Meister Eckhart und die Devotio Moderna 9789004463882, 9004463887


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VORWORT
Table of Contents
Einleitung
I. Meister Eckharts Aszese
Die theologischen und psychologischen Voraussetzungen seiner Aszese
Der Beginn des Weges zu Gott: Demut, Umkehr, Reue
Hindernisse auf dem Wege zu Gott: Zeit, Mannigfaltigkeit, Leiblichkeit
Die Abgeschiedenheit als Kernpunkt seiner Aszese, ihre negativen und positiven Formen
Motive des Handelns
Rückblick und Ausblick
II. ,,Negative” Nachwirkungen Eckharts
,,Antihierarchische” Elemente:
in Sprüchen und Legenden
im Traktat von ,,Meester Eggaert en de onbekende leek”
Warnungen vor Eckhart
III. Ein Bindeglied zwischen Eckhart und der devotio moderna: Godeverd van Wefeles Werk ,,Van den XII dogheden”
Bild des Verfassers, nach dem Obituarium von Groenendael gezeichnet
Analyse seines Werks
Entstehungszeit und -ort
Die Bedeutung des Buches ,,Van den XII dogheden” als Bindeglied zwischen Eckhart und der devotio moderna
Formeller Beitrag Eckharts zur aszetischen Ausdrucksform
IV. Eckhart und Geert Groote
Grootes Warnung vor Eckhart und ihre Bewertung
Begegnung mit Eckhart auf Grootes Lebensweg
Groote und Ruusbroec
Eckhartsches Gedankengut in den sicher von Groote stammenden Werken:
Der Ruf zur Innerlichkeit
Armut und Abgeschiedenheit
Demut, Selbstverachtung und Aufgabe des eigenen Willens
Eindringliche Mahnung zur Nachfolge Christi
Der ,,Grondsteen der volmaecktheyt”
V. Das Buch ,,De Imitatione Christi” und seine Beziehungen zu Eckhart
Vorbemerkungen
Eckhartgehalt in den ältesten Texten:
Weltverachtung und Demut als Ausgangspunkt
Der ,,homo interior” bei Eckhart und der ,,homo devotus” der Imitatio
Die gleichen Formen der Abgeschiedenheit bei Eckhart und der Imitatio
Die gleiche Triebfeder: die Nachfolge Christi und die Liebe
Die jüngeren Fassungen der Imitatio, der P-Redaktor und Thomas a Kempis
VI. Im Gefolge Geert Grootes und des Buches ,,De Imitatione Christi”
Gerlach Peters
Nachwirkung der Imitatio
Anklänge an Eckhart: sein Freiheitsbegriff und seine Auffassung vom Christus-Logos
Der weibliche Zweig der devotio moderna
Parallele zwischen den Lebensbeschreibungen dieser modernen Devoten und den Dominikanerinnen der Eckhartschule
Rückblick
Anhang:
I. Übersicht der von Eckhart gebrauchten Ausdrücke zur Bezeichnung der Abgeschiedenheit
II. Eckharts Aszese in Bildform
III. Verzeichnis der mittelniederländischen Eckhart-Handschriften
IV. Verzeichnis der Handschriften, in denen das Werk „Van den XII dogheden” oder Teile desselben vorkommen
V. Vergleichstabelle für die ältere und jüngere Fassung von Buch II und III der Imitatio Christi
VI. Abkürzungen:
Quellen
Literatur
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Meister Eckhart und die Devotio Moderna
 9789004463882, 9004463887

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MEISTER ECKHART UND DIE DEVOTIO MODERNA

STUDIEN UND TEXTE ZUR GEISTESGESCHICHTE DES MITTELALTERS HERAUSGEGEBEN VON

D. Dr JOSEF KOCH Professor an der Universitiit Koln

BAND I

M. A. LUCKER MEISTER ECKHART UND DIE DEVOTIO MODERNA

LEIDEN

E.

J.

BRILL

1950

MEISTER ECKHART UND DIE DEVOTIO MODERNA VON

MARIA ALBERTA LUCKER

LEI DEN

E.

J.

BRILL

1950

Copyright 1950 by E. I. Brill, Leiden, Netherlands All rights reserved, including the right to translate or to reproduce this book or parts thereof in any form

Printed in the Nether-lands

VORWORT Die wissenschaftliche Erforschung des Geisteslebens des Mittelalters kann in diesem Jahr ihr hundertjahriges JubiUium feiem. 1m Jahr 1850 veroffentlichte BARTHOLOME HAUREAU sein Werk De la philosophie scolastique. Das war der Anfang einer langen Reihe von Einzeluntersuchungen, Texteditionen und zusammenfassenden Darstellungen, deren Autoren sich bemiihen, den Geist jener Zeit, der wir fern geriickt sind, lebendig werden zu lassen. Die Schwierigkeiten, die es dabei zu iiberwinden galt, waren mannigfacher Art. Es gelang zwar allmahlich, das von der Aufklarung iiberkommene Vorurteil zu zerstreuen, das Mittelalter sei eine dunkle, d.h. geistlose Epoche der abendlandischen Geschichte gewesen. Damit war aber nur ein erstes Hindemis beseitigt. Es blieb die sehr viel schwierigere Aufgabe, den Glaubensgeist des Mittelalters verstandlich zu machen und zu zeigen, dass er keineswegs das Denken lahmlegte, sondem ihm die hOchsten Antriebe gab. Die verschiedenen Interpretationen, die sich im Lauf der letzten hundert Jahre die Lehre Meister Eckharts gefallen lassen musste, zeigen vielleicht am eindrucksvollsten, wie schwierig es flir jemanden, der dem Glauben des Mittelalters innerlich fern steht, ist, sich in dessen glaubige Denkweise hineinzuversetzen. Aber auch dann, wenn diese zweite Voraussetzung gegeben ist, bleiben noch der Schwierigkeiten genug: nicht nur das Weltbild des Mittelalters ist uns fremd, sondern auch die Bildung selbst, iiber die jene Zeit verfligte. Wir miissten z.B. eigentlich, urn unserer Aufgabe zu geniigen, Trivium und Quadrivium wieder so studieren, wie es im Mittelalter geschah, und wir miissten ebenso die antiken, arabischen und jiidischen Autoren so lesen, wie das etwa die Theologen und Philosophen des 13. Jahrhunderts taten. Schliesslich besteht ein Hindernis trotz der hundertjahrigen Forschungsarbeit noch immer: der grosste Teil der philosophischen und theologischen Literatur des Mittelalters ist entweder noch nicht gedruckt oder liegt in ganz unzulanglichen Drucken vor. Das gilt besonders flir das spatere Mittelalter, wo eigentlich noch alles zu tun ist. Was wir darum in erster Linie notig haben, sind Texteditionen. Denn die unzulanglichen Darstellungen fussen oft genug auf unzulanglichen Texten. Unter diesen Umstanden diirfte die Begriindung einer neuen Reihe

VI

VORWORT

von Arbeiten zur Geistesgeschichte des Mittelalters gerechtfertigt sein. Wie der Titel sagt, solI sie zwei Aufgaben dienen, erstens die Erforschung des mittelalterlichen Geisteslebens durch wissenschaftliche Untersuchungen zu fOrdern, zweitens wichtige Werke in kritischem Text herauszugeben. Die vorliegende Arbeit von Dr. MARIA A. LUCKER greift ein Problem auf, das der Eckhartforschung seit Iangem gegenwartig war, jedoch nie genauer untersucht wurde. Die Verfasserin kann nun zeigen, auf welchen Wegen Meister Eckharts Lehre die devotio moderna beeinftusst hat. Als 2. Band solI eine auf umfassenden Quellenstudien beruhende Untersuchung von Dr. FRIEDRICH WILHELM OEDIGER, Staatsarchivrat in DUsseldorf, Uber die Bildung der Geistlichen im spaten Mittelalter folgen. - Der 3. Band wird eine Textedition enthalten: S. Thomae Aquinatis Expositio super librum Boethii De trinitate. Ad fidem codicis autographi necnon ceterorum codicum manu scriptorum recensuit Dr. BRUNO DECKER. Angesichts der grundlegenden Bedeutung, die dieses Werk fUr die Wissenschaftslehre des hI. Thomas hat, wird diese kritische Edition sicher Uberall dem grossten Interesse begegnen. - Der 4. Band wird enthalten: La correspondance du cardinal Nicolas de Cues, par Msgr E. VANSTEENBERGHE (t). Der als Bischof von Bayonne verstorbene Biograph des Cusanus hinterliess eine Sammlung von mehr als 200 Briefen des Kardinals. Prof. P. GLORIEUX, Dekan der theologischen Fakultat in Lille, der das Manuskript erbte, Uberliess es mir freundlicherweise zur Veroffentlichung in dieser Reihe. Diese Briefe werden uns ein sehr konkretes Bild von der Personlichkeit des grossten Deutschen des 15. Jahrhunderts geben. KoIn-Lindenthal, am 15. August 1950.

JOSEF KOCH.

INHALT Seite

Einleitung...........................................................

1

I. Meister Eckharts Aszese.......................................

6

Die theologischen und psychologischen Voraussetzungen seiner Aszese ...............•................................... Der Beginn des Weges zu Gott: Demut, Umkehr, Reue........... Hindemisse auf dem Wege zu Gott: Zeit, Mannigfaltigkeit, Leiblichkeit ................................................... Die Abgeschiedenheit als Kempunkt seiner Aszese, ihre negativen und positiven Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . Motive des Handelns ...•.•.......•.........•.•...••.•..••... Riickblick und Ausblick . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 14 19 23

3S

38

H. "Negative" Nachwirkungen Eckharts..........................

43

"Antihierarchische" Elemente: in Spriichen und Legenden ................................. im Traktat von "Meester Eggaert en de onbekende leek". . . . . . Wamungen vor Eckhart .•...•.....................•.........•

43 46 SI

III. Ein Bindeglied zwischen Eckhart und der devotio moderna: Godeverd van Wefeles Werk "Van den XII dogheden".....

S9

Bild des Verfassers, nach dem Obituarium von Groenendael gezeichnet Analyse seines Werks ........................................ Entstehungszeit und -ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Buches "Van den XII dogheden" als Bindeglied zwischen Eckhart und der devotio moderna ................. Formeller Beitrag Eckharts zur aszetischen Ausdrucksform. . . . . . . .

S9 61 69

IV. Eckhart und Geert Groote....................................

79

Grootes Wamung vor Eckhart und ihre Bewertung ........•... Begegnung mit Eckhart auf Grootes Lebensweg ................ Groote und Ruusbroec .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . Eckhartsches Gedank:engut in den sicher von Groote stammenden Werken: Der Ruf zur Innerlichkeit .................................. Armut und Abgeschiedenheit ............................... Demut, Selbstverachtung und Aufgabe des eigenen Willens. . . . . . Eindringliche Mahnung zur Nachfolge Christi................. Der "Grondsteen der volmaecktheyt" ..........................

79 82 86

73 77

89 92 9S 96 99

INHALT

VIII

Seite

V. Das Buch "De Imitatione Christi" und seine Beziehungen zu Eckhart .................................................... 104

Vorbemerkungen ....•••.••.........•••...•....••.••......•... 104 Eckhartgehalt in den iiltesten Texten: Weltverachtung und Demut als Ausgangspunkt ............... 112 Der "homo interior" bei Eckhart und der "homo devotus" der Imitatio ..... ..... ...... ..... ..... . ..... .........•... .. 114 Die gleichen Formen der Abgeschiedenheit bei Eckhart und der lmitatio ...........•..............................•.... 117 Die gleiche Triebfeder: die Nachfolge Christi und die Liebe. .... . 125 Die jiingeren Fassungen der lmitatio, der P-Redaktor und Thomas a Kempis ................................................. 129

VI. 1m Gefolge Geert Grootes und des Buches "De Imitatione Christi" ............................ '" .. .. . ... ........ .... ... . . Gerlach Peters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • Nachwirkung der Imitatio................................... Ankliinge an Eckhart: sein Freiheitsbegriff und seine Auffassung vom Christus-Logos ........................................ Der weibliche Zweig der devotio moderna .........•.....•..... Parallele zwischen den Lebensbeschreibungen dieser modernen Devoten und den Dominikanerinnen der Eckhartschule...........

134 134 136 140 145 147

Riickblick...... ..................................................... 151 Anhang: I. Obersicht der von Eckhart gebrauchten Ausdriicke zur Bezeichnung der Abgeschiedenheit .............................. II. Eckharts Aszese in Bildform................................... III. Verzeichnis der mittelniederlandischen Eckhart-Handschriften IV. Verzeichnis der Handschriften, in denen das Werk "Van den XII dogheden" oder Teile desselben vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergleichstabelle ffir die altere undjiingere Fassung von Buch II und III der Imitatio Christi................................

153 155 156 166 170

VI. Abkiirzungen: Quellen ............•••......•...•..•...•...••..•........•... Literatur ....................................................

172 174

EINLEITUNG Meister Eckhart wirkte tiber sein Land und seine Zeit hinaus lange und vielfiiltig weiter. Schon wiihrend seines Lebens hatte sein tiberragender Geist zuweilen auf der Kanzel und auf dem Katheder die Schranken des Herk~mmlichen und Schulmiissigen durchbrochen 1). Noch weniger aber konnten sich ihm nach seinem Tode Sprach- oder Landesgrenzen als Hindernisse entgegenstellen. Die piipstliche Verurteilung einiger seiner Siitze hemmte kaum tiber die K~lner Kirchenprovinz hinaus 2), so dass seine Schriften und Predigtworte, getragen von der Geisteskraft der inneren Dberzeugung, auf mannigfache Art verbreitet wurden; sie regten an, belebten und halfen Neues aufbauen. Nur einen kleinen Ausschnitt solcher Nachwirkung Eckharts m~chte die vorliegende Untersuchung bieten: Meister Eckharts Beitrag zur devotio modema. Der Raum wird hier beschriinkt auf die Niederlande, das Nachbarland von Eckharts eigentlichem Arbeitsfeld. Die Zeit ist die des "Herbstes des Mittelalters", jene in vielen Farben schillemde Periode, wiihrend der sich die Geschlossenheit des Mittelalters aufzul~sen begann und die Vorboten einer neuen Zeit sich meldeten. Einer dieser Vorboten war eben auf dem Gebiet des religi~sen Lebens die devotio modema, die trotz ihrer sich als modem gebiirdenden Art mit ihren Wurzeln im Mittelalter verankert war 3). Es war eine auf die praktische Tat hin ausgerichtete Fr~mmigkeit; philosophische Spekulation lag ihr fern. Darum braucht bei diesem Vergleich zwischen Eckhart und der devotio modema nur die praktische Seite der Lehren Eckharts, seine Aszese, herange1) Vgl. u.a. F. SchuIze-Maiziers Ausfiihrungen in seiner Einleitung S. 19 fr. zu Meister Eckharts deutsche Predigten und Traktate, Leipzig 1927. I) So war z.B. Wilhelm von Ockham der festen Meinung, dass die angefochtenen Sitze Eckharts nieht vom Papst verurteilt worden seien (M. Goldast, Monarchia Sacri Imperii, Bd. II, Frankfurt 1614, S. 909). Man nahm damals weithin an, dass es sieh nur um Lehrstreitigkeiten in Koln zwischen Franziskanem und Eckhart handle. 8) Der Begrifr "devotio modema" hatte sieh in Anlehnung an die "via modema" der Ockhamisten gebildet: "modem" bedeutete hier wie dort die Hinwendung zur Erfahrung. Die Lehre des Glaubens stand fest, es handelte sieh nur darum, die Erfahrung des Glaubens zu gewinnen; darum bemiihte sieh die devotio moderna, die z.B. mehr vom Erleben der Reue als von ihrer Definition wissen will (lmltatio Christi. Bueh I. Kap. 1,9). Zur weiteren Entwicklung des Begriffs "devotio moderna" s. unten S. 114. LOCKER, Meister Eckhart

1)

2

EINLEITUNG

zogen zu werden, um die Einwirkung des grossen Meisters auf das neue FrOmmigkeitsideal klar hervortreten zu lassen. Um die Einflussphare Meister Eckharts in den Niederlanden genau priifen zu kOnnen, musste zunachst eine mOglichst vollstandige Liste alIer vorhandenen mittelniederlandischen Eckhart-Handschriften aufgestelIt werden. Schon F.G.H. van Iterson (1857) 1) und A. Reifferscheid (1884) 2) hatten einzelne mndi. Eckhart-Handschriften entdeckt, und in R. Priebschs Katalog deutscher Handschriften in England 3) verbargen sich ebenfalls manche. Auch C. G. N. de Vooys 4), W. Dolch 6) und D. de Man 6) hatten eifrig nach mndi. Eckhart-Handschriften gesucht und viele gefunden, ohne dass sie weiter ausgewertet worden waren. Ihre Listen wurden vervollstandigt von St. Axters 7) und I. G. Lieftinck 8), flir die Eckhart innerhalb ihres Forschungsbereiches aber nur eine Nebenlinie bedeutete. J. Quint, der mit der Herausgabe der deutschen Schriften Meister Eckharts innerhalb der Gesamtausgabe der Werke Eckharts betraut ist, wies in seinen "Reiseberichten" auf mehrere, bis dahin unbekannte Handschriften hin 9). Aber all diese Einzelfunde ergaben noch keine vollstandige Liste aller vorhandenen mndi. Eckhart-Handschriften. In der Bibliotheca Neerlandica Manuscripta 10), einem bisher noch unverOffentlichten, handschriftlichen Katalog, den W. de Vreese auf vielen Reisen durch Europa von mndi. Handschriften anlegte und der jetzt in der Handschriftenabteilung der Universitatsbibliothek Leiden als kostbares Erbe von W. de Vreese aufbewahrt wird, fand ich noch manche bisher in keiner VerOffent1) F. G. H. van Iterson, Stemmen uit den voortijd, verzameld uit een viertal handschri/ten der XIVe en XVe eeuw, Leiden 1857. I) A. Reifferscheid, Beschreibung der Handschri/tensammlung des Freiherrn August von Arnswaldt in Hannover, Jahrb. d. Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung X, 1884, S. 5 if. 3) R. Priebsch, Deutsche Handschri/ten in England, 2 Bde, 1896. t) C. G. N. de Vooys, Meister Eckhart en de Nederlandsche mystiek, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis, N. S. III, 1905, S. 50 if., 176 if., 265 if. 6) W. Dolch, Die Verbreitung oberliindischer Mystikertexte im Niederliindischen, Weida 1909. ') D. de Man, Meister Eckhart in Weesper handschri/ten, NederIandsch Archief voor Kerkgeschiedenis, N. S. XX, 1927, S. 281 if. 7) St. Axters, Bijdragen tot een bibliographie van de Nederlandsch-Dominikaansche vroomheid, Ons Geestelijk Erf VI, 1932, S. 113 if. 8) I. G. Lieftinck, De Middelnederlandsche Taulerhandschri/ten, Groningen 1936. 9) Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hgg. im Auftrage der deutschen Forschungsgemeinschaft, Untersuchungen, 1. Bd. J. Quint, Neue Handschri/ten/unde zur '(;berlie/erung Meister Eckharts u. seiner Schu/e, Stuttgart 1940. 10) 1m folgenden B.N.M. genannt.

EINLEITUNG

3

lichung erwahnte mndl. Eckhart-Handschrift. Zum Teil werden sie mit dem Incipit und einer kurzen Beschreibung dort aufgefUhrt. Soweit sie mir zugiinglich waren, sah ich sie ein und vervollstandigte die Angaben. Bei der Durchsicht anderer Bibliotheken stiess ich noch auf weiteres Material. Das Ergebnis war ein vollstandigeres Verzeichnis der mndI. Eckhart-Handschriften, das hier im Anhang zu finden ist. Damit ware eine erste Grundlage fUr Untersuchungen iiber Eckharts Einftuss in den Niederlanden geschaffen. Das Thema "Eckhart und die devotio moderna" ist bisher in seiner Gesamtheit noch nicht behandelt worden. Teilausschnitten des Themas galt hier und da die Aufmerksamkeit einzelner Forscher. So war de Vooys besonders an dem "antihierarchischen" Element in der Nachwirkung des grossen Meisters interessiert. De Vooys erkannte es 1) in Meester Eggaert en de onbekende leek 2) und verfolgte diese Spur weiter. Doch verijffentlichte er diese Handschrift nur teilweise; Abschnitte, die sich auf die aszetische Seite der Lehre Eckharts bezogen, brachte er kaum. Er stellte mir freundlicherweise seine Abschrift der Handschrift zur Verfiigung, so dass nunmehr auch andere Stellen herangezogen werden konnten, die positiver als die nur antihierarchischen Zitate waren und somit das Bild, das sich die Niederlande von Eckhart machten, vervollstandigten. Den bekanntesten Mystiker der Niederlande, Ruusbroec, der zwar nicht zur devotio moderna gehijrt, sondern noch ganz in der mittelalterlichen Welt steht, hatte man mit Eckhart verglichen und geglaubt, manche Ahnlichkeit feststellen zu kijnnen 3). Obwohl Ruusbroec und in seinem Gefolge manch anderer Schriftsteller wie z.B. Ruusbroecs treues Abbild, sein Koch Jan van Leeuwen - gegen Eckhart waren und dies auch ijffentlich sagten '), hatte man als Beleg fUr den Einftuss des Deutschen auf den Niederlander das Buch Van den XII dogheden 1) s. auch seine Aufsiitze in Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis, N.S. III, 1905, S. 50 If., S. 176 If., S. 265 If., sowie sein Werk Middelnederlandse legenden en exemplen, Groningen 1926. I) C. G. N. de Vooys, De dialoog van Meester Eggaert en de onbekende leek, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis, N. S. VII, 1909, S. 166 If. 3) Z.B. J. van den Bergh van Eysinga-Elias, Ruusbroec in verband met de Fransche en Duitsche mystiek, De Gids LXXI, 1907,2, S. 275 If.; L. Reypens, De geestelijke physionomie van Ruusbroec, Dietsche Warande en Belfort XXIII, 1923, S. 1 If.; J. van Mierlo, Het /even en de werken I'an Jan van Ruusbroec, Dietsche Warande en Belfort X, 1910, S. 549; A. C. Bouman, J. Ruusbroec en de Duitse mystiek, Tijdschr. voor Ned. Taal- en Letterk. XLI, 1922, S. 1 If.; XLII, 1923, S. 81 If.; XLIII, 1924, S. 249 If. 4) S. unten S. 51.

4

mNLBITUNG

angesehen; denn dieses Ruusbroec zugeschriebene Werk enthielt wortlich lange Abschnitte aus Eckharts Reden der Unterscheidung. Aber man hatte sich getiiuscht: die Forschungen von M. Dykmans 1) und J. van Mierlo 2) bewiesen, dass Van den XII dogheden nicht von Ruusbroec, sondern von Godeverd van Wefele verfasst worden war. Die Auswertung dieses neuen Forschungsergebnisses fUr die Ursprtinge der devotio moderna soll in einem Abschnitt dieser Untersuchung gegeben werden. F. W. Wentzlaff-Eggebert verfolgt in seinem Buch Deutsche Mystik zwischen Mitte/alter und Neuzei( 3 ) u.a. die Entwicklungslinie, die von der Frauenmystik des Mittelalters tiber Meister Eckhart bis in die Neuzeit hineinfUhrt. Er bezieht auch die niederliindische Mystik, G. Groote und die devotio moderna in seine Betrachtungen ein, weil sie dem deutschen Geist so nahe verwandt sind. Doch lassen dabei seine sonst gut fundierten AusfUhrungen die Kenntnis der neuen Forschungsergebnisse in den Niederlanden vermissen, die ihm wahrscheinlich infolge des Krieges nicht zugiinglich waren. Dadurch kommt er zu solch eigenartigen Verzeichnungen wie dieser: er sieht Groote und Radewijns als SchUler Ruusbroecs an und glaubt, in ihnen eine schulmiissige Verwirklichung der Lebenslehre Ruusbroecs zu erkennen '). WentzlaffEggeberts Blick richtet sich zu sehr auf die Organisationen, die die devotio moderna hervorrief, auf die Bruder und Schwestern yom gemeinsamen Leben und die Windesheimer Kongregation. Er forscht weniger nach der eigentlichen Triebfeder jener Lehre von der Umkehr des Menschen und seiner innigen Hinkehr zum menschgewordenen Gottessohn. Er sieht die devotio moderna als eine "demokratische Umpriigung der Mystik" 6) an, in ihr ist "aller Geistesadel der Zeit des Rittertums untergegangen im beruhigten Dasein des Btirgertums". Eine direkte Beziehung zwischen Eckhart und der devotio moderna stellt er nicht fest, obwohl dies an sich bei seiner Studie, die so stark Eckhart als Masstab fUr die Mystik annimmt, nahe gelegen hiitte. Immerhin bleibt es erwiihnenswert, dass hier an die enge Verbindung zwischen der devotio

1) M. Dykmans, Obituaire du monast~re de Groenendael, Bruxelles 1940. I) Verslagen en Mededeelingen der Kon. Vlam. Academie voor Taal en Letterkunde, 1941, IV, S. 429 fr. 8) Berlin 1944. ') Das tut auch St. Axters in seiner Schrift La spirltualite des Pays-Bas, Paris 1948, der alle modernen Devotcn als SchWer Ruusbroecs ansieht (S. 99 fr.). I) A.a.O., S. 140.

EINLEITUNG

5

modern a und dem Strom der deutschen Mystik erinnert wird, was sonst nur selten und unzuUinglich geschieht 1). Bisher befasste man sich noch nicht eingehender mit der Frage, wie sich die devotio moderna zu Eckhart verhalte, obwohl jiingste Entdeckungen zur Entstehungsgeschichte der devotio moderna dazu anregen konnten. So warf z.B. J. van Ginnekens 2) Beweisflihrung, die neuerdings von F. Kern aufgegriffen wird 3) und die Geert Groote als Verfasser der Imitatio Christi darstellt, manch interessantes Licht gerade auf die aszetischen Schriften dieser Zeit. Aber ein moglicher Beitrag Eckharts zu den Gedanken des Haupttragers der devotio moderna wurde auch von van Ginneken nur in kurzen Nebensatzen angedeutet 4). Gute Vorarbeit flir einen Vergleich mit Eckhart war schon geleistet, indem die Schriften der Wortflihrer, eines Geert Groote, Gerlach Peters und ihres Gefolges in kritischen Ausgaben und nach manchen Richtungen erforscht, vorlagen. Es blieb aber die ebenso reizvolle wie dank bare Aufgabe, diese Werke nun neben die von Eckhart zu stellen, ihre Ahnlichkeit herauszuarbeiten und die Nachwirkung des grossen deutschen Meisters hervortreten zu lassen. 1) Hans Meyer, Geschichte der abendliindischen Weltanschauung, Bd. III: Die Weltanschauung des Mittelalters (Paderbom 1948) gibt im Inhaltsverzeiehnis wohl auch ein Kapitel tiber die Fortwirkung Eckharts in den Niederlanden an. Aber einen direkten EinfluS3 Eckharts auf die devotio moderna vermag H. Meyer nieht zu finden, sondern er begniigt sieh mit einer ziemlieh oberftiiehliehen Darstellung ihrer Bestrebungen (S. 357 if.). I) Zusammengefasst in J. van Ginneken, Trois textes prekempistes du premier livre de rImitation, Nederl. Akad. v. Wetenschappen, afd. Letterkunde, Deel XLIV, Amsterdam 1939. FUr das 2. Bueh in der g1eiehen Reihe Deel XLVI, Amsterdam 1941. 3) F. Kern, Die Nach/oige Christi, Olten 1947, und F. und L. Kern, Die Thomas-aKempis-Frage, Theolog. Zeitschr. V, 1949, S. 169 ff. •) Z.B. J. van Ginneken, Geert Groote's levensbeeld, Nederl. Akad. v. Weten~ schappen, afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks, Deel XLVII, 2, Amsterdam 1942, S. 155; J. Mak, De Dietse vertaling van Gerlach Peters Soliloquium, Utrecht 1936, S. 86.

ERSTES KAPITEL

MEISTER ECKHARTS ASZESE Urn Eckharts Anteil an der devotio moderna festzustellen, muss zuniichst die Aszese 1) Eckharts dargelegt werden, weil gerade sie nach der devotio moderna hin weiterwirkte. Erst dann wird sich deutlich unterscheiden lassen, was die devotio modema Ubernahm, was sie umformte und was sie als Eigenes hervorbrachte. Um so notwendiger ist diese Darlegung, weil Eckharts Aszese trotz der vielen Schriften, die diesem grossen deutschen Mystiker gewidmet sind 2), noch nicht eingehend behandelt wurde. Die Eckhartforschung des vorigen lahrhunderts interessierte vor aHem seine Stellung zur Scholastik. Sie entbehrte zudem noch der festen wissenschaftlichen Grundlage, die erst mit der kritischen Herausgabe seiner Rechtfertigungsschrift 3) geboten wurde, an deren Hand dann die Echtheit der EckhartSchriften leichter festzustellen war. Wohl hatte schon Karrer ') in der Aufteilung seines sonst recht willkilrlich zusammengesetzten Textbuches angedeutet, dass man auch Eckhart als aszetischen Schriftsteller be1) "Aszese" wird hier im Sinn von A. Tanquerey (Precis de the%gie ascetique et mystique, Paris 1924, S. 7) gebraucht: es ist die Theorie und Praxis der christlichen Vollkommenheit, angefangen von den ersten Anfiingen bis zu der Schwelle der eingegossenen Beschauung. Es wird also nur der Weg zu Gott hin beschrieben, mit all den Hindernissen und auch allen Hilfen, die der Seele da begegnen. "Aszese" umfasst also nicht mehr das Ende des Weges, die Gotteinigung, die Eckhart die "Gottesgeburt" nennt, denn sie Iiegt schon im Bereich der Mystik. Wohl wird unsere Untersuchung zuweilen auf die Gottesgeburt hinweisen miissen, vor allem nachdem die devotio moderna in ihrem spiiteren Verlauf wieder teilweise in die Mystik einmiindete. Aber als eigentlicher Leitfaden soli hier nur die Aszese Eckharts dienen, nicht seine Mystik. I) Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Deutsche Werke I, Stuttgart 1936, S. I: "Vorliiufiges Verzeichnis der ... Literatur". Dber den Stand der Eckhartforschung vor 1934 berichtet ausfiihrlich Spamer in der Festschrift nir O. Behaghel, Heidelberg 1934, S. 345 ff. Ober neuere Eckhartdeutung berichtet H. Fischer, Meister Eckhart, Bemt!rkungen loU einigen neueren Biichern, Geist und Leben XXIII, 1950, S. 67 ff. I) G. Thery, Edition critique des pieces relatives au proces d'Eckhart, contenues dans Ie manuscrit 33b de la bibliotheque de Soest, Archives d'histoire doct. et Iitt. du moyen-age I, 1926, S. 129 ff. ') O. Karrer, Meister Eckehart, Miinchen 1926.

MEISTER ECKHARTS ASZESE

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rUeksiehtigen mUsse, wenn er manehe Zitate des Meisters vereinigte unter den Ubersehriften "Von innerer Abgesehiedenheit", "Vom Mittelpunkt des Handelns", "Besehauliehes-tatiges Leben", "Naehfolge Christi". Dureh Karrer angeregt, ver6ffentliehte Herma Pieseh 1) 1935 ein Bueh Meister Eckharts Ethik, das vor allem in dem Kapitel tiber die Abgesehiedenheit wertvolle Beitrage zu unserem Thema enthiilt 2). Doeh musste fUr unsere Zwecke der Stoff naeh anderen Gesiehtspunkten geordnet und gedeutet werden: H. Pieseh besehreibt die Ethik Eckharts ganz eingebettet in seine Philosophie und Mystik, wahrend fUr unsere Zweeke die rein und aussehliesslieh aszetisehen Lehren Eckharts hera usgeschiilt werden mUssen. Vor einigen Jahren gab Gustav Mensching eine Darstellung der Lehre Meister Eckharts, worin er aueh der Abgesehiedenheit einen Platz einraumte. Aber Menschings Gesamteinstellung lasst ihn die Lehre Eckharts zu sehr yom Standpunkt des Menschen und zu wenig yom Standpunkt Gottes sehen, so dass schliesslich die Gottesgeburt nur mehr "vollkommene Menschwerdung des Mensehen" bedeutet 3). Er betont die Lebensnahe und die Dynamik Eckharts, beides Kennzeichen dieses Mystikers, die nur selten gewtirdigt werden, aber im Rahmen der hier folgenden Untersuchung eine Rolle spielen werden. Das schon erwahnte Buch von F. W. Wentzlaff-Eggebert 4) unterstreicht in seinem ausfUhrlichen Eckhartkapitel die Wirkliehkeitsnahe der Eckhartschen Predigten. Es sieht das Neue, das dieser grosse Meister des Mittelalters dem Strom der Mystik zufUhrte, gerade darin, dass hier ohne Abwertung der Welt und des Diesseits die unio mystiea angestrebt wurde. 1m Gegensatz zur voraufgehenden Frauenmystik, die Wentzlaff-Eggebert ausfUhrlich darlegt, ist Eckharts Lebenslehre nieht mehr Weltflucht, sondern "hat das Bleiben in der Zeit zum Mittel1) In ihrer Einleitung zu Meister Eckeharts Recht/ertigungsschri/t vom Jahr 1326, Erfurt 1927, betonte sie, dass Eckharts Mystik auch vom subjektiv-psychologischen Standpunkt aus zu sehen sei, was man bisher versiiumt hatte: "Die objektiv-ontologisch gerichtete Betrachtungsweise, wie sie uns die Dogmatik vermittelt, wird einer gewissen Ergiinzung von subjektiv-psychologischer Seite her bediirfen, das iibernatiirliche Leben auch in seiner Auswirkung als innerliches Leben in der einzelnen Seele verstanden werden miissen, wenn wir wirklich dem Mystiker Eckhart niiher kommen sollen" (S. 24). Dies tat sie in ihrer Studie iiber seine Ethik und beleuchtete damit auch manche Seite seiner Aszese. B) Noch einmal bringt sie die gleichen Gedanken in populiirer Form in ihrer Ideinen als Einfiihrung zu Meister Eckhart gedachten Schrift, Meister Eckhart, Wien 1946. 3) G. Mensching, Vollkommene Menschwerdung bel Meister Eckhart, Amsterdam 1942. ') S.o. s. 4.

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punkt" 1). Seine Lebens- und Gotteslehre vereinen sieh, urn des Mensehen Blick flir seine innere Entwieklung aus Gott und zu Gott hin zu offnen. Darum wird hier diese Lebenslehre Eckharts in engem Verband mit seiner Mystik dargestellt, allerdings in "stark zusammengezogenen Gedankengangen", wie der Verfasser selbst sagt 2). Er geht dabei leider den seltsamen Weg, mit der Besehreibung der unio mystiea zu beginnen, statt bei der Aszese anzufangen und so der seelischen Entwieklung des Menschen und aueh Eckharts Gedankengang zu folgen. Es solI aber anderseits nieht geleugnet werden, dass bei dieser Darlegung soIehe Momente wie das der Freiheit der Personliehkeit, das bei Eckhart zum ersten Mal in der deutsehen Mystik sieh bemerkbar maehte, gut herausgearbeitet und in diesen Zusammenhang hineingestellt werden 3). Von vielen wird Eckhart nieht aIs aszetiseher Sehriftsteller anerkannt. Seit Denifte 4), der Eckhart zum traditionsgetreuen, jegliehe Originalitat entbehrenden Seholastiker stempelte, und seit den versehiedenen WiderIegungen dieser Auffassung 5) seheinen viele anzunehmen, dass das spezifisch Eckhartsehe in seiner Metaphysik und in seiner Dreifaltigkeitslehre zu suehen sei. Darum wird maneher eine Darstellung seiner Aszese unter dem Vorwand ablehnen, dass Eckhart doeh darin niehts Besonderes geleistet habe, dass seine Aszese doeh nur "AIlgemeingut seiner Zeit" gewesen sei. Aber seine Zeitgenossen betraehteten durehaus nieht Eckharts Aszese aIs Allgemeingut. Man lese nur einzelne Legenden, die sieh urn Eckhart spannen: seine Gesprache mit dem naekten Buben 6) und mit dem armen, aber konigliehen Mensehen 7) zeigen deutlieh, wie tief sieh gerade des Meisters Lehre von der Armut des Geistes und der 1) S. 88.

I) S. 91.

8) Auch Hans Meyer behandelt in seinem oben (S. 5 Anm. 1) angeruhrten Werk

Eckharts Ethik in einem gesonderten Kapitel. Er nennt sie eine "Ethik der Innerllchkeit, eine Gesinnungsethik" (S. 351). Er geht auf den Unterschied zwischen betrachtendem und beschauendem Leben ein und erwahnt Eckharts Siindenlehre und Sozialethik. ohne aber in die Tiefe vorzustossen; er begniigt sich mit einer Aneinanderreihung von Zitaten. Immerhin ist es schon erwiihnenswert, wenn in einer solchen Oesamtdarstellung Eckharts Ethik zur Sprache kommt. t) H. S. Denifte, Meister Eckharts lateinische Schri/ten und die Grundanschouung seiner I..ehre, Archiv rur Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters II, 1886, S. 417 fr.

5) Z.B. Karrer im oben angerUhrten Werk.

e) Pf.• Nr. 68, S. 624. 7) Pf., Nr. 67, S. 624.

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Abgeschiedenheit eingepragt hatte und wie gerade seine Aszese in populiirer Form tiberliefert wurde. Auch das zeitgenOssische Gedicht einer Nonne, die den Kern von Eckharts Predigten am Schluss der Strophen immer wieder in die Mahnung zusammenfasst: "scheidet abe gar!" 1), dtirfte ein nicht zu tibergehendes Zeugnis sein filr die Tatsache, dass Eckharts Forderung der Abgeschiedenheit seine ZuMrer stark beeindruckte und dass sie seine aszetische Lehre als etwas Neues empfanden. Eine Studie tiber Eckharts Aszese lasst sich auch aus den Auffassungen des Meisters selbst rechtfertigen. Sagt er uns doch selbst, dass ein Lebemeister mehr fromme als tausend Lesemeister 2). Wenn bei ihm das Lebemeisterideal Mher stand als das Lesemeisterideal, dann mUssen ihn seine Schriften auch als Lebemeister ausweisen. Ob seine ZuhOrer nun Studenten einer mittelalterlichen Universitat oder Nonnen weltferner Frauenkloster 3) waren, immer bemtiht er sich, sie zu lehren, zu leben, - zum eigentlichen Leben, zum Leben mit und in Gott zu kommen. Rier ware auch auf seine Auslegung des Evangelienabschnitts von Maria und Martha hinzuweisen, wo er vom bisher HerkOmmlichen abweicht und Martha, dem aktiven Typ, den Vorrang gibt, indem er Marias Haltung als eine Vorstufe, als das Minder Vollkommene darstellt '). Daher dUrfen wir in seinen Schriften eine praktische Anleitung zu einem Leben der Vollkommenheit erwarten, und wir werden in der Tat nicht enttauscht. Wir entdecken Eckharts Aszese am schnellsten in seinen Predigten, denn diese waren ja ihrer ganzen Art nach mehr auf das Tun im Alltag eingestellt als seine philosophischen Abhandlungen, und ganz bewusst liess er in sie seine Lehre von der Abgeschiedenheit einfliessen Ii). An erster Stelle sind seine deutschen Predigten heranzuziehen, denn hier 1) C. Hmter, Gedicht auf Meister Eckhart, Gennania XV, 1870,97. I) Pf., Nr. 8, S. 599. 8) Dass Eckhart Dieht nur vor Dominikanerinnen predigte, sondem als beriihmter Prediger aueh in andere Frauenk16ster, zu Benediktinerinnen und Zisterzienserinnen gebeten wurde, beweist Jos. Koch in einem Aufsatz Meister Eckhart in Kiiln (Studium Generale Koln 1248, Festausgabe der KaIner Universitlitszeitung zur 700-Jahrfeier des Studium Generate, Koln 1948, S. 13). 4) "MarthA was sa wesenlieh, daz sf ir gewerp niht enhinderte, were unde gewerp leite sf ze ewiger seIde. Maria was e Martha, e si Maria wiirde ••. Martha stuont sO wesenHehe, di von sprach si: ,herre, heiz sf Qf stin!' als ob si spreche: ,herre, ich durch lust, ieh wolte, daz si lemete leben, daz si ez wesenHehe wolte, daz si da nihte beseze: Heiz si Qf stan, daz si dumehte (: vollkommen) werde.'" (pf., Pr. IX, 53, 1 ff). 6) "Swenne ich predien, sO pflige ich ze sprechende von abegescheidenheit unt daz der mensch lidig werde sin selbes und alIer dinge" (Pf., Pr. 91,24).

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spricht der Seelsorger am deutlichsten. Sie waren fUr die Praxis bestimmt und sind uns auch aus der Praxis iiberliefert, namlich aus den Aufzeichnungen seiner ZuhOrer. Nur die Predigt Vom ed/en Menschen ist als einzige deutsche Predigt von Eckhart selbst aufgezeichnet 1). Die Frage nach dem Grad der Echtheit der iibrigen deutschen Predigten und damit nach dem Grad ihrer Beweiskraft bleibt schwierig zu entscheiden. Als sicher echt k5nnen natiirlich alle gelten, die durch Parallelen in der Rechtfertigungsschrift 2) oder in anderen, eindeutig von Eckhart stammen den Schriften 3) bezeugt sind. Diese Predigten wurden vor aHem hier beriicksichtigt. Doch sind gewiss noch manche Predigten der Pfeifferschen Sammlung 4) von Eckhart tatsachlich gehalten worden, so dass man auch sie neben den zweifeHos echten hier heranziehen konnte. Neben den deutschen Predigten wurden auch die Reden der Unterscheidung, die in seiner Erfurter Zeit, wahrscheinlich zwischen 1296 und 1298 ens tan den, als Belege fUr seine aszetischen Lehren gebraucht. Es sind Gesprache, die Meister Eckhart mit seinen geistlichen Kindem tiber religi5se Fragen fUhrte 5). Ferner bot das Buch der gottlichen Trostung, das Eckhart wahrscheinlich 1314 verfasste 6), manchen uns interessierenden Abschnitt. Die Echtheit der tibrigen deutschen Schriften, Traktate und Sprtiche, die unter Eckharts Namen gehen, ist bisher nicht eindeutig festgestellt. Doch werden auch sie hier zu Rate gezogen, obwohl ihre Beweiskraft geringer ist. Unter den lateinischen Texten des Meisters waren es vor aHem seine lateinischen Predigten und der 10hanneskommentar, aus denen Beachtenswertes zu unserem Thema zu entnehmen war'). Allerdings enttauschte 1) Hier zitiert nach der Ausgabe von Ph. Strauch, Meister Eckharts Buch der gottlichen Trostung und von dem ed/en Menschen, Kleine Texte mr theologische und philologische Vorlesungen und Obungen, hgg. v. H. Lietzmann, Bonn 1910. Vgl. zu dieser Predigt: L. L. Hammerich, Zs. f. d. Phil. 56, 1931, S. 69 fT., und H. Roos, Zs. f. d. Phil. 57, 1932, S. 224 fT. I) Dies sind die Predigten 1-15 in der Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts, Die deutschen Werke, 1. Bd. Meister Eckharts Predigten, Stuttgart 1936. 8) Z.B. sind die Predigten Pf. XXI, XXXV, XXXVI durch Parallelen im Opus sermonum als echt erwiesen (s. Quint, Zweite Abteilung, Pro 17 fT.). 4) F. Pfeiffer, Meister Eckhart, IV. Aufll., Gottingen 1924. Diese Ausgabe wird hier zitiert mit den von Quint vorgeschlagenen Verbesserungen (J. Quint, Die Oberlieferung der deutschen Predigfen Meister Eckharts, Bonn 1932). 6) E. Diederichs, Meister Eckharts Reden der Unterscheidung (Kleine Texte f. Vorlesungen und Obungen, hgg. v. H. Lietzmann Nr. 117) Bonn, 1913. Textzitatejedoch nach pfeiffer. 6) Hier zitiert nach Ph. Strauch, s.o. Anm. I. 7) Die Iateinischen Werke werden hier angef"lihrt nach der Gesamtausgabe. los. Koch, der fiir die lateinischen Werke in dieser Ausgabe verantwortlich ist, stellte

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die Durchsicht der lateinischen Predigten, denn sie sind eben nur Entwlirfe. Sie geben wohl genau und ausfUhrlich die Belege aus der ffi. Schrift und den Vlitern an, aber wenn Eckhart auf sein Hauptthema, die Abgeschiedenheit, kommt, dann steht da nur kurz ein Stichwort wie "abnegatio" mit einem "pertracta" oder "expone" dahinter. Er lebte eben so stark in den Gedanken liber die Abgeschiedenheit, dass er sie nicht bei der Predigtvorbereitung aufzuzeichnen brauchte, er konnte sie ohne Konzept vortragen. DIE THEOLOGlSCHEN UNO PSYCHOLOGlSCHEN VORAUSSETZUNGEN SEINER ASZESE

Will man die Aszese Meister Eckharts recht verstehen, so muss man auf seinen Gottesbegriff zurlickgreifen. Gott ist fUr ihn das absolute und unendliche Sein. Wegen dieser Unendlichkeit Hisst es sich nicht in Begriffe fassen. Immer wieder versucht Eckhart, dieses Sein nliher zu bestimmen; bildhaft nennt er es "einveltic grunt" 1), "einveltic stille, diu in ir seIber unbewegelich ist" 2), ein "liberswebend licht" 3). Aber immer wieder muss er die Unflihigkeit eingestehen, das Sein in Worte mit positivem Sinn einzufangen 4). Lieber sagt er von ihm aus, dass es ein "niht" ist 5), weil es alle unsere Begriffe libersteigt. Das Sein weiss und erkennt sich selbst. Sein und Erkennen, "esse" und "intelligere" sind in Gott ein und dasselbe. Von hier aus ergibt sich seine Darstellung der Dreifaltigkeit, die schon Vorglinger im christlichen Denken hatte. Der Vater zeugt den Sohn, erkennt sich selbst im Sohn. Wie der Sohn in der Gottheit yom Vater ausgeht als Erkennen, so der HI. Geist als Liebe 6). Das Sohngebliren ist dem Vater wesentlich. Indem der Vater das Wort zeugt, spricht, zeugt er auch alle Kreaturen. In dem ewigen Ausmir freundlieherweise aueh die noeh nieht gedruekten Teile des Johanneskommentars und der Predigten zur Verrligung, so dass aueh sie bei der Oarstellung der Aszese beriieksiehtigt werden konnen. 1) Pf., Pro XIII, 65, 14. I) Pf., Pro LX, 194, 6. 3) Pf., Pro XXx, 107, 37. 4) Vgl. Josef Bernhart, Deutsche Mystiker, Bd. III; Meister Eckhart, S. 8, und Otto Piper, Die Grundlagen der Eckehartschen Theologie, Theol. Blatter 14, 1935, S.1751f. 5) "Oil solt in minnen als er ist, ein niht-got, ein niht-geist, ein niht-person, ein niht-bilde, mer: als er ein lilter pilr klir ein ist, gesundert von aller zweiheite" (Pf., Pro XCIX, 320, 27). I) Zur Oreifaltigkeitslehre Eckharts vgl. den Anfang seines Johanneskommentars: In loh. no. 4, S. 5 If. und Quint, Pro I, S. 16 If.

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stromen, in dem der Sohn gezeugt wird, sind auch die Urbilder aller Dinge ausgestromt. Die SehOpfung ist also bier in den Sohn hinein verlegt, er wird zum "mundus arehetypus". Diese Gedanken waren zwar schon vor ihm ausgesprochen worden 1), aber in den Uberspitzten Formulierungen Eckharts klingen sie scharfer, liessen aufhorchen und weckten zum Naehdenken, aber aueh zum Widerspruch 2). Es schien, als ob in Eckharts Auffassung kein Raum fUr die SehOpfung in der Zeit sei und als ob fUr ihn auch die Welt ewig sei. Aber Eckhart hatte es nieht so gemeint. Vom Gesehaffenen glaubte er eine doppelte Seinsweise aussagen zu konnen: die ewige, wandellose in seiner Ursaehe, im ewigen, gottlichen Wort, die eben beschrieben wurde, - und die andere in der ausseren Schopfung in der gesonderten Form, diese letztere als Schopfung in der Zeit. Nur wollte Eckhart unbedingt die Einheit Gottes hervorheben und gewahrt wissen, eine Zweiteilung durch die Zeugung des Sohnes und die Erschaffung der Welt schien ihm diese Einheit zu zerstoren. Der Vater kann nur das Eine und Gleiehe zeugen, ohne dem Sein Abbruch zu tun. Welche Folgerungen sich aus diesen Einsiehten fUr das praktische religiose Leben ergeben, sei erst ausgefUhrt, nachdem wir vorher noch in der psyehischen Eigenart Eckharts einzelne Voraussetzungen seiner Aszese aufgewiesen haben. Zwar fliessen die Quellen, aus denen sein Lebensbild erstehen konnte, recht sparlich. Keine "Confessiones", keine Selbstbiographie, keine Vita eines Zeitgenossen ist der Nachwelt iiberliefert, aus der wir seine ausfUhrIiehe Lebensgeschichte und die GrundzUge seines Charakters entnehmen konnten. Wenn wir seine Personlichkeit kennenlernen wollen, mUssen wir sie aus seinen eigenen Werken, aus seinen eigenen Worten herauslesen. Unter manchem Ballast von Herkommlichem, zwischen den Zeilen von philosophisch-theologischen Vorlesungen verbirgt sie sich. Aber in den Predigten, die ihrer Art nach fUr Personliches mehr Raum liessen, brieht sie oft hervor: die Begeisterung, ja die Leidenschaft des unentwegten Gottsuchers reisst ihn fort. Gewiss, er sprieht auch von dem Alltaglichen im Leben eines Christenmensehen, von Versuehung, Gnadenmitteln, Heiligenverehrung, aber nur kurz. 1) Vgl. die Anmerkungen zu den ersten drei Kapiteln des Textbuehes von o. Karrer und die Anmerkungen der Gesamtausgabe zum Johanneskommentar. Hier soll nieht weiter auf den Unterschied zwischen Eckharts Gottesbegriff und dem der Scholastik eingegangen werden, weil dies fUr den weiteren Verlauf unserer Untersuchung nieht von Interesse ist. Vgl. hienu O. Piper, a.a.O., S. 181 ff., S. 186 ff. I) S. Satz 1, 2 u. 3 in der Bulle Johanns XXII., die 28 seiner Slitze verurteilt.

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Ober periphere Dinge sehreitet er eilig hinweg zum einzig Wesentliehen, zu Gott hin. Alles Obrige - und nieht nur das Profane, sondern aueh alles Nebensachliehe im Bezirk des "Heiligen" - verblasst ihm vor dem Zentrum: Gott und seiner Menschwerdung in uns. Vor allem lassen die eindringliehen Schlussatze seiner deutschen Predigten es uns besonders stark nachempfinden, wie sehr es Eckhart immer urn das Eine ging: urn Gott. Seine ganze ungebrochene Kraft, die durch die Gnade geadelt und gestarkt wurde, setzt er ein, um zu Gott zu kommen. AIle Schalen durchbricht er, urn zum Kern der Fragen, zu Gott durchzudringen. Nie ermtidet er, immer ist er einsatzbereit, immer weiter drangt er in atemberaubendem Flug bis zum hachsten Gipfel, und dort angelangt reckt er sich noch hoher in tiberspitzten, schwindelerregenden, paradoxen Worten, deren Inhalt den meisten seiner Zuhorer wohl kaum zuganglich war 1). In klarer, gerader Linie muss er wohl selbst diesem Ziel zugestrebt sein. Hatte sich auch nur der kleinste personliche Makel an ihm gefunden, seine eifrigen, ziihen Gegner wtirden es nicht versaumt haben, darauf hinzuweisen und sich diese Schwachen zunutze zu machen. So aber konnte er stolz bei seiner Verteidigung yom 26. September 1326 sagen, dass sein ganzes Leben und seine ganze Lehre daflir zeuge, dass er nie Haretiker gewesen sei 2). "Wenn ich geringeren Ruf beim Volke genosse und minderen Eifer flir die Gerechtigkeit hiitte, ftirwahr, ich bin tiberzeugt, dass von meinen Neidern derartiges nieht gegen mich versucht worden ware" 3). Wer es ruhig wagen konnte, ohne Furcht so zu sprechen, der muss doch gewiss von untadeligem Lebenswandel gewesen sein. Und solches gibt nattirlich seiner aszetischen Lehre einen besonderen Akzent und eine besondere Kraft, da ja bekanntlich das Vorbild noch mehr vermag als Worte. Gott war ftir ihn der Mittelpunkt, urn den all sein Denken und Tun kreiste, so wie er es einfach und klar in den Reden der 1) 1m schwungvollen Schluss von Pr. LXXIX (pr. 256, 9 if.), in der er, so ganz iiberzeugt davon, dass, wenn die Seele mit Gott geeiot ist, sie niehts mehr von Gott trennen kann, selbst nieht Gott und seine Engel,sagt er die stolzen Worte: "Trotz Gott seiber! Trutz den Engelnl Trutz allen Kreaturen!" weil sie aile nieht mehr die Seele trennen konnen von dem Urbild, darln sie eins mit Gott ist. I) "In Anbetracht der Freiheit und der Prlvilegien unseres Ordens bin ieh nieht gehalten, vor Eueh zu erscheinen, noch aueh die gegen mieh erhobenen Vorwiirfe zu beantworten, zumal ieh nie der Hiiresie beschuldigt worden oder jemals in solehem Ruf gestanden bin, worm mein ganzes Leben und Meine Lehre Zeugnis gibt, und ieh stehe damit im Einklang mit der Ansicht Meiner BrUder des ganzen Ordens und des Volkes beiderlei Geschlechtes im gesamten Bereich der ganzen Nation." KarrerPiesch, S. 77. 8) Karrer-Piesch, S. 77.

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Unterscheidung ausgesprochen hatte: "Dar ftf setze allez din studieren. daz dir got groz werde unt daz aller din ernst unde ftiz zuo ime sf in allen dinen werken und in allem dinem lazen" 1). Urn dies zu erreichen, liess er alles Geschaffene als nichtig erscheinen, selbst auf die Gefahr hin, missverstanden und von der Inquisition angeklagt zu werden 2). Er behauptet unentwegt: aIle Kreaturen sind ein Nichts 3). Man konnte zweifeln, ob dies das Wort eines erkenntniskritischen oder eines religiosen Idealisten ist. Aber wenn man sich die Stellen in ihrem Zusammenhang ansieht, dann merkt man deutlich, dass er vom Nichts der Kreatur so spricht, wie Heilige davon reden, als aszetischer Lehrer: er woIlte seinen ZuhOrem die totale Nichtigkeit alles Irdischen einhammem, damit sie es leichter "lassen" und sich Gott zuwenden. Er will sie damit gleichsam auf den Weg zu Gott locken. DER BEGINN DES WEGES ZU GOTI: DEMUT, UMKEHR, REUE

Auch der Mensch muss sich, weil er eben Geschopf Gottes ist, bewusst bleiben, dass er ein Nichts ist. Darum ziemt ihm Demut. Demut ist der allererste Schritt auf dem Weg zu Gott '), und mit Augustinus singt er begeistert ihr Lob. Gem und oft leitet er das Wort "humilitas" von seiner lateinischen Wurzel ab: "humilitas" hangt mit "humus" (Erde) zusammen und bezeichnet darum die eigentliche Grundhaltung des Menschen: die Niedrigkeit 5). In rhetorischem Gegensatz dazu schildert Eckhart, wie der zur Erde gebeugte DemUtige aufgerichtet wird: der "humilitas" folgt die "ascensio", denn die Demut bereitet den Weg zur Gnade, zum Aufstieg zu Gott 6). Der Demiitige solI sich den Leitspruch zu eigen machen: "Verachte die Welt, verachte dich 1) R.d.U., S. 9,8 ff. (Pf. 546,35).

B) Karrer-Piesch, A und B IV, 15 und C II, 30 und 43. Vgl. hierzu auch: Augustinus Soli/oq. 1,1 u. 29; Con/. 7,11. Thomas, De veritate 8,7 ad 2; S. theol. 11,2,5,1 ad 2. Anselm Prosl. 27 und Monol. 31. (Nach Karrer, S. 220, Anm. 143, 145 und 154). 1m folgenden werden die Hinweise auf Eckharts Quellen (Augustin us, Bernhard, Thomas usw.) meist den ausiUhrlichen Quellenangaben der Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts entnommen. Wies ein anderer Eckhartforscher, z.B. Karrer, darauf hin, so wurde dies besonders vermerkt. 8) Quint, Pr. 4, S. 69, 8 ff.; Pro 5a, S. 80, 13 (s. hier vor allem Anm. 4, wo noch viele Parallelstellen aus andern Werken Eckharts angeiUhrt sind); Pro 10, S. 170,3; Pro 11, S. 185,5. ') Serm. VII, no. 78, S. 75, 13 ff. 6) Serm. XXII, no. 214, S. 199,3; XXVIII, no. 382; In Joh. no. 318 ff., no. 527 ff. 6) Serm. XII, no. 122, S. 116,6 ff.; II, 2, no. 17, S. 18,6; XXII, no. 206, S. 191, 10; XXVIII, no. 380 ff.; In Joh. no. 90, S. 77, 12; no. 356. Ahnliche Gedanken bei PseudoAugustinus (Ambrosius Autpertus), Sermo 20 no. 10.

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seIber, sonst niemand, - dass du verachtet, verachte!" 1) Er rUhmt die Frau, die dieser Verachtung fahig ist, denn sie ist in Wirklichkeit reich, sie wachst tiber sich selbst hinaus und zu Gott hin 2). Solcher Wahlspruch gibt jene lachelnde Oberlegenheit, die tiber aUe ZufaIle des Lebens triumphiert und deren nur eine grosse, aber demtitige Seele fahig ist. Darum wird Eckhart dieses Motto so geliebt haben, denn es kehrt an den verschiedensten Stellen seines Werkes wieder 3). Das ist das Eigenartige der Demut: sie macht nicht klein, sondern gross - nicht schwach, sondern stark. Das Gebet des Demtitigen vermag alles bei Gott '), ja, der Demtitige hat sogar, wie Eckhart es in seiner Begeisterung ausdrtickt, Gottes Allmacht zur Verftigung: "Der demtitige Mensch hat solche Macht tiber Gott wie Gott selbst, und alles, was in allen Engeln ist, das ist auch dem demtitigen Menschen zu eigen. Was Gott wirkt, das wirkt auch der demtitige Mensch, und was Gott ist, das ist er auch, ein Leben und ein Wesen" 5). Hier wird es deutlich, dass Eckhart vielleicht gerade um dieser Macht willen die Demut tibt, weil sie nicht nur den Menschen, sondern auch Gott bezwingt. Das wird ihm vorgeworfen, aber er bleibt dabei und nimmt den Satz selbst in seine Verteidigung auf 6), fest davon tiberzeugt, dass er das Rechte, namlich Gott, will. Weiss er doch, dass sein Verlangen nach Gott hin, wenn es mit der rechten Demut gepaart ist, ihn in "die Schatzkammer der Dreifaltigkeit" fdhren wird 7). 1m Demtitigen voUzieht sich langsam die Umkehr vom "homo exterior" zum "homo interior". Klar und deutlich hebt Eckhart diese zwei Menschentypen gegeneinander abo Er erlautert Lucas XVI "Homo quidam erat dives": der hier genannte Reiche ist der ausserliche, alte, weltliche Mensch. Ihm gegentiber steht der bekehrte, der innerliche, neue, auf das Himmlische gerichtete Mensch 8). Sind beide auch am gleichen Ort, sie sind doch so geschieden von einander wie Himmel und 1) "Spemere mundum, spemere nullum, spernere sese, spernere se sperni". Serm. XXII, no. 214, S. 199, 3. Der dortigen Anmerkung zufolge wurde der Satz einem Erzbischof Malachias zugeschrieben. I) Pf., Pr. LII, 172, 34 fr. 8) Serm. XXXV, no. 366; LV, no. 541. ') Serm. XIII, no. 150, S. 140, 16 fr. 6) Quint, Pr. 14, S. 235, 9 fr. Vgl. Thery, S. 178. 8) Karrer-Piesch, A und B IV, 4 und C II, 14. ?) Pf., Pr. XVIII, 79, 10-16. Der gleiche Gedanke auch Pf., Pr. LI, 168, 23-29. 8) Serm. VII, no. 78, S. 75, 5 fr. Vgl. auch Serm. XXII, no. 206, S. 190, Iff. (wortlich das Gleiche); Serm. XXVI, no. 269 und XLI, no. 418. Vgl. auch Yom ed/en Menschen, S. 41,26 fr.

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Erde 1). 1m innerlichen Menschen wohnt namlich Gott 2). Das Lob des "homo interior", der immer getrostet wird, der schon in der Ewigkeit lebt, weil Gott in ihm lebt, schliesst er mit den Worten: "Hic homo interior spatiosissimus est, quia magnus sine magnitudine" 3). Es war also gerade die Weite und Grosse des innerlichen Menschen, die Eckhart anzog. Er wollte seine Zuhorer hinausflihren aus der Beschranktheit des ausserlichen Menschen in die Allumfassendheit Gottes. Aber jeder muss zunachst in seinem eigenen Innern den ausserlichen Menschen besiegen. Wie so oft, schildert Eckhart auch hier das Ideal der vollen Unterwerfung in von Begeisterung glUhenden und darum vielleicht zu grellen Farben. Darum mag man ihn in diesem Punkt angegriffen haben. 1st der ausserliche Mensch yom inneren Uberwunden worden, dann lebt er im Frieden Gottes flir alle Zeiten 4). Solche Gedanken bargen die Gefahr des Quietismus in sich 5), aber nicht flir Eckhart selbst; daflir hatte er zu oft yom aktiven Streben, der "begerunge", gesprochen. Der innerliche Mensch entwickelt sich in sechs Stufen zur Vollkommenheit 6), die Eckhart bei Augustinus schon vorfand und von ihm Ubernahm. Ausfiihrlich beschreibt er sie in der Predigt Yom ed/en Menschen. Die Kennzeichen der einzelnen Stufen sind: Auf der I. Stufe darf man sich noch an beilige Vorbilder halten, wie das Kind, das Gehen lernt, noch nach Stiihlen greift, urn sich festzuhalten; auf der 2. Stufe ist die Seele schon durchdrungen von himmlischer Weisheit: sie kehrt der Welt den Riicken und lacht den himmlischen Vater an; auf der 3. Stufe hat die Seele alle Menschenfurcht abgeworfen und will nur mehr, was Gott will; auf der 4. bewahrt der Mensch sich in Schwierigkeiten, weil er immer mehr von der Liebe Gottes durchdrungen wird; auf der 5. Stufe ruht er schon im Genuss der gottlichen Weisheit, und in der 6. wird er iiberbildet von Gott. In einer lateinischen Predigtskizze kehrt diese gleiche Stufenleiter wieder 7). AIlzuviel Bedeutung darf man solchen Schemata, die Eckhart ofters entwirft, wenn er sich dazu angeregt flihlt, nicht beimessen. Er wollte seine Zuhorer durchaus nicht auf diese "Weisen" festlegen, wie er immer wieder hervorhebt. 1) Serm. VII, no. 82, S. 79,4 if.

pr., Pr. LV, 180, 16 und 25.

I) Serm. VII, no. 83, S. 79, 7. 8) Serm. VII, no. 83, S. 79, 14.

') Quint Pro I, S. 20, 3 if. i) Karrer-Piesch. A IV, 9 und die Erwiderung. e) Vom ed/en Menschen, S. 43, 27-44, 30. Vgl. hierzu Augustinus, De vera re!ig;one C. 26, no. 49. 7) Serm. VII, no. 80, S. 76, 12 if.

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Der verinnerlichte Mensch muss sich vor allem von der SUnde abkehren, denn sie ist Knechtschaft, sie ist Verlassen der Einheit, Hinausgehen in die Mannigfaltigkeit, sie ist Tod der Seele 1). Wie er selbst ofters angibt, hatte er diese Auffassung von Augustinus Ubernommen 2). Vergleicht man aber beide miteinander, so wird Eckharts EigentUmlichkeit deutlich. Eckhart setzt an die erste Stelle: "SUnde ist dienen", und das war seinem Herrscherwillen, hier als Beherrschung alles Niederen genommen, seinem Freiheitsdrang zuwider 3). Thomistisch spricht er Uber den SUndenfall ') und Uber die Eigenliebe als den Ursprung aller SUnde 6). Er folgt also hier im allgemeinen der Schule. Auffallend ist nur, dass er den Schaden, den Jammer und die Not der SUnde nur kurz schildert. Dies ist aus der klosterlichen Umgebung zu erkUiren. Da brauchte er nicht ausfUhrlich Uber SUnde, Laster und die Eitelkeit der Welt zu reden. Seine ZuhOrer hatten ja schon die Welt verlassen oder kamen kaum noch mit ihr in BerUhrung. Ihm ging es urn Hoheres, um feinere Hindernisse in dem schon fortgeschrittenen geistlichen Leben seiner ZuhOrerschaft. Daher spricht er verhaltnismassig wenig von der SUnde und schreitet schnell zur Oberwindung der SUnde durch die Tugend fort. Ja, die SUnde selbst kann, in Eckharts paradoxaler Ausdruckweise, Anlass zur TugendUbung werden 6). Die Bitte des Vater-unser "Und fUhre uns nicht in Versuchung" will er so aufgefasst wissen, dass sie nicht urn die Abwendung der Versuchung fieht, denn Job, Abraham und Josefwurden auch versucht, sondern urn Oberwindung der Anfechtungen 7). 1m Kampf wachst die Tugend: je grosser die Versuchung, urn so ruhmreicher die Oberwindung, urn so wohlgefalliger der Mensch in den Augen Gottes 8). Stiirker noch aussert sich seine Freude 1) Serm. XVII, no. 166, S. 158,5 fr.; XVII, no. 170, S. 162, 11; XLVII, no. 495. I) Vgl. hierzu die Quellenangabe zum Abschnitt "SUnde" bei Karrer, S. 229,

Anm.236fr. 8) Seiner Auffassung von der SUnde als etwas sittlieh Nieht-seiendem entsprieht aueh seine Auslegung der Hollenqualen. Er vergieieht die Holle mit Kohle, die auf der Hand brennt: Nur weil die Hand nieht Feuer ist, darum tut die brennende Kohle, die daraufliegt, so weh. Quint, Pro 5b, S. 88, 6 fr. ') Serm. Y, 2, no. 43, S. 43, 4 fr.; S. Thomas, In Joh. e. 3 leet. 5. 5) Serm. XIX, no. 191, S. 178,4. 8) Schon das BOse ist immer an etwas Gutem: " ,Lux in tenebris lucet' quia malum semper est in bono, nee videtur nee eognoscitur nee lucet nisi in speeie boni." (In Joh., no. 75, S. 63, 6). Und noch weiter ausgeilihrt in Sermo XXI, no. 202, S. 186, 11. Auch dies war scholastisches Gedankengut. 'I) Tractatus super oratione dominica, Lat. Werke, Bd. V, S. 127, no. 17,3. 8) R.d. U., S. 32, 20 fr. LiiCKER, Meister Eckhart

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am mutigen Kampf, an der Oberwindung des Bosen an jener Stelle in den Reden der Unterscheidung, an der er von zwei Menschen spricht: der eine hat wenige, der andere viele Fehler. Er preist den Menschen mit den zahlreichen Fehlem, denn er kann sich mehr in der Tugend bewahren: "Wan volkomenheit der tugende kumt von dem strite, als sant Paulus sprichet: ,diu tugent wirt volbraht in der krankheit' ... der anstoz unde diu bewegunge der untugende bringent die tugent unde den Ion in dem mUejenne. Wan diu neigunge machet den menschen fliziger allewege sich in der tugende groezlicher ze Uebenne unde tribet in zuo der tugende mit gewalte unde si ist ein strengiu geisel, die den menschen ze der huote unde ze der tugende tribet" 1). Etwas sehr Trostliches hatjene "Collazie", in der er nachweist, dass Gott gerade die, die er zu grossen Dingen berief, auf harte Proben stellte. Ja, Gott leidet gem den Schaden der SUnde, um dann starker seine Liebe zeigen zu konnen II). Behte Reue macht die SUnde wieder gut. In Nr. 13 der Reden der Unterscheidung nennt er zwei Arten der Reue: die zeitliche oder sinnliche und die gottliche oder Ubematiirliche. Diese letztere entspringt einem grossen Vertrauen zu Gott. Je mehr Fehler ein Mensch hatte, um so mehr Grunde hat er nun, urn sich in ganzer Liebe an Gott zu binden. Diese UbernatUrliche Reue gibt ihm eine grosse Sicherheit und geistige Freude 3). Demut, Abkehr von der Welt, Reue Uber die SUnden, das waren die ersten Schritte auf dem Weg zu Gott. Das ist Allgemeingut jeglicher Aszese. Dem Inhalt nach bot Eckhart hier nichts Neues, er folgte der Tradition. Nur die zuweilen eigenartige Pragung dieser Gedanken, ihre paradoxe Form, war Uberraschend: sie verriet den stUrmischen Gottsucher, der unbedingt sein Ziel erreichen wollte und der auch im Dunkel der SUnde und der Versuchung zu Gott hin len ken mochte. 1) R.d.U., S. 14, 26 fr. (pf., 551, 31

fr.).

8) "Dar umbe lidet got geme den schaden der siinden unde hat dicke geliten und

aIIer dickest verhenget tiber die menschen, die er hat versehen, daz er sie zegrozen dingen ziehen welle. Nim war! Wer was unserm herren ie lieber unde heimlicher denne die aposteln waren? Der beleip nie keiner, er viele in totstinden, aIle waren sie totsiinder gewesen ... die liute koment zuo grozen dingen, sie slen ze dem ersten etwaz vertreten, unde meinet unser herre hie mite, daz wir sine groze barmeherzikeit erkennen und uns manen ze grozer unde warer demtietikeit und andiht" (R.d.U., S. 21, 17. pf., 557, 28). VgI. August., De corr. et gr. 24. Thomas, I 2, 79,4 (nach Karrer, S. 234, 310). S. auch R.d.U., S. 43, 7. 8) R.d.U., S. 21, 36 fr. Vgl. Thomas, III, 85, 5 (nach Karrer, S. 234, 305).

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HINDERNISSE AUF DEM WEGE ZU GOIT: ZEIT, MANNIGFALTIGKEIT, LEIBLICHKEIT

Dem vorwartsstrebenden Menschen stellen sich drei Hindernisse entgegen: Zeit, Mannigfaltigkeit und Leiblichkeit, wie schon Augustinus es gesagt hatte. Eckhart iibernimmt es von ihm. Er betont immer wieder: Solange diese drei noch in der Seele wohnen, ist Gott noch nicht in ihr 1). Sie widerstehen Gott, denn sie sind ihm entgegengesetzt, ihm, der in Ewigkeit und der Eine und darum auch reiner Geist ist 2). Erst wenn der Mensch in diesen drei Dingen: in der Ewigkeit, in der "Wiiste der Einheit" und im Geiste wohnt, h5rt er das Wort Gottes 3). Er erlautert: Gott steht ausserhalb der Zeit; er, der Unveranderliche, wohnt in der Zeitlosigkeit und Ruhe. In der Predigt In omnibus requiem quaesivi preist er die Ruhe in Gott: Alles Geschaffene ist nur geschaffen, um schliesslich in Gott zu ruhen 4). Darum soIl der Mensch die Unruhe, auch die Unruhe der ausseren Werke fiiehen. 1m still gewordenen Herzen, "in der Ein5de des Herzens" kann und wird Gott grosse Dinge wirken 6). Augustinus und Anselm inspirierten diesen Lobgesang. Vergleicht man aber die betreffende Anselmstelle 6) mit dieser Predigt, so ist der Unterschied deutlich: Anselms Rat war mehr eine Aufforderung zur Zuriickgezogenheit vom Getriebe der Welt gewesen, aber er lockte nicht zur Einsamkeit und der Ruhe in Gott, so wie Eckhart es mit grosser Sprachgewalt tut. Bei Gott gibt es keine Zeit, er schuf die Welt im ewigen "Jetzt" 7). Darum muss auch die Seele, in der Gott geboren werden soIl, ausserhalb der Zeit und dem Zeitlichen stehen, in der Ewigkeit Gottes 8). "M5hte zit die sale beriieren, so enm5hte got in ir niht geborn werden. Diu sale in der got geboren sol werden, diu muoz der zit enpfallen, unde diu zit muoz ouch ir en1) Quint, Pr. 11, S. 178,4fr. I) In Joh., no. 376. 8) Quint, Pro 12, S. 193, 3 fr. Vgl. auch Par. an. in/., S. 40, 11; S. 125, 3. ') Pf., Pr. XLV, 152, 4. S. auch In Joh., no. WI, S. 169,5. 6) Pf., Pro XLV, 153, 12 fr.; Yom ed/en Menschen, S. 51, 16. 6) Anselm, Pros/og., C. I, verarbeitet in Meditatio XXI, die zu Unrecht Anselm

zugeschrieben wird: Fuge paululum occupationes terrenas, absconde te modicum a tumultuosis cogitationibus, abice onerosas curas tuas et postpone laboriosas distensiones tuas. Vaca aliquantulum Deo, et requiesce aliquantulum in eo (PL 158,814 D). 7) Augustinischer Gedanke (vgl. Conf., XI, 6). Diese Stelle wird von Eckhart selbst angegeben im Trac/a/us super oratione dominica, S. 123, 6; s. auch In Joh., no. 218, S. 183, 18. 8) pr., Pr. XVIII, 78, 22 fr.; Serm. VII, no. 83, S. 79, 10; VI, no. 52, S. 50, 11; XX, no. 208, S. 193, 8.

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pfallen" 1). Das ist wohl die kiirzeste Formel, auf die er seine Forderung bringt. Oder er driickt es, sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen aus: in der Seele, die "im gegenwartigen Nun" steht, vollzieht sich die Gottesgeburt 2). Ein zweites Hindernis ist die Mannigfaltigkeit. Auch sie muss die Seele "lassen". Denn aIle Geteiltheit, aIle Zahl ist Gott fremd, weil er der Eine ist 3). Die Einheit Gottes ist es, die Eckhart bier wieder fesselt. Er bleibt nicht bei der Erkenntnis stehen, dass Gott, weil er der Eine ist, ungeteilt sein muss 4), sondern er zieht auch die Folgerungen fUr das menschliche Leben daraus: also darf auch die Seele, die sich ihm nahert, ja sich mit ihm vereinigen will, nicht geteilt sein. Er erklart es nilchtern, sachlich an einer Stelle des Johanneskommentars 6), dass sich mit dem Einen nicht Boses, Fehler, Geteiltheit, Zahl oder Vielfalt vereinen lassen. Er sagt es bildhaft, allegorisierend im Stil der Bibelerklarung seiner Zeit in seinen Predigten: Warum weinte Maria Magdalena am Grabe? Weil sie zwei Gestalten, zwei Engel sah, aber nicht den Einen, den sie suchte und liebte: "Quod ideo Magdalena viso numero binario, scilicet angelorum, magis doluit quaerens unum, deum scilicet" 6). Oft deutet er so die Trauer der Magdalena '1). Diese Forderung: "weg von der Mannigfaltigkeit" erfUIlen, heisst zunachst, die Mannigfaltigkeit der fUnf Sinne zu "lassen". Denn gerade die Sinne zerstreuen 8). Will die Seele sich mit Gott vereinen, dann muss sie aIle Krafte aus der Zerstreuung heimholen und sie sammeln zu innerem Wirken 9). Die Krafte der Seele, Gedachtnis, Wille und wie sie aIle in der Ausdrucksweise der mittelalterlichen Psychologie heissen mgen, bringen nur die Vielfaltigkeit in den Menschen hinein und verhindern, dass die Seele 1) pr., Pr. XXIX, 105, 15 if. B) Quint, Pro 10, S. 171,8. Vgl. aueh 8) Serm. IV, no. 30, S. 31, 8 if.

pr., Pro LIX, 190,29 if.; Pro LXIX, 223, 14.

') Rein erkenntnismiissig begriindet er den Gegensatz zwischen der Mannigfaltigkeit und der Einheit Gottes z.B. in seiner Predigt zu Luk. 16, 19-31: Ubi possunt multa diei spiritualiter: quod oculum oportet esse immixtum et intellectum etc. (Serm. VIII, no. 93, S. 88, 5 if. S. aueh die dort unter nota 6 angegebenen Parallelstellen bei Eckhart, sowie die Quelle: Aristoteles). Vgl. hierzu O. Piper, a.a.O., S. 184. 6) Patet ergo quod... amatores ereaturarum, in quibus cadit privatio, hoc et hoc et multitudo, tales sunt, in quibus non habitat deus (In Joh., no. 208, S. 176,5). ') Serm. IV, 2, no. 30, S. 31, 14. Urheber dieser Deutung ist angeblieh Origenes, Pf., Pr. XLVIII, 160,21. Doch ist die diesbczUgliehe Stelle nieht von Origenes. Vgl. hierzu nota 1 Serm. IV, S. 31. ') Pf., Pr. XXXIV, 120, 18; LXXIV, 234, 26 if. 8) Quint, Pr. 8, S. 136,7. I) Pf., Pr. II, 13, 16 if.

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wieder zu ihrem Ursprung und Grund, zu Gott, der Einheit, zurtickkehrt 1). Nur eine Kraft, die Vernunft, kann uns helfen, zum ungeteilten Leben zu kommen. Die Predigt Nunc scio vere 2), schildert vor aHem in ihrem zweiten Teil die Rolle des Erkennens bei der Gottesgeburt. Da zeigt Eckhart, wie die Vernunft die geheimsten Turen offnet, eindringt, durchbricht und schliesslich Gott findet 3). Damit sind wir von dieser Seite her zur Schwelle der Gottesgeburt gekommen. Oft beschreibt Eckhart den Schritt von der Mannigfaltigkeit der SchOpfung zum alleinigen Gott auf eine andere Weise: in jede Kreatur senkte Gott einen Teil seiner Wonne; er selbst aber besitzt die Wurzel aller Wonne und Freude, damit wir immer unbefriedigt von dem, was die Geschopfe uns bieten konnen, zu ihm hin wollen, vom Teil hinweg zum Ganzen, zum Ursprung, zu Gott. Gott wirbt urn die Seele, wenn er ihr die Freuden der Geschopfe zusendet als Vorgeschmack, er selbst aber ist erst die ganze Freude 4). Wie anschaulich-treffend Eckhart es doch zu sagen weiss: Gott duldet kein Gedrange um sich, er will nicht, dass wir etwas anderes ausser ihm begehren. Ausfiihrlich und klar, so ganz in eigenem Stil, ohne sich an Vorganger anzulehnen, spricht er in den Reden der Unterscheidung, tiber die Notwendigkeit des "Lassens" der Mannigfaltigkeit 5) "da alliu manicfaltekeit einz ist und ein unvermanicvaltekeit ist". Diese untibersetzbare "unvermanigfeltikeit" driickt die ganze Zusammenraffung alles Geschopflichen in Gott aus, wie Eckhart es dann noch weiter ausfiihrt: Ob der Mensch in der Kirche oder auf der Strasse oder in der Zelle ist, ob beim Gebet oder bei der Arbeit, immer und uberall solI er Gott begegnen. Dieses innere Ausgerichtetsein auf den alleinigen Gott trage er hinein in die Menge, in die Unruhe, in die Ungleichheit. Nicht alle Arbeit hat den gleichen Wert, Beten ist besser als Spinnen, und doch solI das Herz bei allem Tun in gleichem Ernst und gleicher Treue ungeteilt Gott angehOren. Diese Kunst des Gott-in-allen-Dingen-sehen lernt der Mensch nicht durch Flucht in 1) "AIle die krefte der sale und alliu ir werk daz sint alles meinige; gehiignisse, verstantnisse unde wille, disiu alliu vermenigvaltigent, dar umbe muost dil sie aile IAzen: sinnelicheit, bildunge und alles daz, di dil dich seiber inne vindest unde meinest" (Pf., Pr. IV, 24, 33 fr.). I) Quint, S. 48-57. 8) Vor allem Quint, Pr. 3, S. 52, 7 fr. FUr die Diskussion zur Abgrenzung der Begrifre "bekanntnisse", "verstantnisse" und "vemunftikeit" s. Quint, S. 53, Anm. I, und die dort angegebenen Parallelstellen. Auch Thomas hatte den Intellekt als die hOchste Seelenkraft gepriesen. ') Pf., Pro LI, 168,9 fr. VgI. auch Par. an. int., S. 38, 16 fr. 5) S. 10, 10 fr. (Pf. 547, 36).

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eine iiussere Einode, sondern er muss sich eine innere Einode schaffen lemen. Wo er auch ist, er muss die Dinge "durchbrechen" 1). Das ist eines seiner Lieblingsworte, dieses "durchbrechen", das so ganz seiner starken Art entsprach, die sich trotzig und kraftvoIl ihren Weg zU Gott bahnte. Immer wieder kommt er auf dieses Durchbrechen zurlick. Die klirzeste Formel daflir ist: "Die Schale muss zerbrechen, und das was darin ist, muss herauskommen, denn willst Du den Kern haben, musst Du die Schale zerbrechen" 2). Dieser Kern aIler Dinge war ihm Gott. Stets aufs Neue versucht er, seine Zuhorer zu diesem Durchbruch durch das Geschaffene zu Gott hin aufzumuntern, indem er in ihnen das Verlangen, von der Mannigfaltigkeit zur Einheit zu kommen, weckt 3). Er zeigt ihnen immer wieder, wie sie, indem sie aIle Dinge und Geschehnisse auf den Einen zurlickflihren, zu Gott durchbrechen, zur Einheit und Freiheit 4). Ein anderer Schritt von der Mannigfaltigkeit zur Einheit besteht in der Vereinfachung der Tugendlibungen 5). In seinen knappen, oft so ungemein inhaltsreichen Worten drlickt er dies so aus: "OU solt aIle tugende durchgan und libergan und solt aleine die tugent nemen in dem grunde, da si ein ist mit gotlicher nature" 6), denn ein Durchbrechen aIler Tugenden und Obungen zum Wesentlichen hin, das war sein Ziel. Der zur VoIlkommenheit Strebende solI sich nicht auf eine bestimmte "Weise" festlegen. Er moge erkennen, dass die verschiedenen Obungen nur Mittel und nicht Selbstzweck sind 7). Viele bleiben bei den Mitteln stehen, statt zu Gott durchzudringen 8). Eckhart kiimpft einen ziihen Kampf gegen alles Mechanisch-Ausserliche in der religiosen Praxis. Er kennt zu gut die Gefahr einer libertriebenen Bewertung klosterlicher 1) R.d.V. S. 12, 3. 2) "Diu schal muoz zerbrechen unt muoz daz, daz dar inne ist her uz komen;

wan wiltu den kernen haben, so muostu die schalen brechen" (pr., Pro CII, 333, 24 if.). 3) Pf., Pro LI, 168, 21 if. 4) Z.B.: "Dirre geist muoz iibertreten alle zal und alle menige durchbrechen und er wirt von gote durchbrochen, und also als er mich durchbricht, also durchbriche ich in wider. Got leitet disen geist in die wiistunge und in die einekeit sin selbes .•. Dirre geist stet in einekeit und friheit" (pr., Pro LXXIV, 232, 8 if.). 5) Was Eckharts Aulfassung von Tugend ist, sagt der Sermo die b. Augustini Parisius habitus (Gesamtausgabe der lat. Werke, Bd. V.), S. 96 if. u. In Joh., no. 68, S. 56. Er bewegt sich dabei im Fahrwasser Augustins und Thomas' und bietet nichts Neues. Darum wird hier sein Tugendbegriif nicht nliher erortert. 6) Quint, Pro 16b, S. 276, 3 if. Vgl. auch Quint, Pro 18, S. 303, 10. 7) Quint, Pro 2, S. 28, 7 If. Dies hatte schon Cassian, Coli. Patr. 17, und auch Thomas, II 2, 186, 7 betont (vgl. Karrer, S. 259, Anm. 551). 8) Quint, Pro Sa, S. 82,4 und Pro 8, S. 136, 10 if.

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Tugendform. Deshalb warnt er seine ZuMrerinnen eindringlich vor allen leeren Formelworten, vor dem bloss ausserlichen Verrichten vorgeschriebener geistlicher Obungen. Selbst beim Sakramentenempfang kann das Ausserliche zu sehr fesseln. Auch da ist Hinlenkung auf das Wesentliche geboten. Scharf scheidet Eckhart zwischen dem Symbol, dem ausseren Zeichen und der inneren Wahrheit, auf die es eigentlich ankommt 1). Das Unwesentliche ist ihm Nebensache, ihm geht es um das einzig Wesentliche, die eine Wahrheit: Gott, und darauf ist all sein Streben gerichtet 2). DIE ABGESCHIEDENHEIT ALS KERNPUNKT SEINER ASZESE, IHRE NEGATIVEN UND POSITIVEN FORMEN

Eckhart hatte sich noch bei seiner Darstellung der Hindernisse auf dem Weg zu Gott, a1s er von der Zeit und der Mannigfaltigkeit sprach, an Vorbilder gehalten, wenn auch seine eigene kraftvolle Art die Oberwindung dieser Hemmungen in aufriittelnde, selbstgepragte Worte gekleidet hatte. Dem Urspriinglichsten der aszetischen Lehre Eckharts begegnen wir aber erst in seinem Ruf nach der innerlichen Abgeschiedenheit 3). Sie ist ihm sehr wichtig und wertvoll, denn sie ist die starkste Oberwinderin aller Hindernisse. "Nicht durch Hinzufiigen, sondern durch Abtun wird Gott in der Seele gefunden" heisst es kurz und treffend in einer lateinischen Predigtskizze 4). Dieses "Abtun", Abscheiden, bedeutet Trennung, Trennung von allen Dingen 5); die Seele muss 1) Pf., Pro LXXVI, 239, 25 if. 2) Als weiteres Hindernis hatte Eckhart die ..liplicheit", das Kreatiirliche, genannt. Wei! die Abkehr von der ..liplicheit" seiner Lehre von der Abgeschiedenheit so nahe steht, wird dieses Hindernis hier nicht gesondert behandelt, sondern in den Abschnitt iiber die Abgeschiedenheit eingetlochten. 3) Natiirlich wurde von jeher eine Uuterung, eine Vorbereitung zur Gotteinigung gefordert. Darin stimmen Platonismus und Evangelium (..Selig, die reinen Herzens sind") iiberein. Die alexandrinische und kappadozische Schule veriangten Herzensreinigung. Des Pseudo-Dionysius' unterste Stufe war die Reinigung, worauf die Erleuchtung und schliesslich die Einigung folgte. Dei Augustinus finden wir die gleiche Auifassung, und auch die Viktoriner und Thomas vertraten die gleiche Ansicht. Durch des Kartiiusers Hugo von Balmas Buch De tripiici via ad sapientiam et divinorum contempiationem wurde der pseudo-dionysische Weg mit seinen drei Stufen in der Aszese eingebiirgert. Das war eine ganz natiirliche Einteilung. Nur ist die Bedeutung, die Detonung, die Formulierung, die Eckhart dieser Vorstufe zur Gotteinigung gibt, neu (diese Anmerkung nach Karrer, S. 248, Anm. 432). ') Nihil apponendo sed subtrahendo in anima invenitur deus (Serm. XI, 2, no. 119, S. 113, 5). &) Pf., Pro XII, 61, 13 If.

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allein sein, SO wie Gott allein ist 1). Warum dieser scharfe Schnitt zwischen sich und der Welt? Diese Abgeschiedenheit schafft erst den Raum fUr die Liebe Gottes. Erst in ihr kann sich die Gottesgeburt vollziehen. Dort erst ist Gott zu finden II). Ein "bloz staan", ein Entblosst-sein, nennt er oft die Abgeschiedenheit. und dieses Wort drUckt in der Tat noch deutlicher aus, was er meint. Die Seele muss von allen Geschopfen entblosst sein 3), ja, sogar entblosst sein von Hoffnung und Furcht, Freude und Jammer '), von all dem, "daz zuoval ist an der sSle", wie er in einer deutschen Predigt sagt, damit sie rein wieder einfliesse in den Sohn, so wie sie aus ihm ausgeflossen ist 5), "ut nuda (anima) nudum quaerat deum" 6). Diese "Entblossung" geschieht also wieder in Angleichung an Gott, dem die Seele zustrebt, in Angleichung an jenes Gottesbild, wie es Eckhart vorschwebte: Gott, das reine Sein, dem nichts Geschaffenes anhaftet. Eckhart mochte seine Zuhorer zur Grossmut aufmuntem; darum drli.ngt er sie, sich fUr dieses Entblossen von aller Kreatur zu entscheiden, denn, so sagt er: "quanto nudius, tanto capacius" 7). Hier tritt eine seiner Eigenttimlichkeiten hervor, die auch seine Darstellung der Demut kennzeichnete: den seelischen Gewinn, die positive Seite schildert er. Damit lockt er. Bei der Demut war es die Macht gewesen, die jeder Demtitige tiber Gott hat, hier ist es die grossere Aufnahmefahigkeit fUr die Liebe Gottes. Die Abgeschiedenheit ist ihm ein Entbildet-werden. Der Mensch muss sich bemtihen, von allen Geschopfen entbildet zu werden 8), alle vergiingliche Kreatur rUckt ihm dann femer und femer. Dieses Entbildet-werden fUhrt bald zum Oberbildet-werden von Gottes Ewigkeit in der mystischen Einigung 9). Die Abgeschiedenheit kommt einem Vergessen aller Dinge gleich. So mahnt er oft, dass der Mensch alles Geschaffene und sich selbst vergessen solI 10). Ja, er muss sogar die Bilder aller Geschopfe vergessen 1 ) , will er zur Ftille alles Wesens kommen. 1) Par. an. int., S. 124, 15 fr. I) Pf., Pr. XII, 61, 6 fr. I) Quint, Pr. Sb, S. 88,6; Serm. IX no. 100, S. 95,S; Pf., Pr. XII, 61, 13; LXXIII, 230, 17 fr.; vgl. auch Pr. LXXVI, 241,37. 4) Par. an. int., S. 95, 5 fr. I) Pf., Pro LXXI, 225, 31 fr.

') Serm. XXIV, 2, no. 246, S. 225, 11; vgl. auch ib., no. 249, S. 227, 12 fr. 7) Serm. XI, no. 112, S. 105, 11 fr. 8) B.d.g.T., S. 9, 14 u. S. 17, IS. 8) B.d.g.T., S. 44, 22 fr. 10) Pf., Pr. I, 7, 23 fr. 11) Pf., Pr. I, 7, 10 fr.; Quint, Pr. 11, S. 185, 6. Vgl. Serm. VIII, no. 86, S. 82, 1, und die dort angegebenen Parallelstellen.

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"Uzgan", hinausgehen muss aus der Seele alles, was nicht Gottes ist: die Geschopfe und die Gedanken und Erinnerungen an sie. Fast monoton kehrt es immer wieder, kurz, klar und unerbittlich, dieses entschiedene: "Sol got in gan, so muoz creatUre ftz gan" 1). Hinausgehen muss schliesslich auch die eigene Seele, solI sie in Gott eingehen. Das verlangt Gott von ihr 2). Niemandem solI der Mensch angehOren, auch sich selbst nicht. Einpragsam sagt er: "Dil solt sin sin unde solt im sin unde ensolt din niht sin unde ensolt dir niht sin unde ensolt niemannes sin" 3). Zuweilen spricht er vom Schweigen, das in der Seele herrschen muss. 1m Uirm der GeschOpfe, im Larm der Eitelkeit der Welt, im Larm der Phantasiegebilde kann das gottliche Wort nicht gehOrt werden. Diesen augustinischen Gedanken greift er auf. Nur im Schweigen steigt das Wort vom Himmel herab und wird es in der Seele geboren f). Der Mensch soli leer sein: wie das aufnehmende Gefass leer sein muss, so auch der Betende, leer von WUnschen und Begehren fUr sich oder den Nachsten 6). Den angeftihrten Vergleich ftihrt er im Buch der gottlichen Trostung anschaulich aus: "Kein Gefass kann zweierlei Trank enthalten. SolI es Wein enthalten, muss man das Wasser ausgiessen. Es muss ganz leer werden. Willst Du gottliche Freude empfangen. musst Du die GeschOpfe ausgiessen und hinauswerfen" 6). Die Seele muss aller Dinge beraubt sein 7). Den gleichen Gedanken drlickt er scharfer, ungewohnter, aber auch schoner aus: "Und sicherlichen: eigenUcher nimet man got enbemde dan nemende" 8). Gem umschreibt er die Abgeschiedenheit als ein Ledig-sein. Dieses Wort scheint verschiedene Seiten der Abgeschiedenheit in sich zu vereinigen. Denn seinen Zuhorern antwortet er in den Reden der Unterscheidung 1) Pf., Pr. n, 12, 9; s. auch Quint, Pro 4, S. 71, 9 ft'.; vgl. auch Pf., Pr. III, 22, 12; R.d.U., S. 5, 18 ft'.; Serm. LIV, no. 532. I) Quint, Pr. 5b, S. 92, 7 ft'.; B.d.g.T., S. 46, 24 ft'. 8) Quint, Pr. 16b, S. 271, 2 ft'. Bin iihnlicher Gedanke in Spruch 9, Pf., S. 600, 1 ft'. und Spruch 21, Pf., S.603, 14. ') In Joh., no. 80, S. 68, 7 ft'. VgI. Augustinus, Con/., IV C. 8, no. 10. VgI. auch Pf., Pr. LXXllI,230, 19; Serm. XXIV, no. 244, S. 224, 6 ft'. &) Serm. XIII, no. 148, S. 139, 5 ft'. 6) B.d.g.T., S. 17,29 ft'. 7) R.d.U., S. 17,24. II) B.d.g.T. S. 15,26 ft'. (Hier zitiert nach der demnachst neuerscheinenden kritischen Auagabe von J. Quint.) Dieser Satz wurde von der Inquisition angegrift'en (s. KarrerPiesch, A und B I, 9). Interessant ist die Erwiderung Eckharts: Karrer-Picsch, S. 83.

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auf die Frage, was ein "lediges Gemtit" sei: Ein "lediges Gemtit" haben heisst: mit nichts beladen sein, an nichts gebunden sein, nicht nach Eigenem streben, den eigenen Willen verlassen und sich in Gottes Willen versenken 1). Abgeschiedenheit meinen auch die Worte der Bergpredigt: "Selig sind die Armen im Geiste." Flir Eckhart sind es die, die sich aller Dinge entaussern, die nicht Gottes sind 2). Arm sein bedeutet, alles das leicht entbehren konnen, was nicht notig ist. Solche Menschen sind viet glticklicher als jene, die aIle Dinge in Besitz genommen haben, weil sie sie brauchen. Eckhart flihrt ein Beispiel an, urn dies zu erlautern: Es ist wohl etwas Grosses urn einen Menschen, der tausend Mark Goldes schenkt und damit Kloster baut und Arme speist. Aber grosser und gllicklicher ist, wer das Geld urn Gottes Willen verschmaht und wem es ganz gleich ist, was Gott ihm gibt oder nicht gibt 3). Ausflihrlich behandelt er die Armut des Geistes in seiner Predigt zu Matth. 5, 3. Er steigert sie hier bis in die letzte, ganzliche Armut des Geistes hinein. Arm sein heisst nicht nur, nichts haben, sondern auch nichts wollen, nicht einmal Gottes Willen wollen, sondern "er sol sines geschaffenen willen also ledic sin, als er was do er niht enwas". Auch nichts wissen soIl der Arme, so dass Gott ganz in seiner Seele wirken kann 4). Hier ist schon jene Passivitlit der Seele gemeint, die den Obergang zum aktiven Wirken Gottes, zur Gottesgeburt in der Seele bildet. Abgeschiedenheit ist ein Blind-sein, d. h. ein Nichts-wissen von den Geschopfen; denn wer Gott schauen soIl, der muss flir alles andere blind sein 5), so wie Paulus drei Tage lang blind war, als er Gott geschaut hatte 6). Die Abgeschiedenheit gleicht in gewisser Weise dem Schlaf. Der Schlafende weiss nichts von der Zeit und von den Geschehnissen, die sich in seiner Umgebung abspielen. So muss auch die Seele schlafen flir die ausseren Dinge dieser Welt, und in solchem Schlaf wirkt Gott in ihr 7). 1)

R.d.U., S. 6, 26 ff. (vgl.

pr.

544, 32 ff.).

2)

Par. an. int., S. 104,29 ff.

3) R.d.U., S. 42, 29 ff. Vgl. Serm. XXXVIII, no. 384 ff.

') Pf., Pro LXXXVII, 280, 27 ff. Vgl. auch B.d.g.T., S. 27, 10; In Joh., no. 396. Das Thema war ihm sehr geiiiufig. Oft setzt er z.B. in seinen lat. Predigten hinter "Beati pauperes spiritu": "Expone" (z.B. Serm. VIII, S. 90, 3). 6) Pf., Pro XCVIII, 316, 36 ff. Vgl. auch Pf., Pr. XIX, 81,22; 83, 5; 84, 17. 8) In Joh., no. 73, S. 61, 10 ff. Vgl. auch Pf., Pro CII, 334,26-335, 1. Augustinischer Gedanke, vgl. Augustinus, Serm. 279, PL 38, 1276. 7) Pf., Pro LXVI, 207,40 ff. Vgl. Augustinus, De Gen. ad lit. 12,4 ff., Gregor, Mor.,

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Der Schlaf gleicht dem Tod. Darum wagt Eckhart sogar zu fordern, dass die Seele des vollkommenen Menschen ganzlich tot sein mtisse, tot fUr die Dinge dieser Welt. Der Welt sterben, um in Gott zu leben, war der Leitgedanke fast aller Aszeten gewesen, und so kommt dies in der einfachen Form "debemus mori mundo, nobis, abnegare nos ipsos" auch bei Eckhart vor 1). Die Predigt In occisione gladii mortui sunt, in der er tiber den Tod im allgemeinen, am Hingsten und ausfiihrlichsten aber tiber die dritte Form, tiber den Tod der Seele spricht, zeigt, dass er sich wohl bewusst war, dass vor ihm schon Gregor und Bernhard diese Art des Sterbens anempfohlen hatten. Jene hatten gesagt: der Mensch muss sich der Welt gegentiber so verhalten, als ob er schon tot sei. Er aber betont es noch mehr als seine Vorganger: "Man soIl grund-tot sein, so dass uns weder Lieb noch Leid beruhren" 2). Keiner kann Gott besitzen, der nicht "grundtot" ist, so wiederholt er immer wieder, kurz und eindeutig 3). Er erlautert es in der XCVI. Predigt: Wer in Gottes Minne steht, der muss fUr sich seIber und fUr alle geschaffenen Dinge tot sein, er hat sich selbst und alle Dinge dieser Welt gelassen f). Dass diese Lehre vom Tod der Seele auch fUr damalige Ohren hart und tiberraschend klang, beweist die Anklage, die man dagegen erhob 6). Aber trotzdem bleibt Eckhart in seiner Verteidigung dabei: "Dicendum quod hoc totum verum est" 6). Wie dieses "Tot-sein", wenn es konsequent durchgefUhrt wird, zur Gottvereinigung hinleitet, beschreibt er ofters. Eine dieser Stellen, die sehr kennzeichnend fUr Eckharts Pragung dieses Gedankens ist, sei hier im Original angefiihrt, weil ihr eine Obersetzung kaum gerecht werden konnte: "Wan ein reht volkomen mensche sol sin selbes so tot gewenet sin, sin selbes entbildet in gote und in gotes willen so iiberbildet, daz alliu sin saelicheit ist, sich selben und allez niht wizzen und got allein wizzen, niht wellen noch wellen wizzen dan gotes willen und gott wellen also bekennen, als got mich bekennet, ais sant Paulus sprichet" 7). Hier wird wieder neben dem Negativen, dem Tot-sein 30, 16, und Thomas, I, 94, 1 und De verit. 13,2, wo der Adamsschlaf auch als mystischer Schlaf verstanden wird (nach Karrer, S. 249, Anm. 448). 1) Serm. XXII, no. 213, S. 198, 13 if. I) Quint, Pro 8, S. 135, 4. 3) Spruch 11, Pf., S. 600; Pr., Pro LXXIV, 235,6; XXX, 106, 37-107,9; LXIX, 223,22 if.; LXXVI, 242, 19-24; 249, 18-24 usW. ') Quint, Pro 12, S. 201, 9 if. 6) Karrer-Piesch, C II, 20. S) Karrer-Piesch, C II, 20. 7) B.d.g.T., S. 14, 7 if. (Hier zitiert nach der demnllchst neuerscheinenden kritischen Ausgabe von J. Quint).

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das Positive hervorgehoben: das Entbildet-werden in Gott und Oberbildet-werden von seinem Willen. In einer anderen Predigt schildert er, wie die Seele, die sich von allem Geschaffenen abwendet und sich in die WUste der Gottheit wirft, sich darin verliert und stirbt, aber lebt, verborgen mit Christus in Gott 1). Solches Sterben ist nicht Vergehen, ist nieht Schwache. Wir spUren hinter Eckharts eindringlicher Predigt yom Sterben das Verlangen nach dem Leben in seiner hochsten und vollendetsten Form, nach dem Leben in Gott. Darum folgt oft unmittelbar auf diese Mahnung zum Sterben die Verheissung des Lebens, nicht des zUkiinftigen, das wir erst noch abwarten mUssen, sondern jenes, das in der hundertfaltigen Frucht des sterbenden Weizenkorns besteht. In einem der SprUche sagt er, dass ein solcher Tad in Liebe und Erkennen edler und wertvoller sei als aIle guten Werke, die je auf Erden getan worden seien; all diese Werke wirken nur hin auf diesen Tod, aus dem das ewige Leben entspringt 2). Das ist ein Durchbrechen, um durch den Tad zum Leben zu kommen, so wie Christus starb, um zum Vater zu kommen 3). Wer Christi JUnger sein will, muss sich selbst lassen 4). Das bedeutet: jegliche Eigenliebe aufgeben 6), vor allem aber den eigenen Willen aufgeben. So wie Paulus muss die Seele fragen: "Was willst Du, Herr, das ich tun soll?" und wie Maria den eigenen Willen aufgeben und das "Fiat" sprechen, damit sich die Gottesgeburt in der Seele vollziehen kann. Erst wenn "wir all unseren Willen aufgaben und uns aller Dinge ausserlich und innerlich um Gottes willen zu entschlagen getrauten, so hatten wir alles getan, und eher nicht" 6). Immer wird der Mensch, der einmal begonnen hat, sich selbst zu lassen, noch mehr entdecken, was er lassen kann 7). Diese Gabe des eigenen Ichs darf nie mehr zurtickgenommen werden 8). Die hochste Form des Lassens ist: Gott um Gottes willen lassen. Vielleicht klingt dies zunachst unbegreiftich, und doch war es von jeher die hOchste Form der Vollkommenheit. Das tat Paulus: er liess alles, was Gatt ihm geben konnte oder was Gott ihm nehmen konnte; Pf., Pro LXXVI, 242, 1-8. Spruch 17, Pf., S. 602. E. Jostes, Meister Eckhart und seine Junger, Freiburg 1895, S. 9, 15-20. Quint, Pro 10, S. 170, 1 fr. Quint, Pro 6, S. 107, 12; Pf., Pr. LXVI, 209, 23. R.d.U., S. 18,28 fr. R.d. U., S. 8, 17 fr. 8) Quint, Pr. 12, S. 203, 1 fr.

1) I) 8) 4) I) ') 7)

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es blieb ihm dann nur mehr die Wesenheit Gottes 1); "gotes durch got enbern", Gott um Gottes willen entbehren wollen, wenn dadurch Gottes Ehre und Ruhm gemehrt und ausgebreitet werde, nennt Eckhart diese hohe Stufe der Abgeschiedenheit 2). Was ist nun die Abgeschiedenheit, wenn sie nicht wie bisher negativ, sondern positiv formuliert wird? Nichts anderes als Cottes Willen tun. Das liegt fUr Eckhart in der Bitte des Vater-unser: "Dein Wille geschehe!" Da bitten wir, dass er uns uns seIber nehme 3). 1m praktischen Leben stellt sieh die Frage: wie weiss ieh denn, ob dieses oder jenes Gottes Wille ist? Eckhart antwortet: Ware es Gottes Wille nieht, so ware es nieht. Selbst in Krankheit und Not weiss ich, dass dieses sein Wille ist. Darum kann ieh mieh sogar daran freuen, denn es ist fUr mieh das Allerbeste, weil es eben so von Gott gewollt ist 4). Nicht den eignen Willen, sondern Gottes Willen tun ist immer das Vollkommenste. Das zeigt er an einem Beispiel: Einen Schritt zu tun, weil es Gottes Wille ist, ist besser, als eine weite Fahrt tiber das Meer zu machen, ohne Gottes Willen zu erftillen 5). Seitdem Christus es als seine Aufgabe ansah, den Willen des Vaters zu vollbringen, war es stets Gebot der ehristliehen Aszese, den Willen Gottes zu erftillen. Darum ware dies hier kaum als etwas Besonderes hervorzuheben. Auffallend ist hingegen bei Eckhart, wie er diesen Gedanken bis auf die Spitze treibt, ja, sogar soweit geht, dass er sagt: so "einwillig" muss ieh mit Gott sein, dass ieh alles das will, was Gott und wie er es will. Selbst wenn Gott auf irgendeine Weise wollte, dass ieh stindigte, so wollte ieh nieht, dass ieh die Stinde nieht getan hatte 6). Das ist fUr ihn nur eine andere Form des "Gott um Gottes willen entbehren". Den Willen Gottes erftillt der Gehorsame. Da der Gehorsam als einer der drei Rate zur Vollkommenheit im Klosterleben eine Rolle spielt, erwahnt Eckhart ihn in den Reden der Unterscheidung. Die Seele verUi.sst im Gehorsam sieh selbst, und Gott kann von ihr Besitz ergreifen. Diesen Gedanken fUhrt er sogar so weit, dass er behauptet: an die Stelle meines Willens tritt dann Gottes Wille: ftir den gehorsamen Menschen, der ftir sich selbst niehts will, fUr den muss Gott in gleicher 1) A.a.O., S. 196,6 fr. cr. Thery, S. 222 (et tunc remansit ei deus non secundum receptionem vel secundum dationem, sed secundum quod deus est in se ipso). I) B.d.g.T., S. 25, 13 fr. I) Pf., Pro XII, 64,3. Vgl. auch B.d.g.T., S. 13, 19 fr. und pr., Pro LV, 177, 22 fr. ') Quint, Pro 4, S. 62,5 fr. Vgl. pr., Pr. LV, 177, 39 und XLIII, 147, 11. 5) R.d.U., S. 19, 1 if. 6) B.d.g.T., S. 14, 26 if. Diese Aufrassung wurde in Satz 14 der Bulle Johanns XXII. verurteilt.

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Weise wollen, wie fiir sich selbst. "Wenn ich meinen Willen aufgegeben habe in die Hand meines Oberen und fUr mich nichts will, so muss Gott fUr mich wollen, und was er dann versaumt, das versaumt er an sich seiber" 1). Eckhart kampft gegen eine nur ausserliche Ergebung in Gottes Willen, die doch nicht von Herzen gemeint ist. An der Art, wie er dariiber spricht, erkennen wir den "Lebemeister", der seine Gedanken nicht aus Biichern nimmt, sondern sie yom Alltagsleben abliest. Tag und Nacht beten wir: Dein Wille geschehe! Wenn sich aber Gottes Wille kundtut und wir ibn erfiillen sollen, obwohl er nicht zu unseren eigenen PUinen passt, dann ziirnen wir. Wenn wir wirklich Gottes Willen erfiillen mochten, dann waren wir froh, dass sein Wille geschieht, ob es nun fUr uns Gesundheit oder Krankheit bedeutet. Nun kommt wieder Eckharts Radikalitat zum Ausbruch, die das einmal Behauptete bis zur aussersten Folgerung durchgefUhrt haben will: wenn es Gottes Wille ware, dass ich die Qualen der Holle ewig leiden miisste, auch das miisste ich wollen II). Wenn allerdings der Wille so mit dem Willen Gottes geeint ist, dann ist die letzte Einheit erreicht, und die Gottesgeburt volIzieht sich in der Seele. Eine andere positive Form der Abgeschiedenheit ist die Niichstenliebe, so widerspruchsvoll dies auch zuerst klingen mag. Seine Gedanken zu diesem Thema sind in seiner Auffassung yom mystischen Leib Christi begriindet. Sehr modern mutet es uns an, diese an sich paulinische Lehre, die neuerdings durch die Enzykliken Pius' XII. Mystici Corporis und Mediator Dei in den Vordergrund gerUckt wurde, von Eckhart in seinem Johanneskommentar ziemlich ausfUhrlich behandelt zu sehen. Er tut dies im Anschluss an Joh. 4, 38: "Ich habe euch ausgesandt zu ern ten, was ihr nicht angebaut habt. Andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit eingetreten" 3). Dieses Arbeiten des einen fUr den anderen erklart er durch die Giitergemeinschaft aller Glieder des mystischen Leibes Christi '). Jeder einzelne, der durch die Gnade Gottes Glied des Leibes Christi geworden ist, nimmt dadurch an allen Miihen, Verdiensten und Gnaden der anderen Glieder und auch des Hauptes 1) R.d.U., S. 5, 18 fr. Eckhart sehreibt nieht viel tiber die Tugend des Gehorsams. Sie ist ihm, wie aus dieser Stelle hervorgeht: Aufgehen in dem Willen Gottes (vgl. In Gen. I, S. 74,28-75,6). Wei! er den Gehorsam nur unter diesem Gesiehtspunkt siehl, wird er bier nieht gesondert behandelt. I) Pf., Pro X, 55, 5 fr.; 54, 19 fr. S. aueh B.d.g.T., S. 13, 19 fr. VgI. Augustinu8, Con/. X, 26; Thomas, II, 2, 83, 5 und 3 (nach Karrer, S. 249, Anm. 447). 8) In Joh., no. 381 fr. ') In Joh., no. 383.

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Christus teil l ). Denn wie das Sichtbare erst durch das Sehen unser wird, so wird das Gute durch die Liebe zum Guten zu unserem Besitz 2). Die Liebe ist das Band der Einheit, das alle Glieder dieses Leibes umfangt und sie in den Besitz des Guten der anderen stellt. Es erntet also der Mensch als Glied Christi die Frucht der Arbeit der andern, indem er den Nachsten liebt wie sich selbst. Dieses "wie sich selbst" ist fUr Eckhart Dicht nur "lihnlich wie": "sicut nos ipsos", sondern ein "gleich wie": "tamquam" 3). Hier schliesst er sich an Augustinus an, der auch an dem smrkeren "tamquam", das Markus (12, 31) gebraucht hatte, festhielt, wahrend Lukas (10, 27) und Matthaus (22, 39) "sicut" gewlihlt hatten. Dieses "tamquam" bedeutet, dass der Nachste so geliebt wird, dass aU seine Ehre und sein Ruhm, all seine Verdienste und all sein Lohn der meine ist und dass ich mich daran so freue, als ob es mein ware '). Nach dem Voraufgegangenen ist solche Forderung, die, wenn sie losgelost aus ihrem Zusammenhang hingestellt wird, vielleicht iiberspannt und verstiegen erscheint, nun nur mehr die einzig mogliche Folgerung aus der Tatsache der Verbundenheit aller Glieder des mystischen Leibes Christi. Sie erlangt dadurch eine weit grossere Bedeutung, sie ist nicht mehr Dberschwang eines Enthusiasten, sondern wohl begrundet in der Einheit dieses iibernatiirlichen Organismus. Auch jenes Schriftwort: "Liebet einander, wie ich euch geliebt habe" (Joh. 15, 13), gewinnt, eingebaut in Eckharts Gedanken der Gottesliebe, eine grossere Tiefe 6). Es bedeutet ihm: Liebet mich in alIem und alIes in mir, nichts ausser oder neben mir, sondern wie ich euch geliebt habe. Fragen wir dann, wie die Liebe Gottes beschaffen sei, so antwortet Eckhart: "pari affectu, dispari effectu"; er liebt also aIle gleich innig (pari affectu), aber mit ungleicher Wirkung (dispari effectu), namlich entsprechend der besonderen Fahigkeit des einzelnen, Liebe aufzunehmen 6). Dass die Nachstenliebe eine Form der Abgeschiedenheit, eine andere Form des "ftzgegangen sin" ist, zeigt die folgende Stelle, die ihre Eigenart verlieren wUrde, wollte man versuchen, sie zu iibersetzen: "Swer in der blozheit dirre nature be mittel sol bestAn, der muoz alIer personen uzgegangen sin, also daz er dem menschen, der jensit mers ist, den er mit ougen nie gesach, daz er dem 1) In Joh., no. 384.

I) In Joh., no. 386.

8) Ausilihrlich behandelt im Kommentar zu Joh., 15, 12: In Joh., no. 627. Vgl. auch no. 290 und 388. ') In Joh., no. 388, 390. Vgl. Quint, Pr. 4, S. 67, 10 if.; pr., Pro LXVI, 208, 25 if. 6) In Sap., no. 258. e) In Joh., no. 628; Pf., Pro LXXXV, 272,34 if.

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als6 wol guotes gUnne als dem menschen, der bi im ist und sin heimlich vriunt ist. AI die wile dft diner personen mar guotes ganst dan dem menschen, den dft nie gesaehe, s6 ist dir waerliche unreht noch dft geluogtest nie in disen einvaltigen grunt einen ougenblik" 1). Obwohl die Nachstenliebe im Mittelalter eine sehr grosse Rolle spielte - es sei an Hartmanns von der Aue Armen Heinrich, an die Mitleidsfrage im Parzival und an das Bild St. Martins als das Urbild des Ritters erinnert -, so war doch diese Formulierung des Gebotes der "Fernstenliebe", die sich bei Eckhart aus seiner Auffassung des mystischen Leibes Christi herleitete, auch fUr seine Zeitgenossen neu und schwierig; das beweist die Anklage zu diesem Punkte 2). Er kennt die Einwande, die sich gegen solche Nachstenliebe erheben, aber er bleibt bei seinen Forderungen 3). Trotz mancher vielleicht zuweilen lebensfremd"klingenden Wendung kann man zwischen den Zeilen seiner Predigten viele warme Worte tiber Freundschaft und menschliche Liebe erlauschen. War er doch selber unermtidlich fUr seine "liebe kint" tatig! Er weiss es so schOn zu sagen: Hatte ein Mensch einen lieben Freund tausend Meilen entfernt, seine Seele wtirde mit all ihrem Vermogen dorthin flies sen und lieben'). Erwirbt fUr jene besondere Form der Nachstenliebe, die Barmherzigkeit genannt wird, in der Predigt: Misericordes estote. Wir sollen sie Uben: 1. weil wir dann leichter die Versuchung tiberwinden; 2. weil wir Gott ahnlicher werden; 3. weil sie die Beziehungen der Menschen untereinander gut regelt; 4. weil sie uns zur ewigen Seligkeit fUhrt 6). Der hOchste Ansporn zur AusUbung der Barmherzigkeit ist das Vorbild von Gott Vater, dem Urbild aller Barmherzigkeit 6). Die Haufigkeit, womit Eckhart auf die Nachstenliebe in vielen Predigten hinweist, kennzeichnet ihn als praktischen Seelsorger, der nicht nur von den hOchsten Gipfeln der Beschauung zu reden weiss, sondern konkret die Forderungen des christlichen Alltags vor seinen ZuhOrern entwickelt. Ja, echte Nachstenliebe, die sich in tatkraftigem, praktischem Helfen aussert, ist besser als hohe Beschauung: Ware ein Mensch in einer VerzUckung wie Sankt Paulus und kame zu ihm ein kranker Mensch, der eines Stippleins bedUrfe, so halt Eckhart es fUr weit besser, dass er "die Liebe 1) Quint, Pr. Sb, S. 87, 9 fr. I) Karrer-Piesch, A IV, lib, S. 7S. I) Quint, Pro 12, S. 19S, 6 fr. In Joh., 21, IS-17, no. 72S.

') Pf., Traktat II, S. 383, 28 fr. (Echtheit fraglich). Vgl. auch B.d.g.T., S. 32, 18 fr.; 33,38 fr. 6) Serm. XI, 1, no. 12S, S. 119, 11 fr. '> lb., no. 136, S. 128, 10 fr.

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lasst" und dem Armen dient in tatiger Liebe 1). Ober bestimmte Formen der Nachstenliebe spricht er wenig, weil ibm, wie schon friiher beMerkt wurde, ein Festlegen auf bestimmte "Weisen" fern lag. Erst dann zeigt sich die echte Nachstenliebe, wenn sie auf Hass und Verleumdung stt~sst. Wie solI man sich da verhaIten? Eckharts Antwort auf diese Frage geh~rt zum Sch~nsten, was er geschrieben. Bei den Angriifen seiner Gegner, bei den Verdachtigungen beim Erzbischof und beim Papst hat er spater in die Tat umgesetzt, was er hier predigte; diese Wahrhaftigkeit, die yom andern nur das verlangt, was man im Emstfa11 auch selbst tun wiirde, gibt seiner Predigt solchen Nachdruck. Wenn man uns falsch und unwahr nennt, wenn man uns Obles nachsagt und zufiigt, wenn man uns selbst lebensnotwendige Dinge entzieht und uns in jeglicher Form misshandelt, ja, wenn es geschahe, dass wir in unserer Arbeit uns die gr~sste Miihe gaben und alles Erdenkliche taten und die Menschen es uns dennoch b~se auslegten, wenn wir obendrein nichtnur an den Menschen, sondem auch an Gott "leiden", der uns seinen Trost entzieht, der sich uns verschliesst und uns allein kiimpfen lasst, so wie Christus von seinem Vater verlassen war, - dann sollen wir uns in seiner g~ttlichen Natur verbergen, dann kann uns nichts anderes helfen aIs die Worte Christi nachzusprechen: Vater, all Dein Wille werde vollbracht in mir! 2). Hier klingt schon ganz deutlich das Motiv der Nachfolge Christi an, die in gewissem Sinn den H~hepunkt von Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit bildet. Schon in den Reden der Unterscheidung hatte er gewiinscht, dass sich in all unserm Tun das Leben und Wirken Christi "erbilde" 3). Genauer umschreibt er die Nachfolge Christi in einer Predigt; sie bedeutet: sich seIber lassen und nichts behaIten, seinen Willen ganz in Gottes Willen setzen 4). Solche Zusammenfassung zeigt, dass die Nachfolge Christi aIle Formen der Abgeschiedenheit. die negativen wie die positiven, in sich begreift. Wie er die Nachfolge Christi im praktischen Alltag verwirklicht haben will, erklart ausfiihrlich der 17. Abschnitt der Reden der Unterscheidung: nicht vierzig Tage fasten bedeutet Nachfolge Christi, sondem sich selbst das versagen, was am schwersten fallt. Ais guter Kenner der Menschen meint er: einmal ein Wort nicht sagen 1) R.d.U., S. 17, 5 if. I) Pf., Pr. LVII, 182,9 if. 8) R.d. U., S. 24, 24 if.

') Quint, Pr. 15, S. 244, 5 if. und R.d.U., S. 8, 9 if.

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ist schwerer als immer still zu schweigen; ein Schmahwort zu ertragen ist schwerer als einen grossen Schlag zu erdulden; allein zu sein in der Menge ist schwerer als in der WUste zu leben; ein kleines Werk kann schwerer sein als eine grosse, geachtete Arbeit 1). Selten geht Eckhart so in die Einzelheiten wie gerade bier, wohl ein Zeichen, wie sehr es ihm daran gelegen war, seine Zuh()rer zur Nachfolge Christi anzuleiten. Er mUht sich darum, dass sie den Geist, nicht nur den Buchstaben, der echten Nachfolge erfassen; dass sie sie ihren jeweiligen Lebensumstanden anpassen und nicht sklavisch Einzelheiten nachahmen, ohne den tieferen Sinn zu begreifen, der immer im "Hinausgehen aus sich selbst" und im freudigen, taglichen Tragen des Kreuzes besteht II). Das Kreuz Christi, unser Kreuz, mUssen wir auf uns nehmen auf vierfache Weise: 1. durch haufiges frommes Gedenken des Leidens des Herrn; 2. durch Abscheu gegen die SUnde: denn wer Christus gehOren will, muss sein Fleisch mit den Lastern und Begierden kreuzigen; 3. durch Verzicht auf welt1iche GenUsse; 4. durch Abt()tung der Sinnlichkeit und erbarmende Liebe zum Nachsten 3). Christus nachfolgen heisst vor allem: leiden. Immer wiederholt er es: willst Du mit dem Sohne vereint sein, musst du leiden wollen 4), denn wer liebt, m()chte dem Geliebten gleich sein. 1m Johanneskommentar erzahlt er die ergreifende Geschichte von einem Ritter, dessen Gemahlin ein Auge verlor; dadurch war sie entstellt und klagte und jammerte. Da riss sich der Ritter auch ein gesundes Auge aus: er wollte es nicht besser haben als seine Gemahlin. So nahm auch Christus aus Liebe zum Menschen das Sklavengewand der Menschheit an. So muss auch der Mensch gern das Kleid der Schande, das Kleid des Leidens Christi tragen und sich dessen noch rUhmen und freuen 6). Ober die eigentliche Leidensgeschichte Christi sagt Eckhart 1) R.d.U., S. 25 fr. 8) Pf., Pro LVII, 184, 14fr.; B.d.g.T., S. 29,28. Auch in Bernhards Mystik spielt

die Nachfolge Christi und die Verehrung des Gekreuzigten eine grosse Rolle. Es stellt sich also die Frage, wie weit Eckhart, der sicher die Schriften Bernhards gut kannte, dies ubernommen hat, oder wie weit es sein eigenes Gut war. J. Bernhart hat in seinem Buch Bernhardische und Eckhartische Mystik (Munchen 1912) darauf hingewiesen und kommt dann zu dem Ergebnis, dass fUr Eckhart Christus mehr der Logos war a1s der leidende Erloser und dass bei Eckhart daher nicht die affektbetonte Leidensmystik des hl. Bernhard zu finden ist. 8) Serm. XLV, no. 464 fr. VgI. auch Serm. LV, no. 545. ') B.d.g.T., S. 32, 10 fr. Pf., Pro LXXXIX, 295, 7-8; Serm. XIII, no. 149, S. 140, 5 fr. Auch David von Augsburg hatte als Kern der Christus-Nachfolge das Leiden gepredigt. 6) In Joh. 18, no. 683. Die gleiche Erziihlung auch Pf., Pro LXXXVIII, 285,25 fr. Vgl. auch Serm. LII, no. 522; Pf., Pro LXXVI, 241, 17 fr. Christus als Mittler auch

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nichts. Keine mystische Versenkung in die Passion des Herrn ist in den bisher uns bekannten Schriften zu finden, wahrend doch schon ein Bernhard von Clairvaux eine innige Kreuzmystik begriindet hatte. Woran lag das? "Eckhart hUllt das Geheimnis des Kreuzes in Schweigen. weil er weiss, dass bier alle menschlichen Worte unzulanglich sind" 1). Nicht alle haben den Mut, Christus bis zum letzten zu folgen. Es gibt viele, die es nur tun, wenn er sie zu Gesundheit, GlUck, Reichtum und Wohlleben fiihrt; wenn ihnen aber seine Nachfolge Schmerzen, Muhsal und andere Widerwartigkeiten bringt, dann dunkt ihnen sein "Sequere me!" zu hart, und sie wenden sich von ihm ab 2). Zuweilen kleidet Eckhart den gleichen Gedanken in ein farbenprachtiges, lebendiges Bild, das der Vorstellungswelt seiner ZuhOrerinnen angepasst ist: sie folgen dem Lamm. wenn es zu Freuden und Sussigkeiten voranschreitet: wenn es sie aber zu schwerer Arbeit, zu Leid und Ungemach fiihrt, dann kehren sie um 3). Will die Seele zu Christus kommen und mit ihm vereint werden, muss sie im Feuerofen des Leids gelautert werden 4). So wirbt Eckhart bei seinen Lesern und ZuhBrern fiir die Nachfolge Christi 5). MOTIVE DES HANDELNS

Aus welchen Motiven sollen wir handeln und zu Gott hinstreben? Eckhart kennt - und dies beweist wieder seine Lebensnahe - eine ganze Stufenleiter von Motiven, die die Seele bewegen kBnnen. Nicht urn irgendeines materiellen Vorteils willen soli der Mensch gut sein. Wer R.d.V., S. 25,5 If. Christus als Weg, der zu Gott fUhrt: Aug., In Joh., 42,8; Doctr. chr. 1,38; Serm. 141,4; 261, 7, Thomas, Compo tho 2; Quodl. 8,20 (nach Karrer, S. 270, Anm. 682). 1) Jos. Koch, Meister Eckhart in Kjjln (Studium Generale, KOln 1248, Festschrift der KI>lner Universitiitszeitung zur 700-Jahr-Feier des Studium Generale, Koln 1948), S. 14. B) In Joh., no. 230, S. 193,2 If.; Serm. XLV, no. 461. 3) Quint, Pro 11, S. 188, 1 If. Vgl. die dort angegebenen Parallelstellen (S. 189 Anmerkung 1). 4) B.d.g.T., S. 31, 31 If. &) Man hlitte vielleicht lli.ngere Ausfiihrungen tiber die Eucharistie als Mittel, das die Lebenseinheit mit Christus starkt, erwartet. Aber Eckhart sagt dariiber nur wenig. Eine lateinische Predigt (Serm. V, 2, S. 37 If.), die vom Altarssakrament handelt, ist fast wortlich aus Thomas genommen. Nr. 20 der R.d.V. spricht auch von der Eucharistie, doch auch hierin finden sich nur die tiblichen Aulfassungen - nichts, was als spezifisch Eckhartisch aufzufassen ware. Pf. 373, Traktat J, handelt vom Nutzen des Altarssakramentes, doch ist die Echtheit dieses Traktates recht zweifelhaft, und sein Gedankengang bietet nichts Neues.

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nur das Seine sucht, macht aus Gott gleichsam eine Kerze, die ihm helfen muss zu finden, was er sucht. Hat er es gefunden, wirft er die Kerze weg 1). Oft wendet er sich mit scharfen Worten gegen die kleinliche Lohnkriimerei derjenigen, die nur gut sind urn des Lohnes willen. Er wettert heftig gegen die Fr6mmigkeit derer, die Gott so lieben, wie man eine Kuh liebt, weil sie Milch und Kiise liefert 2), und ungehalten riigt er aIle, die wie Kaufieute Handel treiben mit Gott 3). Wohl aber darf man sich leiten lassen vom Gedanken an den hundert/ii/tigen Lohn, von dem die HI. Schrift spricht, der, so paradox dies auch klingen mag, aHem Verzicht folgt. Wie das Weizenkorn stirbt und hundertfiiltige Frucht bringt, so gibt uns Gott auch alles, was wir urn seinetwillen verlassen, reicher, reiner und vollkommener zuriick'). Wenn auch dieses Reicher-werden nicht die eigentliche Triebfeder fiir den Verzicht sein solI, so zeichnet Eckhart doch diesen hundertfiiltigen Lohn in anziehenden Farben. Er spricht davon, nicht wie einer, der sich urn des Mheren Lohnes willen das Niiherliegende versagt hiitte, sondern seine bewegten Worte verraten, dass er selbst die Freude im Leiden erfahren hat und den so eroberten, iiberreichen Schatz gern seinen ZuMrern und Lesern mitteilen will. Das Buch der gottlichen Trostung bietet viele Belege dafiir. Ein anderes Motiv fUr das sittlich gute Handeln ist ihm dies: Gottes Ehre suchen und nicht die eigene 6). Wohl hatte Benedikt das "Ut in omnibus glorificetur Deus" schon vor ihm gesprochen, und diese Haltung war seitdem in die christliche Fr6mmigkeitstradition eingegangen. Aber Eckhart gab ihr einen besonderen Akzent: Gottes Ehre suchen heisst: sich selbst so "ausgegangen" sein, dass man gar nichts mehr, weder Reichtum, Lob und Ehre, noch Wohlleben, Lust und Innigkeit, ja, selbst nicht mehr Heiligkeit und das Himmelreich sucht, sondern nur noch: Gott 6). Nicht um des geistlichen Trostes willen solI man Gutes tun, sondern einzig und allein, weil man Gottes Wohlgefallen will und darum Gottes Willen erfiillen m6chte 7). 1) Quint, Pro 4, S. 69, 1 If. Fast wortlich das Gleiche bei Pf., Pro XI, 58, 8 if.; vgl. Quint, Pro 11, S. 187, 1 if. 8) Quint, Pro 16, S. 274, 1 if. 3) Quint, Pr. 1, S. 7, 1 und 9,7 if. S. auch Serrn. XXIV, 2, 228,2 If. AhnIiche Gedanken bei Augustinus In Ps. 30, 4; 72, 32; 85,8 und vor a1lern Bernhard De diligendo Deo, 7, 17. (Nach Karrer, S. 266, Anm. 636). ') In Joh., no. 246, S. 205,3; R.d.U., S. 17, 10 if. Ii) Pf., Pro X, 55,38. 8) Quint, Pro 6, S. 100, I if. S. auch Pf., LV, 177, 14 if.; B.d.g.T., S. 28,7 if. 7) Quint, Pr. 5b, S. 91 if.; Pro 4, S. 63, 5 if. Vgl. auch Pf., Pro XLIII, 147, 2 f.

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Hochstes Motiv der gottsuchenden Seele soIl jedoch die Liebe sein. die stets neu anfeuert. den Willen Gottes zu tun. immer und tiberall. in schweren und in leichten Tagen 1). Liebe leidet gern. Das Buch der gottlichen Trostung ist erftillt von dem Gedanken, dass Leid gern vom Liebenden fUr den Geliebten getragen wird, dass dem Liebenden sogar Leid zur Freude wird. Hier mogen einzelne der schonsten Gedanken zu diesem Thema folgen. Gott schickt seinen Freunden Leid, weil sie, so drtickt er es paradox aus, "ohne Leid leiden wtirden" 2). Sie sollen sich schamen, wenn sie es widerwillig annehmen, wahrend doch andere so viel zur Erreichung rein irdischer Gtiter leiden: der Kaufmann macht um kleiner Gewinne willen weite Reisen durch Wildnisse und Gefahren und leidet Mangel an Speise, Trank und Schlaf; der Ritter wagt Gut, Leib und Seele fUr vergangliche Ehre. Vns scheint es schon eine gewaltige Leistung, wenn wir etwas leiden um Gottes und der ewigen Seligkeit willen 3). Der gottliebende Mensch freut sich tiber das Leid 4). Ihm verwandelt sich Schmerz in Freude, Bitternis in Stissigkeit, das Schwere wird ihm leicht. weil er es aus Liebe tut 5). Genauer gesagt: Liebe leidet nicht. Oder wie Augustinus und mit ihm Eckhart es ausdrtickt: Wer liebt, kennt keine Mlihe, die Mlihe liebt erG). Die Predigt Timor non est in caritate ist im Anschluss an das Hohelied der Liebe von Paulus ein grosses Lob auf diese Liebe, die alles glaubt und hofft und sich schliesslich ganz dem geliebten Gott angleicht 7). Wenn er von dieser umformenden Kraft der Liebe Gottes spricht, bertihrt er damit schon den Endpunkt des Weges, die Gottesgeburt. Auf der hochsten Stufe aber steht der wahrhaft Vollkommene, der ohne jedes Motiv, ohne Warum handelt. Das ist einer der kennzeichnendsten Ausdrlicke Eckharts. den er selbst pragte und der seiner Lehre diese eigentiimlichen Zuspitzungen gab, die wir vergeblich bei seinen Vorgangern suchen. Eckhart will mit diesem "ohne Warum" andeuten, dass der vollkommene Mensch nicht irgend etwas an Gott, diese oder 1) Serm. VI, 4, no. 68 ff., S. 66, 5 ff. 2) B.d.g.T., S. 36,2. In der Quintschen Ausgabe: "Darumbe: villihte got enmohte

enkein wise liden, daz sin vriunde, guote liute, iemer sunder liden enwaeren, ob sie niht enmohten unlidende !iden". 8) B.d.g.T, S. 39, 26 ff. 4) B.d.g.T., S. 28, 29. 5) Serm. VI, 1, no. 54, S. 52, 10 ff.; Serm. XLIII, no. 426. 8) Serm. VI, 4, no. 66, S. 64, 8 ff.; no. 67, S. 65,12; Serm. VIII, no. 86, S. 82,1 ff. Augustinus sagt: Nam in eo, quod amatur, aut non laboratur aut et labor amatur. De bono viduit. c. 21, no. 26. 7) Serm. VI, 4, no. 71, S. 68, 12 ff. Ahnliches bei Hugo von St. Viktor, Soliloquium de arrha animae, PL 176, 954.

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jene Eigenschaft, liebt, sondern er ist gleichsam wunschlos, er will und sucht nichts mehr, er hat kein Warum, das ihn zum Handeln antriebe. So wie Gott "ohne Warum" wirkt, so wirkt auch der VoIlkommene ohne Warum 1). Wegen dieser Gottahnlichkeit des Handelns "sonder warumbe" vollzieht sich in solchem Menschen die Gottesgeburt 2). Wir sehen: zur Gottesgeburt streben aIle Wege der Aszese Eckharts. Er ist fest davon Uberzeugt, dass die ganze Welt, der ganze Heilsplan dazu geschaffen ist, auf dass Gott in der Seele geboren werde. Das ist das Ziel aller Arbeit, alles Betens, aller Aszese: die Gottesgeburt 3). Sie erwahnt oder beschreibt er fast in jeder Predigt 4). Dann ist der Mensch nicht mehr aktiv, sondern passiv. An Stelle der menschlichen BemUhungen tritt dann die Barmherzigkeit Gottes 5). Die Seele bringt nun mUhelos Tugenden als FrUchte hervor, denn Gott wirkt in ihr, so dass sie alles vermag 6). Das ist keine Aszese mehr, das ist schon Mystik, denn Aszese ist nur das BemUhen des Menschen um dieses H5chste, den Gottesbesitz. ROCKBLICK UND AUSBLICK

Manche Anregung hatte Eckhart seinen Vorgangern, vor aHem Augustinus und Thomas, zu verdanken. Der Kernpunkt seiner aszetischen Lehre aber, die Lehre von der Abgeschiedenheit und deren Formgebung, das ist sein ureigenstes Gut. Vor allem muss hervorgehoben werden, dass die negative Art der Abgeschiedenheit in dieser Gestalt, in dieser Zusammenstellung und Betonung sich bei keinem seiner Vorganger findet. Hier zeigt sich Eckharts scMpferische Kraft: das ihm Oberlieferte giesst er in neue Formen. Sein unersattlicher Drang, bis zum hochsten und letzten vorzustossen, treibt ihn auch hier immer weiter, um die feinsten Geheimnisse der Trennung vom Irdischen noch in Worte einzufangen und so die Abgeschiedenheit in immer neuen Pra1) Pf., Pr. XLIII, 146, 16 if.; Quint, Pro 5b, S. 91,10-92,3 und Pf., Pr. XXXIX, 131,25 if. I) pr., Pro XLIII, 147, 30 if.; Pro LXXIV, S. 232, 19 if. 3) Par. an. int., S. 14,6 if.; vgl. Aug., In Joh., 110,6 (nach Karrer, S. 238, Anm. 340). ') Quint, Pr. 2, S. 40 if.; Pr. 7, S. 121 if.; Pro 10, S. 168 if.; Pr. 11, S. 176,3 if., um nur ein paar der schonsten Stellen bier zu nennen. &) Quint, Pr. 7, S. 121, 1 if. I) Quint, Pro 15, S. 246,3 if.; Pro 14, S. 235, 10 if. Ober die Einwande, die man gegen diese Stelle machte, vgl. Karrer-Piesch, A IV, 4, sowie die Anmerkungen bei Quint.

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gungen seinen ZuhOrern als Forderung und Ideal vorzuhalten. Diese Abgeschiedenheit in all ihren Phasen gescbildert zu haben, das war Eckharts Beitrag zur Aszese und damit auch zum Strom der Mystik, der durch die lahrhunderte ftiesst. Verstiirkt wurde die von Eckhart eingeschlagene Richtung durch seine SchUler Tauler und Suso, die das eine oder andere von des Meisters Lehre hervorhoben oder unterstrichen. Sie hatten Meister Eckhart wiihrend ihrer Studienzeit gehOrt, und er hatte ihnen seinen Stempel aufgedriickt, der sich nieht leugnen liess 1). Auf diese EckhartschUler, Tauler und Suso, solI hier nicht eingegangen werden, obwohl auch sie selbststiindig nach den Niederlanden hiniiber wirken, und obwohl auch dieser selbststandige Einftuss in die Genesis der devotio moderna gehOrt. Es mag sein, dass manche der mehr aufs Praktische gerichteten und teilweise der Spekulation abgeneigten Anhiinger der devotio moderna Heber zu einem Werk Taulers oder Susos griffen 2) als zu der schwereren Kost Eckharts. Es mag sein, dass manche durch Vermittlung Taulers und Susos Eckhartsche Ideen in sich aufnahmen und dass durch diese Lektiire die vielgeliebten Ausdriicke von "uutgaan", "bloss staan" in die devotio moderna Eingang fanden. Wer konnte aus dieser Ferne von mehr als fiinf lahrhunderten noch haarfein unterscheiden, wer der Mittler war, ob Eckhart oder seine SchUler? Gewiss besteht bier eine Schwierigkeit, aber sie wiirde wohl kaum behoben werden durch eine genaue Untersuchung Taulerscher und Susoscher Aszese und ihres Verhiiltnisses zu Eckhart. Denn dann wiirde man nachher Gefahr laufen, im Bewusstsein der modernen Devoten Dinge kleinlich zu spalten, die dort als Einheit lebten. Denn die modernen Devoten, soweit sie durch eigenes Studium und eigene Lektiire ihre Anregungen aus dem schopften, was ihnen der Zeitstrom zutrug, haben sich nicht bei jeder ihrer Ausserungen genaue Rechenschaft dariiber gegeben, ob dieses von Eckhart, jenes aber von Suso oder Tauler stammte. Dafiir lag ihnen Genauigkeit bei der Quellenangabe zu fern. Den besten Beweis bierfiir liefert das Meisterstiick der devotio moderna, die Imitatio Christi: bei keiner der 1) Ober Susos Eindruck von Eckhart s. K. Grober, Der Mystiker Heinrich Seuse, Freiburg 1941, S. 39 if. 8) Die Vorliebe itir Susos Hundert Artike/ und sein Hor%gium aeternae sapientiae ist bekannt (s. A.G.M. van de Wijnpersse, De Dietse verta/ing van Susos Horo[ogium aeternae sapientiae, Utrecht 1926; de Man, Heinrich Suso en de moderne devoten, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. XIX, 1926, S. 279). Wie weit verbreitet Taulers Handschriften in den Niederlanden waren, zeigt G. J. Lieftinck, a.a.O.

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vielen Bibelstellen, die dort zitiert werden, wird genau der Fundort angegeben, sie werden mit dem ganzen Text zu einer Einheit verschmolzen. Wenn wir Heutigen aber uns Werke der devotio moderna ansehen, so ist es verhaltnismassig leicht, dominikanisch-aszetische Gedanken Eckharts, Taulers und Susos einerseits von andern, z.B. von franziskanisch-aszetischen Gedanken eines David von Augsburg zu unterscheiden. Ob aber die erstgenannten direkt von Eckhart oder indirekt durch Tauler und Suso zu den Niederlandern gekommen sind, lasst sich meist nicht mit Sicherheit feststellen. Was tut's auch? Eckhart war ja auch der Vater dieser Ideen, weil er Taulers und Susos Lehrer war. Damit solI nicht alles, was auch nur ein wenig an Eckhart anklingt, gleich als von Eckhart herrtihrend bezeichnet werden. Abzulehnen ist solche "Zuteilungswut", die manchen packt, wenn er einmal sich eingehend mit einer bis dahin vielleicht in ihren Umrissen noch unbestimmten Personlichkeit befasst hat, und die ihn dann so fesselt, dass er nun in jeder Ausserung der gleichen Zeit, deren Herkunft zufallig noch nicht naher bestimmt ist, so fort seine geliebte Personlichkeit wiederzuerkennen glaubt. Von dieser Manie, Eckharts Einfluss tiberall zu sehen, hoffe ich frei zu bleiben, indem ich nur bestimmte Werke heranziehe, die eine Analyse in diesem Zusammenhang rechtfertigen, namlich: I. solche, die wortliche Ubereinstimmung mit Eckhart zeigen (Van den XII dogheden); 2. solche, die selbst sich als von Eckhart stammend ausgeben oder gegen ihn gerichtet sind und daher irgendwie im Verband mit Eckhart gewertet werden wollen (z.B. Sprtiche, Legenden, der Traktat Meester Eggaert en de onbekende leek); 3. solche, die durch die Einstellung ihres Verfassers, durch Wendungen innerhalb des Gesamtwerkes seelische Verwandtschaft mit Eckhart zeigen (z.B. Geert Grootes innere Glut, jener "ardor", der all sein Tun und Schreiben kennzeichnete, G. Peters Betonung der Freiheit), so dass darum Eckhartsche Ausdrticke in deren Aszese aus psychologischen Grtinden auf Eckhart und nicht auf Suso oder Tauler zurtickgeftihrt werden konnen 1); 4. die Imitatio Christi. Wenn man annimmt, dass Geert Groote ihr 1) Die Berechtigung dieser Betrachtungsweise ist H. Bremonds Werk Histoire du sentiment reiigieux en France entnommen, der neben dem Werk auch die Personlichkeit des Verfassers sprechen lassen will und so aus beiden erst die Geistes- und Literaturgeschichte der Zeit rekonstruiert und beschreibt.

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Verfasser ist 1), SO wtirde sie ja schon unter die dritte Gruppe der zu behandelnden Werke fallen. Ausserdem scheint mir ihre Behandlung darum gerechtfertigt, weil sie unumstritten den Hohepunkt der devotio moderna bildet. All ihre aszetischen Bestrebungen kommen hier zur Geltung, u.a. auch Eckhart, der nun schon ganz eingebaut und aufgenommen ist in das Gebilde der devotio moderna, so dass Eckharts Aszese und die Imitatio mehr inhaltliche und weniger formelle Dbereinstimmungen zeigen. Aile tibrigen Schriften, bei denen man sich auf unsicherem Gebiet bewegen wtirde, weil man auf Vermutungen, was ihr Eckhartsches Element angeht, angewiesen ist, werden als nicht gentigend beweiskraftig beiseite gelassen. In chronologischer Folge sollen die nach den obigen Grundsatzen als zuUissig angesehenen Werke behandelt werden, weil auf diese Weise besser die geistesgeschichtliche Entwicklungslinie der Eckhartwirkung herausgearbeitet werden kann. Sie verlauft yom anfanglichen Missverstandnis Eckharts (in den "antihierarchischen" Sprtichen und Legenden) tiber die sklavisch wortliche Dbertragung (Van den XII dogheden) hin zum Verstandnis des Kernpunktes seiner Aszese, namlich seiner Lehre von der Abgeschiedenheit (G. Groote, die Imitatio). Danach treten Eckharts Gedanken so eng verbunden mit denen der devotio modern a auf, dass sie nur mehr schwer davon zu losen sind (G. Peters). Ausser Eckhart und seinen Schiilern waren noch verschiedene Krafte zu nennen, die in jener Zeit das Vollkommenheitsideal bestimmen: ein David von Augsburg und manch andere 2) der viel gelesenen anonymen Schriften, die durch ihre Beliebtheit weit tiber den mittelhochdeutschen Raum zum mittelniederlandischen hin wirkten. Bine so reiche Zeit wie das ausgehende XIII. und das beginnende XIV. Jahrhundert hat auch in aszetischer Hinsicht nicht nur ein einziges Kunstwerk geschaffen, sondern sie lasst verschiedene Richtungen zu Wort kommen, die der Vielseitigkeit des menschlichen Charakters angepasst sind, so dass jede Personlichkeit und jede Volksgruppe das ihrer Eigenart Entsprechende und flir sie besonders Geeignete auswahlen konnte. Wie nun die Anreger der devotio moderna ganz offensichtlich gerade Eckharts Aszese aus dem bunten Vielerlei des Moglichen herausgriffen - vielleicht weil sie verwandtes Wollen in ihr sptirten - und wie Eckharts aszetische Lehre 1) S. unten S. 104.

2) Z.B. Buch der geistlichen Armut, wahrscheinlich 1350 geschrieben, friiher Tauler

zugeschrieben, von Denifle 1877 herausgegeben.

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zu einem der GrundzUge dieser modernen Geistesstromung wurde, das soIl im folgenden dargestellt werden. Br werden aber nieht die vielen andern Faden verfolgt und aufgewiesen, die von Tauler, Suso und anderen herkommen und manehmal in der gleiehen Riehtung verlaufen und dadurch die Naehwirkung Eckharts versmrken mogen. Brst eine spatere, von andern erganzte, auf andere Werke ausgedehnte Arbeit wird es vermogen, das Gesamtgewebe dieser Zeit wieder herzustellen. Bevor diese Syntbese gesehehen kann, mUssen die einzelnen Linien - in diesem Fall Eckhart und die devotio moderna - klar hervorgehoben werden, so dass ein deutliehes Bild nieht nur der Tatsachen - dies wUrde schliesslich schon ein blosses Verzeiehnis der mittelniederIandisehen Eckhart-Handschriften darstellen -, sondern auch Grad und Art der verschiedenen Blemente, die in Niederland assimiliert wurden, vermittelt wird. Bin Baustein zu dieser spateren Syntbese mochte das Folgende sein.

ZWEITES KAPITEL

"NEGATIVE" NACHWIRKUNGEN ECKHARTS "ANTIHIERARCHISCHE" ELEMENTE

A. In Spriichen und Legenden

Wenn man sich die Liste der zahlreichen mittelniederUindischen Eckhart-Handschriften ansieht 1), so fallt auf, mit welcher Vorliebe mittelniederlandische Schreiber Spriiche von Eckhart verbreiteten. Es sind vor allem Spruch 66 und 67 der Pfeifferschen Ausgabe, die anscheinend sehr gefielen. Diese beiden gehOren zu jener Gruppe von Erzahlungen, von denen Spamer sagt, dass sie weniger Produkte Eckharts als Erzeugnisse der frauenklosterlichen Mystik waren 2). Bei ihrer Obernahme in die mndl. Handschriften erlitten sie zuweilen mehr oder weniger grosse Veranderungen. In den mndl. "Exempeln" - so nannte man sie meistens - kamen manche rur den Zeitgeist kennzeichnende Erweiterungen hinzu. Der Inhalt von Spruch 66 war dieser: Ein Lesemeister bat Gott acht Jahre lang, dass er ihm dochjemand zeige, der ihm den Weg der Wahrheit weisen konne. Endlich erhOrt Gott sein Gebet. Er vernimmt eine Stimme, die ihm sagt, dass er vor der Kirchtiir einen solchen Menschen finden wiirde. Draussen begegnet er einem armen zerlumpten Mann, der aile Weisheit zu besitzen scheint, weil er seinen eigenen Willen ganz aufgab und nur mehr will, was Gott will. Selbst wenn ihn Gott in die Holle verdammen wiirde, wiirde er auch dort noch Gott umarmen wollen in Demut und Liebe. 1)

S. Anhang III.

I) "Wir haben bier einige der schOnsten Erzeugnisse der frauenklosterlichen My-

stik vor uns, die sich zumeist lose mit dem Namen des verehrten und gefeierten grossen Meisters Eckhart verknupft haben. Denn in den FrauenklOstem oder auch in gottesfreundlichen Kreisen sind zweifellos jene kleinen Erziihlungen entstanden, die einen wundervollen Einblick in die Tiefe des religiosen Gemiits derer tun lassen, die sie zuerst empfunden und niedergeschrieben haben. Zuweilen mag ein Stuckchen wahren Geschehnisses so einer Erziihlung zugrunde gelegen haben, meist aber sind es rein geistliche Marchen: legendarische Visionen in herber Kurze und hoher Leuchtkraft der Anschauung" (Spamer, Zur Oberlieferung der Pfeifferschen Eckeharttexte, Paul Braunes Beitrlige 34, 1909, S. 403 fr.).

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Spruch 67 hat einen ahnlichen Inhalt: wieder wird ein Meister von einem armen Menschen belehrt, der Gott fand im gelauterten Herzen, als er aIle Geschopfe gelassen hatte. Der Arme ist ein Konig, weil er, nachdem er seine Sinne bezwang, alles mit seinem Geist beherrscht. In der Vereinigung mit Gott wurde er heiIig. Nun hat er die Ruhe, die er bis dahin vergeblich suchte, in Gott gefunden. Man sieht, beide Spriiche haben zwei Dinge gemeinsam: inhaltlich fordern beide die Abgeschiedenheit, entweder das Lassen des eigenen Willens oder das Lassen des Irdischen. Da gerade diese Spriiche so haufig iibernommen wurden, kann man die Behauptung aufstellen, dass Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit die Gemiiter sehr bewegt haben muss. Formell sind beide so eingekleidet, dass der Meister von einem Laien unterrichtet wird, der mehr weiss als er 1). Solche Belehrung durch den Laicn sagte vor allem den Freigeistern, die meist Laien waren, ZU, denn sie konnten solches gut zur Bekraftigung ihres Standpunktes verwenden. Man griff in den Niederlanden dieses formale Element auf. Ausser einfachen Obersetzungen dieser Spriiche 2) ent1) Hier sei in diesem Zusammenhang auch an die Unterweisung parzivals durch den Laien Trevrizent erinnert. G. Weber deutet diese "relative Selbstandigkeit" des Laien, die sich verschiedentlich in dieser Zeit des Hochmittelalters bemerkbar macht, als eines der Kennzeichen der Gotik (G. Weber, Der GottesbegrifJ des Parzival, Frankfurt 1935, S. 45). 2) Urn die Genauigkeit der Obersetzungen dieser Spriiche zu zeigen, sei hier ein Beispiel solcher niederlandischer Obersetzung angefiihrt: Spruch 66 nach Hs. Hamburg theo!. 2194, veroffentlicht bei de Vooys, N.A.K. III, S. 86: "Men leest van eenen hoech geleerden man, die begeerde wei acht iaer lanc, dat hem God soude toenen enen mensche, die hem wijsde den wech der waerheit. Ende doe hi was in groeter begeerte, doe quam een stem van God ende sprac tot hem: "Gaet wt: voer die kercke soe seldi vinden een mensche, die u wisen sel den wech der waerheid." Ende hi ginc ende vant een arm mensche, die zijn voeten verscrecht (: zerschunden) waren ende vol stofs ende onrein ende aIle zijn cleder waren nauwe drie penninc waert. Hi groete hem ende sprac: "God geve u goede morgen!" Doe sprac hi: "Ie crege nie Quade morgen." Die meester zeide: "Oat u God geluck geve! Hoe antwoert gi mi alsoe?" Die acme mensche sprac: "Ie en heb nie quaet geluc gehadt." Die meester seide: "God geve u salicheit; hoe antwoert gi dus?" Hi sprac: "Ie en was nie onsalich." Die meester begeerde hier of onderwesen te sijn; doe sprac die arme mensche: "Gaern. Ie sprac dat ic geen Quade morgen en had, want als mi hongert, soe love ie God, vriest mi, ic love God; ben ic ellendich of versmaet, soe love ic God. Daer om en had ic geen Quade morgen. Ie en had oec nie ongeIuc, want wat mi God gaf of over mi verhengent, het waer lief of leet, suer of soet, des (was) ic al blide ende vrolic ende ie ontfinct minlic. Want ic weet, dat aIle dingen weI van hem gescieden: wi! hi, dat ic sieck sij of gesont, rijk of arme, ic ontfanget al in den name Goeds; leven mijn vrienden of sterven zij, in Goeds name. Ie was oec nie onsalich, want ic wi! aIleen in Goeds wille zijn ende heb minen wille gegeven in Goeds wille also heel, dat wat God wi!, dat wi! ie oeck ende daer om werde ic nie onsaIich, want ie woude aIleen in sinen

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standen viele Exempel, in denen ein Theologe durch einen Laien belehrt wurde 1). De Vooys nennt dies die "antihierarchische" Tendenz 2). Was er unter "antihierarchisch" versteht, ist jene gewisse Neigung in Laienkreisen, ohne Vermittlung der Priester zur Vollkommenheit zu gelangen. Diese Richtung konnte sich so stark im XIV. lahrhundert geltend machen, weil damals die Kirche einer straffen Leitung entbehrte und zudem die Wogen falscher Mystik, die sich nicht an die Kirche gebunden glaubte, hoch gingen und manchen der Starken mitrissen. Gewiss steht fest, dass Gott frei ist, auch ohne die Vermittlung der Sakramente seine Gnaden auszuteilen, wem und wann er will. Doch behaupteten damals viele, dass sie zu den wenigen Auserwahlten geharten, die gottliche Weisheit direkt aus dem Quell der gottlichen Weisheit selbst schopften, wahrend ihr geistlicher Hochmut sie gerade als kleinste Anf'anger in der Schule der Vollkommenheit verriet. So tragt das Exempel Von den sieben Sticken 3) noch deutlich die Spuren seiner Herkunft aus Spruch 66 an sich. Es hat die gleiche Einleitung, nur wird die Geschichte weiter ausgebaut: Der arme Mensch besitzt seine Weisheit in sieben Sacken. Man feilscht und handelt urn die Sacke. Aber fUr nichts auf der Welt will er sie hergeben, selbst nicht fUr die Engel oder die Gottesmutter. Nur gegen Gott selbst will er sie eintauschen. - Noch in einem anderen, spateren Exempel ist der Einfluss Meister Eckharts eindeutig sichtbar: im Exempel vom Rebaut '). Ein "rebaut" - wahrscheinlich von ribaldus ("Rauber") abzuleitenklopft bei einem Klausner an und iiberrascht diesen durch seine tiefsinnigen Worte, die auffallend an Eckhart erinnern. Er behauptet z.B., dass er seinen Willen so mit Gottes Willen vereint habe, dass wille zijn ende ie heb minen wil hem gans over gegeven." Doe sprae die meester: "Of

U God oee in die helle woude werpen, wat woude gi daer toe zeggen?" Hi antwoerde:

"Mi in die hel te werpen, des tert ie hem; ende noch tans, worp hi mi in die helle, soe heb ie twie armen, daer ie hem mede om vate. Die een arm is waraehtieh oetmoedieheit; dien legge ie onder hem ende omvange hem mit den arm der liefden." Ende hi sprae: "Ie williever in die helle sijn dat ie God hebbe, dan in den hemet ende God niet en hebbe, waer om, wil hi mi in die helle werpen, soe moet hi volgen ende mit mij daer zijn." - Doe verstont die meester, dat waraehtige onderdanieheit, in aUe dingen tot Gods wille, is die naeste ende die corste wech tot God te comen." Ebenso eng anschliessend an den deutschen Text sind aueh die Obersetzungen von Sprueh 67 (s. de Vooys, N.A.K. III, S. 87). 1) Z.B. im Exempel Van een vroukijn van XXI jaren und im Exempel Van de molenarinne. Vgl. de Vooys, Legenden, S. 338 und S. 345 fr. I) De Vooys, Legemien, S. 332. 8) De Vooys, Legenden, S. 335. ') Verofrentlieht von de Vooys, N.A.K. III, S. 62. XV. Jahrh.

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Gott nicht ohne ihn wirken dtirfe: "Bnde hebbe mynen wi! also verenicht mitten godliken wille dat god niet werken en mach sonder my noch dat ic niet werken en mach sonder god." Wortlich findet sich dieser Satz im Traktat Vom wahrhaften Grund l ), der zwar nicht von Eckhart stammt, aber mindestens doch als eng mit ihm verwandt bezeichnet werden kann 2). B. 1m Traktat von "Meester Eggaert en de onbekende leek"

Diese Nachwirkung Eckharts zum "Antihierarchischen" hin zeigt sich noch viel smrker in einem Zwiegespdich, das meist unter dem Namen Meester Eggaert en de onbekende leek zitiert wird. De Vooys entdeckte es (ohne weitere Oberschrift) am Bnde einer Briisseler Handschrift 3), die Jan van Leeuwens Werke enthalt 4). Dieses Zwiegespriich muss um 1333 in SUdholland entstanden sein 6); leider ist es uns erst in einer Handschrift des XVI. Jahrhunderts tiberliefert 6). Der Verfasser ist unbekannt. Br stand wohl, wie der Inhalt zeigt, den Freigeistem nahe. In diesem Gespriich stellt Meister Eckhart dem unbekannten Laien Fragen. Der Laie gibt darauf eine Probe seines Wissens und seiner Binstellung, indem er verschiedene Punkte der Theologie und Mystik behandelt, wobei er sich als sehr wohl unterrichtet zeigt und so den Beweis liefert, dass er als Laie ein Recht hat, auch tiber soleh hohe Dinge zu sprechen. Dann werden die Rollen vertauscht. Der Laie stellt Eckhart zuniichst praktisch-aszetische Fragen tiber Demut, Losschiilung von den GeschOpfen, Aufgabe des eigenen Willens, tiber die rechte Gottesliebe, - Fragen, die einen nach Vollkommenheit strebenden Menschen wohl interessieren konnen. Bckhart antwortet, doch liegt wiihrend des ganzen Zwiegespriichs das Schwergewicht mehr beim Laien, der die Unterhaltung eigentlich lenkt, als bei Eckhart. Man sollte vielleicht 1) Zur Echtheitsdebatte s. Spamer, P.B.B. 34, 1909, S. 380.

8) Pf., S. 475 fT. (Traktat VIO. Der hier gemeinte Satz steht S. 477, 15. 3) Bibliotheque royale 888-90. 4) De Vooys, Twee Christen- Demokraten uit de XIVe eeuw, De Twintigste Eeuw,

1903; ders., N.A.K. VII, 1910, S. 166 if. 6) Dolch (S. 53) und de Man (N.A.K. XX, 285) glauben sogar, 1307 als Entstehungsjahr ansetzen zu kannen, wiihrend de Vooys das Jahr 1333 annimmt. ') In einer Handschrift, die Jan de Swettere abschrieb und die am 3. Miirz 1574 von Wilhelm Winters vollendet wurde. Dieser Dialog ist auch noch teilweise enthalten in Hs. Amsterdam I G 34 (Moll 23; Hs. q nach de Vreese, s. Anhang IV, Nr. 25) und in Hs. Briissel Bibl. roy. 22006 (Nr. 863, neuer Katalog), fol. 187-191 (nach Dolch, S. 50, und de Man, Meister Eckehart in een middelnederlandsch handschrift, N.A.K. XXXI, 1940, S. 101).

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erwarten. dass der Verfasser von Meester Eggaert en de onbekende leek nun seinem Meister Eckhart die Lehren Eckharts. so wie er sie aus dessen Predigten kennen mochte. in den Mund legen wtirde. Dem ist aber nicht so. Wohl stimmt er inhaltlich mit Eckharts Aszese iiberein. gibt ihr aber eine ganz andere Form, die alltiiglicher aussieht. Demut ist auch ftir ihn das Fundament der Vollkommenheit. wie er imrner wieder betont 1). Auch er ist davon iiberzeugt, dass die Liebe zu Gott ungeteilt sein muss: "Wenn das Herz und die Sinne und die Minne der Seele geteilt sind in der Welt und in den GesehOpfen. so wird Gott weniger von der Seele geliebt. Gott will ganz von der Seele geliebt werden, ungeteilt" 2). Dies ist troekener, niiehterner als Eckharts Aufforderung, sich von der Mannigfaltigkeit zur Einheit zu kehren. Es fehIt jener Antrieb zum Streben nach Einheit, den Eckhart seinen Zuhorern zu iiberrnitteln wusste und der in deren Aufzeichnungen nachklang. Wenn der "onbekende leek" die Vorbedingungen fiir das Aufgehen in Gott schildert, so erinnert das deutlieh an Eckhart: "Wenn die seligliebende Seele sich von allen weltliehen Sachen zuruckgezogen hat und von aHem, was Gott nieht ist, und von allem, was sie von gottlieher Liebe ablenken konnte, und wenn sie sieh von allen iiusserliehen Sorgen und allen Kreaturen befreit hat ... und wenn sie niehts anderes begehrt als Gott und niehts will als das, was Gott will, dann ist die selig-liebende Seele zuniehte geworden in der gerechten, wahrhaft gottlichen Liebe. Und wenn die selige Seele so aus sich selbst und in Gott eingegangen ist, dann gehOrt sie nieht mehr sieh selbst, sondern dern, den sie liebt .... Wenn die selige Seele so edel Gott urn seiner selbst willen liebt ohne irgend ein anderes Warurn als nur urn seiner selbst willen in rechter, edler Gesinnung, 1) Eine Probe, wie er tiber die Demut spricht: "Oetmoedicheit es een gheestelijc aensien dat wi van eenre crancke materien ghemaect syn, ende wi vol van ghebreken syn, ende wi van ons selven niet en hebben noch en vermoghen dat goet es. Oetmoedicheit es een voersienlike bekinnesse, dat wi in corten tyden sellen sterven, ende wi en weten hoe oft waer oft welc tyt. Oetmoedicheit es een gheestelyke bescouwinghe dat onsen lichaem die wi alsoe weerdichliken houden, ende dat wi alsoe seer minnen, in corten tyden zal verderven ende worden niet ghelike den bladen van den boemen. Oetmoedicheit es dat wi ons selven niet hogher en trecken dan wi syn, ende dat wi nyemant en veronweerden noch en versmaden die beneden ons syn. Oetmoedicheit es dat wi bekinnnen ende aensien ander liede duechde ende haer goede leven. Oetmoedicheit es dat wi bekinnen ende aensien ons selfs ghebrec ende onse cleynheit, soe en sellen wi nyement begripen noch vervolghen noch verdoemen" (fol. 226b). B) "Soe dat herte ende die sinne ende die minne vander sielen wieder ghedeilt es in der werelt ende in de creatueren, so God min van der sielen gemint es. Ende God die wil gheheel vander sielen gemint wesen, onghedeylt" (fol. 217b). Vgl. auch fo). 230a und 233d.

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so ist die selig-liebende Seele schon mit ihm verschmo1zen in wahrhaft gijttlicher Liebe . . . . Dann ist ihr alles gleich, sei es Sterben oder Leben, Hijlle oder Himmel. Kame ein Engel vom Himmel und sagte ihr, dass sie verdammt sei, sie wUrde darum nicht schwlicher werden in ihrer gijttlichen Liebe oder sie aufgeben. Und hlitte Gott sie in den Abgrund der Hijlle geworfen, sie wtirde auch dann noch Gott urn seiner selbst willen lieben" 1). Das ist die gleiche Forderung der Abgeschiedenheit von weltlichen Dingen wie bei Eckhart, die gleiche Obereinstimmung mit Gottes Willen und das gleiche "Hinausgehen aus sich selbst" wie beim deutschen Lebemeister. Auch jenes "Gott-lieben ohne Warum", das fUr Eckhart so kennzeichnend ist, und jene Bereitschaft, sogar die Hijlle anzunehmen, wenn es Gottes Wille sein soUte, wird hier als Merkmal echter Liebe aufgezlihlt. Nur ist dies alles abgeblasster als Eckharts krliftige Worte. Am meisten hat der "onbekende leek" noch von Eckharts Unbedingtheit, wenn er vom Sterben spricht, vom Sterben alles dessen, was dem Menschen lieb und teuer ist, um zu Gott zu kommen. Er fragt: "Meister, wenn der gute Mensch mit seinem Herzen in den Kreaturen gefangen wurde, wie soll er sich dann Uberwinden, wenn er immer mit seinem ganzen Herzen Gott lieben will?" Und die Antwort lautet: "Der soll fUr Gott sterben allem, was ihn von Gott ziehen konnte. Er soU tun, was Abraham mit Isaak, seinem lieben Sohn, tat: er soll Gott ein Opfer darbringen vom AUerliebsten, was er auf Erden hat. Er soll entsagen dem Geben und Nehmen und Sehen und Sprechen, und er soll die Menschen scheuen und fliehen vor allen andern Dingen .... Wenn 1) "Als die saleghe minnende siele haer selven ontoghen heeft van allen werliken saken ende sy ghesondert es van al dat God niet en es, ende datse van godliker minnen trecken mach, ende als die saleghe siel haer selven ontcommert heeft van alre uterliker onlede ende van allen creaturen, ende ... als ze al haer begheerte heeft ghevoecht ende gheset in Gode, ende sy noch anders en wil noch anders en begheert dan dat God wil, soe es die saleghe minnende siele haers selfs niet gheworden, in der gherechter wareehtiger godliker minnen. Ende als die saleghe siel alsoe ghegaen es wt haer selven in Gode, soe en es sy haers selves niet, mer si es des gheens die sy mint ... Als die salighe siel alsoe edelijc Gode om hem selven mint, sonder anders enigherhande waeromme dan alleen om hem selven van reehter edelheit, soe wert die saleghe minnende siele al versmolten in der warechtegher godliker minnen '" Achter dien soe eest haer allecens eest sterven eest leven eest helle eest heme1. Al quame die ynghel vanden hemel ende hi haer seide dat sy waer verdoemt, si en wilde daer om niet falgeren noch cesseren vander godliker minnen. Ende al hadse God gheworpen inden afgrond vander hellen, si soude nochtans God om hem selven minnen" (fo1. 229b). aber die Aufgabe des eigenen Willens vgl. fo1. 233b; liber die Annahme der Hollenqualen vgl. fo1. 212b.

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Gott den Menschen so getreu findet, dass er lieber tausend Tode sterben wiirde als sich wieder zu den Kreaturen zu kehren, dann kann Gott diesen Menschen nicht verlassen ... er wird diesen Menschen wiederlieben. . .. Dann ist die selige Seele so eins in Gott geworden, dass alle Liebe der Erde sie nicht von der Liebe Gottes wegziehen konnte, sie ist dafiir, noch lebend, schon manchen Tod gestorben" 1). An solchen Stellen ist dieses Gesprach am warmsten und besten. Der Schreiber weiss, dass er nur durch Aufgabe des eigenen Ichs und durch Leiden zu dieser Liebe kommen kann 2). Er weiss, dass das Sterben schwer ist 3), doch Leiden ist ein sichererer Weg zur gottlichen Minne als Trost und Versuchung '). Beim Lob dieser Gottesliebe wird die Sprache bewegter. Der "onbekende leek" scheint sie tief empfunden zu haben, sonst wiirde er sie nicht mit solch beredten Worten beschreiben konnen. "Meine Seele hat gesucht, und meine Seele hat gefunden, und meine Seele hat geliebt, und meine Seele wird ewiglich lieben. Wiirde er sie in den Abgrund der Holle werfen, so liesse sie ihn darum nicht ungeliebt. Meine Seele hat schonerwahlt, wassie erwahlen wollte ... Sie willnichtmehr, undsiebegehrt nicht mehr, und sie ist schon gesattigt. Ich wollte gerne tausend Tode sterben, auf dass aIle Menschen Gott erkennen und lieben mochten" 6). 1) "Meester, als die goede mensche ghevanghen es met herten inden creaturen, hoe sal hi hem selven daer in verwinnen als (hi) emmer met al synre herten god wil minnen? ... Die sal om gode sterven van al dat hem van gode trecken mach. Hi sal doen als Abraham dede met Ysaac sinen lieven sone, hi sal maken gode een offerande van den aIre liefsten dat hi op eertriken heeft. Ende hi sal ontseggen, gheven ende nemen ende sien ende spreken, ende hi sal die menschen scouwen ende vlien boven aile dine ... Alsoe god den mensche hem alsoe ghetrouwe vint dat hi liever dusent doden heeft te sterven dan weder te keeren totten creaturen, soe en machs god niet laten ... hi en soude dien mensche weder minnen ... Achterdien soe es die saleghe siele alsoe een in gode gheworden dat si alle die minnen van eertriken vander minnen gods niet en souden moghen trecken, hi heefter om ghestorven allevende soe menighen doot" (fol. 210b). B) Pol. 218b. Vgl. auch fol. 251d: "Liden om Gode in rechter minnen, in wterliker onleden, in laboer, in oerbaerliken werken behoet den goeden menschen van alre temtacien, ende maect dat herte reyn van allen onsuveren ghedachten. Lyden om Gode van reehter minnen. .. maeet den goeden mensche vry van herten ende van consciencien." S. auch fol. 211d. 8) Pol. 21Od. ') Pol. 261c: "Om Godt te lijden in rechter minnen verduldich es sekerder dan jubilacien ende temtacie. Atsoe dat goudt uit vier verclaert, alsoe wert die saleghe siele verclaert ende veredelt uit lijden om die godlijke minne." II) "Mijn siele die heeft ghesocht, ende mijn siele die heeft ghevonden, ende mijn siele die heeft ghemint, ende myn siel die sal ewelyc minnen. At worpe hi se inden afgront vander hellen, aldaer om soe en liet sine niet onghemint. Mijn siele heeftet al vercoren dat sy verkiesen wil .... Sy en wil niet meer, ende sy en begeert niet meer LiiCKER, Meister Eckhart

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so

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Echte Nachstenliebe verlangt er ebenso eindringlich wie Eckhart 1). Uns interessiert ausser diesen aszetischen Fragen und den Antworten. die der Verfasser im Sinne Eckharts zu geben glaubt, hier vor allem die Tatsache, dass der Laie zwischendurch heftig liber die Misstande in der Kirche ldagt. Woher kommt es doeh. dass Papst, Abte und die hohe Geistlichkeit so wenig innigen Umgang mit Gott haben, dass sie so verweltlicht sind? Die Antwort enthalt einen Vergleich, den auch Eckhart gebraucht hatte: "In ein Gefiiss, das voll ist, kann nichts mehr hinein. AIle, die voll sind von der Welt und von dem, was der Welt gehort, konnen in ihren Seelen Gott weder schmecken noch flibIen" 2). Der Klerus lebt in Reichtum und Luxus, der Laie lebt arm und einfach nach den Worten des Evangeliums. Doch er wird verfolgt, und nun beklagt sich der "onbekende leek" liber die Ketzerverfolgung. Man merkt ihm an, dass er selbst darunter zu leiden hatte 3). Kurzum, der Laie tritt hier gegen die Autoritat, gegen die Reichen, gegen einen Standesdlinkel auf, der nur auf Vorrechte poeht und nichts von Pflichten weiss. Dabei glaubt er, bei Eckhart Verstandnis zu finden, denn zwischen den Zeilen ist zu lesen: "Du, Eckhart, wirst das schon verstehen, denn du hast ahnliches erfahren." In diesem Gesprach wird also Eckhart ende si (es) al ghesadet. Ie wilde wei geeme dusent doden sterven op dat alle menschen Gode bekinden ende minden" (fol. 218d). Vgl. aueh fol. 214a. 1) Pol. 223d und 210a. I) De Vooys, N.A.K., VII, S. 182, fol. 22lb. Das g1eiche Bild wird spater noch einmal wiederholt: "een vat dat vol is, daer en mach niet meer in. AI die vol sijn der werelt ende der quader sonden, daer en mach die Godlijke min niet in rusten, al es sij allen goeden menschen ghemein" (fol. 27Oc). Eckhart hatte das gleiche Bild gebraucht im B.d.g.T., S. 17, 29 ff. 8) Dass der Laie sieh iiber die Theologen, die ibn vielleicht aIs Ketzer verfolgten. beklagte, war niehts Neues in der mystischen Literatur der Niederlande. Schon bei Hadewyeh finden wir iihnliehes, doch nicht so offen ausgesprochen wie bier. Man denke z.B. an solch k1eine Hiebe, wie sie sie in der Liste der Vollkommenen gegen die "Meister" austeilt. AIs Nr. 29 der Vollkommenen nennt sie "eene beghine, die meester robbaert doedde om hare gherechte minne". Auch die 8. Vision Hadewychs erinnert in ihrer Stimmung ein wenig an unsem Dialog von Meester Eggaert en de onbekende leek. Da erscheint ihr niimlieh ein "Kimpe", wohl ein Theologe, der es schon weit in der Vollkommenheit gebracht hat. Die vier ersten Wege zur Vollkommenheit kann er ihr zeigen, aber nicht den hochsten, den f'tinften: "Want doen ie mensche leuede, haddic te lettel minnen met affectien ende volghede den scarpen rade van den gheeste: daer bi en mochtic niet beruert werden te also enegher minnen. Want ic der edelre menscheit groet onrecht dede, dat ic hare dier affectien buten hilt." Also wird bier versteckt angedeutet, dass Hadewych, die weniger intellektuell und theologisch geschult ist, mehr von der Vollkommenheit verstehe als dec gelehrte Theologe, weil sie die "affectie" (das mehr Gef'Uhlsmiissige) mit einbezieht (s. van Mierlo, De Visioenen van Hadewych, LOwen 1924, S. 90 ff.). Doch ist der Ton in unserem Dialog angriffslustiger und richtet sich mehr auf konkrete Tatsachen.

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zum Vorwand genommen, urn vor ihm einmal alle m6g1ichen Vorwiirfe gegen die Kirche auszusprechen 1). 1st das Ganze auch eine Fiktion, es zeigt doch deutlich, wie in den K6pfen niederHindischer Freigeister - denn zu diesen geMrte wohl der Verfasser - Eckhart als einer der ihren galt. Dazu m6gen die Warnungen vor Eckhart beigetragen haben, die von orthodoxer Seite immer wieder im Lauf des XIV. Jahrhunderts in den Niederlanden geaussert wurden. WARNUNGEN VOR ECKHART

Diese kamen urn die Mitte des Jahrhunderts am lautesten aus dem Kreis um Ruusbroec. Das war nicht zu verwundern, denn zu gross war der Gegensatz dieser beiden Mystiker. Schon die ausseren Vmstande ihres Lebens waren ganzIich verschieden: Eckhart, der Vniversitatsprofessor, verantwortungsvoller Provinzial seines Ordens, vielumstrittener Prediger, urn dessen Kanzel das Zeitgeschehen brandete und der dennoch von der Ruhe in Gott, der Abgeschiedenheit, der Gottesgeburt predigte, und ihm gegeniiber Ruusbroec, der in stiller Zuriickgezogenheit im Sonienbosch bei Briissellebte, von der Sonne beschienen, sich in Gott hinein-traumte und in aller Ruhe sich in das Wesen der Dreifaltigkeit versenken konnte! Bewusst hat Ruusbroec gewiss nichts von Eckhart iibernommen, dafiir waren diese beiden Mystikerpers6nlichkeiten in Charakter und Art zu verschieden. Darin hat van Mierlo recht, wenn er Ruusbroec rein zu waschen sucht von jedem "Einfluss" Eckharts 2). Vnd dennoch erkennt man in Ruusbroec viele Elemente von Eckhart wieder: Gottes immanent-transzendentes Wesen, die exemplarische Trinitatslehre, die Praeexistenz der Welt irn Logos, die RUckkehr des Endlichen ins Vnendliche, das sind Fundarnente beider, die sie ursprUnglich vielleicht beide aus Dionysius Areopagita entnommen 1) Mit den bier gegebenen Ausziigen aus dem Zwiegespraeh ist der Inhalt des Dialogs llingst nieht ersehopft. Es werden darin noeh astronomisehe, exegetisehe und dogmatisehe Fragen behandelt, die uns im Rahmen unserer Fragestellung nieht interessierten. Sieher ist dieser Dialog ein beaehtenswertes Zeitdokument, das, wei! es in manehen Ausserungen so ganz dem Leben abgelauscht ist (s. fol. 21Od), eines grossen Reizes nieht entbehrt. Diese Wirkliehkeitsnahe llisst uns die vor aHem zum Ende bin ofters auftretenden Wiederholungen vergessen. Man hat den Eindruek, dass der Verfasser sieh nieht die Miihe gemaeht hat, das Ganze naeh FertigsteHung noch einmal durehzulesen, dann wiirde er wahrscheinlieh die allzuhaufigen Wiederholungen gestriehen haben. Das Werk ist ziemlieh spontan gesehrieben mit all den Vorziigen, aber aueh den Naehteilen eines lebhaften Dialogs. 2) In versehiedenen Aufsatzen, vor allem in Over het ontstaan der Germaansche mystiek, Ons geestelijk Erf I, 1927, S. 11 if.

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haben. Ruusbroec war abgekUirter, ruhiger; Eckhart sttirmisch vorantreibend. Doch bleibt des Gemeinsamen in Ruusbroec und Eckhart zuviel 1), als dass man es nur auf die gemeinsame QueUe zurUckfiihren konnte. Es ist eher und besser zu erklaren durch die enge Verbindung Ruusbroecs mit Eckharts Schiilern: mit Suso und Tauler, mit Rulman Merswin und Heinrich von Nordlingen, die aus dem Kreis der EckhartJUnger hervorgingen. Das Licht, das von Eckhart ausgestrahlt war, traf Ruusbroec, nachdem es durch das Prisma dieser grossen Manner hindurchgegangen war. Sie hatten ihm noch ihre eigene Farbe hinzugegeben. Ruusbroec nahm es auf, verarbeitete es selbstandig, fing es auf in glanzenden Edelsteinen und fiigte diese dem monumentalen Kunstwerk seiner Mystik ein. Unbewusst hatte er von den Deutschen vieles Ubernommen, von einem direkten Einfluss Eckharts kann keine Rede sein. Dennoch kann man sagen, dass ohne Eckhart Ruusbroecs Mystik ganz anders ausgefallen ware. Sie enthalt sehr viel vom Gedankengut Taulers 2) und Susos, die beide ohne Eckhart undenkbar sind. Doch solI hier ja nicht auf diese Frage des indirekten Einflusses eingegangen werden. Ausserdem ist diese Nachwirkung auch darum hier nicht zu erortern, da sie sich mehr in der Mystik und weniger in der 1) Das gibt van Mierlo selbst zu im Lauf einer Artikelserie tiber Het leven en de werken van Jan van Ruusbroec in Dietsche Warande en Belfort X, 1910, S.438: "Toch kan, n.m.m., niet ontkend worden, dat Ruusbroec van Eckhart in zekere mate afhangt. Dat wordt bewezen door het feit, dat dezelfde Latijnsche uitdrukkingen gewoonlijk op dezelfde wijze vertaald worden, hoewel deze vertaling ... zich niet opdringt" (Vgl. auch van Mierlo, a.a.O., S. 549). Zur Frage des Verhaltnisses von Ruusbroec zu Eckhart s. auch L. Reypens, De geestelijke physionomie van Ruusbroec, Dietsche Warande en Belfort XXIII, 1923, S. I If. Dieser gute RuusbroecKenner sagt: "Nog voor Ruusbroec het er toe bracht Thomas en de vaders er op na te slaan, heeft Ruusbroec sich gevoedt met de schriften van Eckhart. Van hem heeft hij vooral geleerd in de moedertaal de meest afgetrokken bespiegeIingen te woord te brengen; bij Eckhart vind hij voor het eerst wat zijn geest zoo noodig had: een systematische uitleg voor het hooger genadeleven. En die aanraking met Eckhart zal op heel zijn werk geprent blijven" (S. 6). Auch Dr. J. van den Bergh van EysingaElias (Ruusbroec in verband met de Fransche en Duitsche mystiek, De Gids LXXI, 1907, S. 275 If.) glaubt vor aHem eine Obereinstimmung Ruusbroecs mit Eckhart, was die dogmatische Seite, vor aHem die Trinitatslehre, angeht, nachweisen zu konnen. "De hooge vlucht, die de Nederlandsche mystiek plotseling in Ruusbroec genomen heeft, is te danken aan de invloed van Eckhart (S. 286) .. , Juist de overeenkomst in terminologie en ontwikkeling in hunne behandeling der heilige Drieeenheid, is een onloochenbaar bewijs voor Ruusbroecs afhankeIijkheid van Eckhart, omdat Eckhart op dit punt meer afwijkt van zijne voorgangers, dan op dat der psychologie" (S. 297). Ich mochte den Einfluss Eckharts doch nicht als so stark bezeichnen, wie er hier angcnommen wird. Vgl. den weiteren Verlauf dieser Untersuchung. 2) Dass Tauler Ruusbroec besucht hat, dtirfte nun einwandfrei nachgewiesen sein (s. Ruusbroec, Leven, Werken, S. 130 If.).

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Aszese bemerkbar macht. Hier sei nur verzeichnet, wie Ruusbroec vor Eckhart warnte. Dies geschah, ohne Eckharts Namen zu nennen, an verschiedenen Stellen 1). Ais Ruusbroec tiber die Vereinigung mit Gott "ohne Mittel" in der Gheestelijken brulocht spricht, da nennt er u.a. das "Ledig-sein". Er warnt vor der "falschen" Auffassung jener "Ledigen", die Gott weder danken noch loben wollen, die sich weigern, nach ihm zu verlangen oder ihn zu lieben, die hochmtitig meinen, schon alles zu besitzen, worum sie beten oder wonach sie verlangen konnten, die sich arm im Geiste nennen und es fUr unvollkommen halten, noch danach zu verlangen, den Willen Gottes zu tun, weil dieses der rechten Ledigkeit entgegenstiinde 2). Obwohl Ruusbroec keine Namen nennt, weiss man, gegen wen es gerichtet ist: Eckhart hatte in der Predigt Beati pauperes spiritu 3), wie wir oben schon sahen 4), ausftihrlich die Armut des Geistes beschrieben mit genau den gleichen Worten, die Ruusbroec hier so scharfverurteilt 5). Ruusbroec muss diese Predigt sehr gut gekannt haben, denn er greift sie auch in dem Buch Van den XII beghinen an. Um sich von der Gegnerschaft der beiden Mystiker in diesem Punkt zu tiberzeugen, seien beide Texte einander gegentibergestellt: Ruusbroec: Eckhart: Nu merct dese valsche propheten, Wan sol der mensche werliche opdat ghi niet bedroghen en wert. arm sin, so sol er sines geschafSi segghen: dat si zijn Gods wesen, fenen willen also ledic sm als er boven die godlijcke Persone; ende was do er niht enwas 8). dat si zijn alsoe led;ch als ochte s; niet en waren 6). Want yeghewelc van dien vermalendiden menschen spreect aldus: "Doe ic stont in mijnen gronde Do ich stuont in miner ersten ur. .. doe en haddic enghenen God, sache, do enhtite ich keinen got 9). maer dat ic was, dat woud;c, ende daz ich wolte daz was ;ch, unt daz dat ic woude dat was ic . .. haddic ich was daz wolte ich 10). ghewilt, ic en ware niet gheworden, noch enghene creatuere" 7). B) Ruusbroec, I, S. 233, 19-23. pr., Pro LXXXVII, 280. C) S. S. 26. pr., Pro LXXXVII, 281,9-12 und 18-19. Ruusbroec, IV, 41, 13-16. Ruusbroec, IV, 42, 30-43, 3. 8) Pf., Pro LXXXVII, 281, 14-15. D) Pf., Pr. LXXXVII, 281, 20. 10) pr., Pro LXXXVII, 281, 23. 1) Vgl. hierzu Dolch, S. 58-61.

8) 5) 8) 7)

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Ruusbroec kiimpfte gegen diese Auffassung Eckharts, weil die Begarden gerade diese !deen zum Schutz der eigenen Lehre und zur Entschuldigung ihrer Handlungsweise anfUhrten. Gewiss hatten solche Worte Eckharts, aus dem Zusammenhang gerissen, einen leichten Beigeschmack von Ketzerei, doch im Gesamtbild der LXXXVII. Predigt sind sie nur Ausdruck des ungestUmen Ddingens nach Gott hin, den der Mensch nur durch das Aufgeben des eigenen Willens erreichen kann. Dass Ruusbroec wirklich nicht zu den Bewunderern Eckharts geMrte, zeigt sich auch bei seinem treuen Spiegelbild, wenn man ihn so nennen darf, bei Jan van Leeuwen, dem "guten Koch" von Groenendael. Oft mag er geMrt haben, wie Ruusbroec Eckhart ablehnte, und so fUhlte er sich verpflichtet, gegen Eckhart zu schreiben. Er ist ein leidenschaftlicher Gegner 1). Vor 1355 muss er das Boexken van Meester Eckaerts leere daar hi in doe/de geschrieben haben. Gleich zu Anfang sagt er ehrlich seine Meinung: "Het was een duvelyc mensche, hiet Meester Eckaert van der predicaren ordene." Doch es folgt keine sachliche Widerlegung der falschen Lehre dieses "teuflischen Menschen". Er zitiert nur eifrig Eckharts XV. Predigt. Diese hatte die Frage behandelt, inwieweit die Werke, die ein Mensch im Stande der TodsUnde tut, verdienstlich sind. Jan van Leeuwen behauptet, dass Eckharts Auffassung im Gegensatz stehe zu den Lehren aHer damals lebenden Meister. Es folgen eine Reihe Schimpfnamen ohne eigentliche Widerlegung. Vor aHem wirft er ihm geistlichen Hochmut vor. Die Streitschrift ist sehr heftig 2). So mUssen wohl bald die Verteidiger Eckharts aufgetreten 1) Vgl. de Vooys, N.A.K. III, S. 176ff.

I) Teilweise veroffentlicht von de Vooys, N.A.K., III, S. 182 ff. Hier sei eine kleine

Probe dieser Streitschrift gegeben: "Eckaert was seke(r) een puer onghelovich mensche, daer voer settic cuenlijc mijn ziele. Want Eckaert ghetughet selve overmids sijn valsche leeringhe ende meneghe quade duvelike ongheloveghe articulen, die Eckaert met eyghenheit hielt ende houden woude, als dede tot in sijn eynde, soe hielt hi hem met groter stiver ondraghender hoverdicheit ieghen aIle meesters die doen leefden. Bnde hier aen eest seker goet te proevenne, ya met sijns selfs leeringhen, dat hi inder waerheit een opdraghede hoverdich man van binnen in sijn herte was, ende daar toe metten duvele beseten oft meneghe duvel, daer en es gheen twifel, noch oec gheen verborghen waen aen te legghenne. Want hi was seker een overmoedich man ende een opdraghende van herten, wat hi van buten scheen oft oec wat dat u yemant van hem ochte van sijnre oeffeninghen segghen mach, daer en hout u een helleweert niet aen. Want Meester Eckaert hadde alsoe vele ghewaregher oeffeninghen alse die paddesteert heeft ende oec alsoe vele als die duvel in caritaten ende in minnen leeft. Want het hout menich thooft ochte sinen hals na oetmoedeghen schine van buten neder wert, die sijn herte van binnen draecht overmoedelijc opweert. Bnde aldus was die valsche bedroghenne Eckaert wei na den schine van buten" (fol. 135, nach de Vooys, N.A.K. Ill, s. 184). In diesem Stil geht es weiter!

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sein, deren Schriften leider noch nicht entdeckt sind. Denn Jan van Leeuwen sah sich bald gen6tigt, einen weiteren Traktat Van vyfterhande bruederscap zu schreiben, worin er einige Fehler, die er in seinen vorhergehenden Schriften gemacht hatte, zugeben musste. Bin Kapitel tdigt die "Oberschrift "Van vier ponten daer hi af begrepen was, ende sijn onscout daer aff" 1). Hier verteidigt er sich gegen solche, die seine Auffassung der Eckhartschen Lehre angriffen. UnwillkUrlich beUichelt man seinen Bifer und seine Art, sich zu entschuldigen, wenn er sagt: Eckhart habe seine Irrlehren eingesehen und widerrufen. 1m Jenseits wiirde er ihm (Jan van Leeuwen) jetzt nicht nur dankbar sein fUr sein Auftreten, sondern er wiirde, wenn er es jetzt noch konnte, noch hunderttausendmal mehr GrUnde gegen seine eigene Lehre vorbringen. Sein Traktat Van den tien gheboden, 1358 geschrieben 2) behandelt beim dritten Gebot die Lehre von der Dreifaltigkeit. Daran schliessen sich zwei Kapitel Uber die Irrlehren Eckharts an. Besonders wird seine Lehre von der "Ledigkeit des Geistes" beanstandet. Br greift also den gleichen Punkt wie sein Meister, Ruusbroec, an. Der Koch nennt Eckhart einen "Antichristen", der noch immer viele JUnger habe 3), ein deutlicher Beweis fUr Eckharts Wirkung in den Niederlanden! Jan van Leeuwen kampft vor aHem gegen die angebliche Auffassung Eckharts, dass wir weder der Gnaden Christi noch seiner Verdienste bedUrfen, sondern alles aus eigner Kraft tun. Br tadelt ihn, dass er sich damit dem Gottessohne gleich gesteHt habe. Wir erfahren durch ihn, dass sich auch "hoeftheren" zu den Anhangern seiner Lehre rechneten, ein Zeichen ihrer einftussreichen Verbreitung! Offenbar ist das Kapitel "Ben openbaeren van sommeghen ongheloeveghe articulen, die Bggaert ende die sine noch houden, ende een proeve hunder valsheit" '), ein Nachsprechen von dem, was Ruusbroec in den oben angefUhrten SteHen feiner, durchdachter gesagt hatte. Gegen die gleiche Predigt kampft er auch im Traktat Wat dat een armen mensche van gheeste toebehoert 6). Doch verrat gerade diese 1) Ver5ft'entlicht von de Vooys, N.A.K. III, S. 188 ft'.

I) S. de Vooys, N.A.K. III, S. 191.

8) "Een swaer antkerst, doen hy leefde, ende noch heeft Eggaert meneghen onghe-

loeveghen antkerst achter hem ghelaten ende overmids syn leeringhe ghemaect ende hem doen navolghen oft volghden" (de Vooys, N.A.K. III, S. 192). ') "Eine Darlegung einiger ungliiubiger Artikel, die Eckhart und die Seinen noch behaupten und ein Beweis ihrer Falschheit." 6) "Was zu einem Armen im Geiste geh5rt." Ver5ft'entlicht von H. Dorresteyn

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"NEGATIVE" NACHWIRKUNGEN ECKHARTS

Abhandlung, in der Jan van Leeuwen zu Beginn Eckhart, allerdings ohne seinen Namen zu nennen, als Haretiker bezeichnet, wieviel er unbewusst von Eckhart iibemahm. Denn wenn er solche Ausdriicke wie "abgeschieden" gebraucht, so sind diese doch wohl nur auf Eckhart zUrUckzufUhren 1). Man konnte fast meinen, Eckhart zu horen, wenn er die echte Armut des Geistes kurz darlegt. Zu ihr gehOrt anders nichts als "ein ewiges Sterben und ein ewiger Tod und der andere Tod, und zwischen beiden solI in uns sein der lebendige Hunger nach Gott, gewaltig und gross. Zwischen einem ganzlichen Sterben unseres Ichs und einem ganzlichen Absterben fUr die Dinge der Welt wird aller Eigenwille getotet und iiberwunden und aIle Tugend gewonnen" 8). Wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass auch Ruusbroec oft vom Sterben 3) gesprochen hatte und sein SchUler diese Terminologie von ihm iibemommen haben konnte, so mutet doch dieser Abschnitt eckhartisch an, weil in seiner Nahe andere, Eckhart ganz gelaufige Worte wie "abgeschieden", "Blossheit" und "Armut des Geistes" gebraucht werden. Ausser diesen Gegnem im Ruusbroec-Kreis erwuchsen Eckhart auch Feinde innerhalb der devotio modema. Diese Tatsache ist gewiss als eine Reaktion gegen seinen grossen Einfluss zu werten. Dass selbst der Vater der devotio modema, Geert Groote, wenn es ihm notig und niitzlich schien, vor ihm wamte, solI bei der eingehenderen WUrdigung der Beziehungen zwischen Eckhart und Geert Groote behandelt werden 4). Hier sei ein anderer Vertreter der devotio modema erwahnt, der sich gegen die Lektiire Eckharts ausserte: Gerard Zerbolt van Zutphen (1367-1398). Er war der besondere Freund Florens Radewijns und der Gelehrte unter den Briidem vom gemeinsamen Leben 5). Eifrig schlug er die Angriffe ab, die sich gegen die junge Stiftung richteten. Durch S. C. J., De phasen van het mystieke leven naar Jan van Leeuwens tractaat ,Wat dat een armen mensche van gheeste toebehoert', Ons geestelijk Erf VIII, 1934, S. 1 tT. 1) A.a.O., S. 10. Auch spricht er "van bloet ghesicht", das uns die einfache Kraft

gibt, a.a.O., S. 18. I) Fol. 132c, a.a.O. 8) Z.B. Ruusbroec, I, 216, 218; 11,221,229; m, 54,200,216-217,282; IV, 119,200, um nur einige Stellen herauszugreifen, die vom Sterben der menschlichen Natur sprachen. Den Ausdruck "sterven in Gode" gebraucht Ruusbroec sehr hiiufig. ') S. unten, Kapitel IV. 5) J. van Rooy, Gerard Zerbolt van Zutphen, Leven en geschrijien, Nijmegen 1936, S.79.

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Wort und Schrift beeinf'lusste er stark die Frijmmigkeit seiner Zeit. Seine "coIlatien", anregende, kurze Ansprachen filr das Fraterhaus in Deventer, wurden selbst von Klerikern gern besucht. In seinem Werk De libris teutonicalibus, das auch zum grijssten Teil im 7. Kapitel seines Buches Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium enthalten ist 1), verteidigt er die Auffassung, dass Laien BUcher, die in der Muttersprache geschrieben sind, lesen dUrfen. Wenn diese aber theologische Fragen, wie die vom gijttlichen Wesen, von der Dreifaltigkeit oder von der gijttlichen Vorsehung behandeln, dann soIlen die Laien sie nicht lesen, weil sie sie doch nicht verstehen und sie ihnen daher mehr schaden als nUtzen wUrden. Dem Laien fehle oft das reehte Urteil in diesen Dingen, meillt er, und darum kijnnten solche Probleme gefahrlich filr ihn werden. In diesem Zusammenhang erwahnt Gerard Zerbolt ausdrUcklich Eckhart und seine Werke. Zerbolt scheint vor aHem die Neuheit der Wortpriigung zu filrchten, die den ungeschulten Laien leicht verwirren kijnnte. Eckharts Ausdrucke lagen ausserhalb des allgemein gebrauchlichen kirchlichen Wortschatzes und seien selbst fUr Gebildete schwer verstandlich. Er filrchtet filr den Glauben jener Laien, die diese BUcher lesen und sich daruber unterhalten. Sie verbreiten leicht die Gottlosigkeit 2). Diese feindliche Einstellung gegenUber Eckhart und soichen, die seine Lehre verbreiten, erkUirt sich aus dem 1) Van Rooy, a.a.O., S. 54 if., vor aHem S. 72.

2) Videtur quod noceat laycis studere libros illos raeione ignotorum verborum

vel modi loquendi euriosi inusitati et in divinis ecclesiasticis doctrinis et libri(s) sanetorum insueti. Inveniuntur enim quidam libri teutonicales sub quadam novitate et euriositate verborum in doetrina et libris sanetorum inusitatorum compositi viris literatis ignotorum. Et ascribuntur plurimi horum librorum Egghardo. Unde quidam in(ti)tulantur sermones Egghardi vel aliis titulis sub nomine ipsius Egghardi et plurimi locuntur de abstraccione pura, quidam ipsorum loquuntur de libertate spiritus. Unde zyzania et pessimum semen ipsorum liberorum spirituum ortum est quidem de perfeccione paupertatis et recommendacione mendicitatis. Et isti et omnes libri alieno modo de dubiis vel insuetis materiis et inusitatis tractantes sunt laycis valde perieulosi propter multa. . . Ipsa novitas verborum non est secundum communem doctrinam ecclesiasticam, sicut est predietorum librorum doctrina, que est absconsa sub quadam novitate et euriositate verborum •.• ut eciam viri literati et in sacris libris exercitati verba huiusmodi non intelligant .••• Layci huiusmodi libros studentes, sicut experiencia docet, quendam modum loquendi abusivum acquirunt, aliis bonis hominibus insuetum, ita ut huiusmodi libros et se secundum eos vel in eis exercitantes ex verbis cognoscantur et iudicentur .... Ex hoc sequi poterit fidei corrupcio ... Isti homines ... sunt valde periculosi et vitandi ... sermo eorum sicut cancer serpit. Sunt enim ... pertinaces et vaniloquia curiosa docentes et alios inficientes. Zitiert nach A. Hyma, The ,De libris teutonica/ibus' by Gerard Zerbolt of Zutphen, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. XVII, 1922, S. 62 if. Hyma sehreibt Z. 8: zyzania est •.. /ibrorum.

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"NEGATIVE" NACHWIRKUNGEN ECKHARTS

Zusammenhang: Gerard Zerbold wurde getrieben vom Eifer, die eben erst zur Miindigkeit erwachten "Devoten", die Laien der devotio moderna, zu schiitzen. Nicht ungehindert, ungewarnt sollten sie Eckhart geniessen; er Mtte sie zu leicht berauschen konnen. Auch sprach bei ibm der gleiche Beweggrund mit, der auch Geert Groote vor mystischen Abhandlungen in der Volkssprache warnen liess: es konnten dadurch Gespdiche entstehen, die die junge Bewegung in den Ruf der Ketzerei brachten, so wie es in verschiedenen Beginenhofen geschehen war 1). Wir diirfen uns daher nicht wundern, keine Spur von Eckhart in Gerard Zerbolts Werken zu finden, weder in seinem Buch De re/ormatione virium animae noch in De spiritualibus ascensionibus, noch in seinen anderen kleineren Schriften. Riihmte man ihm doch nach, dass er stets in aHem, was er predigte und lehrte, mit gutem Beispiel durch die Tat voranging 2). Er war Bibliothekar des Fraterhauses in Deventer. Wir diirfen daher auch nicht Eckharts Werke in der Bibliothek in Deventer erwarten. Gerard Zerbolt galt seinen Zeitgenossen nach Grootes Tod als AutorWit, sowohl wegen seiner Gelehrtheit vor aHem in Rechtsangelegenheiten - Florens Radewijns selbst fragte ihn oft in schwierigen Dingen um Rat - als auch wegen seines ernsten Strebens nach VoHkommenheit 3). All diese Ausserungen, sowohl die von Ruusbroec und Jan van Leeuwen als die von Gerard Zerbolt van Zutphen zeigen, wie gross der Ruhm Eckharts gewesen sein muss. wie stark er noch die Geister beeindruckte, denn sonst hatte man es kaum fUr notig erachtet. so scharfe Waffen gegen ihn zu gebrauchen. Sie warn ten vor dem Gefahrlichen in Eckhart; sie vergassen. dass sie selbst vom Guten, ja Besten der Lehren Eckharts in sich aufgenommen hatten. 1) Ausfiihrliehes iiber diese Gefahr s. unten, Kapitel IV. I) Dier de Muden sagt von ihm, dass er jemand war, "qui in vita et in conversatione sua fuit exemplaris omnibus" (Dunbar, Ana/ecta, I, S. 47. Hier zitiert nach van Rooy,

S. 32). 8) S. van Rooy, S. 31 fT. Seine Aszese scheint zwar zuweilen etwas iibertrieben und eigenartig: Wenn er zur Kirche ging, war er in sieh gekehrt und sah die Voriibergehenden nieht. A1s man ibn einmal fragle, ob ibn die VOriibergehenden nieht hinderten, sagle er: "Ieh denke, dass eine Sehweineherde vorbeikommt. Was geht mieh das Aussere der Menschen an?" Pohl, VII, S. 277.

DRITTES KAPITEL

EIN BINDEOLIED ZWISCHEN ECKHART UNO DER DEVOTIO MODERNA: GODEVERD VAN WEFELES WERK "VAN DEN XII DOOHEDEN" BILD DES VERFASSERS, NACH OEM OBITUARIUM VON GROENENDAEL GEZEICHNET

Kein Wunder, dass mancher Forscher spaterer Zeit glaubte, einen direkten Beitrag Eckharts zum Werke Ruusbroecs feststellen zu konnen 1). Man hatte namlich lange angenommen, dass das Buch Van den XII dogheden von Ruusbroec sei. Da veroffentlichte 1940 Marc Dykmans das Obituarium des Klosters Groenendael 2) mit vielen wertvollen Anmerkungen. Er verwies darin 3) u.a auf die Handschrift Cheltenham Philipps 1175, die fo!' 148v sagt: "Hie begynnet das buch von den zwolff dogenden des geistlichen herren Godeverdes regulers canonikes in den closter Grunendale, eynes von den discipelen des erwirdigen in Got und geistlichen priors heren Johan Ruessbrockes da selbest." Darauffussend zeigte van Mierlo 4), der schon in vielen frUheren Aufsatzen 6) mit Beweisen gegen die Autorschaft Ruusbroecs aufgetreten war, aber zunachst den Namen des wirklichen Verfassers aus Mangel an Belegen noch nicht entdecken konnte, - dass es im ganzen Obituarium von Groenendael nur einen einzigen Godeverd gebe, namlich Godeverd van Wefele, und dass dieser darum der Verfasser des Buches Van den XII dogheden sein mUsse. So hatte van Mierlo endHch das noch fehlende Glied in seiner schon frUher begonnenen Beweiskette gefunden. Wer war dieser Godeverd van Wefele und was bedeutet sein Werk in unserm Zusammenhang? Godeverd van Wefele wurde wahrscheinlich 1320 geboren als Sohn des Simon van Wefele und seiner Frau Elisabeth van Quaderebbe. Beider Eltern wird als Wohltater des Priorates Groenendael am 6. Februar im Obituarium gedacht. Zunachst scheint 1) S. A. C. Bouman J. Ruusbroec en de Duitsche mystiek, Tijdschrift v. Ned. Taal en Letterk. XLI, 1922, S. 1 fT.; XLII, 1923, S. 81 fT.; XLIII, 1924, S. 249 fT. I) Obituaire du monastere de Groenendaef dans fa forit de Soignes, Bruxelles 1940. 8) Dykmans, S. 329. ') Van Mierlo. Versfagen, S. 429 fT. ') In Studien LV, 1923, I, S. 200fT. und S. 376fT.; II, S. 133 fT. und S. 297.

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EIN BINDEGLlED: "VAN DEN XII DOGHEDEN"

Godeverd bei seinem Vater geblieben zu sein, "succedens patri suo in saeculo" 1). Mit ungeiahr vierzig Jahren trat er ins Kloster Groenendael ein. Es wird von ihm gesagt: "Hie multos labores in officio procuratoris perpessus est." Er hatte also das Amt des Prokurators inne, und man trifft ihn als Bevollmachtigten von Groenendael in Akten yom 8. Januar 1361, 29. Januar und 6. August 1366, 25. Juni 1367 und 24. Oktober 1375. Seine lange Erfahrung bei der Verwaltung der vaterlichen Gtiter wird ihm hierbei zugute gekommen sein. Oem Obituarium zufolge "scripsit", was hier mit "kopierte er" zu tibersetzen ist, einen Teil der Homilien des hI. Augustinus tiber das Johannesevangelium "et adhuc alia plura". Aus dieser Notiz lasst sich also nicht entnehmen, ob er auch selbst Schriftsteller war, sie lasst sich aber auch nicht gegen diese Annahme verwerten. Denn selbst bei Ruusbroec sind nicht dessen Werke angegeben. Das Obituarium sagt nur, was der einzelne an Gtitern mitbrachte oder fUr das Kloster leistete. Wenn gerade der Johanneskommentar des Augustinus erwahnt wird, so dtirfen wir wohl annehmen, dass Godeverd dieses Buch sehr schatzte. Ferner vermeldet uns das Obituarium noch, dass Godeverd van Wefele ein beliebter Beichtvater war, dass u.a. auch die Herzogin Maria von Brabant, Witwe Reinolds III. von Geldern, sich seiner geistIichen Leitung anvertraute und auf seinen Rat hin das Kloster Korsendonck bei Turnhout stiftete 2). Dann bemerkt das Obituarium weiter: "Hie eciam novellam plantationem de Eemsteyn in religion is exerciciis, ad hoc ibidem directus, primus instituit et informavit" 3), was mit den Angaben des Chronicon Windeshemense tibereinstimmt 4). Godeverd wurde also von Groenendael aus nach Eemsteyn geschickt, urn in die junge Grtindung den rechten Geist zu bringen. Wir haben ihn uns als eine Art Novizenmeister zu denken, der die neue Stiftung den Weg der Vollkommenheit lehren soUte. Wie entIedigte er sich dieses Auftrags? Die Instruktionen, die er den Neulingen im geistIichen Leben erteilte, bilden das Buch Van den XII dogheden 5). Es zeigt deutIich Predigtform und ist so angelegt, dass es die ersten Anweisungen zum Streben nach Vollkommenheit vermittelt. Das wird eine nahere Analyse des Werks zeigen. 1) Dykmans, S. 99. I) Dies berichtet auch A. Wichmans, Brabantia Mariana Tripartita, Antwerpen

1632, S. 812. 3) Dykmans, S. 328. ') Busch, S. 344. 6) Van Mierlo, Versiagen, S. 434.

EIN BINDEGLIED: "VAN DEN XII DOGHEDEN"

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ANALYSE SEINES WERKS

Der Titel 1) liisst eine Abhandlung tiber zw6lf Tugenden erwarten, aber der Inhalt ist ein anderer, als der Name vorgibt. Es wurde wohl so genannt, weil es zwolf Kapitel enthielt, wovon wahrscheinlich im urspriinglichen Plan jedes Kapitel eine Tugend behandeln sollte, vermutlich nach Ruusbroecs Vorbild, der in der Geistlichen Hochzeit auch zwolf Tugenden beschrieben hatte 2). Doch dies geschieht in Godeverds Werk nur in den ersten Kapiteln, die tibrigen sprechen nicht mehr von je einer Tugend, sondern sie bilden zusammen eine Einheit. Das liegt an der Zusammenstellung dieses Werkes: in seinen ersten vier Kapiteln ist Godeverd van Wefele inspiriert von Ruusbroecs Geistlicher Hochzeit und zwar yom dritten Teil des ersten Buches 3). Godeverd spricht da tiber die Demut, den Gehorsam, die Verleugnung des eigenen Willens und tiber die Geduld. Er wahlt sogar die gleiche Methode der Aneinanderkettung der Tugenden, wie er sie bei Ruusbroec vorgefunden hatte: zu Anfang eines jeden Kapitels sagt er, wie die nun zu behandelnde Tugend aus der voraufgehenden entstehe. In Ruusbroecs Werk wurde auch jede Tugend mit der voraufgehenden verkntipft durch die Worte "Ute deser doghed (z.B. der Demut) comt ghehoorsamheit. Ute deser ghehoorsamheit comt vertynghe eighens willens" usw. Mit dem V. Kapitel hort diese Aneinanderkettung plotzlich auf, der Ton andert sich. Was war geschehen? Godeverd folgt nun nicht mehr Ruusbroec, sondern Eckhart. Schon in den vorangegangenen Kapiteln hatte er sich hier und da an Eckharts Gedankengut bereichert. Bei seiner Darstellung des Gehorsams hatte er schon zu Eckharts Reden der Unterscheidung gegriffen und dessen erstes Kapitel eingeflochten. Vorsichtig liess er aber die zwei Stellen aus, worin Eckhart tiberspitzt gesagt hatte, dass dann, wenn ich meinen Willen aufgegeben habe aus Gehorsam und flir mich selbst niehts mehr will, Gott flir mich will, und zwar genau so, wie er flir sich selbst will. Godeverd nahm sichtlich daran Anstoss und strich diese Satze. 1m iibrigen tibernahm er wortlich. 1) Der Titel Van den XII dogheden findet sich in vielen Handschriften. In der altesten lateinischen Obersetzung lautet er De quarundam virtutum exercitiis. Das entspricht den Angaben, dass er Eemsteyn "in religionis exercitiis" (vgl. S. 60) oder "exercitiis devotionis" (vgl. S. 69) formte. 2) Dass die Zahl der Tugenden 12 sei, scheint damals mit Vorliebe angenommen zu werden. Auch schon in Hadewychs 12. Vision war das KIeid der Braut geschmiickt mit 12 Tugenden. 3) Wie weit er sich von Ruusbroec inspirieren liess, hat van Mierlo ausfiihrlich behandelt in Studien LV, 1923, S. 39 if.

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EIN BINDEGLIED: " VAN DEN XII DOGHEDEN"

Reden der Unterscheidung: 5,6-21 5,24-25 6, 1-3 6, 3-8 (ausgelassen 6,4-6) 6, 11-17

Vanden XII dogheden: 248, 30-249, 71) 249,28 249,29-31 249, 33-250, 5 251, 3-9

Auch bei dem Abschnitt tiber das Lassen des eigenen Willens traf er bei Eckhart anscheinend auf Gedanken, die er der Mtihe wert fand, in seine Abhandlung aufzunehmen.

Reden der Unterscheidung: 7, 6-12 7, 12-22 7,27-29 7,29-31 7, 31-35 7,36-8, 13 8, 16-23 8,23-25 8,25-35 8,37-9,9 9, 10-13

Vanden XII dogheden: 256, 15-21 256, 30-257, 6 257, 7-9 257, 11-13 259,23-27 260,26-261, 8 261, 12-18 261, 19-22 261, 26-262, 4 262, 7-16 262, 16-20

1) Wie wBrtlieh er iibernimmt, sci g1eieh an dieser Stelle bewiesen:

Reden der Unterscheidung: GehOrsami ist ein tugent vor allen tugenden unde kein were sO groz mac geschehen noch getin werden ine die tugent, unde wie klein ein were ist unde wie snoede ez ist, sO ist ez niitzer getin in wirer gehOrsami, ez sl messe lesen oder hoeren, beten, contemplieren oder swaz dfi maht gedenken. Nim aber ein were wie snoede dfi wellest, ez sl waz daz sl, ez maehet dir wiiriu gehorsami edeler unde bezzcr. GehOrsami wiirket alwege daz aller beste in allen dingen, joch din gehOrsami geirret niemer niht unde versfimet ouch nihtes, waz ieman tuot in dekeinen dingen, daz Uz der wiren gehOrsami git, wan si versfimet kein guot. GehOrsami darf niemer nihtes besorgen, it gebriehet ouch dekeines guotes (pf. 543, 22 fr.).

Van den XII dogheden Ghehoersamheit is een duecht, sonder welke geen were so groet en is, een veel cleinre were is beter ghedaen in ghehoersamheden het si: missc te horen ja of beden of lescn of te scouwen of wat ghi moecht ghedenken. Nim hoe cleinen were dat tu wilste: dat maect ghehoersamheit edelre ende beter. Ghehoersamheit weret altoes dat alrebest in allen dinghen ende voer alle dinghen. Oec en doelt si nimmermeer, noeh si en versumet niet, so wat yemant doet in enighen dinghen. Ghehoersamheit en daerf hoer nimmermeer verbetem. Hoer en gebrect ghiens goede.

mN BINDBGLIED: "VAN DBN XII DOGHBDBN"

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Nur zweimalliess er etwas von Eckhart aus, weil es das schon Gesagte wiederholte, also nur rhetorisehe ErUiuterung war. Er iibersetzte wortlieh und schob seine eigenen Gedanken dazwischen. Mit dem V. Kapitel aber iibernimmt Eckhart ganz die Leitung vom Biiehlein Van den XII dogheden. Es ist, als ob Godeverd zuerst nur ein wenig gekostet hiitte von den Reden der Unterscheidung, dann aber ihren Inhalt nach den kleinen Proben rur so reiehhaltig und seinen Zwecken so entsprechend gefunden hiitte, dass er sieh entsehloss, Ruusbroec nieht mehr weiter zu folgen, sondern Eckharts Ideen seinen ZuhOrern vorzutragen. War er doeh bei seiner Verarbeitung der Reden der Unterscheidung nun zum Kernpunkt des Biiehleins, zum Kernpunkt der Aszese Eckharts gekommen, zur Lehre von der Abgesehiedenheit. Zuerst behandelt er sie im allgemeinen und mehr ausserlieh, mit seinen eigenen Worten, die oft ein wenig umstindlieh sind. Lange Satzperioden ermiiden bei der Lektiire. Nieht neugierig sein, keine Kritik iiben, keine Urteile iiber den Naehsten fallen, das sind ihm gute Mittel, um zur Abgeschiedenheit zu kommen. Dann aber wird der Stil klarer, deutlieher, die Satzperioden kiirzer: er iibersetzt jetzt aus Eckhart. Anfanglieh rugt er naeh jedem iibersetzten Absehnitt noeh langere, eigene Betraehtungen hinzu; sie bieten zum Eckharttext nur Erlauterungen, aber niehts wesentlieh Neues. Er iibernimmt Eckharts Lehre von der Abgesehiedenheit wohl vor altern darum, weil er sie rur seine Novizen i1ir sehr niitzlich hielt. Er predigt ihnen mit den Worten Eckharts, dass sie innerlieh "abgesehieden" von ihrer Umgebung leben miissten, frei von ihr, sich nur an Gott klammernd und nur auf ihn ausgeriehtet, ihn allein suehend und findend in allen Dingen. Alles Geschaffene, jegliche Kreatur miissen sie durehbrechen, um zu Gott zu kommen und ibn wesentIich zu besitzen 1). Nur hier und da verandert er den Text, 1) Reden der Unterscheidung: 9,25-35 9,35-10,6 10,6-14 10, 15-20 10,21-40 10,40-11, 6 11,9-14 11, 14-15 11, 15-18 11,20-36 12, 1-7 12,7-19

Van den XII dogheden: 272,19-29 273,5-16 273,20-29 273, 32-274, 5 274,9-28 274, 31-275, 7 275,7-12 276, 17-18 276,23-30 217,8-23 278,4-11 278,13-26

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EIN BINDEGLIED: "VAN DEN XII DOGHEDEN"

vor aHem, wenn ihm Eckharts Ausdrucke zu pantheistisch klingen 1). Zu kUhne Worte lasst er aus, z.B. das schOne, neugepragte Wort Eckharts von der Einheit als der "unvermanigfeltikeit" 2). Oder jenen anderen etwas gewagten und doch fUr Eckhart so kennzeichnenden Satz: "In ihm ist ein abgeschiedenes Abkehren und ein Hineinbilden seines geliebten, gegenwartigen Gottes" 3). Das "Durchgangen-sein" von Gottes Gegenwart Uberschlagt er '), und das Wort "Blossheit" Ubersetzt er hier nicht 6). War es nur Ohnmacht des Obersetzers, der solche Worte nicht wiedergeben konnte, oder war es die Vorsichtigkeit des erfahrenen Meisters, der solche Kost als nicht bekOmmlich fUr seine jungen SchUtzlinge hielt, oder war es niederlandische NUchternheit, die solchen Oberschwang ablehnte und nur das Praktische Ubernahm? Was er eigenmachtig hinzufUgte, sind Ermahnungen zur AbtOtung 6), die wenig origineH klingen. Das augustinische Wort: "Nam in eo, quod amatur, 12, 21-26 278, 30-279, 5 12, 31-13, 9 280, 6-24 13,9-17 281,2-14 13, 19-22 281, 14-19 13, 22-35 282, 15-33 13, 35-40 282, 33-37 Zum Beweis, wie wortlich Godeverd iibersetzte, sei aus der Menge der Beispiele ein beliebiges herausgegrift'en: Reden der Unterscheidung: Van den XII dogheden: Ich wart gefraget: eillche Hute ziigen Een woert wert ghevraecht enen goeden man: dat zulke lude trecken hem seer sich sere von den Huten unde weren geme alleine unt dar an lege ir fride, van den luden ende waeren gaeme aiunde daz sie weren in der kirchen, obe leen; ende daer laghe an seer hoerer daz daz beste were? DO sprach ich: nein! vrede, dat si waren in der kerken, of unde merke, war umbe. Weme reht ist, aileen: of dat hoer beste waer. Doe in der warheit, dem ist an allen steten sprac hi: neent. Nu merket waerom. So unde bi allen Huten reht; weme aber wie recht is in der waerheit, hi is in allen unreht ist, der hit got in allen steten steden ende bi aJlen luden oec recht. unde bi allen Huten. Weme aber reht Ende so wie onrecht ist, hi is in allen ist, der hit got in der warheit bi im. Wer steden ende bi allen luden oec onrecht. aber got reht in der warheit hat, der hit Wie is dan recht? Die Gode in der waerin in allen steten und in der strize unde heit heeft: die heeft Hem in allen steden bi allen Huten als wol als in der kirchen ende in der straten ende bi allen luden, oder in der einoede oder in der zellen oek so wei ende so recht als in der (R.d.U., S. 9,25-35; Pf. 547,14ft'.). kerken, of in der cameren of in der clusen (S. 272, 19 ft'.). 1) R.d. U., S. 10, 1. I) R.d.U., S. 10,14; vgl. mit XII dogheden, S. 273,29. 8) R.d.U., S. 11, 18. ') R.d.U., S. 12,23; vgl. mit XII dogheden, S. 278,32. 6) R.d.U., S. 12,25; vgl. mit XII dogheden, S. 279, 1. 8) S. 279, 8 ft'.

EIN BINDEGLlED: "VAN DEN XII DOGHEDEN"

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aut non laboratur aut et labor amatur" 1) kehrt leieht abgewandelt in diesem Satz Godeverds wieder: "Wer liebt, arbeitet nieht, oder er liebt die Arbeit zur Ehre Gottes." Je weiter Godeverd fortschreitet in seinen Unterweisungen, um so enger schliesst er sieh an Eckhart an, um so kUrzer werden seine eigenen Einschiebungen. Eckharts kleines Kapitel "Von dem steten flize in dem hoehsten zuo nemen" Uisst er aus; es war ja mehr ErUiuterung als wesentliche FortfUhrung des Gedankens. Auf Godeverds zwei Kapitel Uber die Abgeschiedenheit 2) folgen nun Gedanken zum Thema: der gute Mensch kann sogar aus seinen SUnden, aus seiner Neigung zum B5sen Nutzen ziehen. Wiederum iibertragt er hier Eckhart 3). 1m anschliessenden Kapitel Uber den Willen, der alles vermag, verarbeitet er Eckharts zwei Reden zum gleichen Thema 4). Erst folgt er - im Anfang vor aHem - seinem 1) S. 0., S. 37, Anm. 6. B) Kap. 5 und 6. Triigt auch Kapitel 6 eine andere Oberschrift: "Dit is, hoe die

mensche syn were weret op dat hoechste", so ist doch der Inhalt auch bier die Abgeschiedenheit. I) Reden der Unlerscheidung: Van den XII dogheden: 14, 13-30 283, 7-30 14, 30-32 284, 15-17 14, 32-38 284, 27-33 14, 38-40 285, 1-2 15, 1-7 285, 5-12 ') R.d.U., Nr. 10, S. 15; Nr. 11, S. 18; 1m Einzelnen: Reden der Unterscheidung: Van den XII dogheden: 15, 11-21 285, 20-30 286, 3-13 15,22-33 15,35-40 286,26-33 16, 5·8 287, 13·16 16, 10-14 - 287, 26-288, 1 16, 15·31 288, 11-25 16,32-17, 288,27·289, 11 17, 10-139 289,25·31 17, 15·17 289, 34-290, 2 17,21-24 290,6-9 17, 27·38 290, 10-22 18, 14-17 290,27-31 18, 18·22 290, 34-291, 4 291, 8-17 18,23·30 18, 30-33 291, 19-22 18, 34-38 291, 26-30 291, 33-36 19,4-7 292, 3-6 19, 9·13 19, 15·23 292, 10-21 19, 24-25 292, 21·22 292, 26-28 19,25·26 LUCKER, Meister Eckhart

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bekannten Rezept: einfache Obersetzung, die gelegentlich erlautert wird. Diese Unterbrechungen des Obersetzers Machen zuweilen den Eindruck, als ob es ihn drange, zu warnen vor falscher Auffassung. Er spricht yom guten Willen, an dem alles gelegen ist, auch wenn die Tat selbst Mangel aufweist. Der Wille ist gut, wenn er entsagen kann, wenn er sogar "jubilacien en contemplacien" (so nennt's Godeverd, wahrend Eckhart yom "inzukken" und von "minne" gesprochen hatte) um der Nachstenliebe willen verlasst. Den ganzen Willen muss man "overgheven" (tibergeben), sagt Godeverd, "uff geben" (aufgeben) hatte Eckhart radikaler gesagt. Aber Godeverd wagt erst dieses schirfere "opgheven", nachdem er eine ZeitIang tiber das "overgheven" gesprochen hatte 1). Ebenso geht es ihm mit dem harten "uzgaan" von Eckhart: erst traut er sich nicht recht, es so zu nennen, und umgeht dieses Wort manchmal, wo er es schon hatte gebrauchen sollen 2). Dann aber spricht er ktihn yom "uutgaan" (ausgehen) und filgt gleich, um es annehmbarer zu machen, hinzu: "wenn der Mensch aus sich selbst hinausgeht und dies zur grosseren Ehre Gottes lUI." Wenn Eckhart behauptet, dass ein einziger Schritt, der unter Aufgabe des eigenen Willens, Gottes Willen gehorchend, getan sei, besser sei als eine weite Reise nach eigenem Willen, dann ist dies Godeverd wieder zuviel. Das lasst er aus. Man Merkt gleich, wenn man an die ktihneren, radikalen Eckhartstellen kommt: Godeverd hat nicht den Mut, sie wortlich zu tibersetzen. Das wird besonders deutIich am Ende dieses Kapitels, als Godeverd die Frucht dieses Aufgehens in Gottes Willen beschreiben will: alles erreicht dann den Menschen nur "durch Gott". Eckhart hatte bildhaft gesagt, dass Gott dann um den Menschen sei, wie die Kapuze um das Haupt. Das war wohl Godeverd zu stark. Er lasst es aus und schreibt einfach: "Denn er ist in Gott und Gott in ihm" 3). Bisher wurde nur das erwahnt, was bei Godeverd schwacher ausgedrtickt war als bei Eckhart. Es gibt aber auch unzweifelhaft Stellen, die tiber Eckhart hinausgehen. Wenn Eckhart nur ganz kurz yom Leiden spricht, dann verIasst Godeverd seine Vorlage 4). Dartiber weiss er 19,35-36 19,37-39 19.40-20, 17 1) s. 291. I) 8)

s.

s.

290.

293,3-4 293, 10-14 293, 21-294, 5

292,4; vgl. R.d.U., S. 19, 13. 4) R.d.U., S. 19,25 und 26; XII dogheden, S. 292, 26 und ff.

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selbst genug zu sagen, die Eckhart-Zitate werden kUrzer und seine eigenen ErUiuterungen langer. Personliches Gef'dhl dringt auch durch im IX. Kapitel, das beschreibt, wie der Mensch, der gesUndigt hat, sich verhalten solI 1). Zuerst versucht er, noch unpersonlicher als Eckhart zu sein, der stets in der zweiten Person den Leser ansprach: da nimmt Godeverd an Stelle des "Du" und "Dich" das kUhlere "der Mensch". Dann aber bricht neben der wortlichen Ubersetzung ein tiefer Reueschmerz durch, wenn er von der "grundlosen Barmherzigkeit des getreuen, lieben Freundes" an Stelle von Eckharts "grosser Barmherzigkeit Gottes" spricht. Dieser Abschnitt und auch Teile des folgenden Kapitels, das der Reue gewidmet ist 2), sind viel warmer, so dass man unwillkUrlich denken muss, der Mensch, der dies schrieb, habe die Barmherzigkeit Gottes vielleicht ganz besonders stark nach einem langeren Leben in Gottesferne erfahren. Das kann ja bei Godeverd zutreffen, da er erst mit vierzig lahren in Groenendael eingetreten war. FUr Eckhart ist die SUnde ein Anlass zur grosseren Minne Gottes, f'dr Godeverd zur grosseren Busse des Menschen 3). Godeverd ist pessimistischer als Eckhart, das aussert sich in diesen kleinen ZUgen '). Godeverd Uberschlagt zwei Kapitel Eckharts, namlich "von der waren zuoversiht und von der hoffenunge" und jenes 1) Reden der Unterscheidung: Van den XII dogheden: 294, 14-17 20, 22-24 20, 25-28 294, 19-21 20, 32-36 294, 22-28 20, 37-21, 5 295,20-29 21, 5-15 ,...., 296, 1-13 21, 16-21 296, 18-24 21,22-27 296,25-32 296, 34-36 21,28-29 8) Reden der Unterscheidung: Van den XII dogheden: 21, 31-35 297, 7-12 21, 37-39 297, 24-28 22, 1-2 297,31-32 22, 3 298, 1-3 22, 5-7 298, 31-34 22, 11-19 ,...., 299, 26-34 3) R.d.U., 20,35; Van den XII dogheden, S. 294,26. «) Zur Gegeniiberstellung: Allen den schaden ... von allen siinden, Aile scande ..• van allen sonden, die wil den wil er gerne liden unde han geliten Hi gaem liden ... op dat die mensche viI jar, ftf daz der mensche dar nach kome namaels coem tot eenre ghewaerigher zuo eime grazen bekentnisse srner minne. kennisse sijnre sonden, ende tot enen ghe(R.d.U., S. 21, 11; Pf. 557,23). rechten weten, hoe ons God ghemint heeft (XII dogheden, S. 296, 7).

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"von zweierleie sicherheit des ewigen lebens" 1), zwei Abschnitte, die den Gang von Eckharts aszetischen Gedanken nicht weiterfUhren, sondern mehr beschreibender Art und fUr Godeverd vielleicht nicht so ansprechend waren. Er fUhlte sich mehr zu dem nun Folgenden, zur Busse, hingezogen 2). Sie bedeutet ihm Abkehr von der SUnde und Hinkehr zu Gott in Liebe und Vertrauen. In der Betrachtung des Leidens Christi kann sich die Seele besonders leicht zu Gott wenden. Eckhart hatte diesen Teil des Weges in den Reden der Unterscheidung nur kurz erwahnt, Godeverd aber mOchte viel dariiber sagen, er lasst seinen Gedanken freien Lauf. Er spricht innig, im Stil der devotio modern a, vor allem, wenn er seine Unterweisung mit einem Zwiegesprach mit dem "Heben getreuen Freund" beendet. Hier wird schon die Nachfolge Christi in ihren GrundzUgen vorweggenommen. Auch im folgenden Kapitel, das den Titel tragt "Dit is hoe hem die mensche sel houden in vreden, of hi niet en wert ghedreven op uutwendighe hartheit van penitencien" 3), kommt er noch ofters auf die 1) Nr. 14 und 15 der R.d.U. I) Reden der Unterscheidung:

Vanden XIldogheden (wortlich iibersetzt): 300, 16-22 24, 2-7 24, 8-9 300, 27-28 24, 11-12 301, 20-22 24, 13-19 302,2-9 302, 25-28 24, 20-23 24,24-27 303, 14-17 24, 29-34 303, 27-33 24, 35-38 304, 3-7 25, 1-4 304, 19-23 25, 5-7 304, 28-30 25, 7-9 304, 35-305, 2 25, 10-13 305,4-7 8) "Wie der Mensch im Frieden bleibt, ohne dass er zu barter iusserer Busse getrieben wird." Dies entspricht Eckharts Abschnitt 17 der R.d. U. Parallelstellen sind: Van den XII dogheden: Reden der Unterscheidung: 25, 20-27 305, 24-33 25, 30-35 306, 26-29 25, 36-39 307, 7-10 307, 11-16 26, 24-29 26,29-30 307,20-21 307,24-26 26, 30-31 26,33-37,3 307,26-308,5 308, 2-5 27, 2-3 27, 7-8 308, 9-11 27, 10-12 308, 16-18 27, 16-18 308, 24-25 27, 23-25 ,..., 308, 28-31

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Naehfolge Christi zuriick, und immer wieder fUhlt man die stiirkere Anteilnahme, wenn er "vom getreuen, lieben Freund Jesus Christus" sprieht. Dies ist das XII. und letzte Kapitel Van den XII dogheden. Er verwendet also nieht mehr die letzten sechs Absehnitte von Eckharts Reden der Unterscheidung, die vom liusseren Umgang, von den Hindernissen der guten Werke, von der Eucharistie, vom inneren Eifer, von der Wahl der reehten Lebensweise und von inneren und liusseren Werken handeln. Den Kern der Reden der Unterscheidung, namlich die Lehre von der Abgeschiedenheit mit aIlem, was damit zusammenhing, hatte er sich herausgeschlilt flir seine Belehrungen in Eemsteyn. Dass gerade Godeverds aszetisehe Lehre seinen Zuhorern im Gedliehtnis haften blieb, zeigen die Zeugnisse alter Chroniken, wie z.B. das von A. Wiehmans in Brabantia Mariana 1), wo vermerkt wird, dass Godeverd van Wefele in Eemsteyn "exercitiis devotionis, ceremoniis religionis et forma verae mortificationis informare et irrigare studuerat". Also war Godeverd besonders durch seinen Eifer flir die eehte Abtotung bekannt. Darf man vielleieht aus dieser Obernahme schliessen, welch tiefen Eindruck die Lehre von der Abgeschiedenheit gemacht hatte, weil Godeverd gerade diese als Thema flir seine Konferenzen wlihlte? Er hatte doch wohl als verantwortungsvoller geistlicher FUhrer von Eemsteyn, der mit dem besonderen Auftrag dorthin geschickt worden war, den reehten Geist in die junge Stiftung zu bringen, zuerst Umschau gehalten, wo er den geeigneten Stoff flir seine ZubOrer finden konnte, und da war es gerade Eckharts Aszese, die ihm die beste schien. Wie kam Eckhart in seine Hlinde? Um dies zu beantworten, mUssen wir Entstehungszeit und -ort des Werks prUfen. ENTSTEHUNGSZEIT UND -ORT

Die offizielle Stiftungsurkunde des Klosters Eemsteyn datiert vom 13. Mai 1382 2). Man darf daher annehmen, dass Godeverd van Wefele um die Mitte des Jahres 1382 naeh Eemsteyn kam, um die jungen Ordens1) Antwerpen 1632, S. 812. VgI. auch Oudhetien, II, S. 223, wo gesagt wird,