reddere segniores, quo minus libenter in scriptione, dum aliis actionibus vel impedimentis legitimis non detinemur, ad honorem Dei certis temporibus nos exerceamus, etiamsi id quod quisque scribit, ad nullum forte usum postea venire debeat.  – Diese Einstellung war den Klöstern sowohl der Melker wie der Bursfelder Reform verbreitet und führte zu einer Spätblüte benediktinischer Skriptorien. Vgl. Klaus Arnold (Hrsg.), Johannes ­Trithemius, De laude scriptorum – Zum Lobe der Schreiber, (Mainfränkische Hefte, 60), Würzburg 1973, S. 12. Vgl. in dieser Edition von De laude scriptorum das Kap. 7: Quod propter impressu­ram a scribendis voluminibus non sit desistendum.

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vent einmal im Monat eine große Wanderung unternahm. In den Nachmittagsstunden, die der Erholung dienten, konnten die Mönche im Gespräch im Klostergarten spazierengehen, in den Gartenlauben musizieren, erheiternde Lesungen abhalten oder Spiele veranstalten. Bedingung war nur, dass alles Lärmen, weltliche Lieder oder Spiele, bei denen der Habit abgelegt wurde, unterblieben.16 Doch die Intention des Abtes ging über den entspannenden Naturgenuss der Mönche hinaus, sie hatte auch einen geistlichen Zweck, den er durch lateinische Inschriften verdeutlichte, die er anden Eingängen der Gärten anbringen ließ. Sätze wie „Die Schönheit der Blumen und der übrigen Geschöpfe reißt das Herz hin zur Bewunderung und Liebe des Schöpfers“, oder „Die Lieblichkeit des Gartens bringe in Erinnerung die Wonne des Paradieses“ machten die meditative Funktion der Gartenanlage unübersehbar deutlich.17 Denn die Natur als das Buch, das mit Gottes Finger geschrieben ist und in dem die einzelnen Geschöpfe gleichsam die einzelnen Buchstaben sind, gilt es zu lesen, wie Louis de Blois in einem geradezu hymnischen Kapitel seines Canon vitae spiritualis ausführt.18 Schönheit und Ebenmaß sind nicht nur im Anblick der Natur passiv wahrzunehmen, sie sind – man nehme das Beispiel der Gärtchen – auch aktiv zu gestalten. Louis de Blois ist nach diesem Prinzip auch bei der Restaurierung des Klosters und der Klosterkirche vorgegangen. So habe er etwa, wie sein Biograph hervorhebt, den Hochaltar in vitruvischen Maßen neu errichten lassen. Selbst in den Zellen der Mönche sollte nicht nur Ordnung, sondern Schönheit herrschen. Der Abt äußerte dementsprechend deutlich sein Mißfallen, wenn er Unästhetisches in einer Zelle vorfand. Innere und äußere Reinheit müssten sich immer im Gleichklang befinden. Und deshalb achtete er nicht nur darauf, dass die Kleidung der Mönche reinlich war, sondern jeder Gegenstand gleichgültig ob in der Zelle, im Refektorium oder in der Kirche ein facies elegans ac nitida zeigte.19

16 Peter, L’abbaye de Liessies (wie Anm. 2), S. 301 f. – Vita Ludovici Blosii (wie Anm. 11),

S. 446. – Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), Cap. XVII: De liberioribus colloquiis, spatiamentis vel recreationibus congregationis, S. 65–68, darin S. 68 auch ein Verbot bestimmter Musikinstrumente (Fistulas, tibias et similia instrumenta quae minus tranquilla et a saeculari lascivia minus aliena sunt nolumus in usu esse apud fratres). 17 Vita Ludovici Blosii (wie Anm. 11), S. 446. 18 Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10) c. 28–29, S. 23b (Text im Anhang). 19 Vita Ludovici Blosii (wie Anm.  11), S.  447 (Hochaltar); S.  450: Si quid in cellis Fratrum invenisset, non dicam sordidum nimis, sed minus decore compositum, ostendebat id sibi displicere, cum diceret, animi et corporis, internam et externam munditiam, dextras iungere, et pari passu ambulare debere; et ad exemplum S. Bernardi, paupertatem amandam esse, non sordes. Erat Blosio maxime cordi in facie et manibus ingenua mundities, in veste decens paupertas; in cubiculo et omni supellectili privatim, publice in culina, refectorio, hospitali mensa ac domo, in templo, in omnibus elegans ac nitida rerum facies, spirans ubique castam munditiem et mundam castitatem. Hoc sibi, hoc aliis dictabat; hoc posteri avide acceptum

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Die Ästhetik der Devotio, wie sie sich in den Verhaltensvorschriften der Windesheimer zeigte, wird in Liesses zu einem tragenden Prinzip der klösterlichen Lebensführung. Auch als geistlicher Schriftsteller bewegt sich Louis de Blois in den Bahnen der Devotio moderna. Das gilt sowohl für den Zweck seines Schreibens wie für seine Arbeitsweise. Seine Texte sollen der Erbauung der Seelen dienen – Mönchen wie Laien, es sind Schriften der Aszetik. Als solche haben sie seinen Ruf als großer geistlicher Seelenführer im Katholizismus bis weit ins 19. Jahrhundert begründet. Verwiesen sei nur auf die Übersetzung des Speculum monachorum unter dem Titel Guide spirituel durch Lamennais 1809. Er stellte es insofern noch über die Imitatio Christi, als seiner Meinung nach kein Werk in gleichem Maße „la douceur, la tendresse, la vivacité du sentiment, et la naïveté de l’expression“ miteinander verband wie das des Abtes von Liessies.20 Demgegenüber traten seine beiden kontroverstheologischen Schriften im Kontext der konfessionellen Auseinandersetzungen in den Niederlanden in ihrer Zeitgebundenheit in den Hintergund, nicht anders als seine Verteidigung Taulers gegen den von Johannes Eck gegen diesen erhobenen Vorwurf der Häresie. Das Speculum monachorum (1528) und die Institutio spiritualis (1553), sein Hauptwerk, sind systematisch aufgebaut, der Canon vitae spiritualis (1539) und die Consolatio pusillanimium (1555) und seine zahlreichen kleineren Werke dagegen nicht. Viele von ihnen sind nur leicht systematisierte kommentierte Textauszüge aus der Bibel, der Väterliteratur und der Mystik, gedacht zur privaten Lektüre und Meditation.21 Louis de Blois geht es darum, dem Leser den Weg zu friedvoller, nicht-ekstatischer Vereinigung der Seele mit Gott zu weisen. Und er vermittelt überzeugend den Eindruck, diesen Weg bereits selbst gegangen zu sein mit Hilfe des Verfahrens, das er auch ihnen empfiehlt, nämlich seinen und andere Texte nicht nur zu lesen, sondern sich Textauszüge dessen, was dem Leser besonders zur Meditation geeignet erscheint, in Rapiarien anzulegen, um diese Funde wieder und wieder zu durchzugehen (ruminare).22 Es ist eine Anleitung constanter tenuerunt. Unde in sacrario, templi atque altaris supellectili, ac praesertim Reliquiarum custodia, tam exquisiti tamque illibati nitoris sollicitudo. 20 [Félicité Robert de Lammenais] Le Guide spirituel ou Le Miroir des ames religieuses par le vénérable Louis de Blois, Abbé de Liesse, en Hainault, Traduction nouvelle, Paris 1809, S. VIII f.: Nous n’en conoissons, sans excepter même l’Imitation de Jésus-Christ, si supérieure à d’autres égards, qui reunisse au même degré, la douceur, la tendresse, la vivacité du sentiment, et la naïvité de l’expression. On voit, on sent par-tout que l’auteur est profondément pénétré des vérités qu’il annonce, et que‚ son cœur instruit sa bouche, et repand des graces sur les lèvres‘ (Prov. 16,23). 21 Zu den Werken Baix, Blois, Blosius (wie Anm. 2), S. 235–237. – Vos, Louis de Blois (wie Anm.), passim. 22 Institutio Spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 8, S. 366b–367a zur Lektüre: Et non nimis multa uno eodemque tempore legat: ne serenitatem tranquillitatemque mentis amittat,

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ganz in der Tradition der Devotio, der Exercitia der Fraterhäuser, die nicht nur praktiziert, sondern auch in Traktaten wie De duplici modo se exercitandi aus dem Fraterhaus in Zwolle festgehalten wurden.23 In dieser Tradition, auf diese Weise und zu diesem Zweck ist auch die Institutio spiritualis entstanden, als Werk, das der Autor zunächst für sich zusammenstellte. Louis hat diesen Grundstock dann um praktische Hinweise zur geistlichen Lebensführung erweitert, in denen sich offensichtlich auch seine Erfahrungen der Seelenführung seiner Mönche niederschlagen; was das Urteil von Baix bestätigt, wonach der Abt von Liessies nicht in erster Lehrer, sondern Seelenführer gewesen sei.24 Eine wesentliche Voraussetzung für ein geistliches Leben sieht er wie die Devoten in der Aufgabe des Eigenwillens. Dazu verhilft vor allem der Gehorsam, der Gehorsam der Mönche gegenüber ihrem Abt, der Gläubigen gegenüber der Kirche. In dieser Sicht ist das Kennzeichen der Reformation in seiner Zeit Ungehorsam und Eigenwillen, gegen den er sich scharf wendet. Louis de Blois steht in den religiösen Auseinandersetzungen in den Niederlanden ganz auf dem Boden der römischen Kirche. Und so verwundert es nicht, dass er ein Vorkämpfer für die Niederlassung der Jesuiten wurde und auch mit Ignatius von Loyola selbst im Briefwechsel stand. Er galt als wichtiger katholischer Reformer, dem Karl V., den er aus seiner Pagenzeit kannte, vergeblich sowohl den Erzbischofsstuhl von Cambrai wie die Übernahme der Abtei Saint-Martin in Tournai anbot. Dagegen reformierte er im Auftrag der Statthalterin Maria von Ungarn mehrere Klöster.25 Diese Aufgaben dürften ihm übrigens nicht nur wegen seines spirituellen Profils,

et intus praegravatur. Legat vero cum animi sedulitate internaque esurie, non negligenter et fastidiose. Ea quae bona et salutaria sunt, licet forte saepius a se lecta vel audita fuerint, tanquam nova sine taedio semper excipiat. Profecto si humiliter, pie, simpliciter, studiose et reverenter talia legerit, eximiam utilitatem ex eis referet, etiamsi illa minus intelligat. … Ruminet eadem apud se (si otium suppetit) Deumque precetur, ut secundum illa vitam suam instituere, et ex eis in dilectione Dei proficere possit. Nam oratio lectionem mire fructuosam reddit. – Zum ruminare als Mediationsform der Devoten: Regnerus Richardus Post, The Modern Devotion: Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968, S. 323– 330. 23 Diesen Traktat des Dirk van Herxen erwähnt die Zwoller Chronik: M. Schoengen (Hrsg.), Jacobus Trajecti alias de Voecht, Narratio de inchoatione domus clericorum in Zwollis; met akten en bescheiden betreffende dit fraterhuis, (Werken uitgegeven door het Historisch Genootschap, Derde Serie; Nr. 13), Amsterdam 1908, c. 43, S. 113. – Dazu Anton Weiler, Soziale und sozial-psychologische Aspekte der Devotio moderna, In: Klaus Schreiner (Hrsg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter: Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge, (Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien, 20), München 1992, S. 199 f. 24 Baix, Blois, Blosius (wie Anm. 2), Sp. 238. 25 Peter, L’abbaye de Liessies (wie Anm. 2), S. 335 f.

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sondern auch wegen der erfolgreichen Sanierung seines eigenen überschuldeten Klosters zugefallen sein.26 Mit Ignatius von Loyola verband Louis de Blois auch eine gemeinsame Spiritualität, denn wie er war auch Ignatius tief beeindruckt vom Hauptwerk der Devotio moderna, der Imitatio Christi. Die Nachfolge Christi in kastilischer Übersetzung und das Andachtsbuch des Abtes des Zisterzienserklosters Montserrat Garcia Jimenes de Cisneros, das Ejercitatorio della vida espiritual, das auf den Werken von Gerhard Zerbolt und Jan Mauburn beruhte, haben Ignatius und seine Exerzitien entscheidend geprägt.27 Es ist nun bezeichnend für die Hochachtung des Gründers der Gesellschaft Jesu für Louis de Blois, dass nicht nur er und Mitglieder seines Konvents nach Ankunft der Jesuiten seine Exerzitien machen durften, sondern Louis auch ein Exemplar des Textes der Exerzitien erhielt, den die Gesellschaft im ersten Jahrhundert ihres Bestehens gewöhnlich nicht aus der Hand gab.28 Eine ungewöhnliche Spätfolge dieser Hochachtung war es dann, dass im ersten Band der Acta Sanctorum die Bollandisten auch seine Biographie aufnahmen, obwohl Louis nicht unter die Heiligen gezählt wurde.29 – Von den jesuitischen Exerzitien war der Abt von Liessies so beeindruckt, dass er erklärte, in Zukunft keinen Bewerber zum Noviziat zulassen zu wollen, der nicht vorher einen Teil der Exerzitien absolviert hatte. Aber so viel Gleichklang in Ziel und Prinzipien des geistlichen Lebens täuscht doch nicht darüber hinweg, dass sich Louis und Ignatius in zentralen Punkten unterschieden. Wenn Ignatius den Schwerpunkt der Vergegenwärtigungen während der Exerzitien auf die Hölle und ihre Qualen legt und erst eine der letzten Betrachtungen den Freuden des Paradieses widmet, verhält es sich bei Louis beinahe umgekehrt.30 Und während es sich bei den Übungen der Jesuiten um ein „Exerzierreglement“ für den „Exerziermeister“ handelt, bleibt Louis beim herkömmlichen Verfahren der Devotio, der Anleitung zum „Selbstexerzieren“. 26 Peter, L’abbaye de Liessies (wie Anm. 2), S. 313–337. 27 Heinrich Boehmer, Ignatius von Loyola, neu hrsg. von Hans Leube, Leipzig 1941, S. 266 f. 28 Baix, Blois, Blosius (wie Anm.  2), Sp.  234 f.  – Boehmer, Ignatius von Loyola (wie

Anm. 22), S. 276.

29 Baix, Blois, Blosius (wie Anm. 2), Sp. 239. 30 Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, übers. von Alfred Feder, 2. Aufl., Regensburg

1922, S.  45, 55–58, 106, 174.  – Louis de Blois hat dagegen in seinem Ignariolum amoris divini (Blosi Opera (wie Anm.  10), S.  555–559) seinem glühenden Wunsch nach dem Himmel u. a. in der Iucunda consideratio bonorum et gaudiorum caelestis paradisi (S. 557) Ausdruck gegeben und im Canon vitae spiritualis ebenfalls eine hymnische Betrachtung des Paradieses formuliert (Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 35, S. 30: Insignis apostrophe seu contemplatio vitae aeternae, cuius felicitas, opulentia, voluptasque varie depingitur). – Nur im Conclave animae fidelis, wird einmal der Betrachtung des Paradieses der Jammer der Hölle gegenübergestellt (Ludovici Blosii monasterii Laetiensis ord. S. Benedicti opera, ed. Antonius deWinghe, Ingolstadt 1726, Pars I, c. 14, S. 461).

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Diesem lebenslangen „Methodus exercendi“ stellt Ignatius einen auf vier Wochen berechneten „Methodus convertendi“ gegenüber, den man treffend mit den Bekehrungspredigten der Methodisten verglichen hat.31 Nicht die dramatische Umkehr steht beim Abt von Liessies im Mittelpunkt, sondern geduldige lebenslange Selbstbeobachtung und Anstrengung. (Was nicht ausschließt, dass vor der Entscheidung des Eintritts ins Kloster die Geistlichen Übungen der Gesellschaft Jesu mit ihrem Konversionsprogramm für den zukünftigen Novizen wertvoll sein können.) Aber darum geht es Louis de Blois nicht in erster Linie. Sein Augenmerk richtet sich vor allem auf die Kleinmütigen und Verzagten innerhalb und außerhalb des Klosters, jene, die aus übermäßiger Skrupulosität an ihrem geistlichen Fortschritt verzweifeln. Seine Consolatio pusillanimium, die sich dieses Problems mit Texten vor allem aus Ruusbroec, Tauler und Seuse annimmt, ist dann auch so etwas wie ein Klassiker der aszetischen Literatur geworden. Sie entspricht seiner Überzeugung, dass als gravierende Behinderungen des Fortschritts im geistlichen Leben der Übende nimium timorem, inordinatam pusillanimitatem ac tristiciam, superfluos conscientiae scrupulos, irrequietasque curas, et implexas sollicitudines vermeiden müsse.32 Seine Grundeinstellung zum geistlichen Leben aber hat Louis im Vorwort der Consolatio in einem Satz formuliert, den man als Leitmotiv seiner Schriften bezeichnen könnte: Non timeant … sed gaudeant, quantumcumque etiam imperfecti sunt et fragiles.33 Freude gehört zum geistlichen Leben, nicht Niedergeschlagenheit. Zu gelegener Zeit, führt er aus, ist auch Entspannung und Erholung angebracht, auf dass man zu den spiritualia exercitia umso rüstiger zurückkehre, aber alles mit Maß und in reiner Absicht. Gott verlange nicht, dass man sich gänzlich des Trostes der Geschöpfe, die er zu seinem eigenen Lobpreis geschaffen habe, beraube; er verlange nicht, dass man sich gänzlich von ihnen separiere, solange man nicht sein Herz an sie hänge und sich von Gott trenne: Quicquid suave, quicquid iucundum, quicquid admirabile se sensibus offert, id caste excipe, et ad Deum, vel ad aeterne beatitudinis statum referre disce.34 Ja die Betrachtung des Geschaffenen reiße den Betrachtenden zur Bewunderung hin.35 Den ekstatischen Begriff des rapere der Mystik verwendet Louis de Blois hier ganz bewusst und steigert seine Aussage noch: denn der Betrachtende übersteigt die Schönheit der Dinge ad pulchrum illud pulchrorum omnium pulcherrimum, unde omnis pulchritudo profluit, zu Gott.36 Gemeint ist hier durchaus die sinnlich erfahrbare Schönheit der Geschöpfe und der Dinge, gemeint sind die Erfahrungen 31 32 33 34 35 36

Boehmer, Ignatius von Loyola (wie Anm. 22), S. 276 f. Institutio spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 8, S. 391a. Consolatio pusillanimium, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), Praefatio, S. 307. Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 27, S. 23b. Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 28, S. 23b (Text im Anhang). Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 28, S. 24a (Text im Anhang).

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der Sinne, des Hörens, Riechens, Schmeckens und Tastens. Was, fragt er, sei denn lieblicher als der Gesang der Nachtigallen und der Lerchen, was süßer als die melodischen Klänge von Laute und Harfe, was bezaubernder als der Duft von Blumen, der Geschmack der verschiedenen Früchte und was sei duftiger als Batist und Seide? Man wird überall in der Natur miram harmoniam, miram convenientiam, mirum ornatum finden. Doch immer bleibt festzuhalten wie groß der Abstand zum Schöpfer ist, denn pulchritudo, elegantia, suavitas, opulentia, dignitas et perfectio omnium creaturarum, comparata pulchritudini, elegantiae, suavitate, opulentiae, dignitati et perfectioni creatoris, nihil est.37 Deshalb darf sich derjenige, der sich den geistlichen Übungen widmet, nicht an die Dinge hängen. Das beginnt schon mit dem Essen und dem Trinken, wobei Maß zu halten ist. Nicht Maß zu halten, zu Übertreibungen zu neigen, ist Zeichen unangemessenen Eigenwillens. Das gilt sowohl für übertriebenes Fasten, Wachen oder übertriebene Härte gegen den eigenen Körper wie für das Hüten der Zunge, den Umgang mit den Mitmenschen und selbst für das Lachen. Als Regel gilt: In gestibus tranquillus, in vultu serenus, in adspectu verecundus, in incessu maturus sit.38 Das natürliche Maß in allem einzuhalten ist Voraussetzung und Entsprechung zur angemessenen Freude an Schönheit, Eleganz und Süße der Geschöpfe.39 Genau das hat der Abt von Liessies in seinem Kloster umzusetzen versucht, in seinen Statuten, in der Klosteranlage mit ihren Gärten und bei der Führung der Mönche. Sie sollten sich freuen, sie sollten entspannen dürfen bei Unterhaltung, beim Musizieren, beim Spiel, bei den gemeinsamen Wanderungen des Konvents. Und sie sollten dabei immer auf Maß, auf Reinheit und Ebenmaß in ihrem Verhalten, aber auch in der Ordnung ihrer Zelle bedacht sein. Hierin unterscheidet sich Louis de Blois nicht nur vom Tenor der Geistlichen Übungen eines Ignatius von Loyola, sondern auch von der Devotio moderna. Und das obwohl deren Ziel, der Aufstieg der Seele zu Gott, die Nachfolge Christi auch die seinen sind, und er sich ihrer Texte und ihrer Arbeitsweisen bedient. Aber es lässt sich doch eine deutliche Akzentverschiebung erkennen hin zu Schönheit, maßvoller Diesseitigkeit und Nachsicht und Milde mit den Schwachen im geistlichen Leben. Mag die Naturliebe des Abtes von Liessies mit seinem persönlichen Naturell zusammenhängen, so dürften Nachsicht und Milde vor allem von seinen praktischen Erfahrungen als Abt und oberster Seelsorger seines Konvents geprägt worden sein. Was er in seinen aszetischen Schriften formulierte, setzte er in seinen Statuten um, vor allem den Grundsatz, dass bei Abnahme der Beichte der

37 Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 29, S. 24b–25a (Text im An-

hang).

38 Institutio spiritualis, Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 2, S. 356a–357b. 39 Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10), c. 27, S. 23b.

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Mönche für den Beichtvater die Persönlichkeit des Beichtenden im Mittelpunkt zu stehen habe und nicht die Schwere seiner Sünde.40 Seine Schriften haben wie die der Devoten weit in das Laienpublikum hinein gewirkt. Übersetzungen und wiederholte Auflagen beweisen das nachdrücklich. Sie skizzieren einen frommen Lebensstil, der zwar von der gesammelten Haltung der Devoten seinen Ausgang nimmt, aber bereits den Ton jener das Diesseits nicht mehr bedingungslos verachtenden Frömmigkeit schlichter Eleganz anschlägt, die im beginnenden 17. Jahrhundert Franz von Sales in seinen Traktaten und Briefen zum Leitbild der Frömmigkeit nach der Devotio moderna machen sollte. Aus der unbeabsichtigen Ästhetik der Windesheimer aus innerer Sammlung heraus wird bei den Benediktinern in Liessies eine bewusste Ästhetik als fester Bestandteil des geistlichen Lebens, deren Kern die Bejahung der Schönheit des Diesseits ist. Es ist dieser Habitus, der das Kloster, obwohl es noch immer Gegenmodell zur Welt bleibt, deutlich näher an die sie umgebende – vornehmlich die gebildete – Gesellschaft heranrückt. Man hat darin den Einfluss des Humanismus sehen wollen, das Konzept des Abtes von Liessies mit dem vagen Begriff eines christlichen Humanismus zu kennzeichnen versucht, aber das trifft die Sache nicht.41 Obwohl Student am Collegium Trilingue in Löwen findet sich in seinen Werken abgesehen von einigen gewählten griechischen Titel für einzelne Traktate weder stilistisch noch inhaltlich etwas, das vom Humanismus geprägt wäre. Die wiederholte entschiedene Warnung des Abtes von Liessies davor, literarischen Stil 40 Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), cap. VIII. De confessione et absolutione (S. 33): ma-

gis considerare debet qualitatem confitentis quam gravitatem peccati. – Besonders eindrücklich wird diese Einstellung gegenüber den Novizen deutlich: Berlière, Blosii Statuta (wie Anm. 4), cap. XXV. De suscipiendis, investiendis et institutendis novitiis (S. 97 f.): Nullus fratrum inferat se regimini seu correctioni juvenum praeter superiorem et magistrum eorum. Quilibet tamen dum juvenem in aliquo offendere, et indecenter aliquid loqui aut facere considerat, moneat eum, vel etiam superiori aut magistro morum indicet. – Qui morum magister semper attendat quam exactam conversationem ratio officii sui a se exposcat. Sit providus, prudens, discretus et diligens. Non sit furibundus vel nimis austerus neque rursus nimis mollis et remissus. Acrimoniae rigorem cum benignitatis dulcedine temperet, sicque gravis pariter et affabilis sit, ut eum discipuli bonae voluntatis non horreant tanquam tyrannum et discipuli negligentiores non contemnant tanquam puerum. Non crines, non aures eorum vellat, non colaphis, non alapis eos caedat nec quovis modo per iram impellat. – Nulli eorum infligat disciplinam verberum absque superioris scitu vel licentia speciali aut generali; aliis convenientibus modis eos punire poterit, nulla petita licentia. Non intempestive dissimulet dum delinquunt, sed serio eos corripiat vel corrigat, nunc mitius, nunc acrius, sicut fuerit necessarium. Si quis discipulorum conquestus fuerit irrationabiliter de ejus austeritate, talis a superiore vel superioris jussu ab ipso magistro vel ab aliquo alio districtissime puniatur. Sit idem magister humilibus et obedientibus discipulis tanquam pius pater vel pia mater; duris vero et indisciplinatis atque inobedientibus sit tanquam asper corrector. Verumtamen vulneribus eorumdem indisciplinatorum non vinum tantum sed etiam oleum opportune infundat ut curentur. 41 Philibert Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens, Bd. 3, Einsiedeln 1955, S. 213.

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als Kriterium auf geistliche Lektüre anzuwenden, aber auch das Fehlen jeglicher antiker Anspielungen oder Exempel in seinen Texten sprechen eine eindeutige Sprache.42 Zwar ist Louis de Blois „human“ im Umgang mit seinem Konvent und den geistlich Schwachen überhaupt, aber er ist kein Humanist. Er steht entschieden in der Tradition der Devotio, unterscheidet sich aber gleichzeitig von ihr durch eine spezifische Einstellung: Die Freude an der Freude. Furcht vor dem Gericht, peinliche Gewissenserforschung, der strenge Rückzug auf die Zelle: Diese Muster der klassischen Devotio sind ihm zwar nicht fremd, aber sie sind für ihn nicht mehr zentral, ja sie können sich sogar als Hindernisse für ein geistliches Leben erweisen. Aus seiner Rolle als Abt rückte die Seelenführung seiner Mönche in den Mittelpunkt; die damit verbundenen Herausforderungen gaben den Anstoß zu seiner optimistischen Aszetik. Und das macht Louis de Blois nicht zu einem christlichen Humanisten, sondern, wenn man so sagen darf, eher zu einem „modernen“ modernen Devoten.

Anhang Louis de Blois, Canon vitae spiritualis, in: Blosi Opera (wie Anm. 10) c. 28–29, S. 23–25.

Caput XXVIII. Sedula creaturarum contemplatio ad Creatoris notitiam et amorem perducit. Qui fecit omnia, ipse eadem virtute sua conservat. Profecto si ipsae creaturae exacte prudenterque considerentur, mirifice animum considerantis in admirationem rapiunt, et ad laudem atque amorem summi conditoris non parum accendunt. Nam universis iste mundus veluti quidam liber est digito Dei scriptus: in quo singulae creaturae tanquam singulae literarum figurae sunt. Quemadmodum autem is qui literas non novit, si librum apertum inspiciat (1. Cor 1), videt sane ipsarum literarum characteres, vim tamen et significacionem earum non comprehendit: ita is qui non percipit ea quae Dei sunt, conspicit quidem externarum creaturarum speciem, sed internam illarum rationem non intelligit. Vir enim insipiens non cognoscet, et stultus non intelliget hac (Psal. 91). Caeterum homo spiritualis, qui oculos animi habet apertos, dum 42 Ein Vorwort mit dem Beispiel der Blumenbinderin Glycera und des Malers Pausias nach

Plinius zu beginnen, wie dies Franz von Sales in seiner Philothea (Œuvres de Saint François de Sales, t. 3: Introduction à la vie devote, Annecy 1893, S. 5) tut, wäre Louis de Blois wohl nicht in den Sinn gekommen.

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exterius Dei opificium contemplatur, quam mirabilis sit ipse opifex intus concipit: et ex pulchritudine rerum, quas considerat, transit ad pulchrum illud pulchrorum omnium pulcherrimum, unde omnis pulchritudo profluit. Cui in hac iucunda contemplatione constituto, singula quaeque prorsus miraculo sunt: adeo ut ipse obstupefactus cum Propheta exclamare cogatur, Quam magnificata sunt opera tua Domine, omnia in sapientia fecisti, delectasti me in factura tua, et in operibus manuum tuarum exultabo (Psal 91, 203). Sane non minus stupendum videri debet, quod humor vitis in vinum (Deo disponente) quotannis convertatur, quando olim in Cana Galileae eodem iubente aqua in vinum mutata fuerit (Ioann. 2): et maius est multos quotidie creare qui non erant, quam his qui mortui fuerant vitam reddere: Nulla tam exigua, vel (ut ita dicam) tam vilis creaturula est, in qua non reluceant hac tria Dei invisibilia, potentia, sapientia, et bonitas. Itaque Deus per ea quae fecit agnoscitur, quemadmodum beatus Paulus asserit dicens, Invisibilia eius a creatura mundi per ea quae facta sunt intellecta conspicientur (Rom. 1). Quanto quaeso admiratione dignum est, quod ipse Deus coelum, terram et omnia quae his continentur, ex nihilo creaverit, pluraque creare possit, quum sit substantiae pelagus infinitum? Fecit omnia, (solum peccatum non fecit, neque enim ipsum aliquid esse dici debet) conservat item omnia. Nam si virtute sua non conservaret illa quae condidit, mox universa redigentur in nihilum: quia ex se nihil sunt, et omnino dependent ex Deo a quo facta sunt. Curat omnia: attingit a fine usque ad finem fortiter: et ab angelo usque ad extremum vermiculum disponit omnia suaviter: ita ut nec folium quidem ex arbore decidat absque eius providentia.

Caput XXIX. Egregio exemplo commonstrat ratione transeundi ad creatorem per res creatas: Quarum multitudo et quantitas, potentiam: species et qualitas, sapientiam: utilitas, conditoris bonitatem declaret. Potentiam ipsius conditoris manifestat rerum creaturarum multitido et quantitas: sapientiam ostendit species et qualitas: bonitatem declarat utilitas. Quam multa creavit Deus? Numera stellas coeli, arenam maris, pulverem terrae, pluviae guttas, avium plumas, piscium squamas, pilos qudrupedum, folia et fructus arborum. Numera homines, volucres, pecudes, plantas, lapides: numera coetera omnia si potes: si non potes, confitere esse innumerabilia. Quam vero magna creavit Deus? Metire moles montium, tractus fluminum, spatia camporum, altitudinem coeli, profundum abyssi. Rursum quam parva creavit Deus? Nam ipsa quoque ad quantitatem spectant: et non minor potentia est parva ex nihilo creasse quam creasse maxima. Igitur quam parva creavit Deus? Vt praetereamus inanimata, attende papiliones, muscas, culices: attende scolopendras, formicas, tineas:

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attende singula insectorum animalculorum genera. Iam quam apta, quam pulchra sunt quae creavit Deus? Inspice structuram et compagem corporis humani. inspice fabricam coeli, considera elementorum dispositionem temporumque vicissitudines, considera caetera omnia, et ubique miram harmoniam, miram convenientiam, mirum ornatum invenies. Nam, si vel folium arboris contemplari volueris, deprehendes in eo stupendum quoddam artificium. Videbis quam apte ea parte sit robustius, qua parte ramis suae arboris est magis vicinum: videbis quam convenienter se dilatet, quam pulchre desinat, quam decenter per gyrum veluti serratis dentibus circumsepiatur, quam concinne productis huc illucque costulis in sese intexatur. Inspice vnum aliquod, inspice et alterum eiusdem generis: tot invenies dentes in vno, quot dentes in altero, tot costulas in vno, quot costulas in altero, talem figuram in uno, qualem figuram in altero. Quid porro hac luce pulchrius? quid sereno coelo amoenius? quid rutilo sole venustius? quid lunae stellarumque decore comptius? quid variorum flosculorum elegantia speciosius? Quid verno tempore magis formosum? in quo horti, prata, sylvae, agri, redivivo vestita ornatu, iucundissimum spectaculum nobis exhibent: in quo herbarum ac plantularum germina latente quadam naturae vi (quam ipse conditor indidit) e terra mirabiliter prodeunt, et etecta sursum in suas spicas tanquam morte proculcata, statum et gloriam future resurrectionis apposite designant. Taceo de his quae deformia videntur: nam et in eis pulchra admodum est ipsa deformitas, aspectumque non parum demulcet. Transeo ad illa quae auditum, olfactum, gustum, et tactum oblectant. Quid philomelarum et galeritarum cantu gratius? quid lirae et cytharae modulatis sonis dulcius? quid rosarum ac liliorum redolentia suavius? quid sapore diversorum fructuum atque condimentorum delectabilius? quid bysso et serico lenius? Omitto hic et ea quae aspera, et ea quae amara sunt. Ecce autem omnia et magna et parva, pulchra et deformia, et dulcia, et amara, et lenia, et aspera, summus ille rerum opifex ad sui laudem, hominumque utilitatem, usum, eruditionem, ac solatium condidit. Pauca perstrinximus, quia locus non admittebat ut multa diceremus: caeterum omnia nec animo quidem comprehendi possunt, nedum verbis explicari. Tu ex his quae dicta sunt, disce philosophari etiam in aliis, quae a nobis expressa non sunt. Omnia grato oculo contemplare. Dic nonnumquam apud teipsum haec aut similia: O quam potens et quam magnus est, qui tam multa, tamque immensa creavit. O quam pulcher et suavis est, qui tam amoena et dulcia condidit. O quam bonus et liberalis est qui omnia ista donavit. Ad hunc modum per creaturas transi ad creatorem, ex creaturis mirare conditorem, cum creaturis lauda benefactorem. Si defoecato cordis oculo potueris considerare etiam invisibiles Dei creaturas, animam rationalem puritate et sanctimonia ornatam, angelos, virtutes, potestates, dominationes, caeterosque coelestis aulae cives, iam miraculis obrutus, a teipso propemodum alienaberis.

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Canonici regulares unweerdich des namen. Ulrich von Dornum und die Augustiner-Chorherren von Marienkamp Matthias Bley

Für den ostfriesischen Raum sieht sich jeder Versuch, die gesellschaftliche Wirksamkeit der Devotio moderna zu untersuchen – sei es in Hinblick auf die Vermittlung spezifischer Wissensbestände, die Diffusion ihres Gedankengutes oder eine sozialdisziplinierende Wirkung desselben –, mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert. Bis in die Gegenwart hinein fehlen jene einschlägigen Vorarbeiten, welche es erlauben würden, fundierte Antworten auf entsprechende Forschungsfragen zu formulieren.1 Dessen ungeachtet bietet die Literatur – zumeist in Veröffentlichungen zu thematisch verwandten Arbeitsfeldern – ein regelrechtes Panorama signifikant unterschiedlicher und dabei weitgehend pauschaler Evaluierungen des Einflusses devoter Frömmigkeit in der Region. Nur einige der 1

Einen wichtigen Beitrag bei dem Versuch, dieses Desiderat für Ostfriesland zu füllen, leisten die Arbeiten von Johannes A. Mol, Epiloog: de Moderne Devotie en de vernieuwing van het kloosterlandschap in Nederland, in: Hildo van Engen u. Gerrit Verhoeven (Hrsg.), Monastiek observantisme en Moderne Devotie in de Noordelijke Nederlanden, (Middeleeuwse studies en bronnen, 110), Hilversum 2008, S. 213–231; mit stärkerer Ausrichtung auf den ostfriesischen Raum; Ders., Friesische Freiheit in Kirchspiel und Kloster, in: Hajo van Lengen (Hrsg.), Die Friesische Freiheit des Mittelalters – Leben und Legende, Aurich 2003, S.  195–245; Ders., Beziehungen zwischen den Zirkarien Friesland und Westfalen im Mittelalter, in: Analecta Praemonstratensia 81 (2005), S. 128–153; vgl. einen weiteren, bislang nicht gedruckten Beitrag: „Prämonstratenser in Friesland und Westfalen. Verbindungen und Parallele“, als Vortrag gehalten auf dem Symposium „Clarholz und die Niederlande (22.  Oktober 1999)“ (online verfügbar unter http://www.fryskeakademy.nl/ fileadmin/Afbeeldingen/Hoofdpagina/pdf_files/pramonstratenser.pdf, zuletzt eingesehen am 05.12.2011). Mit Blick auf die Reform des Zisterzienserklosters Ihlow in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts betonte bereits Hajo van Lengen, Geschichte und Bedeutung des Zisterzienser-Klosters Ihlow, in: Res Frisicae. Beiträge zur ostfriesischen Verfassungs-, Sozial- und Kulturgeschichte. Harm Wiemann zu seinem 75. Geburtstag, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, 59), Aurich 1978, S. 86–101 die Verbindungen zur Colligatie van Sibculo. Entsprechende Beziehungen für die Prämonstratenser werden untersucht in Matthias Bley, Krisenphänomene und Reformversuche? Das Prämonstratenserkloster Langen zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, Teil 1, in: Emder Jahrbuch für historische Landeskunde 91 (2011), S. 7–25. Der zweite, für die Devotio-Forschung wichtigere Teil erscheint in Band 93 (2013).

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diesbezüglich relevanten Positionen können hier einleitend vorgestellt werden, bereits diese Auswahl vermittelt jedoch einen Eindruck der zugrunde liegenden Problematik.

Zusammenfassung des Forschungsstandes In seiner Dissertation über die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutschland begründet Gerhard Rehm die Eingrenzung des von ihm gewählten Untersuchungsgebietes, welches den äußersten Nordwesten nur am Rande berücksichtigt, folgendermaßen: „Weitgehend ausgeschlossen von der devotio moderna blieb die deutsche Nordseeküste, sieht man von den Chorherrenklöstern Sielmönken bei Emden und Esens-Marienkamp ab.“2 Diametral entgegengesetzt scheint auf den ersten Blick ein Zwischenfazit in Hans-Walter Krumwiedes niedersächsischer Kirchengeschichte: Demnach „[…] wurde das kirchliche Leben in Ostfriesland zutiefst von den Niederlanden beeinflusst, zunächst durch die Devotio moderna und den Humanismus, dann durch die Schweizer reformierte Theologie.“3 Der hier erkennbare Dissens ergibt sich nicht zuletzt aus den signifikant unterschiedlichen Ansätzen Rehms und Krumwiedes. Während die „Niedersächsische Kirchengeschichte“ als Überblickswerk vor allem weitreichende Einflüsse und Frömmigkeitsströmungen erfasst, untersucht Rehm dezidiert die Brüder– und Schwesternhäuser als Institutionen der Devotio moderna. Unter letzterem Vorzeichen lassen sich für Ostfriesland tatsächlich nur die Augustiner-Chorherrenklöster in Marienkamp und Sielmönken4 sowie einige kleinere, vornehmlich abhängige Häuser bzw. Vorwerke nachweisen.

2 Gerhard Rehm, Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutsch-

land. Untersuchungen zur Geschichte der Devotio Moderna und des weiblichen Religiosentums, (Berliner historische Studien, 11), Berlin 1984, S. 102. 3 Hans-Walter Krumwiede, Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd.  1: Von der Sachsenmission bis zum Ende des Reiches 1806, Göttingen 1996, S.  142; weitgehend wortgleich bereits Ders., Kirchengeschichte. Geschichte der evangelischen Kirche von der Reformation bis 1803, in: Hans Patze (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Bd. 3, Teil 2: Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 36, III, 2), Hildesheim 1983, S. 1–216, hier S. 42. Ähnlich auch Heinrich Reimers, Die Gestaltung der Reformation in Ostfriesland, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Heft 20), Aurich 1917, S. 1 ff. 4 Für die Reform von Sielmönken vgl. den ausführlichen Bericht durch Eggerik Beninga, Chronica der Fresen, bearb. v. Louis Hahn, hg. v. Heinz Ramm, Teil 1, (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands, 4), Aurich 1961, S. 325. Marienkamp wird an selbiger Stelle nur mit einem Satz erwähnt.

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Die bislang skizzierten Positionen sind nicht ohne Vorläufer oder Rezipienten: So meinte bereits 1916 der reformierte Emder Pastor Ernst Kochs ­voller Überschwang, in den Brüdern vom gemeinsamen Leben ein Element jener „dreifache[n] Welle“ erkennen zu können, welche „von den Niederlanden her bereits seit Jahrzehnten gegen das Reich des römischen Kirchenturms brandete, ehe die Sturmflut der Reformation ihn vollends zerbrach“.5 Doch auch Kochs fällt es sichtlich schwer, aus der Makro- in eine Mikroperspektive zu wechseln und die Wirksamkeit der Devotio moderna an konkreten Beispielen zu belegen, die nicht ihrerseits schon einem reformatorischen Kontext entstammen: „In Ostfriesland kam es nicht zur Gründung eines Brüderhauses, doch drang durch mancherlei Kanäle der Einfluss und Geist der „Brüder„ ein. Eine Fülle von Niederländern stand um die Wende der Reformation im ostfriesischen Kirchendienst, neben ihnen solche, die in den Niederlanden ihre Ausbildung empfangen hatten. Wer aus den Niederlanden kam, war auch irgendwie von dem Bildungs- und Lebensideal der ‚Brüder‘ berührt.“

Es ist gerade dieses irgendwie des Kontaktes und der Einflussnahme, welches – solange es nicht konkretisiert wird – nur begrenzte Aussagekraft entfalten kann. Deutlich skeptischer als Kochs äußerte sich daher 1974 Menno Smid in seiner Ostfriesischen Kirchengeschichte: „Als im 15. Jahrhundert in vielen Klöstern auch in Ostfriesland ein Niedergang einsetzte, wurde dem auch hier durch die Windesheimer Kongregation Einhalt geboten. […] Aber abgesehen von kurzer Wirksamkeit im 15.  Jahrhundert war gerade dieser Bewegung in Ostfriesland kein durchschlagender Erfolg auf Dauer beschieden. Die Windesheimer Kongregation war in Ostfriesland kein Wegbereiter der Reformation.“6

Entsprechend dürfe, so Smid, der Einfluss der Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben aufgrund ihrer fehlenden Präsenz in der Region keinesfalls überschätzt werden. Sie dessen ungeachtet als Wegbereiter der ostfriesischen Reformation anzuführen, qualifiziert er als „verwegen“. Ebenso ließen sich keine Belege für die verbreitete Annahme finden, dass von den Brüdern vom gemeinsamen Leben am Beginn des 16.  Jahrhunderts eine prägende Wirkung auf die

5 Ernst Kochs, Die Anfänge der ostfriesischen Reformation, in: Jahrbuch der Gesellschaft

für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden 19 (1916), S. 109–273, hier S. 160 ff., 165 f.; vgl. Ders., Mittelalterliche Kirchengeschichte Ostfrieslands, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Heft 26 u. 27), Aurich 1934, S. 151 ff. 6 Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, (Ostfriesland im Schutze des Deiches, Bd. 6), Pewsum u. a. 1974, S. 108.

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Lehrer an ostfriesischen Schulen ausgegangen sei, welche dann ihrerseits als Multiplikatoren des Gedankengutes hätten wirken können.7 Fast wie eine Entgegnung auf Smids kritische Einschätzung des Quellenbefundes lesen sich Passagen in Henning P. Jürgens Arbeit über den reformierten Theologen Johannes A. Lasco aus dem Jahr 2002. „Zwar kam es nicht zur Gründung von Häusern der Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben, doch strahlte die devotio moderna von Groningen auch nach Ostfriesland aus. Ähnliches gilt für die Einflüsse des nördlichen Humanismus.“8 Eine entsprechende Interpretation des Geschehens findet sich verbreitet in jüngeren reformationsgeschichtlichen Arbeiten. Sicherlich, so Jürgens weiter, habe die Devotio moderna für diese Region nicht den Stellenwert eines „vorreformatorischen Wegbereiters“ eingenommen, wie dies die ältere Forschung verklärend postuliert habe, „aber Vertreter dieser Frömmigkeitsrichtung lassen sich in Ostfriesland zu Beginn der Reformation an verschiedenen Orten finden, auch auf Seiten der Gegner der neuen Lehre.“9 Eine signifikante Verteilung der entsprechenden Positionen zeichnet sich damit zumindest in Ansätzen ab: Während Arbeiten zur Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte des Spätmittelalters eher dazu tendieren, die Wirksamkeit der Devotio moderna in Ostfriesland als geringer einzuschätzen, wird selbige in der Reformationsgeschichte meist umso stärker betont. Große Bedeutung kommt angesichts dieser Diskrepanz Forschungsansätzen zu, welche – wie Jens Fokens 2006 erschienene Dissertation zu den politisch-konfessionellen Beziehungen zwischen Ostfriesland und den Niederlanden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit – die vermeintlich stabilen Epochengrenzen überschreiten und so das Potential auf­weisen, jene unterschiedlichen Befunde zu integrieren. Nach Foken habe 7

8 9

Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 6), S. 114. Vgl. mit überregionaler Perspektive Bernd Moeller, Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: Archiv für Reformationsgeschichte 56 (1965), S. 5–30, hier S. 16, insb. Anm. 48 u. S. 24 sowie die älteren Arbeiten von Regnerus Richardus Post, De Moderne Devotie. Geert Groote en zijn stichtingen, Amsterdam, 2. Aufl. 1950 u. Ders., Studiën over de Broeders van het Gemene Leven, in: Nederlands Historiebladen 1 (1938), S. 304–335 u. 2 (1939), S. 136–162. Henning P. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland. Der Werdegang eines europäischen Reformers, (Spätmittelalter und Reformation, N. R. 18), Tübingen 2002, S. 180. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland (wie Anm. 8), S. 130, Anm. 41. Vergleichbar Heiko Ebbel Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland: Eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540/42–1575), Aschendorff 1998; Martin Tielke, Die Reformation am Dollart, in: Otto S. Knottnerus (Bearb.), Rondom Eems en Dollard. Rund um Ems und Dollart. Historische verkenningen in het grensgebied van Noordoost-Nederland en Noordwest-Duitsland. Historische Erkunden im Grenzgebiet der Nordostniederlande und Nordwestdeutschlands, Groningen u. a. 1992, S. 188–201 sowie bereits Heinrich Reimers, Die Säkularisation der Klöster in Ostfriesland (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, 6), Aurich 1906.

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eine ­ältere Forschungstradition aus der starken Beteiligung niederländischer Theologen an der Frühreformation in Ostfriesland geschlossen, dass bereits seit dem Spätmittelalter Einflüsse von niederländischer Seite auf das dortige kirchliche Leben wirkten. Immer wieder genannt würden diesbezüglich die Laienbewegung der Brüder vom gemeinsamen Leben, die Devotio moderna sowie die Sakramentslehre des Groninger Theologen Wessel Gansfort. „Die Beweislage für eine solche Behauptung“, so dagegen Foken, „ist freilich ausgesprochen dünn.“10 Letzten Endes zieht er sich damit auf eine Position zurück, welche ähnlich bei Henning P. Jürgens anklingt und die bereits 1978 Heinz Schilling explizit vertreten hatte. Ostfriesland liege demnach „im Ausstrahlungsbereich der Devotio moderna und des niederländischen Humanismus“11 – Umfang, Wirksamkeit und Orientierung der vermeintlich ausstrahlenden Wirkung bleiben jedoch weiterhin im Unklaren. Dies erinnert nicht von ungefähr an das ältere „irgendwie“ Ernst Kochs. Gemein ist den bislang vorgestellten Ansätzen, dass sie ihre Einschätzung zur Wirksamkeit der Devotio moderna in Ostfriesland nur bedingt auf der Grundlage einer Arbeit mit dem spätmittelalterlichen Quellenmaterial entwickeln. Häufig werden vielmehr ältere Positionen anhand neuer reformationsgeschichtlicher Befunde modifiziert; als Gegengewicht fehlen für das ostfriesische Spätmittelalter die Impulse einer intensiv betriebenen Frömmigkeits- und Kirchengeschichtsforschung. Einen zusätzlichen Beitrag leistet hierbei das grundsätzlich berechtigte, manchmal aber vorschnell angeführte Argument der Quellenarmut, welche für die Geschichte Ostfrieslands grundsätzlich und für das Mittelalter insbesondere konstitutiv sei. Wenn beispielsweise Antje Sander mit Blick auf die praktizierte Frömmigkeit feststellt, die ostfriesischen Klöster seien in Bausubstanz sowie 10 Jens Foken, Im Schatten der Niederlande. Die politisch-konfessionellen Beziehungen

zwischen Ostfriesland und dem niederländischen Raum vom späten Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert, (Historia profana et ecclesiastica, 14), Münster 2006, S. 113. Vgl. die ebenfalls auf eine Vermittlung der unterschiedlichen Standpunkte zielende Darstellung bei Bernd Kappelhoff, Die Reformation in Emden. I. Emden am Ausgang des Mittelalters, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 57 (1977), S. 64–143, hier S. 115 und Menno Smid, Ostfriesland, in: Anton Schindling u. Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 3: Der Nordwesten, (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 51), Münster 1991, S. 162–180, hier S. 165 11 Heinz Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit. Emdens Weg zur calvinistischen Stadtrepublik, in: Bernd Moeller (Hrsg.), Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert; (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 190), Gütersloh 1978, S. 128–161, hier S. 136 f. Dieser Interpretation entspricht in vielem Mol, Prämonstratenser in Friesland und Westfalen (wie Anm. 1), S. 10, welcher eine direkte Beeinflussung Ostfrieslands durch die Institutionen der Devotio durchaus relativiert, demgegenüber aber für West- und Ostfriesland gleichermaßen eine Mischung direkter und indirekter Wirksamkeit annimmt.

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schriftlicher Überlieferung gleichermaßen weitgehend zerstört und die mittelalterliche Ausstattung städtischer bzw. dörflicher Kirchen nur in Resten erhalten, so erfasst sie damit die Gesamtsituation überaus stimmig. Auch dem ergänzenden Befund, wonach sich in den erhaltenen schriftlichen Quellen „nur wenige Hinweise auf die individuelle Frömmigkeit eines Einzelnen“12 fänden, kann und soll nicht widersprochen werden. Eine umso größere Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund jedoch den wenigen erhaltenen und dennoch nur bedingt ausgewerteten Quellentexten zu, welche das Potential aufweisen, entsprechende Lücken zu schließen.

Die Augustiner-Chorherren von Marienkamp Bei Marienkamp – in den Quellen meist Campus (beate) Marie, während des gesamten 15. Jahrhunderts auch Ezelingvelde oder Ezingervelde – handelte es sich zunächst um ein Benediktiner-Doppelkloster, das anhand von Siedlungsspuren auf einer Warft rund einen Kilometer westlich der heutigen ostfriesischen Kleinstadt Esens nachgewiesen werden kann.13 Die Gründung des Klosters wird in der spärlich vorliegenden Literatur wahlweise in die zweite Hälfte des 12. bzw. das 13. Jahrhundert gesetzt und durch Spichal, ohne dass sich hierfür konkrete Belege anführen ließen, auf das Wirken des hl. Hatebrand, des ersten Abtes von Feld12 Antje Sander-Berke, Freie, fromme Friesen. Praktizierte Frömmigkeit im mittelalterli-

chen Friesland, in: van Lengen (Hrsg.), Die Friesische Freiheit (wie Anm. 1), S. 246–265, hier S.  247. Vgl. Dies., Kirche und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Friesland, in: Dies. (Hrsg.), Fromme Friesen. Mittelalterliche Kirchengeschichte Frieslands. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Schloßmuseum Jever vom 1. August bis 31.  Oktober 1997, (Kataloge und Schriften des Schloßmuseums Jever, 17), Oldenburg 1997, S. 105–120. Grundsätzlich zur Quellenarmut der ostfriesischen Geschichte  – auch über das Mittelalter hinaus – Walter Deeters, Urkunden- und Aktenvernichtungen in Ostfriesland, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 72 (1992), S. 5–18. 13 Einführend zu Marienkamp Walter Deeters, Marienkamp, in: Ulrich Faust (Bearb.), Germania Benedictina, Bd. 6: Norddeutschland. Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, St. Ottilien 1979, S. 349–350; Harm Wiemann, Domus Campi beatae Mariae in Oestfrisia prope Esinghen (Marienkamp), in: Wilhelm Kohl, Ernst Persoons u. Anton Weiler (Hrsg.), Monasticon Windeshemense, Bd. 2: Deutsches Sprachgebiet, Brüssel 1977, S.  279–283; Gerhard Streich, Klöster, Stifte und Kommenden in Niedersachsen vor der Reformation. Mit einem Quellen- und Literaturanhang zur kirchlichen Gliederung Niedersachsens um 1500, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen II, Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsen, 30. Heft), Hildesheim 1986, S.  94 f. Alle drei Artikel bieten neben der Ereignisgeschichte einen Quellen- und Literaturüberblick, besonders detailliert ist die Zusammenstellung bei Wiemann.

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wirth bei Appingedam, zurückgeführt.14 In den 1420er-Jahren stand Marienkamp nach Ausweis der Quellen gemeinsam mit dem Kloster und späteren Vorwerk Pansath – weiter westlich auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Holtgast gelegen und möglicherweise Sitz des inkorporierten Frauenkonvents – unter einem Abt. Eine erst nach der eigentlichen Gründung erfolgte Ansiedlung des Männerkonvents an der Klosterstätte bei Esens ist vor diesem Hintergrund nicht auszuschließen. Entsprechende Überlegungen müssen jedoch weitgehend spekulativ bleiben, da für die Zeit Marienkamps als Benediktinerkloster keinerlei Quellen erhalten sind: Die älteste Urkunde aus den Beständen des insgesamt weitgehend verlorenen Klosterarchivs datiert auf das Jahr 1438.15 Wohl bereits 1420 übergab der Bremer Erzbischof Johannes II. von Schlamstorf auf Betreiben des Häuptlings Wibet von Stedesdorf die Klöster Marienkamp/Ezingervelde und Pansath an die Augustiner-Chorherren der Windesheimer Kongregation in Frenswegen bei Nordhorn.16 Dessen ungeachtet richtete sich noch im 14 Carl Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale der Augustinerchorherren von Marien-

kamp bei Esens aus dem 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 43 (1963), S. 79–90, hier S. 79. Hatebrand tritt in der Region mehrfach als Klostergründer in Erscheinung, vgl. Streich, Klöster, Stifte und Kommenden (wie Anm. 13), S. 10. Friedrich Ritter, Der heilige Hatebrand und die Klöster Meerhusen und Thedingen, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 20 (1920), S. 145–173 erwähnt zwar Marienkamp, stellt aber für dieses Kloster keine Verbindung zu Hatebrand her, ähnlich bei Hemmo Suur, Geschichte der ehemaligen Klöster in der Provinz Ostfriesland. Ein Versuch, Emden 1838, S. 49 ff. Suurs Monographie bleibt bis heute die einzige Überblicksdarstellung zu den ostfriesischen Klöstern. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 6), S. 91 f. rechnet Marienkamp dezidiert nicht zu den auf Hatebrand selbst zurückgehenden Klöstern. 15 Schenkung durch Wibet von Stedesdorf und Ulrich von Greetsiel (1438 Mai 24), Ostfriesisches Urkundenbuch (OUB) Bd. I (787–1470), hg. v. Ernst Friedländer, Emden 1878, Nr. 494, S. 441. Bereits für 1432 – diese Datierung ist jedoch eine Rekonstruktion des Herausgebers – wird in einer Urkunde Ytze tom Broks ein Henrik Blidemester, abbet to Ezense erwähnt, OUB I, Nr. 410, S. 379. Dies ist insofern auffällig, als den Augustiner-Chorherren in Marienkamp ein Prior vorstand, letzter Abt von Marienkamp ist der Benediktiner Heinrich. In den Listen der Amtsträger bei Wiemann, Domus Campi beatae Mariae (wie Anm. 13), S. 283 u. Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale (wie Anm. 13), S. 85 f. wird Henrik Blidemester nicht erwähnt, vielmehr unterstünde demzufolge Marienkamp seit dem Tod Arnolds von Crefeld 1431 dem Prior Rembert ter List. 16 Hierüber berichtet ein Schreiben Papst Pauls II. (1470 Mai 26), in welchem dieser mehrere Bremer Geistliche beauftragt, die Überführung Marienkamps und des mit ihm vereinigten Klosters/Klostervorwerks Pansath an die Augustiner und parallel die Inkorporation des Prämonstratenser-Nonnenklosters Hopels (erfolgt ca.  1450) zu überprüfen und gegebenenfalls zu bestätigen, Arch. Vat., Reg. Lat. 690, fol. 64r–65r. Ausführliches Regest in Ostfriesisches Urkundenbuch Bd. III. Ergänzende Regesten und Urkunden zu Band I und II (854–1500), hg. v. Günther Möhlmann, (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands, 10), Aurich 1975, Nr. 541, S. 133; Edition (mit Datierungsfehler) d. Heinrich Reimers, Kloster Hopels in Ostfriesland, in: Zeitschrift für niedersächsische Kirchengeschichte 43 (1938), S. 95–106,

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Februar 1421 ein Plenarablass Papst Martins V. dezidiert an den zuvor amtierenden Benediktinerabt Heinrich. Ohnehin scheint die Ablösung der zuvor in Marienkamp ansässigen Mönche und Nonnen durch die Augustiner-Chorherren keineswegs konfliktlos erfolgt zu sein.17 Vor allem zwei Quellentexte berichten über diese und die sich anschließenden Ereignisse: Ein knapper, einseitiger Abriss der Klostergeschichte aus dem späten 15. Jahrhundert sowie die Lebensbeschreibung des ersten Priors von Marienkamp, Arnold von Creveld, entstanden um 1450. Als eine der älteren historiographischen Arbeiten der Windesheimer Chorherren im nordwestlichen Deutschland – rund 15 Jahre trennen sie vom Chronicon Windeshemense des Johannes Busch, fast ein halbes Jahrhundert von der Chronik des Klosters Frenswegen – ist die Vita Arnolds auch über die Grenzen Ostfrieslands hinaus beachtet worden.18 Sie weist jedoch ein schwerwiegendes Manko auf: Überliefert ist wohl nur der Mittelteil eines ursprünglich umfangreicheren Textes. Rückbezüge in den erhaltenen Abschnitten deuten auf eine einleitende Passage unbekannten Umfangs, ebenso wird explizit eine Fortführung über den Tod des Hauptakteurs Arnold hinaus angekündigt, ob selbige jedoch tatsächlich angefer-

hier S. 104 f. Auf einen Dissens der Klosterinsassen zu dieser Zeit deutet ein nur wenig später verfasster Brief desselben Papstes, in welchem er wiederum Bremer Kleriker damit beauftragt, eine Rebellion von in Hopels ansässigen Chorherren zu untersuchen, Arch. Vat., Reg. Lat. 695, fol. 190r (1470 Juni 1). Regest in OUB III, Nr. 543, S. 133, Edition Reimers, Kloster Hopels, S.  105 f. Vgl. auch die Darstellung in Johannes Busch, Chroncion Windeshemense, Kap. 62: Monasterium Campi beate Marie in Ezingen parcium Oestfrisie Bremensis dyocesis ex prima sua fundacione cenobium fuit sanctimonialium nigri ordinis sancti Benedicti, que propter vitam eorum dissolutum et regularis vite negligenciam ad magnam temporalium et spiritualium rerum penuriam non inmerito pervenerunt. Unde vir quidam nobilis parcium Frisie illius capitaneus nomine Wilboldus (= Wibet von Stedesdorf) apud omnes bene auditus venerabili capitulo nostro scripsit epistolas, ut idem monasterium cum omnibus suis attinenciis assumere dignaretur ac fratres sui ordinis ibidem collocaret, zitiert nach: Des Augustinerpropstes Johannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de reformatione monasteriorum, hg. v. Karl Grube, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 19), Halle 1886, S. 357 f. 17 Regest des Plenarablasses in OUB III, Nr.  313, S.  76 (1421 Februar 9); vgl. Karl A. Fink (Bearb.), Martin V., 1417–1431, (Repertorium Germanicum, 4,1), Nd. d. Ausg. Berlin 1943 Hildesheim 2000, Sp. 1092. Auf die mittelfristig fortbestehenden Konflikte – Flucht des Abtes, Versuche der ehemaligen Klosterinsassen bzw. Konversen, die Kontrolle über Teile des Klosterbesitzes zurückzuerlangen, etc. – wird in der Folge eingegangen. 18 Ausgewertet hat die Vita Arnolds in jüngster Zeit Gerhard Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt. Studien zur norddeutschen Geschichtsschreibung im 15. und 16.  Jahrhundert, (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 38), Bielefeld 2000, S. 290–295. Die Vita wird im Folgenden zitiert nach Wilhelm Sauer, Das Leben des Arnold Creveld, Priors zu Marienkamp bei Esens, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden 2 (1877), S. 47–92, der Abdruck der Vita S. 55–83.

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tigt wurde, ist nicht zu erschließen.19 Trotz seiner Kürze erweist sich angesichts dieser Defizite oben genannter Abriss der Geschichte Marienkamps auf dem ersten Blatt eines heute im Besitz der königlichen Bibliothek in Kopenhagen befindlichen Missales als ergiebigste Quelle für die Frühzeit des Chorherrenkonvents.20 Ich möchte im Folgenden auf einige zentrale Passagen des Textes eingehen. Um Pfingsten 1420 habe demnach ein dominus Henricus, abbas in Panzeten – Pansath  – sein Kloster sowie das ihm unterstehende monasterium Ezingen mit allem Zubehör resigniert und in die Hände des Rektors Arnold Hüls, qui fuit de ordine canonicorum regularium beati Augustini, übertragen.21 Die Quelle inszeniert den Übergang von den Benediktinern auf die Windesheimer Chorherren zunächst als einen eher formalen Akt, eine Tendenz, welche durch die sachliche Nüchternheit des angeschlossenen Resümees – sic immutatum est monasterium sancti Benedicti in ordinem sancti Augustini – weitere Verstärkung erfährt. Eigens erwähnt wird der gleichzeitige Verzicht des Abtes Heinrich auf ein zugehöriges monasterium Olden Cloester, in dessen Kirche sich demnach ein Marienheiligtum von lokaler bzw. regionaler Bedeutung befunden habe.22 Insbesondere hebt der 19 Zu den Textverlusten an Beginn und Schluss des Manuskripts vgl. Sauer, Das Leben des

Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 52 f. u. S. 54. Das heute in Aurich befindliche Manuskript beginnt auf fol. 1r unvermittelt im Satz, es folgen vier weitgehend intakte Doppelblätter, dann eine erneute Lücke eines gewissen Umfangs, schließlich die zweite Lage aus sechs Doppelblättern. Sauer nimmt daher eine ursprüngliche Stärke von sechs Doppelblättern für beide Lagen an, gleichzeitig hält er es für möglich, dass dem erhaltenen Manuskriptteil eine weitere ganze Lage vorgegeben war. 20 Kongelike Bibliotek København, Ms. Thott 149, die Darstellung umfasst den Zeitraum von 1420 bis 1492. Zur Geschichte des Manuskripts vgl. Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale (wie Anm. 14), S. 81 ff. Die historischen Notizen befinden sich in der ersten Spalte von fol. 1r des Manuskripts, ergänzt durch eine Abhandlung über das Asylrecht; fol. 1v bietet die Abschrift einer Urkunde aus dem Jahr 1510, die eigentliche liturgische Handschrift setzt auf Seite 3r ein. Da der „Historische Abriss“ bis 1492 reicht, nimmt Spichal dieses Jahr als terminus ante quem für die Anlage des Missale, hält aber eine Zugehörigkeit der sonsti­gen Handschrift zur Ausstattung der ersten nach Marienkamp gelangten ­Augustiner-Chorherren für möglich. 21 Diese und die folgenden Quellenstellen nach dem Abdruck „Historischer Abriß von Marienkamp“ bei Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale (wie Anm. 14), S. 86 f. 22 Hier liegt offenbar ein bislang wenig berücksichtigter Dissens zwischen Forschungs- und Quellenperspektive vor: Streich, Klöster, Stifte und Kommenden (wie Anm.  13), S.  17 u.  25 bemerkt in Bezug auf das Prämonstratenserkloster Schoo bei Esens, dass dieses „möglicherweise mit dem nahen Oldekloster/Altkloster zusammen ein Doppelkloster gebildet hat“. Demgegenüber bietet die Vita Arnolds, f. 10r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 67] ein eigenes Kapitel Qualiter ingrangiavit monasterio nostro Schoege, que prius villa erat: […] venerabilis pater de consensu conventus licet absque beneplacito quorundam fratrum grangiavit ac monasterio nostro incorporavit Scoghe, quod prius villa extiterat, diversis ac pluribus colonis distinctam, sed nostro tempore destituta et pene inhabitabilis [sic] facta. Ebendieses allodium nostrum in Schoege wird bereits zuvor – auf fol. 3r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 58] – erwähnt. Ähnlich

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Text die zahl- und umfangreich dort aus Dankbarkeit hinterlegten Zuwendungen hervor. Von den Geschenken, Kleinodien und Almosen war jedoch bei Eintreffen der ersten Augustiner-Chorherren nichts mehr vorhanden, abstulit predictus Henricus abbas in nostro adventu. Diese aus der Perspektive des anonymen Autors völlig illegitime Bereicherung habe für den vormaligen Abt zu keinem guten Ende geführt: Aus nachvollziehbaren Gründen wollte selbiger nicht bei den Augustinern in Esens verbleiben, sondern setzte sich aus Ostfriesland ab, jedoch nur, um nach einer gewissen Zeit Opfer eines Unglücks zu werden und bei Hamburg in der Elbe zu ertrinken. Mehr berichtet die Quelle über die vierjährige Amtszeit des Rektors Arnold Hüls nicht. Sein Nachfolger wurde als erster Prior in Marienkamp Arnold von Creveld – vir omni veneratione dignus –, welcher zuvor als Prokurator in Marienhain bei Nordhorn gewirkt hatte. Es ist das aufbauende Wirken dieses zweiten Arnolds, welches der anonyme Verfasser noch einmal explizit den Verfehlungen des Benediktinerabtes Heinrich gegenübergestellt: Hic non spoliavit sed edificavit chorum in Olden Cloester et domum agriculture. An diesem Punkt konvergieren der historische Abriss des Thott-Missale und die Vita für ein Teilkapitel. Deutlich wird bei vergleichender Lektüre beider Texte, dass der Verfasser der historischen Aufzeichnungen die Lebensbeschreibung Arnolds gekannt und zumindest auszugsweise wortgleich übernommen hat. Die parallel überlieferte Passage informiert über die Existenz einer Marienbruderschaft im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Heiligtum. Selbige erfreute sich demnach tunc temporis, der Textchronologie folgend also in den 1420er Jahren, großer Beliebtheit.23 Convewie Streich nimmt auch Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale (wie Anm. 14), S. 79 eine bereits zuvor bestehende Verbindung von Oldekloster und dem zu einem Vorwerk herabgesunkenen Schoo zu Marienkamp/Pansath an, selbige wird in die Zeit vor 1420 gesetzt. Wenn aber der Komplex Oldekloster-Schoo bereits vor 1420 zu Marienkamp gehört hätte, wieso wird dieser, eine Richtigkeit der Quellenangaben vorausgesetzt, dann zur Zeit Arnolds von Crefeld erst erworben. Suur, Geschichte der ehemaligen Klöster (wie Anm. 14), S. 53 verweist exakt auf jene Passage, jedoch um zu belegen, dass Schoo zu diesem Zeitpunkt nur als klösterliches Vorwerk (villa) existiert habe. Andererseits vermutet er, S.  51, im Oldekloster explizit den ortsverschiedenen Vorläufer der Bauten an der Klosterstelle Marienkamp und kein mit diesem vereinigtes Kloster aus der näheren Umgebung. Folgerichtig firmiert Marienkamp in der Vita, fol. 9r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 66] explizit als Nyenhuus. Die Lokalisierung des Marienheiligtums erscheint vor diesem Hintergrund weniger eindeutig als bislang angenommen. Der grundsätzlich eher unbefriedigende Forschungsstand zu Wallfahrtsorten im äußersten Nordwesten wird resümiert bei Sander-Berke, Freie, fromme Friesen (wie Anm. 12), S. 261. 23 Zur Bedeutung und Verbreitung von Bruderschaften liegt für Ostfrieslang bislang lediglich vor Johannes C. Stracke, Geistliche Laienbruderschaften im ausgehenden Mittelalter. Mit einer Anlage: „Vnser leuer vrouwen register (1486–1523), in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 51–52 (1971), S. 35–64;

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nientibus secularibus – so der Wortlaut der entsprechenden Stelle im Thott-Missale – pflegte man in jedem Jahr um Pfingsten eine viertätige feierliche Zusammenkunft zu halten und leistete durch Spenden einen wichtigen Beitrag zu Bau und Ausstattung der Kirche. Aus der anfänglichen Unterstützung entwickelte sich jedoch bald ein signifikantes Konfliktpotential: Que fraternitas, quamvis forte primus bonum initium habuit, propter ebrietates tamen et alia mala ad abhominabilem et fedum statum devenit, quod multis nostrum [sic!] valde displicuit, quibus etiam de eiusdem ecclesie dedicationis festo propter inundas et mercimonias ebrietatesque, que in ea fiebant, idem iuditium extitit.

Die hier angedeutete Unterscheidung zwischen dem Wir der Augustiner-Chorherren und ihrem noch namenlosen Gegenüber wird schärfer, führt man sich vor Augen, dass gerade in der zitierten Passage das Thott-Missale und die Lebensbeschreibung Arnolds eben nicht exakt wortidentisch sind. In der Vita ist in Hinblick auf die jährliche Zusammenkunft explizit von Frisones seculares die Rede, deren gleich mehrfach geschildertem Fehlverhalten die Augustiner mit Missfallen begegneten.24 Über Tod und Begräbnis Arnolds 1431 hinausgehend erweist sich der historische Abriss des Missales letztlich als Leistungskatalog ausgewählter Priore von Marienkamp, wobei die die Jahre zwischen 1432 und 1484 unberücksichtigt bleiben. Erst mit dem Anbau der neuen Kirche an oben erwähnten Chorbau durch den – wie bereits Arnold Hüls und Arnold von Creveld – aus dem Mutterhaus in Frenswegen nach Ostfriesland gelangten Prior Johannes von Bentheim setzt der Bericht erneut ein. Insgesamt wird der gute wirtschaftliche Zustand des Klosters unter seiner Leitung gerühmt: domum Ezensem divitiis abundantem reliquit. Diese Leistungen bilden dann eine Folie für das Versagen des direkten Nachfolgers Bernard von Oldenborch, habe jener sich doch als aliquantulum elatus et prodigus – ein wenig hochfährtig und verschwenderisch – erwiesen und dem Konvent dadurch mehr geschadet als genützt: Que predecessor gloriose collegit, hic minus utiliter expenduit. An ihrem Ende eröffnen die historischen Aufzeichnungen des Thott-Missale Verbindungslinien zwischen einer engeren klösterlichen Ebene und einer weiteren der regionalen Politik: ipse Bernardus propter emulationem Etzardi, comitis Emedensis, a nobis elongatus, habitum sancti Benedicti in Roestedem (Rastede) asvgl. allgemein und mit umfangreichem Literaturüberblick Bernhard Schneider, Wandel und Beharrung. Bruderschaften und Frömmigkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Hansgeorg Molitor u. Heribert Smolinsky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 54), Münster 1994, S. 67–87. 24 Vita Arnolds, fol. 9r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 66.

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sumpsit. Marienkamp wird damit Teil und – in Hinblick auf die Benennung bzw. Absetzung des dortigen Priors – auch Objekt der sich in den 1490er Jahren zu offenen Kampfhandlungen ausweitenden Auseinandersetzungen zwischen dem Grafen Edzard I. von Ostfriesland aus dem Hause Cirksena auf der einen und den Häuptlingen von Jever und Esens, Edo Wiemken und Hero Omken, auf der anderen Seite. Das Jahr 1492 markiert hierbei eine erste Phase des Konfliktes, in welchem auch der Graf von Oldenburg, der Bischof von Münster und zeitweilig die Hansestädte Bremen und Hamburg als Bündnispartner Edos und Heros agierten.25 Für die Vita Arnolds von Creveld ließ sich an einem ersten Beispiel die offenkundige und intendierte Differenzierung der Windesheimer Chorherren in Marienkamp – nos – von einer einheimischen ostfriesischen Bevölkerung bzw. den in der Region bereits ansässigen Mönchen und Nonnen, ethnisch subsumiert als Frisones, belegen. Auch an anderer Stelle scheint in der Vita Arnolds das Verhältnis der Neuangekommenen zu ihrer Umwelt geprägt durch eine deutliche Reserviertheit: Et quia incole terre multi nos peregrinos et advenas et ideo tanquam ignotos habebant et sicut violentes invasores monasterii bonorum eius iniustos possessores reputabant citoque recessuros a loco atque crebra comminacione a patria fugandos dice […].26

Der Autor der Vita inszeniert hier die Wahrnehmung der Augustiner-Chorherren durch eine vermeintlich indigene Bevölkerung in unmissverständlichen Zügen: Als Fremde und Neuankömmlinge, die gewaltsam in das Kloster eingedrungen seien und dessen Güter ungerechtfertigter Weise besaßen, als Vaterlandsflüchtlinge, die bald wieder verschwinden würden – insgesamt eine wenig günstige Re25 Zum historischen Hintergrund u. a. Jürgens, Johannes a Lasco (wie Anm. 8), S. 169 f.; Ant-

je Sander-Berke, Das Fräulein und die Renaissance. Maria von Jever 1500–1575. Herrschaft und Kultur in einer friesischen Residenz des 16. Jahrhunderts. Katalog zur Sonderausstellung im Schlossmuseum Jever vom 03. 10. bis 31. 12. 2000, (Kataloge und Schriften des Schlossmuseums Jever, 23), Oldenburg 2000, S. 15 ff.; Heinrich Schmidt, Geschichte Ostfrieslands im Mittelalter, in: Hans Patze (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens, Bd. 2,1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 36,II,1), Hannover 1997, hier S.  1027 ff.; Walter Deeters, Achthundert Jahre oldenburg-ostfriesische Nachbarschaft, in: Oldenburger Jahrbuch 89 (1989), S. 1–19, insb. S. 5; Heinrich Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands, (Ostfriesland im Schutze des Deiches, 5), Leer 1975, S. 121 ff.; Almuth Salomon, Geschichte des Harlingerlandes bis 1600, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, 41), Aurich 1965, insb. S. 153 ff. 26 Vita Arnolds, fol. 8v [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 65]. Der unvollständige Satz wird an dieser Stelle bedingt durch das Fehlen des äußersten Blattes der ersten Lage des Manuskripts.

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putation, deren Wiedergabe in diesem Kontext keineswegs zufällig erfolgt sein dürfte. Die Arnolds-Vita aus Marienkamp ist dabei ein für ihren Entstehungskontext zwar nicht einzigartiger, aber doch ganz im ursprünglichen Wortsinne merkwürdiger Text: Anders als Johannes Buschs Biographiensammlung im Liber de viris illustribus und die in dessen Tradition folgenden Schriften, welche letztlich jedem einzelnen Mönch das Potential zuschreiben, durch ein exemplarisches Leben für seine Mitbrüder zum Beispiel der veritatis doctrina et imitationis norma formalis zu werden, greift der vorliegende Text stark auf ältere Vorbilder zurück und fokussiert mit Arnold von Creveld neuerlich eine Einzelperson als Akteur.27 Gerhard Diehl charakterisiert diesen Viten-Typus folgendermaßen: „Wie die traditionelle Heiligen-, Bischofs- oder Abtsvita einer geistlichen Gemeinschaft, sei es einem Orden, einem Bistum oder einem Kloster ideale Gründerväter oder das regelgerechte Leben einer idealen „Gründerzeit“ schildert und diese Ideale über die bloße Beschreibung hinaus normativ zu vergegenwärtigen sucht, so [versuchen dies] auch die neu entstehenden Viten.“28

Folgerichtig legt die Vita Arnolds  – ebenso wie der bereits besprochene historische Abriss des Thott-Missales  – besonderes Augenmerk auf das Wirken des Priors Arnold als Erneuerer der klösterlichen Lebenssituation in Marienkamp. Ausgangspunkt der oben zitierten Passage (Quia incole terre …) ist entsprechend ein Kapitel mit dem zeitgenössischen Titel Qualiter venerabilis pater se habuit in 27 Die entsprechende Passage bei Johannes Busch, Chronicon Windeshemense (wie

Anm. 16), S. 2. Vgl. Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt (wie Anm. 18), S. 289; Nikolaus Straubach, Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 418–461, hier S. 437; Bertram Lesser, Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Überlieferung, Rezeption, (Tradition  – Reform  – Innovation, 10), Frankfurt a. M. u. a. 2005, S.  132. Eine Übersicht über die Vitenkollektionen der Devotio moderna bei Wybren F. Scheepsma, Verzamelt de evergebleven broken, opdat niets verloren ga. Over Latijnse en Middelnederlandse levensbeschrijvingen uit de sfeer van de Moderne Devotie, in: Paul W. M. Wackers (Hrsg.), Verraders en bruggenbouwers. Verkenningen naar de relatie tussen Latinitas en de Middelnederlandse letterkunde, (Nederlandse literatuur en cultuur in de middeleeuwn, 15), Amsterdam 1996, S. 211–238 u. 334–346. 28 Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt (wie Anm. 18), S. 290. Zur Wiederbelebung der Vita als Variante der Spiegelliteratur in Spätmittelalter und früher Neuzeit vgl. für die Bischofsviten Huber Jedin, Das Bischofsideal der katholischen Reformation. Eine Studie über die Bischofsspiegel vornehmlich des 16. Jahrhunderts, in: Ders., Kirche des Glaubens – Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, Freiburg u. Basel 1966, S. 75–117, insb. S. 91 ff. Einen der Arnolds-Vita in funktionaler Hinsicht vergleichbaren Text bietet John van Engen, The virtues, the brothers, and the schools. A text from the Brothers of the Common life, in: Revue Bénédictine 98 (1988), S. 178–217.

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rerum externarum promocione et de prima paupertate domus nostre  – die Entwicklung und Regulierung des Verhältnisses der Chorherren zu ihrer ostfriesischen Umwelt sowie die wirtschaftliche Situation des Klosters erscheinen darin als zentrale und miteinander verbundene Handlungsfelder. Letztere skizziert der anonyme Verfasser der Vita bei der Ankunft Arnolds von Creveld als wenig günstig: valde pauperes nos et domum nostram invenit in edificiis et frumentis et ceteris necessariis. Weder sei ausreichend Geld vorhanden gewesen, um notwendige Güter hinzuzukaufen, noch stand solches durch die jährlichen Einkünfte zu erwarten. Der neue Prior beseitigte jedoch nicht nur die unmittelbaren Missstände – non solum ad victum et vestitum necessaria fratribus ac aliis melius prebere studuit, sed eciam plura edificia construi fecit  – sondern erwies sich darüber hinaus als Erneuerer und Erweiterer der klösterlichen Bausubstanz.29 Bewegen sich die bislang vorgestellten Passagen eher auf einer deskriptiven Ebene, so geht der Text doch immer wieder über selbige hinaus. Deutlich erkennbar ist der Verfasser bemüht, das historische Leben des Arnold von Creveld nicht nur zu beschreiben, vielmehr legt er sein Hauptaugenmerk darauf, selbiges zur Norm für die nachfolgenden Generationen zu erheben.30 In dieser Hinsicht ist die Vita des ersten Rektors von Marienkamp nicht singulär: Vergleichbare ­Texte – Diehl wählt hierfür die Gattungsbezeichnung der „Observatenspiegel“ – fänden sich in verschiedenen Bereichen observanten Lebens, insbesondere aber in Konventen, deren Reform einen „besonders massiven Einschnitt“ bedeutet habe.31 Im Falle Marienkamps unterbricht der Übergang von den Benediktinern auf die Windesheimer Chorherren, gepaart mit einem gleichzeitigen, weitgehenden Austausch der Klosterinsassen, eine über Jahrhunderte zurückreichende Traditionslinie und schafft so ein Legitimationsdefizit, fehlen doch gleichzeitig alternative Bezugsmöglichkeiten wie überlieferte Normen oder ältere, exemplarische Lebensläufe. Umso stärker sich also die Vita Arnolds in ihrer Gesamtheit von der Darstellung historischer Ereignisse zugunsten eines normsetzenden und ‑vergegenwärtigenden Beispiels löst, umso bedeutsamer werden die dennoch gleich mehrfach in den Text eingeschriebenen Hinweise auf ein tendenziell feindliches Gegenüber von klösterlicher Innen- und Umwelt.

29 Vita Arnolds, fol. 8v u. 9r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 65 f.]. 30 Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt (wie Anm. 18), S. 290. Vgl. Vita Arnolds,

fol. 7r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 17), S. 63. So erscheint auch der Name Arnolds erst im Explicit des Textes, Vita Arnolds, fol. 19v [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. S. 81]. Zuvor bleibt mit Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt (wie Anm. 18), S. 294 f. die Person Arnolds hinter einer Maske von Formeln bzw. Funktionsbezeichnungen als devotus/discretus/prudens/studiosus/venerandus/ venerabilis pater oder vehemens zelator pacis/verus dei cultor. 31 Diehl, Exempla für eine sich wandelnde Welt (wie Anm. 18), S. 290.

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Deutlich zeigt dies auch eine Episode um die früheren Klosterinsassen bzw. klösterlichen Konversen – die conversi Frisones ordinis sancti Benedicti – welche mit dem Übergang Marienkamps an die Windesheimer in ein Kloster der nahegelegenen Stadt Norden überführt worden waren. Selbige versuchten, nachdem der Einzug der Augustiner-Chorherren in Marienkamp offenbar bereits einige Zeit zurücklag, ihr ehemaliges Kloster durch eine Verschwörung mit örtlichen Häuptlingen (capitanei) zurückzugewinnen.32 Auch an dieser Stelle stehen den Frisones die domus noster bzw. die loca nostra der Augustiner gegenüber. Trotz einiger Defekte gerade in diesem Textabschnitt lassen sich darüber hinaus weitere Beobachtungen machen: Die Absicht der Verschwörer wird in Marienkamp bekannt und kann so vereitelt werden, doch reflektiert der anonyme Autor detailliert den erreichten Planungsstand. Eine wichtige Rolle in den Überlegungen der Verschwörer spielte demnach die Möglichkeit, vor Ort weitere Unterstützung für ihr Vorhaben zu gewinnen, so seien zumindest in dieser Phase insbesondere die Frisones villanos, also die lokale Landbevölkerung, plus eis quam nobis gewogen gewesen. Entsprechende Hinweise sind nicht nur auf die in Marienkamp selbst entstehende Überlieferung beschränkt: Über die erste Legation der Augustiner-Chorherren nach Marienkamp unter Führung des Priors von Frenswegen, Henricus Loeder, berichtet das Chronicon Windeshemense zwar die grundsätzliche Eignung des Klosters für eine Reform, bereits der angeschlossene Ausblick auf die Zeit des Rektors Arnold Hüls verweist jedoch auf die vexaciones, welche den devoten Chor- und Laienbrüdern durch die acefales Frisones widerfahren seien und welche – in signifikanter Parallelführung – ebenso wie die grassierende Pest ihre Reihen gelichtet hätten. Die anfänglichen Schwierigkeiten bilden dabei in der Erzähllogik der Chronik Ausgangspunkt und Voraussetzung für einen anschließend umso größeren Erfolg der Reform.33 Auch in der Vita Arnolds von Creveld steht am Ende seiner Amtszeit eine überaus positive Bilanz: Innere wie äußere Defizite, auch jene, die sich aus der wortwörtlichen Jugend der Gemeinschaft und der in ihr vereinten Chorherren, aus mangelnder Disziplin der Brüder und ebenso der klösterlichen Laien ergaben, erscheinen als ausgeräumt.34 Doch bereits der Tod des vorbildhaften Priors 32 Vita Arnolds, fol. 17vf. [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 78 f.]. 33 Chroncion Windeshemense (wie Anm. 16), Kap. 62, S. 359. 34 Vita Arnolds, fol. 7r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 63]: Et quia

tam fratres quam laici suo tempoe, quia primum prior extiterat, pene omnes in primeva etate erant et iuvenilis etas ad easdem levitates et dissoluciones pronior saepe atque profusior sentitur, peritur et experitur existere nec possit se ab eisdem nisi stricto rigore compescere, idcirco magne operis sibi multeque cure fuit, quatenus ut filii sui per spiritualia exercicia adipiscende devocioni intenderent aptarique possent, atque in ea proficerent, ab iocis et ludis immoderatisque risibus eos strenue restringere et quando eos in eisdem per nimiam insolen-

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leitet  – und dies ist ein zentraler Aspekt der Vita  – für die Gemeinschaft eine Phase der Unsicherheit ein, deren deutlichster Beleg die Existenz des Textes selbst ist.35

Die Klageschrift Ulrichs von Dornum und Hero Omkens gegen Marienkamp Markiert das Priorat Arnolds von Creveld am Ende des erhaltenen Teils seiner Vita ein nie wieder erreichtes aber anzustrebendes Ideal, so finden sicht textimmanent trotz zahlreicher externer Konflikte nur wenig Anzeichen eines bald einsetzenden Niedergangs. Auch für das weitere 15. Jahrhundert lassen die spärlich vorliegenden Quellentexte kaum detaillierte Aussagen über die Geschicke Marienkamps zu: Aus dieser Zeit sind nicht mehr als sieben Urkunden erhalten, in welchen der Konvent selbst zu den Hauptakteuren gehört, vier davon stammen aus dem Jahr 1438, zwei aus 1439 und eine weitere aus 1487.36 Der historische Abriss des Thott-Missale identifiziert Tendenzen einer Misswirtschaft zuerst für den Prior Bernard von Oldenborch (1488–1492). Als zentrales Kriterium in der Bewertung seines Wirkens – und gleichzeitig als Erklärung für dessen Erfolg bzw. Misserfolg – erscheint bei ihm wie bei seinen Vorgängern und Nachfolgern die Ausrichtung des eigenen Handelns auf das Wohl des Marienheiligtums: Johannes von Bentheim ist fidelis gloriose virgini Marie in Olden Cloester, daher übergibt er den Konvent divitiis abundantem an seinen Nachfolger; Bernard von Oldenborch erscheint umgekehrt als aliquantulum elatus et prodigus, da er ab ymagine virginis gloriose multos denarios aureos abstulit.37 Bereits für den zwischen 1451 und 1458 sowie erneut ab 1474 amtierenden Prior Nikolaus von Calkar finden sich zwar scharf formulierte Vorwürfe – Niedergang der klösterlichen Disziplin, Verkauf von Klosterbesitz, übermäßige Zulassung von Konversen –, jedoch nicht in Hinblick auf seine Zeit bei den Windesheimer Chorherren in Marienkamp,

ciam excessisse deprehendit, congruo rigore ac disciplina castigare ad morumque maturitam et membrorum servandam disciplinam instituere consuevit. 35 Vita Arnolds, fol. 10r [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 67 f.]: Sed prius, quam nobis conveniebat, per intempestam mortem suam eius pariter et presencia et providencia a nobis ablata status domus nostre a sua perfectione in spiritualibus tantum cecidit, quod postea ad eandem perfectionem redire atque resurgere visa nonfuit. Vgl. Kochs, Anfänge (wie Anm. 4), S. 157 36 OUB I, Nr. 494, S. 441; Nr. 497, S. 443; Nr. 500, S: 445; Nr. 503, S. 477; Nr. 505. S. 478 f.; Nr. 506, S. 479 f. sowie StaA Aurich Rep. 1, Nr. 1088 (1487.03.12). Hinzu kommen einige wenige Testamente, in denen Marienkamp als ein Begünstigter unter mehreren firmiert. 37 Spichal, Ein wiederaufgefundenes Missale (wie Anm. 14), S. 87.

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sondern für die 1460er Jahre, während denen er als Propst der Prämonstratenser in Langen amtierte.38 Diesen wenig spezifischen Informationen steht mit einer Klageschrift der Halbbrüder Hero Omken, Häuptling im Harlingerland, und Ulrich von Dornum, Herr der halben Herrlichkeit und Burg von Oldersum, für das Jahr 1503 eine einschlägige Quelle gegenüber, welche die Situation Marienkamps rund 70 Jahre nach dem Tod Arnolds von Creveld als überaus kritisch erscheinen lässt.39 Bereits der Vater beider Kläger, der 1473 verstorbene Häuptling Sibo Attena, hatte sich bei verschiedenen Gelegenheiten um die Förderung Marienkamps verdient gemacht, insbesondere eng verbunden scheint ihm dabei der oben genannte Prior Nikolaus von Calkar.40 Trotz aller Parteigebundenheit – für Hero Omken und Ulrich von Dornum war in den fortlaufenden Auseinandersetzungen mit Graf Edzard I. der Einfluss auf den Esenser Chorherren-Konvent von zentraler Bedeutung41 – stehen die im Anklageschreiben vorgebrachten Anschuldigungen insofern nicht isoliert, als sie durch einen wenig später und in direkter Reaktion entstandenen Visitati38 Heinrich Grotefend, Notae Langenses, aus einem Copialbuche des Klosters Langen

mitgetheilt, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1862), S. 262–273, hier S. 270: Qui licet in se vir bonus erat, tamen suo tempore regimen monastice discipline multum claudicavit et conventui nostro inutilis fuit, quod predia non modica vedidit […]. In nullo tamen plus obfuit, quam quod conversos plurimos investivit ac acceptavit. 39 Abgedruckt bei Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 84–92. Das Original zusammen mit dem anschließenden Visitationsbericht StaA Aurich, Rep. 4, B 13 c, Nr. 4. Hilfreiches Transkript der Stellenweise kaum leserlichen Stücke aus 1501 und 1503 durch Friedrich Ritter StaA Aurich, Dep. 87, Nr. 93. 40 Vgl. die Urkunden OUB I, Nr. 494, S. 441 f. (1438.05.24); Nr. 513, S. 456 ff. (1440.04.28). In seinem Testament OUB II, Nr. 921/922, S. 19 ff. (1473.11.08/1485.04.29) agiert der Prior von Marienkamp als Bewahrer des Schlüssels zu einer Truhe, in welcher Sibo Attena eine Summe Geldes verwahrt hatte. Der Konvent selbst wird in diesem Testamen bedacht, ein Pferd gheheten Topke, dat sal hebben Ezenser kloster unde darto twyntich Rinsch gulden. Zwar handelt es sich hierbei um die erste, aber nicht die letzte Nennung eines Klosters in der Quelle, weitere Erbstücke erhalten Burmönken und Tjuchermönken bei Wittmund. Auffällig ist darüber hinaus, dass Nikolaus von Calkar offenbar bald nach dem Tod Sibo Attenas nach Marienkamp zurückkehrt. 41 Das Verhältnis der beiden Brüder ist nach dem Tod des Vaters keineswegs frei von Spannungen: Hero Omken verwehrte Ulrich den größten Teil des ihm zustehenden väterlichen Erbes, nach der Hochzeit mit Essa von Oldersum bedingte die fortgesetzte Treue zu seinem Bruder für den neuen Herren von Oldersum immer wieder Konflikte mit Edzard I. als seinem Lehnsherren, erst ab 1504 steht Ulrich dann endgültig fest in gräflichen Diensten und damit in offener Gegnerschaft zu seinem Bruder, vgl. Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands (wie Anm.  25), S.  172 f.; Gerhard Ohling, Junker Ulrich von Dornum. Ein Häuptlingsleben in der Zeitenwende nebst dem Oldersumer Religionsgespräch als Beitrag zur Geschichte der Frühreformation in Ostfriesland, Aurich 1955, S. 7, 29 ff. Obwohl beide, also Hero und Ulrich, im Text des Klageschreibens in Erscheinung treten, so spricht zumindest hier immer wieder deutlich das „Ich“ Ulrichs, sein Bruder ist nur in der dritten Person präsent.

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onsbericht referenziert werden können. Ulrich von Dornum selbst ist dabei nicht nur als Mitinitiator, sondern mit Blick auf seine Ausbildung an der Universität Rostock auch als Verfasser der in Konzeptform erhaltenen Klage belegbar.42 Bereits im Jahre 1501 waren die Söhne Sibo Attenas gegen Exzesse innerhalb des Klosters vorgegangen. Dies belegen zwei Urkunden vom 1. Dezember desselben Jahres, in welchen Prior und Konvent von Marienkamp zusichern, die attestierten Missstände auszuräumen.43 Im Fokus der Vorwürfe stand dabei offenbar die Unterschlagung wertvollen Besitzes, von kelken, monstrantien, ciborien, ornamenten, clinodien, boken, die gewisse Angehörige des Konvents in anderen umbelegheliken steden hemeliken voerbracht hätten. Der so entstandene Schaden sollte durch Restitution des Entwendeten beseitigt und darüber hinaus ein neuer Prior – den bislang amtierende Hermann Reyger hatte man offenbar wenig ehrenvoll abgesetzt  – bestimmt werden.44 Entsprechende Absichten seien jedoch, so die Position der späteren Kläger, nicht im notwendigen Umfang bzw. nur in ungeeigneter Form realisiert worden. Aus diesem Grund setzte Ulrich im eigenen und im Namen seines Halbbruders wohl Anfang 1503 – dem in Konzeptfassung erhaltenen Schreiben fehlen die für eine genaue Datierung relevanten Anfangsund Schlusspassagen – eine erneute Klage an das Generalkapitel der Windesheimer Chorherren auf. In direkter Reaktion erschienen noch im Frühjahr 1503 die Äbte der Klöster Thabor und Anjum in Marienkamp, um dort eine Untersuchung durchzuführen, welche schließlich zu einem im April desselben Jahres geschlossenen Vergleich führte.45 Insbesondere für die Schrift Ulrichs ist es wichtig, diese beiden Ereignishorizonte zu unterscheiden, da seine Argumentation zu einer gewissen thematischen wie chronologischen Vermischung neigt. Bereits an seinem Beginn bietet Ulrichs Schreiben, wohl ebenfalls aufgrund seines Konzeptcharakters, ganz unvermittelt eine Kurzfassung der Geschichte Marienkamps aus der Perspektive der Kläger: Int erste szo sinnen dusse sulffenn monachen vromde ingeropen personen van unsen ghestrengen leven heer vader zeliger dechtnisse unde dat Cloester is ersten up sunte Benedicti orden gefunderth, de dar um oers bozen levendes willen affquemen mit consent des alderhilligesten.46

42 Ohling, Junker Ulrich von Dornum (wie Anm.  41), S.  13 f., 53. Das Matrikelbuch der

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Universität Rostock verzeichnet am 17. Oktober 1481 die Immatrikulation des Olricus de Dornem, Adolph Hofmeister, Die Matrikel der Universität Rostock, Bd. I. (Mich. 1419 – Mich. 1499), Rostock 1891, S. 224. StaA Aurich, Rep. 1, Nr. 439 u. 440, auch hier Transkript durch Friedrich Ritter StaA Aurich, Dep. 87, Nr. 93. Staatsarchiv Aurich Rep. 1, Nr. 440. Zusammenfassung der Ereignisse und knappe Aufschlüsselung der Chronolgie bei Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 84. Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 84 f.

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Zwei Punkte verdeutlicht Ulrich von Dornum damit von vornherein: Seiner Meinung nach sind die Augustiner-Chorherren vromde, Landesfremde, die auf Einladung nach Ostfriesland gelangt sind, hier mit dem Anliegen, das in moralischen Verfall geratene Benediktinerkloster Marienkamp zu erneuern. Betont bereits die Vita Arnolds mehrfach zumindest eine Reserviertheit der Ostfriesen gegenüber den devoten Augustinern, so bietet Ulrichs Klage unmittelbar eine entsprechende damit übereinstimmende Komplementärperspektive: Unbenommen aller folgend noch erhobenen Anschuldigen handelt es sich demnach bei den Chorherren von Marienkamp zuallererst um Fremde – und zwar um solche, die nicht aus eigenem Antrieb, sondern vermeintlich auf Betreiben seines, Ulrichs, Vaters nach Ostfriesland gekommen seien. Diese Aussage entspricht zwar, wie die oben skizzierte Geschichte Marienkamps zeigt, nicht den Tatsachen, jedoch ist der erste Initiator der Reform, Wibet von Stedesdorf, Ulrichs Urgroßvater mütterlicherseits. Die familiären Verbindungen zum Kloster sind damit nicht erfunden, nur verfälscht, gerade ihre explizite Aktualisierung deutet bereits an, wie die klagenden Brüder ihre Rolle in Hinblick auf die Geschicke des Konvents verorteten.47 Die angestrebte Wirksamkeit der Augustiner-Chorherren kontrastierte, so Ulrich weiter, nach ersten positiven Ansätzen bald deutlich mit der Realität: Dusse monchen alzo canonici regulares unweerdich des namen eerst zinnen zee in groten dogeden gestegen, lant, sant, arve, smide, gelt, golt is en by groten hupen milder hantrekinge gegeven.48 Er spielt hier mit der Titulatur der ‚regulierten‘ Kanoniker, die sich in der Folge eben gerade durch die Regellosigkeit ihres Lebensstils auszeichneten. Hätten die Augustiner-Chorherren von Marienkamp zunächst also durch eine vorbildliche Lebensführung ihre Zeitgenossen beeindruckt, diese dadurch zu umfangreiche Schenkungen bewegt und mit selbigen Mitteln auch tatsächlich Verbesserungen eingeleitet, so deutet bereits die Art und Weise, wie Ulrich den Erwerb der Zuwendungen charakterisiert, ein Umschlagen an: Se hebben godlich unde erlich gelevet, oer timmer vorbetert, den gades denst gestarcket, oer uethove vorbreidet al by willen unde consent unses heer vaders, de on oer hyr gunstich unde forderlich anne was, dat ze mit eynen appell unde ander lichtverdicheit unde mit oer sme-

47 Da Sibo Attena wohl erst um 1425 geboren wurde, kann er an den Ereignissen der 1420er

Jahre kaum direkt beteiligt gewesen sein. Wenn aber die falsifizierbare Annahme, eine Reform Marienkamps durch die Augustiner-Chorherren gehe auf Ulrichs Vater Sibo Attena zurück, bewusst gewählt ist, um der Einflussnahme seiner Söhne auf das Kloster ein historisches Vorbild zu geben, so findet dies eine interessante Entsprechung in der Geschichtsschreibung: Der mit Ulrich durch Heirat familiär verbundene Chronist Eggerik Beninga setzt die Reform Marienkamps abweichend in das Jahr 1444 und damit dezidiert in die Lebenszeit Sibet Attenas, Eggerik Beninga, Chronica der Fresen, bearb. v. Louis Hahn, hg. v. Heinz Ramm, Teil 1, (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands, 4), Aurich 1961, S. 325. 48 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 85.

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kende woerden by halven rechte plagen dreplich arve unde godere to ercrigen unde an sich to nemen.49

Für eine nicht exakt umrissene Gründungsphase des Chorherren-Konvents in Marienkamp verzeichnet Ulrich damit – diesbezüglich völlig übereinstimmend mit dem, was die Vita und der historische Abriss des Thott-Missale über den Prior Arnold von Creveld berichten – eine Verbesserung der Bausubstanz, der wirtschaftlichen Grundlage des Klosters sowie der dort geübten Disziplin. Insbesondere der Verweis auf die hierbei geübten smekenden woerde lässt das Erreichte bei Ulrich aber lediglich als Mittel zum Zweck erscheinen. Diese Tendenz arbeitet er in der Folge schärfer heraus: So lange Do ze in den gode vorhaven wurden, do vormeerde zich oer de moet unde vorleten allenthant got unde negheden zick toe eerdesschen zaken. Benamen was hyr noch eyn abdye, de ze in zick vorslunden unte is nhu man orer slimmesten uethove eyner. Dar ze nicht muchten mede to ovede wezen, dan ze hebbet hyr in dussen kleynen lande allenigen noch ander uethove, de ze noch hebben der ander wegen, to vyff edder VI to, dat tiegen alle recht is.50

Umso mehr also die Mönche von Marienkamp in ihrem Wohlstand andere zu überragen begonnen hätten, umso wagemutiger seien sie geworden, hätten Gott den Rücken gekehrt und sich stattdessen irdischen Angelegenheiten zugewandt. Insbesondere kritisiert Ulrich dabei den Erwerb zahlreicher uethove51, eine Politik, die ebenso in der klostereigenen Überlieferung nachweisbar ist. Als unmittelbare Konsequenz des massiv anwachsenden Güterbesitzes verzeichnet die Klageschrift dann einen weiteren Missstand, die übergroße Zahl an zu ihrer Bewirtschaftung nötigen Laienbrüder: So fänden sich in Diensten Marienkamps zu jeder Zeit zwei- bis dreihundert Laien, de unse lanth unde lude ganslichen vordarven, sich also offenbar zumindest zeitweilig bettelnd – mit den Worten Ulrichs – fremden Besitzes bemächtigten. Wenn sie dann genug erbeutet hätten, so vorlopen ze de kappen unde slaet zick hyr unde daer anderwegen by lichten wunnen neder, dat oer vaken mitter kappen schint by nachte unde by tage.52 Das Gewand der Laienbrüder wird hier zur Verkleidung, bloßes Mittel zum Zweck, das nach erfolgreichen Bettelzügen gerne und eilig abgelegt werde. 49 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 85. 50 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 85. 51 Uthof als Bezeichnung eines Vorwerkes mit fester Bausubstanz z. B. bei Eberhard Rack,

Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, (Spieker – Landeskundliche Beiträge und Berichte, 15), Münster 1967; Ekkehard Wassermann, Aufstrecksiedlungen in Ostfriesland. Ein Beitrag zur Erforschung der mittelalterlichen Moorkolonisation, (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, 61/Göttinger geographische Abhandlungen, 80), Aurich 1985. 52 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 85.

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Aus Gründen des Umfangs können die von Ulrich gegen die AugustinerChorherren und Laien von Marienkamp erhobenen Vorwürfe nicht in ihren vollen Details präsentiert werden. Sie lassen sich jedoch im Wesentlichen fünf Feldern zuordnen: 1.  Veruntreuung von Klosterbesitz bzw. Verkauf von Land, Wertgegenständen und Vieh mit dem Ziel persönlicher Bereicherung. 2. Ungerechter Erwerb von Besitzungen anderer Klöster, Bettelei und Wegelagerei, wobei nicht immer scharf zwischen den eigentlichen Chorherren und klösterlichen Laien unterschieden wird. 3. Gewaltexzesse der Laien untereinander bis hin zum Totschlag. 4. Ein allgemeiner Kontrollverlust des Priors, wobei dieser zum Opfer bzw. Spielball seiner Untergebenen wird. 5. Unterstützung des Grafen Edzard in den Auseinandersetzungen mit Hero Omken. Die in der Klageschrift abgehandelten Punkte werden dabei zumeist nicht als dezidiert neu eingeführt, sondern vielmehr an die bereits zwei Jahre zuvor geführte Beschwerde zurückgebunden. Auch die in diesem Zusammenhang durchgeführte Visitation hat Eingang in den Text gefunden, insofern als sie keineswegs eine Besserung, sondern lediglich die Verbrüderung der Klosterinsassen mit den Visitatoren erbracht habe: Do visitatores zinnen kamen, daer is eyn starck drincken to gegaen van unsen monichen benamen, dar wurden all de hovede aver eyn gestelt, de luchten wurden gezeen offt ze van sick zulvest hedden wandert van der eynen kameren to der anderen in der nacht went an den morgen, dat ze on jo koentlichen schulden vorclagen, do ze alle vorgaddert weren unde nicht wusten to clagen, Judas de leep umme den hupen unde stotte ze an, dat ze sprecken schulden. Dit is gezeen unde alle waer unde meer darto.53

Auffällig ist dabei, dass sich die erste Klage im Jahr 1501 dezidiert nicht gegen den Prior von Marienkamp, Hermann Reyger von Delden, richtete. Im Zusammenhang der historischen Aufzeichnungen des Thott-Missale wurde bereits auf Bernard von Oldenborch verwiesen, welcher auf Druck des Grafen Edzard seine Position resigniert und sich nach Rastede zurückgezogen hatte. Über den Beginn von Hermann Reygers Zeit als Prior finden sich in den Quellen keine Angaben, aber offenbar handelte es sich bei ihm um einen Prior, welcher eben nicht Edzard I. als Grafen von Ostfriesland, sondern dezidiert der Partei um Hero Omken gewogen war, angezeen dan wy zulke truwe an den zulfften prior gefunden unde belevet hedden.54

53 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 87 f. 54 Eigentlich war Ulrich von Dornum nach seiner Heirat mit Essa von Oldersum Lehns-

mann des Grafen Edzard, er unterstützte jedoch weiterhin seinen Halbbruder, vgl. zu der mit dem Grafen von Ostfriesland diesbezüglich geführten Auseinandersetzung OUB II, Nr. 1570, S. 564 f. (1497.10.21).

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Bereits im Vorfeld der Visitation, so legt Ulrich nahe, hätte sich dann ein Teil der Priesterbrüder mit den Laien verbündet, um die Absetzung des Priors zu erwirken, sloten oren valsschen raet, ze schulden aver dussen goden heren oren prior scryen unde ropen, dat se ne muchten affkrigen. Der Versuch der Attena-Söhne, die Visitatoren zu bewegen, dat ze on szo unweerdichlichen nicht wolden van sinen ampte werpen, scheiterte dagegen und führte zur Wahl eines Hero Omken und Ulrich von Dornum ungenehmen Priors. Mit zusschen lozen wane unde slimmen bozen vorharden herten hebben ze uns zunder antwort gelaten unde den prior to eyns stemmen (ad vocem unius) baven alle rechtes ordnunge unde vormoge vreeflichen affgewurpen unde gedruwet, men zul den mede hen nemen, he wer et allwol weert etc.55

Dieser Prior Jakob von Kleve stamme uet des Greven lanth und habe in der Zwischenzeit mehrfach versucht, Edzard die Kontrolle über Marienkamp zu verschaffen. Über das Verhalten der Mönche im Zuge eines Angriffs des Grafen auf Esens berichtet Ulrich beispielsweise: Se hedden in der nacht alle ketel unde potte vul togehouwen unde to vure gebracht, dat ze unse vianden wolden guedlichen mede untfangen. Alle Versuche, den Konvent vor diesem Hintergrund zu einer Rücknahme seiner Wahl zu bewegen, erscheinen dagegen gescheitert. Der entsprechende Konflikt zieht sich ebenfalls durch die weiteren Quellenzeugnisse: So konstatiert der Visitationsbericht des Jahres 1503 dezidiert die Schuld Jakobs von Kleve, der zum Verzicht auf sein Amt gezwungen wird, Herrmann Reyser wird dagegen rehabilitiert und als Konventualer erneut in Marienkamp oder auf einem der uthove aufgenommen. Ähnliche Geschehnisse in der Zukunft sollen unterbunden sein: Man schall oech da dusse daghe zo lichte wedder Recht, Statuten unde billichheyt ghenen prior voranderen aff offsetten.56 Eine gewisse Sonderstellung nimmt eine Anschuldigung ein, die zwar im weitesten Sinne in den Bereich der Veruntreuung und des Raubes fällt, aber ihrerseits eine spezifische Qualität aufweist – sie bildet gewissermaßen den Kulminationspunkt der weiteren Vorwürfe – und darüber hinaus Kloster und Marienheiligtum erneut in enger Verbindung zeigt: So hebben se gade unde siner benedieden moder nicht gespaert, alle ornamente, clenodien, XXXIII kelken; ciborien, misgewante, pallien etc. wes dar mer was, replich nicht uetgenamen, bes to eynen nagell genslichen dat hues unser lewen vrouwen uncristlichen geblotet, geschint unde ore hende dar angeslagen deefflicher und roverscher wyze.57 55 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 88. 56 StaA Aurich, Rep. 4, B 13 c, Nr. 4 (1503.04.30), vgl. Sauer, Das Leben des Arnold Creveld

(wie Anm. 18), S. 90.

57 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 89.

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Erkennbar sind die Parallelen dieser Episode zu den Ereignissen um die Flucht des Benediktinerabtes Heinrich bei der Ankunft der Windesheimer Chorherren in Marienkamp. Denkt man an den Anfang von Ulrichs Schreiben zurück, so findet sich diesbezüglich eine weitere mögliche Referenz: Für die Marienbruderschaft hatten sowohl der historische Abriss als auch die Arnolds-Vita die ‚guten Anfänge‘ derselben gelobt, die dann aber in Verfall übergegangen wären – ganz ähnlich zeichnet Ulrich in seiner Klage die Zeit der Chorherren in Marienkamp. Waren ihm als Verfasser der Klageschrift also die älteren, von den Windesheimer Chorherren selbst verfassten Texte bekannt? Eine Entscheidung dieser Frage ist angesichts der schlechten Überlieferungssituation kaum zu erwarten. Deutlich erkennbar ist dagegen, wie Ulrich sich selbst im unmittelbaren Zusammenhang der oben zitierten Quellenstelle eine spezifische Rolle zuschreibt, die durchaus jener des ersten Rektors der Augustiner in Marienkamp ähnelt: Darup […] bin Ick Ulrich van Dornum in jegenwerdicheit over allen irschenen in biwesent des kercheren unde notarii unde gudemenen buren unde borgeren hebben on caucionen gedaen voer alle overlasth unde ze gebeden, wes vorbracht weer, dat ze dat wedder tor stede brachten.

Die entsprechende Forderung schloss für Ulrich erneut die Restitution des abgesetzten Priors ein, wofür die Konventualen dann auch vorgaben, bei ihren Ordensoberen zu intervenieren. Umso größer zeichnet Ulrich seine Enttäuschung, als sich dies als bloße Hinhaltetaktik entpuppt: Anders seden ze, anderst menden ze. Voert alz ic den rugge wende, alzo vorsteelden in harden snoden minschen snoder alzo heiden unde turcken unde jenich apenbaer zunder tor welt, de zich zulcher undaet unsueth, unde men plecht zulche oveldeders to raden unde to verdelen.58

Wie die Kette der Anschuldigungen ihren Höhepunkt mit der Beraubung des Marienheiligtums erreicht, kulminiert das Negativbild der Marienkamper Chorherren in der Analogie zu den zeitgenössischen Feinden der Christenheit, die subtile Drohung von Körperstrafen schwingt an dieser Stelle mit. Insgesamt liegt damit eine charakteristische Mischung von Vorwürfen vor, welche zum Teil einer allgemeinen, zeitgenössischen Klosterkritik nahestehen, zum Teil aber auch genuin das Reformanliegen der Windesheimer Chorherren berühren. So spielt im Visitationsbericht der Äbte von Thabor und Anjum aus dem April 1503 die Frage der klösterlichen Laien in Marienkamp offenbar eine wichtige Rolle. Nicht nur sollen sie in ihrer Bewegung durch das Land eingeschränkt, sondern auch in ihre Zahl nach Möglichkeit reduziert werden. Als Vor­ aussetzung hierfür tragen die Visitatoren auf, den klösterlichen Grundbesitz zu 58 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 89.

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Renten zu verpachten, anstatt ihn – wie in Ostfriesland auch zu dieser Zeit offenbar noch nicht unüblich – in Eigenregie zu bewirtschaften. Im selben Atemzug werden auch die eigentlichen Kanoniker gemaßregelt: Der Aufenthalt außerhalb des Klosters wird ihnen unter schweren Auflagen und Strafen verboten, vielmehr erlegt man ihnen dezidiert regelkonforme Aktivitäten auf: Ze schollen na gotlicher loeftlicher wize leven unde zyck in allen schiclichen hebben sunder vargeren unde bisteren durch de lande, steede, in eren Cloester bliven unde gade […] deenen.59 Deutlich zeigt der Visitationsbericht hier und ebenso in seinen weiteren Passagen, dass Ulrich in seinen Anschuldigungen zwar ohne Zweifel parteiisch agierte, selbige jedoch offenbar nicht oder zumindest nicht vollständig aus der Luft gegriffen waren. Wie einen Katalog arbeiten die Visitatoren die erhobenen Vorwürfe ab und beschließen jeweils konkrete Maßnahmen zur Behebung der festgestellten Missstände.

Zusammenfassung und Ausblick In einem Beitrag zur Verbreitung und Relevanz der Friesischen Freiheit in Kirchspiel und Kloster aus dem Jahr 2003 präsentiert Johannes A. Mol einige gleichermaßen für die hier angestellten Beobachtungen überaus interessante Befunde: Seit dem 14. Jahrhundert habe sich demnach das Verhältnis der einheimischen ostfriesischen Bevölkerung zu den Klöstern in der Region auf charakteristische Weise verändert. Hatten während der Periode der Klostergründungen des 12. und 13.  Jahrhunderts lokale Eliten im Falle der meisten Stiftungen eine dominante Stellung eingenommen und diese angesichts eines fehlenden Landesherren auch längerfristig gewahrt, so war es gerade die Reformbewegung des 14. Jahrhunderts, welche diese Symbiose zwischen lokalem Adel und Konventen letztlich beendete. Aus den Gönnern, Unterstützern und Ausstattern der Klöster wurden mit Mol während des 15. Jahrhunderts zunehmend reine „Konsumenten des klösterlichen Heils“.60 Die für ostfriesische Verhältnisse vergleichsweise umfangreiche Überlieferung zu Marienkamp zeigt dagegen gerade jene Reibungen, welche diesen Prozess begleiteten – und dabei eine (ost-)friesische Elite, allen voran die capitanei oder Häuptlinge, welche entsprechende Veränderungen nicht oder zumindest nicht unmittelbar akzeptierten. Signifikant ist hier der Fall eines lokalen Häuptlings, der unmittelbar mit Eintreffen der Augustiner in den 1420er-Jahren einen Teil seiner Osterlämmer in der klösterlichen Herde untergebracht hatte. Bezeich59 StaA Aurich, Rep. 4, B 13 c, Nr. 4 (1503.04.30). 60 Mol, Friesische Freiheit in Kirchspiel und Kloster (wie Anm. 1), S. 242.

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nenderweise hat gerade dieses Beispiel  – das explizit dem Vorgänger Arnolds, dem Rektor Arnold Hüls zugeordnet wird – unter der Überschrift Qualiter se habuit ad seculares in dessen Lebensbeschreibung Eingang gefunden. Als der neue Rektor von den fremden Lämmern erfährt, trifft er diesbezüglich eine über den konkreten Fall hinausgehende Entscheidung: Et quia prudens pater de facto decernebat, quod si primo talibus obediret, eciam postea in pluribus negare at contraire non posset sicque demum libertas monasterii infringi, impsumque per eos nimium gravari contingeret.61

Arnold schickte daher in der Folge einen der klösterlichen Laien zu jenem Häuptling – Brenneysen, einer der ersten Bearbeiter der Handschrift, vermutet hinter diesem gerade den, Initiator der Reform, Wibet von Stedesdorf – um ihn darüber zu informieren, dass er seine Lämmer zurückholen solle. Selbiger zeigt sich jedoch wenig erbaut und kündigt dem klösterlichen Emissär stattdessen an, dass auch die neuen Mönche von Marienkamp seine opera ruralia erbringen würden, ganz nach dem Vorbild der alten Benediktiner: Per antiquos vero monachos designavit conversos ordinis sancti Benedicti, qui ad eius et aliorum capitaneorum jussionem eadem opera sua facere consueverunt.62

Der Rektor, so die Lebensbeschreibung, habe sich hiervon nicht beirren lassen und an seiner Entscheidung festgehalten. Ungeachtet des aktuellen Konflikts hätten er und seine Nachfolger auf längere Sicht auch die Zuneigung des Häuptlings zurückgewonnen. Ähnlich wie jener Häuptling der 1420er-Jahre agiert, wie oben gezeigt, Ende des 15. Jahrhunderts auch Ulrich von Dornum bzw. Hero Omken, der bezeichnenderweise gerade in dieser Zeit in Abgrenzung von Edzard I. eine eigene Landesherrschaft zu etablieren bemüht war. Die Argumentations- und Handlungsmuster sind in vielerlei Hinsicht jene, welche man auch von hochmittelalterlichen Häuptlingen erwarten könnte. Umgekehrt macht Ulrich in seiner Klageschrift eine Beobachtung, die ähnlich bereits in den klösterlichen Quellen nachgewiesen werden konnte: Die zunehmend nicht mehr mit einheimischen Konventualen besetzten Klöster entwickelten sich – wohl auch, da sie eben nicht mehr den hergebrachten Aufgaben ihrer älteren Vorgänger nachkamen  – zu Fremdkörpern. Mit Mol: „Es gab keine friesischen Klöster mehr, sondern Klöster in Friesland.“63 Umso mehr sehen sich die Attena-Brüder in den Auseinander-

61 Vita Arnolds, fol. 2r f. [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 57. 62 Vita Arnolds, fol. 2v [Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 57. 63 Mol, Friesische Freiheit in Kirchspiel und Kloster (wie Anm. 1), S. 242 f.

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setzungen mit dem Grafen von Ostfriesland in der eigenen Stellung und auch im eigenen (Erb-)Besitz gefährdet: Demeer men mach irmarcken unse grote unschult unde dat ze al der schande sinnen geweert, so hebben dusse leyken mitten deel presteren darna gestaen, dat ze muchten uns van lande und lude gebrocht hebben unde leten mit allen nicht na mit schriven, mit vorbadeschuppen, dan dat lanth vorrederen tobehoert, dat deden se vullencomeliken.64

Die Sorge um die Qualität klösterlicher Ordnung und Lebensführung – auch das wäre von einem hochmittelalterlichen Klostergründer zu erwarten gewesen – gehen einher mit politischen Überlegungen: Ulrich von Dornum und Hero Omken streben einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die inneren Geschicke Marienkamps an, der ihnen durch die ansässigen Chorherren zunächst verweigert und auch durch die Visitation des Jahres 1503 nicht im eigentlich angestrebten Maße eingeräumt wird. Zumindest durften die im Falle eines Krieges für potentielle Belagerer von Esens wichtigen klösterlichen Vorräte lediglich zu einem gewissen Umfang im Kloster selbst, der Rest aber nur unter der Kontrolle des Häuptlings in den Befestigungen der nahegelegenen Stadt gelagert werden. Im Konfliktfall bedeutete dies wohl ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel. Umgekehrt zeigt das Beispiel Marienkamps, dass auch und gerade bei den Augustiner Chorherren der Windesheimer Kongregation am Ende des 15. bzw. in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts eine große Zahl an Laienbrüdern durchaus weiterhin vorkommen konnte – angesichts der im Orden verbreiteten Position wundert das klare Einschreiten der Visitatoren in dieser Hinsicht nicht. Ulrich von Dornum blieb als Akteur in kirchenpolitischen Streitfragen nicht allein auf den Fall der Augustiner-Chorherren von Marienkamp beschränkt. Gut ein Vierteljahrhundert später stand er fest auf Seiten der neuen, evangelischen Lehre und führte in Oldersum eine Disputation mit dem altgläubigen Dominikaner Laurens Laurensen. Auch in seiner dortigen Argumentation spielten die Klöster gleich mehrfach eine wichtige Rolle: Eyn Kloster is schedeliker den landen/alse veer roff husere/de rouers holden yo vp/vnde men hefft ein vpseent vp de suluige/De Monicke ouerst wilen nummermeer/vnde halent vnde dregent sunder vnderlaet in/also de/s/unnen doen vnde weren den mensschen mit nyer glisserie/ vnde dregerye alstedest vorrokamen vnde touangen.65 64 Sauer, Das Leben des Arnold Creveld (wie Anm. 18), S. 86. 65 Ulrich van Dornum: Disputation to Oldersum […]. Photomechanische Reproduktion

der Ausgabe Wittenberg 1526, fol.  31r, zitiert nach: Martin Tielke (Hrsg.), Die Oldersumer Disputation von 1526. Zweisprachige Edition der Darstellungen Ulrichs von Dornum [Übersetzung Gerhard Ohling] und Laurens Laurensens [Übersetzung Enno Schmidt], (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands, 18), Aurich 2009, S. 141–267, hier S. 262.

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Denkt die Forschung hier traditionell – auch eingedenk der Herkunft seines Gegenüber – an die Mendikantenorden, so gerät man mit Martin Tielke in Erklärungsnot: Die Bettelmönche bewirtschafteten eben gerade nicht das Land.66 Angesichts der Klageschrift scheint daher die Frage berechtigt, ob es nicht vielmehr die Erfahrungen mit diesem Konvent sind, welche Ulrich von Dornum in seiner Argumentation beeinflussten. De Moniche synt den Christum dusenfolt meer schedlicher alse Turcken vnd Saracenen mogen wesen/De Turck nimpt man vnse leuent/vnde tytlick guedt/De Monicke berouen vns dat tytlicke vnde ock dat ewige guedt/vnde werpen vns mit oer valssche lere/mit lyff vnde sele yn dat afffgrundt der hellen.67

Auch das Beispiel der Türken und Sarazenen findet hier wie dort Eingang in die Argumentation, dasselbe gilt für das Moment von Maskerade und Verkleidung: De Moniche synnen trwloes/vnde synnen Christo mit oeren vngelouen affgeuallen/vnde lopen auer tho synen vyanden vnd vorhueden sick in winckelen vnde hutten/vnde vormummen sick mit kappen scheren vnde sineren/dat men se nouwe kennen kann/hadde Adam de kunsth geweten/vnser God hedden vellichte nicht gekant/edder haddet syner narheit thoguede gescholden.68

So sehr also – um hier die eingangs referierten Forschungspositionen aufzugreifen  – die Reformation in Ostfriesland durch die Devotio moderna geprägt ist, umso deutlicher kann sich Ulrich von Dornum möglicherweise den Windesheimer Chorherren als ihrer institutionalisierten Form bedienen, um gegen die katholische Kirche zu argumentieren. Dieses Paradoxon lässt sich nur dann auflösen, wenn man in der zukünftigen Devotio-Forschung für Ostfriesland stärker zwischen Wirksamkeit und Institutionen unterscheidet – ein Vorhaben, dass jedoch einer umfangreicheren Arbeit vorbehalten wäre.

66 Martin Tielke, Die Oldersumer Disputation zwischen Theologie, Politik und Mythos, in:

Ders. (Hrsg.), Die Oldersumer Disputation (wie Anm. 65), S. 15–139, hier S. 28.

67 Ulrich van Dornum: Disputation to Oldersum, fol. 31r–31v, Tielke, Die Oldersumer Dispu-

tation (wie Anm. 65), S. 263 ff.

68 Ulrich van Dornum: Disputation to Oldersum, fol. 31v, Tielke, Die Oldersumer Disputa-

tion (wie Anm. 65), S. 265.

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Johannes a Lasco und die Devotio moderna um 1540: Kontinuität oder Bruch?1 Cornel Zwierlein

Das Verhältnis von Johannes a Lasco, dem Reformator Ostfrieslands, Polens und der prägenden Gestalt der frühen proto-puritanischen Exulantengemeinde in London,2 zur Devotio moderna ist kein enges, ja es lassen sich eigentlich nur Spurenelemente finden. Dennoch soll hier, dem Ansinnen der Tagung 2010 entsprechend, im 450. Todesjahr Lascos, die Frage nach diesem Nicht-Verhältnis heuristisch produktiv gemacht werden, um die Eigenart der religiösen Umbruchsituation in dieser norddeutsch-niederländischen Grenzregion zu spezifizieren. Ich werde daher zunächst die Berührungspunkte mit der Devotio moderna in Lascos Biographie zusammentragen (1), dann aber die deutlichen Differenzen im theologischen Denken aufzeigen (2) und dabei auch allgemeiner auf das Verhältnis der spezifisch lascianischen und später calvinistisch-orthodoxen Reformation in Ostfriesland zur vorhergehenden religiösen Pluralität eingehen (3).

1

2

Folgende Abkürzungen werden benutzt: K I und K II für die Bände A. Kuyper (ed.), Joannis a Lasco. Opera tam edita quam inedita. 2 Vol. S’Gravenhage/Amsterdam 1866; D. Lasc. = H. Dalton, Lasciana. Nebst den ältesten evangelischen Synodalprotokollen Polens 1555–1561, (Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Rußland, III), Berlin 1898 [repr. Nieuwkoop 1973]; D. Misc. = H. Dalton, Miscellaneen zur Geschichte der evangelischen Kirche in Rußland nebst Lasciana neue Folge, (Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Rußland, IV), Berlin 1905; Z. = Cornel Zwierlein, Ein verschollen geglaubter Abendmahlstraktat Johannes à Lascos von 1548, in: Archiv für Reformationsgeschichte 92 (2001), S. 43–86. Zu Recht hat McCulloch Lasco als den ersten Puritaner bezeichnet, der viele Gedanken und Entwicklungen, die auf der Insel in Richtung auf rigider Zuspitzung des Calvinismus gegangen wurden, vorwegnahm in seiner Londoner Zeit, vgl. Diarmaid MacCulloch, The importance of Jan Laski in the English Reformation, in: Christoph Strohm (Hrsg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000, S. 315–345, hier S. 345: „Perhaps, therefore, we might see Laski as the first English Puritan“.

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1. Lascos Berührungspunkte mit der Devotio moderna Johannes a Lasco, eine faszinierende Gestalt, war der europäischste der Reformatoren, wie Thomas Kaufmann zu Recht schrieb.3 Ein polnischer Adliger mit irokesenartiger Frisur unter der Kopfbedeckung, wie es beim polnischen Hochadel üblich war, der von Italien (Bologna) über Ungarn während des ungarischen Thronfolgestreits, in die Schweiz nach Basel, nach Löwen in die Niederlande, nach Mainz und Frankfurt, ins kleine Ostfriesland, nach London, Dänemark, wieder nach Frankfurt, dann wieder zurück nach Polen umhergereist war, wo er vor 450 Jahren starb: einen solchen Lebensweg hatte niemand der ersten Reformatoren, auch wenn mancher Täufer immer wieder vertrieben und weitergeschickt wurde; Luther blieb sein Leben lang in Sachsen. Von den Reformierten gab es späterhin noch etliche, die weite Wege reisten, aber zu Lasco ist unter der ersten Generation der Reformatoren bis in die Jahrhundertmitte keine einzige Parallele zu finden. Lasco ist trotzdem heute ein Reformator der zweiten oder dritten Reihe, ist nur wenigen reformierten Gläubigen als Bildungsgegenstand und dann einer kleinen Schar spezialisierter Kirchenhistoriker bekannt: dies ist einfach zu erklären: zunächst ist Lasco ein Spätberufener. Von seinen 60 Lebensjahren war er nur die letzten 17½ Jahre Reformator, was manchmal in den Darstellungen allzu sehr in den Hintergrund tritt. 15 Jahre jünger als Luther und also hineingeboren in die schon wachsende Reformation, hätte er schon früh, spätestens aber in Basel seine Berufung spüren können. Aber bekannt ist, dass er nach der Rückkehr aus Basel nach Polen noch 1527 zumindest seinem Oheim gegenüber vom Luthertum als Seuche (‚contagio‘) schreibt und Gott bittet, Polen vor dieser zu bewahren.4 Es mag zwar sein, dass diese Aussagen gegenüber dem Primas als de facto-Familienoberhaupt und Garant von Lascos Kirchenkarriere nicht wirklich Aufschluss über seine innere Einstellung geben, wofür auch spricht, dass er – kaum ist der Primas

3 Thomas Kaufmann, Łaski, Jan (Johannes à Lasco; 1499–1560), in: ders., Reformatoren,

4

Göttingen 1998, S. 88 f., hier S. 88. Ebenso nun Janusz Mallek, Jan Laski/Johannes a Lasco – religiöser Reformator, Pole, Europäer sowie Stefan Kiedron, Bildungseliten zwischen Schlesien und den Niederlanden in der frühen Neuzeit und ihre Biographien. Ein Einzelfall – Johannes a Lasco, in: Tobias Weger (Hrsg.), Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa. Wirkung – Interaktion – Rezeption, Frankfurt/M. 2009, S. 209–222 und 223–232. Lasco an Jo. Lasco (Erzbf. v. Gnieszno), Lowitsch 13.VI.1527 (D. Lasc., 107). Ähnlich noch an Erasmus, Petrikau 20.2.1528 (ibid., 112) und Krakau Mai 1533: Nos hic ab Evangelicis istis nunc quidem nihil timemus, sed suboriri jam etiam videntur apud nos veluti seminaria quaedam seditionum intestinarum, quae si longius se proferant periculum est, ne nobis pariat tumultus evangelicos atrociores, a quibus non video quid aliud remoretur quosdam quam principis senis autoritas, qui non tam regis quam patriarchae loco ab omnibus habetur. (D. Lasc., 153; vgl. a. Bartel, Jan Łaski, S. 61–63).

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gestorben (1531) – etwa den Kontakt mit einem Melanchthon nicht scheut.5 Jedenfalls kann man ihn in dieser Zeit nicht als offen bekennenden Protestanten vereinnahmen, geschweige denn als Reformator und dies gilt im Grunde bis zum Zeitpunkt seines ‚Dienstantritts‘ in Ostfriesland 1544. Weiter lässt sich seine relativ geringe Prominenz in der Reformationsforschung auch damit erklären, dass er, so oft wie er seinen Lebensmittelpunkt wechselte, so wenig auch Zeit hatte, eine größere Gemeinde um sich zu scharen, vor allem wirkte er nie an einem Universitätsort, an dem er eine gebildete Schülerschaft hätte heranziehen können, die sich auf ihn berufen hätten. Auch blieb deshalb sein veröffentlichtes und wohl auch überhaupt sein geschriebenes Werk sehr schmal, er hatte nur in Zusammenhängen der Gemeinde- und Kirchenorganisation sowie bei Streitschrift-Disputen in der Drucköffentlichkeit Anlässe, dogmatisch tätig zu werden. Weiter haben wir von Lasco keine einzige von ihm geschriebene Zeile in einer anderen Sprache als Latein – nichts auf Polnisch, Deutsch, Friesisch-Platt, Niederländisch, Englisch, sieht man von den wenigen volkssprachigen Übersetzungen der katechetischen Werke ab (etwa durch Utenhove). Dies ist der Grund, warum insgesamt über Lascos Leben und Denken doch erheblich weniger Quellenmaterial existiert als zu anderen Reformatoren seiner Bedeutung  – denn dass Lasco sehr wohl große organisatorische, kirchenbegründende und ‑stabilisierende Bedeutung hatte, zeigt sich im Nachgang in jeder Gemeinde, die er prägte. Kommen wir zur ersten Frage, dem Verhältnis von Johannes a Lasco persönlich und biographisch zur Devotio moderna: Lange gehörte diese Frage nicht zum typischen Fragenkatalog, mit dem man Lascos Biographie erforschte. Das hat damit zu tun, dass die reformierte/calvinistische Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jhs. lange um ‚protestantische, neuzeitliche Reinheit‘ ihrer Helden bemüht war. Petrus Bartels setzte 1860 mit Lascos Erasmus-Beziehung ein, erwähnte Löwen aber nur als Ort, an dem Lasco die greulichste Gegenreformation schon früh (angeblich schon 1524) zum Zeitpunkt der ersten protestantischen Märtyrerverfolgung allda erlebt habe.6 Kuypers Disquisitio von 1862 befragte Lasco nur systematisch-theologisch auf den Vergleich

5

Bei ihm kommt sein Zögling Anianus sowie der der Familie verbundene Modrzewski unter, vgl. D. Lasc., S. 178 ff. (Lasco an Melanchthon, Kesmark VI.1534); D. Misc., 295 (Lasco an Melanchthon, s. l. 31.7.1535); D. Lasc., S. 256 f. (Lasco an Modrzewski, Rytwian, Herbst 1535): Nihil mihi gratius facere potuisti quam quod mihi Philippum ita conjunxisti ut scribis. Der Kontakt mit Melanchthon ist insoweit bemerkenswert, als Erasmus zwar schätzt, dass er minus violenter schreibt als Luther, allerdings weiche er keinen Halm breit (nusquam culmum latum) von dessen Lehre ab, und sei doch insofern ipso Luthero lutheranior (an Lasco, Freiburg 5.III.1534, Allen, Opus epistolarum X, Nr. 2911 (S. 363)). 6 P. Bartels, Johannes a Lasco, Elberfeld 1860, S. 3–5.

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mit Calvin hin,7 in der ein wenig erhitzten Diskussion um 1900 über Lascos vermeintlichen Abfall vom Protestantismus (‚Reinigungseid‘) 1526 oder 1542 werden Berührungen mit nicht rein-calvinistischem Denken nicht diskutiert, obgleich hier zeitlich die Erfahrung mit der Devotio moderna in Löwen gegebenenfalls noch einschlägig gewesen wäre.8 Karl Hein machte aus Lasco  – jedenfalls dem frühen Lasco – einen reinen Zwinglianer,9 bei Kruske, Wotschke und vielen anderen, ist nicht recht etwas zur Berührung mit der Devotio moderna zu finden.10 Im Beitrag zu Lascos vermeintlichem „ökumenische[n] Grundzug“ Herwart Vorländers von 1969 wurde ebenfalls nur systematisch-theologisch argumentiert, es wurde nicht gefragt, ob ‚vorreformatorische‘ Konzilianz die Grundlage für die – meiner Ansicht nach im Übrigen nur sehr beschränkt gültige These vom ökumenischen Denken – war.11 Lediglich die biographischen Arbeiten zu Lasco heben den Löwener Aufenthalt entsprechend hervor: Hermann Dalton sehr blumig und immer ein wenig über das, was wirklich belegbar ist, hinausschießend, Basil Hall hob – in Relation zur Kürze seiner biographischen Skizze – als einer der ersten 1971 Lascos Beziehungen zu den Devotio-Zirkeln in Löwen im Kontext seiner Freundschaft zu Hardenberg hervor,12 Oskar Bartel erwähnte die Episode in seiner Biographie natürlich, hier wiederum fehlte aber jede vertieftere These zu einer irgendgearteten dogmenhistorischen Relevanz seiner Bekanntschaft mit den sog. „Brüdern und Schwestern vom gemeinsamen Leben“, noch beim sogenannten Reinigungsakt 1542 sei Lasco ein „Erasmianer, der […] den Einflüssen der ‚Brü7 A. Kuyper, Disquisitio Historico-Theologica exhibens Joannis Calvini et Joannis à Lasco

de ecclesia sententiarum inter se compositionem. S’Gravenhage/Amsterdam 1862.

8 G. Kawerau, Der „Reinigungseid“ des Johannes Laski. In: Neue Kirchliche Zeitschrift 10

(1899), S. 430–441; H. Dalton, Lasciana. Nebst den ältesten evangelischen Synodalprotokollen Polens 1555–1561, (Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Rußland III), Berlin 1898 [repr. Nieuwkoop 1973], S. 11 f.; Bartel, Jan Łaski, 1981, S. 89–96 9 Karl Hein, Die Sakramentslehre des Johannes à Lasco, Berlin 1904. 10 Kruske, Johannes a Lasco und der Sacramentsstreit. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformationszeit, Leipzig 1901.; T. Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen, 1911; G. H. Williams, Erasmianism in Poland: An Account and an Interpretation of a Major, Though ever Diminishing, Current in Sixteenth-Century Polish Humanism and Religion, 1518–1605, in: The Polish Review 22 (1977), S. 3–37; J. Weerda, Das ostfriesische Experiment. Zur Entstehung des Nebeneinander lutherischer und reformierter Gemeinden in der ostfriesischen Territorialkirche, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 5 (1956), S. 159–196 (auch in: Weerda, Nach Gottes Wort reformierte Kirche, 1964, S. 76–117); H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland – Eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540/42–1575). Ein Beitrag zu den Anfängen der reformierten Konfessionalisierung im Reich, Münster 1998. 11 H. Vorländer, Der ökumenische Grundzug im Denken und Wirken des Johannes a Lasco,. in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 80 (1969), S. 50–60. 12 H. Dalton, Johannes a Lasco, Gotha 1881; G. Pascal, Jean de Lasco, Paris 1894; B. Hall: John à Lasco 1499–1560. A Pole in Reformation England, London 1971, S. 1.

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der und Schwestern vom gemeinsamen Leben‘ erlegen war“.13 Bei Lascos Freund Hardenberg, mit dem er in Löwen war und der 1517 in die Schule der Brüder vom gemeinsamen Leben in Groningen unter Goswin van Halen eingetreten war und 1527/8 ins Kloster Aduard kam und nach Goswins Wünschen dort die halb humanistischen, halb Devotio-nahen Traditionen Rudolf Agricolas, Wessel Gansforts oder Alexander Hegius beleben sollte, und der immerhin noch ganz am Ende seines Lebens zum ersten Biographen Wessel Gansforts wurde, liegt die Devotiomoderna-Nähe zunächst auf der Hand. Hardenberg zitiert immerhin neben Melanchthon und Zwingli auch später noch hin und wieder Gansfort.14 Man könnte also vermuten, dass über Hardenberg hier Devotio-Einfluss auf Lasco bestand. Die auf Lascos Wirken in England oder Polen spezialisierten Historiker erwähnen allerdings Devotio-moderna-Bezüge ohnehin nicht. Je mehr der späte Lasco in den Blick genommen wird, um so eher wird nur nach seinem Verhältnis zu Calvin gefragt und die genealogische Linienführung hin zu Erasmus vorgenommen, die Devotio moderna und übrigens auch der vielleicht eigentlich für Lasco prägendste Theologe, der Basler Johannes Oekolampad, bleiben außen vor. Biographisch sind wie angedeutet ein paar Berührungspunkte gegeben, die schon Dalton herausgearbeitet hatte und die nun Henning Jürgens noch einmal genau beschrieben hat: Lasco gehörte während seiner Löwener Zeit 1539 wohl zu einem entsprechenden Kreis und wohnte dort bei jener Antonia van Rosmeer oder Roesmael, die 1543 58jährig angeklagt und hingerichtet wurde, weshalb wir aus den Prozessakten einige Informationen über sie und den Kreis besitzen. Roes­ mael lebte mit ihrer Tochter in der ‚Bolleborne‘ und später in der ‚Zwarte Lelie‘ in der Brusselse straat. Hardenberg predigte in Löwen in der St.  Michielskerk Vermutlich gehörte auch die dann von Lasco geehelichte Frau Barbara zu jenem Kreis, von dem wir insbesondere durch den Prozess von 1543 wissen: hier waren 40 Teilnehmer angeklagt, die Befragungsprotokolle wurden einst von Campan ediert und Van Uytven hat sie ausgewertet. Rosmeer war Tochter des Schöffen Jan van Rosmeer und aus ihrer verzweigten Familie wurden gleich acht weitere Mitglieder ebenfalls im Prozess von 1543 verklagt.15 Die Frage ist allerdings, ob es sich hier, 1539 als Lasco sich mit Hardenberg in Löwen aufhielt, um einen Kreis der Devotio moderna oder eben schon um einen frühprotestantischen Kreis han-

13 Bartel, Jan Łaski, 1981, S. 93. 14 Vgl. Th. Elsmann: Albert Rizäus Hardenberg und Johannes Molanus in Bremen: Zwei

Humanisten im Konfessionellen Zeitalter, in: Fokke Akkerman, Wessel Gansfort (1419– 1489) and Northern Humanism, Leiden 1993, S. 195–209, S. 198 f. 15 Raymond van Uytven, Bijdrage tot de sociale geschiedenis van de Protestanten te Leuven in de eerste helft der XVIe eeuw, in: Mededelingen van de Geschied- en Oudheidkundige Kring voor Leuven en Omgeving 3,1 (1963), S. 3–38, insbes. S. 29.

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delt.16 Hardenberg schrieb 1556 rückblickend an Medmann, er habe 1539 auf der Reise von Frankfurt/M. über Mainz nach Löwen und vor allem an letzterem Ort à Lasco „wenn nicht völlig, so doch zum Teil in Christo gezeugt“, was offenbar als Bekehrung Lascos zum Protestantismus zu verstehen ist.17 Dass er hier heiratete, bestätigt auch symbolisch diese Aussage, denn an sich wartete auf Lasco eine Kirchenkarriere in Polen. Diese Heirat wurde offenbar allgemein als hypogam empfunden, der Emder Bürgermeister Petrus Medmann notierte noch 1551 als biographische Randnotiz zu Lasco dort, wo er in den Opera Erasmi erwähnt wurde, dass er ihm 1543 in Bonn und Buschhofen sehr nahe gewesen sei,18 dass Lasco aber unter anderem vorgehalten wurde, in Löwen eine Frau plane plebeia[m] geheiratet zu haben.19 Der sogenannte Reinigungseid Lascos, der auf 1542 zu datieren ist, wäre dann auch die, nach Polen zwischenzeitlich zurückgekehrt, nötig gewordene Abschwörung von der in Löwen erfahrenen Prägung, auch wenn wir nicht wirklich genau inhaltlich bestimmen können, was das für eine heterodoxe Prägung gewesen sei.20 Wenn eine entsprechende Briefpassage Lascos an Hardenberg hierauf zu beziehen ist, wie üblicher Weise angenommen, dann hätte Lasco diese Abschwörung auch nur dissimulativ vorgenommen, Hardenberg solle hierüber lachen.21 Die Heirat mit der Frau Barbara in Löwen wäre aber eigentlich das einzige Indiz für ein egalisierendes Sich-Einleben in eine Devotio-moderna-ähnliche Gemeinschaftspraxis. Andere Hypothesen, warum Lasco sich überhaupt in Löwen aufhielt, erscheinen demgegenüber noch desillusionierender: gegebenenfalls 16 Vgl. Henning Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland. Der Werdegang eines europäi-

schen Reformators, Tübingen 2002, S. 137 Anm. 42.

17 Hardenberg an Medmann, 8.8.1556: Ego enim si non totum, ex parte tamen in Christo ­illum 18

19 20 21

genui (BSB München, clm 10351, [collectio Cameriana, vol.  1], fol.  147V, zit. bei Janse, ­Albert Hardenberg, 1994, S. 13 mit Fn 75). Die Bonner Episode Lascos gehört zum Versuch, das Erzbistum Köln der Reformation zuzuführen unter dem Erzbischof Hermann von Wied, bei der federführend Martin Bucer war: Martin Bucer, Deutsche Schriften, Bd. 11,3: Schriften zur Kölner Reformation (1545), bearb. Thomas Wilhelmi, Gütersloh 2006; Martin Bucer, Deutsche Schriften. Ergänzungsband: Johannes Gropper Christliche und catholische Gegenberichtung, Reprint des 1544 in Köln erschienenen Drucks, hrsg. Thomas Wilhelmi, Gütersloh 2006. JALB Emden Theol. 2° 240: Erasmus, Opera, Bd. III, Basel 1541: vgl. Henning Jürgens, Johannes a Lasco – Ein Leben in Büchern und Briefen (AK Emden 1999), Wuppertal 1999, S. 31. Ob die Heirat hier auch eine Rolle spielte und ob Lasco Barbara überhaupt mit nach Polen genommen hatte, bleibt unklar. Vgl. die Begeisterung mit der er Hardenberg von Melanchthons ›Die furnembste Unterschied zwischen reiner Christl. Lehre des Euangeliums und der Papistischen Lere‹ (Nürnberg 1539) 1540 schreibt (K I, 552 – wenn die frühe Datierung Kuypers stimmt, vgl. K I, 553 Fn 6). Er selbst scheint das Iuramentum nicht sehr ernst genommen zu haben, wenn sich (wie von den meisten angenommen) der Satz Ridebis si audias, quid cum Episcopis nostris in patria egerim: prodibunt tamen in lucem brevi omnia (à Lasco an Hardenberg, Emden 12.V.1542, K I, 556) auf seinen Schwur bezieht.

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wäre er dort nur gewesen, um dem Habsburger-Hof und seinem Bruder, der eine wichtige politisch-diplomatische Funktion in der Ungarn- und Polenpolitik der Habsburger einnahm, nahe zu sein.22 Sein übriger Habitus auch in seiner folgenden Religionspolitik und in der Art, wie er reformatorische Ämter übernahm, steht an sich in einem starken Gegensatz zum Habitus der Brüder des gemeinsamen Lebens: Er tritt sein Amt als Reformator in Emden als von der Gräfin Anna v. Ostfriesland eingesetzter „episkopos“ an,23 bezeichnet sich stets selbst so und versteht so das Amt des Superintendenten, wird auch von den anderen Würdenträgern wie etwa Medmann so bezeichnet.24 Wie schon seine adlige Stellung, so hebt ihn auch dieses Bischofsamt vom Rest der jeweiligen Gemeinde in seinen 17  Jahren Reformatorentätigkeit ab, es ist ein asymmetrisches, kein symmetrisches Verhältnis wie bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben. Wenn also gewisse Berührungspunkte über die Löwener Episode und über die Freundschaft zu Hardenberg mit der Devotio moderna bei Lasco zu bestehen scheinen, so muss doch genauer geklärt werden, ob es in seinem theologischen Denken Verbindungslinien gibt. Hier ist die Literatur meist nicht sehr hilfreich, da die sozial-, allgemeingeschichtliche oder biographische Literatur sich meist mit dem Verweis auf entsprechende Koinzidenzen, Aufenthaltsorte oder allgemeine Annahmen hinsichtlich des Verhältnisses Niederlande/Ostfriesland sowie mit generellen, vagen Bezeichnungen (‚wohl lutherische/zwinglische‘ Einflüsse in Löwen usw.) begnügt, ohne genaue Quellen, Konfessionen, theologische Aussagen zu benennen.

2. Lascos Theologie und die Devotio moderna Hier ist zunächst das Negativergebnis zu vermelden, dass in allen überlieferten Werken Lascos, also den von Kuyper, Dalton bis zuletzt dem von mir edierten Abendmahlstraktat aus dem Bremer Abendmahlsstreit 1548 keinerlei explizite Bezugnahme auf bekannte Protagonisten der Devotio moderna wie Wessel Gansfort oder Goswin zu finden sind. Dann ist weiter zu betonen, dass alle Quellenbelege darauf hinweisen, dass für Lascos theologisches Denken insbesondere die Zeit in Basel 1525, als er bei 22 So Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland, S. 140. 23 Vgl. die Nachweise bei Cornel Zwierlein, Der reformierte Erasmianer a Lasco und die

Herausbildung seiner Abendmahlslehre 1544–1552, in: Christoph Strohm (Hrsg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposion vom 14.–17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, (Spätmittelalter und Reformation, N. R. 14), Tübingen 2000, S. 35–99, S. 48. 24 Vgl. den Buch-Marginaleintrag zitiert oben Anm. 19.

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Erasmus in dessen Haus wohnte und sein ‚Lieblingsschüler‘ war, der dem Meister später auch dessen Bibliothek abkaufte, als er bei Konrad Pellikan Hebräisch lernte und mit Johannes Oekolampad in Kontakt stand, prägend wurde, als Lasco 1544 seine ersten Schritte als eigenständig schreibender und publizierender Theologe und reformierender ‚episkopos‘ in Ostfriesland tat. Ich habe dies andernorts genauer ausgeführt und anhand der Werke Lascos, seines Briefwechsels und auch des unbeachteten Ms. lat. 3396 der Bibliothèque nationale aus dem Besitz des Lasco-Adlaten Pierre Alexandre aus der Londoner Zeit Lascos während seines Amts als Vorstehers der dortigen Exulantengemeinde herausgearbeitet: Lasco greift 1544 ff., als er theologisch eigenständig hervortritt, ganz bewusst und explizit gerade auf Oekolampad und flankierend auf Zwingli als reformatorische Autoren zurück. Um welche Inhalte geht es hier? – Nun, der theologische Hauptgegenstand, über den sich Lasco vertieft geäußert hat in den Jahren seiner theologischen Schriftstellerei 1544–1560 war stets die Sakramenten- und speziell natürlich die Abendmahlslehre. Mit Menno Simons stritt er sich noch über Christologie, aber im Übrigen ging es gerade in Ostfriesland 1544–1548 nahezu ausschließlich um diese Abendmahlslehre. Bei derselben wiederum war für Lasco absolut zentral die in der Abendmahlslehre beinhaltete Aussage über die Teilhabe des Menschen an Christus, Christi Heilstat und an der hieraus folgenden Konzeption von Gemeinschaft und Gemeinde der Menschen miteinander: hier auf Erden bis hinüber in die jenseitige Gemeinschaft. Das Abendmahl beinhaltete so, wie natürlich in der christlichen Lehre an sich, den individuellen Gottesbezug und auch das zentrale formative Element für ‚Kirche‘ in all ihren Bedeutungen. Aus der communio-Lehre lassen sich dann die wichtigsten Institutionen-Konfigurationen, auch die Sündenzucht-Konzeption usw. ableiten, so dass die zunächst für manchen Sozialhistoriker abstrakt erscheinende theologische Diskussion über Feinheiten dieser Abendmahlslehre ihre ganz konkreten diesseitigen Bedeutungen für die ostfriesische Kirchenbildung und damit auch Gesellschaftsumstrukturierung in ihrer Formationsphase hat. Während nach dem Vorgang von Karl Hein, Pollet zuletzt ich in zwei Beiträgen die Zentralität der communio-Lehre für Lascos Denken gerade in der Frühphase und dann in der Londoner Brevis et dilucida de Sacramentis tractatio (1552) aufgezeigt haben, hat Judith Becker diesen Strang noch weiter in Lascos Spätwerk, der Forma ac ratio (1555) in ihrer Bedeutung für die Londoner und die Frankfurter Exulantengemeinde weiterverfolgt.25 Gerade in dieser für Lasco absolut zentralen Lehre von der communio, die insbesondere in der Auslegung der Einsetzungsworte (Hoc est corpus meum) und der diese weiter auslegenden Verse 1 Kor 10,16 besteht, ist er sogar ein ‚astreiner‘

25 Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenord-

nung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung, Leiden/Boston 2007.

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Oekolampadianer, was die Lasco-Forschung nicht erkannt hatte, weil es kaum genaue Oekolampad-Forschung gibt seit Staehelin. Lasco aber identifiziert z. B. den tropus in Hoc est corpus meum anders als Karlstadt nicht im hoc, und anders als Zwingli nicht im est, sondern mit Oekolampad im corpus. Das sind uns heute winzig erscheinende Nuancen innerhalb einer grob als ‚symbolisch‘ zu bezeichnenden Abendmahlslehre, die aber für die Theologen der Reformationsgeneration natürlich bedeutende Lagerzugehörigkeits-Markierungen waren. Nur dass es angesichts des frühen Todes Oekolampads eben kein rechtes Oekolampad-Lager gab, weil in Basel keine orthodoxisierende Lehre auf ihm fußend aufgebaut wurde, anders als in Zürich, wo Bullinger Zwinglis Erbe relativ getreu pflegte und harmonisch weiterentwickelte. Als Lasco seine eigenen ersten Schriften zur Abendmahlslehre bei der Auseinandersetzung mit den Gegnern in Ostfriesland verfasste, rückversicherte er sich sofort bei dem einzigen noch lebenden Basler Gefährten, Pellikan, während der ohnehin katholisch gebliebene Erasmus und Oekolampad schon verstorben waren.26 Wie sieht nun die communio-Lehre Lascos genauer aus?27 – Nun, hierfür ist zunächst die Vulgatafassung von 1 Kor 10,16 f. heranzuziehen: Hier taucht im griechischen Originaltext die κοινωνία auf. Paulus gibt dort selbst eine Interpretation des Abendmahlsgeschehens. In der Vulgata hieß die Stelle calicem benedictionis cui benedicimus nonne communicatio [= κοινωνία] sanguinis Christi est et panis quem frangimus nonne participatio [= κοινωνία] corporis Domini est quoniam unus panis unum corpus multi sumus omnes quidem de uno pane participamur?

Bei allen Abendmahlsstreiten war 1 Kor 10,16 f. neben Joh 6,53 für alle Theologen eine Stelle, mit der man sich unvermeidlich auseinandersetzen musste. Entscheidend ist für unseren Zusammenhang, dass der Koinonia-Begriff in der reformierten Theologie bald eine Sonderstellung erhielt und zunehmend losgelöst von der philologischen Exegesearbeit eine Art Eigenleben als Bezeichnung für die genuin zwinglische, evtl. auch calvinistische Vergesellschaftungstheorie führte. Dabei begann das Fragen nach dem Sinn mit der Frage nach der richtigen Übersetzung. Die erste Vulgata-Übersetzung communicatio wurde von den Reformierten zunehmend abgelehnt, weil sie stärker als communio ein Aktionselement beinhal26 Vgl. hierzu die Nachweise im Detail bei Zwierlein, Der reformierte Erasmianer, S. 57–

64, S. 69 f.

27 Die folgende geraffte Zusammenfassung nach Zwierlein, Der reformierte Erasmianer,

S. 65–87 und Cornel Zwierlein, Reformierte Theorien der Vergesellschaftung: römisches Recht, föderaltheologische κοινωνία und die consociatio des Althusius, in: Frederick S. Carney/Heinz Schilling/Dieter Wyduckel (Hrsgg.): Jurisprudenz, politische Theorie und politische Theologie. Internationales Symposion anlässlich des 400. Jahrestages der Erstausgabe der Politica des Althusius in Herborn, Berlin 2004, S. 191–223.

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te: Das würde bedeuten, dass der Priester, der Brot und Wein austeilt, den Leib Christi den Gläubigen mitteilt. Kraft seines Amts und seiner Worte würde das Sakramentsheil den Gläubigen zuteil. Das durfte schon aufgrund allgemein protestantischer Ablehnung des katholischen Amts- und Sakramentsverständnisses nicht sein. Erasmus hat in seiner Paraphrase zu diesem Text wohl zum ersten Mal dezidiert juristische Begriffe benutzt, allerdings ohne nähere Erläuterung. In der Sakramentsweihe würde als Effekt ein consortium und foedus und eine societas zwischen den Gläubigen offenbart, die alle gleichen Anteil an Christi Heilstat hätten.28 Diese Wirkung des Abendmahls als Gedächtnismahl, in dem gerade die Zusammengehörigkeit der Gemeinde in Christus bekräftigt wird, stand auch bei Zwingli im Vordergrund. Zuweilen benutzte er den etymologischen Hinweis darauf, dass sacramentum bei den Römern auch der Soldateneid gewesen sei. Zwingli trennte aber nicht systematisch-deutlich zwischen einer horizontalen Ebene der Gemeinde-Vereinigung und einer vertikalen Ebene, die die Christus-MenschBeziehung erfasst. Bei ihm erscheinen beide Aspekte in eins zusammengefasst.29 Das stete Disputieren, Feilen und Auslegen an den Einsetzungsworten des Hoc est corpus meum und der ›κοινωνία‹ führte nun 1530 dazu, dass Bucer als erster das römische Recht zur Ausdeutung heranzog: In der von ihm benutzten Ausgabe der Institutionen Justinians des Nürnberger Humanistenjuristen Gregor Haloander hatte er das Wort ›κοινωνία‹ in Inst 3, 25 pr. wiedergefunden – vor der Edition der oben erwähnten Theophilos-Paraphrase war das die intelligenteste Konjektur zur Wiederherstellung des fehlenden Graecums, die Haloander aufgrund von Demosthenes-Lektüre vorgenommen hatte.30 Damit kam das römisch-byzantinische Gesellschaftsrecht, dessen Präsenzzunahme im Verlauf des 16. Jahrhunderts wir schon eben betrachtet hatten, als Interpretament des Abendmahlsgeschehens ins Spiel. Lasco nun wurde hiervon schon 1544 angeregt und führte die Deutung nach diesem Rechtsmuster bis 1552 sehr weit: In einem der bis dahin systematischsten, separaten Sakramentstraktate der reformierten Konfession, der Brevis et dilucida tractatio, ist die römisch-rechtliche ›κοινωνία‹-Auslegung perfektioniert. Die communio nostra cum Christo Domino wird dabei aber als ganz allgemeines 28 Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia, 10 Bde. [ED 1705], Hildesheim 1962, VII, col.

893 A.

29 Vgl. insbes. CR 90, 349. 91, 568 f. 92, 644 f. 30 In Institutionibus iuris civilis, ‹tit.› de societate, sic initio tituli scribitur: ›societatem coire

solemus, aut totorum bonorum quam Graeci specialiter ‚κοινωνίαν‘ appellent. Talem ergo ›κοινωνίαν‹ cum Christiani inter se habeant et eam inde quod corpore et sanguine Domini communicant  – id quod testantur communicatione mensae Domini  – quis dubitet et hoc Pauli loco κοινωνίαν pro: societate accipiendam? (Martin Bucer: Enarratio in evangelion Iohannis (1528, 1530, 1536), ed. Irena Backus, [Martini Buceri Opera Latina, 2], Gütersloh 1988, S. 271).

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mysterium Sacramentorum – also der alttestamentlichen Beschneidung wie der neutestamentlichen Taufe und des Abendmahls gleichermaßen – gleichsam vor die Klammer gezogen, obwohl der Wortkörper der ›κοινωνία‹ nur in der PaulusInterpretation zum Abendmahl vorkommt.31 Die communio oder ›κοινωνία‹ wird so zum Zentralbegriff der Sakramentslehre und überhaupt zum Zentralbegriff des Mensch-Christus-Verhältnisses. Lascos Sakramentstraktat wird zum communio-Traktat. Er zieht nicht mehr nur die Institutionen, sondern auch die ›Hexabiblos‹ des Harmenopoulos heran, um die gesellschaftsrechtliche Folie für die communio mit Christus zu systematisieren. Nach römischem Recht gelte, dass bei einer Bruchteilsgemeinschaft jedes Gesellschaftsmitglied Anrecht auf Verfügung über das Gesamtgut habe – aber nur in Zusammenwirkung beider Mitglieder –, andererseits von jedem ein Bruchteil als Einlage einzubringen ist.32 Die ›Einlage‹ Christi sei seine Heilstat, an der so die Menschen teilhaftig gemacht werden. Die ›Einlage‹ der Menschen in die communio mit Christus sei die Substanz ihres fleischlichen Körpers. Lasco präzisiert dabei gängig, dass es die Substanz des prälapsarischen Körpers des Menschen, nicht etwa der mit den Qualitäten der Erbsünde nach dem Sündenfall Adams und Evas befallene Körper ist.33 An diesem Punkt verweist die communio-Auslegung von Lasco nun auf die Kosmologie der Föderaltheologie, auch wenn nicht das foedus, sondern die communio der Zentralgedanke ist, auf den hin die Systematik entwickelt wird. Lasco zeigt sich hier als Systematiker der Sakramentslehre im Rahmen der von Bullinger übernommenen bundestheologischen Kosmologie.34 Gott hat den Menschen ein Versprechen (promissio) gegeben bzw. mit ihnen einen Vertrag (foedus) geschlossen, und zwar schon mit Adam. Aus seiner Gnade heraus hat Gott in diesem Vertrag den hierzu erwählten Menschen das Ewige Leben vorausbestimmt. Da außer Christus niemand in den Himmel aufsteigen könne, können die Menschen es nur „in Christus“. Also ist diese communio mit Christus von Anbeginn der Welt als Gottes einseitiges Gnadenversprechen unverrückbar festgesetzt. Es ist daher 31 K I, 141. 32 Vgl. im Detail Zwierlein, Der reformierte Erasmianer a Lasco, S. 71–87. 33 […] ut [sc. Paulus] ostendat, substantiam quidem ipsam carnis nostrae naturalis, qualis vi-

delicet in Adame ante peccatum fuerat, Christum Dominum in se assumpsisse; caeterum contractam illam post peccatum qualitatem ipsius non item, nempe peccati, ut dictum est, servitutem. (K I, 159). 34 Als Anregung kommt daher vor allem Bullinger in Frage, vgl. J. Wayne Baker, Covenant and Community in the Thought of Heinrich Bullinger, in: Daniel J. Elazar/John Kincaid (Hrsg.), The Covenant Connection. From Federal Theology to Modern Federalism, Lanham u. a. 2000, S. 15–29. Lasco erwähnt Bullinger explizit in K I, 133, aber nur für den Begriff der sakramentalischen signa. Lascos Dogmatik entspricht allerdings ganz Bullingers Lehre, nur ist die communio-foedus-Beziehung systematischer ausgearbeitet.

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gleich, ob wir der Kirche des alten oder des neuen Testaments angehören. Die communio mit Christus ist eine ewige.35 Lascos Konstruktion und seine Wahl der communio-Begrifflichkeit (nicht etwa der der societas) ist insoweit juristisch durchdacht, weil mit communio im römischen Recht, wie oben angedeutet, die typischerweise von den Beteiligten nicht willentlich eingegangene communio pro indiviso (etwa als communio incidens) im Sinne einer Bruchteilsgemeinschaft bezeichnet wird, nicht die konsensualvertragliche societas (welche freilich eine communio beinhalten kann). Klassischer Fall ist die Erbengemeinschaft, die, ohne dass die Beteiligten es wollen, mit Tod des Erblassers und bei fehlendem Testament ipso iure oder bei Testament mit Vermachung einer Sache an mehrere eintritt, allein weil die Erben in einem bestimmten verwandtschaftlichen Verhältnis zu diesem stehen. So ist hier die communio mit Christus mit den gegenseitigen Einlagen des prälapsarischen Menschenkörpers und der Heilstat Christi andererseits Folge der freiwilligen Selbstbindung Gottes im Urvertrag mit dem Menschen. Dieser Urvertrag, das foedus/berith/testamentum, das der Föderaltheologie den Namen gibt, ist allerdings für die koinonia/communio-Systematik selbst gar nicht so wichtig; es ist nur der Entstehungsgrund, so wie das Erblasser-Testament Entstehungsgrund für die communio incidens (ggf. des Spezialfalls des ercto non cito) ist. Die Bestimmung der Erwählten zum Heil im Providenz-Dekret Gottes und Christi Annahme des prälapsarischen Menschenkörpers in der communio blieben auch nach dem Sündenfall bestehen.36 Daraus folgt für Lasco, dass den Trost (consolatio), den wir als Mitglieder der Anteilsgemeinschaft aus der communio mit Christus aufgrund des hierin begründeten Anrechts auf das Ewige Leben be-

35 Octauo docetur in hac definitione [sc. coenae dominicae] eam ipsam corporis Christi et san-

guinis communionem delatam esse a mundi inicio toti ecclesiae in uerbi diuini promissionibus, ut intelligemus iam dudum nos habere corporis et sanguinis Christi communionem fide, sed eam in animis nostris usu sacramentorum obsignari, ut, quod fide iam dudum appraehendimus, id magis ac magis in dies animis nostris impressum habeamus. Id uero nos docet Christus ipse, dum extra se neminem ad caelum ascendere posse testatur. includi nos nimirum omnes oportet, ut in illo ascendamus, siue e uetere siue e noua sumus ecclesia, siquidem ascendere uolumus. Id porro fieri non potest, nisi nobis corporis et sanguinis Christi communio deferatur. Delatam igitur esse oportuit ab ipso usque mundi inicio corporis et sanguinis Christi communionem, posteaquam de Adae, primi parentis nostri, aliorumque patriarcharum salute non dubitamus. Idem et alibi eciam docet Paulus, qui de pontificatu doctrinaque Christi scribens ait ›Iesum Christum esse heri, hodie et in secula‹ [Hebr 13, 8], et Ioannes ›agnum hunc a mundi origine occisum‹ esse ait [Apk 13, 8], nimirum iuxta prouidentiam dei patris, iuxta quam uetus quoque ecclesia ueram habuit corporis et sanguinis Christi promissionibus sibi delatam communionem. (Johannes a Lasco: De verborum cene interpretatione [1548], BNF Paris Ms. fr. 3396, f. 190V–198R, 194V; Z., 77 Satz 104–109). Für die foedus-Begrifflichkeit vgl. K I, 142 f. 176. 36 K I, 160.

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ziehen, weder der Satan noch die Welt noch der Tod selbst uns entreißen kann.37 Aus dieser Vorstellung heraus ergibt sich dann logisch, dass die Sakramente, und so auch das Abendmahl nur als signa auf die perpetua duratio und fruitio dieser ohnehin für die Erwählten bestehenden communio und den in ihr gründenden Heilsanspruch (ius) verweisen können.38 Die communio in 1 Kor 10,16 kann also nur passivisch, nicht aktivisch verstanden werden. Ein Streit um das Abendmahlsverständnis bedeutet vor dem Hintergrund einer solchen Systematik einen Streit um eine ganze Kosmologie, denn die philologischen Einzelheiten – passivische/aktivische κοινωνία-Auslegung –, der Streit um die rechte Christologie (Himmelfahrt, Leib-Christi-Begriff) und die Ubiquität etc., werden mit einem erheblichen Maß an Stringenz aus der Grundvorstellung abgeleitet. In dieser Grundvorstellung steht der Mensch seinem Gott im Grundsatz immer in gleicher Weise gegenüber. Über die ganzen ›dramatischen‹ welthistorischen Einschnitte wie Sündenfall, Sintflut, Alter und Neuer Bund hinweg spannt sich ein Kontinuum der ersten Providenz-Dekrete Gottes bzw. dessen freiwilliger Selbstbindung. Von hierher erhält dann die communio einen ähnlich fundamentalen, überzeitlichen, aber eben durchaus auch im Diesseits angesiedelten Charakter, in dem – nach den ganzen erwähnten Einschnitten – nur noch (aber immerhin) in und durch Christus die Wiederherstellung, Kontinuität und Vollendung der ursprünglich vorherbestimmten Situation für die Erwählten möglich ist. Die Erwählten sind qua fide Mitglieder der communio und als solche Christus eingeleibt und ihm und einander obligiert. In den Sakramenten wird daran erinnert. Wenn wir hiermit Wessel Gansforts Ausführungen zur communio sanctorum vergleichen, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Der entsprechende kurze Traktat ist in die Opera-Ausgabe eingelassen39 und geht von der communio-Nennung im Nicaenischen Glaubensbekenntnis (Credo sanctorum communionem) aus. In der reformierten Theologie des 16. Jhs. würde diese communio-Nennung im Credo genau mit der eben ausgeführten, aus der Abendmahlslehre abgeleiteten communio-Theologie ineinsgesetzt. Bei den Reformierten hieße daher auch „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen“, dass man gleichsam an sich selbst glaubt, sofern – was man selbst nicht weiß – Gott einen erwählt hat. Denn die Gemein37 […] quam equidem consolationem in nostra istiusmodi cum Christo Domino communione

neque Satan, neque mundus, neque mors ipsa eripere nobis ullo modo potest; et qui illam in corde suo sentiunt de aliis Sacramentorum controversiis non magnopere contendent. (ebd.). 38 Ebd., S. 206 f. 39 Wessel Gansfort, Quae sit vera communio sanctorum. De thesauro Ecclesiae. De participatione & dispensatione hujus thesauri. De fraternitatibus etc., in: Wesseli Gansfortii Groningensis rarae et reconditae doctrinae viri, qui olim lux mundi vulgo dictus fuit, opera quae inveniri potuerunt omnia: partim ex antiquis editionibus, partim ex manuscriptis eruta, Groningen 1614 [Repr. 1966], S. 809–824.

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schaft der Heiligen ist die Gemeinschaft der schon prälapsarisch zur Wiederauferstehung und zur Gemeinschaft mit Christus an seiner Heilstat Bestimmten. Die sancti sind die electi, wie man sie auch vom orthodoxen Calvinismus und dem späteren Puritanismus kennt, wo es im 16./17.  Jh. dann zunehmend, gerade in England, zur Überblendung mit der Nationenwerdung kommt: es gibt dann die ‚elect nation‘ als Nationalgemeinschaft der schon hier auf Erden zur jenseitigen Heilsgemeinschaft Bestimmten, die aber als solchermaßen Auserwählte auch einen elitär-sonderrechtlichen Status im Vergleich mit anderen Nationen, die sich nicht als ‚auserwähltes Zion‘ rühmen können, haben. Dies sind spätere, reformiert-puritanische Entwicklungen. Im präreformatorischen Bereich ist hingegen die communio-Lehre an dieser Stelle natürlich noch ganz von der Lehre der Heiligen als besonderer himmlischer ‚Status-Gruppe‘ geprägt, als zur Ehre der Altäre erhobener Vorbildchristen, die Vermittler- und Fürbitt-Funktion bei Christus einnehmen. Entsprechend wäre beim Locus credo sanctorum communionem auch die thesaurus-ecclesiae-Lehre abzuhandeln, denn die Heiligen tragen mit ihren Heilstaten ja zur Anreicherung und Aufhäufung dieses Schatzes der Kirche an Gnade bei, aus dem dann gegebenenfalls Mitgliedern der communio Heilsanteile, etwa in Form von Dispensen, mitgeteilt werden können. In dieser Hinsicht ist Gansfort sicherlich schon auf dem Weg zur Reformation, denn er geht auch von 1 Kor 10,16 aus für seine communio-Definition: Unde nobiscum communicaverunt Patres nostri omnes, qui eodem nobiscum baptismo baptisati, & eadem esca spiritali refecti, eadem spiritali petra nobiscum refocillati. Nihil hanc sanctorum unitatem & unionem praesidentium diversitas distrahit; nihil identitas promovet: quia pijs nihil nocet praesidentium impietas […].40 Die thesaurus-ecclesiae-Lehre wird dann nur kurz angerissen, und zwar primär, um die päpstliche Macht hinsichtlich desselben einzuschränken: dieser habe kein Recht, über den Gnadenschatz frei zu verfügen. Allein Gott könne sowohl die Anreicherung des Gnadenschatzes seitens gläubiger Menschen fördern und allein Gott könne auch seine Konsumption zuteilen. Nur durch die Schätzung des Herzens sei der thesaurus verfügbar. Wem also der Kirchenschatz nicht schon im Glauben und von Gott gegeben ist, dem könne auch der Papst nichts davon zuteilen, denn wer am Kirchenschatz Anteil haben wolle, könne dies nur als Teilhaber an der Liebe. Die so am Kirchenschatz Berechtigten seien zugleich die communio-Mitglieder und diese seien wiederum als menschliche Wanderer auf Erden grundsätzlich von Gott in die communio hineinbestimmt (oder nicht). Aus ihr könne kein Mensch ein Mitglied exkommunizieren: auch hier wird also die päpstliche Macht stark eingeschränkt, allein Gott könne über die Mitgliedschaft in der communio bestimmen. So könnten nur wir selbst über unser Heil in Gott bestimmen (Adeo non in alieno est opere nostra salus constituta, sed in 40 Ebd., S. 809.

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nobis tantum est regnum nostrum: quo quantum accedimus, tantum regnamus.).41 Diese communio-Lehre ist von der reformatorischen gar nicht mehr so weit entfernt, auch wenn die letztere sich eben gar keine Mühe mehr machen muss, die Kirchenschatz-Lehre so umzudeuten, dass sie mit einer amtskirchenkritischen und theozentrischen Theologie zusammenpasst, weil sie in der Neuzentrierung der gnadenbezogenen Rechtfertigungslehre auf die Kirchenschatzlehre als mittelalterlich depraviertes Dogma der römischen Kirche schlicht verzichten kann und muss. Jedenfalls aber ist diese communio-Lehre doch noch in einem Übergangszustand und entwickelt auch kein klares Bild von der Erwählungslehre, geschweige denn leistet sie eine dermaßen ausgefeilte Strukturmodellierung durch Einbeziehen der römisch-byzantinisch-rechtlichen Elemente wie ab Bucer und v. a. bei Lasco. Gansforts Eucharistie-Lehre ist auch von dieser communio-sanctorum-Lehre erstaunlich getrennt. Im entsprechenden Traktat aus seinen Opera ist die Sensibilität für ein umkämpftes Verständnis der Einsetzungsworte noch wenig profiliert, die Konzentration liegt auf der Erfassung der körperlichen Form der Mandukation, der spirituellen Erbauungswirkung des Messopfers, der Frage, ob auch der Laienkelch gerechtfertigt sei. Über eine tropische Auslegung der Einsetzungsworte wird nicht reflektiert, dass das Abendmahl nur die communio der ‚Heiligen‘ bestätige, ist nicht deutlich erfasst, wenn es denn schon gemeint ist. Bezeichnender Weise wird hier auch 1 Kor 10,16 nicht zur Auslegung herangezogen, auch nicht im Kontext der sonst häufig im Abendmahlszusammenhang bedeutsamen Stelle Joh. 6,55.42 Abgesehen davon, dass Lasco Gansfort oder Goswin nie zitiert, zeigt also auch der Vergleich der communio-Lehre, dass hier doch noch eine große Entfernung zwischen der Devotio-moderna- und der reformierten Abendmahls- und Gemeinschaftslehre besteht. So sehr Gansforts antiklerikale Konzeption etwa der Gnadenschatz-Lehre schon eine horizontale und romferne kirchliche Verfassung untermauert, so sehr ist die Theologie noch nicht in eine konsequente und radikalere neue Rechtfertigungslehre eingelassen. Dass die beiden Loci der communio und des Abendmahls noch getrennt gedacht und verhandelt werden, spricht, von der reformierten Theoriebildung in den 1530ern/40ern rückblickend, klar dafür, dass hier der Trend zu einer unifizierenden und systematisch von Grundkonzepten ausgehenden Theologie noch nicht erreicht ist. Solche Ex-post-Bewertungen, die in einer Art umgedrehten Teleologie immer das ‚noch-nicht‘ der spätmittelalterlichen Theologie betonen, sind zwar sicher 41 Ibid., S. 818. 42 Gansfort, Libellus De Sacramento Eucharistiae, et audienda missa, in: Id., Opera, S. 655–

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methodisch problematisch, insofern es darum ginge, der Gansfort’schen Theologie in ihren zeitspezifischen Kontexten gerecht zu werden. Wenn es aber um die vorliegenden Zwecke der Abschätzung des Einflusses und der Bedeutung der Devotio moderna für den ostfriesischen Raum im Übergang ins 16. Jh. geht, dann ist dieses Vorgehen doch zielführend. Bei Hardenberg hat man also nun wegen der immerhin bis ans Lebensende bestehenden Bezugnahme etwa auf Wessel Gansfort von einer „Symbiose aus niederländischem Reformgeist [i. e. der Devotio moderna] und Zwinglianismus“ geschrieben.43 Selbst für Hardenberg hat dann aber bei genauem Hinsehen Wim Janse gezeigt, dass diese Bezugnahmen auf die Devotio-Autoren eher einer gewissen biographischen Reverenz, Ehrerbietung gegenüber den ehemaligen Lehrern geschuldet ist, dass aber in der theologischen Sache doch eine echte Ruptur besteht, dass hier nur Melanchthon und gegebenenfalls Bucer Hardenberg nahestehen, dass später vielleicht sogar Nähe zum Zwinglianismus besteht, dass aber im Übrigen kein einziger zentraler Gedanke klar auf die Devotio zurückzuführen ist.44 Umso mehr gilt dies nun also für Lasco: Wenn eigentlich der einzige Einfluss- oder Berührungspunkt der Devotio auf Lasco Hardenberg war, dieser aber theologisch-inhaltlich sich klar von der Devotio gelöst hatte, wenn Lasco selbst ja nicht im niederländisch-norddeutschen Raum intellektuell geprägt worden war, sondern in Polen und dann vor allem humanistisch und früh-reformatorisch in Basel, wenn auch der Vergleich von Lasco und Gansfort in der zentralen communio-Lehre nur so allgemeine Übereinstimmungen aufzeigt, wie sie jede reformatorische Lehre des 16. Jhs. mit den ‚vorbereitenden‘ Lehren der spätmittelalterlichen Devotio-Theologie hätte, dann sind auch die Hardenberg-LöwenBerührungspunkte jedenfalls keine je nachhaltig wirksam gewordenen.

3. Schluss: Devotio moderna und ostfriesische religiöse Pluralität Wenn Bleys Analyse des Verhältnisses der ostfriesischen Klöster zur DevotioBewegung schon auf institutioneller Ebene zu einem negativen Befund kam,45 so muss der hier zeitlich später angesiedelte Beitrag ebenso schließen: Obwohl es sehr viele Gemeinsamkeiten und grenzüberschreitende Beziehungen zwischen den Niederlanden und Ostfriesland gegeben hat, scheint dies gerade nicht die Devotio moderna zu betreffen. Viel eher einschlägig sind hingegen die engen Austauschbeziehungen z. B. hinsichtlich des Täufertums in seinen verschiedenen Ausprägungen. Die Forschung hat auch noch für die zweite Hälfte des 16. Jhs. 43 Elsmann, Hardenberg, S. 200. 44 Janse, Hardenberg, S. 256–293. 45 Siehe in diesem Band S. 29–55.

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immer wieder auf die religiöse Pluriformität Ostfrieslands hingewiesen: Durch die Migrationsströme in Folge der Ketzerverfolgungen und später den Kriegen in den Niederlanden siedelten sich dort „Mennoniten, später auch Ukowallisten und Täuferzirkel, Juden, selbsternannte Propheten, Spiritualisten und andere Gruppen und Einzelpersonen, aber auch Lutheraner“ in großem Umfang an.46 Der Westen der Grafschaft mit Emden im Zentrum war zwar an sich calvinistisch, der Osten mit Aurich als dem Herrschaftssitz der Grafen war eher lutherisch geprägt; dazwischen bewegten sich aber die genannten vielfältigen Gruppen in einem regen Grenzverkehr. Schon Lasco hatte es mit Problemen an allen Fronten zu tun: seine rigide oekolampadisch-calvinistisch-bullingerische Reformation musste er gegen durchaus noch starke und präsente Katholiken mit ihren Klöstern, gegen Lutheraner durchsetzen, er hatte es mit Menno Simons und David Joris persönlich und ihren Anhängern aus dem Täufertum zu tun. In diesen Kontexten sind aber in den 1540ern keinerlei Hinweise auf ein hiervon distinktes Devotio-moderna-Profil erkennbar, trotz der Nähe zur präferierten Universitätsstadt der Emder, Gansforts Groningen. Diese Nicht-Präsenz der Devotio moderna ist dann aber auch wieder aufschlussreich: so sehr es in anderen Bereichen von Wirtschafts-, Gesellschafts-, Kultur- und Geistesgeschichte angebracht ist, Ostfriesland fast als eine weitere Provinz der Generalstaaten im 16./17. Jh. anzunehmen, so gab es eben doch auch wichtige Unterschiede. Die Reformation drang zwar zunächst ähnlich wie in den Niederlanden über einige lutherische und (Hoen) auch schon proto-zwinglianische Denker ein, eine echte staatskirchliche Bündelung haben diese Anfänge aber eben erst unter Lasco gefunden. Und diese Reformation muss man sich doch eher als einen top-down-Prozess vorstellen, der stark von der eigenen biographischen Prägung Lascos geformt ist. Dass das ferne Ostfriesland noch vor der Kurpfalz eigentlich überhaupt zum ersten calvinistischen Territorium im Reich wird, verdankt sich dieser Persönlichkeit mit ihrer europäischen Breiten-Vernetzung in den erasmischen Humanismus und die Schweizer Reformation. Hier wird etwas Neues, nicht autochthon Gewachsenes ab 1544 in der Region implantiert  – so neu, wie auch Lasco selbst nichts mit der Grafschaft zu tun hatte. Das ist bei sehr vielen Reformatoren und Reformationen eben doch anders, wo die maßgeblichen Gestalten oft Landes- oder Stadtkinder sind und das neue Gedankengut mit schon vorher Dagewesenem verbinden. Bei der üblichen Kontinuitäts-/Bruch46 Nicole Grochowina, Bekehrungen und Indifferenz in Ostfriesland im 16. Jahrhundert,

in: Matthias Pohlig u. a. (Hrsg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2007, S. 243–270, S. 252; vgl. Dies., Indifferenz und Dissens in der Grafschaft Ostfriesland im 16. und 17. Jahrhundert, Frankfurt/M 2003 sowie die Visitationsprotokolle des Emder Kirchenrats, in denen die Religionspluralität aus der Sicht der Disziplinierer manifest wird: Heinz Schilling/Klaus Dieter Schreiber (Hrsg.): Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden, 1557–1620, 2 Teile, Köln/Wien 1989.

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Abwägung muss man hier also deutlich für den Bruch optieren  – die Devotio moderna hat keine Spuren im Ostfriesland des 16. Jhs. hinterlassen. Dies mag enttäuschen – aber wissenschaftlich gesehen sind, im Popper’schen Sinne, ja gerade auch klar konturierte und begründbare Negativergebnisse, ‚Falsifizierungen‘, für den Wissenschaftsprozess als ganzen mindestens so wertvoll wie weniger klar konturierbare positive Befunde.

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Mittel und Wege neuer Frömmigkeitskulturen im Königreich Böhmen vor und nach der Reformation Andreas Rüther

Wenn wir nun die Perspektive von einer genuin niederländischen Erscheinung auf ein gesamteuropäisches Phänomen verlagern, so haben wir strukturelle und methodische Ähnlichkeiten und Parallelen herauszuarbeiten, um Analogien zu bilden oder aber Unterschiede zu erkennen.1 Meine Ausführungen legen eine Periodisierung zwischen dem Herrschaftsantritt des Luxemburger Karls IV. und der Übernahme des böhmisch-ungarische Erbe durch den Habsburger Ferdinand I. fest und betrachten vom Prager Zentrum aus die Kronländer der königlichen Lehnsträger als räumliche Einheit. Die Reformation ist für Böhmen freilich anders zu akzentuieren und ein gutes Jahrhundert früher anzusetzen als im übrigen Reich, die Zäsur bedeuten die sozial-religiösen Umwälzungen des Hussitismus.2 Die böhmische Devotio moderna bleibt zudem eine ambivalente und unpräzise Leitvokabel.3 Wir wollen Trägerschichten beschreiben (Akteure), Handlungsspielräume vergleichen (Potentiale) und Vorlaufsdynamiken erklären (Prozesse). 1 Marek Derwich/Martial Staub (Hrsg.), Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spät-

mittelalter, (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 205), Göttingen 2004. 2 Ferdinand Seibt, Die Hussiten als religiöse Bewegung, in: Klaus-Peter Matschke/Sabine Tanz (Hrsg.), Mittelalterforschung in Leipzig. Der Mediävist Ernst Werner (1920–1993), Mittelalterforschung in Leipzig: der Mediävist Ernst Werner (1920–1993) und sein Platz in der internationalen Geschichtswissenschaft, (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte B, 15), Leipzig 2009, S. 75–88; Ders., Hussitischer Kommunalismus, in: František Šmahel (Hrsg.), Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter, München 1998, S. 197–212; Ders., Die hussitische Revolution als europäisches Modell, in: Jan Hus und die Hussiten in europäischen Aspekten, (Schriften aus dem Karl-Marx-Haus, 36), Trier 1987, S. 29–41; Franz Machilek, Art. Hus, Hussitismus, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 15, Berlin 1986, S. 716–735. 3 Johanna Girke-Schreiber, Die böhmische Devotio moderna, in: Ferdinand Seibt (Hrsg.), Bohemia sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973, Düsseldorf 1974, S. 81–91; Manfred Gerwing, Die böhmische Reformbewegung und die niederländische Devotio moderna. Ein Vergleich, in: Winfried Eberhard/Hans Lemberg/Heinz-Dieter Heimann/ Robert R. Luft (Hrsg.), Westmitteleuropa, Ostmitteleuropa. Vergleiche und Beziehungen. Festschrift für Ferdinand Seibt zum 65. Geburtstag, (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 70), München 1992, S. 125–142.

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1. Begriffsprobleme Ob wir nun distanzierend von der „sogenannten“ Devotio moderna in Böhmen reden,4 den „böhmischen Frühhumanismus und die ­Kirchenreformbestrebungen des 14. Jahrhunderts“ betrachten oder wie der gleiche Autor „Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Das religiöse Ringen zweier Völker“, nämlich 1964 und 1938 Eduard Winter:5 das immer wieder thematisierte Verhältnis unterliegt dem Widerstreit der Meinungen. Die internationale Erforschung von „Nowa ­dewocja“ oder „Nouvelle piété“ betreibt Einflussphilologie, sucht nach geschichtlichen Wurzeln, der gleich- oder vorzeitigen Entsprechung und dem historischen Prius, wie László Mezey in Bezug auf die Donauländer.6 Oder spitzt es erklärend auf „Krisenfrömmigkeit“ zu, wie es Franz Machilek auf den Punkt gebracht hat: „Die Krise der Frömmigkeit – die Frömmigkeit aus der Krise“.7 Dem langen Diskurs um Schlagwörter möchte ich nicht eine weitere Variante hinzufügen, sondern ein anderes Konzept des Umgangs an die Seite stellen. Statt des widersprüch­ lichen Sprachgebrauchs sozusagen einer Innovationskonkurrenz soll ein offener Verständnishorizont formuliert werden. Neue Frömmigkeit ist als europäisches Phänomen unterschiedlicher Ausdrucksmöglichkeiten zu begreifen. Von einer „Vielspurigkeit“ dieser Bewegung und Mehrdeutigkeit deren Begrifflichkeit ist auszugehen, die sich gleichzeitig in verschiedenen Milieus entwickelt hat. Ein all4 Manfred Gerwing, Die sogenannte Devotio moderna, in: Ferdinand Seibt (Hrsg.), Jan

Hus. Zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen. Vorträge des internationalen Symposions in Bayreuth vom 22. bis 26. September 1993, (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 85), München 1997, S. 49–58; Ders., Devotio moderna: Oder zur Spiritualität des Spätmittelalters, in: Jan A. Aertsen/Martin Pickavé (Hrsg.), „Herbst des Mittelalters“? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts, (Miscellanea mediaevalia, 31), Berlin 2004, S. 594–615. 5 Eduard Winter, Frühhumanismus. Seine Entwicklung in Böhmen und deren europäische Bedeutung für die Kirchenreformbestrebungen des 14. Jahrhunderts, (Beiträge zur Geschichte des religiösen und wissenschaftlichen Denkens, 3), Berlin 1964. Ders., Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Das religiöse Ringen zweier Völker, Salzburg u. a. 1938; Ders., Die europäische Bedeutung des böhmischen Frühhumanismus, in: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte 1, 5 (1935), S. 233–242. 6 László Mezey, Die „devotio moderna“ der Donauländer, Österreich, Ungarn, in: Mediaevalia Bohemica. Ephemeris 3 (1970), S. 177–192; Erwin Iserloh, Art. Devotio moderna, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München/Zürich 1986, Sp. 928–930; Hans-­Friedrich Rosenfeld, Zu den Anfängen der Devotio moderna, in: Werner Simon/Wolfgang ­Bachofer/Wolfgang Dittmann (Hrsg.), Festgabe für Ulrich Pretzel zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin 1963, S. 239–252. 7 Franz Machilek, Einführung: Beweggründe, Inhalte und Probleme kirchlicher Reformen des 14./15.  Jahrhunderts (mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im östlichen Mitteleuropa), in: Winfried Eberhard (Hrsg.): Kirchliche Reformimpulse des 14.–15.  Jahrhunderts in Ostmitteleuropa, (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, 36), Köln/Weimar/Wien 2006, S. 1–121.

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zuenger Interpretationsrahmen, der eine teleologische oder archäologische Sicht eines Protohumanismus, einer Vorstufe des Hussitismus und Reformation vorschlägt, wäre freizulegen. Diese vielgesichtige böhmische Reformbewegung ist mit den niederländischen religiösen Strömungen zu vergleichen und in Beziehung zu setzen. Gegebenenfalls würden wechselseitige Austauschvorgänge ermittelt, wie sie etwa für den direkten Konnex zwischen London und Prag durch die Eheverbindung von Richard II. von England mit Anna von Böhmen ergeben, und Transfers zwischen John Wyclif und Jan Hus samt ihren Anhängern zur Folge haben.8 Ursprünge und Aufbruch freilich sind im Italien des Trecento zu suchen, worauf Marie-Luise Favreau-Lilie hingewiesen hat.9 Frömmigkeit wird hier als Kultur wahrgenommen, welche das Handeln der Menschen dauerhaft zu beeinflussen in der Lage ist und somit die Grundlage für die Bildung von Institutionen legen kann. Zu den Propria der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben und den Kanonikern und Kanonikerinnen von Windesheim und Diepenveen zählt Kaspar Elm allerdings die Beschäftigung mit der heiligen Schrift, Kirchenvätern, die Verehrung von Passion, Kreuz und Grab Christi, die Reduzierung der Feierlichkeit eines gemeinsamen Kultes und die Vorliebe für gemeinsames Gebet.10 Die individuelle Beziehung und persönliche Haltung zu Glauben und Gott ist wesentlicher theologischer Inhalt.11

2. Grundlagen Fragen nach Vergleichen, Beziehungen und Transfers stellen sich. Was das im Konkreten bedeutet, lässt sich mit dem Blick auf Karl IV. von Luxemburg zeigen, 8 Marek Suchy, England and Bohemia in the Time of Anne of Luxembourg: Dynastic

Marriage as a Precondition for Cultural Contact in the Late Middle Ages, in: Zoë Opacic (Hrsg.), Prague and Bohemia. Medieval Art, Architecture and Cultural Exchange in Central Europe (Conference Transactions. The British Archaeological Association, 32), Leeds 2009, S. 8–21. 9 Marie-Luise Favreau-Lilie, „Devotio moderna“ in Italien?: Kontakte zwischen „Prag“ und Venedig im 14./15. Jahrhundert und die Suche nach neuen Wegen der Frömmigkeit in Venetien, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 301–330. 10 Kaspar Elm, Die „Devotio moderna“ und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: „Neue Frömmigkeit“ (wie Anm. 1), S. 15–29; Ders., Vita regularis sine regula. Bedeutung, Rechtsstellung und Selbstverständnis des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Semireligiosentums, in: Häresie (wie Anm. 2), S. 239–273. 11 John Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life: The Devotio Moderna and the World of the Late Middle Ages, (The Middle Ages Series), Pennsylvania 2008; Ders., Multiple Options: The World of the Fifteenth-Century Church, in: Church History 77 (2008), S. 257–284.

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der sowohl dem neuartigen Typus als auch einer devotio antiqua anhängt, was der Prager Kunsthistoriker Rudolf Chadraba herausstellte.12 Auf der einen Seite gibt es die Heiligenverehrung und Reliquiensammlung, Heiltümer und Kulte um die Überreste Jesu Christi, biblischer Gestalten und Glaubenszeugen sowie heilige Patrone, Überführung der Gebeine aus dem Rheinland und Italien nach Böhmen.13 Franz Machilek setzt in diesem trennenden Sinne der „Staatsfrömmigkeit“ eine „Privatfrömmigkeit“ gegenüber14. Mit dem Karlstein, einem Rückzugsort in sich gekehrter Frömmigkeit in Form des Privatoratoriums entsteht der Gegenpol zu Prager Burg und Veitsdom als repräsentative, hochpolitische Öffentlichkeit: das „polyphone Konzert der Herrschaftsinszenierung in unterschiedlichen Medien“, wie Wolfgang Schmid es nennt.15 Auf der anderen Seite korrelierte diese altkirchliche Religiosität mit spirituellen Neuigkeiten.16 Denn nicht zu vergessen ist, dass dieser erste literarisch tätige römischdeutsch-böhmische König mit der Vita Caroli Quarti der theologisch gebildete

12 Rudolf Chadraba, Kaiser Karls IV. „devotio antiqua“, in: Mediaevalia Bohemica 1 (1969),

S. 51–68; Wojciech Iwanczak, Karl IV. und die Religiosität seiner Epoche, In: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 59–75. 13 Bernd-Ulrich Hergemöller, Heiltümer und Symbole im Zeitalter der Luxemburger: Reliquienkult und Bildersturm in Böhmen von Karl IV. bis zu den Hussiten, in: Thomas Wünsch (Hrsg.), Religion und Magie in Ostmitteleuropa. Spielräume theologischer Normierungsprozesse, (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa, 8), Münster 2006, S.  63–83; Ralf Lützelschwab, Prag, das neue Paris?: Der französische Einfluß auf die Reliquienpolitik Karls IV., in: Daniel Doležal/Hartmut Kühne (Hrsg.), Wallfahrten in der europäischen Kultur: Tagungsband Príbram, 26.–29.  Mai 2004 = Pilgrim­age in European Culture, (Europäische Wallfahrtsstudien, 1), Frankfurt a. M. u. a. 2006, S. 201–219. 14 Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Ferdinand Seibt (Hrsg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 87–94, 99–101, 441–443. 15 Wolfgang Schmid, Von Konstantinopel über Prag nach Trier. Das Haupt der hl. Helena, in: Jirí Fajt (Hrsg.), Kunst als Herrschaftsinstrument: Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext, Berlin u. a. 2009, S. 309–319; Ders., Vom Rheinland nach Böhmen: Studien zur Reliquienpolitik Kaiser Karls IV., in: Ulrike Hohensee (Hrsg.), Die Goldene Bulle. Politik  – Wahrnehmung  – Rezeption, (Berichte und Abhandlungen. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Sonderband, 12), Berlin 2009, S.  431–464; Ders., Reliquienjagd am Oberrhein. Karl IV. erwirbt Heiltum für den Prager Dom, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 159 (2011), S. 131–209. 16 David Mengel, Emperor Charles IV (1346–1378) as the Architect of Local Religion in Prague, in: Austrian History Yearbook 41 (2010), S.  15–29; ders., A Holy and Faithful Fellowship: Royal Saints in Fourteenth-century Prague, in: Eva Doležalová/Robert ­ ­Novotný/Pavel Soukup (Hrsg.), Evropa a Cechy na konci stredoveku: Sborník príspevku venovaných Františku Šmahelovi [Europa und Tschechien am Ende des Mittelalters. Eine Sammlung von Beiträgen zu Ehren von František Smahel], Praha 2004, S. 145–158.

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Verfasser einer Autobiographie war.17 Jugendleben und Wenzelslegende zeugen, wie es jüngst Eva Schlotheuber bezeichnet hat, von den mittelalterlichen Vorstellungen des Menschen am Scheideweg, eine Zwei-Wege-Lehre, in der sich Alternativen einer Emanzipation des modernen Individuums vorbereiten.18 Religiöse Erziehung und theologische Bildung machten ihn zum Gesprächspartner von zeitgenössischen Gelehrten der Frührenaissance, seine Kanzlei zu einer Pflegstätte frühhumanistischer Rhetorik, seinen Kanzler Johann von Neumarkt zum religiösen Fürsorger der Predigttätigkeit eines Konrad Waldhauser.19 Dessen „Kapelle zu den Unschuldigen Kindlein zu Bethlehem“ in der Prager Altstadt wurde „Neues Jerusalem“ genannt und war die Keimzelle der Predigtschule, die in handschriftlicher Form sermones verbreitete.20 Elegante Devoten gab es auch an der Moldau: etliche libri devoti, manch devotus modernus, sowie quadam devotaria waren darunter. In der Forschung wird der Verzicht auf Reichtum als zentraler Reformaspekt der Kirche bei wichtigen Vorläufern der böhmischen hussitischen Bewegungen, etwa in Reformbemühungen Konrad Waldhausers erkannt. Im Kontext der Naherwartung verschärft sich die Argumentation über die Armut bei Johann Militsch von Kremsier.21 Matthias von Janov, systematierte die Debatte, indem er die verweltlichte Ignoranz und den Sittenverfall von Priestern kritisierte.22 Eine neue Ekklesiologie stellte einen direkten Zusammenhang zwischen dem Betragen der 17 Eva Schlotheuber, Der weise König: Herrschaftskonzeption und Vermittlungsstrate-

gien Kaiser Karls IV. († 1378), in: Hémecht 63 (2011), S. 265–279; Dies., Der Ausbau Prags zur Residenzstadt und die Herrschaftskonzeption Karls IV., in: Marketa Jarosova (Hrsg.), Prag und die großen Kulturzentren Europas in der Zeit der Luxemburger (1310–1437): internationale Konferenz aus Anlaß des 660. Jubiläums der Gründung der Karlsuniversität in Prag, 31. März – 5. April 2008, Toggia 2008, S. 601–622. 18 Die Autobiographie Karls IV. und die mittelalterlichen Vorstellungen vom Menschen am Scheideweg, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), S. 561–591; Dies. (Hrsg.), Böhmen und das Deutsche Reich: Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich: 13.–16. Jahrhundert, (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 116), München 2009. 19 Manfred Gerwing, Art. Konrad von Waldhausen (Waldhauser), CanAug, Reformprediger in Prag (um 1325–1369), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 München/Zürich 1991, Sp. 1366; Franz Machilek, Art. Konrad von Waldhausen, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 5, Berlin/New York 1986, Sp. 259–268; Bd.  11, ebd. 2004, Sp.  886; Karl F. Richter, Konrad Waldhauser, in: Karl Bosl (Hrsg.), Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder, Teilband 3, München/Wien 1978, S. 159–174. 20 Christopher Ocker, Die Armut und die menschliche Natur: Konrad Waldhauser, Jan Milíc von Kromeríc und die Bettelmönche, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 111–129. 21 Alexander Patschovsky, Art. Milíc z Kromeríže, Jan (Johannes Militsch v. Kremsier, Iohannes Milicius de Cremsir) (um 1320–1374), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/Zürich 1993, Sp. 625–626. 22 Miloslav Polívka, Art. Matthias von Janov (M. Parisiensis) (vor 1355–1393), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/Zürich 1993 Sp. 403–404; Jaroslav Kadlec, Art. Matthias

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Gläubigen und der sittlichen Haltung des Klerus her getreu der Losung der Bibel: „so das Volk, so seine Priester“. Im reformerischen Schrifttum, der nova literatura, wurden Gebrechen und Irrtümer der Geistlichen artikuliert und das Abstellen von Missbräuchen beim Kult gefordert.23 Beim stark verstreuten „Malogranatum“ handelt es sich um eine Sammlung von Ratschlägen, die aus einem Dialog zwischen Vater und Sohn hervorgehen und wie ein Granatapfel schmecken sollen.24 Der Granatapfel ist nicht die Frucht einer bestimmten Devotenrichtung, sondern aus der Zisterze Königssaal heraus, im Hauskloster der Przemysliden und Herrschergrablege entstanden.25 Manfred Gerwing erkennt darin eine trimorphe Struktur, der dreistufige Weg zur christlichen Vollkommenheit: Der Blick nach außen als Solidarität mit den Unzufriedenen, der Blick nach innen als Solidarität mit den Gekreuzigten, die Konformität mit Christus als Ersatz für das Reich Gottes. Die Vorzüge dieser Einsamkeit einer vita solitaria werden empfohlen zur Hebung der Moral.26 Als oberster Beamter der Kanzlei und Bischof von Leitomischl war Johannes von Neumarkt bedeutender Förderer der Augustiner-Eremiten des Thomasklosters und wichtiger Vermittler „augustinisch-frühhumanistischer Geistigkeit“.27 Neben ihm gehörte zu jener Gruppe königlicher Ratgeber in Erzbischof Johann von Janov, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 6, Berlin/New York 1987, Sp. 183–186. 23 Rainer Bendel, Kirche und Armut in den böhmischen Reformbewegungen des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für Ostdeut­ sche Kultur und Geschichte 5 (1997), S.  171–202; Ders.,Das Kirchenbild des Johannes von Rokycana auf dem Konzil in Basel, in: Sudetenland. Europäische Kulturzeitschrift. ­Böhmen, Mähren, Schlesien 41 (1999), S. 270–282. 24 Manfred Gerwing, „… state in fide vera, viriliter agite, omnia vestra in caritate fiant“: Zum dreifachen Weg im „Malogranatum“, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 85–110; Ders., Art. Malogranatum, in: Lexikon des Mittelalters Bd.  6, München/Zürich 1993, Sp. 177–178; Ders., Manfred Gerwing, Malogranatum oder der dreifache Weg zu Vollkommenheit: Ein Beitrag zur Spiritualität des Mittelalters, (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 57), München 1986. 25 Ivan Hlavácek/Alexander Patschovsky (Hrsg.), Böhmen und seine Nachbarn in der Premyslidenzeit, (Vorträge und Forschungen, 74), Ostfildern 2011; Alexander ­Patschovsky/ Thomas Wünsch (Hrsg.), Das Reich und Polen: Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im Hohen und Späten Mittelalter, (Vorträge und Forschungen, 59), Stuttgart 2003. 26 Nikolaus Staubach, „Vita solitaria“ und „vita communis“: Der Innenraum als Symbol religiöser Lebensgestaltung im Spätmittelalter, in: Nikolaus Staubach/Vera Johanterwage (Hrsg.), Außen und Innen. Räume und ihre Symbolik im Mittelalter, (Tradition  – Reform – Innovation, 14), Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 279–298. 27 Joseph Klapper, Johann von Neumarkt, Bischof und Hofkanzler. Frührenaissance in Böhmen zur Zeit Kaiser Karls IV., (Erfurter theologische Studien, 17), Leipzig 1964; Ernst Schwarz, Johann von Neumarkt, in: Lebensbilder (wie Anm. 19), Teilband 1 München/ Wien 1974, S. 27–47; Ludwig Bujnoch, Johann von Neumarkt als Briefschreiber, in: ebd.,

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von Draschitz ein Protagonist der Kirchenreform, der aufgrund intensiven Engagements die Chorherren von Raudnitz maßgeblich unterstützte. Aus Pavia waren 1339 Kanoniker an die Elbe gekommen, um die erste Niederlassung in böhmischen Landen zu errichten.28 Predigten vermögen weite Schichten der Bevölkerung mit der Spannung konfrontieren, die aus der Betrachtung eigenen Tuns im Lichte des Tun Christi entsteht, unabhängig vom eigenen Standpunkt eine conversio zum Handeln im Sinne Christi herbeiführen.29 Die Predigt war das entscheidende Medium der böhmischen religiösen Reformbewegung; ihre Exponenten, beginnend mit Konrad Waldhauser (1359) und Militsch von Kremsier (1369) über Matthias von Janov bis zu Jan Hus, verstanden die Ausübung des Predigeramtes in der Nachfolge Christi als ihren zentralen göttlichen Auftrag, so dass das später gegen Hus gerichtete päpstliche Predigtverbot folgerichtig zur Eskalation des Konflikts mit der kirchlichen Autorität führen sollte.30 Während die devotio moderna eigentlich besonders auf das Gebet orientiert war, verband die Betonung der Predigt die böhmischen Reformer mit den Anhängern Wyclifs, doch im Unterschied zu diesen Lollarden schätzten die Utraquisten die Eucharistie hoch.31

Teilband 3, München/Wien 1978, S.  67–76; John M. Clifton-Everest, Johann von ­Neumarkt und Cola di Rienzo, in: Bohemia 28 (1987), S. 25–44. 28 Andreas Rüther, Reformbemühungen der Augustiner-Chorherren in Schlesien im 15. Jahrhundert, in: Winfried Eberhard/Franz Machilek (Hrsg.), Kirchliche ­Reformimpulse des 14./15. Jahrhunderts in Ostmitteleuropa, (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, 36), Köln/Weimar/Wien 2006, S. 277–293. 29 Ricarda Bauschke-Hartung, Johann von Neumarkt: ‚Hieronymus-Briefe‘. Probleme von Epochengrenzen und Epochenschwellen am Beispiel des Prager Frühhumanismus, in: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium in Hofgeismar vom 6.–10.9.2003, hrsg. von ­Nicola ­McLelland, Hans-Jochen Schiewer und Stefanie Schmitt, Tübingen 2008, S.  257–271; ­Andreas Rüther,  Nikolaus Magni (Groß) von Jauer (1355–1435), in: Joachim Bahlcke (Hrsg.), Schlesier des 12. bis 20. Jahrhunderts, (Schlesische Lebensbilder, 9), Insingen 2007, S. 33–38. 30 Nikolaus Staubach (Hrsg.), Rom und das Reich vor der Reformation, (Tradition – Reform – Innovation, 7), Frankfurt a. M. u. a. 2004; Ivan Hlavácek/Alexander P ­ atschovsky (Hrsg.), Reform von Kirche und Reich. Zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), Konstanz 1995; Heribert Müller (Hrsg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Institution und Personen, (Vorträge und Forschungen, 67), Ostfildern 2007. 31 Katherine J. Walsh, Lollardisch-hussitische Reformbestrebungen in Umkreis und Gefolgschaft der Luxemburgerin Anna, Königin von England (1382–1394), in: Häresie (wie Anm.  2), S.  77–108; Bernhard Töpfer, Die Wertung der weltlich-staatlichen Ordnung durch John Wyclif und Jan Hus, in: ebd., S. 55–76; Vilém Herold, Zum Prager philosophischen Wyclifismus, in: ebd., S. 133–146.

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3. Quellen und ihre Erschließung Nach den Ketzerkreuzzügen, die sich durch Kurie, Konzil und Kurfürsten zu Religionskriegen des Reichs gegen die hussitische Reformationskirche ausweiteten, wurden nicht nur Ideen, sondern auch Personen und vor allem Texte weitergetragen und verwandelt.32 Infolge der hussitischen Unruhen Böhmens in den zwanziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts kam ein Großteil der vor dem Kirchensturm geflüchteten Geistlichen und vertriebenen Klosterleute in die böhmischen Nebenländer, insbesondere nach Schlesien, um ihr Ordensleben in bewährten Reformkreisen fortzusetzen.33 Die Handschriftensammlungen aus den Raudnitzer Konventen, Zisterzienserabteien und der Kartause zu Liegnitz beweisen Schreibstuben, Kopistentätigkeit und Buchherstellung. Aus diesem Umfeld zur Zeit der hussitischen Umwälzungen wurden zwei in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts entstandene Handschriften Raudnitzer Provenienz ins schlesische Sagan gebracht, welche die bekannte Postille Gratiae Dei des Johannes Militsch von Kremsier enthalten.34 In Schlesischen Bibliotheken sind noch sechs Handschriften dieser beliebten Predigtreihen bekannt. Über diese Postillen gelangten frühreformatorische Trends in das Land an der Oder. In sechs weiteren Kodizes sind Einzelschriften Johann Militschs überkommen, die aus Sagan und dem Dominikanerkloster Breslaus stammen. Sieben weitere Manuskripte enthalten Kleinwerke und Gebete des Predigers, drei aus Sagan. Insbesondere homiletische Texte begründeten die Verkündigung der spirituellen Neuigkeiten mit reformerischer Aussage in größeren Gruppen. Vom vorhussitischen Prediger Konrad Waldhauser sind fünf Saganer Werke in der Breslauer Universitätsbibliothek erhalten, die im Besitz der dortigen Chorherren waren. Das „Malogranatum“ wird in fünfzehn Exemplaren in Breslau tradiert,

32 Nikolaus Staubach, Die Devotio moderna als Textgemeinschaft, in: Angelika Lehmann-

Benz/Ulrike Zellmann/Urban Küsters (Hrsg.), Schnittpunkte. Deutsch-Niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 5), Münster u. a. 2003, S. 19–40; Ders., Text als Prozeß: Zur Pragmatik des Schreibens und Lesens in der Devotio moderna, in: Christel Meier (Hrsg.), Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur. Akten des Internationalen Kolloquiums 26.– 29. Mai 1999, (Münstersche Mittelalter-Schriften, 79), München 2002, S. 251–276. 33 Andreas Rüther, Böhmische Altgläubige nach der Flucht vor den Hussiten in ihrer neuen Umwelt: Schlesien, die Lausitzen und Mähren, in: Rainer Bendel/Joachim Bahlcke (Hrsg.), Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive, (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa, 7), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 1–18. 34 Wojciech Mrozowicz, Schlesien und die „Devotio moderna“: Die Wege der Durchdringung und Verbreitung der „Neuen Frömmigkeit“, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm.  1), S. 133–150, hier: 140.

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darunter allein vier Werke aus Sagan.35 Die Verbreitung der Traktate, die Buchproduktion und der individuelle Buchbesitz entfalteten Prägekraft in einer sich ausformenden Region, die sich durch die Exilsituation verfestigte.36 Die reichhaltige Kollektion dieser Literatur der Neuen Frömmigkeit böhmischen Stils bewahrt auch Bände mit popularären Schriften des Matthias von J­ anov auf. Die Träger der neuen Gedanken standen mit deutschen Klöstern in Verbindung, in den Worten des berühmten sächsischen Reformchronisten Johannes Busch Per totum Almanicum orbem.37 In der Zirkulation und den Zuflüssen von Texten drückt sich die konkrete Manifestation einer Absicht intellektuellen Lebens aus: vivere in Christo. Interpretiert man die Bände auf ihren Aspekt als Medium der Wissensvermittlung hin werden Formen des Denkens klarer. Durch Notation wird Erfahrungswissen an die nächste Generation übergeben. Die pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna bezeichnet Nikolaus Staubach als den „Versuch, in bewusster, rationaler Planung eine Form religiösen Gemeinschaftslebens zu organisieren, die das auf ein christliches Persönlichkeitsideal gerichtete Verhaltenstraining des einzelnen durch die Dynamik und Bindung der Gruppenexistenz unterstützen und fördern sowie für die laikale Umwelt normenbildend wirksam machen sollte.“38 Solche Verschriftlichung war entscheidender Faktor monasti-

35 Ebd., S. 141 Anm. 30. 36 Marek Derwich, Les ordres religieux et le developpement de la „nouvelle piété“ en Po-

logne, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 171–186; Krzysztof Ozóg, La piété dans le milieu cracovien à la fin du XIVe et au début du XVe siècles, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 187–210; Stanislaw Bylina, „Devotio moderna“ et dévotion des masses chrétiennes en Europe centrale aux XIVe–XVe siècles, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm.  1), S. 211–224. 37 Bertram Lesser, Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Überlieferung und Rezeption, (Tradition -Reform -Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters), Frankfurt a. M. 2005; Nikolaus Staubach, Das Wunder der Devotio Moderna: neue Aspekte im Werk des Windesheimer Geschichtsschreibers Johannes Busch, in: Anton J. Hendrikman (Hrsg.), Windesheim 1395–1995. Kloosters, teksten, invloeden. Voordrachten gehouden tijdens het internationale congres „600 jaar Kapittel van Windesheim“, 27 mei 1995 te Zwolle, (Middeleeuwse studies, 12), Nijmegen 1996, S. 170–185. 38 Nikolaus Staubach, Zwischen Kloster und Welt?: die Stellung der Brüder vom gemeinsamen Leben in der spätmittelalterlichen Gesellschaft; mit einem Anhang: neue Quellen zum Grabow-Konflikt, in: Ders. (Hrsg.), Kirchenreform von unten. Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben, (Tradition  – Reform  – Innovation, 6), Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 368–426; Ders., „Sine votis et regula“. Der Rangstreit der geistlichen Lebensformen in der Devotio moderna, in: Gert Melville/Anne Müller (Hrsg.), Regula Sancti Augustini. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittelalter, (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim, 3), Paring 2002, S. 539–580; Ders., Reform aus der Tradition: Die Bedeutung der Kirchenväter für die Devotio moderna, in: Hagen Keller/Christel Meier/Thomas Scharff (Hrsg.), Schriftlichkeit

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scher Reform, wie Klaus Schreiner es ausdrückte, um Fortschritte und Erfolge zu verewigen.39 Von den ehemals dreizehn Klöstern der Augustiner-Chorherren in der Raudnitzer Kongregation lagen drei auf schlesischem Boden: überall dort in Sagan, Breslau und Glatz entstanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eigene klösterliche Historiographien.40 Diese Reformchroniken sind nicht nur als historische Schriften zu betrachten, sondern als pragmatische und didaktische Werke, so Wojciech Mrozowicz.41 Sie waren als Sammlungen für die Klosterangehörigen gedacht, wie sie ihr Klosterleben einrichten sollten: ad vitanda mala et sequenda bona, so die Chronik des Glatzer Stifts.42 Im Saganer Äbtekatalog des Konziliaristen Ludolf von Sagan heißt es im späteren zweiten Teil seines Fortsetzers: Gerhardus Groet claret sanctitate vite et sciencia et plura conscripsit.43 Über das vorbildliche Reformgeschehen selbst erhalten wir Informationen aus erster Hand zu den Gründern der niederländischen Bewegung, auch über den strahlenden und Lebenspraxis im Mittelalter, (Münstersche Mittelalter-Schriften, 76), München 1999, S. 171–202. 39 Klaus Schreiner, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Hagen Keller/ Klaus Grubmüller/Nikolaus Staubach (Hrsg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, (Münstersche Mittelalter-Schriften, 65), München 1992, S. 37–75. 40 Constance Proksch, Klosterreform und Geschichtsschreibung im Spätmittelalter, (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter, NF Bd.  2), Köln u. a. 1994; Wojciech Mrozowicz, Kronika klasztoru kanoników regularnych w Klodzku: Ze studiów nad sredniowiecznym dziejopisarstwem klasztornym [Die Chronik des AugustinerChorherren-Stifts zu Glatz. Studien zur mittelalterlichen Klostergeschichtsschreibung], Wrocław 2001. 41 Mrozowicz, Schlesien (wie Anm. 34), S. 145. 42 Wojciech Mrozowicz (Hrsg.), Cronica monasterii canonicorum regularium (S. Augustini) in Glacz = Kronika klasztoru kanoników regularnych (Sw. Augustyna) w Klodzku, Wratislaviae 2003, S.  1; Wojciech Mrozowicz, Breslauer Synoden des Mittelalters und ihre Widerspiegelung in den Quellen: Ausgewählte Probleme, in: Nathalie Kruppa/Leszek Zygner (Hrsg.), Partikularsynoden im späten Mittelalter, (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, 219. Studien zur Germania Sacra, 29), Göttingen 2006, S. 275–287. 43 Gustav Adolf Stenzel (Hrsg.), Catalogus abbatum Saganensium, (Scriptores rerum Silesiacarum, 1), Breslau 1835, S. 173–528, hier 282; Franz Machilek, Ludolf von Sagan und seine Stellung in der Auseinandersetzung um Konziliarismus und Hussitismus, (Wissenschaftliche Materialien und Beiträge zur Geschichte und Landeskunde der böhmischen Länder, 8), München 1967; Ders., Art. Ludolf von Sagan, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 5, Berlin New York 1985, Sp. 977–984; Ders., in: ebd.,Bd. 11 (2004), Sp. 938; Ders., Ludolf von Sagan (1353–1422), in: Friedrich Andreae/Helmut Neubach/Ludwig Petry (Hrsg.) Schlesische Lebensbilder Bd.  8, Würzburg/Sigmaringen 2004, S. 32–38; Ansgar Frenken, Art. Ludolf von Sagan (1353–1422), in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 5 (1993), Sp. 314–315.

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geistigen Lehrer Jan van Ruusbroec: Johannes Rosbroch clarus habetur, vir admodum devotus et illuminatus, qui et multa scripta in Thewtonico reliquit.44 Eine breite, wenn auch zeitversetzte Rezeption der klassischen Werke der Hauptvertreter devoter Literatur ist zu bemerken. Die Nachfolge Christi des Thomas Hemerken a Kempis wurde gelesen und ist in der Universitätsbibliothek Breslau in neun Imitatio-Handschriften schlesischer Herkunft nachzuweisen.45 Provenienzvermerke nennen das Saganer Stift als mittelalterliche Vorbesitzer der Kodizes. Das älteste Manuskript ist auf 1449 datiert, die späte Überlieferung ging mit der Ausbreitung der Einflüsse der Windesheimer Kongregation in den böhmischen Kronländern einher. Selbst im konservativen Milieu der Breslauer Kathedrale findet sich ein niederländisches Gebet- und Stundenbuch aus dem Jahre 1472, das der Dominikaner Alan de Rupe womöglich in westlichen Zentren wie dem niedersächsischen Frenswegen niedergeschrieben hat.46 Rechte Mässigung und Ebenmass wurde angestrebt, jede Übertreibung ausgeschlossen, wie die Collectio super statuta canonicorum regularium des Petrus Clareta aus Glatz empfiehlt: Verzicht auf äußeren Eindruck zugunsten verinnerlichten Erlebens: Regnum Dei intra vos est (Lk 17, 21).47 Eine tiefe Veränderung im Kampf gegen deformierte Andachtsübungen und Spekulationen sind das Ziel. So heißt es in Staubachs Definition: „Neben einem ausgeprägten Zugehörigkeitsund Verbandsbewusstsein kann vor allem die nüchtern-rationale und fast technisch zu nennende Einstellung zum Tugend- und Vollkommenheitsstreben als hinreichendes Identitätsmerkmal der devoten Häuser und Konvente gelten.“48 Eine intensive Beschäftigung mit den Predigtzyklen an sich steht nach wie vor aus.

44 Catalogus abbatum Saganensium (wie Anm.  43), S.  282; Paul Mommaers, Jan van

­ uusbroec: Mystical Union with God, Leuven 2009; Geert Warnar, Ruusbroec: LiteR rature and mysticism in the Fourteenth Century, (Brill’s Studies in Intellectual History, Bd. 150) Leiden u. a. 2007. 45 Mrozowicz, Schlesien (wie Anm. 34), S. 147 Anm. 64; Uwe Neddermeyer, „Radix Studii et Speculum Vitae“. Verbreitung und Rezeption der „Imitatio Christi“ in Handschriften und Drucken bis zur Reformation, in: Helmut Wolff/Johannes Helmrath/Heribert Müller (Hrsg.), Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, München 1994, Bd. 1, S. 457–481. 46 Breslau/Wrocław, Dombibl. (Biblioteka Kapitulna), Cod.  716; Stanisław Prędota, Probleme mittelniederländischer Handschriften aus polnischen Bibliotheken, in: Ralf G. ­Päsler/Dietrich Schmidtke (Hrsg.), Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Heidelberg 2006, S. 285– 292, hier S. 287–289; Mrozowicz, Schlesien (wie Anm. 34), S. 150. 47 Kraków, Bibliothek Corpus Christi-Kirche, Sign.  11a; Mrozowicz, Schlesien (wie Anm. 34), S. 138 Anm. 19. 48 Nikolaus Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 418–461.

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4. Problemfelder In der böhmischen Variante fallen mehrere Erscheinungen zusammen, so dass es sich überlegen lässt, was der Terminus eigentlich leistet. Gemeinsam ist mit der niederländischen devotio etwas, was in anderen Kontexten „Frömmigkeitstheologie“ genannt wird (Berndt Hamm), eine aufs ethisch-praktische ausgerichtete Geistigkeit, sowie eine mönchisch-laikale Praxis als Träger der Kommunikation im engen Kontakt mit örtlichen Reformorden im städtisch-mittelständischen Milieu.49 Doch im östlichen Mitteleuropa unterstützen dazu verschiedene Gruppen und Konstellationen die neuen Frommen: der Landesfürst als Überwacher des rechten Glaubens, die Beraterkreise in Hofnähe, akademische Einrichtungen wie eine Universität als Verschriftlichungsinstanz von Glaubensnormen und -werten50 sowie literaturbildende Stätten wirkten auf eine städtische Laienbewegung ein, wie das Gisela Drossbach auch für Wien und Thomas Wünsch für Krakau belegt.51 In komparativer Hinsicht fällt die ausgesprochen höfische Organisationsform seit der zweiten Hälfte des vierzehnten bis in die erste Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts auf, als 1561 wieder ein kaiserlich eingesetzter Bischof im Zeichen katholischer Reform amtierte.52 In den Nebenländern der Krone ­Böhmens 49 Berndt Hamm, Was ist Frömmigkeitstheologie? Überlegungen zum 14. bis 16. ­Jahrhundert,

in: Ders./Reinhold Friedrich/Wolfgang Simon (Hrsg.), Religiosität im späten Mittelalter: Spannungspole, Neuaufbrüche, Normierungen, (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 54), Tübingen 2010, S.  116–153; Ders., Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschichtlicher Forschung. Methodisch-historische Überlegungen am Beispiel von Spätmittelalter und Reformation, in: ebd., S.  85–115; Ders., Theologie und Frömmigkeit im ausgehenden Mittelalter, in: ebd., S.  244–300; Gudrun Litz/Heidrun Munzert/Roland Liebenberg (Hrsg.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European Church History. Festschrift Berndt Hamm, (Studies in the History of Christian Traditions, 124), Leiden u. a. 2005. 50 Kurt Mühlberger/Karl Kadletz (Hrsg.), Die Universität Wien im Mittelalter: Beiträge und Forschungen von Paul Uiblein, Wien 1999; Karl Uhl, Anspruch und Wirklichkeit. Die Anfänge der Universität Wien, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 113 (2005), S. 63–89; Kurt Mühlberger/Meta Niederkorn-Bruck (Hrsg.), Die Universität Wien im Konzert europäischer Bildungszentren. 14.–16.  Jahrhundert, (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 56), Wien/ München 2010. 51 Gisela Drossbach, Die sogenannte „Devotio moderna“ in Wien und ihre geistigen Träger zwischen Tradition und Innovation, in: Neue Frömmigkeit (wie Anm. 1), S. 267–284; Franz Machilek, Kirche und Universität im Spätmittelalter: die Gründungen Prag und Erfurt, in: Peter Wörster (Hrsg.), Universitäten im östlichen Mitteleuropa Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation – Sozialgeschichte und politische Entwicklungen – Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa, Bd. 3) München 2008, S. 165–193. 52 Andreas Rüther, Ordensneugründungen und Anpassungsvorgänge im spätmittelalter­ lichen Klosterwesen Prags, Breslaus und Krakaus, in: Joachim Bahlcke/Karen Lambrecht/

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wirkte diese Neue Frömmigkeit gewissermassen als Brücke der altgläubigen Kreise und Hierarchien.53 Unter Auslassung des Hauptlandes Böhmen finden wir in den Erbländern Schlesien, aber auch in Mähren und den beiden Lausitzen grenzüberschreitende Rekrutierungen, wenn schon keine gemeinsame Sprache, doch die Verankerung gemeinsamen Gedankenguts im selben Schrifttum, auch ähnliche soziale Strukturen wie die Residenzstädte und institutionelle Banden der ­Raudnitzer Kongregationsbildung.54 Wir machen Unterschiede zu den Niederlanden aus, in denen die geistlichen Gemeinschaften vorzugsweise in urbanen Zentren in deren gesellschaftlichen Praktiken eine ausgesprochene eigene Disposition ausbilden. Sie zeigen weniger überregionale Prägung von der Hauptstadt aus, die über Zusammenhänge der Dynastie und Landstände verknüpft waren. Wenn man einmal das selbst isolierte böhmische Kerngebiet während des Hussitenreichs außen vor lässt, gilt insofern für die Krone Böhmens durchaus der Befund einer Elbe-March-Oder-Region zwischen der frühen Luxemburgerzeit und der frühen Habsburgerzeit. Entscheidendes Fürstenhandeln nach Bürgerkriegen und durchgreifende dynastisch-ständische Integrationszusammenhänge machen die Differenzen zwischen böhmischen und holländischen oder auch italienischen Standorten aus. Die beobachteten Wechselwirkungen in Böhmen werfen die offene Frage auf nach der Konvergenz mit dem Westen.55 Die Relevanz und Tragweite dieser Thematik für die Säkularisierungstheorie und Sozialdisziplinierungsthese wären weitere Forschungsanregungen. Ich komme zum Abschlussgedanken. Bei unserer Suche nach Spuren der Devotio moderna als Vehikel von Bildung und Erziehung sowie Instrument sozioHans-Christian Maner (Hrsg.), Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Leipzig 2006, S.  55–69; Thomas Wünsch, Konziliarismus und Polen. Personen, Politik und Programme aus Polen zur Verfassungsfrage der Kirche in der Zeit der mittelalterlichen Reformkonzilien, (Konziliengeschichte. Reihe B. Untersuchungen), München u. a.1998. 53 Franz Machilek, Die Frömmigkeit und die Krise des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Mediaevalia Bohemica. Ephimeris 3 (1970), S. 209–227; Heribert Müller, Die kirchliche Krise des Spätmittelalters. Schisma, Konziliarismus und Konzilien, (Enzyklopädie deutsche Geschichte, 90), München 2011. 54 Eva Dolezalová (Hrsg.), Ecclesia als Kommunikationsraum in Mitteleuropa: 13.– 16. Jahrhundert, (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 122), München u. a. 2011. Jan Papiór, Kulturkommunikation im Universitätsdreieck Kraków-Prag-Wien, in: ­Walter Engel/Norbert Honsza (Hrsg.), Kulturraum Schlesien. Ein europäisches Phänomen, Wrocław 2001, S. 201–220. 55 Fritz Peter Knapp/Jürgen Miethke/Manuela Niesner (Hrsg.), Schriften im Umkreis mitteleuropäischer Universitäten um 1400: Lateinische und volkssprachliche Texte aus Prag, Wien und Heidelberg: Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Wechselbeziehungen, (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance Series), Leiden/Boston 2004.

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kulturellen Zusammenhalts im transregionalen Kontext bietet Mitteleuropa ein Hauptfeld der Untersuchung von Beziehungen und Austauschvorgängen mit den Kerngebieten der devotio moderna weit nach Westen hinein bis hin zu den Wyclifiten. Ein möglicher Unterschied liegt meines Erachtens nach neben der Zeitversetztheit in der höfisch-landeskirchlich-universitären zentripetalen Verklammerung der böhmischen Verhältnisse gegenüber den zentrifugalen Zuständen der bürgerlichen Städtewelt des Handels und der Schulen wie multifokalen Orientierung in den Niederen Landen.

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Die Rezeptionsbedingungen der Devotio moderna in Spanien Martin Biersack

1. Die Rezeption nordischer Spiritualität gegen Ende des 15. Jahrhunderts Im 15. Jahrhundert richteten die Spanier ihren Blick zuerst nach Italien und nicht in den Norden. Kleriker und Juristen suchten ihre Studien an der berühmtesten Rechtsfakultät des Kontinents in Bologna zu vervollkommnen oder versprachen sich durch einen Aufenthalt an der Kurie in Rom eine einträgliche Pfründe. Einer von diesen Studenten war Antonio de Nebrija, der sich allerdings weder für eine Karriere in der Kirche, noch für ein Studium der Rechte interessiert hatte, sondern für die klassische Literatur, die studia humanitatis. Mit Nebrijas Rückkehr an die Universität von Salamanca beginnt in den 1470er-Jahren der Siegeszug des Humanismus an den spanischen Universitäten und Lateinschulen, wo bald zunehmend italienische oder in Italien ausgebildete Humanisten wirkten. Zu Beginn des 16.  Jahrhunderts stand der Humanismus in Spanien in vollster Blüte, und auch wenn der Weg zu einer einträglichen Pfründe oder einem hohen Amt in der königlichen Verwaltung nach wie vor das Studium der Rechte oder der Theologie voraussetzte, so wurde eine Ausbildung in den studia humanitatis für Kleriker, Juristen und sogar Mitglieder des Hochadels zu einer Selbstverständlichkeit.1 Aber nicht nur die Gelehrsamkeit, auch die Spiritualität erhielt wichtige Impulse aus Italien. Einer derjenigen, die hierbei als Kulturvermittler wirkten, war der Benediktiner García de Cisneros, Prior und schließlich Abt von Montserrat in Katalonien. Zwischen 1489 und 1490 lebte er für einige Monate in der Abtei von San Paolo fuori le mura in Rom. Dort konnte er die italienische Observantenbewegung kennenlernen und zudem das methodische Gebet, das seit 1440 in San Paolo praktiziert wurde. Als Grundlage hierfür diente Ludovico Barbos Tractado Formula Orationis et Meditationis, auf den sich Cisneros später in dem von ihm verfassten Exercitatorio de la vida espiritual bezog.2 1

Siehe allgemein zur Rolle Nebrijas in der Vermittlung des Humanismus: Francisco Rico, Nebrija frente a los Bárbaros, Salamanca 1978. 2 Otger Steggink, Iñigo de Loyola, el peregrino vasco de Montserrat, in: Miguel Norbert Ubarri; Lieve Behiels (Hrsg.), Fuentes nederlandesas de la mística española, Madrid 2005,

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Er hatte also eine gewisse Vorprägung  – man könnte sagen, sein Blick war schon geschärft für diese Art von Frömmigkeit und Spiritualität, als der Benediktiner im Jahr 1496 zusammen mit dem kastilischen Adligen Hernán Duque de Estrada von den Katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón zu einer diplomatischen Mission nach Frankreich gesandt wurde. In Paris lernte der spanische Abt am Collège Montaigu möglicherweise zwei wichtige Vertreter der Devotio moderna kennen, den Kirchenreformer Jan Standonck und den Windesheimer Augustiner-Chorherren Jan Mombaer. Zumindest zeigte sich Cisneros nach seiner Rückkehr aus Frankreich als Anhänger der Devotio moderna. Von seiner Reise brachte er bedeutende Werke von Autoren der nordischen Spiritualität und Mystik mit nach Montserrat. Um 1500 befanden sich u. a. Werke Mombaers, Zerbolts und Thomas von Kempens in der Bibliothek des Klosters.3 Einige von diesen Büchern gab Cisneros in Druck, nachdem er mit Johann Luschner 1498 einen deutschen Buchdrucker in das Kloster berufen hatte. So erschienen zwischen 1499 und 1500 der Tractatus de spiritualibus ascensionibus Gerhard Zerbolts und die Epistola excitativa ad spiritualem profectum – ein Jean Gerson zugeschriebenes Werk, das in Wirklichkeit auf Thomas von Kempen zurückgeht, sowie fünf Werke Bonaventuras.4 Cisneros verfasste schließlich mit dem Exercitatorio de la vida espiritual ein eigenes Handbuch für Meditation und mentales Gebet, das eine spirituelle Anthologie darstellt, für die ihm als Quellen unter anderen Zerbolts De spiritualibus ascensionibus und De reformatione virium animae, das Rosetum exercitiorum Mombaers, die Schriften Jean Gersons und – in geringerem Maße – auch Kempen dienten.5 Den Zweck des Exercitatorio beschreibt Cisneros im Prolog des Werkes: In diesem Buch, meine geliebten Mitbrüder, will ich beschreiben, wie der devote Mann, wenn er diese Übungen macht, vorgehen soll in den drei Wegen, dem purgativen, dem illuminativem und dem unitiven, und wie er durch bestimmte und genau festgelegte Übungen, je nach Wochentag, durch Meditation, Gebet und Kontemplation in geregelter Art und Weise das erwünschte Ziel erreichen kann, das die Vereinigung der Seele mit Gott ist.6

S. 71–79, S. 72. Der Aufsatz erschien auf Niederländisch in: Ons Geestelijk Erf 78 (2004), S. 184–193. 3 Cebriá Baraut, La bibliothèque ascétique de García de Cisneros, abbé de Montserrat (1493–1510), in: Studia Monastica 9 (1967), S. 327–339. 4 Steggink, Iñigo de Loyola, S. 73. 5 Steggink, Iñigo de Loyola, S. 74. 6 Übersetzt nach dem Zitat von Gerald Benkert, The spiritual legacy of García Jiménez de Cisneros, Abbot of Montserrat, in: The American Benedictine Review 38 (1987), S. 178–191, S. 185.

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Cisneros Exercitatorio ist das erste in Spanien verfasste Werk, das nachweislich von der mystischen Literatur der Devotio moderna beeinflusst wurde. Besondere Bedeutung bekam Cisneros Rezeption der nordischen Mystik aufgrund eines berühmten Gastes, der sich 1522 ins Kloster von Montserrat zurückgezogen hatte: Ignatius von Loyola. In Montserrat lernte der Gründer des Jesuitenordens die Schriften der Devotio moderna und auch das Schrifttum García de Cisneros kennen. Unter diesem Einfluss verfasste er schließlich seine eigenen Ejercicios espirituales, die zur Grundlage jesuitischer Spiritualität wurden.7 Der Einfluss der nordischen Mystik beschränkte sich nicht auf García de Cisneros und Ignacio de Loyola trotz der gemeinsamen Wurzeln von deutschniederländischer und spanischer Mystik in der franziskanischen Mystik und in Dionysos Areopagita, und obwohl in Sufismus, Raimund Llull und Antoni Canals auch autochtone iberische Traditionen wirkten, konnten für die großen spanischen Mystiker des 16. Jahrhunderts wie Teresa von Ávila oder Juan de la Cruz in direkter oder vermittelter Weise Einflüsse der nordischen Mystik nachgewiesen werden.8 Mystik hatte für die Devotio moderna zweifellos Bedeutung, allerdings geht man heute eher von einer zurückhaltenden Beziehung der Devoten zur Mystik aus. Der eigentliche Kern devoter Frömmigkeit liegt vielmehr in der Betonung persönlicher Tugend, in der Ausbildung eines Lebensstils, der den christlichen Idealen gemäß ist und in der Gemeinschaft gelebt wird. Für die Frömmigkeit der Devotio moderna kämen demnach den Vitae Christi mehr Bedeutung zu als den Schriften der Mystik.9

7

Gegen Regnerus R. Post, The Modern Devotion, Leiden 1968, S. 548, der die Eigenständigkeit Ignacio de Loyolas betont, führt Steggink überzeugend den Nachweis für die Abhängigkeit Loyolas vom spirituellen Klima in Montserrat und von den durch García de Cisneros vermittelten Autoren der Devotio moderna. Vgl. Steggink, Iñigo de Loyola, S. 75–76. 8 Helmut Hetzfeld, Estudios literarios sobre la mística española, Madrid 1955, S. 142; Teodoro Martín Hernández, Enrique Herp (Harphius) en las letras españolas, Ávila 1973; Pierre Groult, Los místicos de los Paises Bajos y la literatura espiritual española del siglo XVI, Madrid 1976; Jean Orcibal, San Juan de la Cruz y los místicos renano-flamencos, Salamanca 1987; Melquíades Andrés, Historia de la mística de la Edad de Oro en España y América, Madrid 1994, S. 205–210; Eulogio Pacho, Simiente neerlandesa en la espiritualidad clásica española, in: Fuentes nederlandesas, S. 17–70; Lieve Behiels, La terminología mística en las traducciones españolas de Ruusbroec, in: Lengua viva. Estudios ofrecidos a César Hernández Alonso, Valladolid 2008, S. 287–300. Siehe hierzu auch den Vergleich des mystischen Vokabulars in Devotio moderna, spanischer Mystik und Sufismus bei: Luce López-Baralt, El dinamismo místico en la cima del éxtasis de la „supraesencia del alma“ de Rusbroquio, el „corazón“ de San Juan de la Cruz y el Qalb de Ibn ‘Arabí, in: Fuentes nederlandesas, S. 81–112. 9 Detlef Metz, Gabriel Biel und die Mystik, Stuttgart 2001, S. 49–52.

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Zwei Leben Jesu aus der Tradition der Devotio moderna kamen etwa in der Zeit nach Spanien, als auch García de Cisneros die Schriften der nordischen Mystik dorthin brachte. Es handelt sich um die Vitae Christi Thomas von Kempens und Ludolf von Sachsens. Kempens Leben Jesu erschien zum ersten Mal als Imitació de Jesuchrist in der Übersetzung Miquel Péreç 1482 in Barcelona. Bald folgten auch kastilische Ausgaben in Saragossa 1490, in Sevilla 1493, in Burgos 1495 und in Toledo 1500. Die Vita Christi Ludolf von Sachsens, die als Lo quart del Cartoixà in der Übersetzung Joan Roís de Corella 1495 in Valencia publiziert wurde, übertrug Ambrosio de Montesinos ins Kastilische. Seine Übersetzung erschien 1502/3 erschien in Alcalá. Weitere Ausgaben folgten.10 Die ältere Forschung hat im Einfluss der Vitae Christi und dem von Cisneros betriebenen Transfer nordischer Mystik den Beginn einer Spiritualität in Spanien gesehen, die auf Innerlichkeit, dem Rückzug aus der Welt, der Neubestimmung des Verhältnisses zu Theologie und Wissenschaft, dem individuellen Gebet und der Meditation beruhte.11 Diese Hypothese ging Hand in Hand mit der Bedeutung, die Marcel Bataillon dem Einfluss Erasmus von Rotterdams auf die Entwicklung der spanischen Frömmigkeit seit den 1520er-Jahren zuschrieb.12 Eugenio Asensio war der erste, der gegen diesen Einfluss des Nordens auf ältere, schon seit dem 14. und 15. Jahrhundert in Spanien wirksame Erneuerungsprozesse innerhalb der Observaten der verschiedenen Orden verwies, die zu ähnlichen Ergebnisse führten, wie sie später in der Rezeption von Erasmus und der Devotio moderna wahrgenommen werden konnten.13 Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, inwieweit die Devotio mo­ derna – abgesehen von ihrem nachgewiesenen Einfluss auf die spanische Mystik – gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer Erneuerung religiösen Lebens in Spanien beitragen konnte, oder ob sie lediglich innerhalb einer schon fest verwurzelten religiösen Erneuerungsbewegung rezipiert wurde, ohne selbst noch neue Akzente setzen zu können. Die Vitae Christi Ludolfs von Sachsen und Thomas’ von Kempen trafen in Spanien jedenfalls auf ein bereits gut bestelltes Feld. Hier zirkulierten seit dem frühen 15. Jahrhundert die Medita10 Übersicht bei Groult, Los místicos de los Paises Bajos y la literatura espiritual española,

S. 80–94 und bei Albert G. Hauf, D’Eiximenis a sor Isabel de Villena. Aportació a l’estudi de la nostra cultura medieval, Valencia 1990, S. 44–49. 11 Heinrich Böhmer, Loyola und die deutsche Mystik, in: Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil. Hist. Klasse 73 (1921), S. 1–43, S. 7–8, S. 11–13, S. 40–42; Pierre Groult, Fuentes germánicas de la mística española, in: Arbor 48 (1961), S. 23–39, S. 31–32. 12 Marcel Bataillon, Érasme et l’Espagne. Recherches sur l’Histoire spirituelle du 16. Siècle, Paris 1937. 13 Eugenio Asensio, El erasmismo y las corrientes espirituales afines. Conversos, franciscanos, italianizantes, in: Revista de Filología Española 36 (1952), S. 31–99, S. 71–72.

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tiones Vitae Christi des Pseudo-Bonaventura.14 In Katalonien, wo die ersten Leben Jesu nordischer Herkunft übersetzt wurden, war die Vita Christi-Tradition am tiefsten verwurzelt. Am Beginn dieser Tradition steht Eiximenís Vita ­Christi, weshalb Eiximenis von Cebrià Baraut auch als Avantgarde der Vorläufer der ­Devotio moderna in Katalonien bezeichnet wird.15 Eiximenis wiederum war von dem ­Arbor vitae crucifixae Jesu Cristi des spirituellen Franziskaners Ubertino da ­Casale beeinflusst16, dessen Schriften zwar in den Observantenklöster Italiens und Spaniens weit verbreitet waren, weniger aber in Nordeuropa – mit einer entscheidenden Ausnahme: den Niederlanden.17 Statt also von einem direkten Einfluss der Vitae Christi aus der Tradition der Devotio moderna auf die spanische Spiritualität des späten 15. Jahrhunderts auszugehen, könnte vielmehr die Abhängigkeit von denselben Quellen, beispielsweise dem Werk Casales, zu einer vergleichbaren, aber sich zunächst nicht gegenseitig beeinflussenden Entwicklung in den Niederlanden und in Spanien geführt haben. Das gegen Ende des 15. Jahrhunderts schon vorhandene Interesse der spanischen Leserschaft an der Nachfolge Christi erklärt den Erfolg, den Landulf und Kempen auf dem spanischen Buchmarkt hatten. Dass aber gegen Ende des 15. Jahrhunderts eine Leserschaft in Spanien existierte, die die spirituelle Literatur des Nordens rezipieren konnte und wollte, ist Ergebnis eines längeren Prozesses von Reformbewegungen innerhalb der spanischen Kirche, der religiösen Orden und der Laien. Diese spätmittelalterlichen Reformbewegungen stellen den Kontext für die Rezeption der Devotio moderna um 1500 in Spanien dar. Ein bedeutendes Glied der spanischen Kirchenreform in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war der erste Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, der nicht nur vier Ausgaben der Vita Christi Casales besaß,18 sondern auch Eiximenis’ Vita Christi ins Kastilische übersetzte und 1496 in Granada publizierte. In ihm laufen viele der älteren Reformbewegungen zusammen und münden schließlich in das Interesse an der Devotio moderna, sodass anhand 14 Manuel de Castro; Álvaro Huerga; Melquíades Andrés, San Buenaventura, Madrid

1976, S. 22–27.

15 Cebrià Baraut, „L’Exercitatorio de la vida spiritual“ de García de Cisneros et el „Tractat

de contemplaciò“ de Francesc Eiximenis, in: Studia Monastica 2 (1960), S. 233–265, S. 264. Vgl. auch: Hauf, D’Eiximenis a sor Isabel de Villena, S. 44–49. 16 Vgl. hierzu Albert G. Hauf, La huella de Ubertino de Casale en el preerasmismo hispánico: El caso de Fra Francesc Eiximenis, O. F. M., in: Rafael Alemany et alii (Hrsg.), Actes del X Congrés Internacional de l’Associació Hispànica de Literatura Medieval, Alacant 2005, S. 93–135. 17 Stephen Mossman, Ubertino da Casale and the Devotio moderna, in: Ons Geestelijk Erf 80 (2009), S. 199–280, S. 199. 18 Quintin Aldea Vaquero, Hernando de Talavera, su testamento y su biblioteca, in: Homenaje a fray Justo Pérez de Urbel, Bd. 1, (Studia Silesia), Silos 1976, S. 513–547, Eintrag 143 und Eintrag 181.

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von Leben und Wirken Talaveras die Rezeptionsbedingungen für die Aufnahme der Devotio moderna um 1500 in Spanien dargelegt werden können.

2. Hernando de Talavera und die Kirchenreform in Kastilien 2.1 Die Person Talavera wurde 1428 geboren, und zwar – wie Hernán Duque, der Begleiter García de Cisneros auf seiner Mission nach Frankreich – in Talavera de la Reina in Neukastilien. Seine Familie stammte von konvertierten Juden ab, was ihm gegen Ende seines Lebens – im Jahr 1506 – ein ernsthaftes Problem mit der Inquisition eintrug. Mit schon fünf Jahren begann Talavera in seiner Heimatstadt Latein zu lernen. Unklar ist, was den jungen Talavera nach Katalonien führte, aber im Jahr 1442 ist er als Schüler der Kalligraphie von Vicente Panyella in Barcelona greifbar. Von dort ging er an die Universität von Salamanca, wo er Theologie studierte und später Moralphilosophie lehrte. Trotz der guten Aussichten auf eine universitäre Laufbahn entschied sich Talavera im Jahr 1466, der Welt den Rücken zu kehren und im Kloster San Leonardo von Alba de Tormes dem Hieronymusorden beizutreten. Bereits vier Jahre später wurde er Prior des Klosters El Prado bei Valladolid. Talaveras Ruf als Prediger und Seelsorger drang bis an den Königshof. Isabella von Kastilien ernannte ihn um die Mitte der 1470er-Jahre zu ihrem Beichtvater, wodurch Talavera zu einem der einflussreichsten Männer am Hof wurde. Er war einer der politischen Entscheidungsträger am Konzil von Sevilla im Jahr 1478, auf dem das Verhältnis zwischen Krone, kastilischer Kirche und Papsttum geregelt wurde. 1480 prägte er auf den Cortes von Toledo das politische Reformprogramm des Königreiches, wo es ihm gelang, die Restituierung des entfremdeten Königsgutes gegen den Adel durchzusetzen. 1483 wurde Talavera Administrator des Bistums Salamanca und 1485 Bischof von Ávila. Während des Krieges gegen Granada lag die Verantwortung für die Kriegsfinanzierung und den Verkauf der Kreuzzugsbullen in seinen Händen. Geschätzt für seine Kenntnisse in Kosmographie wurde er auch damit beauftragt, in die Verhandlungen mit Kolumbus zu intervenieren. Schließlich wurde er 1492 zum ersten Erzbischof des neueroberten Granada, wo er 1507 starb.19

19 Die biographisch-bibliographische Übersicht neuesten Datums zu Talavera findet sich bei:

Miguel Ángel Ladero Quesada, Fray Hernando de Talavera en 1492: de la corte a la misión, in: Chronica Nova 34 (2008), S. 249–275.

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2.2 Frühhumanismus und Scholastik Hernando de Talavera war wahrscheinlich mit dem Haus der Grafen von Oropesa verwandt, zumindest ermöglichte ihm der Señor de Oropesa ein Studium an der Universität von Salamanca. Im Auftrag seines Gönners übersetzte Talavera Petrarcas Invectiva contra medicum und markierte damit den Beginn der volkssprachlichen Präsenz Petrarcas in Kastilien.20 Die Invectiva ist eine Streitschrift, mit der Petrarca die Poesie und die Redekunst gegenüber der Medizin und der Dialektik verteidigte. Der Adel schätzte bekanntlich die Poesie, und es konnte durchaus im Interesse des Señors de Oropesa gewesen sein, ein Werk wie die Invectiva zur Hand zu haben, um seine poetischen Interessen gegenüber rigoristischen Positionen zu verteidigen, wie sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einflussreichen Klerikern wie Alonso de Cartagena, dem Bischof von Burgos, vertreten wurden. Cartagena war ein Feind der klassischen Poesie und versuchte diese vor allem aufgrund ihres paganen Gehalts zu bekämpfen.21 An der Universität studierte Talavera scholastische Philosophie und Theologie. Seit den Universitätsreformen Martin V. gehörte Aristoteles’ Ethik zum Pflichtprogramm eines jeden Studenten der Artes.22 In der Theologie kam Talavera unter dem Einfluss seines Lehrers Pedro de Osma mit dem Werk Thomas von Aquins in Kontakt. Osma war dazu übergegangen, seinen Stundenten nicht mehr Kommentare und Summen zu bieten, sondern sie zur Lektüre der Autoren selbst anzuleiten.23 Talavera dürfte Thomas also tatsächlich gelesen haben. In seiner Bibliothek waren die Werke des Dominikaners zahlreich vertreten.24 Die Autorität Thomas von Aquins stand für Talavera außer Zweifel. Als er einmal um Auskunft bezüglich der Frage nach der Kelchkommunion gebeten wurde, lehnte es Talavera ab, dieses Problem zu erörtern. Vielmehr wollte er sich in Demut auf den Glauben der Kirche und die Lehre des Heiligen Thomas’ beschränken, denn dies sei genug, um selig zu werden.25 Der Thomismus ist auf den ersten Blick ohne erkennbaren Zusammenhang mit der religiösen Erneuerungsbewegung in Spanien um 1500. Doch mögli20 Francesco Petrarca; Hernando de Talavera (Übersetzer), Invectivas o reprehensiones

contra el médico rudo y parlero, hg. v. Isabella Scoma, Messina 2000, S. 8 und Prolog.

21 Zum Beispiel in seinem Brief an den Condestable de Castilla. Siehe: Jeremy Lawrance,

Un tratado de Alonso de Cartagena, Barcelona 1979, S. 47–52.

22 Carlos Heusch, El Renacimiento del aristotelismo dentro del humanismo español, in:

Atalaya 7 (1996), S. 11–40, S. 14–15.

23 José Labajos Alonso (Hg.), Pedro de Osma. Comentario a la Ética de Aristóteles, Sala-

manca 1996, S. 30–36.

24 Vgl. die Einträge bei Aldea Vaquero, Hernando de Talavera, su testamento y su biblio-

teca, S. 513–547.

25 Hernando de Talavera, Libro que trata de los sacratissimos misterios de la Missa llama-

do Memoria de nuestra redempcion, Sevilla: Juan Cromberger, 1538, fol. 51v.

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cherweise liegt in der thomistischen Lehre der Dominikaner von San Esteban in Salamanca eine bislang nicht berücksichtigte Quelle für die reformatorischen Ansätze innerhalb der spanischen Kirche. Ihre katechetischen Bemühungen im Laufe des 15. Jahrhunderts könnten zumindest auf Thomas zurückweisen, der der Überzeugung war, dass jeder Christ über die elementaren Regeln seines Glaubens verfügen müsse. Den Prälaten war es dabei aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die ihnen anvertrauten Christen die Möglichkeit bekamen, diese zu lernen  – eine Maßgabe, die Talavera in seinen Schriften, aber auch in seinem praktischen Handeln überaus ernst nahm. In Salamanca besetzte Talavera in den 1460er-Jahren den Lehrstuhl für Moralphilosophie, den vor ihm sein Lehrer Pedro de Osma innegehabt hatte. Anstatt jedoch den Weg der Wissenschaften weiterzugehen, entsagte Talavera im Jahr 1466 seinem Amt und der Welt, um Mönch zu werden. Die monastische Reformbewegung prägte Talaveras Persönlichkeit zutiefst, wobei es nicht nur die Hieronymiten, sondern vor allem die franziskanische Observanz war, die Einfluss auf ihn ausübte.

2.3 Die Observantenbewegung Die franziskanische Observanz entfaltete ihre Wirksamkeit auf der iberischen Halbinsel zu Beginn des 15.  Jahrhunderts. Schon vor dem Jahr 1413 wurde auf der Kapitelversammlung in Cuenca beschlossen, dass es in jeder Kustodie der Ordensprovinz Kastilien zumindest ein Kloster geben sollte, in dem die Mönche gemäß der Regel und den Traditionen des Heiligen Franz leben sollten und diese Regel strikt zu befolgen hatten. Eine große Anzahl von Klöstern ging in der Folge zur Observanz über, ohne dass es dadurch allerdings zu einem Bruch innerhalb des Franziskanerordens gekommen wäre. Vielmehr wünschten die kastilischen Observanten, dem Ordensgeneral und dem Provinzial unterstellt zu bleiben. Ähnlich verlief die Entwicklung in Aragón, wo es um das Jahr 1425 bereits vier Observantenklöster gab. Als programmatisch für die frühen Observanten in Spanien kann das Memorial de Vita y Ritus von Lope de Salinas y Salazar angesehen werden. Das im Jahr 1461 niedergeschrieben Werk gibt die Lebensregeln wieder, die Pedro de Villacreces den kastilischen Observanten gab. Villacreces war Doktor für Theologie der Universität von Salamanca, wo er als Professor lehrte. 1413 ernannt ihn Papst Benedikt XIII. zum Haupt des reformierten Hauses von Sahagun. Aufgrund seines großen Einflusses auf die kastilische Observantenbewegung begann man von der Recollectio Villacretiana zu sprechen. Eine Abordnung von Mönchen, die Villacreces zum Konzil von Konstanz schickte, sollte schließlich eine offizielle Anerkennung seiner Regeln erhalten. Villacreces starb im Jahr

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1418.26 Seine Regeln beinhalteten nach Salinas y Salazar Armut, Messe, Gebet, Gehorsam, Keuschheit, Demut, körperliche Arbeit, Beispielhaftigkeit, Nächstenliebe, Abstinenz, Stille, Kleidung, Klausur, Essen, Nachtwachen und Konfession.27 Die Bildung gehörte nicht zum primären Interesse der franziskanischen Observanten. Sie war aber insofern bedeutsam, als sie für die seelsorgerische Aktivität, vor allem die Predigt, notwendig war.28 Nun war Talavera nicht Franziskaner, sondern Hieronymit. Der Hieronymusorden, der in den Kontext der spätmittelalterlichen Eremiten- und Armutsbewegung gehört, war von Pedro Fernández de Pecha gegründet und im Jahr 1373 durch Papst Gregor XI bestätigt worden.29 Ohne dass eine Beeinflussung vorliegen dürfte, sind Ähnlichkeiten der hieronymitischen Spiritualität mit der Devotio moderna augenfällig, auf die bereits Américo Castro verwiesen hat.30 Das Ordensleben war am Ideal des Eremitentums ihres Namenspatrons, des Heiligen Hieronymus, orientiert und hatte seinen Mittelpunkt in Liturgie und Lob Gottes. Bildung hatte innerhalb des Ordens einen funktionalen Wert, denn um die Bibel und andere devote Schriften lesen zu können, bedurften die Mönche einer grundlegenden literarischen Bildung. Neben der Liturgie wurden von den Hieronymiten auch manuelle Tätigkeiten geschätzt, denn weniges war im Ordensleben so verpönt wie der Müßiggang und die Untätigkeit. Waren die Stunden nicht mit dem Lob Gottes oder einer körperlichen Arbeit ausgefüllt, so konnten sich die Mönche auch der devoten Lektüre widmen, um ihre Zeit sinnvoll zu füllen. Empfohlen waren ihnen Werke der Imitatio Christi, die Lektüre der Bibel, die Kirchenväter und spirituelle Werke Bernhards, Bonaventuras, Vincente Ferrers oder die Soliloquios ihres Ordensgründers Pedro Fernández Pecha, die unter anderem von Hugo von St. Viktor inspiriert waren.31 Dabei legten die Hieronymiten Wert auf ein völlig unprätentiöses erscheinen ihrer Bildung. Sie war wichtig, um Werke devoter Natur zu lesen; sie sollte aber weder unnütz zur Schau gestellt, noch um ihrer selbst Willen angestrebt werden. Eine Folge dieses demütigen, der akademischen Gelehrsamkeit kritisch gegen26 Raphael M. Huber, A documented history of the Franciscan Order. 1182–1517, Milwaukee

1944, S. 310–318.

27 Fidel de Lejarza; Ángel Uribe, Espiritualidad de la reforma villacreciana, in: Archivo

Ibero-Americano 17 (1957), S. 623–660.

28 Kaspar Elm, Die Franziskanerobservanz als Bildungsreform, in: Hartmut Boockmann et

alii (Hrsg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 1989, S. 201–213, S. 204–211. 29 Zur Ordensgeschichte der ersten Jahre siehe: Josemaría Revuelta Somalos, Los Jerónimos. Fundación y primera expansión (1373–1414), Guadalajara 1982. 30 Américo Castro, Lo hispánico y el erasmismo, in: Revista de Filología Española 4 (1942), S. 1–34, S. 13–14. 31 Baldomero Jiménez Duque, Fuentes de la espiritualidad jerónima, in: Studia Hieronymiana, Bd. 1, Madrid 1973, S. 107–121, S. 115–119.

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übertretenden Zugangs zum Wissen war, dass die Mönche, sobald sie ins Kloster eintraten, alle akademischen Grade ablegten bzw. diese nur noch in juristischen Angelegenheiten zu führen pflegten. Unmöglich war es einem Hieronymiten – so Fray Pedro de Sigüenza, der erste Chronist des Ordens – innerhalb des Ordens graduiert zu werden.32 Talavera dürfte auch mit der Observantenbewegung innerhalb des Benediktinerordens, namentlich mit García de Cisneros, in Kontakt gestanden haben. El Prado bei Valladolid, wo Talavera seit 1470 Prior war, stand in unmittelbarer Nachbarschaft zu San Benito, von wo aus die Reform des Benediktinerordens in Spanien ihren Ausgang genommen hatte. García de Cisneros war Mönch in San Benito gewesen, ehe er von den Katholischen Königen zur Reform des Klosters von Montserrat berufen wurde. Neben Franziskanern, Benediktiner und Hieronymiten hatten auch die Dominikaner Anteil an der spanischen Reformbewegung. Für Talavera selbst könnte der Orden durch das Colegio de San Esteban an der Universität von Salamanca bedeutsam gewesen sein. In San Esteban wurde seit dem 14. Jahrhundert Thomas von Aquin gelesen und gelehrt,33 sodass Talavera dort vom Thomismus beeinflusst worden sein könnte, der die Grundlage für seine theologischen Überzeugungen darstellt. Thomas von Aquin war für Talavera auch einer der Impulse, den Klerus zu reformieren. Ignoranz war nach der Lehre des Dominikaners in gewissen Fällen ein sündhaftes Vergehen. Dies betraf nicht komplexe theologische Fragen, wohl aber die elementaren Regeln des christlichen Lebens und das Wissen, das nötig war, den eigenen Beruf auszuüben.34 Der Klerus stand nun in der besonderen Pflicht, seine ihm anvertrauten Schafe mit dem notwendigen Wissen zu versorgen. War nun aber Nichtwissen bei einem einfachen Laien schon Sünde, so war es dies umso mehr bei einem Priester, dem die Pflege des religiösen Wissens anderer anvertraut war. Ein Minimum an Bildung für die Priester war allein schon deshalb notwendig, damit sie ihre vornehmste Pflicht, die Predigt, erfüllen konnten.35 Dagegen sah Talavera die curiositas – das mehr wissen wollen, als einem zusteht – als Sünde an.36 32 José de Sigüenza, Historia de la Orden de San Jerónimo, Bd. 1, (Nueva Biblioteca de Au-

tores Españoles, 12), Madrid 1909, S. 305.

33 Carlos Heusch, El Renacimiento del aristotelismo, S. 12. 34 Klaus Hedwig, Agere ex ignorantia. Über die Unwissenheit im praktischen Wissen bei

Thomas von Aquin, in: Ingrid Craemer-Ruegenberg; Andreas Speer (Hrsg.), Scientia und Ars im Hoch- und Spätmittelalter. Festschrift für A. Zimmermann, Berlin 1994, S. 482– 498, S. 492–494. 35 Hernando de Talavera (Übersetzer und Kommentator), Francesc Eiximenis, Vida de Jesucrist por Fr. Hernando de Talavera, Granada: Ungut; Nuremberga, 1496, fol. 212v. 36 Hernando de Talavera, Breve e muy provechosa doctrina de lo que deve saber todo cristiano con otros tractados muy provechosos, hg. v. Miguel Mir, Escritores místicos españoles, Bd. 1, (Nueva Biblioteca de Autores Españoles, 16), Madrid 1911, S. 1–103, S. 58.

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Neben der Lehre im Thomismus spielten die Dominikaner auch eine bedeutende Rolle in der Verbreitung der Schriften ihres Mitbruders Girolamo Savonarola in Spanien.37 Talavera besaß in seiner Bibliothek allerdings keines von Savonarolas Werken.

2.4 Der Einfluss der Katholischen Könige Durch seine Position am Hof und in den Institutionen der kastilischen Kirche wurde Talavera zu einer Schlüsselfigur für die spanische Kirchenreform gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Am Hof scharte er eine Reihe von jungen Klerikern um sich, die für spätere Aufgaben im Dienste der Krone und der Kirche das notwendige administrative Handwerkszeug, vor allem aber auch ethische Vollkommenheit lernen sollten. Als Institution für diese Art von Reform durch persönliche Bildung diente Talavera und den Königen die königliche Hofkapelle. Kleriker, die dort – sei es zunächst als Chorknaben oder später als Kapläne – geistig und intellektuell geformt wurden, sollten ihr Wissen und ihre exemplarische Lebensart im ganzen Königreich verbreiten. Dies war möglich, da sich aus dem Personal der Hofkapelle ein Teil der Kleriker rekrutierte, mit dem die Könige Domkapitel und Bischofsstühle in ihrem Land besetzten. Ein an der Hofkapelle geformter Kleriker konnte dort quasi als Multiplikator das Reformprogramm der Könige weitertragen. Es waren allerdings nicht nur die Katholischen Könige, die sich der Hofkapelle für ihre Zwecke bedienten. Umgekehrt wirkten die Kapläne auch auf die Könige, vor allem dann, wenn sie als Räte, Prediger und besonders als Beichtväter Zugang bis in das königliche Gewissen bekamen, wodurch sie deutlich Einfluss auf die Könige ausüben konnten.38 Aus dieser Wechselwirkung zwischen reformorientierten Beichtvätern am Königshof – neben dem Hieronymiten Talavera wirkten am Hof auch der Franziskaner und spätere Erzbischof von Toledo, Francisco de Cisneros, und der Dominikaner Diego de Deza, später Erzbischof von Sevilla – lässt sich erklären, warum die Kirchenreform im Spanien der Katholischen Könige nicht eine von Laien oder religiösen Orden, sondern vor allem eine von der Krone vorangetriebene Aufgabe wurde.

37 Júlia Benavent, Fray Girolamo Savonarola en España, in: Donald Weinstein (Hrsg.), La

figura di Jerónimo Savonarola O. P. y su influencia en España y Europa, Florenz 2004, S.  281–294; Vicente Beltrán de Heredia, Las corrientes de espiritualidad entre los Domínicos de Castilla durante la primera mitad del siglo XVI, Salamanca 1941, S. 6–17. 38 José Manuel Nieto Soria, La Capilla real castellano-leonesa en el siglo XV: constituciones, nombramientos y quitaciones, in: Archivos Leoneses 43 (1989), S. 7–54, S. 8.

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1478 versammelte sich auf Initiative der Könige und unter maßgeblicher Mitwirkung Talaveras das schon erwähnte Konzil in Sevilla. Talavera forderte dort im Name Isabellas und Ferdinands die kastilische Kirche zur Erneuerung auf.39 Die in Sevilla versammelten Kleriker erkannten nicht nur die Notwendigkeit zur Reform an, sondern auch die Führungsrolle der Könige bei deren Umsetzung. Die Maßnahmen, die beschlossen wurden, betrafen den Ausschluss von Ausländern bei der Besetzung von Pfründen und das Bestreben, einen vorbildlichen Klerus zu schaffen, der den Maßgaben seines Amtes entsprach. Fragen der klerikalen Bildung wurden auf dem Konzil nicht besprochen, obwohl diese zu den Eckpunkten der Kirchenreformbemühungen gehörten. Versuche, die Ausbildung nicht nur der Bischöfe und Domherren, sondern auch des niederen Klerus zu verbessern, waren seit dem 13. Jahrhundert Gegenstand der spanischen Synoden und Konzile gewesen.40 Da aber das Konzil von Sevilla nicht mehr als nur das e­ rste einer Reihe von Reformkonzilien darstellen sollte, blieb die Frage der Bildung einem weiteren Konzil vorbehalten – welches dann allerdings nicht mehr in der vorgesehenen Weise stattfand.41 Isabella und Ferdinand hatten aber bereits im Jahr 1475 mit der Annahme des sogenannten Acuerdo para la gobernación del reino dafür gesorgt, ein Mindestmaß an Bildung für den höheren Klerus zu garantieren, indem nun festgeschrieben wurde, dass kirchliche Würden nur noch an Universitätsabsolventen zu vergeben waren.42 Akademische Bildung und Residenzpflicht sollten somit seit Ende des 15. Jahrhunderts zu den Voraussetzungen für den Eintritt in ein Domkapitel gehören. Der Weg dorthin führte über die Universität, weshalb es den Königen unverzichtbar war, die wichtigste Einrichtung für die Ausbildung von Klerikern auf der iberischen Halbinsel, die Universität von Salamanca, zu reformieren. Sie taten dies zum einen durch einen persönlichen Besuch und zum anderen durch die Entsendung von Visitatoren. So schickte Ferdinand der Katholische im Jahr 1512 den Talaveraschüler Diego Ramírez de Villaescusa nach Salamanca, der während seiner Visitation den Studenten die Lektüre des Heiligen Thomas verbindlich vorschrieb. Selbst in die Vergabe akademischer Grade griffen die Könige 1480

39 Fidel Fernández Fita, Concilios españoles inéditos: provincial de Braga en 1261 y naci-

onal en Sevilla 1478, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 22 (1893), S. 209–257, S. 221. 40 Ana Arranz Guzmán, La cultura en el bajo clero: Una primera aproximación, in: Anuario de Estudios Medievales 21 (1991), S. 591–605, S. 594–597. 41 Zum Konzil von Sevilla: Francisco Javier Villalba Ruiz de Toledo, Aproximación al Concilio nacional de Sevilla de 1478, in: Cuadernos de Historia Medieval 6 (1984), S. 9–37. 42 Tarcisio de Azcona, La elección y reforma del episcopado español en tiempo de los Reyes Católicos, Madrid 1960, S. 96.

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ein, indem sie deren Legitimierung durch den königlichen Rat von Kastilien forderten.43 Daneben intervenierten die Könige auch in die Reform der Orden. Zu diesem Zweck bemühten sie sich in Rom um eine päpstliche Bulle, die königliche Eingriffe in das Ordensleben autorisierte. Die Reform selbst legten sie dann in die Hand von Prälaten, die der Observanz angehörten, wie den Franziskaner Jiménez de Cisneros, den Dominikaner Deza oder den Benediktiner García de Cisneros. Beispielhaft hierfür ist die schon erwähnte Ernennung García de Cisneros zum Reformer des Klosters von Montserrat.44

2.5 Die Bischöfe Neben den Königen waren es auch kirchliche Institutionen selbst, die seit dem letzten Drittel des 15.  Jahrhunderts Reformvorhaben angingen. Ziel war es in ­einem ersten Schritt, den Klerus zu bilden und zu reformieren, damit dieser in einem zweiten Schritt die christliche Lebensnorm bei den Laien durchsetzen konnte. Die Bereitschaft der kirchlichen Institutionen zur Reform ergab sich allein dadurch, dass viele Bischofsstühle durch den Einfluss der Könige bei der Bischofsernennung an Mönche gingen, die der Kirchenreform verpflichtet waren. Größere Bedeutung als Talavera erlangte hierbei Francisco de Cisneros, der zunächst Nachfolger Talaveras als Beichtvater der Königin wurde, ehe er zum Erzbischof von Toledo aufstieg. Mit wenig Erfolg machte er sich daran, den Lebenswandel seines Domkapitels dem anzupassen, was seiner Meinung nach ihrem Amt zukam. Zukunftsweisend war dagegen die Gründung der Universität von Alcalá, an der Kleriker aus ganz Spanien intellektuell und moralisch für ihre Aufgaben vorbereitet wurden. Bezeichnenderweise konnte man in Alcalá nicht Jura studieren, da Cisneros eine von weltlichen Ambitionen freie Universität errichten wollte. Von Alcalá aus sollten die Kleriker in die Domkapitel der ganzen iberischen Halbinsel eintreten und dort zur Verbreitung von Bildung und Reform beitragen.45 Leichter als Cisneros mit der Reform der Diözese Toledo hatte es Talavera, als er 1492 zum Erzbischof Granadas wurde. 1486 war es den Königen mit dem Regio patronato gelungen, vom Papst die Vollmacht zu erhalten, Bischöfe und 43 Richard L Kagan, Students and Society in Early Modern Spain, Baltimore 1974, S. 72; Ste-

phen Gilman, The Spain of Fernando de Rojas, Princeton 1972, S. 305; Manuel Fernández Álvarez, La reforma universitaria, in: Studia Histórica. Historia Moderna 2 (1984), S. 21–46. 44 José García Oro, La reforma de los religiosos españoles en tiempo de los Reyes Católicos, Valladolid 1969, S. 31–44. 45 Marcel Bataillon, Erasmo y España, Madrid 1950, S. 10–21.

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kirchliche Würden in den neu eroberten Gebieten – man dachte an Granada und noch nicht an Amerika – selbst zu ernennen. Die Diözese von Granada sollte eine exemplarische Kirche werden, für deren Errichtung Talavera am Hof Kleriker auswählte und vorbereitete. In Granada standen ihm Blankourkunden zur Verfügung, mit denen er im Namen der Könige das ihm gemäße Personal auswählen konnte. Adel sollte im Domkapitel von Granada keine Rolle mehr spielen, denn Talavera legte auf Bildung und eine exemplarische Lebensführung wert.46 Sein Haus in Granada wurde ähnlich wie die Hofkapelle bewusst als Instrument zur Bildung von Priestern und Schülern eingesetzt. Am Tisch des Erzbischofs trafen sich die Kleriker der Diözese. Begleitet wurde das gemeinsame Essen von der Lektüre aus der Bibel, woraufhin es häufig zu einem gelehrten Austausch über die gelesenen Passagen kam. Der Chronist Bermúdez de Pedraza schrieb zu Beginn des 17. Jahrhunderts über den Hof des Erzbischof, dieser sei das Studienkolleg seiner Zeit gewesen, in dem Kinder der großen Herren Kastiliens wie an einer apostolischen Schule erzogen wurden, sodass zahlreiche große Prälaten aus dem Haus Talaveras hervorgingen.47 Über 200 Schüler beherbergte Talavera dem Urteil Bermúdez de Pedrazas zufolge in seinem Haus.48 Talavera förderte auch die Lektüre. Damit sich seine Schüler selbständig weiterbilden konnten, unterhielt Talavera eine Bibliothek in seinem Haus, aus der man Bücher ausleihen konnte.49 Er selbst war in Barcelona in die Lehre bei einem Schreiber gegangen. Vielleicht auch deshalb galten ihm Lesen und Schreiben als die hervorragendsten Tätigkeiten, um den Geist zu beschäftigen und dem Müßiggang vorzubeugen. Untätigkeit war dem Erzbischof ein Dorn im Auge, weshalb er vor allem die Kinder und Jugendlichen, die er in seinem Haus beherbergte, zur Lektüre anspornte. Dem Domherrn Francisco de Madrid, der von einer schweren Krankheit betroffen war, empfahl Talavera ganz im Geiste von Petrarcas Invectiva contra medicum die Übersetzung eines anderen Werkes Petrarcas, der Vita solitaria. Von dieser Tätigkeit versprach Talavera dem Kranken zwar keine Genesung, wohl aber eine Linderung seiner seelischen Leiden, seiner Schwermut.50 46 Alonso Fernández de Madrid, Vida de Fray Fernando de Talavera, primer arzobispo

de Granada. Edición, estudio y notas por Félix González Olmedo, Madrid 1931, hg. v. Francisco Javier Martínez Medina, Granada 1991, S. 82. 47 Francisco Bermúdez de Pedraza, Historia eclesiástica de Granada, Faksimileausgabe der Ausgabe Granada 1638, Granada 1989, fol. 207v. 48 Francisco Bermúdez de Pedraza, Antigüedad y excelencias de Granada, Faksimileausgabe der Ausgabe Madrid 1608, Granada 1981, fol. 91r. 49 Bermúdez, Historia eclesiástica, fol. 187r. 50 Francisco de Madrid, De los remedios contra próspera y adversa fortuna, Valladolid: Diego de Gumiel, 1510. Siehe hierzu: Peter Russel, Francisco de Madrid y su traducción del De remediis de Petrarca, in: Andrés Soria; Antonio Gallego Morell; Nicolás Marín (Hrsg.), Estudios sobre literatura y arte dedicados al profesor Emilio Orozco Díaz, Bd. 3, Granada 1979, S. 203–220.

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Neben seinem eigenen Haus sorgte Talavera auch für die Einrichtung einer Kathedralenschule, eines Priesterseminars und für die Gründung von Elementarschulen an allen Pfarrkirchen. Diese besuchte er regelmäßig, um sicherzustellen, dass die Lehrer die religiösen Materien in gebotener Weise lehrten. Verboten waren ihnen unnütze mythologische Fabeln, deren Gebrauch Talavera nicht nur im Unterricht, sondern auch in der Predigt verbot.51 Neben den Bildungsinstitutionen bediente sich der Erzbischof auch des Buchdrucks für die Verbreitung von Ethik und Katechese. Auf seine Initiative hin waren die ersten Drucker von Sevilla nach Granada gekommen. Diese druckten fast ausschließlich in spanischer und arabischer Sprache, denn Talavera wollte, dass sein Kirchenvolk die kirchlichen Rituale, moralischen Vorschriften und den Inhalt der Heilsbotschaft verstünde. So erschienen in Granada nicht nur sein Leben Jesu und die Doctrina cristiana – ein umfangreicher Katechismus auf Spanisch –, sondern auch ein kurzer arabischer Katechismus, der eine Übersetzung des Credos, des Ave Marias und des Vater Unsers beinhaltete.52 Spanische Übersetzungen religiöser Werke und die Instrumentalisierung des Buchdrucks zur Verbreitung erbaulicher Schriften waren ein allgemeiner Zug der Kirchen- und Bildungsreform gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Spanien. Auch die Katholischen Könige erkannten die Bedeutung der gedruckten Bücher und erhoben keine Abgaben darauf. Wie Talavera so betrieb auch García de Cisneros die schon erwähnte Druckerei in Montserrat. Der Erzbischof von Toledo berief Drucker nach Alcalá, wo nicht nur Schriften Savonarolas, sondern auch eine Übersetzung der Vita Christi Ludolfs von Sachsen erschien.53 Talavera und Cisneros sind nicht die einzigen aus der Observantenbewegung hervorgegangenen spanischen Bischöfe, die um das Jahr 1500 als Kirchenreformer in Erscheinung traten, wohl aber die Bedeutendsten. Um neben einem Hieronymiten und einem Franziskaner auch einen Dominikaner zu berücksichtigen, sei auf Fray Diego de Deza verwiesen. Deza ist nicht als Reformer in die Geschichte eingegangen, sondern als Generalinquisitor und Nachfolger des berüchtigten Torquemada. 1506 wurde ihm sein Amt durch König Ferdinand entzogen, da die Vorwürfe gegen ihn und seine grausamen Methoden überhand genommen hatten. Deza war zu diesem Zeitpunkt bereits Erzbischof von Sevilla und damit Haupt der nach Toledo reichsten Diözese der kastilischen Krone.

51 Jerónimo de Madrid, Breve summa de la santa vida de fray Hernando de Talavera, BNE,

Mss 2042, S. 40. Siehe auch: Fernández de Madrid, Vida, S. 79.

52 Alfredo Vílchez Díaz, Primeros pasos. El siglo XVI, in: Cristina Pelegrín Pardo; Cristina

Viñes Millet; Antonio Gallego Morell (Hrsg.), La Imprenta en Granada, Granada 1997, S. 21–42, S. 22–24. 53 José García Oro, El Cardinal Cisneros. Vida y empresas, Bd. 1, Madrid 1992, S. 247.

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Als Kirchenreformer trat er mit einem Projekt in Erscheinung, das ohne Zusammenhang mit der spirituellen Erneuerungsbewegung Spaniens um 1500 steht: In Sevilla gründete er das Colegio de Santo Tomás, an dem die Lektüre Thomas von Aquins verbindlich vorgeschrieben war, während der Nominalismus explizit verboten wurde.54 Der Dominikaner war am Colegio von San Esteban in Salamanca selbst im Thomismus geschult worden und hatte später als Universitätslehrer sowie als Lehrer des Thronfolgers Prinz Juan pädagogisch gewirkt.55 In einer Zeit, in der der Humanismus seinen Platz an den Universitäten und Lateinschulen gefunden hatte und in dessen Folge platonische und aristotelische Philosophie anhand ihrer Quellen studiert wurden, in der zudem der Nominalismus als Neuerung von der Pariser Universität kommend in Salamanca und Alcalá Einzug gehalten hatte, wollte Deza offensichtlich die Bedeutung der thomistischen Lehre in der Ausbildung des klerikalen Nachwuchses bewahrt wissen. Für die zeitgleiche Gründung der Universität Sevilla war allerdings nicht Deza, sondern der Sevillaner Domherr Rodrigo Fernández de Santaella verantwortlich. Gegenüber Papst Julius II. begründete er 1505 sein Projekt damit, wie notwendig es sei, den armen Gemeindemitgliedern die Möglichkeit zu geben, Kleriker zu werden, auch wenn sie sich das Studium in einer anderen Stadt nicht finanzieren könnten. Außerdem sei es ein Vorteil, wenn der Klerus nicht mehr gezwungen wäre, die eigene Heimatstadt zum Studium zu verlassen.56

2.6 Talavera und die Devotio moderna Ein direkter Zugriff Hernando de Talaveras auf einen Text der Devotio moderna lässt sich an drei Stellen nachweisen: In einem Brief Isabellas an ihren früheren Beichtvater bestätigt die Königin, aus den Händen des Erzbischofs seine Arbeit zu einem Werk Ludolfs von Sachsen erhalten zu haben, der den Beinamen Cartusiano trug. Unklar bleibt dabei, ob Talavera neben einer Übersetzung Eiximenis’ auch Ludolfs Vita Christi bearbeitete?57 Des Weiteren besaß Talavera zwei Werke in seiner Bibliothek, die der Devotio moderna zugerechnet werden können. Ein-

54 Enrique de la Cuadra y Gibaja, Historia del Colegio Mayor de Santo Tomás de Sevilla,

Sevilla 1890, S. 93–94.

55 Armando Cotarelo y Valledor, Fray Diego de Deza, Madrid 1905, S. 74. 56 José Antonio Ollero Pina, La Universidad de Sevilla en los siglos XVI y XVII, Sevilla

1993, S. 38–39.

57 „Muy reuerendo justo padre arçobispo con Pedro de Logroño reçibi vuestra letra y lo del

Cartujano que tiene hecho. Mandale que lo dexase aca para leer en tanto que aca ha lo que del queda. Y de todo lo al pan y vino va despachado […].“ Archivo General de Simancas, CCA-CED, 2–1, 43, 4.

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mal das Fasciculus temporum des Kölner Kartäusermönchs Werner Rolevinck58 sowie ein fälschlicherweise Jean Gerson zugeschriebenes Werk mit dem Titel Contemptus mundi, bei dem es sich in Wahrheit um Kempens Imitatio Christi handelt.59 Ein Vergleich der Glaubenspraxis Hernando de Talaveras mit der Frömmigkeit der Devoten kann eine Reihe erstaunlicher Parallelen zutage fördern.60 In Barcelona lebte Talavera als Kopist; in seinem Haushalt in Granada schätzte er – ein typischer Zug bei den Hieronymiten – die Handarbeit, vor allem das Kopieren von Handschriften. Die Förderung der Lektüre war ihm ebenfalls ein zentrales Anliegen, wozu er den Buchdruck einsetzte und seine Bibliothek jedermann offenhielt. Schriftlichkeit war auch ein wichtiges Reforminstrument der Devotio moderna, die von Thomas Kock deshalb auch als Bibliotheksgemeinschaft bezeichnet wird. Innerhalb der allgemeinen Wertschätzung der Handarbeit durch die Devoten kam dem Kopieren von Handschriften ein besonderer Stellenwert zu. Bei dieser Tätigkeit ging es ihnen allerdings weniger um die Vervielfältigung und damit Verbreitung religiöser Literatur als um die intensive Auseinandersetzung mit dieser. In einem ähnlichen Sinne hatte Talavera gehandelt, als er seinem Schüler Francisco de Madrid die Übersetzung Petrarcas empfohlen hatte, um seine seelischen Leiden zu lindern. Im Unterschied zu Talavera gab es bei den Devoten aber auch Stimmen, die die Leistungen des Buchdrucks kritisch bewerteten. So wurde beklagt, dass das gedruckte Buch es letztlich unmöglich machte, das Kopieren von Handschriften zur geistlichen Disziplinierung einzusetzen, womit ein wesentlicher Teil der devoten Lebensordnung verschwand.61 Abgelehnt wurde von Talavera ein Zugriff auf Bildung und Heilige Schrift, der nur der Befriedigung intellektueller Neugier diente, nicht aber der religiösen Erbauung. Ähnlich dachten die Devoten, wenn sie vor Stolz und Überheblichkeit bei einer rein intellektuellen Beschäftigung mit der Bibel warnten. Innere Erbauung und Dienst an der Gemeinschaft waren das Ziel des Studiums. Eine Übereinstimmung zwischen dem Denken und Handeln Talaveras und dem der Devoten lässt sich auch in der Wertschätzung finden, die sie der geistlichen Förderung der Jugend durch Schule und Unterricht beimaßen, sowie in der Sorge um die religiöse Instruktion der Laien, für die Übersetzungen und Kommentierungen der Bibel angefertigt wurden.

58 Wahrscheinlich in der Ausgabe Sevilla 1480; Eintrag 77 in der Bibliothek Talaveras. 59 Ausgabe Sevilla 1493; Eintrag 134 in der Bibliothek. 60 Im Folgenden orientiere ich mich in Bezug auf die Devotio moderna an: Michael Basse,

Von den Reformkonzilien bis zum Vorabend der Reformation, Leipzig 2008, S. 130–135.

61 Thomas Kock, Theorie und Praxis der Laienlektüre im Einflussbereich der Devotio mo-

derna, in: Thomas Kock; Rita Schlusemann (Hrsg.), Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, Frankfurt/M. 1997, S. 199–220, S. 219–220.

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Gemeinsam waren Talavera und der Devotio moderna das Abfassen von Regeln zur Gestaltung des religiösen Lebens. Für die Nonnen des Klosters von San Bernardo in Ávila stellte Talavera ein Buch mit Verhaltensregeln zusammen62; seinem eigenen Haus in Granada gab er ebenfalls Vorschriften63. Zudem verfasste er mit der Breve y muy provechosa doctrina ein ausführliches Werk, in dem er den Laien Regeln für die Gestaltung des Alltags gab, die den rechten Gebrauch der Zeit, das Maßhalten beim Essen und Trinken oder die Art und Weise der Kleidung betrafen. Die Devoten fassten die Regeln für das Leben in den Fraterhäusern zu so genannten „Bräuchen“, den Consuetudines, zusammen, eine Textform, die auch aus Benediktinerklöstern bekannt war.64 Glaubensanweisungen wurden zudem durch Schwesternbücher, Exerzitien oder in Form von Traktaten gegeben. Jenseits aller konkreten Lebensregeln waren das Leitmotiv Talaveras und der Devotio moderna die Nachfolge Christi, die sich in ihrem besonderen Interesse am Leben Jesu – als dem Exemplum schlechthin – ausdrückte. Eine direkte Beeinflussung Talaveras durch die Devotio moderna ist trotz der genannten Parallelen unwahrscheinlich. Talavera stand vielmehr in der Tradition der Reform- und Observantenbewegung innerhalb des spätmittelalterlichen Ordenswesens, deren Beziehung zur niederländischen Devotio moderna vielschichtig ist. Es gab sowohl Einfluss der Observantenbewegung auf die Devoten wie auch umgekehrt ein Einwirken jener auf die reformbereiten Orden. Es gab aber auch Fälle, in denen keinerlei Beziehung zwischen der Observantenbewegung und der niederländischen Devotio moderna nachweisbar ist.65 Der letztgenannte Fall dürfte auf die spanische Observantenbewegung des 14. und 15. Jahrhunderts zutreffen, aus der heraus sich weitreichende Kirchenreformbestrebungen entwickelten. Ein direkter Zusammenhang zwischen ihr und der Devotio moderna ist nicht nachweisbar, aber es entstand eine ähnliche Frömmigkeit, deren Ursprünge noch nicht geklärt sind. Vielmehr bleibt mit Kaspar Elm zu fragen, „warum es [auch in Spanien] zu dieser neuen Innerlichkeit kam, zur intensiveren Beschäftigung mit der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern, zur Verehrung von Passion, Kreuz und Grab Christi, zur Reduzierung der Feierlichkeit des gemeinsamen Kultes und zur Vorliebe für das individuelle Gebet, zu dem also, was lange als Propria der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben 62 Olegario González Hernández, Fray Hernando de Talavera. Un aspecto nuevo de su

personalidad, in: Hispania Sacra 13 (1960), S. 143–174.

63 Jesús Domínguez Bordona, Instrucción de fray Hernando de Talavera para el régimen

interior de su palacio, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 96 (1930), S. 785–835.

64 Robert Stupperich, Das Fraterhaus zu Herford. Teil II. Statuten, Bekenntnisse, Brief-

wechsel, Münster 1984, S. 19–24.

65 Kaspar Elm, Die ‚Devotio moderna‘ zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Ma-

rek Derwich; Martial Staub (Hrsg.), Die neue Frömmigkeit in Europa im Spätmittelalter, Göttingen 2004, S. 15–29, S. 22.

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sowie der Kanoniker und Kanonikerinnen von Windesheim und Diepenveen angesehen wurde.“66

3. Die gebildete Laienleserschaft 3.1 Die zunehmende Alphabetisierung der Gesellschaft Die spanische Kirchenreform stand in engem Zusammenhang mit kirchlichen Bildungsbemühungen. Innerhalb der spanischen Kirche hatte sich das Bewusstsein durchgesetzt, dass die klerikale Ausbildung unabdingbare Voraussetzung für die religiöse Instruktion der Laien war. In diesem Zusammenhang sind die bereits angesprochenen Universitäts- und Schulgründungen seit Ende des 15. Jahrhunderts zu sehen. Daneben spielten auch sehr weltliche Interessen der Kirche eine Rolle. Die meisten universitär gebildeten Kleriker waren Juristen, die in der Administration der Kirchengüter von großem Nutzen waren. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden zwar nach wie vor Klagen über die Unbildung des Klerus hervorgebracht. Dies lässt jedoch weniger auf eine tatsächliche Unbildung des spanischen Klerus schließen als auf ein verändertes Verständnis dieses Umstandes. Was im 13.  Jahrhundert ein weit verbreiteter Zustand war  – dass Kleriker nicht lesen konnten – war gegen Ende des 15. Jahrhunderts Gegenstand schärfster Kritik. 200 Jahre Reformanstrengungen hatten den Worten Adeline Rucquois zufolge Früchte getragen.67 Aber nicht nur die Kirche bedurfte gebildeter Juristen und Theologen. Auch die Bürokratisierung der königlichen und der städtischen Verwaltung verlangte Fachpersonal, sodass seit dem späten 14.  Jahrhundert die Krone und die Städte als Träger bzw. Initiatoren von Bildungsinstitutionen neben die Kirche traten. Während die Diözesen schon seit dem 4. Laterankonzil 1215 zur Einrichtung von Kathedralenschulen angehalten waren, entstanden jetzt auch städtische Lateinschulen, die nicht mehr auf kirchliche, sondern auf königliche bzw. städtische Initiative hin gegründet und von den Stadtvätern kontrolliert und finanziert wurden.68 Um das Jahr 1600 soll es Fernández de Navarrete zufolge in den spanischen Königreichen 4000 Lateinschulen gegeben haben – eine übertriebene wirkende

66 Elm, Die ›Devotio moderna‹ zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, S. 26. 67 Adeline Rucquoi, La formation culturelle du clergé en Castille á la fin du Moyen Age, in:

Le clerc séculier au Moyen Age, Paris 1993, S. 249–262, S. 253–262.

68 Kagan, Students and Society, S. 41.

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Schätzung, die aber doch den Erfolg lateinischer Bildung im frühneuzeitlichen Spanien auszudrücken vermag.69 Die Neugründung vieler Lateinschulen führte dazu, dass im Laufe des 15. und 16.  Jahrhunderts die Lesefähigkeit unter den Laien deutlich zunahm. Dies geschah genau in dem Moment, in dem in Spanien, bedingt durch den Buchdruck, massenhaft billige Bücher auf den Markt kamen. Die Präsenz des gedruckten Buches jenseits von urbanen Zentren, kirchlichen Institutionen oder der Universität dürfte wiederum die Nachfrage nach schulischer Bildung in solchen Bevölkerungskreisen nochmals erhöht haben, wo man bislang nicht lesen und schreiben konnte. Was aber bedeutete es, wenn Laien und nichtakademische Bevölkerungskreise zu lesen begannen?70

3.2 Mystische Spekulation Eines der zentralen Probleme, dem sich die gebildete Leserschaft zu stellen hatte, war das nach dem Umgang eines Christen mit den Bildungsinhalten der heidnischen Antike. Dieses Problem hatte während des gesamten Mittelalters bestanden, gewann aber mit der Antikebegeisterung vieler Humanisten eine neue Dimension. In den spanischen Lateinschulen waren seit den 1470er-Jahren zunehmend Humanisten als Lehrer verpflichtet worden. Damit gelangte eine Bewegung nach Spanien, die ähnlich wie die Observanten die Rückkehr zu den Ursprüngen als Erneuerung propagierte. Allerdings stellten die Humanisten die renovatio nicht in einen religiösen Kontext, als Rückkehr zum Modell des Urchristentums oder zur Regel des Heiligen Franz, sondern als Erneuerung der klassischen Bildung der heidnischen Antike.71 Im Werk Erasmus von Rotterdams konnten sich beide Strömungen – die Erneuerung der Kirche und die Erneuerung der Bildung – vereinigen, weshalb es wenig verwunderlich ist, dass der niederländische Humanist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem der meistgelesenen Autoren in humanistischen Zirkeln wurde. Besonders erfolgreich war sein Enchiridion, übersetzt von Alonso Fernández de Madrid, einem Schüler Talaveras in Granada. Die Kombination von Humanismus und christlicher Frömmigkeit war aber nicht ungefährlich, denn gewisse Inhalte klassischer Philosophie und Mythologie waren von christlicher Warte aus bedenklich. Auch Alonso Fernández de Madrid hatte 69 Fernández de Navarrete, Conservación de Monarchías, Madrid 1621, Discurso XLVL.

Zitiert bei Kagan, Students and Society, S. 42.

70 Lawrence Stone, Literacy and Culture in early modern Castile, in: Past and Present 125

(1989), S. 65–96, S. 65.

71 Konrad Burdach, Sinn und Ursprung der Worte Renaissance und Reformation, in: Ber-

liner Akademieschriften (1902–1935), Leipzig 1985, S. 136–188, S. 160–168.

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bei der Übersetzung des Enchiridion Vorbehalte und widersprach in einer Zusatzbemerkung der Bewunderung Platons durch Erasmus. Platon war in seinen Augen durch seine Nähe zum Christentum nicht zu bewundern, wie Erasmus meinte, sondern vielmehr problematisch und gefährlich.72 Marsilio Ficino hatte die solcherart motivierte Kritik an Platon zum Anlass genommen, eine theologia platonica zu postulieren, eine prinzipielle Gleichwertigkeit von platonischer Philosophie und christlicher Offenbarung zu deren beiderseitiger Rechtfertigung.73 Die theologia platonica zielte letztlich auf religiösen Synkretismus und barg damit sowohl religiöse Toleranz in sich wie auch die Infragestellung einer für den Menschen zugänglichen, letztgültigen Wahrheit.74 1508 führte der italienische Humanist Pietro Martire d’Anghiera – ein zutiefst vom Florentiner Neuplatonismus geprägter Gelehrter, der seit 1492 die Hofschule für königliche Pagen leitete und nominell auch Domherr Granadas war  – mit dem humanistisch gebildeten kastilischen Adligen Hernando de Vega über diese Fragen einen Disput. Vega zweifelte offenbar daran, dass es möglich sei, in schriftlicher Überlieferung die letztgültige Wahrheit in religiösen Dingen zu finden. Er wollte über das Buchwissen und damit über die in der Bibel fixierte christliche Offenbarung hinausgehen. Pietro Martire erwähnt in seinem Brief an Vega nicht, wie sich der Kastilier diese Suche vorstellte, doch es ist anzunehmen, dass Vega den Weg mystischer Spekulation, wie sich auch vom Florentiner Neuplatonismus eingeschlagen wurde, gehen wollte. Martire forderte dagegen die Selbstbeschränkung des frommen Christen in der Offenbarung, die für ihn ein Gesetz darstellte, das nicht zu überschreiten war, und eine feste Grenze für jede Art von Spekulation bildete. Das Feuer der Inquisition bedrohe schließlich jeden, der Gott auf einem anderen als dem geoffenbarten Weg suche.75 Mystische Spekulation, die über das Offenbarungswissen hinausging, war am Königshof gewiss die Ausnahme. Dort dürfte man sich dem Frömmigkeitsideal der Devoten näher gefühlt haben, das von Nüchternheit geprägt war. Zum Schutz vor den Exzessen von Mystik und Askese entwickelten die Devoten kontrollierbare Meditations- und Gebetstechniken. In ähnlicher Form bemühten sich die spanischen Kirchenreformer darum, durch die Herausgabe von Katechismen, durch katechetischen Unterricht, durch Visitationen und der Abfassung von Re72 Alonso Fernández de Madrid (Übersetzer), Enquiridion o manual del caballero cristi-

ano, hg. v. Dámaso Alonso, Neuasgabe der Ausgabe Madrid 1932, Madrid 1971, S. 245–246 und S. 476–478. 73 Paul Oskar Kristeller, Humanismus und Renaissance. Bd. 2. Philosophie, Bildung und Kunst, München 1980, S. 110–111. 74 Amos Edelheit, Ficino, Pico and Savonarola. The Evolution of Humanist Theology 1461/2–1498, Leiden 2008, S. 225. 75 Pietro Martire d’Anghiera, Epistolario, hg. v. José López de Toro, 4 Bde., Madrid 1953–57, Brief 398 vom 12.8.1508 an Fernando de Vega.

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gelwerken für das religiöse Leben die Frömmigkeit ihrer Zeitgenossen in den von ihnen gewünschten Bahnen zu leiten. Talavera mag zwar persönlich und innerhalb seines Ordens offen für die Mystik gewesen sein. Als Kirchenreformer spielten Mystik und Spekulation für ihn allerdings keine Rolle. Die Grenze markierte, wie schon erwähnt, Thomas von Aquin und damit die von der Kirche anerkannte Lehrmeinung: Theologische Fragen, die sich Talavera nicht erklären konnte, beantwortete er mit einem Verweis auf den dominikanischen Theologen. In ihm sah er das Ende aller Spekulation erreicht. Inwieweit hinter dieser Haltung Talaveras die Inquisition stand, sei dahingestellt. Die Tatsache, dass sich Talavera bei strittigen Fragen auf die Lehrmeinung der Kirche bezog, und sein Bestreben, konvertierten Juden und Muslimen feste Regeln an die Hand zu geben, die sie schützten, kann zumindest auch als Antwort auf die Inquisition verstanden werden. Wohin unkontrollierte Spekulation und Mystik wie die Hernando de Vegas führen konnten, zeigten die Alumbrados von Toledo, deren radikale Mystik nicht nur jegliche Rituale, sondern auch ethische Vorschriften ablehnte: Wer von der Liebe Gottes erfüllt sei, bedürfe keiner anderen Hilfe mehr; auch könne er nicht mehr sündigen.76 Hier schritt die Inquisition radikal ein, die seit dem Auftreten Luthers ihr Augenmerk nicht mehr nur auf Conversos, sondern auch auf alles richtete, was für sie nach Protestantismus aussah.

3.3 Regeln für ein christliches Leben Die Alumbrados und ihre radikale, alle Grenzen überschreitende Mystik blieben im Spanien des 16.  Jahrhunderts jedenfalls eine Ausnahme. Mystische Gotteserfahrung bei Laien war suspekt. Sie fand im streng kontrollierten Raum hinter Klostermauern oder eingebunden in ein festes Regelwerk statt. Bei den Laien hatte eine andere Art von Frömmigkeit Erfolg, die sich den Alumbrados diametral entgegengesetzte und eine stark ethische Komponente besaß. Die Laien suchten die Nachfolge Christi, die sich auf die Tilgung von Lastern und die Ausbildung von Tugend als persönlicher Heiligung konzentrierte. In den Kreisen gebildeter Laien, in Amtsstuben, Herrenhäusern und Kontoren, waren die Vitae Christi besonders beliebt, bei Lesern also, die nach Orientierung für ein christliches Leben in der Welt suchten. Die „Bestseller“ des 16.  Jahrhunderts, wie sie der deutsch-polnische Buchhändler Guillermo Remón zwischen 1528 und 1544 in Cuenca feil bot, waren Gar76 Milagros Ortega Costa, Las proposiciones del edicto de los Alumbrados: autores y cali-

ficadores, in: Cuadernos de Investigación Histórica 1 (1977), S. 23–36, S. 31.

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cía de Cisneros Excercitatorio, Kempens Contemptus mundi, Ludolfs Vita Christi, die Predigten St. Vincente Ferrers, Bücher, die die Messe erklärten, Artes moriendi, Heiligenleben und Stundenbücher. Fachbücher zur Medizin oder Arzneikunde, die populären Ritterromane, humanistische Lehrbücher und die Ausgaben der Klassiker waren dagegen weitaus weniger häufig im Buchhandel präsent als die devoten Werke.77 Erfolg hatte in Spanien auch Erasmus’ Enchiridion, das sich dezidiert an Laien richtete und diesen einen Leitfaden zu einem christgemäßen Leben außerhalb der Klostermauern geben wollte und zudem mit der Sentenz „Monachatus non est pieta“ kritisch mit dem Mönchtum umging – ein Satz, den Alonso Fernandez de Madrid in seiner spanischen Übersetzung nicht wiederzugeben wagte.78 Zwar fehlen bislang Erkenntnisse darüber, in welchen Kreisen die Autoren der Devotio moderna tatsächlich zirkulierten. Da aber die Schriften der Nachfolge Christi und die Meditations- und Gebetsregeln dem Bedürfnis der wachsenden Laienleserschaft nach Weisungen auf dem Weg individueller Frömmigkeit besonders entgegenkamen, ist ein Zusammenhang zwischen dem Erfolg dieser Schriften seit Ende des 15. Jahrhunderts und dem Anwachsen der Laienleserschaft zumindest plausibel. Das Bedürfnis nach religiöser Orientierung im Alltag spiegelt ein Text wieder, den ein weiterer Mann aus dem Umfeld Hernando de Talaveras, der Granadiner Converso und Jurist Juan Rodríguez de Pisa, im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts aus dem Lateinischen übersetzte: Pico della Mirandolas Zwölf Regeln für das spirituelle Leben.79 Dieser kurze Text gibt Lebensregeln, mit deren Hilfe der Mensch jeglicher Versuchung widerstehen könne und solle. Diese Regeln sind Ausdruck einer individualistischen Frömmigkeit, die es in die Verantwortung eines jeden Einzelnen legt, sein Leben zu heiligen und Christus nachzufolgen. Dabei entspricht der Text den Bedürfnissen eines Juristen, der die Innerlichkeit durch Regeln begrenzt wissen wollte, genauso wie denen des Converso, dem das Christentum zunächst in Form von Regeln begegnet war. Die Tendenz zur Regelhaftigkeit betraf im Laufe des 16.  Jahrhunderts aber nicht nur eine Religiosität der Innerlichkeit. Die relative Offenheit, die die spanische Reformbewegung im 15. Jahrhundert gekennzeichnet hatte, wurde in der Folge der Reformation zunehmend eingeschränkt. Deutlich wird diese Haltung an der Gewissenskontrolle durch die Inquisition und durch die Einführung des Index von 1558, auf dem sich nicht nur Bibeln in der Volkssprache, Autoren der

77 Stone, Literacy and Culture, S. 82–87. 78 Fernández de Madrid, Enquiridion, S. 476–478. 79 Estas doze relgas[sic] hizo el conde Pico dela Mirandula. dellas para despertar: y dellas

para endereçar los hombres a la pelea espiritual, Biblioteca Nacional Madrid, R/28658.

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Devotio moderna und Erasmus befanden, sondern sogar Talavera und García de Cisneros.

4. Entstehungs- und Rezeptionskontext der Devotio moderna Der Kontext, in dem die Devotio moderna entstand, war nach Kaspar Elm geprägt durch den Einfluss der Kartäuser und allgemein der spätmittelalterlichen Eremiten- und Armutsbewegung; die Laienfrömmigkeit des Spätmittelalters, die eine vita religiosa oder vita semireligiosa hervorbrachte; die Veränderung von Amt und Funktion des Priesters, die vor allem zu einer Neubewertung der Predigt geführt hat; eine neuartige Frömmigkeitstheologie; theologische Abweichungen und Häresien und ein vor allem von den Laien getragener Antiklerikalismus.80 Der Entstehungskontext der spanischen Kirchenreform- und Observanzbewegung ähnelt dem der Devotio moderna in den Niederlanden. Die von Elm angeführten Punkte können ausnahmslos auch für Spanien nachgewiesen werden. Ein Unterschied betrifft möglicherweise die Rolle von Laien und Amtskirche. Im Norden waren Laien und reformorientierte Orden Träger der Erneuerungsbewegung. In Spanien war – abgesehen von den großen städtischen Zentren des Königreichs Aragón – die Rolle der Laien zu Beginn der religiösen Reformbewegung zunächst wahrscheinlich eher gering. Der erste Impuls ging von den Orden der Observanz aus. Zwar nahm mit der zunehmenden Alphabetisierung der Laien auch deren Interesse an Fragen der persönlichen Frömmigkeit zu. Die entscheidenden Reformen und Maßnahmen des späten 15.  Jahrhunderts, die die neue Frömmigkeit förderten, wurden aber weder von Laien, noch von den Orden, sondern von der spanischen Amtskirche und den Katholischen Königen getragen. Verantwortlich dafür ist, dass die Reformgedanken der Observanten – vermittelt möglicherweise durch die Beichtväter der Könige – von den Katholischen Königen aufgegriffen und zu einem religionspolitischen Programm gemacht wurden. Dank der Kontrolle der Könige über die Kirche und aufgrund des Erfolgs, mit dem sie Roms Einfluss auf die spanische Kirche zurückdrängten, konnten sie viele der Reformgedanken schließlich in die Tat umsetzen. Zentraler Punkt ihrer Kirchenreform war die Besetzungspolitik, bei der sie die Observanten bevorzugten. So gelangten schließlich mit Männern wie Talavera, Deza und Cisneros Observanten auf die bedeutendsten kastilischen Bischofsstühle. Waren die Erzbistümer von Toledo und Sevilla Ende des 15. Jahrhunderts noch mit Söhnen aus den Häusern Mendoza und Zúñiga besetzt, so kamen sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Hand eines Franziskaners bzw. eine Dominikaners, während die neu errichtete Erzdiözese Granada von einem Hieronymiten geführt wurde. Die Kirchenreform 80 Elm, Die ›Devotio moderna‹ zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, S. 25–26.

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wurde durch das Zusammenspiel von Königen, Ordensgeistlichen und Amts­ kirche quasi institutionalisiert. Laienfrömmigkeit war möglich und sogar erwünscht; sie wurde durch die Verbreitung von devoter Literatur, Predigten in der Volkssprache, Übersetzungen, Katechismusunterricht oder die Gründung von Bruderschaften gefördert. Dabei kann sowohl für die spanische Reformbewegung wie auch für die Devotio moderna im Norden festgestellt werden, dass die Intensivierung der Frömmigkeit mit der Tendenz Hand in Hand geht, Macht zu zentralisieren. In der Kontrolle der Organe, die auch Normen vermitteln konnten, fällt das religiöse mit dem politischen Interesse zusammen.81 Kritik an den Missständen der Kirche gab es auch in Spanien – man denke an die Celestina Fernando de Rojas. Doch war allgemein das Bewusstsein vorherrschend, dass die Kirche die notwendigen Schritte zur Reform bereits vollzogen hatte. Die Inquisition tat seit den 1470er-Jahren ein Übriges, um kirchenkritische Stimmen zu unterbinden. Mit dem Aufkommen des Protestantismus änderte sich allerdings die Situation der Laien in Spanien. Waren literarische Bildung und die Auseinandersetzung mit der Bibel und anderen religiösen Schriften von Seiten der Kirche bislang als wünschenswert betrachtet worden, so begannen nun Vorbehalte aufzutauchen. Die Theologie wurde wieder völlig in die Hand des Klerus gegeben. Die Volkssprache wurde zurückgedrängt, indem man beispielsweise die Bibel nicht mehr auf Spanisch lesen durfte oder in Granada das Arabische aus dem Ritus verbannte.82 Zudem kontrollierte die Inquisition über den Index die Lektüre von Laien und Klerus. Zu Ende ging eine Zeit relativer religiöser Offenheit (relativ, da diese nur auf Christen beschränkt war), wie sie unter den Katholischen Königen bestanden hatte, in der die Devotio moderna die religiösen Bedürfnisse gebildeter Laien hatte befriedigen können.

81 Basse, Von den Reformkonzilien bis zum Vorabend der Reformation, S. 134–135. 82 Vgl. hierzu: Stone, Literacy and Culture, S. 94.

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Introduction The Devotio Moderna was an answer to the many vices and abuses perceived by critical observers in the dealings of the Church of their times. Both monastic and laical circles were drawn into its orbit from the start. Despite the critical attitude of its founding fathers towards the general ecclesiastical situation, the Devotio Moderna remained firmly within the framework of the established Church and in due time came to be regarded as wholly orthodox. In this respect, it differed fundamentally from contemporaneous movements of reform, such as those in John Wyclif ’s England and John Hus’s Bohemia. Those who started the Devotio Moderna, did not have a blueprint for the reform they considered to be necessary. Some fundamental tenets of the Devout can be found, however, in Geert Grote’s treatise De simonia ad beguttas (On ­Simony to the Beguines). Its Latin title is both unauthentic1 and misleading: the treatise is in the vernacular. It is a fascinating piece of work, exactly because it is in Dutch (or: Low German) and thus intended for the laity, but nevertheless does not shrink back from giving an in-depth treatment of some basic problems of Church reform, showing great intellectual precision. It is the merit of the German scholar Rudolf Langenberg to have noticed the importance of De simonia as the most extensive treatise produced by Geert Grote in the vernacular.2 His edition, however, has been the object of much criticism from the start. It gave way in a definitive manner to the diplomatic edition by Willem de Vreese (d. 1938), published posthumously by D. de Man in 1940.3 The interest De Vreese took in De simonia was of a literary nature, but in ten dense pages of 1

It does not occur in the only manuscript, but has been construed out of the references in two late medieval catalogues, to be discussed later on. 2 Rudolf Langenberg, Quellen und Forschungen zur Geschichte der deutschen Mystik, Bonn 1902. 3 Willem de Vreese (ed.), Geert Groote: De simonia ad beguttas, The Hague 1940. In this article, references to De simonia will be to pages and lines of De Vreese’s edition.

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comment he adduces precious source material for conducting an in-depth study of the historical, theological and canonical background of the treatise. Next, De simonia has been treated in two successive biographies of Geert Grote.4 For Theodore van Zijl, De simonia is an important witness to Grote’s zeal for monastic reform.5 His discussion of it is part of his plausible argumentation— against the prevailing protestant interpretation of Grote’s significance—that Grote was not opposed to monasticism as such but only to the abuses occurring in it.6 Consequently, Van Zijl emphasizes the monastic rather than the laical aspects of De simonia, but he also points to the importance Grote attaches to intentions rather than outward observances such as the monastic vows.7 Georgette Épiney-Burgard devotes two separate passages of her biography to De simonia. Like Van Zijl, she discusses the work in connection with Grote’s concern for monastic reform8, but she has also noticed its importance as evidence for Grote’s ideas on the possibility for lay people to conduct a spiritual life.9 She adopts this second approach in an analysis of the statutes devised by Grote for the community of sisters he established in his own house, the Meester Geertshuis. An important paragraph of these statutes contains a strict prohibition of asking a dos. Interestingly, Épiney-Burgard calls Grote’s treatise “un peu confus et mal ordonné”.10 After having received some attention in 1984, the anniversary of Grote’s death11, De simonia was again discussed in 1995 by A. G. Weiler.12 Without referring to Épiney-Burgard, he locates De simonia within the same context: the short and long versions of the statutes of Meester Geertshuis. Épiney-Burgard herself pub-

4

Joannes G. J. Tiecke, De werken van Geert Groote, Utrecht/Nijmegen 1941, p.  168–170 discusses the transmission of De simonia, not its content. 5 Theodore P. van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer (1340–1384), Washington 1963, p. 206 ff.; 228 ff. 6 The same point is made by Regnerus R. Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968, p. 69, but his treatment of De simonia has no independent value. 7 Van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer (cp. note 5), p. 265. 8 Georgette Épiney-Burgard, Gérard Grote (1340–1384) et les débuts de la Dévotion Moderne, Wiesbaden 1970, p. 217–219. 9 Épiney-Burgard, Gérard Grote, p. 151–158. 10 Épiney-Burgard, Gérard Grote, p. 219. 11 The manuscript of De simonia was part of a Nijmegen exhibition on Devotio moderna: Rudolf van Dijk a. o., Moderne Devotie: Figuren en facetten, Nijmegen 1984, p. 87–89; cp. also Anton G. Weiler, Leven en werken van Geert Grote 1340–1384, in: Cebus C. de Bruin/Ernest Persoons/Anton G. Weiler (eds.), Geert Grote en de Moderne Devotie, Deventer/Zutphen 1984, p. 9–55, here p. 35–36. 12 Anton G. Weiler, Geert Grote en begijnen in de begintijd van de Moderne Devotie, in: Ons Geestelijk Erf 69 (1995), p. 114–132, here p. 117–122.

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lished a French translation of the third part of De simonia in 1998.13 In his 200814 synthesis on the Devotio moderna, John Van Engen briefly pays attention to De simonia, emphasizing the spiritual nature of Grote’s concept of simony, which made it also applicable to religiously living lay people.15 That same year, Hildo van Engen edited two hitherto unknown letters in the vernacular by Geert Grote which he had discovered in the Antwerp Archive.16 The second of these letters contains extensive quotations from the first part of De simonia, which sheds fresh light on the circumstances of its composition and transmission. A thorough analysis of De simonia so far is lacking. In the following, some details will be presented on the transmission of On simony and an explanation will be given of its composite structure. Next, I will try to assign it its place within Grote’s œuvre. My main concern will be an analytical reading of the three constituent parts of On simony. In the end I will give a brief sketch of its significance by making a comparison with the main ideas of the English reformer John Wyclif.17

Transmission On simony to the Beguines has been transmitted in one manuscript only. This was written around the middle of the fifteenth century by a certain Hermannus of Alen to the benefit of the religious community which he served as confessor, the sisters of the common life in Schüttorf in the county of Bentheim (in Germany, close to the present-day border with the Netherlands). The manuscript is partly in parchment, partly in paper. It is composed of several parts which were copied separately, and which contain, besides On Simony, parts of the Old Testament, the Lives of the XII brethren of Saint Francis and other texts. After the extinction of the sisterhouse (1632), the manuscript was transferred to the nearby monastery of Frenswegen (regular canons of Windesheim)18, where it was combined 13 Georgette Épiney-Burgard, Gérard Grote, fondateur de la Dévotion Moderne. Lettres et

traités, Turnhout 1998, p. 105–125.

14 In between, the important Prolegomena to the edition of Grote’s Opera Omnia was pub-

lished: Rudolf van Dijk, Prolegomena ad Gerardi Magni Opera Omnia, (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis, 192), Turnhout 2003; De simonia is discussed on p. 463–464. 15 John Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, Philadelphia 2008, p. 82–83. 16 Hildo van Engen, Twee onuitgegeven brieven van Geert Grote over de derde orde van Sint-Franciscus, in: Ons Geestelijk Erf 79 (2008), p. 105–145. 17 A short comparison between Grote and Wyclif was made by Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 284 with note 71. 18 For this monastery see Wilhelm Kohl/Ernest Persoons/Anton G. Weiler (eds.), Monasticon Windeshemense. IV Volumes, Brussels 1976–1984, Vol. II, p. 140–152.

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with another manuscript originating from the cistercian monastery of Sibculo (in Twenthe in the present-day Netherlands). In the nineteenth century the manuscript underwent the fate of so many items from the rich library of Frenswegen, which was dispersed after the suppression of the monastery in 1809. At some moment during that century the manuscript was violently split into two pieces. It got into the possession of Josef Berning, parish priest of Remsede, by illegal means; in 1907 he was prevailed upon to donate it to the Crutched Friars of St Agatha in Cuijk (Netherlands). There it is kept now as Ms.Cuijk St. Agatha C9 + C9bis; On Simony is on folia 111r–126v.19 The name of Hermannus (of) Alen is entered twice on folio 105r at the end of the text of Adam Scotus, Soliloquium de instructione animae (in Low German), which he finished writing in 1455. He is not mentioned directly as the copiist of De simonia, but the handwriting makes perfectly clear that such was the case. In 1973, Obbema was able to identify this Hermannus of Alen as the confessor of the sisterhouse in Schüttorf.20 The entry on folio 105r makes clear that he wrote the manuscript to the benefit of this community.21 The earliest known connection of Hermannus Wersebrockhus alias Bartscher of A(h)len with the sisters of Schüttorf is from 1428. He also wrote Ms. Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire, 33, and lived through 1474.22 19 The description in Irene Stahl, Die Handschriften der Klosterbibliothek Frenswegen,

Wiesbaden 1994, nr. 42 has to be supplemented by the one in Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 161–162 with note 125; cp. also Gerard I. Lieftinck/J. Peter Gumbert (eds), Manuscrits datés conservés dans les Pays-Bas, Vol. II, Leiden/New York/Copenhagen/­ Cologne 1988, nrs. 340; 907; 908. Autopsy of the spine and cords of the text block reveals that, besides the two parts C9 and C9bis—which do not correspond exactly to the Schüttorf and Sibculo parts of this composite manuscript—it must have contained one or more other texts which now have been lost. De Vreese, Geert Groote: De simonia, p. ii–xix gives an elaborate description of the Schüttorf part (without knowing the connection with Schüttorf). Other older descriptions are inadequate: Langenberg, Quellen und Forschungen (cp. note 2), p. 35; Tiecke, De werken van Geert Groote (cp. note 4), p. 168–170; B. Nonte, Untersuchungen über die Handschriften des Augustiner-Chorherrenstiftes Frenswegen bei Nordhorn, in: Westfälische Forschungen 14 (1961), p. 133–148, here p. 141; Van Dijk, Moderne Devotie: Figuren en facetten (cp. note 11), p. 87–89. For the story of the library of Frenswegen see Stahl (1994) p. 9–13; Rudolf van Dijk/Mariska Vonk (eds.), Moderne devoten in monnikspij: klooster en colligatie van Sibculo, 1406–1580, Kampen/ Nijmegen 2007, p. 332–333. 20 Petrus F. J. Obbema, Een Deventer bibliotheekcatalogus van het einde der vijftiende eeuw. Een bijdrage tot de studie van laat-middeleeuwse bibliotheekcatalogi. II Volumes, Brussels 1973, p. 167. 21 Ms. Cuijk St Agatha 9C fol. 105r: Dyt boeck heft uns gescreven ons leve eerweerdige vader her Herman van Alen den got genedich moet sijn. 22 Wilhelm Kohl, Das Bistum Münster: Die Schwesternhäuser nach der Augustinerregel, (Germania Sacra N. F. 3–1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln), Berlin 1968, p. 78–79; A. Bruns/Wilhelm Kohl, Inventar des fürstlichen Archivs zu Burgsteinfurt, Münster

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The sisterhouse Mariengarden in Schüttorf was the continuation of a beguine house which existed already early in the fourteenth century. In 1418, under the influence of the well-known Henry Loder, the prior of Frenswegen, the beguine house was transformed into a house of sisters of the common life. At some moment before 1463 the sisters were forced to adopt the rule of St Augustine.23 The former status of this convent as a beguine house may explain the interest the sisters took in Grote’s On simony to the Beguines. Four other copies are known to have existed. A work De symonia in Teutonico is mentioned by Petrus Horn, the librarian of Heer Florens’ House (of brethren of the common life) in Deventer, in his biography of Grote.24 The copy seen by Horn may have been the same as the one mentioned in the library catalogue of Heer Florens’ House25 and in the well-known register or catalogue of Rooklooster.26 According to this same register also the Carthusians of Ghent owned a copy.27 The catalogue of the sixteenth-century Flemish Dominican Johannes Bunderius, which has been transmitted indirectly, calls attention to a copy in the monastery of Zevenborren near Brussels (regular canons of Windesheim).28 And finally, an entry in the Foundation Book of the Court Beguinage of Haarlem reveals that Grote personally left behind a copy of a work on simony, probably our treatise, at one of his visits to this beguinage, where his friend Hugo Goudsmit celebrated his first mass and later was to become the court’s priest.29 The quotations from 1971, p. 158; Wilhelm Kohl, Das Bistum Münster: Die Klöster der Augustiner-Chorherren, (Germania Sacra N. F. 5: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln), Berlin 1971, p. 125; Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 161 note 125. 23 Kohl, Die Schwesternhäuser (cp. note 22), p.  67–83, to be supplemented by Gerhard Rehm, Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutschland. Untersuchungen zur Geschichte der Devotio moderna und des weiblichen Religiosentums, Berlin 1985, p. 75; 170. 24 Wilhelmus J. Kühler, De “Vita magistri Gerardi Magni” van Petrus Horn (in M. S. No. 8849–8859 van de Koninklijke Bibliotheek te Brussel), in: Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis n. s. 6 (1909), p. 325–370, here p. 370. 25 Obbema, Een Deventer bibliotheekcatalogus (cp. note 20), p.  150–151 (edition); p.  167 (commentary). 26 Vienna, ÖNB s. n. 12694, fol. 144v; see Tiecke, De werken van Geert Groote (cp. note 4), p. 37 with photograph; Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 65. This register so far has not been edited integrally; see Petrus Obbema, Het Register van Rooklooster op de weegschaal, in: Petrus Obbema, De middeleeuwen in handen. Over de boekcultuur in de late middeleeuwen, Hilversum 1996, p. 103–120; and Idem, Problems in editing the Rooklooster register, in: Wouter Bracke/Albert Derolez (eds.), Middeleeuwse bibliotheken en boekenlijsten in de Zuidelijke Nederlanden, Brussels 2005, p. 71–76. 27 At fol. 144v. 28 Langenberg, Quellen und Forschungen (cp. note 2), p. 40; Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 70; 72; 76; 79. 29 Haarlem, Noordhollands Archief, Kloosters inv.  250 [252] fol.  83v: een boec in pappier ghescreven dat meester Gheryt die Groet hier ghelaten heeft dat veel roert vander symony;

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De Simonia in the Second Antwerp Letter are not literal: according to Hildo van Engen, they constitute a reworking of the text, extending its phraseology and in the same time making it fit for application in a community which did follow the Third Rule of Saint-Francis.30 All in all, De simonia did not receive as wide a circulation as two Latin works by Grote on simony, De locatione ecclesiarum, which is extant in thirteen copies originating from a great variety of monasteries31, and De cura pastorali, with no less than eighteen copies.32

Composition and address The structure of De simonia presents some difficulties, which need a brief explanation. The text consists of three parts, the second of which is the shortest. In the only surviving manuscript, the second and third parts have chapter headings (16,29–31; 21,10–12: in black, underlined in red); the first part lacks such a subtitle. At the end of Part One, Grote devoutly takes leave of the sisters to whom the text has been adressed so far, a signal that a treatise is going to an end.33 In the second part, a clear reference occurs to Part One: Grote says that he sticks to the things he has said in ‘den anderen boke’ (in the other book; 19,3), which implies that this second part was written separately after the first part had provoked criticism. Part Three starts with the remark that, although Grote considers the explanation he has given already on the relationship between divine and human institutions as sufficient—this is the content of Part Two—, he nevertheless will try to clarify once more for the benefit of unlearned readers what simony is all about. This part contains two references (21,21; 30,28) to a work indicated as the Wederboec van Colene: the contradicting book of Cologne. The register of Rooklooster refers to On simony as to Tres tractatus ad beguttas de symonia cavenda in acceptatione personarum, which seems to imply that each of the three parts formed a treatise of its own.34 In scholarly literature, so far the

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Ben A. M. Vaske, Het Boekenlijstje van de Haarlemse begijnen, in: Ons Geestelijk Erf 67 (1993), p. 130–146, here p. 133; Koen Goudriaan, Beguines and Devotio moderna at the turn of the fifteenth century, in press. Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 123. Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 459–460. Van Dijk, Prolegomena, p. 460–463. De simonia 16,267–28: Alle guet comet us mit syner gherechticheit de regneert unde levet mit ghewolde in den vader unde in den zoene unde in den hilghen geiste in den nu der ewicheit Amen. Vienna, ÖNB, s. n. 12694, fol. 144v.

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interpretaton of Langenberg has dominated.35 According to him, the work consists of two treatises, the second of which is divided in two chapters; both treatises have to be attributed to Grote. If this is correct, the criticism to which Grote refers in the second part, might have been identical with the objections raised by the Wederboec van Colene. Recently, however, Epiney-Burgard, Van Dijk and Hildo van Engen have suggested that each part once led a separate existence.36 The reworking of Part One of De simonia in Grote’s Second Antwerp Letter proves that Grote was in the habit of adapting older texts to fit new situations.37 In this case only the third part can be seen as a reaction to the Wederboec. The register of Rooklooster may be adduced in favor of this second interpretation, and—as we will see—a closer analysis of the content will deliver additional arguments in its favour. In the remaining part of this paper the ‘three treatises theory’ will be taken as point of departure. The problem of the structure of De simonia is closely related to the issue of its original destination. Part One is addressed to a community of female religious, whom Grote calls myne leven zusteren (my dear sisters; 1,16).38 In this part, Grote briefly raises the question whether simony may occur in connection with admission to the Third Order of Saint Francis, but only to dismiss this point directly as not relevant (2,15–13,1).39 In the course of the fourteenth century, many beguin­ages had adopted the third rule of Saint Francis in order to escape persecution.40 So it was logical for Grote to mention it, but only to observe that it was not applicable in this case; probably, his addressees did not have tertiary status.41 The second 35 Langenberg, Quellen und Forschungen (cp. note 2), p. 42–43, followed by Tiecke, De

werken van Geert Groote (cp. note 4), p. 169 and evidently by Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 217, who postulates two stages in the composition: ‘entre la rédaction de la première partie et celle des suivantes’. De Vreese, Geert Groote: De simonia (cp. note 3), Van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer (cp. note 5), Van Dijk, Moderne Devotie: Figuren en facetten (cp. note 11) and Weiler, Geert Grote en begijnen (cp. note 12) do not address the issue. 36 Épiney-Burgard, Gérard Grote. Lettres et traités (cp. note 13), p. 106: ‘Il s’agit d’ailleurs de chapitres rédigés à des époques différentes’. Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 463: ‘Dieser Traktat besteht aus drei Kapiteln; Grote selbst spricht von Büchern. Sie bilden kein einheitliches Werk und widerspiegeln sozusagen eine laufende Diskussion über die Simonie aus verschiedenen Standpunkten’. Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 122. 37 Van Engen, Twee onuitgegeven brieven, p. 125. 38 Cp. also 16, 18: Myne lieve zustere in unsen leven heren. 39 De simonia 2,34–35: … des en is gheen noet te scriven up desse tijt, want gij segget dat de derde orde daer nicht an en hanget. 40 Hildo van Engen, De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom U ­ trecht. Een bijdrage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie, H ­ ilversum 2006, p. 61–66. 41 Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 123 is quite positive about this.

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part of On simony has no clear address at all, but it does focus on unjust practices surrounding the admission of new beguines. Part Three consistently adresses its public as ghi (you); and as we saw already, it was destined to unlearned people. In this last part, the Third Order of St Francis is discussed again, and this time Grote’s wording conveys the impression that the issue was directly relevant.42 This would imply that Part Three was directed at a community not identical with the sisters of Part One. Until now, the question of the original address of De simonia has been ­answered for the text as a whole; in the course of the discussion some confusion has arisen.43 Because Grote adduces the political situation in the city of Kampen in one of the examples which he uses to illustrate his argument (10,16–35), Langen­berg has suggested that the convent to which the treatise was adressed, was located in that city, too.44 De Vreese tried to be more precise and indicated either the Old Convent of Kampen (beguines not following any rule) or the tertiaries of St Agnes in that same city as Grote’s correspondents. But at the same time he cautioned that Grote had every reason to single out the Kampen city magistrates as negative example because of his bad experiences with them: in that case, the convent he addressed may have been located elsewhere.45 Van Zijl opted for St Agnes Convent in Kampen, without argumentation.46 Épiney-Burgard accepted De Vreese’s suggestion but unhappily conflated the Old Convent and St Agnes Convent in Kampen. She also came up with an interesting alternative, however: Grote might have had the Old Convent in Zwolle, a beguinage, in his mind: we have independent evidence that Grote has been in contact with that community.47 In 1998, she pointed more resolutely to the Old Convent in Zwolle, adducing Grote’s letters 31 and 32 as proof of Grote’s interest in that beguinage.48 Grote’s interference with the beguines of Zwolle is related in more detail in two historiographical sources, not without chronological difficulties.49 42 De simonia 25,1: Nu om voert te gane ter derden orden unde to beghinen state. Cp. 29,15. 43 A useful compilation of the discussion: Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note

16), p. 123 note 24. The report in Van Dijk, Prolegomena (cp. note 14), p. 463 is wrong. Langenberg, Quellen und Forschungen (cp. note 2), p. 39. De Vreese, Geert Groote: De simonia (cp. note 3), p. 33–34. Van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer (cp. note 5), p. 220; 228. Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 158 note 96; 217. She is followed by Van Dijk, Moderne Devotie: Figuren en facetten (cp. note 11), p. 87; cp. also Weiler, Leven en werken van Geert Grote (cp. note 11), p. 35. 48 Épiney-Burgard, Gérard Grote. Lettres et traités (cp. note 13), p.  105 note 24; Grote’s letters: Willelmus Mulder (ed.), Gerardi Magni Epistolae, Antwerp 1933, p. 133–140. 49 The biography of Henry Voppenz in ms. Brussels 8849–8859, edited M. Schoengen (ed.), Jacobus Traiecti alias De Voecht: Narratio de inchoatione Domus Clericorum in Zwollis (Werken Historisch Genootschap III, 13), Amsterdam 1918, p. lxvi–lxviii; and the Narratio on het brethren’s house of Zwolle by Jacobus de Voecht, edited Schoengen, Jacobus 44 45 46 47

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Now that we have been made aware of the possibility that the various parts of De simonia originally were directed at different communities, the question of Grote’s addressees has to be approached differently. The argument for Kampen, strictly speaking, is valid for Part One only. If it is correct to consider the leven zusteren of this part as beguines without tertiary status50, St Agnes is virtually ruled out: this convent is not mentioned in the sources before 1422, and then it has tertiary status already.51 The Old Convent of Kampen, mentioned for the first time in 1327 and keeping aloof from the Third Order all the way, might fit the evidence.52 A better candidate, however, might be St Michael’s Convent, which exis­ ted as a beguine house already in 1339 but later moved into the sphere of influence of the Devotio Moderna.53 The tertiary beguines of Part Three might have been the inhabitants of the Old Convent in Zwolle, indeed. This community was unique in first adopting and later dropping tertiary status, but it now has been argued that during Grote’s lifetime, at least, they stuck to the Third Order.54

The place of De simonia in Grote’s œuvre The treatises which together form On simony belong to a whole cluster of works by Grote devoted to simony. The first treatise compares this phenomenon in beguines’ circles with the same offence amongst various categories of the clergy: a collegiate church (4,26–38), lower clergy (11,16), canons again (13,27–14,17), monks and nuns (14,17–15,3) and priests (15,34–16,18). In doing so it contains passages which are clearly akin to Grote’s De locatione ecclesiarum.55 This is in Latin and has the format of a consilium (juridical advice) dealing with the question Traiecti, in particular p. 5–17. Cp. Van Engen, De derde orde van Sint-Franciscus (cp. note 40), p. 79–81; Goudriaan, Beguines and Devotio moderna (cp. note 29). 50 The rubric above the newly found Antwerp Letters considers the Old Convent of Zwolle as their destined readers, but according to Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 113 this rubric is not authentic. The letters are adressed to a person representing a tertiary convent, but Van Engen, p. 123, proves that the quotations from the first part of De simonia had to be specially adjusted to fit this address. 51 J. Grooten, Niet aan kloosterbeloften en regel gebonden gemeenschappen van devote vrouwen te Kampen, (Utrechtse Historische Cahiers), Utrecht 1981, p. 24; website Monasticon Trajectense (www2.let.vu.nl/oz/monasticon, addressed January 11, 2011) nr. 102. 52 Grooten, Niet aan kloosterbeloften gebonden gemeenschappen, p. 8–16. 53 Grooten, Niet aan kloosterbeloften gebonden gemeenschappen, p. 23–23; website Monasticon Trajectense nr. 105; Goudriaan, Beguines and Devotio moderna (cp. note 29). 54 Goudriaan, Beguines and Devotio moderna. 55 Edition: Joannes Clarisse, Over den geest en de denkwijze van Geert Groete, in: Archief voor Kerkelijke Geschiedenis, inzonderheid van Nederland 1 (1829), p. 355–398; 2 (1830), p. 245–395; 3 (1831), p. 1–90; 8 (1837), p. 3–383, here 8 (1837), p. 119–152.

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whether it is allowed to rent a cura animarum together with the concomitant income against an annual payment. It is adressed to a dilecte, a male person, obviously. A second work, De cura pastorali (a treatise which also figures among Grote’s Letters, nr. 73 in Mulder’s edition) is likewise a Latin consilium.56 Grote wrote it on behalf of a young man approaching his 25th birthday and lobbying for a priestly benefice with the intention of feeding his poor parents from its income. Evidently, Grote rebukes him sharply for his wrong intentions. In this work, Grote refers explicitly to De locatione ecclesiarum.57 Two more Latin letters are dealing with aspects of simony. In Letter 18, Grote soothes the conscience of his friend Willem Vroede for having given an amount of money to the scholaster of Deventer in order to get the rectorate of the Latin School. The fault—Grote declares— is all the scholaster’s for having asked the money.58 Letter 19 contains an advice to another collaborator, Henry Voppenz, on how to deal with a priest who had procured his appointment by simony but repented.59 Finally, the second of the newly discovered Antwerp letters—as we saw—applies the concept of simony to the Third Order of Saint Francis.60 Though the heading which assigns both letters to the Old Convent of Zwolle is unauthentic, this community of tertiary beguines may have been involved in its early transmission.61 The kinship of On simony with the two Latin consilia expresses itself not only in its content, but also in its literary form. The Dutch treatise, too, or at least the first part of it, is a consilium. The opening phrase runs: ‘the question has submitted to me whether it is simony to buy a place or a prebend in a beguines’ convent’.62 And in the second Antwerp letter the excerpts from On Simony are introduced with the words: ‘I will relate to you the question that has been submitted to me’.63 The argumentation follows the general pattern of consilia: passages from canon law and authoritative theological texts are taken as a basis for often complex casuistic reasoning. The salient point, of course, is that Grote does so in the vernacular. We would almost forget how daring his initiative of translating so much academic learning into the vernacular really was. It is not known how Grote’s clerical contemporaries reacted to this step. We are better informed, 56 Editions: Clarisse, Over den geest van Geert Groete, p. 13–27; Mulder, Gerardi Magni

Epistolae (cp. note 48), p. 312–321.

57 Mulder, Gerardi Magni Epistolae, p. 314. 58 Mulder, Gerardi Magni Epistolae, p. 62–64. 59 Mulder, Gerardi Magni Epistolae, p. 65–71. 60 Edition: Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 137–144. 61 Van Engen, Twee onuitgegeven brieven, p. 125–128. 62 De simonia 1,1–2: Dit is my gevraghet oftet symonia sij ene stede of ene provende te copen in

enen beghinen convente.

63 Van Engen, Twee onuitgegeven brieven (cp. note 16), p. 138 lines 82–83: soe sal ic u ­segghen

die vraghe die tot my daer af es ghedaen.

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however, on the comparable case of Grote’s near-contemporary and fellow devout Wermboud of Boskoop. Wermboud was the champion of the incipient Modern Devotion in the city of Utrecht in the years around 1400. At one occasion, he became the object of an investigation by the inquisitor, which was occasioned by the suspicion of malpractices in one or more sisterhouses under his guidance. One of the objections was that the sisters made appeal to a juridical advice by Cologne doctors, translated in full—including the alleged autorities—by Wermboud.64 It will become clear that specific passages in Grote’s treatise can be characterized as quite explosive and liable to misunderstanding. Therefore, the least one can say is that his initiative in composing this treatise shows a great deal of courage.

Analysing and interpreting De simonia Let us now analyse On simony in more detail. Grote is normally quite explicit about his sources, and De Vreese has succeeded in identifying them with more precision in his extensive commentary. But the task of determining the particular direction in which Grote develops the arguments which he borrowed from his authorities still awaits the researcher: it is here that we may detect his originality. De simonia does not make easy reading. For all his qualities, Grote was not a gifted stylist, as is also made clear by his Latin writings. Or perhaps one should say that he often was in too much of a hurry to spend much attention to a polished style.65 Probably, when composing the first part of De simonia, Grote was travelling: in any case he excuses himself for not having his books of canon law at hand (3,8). Moreover, he had set himself the task of translating complex academic reasonings into the vernacular, something for which he had no predecessors. The chain of his argumentation is often difficult to follow, because of the seemingly associative transitions from one passage to another. Detailed analyses of concepts alternate with examples taken from contemporary life, adduced by Grote in order to illustrate dark points. The difficulty is aggravated by the fact that the text has been transmitted in a manuscript written in a Low German dialect which deviates not only from the varieties of Dutch spoken in Flanders or Holland—which are at the basis of present-day Standard Dutch—, but even from the dialect of the IJssel region. Moreover, De Vreese has preferred to give a diplomatic edition of the text according to the only manuscript. This is a natural choice for a literary specialist, 64 Paul Fredericq (ed.), Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlan-

dicae. Verzameling van stukken betreffende de pauselijke en bisschoppelijke inquisitie in de Nederlanden. V Volumes, Gent 1889–1896, II nr. 114 p. 184. 65 His translation of the Book of Hours, which was made during his leisure after he had been suspended from preaching, is much more careful.

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but it leaves to the historian the task of adding the proper interpunction in order to make the structure of the treatise(s) clear. Nevertheless, the following analysis will show that the reasoning underlying Grote’s text is highly coherent and does not deserve to be qualified as confused. One of Grote’s particularities is the frequent application of the argumentative figure of the a fortiori. For example, living and working in a hospital in itself is secular and belongs to the lay status, but if something spiritual is attached to it— perhaps Grote is thinking of indulgences—even here it is simoniacal to pay for a place in it: much the more so for a place in a beguine house (2,9–12). A passage on giving a large donation to a collegiate church with or without conditions but in the expectation of acquiring a prebend is ended with a reference to Luke 16:10, where Christ says: he that is unjust in the least is unjust also in much66 (5,10–14). The continuation of this text from the Gospel: if ye have not been faithful in that which is another man’s, who shall give you that which is your own (Luke 16:12) is adduced in order to condemn tampering with a place in a beguine house, an outward spiritual good, because it makes the wrongdoer unworthy of inner spiritual goods (10,13–16). Simon Magus, who even gave his name to simony, was severely condemned because he wished to buy the capacity of doing miracles, those gifts of the Holy Ghost (Acts 8). But miracles are visible signs only, so how much worse is he that tries to make merchandise of goods that are conducive to invisible spiritual goods such as the virtues (23,18ff). In all these instances, it is not Grote’s intention to belittle the lesser evil, but to make his condemnation of the larger evil so much the stronger.

Part One In Part One Grote enlists various arguments, borrowed both from canon law and from Thomas’ Summa theologiae, in order to combat simoniacal practices in the admission of new beguines. The argumentation is concrete in giving details about beguines’ community life and falls apart in four sections. The first section treats simony as a way of buying and selling spiritual goods and as a crime that sometimes is brought before ecclesiastical courts but more often is not (1,1–6,30). The second section approaches simony with the help of the concept of iustitia distributiva, borrowed from Aristotle via Thomas Aquinas (6,30–11,29). In the third section Grote switches to another key concept, acceptio personarum (respect of persons) borrowed from Scripture (11,29–13,24). In the last section Grote refutes objections which take the form of references to parallel situations in which simony is tolerated (13,24–16,18). 66 King James Version.

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Grote starts the first section by arguing that the way of life in the beguinage is spiritual.67 He is aware of the successive papal decisions of the past century, which in turn had prohibited beguinal life and allowed it to those beguines whose orthodoxy had been proven; he is thinking of Cum de quibusdam (1311) and Racio recta (1318).68 He also takes account of the lay status of the beguines, which makes them subject to secular law courts. Nevertheless, according to Grote, the essence of being a beguine is to be separated somewhat from the world and to devote one’s life to the service of God.69 This is a spiritual affair, and therefore also the provisions to make this life possible, such as the availability of a stede (a place) in a convent, are spiritual (3,15–18). Assigning them on financial conditions is simony. Grote then immediately raises two important questions, which recur in his other works. Because beguines are subject to secular law, they are not liable to being tried by ecclesiastical tribunals on the basis of simony as it is defined by canon law. Grote acknowledges this, but he appeals to the forum internum70 of conscience (3,18–26). In our conscience, that is, before God, we know that buying and selling places in a convent is simony, even though the Church does not prosecute it. Penitence is absolutely necessary in such cases. For the idea of relying to conscience in cases in which the tribunal is not competent, Grote refers to the Decretals of Gregory IX.71 But whereas canon law restricts the term simonia to those cases for which the tribunals are competent, Grote coins the expression symonia de in den herten steet (simony seated in the heart; 4,22–23). In doing so, he gives an important extension to the scope of the notion of simony.72 The opposition between the jurisdiction of the Church and the forum internum of conscience recurs in more detail in De locatione ecclesiarum, in a slightly different context. The importance of this passage has been noticed already by Épiney-Burgard.73 In accordance with canon law, Grote analyses the significance of the office of priesthood. It comprises both jurisdiction and governance of the souls (regimen animarum). Simony in acquiring this office is bad as far as jurisdiction is concerned, but it is much worse still if regimen animarum is involved. Ju67 Grote applies the term ‘spiritual’ (geistlic) in a very precise manner: this will be analysed

under Part Three.

68 De simonia 3,2–10. Cum de quibusdam: Fredericq, Corpus documentorum (cp. note 64),

I, p. 167–168. Racio recta: Fredericq, Corpus documentorum, II, p. 72–74.

69 De simonia 3,10–13: … baghinen unde conventen leven is daer umme entlike um van der

werlt wat te scheiden to wesen in clederen unde in leven unde gode te deynen.

70 Forum internum as a term is not used by Grote; but see Weiler, Geert Grote en begijnen

(cp. note 12), p. 119.

71 De simonia 4,19–22. Emil A. Friedberg, Corpus iuris canonici. II Volumes, Leipzig 1879–

1881, p. 767 [Decretal. Gregor. IX liber V tit. III cap. 46].

72 This has rightly been remarked already by Van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer

(cp. note 5), p. 228–229; 264.

73 Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 279–280.

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risdiction only cleans outward life, and this belongs to the militant Church, which is composed of both good and bad members. The main goal of jurisdiction is to suppress evils that might cause great scandal. Regimen animarum, to the contrary, cleans the conscience and brings people closer to God. It opens up the triumphant Church and heaven to them and unites man to the mystical body of Christ.74 This amounts to a very spiritual conception of the Church. But it would be wrong to interpret this as a devaluation of the institutional Church. Here, as so often, Grote applies an a fortiori argumentation. He is not implying that the jurisdictional task of the Church is unimportant, but merely that its importance is by far surpassed by that of cura animarum. The second problem raised by Grote in the first section is the observation that in his days the Church is extremely reluctant in sueing people for simony. Despite the fact that this crime is committed a hundred thousand times, Grote himself never witnessed a lawsuit on an accusation on simony. In De simonia (5, 15 ff.) Grote restricts himself to deploring this fact and explaining it by saying that the Church chose this policy in order to avoid a larger evil (um een merer quaet te myden); to write on this would be beyond the present scope (daer to lange of te scriven weer). But in De locatione ecclesiarum exactly the same problem is formulated, and here Grote gives it a full treatment.75 His argument runs more or less as follows. Times are evil, and the Church has to take account of that. If she would open up the tribunals for accusations of simony, mighty men (potentes; the whole context reveals that he means secular people) would immediately make abuse of it and apply their riches to sue the clergy indiscriminately and without caring a bit for the truth of their accusations. As a consequence, especially poor and humble members of the clergy would be in grave peril of losing their benefices undeservedly. Therefore, the Church leaves simony mainly to one’s conscience, but that does not make it a lesser crime. Although Grote does not expressly say so, no doubt he is referring to the influence lay patrons could exert on the appointment of priests by making use of their advowson (German: Kollationsrecht). Grote’s argumentation here is very precious. Of course, he is critical of the Church of his time. But although we know him as a rigorist, in this passage he shows to have both a fundamental loyalty to the Church, for whose weakness he manages to find an excuse, and empathy for the concrete situation of the humble priests of his days.

74 Clarisse, Over den geest van Geert Groete (cp. note 55), 8 (1837) p. 130: Regimen anima-

rum mundat conscientiam et aperit homini Ecclesiam triumphantem et coelum, et unit hominem corpori Christi mystico; sed jurisdictio mundat in exterioribus Ecclesiam militantem, de bonis et malis congregatam. 75 Clarisse, Over den geest van Geert Groete, 8 (1837), p. 148–149.

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Grote concludes the first section with the example of two virgins, the one poor but devout, the other rich but arrogant, in order to illustrate—with an appeal to everybody’s conscience—how objectionable it is to deny anybody the access to a spiritual life in a beguine community and the eternal rewards concomitant on it by attaching more value to perishable goods such as the entrance fee (5,24–6,30). The example simultaneously introduces his main topic in the second section, distributive justice. Grote borrows the idea of iustitia distributiva—giving everybody according to his dignity—from the Summa theologiae of Thomas Aquinas76, in order to apply it to the proper way of assigning the places available in a beguinage. He first explains that this kind of justice has its foundation both in nature and in grace (6,30–7,26). In the remaining part of this section, the idea of a justice distributing according to dignity is applied first to poverty in particular and then to virtuousness in general. Distributing places to those who can pay for them is doing grave injustice to the poor, who are excluded for their poverty, the very quality which makes them conform most to Christ (7,26–9,15). It implies a refusal to imitate Chist, who chose his disciples and apostles exactly from among the poor and the humble.77 Poverty is the quality which makes those people who have been rejected by the world especially worthy of being elected in the eyes of God: the authoritative divine model for the just distribution of spiritual goods.78 Grote also quotes the Acts of the Apostles79, according to which the primitive church distributed to everybody according to his needs, as well as the monastic vows, which include—next to obedience and chastity—also poverty.80 Grote’s argument must not be misunderstood: he is speaking about poverty as a personal condition or quality; he is not advocating the poverty of the Church as an institution.

76 Thomas Aquinas, Summa theologiae, Prima qu.  21 art.  1 in corpore: dicitur distributiva

iustitia secundum quam aliquis gubernator vel dispensator dat unicuique secundum suam dignitatem. Edition: Roberto Busa, S. Thomae Aquinatis Opera omnia. Volume II, Stuttgart 1980, p. 220. 77 De simonia 8,4–5: Item gij slutet em daer um uut daer cristus na koes de syne de he alre leifst hadde syne apostele unde discipulen. 78 De simonia 8,5–14; I Cor. 1:26–29. 79 Acts 2: 45: dividebant illa omnibus prout cuique opus erat. 80 De simonia 9,1–2. Grote is careful not to quote Acts 2:44 (et habebant omnia communia) or Acts 4:32, the basic scriptural passages for the communism of the primitive church. I have argued elsewhere that Grote reserves the model of the communism of the early church exclusively for the monastic life: Koen Goudriaan, “Arme vrouwenpersonen, om Goods willen gheherberghet”. Gemeenschappen van devote vrouwen aan het eind van de veertiende eeuw, in: Ons Geestelijk Erf 82 (2011), p. 97–135, here p. 121–124. It is dangerous to apply the notion of vita apostolica indiscriminately, because ideas about life in the primitive church could vary considerably; cp. Gordon Leff, The apostolic idea in late medieval ecclesiology, in: Journal of Theological Studies 18 (1967), p. 58–82.

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In the following pages, Grote expands the idea of distributive justice by extending the concept of dignity to virtuousness at large. Three successive examples are passed in review: the biblical parable of the faithful steward81, the way posts in the Kampen city magistracy are assigned (10,15–11,6) and the example of the mighty lay manager of a convent (11,6–11,29). This third case is revealing about Grote’s ideas on lay administration of Church goods. Though he concedes that situations might occur in which it is useful for a convent to have a lay governor, provided he is virtuous at the same time, in general he is not very optimistic about the chance that this might happen. If such a mighty lay administrator lacks justice, as often occurs, the harm he may do the convent wil by far surpass the damage done by someone who lacks power. In general, for lower clergy and those in religion and in convents it is better to be without mighty relatives: it is better for themselves as well as for those outside.82 This point makes perfectly clear that, whatever is wrong with the Church, the secular lords are definitely not the ones from whom Grote expects initiatives for reform. The issue recurs in De cura pastorali with special reference to the priesthood; here Grote is especially negative about temporal lords. He rebukes them for their wish to exalt themselves above the clergy. They impress themselves upon priests within their sphere of influence in order to have them exert their pastoral care in such a way as fits their (the lords) temporal interests and lordship (dominium). The priests are forced to celebrate, bind and absolve, and administer the sacraments on the command of the secular lords.83 The third section (11,29–13,24) of Part One approaches ecclesiastical admission policies from the angle of acceptio personarum (respect or acceptance of persons). This is the opposite of God’s distributive justice.84 Grote borrows his argument from Scripture, his main authority being the Epistle of James.85 It is wrong to assign places which contribute to virtue and have been established for that purpose (12, 24: stede de to der doecht draghen unde ghesat sijn; cp. 13,3) to rich persons who lack virtue, to the detriment of the poor. Acceptance of persons without regard

81 De simonia 9,15–10,15; I Cor. 4:1–2; Luke 12:42–48; Luke 16:11–12. 82 De simonia 11,15–17: Unde dicwijl in dusdanighen oetmodighen nederen state als in religien

unde in nederen clerken unde in conventen ist nutter sunder maghe te wesen, dicwile beide den conventen unde den menschen selven. 83 Mulder, Gerardi Magni Epistolae (cp. note 48), p. 320: Principes temporales volunt esse supra sacerdotes, et volunt curam eo modo regi per curatos, quo temporalibus et eorum dominio expediat, voluntque celebrari cum ipsi iusserint, similiter et absolvi vel ligari et sacramenta administrari. 84 De simonia 12,4–5: Unde dese sunde de entfangnisse der personen is weder de delende rechtverdicheit godes. 85 James 2:1–6.

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for their dignity is close to simony.86 With the concept of ‘places which contribute to virtue’ Grote hits upon an idea which he later expands in full in the Third Part of De simonia. The last section of Part One (13,24–16,18) does not carry on Grote’s thoughts about simony on a theoretical level, but contains the refutation of arguments based on the parallel cases of regular canons, monks and nuns, and priests, which are adduced with the intention of defending simoniacal practices. Interesting though it is, this is not the place to analyse this passage in detail.

Part Two The second treatise incorporated in De simonia deals with the general problem of the relationship between divine justice and human institutions and practices. Its form resembles the sermon, and the treatise starts with a theme borrowed from Proverbs 8: 14–16, where God’s Eternal Wisdom says: Counsel is mine, and sound wisdom: I am understanding; I have strength. By me kings reign, and princes decree justice. By me princes rule, and nobles, even all the judges of the earth.87

This part lacks a concrete address, but it has a concluding formula of its own: ‘Blessed is he whose heart is open; have mercy on us, o Lord’.88 The argumentation refrains from using sources from canon law and is based, instead, on a whole range of biblical texts and on the commentaries on them by St Augustine, St Jerome, the Venerable Bede and St John Chrysostom, all of which are translated extensively. One of the passages invoked, for example, is Matthew 15:2–6, in which Christ defends his disciples who had not washed their hands before dinner, against reproaches by the Jews who considered this as a transgression of ‘the law’ (19,20–30). The argumentation is traditional, pointing to the obligation of making human institutions conform to God’s will. It ends with the statement that human institutions ought to be nothing but a determinacio, a manifestation of natural and eternal law as it is applied to concrete cases.89 86 De simonia 13,4–5: … daer na naket dit entfaen der personen sunder eer weerdicheit der

symonien.

87 King James Version. 88 De simonia 21,9: Salich is de den sijn herte open is. Entfarme dy unser heer. 89 De simonia 21,3–6: Item seit dat menschen satinge en is anders nicht dan een determinacio,

dat is een underschedende bewisinge des natuerlikes unde des ewighen rechtes in underschedenen saken unde der dinge. The term determinacio has a philosophical connotation and means: terminus quo sensus notionis restringitur, according to Olga Weijers/Marijke

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The terminology used by Grote in this part differs largely from the one applied in Part One. It revolves entirely around the opposition between divine and human ewe (law) and its synonyms ghesette and satinghe. Only occasionally one is reminded of the argument in the previous part, for example when distributive justice is mentioned casually (17, 29–30). The expression als de baghinen doen (as the beguines do) is interpolated in a translation of Augustine’s commentary on the Epistle to the Galatians: ‘He is born from flesh who is seeking himself in temporal profit or honour’.90 Likewise, the diatribe of Isaiah 10:1–2 against those who devise unjust laws and oppress the poor, the humble and the widow, is applied by Grote to the unjust practices prevailing among beguines (20,20–25: … och wo seer sijn de waer in den insetten der baghinen). Simony is not mentioned at all in Part Two. Acceptio personarum—which is of course intimately connected to simony— takes its place (19,9). At one point, Grote refers explicitly to his argumentation in ‘the other book’, confirming what he had said there about distributive justice, the faithfulness of the steward and about not accepting persons without good cause.91 All these indications may be taken as evidence for the hypothesis that Part Two had a separate origin and was only subsequently adapted to its present function as a sequel to the original treatise On simony. Potentially, Grote’s arguments could be disruptive with respect to the laws and institutions in force within the contemporary Church. But Grote uses them precisely to corroborate his statements in Part One on God’s distributive justice, which donates spiritual goods only to those worthy of them. Here, too, there is no reason to doubt of his essential loyalty to the Church and her institutions.

Part Three Part Three is based mainly on the work of two theologians, Thomas’ Summa Theologiae and the Summa aurea of Thomas’ predecessor William of Auxerre, a commentary on the Sentences of Peter the Lombard. In contrast with Part One, it contains one coherent argument which runs from beginning to end. First, Grote explains that the virtues, like miracles, prophecies and the sacraments, are ‘spiritual’ (geistlic), meaning: gifts of the Holy Ghost (21,22–24,35). The second link

Gumbert-hepp, Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi. Volume III (Leiden 1986) s. v. 90 De simonia 18,2: De is sprect he uut den vleische gheboren. de em selven suect in tijtliken ghewinne of eren als de baghinen doen. 91 De simonia 19,2–5: Unde daer um staen al myne redene vast unde bliven staende de ic in den anderen boke sprac uut delender gherechtichticheit unde uut truwheit des sceffeners unde uut den dat men ghene personen annemen sal sunder sake.

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in the argumentation focuses on ‘religion’ (religio)92, which is the highest of virtues apart from the three theological ones (25,1–27,10). ‘Religion’ is the quality of devoting one’s life entirely to God, a definition Grote borrows from Thomas.93 Some statuses and ways of life imply a greater or lesser degree of devotion to God than other ones; proportionally, their character as ‘religious’ statuses is stronger or weaker. Third, in order to reinforce one another in making progress in the virtue that is called ‘religion’, people may unite in congregations (27,10–28,8). As it is said in Psalm 132,1: Behold, how good and how pleasant [it is] for brethren to dwell together in unity! (27,15).

Finally, to the institutions fostering the virtue of religion not only belong monasteries, but also Third Order convents and beguinages. If admission to them is sold for money, this is clearly simony (28,8–30,33). The argument as a whole is the expansion of an idea that had been formulated in passing already in Part One. Righteous distribution of places which have been established in order to contribute to virtue (12,24 cf. 13,3) implies assigning them to those worthy of it, even if (or: exactly because) they are poor. As has been said before, Grote introduces Part Three as a refutation of the argument in a Wederboec van Colene (21,21). De Vreese tried in vain to find that Wederboec, and it has not been discovered since. No doubt, however, it had the character of a consilium by legal experts94, and we are able to guess what its main argument must have been. Grote closes Part Three by summing up his reasoning in opposition to the Wederboec: ‘One should apply the names to the objects and not the objects to the names. But the book of Cologne wishes to separate the re-

92 Throughout the first and third parts of De simonia Grote carefully distinguishes the se-

mantic fields of geistlic (spiritual) and religio (in Part Two they do not occur). Geistlic is the term with the widest connotation, referring to all things that emanate from the Holy Spirit, exactly as it is explained in the beginning of Part Three. Apart from that, dat gheistike recht is Grote’s vernacular for ‘canon law’ (1,6; 3,25; 5,1; 14,16; 16,8); gheistlike gherichte (4,4) refers to the ecclesiastical court. Religien/religio (2,19–20; 9,1; 11,16) is strictly reserved for the monastic—and as it appears in 25,1 ff. semi-monastic- life; religiose lude (2,28; 3,19) are the religiosi in the usual medieval technical sense. Van Engen, Sisters and brothers (cp. note 15), p. 82–83 conflates the two terms. 93 De simonia 25, 3–6. Thomas, Summa Theologiae, Sec. sec. qu. 81, especially article 8; Busa, S. Thomas Aquinatis Opera Omnia (cp. note 76) II, p. 627. On the influence of Thomas Aquinas on Geert Grote: Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 84–85. A recent discussion of question 81 and its scholastic background: Robert J. Staudt, Religion as a Virtue. Thomas Aquinas on Worship through Justice, Law and Charity, diss. Ave Maria University 2008. 94 Cp. the advice edited as a kind of ‚second best‘ by De Vreese, De simonia, p. 67–88.

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ligions and apply the things to the names’.95 What he appears to say is that in the book of Cologne the working of the concept of ‘religion’ was restricted to those categories which are explicitly given that name. ‘Religion’—so the Wederboec must have argued—is found only in the life of those that are called religiosi officially: monks and nuns. Probably, it had drawn the conclusion that Grote stretched the meaning of ‘religion’ too far by extending it to tertiaries and beguines; consequently, also the concept of ‘simony’ received too wide an application. So it was Grote’s task to argue for a deeper understanding of what ‘religion’ really is, in such a way as to subsume also the life of beguines and tertiaries under it. His strategy was to define religion not as an ordo but as a virtue, even as the highest of virtues apart from faith, hope and charity, and to present virtues generally as gifts of the Spirit. Only then would his argument be complete: simony, buying and selling the gifts of the Holy Ghost, is a concept applicable also to the type of life that is found in tertiaries’ convents and beguinages. It is worthwhile to explore Grote’s argumentation in more depth. The first link in the chain of his argumentation revolves around the three types of gifts of the Spirit, an idea borrowed by Grote from the Summa aurea of William of Auxerre.96 These three categories are the gifts of prophecy and of doing miracles, which signify the Holy Spirit, the sacraments, which bestow the Spirit, and the virtues, through which one possesses the spirit.97 The way Grote applies this idea, however, is very daring. The working of miracles and the administration of sacraments are liable to being bought and sold in actual fact. Of course this is simony and a grave crime, but miracles can be wrought by sinful people and the effectiveness of the sacraments is not impaired by the fact that they are administered sometimes by priests who obtained their office in an unworthy way (21,25–22,8). How much more costly, then, are the virtues. They cannot be sold and bought, because by trying to transfer virtues—personal qualities—in a simoniacal way, one makes them become something different from themselves.98 So, in the ­hierarchy 95 De simonia 30, 26–29: Men sal de namen ten dingen trecken unde niet de dinge to den

namen […]. Mer dat boec van Colene wil de religien scheiden unde de dinge by den namen [trecken]. 96 De simonia 21, 22–32. For William of Auxerre I consulted the edition by Fr. Regnault (Paris 1514). The reference is to Liber tertius, tractatus XXVII, fol. 248 in Regnault’s edition. Modern edition: Jean Ribaillier, (ed.), Magistri Guillelmi Altissiodorensis Summa Aurea, Paris/Rome 1986: liber III, tractatus XLIX, p. 940. 97 De simonia 21,26–29: dat properlike geistlic ding. dat is daer men ynne heeft den hilghen geist als alle duechde. of daer men in gheeft den hilghen geist. als de sacramente of daer men mede teikent den hilghen geist. alse gave der prophetien unde mirakele te doene. 98 The nucleus of Grote’s argumentation can be found in William’s Summa, in the sequel of the passage quoted in the note 96. In connection with the gifts of the Spirit, William discusses the difference between the impreciabile de iure set non de facto and the impreciabile de iure et de facto. But it is Grote who gives the idea the format of an a fortiori.

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of the gifts of the Spirit, the virtues take a higher position than miracles and even the sacraments (22,8–30; 23,27–24,18). Now, if the Church condemns simony, she does so in connection with one of those two lower types of spiritual gifts. How much worse, then, must be the simony perpetrated in connection with the virtues, even though this is not targeted in particular by the disapproval of the Church (24, 18–2499). This argumentation, presented in the vernacular, is exceptionally explosive. But one should not be mistaken about Grote’s intention. There cannot be the shadow of a doubt on the high regard he had for the sacraments; in his theology of the eucharist he was wholly orthodox.100 What we find in this piece of argument is just the most powerful of all his a fortiori reasonings in On simony. Grote’s goal is not to belittle miracles or the sacraments, but to underline the high spiritual value of the virtues. This is exactly the reason why he attaches so much importance to regimen animarum: it is because the spiritual guidance given by the priest to the laity entrusted to his pastoral care has the goal of enhancing their virtues and improving their souls in order to make them fit to enter heaven.101 Once the high rank of the virtues has been established, Grote can apply this result to the most important among them, religion. Here, too, he appears to be crossing a border, by taking the argumentation of his spokesman, Thomas Aquinas, a few steps further and developing a doctrine according to which the virtue of religio comes in degrees. The two clues that Thomas gives him, are to be found in the Summa theologiae. In question 184102 Thomas describes the status of religiosi as the status perfectionis: the religious have taken solemn vows to lead a life devoted to the effort of reaching perfection. This does not mean that they are really perfect. It is possible to be in statu perfectionis without being perfect, exactly as it is thinkable that a person is perfect without being in statu perfectionis. Grote illustrates the point by adducing the parable of the two sons who are sent by their father into the vineyard103, a reference he could find already in the text of Thomas. Formulated otherwise, there is perfection outside the state of perfection.

99 This passage contains a rare instance of Grote referring to grace: how small the degree of

100 101 102 103

virtue in a person may be, nevertheless the reception of God’s grace and glory as rewards are ensuing. De simonia 24,24–30: Want wo wenich dat de graet rechter mynnentliker ­doghet […] is[…] so volghet daer annemicheit godes gracie unde glorie in loen … Épiney-Burgard, Gérard Grote (cp. note 8), p. 226–227. Clarisse, Over den geest van Geert Groete (cp. note 55), p. 130; cp. above, note 74. De simonia 29,4–5; Thomas, Summa Theologiae, Sec. sec. qu. 184 art. 4 in corpore: Busa, S. Thomas Aquinatis Opera Omnia (cp. note 76) II, p. 749. Matthew 21: 28–32; De simonia 29,5–9, referring to Matthew 31, wrongly.

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The second clue Grote found in question 186104, which deals with the status of the religious. Thomas has first given his general definition of ‘religion’ (the virtue by the force of which one serves God) and then goes on to explain why religiosi (monks and nuns) are specially indicated as such. Fortitude and temperance are qualities that are present in many people but are attributed especially to those who posses them par excellence. In an analogous way, religio is predicated in particular on those who possess this quality in excess. The application Grote gives to this idea (25,37–26,16) is in a sense a reversal of the thrust of Thomas’ argument. Religio, for sure, is present in the highest degree among those who have taken solemn vows. But it is not restricted to them: in lesser degrees it can be perceived in both people and statuses outside the monastic orders. And so Grote transfers the concept of religio outside the monastic sphere to both the tertiaries and the beguines, stipulating however that in their lives, too, poverty, chastity and obedience are observed in a certain degree.105 The implications of Grote’s reasoning appear to be twofold. On the one hand, he does not cast doubt on the correctness of taking religio in the strict canonical sense of the word. At the same time, however, he highlights the deeper, moral meaning of the term, which makes it possible to apply it outside this restricted area to tertiaries and beguines. The extension of the notion of simony follows in its wake, and Grote accepts the implication that there are cases of simony which cannot be brought before ecclesiastical tribunals but belong to the domain of conscience. This is the essence of his refutation of the Wederboec van Colene.

Practical impact Before giving an evaluation of the significance of Grote’s thought by comparing it to some basic tenets of Wyclif, it is useful to highlight the practical impact his ideas have had. In an article that has been published recently, I have analyzed the statutes of twelve sisterhouses from within the incipient Devotio Moderna, all dating between 1380 and 1400.106 These statutes reflect the self-image of the sisters with respect to their type of religious life. They consider themselves to be poor virgins, rejected by man but for that reason elected by God; spiritual women living a life in separation from the world; and especially geherbergde vrouwen (shel104 De simonia 26,1. Thomas, Summa Theologiae, Sec. sec. qu. 186 art. 1 in corpore: Busa, S.

Thomas Aquinatis Opera Omnia (cp. note 76) II, p. 754.

105 De simonia 26,27–28: Nochtan hoert daer ummer to een versmaen tijtliker dinge unde tijt-

liker lust in den lychame unde tijtlikes willen and cp. in the following lines: armoede […] reynicheit […] underdanicheit. This is a summary of Thomas’ argument in qu 186; but the application to tertiaries and beguines is Grote’s. 106 Goudriaan, Arme vrouwenpersonen (cp. note 80).

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tered women), which in the context means that they have been given lodging in their respective houses ‘for God’s sake’, without payment, i. e. without simony. Their self-conception is clearly akin to the spiritual ideal formulated by Grote in his On simony. The institutional infrastructure of these twelve houses is quite divergent, some being reformed beguinages, other ones hospitals turned to religious use, and still others established in houses freshly donated by benefactors. Evidently, because the sisters were not allowed to pay for their entrance, they had to take resort to whatever institutional opportunity offered itself. In doing so, they took advantage of ecclesiastical institutions that were available or founded new ones modelled on the existing types. A second domain in which Grote’s ideas on simony were put into practice, was that of improving cura animarum by making provisions for the appointment of devout priests. In a sense, St Paul’s chantry in St Lebuin’s Church in Deventer, which was served by Florentius Radewijnsz, Grote’s collaborator and successor, gave the model. Grote personally persuaded a benefactor in Deventer to establish a new chantry for the benefit of a good preacher.107 And we know of several instances in which such chantries were founded as an annex to a recently established religious house. A case in point was the newly founded chantry of St Peter in the New Hospital in Amersfoort.108 The institution of the chantry is traditional, but the statutes layed down in such cases were innovative. Strict rules were formulated in order to ensure that the person to be installed would be an idoneus presbyter, someone to whom the regimen animarum could be entrusted. In order to achieve that goal, the Devout prohibited secular influence on the appointments and entrusted the advowson exclusively to individuals or functionaries firmly rooted in their own movement.

Significance In De simonia ad beguttas Grote analyses the working of ecclesiastical institutions with reference to the basic intentions and assumptions underlying their exis­tence. He does not question their raison d’être but tries to improve the ways they function. The material infrastructure of the Church has been founded in order to make her institutions do their wholesome work, an important part of which is improving the virtues of the members of the Church. The idea of virtues, moral 107 Mulder, Gerardi Magni Epistolae (cp. note 48), nr. 51 (p. 197). 108 Koen Goudriaan, Willem Hendriksz van Amersfoort, in: Flehite. Historisch Jaarboek

voor Amersfoort en omstreken (2002), p. 66–99, here p. 73–75. Cp. also the efforts made by Hugo Goudsmit, discussed in Goudriaan, Beguines and Devotio moderna (cp. note 29).

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qualities which may be present in different gradations in various categories of people, is essential to Grote’s thinking. One of these virtues is religion, the quality of putting one’s life entirely at the service of God. Another one is poverty: more than being a condition of people, for Grote poverty is something which belongs to the sphere of the moral and religious: For ye see your calling, brethren, how that not many wise men after the flesh, not many mighty, not many noble, are called.109

He does not connect poverty with the institutional aspects of ecclesiastical life. Essentially, simony is corruption in the application of the instruments of the Church by reversing the proper relationship between material means and the spiritual ends they are intended for. Simony is a failure to make human institutions conform to God’s Eternal Wisdom, preventing them from functioning as vehicles of God’s distributive justice and practicing acceptio personarum instead. So far I have left the confrontation of Grote’s idea with those of Wyclif mainly implicit. By way of conclusion, an explicit comparison between the two may be appropriate.110 Both were academics, but whereas the personal agency of Wyclif remained more or less confined to the academic world, Grote at a certain point in time changed the direction of his life, which caused him to make an effort to apply sound theological and even canonical doctrine in everyday life.Translating academic learning into the vernacular to the intention of the laity—with the risk of being misunderstood or attracting the wrath of the authorities—was part of his strategy. But despite his severity in condemning the vices of the Church, it was not Wyclif but Grote who was the most moderate of the two. A few theses may sum up the differences in position between the two reformers: 1. Both Grote and Wyclif are critical of the Church of their days. But Grote accepts the hierarchy and the institutional structure of the Church; Wyclif does not.

109 I Cor. 1:26 (King James Version), quoted De simonia 8,9–11. 110 The literature on Wyclif is very extensive. I quote some important recent publications:

Michael Wilks, Wyclif: Political Ideas and Practice. Paper ed. by Anne Hudson, Oxford 2000. Kantik Ghosh, The Wycliffite Heresy. Authority and the Interpretation of Texts, (Cambridge Studies in Medieval Literature, 45), Cambridge 2001. Stephen E. Lahey, Philosophy and Politics in the Thought of John Wyclif, (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 54), Cambridge 2003. Elemér Boreczky, John Wyclif ’s Discourse on Dominion in Community, (Studies in the History of Christian Traditions, 139), Leiden 2007. Stephen Edmund Lahey, John Wyclif, Oxford 2009. Ian C. Levy (ed.), A Companion to John Wyclif: Late Medieval Theologian, (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 4), Leiden 2011.

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2. Grote urges the correct application of canon law, including the most recent Decretals: it constitutes one of the two pillars of his argumentation. Wyclif rejects the development of canon law since the Fourth Lateran Council. 3. The importance Grote attaches to conscience is not intended to cast any doubt on the jurisdictional power of the Church. For Wyclif jurisprudence is an aspect of dominium and as such is made dependent on grace. 4. Grote accepts the temporal patrimony of the Church as something given and self-evident. Assignment of ecclesiastical/spiritual posts without acceptio personarum implies that the material means of the Church are applied to the pur­ poses for which they are meant, not that they are abolished. Wyclif, to the contrary, lays the theoretical basis for ‘disendowment’ of the Church 5. Wyclif is in favour of entrusting the material wealth of the Church to secular lords, especially to the King. According to Grote, nothing but evil can be expected from the potentes if they get the chance of exerting their power over the clergy and ecclesiastical institutions 6. According to Wyclif, poverty is a desirable quality for the Church as an institution. Grote advocates poverty as a quality of persons elective to places enabling them to lead a religious life 7. Though Wyclif applies the concept of grace differently from the sixteenthcentury reformers, the centrality of this concept unites him with them. To the contrary, this same concept is almost absent from the works of Grote. The index of Epiney-Burgard’s monograph lacks an item ‘grace’. Instead of it, ‘virtue’ is Grote’s central notion.111 8. Wyclif restricts the right to exercise dominium to those who are in the grace of God and holds that sinners are not entitled to it. Though he may accept the idea that it is impossible to distinguish in this life between individual members of the two categories, the categories themselves are clearcut: it is either … or. Grote argues for a gradation in the distribution of the virtue of religion. 9. For Grote, reform of the Church cannot be brought about by radical ­changes in its institutional structure. Basically, reform amounts to improvement of the personnel of the Church: of clergy, religiosi and laity alike. Both Wyclif and Grote initiated an extensive religious movement bent on bringing about a reform of the Church. But the directions taken by these movements were almost opposite, with lollardy soon being marginalised as heretical and the Devotio Moderna integrated in the mainstream of the Church. Of, course, contingent social-historical circumstances are partly responsible for this divergence. Grote’s followers, for example, could not be associated by their opponents with something comparable to the 1381 Peasant Revolt for which lollardy received the blame. To conclude this contribution, however, I would like to formulate the 111 But cp. in the foregoing note 99.

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hypothesis that profound ideological differences also have played a role. Grote’s On simony is a good starting point for tracking down these divergent theoretical premisses.

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For too long, the study of the Devotio Moderna in the Low Countries and elsewhere, and the study of lollardy in England, have proceeded on largely separate, parallel tracks. This volume offers a welcome opportunity to foster new comparative conversations, and this essay will attempt to set some of them going. A few years ago it might have seemed ridiculous that anyone might look for similarities between ‘lollards’ in England, and the Modern Devout. Only Margaret Aston thought that there might be something in it.1 After all, English Lollards were heretics who rejected the Catholic church and all its institutions. They were famed for their strident polemic, their negativity, the sterility and lack of imagination of their religious ideas (such as those were), and their rather odious habit of imagining themselves as a tiny, select community predestined for salvation.2 When lollards were viewed more positively, they were acclaimed as the harbingers of the Reformation. But even then, they were still thought of as opposed to the religious culture that surrounded them, disengaged from its imagery and its religious feeling, and if anything even more sectarian than in the negative view. The Devout, on the other hand, while at least equally subject to historiographical distortion, were seen to be like friars and monks before them in that they sought, and to a considerable degree attained, a way of life centered around holiness. They separated themselves from the world, and sought perfection through chastity and rigorous spiritual exercises. And they sought to deepen their own devotion and

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Indeed, Margaret Aston gave K. B. McFarlane credit for first making the observation that there seemed to be resemblances between the two movements. See Margaret Aston, Lollards and Images, in: Lollards and Reformers: Images and Literacy in Late Medieval Religion, London 1984, pp. 135–92, on p. 137, and also Id., Popular Religious Movements in the Middle Ages, in: Faith and Fire: Popular and Unpopular Religion, 1350–1600, London 1993, pp. 1–26, esp. pp. 19–20. See also K. B. McFarlane, Lancastrian Kings and Lollard Knights, Oxford 1972, p. 225. This characterization is acidly distilled in Eamon Duffy’s preface to the second edition of The Stripping of the Altars: Traditional Religion in England c. 1400–1580, New York and London 2005, 2nd ed., pp. xiii–xxxvii, on pp. xx–xxviii, but may be found in more diluted form elsewhere.

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convert others to their way of thinking by educating the young, and through the making and reading of religious books of devotion. We are coming now, or rather again (for after all Grundmann had this insight in the 1930s), to recognize that heresies, religious orders, and semi-official religious establishments that sought and gained legitimacy are not really so different from one another: all are religious movements.3 Once we view the range of personal and institutionalized conversions toward greater religious perfection that people in the later middle ages sought out as a range of possibilities, rather than starkly opposed choices of very different kinds, we can better understand how they presented themselves to the medieval people who sought them out. At the same time we should not forget that a given religious movement’s success in achieving legitimacy, and its changing fortunes over time, profoundly marked the religious experience of its adherents, and indeed the kind of community they were able to form and maintain. We cannot understand a heresy if we rely solely on the hostile perspective of those who pursued as heresy its leaders and adherents and their books in order to describe its beliefs and practices. But equally, we cannot understand it if we forget how it was shaped by that opposition. Lollards in England, like the Devout, were participants in a religious movement. Both aimed at greater perfection than they saw in Christians all around them. Both sought out a rigorous imitation of Christ. Both learned much from previous efforts toward religious perfection, yet finally rejected, for the most part, the alternative of joining established religious orders of monks, friars, canons, or nuns. Both sought converts, even as they sought to distinguish themselves from the way of life they saw around them. Both were engaged in a very substantial educational program—both were very heavily involved in the writing, copying, production, circulation, and reading of books. Many authors in both movements were highly educated, and intriguingly well-versed in law, in particular, as well as theology. Yet they were also to some extent suspicious of the mental and moral habits inculcated by the established educational institutions of their culture, and while they wrote in Latin too, they placed unusual emphasis on the possibilities 3 Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Berlin 1935, now translated

as Religious Movements in the Middle Ages, trans. Steven Rowan. South Bend, Notre Dame 1995. On Grundmann’s importance, and for a wider historiographical survey of varieties of religious belief and practice, see John Van Engen, The Christian Middle Ages as a Historiographical Problem, in: American Historical Review 91 (1986), pp. 519–552, esp. p. 523, and Peter Biller, Popular Religion in the Middle Ages, in: Michael Bentley (ed.), Companion to Historiography, London and New York 1997, pp. 221–246, esp. p. 234. Calling for renewed attention to Grundmann in the historiography of lollardy is Ian Forrest, Lollardy and Late Medieval History, in: Mishtoonie Bose and J. Patrick Hornbeck II (eds.), Wycliffite Controversies, (Medieval Church Studies, 23), Turnhout 2011, pp. 121–134, p. 132 n. 32.

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offered by the vernacular, seeking (or at least gesturing toward) a wider program of outreach and lay learning in the vernacular and putting a great deal of time and energy into the translation and redaction of older books, as well as the writing of new ones. Both movements had a textual bent: while they did not entirely reject images, they preferred textual to visual renditions. Both movements created a very wide variety of books, for varying purposes. The writings of both movements contributed substantially to mainstream religious culture in ways that moved beyond national boundaries, even as they fostered specific styles and emphases of religious expression peculiar to the movement itself. Writings in both groups both drew extensively on models of the past, and achieved wide popularity among broader audiences in addition to the core groups among which they were first written and read. Some of these features of English lollardy have been underemphasized, or have been harder to see, because of problems of definition that have plagued this field of study. One has stemmed from the contrasting investments of Catholic and Protestant historiography. For Catholics, lollardy was short-lived, insignificant, and not influential: not a significant part of medieval christianity more broadly, but a mistaken religious blind alley. For protestants lollardy was their historical precursor: widespread, influential, longlasting—on these points I tend to agree— but separate and distinct from catholicism in just the ways protestants would seek to become, and rejecting all the aspects of medieval religious devotion and ritual that protestants found distasteful. Either perspective assumes that lollardy is sharply different from mainstream christianity, and in a way that prevents investigating this assumption in any detail. Another, related problem of definition has been produced by the study of lollardy as a heresy. Many historians have investigated lollard writings from a perspective informed by reading condemnations and heresy trials, and seemingly without an awareness that the characteristics of lollardy that its prosecutors sought out might provide less than a fully rounded description of lollard religion—might even in places be entirely inaccurate. Except in the places where lollard writings make assertions sought during trials, or where they are otherwise strongly polemical, many scholars have been included to assert that they are not lollard at all, but “unexceptionably orthodox”.4 English lollardy’s very deep and wideranging investment in devotional and pastoral writings as a key part of its program of lay 4 Shannon McSheffrey, Heresy, Orthodoxy, and English Vernacular Religion, in: Past and

Present 186 (2005), pp.  47–80, on p.  66—although it should be noted that McSheffrey concedes the point that lollard books might look orthodox to modern readers amidst a sophisticated, sensitively developed argument that the putative heterodoxy of religious books has at least as much to do with how they are read and used within like-minded communities as with modern perceptions of their theological alignment. For a wideranging historiographical survey of the ways that lollardy has been described and defined, see Peter

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education has been invisible to scholars who have wanted to insist that its writings “contain nothing specifically Wycliffite”—an assertion in which they have often been mistaken, for some of lollardy’s deepest debts to Wyclif were ones that were rarely if ever investigated in heresy trials or mentioned in condemnations.5 English lollardy was however deeply marked, from its origins, by its status as a heresy, and in particular by Wyclif ’s contentious relationships with the papacy, the English church, and his colleagues.6 While both lollardy and the Devout were critical of clerical practice and especially of the religious orders, the Devout succeeded for a time, despite opposition, in gaining official recognition for an alternative means of seeking holiness in the world, through communal living in private houses. Even if not everyone approved of them, they could pursue their way of life in the open. They were openly, and prominently, engaged in the instruction of the young. English lollards, on the other hand, failed to achieve any form of official recognition. This meant that from the beginning, though more so in some times and places than in others, persons who read and circulated lollard books and went to lollard meetings and discussed lollard ideas knew that they were taking a risk. Indeed, in many cases we know of lollard groups and their activities only through records of their prosecution—evidence that cannot help but skew our understanding of the demographics of lollardy, but that has more recently been supplemented by new research on a wider range of legal records revealing that not only relatively low status village artisans and laborers, but a range of higher-status and urban participants including members of the clergy as well as the gentry, were involved in lollard networks, and in the ownership and circulation of books associated with lollardy.7 Marshall, Lollards and Protestants Revisited, in: Bose and Hornbeck (eds.), Wycliffite Controversies, pp. 295–318, and on the heresy/orthodoxy boundary in particular, p. 317. 5 James Simpson, The Index of Middle English Prose, Handlist VII: A Handlist of Manuscripts Containing Middle English Prose in Parisian Libraries, Cambridge 1989, p. 24. However, Simpson has been far from alone in expressing resistance or doubt about the extent to which tenets traditionally associated with Wycliffism (e. g., on the Eucharist, images, biblical translation, and confession) can be found in writings that have been associated with the movement. See also for example J. A. F. Thomson, Orthodox Religion and the Origins of Lollardy, in: History 74 (1989), pp. 39–55; Vincent Gillespie, Thy Will be Done: Piers Plowman and the Paternoster, in: A. J. Minnis (ed.), Late-Medieval Religious Texts and Their Transmission, York Manuscripts Conferences, Proceedings 3, Cambridge 1994, pp. 95–119; and A. L. Kellogg and Ernest W. Talbert, The Wycliffite Pater Noster and Ten Commandments, with Special Reference to English Mss. 85 and 90 in the John Rylands Library, in: Bulletin of the John Rylands Library 42 (1960), pp. 345–377. 6 On Wyclif ’s life and alignments see Stephen E. Lahey, John Wyclif, Oxford 2009. 7 Thus, J. A. F. Thomson’s classic study The Later Lollards, 1414–1520, Oxford 1965, and Shannon McSheffrey’s pathbreaking investigations in Gender and Heresy: Women and Men in Lollard Communities, 1420–1530, Philadelphia 1995, have been supplemented recently by prosopographical research, work on testamentary records, and the tracing of the

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English lollards responded to the risks they undertook in a variety of ways. While many lollard writings strongly urged a confessional identity upon their readers and exhorted them through exemplary life-narratives to court martyrdom for the truth, trial evidence suggests that plenty of lollard readers, and probably writers too, seem to have moved in and out of lollardy. Some abjured for good; others fled to another jurisdiction, many seem to have abjured or found compurgators then later to have returned to their lollardy.8 What is more, some communities seem to have been hospitable to lollard groups in their midst, even concealing or obstructing heresy investigations, while others were more hostile: sometimes hostile responses seem to have been the result more of personal animosity than religious conviction.9 Texts, as well as persons, seem to have moved between audiences, sometimes finding a broadly tolerant or ill-informed acceptance, while at other times they were carefully and precisely altered to remove (or add!) distinctively lollard ideas.10 Because it operated underground English lollardy was both more submerged, and in many ways more engaged, in mainstream culture than the Devotio Moderna. Lollards held clandestine meetings, and spread their most controversial ideas person to person, but in most cases they also participated fully in the religious life of their parishes, sometimes in prominent roles. Their books included mainstream alongside lollard writings not merely for camouflage, but because lollards read both; their writings were used outside as well as within the lollard movement. While they taught young people only covertly, and within lollard households, some of their books achieved a circulation far beyond the movement, and were widely used in lay religious instruction; what is more, there is some evidence ownership of individual books: see especially for example, Maureen Jurkowski, Lollardy and Social Status in East Anglia, in: Speculum 82 (2007), pp.  120–152; and Id., Lollard Networks, in: Bose and Hornbeck (eds.), Wycliffite Controversies, pp.  261–278, Robert ­Lutton, Lollardy and Orthodox Religion in Pre-Reformation England, Woodbridge, ­Suffolk 2006; and Anne Hudson, Wyclif Texts in Fifteenth-Century London and Id., The Survival of Wyclif ’s Books in England and Bohemia, in: Studies in the Transmission of Wyclif ’s Writings, (Variorum Collected Studies Series, 907), Aldershot 2008, items XV and XVI (pages individually numbered in each item). 8 On these patterns see Anne Hudson, The Premature Reformation: Wycliffite Texts and Lollard History, Oxford 1988, pp. 161–168. 9 Rob Lutton, Lollardy, Orthodoxy, and Cognitive Psychology, in: Bose and Hornbeck (ed.), Wycliffite Controversies, pp. 97–119, on pp. 97–108; Id., Geographies and Materialities of Piety: Reconciling Competing Narratives of Religious Change in Pre-Reformation and Reformation England, in: Robert Lutton and Elisabeth Salter (ed.), Pieties in Transition: Religious Practices and Experience, c. 1400–1640, Aldershot 2007, pp. 11–39. 10 Mary Raschko, Common Ground for Contrasting Ideologies: The Texts and Contexts of A Short Reule of Lif, in: Viator 40 (2009), pp. 387–410; Anne Hudson, ‘Who is my neighbour?’ Some Problems of Definition on the Borders of Orthodoxy and Heterodoxy, in: Bose and Hornbeck (ed.), Wycliffite Controversies, pp. 79–96.

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that lollards taught adults they aimed to convert.11 Lollardy was in some ways more imperilled by, but in others more impervious to, official disapproval. My own recent and upcoming publications attempt to provide a more fully rounded account of the writings of the lollard movement, emphasising their pastoral and devotional aspects alongside their polemical claims. These are the product of some fifteen years of work on the writings of the lollard movement, many of which remain unpublished and little-known, as well as the manuscript books in which they appear. One of my books is an edition of four previously unpublished dialogues, another is a collaborative collection of modernized writings for the Classics of Western Spirituality series to be entitled Wycliffite Spirituality, while the third is a monograph, Feeling Like Saints.12 On the basis of what this research has taught me, I aim in what follows to provide some points of comparison for scholars of the Devotio Moderna, and some modernized quotations from lollard writings to facilitate that comparison. I will outline what I have determined to be some key features of lollard spirituality, reiterated over and over in their writings, and I will compare them with what I know about how similar issues were treated by the Devout. The differences that emerge from this comparison may stem from the differing receptions and fortunes of lollardy and the Devotio Moderna, but may also have a variety of other causes: my hope is that others may investigate this topic further. Both lollard writers and the Devout were critical of the religious orders, and particularly the friars. In both cases, this disapproval did not prevent a certain amount of pragmatic cooperation: as Anne Hudson has observed about W ­ yclif ’s restraint in criticizing the friars while still in Oxford, an academic does not bite the hand that controls his or her books.13 But most adherents of both movements rejected the alternative of taking vows, both in practice and in theory, and devoted attention instead to developing alternative models of special holiness.14 Both rejected the interpretation of the counsels of perfection favored by the friars. Rather than poverty and mendicancy, the Devout stressed living simply with 11 On modes of education among lollard groups see the survey in Hudson, Premature Re-

formation, pp. 174–227.

12 Fiona Somerset (ed.), Four Wycliffite Dialogues, (Early English Text Society, o. s. 333),

Oxford 2009; J. Patrick Hornbeck II, Stephen E. Lahey, and Fiona Somerset (eds. and trans.), Wycliffite Spirituality, New York 2012 (forthcoming); Fiona Somerset, Feeling Like Saints: Lollard Writings and the History of English Religion (forthcoming). 13 ‘Wyclif ’s books’, in: L. Clark, M. Jurkowski, and C. Richmond (ed.), Image, Text and ­Church, 1380–1600: Essays for Margaret Aston, Toronto 2009, pp. 8–36, on p. 27. 14 This is not to deny, however, close ties between the lay Devout and the professed Canons and Canonesses of Windesheim, or that communities of lay brothers or sisters in some settings and branches passed over to professed regular status: see for example John Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life: The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, Philadelphia 2008, pp. 121–125, 154–157.

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goods held in common and engaging in manual labor; they did, however, join the friars in pursuing chastity. Most lollards, in contrast, do not seem to have followed Wyclif and some of his early clerical followers in privileging and preferring virginity above other states of life: instead, they married and had children just like everyone else.15 They valued poverty in spirit, but rejected mendicancy, insisting that the church’s excessive wealth should be redistributed to the genuinely poor. Rather than taking on a special, and perhaps in their circumstances overly conspicuous, mode of communal living in the world, lollards seem to have determined that the optimal way for them to follow Christ was by living an active life in whatever status they already held. Perhaps because neither lollards nor the Devout (though perhaps for rather different reasons) placed stress on outwardly visible and institutionally sponsored markers of special holiness, each movement in its writings of spiritual instruction placed heavy emphasis on interiority. Writers in both movements made use of the metaphor of the soul’s own internal cloister, with its own abbot better than all other abbots, Jesus Christ.16 My first example, then, is from the Dialogue Between John and Richard (c. 1380–1400), in which the author elaborates on the metaphor of the internal cloister in order to suggest that friars are more materialistic, and less spiritual, than followers of the abbot Christ.17 I give first three of Jon’s assertions about friars from early in the dialogue, and then, two abridged exchanges between Richard and Jon from later in the dialogue. 15 Wyclif ’s preference for virginity as the most perfect state of life is visible for example in his

brief De Amore, printed in John Wyclif, Opera Minora. For a similar advocacy of virginity by a follower of Wyclif see Richard Wyche’s letter to his followers, edited in: F. D. Mathew, The Trial of Richard Wyche. Each is now available in a well-annotated translation, as ­Wyclif, On Love, in: Hornbeck, Lahey, and Somerset (eds. and trans.), ­Wycliffite Spirituality, and Richard Wyche, trans. Christopher G. Bradley, The Letter of Richard Wyche: An Interrogation Narrative, in: Publications of the Modern Language Association 127:3 (2012), pp. 626–642. 16 See for example John Wyclif, De Civili Dominio, ed. Reginald L. Poole and Johannes ­Loserth, 4 vols., Wyclif Society, London 1885–1904, 2: 166/2, 3: 5/5; Book to a Mother: An Edition with Commentary, ed. Adrian James McCarthy, Salzburg 1981, pp. 122–125; Four Wycliffite Dialogues, ed. Fiona Somerset, (Early English Text Society, o. s. 333), Oxford 2009, in the Dialogue between Jon and Richard, pp. 3–31, and Dialogue between Reson and Gabbyng, pp. 43–53, esp. 12/336–37 and n., 47/161–48/199; and one of the English ­Wycliffite Sermons, ed. Anne Hudson and Pamela Gradon, Oxford 1993, 1: 354/92–96. For the ­Devotio Moderna, see Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life, p. 314, ­where he also notes that Jean Gerson uses the same term: see also p. 248. I provide introductory reading on the Devout for readers less familiar with the movement; its scholars will be able to multiply examples for themselves. 17 On the dating of the work, and for more information on its single manuscript, dialect, and sources, see Four Wycliffite Dialogues, ed. Somerset, pp. xiii–xxiii, xxxviii–xxxix, xlv–­ xlvii.

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JON Since the greatest peril to holy church comes from false friars, we should begin with them and make them better known. Since the description of things explains them more, therefore we should learn what such a friar is. The great clerk Grosseteste describes him in this way: “A false friar who goes out of the cloister of his soul is a dead body crept out of the grave, wrapped in mourning cloths and other false signs, and driven out of the devil to destroy men.” The cloister of the soul should be shaped in this way, as is the bodily cloister: to speak spiritually, so that four cardinal virtues are the four walls keeping the soul from the world and worldly things. And so, each vice breaks this cloister.

*** Such a friar is a dead body, as these clerks say, for even if he is great and fat in his body, nonetheless, since he lacks the spirit of life, he is a dead body, stinking with sin. He comes out of his cloister—he calls it his grave, for he is buried from the world within four walls there, and only heaven and heavenly things are open to his wits, and the green grass of virtues and birds of heaven teach him to climb toward heaven. But he does not leave his bodily habit, for that hypocrite may better beguile fools of the word by that means.

*** Nor does it disgrace Christ’s religion that they are founded in lies contrary to truth, just as the order of honor is in no way made foul if there are kings and bishops among rogues. But since the charity of Christ catches men to counsel, and friars who dwell out of cloister are fishes without water, I would counsel them to come cleave to Christ’s religion. Then might they freely wander in the cloister of the soul, and floods of the waters of wisdom would run off their bodies, and then they would not need to be dead to Christ, nor to gulp after gullets of grace like fish out of water.

*** RICHARD It seems that the friars are the ones who follow Christ the most. For they are the poorest of men, chaste, and obedient, and Christ’s religion is based on these three principles. JON Our belief teaches us that our rule is better, since it is the gospel that Jesus Christ made, while they must ask for confirmation of their patched-together rule. But if the pope shall be saved, the gospel must confirm him. And as we fall from the gospel, so the friars fall from their patched-together rule. But we may not put the

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fault in the gospel, as they put the fault in their new rule, and purchase dispensations to have new rules. For God commands that we should not add to nor take away from his words (Rev 22:18–19). Furthermore, our knights are the best men of all, and our abbot is the best, since he is God and man. And so many patches have been added to the friars’ rule that if their bodily habit were as varied as their rule, no vagabond in this land should wear a more patched cloak. But since he that gives the greatest part of their rule, and sustains and defends the perfection of their order, should be called the patron of that order, it seems that the patron of all friars is the pope. And so they falsely call themselves friars of Dominic or Francis or Augustine or Jacobins, but they are friars of the pope.

*** RICHARD Since friars keep all the commandments that we do, and beyond this, do many things of perfection, it seems that their rule and their life are better and more perfect than ours. For otherwise it would be unlawful to be a friar, or to change men’s life from one order to another. But the pope and the people deny this. JON Just as friars in many things are contrary to Christ, so they have brought in customs to many that are contrary to God’s ways.

*** Since God orders men not to add to his words (Rev 22:18), and friars in their rules do the contrary, it is clear how disobedient friars are toward God. But secular priests do not sin in this way. It is lawful to explain the law that God gave, and explicate the meaning that the law hides. But friars make new laws, beyond both of these. Where in God’s law should any man find these habits of the friars, or else their rites, through which they diverge from the apostles and other good men? Certainly these rules do not explain holy writ. And so it seems that these friars reverse God’s commandment and make for themselves a new law, and put God’s law behind it. And so, since the four cardinal virtues should be the four walls to hold these friars in the cloister of their soul, and they break all of these and turn to vices, it is clear that they are false in bodily cloisters. Justice is the first wall that Christ’s religion requires. It teaches Christian men to be obedient to the measure of God’s law. But this wall they have broken and climbed over. The second virtue is strength, to stand within the limits that God’s law has set without sliding away. But this wall is broken, and a new wall made, so they can stand stiffly in their own rites. The third virtue is prudence—and that they have forsaken, since it is no prudence to drink turbid and venomous water and forsake the water of the wisdom of God (Jer 2:13, 18). The fourth virtue of this cloister is called temperance, and that these

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friars have broken in their way of life. For take heed of their number, and their houses, and their rules, and all that they use, and we may clearly see that their temperance fails.18 These criticisms are certainly polemical: this is a polemical dialogue. But what may be surprising is the highly charged, lyrical description of the life cloistered in the soul that friars have lost, as well as the damage they have done to their internal and their bodily cloisters, to themselves and also to society more broadly, and how that damage might be repaired—if it can be repaired. The destruction of both self and community caused by the friars’ transgression of the walls of virtue can be reversed, it seems, only be returning to the bounds of God’s law and following God’s commandments. Both lollards, and the Devout, develop a fully elaborated scheme of spiritual instruction in their many vernacular writings. However, as the Dialogue between Jon and Richard begins to illustrate, they give differing priority to instruction in the virtues as opposed to instruction in the commandments. For the Devout, it seems that eliminating the vices and progressing in the virtues is the core of spiritual instruction and of the pursuit of perfection.19 For lollard writers, however, the core of spiritual instruction is the commandments, usually called God’s law: as is usual in the Christian middle ages, the commandments include and superimpose upon the decalogue of the Hebrew bible both the gospel precepts to love God (the topic of the first three commandments) and neighbour (topic of the remaining seven) as well as Paul’s injunction to love, to which all the commandments can be subsumed.20 In the last paragraph of the preceding excerpts from the Dialogue between Jon and Richard, we can see that transgression against the virtues consists purely and simply in transgressing the commandments by exceeding the bounds that God’s law imposes: instruction in virtue proceeds by means of instruction in the commandments, rather than itself taking center stage. In the penultimate 18 These modernised quotations are taken from Hornbeck, Lahey, and Somerset (eds.

and trans.), Wycliffite Spirituality.

19 For discussion of the Devout concept of progress in the virtues, and a more general survey

of their spiritual exercises, see Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life, Chapter 8, pp. 266–304. For a broader overview see John Bossy, Moral Arithmetic: Seven Sins into Ten Commandments, in: Conscience and Casuistry in Early Modern Europe, edited by Edmund Leites, Cambridge 1988, pp. 214–234. 20 These relationships are exhaustively explained, for example, in the long commentary on the commandments in London, British Library MS Harley 2398 edited by Judith Jefferson: see An Edition of the Ten Commandments Commentary in BL Harley 2398, and the Related Version in Trinity College Dublin 245, York Minster XVI.L.12 and Harvard English 738 Together with Discussion of Related Commentaries, 2 vols., PhD diss., University of Bristol, 1995. For a modernised version of the relevant passage see Hornbeck, Lahey, and Somerset (eds. and trans.), Wycliffite Spirituality.

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paragraph, we can see that the author thinks that this instruction explains the law that God gave, and explicates the meaning that that law hides, rather than creating a new law and placing it before God’s law as he claims the friars do. More generally elsewhere, too, lollard writers seem to feel that their many and voluminous instructional writings do not supplant God’s law, but merely explicate it. This preoccupation with the commandments as the core of spiritual instruction is evident far and wide across lollard writings—just as prominent as the central interest of the Devout in eliminating vices and progressing in virtues. What is more, it seems plausible that in both movements these kinds of spiritual exercises, this form of preoccupation with the building of the interior cloister of the soul, is a substitute for the often controversial choices that the orders of friars had made across their history as they developed new spiritual exercises of their own; new means of adhering to Christ’s counsels of perfection, as they attempted to adapt the reknowned excesses of Francis and some of his early followers to the needs of a religious order with substantial building programs and many members.21 In the gospels of Matthew and Luke, Christ tells the man who asks him what he needs to do to attain salvation first to keep the commandments, and only then to give up everything and follow him.22 For friars, spiritual poverty (although how that might be defined and pursued was of course a problem) became the hallmark of their separation from secular life and pursuit of special holiness through following Christ. For lollard writers, on the other hand, the commandments are a means of doubling back on the counsels of perfection: keeping the commandments becomes precisely how one gives up everything and follows Christ, rather than a preceding step. The commandments are at least in principle a path to perfection open to everyone regardless of their social status, or at least to everyone willing to court martyrdom for the truth. Lollard commentaries on the commandments are many, and varied, some of them extraordinarily long, and replete with quotations from Wyclif. Lollard devotional writings more generally tend to bulge out of proportion where they treat the commandments, as in the Lantern of Light where the chapter on the com-

21 Jacques Le Goff, Ordres mendiants et urbanisation dans la France médiévale. État

de l’enquête, in: Annales: Économies, Sociétés, Civilisations 25 (1970), pp.  924–87, on pp.  924–946; Lester K Little, Religious Poverty and the Profit Economy in Medieval Europe, ­Ithaca, NY 1978; on how Francis responded to the spiritual needs of the urban elite, “St Francis and his Audience”, chapter 8 in Kenneth Baxter Wolf, The Poverty of Riches: St Francis of Assisi Reconsidered, Oxford 2003, pp. 77–90; and investigating how friars emphasized their own persecution, G. Geltner, The Making of Medieval Antifraternalism: Polemic, Violence, Deviance, and Remembrance, Oxford 2012, Chapter 4, pp. 103–129. 22 Matt 19:21, Luke 18:22

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mandments, chapter twelve, occupies a third of the work’s total length.23 Other lollard writings, too, exhibit bias toward exposition of the commandments, focusing on them throughout their length, and even when ostensibly discussing other topics, where another work might instead develop more varied themes.24 Focusing on the commandments as a path to spiritual perfection is in part for lollards a means of differentiating their own aspirations from those of professed religious: the reforming impulses and spiritual ambitions of the Devout of course took different forms, and had different results, but it would certainly be fruitful to compare them more closely. Finally, the techniques used by writers of spiritual instruction are a place where lollardy and the Devotio Moderna once again converge. Even if the central emphasis of their spiritual exercises may differ, both movements are heavily voluntarist: in the absence of a religious vow that must be fulfilled, to maintain and cultivate spiritual living is an act of will, continuously renewed. Both movements stress the proper disposition of the senses and emotions, and proper religious instruction, as means of supporting the will, and both advocate reading as a means toward this correct disposition of the soul, this setting-in-order of the interior cloister.25 The works written by both lollard and Devout authors in order to show how one should convert the will toward God and properly dispose one’s feelings very frequently have a narrative form. When they recount the feelings and actions that accompany turning the will again toward God, they place them in narrative sequence. And often that narrative sequence is developed more fully through lifewriting: the story of a saint, or a biblical figure, or a martyr, or Christ, or the story of a fellow traveller, an exemplary lollard or Devout.26 Consider, finally, then, the moment in the lollard Dialogue between a Wise Man and a Fool at which the Fool finally realizes his folly and asks how he should convert his will toward God.27 The 23 Lilian M. Swinburn (ed.), Þe Lanterne of Liʒt, (Early English Text Society, o. s.  151),

­London 1917, pp. 80–127.

24 Fiona Somerset, Textual Transmission, Variance, and Religious Identity among Lollard

Pastoralia, in: Situating Religious Controversy: Textual Transmission and Networks of Readership, 1378–1536, edited by Michael Van Dussen and Pavel Soukup, Turnhout (forthcoming). 25 On reading as a spiritual exercise among the Devout see Van Engen, Sisters and ­Brothers of the Common Life, pp.  269–81. On lollard reading see the introductory overview in Anne Hudson, Premature Reformation, pp. 200–217. 26 On memorial life-writing among the Devout see Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life, pp. 2, 6. On lollard life-writing see Somerset, Feeling Like Saints, Chapter 4. 27 For an edition of the Dialogue between a Wise Man and a Fool see “Cambridge Tract XII”, in Mary Dove (ed.), The Earliest Advocates of the English Bible: The Texts of the Medieval Debate, Exeter 2010, pp. 130–142. I quote from the modernised version in: Hornbeck, Lahey, and Somerset (eds. and trans.), Wycliffite Spirituality.

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Wise Man shows him the way by means of the stories of the Three Kings and of Peter, Paul, Mark, and Matthew. Here, training in the virtues and an emphasis on the commandments converge, as the Wise Man shows the Fool how to convert his will through fear and progress in love, through a journey in the commandments that is also progress in the virtues: FOOL Oh, now I see in my soul that Christ is king above kings, lord above lords (1 Tim 6:15; Rev. 17:14, 19:16). And I see that his law is sufficient for salvation, and all laws contrary to it should be despised by true men. But good friend, what should I do to gain the mercy of this king for my foolish thoughts, my idle words, and my wicked works? WISE MAN Brother, we read in the gospel that on the twelfth day, three kings sought our Lord from a far-off country. When they had found him they offered gold, incense, and myrrh. After they had slept, they went home by another way. You say that you have had sight now of that same Lord and his law. I advise you that to start with, you offer gifts to God with these three kings. Offer true belief in place of incense. Offer steadfast hope in place of gold. And in place of myrrh, offer this king lasting love and fear. Make sure that these three virtues dwell in your soul continually. Wisely turn home again with these three kings, not following the same way by which you came, but another, for fear of Herod. Our homeland is the bliss of heaven, but mankind was cast out of that bliss after breaking God’s commandment. For this sin he was put under the thralldom and bondage of Herod, the fiend, for around 5,200 years. Then Christ, God and man, in meek obedience suffered death in his humanity and redeemed mankind out of thralldom to Lucifer the prince of pride. So are we now in thralldom, in that we have gone out of God’s commandments. Let us turn again, through learning and true keeping of them until our lives’ end. Christ says, “if you want to enter into bliss, then keep the commandments of God” (Matt 19:17). For there is no other way to heaven. If you have gone from this country by the way of pride, turn again through the virtue of meekness. If you have gone from Christ by the way of wrath, turn again to your country by the way of patience. If you have gone from your country by the way of envy, turn again by the way of love to God and your fellow Christians. If you have gone from Christ by false covetousness, turn again by the way of almsdeeds and pity for your needy neighbors. Insofar as you have gone from your heavenly country by the stinking ways of gluttony, sloth, and lechery, turn again by the healthy ways of persistence in good occupation and chastity. If you have gone from Christ by misusing your five wits, both bodily and spiritual, turn again by occupying them with the worship of God and the profit of your own

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soul. If you turn to your country in this way, by forsaking Herod the devil who is the prince of sins of all kinds and by turning to Jesus Christ who is the ground and beginning of all virtues and goodness, then you will not fail to have the mercy that he bought with his own blood. For he says through his prophet that he does not desire the everlasting death of sinners, but that they turn from their wicked ways and live (Ezek 18:23, 33:11). In another place he speaks to each sinful soul in this way: “You have engaged in lechery with many wicked lovers, but nonetheless turn again to me, and I will receive you in mercy” (Jer 3:1). Again, he says, “May a mother forget her child, and not have pity on the child of her own body? Though she may forget, I shall not follow her. I have written you in my hands” (Isa 49:15–16). In other places, he says that in whatever hour the sinner may forsake his sin, he shall live, and not die (Ezek 18:21, 33:12–15). And as the gospel tells, this is a great joy for the Father in heaven and for his angels, in each sinful man who forsakes his sin (Luke 15:7, 10). But no man should be bold to do deadly sin while trusting to this mercy. For many through this folly have incurred the pains of hell. Take heed to Peter, Paul, Mark, Matthew, and many others, who when they had forsaken their sins did not willfully turn to them again, but continued in virtues, and ended in them. In this way, following their example, let us go home by another way than that by which we ventured out. Then we shall be filled with the seven gifts of the Holy Spirit, and through them we shall be governed both inwardly and outwardly by the four cardinal virtues. What is more, if we are guided by the Holy Spirit in this way, we shall fulfill the seven works of mercy both bodily and spiritual, as far as our power and knowledge allow, ministering to poor blind, to poor feeble, and to poor lame folks, as Christ commands in the gospel (Luke 14:13, 21). And then we will be rewarded with the eight blessings of Christ as named in the gospel of All Saints Day.28 The Fool’s new spiritual insight, what he now sees in his soul, is the rather sudden product of extended religious instruction by the Wise Man—instruction that until this point he has steadily resisted. In this newly receptive state of acceptance of God’s law, the Food is ready to learn that he should cultivate and maintain the virtues by means of that law, as the Wise Man’s extended explanation stipulates. Like the three wise men he should return by another way, fulfilling the works of mercy by giving to the poor. This instruction gives priority to instruction in the commandments, but in the end, for the converted soul, it seems that progress in keeping the commandments and the cultivation of the virtues converge into one enterprise, available to and incumbent upon all Christians. 28 Hornbeck, Lahey, and Somerset (eds. and trans.), Wycliffite Spirituality.

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Only further conversations and comparisons will be able to determine the extent to which lollard and Devout reformist writings and spiritual instruction resemble each other, as well as how far those resemblances are the product of textual exchanges as-yet untraced, parallel development in similar circumstances, or divergent development stemming from the extent to which each movement met with disapproval or legal and financial support. In this essay I hope merely to have opened the door to many such future conversations by demonstrating their interest and value.

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Die niederrheinischen Kreuzherren und ihre Beziehungen zu den „Brüdern vom Gemeinen Leben“ Michael Oberweis

Im Jahre 1424 stellte der damalige Generalprior des Kreuzherrenordens, Helmicus Amoris (1415–1433), den „Brüdern vom Gemeinen Leben“ ein geradezu emphatisches Empfehlungsschreiben aus: Nicht nur er selbst, sondern auch zahlreiche seiner Mitbrüder hätten Kenntnis von der virtuosa et laudabilis conversatio, die vor allem in den Klerikerhäusern zu Köln, Deventer und Zwolle anzutreffen sei. Darüber hinaus könne er bezeugen, ihm sei niemals irgendein übles Gerücht zu Ohren gekommen, dass in den genannten und ähnlichen Häusern Häresien, Sektierertum oder schismatische Bestrebungen begünstigt würden. Vielmehr hätten die Klöster der Kreuzherren schon häufig Personen „guten Willens“ (bonae voluntatis) aufgenommen, die zuvor in jenen Häusern die ersten Anstöße zu einem besseren Leben (prima melioris vitae incitamenta) empfangen hätten.1 In der Forschung hat dieses bemerkenswerte Leumundszeugnis zu Recht große Beachtung gefunden2, und niemand bezweifelt, dass es den „Brüdern vom Ge1 […] hoc in testimonium veritatis adjicio, quod nulla unquam ad notitiam meam fama sinis-

2

tra pervenerit, quod in praemissis domibus ac aliis consimilibus haeresim, sectam, scismata ac alia a sacris canonibus reprobata quovis modo foverent seu retinerent […] Quia vero quamplurimis monasteriis ordinis nostri, in quibus de gratia dei sub observantia regularis disciplinae domino deo militatur, a dictis domibus frequentius personae bonae voluntatis diriguntur, qui a dictis presbyteris et clericis prima melioris vitae incitamenta perceperunt […]. Ediert ist das Schreiben bei J. H. Hofman, De broeders van ’t Gemeene Leven en de Windesheimsche klooster-vereeniging, in: Archief voor de Geschiedenis van het Aarts­ bisdom Utrecht II (1876), S. 217–275, hier S. 272–274, Nr. XVIII (das Zitat ebd., S. 273 f.); fehlerhafter Nachdruck bei Ernst Barnikol, Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben. Die erste Periode der deutschen Brüderbewegung: Die Zeit Heinrichs von Ahaus, Tübingen 1917, S. 53 f. So z. B. bei Robert Haass, Die Kreuzherren in den Rheinlanden, (Rheinisches Archiv, 23), Bonn 1932, S.  14 f.; Ders., Spätmittelalterliche Reformbestrebungen im niederländischniederrheinischen Raum und der Kreuzherrenorden, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 144/45 (1946/47), S. 44–62, hier S. 58 f.; Kaspar Elm, Entstehung und Reform des belgisch-niederländischen Kreuzherrenordens. Ein Literaturbericht, in: Ders., Mittelalterliches Ordensleben in Westfalen und am Niederrhein, (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 27), Paderborn 1989, S. 236–255, hier S. 246; Th ­ omas Kock, Zerbolt inkognito. Auf den Spuren des Traktats „De vestibus pretiosis“, in: Nikolaus

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meinen Leben“ eine wertvolle Hilfe war, wenn es galt, sich gegen die angedeuteten Anfeindungen und Verdächtigungen zur Wehr zu setzen. Umgekehrt aber wird kaum je gefragt, ob das Schreiben des Helmicus nicht auch der Außendarstellung des eigenen Ordens galt. Mit auffallendem Nachdruck hebt der Generalprior hervor, in den Klöstern der Kreuzherren werde der geistliche Kriegsdienst in der Observanz regelgemäßer Disziplin ausgefochten (sub observantia regularis disciplinae … militatur). Diese Worte sind alles andere als rhetorisch schmückendes Beiwerk, denn nicht einmal anderthalb Jahrzehnte zuvor hatte sich der Kreuzherrenorden einer tiefgreifenden Reform unterzogen. 1410 trat der amtierende Generalprior von seinem Amt zurück und wurde durch einen führenden Vertreter der Observanzbewegung ersetzt.3 Im Orden begann damit buchstäblich eine neue Zeitrechnung; die folgenden Generalprioren zählte man als secundus, tertius usw. ab ordinis reformatione.4 Wenn also Helmicus Amoris die strikte Regeltreue der ihm unterstehenden Klöster betont, so dient diese Aussage nicht zuletzt der Selbstvergewisserung. Die ordensoffizielle Geschichtsschreibung hat die Reform von 1410 als einen Vorgang dargestellt, der im Wesentlichen von innen heraus, also von den observanten Kreuzherren selbst betrieben wurde. Dagegen hat Pieter van den Bosch wahrscheinlich gemacht, dass massive politische Interessen mit im Spiel waren. Der – nicht immer zuverlässige – Ordenschronist Henricus Russelius berichtet, auf dem Generalkapitel von 1410 seien der Lütticher Bischofselekt Johann von Bayern, der burgundische Herzog Johann ohne Furcht, der Fürst von Oranien sowie die Grafen von Holland und Namur zugegen gewesen.5 Die genannten Herren waren, wie van den Bosch anmerkt6, zwei Jahre zuvor siegreich aus der Schlacht von Othée (1408) hervorgegangen und bekannten sich im Großen Staubach (Hrsg.), Kirchenreform von unten. Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben, (Tradition – Reform – Innovation, 6), Frankfurt am Main u. a. 2004, S. 165–235, hier S. 175. 3 Ausführlich dazu: Pieter van den Bosch, Die Kreuzherrenreform des 15. Jahrhunderts, in: Kaspar Elm (Hrsg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, (Berliner historische Studien, 14), Berlin 1989, S. 71–82; Ders., Sie teilten mit Jedermann. Eine kurze Geschichte des Ordens der Kreuzherren, Bonn 1978, S. 55–58. 4 van den Bosch, Kreuzherrenreform (wie Anm. 3), S. 71; vgl. auch A. van de Pasch, Het klooster Clairlieu te Hoei en zijn prioren-generaal 1210–1296, in: Clairlieu. Tijdschrift gewijd aan de geschiedenis der Kruisheren 17 (1959), S. 65–112, hier S. 86. 5 Henrici Russelii Chronicon Ordinis S. Crucis, Pars prior, in: Cornelius Rudolphus ­Hermans (Hrsg.), Annales canonicorum regularium S. Augustini, Ordinis S. Crucis, Vol. I, ’s-Hertogenbosch 1858, S. 27–155, hier S. 94. 6 Pieter van den Bosch, Studiën over de observantie der Kruisbroeders in de vijftiende eeuw, in: Clairlieu. Tijdschrift gewijd aan de geschiedenis der Kruisheren 26 (1968), S. 3–205, hier S. 39–44; Ders., Kreuzherrenreform (wie Anm. 3), S. 7

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Die niederrheinischen Kreuzherren

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Abendländischen Schisma gemeinsam zur römischen Obödienz, während ihre unterlegenen Gegner auf der Seite des avignonesischen Papstes standen. Es liegt also nahe, die Reform von 1410 auf kirchenpolitische Hintergründe zurückzuführen, zumal der Generalprior sich schon wenige Jahre später an den Pisaner Papst Johannes (XXIII.) wandte, um dessen Unterstützung für die Observanzbestrebungen zu erbitten.7 Überhaupt entwickelte sich die Reform regional sehr unterschiedlich: In den nördlichen und südlichen Niederlanden, am Niederrhein und in Westfalen kam sie gut voran, auf Widerstand stieß sie dagegen in großen Teilen Frankreichs und in England. Entsprechend verschoben sich die Machtverhältnisse in der Ordenszentrale, dem Kloster Clairlieu bei Huy: Nach 1410 stammten die Generalprioren und Definitoren aus den niederländischen, rheinischen und westfälischen Klöstern, während sie zuvor meist aus dem französischen Sprachraum kamen.8 In den reformierten Gebieten nahm der Orden einen beachtlichen Aufschwung; im 15.  Jahrhundert, das Kaspar Elm treffend als das „goldene Jahrhundert“ der Kreuzherren bezeichnet, sind nicht weniger als 37 Neugründungen belegt, womit die Zahl der bereits bestehenden Klöster mehr als verdoppelt wurde.9 Das sprunghafte Wachstum des Ordens erinnert nicht von ungefähr an die rasche Ausbreitung der Kartäuser, die freilich schon im 14. Jahrhundert eingesetzt hatte und bekanntlich keiner Reform als Initialzündung bedurft hatte. Angesichts der geographischen Schwerpunkte, in denen sich die Kreuzherren nach 1410 etablierten, stellt sich fast zwangsläufig die Frage, inwieweit die Observanzbewegung sich vom Gedankengut der Devotio moderna inspirieren ließ. In der älteren Forschung galt es als ausgemacht, dass die Reformer unter dem Einfluss der Devoten standen. Pieter van den Bosch hat aufgrund seiner eigenen Studien diese These ins Gegenteil verkehrt: „Ich glaube hingegen, dass die Modernen Devoten unter dem Einfluß der Kreuzherren standen. Sie haben einer Anzahl junger Leute die Lebensweise der Kreuzherren empfohlen und sie zum Eintritt in die Kreuzherrenklöster überredet. Sie haben die Lebensweise der Kreuzherren bewundert und selbst die Früchte geerntet.“10 Die pointierte Meinung van den Boschs ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Kaspar Elm äußert insbesondere methodische Zweifel an der Auswertung der herangezogenen Bibliotheksbestände und verweist überzeugend auf die „Einmütigkeit, mit der innerhalb und außerhalb des Kreuzherrenordens die Observanz als

7 8 9 10

van den Bosch, Kreuzherrenreform (wie Anm. 3), S. 74. Ebd., S. 77 f. Elm, Entstehung und Reform (wie Anm. 2), S. 238. van den Bosch, Kreuzherrenreform (wie Anm. 3), S. 80.

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ein Ergebnis ‚fruchtbarer Zusammenarbeit mit den Brüdern vom Gemeinsamen Leben‘ verstanden wird.“11 In der Tat scheint van den Bosch die Aussagen des eingangs zitierten Empfehlungsschreibens allzu naiv für bare Münze genommen zu haben. Er zog nicht in Erwägung, dass die Worte des Helmicus Amoris auch der Selbstdarstellung dienten. Der etwas gönnerhafte Tonfall darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Generalprior zugleich um Anerkennung für die eigenen Reformbemühungen warb, und zwar gerade im Lichte der guten Beziehungen zu den Devoten. Es fehlt nicht an Belegen, dass diese Botschaft bei den Adressaten Widerhall fand: Johannes Busch erzählt in seiner „Windesheimer Chronik“, dass Heinrich Loeder, der Prior von Frenswegen, seinen betagten Vater einem Kloster der „wohlreformierten Kreuzherren“ anvertraut habe – monasterio tradidit cruciferorum … bene reformatorum.12 Dieses unvermittelte Lob wäre im Textzusammenhang nicht unbedingt erforderlich gewesen, es bezeugt aber gerade in seiner Beiläufigkeit, dass die Wertschätzung der Kreuzherren für die Devoten durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Dafür spricht auch die Geschichte jenes Klosters, in dem Heinrich Loeder seinen Vater unterbrachte. Schon Ernst Barnikol ging davon aus, dass es sich – wegen der räumlichen Nähe – nur um Osterberg (bei Osnabrück) gehandelt haben könne.13 Seit 1410 hatte dort ein Haus der „Brüder vom Gemeinen Leben“ bestanden, das sich aber nicht als lebensfähig erwies und 1427 den Kreuzherren zur Gründung eines Klosters übergeben wurde. Mit Recht sieht Barnikol in dieser Entscheidung einen weiteren Beweis für das „gute Einvernehmen“14 zwischen den Kreuzherren und den Devoten. Auch verwandtschaftliche Beziehungen dürften im Einzelfall eine wichtige Rolle gespielt haben. Möglicherweise war Helmicus Amoris sogar ein leiblicher Bruder des Gerhard Zerbolt van Zutphen: Im Kölner Stadtarchiv stieß Pieter van den Bosch auf eine Handschrift, die aus der Bibliothek der dortigen Kreuzherren stammt und Lebensbeschreibungen der frühen Devoten enthält. Die Vita des Gerhard Zerbolt ist mit dem suggestiven Randvermerk versehen: Frater fuit iste M. Gerardus iunior venerabilis patris nostri Helmici Amoris prioris Hoyensis.15 11 Elm, Entstehung und Reform (wie Anm. 2), S. 245. 12 Des Augustinerpropstes Iohannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de refor-

matione monasteriorum, bearb. v. Karl Grube, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 19), Halle 1886, S. 184 (cap. LXI). 13 Barnikol, Studien (wie Anm. 1), S. 52 f. 14 Ebd., S. 52. 15 van den Bosch, Studiën (wie Anm. 6), S. 73 f.; zum Zitat s. auch Joachim Vennebusch, Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln, Teil 2: Die Quart-Handschriften der Gymnasialbibliothek, Köln/Wien 1980, S. 151. Zustimmung zu van den Boschs These äußert Elm, Entstehung und Reform (wie Anm. 2), S. 245 f., Vorbehalte dagegen bei Kock, Zerbolt inkognito (wie Anm. 2), S. 173.

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Für Helmicus mag dies ein Grund mehr gewesen sein, sich mit Nachdruck für die Devoten einzusetzen. Wie aber steht es mit seiner Bemerkung, die Kreuzherrenklöster hätten schon „häufiger“ (frequentius) Personen aufgenommen, die ihre frühesten geistlichen Impulse in den Fraterhäusern empfangen hätten? Man könnte in diesen Worten eine rhetorische Übertreibung sehen, und vielleicht war das Adverb frequentius zum damaligen Zeitpunkt (1424) tatsächlich ein wenig zu hoch gegriffen. An der prinzipiellen Richtigkeit der Aussage wird man jedoch nicht zweifeln dürfen, denn eine unabhängige Bestätigung findet sich auch bei Thomas von Kempen in seiner Chronik von Agnetenberg. Die Schule des Johannes Cele in Zwolle wird dort mit den folgenden Worten gerühmt: „Welcher Orden nämlich, der durch seine Lebensweise und seinen Namen herausragt, hatte nicht Mönche aus seinem Schülerkreis? Vor allem aber die Regularkanoniker mitsamt den Kreuzherren und Zisterziensern (Regulares cum Cruciferis et Cisterciensibus) hatten nicht wenige Professen ihres Ordens, die zu seinen studentuli gehörten. Von ihnen sind viele, die mit besonderen Tugenden ausgestattet waren, zu Vätern ihrer Klöster und zu rectores von Kirchen geworden.“16 Eine systematische Untersuchung, wie viele Kreuzherren in ihrer Jugend die Schulen der Devoten besucht hatten, liegt nicht vor und wäre wohl auch nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand durchzuführen. Dennoch ist uns aus dem 15.  Jahrhundert eine Reihe von Ordensangehörigen bekannt, die Thomas’ Behauptungen bestätigen. So hatten sich zwei Schüler aus Deventer, Heinrich Janszoon van Haemstede und Hermann van Arnhem, zu Huy den Kreuzherren angeschlossen.17 Und in das 1437 gegründete Kloster zu Bentlage (bei Rheine) trat um 1445 eine ganze Gruppe von ehemaligen Schülern aus Deventer ein, unter ihnen Eberhard von Orsoy, der 1457 zum Prior von Bentlage und 1483 sogar zum Generalprior des Ordens gewählt wurde.18 Den „Brüdern vom Gemeinen Leben“ stand vermutlich auch Konrad von Grünberg († 1465/66) nahe, der im Kölner Kreuzherrenkloster unter anderem das Amt des Bibliothekars versah.19 Konrad stammte, wie sein Herkunftsname verrät, aus dem hessischen Ort Grünberg bei Gießen; sein Geburtsjahr ist unbekannt. 1417 erscheint er als pauper in den Matrikeln der Kölner Universität (in 16 Thomas von Kempen, Chronica montis sanctae Agnetis, in: Thomae Hemerken a Kempis

Opera omnia, Bd. VII, hrsg. v. Michael Joseph Pohl, Freiburg i. Br. 1922, S. 331–525, hier S.  510 (cap. 20). Vgl. auch Gerard Q. Reijners, Der Kölner Bibliothekar Conradus de Grunenberg, in: Clairlieu. Tijdschrift gewijd aan de geschiedenis der Kruisheren 52 (1994), S. 231–240, hier S. 232 f. 17 van de Pasch, Het klooster Clairlieu (wie Anm. 4), S. 77. 18 Reijners, Der Kölner Bibliothekar (wie Anm. 16), S. 233. 19 Zu Konrads Leben und Wirken s. neben Reijners, Der Kölner Bibliothekar (wie Anm. 16) auch Martina Schöler, „Ama nesciri“. Der Bibliothekar Conradus de Grunenberg († 1465/66), (Libelli Rhenani, 11), Köln 2005.

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facultate artium), schon ein Jahr später ist er als scriptor in Deventer nachweisbar. Wiederum ein Jahr später legte er seine Gelübde bei den Kölner Kreuzherren ab und stieg dort schon bald in höhere Ämter auf; spätestens 1425 wurde er Subprior, und im selben Jahr ist er erstmals auch als Bibliothekar (librarius) bezeugt. Dass Konrad während seines Aufenthaltes in Deventer engere Beziehungen zu den „Brüdern vom Gemeinen Leben“ unterhielt, ist nicht sicher nachzuweisen, kann aber aufgrund seiner Vertrautheit mit einschlägigem Schrifttum vermutet werden. Zwei Handschriften, die er mit nach Köln brachte, hatte er nach eigenem Bekunden in Deventer fertiggestellt; die eine enthält größtenteils Werke von Gerhard Groote, bei der anderen handelt es sich um das Cordiale de quattuor novissimis des Gerhard von Vliederhoven.20 Vor allem aber drückt sich Konrads geistige Nähe zur Devotio in seiner Vorliebe für die Gattung des Rapiariums aus.21 Nicht von ungefähr werden die Rapiarien in enge Verbindung mit dem Schulbetrieb der Devoten gebracht.22 Als eigene literarische Form sind sie nur schwer zu definieren; zwar ähneln sie den Florilegien, sind aber in der Regel wesentlich stärker durch einen individuell-biographischen Bezug geprägt. Sie lassen sich somit als eine Art „geistlichen Tagebuchs“ auffassen und dienen z. B. zur spontanen Aufzeichnung von Lesefrüchten oder Lehrerworten. Typisch für die Rapiarien ist daher ihre ganz unsystematische Zusammenstellung; die innere Ordnung der Notizen erschließt sich folglich nur dem Schreiber selbst, für den sie von persönlichem Nutzen sind. Mit anderen Worten: Ein Rapiarium eignet sich im Originalzustand kaum dazu, unter die erbaulichen Schriften einer Klosterbibliothek eingereiht zu werden. Es bedarf vielmehr der ordnenden Hand des Bibliothekars, um aus derartigen Aufzeichnungen, die oft nur aus losen Blättern bestanden, eine lesetaugliche Buchfassung zu formen. Konrad von Grünberg war dazu offenbar imstande, und allein diese Tatsache macht es wahrscheinlich, dass er die Unterrichtspraxis der Devoten aus eigener Anschauung kannte. Eine Kölner Oktavhandschrift hat er eigenhändig mit der Überschrift Rapularius fratrum sancte crucis versehen.23 Sie enthält unter anderem Texte, die um 1412 in der Schule des Johannes Cele zu Zwolle entstanden 20 Schöler, „Ama nesciri“ (wie Anm. 19), S. 37. 21 Ebd., S. 73–75; Reijners, Der Kölner Bibliothekar (wie Anm. 16), S. 236 f. 22 Zum Stellenwert des Rapiariums bei den Devoten s. Nikolaus Staubach, Diversa raptim

undique collecta. Das Rapiarium im geistlichen Reformprogramm der Devotio moderna, in: Literarische Formen des Mittelalters. Florilegien – Kompilationen – Kollektionen, hrsg. v. Kaspar Elm, (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 15), Wiesbaden 2000, S. 115–147. 23 Joachim Vennebusch, Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln, Teil 3: Die Oktav-Handschriften der Gymnasialbibliothek, Köln/Wien 1980, S. 70–76; Ders., Die homiletischen und hagiographischen Handschriften des Stadtarchivs Köln, Teil 1: Handschriften der Gymnasialbibliothek, Köln u. a. 1993, S.  220; vgl. Staubach, Diversa (wie Anm. 22), S. 137 f. (mit Anm. 56) u. S. 147 (Abb.).

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sind. In der unredigierten Form, in der sie aufgezeichnet wurden, lassen sie die ipsissima vox des Johannes Cele vernehmen; zweimal nennt sich der diktierende Lehrer pronunciator; er bezeichnet sich als einen Schüler des Henricus de Hassia (Heinrich von Langenstein). Die Identität des Lehrers – auch wenn sein Name nicht ausdrücklich genannt wird – ist außerdem gesichert durch einige bemerkenswerte wörtliche Übereinstimmungen im „Chronicon Windeshemense“. Dort heißt es, Johannes Cele habe während des Unterrichts bedeutsame Worte der Heiligen, die den Klerikern künftig von Nutzen sein konnten, vor der ganzen Schule deklamiert (per totam scolam pronunciavit), wobei jeder einzeln für sich alles in sein Rapiarium eintrug: singulis ad sua rapiaria cuncta scribentibus.24 Das für Johannes Cele offenbar charakteristische Verbum pronunciare taucht noch ein weiteres Mal in Verbindung mit seiner Lehrtätigkeit auf: Er sei es gewohnt gewesen, einmal in Latein, ein andermal auf Deutsch, nicht selten auch in beiden Sprachen zu beten, und habe auch seine Schüler dazu angeleitet, suas huiusmodi oraciones per totam scolam nobis pronunciando. Als Beispiel für ein solches Gebet wird angeführt: Sancta Maria Magdalena, weerde vriendinne Gods, … ora pro me.25 In der Handschrift aus der Kölner Kreuzherrenbibliothek ist diese Gebetsformel wörtlich wiederzufinden; sie kann nur auf ein direktes Diktat des Johannes Cele zurückgehen.26 Ähnlich verhält es sich mit einer sprichwörtlichen Wendung, die die Kölner Handschrift in volkssprachlicher Version mitteilt: Et is zelden ghesien, dat een wulf eens scapes stert hadde.27 Der Sinn dieser Sentenz erschließt sich überhaupt erst durch den parallelen Eintrag im „Chronicon Windeshemense“. Dort wird das Diktum des Lehrers in lateinischer Fassung wiedergegeben (raro contingit, ut lupus caudam ovis in ore habeat), und es schließt sich die Deutung an: „So geschieht es auch selten, dass jemand, der sein Leben lang im Sündigen ein Wolf war, sich am Ende seines Lebens vom Wolf in ein Schaf verwandelt.“28 Bemerkenswert ist eine kleine Differenz zwischen beiden Überlieferungen: Im Lateinischen ist davon die Rede, dass der Wolf den Schwanz des Schafes im Maul hat – ein eigentlich unpassendes Detail, das der vorgetragenen Interpretation zuwiderläuft. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass die Kölner Handschrift die authentischere Fassung bewahrt hat, was zugleich bedeuten würde,

24 Chronicon Windeshemense (wie Anm. 12), S. 207 (cap. LXVIII). 25 Ebd., S. 214 (cap. LXX). 26 Vennebusch, Die homiletischen und hagiographischen Handschriften 1 (wie Anm. 23),

S. 220.

27 Vennebusch, Die theologischen Handschriften 3 (wie Anm. 23), S. 70. 28 Sic raro contingit, ut, qui in peccatis vivens semper lupus fuit, in fine vite conversus de lupo

fiat ovis. Chronicon Windeshemense (wie Anm. 12), S. 216 (cap. LXX). Vgl. V ­ ennebusch, Die homiletischen und hagiographischen Handschriften 1 (wie Anm.  23), S.  220, u. ­Staubach, Diversa (wie Anm. 22), S. 137 f. (mit Anm. 56).

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dass Johannes Cele das Proverbium ursprünglich in der Volkssprache vorgetragen hatte. Neben dieser wertvollen Handschrift, die uns mit ihren lebensnahen Einträgen einzigartige Einblicke in den Zwoller Schulunterricht eröffnet, hat Konrad von Grünberg noch ein zweites Rapiarium in die von ihm betreute Bibliothek eingestellt. Es ist von ihm fast vollständig mit eigener Hand geschrieben und verarbeitet offenbar seine persönlichen Schülernotizen.29 Zwar enthalten die hier kompilierten Texte keine spezifischen Bezüge zum Gedankengut der Devotio, aber allein die Tatsache, dass auch Konrad ein solches privates Notizbuch führte, unterstreicht seine Nähe zur devoten Schriftkultur. Diese Feststellung gilt freilich generell für die Bibliotheken und Skriptorien der Kreuzherren nach 1410. Ähnlich wie bei den Kartäusern pflegte man dort das Bücherschreiben als eine Form der Askese. Besonders leistungsstark war – dank der effizienten Organisation durch Konrad von Grünberg – das Skriptorium der Kölner Kreuzherren, aber auch für Düsseldorf und Marienfrede ist im 15. Jahrhundert eine nach Umfang und Qualität beachtliche Buchproduktion bezeugt.30 Entsprechend gut waren auch – soweit sie sich heute noch rekonstruieren lassen – die Bibliotheken der einzelnen Ordenshäuser ausgestattet. Besonderes Interesse verdient – neben dem hohen Anteil an devoter Literatur – das Werk eines kartäusischen Autors, das sich im Besitz der Kölner Kreuzherren befand: das 1417 von Oswald de Corda verfasste „Opus Pacis“. Seine Rezeptionsgeschichte verdeutlicht in eindrucksvoller Weise die wechselseitigen Verflechtungen zwischen Kartäusern, Kreuzherren und Devoten im Rahmen ihrer jeweiligen Schriftkultur. Bis vor wenigen Jahren war Oswald de Corda so gut wie unbekannt; noch 1982 nennt ihn ein ausgewiesener Kenner wie James Hogg „a forgotten Carthusian“.31 29 Vennebusch, Die homiletischen und hagiographischen Handschriften 1 (wie Anm. 23),

S. 205–209; Schöler, „Ama nesciri“ (wie Anm. 19), S. 75.

30 Zur hochentwickelten Buchkultur des Kreuzherrenordens liegen zahlreiche Detailstudien

vor; hier sei lediglich verwiesen auf die Arbeiten von Joseph Theele, Aus der Bibliothek des Kölner Kreuzbrüderklosters, in: Alois Boemer (Hrsg.), Mittelalterliche Handschriften. Paläographische, kunsthistorische, literarische und bibliotheksgeschichtliche Untersuchungen. FS Hermann Degering, Leipzig 1926, S. 253–263; Elisabeth Hemfort, Monastische Buchkunst zwischen Mittelalter und Renaissance. Illuminierte Handschriften der Zisterzienserabtei Altenberg und die Kölner Buchmalerei 1470–1550, (Veröffentlichungen des Altenberger Dom-Vereins, 6), Bergisch Gladbach 2001, S.  24 f., 28 f., 147–153; Sylvie Karpp-Jacottet, Die spätmittelalterlichen Einbände aus dem niederrheinischen Kreuzherrenkonvent Marienfrede, in: Gutenberg-Jahrbuch 2003, S. 284–295; Agata Mazurek, Volkssprachige Handschriften aus dem Kreuzherrenkonvent Marienfrede in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, in: Das Mittelalter 14 (2009), S. 88–98. 31 James Hogg, Oswald de Corda. A forgotten Carthusian of Nordlingen, in: Ders. (Hrsg.), Kartäusermystik und -mystiker, Bd. 3, (Analecta Carthusiana, 55), Salzburg 1982, S. 181– 185.

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Erfreulicherweise ist dieses Urteil inzwischen überholt, denn im Jahre 2001 hat Belinda A. Egan im „Corpus Christianorum“ eine vorzügliche Edition des „Opus pacis“ vorgelegt.32 Bis dahin lagen nur wenige Auszüge im Druck vor; Paul Lehmann hatte sie in seinem wegweisenden Aufsatz über „Bücherliebe und Bücherpflege bei den Karthäusern“ (1924) publiziert.33 Oswald ist bayerischer Abstammung, sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt.34 1399/1400 immatrikulierte er sich an der Universität Wien, wohl 1410 trat er in die Kartause Hortus Christi bei Nördlingen ein. Von dort wurde er 1414 an die Grande Chartreuse berufen und erhielt den Auftrag, die liturgischen Bücher zu überprüfen und zu emendieren. Im Rahmen dieser Tätigkeit entstand das „Opus pacis“, eine akribische Zusammenstellung orthographischer Zweifelsfälle und Corrigenda, als Anleitung und Nachschlagewerk für die Buchkorrektoren des Ordens. Der knappe Prolog, den er seinem Werk voranstellt, lässt das hohe Niveau kartäusischer Buchkultur und das damit verbundene Perfektionsstreben der Kopisten erahnen: „Weil es überaus schwer ist, sich zur Korrektur der Bücher, die gemäß unseren Statuten im ganzen Orden stattfinden soll, die originalen Exemplare der Chartreuse zu beschaffen, wird das Gemüt vieler beunruhigt, die Eifer für den Orden in sich tragen. Nicht selten geschieht es, dass die Seelenruhe wegen der Änderung oder Tilgung – ich sage nicht: eines Gebets oder eines Spruchs oder einer Silbe –, sondern eines einzigen Buchstabens schwer beeinträchtigt wird. Und das ist das arglistige Ränkespiel unseres Feindes und sein ersehnter Triumph, wenn er diejenigen im Kleinsten zu Fall bringt, die er in großen Dingen nicht besiegen kann.“35 Oswalds Prolog schließt mit einem Hinweis auf die Beendigung des Großen Abendländischen Schismas, das auch im Kartäuserorden zu einer Spaltung geführt hatte. Dennoch ist es nicht die wiedergewonnene kirchliche Einheit, auf die der Buchtitel „Opus pacis“ anspielt – der Friede, den Oswald meint, ist vielmehr

32 Oswaldi de Corda Opus Pacis, ed. Belinda A. Egan, (Corpus Christianorum. Continuatio

mediaevalis, CLXXIX), Turnhout 2001.

33 Paul Lehmann, Bücherliebe und Bücherpflege bei den Karthäusern, in: Scritti di storia e

paleografia. Miscellanea Francesco Ehrle, Bd. 5, Rom 1924, S. 364–389.

34 Zu seinen Lebensdaten s. Hogg, Oswald (wie Anm. 31); Opus Pacis (wie Anm. 32), S. 36*–

54*.

35 Quoniam difficillimum est ad correccionem librorum iuxta statutorum nostrorum tenorem

per totum ordinem faciendam haberi posse exemplaria domus Cartusie originalia, ac per hoc plurimorum zelum ordinis habencium sollicitetur animus, ita quod nonnunquam, non dico propter orationis sive dictionis nec sillabe quidem, sed et propter unius littere mutacionem aut diminucionem quies mentis, etsi non subvertitur, graviter tamen plerunque perturbatur – et hec nostri adversarii dolosa machinacio et desideratus sue fraudis triumphus, cum hos in minimis deiecerit, quorum victor in magnis esse nequivit. Opus Pacis (wie Anm. 32), S. 3.

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der Seelenfriede des gewissenhaften Schreibers, der sich sicher sein kann, eine fehlerlose Abschrift produziert zu haben. Die hochgelehrte und überaus anspruchsvolle Arbeit Oswalds gehört zweifellos nicht zu jenen Werken, die sich an ein breiteres Lesepublikum richten. Es lohnt sich daher, einen Blick auf die Rezeptionsgeschichte des „Opus pacis“ zu werfen, denn wer auch immer sich eine Kopie dieses Buches besorgte, musste über eine ähnlich hochstehende Buchkultur verfügen wie die Kartäuser selbst. Insgesamt haben sich zwölf mittelalterliche und frühneuzeitliche Abschriften erhalten, darunter sogar zwei Autographa, von denen eines wohl ursprünglich als Oswalds persönliches Handexemplar diente.36 Obwohl das Werk sicherlich als Handreichung für den gesamten Orden gedacht war, zirkulierte es unter den Kartäusern offenbar nur innerhalb eines eng umrissenen Raumes. Fast alle Kartausen der Provincia Rheni verfügten über ein Exemplar: Basel, Freiburg im Breisgau, Mainz, Koblenz, Trier, Köln und Utrecht. Hinzu kamen mit Erfurt und Buxheim zwei Klöster der Alemannia superior. Nicht minder aufschlussreich ist die Verbreitung des Werkes außerhalb des Kartäuserordens. Vier Handschriften haben sich erhalten; sie befanden sich einst im Besitz des Nicolaus Cusanus, der Kölner Kreuzherren, der Kölner „Brüder vom Gemeinen Leben“ und der Trierer Benediktinerabtei St. Matthias. Die Trierer Benediktiner gehörten der Bursfelder Kongregation an, standen also der Devotio moderna ebenfalls nicht fern. Die Abschrift der Kölner Kreuzbrüder, datiert auf 1439, wurde offenbar von Konrad von Grünberg veranlasst, der selbst ein umfängliches Kolophon beisteuerte. Das Opus pacis bezeichnet er darin als einen tractatus optimus de correctione seu emendacione, warnt allerdings davor, die kartäusischen Normierungen unverändert zu übernehmen: „Wir aber wollen vorgehen wie die Bienlein, die ihren Honig auch nicht von allen Blüten sammeln, sondern nur von ausgewählten, und deshalb wollen wir nur den Regeln folgen, die den Gegebenheiten und Bräuchen unseres Ordens angepasst sind.“ Zur Rechtfertigung dieses Vorbehalts beruft sich Konrad ausdrücklich auf einen Rat, den er von Oswald von Corda persönlich erhalten habe: iuxta consilium eiusdem patris.37 Tatsächlich war Oswald 1429 von der Grande Chartreuse ins schottische Perth entsandt worden, um dort eine neue Kartause zu gründen. Bevor er nach Schottland aufbrach, hielt er sich ungefähr zwei Jahre lang in Köln auf, um Mitglieder für einen Gründungskonvent zu rekrutieren. In dieser Zeit scheint er den

36 Zur Textüberlieferung s. die ausführliche editorische Einleitung in Opus Pacis (wie

Anm. 32), S. 97*–154*.

37 Nos vero iuxta consilium eiusdem patris, tanquam apecule que mella sua non de omni flore,

sed de quibusdam quos elegerint componunt, pro modulo seu conveniencia nostro ordini apta nos regulare cupientes […] Opus Pacis (wie Anm. 32), S. 107*.

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Kontakt zu Konrad von Grünberg angeknüpft zu haben – ein schönes Beispiel für den fachlichen Austausch zweier Bücherkenner über die Ordensgrenzen hinweg. Auch die Abschrift der Kölner „Brüder vom Gemeinen Leben“ hat ihr besonderes Schicksal gehabt, denn bei ihr handelt es sich um Oswalds Handexemplar. Eigenhändig hat Oswald darin nach dem Explizit vermerkt: „Dieses Buch habe ich auf das allzu starke Drängen und wegen der Rücksichtslosigkeit des Herrn Johannes Bernsau diesem überlassen, obwohl ich es selber benötigt hätte. Und er soll es all jenen zugänglich machen, die fromm darum bitten (communicetque omnibus pie desiderantibus).“38 Über jenen Johannes Bernsau ist wenig bekannt; er war ein Kölner Kartäuser und starb im Jahre 1451.39 Immerhin beweist sein ungestümes Drängen, wie sehr man in Köln die intellektuelle Leistung Oswalds zu schätzen wusste, auch wenn es deswegen Oswald verwehrt blieb, sein Werk mit auf die Reise nach Schottland zu nehmen. Vielleicht liegt eine ausgleichende Gerechtigkeit darin, dass das kostbare Autographon letztlich nicht in der Kölner Kartause verblieb, sondern in den Besitz der „Brüder vom Gemeinen Leben“ überging: Ganz sicher gehörten sie zu jenen pie desiderantes, an die Oswald bei seinem bitteren Nachwort dachte. Gleiches gilt für die Kölner Kreuzherren, denn auch in ihrem Orden war seit der Reform von 1410 das Streben nach uniformitas der liturgischen Bücher stark ausgeprägt: 1470 ordnete das Generalkapitel zu Huy an, jeder Konvent solle Psalterium und Hymnarium in verbis et notis entsprechend jenem Musterexemplar korrigieren, das sich in Paris befinde.40 1480 wiederum forderte das Generalkapitel der Bursfelder Kongregation, wegen gewisser Zweifel bezüglich der Akzentuierung solle ein Verzeichnis „ähnlich dem Opus pacis“ (tamquam pacis opusculum) erstellt werden.41 Oswalds Buchtitel ist hier gleichsam zum Markenzeichen geworden  – wohl der eindrucksvollste Beleg für die anhaltende Bewunderung, die seinem Werk weit über die Grenzen des Kartäuserordens hinaus entgegengebracht wurde. Die Wirkungsgeschichte des „Opus pacis“ ist noch längst nicht erschöpfend erforscht. Die hier zusammengestellten Beobachtungen zeigen jedoch, dass es in den reformorientierten Kreisen des Spätmittelalters das Bewusstsein einer gemeinsamen Schrift- und Buchkultur gab und dass in diesem Bewusstsein ein 38 Hunc librum ad nimiam instantiam et importunitatem domni Iohannis Bernsau ego frater

Osvaldus dimisi ei, quamvis michi necessarius foret, communicetque omnibus pie desiderantibus. Ebd., S. 98*. 39 Ebd., S. 47*. 40 Item diffinimus, quod quilibet conventus corrigat psalterium et ymnarium in verbis et notis secundum exemplar ac originalem librum Parisiis existentem diligenter correctum; A. van de Pasch (Hrsg.), Definities der Generale Kapittels van de Orde van het H. Kruis 1410–1786, Brüssel 1969, S. 136 (Nr. 61). 41 Opus Pacis (wie Anm. 32), S. 76*.

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reger schriftlicher und mündlicher Gedankenaustausch gepflegt wurde  – vom Büchertausch ganz zu schweigen. Gewiss handelt es sich bei den genannten Beispielen nur um Einzelfälle, die sich nicht ohne weiteres verallgemeinern lassen. Immerhin ist deutlich geworden, wie die Wissensvermittlung zwischen den Devoten und den ihnen geistesverwandten Ordensleuten funktionierte: zum einen über Schulen wie Deventer und Zwolle, zum anderen über die Weitergabe einschlägiger Schriften; das „Opus pacis“ mit seiner weitverzweigten Wirkungsgeschichte ist dafür ein eindrucksvoller Beleg. Vor allem aber basierte die wechselseitige Wissensvermittlung auf dem Engagement von Einzelpersonen; sie verdankte sich Charakteren wie Oswald von Corda und Konrad von Grünberg, die freimütig und über alle Ordensgrenzen hinweg ihre Fachkenntnisse miteinander teilten. Wenn also der Generalprior der Kreuzherren in seinem eingangs erwähnten Schreiben von personae bonae voluntatis sprach, hat er zu Recht die Bedeutung der zwischenmenschlichen Kontakte hervorgehoben und damit zugleich ein wesentliches Anliegen der Devotio benannt.

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non verbo sed scripto predicantes Die Rezeption der Devotio-Literatur im Rahmen kartäusischer Schreib- und Übersetzertätigkeit Iris Kwiatkowski

1. „Predigen mit den Händen“ Im Jahre 1476 veröffentlichten die Rostocker Fraterherren eine Druckausgabe der Sermones Discipuli de tempore. Ihr Interesse an diesem Werk begründeten sie in einem umfangreichen Kolophon: Die Predigten seien verfasst von einem herausragenden Lehrer, der es aus Demut vorgezogen habe, seinen eigenen Namen zu verschweigen. „Seines Eifers also wollen wir, die Priester- und Klerikerbrüder des Michaelisklosters zu Rostock, teilhaftig werden, indem wir nicht durch das Wort, sondern durch die Schrift predigen […].“1 Non verbo, sed scripto predicantes – das programmatische Diktum wird in der neueren Forschung immer wieder zitiert, wenn von der Schriftkultur der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ die Rede ist.2 Die erklärte Absicht, durch intensive Buchproduktion einem Predigtauftrag nachzukommen, bleibt jedoch keineswegs 1

2

Huius igitur zeli cupientes fore consortes nos fratres presbiteri et clerici viridis horti in Rostock ad sanctum Michaelem non verbo sed scripto predicantes […]. Zitiert nach Georg Christian Friedrich Lisch, Buchdruckerei der Brüder vom gemeinsamen Leben zu St. Michael in Rostock, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 4 (1839), S. 1–62, hier S. 45 f. Beispielhaft sei hier nur verwiesen auf Wolfgang Oeser, Beobachtungen zur Entstehung und Verbreitung schlaufenloser Bastarden. Eine Studie zur Geschichte der Buchschrift im ausgehenden Mittelalter, in: Archiv für Diplomatik 38 (1992), S. 235–344, hier S. 341; Elisabeth Hemfort, Monastische Buchkunst zwischen Mittelalter und Renaissance. Illuminierte Handschriften des Zisterzienserklosters Altenberg und die Kölner Buchmalerei 1470–1550, (Veröffentlichungen des Altenberger Dom-Vereins, 6), Bergisch Gladbach 2001, S. 173, Anm. 139; Thomas Kock, Zwischen Predigt und Meditation. Die Kollationalia des Dirc van Herxen, in: Niederdeutsches Wort 46 (2006), S. 257–277, hier S. 257; Ders., Theorie und Praxis der Laienlektüre im Einflussbereich der Devotio Moderna, in: ­Thomas Kock/Rita Schlusemann (Hrsg.), Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge; 5), Frankfurt a. M. [u. a.] 1997, S. 199–220, hier S. 199.

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auf den Rostocker Konvent beschränkt. Fast gleichlautend äußert sich zum Beispiel Gabriel Biel in seinem Traktat De communi vita clericorum: „Es gibt einige in der Kirche, denen die Seelsorge anvertraut ist, andere, die in Zungen sprechen und das Wort Gottes mit ihrer Stimme verkünden. Wir aber, als die geringsten Gefäße des Hauses Gottes, als schwächliche Glieder des kirchlichen Leibes, lassen uns an dem bescheidensten Platz nieder und erwählen die niedrigste Stellung. Und wir, die wir mit der Stimme schweigen, predigen durch die Schrift (qui voce tacemus, scripto predicamus) und geben uns Mühe, damit die heiligen Schriften und die heiligen Wissenschaften vervielfältigt werden und in den Gebrauch vieler gelangen […].“3 Die annähernd wörtliche Übereinstimmung mit dem Rostocker Selbstzeugnis kann kein Zufall sein. Tatsächlich gehen beide Formulierungen auf ein gemeinsames Vorbild zurück. In den ältesten Consuetudines der Kartäuser, unter Prior Guigo I. zusammengestellt, wird jedem Mönch des Ordens die Verpflichtung auferlegt, in seiner Zelle die zum Schreiben erforderlichen Utensilien bereitzuhalten: „Wir wollen aber, dass unsere Bücher als die ewige Speise unserer Seelen behütet werden und dass dies mit höchstem Eifer geschieht, damit wir das Wort Gottes mit den Händen predigen, weil wir es mit dem Munde nicht können – ut quia ore non possumus, dei verbum manibus predicemus.“4 Wohl kein anderes Kapitel der kartäusischen Consuetudines hat unter den Devoten des 15. Jahrhunderts eine ähnlich große Resonanz gefunden wie jenes über den Wert des Bücherschreibens. Auch Gerhard Zerbolt van Zutphen hat es, freilich ohne Quellenbeleg, in seinen Spirituales Ascensiones aufgegriffen: „Denn wie viele heilige Bücher du schreibst, so viele Verkünder der Wahrheit erschaffst Du“ (Quot enim libris sacros scribis, quasi tot veritatis precones facis)5 – eine For3

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Sunt alii in ecclesia Dei, quibus regendarum animarum cura est commissa, alii, qui linguis loquuntur et verbum Dei voce predicant. Nos velut extrema vasa domus Dei velut infirma membra corporis ecclesiastici recumbimus in novissimo loco atque extremum locum eligimus et, qui voce tacemus, scripto predicamus damusque operam, ut sancti libri et sacre littere multiplicentur et veniant in usus plurimorum […]. Gerhard Faix, Gabriel Biel und die Brüder vom Gemeinsamen Leben. Quellen und Untersuchungen zu Verfassung und Selbstverständnis des Oberdeutschen Generalkapitels, (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 11), Tübingen 1999, S. 363. Guigues Ier Prieur de Chartreuse, Coutumes de Chartreuse, (Sources Chrétiennes, 313), Paris 1984, cap. 28,2–3, S. 222–224. Gérard Zerbolt de Zutphen, La montée du cœur – De spiritualibus ascensionibus, hrsg. u. übers. v. Francis Joseph Legrand, (Sous la règle de Saint Augustin, 11), Turnhout 2006, cap. LXVII, S. 386 f., darin auch die Einleitung von Nikolaus Staubach, Gérard Zerbolt et son œuvre, S. 10–40. Zu diesem Zitat vgl. auch Ulrike Hascher-Burger, Singen für die Seligkeit. Studien zu einer Liedersammlung der Devotio moderna, (Brill’s Series in Church History, 28), Leiden 2007, S. 114. Über Gerhard Zerbolt van Zutphen und sein Werk siehe auch Rudolphus Th. M. van Dijk, Geestelijke opklimmingen: een gids voor de geestelijke weg uit de vroege Moderne Devotie, (Bibliotheca Dissidentium Neerlandicorum), Amsterdam 2011; Ders., Thematische meditatie en het beeld: visualiteit in De spiritualibus

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mulierung, die nahezu wörtlich den Vorgaben der Chartreuse folgt: Quot enim libros scribimus, tot nobis veritatis precones facere videmur.6 Trotz der weitgehenden Übereinstimmung darf allerdings ein entscheidender Unterschied nicht übersehen werden: Nicht von ungefähr fehlt in Gerhards Zitat das wichtige Wörtchen nobis. Nach Guigos Überzeugung war die Schreibtätigkeit der Mönche ein selbstgenügsamer Vorgang; die Bücher, die in den kartäusischen Zellen entstanden, waren primär zur Erbauung und Belehrung der eigenen Gemeinschaft gedacht. Die Bücherproduktion der Devoten dagegen orientierte sich – allein schon aus wirtschaftlichen Gründen – nicht am Eigenbedarf, sondern an der Nachfrage eines breiteren Lesepublikums.7 In seiner Dissertation über die „Utrechter Kartäuser und ihre Bücher“ (1974) hat Johan Peter Gumbert auf diesen Unterschied hingewiesen8, ihn vielleicht aber allzu stark akzentuiert. Mit Recht weist er darauf hin, dass die Vorstellung vom manibus predicare letztlich auf Cassiodor zurückzuführen ist9: In dessen Institutiones wird das Bücherschreiben als vornehmste Art der körperlichen Arbeit (corporeus labor) anempfohlen. Das „Predigen mit den Händen“ steht hier also nicht unbedingt in einem Gegensatz zum „Predigen mit dem Mund“; die Betonung ascensionibus van Gerard Zerbolt van Zutphen (1367–1398), in: Kees Veelenturf (Hrsg.), Geen povere schoonheid. Laat-middeleeuwse kunst in verband met de Moderne Devotie, Nijmegen 2000, S. 43–66; José van Aelst: Gérard Zerbolt et les débuts de la Dévotion moderne, in: Gérard Zerbolt de Zutphen. Manuel de la réforme intérieure. Tractatus devotus de reformacione virium anime, hrsg. u. übers. v. Francis Joseph Legrand, (Sous la règle de Saint Augustin, 8), Turnhout 2001, S. 7–42; Kurt Ruh, Art. „Zerbolt, Gerard, van Zutphen“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 10, 2., völlig neu bearb. Aufl., Berlin/New York 1999, Sp. 1537–1541; Volker Leppin, Art. „Zerbolt, Gerhard (1367–1398)“, in: Theologische Realenzyklopädie Bd. 36 (2004), S. 658– 660; Nikolaus Staubach, Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Apologie der Laienlektüre in der Devotio moderna, in: Thomas Kock/Rita Schlusemann (Hrsg.): Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge, 5), Frankfurt a. M. [u. a.] 1997, S. 221–289. Aktuell auch die Beiträge in dem Sammelband von Nikolaus Staubach (Hrsg.), Kirchenreform von unten. Gerhard Zerbolt van Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben, (Tradition – Reform – Innovation; 6), Frankfurt a. M. (u. a.) 2004. 6 Guigues Ier, Coutumes de Chartreuse, (wie Anm. 4), cap. 28,4, S. 224. 7 Nikolaus Staubach, Der Codex als Ware. Wirtschaftliche Aspekte der Handschriftenproduktion im Bereich der Devotio Moderna, in: Christel Meyer/Dagmar Hüpper/­Hagen Keller (Hrsg.), Der Codex im Gebrauch. Akten des Internationalen Kolloquiums 11.– 13. Juni 1992, (Münstersche Mittelalter-Schriften, 70), München 1997, S. 143–162; Thomas Kock, Die Buchkultur der Devotio moderna: Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels, Frankfurt a. M. 2002, bes. S. 17–54, 79–110. 8 Johan Peter Gumbert, Die Utrechter Kartäuser und ihre Bücher im frühen fünfzehnten Jahrhundert, Leiden 1974, S. 308–312. 9 Ebd., S. 309 f.

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liegt vielmehr auf dem Aspekt der Handarbeit: manu hominibus praedicare. Ganz selbstverständlich setzt Cassiodor voraus, dass das Bücherschreiben nicht nur der eigenen Unterweisung dienen, sondern zugleich die Worte des Herrn „weit und breit“, longe lateque, verkünden soll.10 Sicherlich wird man Gumbert zustimmen, wenn er darauf hinweist, dass sich die Schriftkultur zwischen dem sechsten und dem zwölften Jahrhundert eingreifend verändert hatte. Als Prior Guigo I. sich die Worte Cassiodors zu eigen machte, dürfte er schwerlich an eine lesekundige Öffentlichkeit außerhalb der Klostermauern gedacht haben  – die Bücher der frühen Kartäuser waren zweifellos in erster Linie für den eigenen Gebrauch bestimmt. Andererseits geht Gumbert zu weit, wenn er lapidar formuliert: „Einmal in diesem Sinne festgelegt, blieb die Haltung der Kartäuser zum Buche fortan im wesentlichen unverändert.“11 Unbeirrt hätten demnach die Kartäuser an einer Tradition festgehalten, die sich im 12.  Jahrhundert ausgebildet hatte; an „aktiver Beeinflussung ihrer Umgebung durch gute Bücher“ seien sie nicht interessiert gewesen.12 Ganz anders die Devotio moderna: Als sie „ihr Kartäuservorbild studierte, wurde sie fasziniert von den Texten über das Buchschreiben, las sie aber mit anderen Augen und verstand sie auf modernere Weise. Das Schreiben als Askese behielt seine Rolle; das Schreiben als Apostolat wurde aber viel weiter gefasst […].“13 Gumberts Untersuchung war zeitlich und räumlich eng begrenzt; sie konzentrierte sich auf die „Utrechter Kartäuser und ihre Bücher im frühen fünfzehnten Jahrhundert“. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob die an einem Einzelbeispiel gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinernd auf den Gesamtorden und dessen Buchkultur im ausgehenden Mittelalter bezogen werden dürfen. Vieles spricht dagegen: Als zum Beispiel in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Gutenbergsche Buchdruckkunst ihren Siegeszug antrat, waren es die Kölner Kartäuser, die schon frühzeitig die Chancen des neuen Mediums erkannten. Bereits in der Zeit der Inkunabeln, seit 1478, ließen sie in der Offizin Peter Quentels ausgewählte Schriften drucken, und auch Johann Landen, der von 1496 bis 1521/22 in Köln wirkte, verfügte über gute Kontakte zu den Kartäusern. Zumindest zeitweilig hat sich die Kölner Kartause sogar selbst in der Ausübung der Schwarzen Kunst betätigt: Um 1516 druckten die fratres domus Colonie mehrere Schriften, die typographisch denen des Johann Landen ähneln.14

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Cassiodor, Institutiones I,30,1. Gumbert, Utrechter Kartäuser (wie Anm. 8), S. 310. Ebd., S. 311. Ebd., S. 210. Näheres dazu bei Severin Corsten, Eine Klosterdruckerei in der Kölner Kartause, in: Dennis E. Rhodes (Hrsg.), Essays in Honour of Victor Scholderer, Mainz 1970, S. 128–137; vgl. auch Bruno Kammann, Die Kartause St. Barbara in Köln (1334 bis 1953). Kontinuität

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Dass sich gerade die Kartäuser so frühzeitig und so intensiv im Buchdruck engagierten, war alles andere als selbstverständlich, denn immerhin verlor mit Gutenbergs Erfindungen das mühevolle Verfertigen von Manuskripten seine vielbeschworene Verdienstlichkeit. Für Guigo war die Schreibtätigkeit eine der vornehmsten Pflichten jedes einzelnen Mönchs; nur diejenigen waren davon ausgenommen, die des Lesens und Schreibens unkundig waren. Trotz dieser asketisch-spirituellen Tradition machten zumindest die Kölner Kartäuser ohne Zögern von den neuen technischen Möglichkeiten Gebrauch. Offenbar lag ihnen mehr an der raschen und preiswerten Vervielfältigung des geistlichen Schrifttums als an der monastischen Selbstvervollkommnung im individuellen Akt des Bücherschreibens. Vermutlich hat der spätere Bibliothekar der Kölner Kartause, Theodor Petrejus, die Geisteshaltung seiner Vorgänger treffend gekennzeichnet, als er 1609 notierte: „Unsere Väter hatten damals innerhalb ihrer Mauern eine eigene Druckerpresse mit allem nötigen Zubehör. Sie widmeten sich selbst dieser nützlichen Kunst, mit der sie größte Verdienste für das christliche Gemeinwesen (de christiana republica) erwerben und ihre tieffrommen theologischen Kommentare allen zugänglich machen konnten – pientissimasque suas rerum divinarum commentationes omnibus communes facere.“15 – Es versteht sich von selbst, dass mit omnes keineswegs nur die Angehörigen des eigenen Ordens gemeint waren. Zu den ehrgeizigsten Projekten, die die Kölner Kartäuser im 15./16.  Jahrhundert verfolgten, zählte eine Gesamtausgabe des umfänglichen Œuvres von Dionysius Rijckel († 1471).16 Dionysius hätte gewiss keine Einwände gegen die und Wandel. Ein Beitrag zur Kirchen- und Stadtgeschichte Kölns, (Libelli Rhenani, 33), Köln 2010, S. 227–232. 15 Corsten, Klosterdruckerei (wie Anm. 14), S. 130. 16 Zu Leben und Werk des Dionysius s. D. D. Martin, Art. „Dionysius der Kartäuser“, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 3 (1986), Sp. 1092–1094; Martin Anton Schmidt, Art. „­Dionysius der Kartäuser“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 2, Berlin/New York 1980, Sp. 166–178; Hubertus Maria Blüm, Die KartäuserSchriftsteller im deutschsprachigen Raum, in: Marijan Zadnikar/Adam ­Wienand (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 345–373, hier S. 349 f.; Kent Emery (Jr.), Art. „Denys the Carthusian (1402/3–71)“, in: Edward Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, Bd. 2, London u. a. 1998, S. 884–887; E ­ ugen Ewig, Die Anschauungen des Kartäusers Dionysius von Roermond über den christlichen Ordo in Staat und Kirche, phil. Diss. Bonn 1936; D. A. Mougel, Dionysius der Karthäuser 1402– 1471. Sein Leben, sein Wirken, Mühlheim a. d. Ruhr 1898; Peter Nissen, ­Dionysius de Kartuizer (1402/3–1471): de roem van de Roermondse Kartuis, in: Krijn ­Pansters (Hrsg.), Het Geheim van de Stilte. De Besloten Wereld van de Roermondse Kartuizers. Verschenen ter gelegenheid van de tentoonstelling in het voormalige kartuizerklooster ‚O. L. Vrouw van Bethlehem‘ te Roermond, maart-juni 2009, Zwolle 2009, S. 158–165; S­ tefan Podlech, Discretio: zur Hermeneutik der religiösen Erfahrung bei Dionysius dem Kartäuser, (Analecta Cartusiana, 194), Salzburg 2002; Dirk Wassermann, Dionysius der Kartäuser. Einführung in Werk und Gedankenwelt, (Analecta Cartusiana, 133), Salzburg 1996; Adam

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weite Verbreitung seiner Schriften gehabt, war er doch zu seinen Lebzeiten stets bereit, gleichsam „vom Schreibtisch aus“ seelsorglich tätig zu werden und seinen geistlichen Rat auch Ordensfremden zuteilwerden zu lassen. So reagierte er mit seinem Traktat „Über die Abhaltung von Prozessionen und die Verehrung der Heiligen“17 auf die Anfrage eines frommen Laien, den er ausdrücklich für seinen Glaubenseifer lobte, ihn sogar – im Vergleich mit pflichtvergessenen Klerikern – als vorbildlich rühmte. Hier wird deutlich, wie Dionysius das „Predigen mit den Händen“ verstand; gerade als Kartäuser suchte er nicht die hermetische Abgeschiedenheit des Eremitendaseins, sondern pflegte über das Medium der Schrift den steten Kontakt mit der Außenwelt.

2. Kartäusische Übersetzungstätigkeit für laikale Adressaten Wie der Lebensweg des Geert Grote zeigt, konnte man auch als Außenstehender direkt an der Buchkultur der Kartäuser teilhaben. Bekanntlich zog sich Grote nach einer tiefen Lebenskrise zwischen 1374 und 1379 in die Kartause Monnik­ huizen bei Arnhem zurück, und in der klösterlichen Bibliothek lernte er Autoren kennen, die seinen weiteren Weg maßgeblich prägten. Vermutlich begegnete er dort zum ersten Mal den mystischen Traktaten Ruusbroecs. Dessen Abhandlung „Die geestelijke brulocht“ übersetzte er ins Lateinische (De ornatu spiritualis desponsationis), um ihr über die Grenzen der Volkssprache hinaus eine weite Verbreitung zu sichern.18 Es ist kein Zufall, dass Grotes Übersetzung gerade bei den Kartäusern auf große Resonanz stieß; von den 13 bisher ermittelten Textzeugen sind mindestens sieben mit Sicherheit auf kartäusische Provenienz zurückzuführen.19

Wienand, Bedeutende Prioren in der Kölner Kartause, in: Zadnikar/Wienand (Hrsg.), Kartäuser (wie Anm. 16), S. 243–287, hier S. 258–261. 17 Dionysius der Kartäuser, De modo agendi processiones sanctorumque veneratione, in: Doctoris Ecstatici d. Dionysii Cartusiani opera minora, Bd. IV, (Opera omnia, 36), Tournai 1908, S.  195–209. Ausführlich dazu: Iris Kwiatkowski, Devotio und religiöse Praxis. Die Ratschläge des Kartäusers Dionysius Ryckel, in: Dick E. H. de Boer/Iris Kwiat­kowski (Hrsg.), Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580), Bd. 1: Frömmigkeit, Unterricht und Moral. Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, vor allem in der deutsch-niederländischen Grenzregion, Münster 2013, S. 85–115. 18 Ioannis Rusbrochii Ornatus spiritualis desponsationis Gerardo Magno interprete, hrsg. v. Rijcklof Hofman, (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 172), Turnhout 2000. 19 Ebd., S. XXXI–LVI.

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Auch die Kartäuser haben im 15.  Jahrhundert Übersetzungen geistlicher Schriften angefertigt. Drei von ihnen sollen im Folgenden mitsamt ihrem Œuvre exemplarisch vorgestellt werden: • Erhart Groß20, der zwischen 1432 und 1449 als Mönch in der Nürnberger Kartause Marienzelle bezeugt ist; • Heinrich Haller21, zwischen 1455 und 1471 als Kartäuser in Allerengelberg zu Schnals (Südtirol) nachweisbar, und • Ludwig Moser22, der 1474 in die Basler Kartause St. Margarethental eintrat und dort 1510 verstarb. Anders als Geert Grote haben die drei Genannten nicht aus der Volkssprache ins Lateinische, sondern – jedenfalls zumeist – vom Lateinischen ins Deutsche über20 Zu Leben und Werk s. Friedrich Eichler, Studien über den Nürnberger Kartäuser E ­ rhart

Gross, Diss. Greifswald 1935; Hans-Hugo Steinhoff, Art. „Groß, Erhart“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 3, Berlin/New York 1981, Sp. 273–278; Hans Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock, Teil 1: Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance. 1370–1520, 2. Aufl., neubearb. v. Hedwig Heger, München 1994, S. 326 f.; Albrecht Classen, Erhart Gross – ein weitgehend unbekannt gebliebener Autor des 15. Jahrhunderts. Über Liebe, Ehe, Kinder, Witwenschaft und Gottesfurcht aus der Sicht eines Kartäusers, in: Journal of English and Germanic Philology 100 (2001), S. 377–405. 21 Nigel Palmer, Ein Handschriftenfund zum Übersetzungswerk Heinrich Hallers und die Bibliothek des Grafen Karl Mohr, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 102 (1973), S. 49–66; Erika Bauer, Art. „Haller, Heinrich“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd.  3, Berlin/New York 1981, Sp.  415–418; Dies., Der Übersetzer Heinrich Haller aus der Kartause Allerengelberg in Schnals, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Kartäusermystik und -Mystiker. Dritter internationaler Kongreß über die Kartäusergeschichte und -spiritualität, Teilband 3, (Analecta Cartusiana, 55:3), Salzburg 1982, S. 147–166; Dies., Heinrich Hallers selliges leben auf dem ert­ reich. Die Vorreden und Kolophone seiner Übersetzungen, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Kartäuserregel und Kartäuserleben, Bd.  1, (Analecta Cartusiana, 113:1), Salzburg 1984, S. 122–186; Dies., Variatio delectat – delectat variatio? Beobachtungen an autographischen Übersetzungen des Kartäusers Heinrich Haller, in: Christiane Ackermann/Ulrich Barton (Hrsg.), Texte zum Sprechen bringen. Philologie und Interpretation. Festschrift für Paul Sappler, Tübingen 2009, S. 407–420; Dies. (Hrsg.), Heinrich Hallers Übersetzung von De spiritualibus ascensionibus des Gerald Zerbolt van Zutphen. [Beigefügt: Antonio Callá’s commemorative medal to mark the death of St. Bruno, 6 October 2001. Kartäuserhandschriftenbestände in öffentlichen Bibliotheken Frankreichs, v. James Hogg], (Analecta Cartusiana, 165), Salzburg 2000, S. 5–65. 22 Kurt Ruh, Bonaventura deutsch. Ein Beitrag zur deutschen Franziskaner-Mystik und -Scholastik, Bern 1956, S.  188–202; Walther-Hugo Haeller, Studien zu Ludwig Moser, Kartäuser-Mönch in Basel, Freiburg in der Schweiz 1967; Herbert Kraume, Art. „Moser, Ludwig OCart“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 6, Berlin/New York 1987, Sp. 705–710; Romy Günthart, Deutschsprachige Literatur im frühen Basler Buchdruck (ca. 1470–1510), (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit, 11), Münster u. a. 2007, S. 139–144.

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setzt. Man könnte vermuten, dass sie dabei vor allem die religiösen Bedürfnisse ihrer eigenen Laienbrüder im Blick hatten. So entstand z. B. in der Kölner Kartause um 1470 ein deutschsprachiges Gebetbuch, das speziell für die Laienbrüder bestimmt war und u. a. Heinrich Seuses „Horen der Ewigen Weisheit“ enthielt. Und aus der Basler Kartause haben sich nicht weniger als neunzehn Gebets- und Andachtsbücher in deutscher Sprache erhalten, die zumindest teilweise aus der Hinterlassenschaft Ludwig Mosers stammten.23 Andererseits wissen wir gerade von Moser, dass er seine Übersetzungen keineswegs exklusiv den kartäusischen Laienbrüdern zugedacht hatte. Als eines seiner bedeutendsten Werke gilt „Der guldin Spiegel des Sünders“, das in seinem ersten Teil auf das Speculum animae peccatricis des Jacobus von Gruytrode (2.  H. 15.  Jh.) zurückgeht, daneben aber auch eine Übesetzung des Hortulus rosarum („Rosengertly“) von Thomas von Kempen enthält.24 Veranlasst wurde das Werk durch eine Bitte des obersten Zunftmeisters der Stadt Basel, Nicolaus Rüsch. An ihn wendet sich Moser in der Vorrede seines Buches: Nach dem ir mich […] die vergangen tag gebetten habt, die hye nach bestimpten matery und Tractetly […] in latin uß den geschriften der lerer der heiliger kirchen zů samen gelesen vergriffen, zů tütsch ze machen, da mitt sich andere menschen, die das latin nit verstanden noch lesen können, sich deren ouch fröwen und gegen gott zu heyl und behalltnüsse ir selen genyessen mögen […] hab üch zu ettlicher můssiger zitt, so mir des tags wenig über worden ist, doch mitt verwilligung myns obern pryors des gedachten Closters sant Margaretental, die matery an mich begerdt für ougen genommen […].25

Ausdrücklich wendet sich Moser also an diejenigen, die des Lateinischen nicht mächtig sind, und der Kontext seines Widmungschreibens macht deutlich, dass dabei nicht in erster Linie an Ordensangehörige, sondern an ein weltlich-laikales Publikum gedacht ist. Tatsächlich scheinen sich seine Werke großer Beliebtheit erfreut zu haben. Die großzügige Ausleihpraxis der Kartäuser sicherte ihnen weite Verbreitung; eine der Basler Handschriften trägt den beziehungsreichen Vermerk: Wenn jr diss abegeschribend, so schickends wider heym zu den Carthu­

23 Beide Beispiele bei Gerard Achten, Die Kartäuser und die mittelalterlichen Frömmig-

keitsbewegungen, in: Werner Schäfke (Hrsg.), Die Kölner Kartause um 1500. Aufsatzband, Köln 1991, S. 1438–145, hier S. 144. 24 Kraume, Moser (wie Anm. 22), Sp. 707 f. 25 Hier zitiert nach dem Druck der Vorrede in: Philipp Wackernagel, Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes im XVI. Jahrhundert, Frankfurt a. M./­Erlangen 1855, S.  539. Zur Bedeutung des Zitats s. auch Peter Ochsenbein, Notker Balbulus deutsch, in: Harald Burger (Hrsg.), Verborum Amor. Studien zur Geschichte und Kunst der deutschen Sprache. Festschrift Stefan Sonderegger, Berlin/New York 1992, S. 214–237, hier S. 225.

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sern.26 Moser legt in seinen Selbstzeugnissen Wert auf die Feststellung, dass er so wortgetreu wie möglich übersetzt habe. Nachdrücklich nimmt er für sich in Anspruch, seine Vorlagen unverendert des synns und der Worten glich wiedergegeben zu haben.27 Der Verzicht auf sprachliche Eleganz hat ihm bei den Germanisten des 19. Jahrhunderts manche verständnislose Kritik eingetragen; zu seiner Eindeutschung des Weihnachtshymnus A solis ortus cardine meint Heinrich Hoffmann von Fallersleben lapidar: „Wie stümperhaft die Übersetzung ist und gleichzeitigen und älteren nachsteht, davon kann sich Jeder durch Vergleichung überzeugen.“28 Doch gerade das Bekenntnis zu einer schmucklosen, unambitionierten Redeweise sowie die Bevorzugung des Inhalts gegenüber der Form rücken Moser in die Nähe der Devotio moderna. Mosers Prinzipien werden fast wortgleich geteilt von seinem Südtiroler Ordensbruder Heinrich Haller. Auch dieser wendet sich an alle, die das puech lesen oder hören lesen und sich dadurch pessern sind.29 Übersetzen will er nach dem text und etwen nach dem sinn; im sprachlichen Ausdruck orientiert er sich an ainer schlechten gemainen teücz, die man wol versten mag.30 In typisch kartäusischer Bescheidenheit verschweigt uns Haller seinen Namen; seine Identität bezeugt lediglich der Schreiber Petrus Vorst, der in einem frommen, aber etwas redseligen Kolophon mitteilt: Hie hat das puech ein ent, got uns allen kummer wend. Und das puech hat von latein zue teutsch pracht ain prueder karthusers ordens in dem kloster auff aller Engel pergk in schnals, genant prueder hainrich haller. Pittet got für yn.31

Mehr noch als Moser hat sich Haller in seinen erbaulichen und paränetischen Übersetzungen dem Schrifttum der Devotio zugewandt. Eine Sammelhandschrift, die er 1466 mit eigener Hand schrieb, enthält unter anderem eine Übersetzung der spirituales ascensiones des Gerard Zerbolt von Zutphen und die beiden ersten Bücher der Imitatio Christi.32 Haller hat den Codex mit eigener Hand geschrieben; auf dem ersten Blatt findet sich der schwer zu deutende Vermerk:

26 Kraume, Moser (wie Anm. 22), Sp. 709. 27 Ebd. 28 Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis

auf Luthers Zeit, 3. Aufl., Hannover 1861, S. 265.

29 Bauer, Art. „Haller, Heinrich“ (wie Anm. 21), Sp. 416. 30 Beide Zitate ebd. 31 Zitiert nach Palmer, Handschriftenfund (wie Anm. 21), S. 49. Zu den Kolophonen siehe

auch Bauer, Heinrich Hallers selliges Leben (wie Anm. 21), insbes. S. 146 ff.

32 Beschreibung der Handschrift bei Erika Bauer (Hrsg.), Heinrich Hallers Übersetzung der

Imitatio Christi, (Analecta Cartusiana, 88), Salzburg 1982, S. 20–22.

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b­ arbara hallerin ist das püch.33 Angesichts der Namensgleichheit liegt der Gedanke nahe, dass Barbara Haller eine Verwandte des Kartäusermönchs war. Allerdings ist in seinem familiären Umfeld eine Barbara bisher nicht nachweisbar. Unklar bleibt auch, warum sich die Handschrift bis zur Auflösung des Klosters (1782) in der Schnalser Bibliothek befand – vielleicht kehrte sie nach dem Tode Barbara Hallers an ihren Ursprungsort zurück?34 Wichtiger als die Klärung dieser Fragen ist jedoch die Tatsache, dass Heinrich Haller sein Werk einer Ordensfremden dedizierte. Auch er stellte seine Übersetzertätigkeit also nicht nur in den Dienst der eigenen Gemeinschaft; vielmehr lag ihm besonders die religiöse Unterweisung der Laien am Herzen, und dabei dachte er ausdrücklich auch an jene, die des Lesens nicht kundig waren, zählten doch zu seinen Adressaten, wie bereits gesagt, alle, die das puech lesen oder hören lesen. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass sich die „Nachfolge Christi“ in kartäusischen Kreisen außerordentlicher Beliebtheit erfreute. Nicht von ungefähr heißt es z. B. im Verfasserlexikon: „‚De imitatione Christi‘ hätte von einem Kartäuser verfaßt sein können.“35 Zu den 40 verschiedenen Autoren, denen man die Imitatio im Laufe ihrer Überlieferung zugeschrieben hat, zählen nicht weniger als acht Kartäuser, darunter so illustre Namen wie Ludolf von Sachsen, Heinrich Egher von Kalkar und Dionysius Rijckel.36 Heinrich Haller wählte für seine Übersetzung eine spezielle Textgestalt, die lediglich die beiden ersten Bücher der Imitatio berücksichtigt, und zwar in umgekehrter Reihenfolge (also erst das zweite, dann das erste Buch). Diese merkwürdige Anordnung entspricht nicht unbedingt kartäusischen Vorlieben; üblicherweise wurde in den Kartausen entweder nur Buch I oder eine Kombination der Bücher I, II und III tradiert.37 Dass Haller gleichwohl bei seiner Übersetzung die Belange des eigenen Ordens vor Augen hatte, zeigen zwei bezeichnende Auslassungen: Im lateinischen Original wird mit Wehmut jener Zeiten gedacht, als in den Klöstern noch der fromme Eifer der Gründerväter herrschte: O quantus fervor omnium religiosorum in principio suae institutionis fuit (I,18). Haller hat diesen Satz kurzerhand weggelassen – gewiss nicht, weil er sich als Ordensmann von der impliziten Kritik betroffen fühlte, sondern wohl eher in dem stolzen Bewusstsein, dass die Kartäuser auch im 15. Jahrhundert noch nicht 33 Bauer, Heinrich Hallers Übersetzung von De spiritualibus ascensionibus (wie Anm. 21),

S. 14.

34 Zu diesen Überlegungen s. den Exkurs „Barbara Hallerin“ in Bauer, Heinrich Hallers

Übersetzung der Imitatio Christi (wie Anm. 32), S. 36 f.; Dies., Heinrich Hallers Übersetzung von De spiritualibus ascensionibus (wie Anm. 21), S. 14–15. 35 Cebus C. de Bruin, Art. „Groote, Geert“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 3, Berlin/New York 1981, Sp. 263–272, hier 271. 36 Vgl. den Überblick bei Bauer, Heinrich Hallers Übersetzung der Imitatio Christi (wie Anm. 32), S. 14. 37 Ebd., S. 15.

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von der anfänglichen Regelstrenge abgewichen waren.38 Auch die einzige Stelle der Imitatio, an der die Kartäuser ausdrücklich erwähnt werden, fiel Hallers Zurückhaltung zum Opfer: Thomas von Kempen mahnt seine Leser, sich vor Augen zu halten, „wie die Kartäuser und Zisterzienser und Benediktiner und M ­ önche und Nonnen verschiedener Orden jede Nacht aufstehen, um Gott Psalmen zu singen (I,25).“ Bei Haller bleibt von alledem nur das Verb psalliren übrig.39 Mit dem Nürnberger Erhart Groß sei abschließend noch ein dritter kartäusischer Übersetzer des 15. Jahrhunderts kurz erwähnt. Auch er entfaltete eine rege literarische Tätigkeit, die – wie bereits die Titel einzelner Werke verraten – weit über die kartäusischen Klostermauern hinausreichten. Unter dem Titel „LaienDoctrinal“ fertigte er auf Bitten der Nürnberger Bürger Paul Förchtel und Ortolf Stromer eine Prosa-Übertragung des mittelniederländischen „Dietsche Doctrinale“. Die Wahl der Prosaform begründet er mit der Ehrfurcht vor den Lehren der Väter, die nicht durch ein sachfremdes Reimschema verfälscht werden sollten.40 Mit Moser und Haller teilt er also das Bestreben, den Originaltext so wortgetreu wie möglich wiederzugeben. Sein bekanntestes Werk ist die „Grisardis“, keine Übersetzung im eigentlichen Sinne, sondern die freie Adaption einer Novelle aus dem Decamerone. Zentrales Thema ist das Für und Wider der Ehe; auch hier also dominiert das Anliegen der Laienpastoral.41 Als Schriftsteller wie als Übersetzer bemüht sich Groß – ebenso wie Moser und Haller – um eine schlichte, unprätentiöse Sprache und die direkte Anrede des Lesers. Beides erinnert nicht zufällig an die Geisteshaltung der Devoten; und tatsächlich findet sich unter den von Groß übersetzten Werken zumindest ein Traktat, der dem unmittelbaren Umfeld der Devotio moderna zuzuordnen ist: das Cordiale de quatuor novissimis des Gerard von Vliederhoven.42

3. Das rapiarium als Ausdruck devoter und kartäusischer Schriftkultur Nicht nur mit ihrer intensiven Schreibtätigkeit, sondern auch als Übersetzer haben also die Kartäuser des 15. Jahrhunderts zur Verbreitung devoten Gedankenguts beigetragen. Gleich zwei sprachliche Hürden galt es dabei zu überwinden: Zum einen, wie wir sahen, die Barriere zwischen dem Nieder- und dem Oberdeutschen, zum anderen die zwischen dem Lateinischen und der Volkssprache. Die Affinität zwischen Kartäusern und Devoten spiegelt sich freilich nicht nur in 38 Ebd., S. 33. 39 Ebd. 40 Steinhoff, Groß (wie Anm. 20), Sp. 277. 41 Ebd., Sp. 274 f. 42 Ebd., Sp. 275.

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der wechselseitigen Rezeption erbaulicher und belehrender Schriften, sondern auch in der Entwicklung und Verwendung neuartiger literarischer Formen. Besonders beliebt war im ausgehenden Mittelalter die Form des rapiarium, dessen Stellenwert „im geistlichen Reformprogramm der Devotio moderna“ erst vor wenigen Jahren von Nikolaus Staubach untersucht wurde.43 Mit Recht wendet sich Staubach gegen die verbreitete Anschauung, dass „das Rapiarium als ein spezifisches Erzeugnis der Devotio moderna“ gelten könne.44 Bezeichnenderweise sieht ein Kenner wie Gerard Achten die Imitatio Christi geradezu „als das Meisterwerk der von den Kartäusern besonders intensiv geübten Rapiarium-Methodik“45. Über die Urheberschaft dieser zeittypischen Form sachbezogener Kompilationen lässt sich demnach trefflich streiten, zumal sich auch die Gebildeten des 15. Jahrhunderts mit einer präzisen Definition schwer taten. Am bekanntesten ist wohl der Erklärungsversuch in einer Kölner KreuzherrenHandschrift: Iste libellus […] vocatur rapularius, eo quod in eo multa ac diversa raptim undique collecta sint.46 Ganz ähnlich ein Eintrag im Bibliothekskatalog der Kartause Güterstein bei Urach: Item rapularium; sic volo eum appellari, eo quod raptim per quendam predicatorem sit collectus ex diversis scripturis […].47 Diesen Angaben zufolge sah man also einen etymologischen Zusammenhang mit dem Verb rapere (zusammenraffen, an sich reißen) bzw. mit dem davon abgeleiteten Adverb raptim (hastig, eilend). Entscheidendes Kennzeichnen des Rapulariums wäre demnach die flüchtige Aneignung (und dauerhafte Aufzeich43 Nikolaus Staubach, Diversa raptim undique collecta. Das Rapiarium im geistlichen Re-

formprogramm der Devotio moderna, in: Kaspar Elm (Hrsg.), Literarische Formen des Mittelalters. Florilegien  – Kompilationen  – Kollektionen, (Wolfenbütteler MittelalterStudien, 15), Wiesbaden 2000, S. 115–147. Siehe auch Kock, Buchkultur der Devotio moderna (wie Anm. 7), S. 18 f.; Thom Mertens, Het rapiarium, in: A. J. Geurts (Hrsg.), Moderne Devotie. Figuren en Facetten: Catalogus. Tentoonstelling ter herdenking van het sterfjaar van Geert Grote 1384–1984, Nijmegen 1984, S. 153–157; Ders., Art. „Rapiarium“, in: Dic­tionnaire de spiritualité ascétique et mystique Bd.  13 (1988), Sp.  114–119; Ders., Lezen met de pen. Ontwikkelingen in het laatmiddeleeuws geestelijk proza, in: F. P. van Oostrom/F. Willaert (Hrsg.), De studie van de Middelnederlandse letterkunde: stand en toekomst, Hilversum 1989, S. 187–200; Wybren Scheepsma: Medieval Religious Women in the Low Countries: The ‚Modern Devotion‘, the Canonesses of Windesheim, and their writings, übers. v. David F. Johnson, Woodbridge 2004, S. 90–96; Anne Bollmann, Frauenleben und Frauenliteratur in der Devotio moderna. Volkssprachliche Schwesternbücher in literarhistorischer Perspektive, o. O. [Groningen] 2004, S. 264–268; John van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life: The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, University of Pennsylvania 2008, S. 278–281. 44 Ebd., S. 118. 45 Achten, Kartäuser (wie Anm. 23), S. 142. 46 Joachim Vennebusch, Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln. Teil 3: Die Oktav-Handschriften der Gymnasialbibliothek, Köln/Wien 1983, S. 71. 47 Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Erster Band: Die Bistümer Konstanz und Chur, bearb. v. Paul Lehmann, S. 160.

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nung) unterschiedlichster Lesefrüchte. Insofern erscheint auch die von Staubach nur am Rande erwähnte Möglichkeit plausibel, dass man einen semantischen Zusammenhang mit rapularium (in der Bedeutung „Rübenacker“) unterstellte.48 Immerhin lagen landwirtschaftliche Metaphern den Buchkennern jener Zeit keineswegs fern; als Synonym für rapularium findet sich gelegentlich auch die ähnlich sinnfällige Bezeichnung granarius/granarium, also: „Kornspeicher“.49 Angesichts der vielfältigen Erklärungsversuche verwundert es, dass bisher noch nicht die Möglichkeit einer volkssprachlichen Interferenz in Betracht gezogen wurde, denn spätestens seit der Lutherzeit ist im Deutschen das Verbum rappen bezeugt. Das Grimmsche Wörterbuch nennt – neben den frühesten, bis ins 15.  Jahrhundert zurückreichenden Belegen  – eine Fülle weiterführender lateinischer Synonyme, darunter so aussagekräftige wie corripere, prehendere oder colligere.50 Legt man die volkssprachliche Bedeutung zugrunde, wäre also das Rapularium etwas Zusammengerafftes, durchaus auch mit der negativen Konnotation einer Aneignung fremden Besitzes. In der methodischen Zusammenstellung nützlicher Zitate – seien sie schriftlich oder mündlich überliefert – entsprach das Rapularium ganz dem schulischen Lehrbetrieb der Devoten, aber ebenso der intensiven geistlichen Lektüre, wie sie bei den Kartäusern gepflegt wurde. Gerard Achten beschreibt, wie solche ursprünglich losen Notizen zum Buch wurden: „Einige […] Kartäuser vollführten ihre Lesung mit der Feder in der Hand. Auf Zettelchen wurden Texte, Worte, Sentenzen gesammelt, manchmal auch kommentiert. Diese Zettelchen wurden dann sorgfältig nach Themen geordnet. […] Das geschah vorerst notizartig, in einer Kladde würden wir sagen. Nur die Werke, die für die Gemeinschaft von Bedeutung waren, wurden dann nochmals ins Reine geschrieben. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden mehrere von diesen Notizen, Texten, Briefen usw. in der eigenen Buchbinderei zusammen eingebunden.“51 Der Hinweis dürfte sich erübrigen, dass derartige Praktiken auch für die Buchkultur der Devoten kennzeichnend waren. Es wurde bereits erwähnt, dass die Imitatio Christi vielen Forschern als Musterbeispiel eines Rapiariums gilt, und auch die „Windesheimer Chronik“ des Johannes Busch führt uns manch anschauliches Beispiel vor Augen: Von dem Chorherren Anselm Bleerinc aus Breda weiß sie zu berichten, dieser habe sich bei seiner Lektüre der Heiligen Schrift ein Rapiarium zusammengestellt, um so die andächtige Vergegenwärtigung des Lebens 48 Staubach, Diversa (wie Anm. 43), S. 115. 49 Ebd., S. 116, Anm. 4. 50 Art. „rappen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 14 (1886),

hier Sp. 119. Online: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle= DWB&mode= Vernetzung &hitlist=&patternlist=&lemid= GR00741 [Letzter Zugriff: 22.02.2013]. 51 Achten, Kartäuser (wie Anm. 23), S. 140.

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und Leidens Christi zu vertiefen. Diese Vorgehensweise sei einst von Florentius Radewijns im Fraterhaus zu Deventer begründet worden, und sie werde bis in die Gegenwart von den Brüdern gepflegt: more domini Florencii patris olim clericorum congregacionis Daventriensis, qui eciam usque hodie a fratribus servatur.52 Folgt man den Andeutungen Buschs, so dürfte die kontinuierliche Aufzeichnung wertvoller Zitate, Sinnsprüche oder Aphorismen auf eine spezielle Meditationspraxis zurückgehen, die in den Schulen der Devoten gezielt vermittelt wurde. Auch bei den Kartäusern scheint man ähnliche Techniken gekannt zu haben; dafür spricht beispielsweise die bereits erwähnte Vorrede Ludwig Mosers zu seinem „Guldin Spiegel“. Der kartäusische Übersetzer bezeichnet es dort als seinen Auftrag, „Materien und Traktätlein“ einzudeutschen, die in latin uß den geschriften der lerer der heiliger kirchen zusamen gelesen vergriffen.53 Es ist vor allem das Partizip vergriffen, das den Leser an dieser Stelle irritiert. Möglicherweise hat Groß hier die Vorstellung des „Zusammenraffens“ vor Augen, die so charakteristisch – und namengebend – für die Rapularien war. Auch sein eigenes Werk – bzw. dessen lateinische Vorlagen – könnte er demnach der Gattung des Rapulariums zugeordnet haben. Diese Überlegung führt zurück zur Ausgangsfrage des vorliegenden Beitrags, also zur Frage nach einem möglichen Unterschied zwischen der Schriftkultur der Devoten und der der Kartäuser. Die Annahme, in den kartäusischen Mönchszellen sei vorwiegend oder gar ausschließlich zum Eigengebrauch der Ordensangehörigen geschrieben worden, dürfte angesichts der zahlreichen volkssprachlichen Übersetzungen und ihrer laikalen Adressaten hinreichend widerlegt sein. Umgekehrt muss freilich auch gefragt werden, ob die Buchkultur der Devoten tatsächlich so selbstverständlich auf die Außenwelt bezogen war, wie es Gumbert wahrhaben will. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die „Windesheimer Chronik“ verwiesen. Johannes Busch berichtet dort von einer Verfügung, die der Bruder Gerlach Peters aus Deventer auf dem Sterbebett getroffen habe: Seine geistlichen Übungen hatte er auf Pergament, auf Stein und auf losen Blättern niedergeschrieben: exercicia sua membranis et petris diversisque foliis … conscripta. Diese „Loseblattsammlung“, wenn man sie so nennen darf, hatte Gerlach in seiner Zelle verwahrt – und zwar ausschließlich für sich selbst: solus pro seipso in cella sua tenuerat.54 Er bat nun den Prior, alle jene Aufzeichnungen nach seinem Tode zu verbrennen, denn sie seien nicht für andere, sondern nur für ihn selbst 52 Des Augustinerpropstes Iohannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de refor-

matione monasteriorum, bearb. v. Karl Grube, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 19), Halle 1886, S. 188 (cap. LXII). Vgl. Staubach, Diversa (wie Anm. 43), S. 122. 53 Wie oben, Anm. 25. 54 Chronicon Windeshemense (wie Anm. 52), S. 163 f. (cap. LV).

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und für seine private Andacht bestimmt gewesen: quia non pro aliis, sed tantum pro seipso et devocione propria hec ipsa signaverat. Der Prior gab die vieldeutige Antwort: „Das, liebster Bruder, könnt Ihr mir überlassen. Gerne werde ich darüber so verfügen, wie es am besten ist.“ Offenbar entschied er gegen den Willen des Sterbenden, denn an anderer Stelle heißt es in der Chronik, Johannes Scutken habe aus den von Gerlach hinterlassenen Blättern und Schiefertafeln ein zusammenhängendes Werk geformt: das soliloquium, das später weite Verbreitung fand.55 Der Wunsch Gerlachs mag sich teilweise als ein Ausdruck von ­Bescheidenheit erklären, aber das zweimal betonte pro seipso verdeutlicht nichtsdestoweniger, dass in der Frömmigkeitspraxis der Devoten ein Bereich privater Zurückgezogenheit verblieb, der sich nicht ohne weiteres der Pflicht zum „Schreiben für andere“ unterwarf. Auch in diesem Punkt stehen sich offenbar kartäusische und devote Schriftkultur näher, als es die kontradiktorische Gegenüberstellung G ­ umberts vermuten lässt.

55 Ebd., S. 158 f. (cap. LIV). Vgl. dazu Staubach, Diversa (wie Anm. 43), S. 143 f.

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Gender und Fokus: Weihnachtsmeditation in Liedern der Devotio Moderna Ulrike Hascher-Burger

1. Einleitung Meditationsanweisungen und Meditationsbeschreibungen aus dem Umkreis der Devotio moderna geben Hinweise auf eine Gestaltungsform spirituellen Lebens, deren konkrete Realisierung uns heute weitgehend unbekannt ist. Eine Textgattung, die in diesem Kontext von eher marginaler Bedeutung ist, uns jedoch wertvolle Information über die Praxis der Meditation vermitteln kann, ist das geistliche Lied. Lieder können einerseits Meditationen von außen beschreiben, andererseits dienten sie auch ihrerseits als Grundlage für die Meditation. Ihre Verbindung zur Musik machte sie dafür besonders geeignet, denn Musik war als Katalysator für eine affektiv erfahrbare Frömmigkeit unerlässlich.1 Doch möchte ich hier nicht auf die unverzichtbare Rolle der Musik bei einer emotional ausgeführten Meditation eingehen, sondern ein paar Aspekte der Rezeption normativer Meditationsanleitungen in der alltäglichen Meditationspraxis der Devotio moderna, so wie diese im geistlichen Lied erkennbar wird, näher beleuchten. Geistliche Lieder sind aus Kreisen der Devotio moderna in großer Zahl überliefert und können als aufschlussreiche Spiegel modern-devoter Spiritualität dienen. Viele von ihnen wurden in unmittelbarem Zusammenhang mit normativen Meditationstexten aufgezeichnet – eine für die Devotio moderna typische Überlieferungskombination.2 Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch in Liedern 1

2

Zur Rolle der Musik in der Meditation siehe Ulrike Hascher-Burger, Gesungene Innigkeit. Studien zu einer Musikhandschrift der Devotio Moderna (Utrecht, Universiteitsbibliotheek, ms. 16 H 34, olim B 113). Mit einer Edition der Gesänge, (Studies in the History of Christian Traditions, 106), Leiden/Boston 2002, S. 95–146. Ulrike Hascher-Burger, Singen für die Seligkeit. Studien zu einer Liedersammlung der Devotio moderna: Zwolle, Historisch Centrum Overijssel, collectie Emmanuelshuizen, cat. VI. Mit Edition und Faksimile, (Brill’s Series in Church History, 28), Leiden/Boston 2007, S. 81–129. Besonders augenfällig sind die vielfältigen Kombinationen von Liedern und Prosatexten in der Überlieferung der Werke des Thomas a Kempis. Ulrike Hascher-Burger, Schrieb Thomas a Kempis Lieder? Eine alte Frage neu gestellt, in: Ulrike Bodemann/Nikolaus

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auf Aspekte des Meditationsgeschehens regelmäßig Bezug genommen wird. So gibt es Lieder zur Bußmeditation und zur Passionsmeditation, zur Meditation über Heilige und über das Leben Jesu, zur Betrachtung der kirchlichen Sakramente und der Glieder Christi. In diesem Beitrag wende ich mich einigen Liedern zur Weihnachtsmeditation zu, Liedern, die den geistigen Besuch bei der Krippe zum Inhalt haben. Sie lassen einige genderspezifische Ausprägungen erkennen, die auf eine unterschiedliche Rezeption von Meditationsanleitungen bei weiblichen und männlichen Mitgliedern der Devotio moderna deuten. Im Folgenden werde ich erst drei Lieder aus weiblichem Kontext analysieren und ihnen in einem zweiten Schritt drei Lieder aus männlich geprägter Umgebung gegenüberstellen. Danach werde ich diese Liedtexte mit Meditationsanleitungen aus männlichem Kontext und  – mangels eines normativen weiblichen Meditationstexts – mit der Beschreibung einer Weihnachtsmeditation in einem Schwesternbuch als normativer Vorgabe für geistliche Übungen zur Weihnacht vergleichen.

2. Motive in Liedern aus weiblichem Kontext 2.1 Grates nunc omnes cernui Mein erstes Beispiel, Grates nunc omnes cernui, ist ein 18 Strophen umfassendes Lied, zu dem nur zwei Belege bekannt sind. Beide sind in einer aus neun kleinen Heftchen bestehenden Musikhandschrift aus Kreisen der Devotio moderna überliefert, die im IJsseltal in den östlichen Niederlanden im Lauf des 15. Jahrhunderts geschrieben worden sind.3 Das Lied steht am Ende des ersten Faszikels als ein nachgetragener Text ohne Notation und im fünften Faszikel als zweistimmiges Weihnachtslied.4 Der unnotierte Text wird von zwei Kommentarreihen am rechten und linken Blattrand eingerahmt. Die linke Spalte enthält eine Aufzählung verschiedener asketischer Begriffe, die mit dem Text des Weihnachtslieds optisch wie inhaltlich in enger Verbindung stehen. Jeder Zeile beziehungsweise Strophe entspricht ein Begriff, von oben nach unten gelesen und bei Strophe 1 beginnend: contritio, confessio, puritas, charitas, tranquillitas, emulatio, meditatio, oratio, pietas, deuotio,

3 4

Staubach (Hrsg.), Aus dem Winkel in die Welt. Die Bücher des Thomas von Kempen und ihre Schicksale, (Tradition-Reform-Innovation, 11), Frankfurt a. M. etc. 2006, S. 232–254. Utrecht, Universiteitsbibliotheek, ms. 16 H 34. Zum Aufbau der Handschrift siehe Hascher-Burger, Gesungene Innigkeit (wie Anm. 1), S. 13–48. Fol.  14v und fol.  72v. Edition Hascher-Burger, Gesungene Innigkeit (wie Anm.  1), Ed. Nr. 86 (zweistimmiges Lied), Foto des unnotierten Texts S. 107.

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obedientia, circumspectio, misericordia, mansuetudo. Am rechten Blattrand werden verschiedene Handlungen beschrieben und mit Hilfe von Verbindungslinien auch optisch zum Liedtext in Beziehung gesetzt. Weibliche Personen (Iste) führen versorgende Tätigkeiten wie Füttern, Wickeln von Windeln, Waschen, Hinlegen und Wachen aus: Iste inuoluunt, Iste reclinant, Iste custodiunt, Leuant de cuna, Balneant et lauant, Deducant puerum, Iste cibant.5 Zwischen den beiden Kommentarreihen stehen die einzeilig wiedergegebenen Liedstrophen.6 Sie beschreiben den geistigen Besuch in der Wochenstube Marias. Als Dienerinnen (famule) bezeichnete Frauen sollen die Krippe aufsuchen und für die ihnen erwiesenen Wohltaten Lob spenden. [4] Ad cunas ergo famule procedant abilissime laudes soluant exhibitis pro tantis beneficiis.7

Zur Wiege also sollen die Dienerinnen sehr behende gehen, sie sollen für so gewaltige Wohltaten Lob bringen.

In den darauf folgenden Strophen wird die Situation stärker personalisiert. Die famule als Handlungsträgerinnen werden durch eine singuläre Vertreterin ersetzt, die im Geist die Sorge für das Kind wahrnimmt: [5] Contriti cordis lachrymis de charitate feruidis eius mundabo fetidos peccati sorde pannulos.

Mit von Liebe heißen Tränen, die aus meinem zerknirschten Herzen aufsteigen, werde ich seine vom Schmutz der Sünde stinkenden Windeln reinigen.

In von der Mystik beeinfusster Sprache wird beschrieben, wie sie die schmutzigen, stinkenden Windeln entfernt, das Kind badet, küsst und in die Krippe legt, wobei sie spitze Strohhalme, die das Kind verletzen könnten, glatt streicht. Sie wacht eifersüchtig über das schlafende Kind und nutzt seinen Schlaf für eine Meditationspause; danach holt sie warmes Wasser, um damit ein Bad für das Kind zu bereiten: [13] Aquas calentes haurio de pietatis riuulo quibus compono balneum menbris [!] infantis placidum.

5 6 7

Ich schöpfe warmes Wasser aus dem Bach der Frömmigkeit. Damit bereite ich ein Bad, das den Gliedern des Kindes angenehm ist.

Ibidem, S. 107–109. Als Lied siehe ibidem, Ed. Nr. 86. Ich danke meinem Ehemann Christoph Burger herzlich für Tipps und Unterstützung bei der Übersetzung unklarer Stellen in den lateinischen Texten.

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Wenn das Kind wieder erwacht, wird es von der Meditierenden auf den Arm genommen und herumgetragen. Schließlich kocht sie für das Kind einen Brei aus den besten geistlichen Zutaten, die sie finden kann. Die Meditation lässt eine mütterlich-sorgsame Haltung der Meditierenden erkennen. Sie tritt als Hilfe der Gottesmutter auf und kümmert sich im Geist hingebungsvoll um das göttliche Kind. Die Umstellung von einer unbestimmten Anzahl von Dienerinnen auf eine einzelne konkrete Handlungsträgerin, die in Ich-Form ihre Tätigkeit beschreibt, ermöglicht die unmittelbare Identifikation mit dem Geschehen im Stall. Alle Aktionen werden mit passenden spirituellen Übungen kombiniert. Die einzelnen Schritte in der Pflege des göttlichen Kinds dienen als Aufhänger für ein umfangreiches, bis in Einzelheiten strukturiertes Betrachtungsprogramm. Die Stichwörter rechts und links des unnotierten Liedtextes beziehen sich auf unterschiedliche Handlungsebenen des Liedes und machen es in zwei Richtungen memorierfähig: Die linke Spalte weist auf Tugenden, die mit der Meditation konnotiert werden, die rechte Spalte auf die konkreten Tätigkeiten im Stall. Letztere sind allerdings im Gegensatz zum Liedtext in der wesentlich unpersönlicheren Form der dritten Person Plural, iste, gehalten.

2.2 Ons is gebaren een kyndekijn Das zweite Lied, Ons is gebaren een kyndekijn, ist in drei Handschriften aus Schwesternhäusern der Devotio moderna überliefert: im ‚Deventer Liederbuch‘ aus dem Deventer Lamme van Diese-Haus, einer Gemeinschaft von Schwestern von Gemeinsamen Leben,8 im ‚Liederbuch der Anna von Köln‘, das mit einer nicht näher bekannten niederrheinischen Frauengemeinschaft in Verbindung gebracht wird,9 sowie im knapp 100 Jahre nach diesen Quellen im Jahr 1588 vollendeten ‚Liederbuch der Catherina Tirs‘, das im Augustinerinnenkloster Niesing in Münster/Westfalen geschrieben wurde.10 Die drei Fassungen dieses Liedes wei8

Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, cod. germ oct. 185, p. 192–194. Zu dieser Handschrift noch immer Johannes Adrianus Nelinus Knuttel, Het Geestelijk Lied in de Nederlanden voor de Kerkhervorming, Rotterdam 1906, Neudruck Groningen 1974, S. 53–55. G. G. Wilbrink (Sr. Marie Josepha), Das Geistliche Lied der Devotio Moderna. Ein Spiegel niederländisch-deutscher Beziehungen, Diss. Nijmegen 1930, S. 13 ff. 9 Ons is geboren eyn kyndelyn, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, cod. germ oct. 280, fol. 18v–19r. Ediert in Walter Salmen/Koepp, Johannes, (Eds.), Liederbuch der Anna von Köln (um 1500), (Denkmäler rheinischer Musik, 4), Düsseldorf 1954, S. 13. Zur Lokalisierung der Quelle ibid. S. 3. 10 Uns is geboren eyn kyndelyn. Der Aufbewahrungsort dieser Handschrift ist unbekannt, die Lieder sind als Abdruck von Bernhard Hölscher (Ed.), Niederdeutsche Geist­ liche Lieder und Sprüche aus dem Münsterlande nach Handschriften aus dem XV. und XVI. Jahrhundert, mit Anmerkungen, Wörterbuch und einer Musikbeilage, Berlin 1854,

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chen stark voneinander ab, Inhalt, Anzahl und Reihenfolge der Strophen differieren erheblich.11 Das Lied ist in allen Handschriften ohne Noten überliefert, soll aber, wie die Überschriften im ‚Deventer Liederbuch‘ und im ‚Liederbuch der Anna von Köln‘ angeben, auf die Melodie des weit verbreiteten Weihnachtsliedes Puer nobis nascitur gesungen werden.12 Die erste Zeile des Liedes – in der niederländischen Fassung Ons is gebaren een kyndekyn – gibt dann auch die wörtliche Übersetzung der lateinischen Melodievorlage wieder. Doch bereits ab der zweiten Zeile schlägt der Text eine von dieser gänzlich abweichende Richtung ein: [1] Ons is gebaren een kyndekyn noch claere dan die sonne dat sal ons alle vroude sin al totter enghelen wonne.

Uns ist ein Kindlein geboren noch heller als die Sonne, das soll all unsere Freude sein zur Wonne der Engel.

[1] Puer nobis nascitur rector angelorum. In hoc mundo pascitur dominus dominorum.

Ein Kind ist uns geboren, der Herrscher der Engel. In dieser Welt wird genährt der Herr der Herren.

Auch dieses Lied beschreibt die Wochenstube Marias. Die Hauptagierende ist hier allerdings die Gottesmutter selbst. Sie spielt mit ihrem Kind, legt es in die Krippe, küsst es auf seinen Mund, das Kind streckt ihr seine Ärmchen entgegen und seine Augen blinken (Str. 2–4). In der fünften Strophe kommt die meditierende Schwester mit einem Lobpreis auf die jungfräuliche Mutter selbst zu Wort, um sich dann schließlich in der sechsten und letzten Strophe ganz dem Kind zuzuwenden: Sie nimmt die Stelle der Mutter ein und beruhigt das Kind mit den Worten myn god, myn troest, myn here, die eine Anspielung auf den Gruß Marias in der Weihnachtsvision der heiligen Birgitta von Schweden sein können: „Willkommen, mein Gott, mein Herr und mein Sohn.“13 hier Nr.  V, und als Abschrift von Ludwig Eck (1870/71) (Staatsbibliothek zu Berlin  – Preussischer Kulturbesitz, Mus. ms. 40411) erhalten. Moderner Textabdruck auf der Basis von ­Hölschers Ausgabe: Albrecht Classen, ‚Mein Seel fang an zu singen‘. Religiöse Frauenlieder der [des] 15.–16. Jahrhunderts. Kritische Studie und Textedition, (Studies in Spirituality, Supplm. 6), Leuven/Paris/Sterling,Virginia 2002, hier S. 160–161. Siehe auch die Webdarstellung zu dieser Handschrift von Martina Bick: http://mugi.hfmt-hamburg. de/Liederbuch_Tirs/(zuletzt eingesehen am 13.12.2011) 11 Wilbrink, Das Geistliche Lied (wie Anm. 8), S. 87–88. Meine Ausführungen beziehen sich auf den Text aus dem Lamme van Diese-Haus (Berlin 185). 12 Dit is die wyse Puuer nobis nascitur, Berlin 185, p. 192. 13 In Birgittas Weihnachtsvision (Revelationes, Liber VII, cap. 21) wird beschrieben, wie ­Maria nach der Geburt anbetend vor dem nackt auf dem Boden liegenden göttlichen Kind kniet und es mit den Worten begrüsst: Willkommen, mein Gott, mein Herr und mein Sohn: Cum igitur virgo sensit se iam peperisse, statim inclinato capite et iunctis manibus

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[5] Waldy, waldy joncfrouwelyn der sueter weerder stonden dat tu dat suete kyndekyn mit ganser mynnen hebt gewonnen.

Wohl dir, wohl dir, Jungfräulein, in dieser süßen, werten Stunde, in der du das süße Kindlein mit ganzer Liebe bekommen hast.

[6] Nu swyget nu swyget myn kyndekyn myn god, myn troest, myn here van di soe sal ic moeder syn beholden mynre eren.

Nun schweig, nun schweig, mein Kindlein, mein Gott, mein Trost, mein Herr ich werde deine Mutter sein, behalten meine Ehre.

Auch in diesem Lied verändert sich die Perspektive: In der ersten Strophe wird die Tatsache formuliert, dass das Kind für uns, für die Gemeinschaft geboren ist (Ons is gebaren een kyndekyn). In den darauf folgenden Strophen 2 bis 5 steht Maria im Mittelpunkt. Sie wird in der letzten Strophe von der Ich-Person abgelöst, die sich zunächst als Zuschauerin mit Maria identifizieren kann, dann aber schließlich meditierend und singend sich sogar selbst als Mutter an ihre Stelle setzt.

2.3 Philomena previa Das dritte Beispiel mit weiblichem Hintergrund lässt ein vergleichbares Bild erkennen. Philomena previa ist eine insgesamt 90 Strophen umfassende zweistimmige Liedmeditation, in der die Nachtigall singend über das Leben Jesu meditiert, seine Passion imitiert und am Ende mit ihm zusammen stirbt.14 Der früheste mir bekannte Beleg für dieses Lied ist eine süddeutsche Quelle aus dem 12. Jahrhundert, doch erst in Kreisen der Devotio moderna und in der von ihr beeinflussten Umgebung der spätmittelalterlichen Klosterreform fand es weitere Verbreitung und wurde es mit einer Melodie kombiniert.15 Dass die Nachtigall cum magna honestate et reuerencia adorauit puerum et dixit ille: Bene veneris, Deus meus, Dominus meus et filius meus. Birger Bergh (Hrsg.), Den Heliga Birgittas Revelaciones Bok VII, Samlingar utgivna av Svenska fornskrift-sällskapet, Ser. 2: Latinska Skrifter, Bd. VII:7 Sancta Birgitta Revelaciones Lib. VII, Uppsala 1967, S. 187–190, hier: S. 189. Englische Übersetzung in Bridget Morris, St Birgitta of Sweden, Woodbridge 1999, S.  136. Siehe auch. Der Einfluss dieser Vision auf die Ikonographie des späten Mittelalters war erheblich (Elizabeth Andersen, Das Kind sehen: Die Visualisierung der Geburt Christi in Mystik und Meditation, in: R. Bauschke-Hartung/S. Coxon/M. Jones (Hrsg.), Sehen und Sichtbarkeit, Berlin 2011, S. 290–310), ihre Rezeption in Liedern ist meines Wissens noch wenig untersucht. Doch können jedenfalls einzelne Zeilen in Weihnachtsliedern mit Birgittas Vision in Verbindung gebracht werden. 14 Ich beziehe mich im Folgenden auf die Fassung in der Handschrift Utrecht 16 H 34, fol. 77v–84v. Hascher-Burger, Gesungene Innigkeit (wie Anm. 1), Ed. Nr. 89. 15 Siehe Ulrike Hascher-Burger, De zingende nachtegaal: de rol van de Moderne Devotie binnen de overlevering van een passiemeditatie op muziek, in: Kees Veelenturf (Hrsg.),

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nicht nur grammatikalisch weiblichen Geschlechts ist, kann der 88. und 89. Strophe entnommen werden, wo sie als soror angesprochen wird.16 In insgesamt acht Strophen (Str.  26–33) wird die Meditation der Nachtigall über die Geburt Jesu beschrieben. Auch sie besucht den Stall und sieht Maria zu, wie sie das Kind versorgt und sich an ihm freut. Die Nachtigall lobt die Gottesmutter, weint mit dem weinenden Kind, bedauert die Armut im Stall, preist Maria aber auch glücklich, dass sie dieses allersüßeste Kind geboren hat und nun in den Armen halten darf (Str. 26–29). Voraus weisend auf seinen Tod möchte sie bereits im Stall mit ihm zusammen leiden und betrachtet die Beziehung zwischen den Windeln des Kindes und den Fesseln des Gekreuzigten (Str. 30–31). In Strophe 32 weist sie darauf hin, wie glücklich sich preisen kann, wer der Mutter durch Gebete dienen kann. Wie gerne hätte sie selbst dem Kind ein Bad bereitet, dafür Wasser herbei geschleppt und seine Windeln gewaschen (Str. 33): [32] Felix qui tunc temporis matri singulari potuisset precibus ita famulari vt in die sineret semel osculari suum dulcem paruulum eique iocari. [33] O quam libens balneum ei preparassem o quam libens humeris aquam supportassem in hoc libens virgini semper ministrassem pauperesque paruuli pannulos lauassem

Selig, wer zu dieser Zeit der einzigartigen Mutter mit Gebeten so hätte dienen können, dass sie erlauben würde, an diesem Tage einmal ihren süßen Kleinen zu küssen und mit ihm zu scherzen. O wie gern hätte ich ihm ein Bad bereitet, wie gerne hätte ich auf den Schultern Wasser herbei getragen. Wie gerne hätte ich dadurch der Jungfrau stets gedient und die armseligen Windeln des Kleinen gewaschen.

Doch bleiben diese Gedanken ein Wunsch, da die Nachtigall im Stall nicht länger verweilen darf. Das von der Liturgie vorgegebene Zeitschema für die Meditation17 Geen povere schoonheid. Laatmiddeleeuwse kunst in verband met de Moderne Devotie, Nijmegen 2000, S. 135–154. Zur dreistimmigen Fassung in einer Augsburger Handschrift korrigierend Barbara Eichner, Sweet singing in three voices: a musical source from a South German convent?, in: Early Music 39 (2011), S. 335–347. 16 Strophe 88: Frequentemus canticum istud soror pia; Strophe 89: Ergo soror tuum cor ita cytariset. 17 Der Aufbau des Passionsteils der Meditation orientiert sich an den Horen des Stundengebets, eine Einteilung mit langer Tradition, die eine strukturierte Passionsmeditation erleichterte. Philomena ist nicht konsequent nach den Vorgaben des kanonischen Stundengebets aufgebaut, sondern beschränkt sich auf die drei zentralen Leidensstunden (hora

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erfordert, dass sie sich alsbald zur Passion aufmacht, der der Hauptteil des Liedes gewidmet ist (Str. 35–79). Auch in diesem Gesang bildet die Aufzählung mütterlicher Aufgaben ein wichtiges Element der Krippenmeditation, wenn auch ihr Anteil an der gesamten Weihnachtsmeditation kleiner ist als bei den erstgenannten Beispielen und durchaus mit anderen Motiven kombiniert wird. Der spirituell dargebrachte Besuch in der Wochenstube Marias war ein besonders in Frauenklöstern sehr beliebtes Meditationsthema. Wiegen, Füttern und Versorgen des göttlichen Kindes wurden im späten Mittelalter aber nicht nur im Geiste vollzogen, sondern auch real nachgespielt: hölzerne Christkindfiguren wurden in Frauenkonventen unter Gesang gewiegt, gewaschen und angekleidet.18 Die hier genannten Meditationslieder zur Weihnacht nehmen diesen Aspekt des Geburtsgeschehens auf: im Zentrum stehen die mütterlichen Aufgaben Marias, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Liedern: in Philomena previa würde die Nachtigall diese Aufgaben gerne übernehmen, doch bleibt dieser Gedanke ein Wunsch. In Ons is gebaren een kyndekyn ist die Schwester Zuschauerin, doch vertritt sie in der letzten Strophe Mutterstelle am Kind, während in Grates nunc omnes Maria gänzlich in den Hintergrund getreten ist und die mütterlichen Aufgaben von der Meditierenden allein wahrgenommen werden. Der Krippenbesuch findet in diesen Liedern in ausschließlich weiblicher Umgebung statt: von Männern – seien es Joseph, die Hirten oder die drei Magier – ist keine Rede. Die einzigen Handelnden sind die Mutter, das Kind und die weiblichen Meditierenden selbst. Das entspricht der Realität mittelalterlicher Wochenstuben: das Geburtsgeschehen war bis in die Frühe Neuzeit eine reine Frauenangelegenheit, zu der Männer keinen Zutritt hatten. Erst vom 15.  Jahrhundert an wurde dann, wenn Lebensgefahr drohte, oder zu aussichtslos erscheinenden Geburten, auch ein Arzt oder Chirurg herangezogen, dessen Aufgabe vor allem in der Ausführung chirurgischer Eingriffe bestand.19 Bei der göttlich-problemlosen und absolut schmerzfreien Niederkunft Marias20 war männliche Anwesenheit überflüssig und also unerwünscht.

tercia, hora sexta und hora nona) sowie die Stunde zum Tagesanbruch und die hora prima. Vgl. Hascher-Burger, De zingende nachtegaal (wie Anm. 15), S. 136–137. 18 Die mit dem Kindelwiegen verbundene Gesangspraxis ist ausführlich und materialreich beschrieben in Johannes Janota, Studien zu Funktion und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter, München 1968, S. 125–150. 19 Klaus Bergdolt, Schwangerschaft und Geburt, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 7 (Zürich/ München 1999), Sp.  1612–1616. Vgl. auch Britta-Juliane Kruse, Verborgene Heilkünste. Geschichte der Frauenmedizin im Spätmittelalter, Berlin/New York 1994. 20 Vgl. hierzu wiederum die Vision Birgittas von Schweden, siehe oben Anm. 13.

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3. Motive in Meditationen aus männlicher Umgebung 3.1 Eya mea anima Aus männlichen Kreisen der Devotio moderna sind ebenfalls geistliche Lieder erhalten, die das Weihnachtsgeschehen zum Inhalt haben. An drei Beispielen möchte ich zeigen, dass diese Lieder sich dem Weihnachtsthema jedoch in anderer Weise als die vorher besprochenen nähern. Das erste Lied, Eya mea anima,21 ist eine von insgesamt sieben Kontrafakturen im Rosetum exercitiorum spiritualium,22 der umfangreichen gedruckten und mehrfach aufgelegten Meditations-Sammlung des Agnietenberger Kanonikers Johannes Mauburnus.23 Diese singulär überlieferten geistlichen Lieder sind bis auf eine Ausnahme ohne Notation gedruckt.24 Sie ergänzen die Meditationsanweisungen und tragen Melodieverweise auf bekannte liturgische Hymnen und Weihnachtslieder. Eya mea anima steht im Anschluss an eine Anleitung zur Meditation über die Weihnacht und soll auf die Melodie des Weihnachtslieds Dies est leticie in ortu regali25 gesungen werden. In insgesamt dreizehn Strophen entfaltet Mauburnus eine gesungene Meditation über den geistigen Besuch im Stall, deren einzelne Schritte jeweils durch Strophenüberschriften verdeutlicht werden.26 Thematisch steht die unerhörte Diskrepanz zwischen göttlicher Macht und irdischer Armut 21 Guido Maria Dreves/Clemens Blume (Hrsg.), Analecta Hymnica medii aevi, 55 Bde.

Leipzig 1886–1922, Neudruck Frankfurt a. M. 1961, hier Bd. 48, S. 494.

22 Johannes Mauburnus, Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum,

23

24 25 26

Paris 1510. Siehe Ulrike Hascher-Burger, Music and Meditation: Songs in Johannes Mauburnus’s Rosetum exercitiorum spiritualium, in: Ulrike Hascher-Burger/Hermina ­Joldersma (Gastredaktion), Music in the Spiritual Culture of the Devotio moderna, Sonderheft CHRC 88.3 (2008), S. 347–369, mit einer Rekonstruktion der Melodien. Die Texte der Kontrafakturen sind ediert in Analecta Hymnica (wie Anm. 21), Bd. 48, S. 515–534. Das Rosetum wurde 1494 wahrscheinlich vom Zwoller Drucker Peter van Os van Breda erstmals herausgebracht (Drucker und Druckort sind nicht vermeldet) und bis ins 17. Jahrhundert wiederholt aufgelegt. Meinen Ausführungen liegt die Ausgabe Paris, Johannes Parvi und Johannes Scabelerius, 1510 zugrunde (im Folgenden: Paris 1510). Zu den einzelnen Ausgaben siehe Hascher-Burger, Music and Meditation (wie Anm. 22), S. 348 Anm. 5–7. In der Ausgabe Paris 1510 ist die erste Strophe des Liedes O primum principium, tit. XI, alph. XXXIIII, mit der Melodie des Weihnachtsliedes Dies est leticie in ortu regali abgedruckt: die Noten xylographisch, der Text typographisch. […] canendum sub nota Dies est leticie. Textedition dieses Liedes in Analecta Hymnica (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 194. Exercitatio anime accedentis, Oratio ad Mariam et Ioseph, Captatio beneuolentie, Captatio beneuolentie a compatientis conquestione, Vox Iesu respondentis, Excitatio ad consideranda dignatione, Exclamatio pro fructu, Actus fescenninorum, Amorosa susceptio, Actus latrie, Actus laudis ex consideratione circumstantiarum, Oratio pro fructibus, Oblatio.

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im Vordergrund. Das allerhöchste Wort, der Schöpfer des Alls, inkarniert unter den niedrigsten, erbärmlichsten Umständen: [4] Heu quid iaces stabulo omnium creator vagiens cunabulo mundi reparator Si rex: vbi purpura vel clientum murmura vbi aula Regis hic omnis penuria paupertatis curia forma noue legis.

Wie elend liegst du im Stall, Schöpfer aller Dinge, und weinst in der Krippe, Retter der Welt! Wenn du König bist, wo ist dein Purpur oder das Murmeln der Schutzbefohlenen? Wo der Königspalast? Hier ist alles Mangel, ein Hof der Armut, so gewinnt das Neue Gesetz Gestalt.

Als weiterer Aspekt wird die Sündhaftigkeit des Menschen angesprochen, derentwegen dieses Opfer notwendig geworden war und die die unaussprechliche Armut des Kindes zur Folge hatte. Aus dem Bewusstsein dieser Schuld heraus entspringen Dank und Lobpreis für das allerhöchste Kind, das dieses erbärmliche Leben auf sich genommen hat (Str. 5–8). Diese Meditation wird von Anfang an aus der Perspektive des Betrachters beschrieben. Dieser tritt in der neunten Strophe in einen unmittelbaren geistigkörperlichen Kontakt mit dem Kind: [9] Iam te meis brachijs mi Jesu amplector ac totis precordijs tibi condelector cogis me estuere lachrymis effluere puer effratee amor ineffabilis es intolerabilis Jesu nazaree.

Schon umarme ich dich, mein Jesus, mit meinen Armen, und von ganzem Herzen ergötze ich mich an dir. Du zwingst mich zu glühender Liebe, dazu, von Tränen überzuströmen, Knabe von Ephrata, du bist unaussprechliche Liebe, schier unerträglich, Jesus von Nazareth.

Das Kind wird auch in dieser Meditation vom Betrachter geliebt und umarmt, jedoch nicht in mütterlich-beschützender Weise, sondern in einer mystisch-anbetenden Haltung. Es ist Gott und Schöpfer, Urquell der Liebe, kein hilfloses Baby. Diese Meditation ist kein geistiger Besuch in der Wochenstube Marias, sondern ein Antrittsbesuch bei Gott in Gestalt eines Kindes.

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3.2 O primum principium Das zweite Beispiel ist dem längsten Lied in Mauburnus’ Rosetum entnommen: O primum principium, ein 56 Strophen umfassender Gesang über das Leben Jesu, der mit einer ebenso umfangreichen Meditation zum selben Thema kombiniert ist und wie Eya mea anima auf die Melodie von Dies est leticie in ortu regali gesungen werden soll.27 Die sechste Strophe befasst sich mit der Geburt Jesu, wie auch das darüber geschriebene Stichwort natus angibt: [6] O puer pulcherrime patre mihi date salueto pauperrime matre mihi nate Letare hierusalem panis mihi bethleem datus ephratea. Angeli attendite gloriam rependite laude iubilea.

O allerschönster Knabe, vom Vater mir gegeben, sei gegrüßt, auf die ärmlichste Weise durch die Mutter für mich geboren! Freue dich, Jerusalem, Brot, das mir im ‚Brothause‘ gegeben worden ist, in Ephrata. Engel, habt Acht, werdet seiner Herrlichkeit mit jubelndem Lob gerecht.

Diesen Zeilen geht eine Strophe über die Empfängnis (conceptus) voraus, anschließend folgt eine Strophe zur Beschneidung (circumcisus) und zum Besuch der drei Magier (veniunt tres). Diese Überschriften entsprechen Stichworten der vorausgehenden Meditation. Liedstrophen und Meditationsabschnitte können so in direkte Beziehung zueinander gesetzt werden. Die Strophe zur Geburt stellt das Kind dar als vom Vater zur Rettung des Menschen (hier in der ersten Person) gegeben (patre mihi date) und von der Mutter in ärmlichsten Umständen geboren. An erster Stelle, noch vor der Mutter, steht hier der himmlische Vater, und auch hier wird der Kontrast zwischen Rettung und Armut herausgestellt.

3.3 Puer nobis nascitur Als drittes Beispiel habe ich ein Weihnachtslied gewählt, das im späten Mittelalter sowohl in Frauengemeinschaften als auch in Männerkonventen weit verbreitet war: Puer nobis nascitur,28 dessen Melodie als Vorlage für Ons is gebaren een kyndekijn diente – sozusagen ein ‚geschlechtsneutrales‘ Beispiel. Dieses Lied umfasst in der bereits genannten Handschrift Utrecht 16 H 34 fünf Strophen, in denen 27 Mauburnus, Rosetum, Paris 1510 (wie Anm. 23), tit. XI, alph. XXXIIII. Zur Melodie siehe

oben Anm. 25.

28 Analecta Hymnica (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 43.

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wiederum der Gegensatz zwischen dem göttlichen Status des Kindes als Herrscher aller Herren und seiner armseligen Geburt im Stall, wo nur die Tiere ihn als Christus, den König der Himmel, erkennen, unterstrichen wird.29 [1] Puer nobis nascitur rector angelorum. In hoc mundo pascitur dominus dominorum.

Ein Kind ist uns geboren, der Herrscher der Engel. In dieser Welt wird genährt der Herr der Herren.

[2] In presepe ponitur sub feno asinorum cognouerunt dominum christum regem celorum.

Er wird in eine Krippe gelegt unter das Heu der Esel, sie erkannten ihn als den Herrn, Christus, den König der Himmel.

Maria wird in der vierten Strophe kurz als Gebärerin angesprochen, doch liegt der Akzent dieser Strophe auf der Heilsbedeutung der Geburt: [4] Qui natus est ex maria die hodierna perducat nos cum gratia ad gaudia serena.

Er, der aus Maria geboren ist am heutigen Tage, möge uns in Gnaden leiten zu heiteren Freuden.

Vergleichbare Motive findet man auch in anderen weit verbreiteten Weihnachtsliedern des späten Mittelalters wie beispielsweise Puer natus in Bethleem30 oder Dies est leticie in ortu regali.31 Die genannten Weihnachtslieder aus männlichem Kontext und ‚geschlechtsneutrale‘ Lieder haben miteinander gemeinsam, dass sie sich vor allem auf das Kind als Herrscher des Himmels beziehen, der aus Liebe zu den Menschen und für ihre Erlösung auf Erden in erbärmlichster Armut geboren wurde. Im Zentrum dieser Liedtexte steht die heilsgeschichtliche Bedeutung der Geburt, Maria ist darin nur eine von mehreren handelnden Personen. Auch Männer sind Handlungsträger und werden gleichberechtigt mit Maria angesprochen. Kennzeichnend ist die Nähe dieser Texte zum biblischen Geschehen: Herodes, Engel, Jerusalem sowie die Hirten werden thematisiert. Dem spezifisch weiblichen Kontext des Besuchs in der Wochenstube Marias steht also eine auf die biblische Ebene des Geschehens ausgerichtete, geschlechtsunspezifische Thematik gegenüber, in der die Geburt vor allem Anlass zu theologischen Erwägungen gibt.

29 Utrecht 16 H 34, fol.  54v und fol.  55r. Hascher-Burger, Gesungene Innigkeit (wie

Anm. 1), Ed. Nr. 66 und 67.

30 Analecta Hymnica (wie Anm. 21), Bd. 1, S. 163. 31 Siehe oben Anm. 25.

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4. Vergleich mit normativen Texten In einem weiteren Schritt sollen diese beiden thematisch unterschiedlich ausgerichteten Typen gesungener Weihnachtsbetrachtung mit vier normativen Texten zur Weihnachtsmeditation verglichen werden. Mauburnus’ Rosetum, De spiritualibus ascensionibus von Gerard Zerbolt van Zutphen sowie die anonyme Epistola de vita et passione Domini nostri sind aus männlicher Umgebung stammende Anleitungen zur Meditation. Diese Texte wurden primär von Männern für Männer geschrieben. Aus weiblicher Feder sind meines Wissens wenig systematisch aufgebaute Meditationsanleitungen bekannt,32 auch wenn Windesheimer Monialen, wie Wybren Scheepsma darstellt, ihre eigenen Meditationsprogramme in erster Linie selbst zusammengestellt haben.33 Ob die von Männern geschriebenen Texte auch in Frauenkonventen rezipiert und als Anleitung für die Meditation verwendet wurden, ist bisher ungenügend untersucht. Allerdings enthalten auch manche Schwesternviten Meditationsbeschreibungen. Eine Beschreibung im Schwesternbuch einer Gemeinschaft für Schwestern vom gemeinsamen Leben in Deventer soll hier herangezogen werden. Dabei stellt sich die Frage, ob und in wie weit die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte der Weihnachtslieder den motivischen Vorgaben dieser normativen Quellen entsprechen.

4.1 Rosetum exercitiorum spiritualium Dem bereits genannten Lied Eya mea anima in Mauburnus’ Rosetum34 geht eine längere Anleitung zur Weihnachtsmeditation voraus, in der der Kanoniker einzelne Meditationspunkte nennt und schrittweise erläutert. Die Meditation entfal­ tet sich in der Abfolge des biblischen Geschehens. Sie beginnt mit der Reise nach Bethlehem, dann folgt die Geburt, die Erscheinung der Engel bei den ­Hirten und deren Besuch bei der Krippe. Im Mittelpunkt der Meditation steht die heilsge32 Eine bekannte Anleitung für das spirituelle Leben, geschrieben für einen u ­ nbekannten

Frauenkonvent, ist die Vivendi formula von Salome Sticken, die erst Subpriorin im ­Meester Geerts-Haus in Deventer war und später Priorin in Diepenveen, dem ersten ­Windesheimer Frauenkloster. Siehe Anne Bollmann, Frauenleben und Frauenliteratur in der Devotio moderna. Volkssprachige Schwesternbücher in literarhistorischer Perspek­tive, Diss G ­ roningen 2004, S. 164–172. Wybren Scheepsma, Deemoed en d ­ evotie. De koor­vrouwen van Windesheim en hun geschriften, Amsterdam 1997, S. 101–108 und 234–235. Englische Übersetzung: Medieval Religious Women in the Low Countries: the ‚­Modern Devotio‘, the Canonesses of Windesheim and their Writings (Woolbridge: 2004). Diese Mono­graphie enthält allerdings wenig konkrete Hinweise auf die Meditationspraxis der Schwestern. 33 Scheepsma, Deemoed en devotie (wie Anm. 32), S. 90. 34 Siehe oben Anm. 21.

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schichtliche Bedeutung der Geburt, aber auch für Maria ist Raum reserviert. In fünf Strophen werden unter der Überschrift Hic annectuntur mirabilia ex parte virginis parentis die Jungfräulichkeit, die schmerzlose Geburt, die Sündlosigkeit der Mutter, die unfassliche Größe des Kindes und die Demut Marias erläutert. Auch die Armut des Kindes wird betont, sein Status als Weltenherrscher aber weniger stark hervorgehoben. Die letzte Strophe der Meditationsanleitung schließlich enthält  – unterschrieben mit dem Stichwort ministra  – die konkrete Aufforderung, mit Maria das Kind zu versorgen: Postremo cum maria puerum hunc involve, inclina, leva, balnea, custodi spiritualiter, et alia officia exhibe (Zuletzt sollst du mit Maria diesen Knaben wickeln, hinlegen, hochheben, baden, geistig über ihm wachen und andere Dienste erbringen)35 – eine Aufforderung, der in den oben genannten Liedern aus weiblicher Umgebung gerne Folge geleistet wird. Mauburnus’ Anleitung zur Weihnachtsmeditation gibt also beide Motivbereiche wieder: den männlichen und den weiblichen, die Betrachtung der Armut des Weltenherrschers und den geschäftigen Besuch in der Wochenstube Marias. Allerdings liegt der Hauptakzent seiner Weihnachtsmeditation nicht auf den pflegerischen Aktivitäten, sondern auf der heilsgeschichtlichen Bedeutung der Geburt.

4.2 De spiritualibus ascensionibus Gerard Zerbolt van Zutphen, einer der frühesten Theologen aus Kreisen der Devotio moderna und Autor zweier weit verbreiteter Traktate über Fragen der spirituellen Entwicklung,36 nimmt in seiner Anweisung zur Weihnachtsmeditation in Kapitel 30 seiner Schrift De spiritualibus ascensionibus ebenfalls auf beide Motivkreise Bezug: Dehinc, Dei filius cuius magnitudinis non est finis, factus est parvus infantulus. Cogita quod Deus parvulus vagit et lacrimatus est in presepio. Attende hic paupertatem, nota humilitatem, angelorum mirare concursum, pastorum intuere excubias, angelorum et pastorum ausculta colloquium, vide Ioseph

Dann wurde der Sohn Gottes, dessen Größe kein Ende hat, zu einem kleinen Kind gemacht. Bedenke, dass es Gott ist, der als Kind in der Krippe schreit und weint. Beachte die Armut hier, bemerke die Niedrigkeit, bewundere den Zulauf der Engel, betrachte die Hirten auf der Wacht, lausche nach dem Gespräch zwischen Hirten und

35 Mauburnus, Rosetum, Paris 1510 (wie Anm. 23), tit. XV, alph. XXXVII. 36 Sr. Francis Joseph Legrand (Ed. und Übers.), Gérard Zerbolt de Zutphen. Manuel de

la réforme intérieure/Tractatus devotus de reformacione virium anime, (Sous la règle de Saint Augustin, 8), Turnhout 2001. Sr. Francis Joseph Legrand (Ed. und Übers.), Gérard Zerbolt de Zutphen, La montée du cœur/De spiritualibus ascensionibus, (Sous la règle de Saint Augustin, 11), Turnhout 2006.

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Gender und Fokus: Weihnachtsmeditation in Liedern der Devotio Moderna 199 stupentem, aspice Mariam iubilantem, nota faciem et dispo­sicionem pulcherrimam pueri, sed et attende parvuli interiorem magnitudinem, mirare sapienciam et reverenter osculare presepe pueri.37

Engeln, sieh Joseph staunen, Maria jubeln, merke auf das Gesicht und die überaus schöne Gestalt des Kindes, aber achte auch auf die innere Größe des Kleinen, bewundere seine Weisheit und küsse ehrerbietig die Krippe des Kindes.

Auf die ungeheure Größe (Bedeutung) des Kindes (cuius magnitudinis non est finis) wird genauso hingewiesen wie darauf, dass das Kind in der Krippe schreit und weint (und also wohl getröstet werden muß). Maria und Joseph werden beide angesprochen, ebenso die Schönheit des Kindes, und am Ende steht die Aufforderung, ehrerbietig die Krippe des Kindes zu küssen (reverenter osculare presepe pueri), ein Kuss, der indirekt dem Kind selbst gelten soll.

4.3 Epistola de vita et passione Domini nostri Ihesu Christi Die anonyme, wohl ursprünglich in niederländischer Sprache verfasste Epistola de vita et passione Domini nostri Ihesu Christi,38 wurde von Johannes Busch für die Zweitredaktion seines Liber de viris illustribus ins Lateinische übersetzt, damit Fratres und Laienbrüder in Windesheim mit Hilfe dieser Anweisungen ihre geistlichen Übungen verrichten konnten.39 Der einem Wochenschema entsprechend aufgebaute Brief enthält auch zwei Abschnitte zur Weihnachtsmeditation. Ein Teil der feria secunda und der Beginn der feria tertia sind der Geburt gewidmet: Item cogitabis de inicio vite Ihesu, de eius incarnacione, quomodo illa increata eterna veritas, ille omnipotens deus, quem celum et terra capere non possunt, carnem et sanguinem de sanctissima sumpsit virgine Maria. Quam humillime ipsa respondit, quomodo ineleuata permansit in seipsa, quamuis agnosceret et firmiter crederet magnum illud miraculum, quod deus secum operabatur,

Auch sollst du den Anfang des Lebens Jesu betrachten, seine Inkarnation, auf welche Weise diese unerschaffene ewige Wahrheit, dieser allmächtige Gott, den Himmel und Erde nicht fassen können, Fleisch und Blut angenommen hat durch die allerheiligste Jungfrau Maria. Wie außerordentlich demütig diese antwortete, wie sie ohne Selbstüberhebung blieb, wie sie dieses große Wunder anerkannte und fest daran glaubte,

37 Legrand, La montée du cœur (wie Anm. 36), S. 212. 38 Monika Hedlund (Ed.), Epistola de vita et passione Domini nostri. Der lateinische Text

mit Einleitung und Kommentar, (Kerkhistorische Bijdragen, 5), Leiden 1975.

39 Bertram Lesser, Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Über-

lieferung, Rezeption, (Tradition-Reform-Innovation, 10), Frankfurt a. M. etc. 2005, S. 182– 208, hier S. 183.

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quod creatorem suum et deum suum conceperat et paritura erat et virgo permansura! Et cane cum iubilo „Ave Maria“, euangelium „missus est“ deuote ruminando.40

das Gott an ihr wirkte, dass sie ihren Schöpfer und ihren Gott empfangen hatte und gebären sollte und Jungfrau bleiben sollte! Und singe mit Jubel Ave Maria und betrachte dabei fromm das Evangelium Missus est.

Der Geburts-Passus der feria secunda beginnt mit einer Beschreibung der Allmacht Gottes, den Himmel und Erde nicht fassen können. Sie bildet einen krassen Gegensatz zu der Armseligkeit (pauperrimus) und Verächtlichkeit (abiectissimus), in der Gott sein irdisches Leben beginnt. Doch auch den überaus verdienstvollen Eigenschaften Marias wird Raum gegeben. Wie im Rosetum wird die Gottesmutter anhand von fünf charakteristischen Eigenschaften beschrieben. Allerdings weist Zerbolt nicht auf die Grösse des Kindes, sondern auf die große Bescheidenheit der Mutter und das Verdienst ihrer mangelnden Selbstüberhebung (quomodo ineleuata permansit in seipsa). Auch zu Beginn der feria tercia soll über das erste Thema der feria secunda, die Geburt Jesu, meditiert werden. Wiederum wird die enorme Differenz zwischen dem Weltenherrscher und Schöpfer und der verächtlichen Armseligkeit seiner Geburt ausgemalt (pauperrimus et abiectissimus, qui umquam ex utero matris natus est). Doch auch über das Kind in der Krippe soll meditiert werden: Cogita, frater, quomodo dulcis et sanctus ille puerulus vilibus pannis fuerat inuolutus, in presepio super fenum fuerat reclinatus, pastoribus ab angelis nunciatus, et quomodo ipsi tunc in Bethleem cum festinacione venerunt testimonium de puero perhibentes, quod ipse esset saluator mundi. Exalta vocem tuam nunc cum laude et cum angelis decanta: „Gloria in excelsis deo“.41

Bedenke, Bruder, wie dieses süße und heilige Knäblein in billige Windeln gewickelt, in die Krippe auf Heu gelegt und den Hirten von den Engeln verkündigt wurde, und wie diese sodann nach Bethlehem eilten und von dem Knaben Zeugnis ablegten, dass dieser der Heiland der Welt sei. Erhebe nun deine Stimme zum Lobe und singe mit den Engeln: Gloria in excelsis deo.

Im zweiten Teil der Weihnachtsbetrachtung der Epistola soll sich der Meditierende der Situation im Stall zuwenden: vor allem dem Kind, das in billige Windeln gewickelt auf Heu gelegt wurde, aber auch den Hirten als den ersten Zeugen der Geburt des Heilands. Diese Meditationsanleitung enthält weniger theologische Themen als Mauburnus’ Text, sie ist stärker am biblischen Geschehen ausgerichtet, doch auch bei ihr sind die Themen der Spannung zwischen göttlicher 40 Hedlund, Epistola (wie Anm. 38), S. 94. 41 Hedlund, Epistola (wie Anm. 38), S. 95.

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Weltherrschaft und irdischer Armut, der Krippe und der Eigenschaften Marias vertreten.

4.4 Schwester Katheryna van Arkel die Blinde Die vierte normative Quelle, der Bericht über das Leben von Schwester Katheryna van Arkel der Blinden († 1451), stammt aus dem Schwesternbuch des Meester Geerts-Hauses in Deventer, einer Sammlung von Lebensberichten aus dieser Gemeinschaft von Schwestern vom Gemeinsamen Leben, das wahrscheinlich nach 1483 zusammengestellt worden ist.42 Die außerordentlich fromme Schwester Katheryna, die sich auch heimlich zu geißeln pflegte,43 war ihren Mitschwestern ganz besonders in ihrer Hingabe an die Meditation über die Krippe ein Vorbild.44 In den Tagen vor Weihnachten ging sie oft zum Waschhaus, an dessen Aussenseite sich unter einem vorspringenden Dach ein steinerner Waschtrog befand, den sie als Krippe des Christkinds in ihre geistlichen Betrachtungen einbezog: […] ende den stien daer men die cleder ynne spoelt, plach si te holden voer die cribbe, daer Hi van Sijnre liever moder, doe Hij geboren was, in geleget wert.45

[…] und den Stein, in dem man die Kleider wäscht, pflegte sie für die Krippe anzusehen, in die er von seiner lieben Mutter, als er geboren ward, hineingelegt wurde.

Vor diesem steinernen Trog verrichtete sie ihre geistlichen Übungen. Eines Tages sah sie mit ihren geistigen Augen sogar das Kind im Trog liegen und weinen, worüber sie in Verzückung geriet. Und obwohl sie zu bescheiden war, um dieses Erlebnis ihren Schwestern direkt mitzuteilen, konnte sie ihre Ergriffenheit doch nicht verbergen: Het geviel op een ander tijt, dat si echter bi desen stiene was in soedanyger myeninge als voerscreven is. Ende doe

Einmal aber war sie bei diesem Stein mit solchem Verlangen, wie es vorgeschrieben ist. Und dort war sie so ausnehmend ergrif-

42 Dirk De Man (Ed.), Hier beginnen sommige stichtige punten van onsen oelden zusteren.

Naar het te Arnhem berustende handschrift met inleiding en aantekeningen uitgegeven, ’s-Gravenhage 1919. Zu dieser Vitensammlung siehe Bollmann, Frauenleben, S. 283–381. Zur Datierung der Sammlung ibid. S. 297–300, hier S. 300. 43 De Man, Stichtige punten (wie Anm. 42), S. 217–218. 44 De Man, Stichtige punkten (wie Anm.  42), S.  217–223. Zur Meditation der S ­ chwester Katheryna van Arkel siehe Charles Caspers, De kerstkribbe van zuster Katheryna ­ van ­Arkel, ‚die blijnde‘: Jezus en de vrouwelijke Devoten in de vijftiende eeuw, in: Kees ­Veelenturf (Hrsg.), Geen povere schoonheid. Laat-middeleeuwse kunst in verband met de Moderne Devotie, Nijmegen 2000, S. 67–85. 45 De Man, Stichtige punten (wie Anm. 42), S. 219.

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was si soe uutnemende vuerich, dat sijs niet verbargen en conde, ende dat en was gien wonder, want si hadde Dengenen tegenwoerdich, van Wes warmte dat hem nyement verbargen en can. […] soe sach si mit oeren geesteliken ogen dat kyndeken Ihesus voer oer liggen schreyen in den stien.46

fen, dass sie es nicht verbergen konnte und das war kein Wunder, denn sie war in Gegenwart dessen, vor dessen Wärme sich niemand verbergen kann. […] so sah sie mit ihren geistigen Augen das Kindlein Jesus vor sich im Stein liegen und schreien.

Ihre Schwestern werteten diese außergewöhnliche Erfahrung als ehrlich verdienten Lohn für die Mühen, die sie um ihres geistigen Wachstums willen auf sich genommen hat, „denn Gott gibt das Heilige nicht den Hunden, und er wirft die Perlen nicht vor die Schweine.“47 Leider werden Katherynas geistliche Übungen nicht im Detail beschrieben, doch deutet der Hinweis auf das weinende Kind in der Krippe darauf, dass ihre Meditation den im Geist vollzogenen Besuch bei der Krippe und möglicherweise auch die geistige Pflege des Kindes zum Inhalt hatte. Das weinende Kind im Trog dürfte die Essenz der geistlichen Übung Katherynas gewesen sein. Dieses Motiv erscheint auch in den drei Meditationsanleitungen aus männlicher Umgebung, allerdings nicht singulär, sondern eingebettet in den Kontext weiterer Aspekte der Geburt.

5. Zusammenhänge zwischen Fokus und Gender? Die hier angesprochenen Meditationslieder über das Weihnachtsgeschehen lassen unterschiedliche motivische Fokussierungen erkennen, die auf einen Zusammenhang mit dem Geschlecht der Meditierenden zurückzuführen sein könnten. Der normative Hintergrund hingegen, die Meditationsanleitungen der Devotio moderna, lassen eine geschlechtsspezifische Ausrichtung in weit geringerem Maß erkennen. Auf der Basis dieser Beobachtungen möchte ich zusammenfassend ein paar hypothetische Schlussfolgerungen formulieren, die allerdings in einem breiteren Kontext verifiziert werden müssen. Normative Meditationsanleitungen umfassen ein breites Spektrum an Themen zur Betrachtung des Weihnachtsgeschehens. Sie weisen einerseits auf Gottes Herrlichkeit, seine bittere Armut auf Erden und die Heilsbedeutung seiner Geburt hin, andererseits aber auch auf mütterlich-pflegende Handlungen, die von Meditierenden im Geist vorgenommen werden sollen. Gesungene Medita46 De Man, Stichtige punten (wie Anm. 42), S. 220. 47 […] want God en gevet dat geheilichde den honden niet, noch Hi en stortet die margaeryte

niet voer die verkene. De Man, Stichtige punten (wie Anm. 42), S. 220.

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tionen geben aus den Motiven normativer Meditationsanleitungen eine je nach Geschlecht der Ausführenden differierende Auswahl wieder. In Liedern aus weiblichem Kontext bildet eine Kombination der Verdienste Marias und der Schilderung der Pflege des hilflosen göttlichen Kindes, zusammen mit Maria oder sogar an ihrer Statt, das zentrale, manchmal auch ausschließliche Thema. Frauen sind hier die einzigen Handlungsträgerinnen: Männer wie Joseph, die Hirten oder die drei Magier sind in die Meditation nicht einbezogen. In gesungenen Meditationen aus männlicher Umgebung dagegen steht das Kind als Weltenherrscher zentral, der König, der in erbärmlichsten Umständen geboren wurde. Dieser kolossale Gegensatz gibt Anlaß zu Betrachtungen über die Heilsbedeutung der Geburt. Pflegende Tätigkeiten werden in Liedern aus männlicher Umgebung nicht genannt, kurzfristige körperliche Zuwendung, zum Beispiel das Umarmen des Kindes, geschieht in demütiger und anbetender Haltung gegenüber dem König aller Könige. Maria spielt hier nur eine Nebenrolle. Bemerkenswert ist, dass auch in Mauburnus’ Rosetum, das höchstwahrscheinlich für männliche Novizen geschrieben wurde, eine Divergenz zwischen dem Lied und der entsprechenden Meditationsanleitung zu erkennen ist: während Mauburnus in seiner normativen Anleitung zur Weihnachtsmeditation beide Motivkreise aufführt, wobei der Pflege des Kindes und der Unterstützung Marias eine eigene Strophe gewidmet ist, fehlen im daran anschließenden geistlichen Lied Hinweise auf diesen Motivkreis. Die Motive der Weihnachtsmeditation Katherynas van Arkel aus dem Schwesternbuch des Meester Geerts-Hauses entsprechen hingegen eher Liedern aus weiblichem als solchen aus männlichem Kontext, soweit man das aus den wenigen Angaben des Schwesternbuchs erschließen kann. Religiosen und semireligiosen Frauen war Mutterschaft als Lebensform untersagt. Eine Kompensation in Meditation und Lied dürfte also naheliegen. Gerade aus Frauenklöstern sind außerhalb der Liedüberlieferung Beschreibungen von Weihnachtsvisionen und -meditationen bekannt, die denselben Blickwinkel erkennen lassen wie geistliche Lieder. So hält die Mystikerin Francesca von Rom (1384–1440) in einer Weihnachtsvision das göttliche Kind auf den Armen. Während sie neue Lieder singt, hilft sie der Mutter bei der Pflege.48 Ein anderes Beispiel stammt aus dem niedersächsischen Benediktinerinnenkloster Ebstorf zur Zeit der norddeutschen Klosterreform des 15. Jahrhunderts. Dort betrachtete eine Klosterschülerin das Geschehen im Stall ebenfalls aus weiblicher Perspektive: das Kind, Maria und die Krippe stehen im Zentrum ihrer Meditation.49 Eine Hand48 Wolfgang Fuhrmann, Herz und Stimme. Innerlichkeit, Affekt und Gesang im Mittelalter,

(Musiksoziologie, 13), Kassel etc. 2004, S. 302–304.

49 Eva Schlotheuber, Ebstorf und seine Schülerinnen im 15. Jahrhundert, in: Falk

­ isermann/Eva Schlotheuber/Volker Honemann (Hrsg.), Studien und Texte zur literariE schen und materiellen Kultur der Frauenklöster, Leiden 2004, S. 169–222, hier S. 202–204.

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schrift aus dem 15. Jahrhundert mit niederdeutschen Meditationen und Gebeten zur Weihnacht aus dem niedersächsischen Augustinerinnenkloster Steterburg50 schließlich zeigt an den unteren Blatträndern einen Bildzyklus zur Geburt Christi mit szenischen Darstellungen der Situation im Stall: Maria, das Kind in der Krippe, sowie eine Frau mit Blüten im Haar – wahrscheinlich eine Novizin? –, die der Gottesmutter bei der Pflege des Kindes hilft. Dazu spielen Engel auf verschiedenen Musikinstrumenten.51 Der unterschiedliche geistige Zugang von Frauen und Männern zum Weihnachtsgeschehen entspricht der von Eva Schlotheuber beschriebenen Differenz im religiösen Leben von Männern und Frauen seit dem Hochmittelalter: „Ausgeschlossen von der vernunftmäßigen Gotteserkenntnis entfaltete sich das religiöse Leben der Frauen nun auf einem grundsätzlich anderen Fundament als das der Männer. Während bei den Männern die Annäherung an Gott über die verstandesmäßige Erkenntnis entscheidend war, erreichten die Frauen die größtmög­ liche Annäherung an die sakrale Sphäre über ihre unberührte Körperlichkeit, über die Jungfräulichkeit (virginitas) nach dem Vorbild Mariens.“52 Ergänzend kann man hinzufügen: und über die Identifikation mit Maria als Mutter Jesu. Noch ein anderer Gesichtspunkt scheint mir für die Bedeutung einer genderabhängigen Rezeption des Weihnachtsgeschehens in Liedern wichtig zu sein. Geistliche Lieder erfüllten in der Meditation eine wichtige Rolle als Katalysatoren, mit deren Hilfe die Frömmigkeit affektiv aufgeladen werden sollte.53 Liedtexte mussten daher dem Meditationsthema entsprechen, für das sie herangezogen wurden. Sie können also als Spiegel des Meditationsgeschehens dienen. Eine generelle Schwierigkeit bildet aber der Mangel an konkreten Hinweisen auf Meditationsabläufe. Monica Hedlund führt dieses Manko in der Einleitung ihrer Ausgabe der Epistola de vita et passione domini nostri auf eine grundsätzliche Haltung der Meditierenden zurück: „Für die Windesheimer war das persönliche Erlebnis die Hauptsache. Man hat aber nicht viel darüber gesprochen, denn viel Reden über sich selbst und seine eigenen Übungen stimmte nicht mit dem Ideal der sancta simplicitas überein. Wir kennen die geistlichen Übungen der moder50 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1121 Helmst., fol. 28r–35v. Otto Von

Heinemann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Abth. 1: Die Helmstedter Handschriften. Bd. 3, Wolfenbüttel 1888, S. 65–67. 51 Abbildungen einiger Szenen findet man in Britta-Juliane Kruse, Rosenkränze und Seelengärten. Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern, (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek, 96), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2013, S. 112 und 293. Hinweise zur Handschrift S. 111 f., 207, 293. 52 Eva Schlotheuber, Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter, in: Helwig Schmidt-Glintzer (Hrsg.), Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter, (Wolfenbütteler Hefte, 22), Wiesbaden 2008, S. 39–82, hier: S. 54. 53 Hascher-Burger, Singen für die Seligkeit (wie Anm. 1), S. 98–103.

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nen Devoten durch die reiche Erbauungsliteratur die diese Bewegung geschaffen hat.“54 Die Erbauungsliteratur hat jedoch überwiegend normativen Charakter, ihre Zielsetzung stimmt nicht notwendigerweise mit der konkreten Meditationspraxis überein. In dieser Situation kommt geistlichen Liedern eine Schlüsselrolle zu, können sie doch, wie das Beispiel der Weihnachtslieder zeigt, über individuelle Rezeptionsstrategien normativer Texte in der täglichen Meditationspraxis wertvolle Information bieten.

54 Hedlund, Epistola (wie Anm. 38), S. 3.

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Learning and the Modern Devotion: contradictio in terminis or inextricably bound unity? Catrien Santing

Over the last two hundred years the Modern Devotion has been typified in terms of opposites. Most authors agree that the movement is a religious reform movement propagating self-responsibility for earthly proceedings before God. The problem is how this attitude of individual accountability for spiritual welfare and, of course, ultimately salvation of the soul, was realized. Generally it is acknowledged that reading was instrumental to this, with the historian of Dutch literature Herman Pleij even coining the phrase ‘craving for reading’ to describe the attitude of the Brethren and Sisters. However, the question remains concerning whether or not the common focus on elevated concerns implied, let alone required, learning.1 Was their disposition one of a literal docta ignorantia, to use the concept of Cardinal Nicholas of Cusa, who was influenced by the Modern Devotion? It is still a matter of debate whether this meant a denial of learning or merely concerned an awareness that knowledge helped to discern between right and wrong but did not automatically bring wisdom. This article will argue that the latter attitude prevailed amongst the members of the Modern Devotion. Many of them were learned but remained modest in this regard and knew their limitations. As Cusanus argued, while positive knowledge about God could not be achieved, learning certainly helped to achieve God’s grace. This was viewed as the fruit of the mind’s quest for truth.2 In the following, the issue of reading and learning amongst the Modern Devout will be addressed in the context of developments in the town of Deventer. The town was an economically thriving centre which, as well as housing the establishments of the Brethren and Sisters of the Common Life, was well known for its excellent and flourishing Latin school. Deventer also employed highly schooled, often academically trained, city administrators and town physicians,

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Herman Pleij, Het gevleugelde woord. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur, 1400– 1560, Amsterdam 2006, p. 232–235 and many of his other publications. Nikolaus Staubach, Cusanus und die Devotio, in: Iñigo Bocken (ed.), Conflict and Reconciliation: Perspectives on Nicolas of Cusa, Leiden 2004, p. 29–52.

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who were often supporters of the spirit of the Modern Devotion.3 The houses of the Brethren and Sisters enjoyed rich libraries, with the collection in the leading Heer-Florenshuis, for example, counted holding up to 1,500 volumes, partly collected by the Brethren themselves, but also testamentaries donated by supportive citizens.4 Last, but certainly not least, the town accommodated important printing houses supplying the educated and those with religious interests with books. The printers Richard Pafraet and Jacob van Breda provided those concerned with the opportunity to publish their thoughts and to disseminate these throughout the region. According to rough estimates, at least 1.7 percent of the total production of European incunabula production took place in the town between 1454 and 1501, with 560 titles, the contents of which exhibit extensive and in-depth learning in several fields.5 Due to the position of Deventer as a major trading centre, the intellectual legacy of its inhabitants spread throughout the IJssel region and even beyond.6 In this paper, the case of Deventer will be explored to further substantiate the claim that the Rhine-Maas region was held together by economic, social, religious, cultural and intellectual ties.7

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Jeroen Benders, Bestuursstructuur en schriftcultuur. Een analyse van de bestuurlijke verschriftelijking in Deventer tot het einde van de vijftiende eeuw, Kampen 2004 and idem, The Town Clerks of Deventer and Zutphen (IJssel Region, Eastern Netherlands) from c. 1300 to the Late Fifteenth Century, in: Quaerendo 41 (2011), p. 79–88. M. E. Kronenberg, De Bibliotheek van het Heer Florenshuis te Deventer, in: Nederlandsch Archief voor de Kerkgeschiedenis, nieuwe serie 9 (1912), p. 150–164, 252–300 and 322. Supplement: A. Hulshof, De Bibliotheek van het Heer Florenshuis te Deventer, in: Nederlandsch Archief voor de Kerkgeschiedenis, nieuwe serie 9 (1912), p. 313–321. Kronenberg plays down the devotional character of the library and points to the many humanist texts the brothers owned, numbering 296, this assessment is repeated by Terrence Heath, Logical Grammar. Grammatical Logic, and Humanism in Three German Universities, in: Studies in the Renaissance 18 (1971), p. 9–64, esp. p. 17–24. Also A. G. Weiler, Volgens de norm van de vroege kerk. De geschiedenis van de huizen van de broeders van het Gemeenen leven in Nederland, Nijmegen 1973, Bijlage Handschriften met betrekking tot de Nederlandse huizen van de broeders van het Gemene leven, Deventer Heer-Florenshuis, p. 196–206. Jos M. M. Hermans, Zwischen Humanismus und Religion. Aspekte des Frühdrucks in der IJsselgegend bis etwa 1525, in: Jos. M. M. Hermans and Robert Peters (eds.), Humanistische Buchkultur. Deutsch-Niederländische Kontakte im Spätmittelalter (1450–1520), Münster-Hamburg 1997, p. 99–120, 111. On the administration: Benders, Bestuursstruc­ tuur (cp. note 3). Survey: A. C. F. Koch, Zwarte Kunst in Deventer. Boek en druk in Deventer in de 15de eeuw, Deventer 22007. Heinz Dieter Heimann, Die niederländisch-westfälisch Nachtbarschaft and H. J. Warnecke, Religiöse, humanistische und reformatorische Wechselbeziehungen zwischen Deventer, Westfalen und dem Elsaß, in: Helmut Disse et al. (ed.), Alexander Hegius (c. 1433– 1498): ein münsterländischer Humanist und Pädagoge in seiner Zeit, Ahaus 1999, p. 57–94.

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The participants in this thriving interconnected intellectual and spiritual culture lived together in a city that in c. 1500 numbered around 8,000 inhabitants, most coming from the same upper echelons of society. Consequently, they had similar shared experiences, beliefs and habits, meaning that social and intellectual distances must have been relatively small.8 All these facets can be supposed to have been interrelated and to have enhanced the vibrancy and influence of the area. However, many studies have argued that these factors do not self-evidently go together. In this paper, the involvement of the Brethren in education, the production of books and Latin and Greek book learning will be assessed and will be deployed that the various factors could not do without each other. Before embarking on this argument, it is first necessary to provide a brief account of the historiographical emergence of the image of the Modern Devout as anti-intellectual.

In confrontation with the Reformation and humanism Since R. R. Post’s 1968 opus magnum, The Modern Devotion, which relies on earlier work in Dutch, it has been controversial to describe the Devout as part of an intellectual movement. The subtitle of his work already demonstrates his point of view: Confrontation with Reformation and Humanism. According to the author, the causal relationship between the two phenomena claimed by earlier historians had been the immediate impetus behind his treatise: “A closer examination of old and new sources has led us to realize the necessity for a new book on the Modern Devotion, in which particular attention would be paid to the constantly recurring and often too glibly answered question of the relationship between Modern Devotion and Humanism and the Reformation.”9 The advocates of the Modern Devotion were in his eyes monastic and quasimonastic figures, essentially ascetic and sober-minded, and above all pious. The juxtapositioning of the Modern Devotion and humanism is elaborated upon in the two last chapters of the capacious treatise, analysing the Brethren after 1485. The assertions by Post, a Roman Catholic Nijmegen professor, are made in reply to the works of Protestant authors, often trained as Church historians, amongst 8 9

For a survey of the history of Deventer see: Henk Slechte, Geschiedenis van Deventer. Deel 1 Oorsprong en Middeleeuwen, Zutphen 2010. Regnerus Richardus Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968, p. IX. Most important: Idem, De Moderne Devotie: Geert Groote en zijn stichtingen, Amsterdam 1940; idem, Studiën over de Broeders van het Gemeene ­Leven, in: Nederlandsche historiebladen: driemaandelijks tijdschrift voor de geschiedenis en de kunstgeschiedenis van de Nederlanden, 1,3 (1938), p. 304–335, and 2,2 (1939), p. 136–162 and idem, De statuten van het Mr. Geertshuis te Deventer, in: Archief voor de geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 71 (1952), p. 1–46.

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whom Paul Mestwerdt, Albert Hyma and Johannes Lindeboom are the best known.10 In 1917, Mestwerdt declared that in the IJssel region Modern Devotion and humanism conflated, since both leaned towards a stern form of Christianity and both focused on the conscientiousness of the individual believer in relation to an independent use of Holy Scripture. This conclusion was not surprising, as Mestwerdt was mainly interested in the so-called initia of Erasmus. The fact that one of the most famous Renaissance scholars attended school in Deventer was at the basis of the supposed coalescence of humanism and Modern Devotion.11 The notion that Erasmus was moulded by the spiritual atmosphere of this youth is still reason enough to study the interrelationship of Modern Devotion and learning.12 Post’s work can be seen as an attempt to counter and destroy Albert Hyma’s concept of the Christian Renaissance. The latter was a staunchly Protestant Michigan professor of Dutch descent. In 1924 he published his views on the Modern Devotion, claiming that its members had a connection with the humanistic movement, as suggested by the title The Christian Renaissance: A History of the Devotio Moderna.13 Hyma expressed relief at how the Brethren had maintained control of the new learning from Italy, managing to reshape it into a more subdued northern variety, that of Christian humanism. However, we should beware of oversimplifying Hyma’s reasoning as, in fact, his argument consists of revealing a sophisticated two-stage series of events. Firstly, he renames, if not, rechristens, the Devotio Moderna as a renaissance, in the sense of referring to a rebirth of genuine Christian life. In addition, he characterized the Brethrens’ activities in the field of reading and thinking as intellectual pursuits. This conclusion was based on their support for advanced education, which he found to have been conditional for the success of this rebirth. He claimed that they had made use of schools, in which they introduced new teaching methods. In this way the Brethren had prepared people’s minds for humanism which, despite originating in the south, was fully embraced by the existing northern Latin schools. One might say that according to Hyma, humanism was animated by the interaction between the Modern Devotion and the rectors of these schools. Although his opinion has been widely 10 These notions partly go back to nineteenth-century ideas which cannot be discussed here.

For a survey see: A. J. Jelsma, Doorwerking van de Moderne Devotie, in: P. Bange et al. (eds.), De doorwerking van de Moderne Devotie. Windesheim 1387–1987, Hilversum 1988, p. 9–28. 11 Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus: Humanismus und “Devotio Moderna”, Hans Schubert (ed.), Leipzig 1917. 12 On this: Cornelis Augustijn, ‘Erasmus en de Moderne Devotie’, in: P. Bange, Doorwerking van de Moderne Devotie, p. 71–80 and Jan van Herwaarden, Between Saint James and Erasmus: Studies in Late-Medieval Religious Life, Leiden 2003, p. xvii–xxi. 13 Albert Hyma, The Christian Renaissance: a History of the “Devotio Moderna”, Grand Rapids, MI 1924. On him: Richard L. Demolen and Kenneth Albert Strand, Albert Hyma: bibliography and biographical sketch, Ann Arbor 1964.

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criticized and he has been accused of being overly simplistic, variations on the theme of the reciprocity between humanism and Modern Devotion, in combination with a Dutch typecasting in terms of frugality and devoutness, have often re-emerged. This topic also played a major part in the above-mentioned discussion concerning the initia of Desiderius Erasmus: was he a ‘child of the Modern Devotion’ or a genuine, Italian-style humanist? Although rightly criticized, the advocating of a joint rebirth remains a f­ ruitful point of departure, as long as one does not use Hyma to typify the Modern Devotion and northeastern Dutch education and learning. In essence, devotion is not about learning, nor learning about devotion, but this does not mean that they were not related in the fifteenth and early-sixteenth-century context. Under the sway of Hyma, a contamination arose that is still current in secondary literature. Up to the recent history of Deventer it is often argued that in the northern Nether­lands humanism received its characteristic biblical imprint from the Devotio Moderna.14 Alexander Hegius, Rudolf Agricola and Desiderius Erasmus are usually mentioned as the typical representatives in this regard. All three were scholars and teachers with exquisite writing skills who published widely on religious topics, as well as on many other subjects. This view built upon that of nineteenth-century liberal Protestant Church historians and became common due to the publications by one of their successors, the Groningen professor of Church history Johannes Lindeboom. By carefully reading the works of late fifteenth and early sixteenthcentury men of learning who resided in what is the present-day Netherlands, he coined the term, ‘Biblical Humanism’, which has been widely accepted but which has also caused much confusion.15 In response, R. R. Post combined and studied the various constituents of late medieval mentality in the IJssel region. Over the course of the second half of the twentieth century his arguments became generally accepted, partly due to the impressive collection of material he brought together and which he analysed superbly, not only in his The Modern Devotion and many related articles, but also in his Scholen en Onderwijs in Nederland Gedurende de Middeleeuwen (1954) (Schools and teaching in the Netherlands during the Middle Ages). Nevertheless, it seems that drawing a definite line between devotion and learning is far too rigid and artificial. This certainly applies to Post’s separation of the official city schools and the Domus pauperum or hostels run by the Brethren in various towns, where pupils from elsewhere could reside and often also received free tutoring. This separate categorization of the various religious and scholastic institutions as well as the men involved, does not in my opinion adequately mirror late medieval 14 Slechte, Geschiedenis van Deventer, ch. iv. 15 Johannes Lindeboom, Het Bijbels Humanisme. Erasmus en de vroege reformatie, Gro-

ningen 1913.

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practices and living circumstances. These people not only knew each other well, not least because many came from the same elite circles in relatively small towns, but they also read each other’s books.16 More recent summaries, such as those of Oberman and Weiler, written for the proceedings of the Groningen conferences on humanism which took place in the 1990s, tend to be in tune with Post’s reasoning, but nuance his strict views with regard to the assumed disregard of the Modern Devotion for learning. Weiler emphasized the influence of the Brethren of the Common Life on northern humanism in the area of moral education, pointing towards a widespread attitude of critical and internalized Christianity and saw the Modern Devotion as a comprehensive rebirth.17 The problem of the interrelation between Modern Devotion and humanism (it is probably better to speak of learning) is still not resolved. Surprisingly, John van Engen’s Sisters and Brothers of the Common Life (2008) remains almost silent on the topic, concentrating on the institutional and social aspects of the movement and only briefly touching on the controversy discussed above. In his introduction, the author explains that his focus will be on characterizing the aims of the Modern Devotion and on this basis leaves aside the question of their intellectual interests. This is a pity, because his book neglects an element that seems crucial when attempting to ‘grasp the Devout in their humanity, communities and religion, all writing the urban societies of the Low Countries and the cultures we call medieval’ in its entirety.18

Learning in the schools This paper makes a modest attempt to begin to fill this gap and will take further what Mathilde Van Dijk has already articulated in several articles on the Devout’s learning. She investigated their inspirations and also demonstrated their thorough acquaintance with the Latin and Greek Church Fathers. Many of their treatises and collections of sermons provide evidence of such learning. Last but 16 His ideas on the schools stem from his: Scholen en onderwijs in Nederland gedurende de

Middeleeuwen, Utrecht 1954. H. A. Oberman, Wessel Gansfort. Magister Contradictionis, in: F. J. Akkerman, G. C. Huisman and A. J. Vanderjagt, Wessel Gansfort (1419–1489) and Northern Humanism, Leiden 1993, p. 97–120; Anton G. Weiler, The Dutch Brethren of the Common Life, Critical Theology, Northern Humanism and Reformation, in: F. Akkerman, A. J. Vanderjagt and A. H. van der Laan (eds.), Northern Humanism in European Context, 1469–1625. From the ‘Adwert Academy’ to Ubbo Emmius, Leiden 1999, p. 307–332. 18 John van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life: the Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, Philadelphia PA 2008, p. 7. The author discusses the Latin schools, p. 144–154. 17

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not least, the works of Thom Mertens and Nikolaus Staubach have been crucial to this paper since they showed the literate dimensions of the Devout’s routines, claiming that books and book-making were an integral feature of their spirituality, an attitude described as ‘Pragmatische Schriftlichkeit’. Although the main point of the work of Van Dijk, Mertens and Staubach is exemplifying religiosity and its practices, for which these authors mainly used vernacular treatises, they have demonstrated how heavily the Devout drew upon sources that were at least originally in Latin and Greek. In the fifteenth century, deep devotion seems to have been impossible without a careful deployment of relevant learning.19 By concentrating on religiosity one tends to forget the direct influence of the schools, which played a pivotal role in the urban culture of the late Middle Ages. Most cities in the Rhine-Maas region supported Latin schools which varied in level and status, but were generally of good quality. Some of them were capitular, others parochial or funded by the city council. As this is far too broad a subject, and a topic on which much research remains to be done—we lack studies of most Latin schools and those we do have are not recent—it is only possible to say something rather sketchy about their condition and quality, which goes also for possible connections with the Modern Devotion.20 For this reason, the intellectual and religious state of affairs in Deventer, the birthplace of the Modern Devotion, will function as a case study. Its St Lebuin’s school deserves a monograph, but at least we have partial studies on most of its aspects.21 The Deventer Latin school started as a capitular school associated with the city’s main church, St Lebuin’s. The earliest mention is around 1320 when a Master Godescalcus was appointed Master scolarum. More important for our topic is 19 Mathilde van Dijk, ‘Sinte Gregorius seet …’, in: Ons Geestelijk Erf: driemaandelijksch tijd­

schrift gewijd aan de studie der Nederlandsche vroomheid van af de bekeering tot circa 1750, 80,3 (2009), p. 142–171 and Mathilde van Dijk and Thom Mertens, Naar voorbeeld van de vaders: de moderne devoten en hun bronnen, Antwerpen 2009; Thom Mertens, Texte der modernen Devoten als Mittler zwischen kirchlicher und persönlicher Niederdeutsches Wort: Beiträge zur niederdeutschen Philologie, 34 (1994) 63–74 and many works by Staubach, for example: Nikolaus Staubach (ed.), Kirchenreform von unten: Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Frankfurt am Main 2004, which is the result of his project ‘Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna’. 20 Post, Scholen. An important monograph on Murmellius was recently published: Juliette Agnes Groenland, Een humanist maakt school: de onderwijsvernieuwer Joannes Murmellius (c. 1480–1517), Amsterdam 2005. On Zwolle see: Michael A. J. Schoengen, Die Schule von Zwolle von ihren Anfängen bis zur Einführung der Reformation (1582), Freiburg (Schweiz) 1898. 21 The only survey is: Wendy Moes-Jonasse, Non scholae sed vitae discimus = Wij leren niet voor school, maar voor het leven: het dagelijks leven van leerlingen van de Latijnse school in Deventer in de periode van de 14e eeuw tot 1579, Deventer 1998. Also: Disse, Alexander Hegius and Groenland, Murmellius (cp. note 20), p. 66–86.

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that 55 years later the town took over and the school formally became a municipal institution, although the scholaster of the chapter still had to approve of its activities. Subsequently, the town authorities appointed the rector and paid the greater part of his salary, but ties with St Lebuin’s Church remained close. The rector still conducted the school choir, training his pupils to sing in the daily choir service. In addition, the rector was supposed to lead all general processions. This brings us to the question of the status of the teachers and to the relationship between the Modern Devout and the school which, in view of the abovementioned notions of Christian or Biblical Humanism, is crucial. It is important to take into consideration that a large body of clerics pursued careers in the lay world, which means that we should not reason in terms of the opposites secular versus clerical. Men involved in the trades of learning and education were often officially clerics, but that does not necessarily imply a Church career. In the social reality of the late Middle Ages, ‘cleric’ could refer to all sorts of people and as much to bookmen as to churchmen. We are dealing with people who today are categorized as humanists, poets, students, professors, civil servants, ecclesiastical or municipal secretaries. On the basis of the hitherto unsurpassed Monasticon fratrum vitae communis and its reworked version in Dutch, Volgens de norm van de vroege kerk, which both extensively treat the intricacies of Common Life establishments in Deventer, it can be gathered that from the times of Geert Grote and Florens Radewijns there was intimate contact between the school and the Brethren.22 Several of the Deventer members had not only received an excellent education themselves, but also disseminated their learning through teaching, whether at St Lebuin’s school or at the Clerckenhuus. It therefore seems likely, as Van Engen claims, that nearly all males who joined the houses at Deventer and Zwolle came from the local Latin Schools, but this is fairly difficult to prove.23 It is even trickier to establish genuine ties, one of the reasons why Post decided to keep devotion and school strictly separate. For this paper it is wise to leave aside Post’s controversial question of whether or not the Brethren themselves ran independent schools, as a discussion of this question would occupy too much space and would probably not lead to a resolution.24 Most authors agree to the compromise that the Brethren ran institutions where lodging and extra supervision were provided. From Floris Radewijns onwards the Brethren gave additional lessons to pupils living with them and 22 Anton G. Weiler unter Mitarb. von Chr. De Backer, Monasticon fratrum Vitae com-

munis, Wolfgang Leesch and Ernest Persoons (eds.), Brussels 2004, III. Niederlande and Anton G. Weiler, Volgens de norm van de vroege kerk: de geschiedenis van de huizen van de broeders van het Gemene leven in Nederland, Nijmegen 1997. 23 Van Engen, Sisters and Brothers (cp. note 18), p. 239. 24 Post, Modern Devotion (cp. note 9) and idem, Scholen (cp. note 20).

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at least employed an official repetitor.25 Initially, the latter gave students shelter and paid them to copy books. Soon the situation was reversed, as with the growing success of the school, the Brethren started to copy books for the students.26 Gerard de Busco copied texts by Albertus Magnus, Bernard of Siena and the humanist poet Baptista Mantuanus, all now in the Deventer Atheneum Library.27 Transcription was considered to be a suitable job for the librarians of the HeerFlorenshuis, with librarian Peter van Hoorn receiving an income for such work.28 Geert Grote was already friends with Zwolle rector Johannes Cele when he founded his movement, and he also maintained friendly ties with the Deventer rectors Willem Vreden or Vroeden and Theodericus de Gruter. Starting from Florens Radewijns, who convinced Johan Boem to waive the school fees of the intelligent youngster Thomas à Kempis, such bonds and cooperation seem to have become a pattern until the dissolution of the Common Life institutions in the later sixteenth century. This is another reason not to draw sharp boundaries between religious and secular spheres of life.29 Some of the rectors, moreover, held positions at St Lebuin’s Church, such as vicar. Others entered the House to become full brothers and seem to have given up their jobs. The rectors Godert van Toorn and Hendrik van Wezel took this step, which of course does not necessarily mean that from then on they completely refrained from teaching.30 There were also Brethren who continued to teach at St Lebuin’s school despite the fact that officially they were not supposed to hold positions outside their institution. This was especially the case when humanism penetrated the Deventer school under the rectorship of Alexander Hegius, through, for example, Jacob van Gouda, Hendrik van Amersfoort and Johannes Synthen. Together with the Brethren Otger van Hoorn and Lambert de Tileto, Synthen is also thought to have taught at the scola clericorum, being commissioned to instruct the pupils in both the virtutes and the bonae litterae.31 There were also other reciprocal services. During holidays many pupils from St Lebuin’s went to the Domus clericorum to hear the collationes.32 For this reason the Deventer hostel had its own library. The seven incunabula from the former scola clericorum library now in the Stads- en Atheneumbibliotheek te Deventer originate from these years.33 25 Weiler, Monasticon (cp. note 22), p. 143, 138. 26 However, most manuscripts originating from Deventer have no connection with the Bre-

thren, as they were produced by pupils of the Latin schools for their own use. Weiler, Monasticon (cp. note 22), 112. 27 Ibidem, p. 114. 28 Ibidem, p. 110 and 114. 29 Survey ibidem, p. 136–139. 30 Ibidem, p. 137. 31 Ibidem, p. 140–144. 32 Ibidem. 33 Ibidem, p. 155.

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To explore the extent and level of learning of the Deventer Brethren and possible expressions of humanism amongst their ranks, it is revealing to study the life and works of those teachers who published books while living in the HeerFlorens­huis during the period of the breakthrough of humanism in the northern Netherlands. Between 1480 and 1520, the Heer-Florenshuis accommodated several learned inhabitants who were also exceptionally devout. An inscription in a book from the library on how to prepare for death (Praepeparamentum saluberrimum Christiani homini ad mortem se disponentis by Willem of Tzewers, 1496) attests to this, being donated to the prior, Henricus of Edam, a friend of the famous Wessel Gansfort. Van Edam did not confine himself to the house of the Deventer Brethren, as he was a frequent visitor to the Groningen Convent of Adwert, which was a famous venue for learned debates. Along with him, the entry in the manuscript mentions Otger van Hoorn, Lambert de Tileto and Johannes Synthen.34 According to Erasmus, it was Johannes Synthen who, with Alexander Hegius, was responsible for the improvement of secondary education in Deventer.35 This is of some value, since generally speaking Erasmus was rather sparing in giving praise, especially to his patria. Following his master, Hegius, and probably in collaboration with him, Synthen started to write school textbooks, from which the Composita verborum of Johannes de Garlandia, with a commentary by Synthen, and a Verba deponentalia (Fig. 1) by the same author, also with commentary by Synthen, were the most successful. Both works were printed by Richard Pafraet— first editions 1483 and 1484—and went through many reprints by different printing houses, including a 1486 edition from Heidelberg. By 1500, the books had gone through at least 45 editions, of which Richard Pafraet printed eleven and twelve respectively and Jacob van Breda, twelve and seven.36 The works are an ad34 Kronenberg, Bibliotheek (cp. note 22), 285, 293. Also Weiler, Monasticon (cp. note 4),

p. 111–112. There also 132 on Hendrik van Edam († 1518) a member of the Adwert Circle, he wrote several letters. The Hague KB Hs 128 G 16, f 175r–178v. 35 There is some controversy about his life and origin. C. G. van Leijenhorst, Jan Synthen, in: P. G. Bietenholz and Thomas B. Deutscher (eds.), Contemporaries of Erasmus: A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, Toronto 1986, II, p. 73–74, identifies him with a Johannes van Delden who died in 1533. This seems far too late, as Synthen started publishing in the early 1480s. I agree with the argument of Jan Bedaux, Hegius poeta: het leven en de Latijnse gedichten van Alexander Hegius, Deventer 1998, p. 44–46, Weiler, Monasticon, p. 133–134 and Franz Josef Worstbrock, Synthen, Johannes, in: Christine Stöllinger-Löser (ed.) Verfasserlexikon der Deutschen Literatur des Mittelalters, Tl. 9 (1995), p. 559–561, advocating his death in 1493. Also: Ad Tervoort, Pro inchoacione librarie: a Close Look at two Late-Medieval Schoolmasters and their Books, in: Koen Goudriaan, Jaap van Moolenbroek and Ad Tervoort (eds.), Education and Learning in the Netherlands, 1400–1600: Essays in Honour of Hilde de Ridder-Symoens, Leiden 2004, p. 133–154, esp. 143, 145, 150. 36 See: SHTC Incunabula Short Title Catalogue ‹http://www.bl.uk/catalogues/istc/index. html› and Early European Books on line.

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aptation of the grammatical œuvre of Johannes de Garlandia or John of Garland, a philologist and university teacher who lived approximately between 1190 and 1270. The works discuss the meanings, declension and syntaxes of Latin verbs, and were very popular in England and France, remaining in use far into the sixteenth century. In his comments, Synthen refers to many examples from ancient and medieval texts, including the Vulgate. He seems to be very conscious of the difference between Classical and Medieval Latin. That the books were meant to be memorized by the pupils of the Latin schools can also be concluded from the fact that their use in adagia was highlighted. In addition to these works, Synthen also took charge of a new edition of Alexander de Villa Dei’s Doctrinale, the leading grammar book of the Middle Ages, a work he may have undertaken in collaboration with Alexander Hegius. This book is far more innovative than his adaptations of De Garlandia. The grammatical rules were no longer rules logically explained and the editor deleted the lengthy scholastic philosophy of language. The emphasis shifted to linguistic usage, with constant reference to texts by Latin authors and their syntactical and stylistic idiosyncrasies. To ensure that the young readers understood, clarifications were added in Latin and Dutch. An unusually large number of quotations from classical and Christian authors demonstrated the correct and elegant use of Latin. Unmistakably, the emphasis lay on the boni or sollemnes auctores. Many examples also stem directly from Lorenzo Valla’s Elegantiae, which makes Synthen the earliest attested user of Valla in classroom teaching in the northern Low Countries. His approach to grammar can be considered genuinely humanist, since most of his examples of best practice stem from Italy. In addition to Valla, the humanist lexicographer Giovanni Tortelli has a central role in his reasoning. Looking at the work of Synthen, the difference between southern disposition and northern opinion is merely a matter of nuance. Valla’s vehement attacks on medieval, devotional authors and their mistakes are omitted, but he certainly does not advocate the use of their imperfect phrasings. In spite of the many biblical and liturgical quotations in his comments, Synthen’s pupils were expected to use correct Latin that in no way deviated from classical standards.37 The commentary on Alexander enjoyed a certain authority in educational circles and soon became a bestseller in northern Europe. According to the Incunabula Short Title Catalogue, it was printed twenty-eight times up to 1501, with thirteen editions being printed by Richard Pafraet, the oldest being 1477–1479, and four being printed by Jacobus de Breda. Others were published in Paris, Strasbourg and Cologne. Soon a reworked—the title page claims ‘castigated’—edition 37 See the balanced assessment of C. H. Kneepkens, The New Italian Learning and the Mo-

dern Devotion: Valla, Synthen, Erasmus, and Elegant Latin, in: New Medieval Literatures 11 (2009), p. 231–249.

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by Herman Torrentinus, was available, which similarly enjoyed much success.38 Torrentinus was a former pupil of St Lebuin’s school and allegedly also a member of the Brethren. He taught in Groningen and as well in Zwolle, where he later became headmaster of the Latin school.39 His editions were likewise published by Richard Pafraet.

Greek as a benchmark Erasmus learned the basics of the Greek language in Deventer and later in his Adagia he recalled: ‘ludum, in quo nos olim admodum pueri utriusque linguae didicimus elementa’. St Lebuin’s was indeed one of the very first transalpine schools where Greek could be learned.40 Another former Deventer schoolboy, Johannes Butzbach, praised Johannes Synthen as a vir utriusque lingue predoctus and claimed that he taught both languages in the Domus clericorum.41 Of course, ‘learned in both languages’, implies Greek as well as a mastery of Latin. More or less the same expression—utriusque lingue clarissimus interpres—is used for his fellow teacher, headmaster Alexander Hegius. The latter had probably learned the language from the Groningen humanist Rudolf Agricola, who also translated Isocrates and Lucianus for the pupils of the school from Greek into Latin.42 Moreover, Hegius’ landlord Richard Pafraet was the first printer north of the Alps to own and use a Greek printing fount, having brought it back with him when he returned from his grand tour in 1488. The first book he produced was a genuine humanist edition, the Epistolae of Francesco Filelfo (1488) which contained many Greek words.43 According to Butzbach, Synthen also appointed successors to his teaching post in the clerics’ house: firstly Jacob van Gouda and afterwards Hendrik van Amersfoort.44 It is impossible to reconstruct the exact sequence of events, as the deaths of Synthen and Gouda fall precisely during a period in which gaps occur in the necrology of the Brethren, but it is clear that teaching in the Domus clerico38 First edition: Verborum deponentalium interpretatio castig. par Hermannum Torrenti-

num/Ioannes Garlandinus, Zwolle: Arnoldus Kempen 1504.

39 Heath, Logical Grammar (cp. note 4), 21 and M. E. Kronenberg: Een Latijnsch-Neder40 41 42 43 44

landsche samenspraak uit ’t begin van de 16e eeuw, in: De Nieuwe Taalgids 17 (1923), p. 136–160. Bedaux, Hegius (cp. note 35), p. 34. J. Butzbach, Auctarium, K. Krafft and W. Crecelius (eds.), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 7 (1871), p. 242 and R. R. Post, Modern Devotion (cp. note 9), p. 578. Bedaux, Hegius (cp. note 35), p. 27 and 33–34. Hermans, Zwischen Humanismus und Religion (cp. note 5), p. 110 and Koch, Zwarte Kunst (cp. note 6), p. 82. Post, Modern Devotion (cp. note 9), p. 578–579.

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rum continued and that its quality remained high. In relation to Van Amersfoort, the necrology only states that he was a priest. Later on, two other former pupils, brothers Johannes and Servatius Aedicollius, originally from Cologne, took over the teaching.45 It is not known whether they were also official schoolmasters at St Lebuin’s, which does not seem necessary, as during these years Gerardus Listrius, Johannes Murmellius, Jakob Fabri and Bartholomeus Coloniensis all taught at the school, and the first two at least knew Greek very well. Murmellius praised Servatius Aedicollius as ‘Daventrie … diatribe decus, scholasticorum doctor humanissimus’ in an epitaph, which suggests he was far more than an average teacher. This appreciation is in line with his remarks about Servatius’ brother, Johannes Aedicollius, in a letter to the Munster provost and humanist Rudolf von Langen.46 When Murmellius moved to Alkmaar, he kept in touch with the Aedicollius brothers. In September 1513, Johannes was asked to pass on greetings to Bartholomeus Coloniensis and Jakob Fabri, Murmellius’ former colleagues at the Deventer school.47 The preface to Murmellius’ edition of the grammar of Gianfrancesco Boccardo (Deventer, Albert Pafraet, 1515) was preceded by a programmatic letter De ratione instituendi pueros also addressed to Johannes Aedicollius, in which the importance of learning Greek in the schools of Germania is emphasized.48 Servatius also maintained friendly terms with another Zwolle rector, Gerard Listrius. The latter mourned his friend in an epicedion, which was published in Deventer in 1516.49 Both of the Aedicollius brothers worked as correctors for the Pafraet printing press and also published humanistic and devotional school texts themselves. Humanist friends also asked them to proofread their works. Herman Torrentinus for example, who referred to Servatius as ‘bonarum artium insignis professor’, asked 45 46

47 48 49

F. J. Worstbrock, Aedicollius, Servatius, in: F. J.Worstbrock (ed.), Deutscher Humanismus 1480–1520: Verfasserlexikon, Berlin 2005, I, p. 5–10. Murmellius’ letter to Rudolph von Langen (Münster): Ioannes Aedicollius, bonarum artium magister dubium literatior an humanior, Daventria; superiori ad me anno dederunt mendas complusculas, tum e prosa oratione, tum e versibus sustulerim. Qua quidem in re, tua quondam non parum me iuvit industria multilinguaque eruditio, super cuius amplissimis laudibus, in: Dietrich Reichling, Johannes Murmellius: Sein Leben und seine Werke: nebst einem ausführlichen bibliographischen Verzeichniß sämmtlicher Schriften und einer Auswahl von Gedichten, Nieuwkoop 1963 (reprint of 1880 Freiburg edition), p. 186. Groenland, Murmellius (cp. note 20), I, p. 268–270. Ibidem, 299–303. Complete Latin text: ibidem, II, 6.3, p. 464–468. Gerardi Listrii Rhene[n]sis trium linguarum professoris apud Suollanos carmen natalitium. Eiusdem Ode Sapphica in contemptum diuitiarum; Epicedium Seruatij Aedicollij cu[m] scholijs docti adolesce[n]tis Joa[n]nis Dichterij Omme[n]sis Et qu[a]edam alia. Deventer: Albert Pafraet 1516. On Listrius: C. H. Leijenhorst, Gerardus Listrius of Rhenen, in: P. G. Bietenholz and Thomas B. Deutscher (eds.), Contemporaries of Erasmus: A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, Toronto 1986, II, p. 335–336.

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him to proof his new edition of the Doctrinale. Brother Johannes also worked on Murmellius’ edition of Boethius, with a new commentary, and an edition of Plutarch’s Life of Cicero edited by the Groningen humanist Andreas Canter. The former reveals thorough knowledge of Greek, with Murmellius emphasizing that Aedicollius had furnished him with correction of the Greek expressions in the De consolatione. Presumably, Johannes Aedicollius had an earlier version of the text at his disposal. The brothers also contributed epigrams to many Deventer publications,50 which led Murmellius to praise the poetic talents and the devout life of the brothers—their pious temples are said to be wreathed by Apollo’s Phocean laurel—in his Charoleia (1515), a eulogy for the young emperor Charles V.51 Servatius Aedicollius was a Petrarch specialist, publishing the latter’s Bucolicum Carmen and a hymn to Mary Magdalene in Deventer. For this edition he wrote a commentary on the obscure text and a short biography of the author based on Squarciafico’s edition of Petrarch’s Opera Omnia, published in 1501 in Venice.52 Following this, he published a life of the missionary Willibrord, which was especially adapted to Deventer. (Fig. 2) Aedicollius expanded on the role Willibrord and his companions had played in the eastern Netherlands, emphasizing that Werenfried and Marcellinus had Christianized that region. He also mentions that the remains of Marcellinus were to be found in St Lebuin’s Church, together with those of Lebuin. The poem was clearly aimed at schoolchildren, because the octavo books were printed with blank lines for making notes. The same can be said of his elegantly written but very pastoral exegesis of the Pater Noster, published by Richard’s son Albert Pafraet in 1516 under the title of Oratio dominica compendiariis scholiis (Fig.  3). Both works point to the Brethren, not in the least because they are dedicated to the rector of the Heer-Florenshuis, the priest Gerard van Hasselt. Most remarkable is Servatius’ translation from Greek into Latin of a Pseudo-Homeric satire on the Iliad—Batrachomyomachia Homeri— where the Gods, the Trojans and the Greeks are replaced by frogs and mice. This work was also aimed at schoolchildren, who could thereby become acquainted with the classical authors. Its author claims that the work was designed to elevate 50 Groenland, Murmellius (cp. note 20), p. 308: Worstbrock, Aedicollius (cp. note 45),

p. 6–7, 9. On the Boethius­edition of Murmellius: Lodi Nauta, A Humanist Reading of Boethius’s Consolatio Philosophiae: The Commentary by Murmellius and Agricola (1514), in: Lodi Nauta and Arjo Vanderjagt (eds.), Between Demonstration and Imagination. Essays in the History of Science and Philosophy Presented to John D. North, Leiden 1999, p. 313–338, esp. 324, n 35 on the contribution of Johannes Aedicollius. 51 Groenland, Murmellius (cp. note 20), p. 290. 52 Catherina Ypes, Petrarca in de Nederlandse letterkunde, Amsterdam 1934, p. 17, 25 and Gabriella Mezzanotte, Una nuova testimonianza della fortuna petrarchesca nei Paesi Bassi [Servatius AEDICOLLIUS Agrippinus], in: Humanistica Lovaniensia 29 (1980), p. 166–1975.

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them. Brother Johannes also seems to have been proficient in the Greek language. In 1513 he published a Greek dictionary under the title Tabulae in graecas literas in Deventer with Albert Pafraet.53

Conclusion If one scrutinized all of the Latin and Greek volumes printed in Deventer and Zwolle between 1477 and 1530, much more could be said about the level and character of learning in the IJssel region. Although the Brethren did not possess their own printing press, they seem to have wholeheartedly supported Richard Pafraet, whose home backed onto the Ronnengang, on which the Brethren had their house.54 The mutual bonds are indisputable, with Pafraet and his wife Stine funding, for example, the restoration of the Domus pauperum clericorum.55 Relations between the schoolteachers and the printers show the same spirit of closeness and cooperation. The fact that Alexander Hegius lived with Pafraet and his wife as a paying house guest is telling.56 The schoolmasters selected and edited texts for the printing presses, corrected proofs and were no doubt involved in selling the books to their numerous pupils. Nevertheless, we might still ask whether the authors of these texts were followers of the Modern Devotion. In many cases it is safer to say that they were influenced by the movement or were in contact with its members, without having entered the Brethren themselves. However, this is a matter of emphasis and not a crucial distinction. The examples of Johannes Synthen and Johannes and Servatius Aedicollius, nevertheless prove that it was perfectly possible to live a devout life as a Brother of the Common Life and at the same time be an active publishing scholar. Here, I hope to have demonstrated that some of the Brethren were extremely learned, at least because they had mastered the fashionable language of their times: Greek. The prestige of the language is emphasized by Alexander ­Hegius, who while not a Modern Devout, was a deeply pious man who never married, and who wrote a eulogy on Greek, the language he expected would bring about much, if not everything.57 The use of Greek by Deventer Brethren and schoolteachers around 1500 proves the phenomenal cultural success of the RhineMaas area. It is therefore not surprising that according to the Deventer alumnus 53 Paul Botley, Learning Greek in Western Europe, 1396–1529: Grammars, Lexica, and 54 55 56 57

Classroom Texts, Philadelphia 2010, chapter iii. Weiler, Monasticon (cp. note 4), p. 126 and Koch, Zwarte Kunst (cp. note 6), p. 75. Koch, Zwarte kunst (cp. note 6), p. 75. Bedaux, Hegius (cp. note 35), p. 64. Ibidem, p. 156–157.

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Herman Buschius, the region specified as Westphalia in the poem below was one of the most learned in Northern Europe—due of course to the accomplishments of schoolmasters such as Alexander Hegius: Functus Alexander tumulo iacet Hegius isto, Tu cave, ne plantis laesa sit umbra tuis. Hoc duce Westphalos intravit Graecia muros, Et Monastriacas Pegasus auxit aquas. After his death Alexander Hegius was buried in his grave. Take care not to stand on his shadow. Under his guidance Greece entered the walls of Westphalia and Pegasus enhanced the waters of Munster.58

58 Ibidem, p. 327.

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Figures

Fig. 1: Front page of Johannes Synthen, Verba deponentalia printed by Jacobus van Breda in Deventer between 1492 and 1496. Stadsarchief en Athenaeumbibliotheek Deventer. Foto: Henk Koopman.

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Fig. 2: Titlepage of Servatius Aedicollius, De vita Sancti Wilbrordi primi et vltimi, archiepiscopi Traiectensis carmē hexametrum, printed in Deventer by Albert Paffraet, 1516. Koninklijke Bibliotheek, The Hague.

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Fig. 3: Last page of the Oratio dominica compendiariis scholiis, written or edited by Servatius Aedicollius, printed in Deventer by Albert Pafraet, 1517. Koninklijke Bibliotheek, The Hague.

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Who were the new devouts? For the regular canon John Busch the answer to this question would have been easy: they were the ‘new monks … devout like Pales­ tinians, obedient like Thebaids, fervent like Egyptians, disciples of the Antonies and Macariuses of the deep desert’, as he expressed it in his De viris illustribus.1 In this collection of biographies of outstanding brothers of his own community of Windesheim, he presents the Devotio Moderna as a rekindling of the spirituality of the Early Church and boldly asserts that his brothers were the new versions of the Desert Fathers.2 Other Devotio Moderna biographers shared Busch’s spirit.3 Like the religious reform movements before them, the new devouts sought to re­ create the piety of the Early Church, first and foremost by the imitation of Christ, and secondly by following his best imitators, the saints. Among the latter, they focused on the martyrs and the Desert Fathers. Although the martyrs traditionally had the highest status because they had imitated Christ in sacrificing themselves, the new devouts identified most with the Desert Fathers. Their example seemed more suitable in the daily practice of a pious life, as these inventors of the religious 1 Johannes Busch, Liber de viris illustribus in: Karl Grube (ed.), Johannes Busch Chronicon

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Windeshe­mense und Liber de reforma­tione monas­teriorum, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angren­zender Gebiete, 19), Halle 1886, c. 9, p. 27: Novos enim Palestine devocionis Thebaide obediencie Egipciacique fervoris monachos … novosque Anthoniorum Machariorumque discipulos interioris heremi. In the following, this title will be abbreviated as DVI. On De viris illustribus see Bertram Lesser, Johannes Busch: Chronist der Devotio Moderna. Werkstruktur, Überlieferung, Rezeption, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Brussels, New York, Oxford, Vienna 2004, p. 127–208. For a discussion of Busch’s brothers as the new Desert Fathers, see Nikolaus Staubach, Das Wunder der Devotio Moderna. Neue Aspekte im Werk des Windesheimer Geschichtsschreiber John Busch, in: A. J. Hendrikman, P. Bange, R. T. M. Van Dijk, A. J. Jelsma and G. E. P. Vrielink (eds.), Windesheim 1395–1995. Kloosters, teksten, invloeden, Nijmegen 1996, p. 170–85, there p. 173–4; and my article Disciples of the deep desert: Windesheim biographers and the imitation of the Desert Fathers, in: Jitse H. F. Dijkstra and Mathilde Van Dijk (eds.), The encroaching desert. Egyptian hagiography and the medieval West. Special Issue Church history and religious culture 86 (2006), p. 257–280. See for instance D. de Man (ed.), Hier beginnen sommige stichtige punten van onsen oelden zusteren naar het te Aernhem berustende handschrift met inleiding en aanteekeningen uitgegeven, The Hague 1919, f. 54v, f. 12r.

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life in the deserts of Egypt, Palestine and Syria were commonly regarded as having found the best way to imitate Christ following the cessation of their persecution. The new devouts were avid students of the lives and sayings of the Desert Fathers as recorded by Church Fathers such as Saints Jerome and John Cassian. Generally, works of the Church Fathers were among their favourite reading matter. From the Early Church onwards, the Church Fathers had been regarded as authorities who provided the trustworthy interpretation of Scripture. This article discusses how the new devouts used material from the Early Church—Scripture, the lives and sayings of both martyrs and Desert Fathers, works of the Church Fathers—to design their own lives. It charts how they appropriated such texts by interpreting them in such a way that they could serve as their models. This was regarded as a matter of some urgency in view of humankind’s condition after the Fall. Following Saint Augustine, the adherents of the Devotio Moderna were convinced that Adam, having chosen to eat the forbidden fruit, had dragged his entire progeny into the deepest pits of sin. He had compromised his original perfection by being disobedient; by diverting his will from that of God.4 Ever since the Fall, human beings had faced the challenge of accomplishing a radical reformation of their actual status as imperfect, naturally inclined to carnality, into human beings as God had originally intended: after His image and likeness, and completely focused on the eternal and divine.5 The adherents of the Devotio Moderna realized that this endeavour entailed a complete redirecting of thoughts and feelings and that it was beyond human capacity without God’s help, as Saint Augustine had taught. Furthermore, they knew themselves to stand in a long line of failed attempts, to which the adherents of the Poverty Movement were the latest additions. Although figures such as Saint Francis and even some Beguines had had the right idea of how to live a truly pious life, their later followers had always diverged from the original ideals.6 Again and again good intentions had come to nothing because of humankind’s natural inclination to sin.7 Their strategy to succeed where so many had failed, was to search for a feasible way of being like Christ that would actually work for them, despite living in a context which was very different from first-century Palestine and, as people after 4 5 6 7

Augustine shows how this works, inter alia, in: Augustine of Hippo, Confessiones, James O’Donnell (ed.), Oxford 1992, Book 8. A. G. Weiler, Over de geestelijke praktijk van de Moderne Devotie, in: P. Bange, C. Graafland, A. J. Jelsma and A. G. Weiler (eds.), De doorwerking van de Moderne Devotie. Windesheim 1387–1987, Nijmegen 1985, p. 29–45. For the appreciation of some Beguines, see Suzan Folkerts, Voorbeeld op schrift: de overlevering en toe-eigening van de vita van Christina Mirabilis in de Late Middeleeuwen, Hilversum 2010. Busch, De viris illustribus, c. 3, p. 13–14.

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the Fall, being far from as perfect as He or the saints had been. Bolstered by the authority of the Church Fathers, they concluded that a literal imitation was not the point, and often not even desirable. They rejected the vagrant, supplicant lives of the Mendicants, which in the Poverty Movement had been seen as an essential part of the vita apostolica et evangelica. While for Christ and the apostles it had been acceptable to live and travel among secular folk, for ordinary people after the Fall such a lifestyle provided too much temptation.8 Eventually, many new devouts came to feel the same way about living in a semi-religious community of Brothers or Sisters of the Common Life, congregated in houses of tertiaries or regular canons, although they still admired those who could remain devout in the distracting atmosphere of the city.9 Usually, both regular canons and tertiaries created separate congregations, of which the chapter of Windesheim was the most famous.10 The following begins with an assessment of criteria for the choice of texts. An inventory of the most important texts used by the adherents of the Devotio Mo­ derna will follow. Thirdly, I will chart how they worked with these texts: how they studied, interpreted and rewrote them. A fourth section will provide a few examples of what this entailed for their religious practice, based on Devotio Moder­na collections of biographies. Educational literature in their own right, these provide examples of how pious brothers and sisters lived in the past, thereby offering models for imitation to the readers or hearers of their tales.

Choosing the texts Those who accepted the challenge of striving for perfection needed to commit to a lifetime of training. As the tales of the Desert Fathers showed, even the best monks could fall back into sin.11 The struggle for souls between God and the devil continued until the very moment of death. The sisterbook of the regular canonesses of Saints Mary and Agnes at Diepenveen in particular tells horrifying tales 8 Compare Thomas a Kempis, Sermones ad novicios regulares, Opera Omnia 6, M. J. Pohl

(ed.), Freiburg im Breisgau 1904, Sermon 6, 51–52.

9 Theo Klausmann, Consuetudo consuetudine vincitur. Die Hausordnungen der Brüder

vom gemeinsamen Leben im Bildungs- und Sozialisationsprogramm der Devotio Moderna, Münster 2003, p. 11–12. 10 The most recent assessments of the institutional history of the Devotio Moderna are by John van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life: the Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, Philadelphia 2008, p. 5–161, and Koen Goudriaan, Een beweging met allure in: Koen Goudriaan (ed.), Vernieuwde innigheid: over de Moderne Devotie, Geert Grote en Deventer, Nieuwegein 2008, p. 52–77. 11 Compare the Life of Mary the Egyptian: J. P. Migne (ed.), Vitae patrum, (Patrologia Latina, 73), Paris 1894, col. 684.

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of how dying sisters had to fight off demons, or Satan himself, taking the last chance to drag them back into carnality.12 The study, reading, copying and writing of religious texts was among the most important training methods. It taught the brothers and sisters what to feel and think, and which practices to adopt. In view of its importance, it was a heavily monitored activity in which a religious community’s librarian played a key role. He or she decided which book was useful for whom at a particular point in their spiritual progress. Each year, all members of the community had to present themselves to the librarian and ask for a book.13 The choice of the right volume was of the utmost importance: if, for instance, sisters or brothers received books that were too difficult for them it could work against their self-reformation, as had been clear from the examples of those most infamous adherents of the Poverty Movement, the Beguines and the Begards. Amongst other things, their communities had allowed far too much freedom in the choice of books to read. Their independent interpretation of sacred works had led several Beguines and Begards into heresy.14 Devotio Moderna spiritual leaders such as the Deventer Brother of the Common Life, Gerard Zerbolt of Zutphen, offered guidance in the choice of the right books. His De libris teutonicalibus defended the translation of sacred texts into the vernacular in order to make these available to non-Latin readers such as women and lay brothers.15 At the same time, this did not mean that he advocated that all categories of believers should read the same books: it was obvious to him that the list of books suitable for non-Latin readers was shorter than the one for Latin readers. His work, which was present in many Devotio Moderna communities, provides insight into the criteria that the new devouts used for the choice of the right books for different audiences. Although Zerbolt addressed the problem of non-Latin readers in general, De Libris Teutonicalibus particularly targeted re-

12 See, for instance, Deventer, City Archive and Atheneum Library, MS. 101 E 26, commonly

known as DV, Diepenveen, copyist Griet Escchinges, f. 183r–188v. Sister Griete Koesters wrote the second manuscript, Zwolle, RA, Coll. Van Rhemen, MS. inv. no. 1, commonly known as D. It has been edited in D. A. Brinkerink (ed.), Van den doechden der vuriger ende stichtiger susteren van Diepen Veen (Handschrift D), Groningen 1904. 13 R. Th.M. van Dijk, De Constituties der Windesheimse vrouwenkloosters voor 1559, Nijmegen 1986, p. 366, 773. 14 For the heretical reputation of the Beguines, see W. Simons, Cities of Ladies, Philadelphia 2001, p. 19–34 and 118–20. 15 A. Hyma (ed.), The “De Libris Teutonicalibus” by Gerard Zerbolt of Zutphen, in: Neder­ lands Archief voor Kerkgeschiedenis 17 (1924), p. 43–70. About this treatise: V. Honemann, Zu Interpretation und Überlieferung des Traktats De libris teutonicalibus in: Elly Cockx-Indestege and Frans Hendrickx (eds.), Miscellanea Neerlandica. Opstellen voor Dr. Jan Deschamps ter gelegenheid van zijn zeventigste verjaardag, Leuven 1997, p. 113–124.

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ligious women. In several instances, he refers to Saint Jerome and his female friends, famous for their learning and piety.16 Bolstering himself with authorities such as Saint Jerome and other Church Fathers, Zerbolt stressed that religious people should restrict themselves to books which were directly useful for their spiritual progress.17 Books that encouraged speculation on divine mysteries such as the nature of the Trinity were too dangerous for non-Latin readers, particularly when they inspired the readers to teach. Zerbolt specifically warned against books by Eckhart. At the same time, he was convinced that non-Latin readers should not be kept from ‘higher matters’ on principle: the criterion for inclusion in the advised literature was whether the text could be explained in a simple way so as to be useful for simple readers. In particular, Zerbolt referred to parts of the Bible, such as the Gospels and the Ten Commandments, which he deemed essential for the education of all despite their complicated nature.18 Interestingly, he advised against the translation of the Psalms: those who did not read Latin should pray in the vernacular. In view of the extreme difficulty of the Psalms, it was more useful for non-Latin readers to use simple texts in their own tongue. Zerbolt’s words correspond to Windesheim practice as far as the lay brothers and sisters were concerned. Choir sisters, however, were taught Latin if necessary in order to be able to participate in the choir. It was generally considered that women needed simpler books than men and Zerbolt apparently agreed with the accepted opinion that women were weaker than men, both physically and spiritually.19 Although Zerbolt addressed the problems of non-Latin readers specifically, the general tenor of De libris teutonicalibus applied to all categories of the religious: the choice of literature was to be determined by its usefulness for spiritual growth. Over the last few decades, scholars from Münster and Leiden have conducted extensive research on Devotio Moderna reading practice, which has led to much greater insight into which books these were.20 In the following, I will study 16 See for instance Andrew Cain, Rethinking Jerome’s Portraits of Holy Women, in: Andrew 17 18 19 20

Cain and Josef Lössl (eds.), Jerome of Stridon: His Life, Writings and Legacy, Burlington 2009, p. 47–57. Zerbolt cites Saint Augustine’s sermon ‘De fide trinitatis a simplicibus non investiganda et septem donis spiritus sancti contra septem vitia’, Sermones ad fratres in eremo commorantes et quosdam alios PL 40, col. 15. Zerbolt, De libris teutonicalibus, p. 6. Zerbolt, De libris teutonicalibus, p. 53–54. As described by Thomas Laqueur, Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud, Cambridge 1990. See also J. Cadden, Meanings of Sex Difference, Cambridge 1993. See for instance: Thomas Kock, Die Buchkultur der Devotio Moderna. Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Brussels/New York/Vienna 1999, Karl Stooker and Theo Verbeij, Collecties op Orde: Middelnederlandse Handschriften uit kloosters en semireligieuze gemeenschappen in de Nederlanden, Leuven 1997.

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data from different origins: library catalogues, lists of advisory literature and occasional evidence about books that the new devouts actually used, for example from the letters of Geert Grote, in which he often talked about books or quoted patristic texts. Similar data can be gleaned from the works of other prominent Devotio Moderna figures such as Zerbolt and Florens Radewijns. In addition, the biographies of outstanding brothers occasionally refer to the favourite reading matter of their subjects.

Catalogues and Reading lists Starting with the catalogues included in the two versions of De viris illustribus by John Busch, at the end of the first he provided a list of books which he probably intended as a standard for Windesheim monasteries.21 He began with the most essential volumes: the choir books. As far as the books for study were concerned, Busch showed a marked predilection for the Latin Church Fathers, particularly Saint Augustine. He listed works in several genres, including exegetical texts, such as Saint Augustine’s commentaries on Genesis, the Gospel of John and the Enarra­tiones in Psalmos; advisory works such as sermons; and anti-heretical works such as Ad Faustum. In addition, the Windesheimers owned works by Saint Ambrose, Saint Jerome and Gregory the Great, Bernard of Clairvaux and the Victorines Hugh and Richard. The usual Desert Father material, the Vitae patrum and John Cassian’s Collationes patrum and De Institutis Conoebiorum were also there. With respect to more recent literature, Busch mentions four authors and their works: Bonaventure’s Life of Saint Francis (the Legenda Major), David of Augsburg’s Profectus religiosorum, that is, part three of De interioris et de exterioris compositione, Henry Suso’s Horologium Sapientia and, finally, letters and treatises by Geert Grote. In his second version of De Viris illustribus, Busch connects the books in his original list, along with additions to it, to the writers, adding lists of the volumes that certain brothers created or copied to the biographies of these brothers. For instance, Henry of Wilsem was most useful as a copyist of Saint Augustine. Moreover, Busch mentions John of Kempen’s work on the Statutes, pointing out that Thomas à Kempis’s elder brother was responsible for the provision of a correct edition.22 Busch also added books written by Windesheim brothers such as Henry

21 For the two versions, see Busch, De viris illustribus and V. Becker, Eene onbekende kro-

nijk van het klooster te Windesheim, in: Bijdragen en mededelingen voor de geschiedenis der Nederlanden 10 (1887), p. 376–445. 22 Busch, De viris illustribus, c. 35, p. 95.

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Mande.23 Furthermore, he added to this information by referring to books that brothers recommended to others. These included the Profectus (albeit under the title of Speculum monachorum), the Horologium and the Stimulus amoris by Jacobus of Milan. The Rooklooster Registrum is by far the most spectacular catalogue of the Devotio Moderna. An anonymous canon produced it at the start of the sixteenth century, providing a list of desirable books.24 It contains a list of the books at Rooklooster and in other monasteries in the Low Countries, probably with an eye to future copying activities and lending and borrowing for that purpose. It starts with three indexes: authors, owners within and outside the Chapter of Windesheim, and titles. The Rooklooster canon then listed the books in his own community and in the next sections provided three lists of books owned by other communities: works by known authors, anonymous treatises and lives of the saints. He noted as much detail as possible; for example, as far as the saints are concerned, he concentrated on separate lives, rather than on legendaries. Obviously, the Registrum is much more extensive than Busch’s list, but it shares the focus on Latin Fathers, although it also contains a sizeable selection of Greek Church Fathers. Moreover, the collection mentions several Carolingian classics such as the Rules by Caesarius of Arles and Chrodegang of Metz. Like Busch’s lists, it contains only a few more recent works, although the author did add an extensive overview of the works by the Carthusian Dionysius of Rijckel, and humanists such as Erasmus. Nevertheless, the number of such works makes up a small proportion compared to the Church Fathers. Moving to the advisory lists, Thomas à Kempis included the list created by Geert Grote on his conversion, found in his Dialogus noviciorum, a collection of biographies by Grote, Florens Radewijns and their first disciples.25 De sacris libris studendi was compiled after Grote’s renunciation of his former life in Conclusa et proposita, in which he denounced the evil and useless books he used to read: those on science, medicine, law and speculative theology. He now felt that those studies only served to satisfy undue curiosity and to acquire fame. Moreover they led to conflict with others. Anyway they were useless and harmful for the life that Grote wished to live after conversion: a life completely conscious of God’s glory and focused on serving Him. His list provides a sense of direction rather than a detailed programme, not least because Grote frequently used the formula ‘and 23 Busch, De viris illustribus, c. 43, p. 124–125. 24 Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, Series Nova MS. 12694, Brussels, Rooklooster,

1532–1538.

25 Geert Grote, De sacris libris studendis and Conclusa et proposita in Vita Gerardi Magni

in: Thomas a Kempis, Dyalogus noviciorum in: Thomas a Kempis, Opera Omnia 6, M. J. Pohl (ed.), resp. 97–107 and 87–97.

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other similar works’.26 The order of the list is striking and probably reflects his assessment of the usefulness of the book for spiritual education: 1. The Gospels ‚because these were the root of study and the mirror of the life of Christ’27 2. The Collationes and the Vitae patrum 3. The Epistles and the Acts of the Apostles 4. Devout books such as: ȤȤ the Meditations of Bernard of Clairvaux and Anselm of Canterbury ȤȤ The Horologium (by Henry Suso—MvD) ȤȤ De Conscientia by Bernard of Clairvaux28 ȤȤ Soliloquia by Saint Augustine29 ȤȤ And other similar works 5. The legends and ‘flores’ of the saints 6. The moral teaching of the Fathers, such as: ȤȤ Regulae Pastoralis Liber by Gregory the Great ȤȤ De opere monachali by Saint Augustine of Hippo ȤȤ Moralia in Job by Gregory the Great ȤȤ And other similar works 7. Sermons by the holy fathers and the four doctors 8. ‘Intellectus sanctorum patrum’ and their commentaries on the parts of Scripture which are read during Mass30 ȤȤ the Epistles of Saint Paul ȤȤ Wisdom (Salomo) ȤȤ Proverbs ȤȤ Ecclesiastes As far as the Bible is concerned, Grote concentrated on texts that were used during Mass and by the choir. Furthermore, the prominent position of the material concerning the Desert Fathers and the Church Fathers is obvious. Among the Church Fathers, Saints Augustine, Gregory the Great, Bernard of Clairvaux and Anselm of Canterbury were most important.

26 Geert Grote, De sacris libris studendis, 98. 27 Geert Grote, De sacris libris studendis, 97: Radix studii … et speculum vitae … Christi. 28 This is a pseudo Bernardine treatise: Tractatus de interiori domo seu de conscientia edifi-

candi [PL 184], col. 507–552.

29 It is unclear which of the several Augustinian and ps. Augustinian works Grote meant. In

a letter to William Vroede, he distinguished the Soliloquia from the Soliloquia animae ad Deum, currently ascribed to John of Fécamp. See also Iohannes Machielsen, Clavis pa­ tris­tica pseudoepigraphicorum medii Aevi 2: Ascetica monastic, Brepols 1994, p. 115–303. 30 Geert Grote, De sacris libris studendi, 98.

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De sacris libris erudiri roughly corresponds to what Grote later wrote in his letters, particularly those that he wrote to Master William Vroede, a Prague graduate, who was the scholarius at Deventer. He often referred to books that he either owned or wanted to acquire or that he had requested his associates or others to copy. He seems to have been especially interested in works by Saint Augustine. In addition to works conducive to his moral education, he also requested copies of works by Saint Augustine against various types of heretics, which were useful in his work as a preacher.31 The 1510 edition Rosetum exerciciorum by the former Mount Saint Agnes brother John Mombaer (1460–1502) also included an advisory list, aimed at the novices, some sixty years after the other lists and catalogues were published.32 It is doubtful whether this Tabula librorum praecipue legendorum is an authentic work by Mombaer, despite its modern editor’s claim that he dictated it on his deathbed.33 For one thing, it is suspicious that the author of the Tabula cites works as authentic creations of a Church Father which Mombaer had denounced as spurious in the main body of the Rosetum.34 Whatever the truth of this may be, the 1510 edition and the Tabula came to serve in a Devotio Moderna context, bolstered by Mombaer’s reputation; for example, the copy presently at Deventer was used at the regular canonesses’ at Diepenveen, probably by the rector and his socius.35 The Tabula consists of three parts, corresponding to different levels: beginners, who should focus on moral education; intermediates, who should concentrate on consolidating devotion and increasing fervour; and advanced students, who should engage in intellectual training to perfect their reason. In the first section, the Tabula advised reading the material concerning the Desert Fathers and the life of Saint Francis, that is, Bonaventure’s Legenda Major. As far as Augustine’s work is concerned, the beginners were to read the Rule and commentaries on this. Moreover, the author recommended Saint Bernard, Climacus, Gregory the Great’s Moralia and works of Jerome. Those at the second level were to read Saint Augustine’s Soliloquia, the Confessiones and the spurious ‘sighs, meditations and manual’, which the Church Father was also supposed to have written. The Tabula further states that the novices were also to read the same works by Anselm of Canterbury and Ps. Bernard of Clairvaux that Geert Grote had proposed, that is, 31 See for example Geert Grote, Epistolae, XIII/7, XI/81, IV/17, XII, 18. 32 Edited in: John Mombaer, La Tabula librorum praecipue legendorum, in: Pierre Deboi-

gnie (ed.), Jean Mombaer de Bruxelles, Abbé de Livry, ses écrits et ses réformes, Leuven/ Toulouse 1927, p. 319–340. 33 Johannes Donndorf, Das Rosetum des Johannes Mauburnus. Ein Beitrag zur Geschichte der Frömmigkeit in den Windesheimer Klöstern, Halle 1929, p. 4. 34 Tabula 326; Mombaer, Rosetum, f. 16v. 35 Deventer, City Archive and Athenaeum Library, 113 B 8 KL: John Mombaer, Rosetum exercitorium spiritualium et sacrarum meditationum, Paris 1510.

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their Meditations. In addition, the Tabula recommended a work by a Greek Father: De compunctione cordis by Ephrem the Syrian. For the highest level of novices, the author used a quotation from Augustine’s letter to Volusianus, ‘Praecipue Apostolorum linguas exhortor ut legas’, to persuade them to read the ‘apostolic documents’.36 Interestingly, he advised them to read the entire text of the Bible. As far as works of Augustine are concerned, they were to study the Enarrationes in psalmos, De doctrina Christiana and the ‘libri quaestionum’; however, it is unclear to which of the several spurious and authentic works under this title he was referring, whereas it is clear that Geert Grote at least knew De diversis quaestionibus octoginta tribus liber unus.37 The Rooklooster Registrum also lists this work, and in addition Quaestionibus Libri Septem (judging from the incipit i. e. Quaestiones in Heptateuchum), De sex quaestionibus contra paganos, the doubtful De Quaestionibus evangeliorum secundum Mattheum (probably Quaestiones XVI in Matthaeum) and the spurious De Quaestionibus veteris et novi testamenti and De Quaestionibus Hilarii.38 The author of the Registrum may have referred to any of these texts. In addition, the novices were to study the commentary on the Psalms by Jerome, Bede’s Historia ecclesiastica, Cassiodorus’s Historia triparta and unspecified works by Ambrose. He also recommended works by Devotio Moderna adherents, such as De spiritualibus ascensionibus by Gerard Zerbolt of Zutphen, which consist of quotations and paraphrases of the Church Fathers, and other more recent works which also relied heavily on the authorities. Also listed are Hugh of Saint Victor with his Tractatus de sacramentis and Tractatus de tribus diebus and Bonaventure’s Breviloquium, his Itinerarium mentis ad Deum and his Commentaria in quatuor libris Sententiarum. Choosing this newer material over original patristic literature would still mean that the readers would digest a lot of material concerning the Church Fathers, as these were virtual patchworks of Church Father quotations.

Working with the Truth When the new devouts worked with Scripture and the Church Fathers, their point of departure was that these texts were authorities, as indeed they had been regarded in the Early Church. The authorities provided the Truth: they showed the readers how to proceed in their search for perfection. Therefore, it was also self-evident to the devout that Scripture and the Fathers told the same story as 36 Tabula 328. 37 See W. Mulder (ed.), Gerardi Magni Epistolae, Antwerp 1933, X/7, p. 16. 38 The Rooklooster Registrum (f. xv, xvir). See also Machielsen, Clavis patristica.

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far as their essence was concerned. Technically, it did not make much difference whether one read Saint Augustine, Saint Ignatius or even a Greek father such as Ps. Dionysius, although they favoured texts about the Desert Fathers and by Saints Augustine, Gregory and Bernard. The same was true for hagiography. Traditionally, the lives of the saints and other hagiographical texts had been seen as a continuation of Scripture; a ‘holy writing’ in which God inspired the authors.39 Like the works of the Church Fathers, their lives taught what the essence of being like Christ meant. Obviously, this did not mean that a particular saint lived in exactly the same way as Christ, but that the lives of these men and women provided a perspective on how to imitate Christ successfully in a particular day and age. The Desert Fathers were the primary examples of this creative processing, as they invented ascesis as a new way to be like Christ, as a new form of martyrdom. Claiming to be the new versions of these saints, the new devouts faced the challenge of reinventing ascesis as a feasible method of reaching perfection. Basically, the new devouts used four strategies to tackle patristic and hagiographical material: choice, combination, imitation and interpretation. Choice occurred at various levels; in the preceding sections, for example, I discussed the choice of the right books. It also occurred with respect to passages in a single text, the Windesheimers and other new devouts being encouraged to make notes and copy excerpts for future use in meditation. Some collections of these, the so-called raparia, came to serve as educational texts for future generations of brothers and sisters, either in the form of collections of excerpts and dicta, or edited. The above-mentioned De spiritualibus ascensionibus by Gerard Zerbolt of Zutphen is an example of the latter. This text provides many examples of choice at work. For instance, the author frequently cites Gregory the Great. In fact, after Saint Augustine and Cassian, he is the most quoted author. However, most quotations are from just one chapter in Gregory’s commentary on Job, the Moralia, a chapter in which the Church Father provided useful lists of sins and how to counter them.40 Zerbolt’s selection reveals how he preferred material that would be directly useful in the search for spiritual perfection.

39 Compare M. van Uytfanghe, Stylisation biblique et condition humaine dans l’hagio­

grahie mérovingienne, Brussels 1987 and R. Schulmeister, Aedificatio und imitatio. Studien zur intentionalen Poetik der Legende und Kunstlegende, Hamburg 1971. 40 Gerard Zerbolt of Zutphen, De spiritualibus ascensionibus, in: Legrand, Sister Francis Joseph (eds.), Gerard Zerbolt de Zutphen, La montée du cœur, Turnhout 2006, c. 59, and M. Adriaen (ed.), S. Gregorii Magni Moralia in Job, (Corpus Christianorum, 143), Turnhout 1979–1985, 31: 45, c. 88. On using Gregory, see also my article, ‘Sinte Gregorius seet’. Werken met een kerkvader in Sint-Agnes, Maaseik, in: Ons Geestelijk Erf 80/3 (2009), p. 136–164.

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Translation into the vernacular provided an opportunity to make the text more fitting for the target group, at least as the translator perceived it. For instance, Zerbolt uses an almost exact quotation from Gregory’s dialogues: Do not strive for words of wisdom but for tears of compunction, in order to stir the soul to greater fervour so as to leave the lower things behind, and to reach for wisdom.41

Gregory and Zerbolt both make the point that reading should not be under­ taken for its own sake, but that it should serve the purpose of furthering spiritual growth. Some vernacular versions from women’s communities dispensed with this, probably because it would not do to suggest to the sisters that reading was not good for them.42 The Middle-Dutch translations of the Compilatio de Sancta Barbara provide another example of adaptation to the target group. It contains inter alia a new version of the life of this popular virgin martyr, to which the author added an extensive tale about her conversion to Christianity—a matter which was not dealt with in earlier versions. According to this legend, Saint Barbara struck up a correspondence with the Early Church theologian Origen, with whom she discussed the Trinity. Contrary to other translators and copiers, the author of the version in the regular canonesses’ convent of Saint Agnes at Neerbosch chose to include the fact that she corresponded with Origen, but omitted the subjects discussed by the saint and her friend.43 This may well be a sign of the direct influence of Zerbolt, who felt that the Trinity was too difficult for non-Latin readers. A Middle-Dutch version of De teutonicalibus libris was owned by Saint Agnes.44 Another strategy was the combination of texts, for instance in the following passage: … sed ut Bernardus dicit, in homino Christo Deum invenire, licet non Deum nudum neque nudum hominem, sed Christum Deum pariter et hominem comprehendere Christumque ut Deum pariter et hominem diligere et adorare.45 41 ‘Non queras scienciam verborum sed fletum compunctionis inquiras, quatenus per hoc

42 43 44 45

excitata mens tua inardescat et, yma deserens, ad celestia tendat’—Zerbolt, De spiritualibus ascensionibus, c. 44, Gregory the Great, Dialogues, Adalbert de Vogüé and Paul Antin (eds.), (Sources Chrétiennes, 251, 260 en 265), Paris 1978–1980, Boek 4: 47,2. The Hague, Royal Libray ms. 73 H 18, Maaseik, regularissen, 1445, Gerard Zerbolt van Zutphen, Van gheesteliken opclymminghe. Nijmegen, City Archive ms. 23, Saint Agnes, regular canonesses, f. 260v. See also my Een rij van spiegels. De heilige Barbara van Nicomedia als voorbeeld voor vrouwelijke religieu­ zen, Hilversum 2000, p. 120, 123. Kassel, Landes- und Murhardse Bibliothek 20, ms. Theol. 56, f. 179–185v. However, like Bernard says, we are able to find God in the man Christ, not in the sense that we comprehend only God or only man, but in the sense that one comprehends Christ both

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Zerbolt threaded texts like beads on a string: ‘In homino … invenire’ is a quotation from Saint Bernard’s Sermones in Cantica Canticorum.46 The rest of this passage is a paraphrase of Gregory’s Moralia in Job.47 There was no problem in combining texts in this way because of the essential correspondence of the Fathers. Furthermore, combining various passages put the new devouts on the secure ground of time-honoured practice. Scholastic theologians had always tried to combine authorities, and the same was true for other religious authors. For Devotio Moderna authors who were well-educated, as Zerbolt undoubtedly was despite not having a university degree, it would come naturally to use the same technique.

Performing the Fathers The new devouts viewed themselves as the new Fathers. Desert and Church Fathers, and other Early Church saints, served as a lieu de mémoire for them, in the sense that the French historian Pierre Nora defined this as a place, a concept or a person (in this case: persons) which epitomized their identity.48 They stressed their similarity to these saints by imitating formats and genres; for example, the practice of writing biographies of outstanding members of their communities and of noting down dicta from their mouths in the best Desert Father tradition. The Münster scholar Nikolaus Staubach pointed out how Busch enhanced the link to the Desert Fathers by organizing De viris illustribus into 72 chapters—the exact number of disciples whom Jesus Christ sent out to spread the Word.49 In addition, he included the lives of 24 brothers, as John Cassian had done in the Conferences.50 In the 24th conference, Cassian links this number to the 24 elders of the Apocalypse.51

as man and as God, in order to be able to love and worship God and man at the same time. Zerbolt, De spiritualibus ascensionibus, 27. 46 Bernardus of Clairvaux, Sermones super cantica canticorum, in: J. Leclercq, C. H. Talbot and H. Rochais (eds.), Sancti Bernardi Opera Omnia, Rome 1957–1968, sermo 71, 8–9. 47 Gregory the Great, Moralia, 2: 36, r. 6. Zerbolt provides a paraphrase of Gregory’s text. 48 Pierre Nora, ‚Entre mémoire et histoire‘, in: P. Nora (ed.), Les lieux de mémoire, Paris 1984, p. xvii–xlii. 49 Lk. 10,1. 50 Nikolaus Staubach, Das Wunder der Devotio Moderna. Neue Aspekte im Werk des Windesheimer Geschichtsschreiber John Busch, in: A. J. Hendrikman, P. Bange, R. T. M. van Dijk, A. J. Jelsma and G. E. P. Vrielink (eds.), Windesheim 1395–1995. Kloosters, teksten, invloeden, Nijmegen 1996, p. 170–185, there p. 173–174. 51 Rev. 4,4.

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The similarity to the Fathers was further enhanced by the contents of these lives and dicta. They engaged in the ascetic practices, which the authors on the Desert Fathers advised: manual labour, study, fasting, sleep deprivation, sobriety, as far as clothing and food were concerned, and a general renunciation of the world, for example, by renouncing family ties, were all advised. In the lives of Diepenveen sisters, it is striking that they enthusiastically engaged in manual labour, preferring the dirtiest and most demeaning of tasks, while at the same time being extremely inept at them. Although there is probably some factual basis for this—the Diepenveen sisters had either aristocratic or wealthy merchant roots and, consequently, would never have had to clean chamber-pots and the like had they not renounced the world—it also corresponds to some Desert Father tales. The senator’s daughter Euphraxia is forever cutting herself when chopping wood and so on and so forth. It is also interesting that she struck up a supportive friendship with another sister, who helped her along the path of perfection.52 Such relationships were encouraged in Devotio Moderna communities of women.53 In the Sermones ad novicios, Thomas à Kempis also encouraged his brothers to seek the support of their fellows.54 Despite the fact that the Diepenveen sisters and other devouts attempted to act like Desert Fathers, they lacked fundamentalist naivety: they knew that what they were doing was not always literally the same as Saints Anthony or Augustine had done, not to mention Christ Himself. Nor did it need to be. Like the Desert Fathers, they tried to imitate the essence of Christ and were conscious that this was what they were doing. For one thing, they were always conscious of their limitations as people coming after the Fall. In Sermones ad novicios, Thomas à Kempis advised the young brothers to start with practices. They should not worry if they did not feel pious immediately. Eventually, the practices would lead to the correct feelings. The Deventer Sister of the Common Life, Stijne Zuetelincks, is an example of how this worked. Fractious by nature, she was inclined to be annoyed when she was ordered to perform manual labour. Her father confessor, the Brother of the Common Life, John Brinckerinck, advised her to reply ‘gladly’ whenever she received orders. Eventually, she came to mean what she said.55 Furthermore, the new devouts certainly did not copy the extreme practices of the Desert Fathers as far as fasting was concerned. Surviving on three loaves 52 Vita Sanctae Euphrasiae [PL 73], col. 623–642. On Euphraxia as a model for sisters, see also

Anneke Mulder-Bakker, Heilige maagden aan de Maas, in: B. Ebels-Hoving, C. G. Santing en C. P. H. M. Tilmans (eds.), Genoechlicke ende lustige historiën: laatmiddeleeuwse geschiedschrijving in Nederland, Hilversum 1987, p. 121–140, there p. 130–134. 53 See, for instance, DV, f. 312v, and DV, 308v–316r, and Van den doechden, f. 33v–34r, p. 62– 63. 54 Thomas a Kempis, Sermones ad novicios, Sermon 3, 23. 55 Hier beginnen sommige stichtige punten, f. 91r–92v, 166.

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of bread for forty years, as some Desert Fathers reportedly did, was too much for ordinary human beings after the Fall. Rather, the sisters at Deventer and Diepenveen practised this form of asceticism by eating vile food. There was also room for adaptation to individual needs. For instance, when John Brinckerinck caught a young sister in the kitchen during Lent and asked her if she had been planning to eat, he gave her a loaf of bread, probably judging that she needed it.56 The habits at Windesheim were more lenient than those of the Sisters and, for that matter, the Brothers of the Common Life at Deventer. The brothers even ate meat on a regular basis. In a lengthy passage, Busch defended their customs, explaining that too much fasting could also lead away from God rather than towards Him, citing the examples of brothers who became obsessed with food because of hunger. Citing the biblical tale of the sons of Jonadab, who did not drink wine because their father had prohibited it, he stressed the real point of fasting: obedience to God.57 Often they combined practices advised by different Church Fathers. Busch provided an example in his life of the above-mentioned John of Kempen. After extolling the similarity of the previous Windesheimers to the Desert Fathers, he praised John for his learning and diligence in copying and editing books. Learning and love of books was not what the Desert Fathers were famous for: some of the most famous fathers, such as Saint Anthony, had refused to learn to read. Busch acknowledged the discrepancy between John and the Desert Fathers, but defended the former’s practice by asserting that some holy fathers and virtuous men had acquired a special talent for learning because of their excellent fervour.58 Interestingly, he does not mention Saint Augustine here, who was the prime example of this. Was this on purpose, because the connection would be obvious to Augustinian readers such as the Windesheim canons? Or did he not want to compromise his general theme, that his brothers were the new Desert Fathers? Like the Desert Fathers, the new devouts had to survive spiritually in a context where it was no longer possible to imitate Christ in the most obvious way, by dying for one’s faith. However, according to the biographers, this did not prevent certain brothers and sisters from actually rising to the martyr’s level. The sisterbook of Diepenveen provides quite a few tales of sisters who came into conflict with their parents over their wish to enter Diepenveen. They imitate virgin martyrs by staying true to their purpose despite the fact that the parents resorted to violence. For example, Elisabeth of Heenvliet’s mother sent knights to forcibly enter the convent and drag out her daughter. However, when the knights found 56

D. A. Brinkerink (ed.), De “vita Ioannis Brinckerinck” (in ms. n° 8849–8859 van de Koninklijke Bibliotheek te Brussel), in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis n. s. 1 (1902), p. 341–342. 57 Busch, De viris illustribus, c. 9, p. 18. 58 Busch, De viris illustribus, c. 35, p. 95.

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her, Elisabeth threatened to mutilate herself, in the best female martyr tradition. According to the sisterbook, in this she was similar to the convent’s patroness, Saint Agnes.59 Imitation of the martyrs did not need to be taken so literally. Some sisters and brothers took the opportunity to be like the martyrs when they contracted a long and painful illness in suffering it meekly. For instance, the Windesheim brother Gerlach Peters is compared to Saint Lawrence. Like the saint, who, famously, was roasted on a grill and asked his tormentors to turn him over, he kept his good humour despite the pain caused by bladder stones.60 The example of the Diepenveen sister Ave Sunderlants proves that physical suffering was not necessary. According to the sisterbook, her nature was very much inclined to carnality and she was hard pressed to turn it to God instead. Struggling continuously, she surpassed the martyrs, her biographer argues, as the martyrs only suffered during their passion, whereas poor Ave Sunderlants suffered throughout her life as her nature continued to trouble her.61 Occasionally, the new devouts’ adaptations appear to have catered both for new insights in the proper behaviour of the truly pious and to political expediency. According to a collection of dicta by prominent new devouts, Florens Rade­ wijns once said, ‘Flee woman’, using almost exactly the same words as Cassian did in De Institutis Conoebiorum, omitting, however, the second part of this statement, in which the Church Father advised that one also flee bishops.62 The new devouts always insisted on obedience to the ecclesiastical authorities, not least because they wanted to be different from some less orthodox adherents of the Poverty Movement, such as the Beguines.

Conclusion Each of the catalogues of Devotio Moderna libraries and the advisory lists by important adherents provide a random indication of preferred reading at a certain moment in time or for a certain target group. Zerbolt targeted religious women in particular. He advised simpler works than would be suitable for Latin readers. However, he recommended reading large parts of the Scriptures, provided they could be explained to simple people. Geert Grote’s list supposedly dates from the 59 60 61 62

DV, f. 278r, and Van den doechden, f. 76v–77r, p. 148. Busch, De viris illustribus, c. 55, p. 161. DV, f. 361v–362v. J. F. de Vregt, Eenige ascetische tractaten afkomstig van de Deventerse broederschap van het gemeene leven, in: Archief voor de geschiedenis van het aartsbisdom Utrecht 10 (1882), 1–178; Johannes Cassianus, De Institutis Conoebiorum, in: Jean Claude Guy (ed.), Institutions Conoebitiques, (Sources chrétiennes, 109), Paris 2001, p. 11, 18.

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1380s, although the earliest version, as noted by Thomas à Kempis, dates from the 1430–1450s, Busch’s catalogue from the 1450s, the Tabula from before 1510 but after 1494 (the first date of the Rosetum), the Registrum from the sixteenth century. In view of this, it is all the more striking that new devouts of different generations agreed so much on their preferred reading matter. This is also true when one compares the data from the lists with the edition of Devotio Moderna works and the occasional remarks in the biographies. In addition to Busch, the authors of the Diepenveen and Deventer sisterbooks tell us about certain sisters’ love for Saints Augustine or Bernard or mention works such as the Profectus. Both these sources and the reading lists confirm the prominence of the Desert Fathers, in addition to the legends of the martyrs. Moreover, as far as the Church Fathers were concerned, they concentrated on the four doctors—Saints Augustine, Jerome, Ambrose and Gregory the Great—, and Saint Bernard of Clairvaux and Saint Anselm of Canterbury. Saint Augustine was the most important Church Father, and Saint Gregory not far behind. Saint Augustine was their main source of inspiration for their view of humankind and how to improve their lot. As an author of their rules, for the Windesheimers he was ‘our father’. Less philosophical than Saint Augustine, Gregory the Great provided a more practice-oriented interpretation of Scripture and, often, also of Saint Augustine. As far as more recent authors were concerned, David of Augsburg, Bonaventure—pseudo or authentic—and Henry of Suso were always listed. As Devotio Moderna history progressed, authors from the movement itself became more important to the adherents, as is clear from the Tabula. Studying works by Grote, Radewijns and Zerbolt would still mean an immersion in the Bible and the Church Fathers because of the many references to these texts. Generally, the author of the Tabula appears to have felt that the works of the Church Fathers were best served in manageable pieces rather than in full, at least for beginners on the path to perfection. At the same time, he recommends that the Bible be read in full by novices who were at the highest level, which was unusual. Ordinarily, only the parts used in the choir were recommended. When working with biblical, patristic and hagiographical material, the new devouts were fully conscious of their limitations following the Fall. They aimed for a true imitation of Christ but knew themselves to stand in a long line of failed attempts. To avoid suffering the same fate, they studied the works and lives of his best imitators and of those who provided the correct interpretation of what His life entailed—Early Church saints, particularly the Desert Fathers and the martyrs, and the Church Fathers. In principle, all of the lives of the saints and the texts by the Church Fathers told the same tale: the Truth. Therefore, it was not considered problematical to make selections from this material and to combine texts by different authors to create texts such as rapiaria.

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Interpreting these texts, they developed a way of life which would consist of imitation of the Early Church saints, and through them Jesus Christ, which would be feasible to sinful people like themselves, living in a different context to that of the saints. This could lead to performances which, at first sight, were rather far from the original. However, the new devouts claimed that they imitated the essence of the original. One could be a martyr in fighting one’s sinful nature valiantly and determinedly, instead of suffering the extreme physical torment. described in the passions. One could be a Desert Father, when eating, of a Desert Father, as their rigid fasting regime did not work for all. Eventually, with God’s help one could even supersede these perfect imitators of Christ.

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Die Devotio Moderna als Medium und Element Abschlussbemerkungen über Arten der Annäherung an ein historisches Phänomen Bert Roest

Es ist eine Ehre, hier am Ende dieses Buches wie am Ende der Tagung den Schlusspunkt zu setzen und eine Zusammenfassung oder ein Fazit zu versuchen, womöglich mit einigen Perspektiven für weitere Forschungen. Im Verlauf der Tagung hat eine Menge von Spezialisten die Devotio Moderna erforscht als ein Vehikel der Erziehung und Selbstreflexion sowie auch als ein Instrument sozialen und kulturellen Transfers innerhalb grenzüberschreitender Regionen. Damit stand diese Veranstaltung in der Nachfolge jenes Workshops, der zuvor in Arnheim stattgefunden hat.1 Die Betonung des kulturellen Transfers innerhalb grenzüberschreitender Regionen ist ein sehr wichtiges Anliegen der heutigen Forschung: die Erkenntnis nämlich, dass viele soziokulturelle und religiöse Phänomene des Spätmittelalters eigentlich gar nicht im Rahmen der Geschichte des Nationalstaates erfasst werden können. Damit tragen wir der historischen vorstaatlichen oder vielstaatlichen Realität des Spätmittelalters Rechnung, und wir überwinden ebenfalls die alte historiographische Tendenz, Phänomene wie die Devotio Moderna für die Kennzeichnung spezifischer Charakterzüge einer Volksgemeinschaft zu benutzen.2 1

Ich möchte Dank sagen an Maarten van der Heijden und Iris Kwiatkowski, die den Text sorgfältig korrigiert haben. 2 Für moderne historiographische Perspektiven siehe: Hans P. Hye/Brigitte MazohlWallnig/Jan Paul Niederk (Hrsg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma ‚Nationalstaat‘ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, Wien 2009; David Abulafia/Nora Berend (Hrsg.), Medieval Frontiers: Concepts and Practices, Aldershot, Burlington, VT 2002; Robert Stein/Judith Pollmann (Hrsg.), Networks, Regions and Nations: Shaping Identities in the Low Countries, 1300–1650, Leiden 2010; Jörg Stadelbauer, Grenzen und grenzüberschreitende Regionen in der landeskundlichen Forschung, in: Wolfgang Homburger (Hrsg.), Grenzüberschreitungen: der alemannische Raum  – Einheit trotz der Grenzen?, Ostfildern 2012, S.  17–38; Wolfgang Wüst, Kommunikation, Wissenstransfer und grenzüberschreitende Lebenswelten, in: Roland Sturm (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen  – Brücken von Region zu Region, (Arbeitspapiere des Zentralinstituts für Regionalforschung, 5), Erlangen-Nürnberg 2002,

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Auf Grund der Sektionstitel des Programms hatte ich anfangs erwartet, dass die vier Vorträge der ersten zwei Sektionen die Verbreitungsformen der ­Devotio Moderna und typische Merkmale dieses Phänomens in ihrem Kerngebiet anschneiden würden. Ich war denn auch ein wenig überrascht, aber bald auch angetan, dass in diesen zwei Sektionen viel mehr über die Abwesenheit oder die nur sehr indirekte und vermittelte Anwesenheit der Devotio Moderna in Nachbarregionen (wie zum Beispiel in Ostfriesland), die Existenz von Alternativen gleichzeitlicher Modelle der religiösen Reform in verschiedenen Regionen Europas, wie zum Beispiel Böhmen, und das große Problem des Einflusses oder vielleicht besser der Einverleibung und Verarbeitung der Devotio Moderna, wie zum Beispiel in Spanien, gesprochen wurde. Im späteren Verlauf der Tagung wurden doch auch direkter die Merkmale der Devotio Moderna thematisiert oder besser problematisiert, zum Beispiel in Verbindung mit der Wissensvermittlung, der Buchkultur und dem Verhältnis zum Frühhumanismus. Zuerst will ich etwas über die Abwesenheit oder die indirekte und vermittelte Anwesenheit sagen. Es ist manchmal auch eine historiographische Aufgabe, Derartiges zu erklären, gerade wenn sich in Nachbargebieten dasselbe Phänomen weit verbreitet hat. Die komplexe Situation in Ostfriesland oder an der deutschen Nordseeküste und dem dazugehörenden Hinterland, präsentiert von Matthias Bley, zeigt, dass wichtige spätmittelalterliche Reformaktivitäten in dieser Region hauptsächlich von bestimmten Personen und von Klosternetzwerken außerhalb des Kreises der Devotio Moderna getragen worden sind, auch wenn verschiedene Historiker den Einfluss der Devotio Moderna als selbstverständlich hingenommen haben. Trotz der weitgehenden Abwesenheit von Bruderhäusern wurden dennoch mancherlei Kanäle des Einflusses und des Geistes der Devotio Moderna durch Behauptungen über Bildung, Literaturverbreitung usw. vorausgesetzt, bis zur Wegbereitung der Frühreformation. Bley konzentriert sich in der zweiten Hälfte seines Aufsatzes auf das Kloster Marienkamp/Ezingervelde, eine Gemeinschaft, die tatsächlich um 1420 an die Augustiner-Chorherren der mit der Devotio Moderna verbundenen Windesheimer Kongregation übergeben worden war, und über die ausnahmsweise noch interessante Quellentexte erhalten sind. Diese Fallstudie betont einerseits die Probleme, mit denen sich die neu eingetretenen Chorherren als wahrgenommene Fremde in ihrem direkten Umkreis konfrontiert sahen. Ihre Gemeinschaft litt sozusagen unter einem latenten Legitimationsdefizit. Anderseits sind die narrativen Informationen darüber Teil spezifischer Reformdiskurse und Klageschriften, S. 45–60; Hein Hoebink (Hrsg.), Europäische Geschichtsschreibung und europäische Regionen. Historiographische Konzepte diesseits und jenseits der niederländisch-deutschen/ nordrhein-westfälischen Grenze, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 18), Münster 2008.

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die sich nicht ohne Probleme historisch-referentiell lesen lassen. Insgesamt zeigt diese Fallstudie auch, wie wichtig es ist, formelle Ordens- oder Bewegungszugehörigkeit einer Gemeinschaft konkret lokal zu verankern, statt einfache ­Schlüsse aufgrund allgemeiner Merkmale der Bewegung an sich zu ziehen. Am Ende sollte der lokale Herr der halben Herrlichkeit und Burg von Oldersum, Ulrich von ­Dornum, Jahrzehnte nachdem er 1503 eine Klage beim Generalkapitel der Windesheimer Chorherren über Marienkamp eingereicht hatte, als Anhänger der neuen protestantischen Konfession die Anwesenheit und das Verhalten der Windesheimer Chorherren benutzen, um gegen die katholische Kirche zu argumentieren. Statt Wegbereitung der Frühreformation war die Devotio Moderna hier exemplarisch für den alten Katholizismus geworden. Es gibt Anlass zu behaupten, dass die Durchsetzung bestimmter Reform­ modelle und Ordenszugehörigkeiten immer sehr von lokalspezifischen Unterschieden abhängig war – wie Urbanisierungsgrad, historische Verwurzlung verschiedener monastischer Traditionen, das Auftreten zwingender Figuren und natürlich auch das Engagement der lokalen oder regionalen Behörden. Es zeigt sich auch, dass wir religiöse Gemeinschaften nicht nur aus der Sicht des Ordens und der religiösen Bewegung betrachten müssen für die Determinierung der religiösen Identität oder die Funktionalität der Gemeinschaft in und für die Umwelt, sondern dass die lokale Einbettung eigentlich viel wichtiger ist. Viele Beiträge dieses Buchs zeigen, dass unsere historische Bewertung des Einflusses der Devotio Moderna sehr von modernen Interpretationsmustern abhängig ist. Cornel Zwierlein hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Frage nach dem Vorhandensein des Erbes der Devotio Moderna in den Werken des Reformators Johannes a Lasco, des Reformators Ostfrieslands und Polens und der prägenden Gestalt der frühen proto-puritanischen Exulantengemeinde in London, auch davon abhängt, ob und wie wir seinen persönlichen Werdegang – so wie seine Freundschaft mit Hardenberg (der unbedingt enge Beziehungen mit den Brüdern des gemeinsamen Lebens in Groningen und Aduard hatte), seine Heiratswahl oder seine engen Beziehungen zum älteren Erasmus um und nach 1525, aber auch spezifische Themen innerhalb seiner theologischen Positionierung (wie seine Erörterungen über die christliche Gemeinschaft im Abendmahl) – mehr oder weniger zwangsläufig verbinden wollen mit Gemeinschaftsidealen der Devotio Moderna, vielleicht auch gegen ältere calvinistisch geprägte historiographische Tendenzen, die bemüht waren, Lascos protestantische ‚neuzeitliche Reinheit‘ zu akzentuieren.3

3

Über verschiedene heutige Interpretationsmuster dieses persönlichen Werdegangs siehe auch Henning P. Jürgens, Johannes a Lasko 1499–1560. Ein Europäer des Reformationszeitalters, Wuppertal 1999; Christoph Strohm (Hrsg.), Johannes a Lasco (1499–1560).

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Doktrinärtheologisch scheint Lasco sich allerdings am Anfang seiner protestantischen ‚Bekehrung‘, das heißt um 1542, an Oekolampad und (weniger) an Zwingli zu orientieren, und das zeigt sich auch in Lascos Verarbeitung Oekolampadischer und anderer zeitgenössischer Gedanken in seiner Abendmahlslehre. Insoweit anerkannte Vordenker der Devotia Moderna sich über die Kommunion ausgesprochen hatten, wie zum Beispiel Wessel Gansfort, war das wesentlich anders, und insbesondere ohne die Einsetzung einer Erwählungslehre, die eine Zentralfunktion im Denken Lascos und der anderer Reformatoren seiner Generation innehatte. In den Kernpunkten seiner theologischen Orientierung muss denn auch eine große Entfernung zwischen Lasco und der Devotio Moderna festgestellt werden. Dass eine solche Entfernung auch für die theologischen Kerngedanken von Albert Rizäus Hardenberg gilt, der allerdings eine nachweisbare biographische Reverenz und tiefe Hochachtung gegenüber den Vordenkern der Devotio Moderna vorwies und auch im Rahmen der Bildung sehr direkt an die Gedanken der Hauptpädagogen dieser Bewegung anknüpfte,4 muss uns moderne Historiker davor warnen, nicht forciert nach rein inhaltlicher Durchwirkung oder Nachwirkung zu suchen, selbst wenn geographische und zeitliche Nähe, alte Freundschaftsbeziehungen und eben intellektuelle Inspiration das nahelegen. Dazu möchte ich trotzdem bemerken – und das ist auch ein wenig in der Enddiskussion angeklungen – dass eine Bewegung wie die Devotio Moderna, zusammen mit verschiedenen anderen Kräften der normativen Zentrierung, am Ende des Mittelalters vielleicht eine religiöse Umwelt mit geschaffen hat, in der sich bestimmte Gedanken und religiöse Sensibilitäten entwickeln konnten, auch wenn wir diese Gedanken selbst nicht direkt oder nicht einmal indirekt vom Programm der Devotio Moderna ableiten können.5 Mit dem Aufsatz von Andreas Rüther über Mittel und Wege neuer Frömmigkeitskulturen im Königreich Böhmen haben wir den Blick weiter nach ­Osten gewendet. Im Vergleich  – etwas, das auch wieder in den Beiträgen über die ­Lollarden implizit oder explizit genannt worden ist – zeigt sich wiederum, dass wir die Devotio Moderna nicht isoliert betrachten dürfen. Sie hat sich synchron und im Austausch mit anderen Frömmigkeitskulturen und Observanzbestrebun-

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Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 14), Tübingen 2000. Cf. Th. Elsmann, Albert Rizäus Hardenberg und Molanus in Bremen: Zwei Humanisten im konfessionellen Zeitalter, in: Fokke Akkerman/Gerda C. Huisman (Hrsg.), Wessel Gansfort (1419–1489) and Northern Humanism, (Brill’s Studies in Intellectual History, 40), Leiden-Boston 1993, S. 195–209. Solche Elemente sind auch schon durch verschiedene Schüler von Oberman, wie Berndt Hamm und Robert Bast, erwähnt worden, die sich gleich auch kritisch zu den teilweise noch ziemlich perspektivistischen Annäherungen im Werk des Meisters verhalten.

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gen entwickelt. Bis vor kurzem war es gar nicht so offensichtlich, diese Synchronizität und die Nebeneinanderentwicklung innerhalb des spätmittelalterlichen Katholizismus zu thematisieren, da es natürlich immer verlockend gewesen ist, die Devotio Moderna zusammen mit dem böhmischen Hussitismus und dem englischen Lollardentum als Vorgänger der ‚eigentlichen‘ Reformation zu positionieren und den Sitz in der Welt des Spätmittelalters nur sparsam zu erkunden. Wir können dabei zum Beispiel an die Repräsentation der Devotio Moderna durch Albert Hyma denken, der zusätzlich die Devotio Moderna auch noch zum Vater des Christlichen Humanismus gemacht hat.6 Kaspar Elm hat uns gezeigt, dass solche linear-teleologischen Betrachtungen historisch weniger Sinn haben als der Versuch, die Gleichzeitigkeit und die Auseinandersetzung von innereuropäischen Reformbestrebungen verschiedener Art in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters zu umfassen und zugleich danach zu fragen, wie diese verschiedenen Reformbestrebungen in Konfrontation mit einer Vielzahl von Umgebungsfaktoren religiöse Traditionen und Ideale zur Geltung gebracht haben.7 Die Devotio Moderna wird damit in historischer Sicht einerseits eine wichtige Alternative zur Observanz innerhalb der großen religiösen Orden Europas, aber andererseits auch ein Muster für die Weise, in der die Religiosität der Laien und gesellschaftsbezogener Kleriker sich auszudrücken versucht hat; und das gerade in dem Moment, in dem die Kirche sich immer mehr bemüht hat, das Semi-Religiosentum zu kanalisieren und in Regeln zu fassen.8 Man muss anerkennen, dass verschiedene ausgeprägte Lebensideale der Devotio Moderna einerseits eine Resonanz weit über das Kerngebiet der Bewegung hinweg gehabt haben, aber dass zugleich diese Tiefenwirkung nicht einfach als ‚Einfluss‘ beschrieben werden kann. Zurück zu Andreas Rüther. Er hat uns eingeführt in die Frömmigkeitskulturen im Königreich Böhmen seit Karl IV., und in das Problemfeld des sich entfaltenden Hussitismus. Er hat dabei angeknüpft an das, was Kaspar Elm und seine Nachfolger als allgemeine Merkmale der ‚neuen‘ Frömmigkeit des späteren vierzehnten Jahrhunderts skizziert haben: nämlich die Betonung des Schriftwortes 6 Albert Hyma, The „Devotio Moderna“: Or Christian Renaissance (1380–1520), Grand

­ apids 1924/Archon Books 1965; Albert Hyma, The Brethren of the Common Life, R ­Michigan 1950. 7 Kaspar Elm, Verfall und Erneuerung des Ordenswesens im Spätmittelalter. Forschungen und Forschungsaufgaben, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 68/Studien zur Germania Sacra, 14), Göttingen 1980, S. 188–238; Kaspar Elm (Hrsg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, (Berliner historische Studien, 14/Ordensstudien, 6), Berlin 1989. 8 Siehe dazu auch den bald erscheinenden Aufsatz von Alison More: „New“ Orders and the Dynamics of Innovation, in: James Mixson/Bert Roest (Hrsg.), Observant Reform in the Later Middle Ages and Beyond, Leiden 2014.

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und der Kirchenväter, eine anwachsende Kritik an Heiligenverehrung und liturgischer Feierextravaganz, das Bedürfnis nach einer mehr persönlichen und mehr theologisch ausgeprägten Religiosität in Zusammenhang mit einer intensivierten Passionsfrömmigkeit und zugleich einer Vorliebe für gemeinsame, auf die Passion gerichteten Gebetsübungen.9 Dabei hat Rüther die Anfänge der böhmischen Reformbewegungen in die komplexe Transformation und die Vermischung eher altkirchlicher religiöser Phänomene mit einer Serie von spirituellen, pastoraltheologischen, ekklesiologischen und pädagogischen Neuerungen im Schatten des Hofes Kaiser Karls IV. situiert. Rüther hat uns mitgeführt in die komplexe Entwicklung einer mehr böhmisch ausgeprägten (und weiter mitteleuropäischen) Frömmigkeitstheologie bis ins sechszehnte Jahrhundert, und ihre auf conversio zielende pragmatische Schriftlichkeit, mit der Predigt als dem entscheidenden Medium. Darin spielte auch die Konfrontation mit hussitischen Umwälzungen und die damit verbundene Exilwelle geflüchteter Geistlicher und vertriebener Klosterleute in die böhmischen Nebenländer eine wichtige Rolle, auch für die Disseminierung homiletischer Materialien und die Durchsetzung der Klosterobservanz und die damit verbundene monastische Reformchronistik. Es war eine Frömmigkeitstheologie, die endlich im 15. Jahrhundert auch verschiedene Klassiker der eigentlichen Devotio Moderna rezipiert hat, aber die eine eigene Dynamik zeigte und sich auch mit einer anderen, mehr höfisch organisierten Unterstützung entwickelte. Das alles ruft wiederum die Frage hervor, wie die verschiedenen Reformbemühungen in Europa, die im Laufe des 14. Jahrhundert begonnen haben, zu vergleichen sind, um statt einer teleologischen, einflussphilologischen Bewertung die Vielspurigkeit der ‚neuen‘ Frömmigkeit als europäisches Phänomen unterschiedlicher Ausdrucksmöglichkeiten zu verstehen. Anschließend hat Martin Biersack uns über die Rezeptionsbedingungen der Devotio Moderna in Spanien unterrichtet. Sein Beitrag hat viele Zusammenhänge aufgeklärt über die Reformtätigkeit der Erzbischöfe und königlichen Beichtväter Hernando de Talavera, Francisco de Cisneros und Diego de Deza, in Verbindung mit den unifizierenden Reformprogrammen der katholischen Könige und der Durchsetzung der Franziskanischen Observanz. Er hat auch über das Problem des postulierten Einflusses der Ideale der Devotio Moderna in Spanien gesprochen, sowohl für die Ausprägung der katholischen Reform am Ende des 15. Jahr9 Kaspar Elm, Die „Devotio moderna“ und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittel-

alter und früher Neuzeit, in: Marek Derwich/Martial Staub (Hrsg.), Die neue Frömmigkeit in Europa im Spätmittelalter, Göttingen 2004, S. 15–29; Kaspar Elm, Vita regularis sine regula. Bedeutung, Rechtsstellung und Selbstverständnis des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Semireligiosentums, in: František Šmahel/Elisabeth Müller-Luckner (Hrsg), Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter, (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 39), München 1998, S. 239–273.

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hunderts als auch für spätere Entwicklungen, wie zum Beispiel die Entfaltung der frühen Jesuitenspiritualität. Wichtige Vermittlungsfiguren, wie der Benediktiner García de Cisneros, sind am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts durch ihre Reisen nach Nordfrankreich mit den Schriften verschiedener Vertreter der Devotio Moderna konfrontiert worden und brachten bedeutende Werke von Autoren der nordischen Spiritualität und Mystik mit nach Spanien. Im Gegensatz zu einer historiographischen Tendenz, die seit dem Erscheinen von Bataillons Érasme et l’Espagne10 eigentlich immer sehr dominant geblieben ist, verneint Biersack trotzdem eine exzeptionelle Katalysatorrolle für die Texte der Devotio Moderna. Vielmehr muss man sagen, dass diese Texte schnell rezipiert und benutzt werden konnten, begünstigt durch die Entfaltung schon lange existierender, teilweise observantisch angehauchter Reformprogramme mendikantischen und hieronymitischen Ursprungs und durch die Existenz eines gut entwickelten Feldes devotioneller Werke, einschließlich einer Menge pseudobonaventuraischer und eher einheimischer spanisch-franziskanischer Texte. Solche Texte ließen sich gerade durch eine gemeinsame Abhängigkeit von denselben devotionellen Quellen gut mit dem Programm der Devotio Moderna verbinden. Außerdem profitierte die Dissemination neu importierter Werke vom deutlich erweiterten Leserkreis, bereitgestellt durch die gesellschaftliche Durchsetzung der Observanz und die verbreitete städtische Bildungsinitiative seit dem späteren fünfzehnten Jahrhundert. Den Lebensidealen der Anhänger der Devotio Moderna  – ihrer Benutzung der patristischen und mittelalterlichen Traditionen, ihrer Ausnützung und Umgestaltung religiöser Lebensmodelle –, aber auch ihrer Geltendmachung für sich und für die Welt kann man sich nicht annähern, ohne über Wissensvermittlung, kulturellen Transfer und die besonders intensive Textbenutzung innerhalb der Bewegung zu reden. Wie wir alle wissen, hat – wie auch zum Beispiel die frühe Franziskanische Observanz – die Devotio Moderna anfänglich dominante Formen der formellen klerikalen Erziehung bezweifelt. Gleichzeitig hat die Devotio Moderna fast von Anfang an Lesen und Schreiben für die Ausbildung der religiösen Person und für die Schöpfung textueller Gemeinschaften genutzt.11 10 Marcel Bataillon, Érasme et l’Espagne. Recherches sur l’histoire spirituelle du XVIe

siècle, Paris 1937.

11 Zum Stellenwert von Bildung und Büchern in der Franziskanischen Observanz siehe zum

Beispiel auch Eva Schlotheuber, Bildung und Bücher. Ein Beitrag zur Wissenschaftsidee der Franziskanerobservanten, in: Dieter Berg (Hrsg.), Könige, Landesherren und Bettelorden. Konflikt und Kooperation in West- und Mitteleuropa bis zur frühen Neuzeit, (Saxonia Franciscana, 10), Werl 1998, S. 419–434, und den bald erscheinenden Aufsatz von Pietro Delcorno: The Observant Efforts on Education and Moral Formation, in: James Mixson/Bert Roest (Hrsg.), Observant Reform in the Later Middle Ages and Beyond, Leiden 2014.

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Ganz am Anfang der Tagung ist dabei auch die ästhetische Komponente einbezogen worden. Dieter Scheler machte in seinem Einführungsvortrag darüber einige interessante Bemerkungen, indem er die Haltung innerlicher Demut im Vergleich mit den Statuten von Louis de Blois für das Kloster Liessies erörterte. Er schlug vor, die durch die Devotio Moderna kultivierte Korrespondenz zwischen innerer Einstellung und äußerer Haltung – im Grunde ein traditionelles monastisches Erziehungsparadigma, das wir zum Beispiel auch in den Schriften der Viktoriner und bei Franziskanern wie David von Augsburg thematisiert sehen – als eine Art von Lebens- oder Gestalt-Ästhetik zu betrachten. Damit kann man die Frage stellen, ob ein geeigneter Stil des devotionellen Lebens in den von der D ­ evotio geprägten religiösen Gruppen gepflegt wurde. Scheler hat dabei das Benediktinerkloster Liessies unter seinem Abt Louis de Blois als aufschlussreichsten Fall der Verbindung von devoter Spiritualität und ästhetischer Haltung unter Einfluss der Devotio Moderna vorgestellt. Er betonte, dass gerade zu jenem Zeitpunkt  – wir reden von 1539  –, laut Arbeiten der Renaissance­historiker die humanistischen Bildungsideale solche Haltungsthemen ‚neu‘ betont hätten. Statt solcher gleichzeitiger humanistischer Muster griff Louis zurück auf die Windesheimer Statuten der Devotio Moderna und die Empfehlungen von Thomas von Kempen, die von der gemessenen Bewegung der Augen, Körper und Hände und dem Vermeiden jeder Unruhe redeten. Diese Orientierung bedeutet natürlich nicht genaue Nachahmung. In den Schriften von Louis kann man eine Akzentverschiebung oder Modernisierung sehen, hin zu Schönheit und maßvoller Diesseitigkeit. Aber es wäre ein Fehler, darin einfach den Einfluss eines christlichen Humanismus zu sehen. Demgegenüber drängt sich die Frage auf, wie auch ein Erasmus Elemente solcher schon existierender Gemessenheit in seine Humanismus­pädagogik einverleibt hat, natürlich ohne Anerkennung (weil die Humanisten doch alles neu erfunden haben).12 Wenn wir zurückgehen zum Leseprogramm und zur Rolle der Bücher in den Gemeinschaften, dann müssen wir sagen, dass die Devotio Moderna mit Rückgriff auf zum Teil monastische transformative Lese- und Schreibtechniken eine große Rolle in der Selbstverständlichkeit einer schriftlich gesteuerten religiösen Selbstentfaltung gespielt hat.13 Darin war die Devotio Moderna natürlich nicht allein. Vergleichbare Entwicklungen können wir auch in anderen religiösen Gemeinschaften wahrnehmen, wie zum Beispiel den italienischen und deutschen 12 Siehe für die Tendenz eines Humanisten wie Erasmus, seine Arbeit als etwas völlig Neues

darzustellen, zum Beispiel auch den Anfang des Enchiridion Militis Christiani. Desiderius Erasmus, Collected Works of Erasmus LXVI, Toronto/Buffalo/London 1988, S. 9. 13 Vgl. Nikolaus Staubach, Die Devotio moderna als Textgemeinschaft, in: Angelika ­Lehmann-Benz/Ulrike Zellmann/Urban Küsters (Hrsg.), Schnittpunkte. Deutsch-niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 5), Münster 2003, S. 19–40.

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Klarissen und Dominikanerinnen der Observanz im 15. und 16.  Jahrhundert.14 Die Devotio Moderna hat gewiss in den Niederlanden und dem benachbarten deutschen Gebiet eine Rolle in der Formung der Laiengesellschaft gespielt und damit vielleicht die Voraussetzungen für eine mehr gemeinsame Respublica litte­ ra­rum devotionalium geschaffen. Dabei muss sicher auch die intensive Beschäftigung der Bewegung mit dem Schulunterricht berücksichtigt werden. Verschiedene Aspekte dieser schriftlich gesteuerten religiösen Selbstentfaltung sind auch auf dieser Tagung zum Ausdruck gekommen, speziell in dem Beitrag von Mathilde van Dijk, und auf eine ganz andere Weise in dem von ­Ulrike Hascher-Burger. Es betrifft wiederum ein Phänomen, das sich gut für ergänzende vergleichende Untersuchungen eignet, speziell im Rahmen der ‚­gelehrten‘ Observanz in spätmittelalterlichen Frauenklöstern von Dominikanerinnen, ­ Franziskanerinnen und Tertiarinnen. Mathilde van Dijk hat die Verwertung der Texte in der Windesheimischen Kongregation aufgrund verschiedener Kataloge und ratgebender Bücherlisten thematisiert. Sie hat festgestellt, dass die Windesheimer neben der Bibel überwiegend Auszüge der Wüstenväter lasen und dazu die Werke Augustins, Gregors des Großen, Vitae und nur einige eher ‚moderne‘ Autoren, wie Hugo und R ­ ichard von Sankt Viktor, Bernard von Clairvaux, David von Augsburg, Bonaventura, Heinrich Seuse, und natürlich Geert Grote, Florens Radewijns und Thomas von Kempen. Die letzten drei Schriftsteller griffen sehr stark auf die Väter und die monastische Tradition des Hochmittelalters zurück. Obendrein ist zu bemerken – und das kann man gut bei Johannes Busch nachlesen – dass die Väter, Vitae und andere mittelalterliche Autoren hauptsächlich gelesen wurden, um alternative Modelle für eine geeignete Imitatio Christi zu erhalten, im Unterschied zu der ‚gewagten‘ herumreisenden Variante der Bettelorden. Sehr dominant war die Idee, dass die Anhänger der Devotio Moderna das Leben der Wüstenväter imitieren sollten. Und Lesen war dabei kein Zweck an sich, sondern ein Instrument, und nur solche Bücher sollten gelesen werden, die nützlich für den spirituellen Fortschritt waren. Das bedeutete auch einen Verzicht auf potentiell gefährliche theologisch-spekulative Werke. Und Lesen war immer Teil eines größeren Programms von liturgischen Handlungen, Übungen und poeni14 Marie-Luise Ehrenschwendtner, Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutsch-

land vom 13. bis 15. Jahrhundert, (Contubernium, 60), Stuttgart 2001; Eva Schlotheuber, Bücher und Bildung in den Frauengemeinschaften der Bettelorden, in: Eva Schlotheuber/ Helmut Flachenecker/Ingrid Gardill (Hrsg.), Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland, Göttingen 2008, S.  241–262. Für die Niederlande siehe auch: Thérèse de Hemptinne, Reading, Writing, and Devotional Practices: Lay and Religious Women and the Written Word in the Low Countries (1350– 1550), in: Th. de Hemptinne/M. E. Góngora (Hrsg.), The Voice of Silence. Women’s Literacy in a Men’s Church, (Medieval Church Studies, IX), Turnhout 2004, S. 111–126.

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tentieller Arbeit (einschließlich Abschreibarbeit und Herstellung von rapiaria).15 Die Vorbilder und Sprüche der Väter, gesammelt in rapiarischen Florilegien, lieferten sozusagen, die ‚Lieux de mémoire‘, um die Imitatio Christi meditativ, aber auch praktisch auf eine zeitgemäße Weise zu verwirklichen. Dabei hatten die Väter eine doch typische traditionell-mittelalterliche Autorität: Der Gedanke einer absoluten Concordantia Patrum war noch sehr stark. Ulrike Hascher-Burger hat danach einen, soviel ich weiß, noch ziemlich unerforschten Problembereich berührt, nämlich die Benutzung der Musik als Informationsträger über die Praxis der Meditation im Umkreis der Devotio Moderna. Viele geistliche Lieder der Devotio Moderna sind überliefert, und oft in unmittelbarem Zusammenhang mit normativen Meditationstexten. Deshalb können wir solche Lieder nutzen, um Informationen über die konkrete Realisierung des spirituellen Lebens der Devotio Moderna zu erhalten. Historiker können sie als Brücke zwischen normativen Meditationsanleitungen und persönlicher Meditation interpretieren, gerade weil Musik als Katalysator für eine affektiv erfahrbare Frömmigkeit fungierte. Hascher-Burger hat in diesem Zusammenhang einen gendertypischen Unterschied postuliert. Sie hat analysiert, wie die Lieder aus oder für Schwesternhäuser der Devotio Moderna die Identifikation mit Maria und die Funktion der sorgenden Mutter zentral gestellt hätten – vielleicht auch im Kontext des Umgangs mit hölzernen Christkindfiguren in der Weihnachtzeit– während die Lieder aus männlichen oder für männliche Gemeinschaften sich dem Christuskind vornehmlich als Schöpfer und Weltherrscher annäherten.16 Das führt mich zu der Frage (die natürlich auch schon im Beitrag von ­Hascher-Burger teilweise thematisiert worden ist), ob wir es hier wirklich mit einer ausgeprägten genderspezifischen Problematik zu tun haben, stark gesteuert von durch Beichtväter auferlegten Interpretations- und Erfahrungsmustern und von der zunehmenden Ausschließung der Frauen von der vernunftmäßigen Gotteserkenntnis, oder mehr spontan adoptiert, in Verbindung mit einer Identifizierung mit Maria als Mutter. Das letztere ist möglich, da Nonnen der Windesheimer laut Wybren Scheepsma ihre eigenen Meditationsprogramme in erster Linie selbst zusammengestellt haben und nicht völlig abhängig waren von Meditations15 Siehe auch Mathilde van Dijk, Disciples of the deep desert: Windesheim biographers

and the imitation of the desert fathers, in: Jitse Harm Fokke Dijkstra/Mathilde Van Dijk (Hrsg.), The Encroaching Desert: Egyptian hagiography and the Medieval West, (Church History and Religious Culture, 86, 1–4), Leiden 2006, S. 257–280. 16 Wir haben es eigentlich mit einem multisensorischen, performativ erfahrenen Erleben zu tun. Vgl. Kirsten M. Christensen, Unsichtbare Visionen sichtbarer Frauen. Visualisierungsstrategien in den Texten mittelalterlicher Mystikerinnen nach 1200, in: Horst Wenzel/C. Stephen Jaeger (Hrsg.), Visualisierungsstrategien in mittelalterlichen Bildern und Texten, Berlin 2006, S. 213–224, hier S. 221.

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traktaten der Theologen aus Kreisen der Devotio Moderna, wie Mauburnus und Gerard Zerbolt van Zutphen.17 Die aufgeführten Vorbilder suggerieren, dass wir der musikalischen Spiritualität der Frauen eine größere oder zumindest andere emotionale Qualität beizumessen haben. Um das wirklich herauszufinden, müssen wir die spätmittelalter­ liche musikalische Produktion der Frauen in großem Umfang erforschen. Es wird auch immer deutlicher, dass die weibliche kompositorische Aktivität des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit erheblich war und viel zu lange vernachlässigt wurde. Hier ist es vielleicht erwähnenswert, dass gerade jetzt, folgend auf die Publikationen Albrecht Classens, mehr und mehr Historiker (und nicht nur Musikwissenschaftler) die wichtige Position der didaktischen und religiösen Musik für die gesellschaftliche Verarbeitung religiösen und moralischen Wissens, sicher auch im Kontext der Frauengemeinschaften, hervorheben.18 Die Devotio Moderna war immer sehr kritisch in Hinsicht auf die vielen Missstände innerhalb der Kirche. Eine dieser Missstände betraf die Simonie, ein wichtiges Thema gerade im Denken von Geert Grote, der dieses in mindestens drei Abhandlungen zentral gestellt hat. Koen Goudriaan hat eine davon in den Mittel­ punkt seiner Präsentation gerückt, nämlich den auf Niederdeutsch geschriebenen, aber mit einem lateinischen Titel edierten Traktat De simonia ad beguttas. Grundsätzlich betrifft es, wie Goudriaan argumentiert, drei einzelne Traktate, anfänglich geschrieben für verschiedene religiöse Frauengemeinschaften. Sehr interessant ist, dass am Ende dieser Traktate religio nicht nur als ordo, sondern auch als Tugend verstanden wird. Damit konnte Geert Grote zum Beispiel auch zeigen, dass die Beginen, obwohl in engerem Sinne keine Religiosen, doch religiös lebten und deshalb auch betroffen waren vom Vorwurf der Simonie, weil Simonie ein Verstoß gegen die religiösen Tugenden war. Diese Auffassung, verbunden mit einem starken Nachdruck auf das individuelle Gewissen, ermöglichte es Geert Grote auch, eine potentiell radikale Ekklesiologie zu entwickeln, die sehr kritisch der institutionellen Kirche gegenüber war. Zugleich wird aber deutlich, dass Grote die Jurisdiktion der Kirche und auch die institutionelle Hierarchie und eben den Reichtum der Kirche als Institution nicht in Frage stellte. Vergleichbare Simonie-Auffassungen sind im Lollardentum und insbesondere im 17 Wybren Scheepsma, Deemoed en devotie: de koorvrouwen van Windesheim en hun ge-

schriften, (Nederlandse literatuur en cultuur in de Middeleeuwen, 17), Amsterdam 1997, S. 90. 18 Albrecht Classen, ‚Mein Seel fang an zu singen.‘ Religiöse Frauenlieder des 15.–16. Jahrhunderts. Kritische Studien und Textedition, Louvain 2002. Für die Stellung der Musik in Klarissenklöstern siehe zum Beispiel Klára Mészárosova, Klarissen und Musik  – nach historischen Quellen aus dem Preßburger und Tyrnauer Kloster, in: Ladislav Kačic (Hrsg.), Plaude turba paupercula. Franziskanischer Geist in Musik, Literatur und Kunst, Bratislava 2005, S. 163–175.

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Denken Wyclifs verbunden worden mit fundamental anderen Ausgangspunkten, inklusive einer radikalen Ablehnung der institutionellen Kirche. Dieser Unterschied erklärt vielleicht auch, neben einer Vielfalt von kontingent-historischen Umständen, warum die Devotio Moderna eine für die spätmittelalterliche Kirche glaubwürdige Erneuerungsbewegung war. Es zeigt auch wiederum, dass man die Devotio Moderna nicht als einen protoreformatorischen Fremdkörper innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche betrachten darf.19 Überraschend war es, im anschließenden Aufsatz von Fiona Somerset Argu­ mente über die Ähnlichkeiten zwischen den Lollarden und dem Reformprogramm der Devotio Moderna zu lesen. Alle Aufmerksamkeit war immer auf die lollardische Ablehnung der Kernpunkte des spätmittelalterlichen Katholizismus, inklusive seiner devotionellen Aspekte, gerichtet, womit das Lollardentum gleich im Gegensatz zum katholischen Glauben gesehen wurde. Wenn man die Lollarden­bewegung dagegen als eine religiöse Bewegung betrachtet, in der ihre Anhänger eine Art Perfektion des religiösen Lebens suchten, und als eine Bewegung mit pädagogischen Zielen zur Förderung des religiösen Lebens von Laien, gibt es dagegen Anhaltspunkte zum Vergleich mit anderen Bewegungen, auch solchen, die sich, wie die Devotio Moderna, innerhalb der Kirche entwickeln konnten und nicht von Anfang an mit Verfolgung konfrontiert wurden.20 Dafür muss das historiographische Erbe, das es uns so schwierig macht, die Lollarden als eine religiöse Bewegung mit möglich ‚orthodox‘ pastoralen Zielen sehen zu können, zwischen Klammern gesetzt werden. Wenn man das tut und nicht immer nur nach dem Ketzerischen sucht, so betont Somerset, dann zeigt sich zum Beispiel, dass viele Lollarden neben ihren klandestinen Zusammenkünften sich auch in ihren katholischen Pfarrgemeinden aktiv einsetzten, dass viele Lollarden neben verbotenen ‚typischen‘ Lollardentexten auch andere ­Texte des Religionsunterrichts lasen, und dass auch verschiedene ihrer Schriften in katholischen Kreisen zirkulieren konnten, gerade weil die spirituelle und devotionelle Botschaft eine breite Anziehungskraft hatte. Somerset analysiert Kernaspekte dieses lollardischen spirituellen und devotionellen Programms anhand von unterschiedlichen Quellen, und dabei zeigt sich, dass sich dieses Programm eigentlich teilweise sehr gut mit dem textuellen Erbe und dem spirituell-pädagogischen Programm der Devotia Moderna vergleichen lässt.

19 Das ist natürlich auch ein wichtiges Thema in John H. van Engen, Sisters and Brothers

of the Common Life: The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, ­Philadelphia 2008. 20 Verschiedene dieser Gedanken sind weiterentwickelt in: Fiona Somerset/Jill C. Havens/ Jill C. Derrick/G. Pitard (Hrsg.), Lollards and Their Influence in Late Medieval England, Woodbridge 2003.

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Wenn man über so ein Programm redet, redet man sehr konkret über Aspekte der Wissensvermittlung und des kulturellen Transfers. Gerade diese Sachverhalte sind speziell von Michael Oberweis und Iris Kwiatkowski thematisiert worden. Oberweis hat dabei die kulturellen und spirituellen Bindungen zwischen den niederrheinischen Kreuzherren und der Devotio Moderna für die Periode nach etwa 1410 analysiert, eine Periode, in der die Observanz ein Goldenes Zeitalter des Kreuzherrenordens einleitete. Iris Kwiatkowski hat konkret die Rezeption der Devotio-Literatur im Rahmen kartäusischer Schreib- und Übersetzertätigkeit untersucht. Oberweis hat uns ein Empfehlungsschreiben des Generalpriors Helmicus Amoris von 1425 präsentiert. Dieses Schreiben berichtet, dass die observanten Klöster der Kreuzherren viele Leute aufgenommen haben, die in den Häusern der Devotio Moderna die ersten Schritte auf dem Weg zu einem besseren Leben gemacht hatten. Es ist ein Kompliment für die Devotio Moderna, aber es kann auch als eine Rhetorik der Selbstvergewisserung und des Selbstlobs im Dienst des observanten Reformprogramms der Kreuzherren gelesen werden, das sich seit 1410 im Rahmen prägnanter kirchenpolitischer Ereignisse regional unterschiedlich entwickelte, wobei in Westfalen, im Rheinland und in den Niederlanden eine Welle von Neugründungen stattfand.21 Die Verbindung zwischen den Verschiebungen im Kreuzherrenorden im Kontext der Observanz und der Anwesenheit der Devotio Moderna ist mehrmals thematisiert worden, wobei Historiker auf unterschiedliche Weise entweder Zusammen­arbeit, Einfluss oder eine wesentliche Parallelentwicklung akzentuiert haben, weil einige Historiker, wie Pieter van den Bosch, eben den Einfluss der Kreuzherren auf die Devotio Moderna postulieren. Für Oberweis, anknüpfend an Kaspar Elm, bietet das Modell einer fruchtbaren Zusammenarbeit die bessere Erklärung, und er versucht kurz zu konkretisieren, inwieweit die Kreuzherren sich wirklich viele Leute einverleibt haben, die zuvor in den Schulen der D ­ evotio Moderna geformt worden sind. Zudem hat er die Verwandtschaft zwischen der Schriftkultur der observanten Kreuzherren und der Schriftkultur der Devotio Moderna aufgezeigt, aber zugleich die Verwandtschaft mit der Kartäuserspiritualität und mit der Buchkultur in letzterem Orden betont. Damit können wir das Bewusstsein einer gemeinsamen oder zumindest vergleichbaren Schrift- und Buchkultur in den verschiedenen Reformbewegungen des Spätmittelalters in 21 Die wichtige Rolle der geistlichen Ritterorden im Spätmittelalter, speziell im nordeuropäi-

schen Raum, wird jetzt endlich richtig eingeschätzt. Siehe zum Beispiel: Roman Czaja/ Jürgen Sarnowsky (Hrsg.), Selbstbild und Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden, (Ordines militares, 13), Torún 2005, und Roman Czaja/Jürgen Sarnowsky (Hrsg.), Die Rolle der Schriftlichkeit in den geistlichen Ritterorden des Mittelalters: Innere Organisation, Sozialstruktur, Politik, (Ordines militares, 15), Torún 2009.

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Nordwest-Europa feststellen.22 Die Frage nach dem Einfluss ist dabei eigentlich weniger interessant (und zum Teil auch unbeantwortbar) als die Prüfung der tatsächlichen wechselseitigen Wissensvermittlung und der Flexibilität, mit der Individuen in den unterschiedlichen religiösen Nachbarbewegungen Texte und Textsammlungen konstituiert (und rapiarisiert) haben mit jedenfalls homologen religiös-pädagogischen Absichten, jedoch mit Erhaltung der erlebten Ordensidentität. Vergleichbare Themen stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Iris Kwiat­ kowski, die sich auf die Erbauung und die Predigt der Kartäuser durch das Medium der Schrift konzentriert. Schon in den ältesten Konstitutionen der Kartäuser nahm das Schreiben eine zentrale Stellung ein. Wir können darin eine Übereinstimmung mit dem Schreibprogramm der Devotio Moderna sehen. Das ist an sich nicht überraschend, auch weil es alte Verbindungen zwischen der Devotio Moderna und den Kartäusern gab: Geert Grote war schon maßgeblich geprägt durch die Bücher, die er in Kartäusergemeinschaften aufgefunden hatte, und er hat während seines zeitweiligen Aufenthalts in der Kartause Monnikhuizen bei Arnhem zwischen 1374 und 1379 Werke der Kartäuser übersetzt. Trotzdem war die Schreibtätigkeit der Kartäusermönche, wie man oft sagt, primär auf die Erbauung der Mönche innerhalb der Klausur gerichtet, während die Devotio ­Moderna die Schreibtätigkeit immer auch auf die Belehrung der anderen gerichtet hatte: Schreiben als Apostolat. Kwiatkowski kompliziert das Bild, wenn sie zeigt, wie zum Beispiel die Kölner Kartäuser schon früh die Möglichkeiten der Buchdruckkunst für die Produktion religiöser Bücher genutzt haben, in Widerspruch zum asketisch-spirituellen monastischen Adagium vom Bücherschreiben als wichtiger Art der körperlichen Arbeit (corporeus labor). Gerade die Kölner Kartäuser hatten kein Problem, das neue Medium zu nutzen, um mit Büchern die Außenwelt zu erreichen. Es zeigt sich auch, dass im 15. Jahrhundert verschiedene Kartäuser Übersetzungen spiritueller Literatur angefertigt haben, und zwar nicht nur für die religiösen Bedürfnisse der eigenen Laienbrüder, sondern auch für ein weiteres weltlich-laikales Publikum.

22 Für die Devotio Moderna scheint jetzt Thomas Kock, Die Buchkultur der Devotio mo-

derna: Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels, Frankfurt am Main/Berlin/Bern 1999, ein Startpunkt zu sein. Siehe auch die schon erwähnte Arbeit von Wybren Scheepsma, Deemoed en devotie (wie Anm.  17) und L. S. ­Wierda, Moderne devoten en hun boeken: enkele observaties betreffende de boekproduktie bij Windesheimers en fraters, in: A. J. Hendrikman et al. (Hrsg.), Windesheim 1395–1995: kloosters, teksten, invloeden, (Middeleeuwse studies, 12), Nij­megen 1996, S. 98–127; Annette Maria Bollmann, Frauenleben und Frauenliteratur in der Devotio moderna. Volkssprachige Schwesternbücher in literarhistorischer Perspektive, s. l. [Groningen] 2004.

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Auch Werke der Devotio Moderna sind für diesen Zweck verwendet worden. Die Übersetzungsarbeit der Kartäuser hat also auch zur Verbreitung des spirituellen Gedankenguts der Devotio Moderna beigetragen, wie die Schreibtätigkeit der Devotio schon Aspekte der Kartäuserspiritualität verbreitete. Schließlich erwähnt Kwiatkowski auch, dass wir viele materielle Erscheinungen des Buches und der Schriftlichkeit, die wir gewöhnlich mit der Devotio Moderna verbinden, auch in spätmittelalterlichen Kartäuserklöstern vorfinden können, wie zum Beispiel das Phänomen des Rapiariums, ein Genre der Mischung, das auch schon durch Oberweis im Rahmen der Kreuzherrenorden betont worden war. Gibt es denn noch einen richtigen Unterschied? Und war die Buchkultur der Devotio Moderna selbst wirklich so direkt auf die Außenwelt gerichtet, wie in der Literatur beschrieben wird?23 Hat das ‚eigentliche‘ Kartäuser-asketische Schreibideal für Selbsterbauung nicht auch in der Devotio Moderna eine wichtige Rolle gespielt? Ich werde das mit Kwiatkowski bestätigen, aber zugleich wiederum in diesem Kontext auf die Beziehung zwischen Schultätigkeit und Schrifttätigkeit eingehen, um gerade dort nach Spuren der Unterscheidung– da wir das trotzdem machen wollen – zu suchen. Diese Schultätigkeit und die damit verbundenen Beziehungen mit dem intellektuellen Leben und den Wissenschaften sind am Ende durch Catrien S­ anting thematisiert worden. Sie rückte nochmals die Gelehrsamkeit innerhalb der ­Devotio Moderna in den Mittelpunkt, eine in der niederländischen Historiographie traditionsgemäß wichtige und immer noch nicht ganz zur Zufriedenheit gelöste Frage. Einerseits wird die Devotio Moderna immer mit Buchkultur, christlicher Gelehrsamkeit und Protohumanismus verbunden (Albert Hyma und Johannes Lindeboom). Andererseits werden auch die Ungelehrsamkeit oder die Grenzen der Gelehrsamkeit der Devotio Moderna betont. R. R. Post hat zum Beispiel die optimistischen Darstellungen über die Devotio Moderna als Vorbereiter des christlichen Humanismus und auch der Reformation bezweifelt.24 Um eine eigene Antwort auf solche Fragen zu entwickeln, skizziert Santing ein mikrohistorisches Panorama um Deventer, ein wichtiges kommerzielles Zentrum, nicht nur mit Gemeinschaften der Brüder und Schwester des gemeinsamen Lebens, sondern auch mit einer wichtigen Lateinschule. Die Stadt engagierte gut ausgebildete Beamte, die meistenteils der Devotio Moderna wohlgesonnen waren, und die Gemeinschaften der Brüder und Schwester vom gemeinsamen Le-

23 Gerade das wird von Kock, Die Buchkultur der Devotio moderna (wie Anm. 22), eigent24

lich auch wieder in Frage gestellt. R. R. Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968.

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ben förderten den Aufbau anspruchsvoller Bibliotheken. Außerdem beherbergte die Stadt am Ende des 15. Jahrhunderts wichtige Buchdruckereien.25 Santing zeigt, dass schon seit Geert Grote Verbindungen zwischen den Brüdern des gemeinsamen Lebens und der Lateinschule in Deventer existierten. Unklar bleibt, in welchem Maß die Brüder innerhalb dieser ganzen Periode in der Schule tätig gewesen sind, aber sicher ist, dass wir am Ende des 15. Jahrhunderts nebst Hegius verschiedenen Brüdern des gemeinsamen Lebens in Deventer mit einer ausgezeichneten Erziehung in Latein und Griechisch begegnen, die wahrscheinlich auch als Schulmeister tätig gewesen sind, wie zum Beispiel Hendrik von Amer(s)foort, Johannes Synthen und die jüngeren Brüder S­ ervatius und ­Johannes Aedicollius. Santing präsentiert die humanistisch geprägten literarischen Interessen dieser Gelehrten, und auch ihre anderen Aktivitäten im Buchbetrieb und ihre direkten Aufgaben im Schulwesen in Deventer, häufig in Verbindung mit dem Herr-Florenshuis der Brüder. Insgesamt zeichnet Santing damit ein Bild einer Gelehrsamkeit, in der verschiedene Mitglieder der Devotio Moderna völlig als gelehrte Humanisten anerkannt werden können. Die Frage bleibt natürlich, in welchem Maße wir als ­Historiker das als ein ‚typisches‘ Merkmal der Devotio Moderna benennen müssen, oder ob wir in jedem Kontext die Entfaltung und Gestaltung der Bewegung bewerten können, ohne dabei gleich über universale Charakterzüge zu reden. Dazu kommt auch noch  – und darauf hat Koen Goudriaan in der Diskussion zu Recht hingewiesen –, dass am Anfang des 16. Jahrhunderts eine Form von H ­ umanismus eigentlich ein intellektuelles Debitum geworden war, um sich ernsthaft als Gelehrter präsentieren zu können. Auch Personen im Umkreis der ­Devotio Moderna entkamen dem nicht. Am Ende dieses Workshops möchte ich gerne noch einige Schlussbemerkungen machen. Zuerst denke ich, dass wir noch viel mehr über die Anfänge der Devotio Moderna im Zusammenhang mit vergleichbaren, aber auch sehr unterschiedlichen katholischen und ‚ketzerischen‘ Reformbewegungen innerhalb Europas am Ende des vierzehnten Jahrhunderts herausfinden können. Dabei könnten Historiker verschiedener Ebenen und Regionen viel stärker zusammenarbeiten, um Reformbestrebungen zu vergleichen, auch um zu erkennen, was es bedeutet, wenn die Devotio Moderna als eine devotio nova präsentiert wird. Dabei müssen sich auch Ordenshistoriker beteiligen, die versuchen, die Früh­ observanz verschiedener Orden und die wechselseitige Beeinflussung zu verstehen. Eigentlich hat Kaspar Elm dafür die Anregung schon gegeben, aber viele Aspekte – auch die intellektuelle Umwelt dieser Bewegungen – sind noch lange 25 Über Deventer als Buchzentrum und Gelehrtenstadt siehe jetzt auch die Aufsätze in:

Catrien Santing/J. C. Bedeaux (Hrsg.), Verlichte geesten: religieuze en culturele vernieuwings­geest in de Ijsselstreek, Deventer/Zwolle 2012.

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nicht genügend aufgeklärt worden. Diese vergleichende Geschichtsbetrachtung soll auch die literarische Welt und die Buchkulturen solcher Bewegungen einschließen, auch um herauszufinden, inwieweit die Benutzung der Schrift und des Buches und die Phänomenologie des Buches innerhalb der Devotio Moderna spezifische Merkmale hatte, oder doch meistens Teil eines allgemeinen Phänomens des spätmittelalterlichen Reformchristentums war. Die Spätgeschichte der Devotio Moderna ist auch noch keineswegs gesichert. Das hat auch damit zu tun, dass viele Historiker des frühen 16. Jahrhunderts noch immer mehr an ‚neuen‘ Sachen interessiert sind, und das heißt in dieser Periode die Frühreformation, und auch noch zu viel das Urteil der frühreformatorischen Protagonisten über den altertümlichen Katholizismus ernst nehmen. Das hat unseren Blick über die fortwährende Vitalität und Bedeutung in der ersten H ­ älfte des 16. Jahrhunderts der katholischen Reformbewegungen, wie die Devotio Moderna und die Observanz, auch für die Gestaltung der Devotion der Masse, verschleiert. Es sorgt dafür, dass wir die späte Devotio Moderna eigentlich nur über Sachverhalte befragen, die am Ende der Entwicklung der Frühreformation ausschlag­ gebend waren, und das führt dazu, dass wir immer wieder ziemlich sterile Fragen über zum Beispiel die Vorläuferfunktion der Devotio Moderna zu beantworten suchen, oder dass wir die literarische und devotionelle Welt des Katholizismus des frühen 16. Jahrhunderts noch immer als eine Art Nachspiel betrachten, ohne ihre interne Dynamik in dieser Periode tiefgehend zu prüfen. Die Tagung und die im Kontext der Tagung geführten Diskussionen haben gezeigt, wie problematisch es ist, über Beeinflussung zu reden, wenn wir die komplexe Interaktion und den Austausch von devotionellen Texten und Konzepten analysieren wollen. Sie haben auch gezeigt, dass es nicht so einfach ist, über Merkmale einer religiösen Bewegung zu reden. Es ist gar nicht sicher, dass alle Mitglieder einer für uns Historiker identifizierbaren Bewegung eine eindeutige Vorstellung von den typischen Merkmalen ihrer Gruppe hatten. Identifizierung mit oder Mitgliedschaft in einer Bewegung war auch teilweise die Folge von Zufallsfaktoren. Gerade viele Frauengemeinschaften wechselten ihre Ordenszugehörigkeit ziemlich leicht, und damit auch ihre Zuneigung für spezifische devotionelle Modelle und Inhalte. Zugleich bedeutet diese Biegsamkeit auch, dass für viele Laien und Religiosen viele Reformbewegungen sehr ähnlich und fast auswechselbar waren. Zum Teil bestimmte die Anwesenheit einer Bewegung wie der Devotio ­Moderna mit einem bestimmten, doch nicht völlig abgegrenztem Profil auch die Auffüllung einer Nische innerhalb des kultursemiotischen Systems und behinderte dabei das Wachstum anderer Bewegungen. Der Erfolg der Devotio ­Moderna und der damit verbundenen Gruppen (wie die Kongregation der Windesheimer und das Tertiarissenkapitel von Utrecht) behinderte vielleicht in den Nieder­landen die Entfaltung einer starken, von den Franziskanern abhängigen

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Gruppe reformierter Frauengemeinschaften.26 Anderswo hat die Existenz einheimischer Reformbewegungen, wie zum Beispiel in Ostfriesland, das Eindringen der D ­ evotio Moderna teilweise verhindert. Weitere Fortschritte in unseren Untersuchungen können wir vor allem erwarten, wenn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nachdrücklich gefördert wird. Die in Bochum abgehaltene Tagung war ein gutes Beispiel dafür, dass die Gegenüberstellung unterschiedlicher Perspektiven Anreize für neue Verständnisse gibt. Hoffentlich können wir in Zukunft solche Austäusche systematisch weiterführen, um damit die Deutung der komplexen religionsgeschichtlichen Entwicklungen des Spätmittelalters zu ergänzen und neue transregionale Erklärungsmodelle zu entwickeln, die besser genügen.

26 Über das Tertiarissenkapitel von Utrecht und die Devotio Moderna siehe Hildo van

­Engen, De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht: een bij­ drage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie, (Middeleeuwse ­studies en bronnen, 95), Hilversum 2006; Sabrina Corbellini/Hildo van Engen (Hrsg.), De Derde Orde op orde: balans van het onderzoeksproject naar de Derde Orde van Sint-­ Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht, (Trajecta, 2), Löwen 2005.

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