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German Pages [209] Year 2013
Dick E. H. de Boer Iris Kwiatkowski (Hrsg.)
Der vorliegende Band ist ein Ergebnis des deutsch-niederländischen Forschungsprojektes "Die Devotio moderna als Medium für Wissen und Wissensvermittlung und als Element des sozialen und kulturellen Transfers innerhalb der Rhein-Maas-Region (1350–1580)". Dabei stand nicht die Institutionengeschichte der Devotio Moderna im Mittelpunkt, sondern die Verbreitung ihres Gedankengutes in Gesellschaft und Kultur. Die in diesem Band publizierten Beiträge der Tagung, die 2009 in Arnheim stattgefunden hat, untersuchen diese Aspekte grenzüberschreitend in der Rhein-Maas-Region. Der Schwerpunkt liegt dabei auf prägnanten Persönlichkeiten und exemplarischen Texten.
DIE DEVOTIO MODERNA Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580)
Dick E. H. de Boer / Iris Kwiatkowski (Hrsg.)
ISBN: 978-3-402-13001-8
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DIE DEVOTIO MODERNA Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580)
BAND I Frömmigkeit, Unterricht und Moral. Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, vor allem in der deutsch-niederländischen Grenzregion
Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580) Band 1
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Die Devotio Moderna. Sozialer und kultureller Transfer (1350–1580) Band 1
Frömmigkeit, Unterricht und Moral. Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, vor allem in der deutsch-niederländischen Grenzregion
Herausgegeben von Dick E. H. de Boer und Iris Kwiatkowski
Münster 2013
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Abbildung auf dem Titelblatt: Hier beghint een epistel die meester Gherit de Groot in latijn set ende wart ghesent van hem tot eenen broeder die cranc was van hoofde vut der wortel der gheboorten, die ooc was melancolicus die bezwaert was van nieuweheden des leuens ende der eeuicheit ende van ingheuen des vyants, die hem wilde bringhen in meshopen ende in drucke, dien verslanden hadde. Niederländische Übersetzung eines Briefs von Geert Groote an einen schwermütigen Kartäusermönch. Gemeentemuseum Weert, ms. CMW 33, f. 2r (1482). Wir danken dem Gemeentemuseum Weert für die freundliche Abdruckgenehmigung.
© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG, werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, 2013 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-13001-8
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Dick E. H. de Boer De Moderne Devotie: reflectie, educatie en sociale-culturele cohesie in de Duits-Nederlandse grensregio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Nikolaus Staubach Zwischen partikularer Identität und universalem Anspruch: Einheit und Vielfalt der Devotio moderna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Rita Schlusemann Von der IJssel bis Ostwestfalen: ein Kulturgebiet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Iris Kwiatkowski Devotio und religiöse Praxis: Die Ratschläge des Kartäusers Dionysius Ryckel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Dieter Scheler Die „neuen Frommen“ in der Sicht eines „alten Frommen“ . . . . . . . . . . . . 117 Dieter Scheler (Ed.) Arnold Heymerick: Persuasio de cappata religione non ineunda ante puberes annos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Bertjaap van der Ploeg Gosewijn van Halen op het raakvlak van Humanisme en Moderne Devotie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Victor Wanka Sind Fraterherren Marginalexistenzen im kulturpsychologischen Transformationsprozess zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit?
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Vorwort Im Laufe des Jahres 2007 wurden von Prof. Dr. Dick E. H. de Boer Pläne für einen Internationalisierungsantrag bei der „Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek“ (NWO) entworfen. Unter der Federführung der niederländischen Forschungsschule für Mittelalterstudien der Universität Groningen und des Provinzialarchives Gelderland in Arnheim wurden eine grenzüberschreitende Thematik und ausländische Partner gesucht. Schon bald kristallisierte sich heraus, dass sich die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Duisburg-Essen als ideale Partner erwiesen. In Duisburg-Essen zeigte die Abteilung für die Landesgeschichte der Rhein-Maas-Region großes Interesse an einer Kooperation, in Bochum der Bereich für die Geschichte des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung des späteren Mittelalters. Von Seiten der Ruhr-Universität engagierten sich Prof. Dr. Dieter Scheler und Frau Dr. Iris Kwiatkowski bei der Ausgestaltung eines Projektantrags, während Prof. Dr. Jörg Engelbrecht die Universität Duisburg-Essen repräsentierte. Das Geldrische Archiv wurde durch den verantwortlichen Mitarbeiter Drs. Maarten van Driel, Archivar und Leiter der Werkstätte Geldrische Geschichte, vertreten. Damit waren die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die politische und institutionelle Geschichte, die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte sowie die grenzüberschreitende Regionalgeschichte beteiligt. Als fast natürliche Gegebenheit richtete sich das gemeinsame Forschungsinteresse auf den geldrisch-niederrheinischen Raum im Späten Mittelalter. Aus dem großen Bereich der vielfältigen Kontakte und Verbindungen in diesem Raum im späten Mittelalter, in dem die Vernetzungen von großen und kleinen Fürstenund Adelsdynastien und der Austausch sowohl materieller Güter über Land- und Flusswege wie auch des Gedankenguts über die Verbindungen zwischen Geistlichen und Gelehrten reiche Möglichkeiten bieten, wurde die Devotio Moderna gewählt. Nicht die religiös-institutionellen Aspekte sollten dabei als Forschungsobjekt im Mittelpunkt stehen, sondern die Rolle, die das Gedankengut der Bewegung in der Entwicklung von Erziehung und der Etablierung sozialer, ethischer und moralischer Normen und Werte spielte. Angestrebt wurde somit ein vertieftes Verständnis der Beiträge, die die Devotio Moderna zur gesellschaftlichen Kohäsion dieses Raumes leistete. Im Frühjahr 2008 wurde schließlich das Forschungsprojekt ‚The Modern Devotion as a vehicle of reflection and education and as an instrument of social and cultural cohesion within a German-Dutch transregional context, ca. 1350 – ca. 1580‘ bei der NWO beantragt. Nach positiver Begutachtung konnte das Projekt, das auf drei Jahre angelegt war, im Januar 2009
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Vorwort
beginnen. Auf deutscher Seite gelang es parallel dazu, Fördermittel von Seiten der Gerda Henkel Stiftung einzuwerben. Wie im Antrag vorgesehen, wurden im Oktober 2009 und im Oktober 2010 Arbeitstagungen in Arnheim bzw. Bochum organisiert. Neben dem grenzüberschreitenden Austausch von Fachkolleginnen und -kollegen war die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein wichtiges Anliegen des Projektes. Dementsprechend wurden auch Verknüpfungen mit der Lehre und anderen Forschungsprojekten realisiert. Im Laufe des Jahres 2011 schien es, als ob die Publikation der Tagungsergebnisse leicht zu bewerkstelligen wäre. Im Frühjahr 2012 sollten die beiden Bände „Frömmigkeit, Unterricht und Moral. Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna“ und „Die räumliche und geistige Ausstrahlung der Devotio Moderna – Zur Dynamik ihres Gedankenguts“ erscheinen. Dann jedoch verzögerte sich der Abschluss des Projektes durch einen schweren Schicksalsschlag: gesundheitliche Probleme zwangen Jörg Engelbrecht, sein Amt als Studiendekan der Fakultät für Geisteswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen aufzugeben. Als ein Mann, dem Forschung und Lehre gleichermaßen am Herzen lagen, widmete er seine verbleibenden Energien der Fortführung seiner Tätigkeit im Institut für Landesgeschichte. Für die Drucklegung der beiden Tagungsbände reichten seine Kräfte nicht mehr aus. Aus Anlass seines 60. Geburtstages, am 26. April 2012, wurde Jörg Engelbrecht für sein Engagement und seine Inspiration mit einer Festschrift geehrt, die als Band 3 der Reihe „Rhein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur“ publiziert wurde. Leider waren ihm danach nur noch zwei Lebensmonate vergönnt. Die beiden Bände des Forschungsprojekts widmen wir seinem Gedächtnis. Er wird uns als begeisterter Forscher und Lehrer und immer auch stark menschlich involvierter Historiker in Erinnerung bleiben. Groningen/Bochum
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De Moderne Devotie: reflectie, educatie en sociale-culturele cohesie in de Duits-Nederlandse grensregio Een verkenning
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Introductie Gedurende de laatste decennia heeft het onderzoek naar de Moderne Devotie in Nederland nieuwe impulsen gekregen.1 Achter de vaandeldragers van de oude generatie, zoals Anton Weiler en Rudolf van Dijk heeft zich een nieuwe groep van (vooral jonge) geleerden gevormd, die oude tradities voortzetten en nieuwe wegen inslaan. Het in 1968 opgerichte Titus Brandsma-instituut van de Radbouduniversiteit is binnen het wetenschappelijk onderzoek van spiritualiteit altijd aan de Moderne Devotie aandacht blijven geven en heeft besloten tijdens de plan periode 2008–2012 instituut-breed aan twee interdisciplinaire thema’s op het gebied van de Moderne Devotie voorrang te geven. Enerzijds betreft dit de uitgave van de Opera Omnia van Geert Grote, onder verantwoordelijkheid van Rijcklof Hofman,2 in samenhang met nader onderzoek en vertalingen van werk van Thomas a Kempis. Anderzijds betreft het onderzoek naar het fenomeen van de innerlijkheid als spiritueel proces.3 Het is mooi dat binnen dit kader Rudolf van Dijk nog steeds actief is, zoals blijkt uit een recente bundel opstellen, zijn boek 1
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Met zijn NWO-project ‚The Modern Devotion: Balance and Regauging‘ heeft prof.dr. B. A. M. Ramakers tussen 2006 en 2009 een begin gemaakt met een grondige inventarisatie van het onderzoek van de laatste kwart eeuw. De door mij hieronder gegeven verkenning beoogt slechts enkele accenten in het onderzoek aan te geven, in afwachting van het verschijnen van een uitvoerige balans en in relatie tot het internationaliseringsproject waar deze bundel een resultaat van is. Daardoor zullen aspecten als de rijke oogst aan publicaties op het gebied van de Moraaltheologie, de Spiegel- en exempelliteratuur en de kunsthistorische dimensie onbesproken blijven. Als laatste loot aan deze stam verscheen Rijcklof Hofman (ed.), Gerardi Magni Opera Omnia, Pars II.1. Sermo ad clerum Traiectensem de focaristis – Opera minora contra focaristas, cura et studio Rijcklof Hofman. (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaeualis, 235), Turnhout 2011. Zie o. a. Hein Blommestijn, Charles Caspers, Rijcklof Hofman, Frits Mertens, Peter Nissen & Huub Welzen (ed.), Seeing the Seeker. Explorations in the Discipline of Spirituality, (Studies in Spirituality, Supplement, 19), Leuven 2008.
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over Sibculo en zijn publicatie van een vertaling van het fundamentele werk van Gerard Zerbolt van Zutphen (1367–1398) De spiritualibus ascensionibus.4 Uiteraard zijn voor het onderzoek naar laatmiddeleeuwse devotie en mystiek de activiteiten van het Ruusbroecgenootschap in Antwerpen van onschatbare waarde gebleven. In de afgelopen jaren had naast het project Repertorium Middelnederlandse preken,5 het project van Katrien Heene en Anne Bollmann Voorbeeldige levens, over historiografie en hagiografie binnen de Moderne Devotie, vooral belang voor dit thema.6 Dit was mede mogelijk dankzij de impulsen die uitgingen van het project ‚Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna‘ dat tot 1999 aan de Westfälischen Wilhelms-Universität Münster werd uitgevoerd onder leiding van Nikolaus Staubach.7 Uit dat project vloeide ook de uiteindelijk in Groningen verdedigde dissertatie van A. E. Jostes voort over de verwerking van het eigen verleden binnen kringen van de moderne devotie.8 Het in 2012 in samenwerking met de universiteit van Utrecht gestarte project In tune with eternity. Song and spirituality of the Modern Devotion voegt daaraan een nieuwe dimensie toe, die deels aansluit bij de in 2007 verschenen studie van Ulrike Hascher-Burger.9 4 Rudolf van Dijk, Twaalf kapittels over ontstaan, bloei en doorwerking van de Moderne
Devotie (redactie Charles Caspers en Rijcklof Hofman), (Middeleeuwse Studies en Bronnen, 140), Hilversum 2012; Rudolf van Dijk en Mariska Vonk (red.), Moderne devoten in monnikspij. Klooster en colligatie van Sibculo, 1406–1580, (Publikaties van de IJssel akademie, 203), Kampen 2007; R. Th.M. van Dijk (ed.), Gerard Zerbolt van Zutphen, Geestelijke opklimmingen. Een gids voor de geestelijke weg uit de vroege Moderne Devotie, (Bibliotheca Dissidentium Neerlandicorum), vert. [uit het Latijn], ingel. en toegel. door R. Th.M. van Dijk, Amsterdam 2011. 5 Zie hieronder bij de behandeling van de preken. 6 Het resulteerde o. a. in het in Groningen verdedigde proefschrift A. M. Bollmann, Frauen leben und Frauenliteratur in der Devotio Moderna. Vokssprachige Schwesternbücher in literarhistorischer Perspektive, (s. l.) [Groningen] 2004, en bijvoorbeeld de artikelen van Katrien Heene, Vrouwelijke auteurs in de middeleeuwen. De complexe relatie tussen gender, genre en (literatuur)geschiedenis, in: Queeste. Tijdschrift over middeleeuwse letterkunde in de Nederlanden 13 (2006), p. 109–129, waarin de Moderne Devotie in een ruimer kader wordt geplaatst, en Lieve De Mey en Katrien Heene, Een opmerkelijke biografie van een moderne devote: de ‚Vita et conversacio Salome priorisse in Diepenven‘, in: Bulletin de la Commission Royale d’Histoire 173 (2007), p. 189–229. 7 Voor een terugblik daarop zie N. Staubach, Das Münsteraner Devotio Moderna-Projekt, in: Tweede studiedag Belgische Kloostergeschiedenis. Algemeen Rijksarchief, 7 juni 200. Akten 1, Brussel 2001, p. 77–96. 8 Aloysia E. Jostes, Die Historisierung der Devotio Moderna im 15. und 16. Jahrhundert. Verbandsbewußtsein und Selbstverständnis in der Windesheimer Kongregation, (s. l.) [Münster] 2008. 9 Ulrike Hascher-Burger, Singen für die Seligkeit. Studien zu einer Liedersammlung der Devotio moderna: Zwolle, Historisch Centrum Overijssel, coll. Emmanuelshuizen, cat. VI, (Brill’s Series in Church History, 28) Leiden 2007.
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Sinds 1989 is aan de andere kant van het inhoudelijk spectrum de contact groep Signum actief, door zich (formeel) te richten op de sociaaleconomische en institutioneel-juridische geschiedenis van geestelijke en kerkelijke instellingen in de Nederlanden in de middeleeuwen.10 De facto bestrijken de activiteiten van Signum echter het hele veld van devotio tot broederschappen en van wonderbeleving tot de memoria-praxis in de Nederlanden. De bibliografie op de Signum-website legt getuigenis af van de grote productiviteit van de jonge generatie, terwijl de Sig num-symposia de heersende interesses weerspiegelen. Zo was het Signum-symposium van december 2011 gewijd aan Memoria onderzoek in de Nederlanden, waarbij de relatie met de Moderne Devotie een belangrijk aandachtspunt was. De productiviteit op dat terrein is grotendeels te danken aan de bevlogen manier waarop Truus van Bueren richting en leiding heeft gegeven aan het Memoriaonderzoek in Nederland. Dit heeft niet alleen geresulteerd in een groot aantal publicaties, maar ook in het opzetten van een via het web consulteerbare database – Medieval Memoria Online, Commemoration of the dead in the Netherlands until 1580 – die voor het initiëren van nieuw onderzoek in de komende jaren van grote waarde zal blijken te zijn.11 Onder de initiatieven die voor het onderzoek betreffende de Devotio Moderna van belang zijn, verdient tenslotte het grote project ‚De derde Orde van St. Franciscus in het Bisdom Utrecht‘ dat Koen Goudriaan aan de Vrije Universiteit Amsterdam van 1998 tot 2006 uitvoerde. Dit droeg – naast een groot aantal artikelen – vrucht in de vorm van de dissertatie van Hildo van Engen in 2006, waarin hij een perfect institutioneel overzicht gaf van de verschillende ‚bloed groepen‘ van het monastieke landschap van de Noordelijke Nederlanden in de late middeleeuwen.12 Bovendien is het uitgemond in een nieuw, als database ont sloten, Monasticon Trajectense, dat een beredeneerd repertorium wordt van alle conventen in het middeleeuwse bisdom Utrecht die op enig moment in hun bestaan geleefd hebben volgens de derde regel van Franciscus.13 Alles bijeen kan geconstateerd worden dat de afgelopen decennia veel onderzoek is verricht naar enerzijds de Moderne Devotie als een spirituele beweging, naar de interactie tussen devotie en mystiek en naar de institutionele kaders waarbinnen de Moderne Devotie zich ontwikkelde. Daarbij is geleidelijk het geogra10 Sinds enkele jaren onderhoudt SIGNUM het contact met leden en belangstellenden bij
uitstek via haar website: www.contactgroepsignum.eu.
11 memo.hum.uu. nl. 12 Hildo van Engen, De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom
trecht. Een bijdrage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie, (Middel U eeuwse bronnen en Studies, 95), Hilversum 2006. 13 Koen Goudriaan, Het monasticon: een nuttig instrument. Bij de presentatie van het Monasticon Trajectense, in: Trajecta. Religie, cultuur en samenleving in de Nederlanden 14 (2005), p. 133–146.
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fisch zwaartepunt verschoven van de IJsselstreek naar de kustgewesten van de Nederlanden en hun onmiddellijk achterland: Vlaanderen, Brabant, Utrecht en Holland als werkingsgebied van de Moderne Devotie. Dit wil niet zeggen dat ‚het oosten‘ vergeten is; het is echter opmerkelijk dat de impulsen voor onderzoek betreffende de oostelijke Nederlanden voor een belangrijk deel uit Duitsland kwamen, zoals hierboven al werd aangegeven ten aanzien van het onderzoek naar de Pragmatische Schriftlichkeit. De studie van Anne Bollmann naar de ‚Schwesternbücher‘ is hiervan een mooi voorbeeld. Dat geldt eveneens voor het buitengewoon grondige onderzoek van Susanne Krauß naar de Moderne Devotie in Deventer.14 En uiteraard de studies van Staubach zelf, in het bijzonder die naar Gerard Zerbolt van Zutphen, die een boeiend tweeluik vormen met het werk van Rudolf van Dijk.15 In het licht van deze stand van het onderzoek werd in 2009 een internationaliseringsproject ‚The Modern Devotion as a vehicle of reflection and education and an instrument of social and cultural cohesion within a German-Dutch trans-regional context, ca. 1350 – ca. 1580‘ gestart.16 Doel daarvan was binnen het Duits-Nederlandse cultuurlandschap ten oosten van IJssel en Maas, en met een herneming van onderzoekslijnen die destijds door o. a. Rehm waren uitgezet,17 op zoek te gaan naar de doorwerking van de Moderne Devotie. De institutionele kaders zouden daarbij wel houvast beiden, maar het doel was vooral de effecten van het gedachtengoed van de Moderne Devotie, zoals ontwikkeld binnen die kaders, binnen de samenleving op te sporen. Personen en teksten als dragers van kennis, en vooral de wijze waarop hun ideeën functioneerden en circuleerden binnen uit eenlopende groepen van receptoren zouden daarbij centraal moeten staan. Aldus had het project de ambitie op zoek te gaan naar de verwevenheid van devotionele, intellectuele en sociale fenomenen en daarmee naar de culturele dynamiek van de Duits-Nederlandse grensregio, meer bepaald het Gelders-Westfaals-Nederrijnse gebied, stroomafwaarts van Keulen, ruwweg dus de vorstendommen van Gelre, Limburg, Kleef, Berg en Gulik en delen van de prinsbisdommen Keulen, Luik en Münster. Territoria die enerzijds nadrukkelijke politieke identiteiten en entiteiten vormden, maar gelijktijdig als sociaal-culturele zone een sterke gemeenschappe14 Susanne Krauss, Die Devotio moderna in Deventer. Anatomie eines Zentrums der Re-
formbewegung. (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen, 31), Berlin 2007; oorspronkelijk in 2005 in Keulen als dissertatie verdedigd. 15 N. Staubach (red.), Kirchenreform von unten. Gerhard Zerbolt van Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters, 6), Frankfurt a. M. 2004. 16 Zie ook het Vorwort van deze bundel. 17 G. Rehm, Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutschland, (Berliner Historische Studien, 11), Berlin 1985.
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lijkheid kenden. In de laatste jaren is de interesse in de regio als ‚Kulturraum zonder vaste grenzen‘18 sterk gegroeid, niet als periferie, maar als centrum met eigen kwaliteiten en een eigen functie als transmissie zone. Dit is voor een deel te danken aan de activiteiten van het Institut für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung (InKuR) aan de Universität Duisburg-Essen, en daarbinnen van de taal- en letterkundigen. De studies van Helmut Tervooren c. s. zijn daarbij van groot belang geweest.19 Daarnaast heeft bijvoorbeeld de helaas veel te jong overleden Kleefse archivaris Karl-Heinz Tekath zich sterk ingespannen voor het onderzoek naar deze ‚groot-Gelderse‘ regio.20
2008 als waterscheiding Na aller nieuwe initiatieven, was het in 2008 duidelijk tijd voor een pas op de plaats. Met de bundel Vernieuwde innigheid, presenteerde Koen Goudriaan calei doscopisch overzicht van de Moderne Devotie, waarin de nieuwe onderzoekslij nen zichtbaar werden.21 Hoewel het boek enigszins overdreven is aangeduid als een opvolger van de herdenkingsbundel van C. C. de Bruin c. s. uit het 600ste sterfjaar van Geert Grote, 1984, vervult heft evenals die bundel de duidelijke functie van pas op de plaats voor een breder publiek.22 Toen eveneens in 2008 John Van Engen’s Sisters and Brothers of the Common Life verscheen, kwalificeerde Robert Lerner dit als ‚the definite study of a noteworthy religious movement of the later Middle Ages‘.23 Hoe groot ook het meesterschap van Van Enghen, en hoe be 18 Kwalificatie van J. B. Oosterman, In daz Niderlant gezoget. De periferie in het centrum:
het Maas-Rijngebied als speelveld voor filologen. Rede in verkorte vorm uitgesproken bij de aanvaarding van het ambt van hoogleraar Oudere Nederlandse letterkunde aan de Faculteit der Letteren van de Radboud Universiteit Nijmegen op vrijdag 1 juni 2007, Nij megen 2007. 19 Helmut Tervooren (e. a.), Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006. 20 Johannes Stinner en Karl-Heinz Tekath (eds.), Gelre – Geldern – Gelderland. Geschiedenis en cultuur van het hertogdom Gelre, Geldern 2001, ook verschenen in een Duitse editie als Band 30 van de Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein–Westfalen, Reihe D; daarnaast Ralf G. Jahn, Karl-Heinz Tekath und Bernhard Keuck (eds.), Das Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Bündnis und Konkurrenz an Maas, Rhein und IJssel, Geldern 2005. 21 Koen Goudriaan (red.), Vernieuwde innigheid. Over de Moderne Devotie, Geert Grote en Deventer, Nieuwegein 2008. 22 C. C. de Bruin, E. Persoons en A. G. Weiler, Geert Grote en de Moderne Devotie, Zutphen 1984. 23 John van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World of the later Middle Ages, Philadelphia 2008; kwalificatie van Lerner op de binnen
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langrijk ook zijn boek als samenvatting van de state of the art op dit terrein voor een Engelstalig publiek, Lerner had het op twee punten volledig mis. Allereerst is de essentie van het historisch discours dat er geen ‚definite study‘ bestaat, en al allerminst op een zo vruchtbaar en inspirerend onderzoeksterrein als dat van de Moderne Devotie. Bovendien onderstreepten Hildo van Engen en Gerrit Verhoeven met de publicatie van de bundel Monastiek observantisme en Moderne Devotie in hetzelfde jaar,24 dat de tijd was gekomen om de inhoud en werking van de Moderne Devotie in een breder kader te plaatsen en daardoor deels opnieuw te interpreteren. Voor veel historische fenomenen geldt dat bezinning op de essentie ervan en plaatsing van het fenomeen in zijn context in een haast cyclische reidans elkaar afwisselen. In 1988 schetste Jelsma in een inleidend artikel van een bundel over de doorwerking van de moderne devotie het discours over de mate waarin de Moderne Devotie als Bijbels of christelijk humanisme te zien is.25 Deze bundel richtte zich voor het merendeel op de latere doorwerking van de Moderne Devotie, in het bijzonder in de protestantse denominaties van de 16de en de 17de eeuw en hernam daarmee eveneens een oude discussie. Maar Jelsma’s artikel en dat van Augustijn over Erasmus en de Moderne Devotie stelden opnieuw de brug tussen de devoten en het humanisme ter discussie.26 Interessant genoeg was kort tevoren, in 2007, als toevoeging aan een beredeneerde bibliografie, een tot dan toe onuitgegeven tekst van een lezing gepubliceerd, die de Erasmus-specialist Jean-Claude Margolin in 1996 had gegeven op een colloquium over de Moderne Devotie in het CESR in Tours.27 Hij kwam daarin min of meer tot dezelfde conclusie als Jelsma en Augustijn, namelijk dat enerzijds de Moderne Devotie geen rechtstreekse, aantoonbare invloed heeft uitgeoefend op de scholing en de intellectuele vorming van Erasmus, maar dat deze anderzijds door deel uit te maken van ‚des milieux marqués par la Devotio moderna‘ tal van contacten had gehad met religieuzen en leken die – in de woorden van Margolin – aan de Moderne Devotie ‚geaffilieerd‘ waren. Een Erasmiaans intellectueel christelijk humanisme en wat Margolin aan-
zijde van het omslag.
24 Hildo van Engen, Gerrit Verhoeven (eds.), Monastiek Observantisme en Moderne De-
votie in de Noordelijke Nederlanden, (Middeleeuwse Studies en Bronnen, 110), Hilversum 2008. Als vrucht van een reeks sessies op het International Medieval Congress in Leeds 2005, 2006 en 2007, en een symposium van de contactgroep Signum in 2006, weerspiegelt de bundel de dynamiek van het recente discours. 25 A. J. Jelsma, Doorwerking van de Moderne Devotie, in: P. Bange (red.), De doorwerking van de Moderne Devotie. Windesheim 1387–1987, Hilversum 1988, p. 9–28. Deze bundel komt overigens niet in de bibliografie van Sisters and Brothers (zie noot 1) voor. 26 C. Augustijn, Erasmus en de Moderne Devotie, in: Bange, Doorwerking, p. 71–80. 27 J-C. Margolin, Érasme et la ‚Devotio moderna‘. Suivi de la Bibliographie des travaux (1948–2007) de Jean-Claude Margolin, éditée par Alexandre Vaunautgaerden, Turnhout 2007.
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duidt als het ‚stoïcisme chrétien‘ van de moderne devoten stonden echter diametraal tegenover elkaar.28 In de bundel van Van Engen en Verhoeven staan vooral de door de Moderne Devotie gemarkeerde milieus centraal en krijgt het vage begrip ‚affiliatie‘ de voor een beter begrijpen zo essentiële nauwkeuriger lading door de invloed van de Moderne Devotie op het gehele monastieke landschap van de Noordelijke Nederlanden te analyseren, met het observantisme als logische toetssteen. Terecht stellen zij dat het onderzoek in de voorafgaande jaren zeer sterk gericht was geweest op de religieuze gemeenschappen en congregaties die uit de Moderne Devotie waren voortgekomen, waardoor de institutionele vertakkingen van de Moderne Devotie beter dan ooit in beeld zijn gekomen,29en dat het daarom het oogmerk van de bundel is, om te inventariseren welke vernieuwingen zich op het gebied van vernieuwing en hervorming in de oudere orden hebben voltrokken. Uitgangspunt daarbij is de (deels impliciete) aanname dat die oudere orden zich niet aan de door de Moderne Devotie gestuwde vernieuwingsdrang kunnen hebben onttrokken, net zomin als de Moderne Devotie zich kan hebben losgemaakt van de al bestaande impulsen die zowel uit de bestaande orden, als uit de opleidingstrajecten van de eerste devoten voortkwamen. De in de literatuur vaker aangevoerde verwijzing naar de studieperiode van Florens Radewijns (en wellicht ook Geert Grote zelf) aan de jonge Praagse universiteit blijft daarbij een niet uitgewerkt detail dat direct raakt aan de thematiek van de circulatie van denkbeelden en de rol van het onderwijs als schakel tussen de kern van de devotionele beweging en de samenleving waarbinnen zij functioneerde.30 Via het onderwijs in het Duits Nederlandse grensgebied komen de beide lijnen van humanisme en Moderne Devotie, ondanks de fundamentele tegenstellingen de facto toch samen. En het loont de moeite om hernieuwd onderzoek, van prosopografische aard, te starten naar de ‚doorwerking‘ van het gedachtengoed van de Moderne Devotie langs die lijn in de bestuurlijke en geestelijke elites van het Gelders-Nederrijnse en Westfaalse gebied. Elisabeth Kloosterhuis heeft daartoe al een belangrijke bouwsteen geleverd met haar onderzoek naar de ‚Erasmusjünger‘ in het Nederrijnse gebied van de 16de eeuw.31 Haar object was de groep van personen die in de 16de eeuw actief waren aan het hof van de keurvorst van Keulen als raadslieden, met de periode van aartsbisschop/keurvorst Hermann von Wied als focuspunt. Hermann von Wied was buitengewoon betrokken bij de geloofs28 Inibidem, 48. 29 Van Engen en Verhoeven, Monastiek observantisme en Moderne devotie in de Noor-
delijke Nederlanden, in: dez., Monastiek observantisme, p. 9–16, m. n. 11.
30 Inibidem, 10. 31 Elisabeth M. Kloosterhuis, Erasmusjünger als politische Reformer. Humanismusideal
und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert, Köln, etc. 2006.
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debatten van zijn tijd en werd na een ambtstermijn van nagenoeg 32 jaar in 1547 afgezet nadat hij vergeefs had geprobeerd elementen van de Reformatie in zijn aartsbisdom in te voeren. Gelijktijdig probeerde hij bestuurshervormingen door te voeren.32 Met instemming begon Kloosterhuis de inleiding van haar studie met een citaat van de vroeg 16de-eeuwse theoloog Johannes Eck (1486–1543), die in 1518 stelde: „Haast alle geleerden, behalve enkele habijtdragers en theologen, zijn Erasmianen“.33 Kloosterhuis benadrukt dat de adviseurs van Hermann von Wied haast zonder uitzondering aan de Keulse universiteit hadden gestudeerd en daartoe waren voorbereid aan een van de ‚rheinische Humanistenschulen‘ die aan hun scholieren een opvoeding in de geest der Moderne Devotie gaven.34 Daar was hen de bij het christelijk humanisme behorende, door de groep rondom Alexander Hegius ontwikkelde, intellectuele grondhouding bijgebracht. Hoewel deze scholing en grondhouding hen nog niet onvermijdelijk en onbetwist tot ‚Erasmianen‘ lijkt te maken, blijft het Kloosterhuis‘ hoofdthese, dat bij hun hervormingsstreven op geestelijke en politiek front, binnen het spanningsveld tussen humanistische idealen en politieke realiteit, de dragers van het beleid zodanig door het gedachtengoed van Erasmus gevormd waren, dat zij met recht als Erasmusjünger ge typeerd kunnen worden. Dat daarbij Devotio Moderna en Erasmus niet als equivalenten, maar als stadia in een scholingsproces beschouwd zijn, is verhelderend en opent een venster op de doorwerking van de Moderne Devotie buiten de sfeer van de religieuze bewegingen en instituties. De 234 beambten-biografietjes van de raadgevers van Hermann von Wied vormen een uitstekende basis voor een breder onderzoek naar deze doorwerking.35 Waar het onderzoek naar onderwijs en onderwijsvernieuwingen binnen de Moderne Devotie doorgaat,36 en de bijdrage van Van der Ploeg aan deze bundel aantoont hoe vruchtbaar het kan zijn de daaruit voortgekomen kringen van onderwijsgevenden te bestuderen, draagt een analyse van de opgeleiden, die de vrucht waren van dat onderwijs dus bij tot een beter begrip.
32 Over hem Kloosterhuis passim, en Rainer Sommer, Hermann von Wied. Erzbischof und 33 34 35 36
Kurfürst von Köln, Teil I. 1477–1539, (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 142), Köln 2000. Kloosterhuis, Erasmusjünger, p. 1. Inibidem, p. 157 ff. Inibidem, Bijlage, pp. 541–694. Zie bijvoorbeeld Rijcklof Hofman, Johan Cele (1343–1417) en de bloei van de Latijnse school te Zwolle, in: M. Teeuwen en E. Rose (red.), Middeleeuwse magister. Feestbundel aangeboden aan Árpád P. Orbán bij zijn emeritaat, (Middeleeuwse Studies en Bronnen, 117), Hilversum 2009, p. 187–200.
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Preken Naast het formele onderwijs zijn uiteraard ook uiteenlopende vormen van informele scholing en kennisoverdracht van belang die zowel op het niveau van de bewuste reflectie, als op dat van het onderbewuste gedachtengoed invloed hebben uitgeoefend. Dat geldt bijvoorbeeld voor het geheel van teksten die gelezen en gesproken werden op het raakvlak van geloof en samenleving. Allereerst betreft dat uiteraard de preek. Het onderzoeksproject van het Ruusbroecgenootschap, onder leiding van Thom Mertens, heeft aangetoond wat voor een rijk materiaal hier, na het pionierswerk van Zieleman nog op nadere analyse ligt te wachten. Zieleman liet op zijn proefschrift over de epistel- en evangeliepreken, van 1978, een korte studie van de preek bij de moderne devoten volgen, waarin hij aantoonde hoeveel werk er op dat terrein nog te doen is.37 Hoewel het Nederlandse materiaal hier veel rijker lijkt dan het Duitse, waar uit het Nederrijnse gebied slechts uit de bibliotheek van het Augustijnerinnenklooster Nazareth in Geldern een substantieel bestand aan handschriften lijkt te zijn overgeleverd,38 zou een studie die het gehele cultuur landschap van Gelre en de Nederrijn omvat, boeiende lijnen kunnen blootleggen. Het nabij Xanten gelegen Brigittenklooster Marienbaum, en het Xantener St. Viktorsstift dienen zich aan als centra die als transmissiepunten kunnen hebben gediend.39 Hoewel de Stiftsbibliotheek formeel pas in 1547 is ingericht, was ook tevoren al ter plekke een belangwekkende verzameling ontstaan. Door een gelukkig toeval is deze bibliotheek niet alleen nagenoeg ongeschonden bewaard gebleven, maar het deze sinds het begin van de 19de eeuw ook nog belangrijke bestanden opgenomen van naburige, geseculariseerde kloosters.40 37
G. C. Zieleman, Middelnederlandse epistel- en evangeliepreken, (Kerkhistorische Bijdragen, 8) Leiden 1978 en dez., De preek bij de moderne devoten. Een verkenning, Deventer 1984. 38 Hartmut Beckers, Die volkssprachige Literatur des Mittelalters am Niederrhein, in: Queeste 2 (1995), p. 146–162, m. n. 159. Ook gepubliceerd in: Dieter Geuenich (red.), Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins1994–1995, Duisburg 1995, p. 13–32. Vergelijk ook Helmut Tervooren e. a., Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006. 39 Zie bijvoorbeeld het door D. Scheler, Liturgie und Pfründe, in: Dieter Geuenich en Jens Lieven (eds.), Das St. Viktor-Stift Xanten. Geschichte und Kultur im Mittelalter, (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Nf. 1), Köln 2012, p. 153–168 geduide materiaal en de overige bijdragen in die bundel. 40 Zie naast Geuenich en Lieven, Das St. Viktor-Stift, ook D. Scheler, Das Xantener Kapitel des 15. Jahrhunderts im Spiegel seiner Literatur und seiner Rechnungen, in: Dieter Berg en Hans-Werner Goetz (eds.), Ecclesia et regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. Festschrift für Franz-Josef Schmale zu seinem 65. Geburtstag, Bochum 1989, p. 323–337.
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Zowel analyse van overgeleverde preekteksten als zodanig en de tekstontleningen die er de van vormden, als vragen naar het circuleren van preekteksten, het gebruik daarvan in parochie- en kloosterkerken en de scholing van pastoors kunnen bijdragen tot een beter beeld van de transmissie van ideeën. In 2009 presenteerde Thom Mertens c. s. bij de afsluiting van de opeenvolgende VNC-projecten ‚Middelnederlandse preken‘ (1999–2001) en ‚Repertorium Middelnederlandse preken‘ (2005–2009), een bundel die bedoeld was als een kennismaking met een in wezen nog slechts bekend middeleeuws tekstgenre.41 Het is dan ook een reeks ongelijksoortige verkenningen betreffende vragen naar typologie, functie en overlevering van preken en met presentatie van enkele bronvoorbeelden. Maar in zijn openingsartikel, dat Mertens (te) bescheiden aanduidt als ‚een voorbarige synthese‘, geeft de auteur een zeer instructief overzicht, waarin de door de projecten gerijpte kennis volledig tot zijn recht komt. Het is mooi dat ‚eminence grise‘ Gerrit Zieleman met een exemplarische bijdrage over Johan Scutken – lekenbroeder en tot zijn overlijden in 1423 ‚boecwaerder‘ in Windesheim – zelf de handschoen nog een keer op heeft genomen. Toch is inderdaad de bundel vooral te zien als eerste begin van een diepgaand onderzoek naar de inhoud van het zo rijke bestand aan middeleeuwse preken. De intussen gepubliceerde delen van het repertorium bevatten duizenden preken.42 Dat is beduidend meer dan bijvoorbeeld in een gelijkaardig Engels project zijn ontsloten.43 Voor een onderzoek naar de transmissie van gedachtengoed via de preek in de Duits-Nederlandse grensstreek is het wenselijk het Middelnederlandse materiaal te koppelen aan de Duitstalige preken uit het Nederrijns-Westfaalse gebied. Afgezien van een verkenning voor het klooster Nazareth is er echter nog nauwelijks vergelijkbaar materiaal voorhanden.44 Sinds Morvay en Grube hun bibliografie van de middeleeuwse Duitse preken publiceerden,45 is er wel veel gebeurd op het 41 Thom Mertens, Patricia Stoop en Christoph Burger (red.), De Middelnederlandse
preek, (Middeleeuwse studies en bronnen, 116), Hilversum 2009.
42 M. Sherwood-Smith en P. Stoop (eds.), Repertorium van Middelnederlandse preken
in handschriften tot en met 1550/Repertorium of Middle Dutch sermons preserved in manuscripts from before 1550, (Miscellanea Neerlandica, 29), 7 dln., Leuven 2003–2008. Van af deel 4 uitgegeven door Daniël Ermens en Willemien van Dijk. 43 V. O’Mara, S. Paul, A Repertorium of Middle English Prose Sermons, 4. dln., Turnhout 2007, bevat 1481 preken. 44 Monika Costard, Predigthandschriften der Schwestern vom Gemeinsamen Leben. Spätmittelalterliche Predigtüberlieferung in der Bibliothek des Klosters Nazareth in Geldern, in: V. Mertens en H.-J. Schiewer (eds.), Die Deutsche Predigt im Mittelalter. Internationales Symposium am Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin vom 3.–6. Oktober 1989, Tübingen 1992, p. 194–222, m. n. 204 ff. 45 Karin Morvay en Dagmar Grube, Bibliographie der deutschen Predigt des Mittelalters. Veröffentlichte Predigten, (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Litera-
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terrein van de laatmiddeleeuwse preek in het algemeen. Allereerst werd aan het (deels postuum verschenen) magnum opus van Johannes Baptist Schneyer, betreffende de Latijnse preken,46 een vervolg gegeven in de vorm van een CD-Romeditie van een repertorium van de preken uit de periode 1350–1500.47 Nagenoeg gelijktijdig publiceerden Schiewer en Martens het eerste deel van hun repertorium van ongedrukte Duitstalige preken.48 De Katholische Universität Eichstätt heeft een project ‚Predigt im Kontext‘ dat beoogt aan de hand van overgeleverde preken van Meister Eckhart en Johannes Tauler een nadere analyse te maken van de functies en verschijningsvormen van deze preken. Deze worden een database ontsloten.49 Maar pas als een bruikbare selectie, dan wel een overzicht van preken uit het Nederlands-Duitse grensgebied wordt vervaardigd, is het mogelijk met dit materiaal als toetssteen de onderlinge beïnvloeding en de doorwerking van het gedachtengoed van de Moderne Devotie via het medium preek te bestuderen. De aangekondigde publicatie van de congresband van een internationaal symposium dat in 1998 in Berlijn aan de preek werd gewijd, zal allicht aanzetten daartoe geven. In elk geval vormt de Moderne Devotie daarin een apart aandachtspunt.50
Collaties en de Vier uitersten Eveneens op het raakvlak van geloof en samenleving, maar per definitie binnen de muren van de geloofsgemeenschappen bevond zich het fenomeen van de collatie, waarmee in de regel een bijeenkomst of (groeps)gesprek werd aangeduid, dat een specifiek religieuze inhoud kon hebben, maar ook een ruimere thematiek kon betreffen. Met de praktijk van deze collaties sloten de broeders aan bij een oeroude kloosterlijke praktijk.51 In haar proefschrift over Dirc van Herxen heeft Lydeke tur des Mittelalters, 47), (München 1974.
46 Johannes Baptist Schneyer, Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters für
die Zeit von 1150–1350, (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalter, 43), 11 dln., Münster 1969–1990. 47 L. Hödl en W. Knoch (eds.), Repertorium des lateinischen Sermones des Mittelalters für die Zeit von 1350–1500, Münster 2001. 48 Hans J. Schiewer en Volker Mertens (eds.), Repertorium der ungedruckten deutschsprachigen Predigten des Mittelalters. Die Handschriften aus dem Strassburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis und benachbarte Provenienzen, Band I, Tübingen 2000. 49 Zie http://pik.ku-eichstaett.de. 50 Volker Mertens, Hans-Jochen Schiewer, Wolfram Schneider-Lastin (eds.), Predigt im Kontext. Internationales Symposium am Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin vom 5.–8. Dezember 1996, Tübingen 2012. 51 Thomas F. C. Mertens, Collatio und Codex im Bereich der Devotio moderna, in: Christel Meier e.a (red.), Der Codex im Gebrauch. Akten des Internationalen Kolloquiums 11.–
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van Beek de functie en inhoud van de collatie binnen de huizen van de Moderne Devotie uitvoerig beschreven.52 Zij laat zien hoe deze bijeenkomsten elementen in zich droegen die we ook bij de laatmiddeleeuwse universiteiten aantreffen, waar collaties disputaties van uiteenlopende aard kunnen betekenen, alsook elementen die de collatie nagenoeg aan de preek gelijkstellen. Hoewel ontstaan als gebruik binnen een kloosterlijke gemeenschap, is de deelname aan de collatie in haar verschillende vormen dus geenszins voorbehouden aan de leden van die gemeenschap. De collatie bleef in de woorden van Van Beek „een buiten-liturgische activiteit die plaatsvond in de kapittelzaal, de refter of het auditorium van een religieuze gemeenschap“.53 Hoewel er geenszins sprake is van één vast omschreven, uniforme praktijk, geldt als stelregel dat naast de interne collatio in de broederhuizen een tweede type voorkwam, dat meestal als admonitio wordt aangeduid. Deze admonitio werd op zon- en feestdagen gehouden. Zowel de scholieren die onder de hoede van de broeders stonden, waren daarbij welkom, alsook geïnteresseerde burgers uit de stad namen deel. Deze bijeenkomsten kunnen bij uitstek gelden als de instructieve momenten waar aan de hand van thema’s als wereldverzaking en godsvrucht, zonde en deugd de sociaal-ethische educatieve kant van de Moderne Devotie gestalte kreeg. Vanzelfsprekend was hier de volkstaal de voertaal, zowel van de gesprekken, als van de teksten die er werden besproken of er de vrucht van waren. Dit voorbeeld van de collatie stelt ons in staat om de doorwerking van de Moderne Devotie in de samenleving en omgekeerd nader te bestuderen en wel in het bijzonder aan de hand van het thema van de vier uitersten. Een handschrift uit het Meester Geertshuis beschrijft hoe al voor Geert Grote zelf, en zijn eerste volgelingen de vier uitersten of laatste dingen tijdens de collatie centraal stonden. Ook daarna bleef dit de verdere uitbouw en regulering van de collatiepraktijk een belangrijk thema.54 Het bestaan van minstens 222 handschriften van de tekst van het Cordiale de quattuor novissimis onderstreept dat deze tekst binnen de collatiepraktijk in kringen van de Moderne Devotie toonaangevend werd.55 Dat er in 1975 naast de 178 Latijnse teksten veertien in het Middelnederlands, 27 in diverse vormen van het 13. Juni 1992, (Münstersche Mittelalter-Schriften, 70), München 1996, p. 163–182. J. L. van Beek, Leken trekken tot Gods Woord. Dirc van Herxen (1381–1457) en zijn Eerste Collatieboek,. (Middeleeuwse studies en bronnen, 120), Hilversum 2009, vooral hoofdstuk 3. Collatie en moderne devotie, p. 61 ff. 53 Van Beek, Leken trekken, p. 64. 54 Inibidem, 73, 161 ff., maar uitvoeriger in Lydeke van Beek, Hellepijn of hemelpoort? De vier uitersten in het Eerste Collatieboek van Dirc van Herxen (1381–1457), in: Madoc. Tijdschrift over de Middeleeuwen 21 (2007), p. 96–105. 55 M. Dusch, De veer Uterste. Das cordiale de quatuor novissimis von Gerhard von Vliederhoven in mittelniederdeutscher Überlieferung, Köln/Wien 1975, p. 41–68*. 52
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Duits en 3 in het Frans door Dusch zijn herkend, onderstreept het gebruik van de Veer utersten (zoals de Middelnederlandse titel luidt) in de admonitiones. Voor het vraagstuk van de transmissie van het gedachtengoed van de Moderne Devotie – in het bijzonder in het Nederlands-Duitse cultuurlandschap vormen de Veer utersten dan ook een sleuteltekst, net zoals aan de auteur een exemplarische rol mag worden toegedicht. De handschriften maken duidelijk dat het verbreidingsgebied van de tekst hoofdzakelijk in de Nederlanden en het Nederrijngebied heeft gelegen. Dit wordt onderstreept door het feit dat de meeste vroege edities van de tekst in het Rijnland zijn gedrukt. De Novissima of Veer utersten leenden zich uitstekend voor de behandeling van zowel theologische en ascetische als moralistisch-ethische thematiek in een gezelschap dat uit geestelijken en leken bestond. Dusch stelde: „Das Cordiale nun verbindet eine einigermaßen umfassende und systematische Darstellung der Letzten Dinge mit der Absicht und dem Stil eines asketischen Erbauungsbuchs“.56 Opmerkelijk daarbij is de door de auteur de gemaakte verbinding met de traditie van de Ars Moriendi en de Contempus Mundi, ja zelfs met de thematiek van de Dodendans.57 Dit maakt de kwestie van het auteurschap eens te interessanter. Sinds Dusch andere suggesties krachtig terzijde schoof, staat het onomstotelijk vast dat de tekst kort na het jaar 1382 is geschreven door Gerard van Vliederhoven. Hans Mol verwees dan ook naar hem en het Cordiale, toen hij in de ‚epiloog‘ van de bundel van Van Engen en Verhoeven de geschiedenis van het Duitse Huis in Utrecht noemde als voorbeeld van de stelling dat de hervormingsdrift der vroege devoten de orden oversteeg.58 Daarbij duidt hij de activiteiten van de landcommandeurs Gerrit Splinter van der Enghe en Johan van der Zande van 1380 tot 1420 aan als een voor de Duitse Orde in die periode unieke observantiecampagne. Impliciet schrijft Mol het succes daarvan deels toen aan Gerard van Vliederhoven die als ‚schaffenaar‘ de eerste van de genoemde landcommandeurs ter zijde stond totdat hij in 1396 (Mol noemt de datum niet) werd aangesteld als commandeur van de kort tevoren ingestelde commanderij Schoonhoven en pastoor van de Schoonhovense kerk. Recent onderzoek heeft aanwijzingen opgeleverd dat Gerard van Vliederhoven in 1402 is ingetreden in het kartuizerklooster Nieuwlicht bij Utrecht.59 Enkele andere voorbeelden van priesterbroeders die de overstap maakten 56 Ibidem, p. 3*. 57 Richard F. M. Byrn, Gerard van Vliederhoven, Late medieval eschatology, Gerard van
Vliederhoven’s Cordiale de IV novissimis, in: Proceedings of the Leeds Philosophical and Literary Society: Literary and Historical Section 17 (1979), p. 55–65. 58 J. A. Mol, Epiloog: de Moderne devotie en de vernieuwing van het kloosterlandschap in Nederland, in: Van Engen en Verhoeven, Monastiek observantisme, p. 213–231, m. n. 219. 59 http://depot.knaw.nl/5007/2/Onderzoekspopulatie_(Onder_dese_ridderen…,_JMG_11,_ 2008).pdf, hierin nr 253.
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naar Nieuwlicht, Monnikhuizen en Sibculo rechtvaardigen volgens Mol de Duitse Orde te zien als een ‚steungroep van de moderne devotie‘. Hoewel Mol zover niet gaat, is de constatering gerechtvaardigd, dat ook in dit geval de doorwerking van de Moderne Devotie in de samenleving, en de wisselwerking tussen de religieusinstitutionele ‚buitenwereld‘ en de beweging nadere bestudering wettigen. De persoon van Gerard van Vliederhoven maakt het mogelijk dit thema nog wat verder te volgen, in het bijzonder in relatie tot het Duits-Nederlandse grensgebied, dat in het internationaliseringsproject ‚Modern Devotion‘ als geografisch kader is gekozen. Eerder heb ik aangetoond dat tenminste twee opmerkelijke gedichten in Hs. 6 van de Openbare Bibliotheek Arnhem door Gerard van Vliederhoven moeten zijn geschreven.60 Hier wil ik een stap verder gaan. De betreffende gedichten zijn een lofzang op Albrecht van Beieren, graaf van Holland, Zeeland en Henegouwen en hertog van Niederbayern-Straubing, aangeduid als Montetus de Adalberto comite en een lijkzang op Guy van Châtillon, heer van Gouda en Schoonhoven, graaf van Blois etc., met de titel Metra de Morte.61 Het handschrift waarin de gedichten zijn opgenomen, is afkomstig is van het in 1392 gestichte augustijner klooster Mariënborn of Domus Fontis Beatae Mariae, tussen Arnhem en Oosterbeek, waarvan het buitenhuis Mariendaal nabij het beroemde woongemeenschap voor gehandicapten ‚Het Dorp‘ nog een laatste herinnering is.62 Als verzamelhandschrift is het opgebouwd uit(tenminste) zes bestanddelen met een eigen kleuring, en vermoedelijk ook herkomst. Als zodanig lijkt het op interessante wijze de vroegste geschiedenis van het klooster te weerspiegelen. Ondanks de constatering van Geurt in 1984 ‚het door oorlogsschade geteisterde Mariënbornse verzamelhandschrift bevat dus bijzonder belangrijk en nog weinig bestudeerd materiaal, en zal onge60 Voor het handschrift zie H. C. van Bemmel, Catalogus van de handschriften aanwezig
in de Bibliotheek Arnhem, Hilversum 1999, p. 35 ff. en A. Gruijs, Aantekeningen bij een eerste ontsluiting van handschrift 6 (herkomst: klooster Mariënborn Arnhem) uit de Openbare en Gelderse Wetenschappelijke Bibliotheek te Arnhem, in: A. J. Geurts (ed.), Middeleeuwse boeken en teksten uit Oost-Nederland, Nijmegen, Grave 1984, p. 47–65, m. n. 59 ff. Het is kort beschreven in: Moderne Devotie. Figuren en facetten. Tentoonstelling ter herdenking van het sterfjaar van Geert Grote 1384–1984. Catalogus, Nijmegen 1984, p. 215–217, als nr. 75. 61 Dick E. H. de Boer, „Certamen semper averte“. Die Neutralitätspolitik Herzog Albrechts I. von Bayern-Straubing, in: A. Huber en J. Prammer (eds.), 650 Jahre Herzogtum Niederbayern-Straubing-Holland. Vortragsreihe, Straubing 2005, p. 91–126, m. n. 95–104 en dez., Metra de Morte. Eine Lateinische Totenklage über den verstorbenen Graf Guy von Blois (1397), als Teil der sich entwickelnden Memoriakultur, in: R. de Weijert e. a. (ed.), Living memoria. Studies in Medieval and Early Modern Memorial Culture in Honour of Truus van Bueren, (Middeleeuwse Studies en Bronnen, 137), Hilversum 2011, p. 131–145. 62 Voor de geschiedenis van Mariënborn kan nog steeds het best worden verwezen naar W. Kohl, E. Persoons en A. G. Weiler (eds.), Monasticon Windeshemense. T. 3. Niederlande, bearbeitet von A. G. Weiler und N. Geirnaert, Brussel 1980, p. 127–144.
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twijfeld nog veel van zich doen spreken!‘ is tot dusverre een diepgaande analyse helaas uitgebleven.63 Het bevat talrijke elementen die voor een startend klooster van belang zijn: levens van heiligen en van exemplarische broeders en zusters – zoals de Keulse premonstratenzer Herman Jozef van Steinfeld –, hymnen en geestelijke gedichten, preekteksten, een kartuizer kroniek etc. Daardoor slaat het een band met het hele monastiek-devote landschap in het Duits-Nederlandse grensgebied. De kroniek zou kunnen wijzen op een relatie van Mariënborn met de kartuize Monnikenhuizen, waar Geert Grote omstreeks 1375 enige tijd als provenier verbleef.64 Dit onderstreept de constatering van Gaens dat er heel wat lijnen lopen van de vroegste bewoners en weldoeners van de kartuizers – in zijn geval de Utrechtse – naar kringen van moderne devoten.65 Daarnaast is uiteraard de rechtstreekse band met de vroege ontwikkeling van de Moderne Devotie van belang.
Eemstein-Mariënborn Hier komt de relatie Eemstein-Mariënborn in beeld. Eemstein speelde een cruciale rol bij het ontstaan van het klooster Windesheim en de Windesheimer congregatie doordat de eerste zes kandidaten voor het koorherenklooster in Windesheim ter plekke werden voorbereid op een leven volgens de augustijner regel, als gevolg van de vermaning hiertoe door Geert Grote op diens sterfbed in 1384.66 Geert Grote had ook zijn verwant Berthold ten Hove al bij het klooster Eemstein aanbevolen.67 63 Mededeling van AG (= Geurts) als schrijver van de catalogustekst bij nr. 75 in Moderne
Devotie. Figuren en facetten, p. 217.
64 Zie C. De Backer, De Kartuize Monichuizen bij Arnhem. Prosopografie samen met de
registers van de zopas ontdekte oorkondenschat, in: J. De Graeuwe (ed.), Historia et spiritualiutras Cartusiensis, Destelbergen 1983, p. 69–159. 65 Tom Gaens, Van de woestijn naar de stad. Connecties tussen Utrechtse en Amersfoortse kartuizers en stedelijke netwerken van devoten ten tijde van het interne schisma, in: Van Engen en Verhoeven, Monastiek observantisme, p. 69–107, m. n. 79 ff. Zie voor de relatie Mariënborn-Monnikenhuizen ook de gemeenschappelijke zorg voor het Arnhemse SintPietersgasthuis vanaf 1407, aldaar, 99. En (indirect) Chr. de Backer, M. C. J. Verest, Willem van Huesden, kopiist van het hs. Parijs Mazarine 606, geen regulier van Mariënborn maar kartuizer van Monnikhuizen, in: P. Bange e. a. (red.), Mayolica. Mediëvistische opstellen aangeboden aan dr. Mayke de Jong bij haar afscheid van de Katholieke Universiteit Nijmegen, Nijmegen 1987, p. 115–116, 195. 66 Zie o. a. R. T. M. van Dijk, De Constituties der Windeheimse vrouwenkloosters vóór 1559. Bijdrage tot de institutionele geschiedenis van het kapittel van Windesheim, 2 dln., Nijmegen 1985, dl. I, p. 13 ff. 67 W. J. M. Mulder (ed.), Gerardi Magni Epistolae quas ad fidem codicum/recognovit annotavit edidit Willelmus Mulder, (Tekstuitgaven van Ons Geestelijk Erf, 3), Antwerpen 1933,
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Dit was in zoverre opmerkelijk, omdat Eemstein zelf op dat moment nog een piepjonge stichting was: in 1377 had Albrecht van Beieren aan de Dordtse burger Reinoud Jansz. Minnebode toestemming gegeven tot de stichting van een franciscaner klooster op Reinouds landgoed Eemstein, in de Grote Waard. 68 De feitelijke stichting kon pas geschieden nadat bezwaren door de stad Dordrecht waren verworpen en de Utrechtse bisschop op 13 mei 1382 zijn bevestiging had gegeven. Daarbij was de opzet gewijzigd: het werd een klooster voor dertien reguliere augustijner kanunniken. De snelle opmars van Eemstein was ongetwijfeld te danken aan de steun die het jonge klooster kreeg vanuit Groenendaal, waar de eerste reguliere kanunniken werden opgeleid, en waarbij Jan van Schoonhoven actief was betrokken. Pauselijke erkenning kreeg Eemstein pas op 16 mei 1395, bij hetzelfde schrijven waarin de paus het besluit bevestigde waarmee Windesheim en Eemstein zich samen met de kort tevoren gestichte kloosters Mariënborn en Nieuwlicht bij Hoorn aaneensloten tot de Windesheimer Congregatie. Toevallig was dit ook het jaar waarin zielzorg in de kerk van Schoonhoven werd toegewezen aan de door Guy van Châtillon nieuw gestichte commanderij van de Duitse orde aldaar. Daarmee zijn we terug bij Gerard van Vliederhoven en zijn gedichten op de levende Albrecht van Beieren en de overleden Guy van Châtillon. Het lijkt erop dat deze gedichten niet de enige van zijn hand zijn in het handschrift van Mariënborn. Er is nog een tweetal gedichten op de stad Middelburg, één ‚voor de geestelijken‘ en één ‚voor de leken‘.69 Gezien deze oriëntatie op twee verschillende entiteiten binnen de Middelburgse samenleving zou, zelfs als we de identiteit van de auteur niet zouden vermoeden, een verbinding voor de hand liggen met de commanderij die de Duitse Orde sinds het midden van de 13de eeuw in deze stad had. Maar nu we weten dat minstens de twee eerder genoemde gedichten van de hand van Gerard van Vliederhoven zijn, is die band eens te waarschijnlijker. Daarnaast duidt in één van de hymnen in hetzelfde bestanddeel van het Mariënborner handschrift de auteur/ik-persoon zich aan als ‚me Gerardum‘. Daarmee wordt het steeds aannemelijker dat de hele groep liederen-hymnengedichten is toe te schrijven aan de auteur van het Cordiale. Dit lijkt ook te verklaren hoe het mogelijk is dat, naast de hymnen die zonder meer hun betekenis voor de Mariënborner gemeenschap hadden, deze zeer atypische en niet functionele gedichten hun plaats in het manuscript hebben behouden: zij zijn inderdaad als p. 158–160, nr. 40.
68 Gerrit Vermeer, Het klooster Eemstein bij Zwijndrecht, Zutphen 1986, p. 5 ff., zie ook
J. van Herwaarden e. a., Geschiedenis van Dordrecht. I. tot 1572, Hilversum 1996, p. 338.
69 In Moderne devotie. Figuren en facetten, p. 217 is op onverklaarbare wijze de vermelding
over de gedichten op Guy van Châtillon en die over Middelburg ineengeschoven tot ‚gedichten … over Guy de Blois van Middelburg‘.
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collectie integraal opgenomen in de convoluut. De genoemde gedichten vormden een bijzonder geheel met het Cordiale. Ten eerste sluit het lofdicht op Albrecht van Beieren aan bij de wijze waarop Gerard van Vliederhoven in het Cordiale, de thematiek van de negen besten verwerkt.70 Ook de nadruk die op de morele kwaliteiten wordt gelegd is daarvan een getuigenis. De lijkzang op Guy van Châtillon sluit direct aan bij elementen uit de doden-meditaties, waarmee het Cordiale nauw was verbonden.71 Het zou de moeite waard zijn een diepgaande stilistische analyse te maken van het zesde deel van het Mariënborner handschrift in vergelij king met het latijn van het Cordiale.
Datering en duiding De levensloop van Gerard van Vliederhoven en van zijn ‚hoofdpersonen‘ lijkt hier de sleutel tot een datering van de teksttransmissie te bieden. Personen met de toenaam Van Vliederhoven duiken in de eerste helft van de 14de eeuw op in het Hollands-Utrechtse grensgebied (Oudewater), waarna Gerard voor het eerst in 1360 wordt genoemd als zijn oom Arnt van den Hove aan ‚haren Ghert van der Vliederhoeve‘ bij testament een terrein in Polsbroek nalaat. Een dorsale notitie duidt Gerard aan als ‚brueder‘. Hij is op dat moment dus al geestelijke en wellicht in die regio geboren omstreeks 1330–1340.72 Het is volstrekt onbekend waar hij zijn geestelijke vorming heeft genoten, maar het is verleidelijk te speculeren over een band met het jonge klooster Groenendaal. Pas in 1375 zijn er nieuwe gegevens, als Gerard voor vijf jaar de leiding krijgt over de commanderij Tiel van de Duitse Orde. Dit laat ruimte voor een optreden – wellicht in een ondergeschikte functie – in de commanderij Middelburg vóór 1375.73 Die ruimte is er niet na 1380, wanneer Gerard van Vliederhoven de naaste medewerker wordt van landcommandeur Gerard Splinter. In die periode onderhield de Duitse Orde nauwe contacten met het hof van Albrecht van Beieren, in Den Haag. Gerard lijkt ‚schaffenaer‘ te zijn gebleven tot zijn benoeming per 26 februari 1396 als commandeur-pastoor in Schoonhoven, na de resignatie van de zetelende pastoor Tydeman Blanckart. Dusch nam aan dat de vermelding van een nieuwe Schoonhovense commandeur heer Otto in
70 Wim van Anrooij, Helden van Weleer. De Negen Besten in de Nederlanden (1300–1700),
Amsterdam 1997, p. 19, 26, 152.
71 De Boer, Metra de morte, p. 144. 72 Dusch, Veer utersten, p. 12*ff. 73 Helaas bevat het archief van de Commanderij Middelburg en Zandvoord geen stukken die
informatie bevatten over de bemanning van de commanderij in de 14de eeuw; Ph. J. C. G. van Hinsbergen (†), Inventaris van het Archief van de Ridderlijke Duitsche orde Balije van Utrecht 1200–1811, Utrecht 1955/1982, p. 179–184.
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1402 betekende dat Gerard van Vliederhoven vóór 1402 was overleden.74 Indien het vermoeden juist is dat hij omstreeks die tijd de overstap maakte naar het in 1403 gestichte klooster Galilea Maior in Sibculo, om daar zijn levensavond te slijten, heeft op dat moment de tekstuele aanwezigheid van Gerard binnen de kring van de Moderne devote ook een fysieke inhoud gekregen. Een en ander helpt ons een chronologie te reconstrueren. Vóór 1360 onder gaat Gerard van Vliederhoven een intellectuele en geestelijke scholing die de weg bereidt voor een geestelijke carrière, die in eerste instantie op het raakvlak van geloof en samenleving de vorm krijgt van die van priesterbroeder bij de Duitse Orde. Vóór 1375 brengt die carrière hem mogelijk in Middelburg. Al in die periode ontwikkelt hij zijn talent als schrijver, waarvan de gedichten op de stad Middelburg een eerste proeve kunnen zijn. Het is in dit licht niet ondenkbaar dat Gerard al in deze jaren werkte aan zijn Cordiale. Tussen 1380 en 1396 is Gerard, als medewerker van de landcommandeur, nauw betrokken bij de contacten tussen de Duitse Orde en de wereldlijke machthebbers in de Noordelijke Nederlanden. Dit verklaart waarom juist hij een lofzang schrijft op graaf/hertog Albrecht van Beieren. Omdat in het Montetus de Adalberto wordt gerefereerd aan diens echtgenote, met herkenbare kwalificaties die alleen kunnen slaan op diens eerste echtgenote Margeretha van Liegnitz-Brieg, moet dit gedicht geschreven zijn vóór haar over lijden op 26 februari 1386.75 En als we zoeken naar een speciale gelegenheid waar dit motet kan zijn voorgedragen, dringt zich de gedachte op dat de festiviteiten van 12–20 april 1385 in Cambrai, waarbij Jean de Nevers en Margaretha van Beieren en Marguerite de Bourgogne en Willem van Oostervant de draden van de Bourgondische en Beierse dynastie door een dubbelhuwelijk in elkaar twijnden, bij zo’n welbespraakte lofzang gebaat kunnen zijn geweest.76 Toen Guy van Châtillon in 1395 commanderij van de Duitse Orde in Schoonhoven, waar hij overigens zelf vrijwel nooit geweest is, stichtte, werd hij weliswaar niet de broodheer van Gerard van Vliederhoven, maar toen deze in 1396 de commandeur-pastoor werd, was hij – als inmiddels vermaard auteur – de aangewezen persoon om de lijkzang op Guy te schrijven, toen Guy op 22 december 1397 was overleden. Hoe de teksten als samenhangend bestand in het handschrift van Mariënborn terecht zijn gekomen, is moeilijk te beoordelen. Er zijn twee gedachtenlijnen mo74 Inibidem, p. 15*. 75 De Boer, Neutralitätspolitik, p. 100. 76 D. E. H. de Boer, Een ruiten heer in de leeuwenkuil. Persoon en betekenis van de Hol-
landse graaf Albrecht van Beieren (1336–1404), in: B. Toussaint en P. van de Velde, Aspecten van de Hollandse biografie, Kampen 1992, p. 65–90, m. n. 80 ff.; zie ook Dick E. H. de Boer, Mittelpunkt in der Ferne. Die Rolle Straubings in der holländisch-bayrischen Verwaltung um 1390, in: A. Huber en J. Prammer (eds.), 1100 Jahre Straubing, 897–1997, Straubing, 1998, p. 119–148, m. n. 125–128.
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gelijk. De eerste veronderstelt dat Gerard van Vliederhoven in de jaren van zijn commandeurschap in Schoonhoven contact onderhield met het klooster Eemstein. Gezien de contacten tussen Jan van Schoonhoven (weliswaar geen familie, maar wel uit die plaats afkomstig) en Eemstein, is zo’n intellectuele relatie heel goed mogelijk. Eemstein zou dan omstreeks 1400 een gesloten collectie teksten van Gerard van Vliederhoven hebben bezeten, die tezamen met andere teksten zijn ‚geleverd‘ aan het jongere Mariënborn. Tot dusverre leek dat mij de meest waarschijnlijke lijn, omdat binnen een Eemsteinse context de inhoudelijke functionaliteit van de gedichten nog enigszins intact bleef. Inmiddels houd ik er, ge zien de nieuwe inzichten over een kloosterlijke afsluiting van Gerards leven binnen een klooster van de Moderne Devotie, rekening mee dat omstreeks Gerards levenseinde – al dan niet in Sibculo – zijn dichterlijke nalatenschap op verschillende plekken binnen het institutionele verband van de Moderne Devotie terecht kan zijn gekomen, en door een gelukkig toeval in Mariënborn bewaard is. Het is daarmee duidelijk dat het bestand aan lyrische, hymnische teksten dat we aan Gerard van Vliederhoven kunnen toeschrijven moet zijn ontstaan gedurende een periode van ruwweg 25 à 30 jaar, tussen ca. 1370 en 1400. Het bevat teksten die voornamelijk moeten zijn geschreven buiten de institutionele kaders van de Moderne Devotie, maar volstrekt de geest van de devoten ademen en die uiteindelijk zijn gaan functioneren – net als het Cordiale van dezelfde auteur – binnen de muren van tenminste één van de kernkloosters van de Windesheimer Congregatie. Er is dus in zekere zin sprake van ‚instraling‘ in plaats van uitstraling, waarmee het een schitterend voorbeeld is van de interactie binnen het geestelijk klimaat van de Noordelijke Nederlanden. De overige teksten in het Arnhemse handschrift 6 onderstrepen het in de bundel van Van Engen en Verhoeven aangegeven belang van een interpretatie van de werkzaamheid van de Moderne Devotie binnen ruimere kaders dan alleen de ‚eigen‘ instituties. Religieuze, morele en sociaal-ethische scholing zijn daar een even belangrijke toetssteen als het observantisme.
Besluit Met deze combinatie van een kort overzicht en enkele min of meer losse waarnemingen hoop ik duidelijk te hebben gemaakt dat het aandachtsgebied waarop het internationaliseringsproject ‚The Modern Devotion …‘ een vruchtbaar terrein voor nieuw onderzoek heeft aangeduid. Het heeft de tendens van de studies van vooral het laatste decennium bevestigd, dat een beter begrip van aard en karakter van de Moderne Devotie kan worden verkregen door aan de vertrouwde onderzoeksterreinen binnen de institutionele en tekstuele kaders van de beweging, analyses van contextuele aard toe te voegen. De bijdragen in deze bundel en in
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de andere bundel die uit dit project is voortgekomen, onderstrepen bovendien dat het Nederlands-Duitse grensregio als geografisch kader hernieuwd en voortgaand onderzoek verdient. Binnen dat onderzoek kan ruimere aandacht voor de personen en personengroepen die de dragers van het gedachtengoed waren, en dus voor een prosopografische benadering nog grote winst opleveren. Ontelbare ‚knopen‘ verbonden immers de devoten met de weefsels van stad, adellijke netwerken, bestuur etc. De vooruitzichten voor een vervolg zijn gunstig. In 2012 lieten Catrien Santing, Mathilde van Dijk, Sabrina Corbellini en Ad Tervoort een aardig bundeltje Verlichte geesten het licht zien, dat de neerslag was van een lezingencyclus in het Stadsarchief en de Athenaeumbibliotheek van Deventer.77 Ook zij hadden als oogmerk de Moderne Devotie te plaatsen in en te begrijpen vanuit de religieuze en intellectuele context van de IJsselstreek in de late middeleeuwen. De lezingenreeks was geïnspireerd door en sloot aan op het culturele programma ‚Zwolle in het licht van de Moderne devotie‘ dat in 2011 was georganiseerd rondom de tentoonstellingen ‚Van Albrecht Dürer en Thomas a Kempis‘ in het Museum ‚De Fundatie‘ en ‚Aan God gehecht/Door geloof gedreven‘ in het Stedelijk Museum Zwolle.78 En voor eind 2012 is een ‚expertmeeting‘ aangekondigd op de Radboud universiteit Nijmegen, onder de titel ‚›In de ogen van de anderen‹. De Moderne Devotie in Duitsland en de Nederlanden, beïnvloeding en toeëigening‘. Zo blijft de Moderne Devotie telkens nieuwe uitdagingen stellen.
77 Catrien Santing e. a., Verlichte geesten. De IJsselstreek als internationaal religieus-cultu-
reel centrum in de laten middeleeuwen, Zwolle 2012.
78 Een aardig boekje van F. Hoekstra (red.), Moderne Devotie. Terug naar de bron met Ge-
ert Grote (1340–1384) en Thomas a Kempis (ca. 1380–1471), Zwolle 2011, vertaalde centrale thema’s van de Moderne devotie voor een groot publiek.
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Zwischen partikularer Identität und universalem Anspruch: Einheit und Vielfalt der Devotio moderna Nikolaus Staubach
‚Da alle frommen Herzen auf den Konzilien der universalen Kirche danach streben, daß es eine Reform an Haupt und Gliedern gebe, […] sollten sie doch froh darüber sein, daß durch das Wirken des Hl. Geistes wenigstens an den Füßen und an den Extremitäten der Welt eine kleine und partikulare Reform stattfindet.‘1 Eine pusilla et particularis reformacio a pedibus et in extremitatibus mundi, eine ‚Kirchenreform von unten‘ gewissermaßen – so charakterisierte Johannes von Münstereifel († 1481) aus dem Emmericher Fraterhaus im Rückblick jene religiöse Erneuerungsbewegung, die rund hundert Jahre zuvor durch das Wirken des charismatischen Bußpredigers Geert Grote initiiert worden war. Die originelle Wendung ist mit ihrer Verbindung von Demut und Stolz bezeichnend für das Selbstbewußtsein der Brüder vom gemeinsamen Leben, die als Semireligiose gegenüber den Windesheimer Chorherren den rangniedrigeren Zweig der Devotio moderna repräsentierten.2 Denn darin wird nicht nur der regionale Ursprung 1
2
Apologeticus perbrevis pro fraternitate Gregoriana alias communis vite, Emmerich, Stadtarchiv Hs. 13, fol. 59v–76v, fol. 75v: Cumque omnia pia corda ad hoc aspirant in conciliis universalis ecclesiae, ut fiat reformacio in capite et in membris, quasi conscii de deformitate et exorbitanciis in ecclesia et populo christiano, congaudeant saltem opere spiritus sancti a [korrigiert aus et] pedibus et in extremitatibus mundi quandam pusillam et particularem reformacionem fieri. Zur Handschrift vgl. Günter Gattermann (Hrsg.), Handschriftencensus Rheinland, Wiesbaden 1993, S. 502; John Van Engen, Privileging the Devout: A Text from the Brothers at Deventer, in: Jacqueline Hamesse (Hrsg.), Roma, magistra mundi. Mélanges offerts au Père L. E. Boyle, 3 Bde., (Textes et Études du Moyen Age, 10,1–3), Louvainla-Neuve 1998, Bd. 2, S. 951–963, S. 952 f. Zum Text des ‚Apologeticus‘ Theo Klausmann, Consuetudo consuetudine vincitur. Die Hausordnungen der Brüder vom gemeinsamen Leben im Bildungs- und Sozialisationsprogramm der Devotio moderna, (Tradition – Reform – Innovation, 4), Frankfurt/M. u. a. 2003, S. 124–130. Zum Selbstverständnis der Brüder vom gemeinsamen Leben vgl. etwa R. R. Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, (Studies in Medieval and Reformation Thought, 3), Leiden 1968; Kaspar Elm, Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Eine geistliche Lebensform zwischen Kloster und Welt, Mittelalter und Neuzeit, in: J. Andriessen u. a. (Hrsg.), Geert Grote en de Moderne Devotie, (Middeleeuwse Studies, 1 = Ons Geestelijk Erf, 59,2–3, 1985), Nijmegen/Antwerpen 1985, S. 470–496; Klausmann (wie Anm. 1); Nikolaus Staubach, Zwischen Kloster und Welt? Die Stel-
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und begrenzte Wirkungskreis der Bewegung eingestanden, sondern zugleich auch ihr Beitrag zur Reform der Gesamtkirche herausgestellt. Das Zeugnis des Emmericher Fraterherrn ist nur eine unter zahlreichen zeitgenössischen Stimmen, die den beispiellosen Ausbreitungserfolg der Devotio moderna kommentiert haben und ihn zu deuten und historisch zu verorten suchten. Man könnte sogar sagen, daß die extensive Selbstdarstellung ein wesentliches Kennzeichen der devoten Bewegung gewesen ist. Wie die einzelnen klösterlichen und semireligiosen Gemeinschaften sich um die Bewahrung ihrer Haustradition im kollektiven Gedächtnis ihrer Mitglieder bemühten, um ihren Bestand zu sichern, so hatten sie teil am Bewußtsein einer umfassenden Einheit ihrer Bewegung, die durch den gemeinsamen Ursprung und eine weitgehende Übereinstimmung in der Zielsetzung und Praxis des geistlichen Lebens konstituiert war, aber dennoch stets von neuem der Identitätsstiftung und Selbstvergewisserung bedurfte. Es ist vielleicht bislang zu wenig beachtet worden, in welchem Maße das traditionelle Bild der Devotio moderna, um dessen Revision sich die Forschung seit mehr als hundert Jahren bemüht hat, von den aitiologischen und apologetischen Konstruktionen, den Ursprungslegenden und Rechtfertigungsschriften ihrer Träger geprägt war, die eine Geschlossenheit und Harmonie suggerierten, wo es in Wirklichkeit vielfältige Unterschiede, Gegensätze und Spannungen gab. Schon der etablierte Name jener religiösen Reformbewegung ist ja kein neuzeitlicher Terminus, sondern geht auf die Selbstbezeichnung ihrer frühen Mitglieder zurück. Er läßt sich nicht exakt definieren und – wie etwa ein Ordensname – einer abgrenzbaren Institution zuordnen, sondern benennt, ganz unmittelalterlich, eine alle kirchlichen und gesell schaftlichen Stände erfassende religiöse Orientierung, die sich als Korrelat auf die ‚devotio antiqua‘, das frühkirchliche Ideal christlichen Lebens bezieht. ‚Devotio moderna‘ bedeutet somit das geradezu paradoxe Programm der Wiedererweckung jener in der Gegenwart, wie man glaubte, gänzlich untergegangenen und vergessenen ‚alten Frömmigkeit‘.3 Der
3
lung der Brüder vom gemeinsamen Leben in der spätmittelalterlichen Gesellschaft, in: Ders. (Hrsg.), Kirchenreform von unten. Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Brüder vom gemeinsamen Leben, (Tradition – Reform – Innovation, 6), Frankfurt/M. u. a. 2004, S. 368–426; A. G. Weiler, The Dutch Brethren of the Common Life, Critical Theology, Northern Humanism and Reformation, in: F. Akkerman/A. J. Vanderjagt/A. H. van der Laan (Hrsg.), Northern Humanism in European Context, 1469–1625 (Brill’s Studies in Intellectual History, 94), Leiden u. a. 1999, S. 307–332; John Van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World of the Later Middle Ages, Philadelphia 2008. Vgl. etwa Magnus Ditsche, Zur Herkunft und Bedeutung des Begriffes ‚devotio moderna‘, in: Historisches Jahrbuch 79 (1960), S. 124–145; Hans Martin Klinkenberg, Die Devotio moderna unter dem Thema ‚antiqui – moderni‘ betrachtet, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Antiqui und Moderni, (Miscellanea medievalia, 9), Berlin/New York 1974, S. 394–
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Begriff ist das markanteste Beispiel für die Strategie einer heterogenen und unter schiedlich organisierten religiösen Gruppierung, sich ein einheitliches Profil zu geben und die eigene Leistungsbilanz durch Selbsthistorisierung zu monumen talisieren. Wie erfolgreich diese Strategie gewesen ist, beweist die neuzeitliche Rezeptionsgeschichte der Devotio moderna, die von zählebigen Mißverständnissen und Fehlurteilen bestimmt war.4 Ich will im folgenden versuchen, Einheit und Vielfalt der ‚Devotio moderna‘ unter dem Aspekt des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung ihrer Mitglieder zu beleuchten. Zunächst sollen die divergierenden und teilweise einander widersprechenden Ansätze zu einer Gesamtdeutung der devoten Bewegung skizziert werden. In einem zweiten Schritt ist zu zeigen, wie das Nebeneinander und Wechselverhältnis der verschiedenen Lebensformen innerhalb der Devotio moderna, der Laien, Semireligiosen und Kanoniker aufgefaßt und bewertet worden ist. Im Ergebnis wird Johan Huizingas eigenwilliges Urteil gerechtfertigt, der die Gemeinschaften der Devotio moderna mit pietistischen Kreisen verglich5: Die Bewegung, der man vielfach eine Affinität zur Reformation bescheinigt hat, ist in Wirklichkeit durch ihre asketischen Leistungsanforderungen und das damit verbundene Verdienstdenken und Elitebewußtsein auf eine Zirkelexistenz beschränkt geblieben und konnte daher ihrem universalen Reformanspruch letztlich nicht gerecht werden. 419; Nikolaus Staubach, Von der persönlichen Erfahrung zur Gemeinschaftsliteratur. Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen geistlicher Reformtexte im Spätmittelalter, in: Ons Geestelijk Erf 68 (1994), S. 200–228, S. 200 f.; Bertram Lesser, Johannes Busch: Chronist der Devotio moderna. Werkstruktur, Überlieferung, Rezeption, (Tradition – Reform – Innovation, 10), Frankfurt/M. u. a. 2005, S. 211 ff. 4 Zum Gang der Forschung vgl. Ernst Barnikol, Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben, (Ergänzungsheft zur Zeitschrift für Theologie und Kirche 1917), Tübingen 1917, S. 1–11; W. Jappe Alberts, Zur Historiographie der Devotio Moderna und ihrer Erforschung, in: Westfälische Forschungen 11 (1958), S. 51–67; Post (wie Anm. 2), S. 1–49; Emile Brouette/Reinhold Mokrosch, Devotio moderna, in: Theologische Realenzyklopädie 8, Berlin/New York 1981, S. 605–616; Anton G. Weiler, Recent Historiography on the Modern Devotion: Some Debated Questions, in: Archief voor de Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederlanden 26 (1984), S. 161–179; R. Th. M. van Dijk, Prolegomena ad Gerardi Magni opera omnia, in: Gerardi Magni opera omnia I, (CC CM, 192), Turnhout 2003, S. 7–744, hier S. 84–104: „Forschungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“. 5 Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart o. J. (1930; nl. Erstausgabe 1919), S. 252: „In der ‚devotio moderna‘ der Fraterhäuser und der Windesheimer hatten sich […] pietistische Kreise vom weltlichen Leben abgesondert; bei ihnen hatte die religiöse Spannung Dauer gewonnen; als Fromme par excellence bildeten sie einen Gegensatz zu der großen Menge.“
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I. Es kennzeichnet die meisten der zahlreichen „Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen“ (so die Formulierung von Kaspar Elm6), daß sie die Wiederherstellung eines ursprünglichen Idealzustandes intendierten und sich scharf von ihrer unmittelbaren Vorgeschichte als einem Zustand des Verfalls abgrenzten. Obwohl auch die Devotio moderna zweifellos in den historischen Kontext jener Erneuerungsbewegungen gehört, war ihre Ausgangslage doch insofern komplizierter, als sie die institutionellen Formen ihrer Existenz erst entwickeln mußte. Denn das aus der persönlichen Conversio Grotes hervorgegangene missionarische Engagement galt nicht einer bestimmten Zielgruppe, sondern richtete sich an alle Stände der als durchweg irreligiös, sündhaft und bußbedürftig empfundenen zeitgenössischen Gesellschaft. Erst mit dem Erfolg seines Wirkens und dem raschen Anwachsen einer bekehrungswilligen Anhängerschaft ergab sich die Notwendigkeit, Modelle der Organisation geistlichen Gemeinschaftslebens zu schaffen. Für die retrospektive historische Selbstverortung der Devotio moderna bedeutete diese komplexe Entstehungsgeschichte, daß sich ganz verschiedene Traditionslinien zur Konstruktion der eigenen Identität anboten, während bei den seit längerem bestehenden Orden und Kongregationen ‚Reform‘ eindimensional die Rückkehr zur Regelobservanz bedeutete. Die erste und umfassendste Tradition, auf die sich die Devoten – wie alle anderen geistlichen Gemeinschaften des Mittelalters – berufen konnten, war die apostolische vita communis der frühen Kirche; sie wurde insbesondere zur Rechtfertigung des status medius der Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben angeführt. Eine zweite Traditionslinie bezog sich auf den regionalen Ursprung der Bewegung. Danach hätte Geert Grote das Missionswerk des Friesenapostels und Utrechter Bistumsgründers Willibrord erneuert, indem er seine Heimat nach Jahrhunderten des Niedergangs wieder zum wahren Christentum zurückführte. Dieses kühne Argument begegnet zuerst in dem anonym überlieferten Verspanegyricus auf Geert Grote, den wohl sein Schüler Johannes Scutken im Jahr 1421 verfaßt hat. Die hymnische Angleichung und Empfehlung Grotes an Willibrord eröffnet und beschließt dieses Gedicht: Traiectensis dyocesis ymnum canens sis hylaris, que grata patri luminum per Willibrordum inclitum. Ipse cum celum petiit, te solam non deseruit, linquens post se egregios patres necnon discipulos. 6 Kaspar Elm (Hrsg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittel-
alterlichen Ordenswesen, (Berliner Historische Studien, 14), Berlin 1989.
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His assumptis cum patribus, novus nascitur filius diebus his novissimis, Gerardus venerabilis. […] Sancte presul Willibrorde Gerardum nunc amplectere velut dilectum filium tuisque tam proficuum. Ecce tua dyocesis iam particeps est luminis huius piis sudoribus doctrinis atque moribus. Ob hoc omnium minimus eius ego discipulus mecum omnes homines exclamamus unanimes: Laus, honor, benedictio, claritas, iubilatio, sit Trinitati simplici ex hoc nunc evo perpeti. ‚Freu dich, du Bistum Utrecht, und stimm ein Loblied an, durch den berühmten Willibrord bist du dem Vater der Lichter lieb geworden. Als dieser in den Himmel strebte, bliebst du nicht verwaist zurück, denn er hinterließ dir edle Väter und auch Schüler. Sie alle sind hinaufgegangen, da ward ein neuer Sohn geboren in diesen jüngsten Tagen, der ehrwürdige Gerhardus. […] Ihn, heiliger Bischof Willibrord, umarme nun als deinen geliebten Sohn, der den Deinen so viel Gutes gewirkt hat. Sieh, dein Bistum hat wieder Anteil am Licht durch seine frommen Mühen, seine Lehren und Sitten. Deshalb will ich, sein geringster Schüler, und mit mir alle Menschen gemeinsam ausrufen: Lob, Ehre, Segen, Ruhm und Jubel sei der einigen Dreifaltigkeit von nun an bis in Ewigkeit.‘ 7
Rund drei Jahrzehnte nach diesem Hymnus auf das Rechristianisierungswerk Grotes entstand ein Text, der das Thema noch breiter ausführt. Auf Bitten eines ungenannten Fragestellers gab der Windesheimer Prior Wilhelm Vornken († 1455) in einem Brieftraktat Auskunft über die Frühzeit und die Gründungsmitglieder seines Klosters.8 Er begann seinen historischen Überblick jedoch nicht etwa mit dem Auftreten Grotes, sondern unter Berufung auf Bedas Kirchen geschichte mit der Friesenmission Willibrords. Von den Paradiesesströmen, die damals das Land der Angelsachsen bewässerten, habe sich auch ein Bach zur Befruchtung seiner Heimat abgezweigt, doch sei mit dem Erlöschen des ursprüng 7 Titus Brandsma, Twee berijmde levens van Geert Groote, in: Ons Geestelijk Erf 16 8
(1942), S. 5–51, S. 32 und 37, V. 1–6 und 231–238. Vgl. Lesser (wie Anm. 3), S. 87–89. Wilhelmus Vornken, Epistola de prima institutione monasterii in Windesem, gedruckt bei J. G. R. Acquoy, Het klooster te Windesheim en zijn invloed, 3 Bde., Utrecht 1875–1880, Bd. 3, S. 235–255. Vgl. Lesser (wie Anm. 3), S. 92–95.
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lichen Glaubenseifers das Land bald wieder so vertrocknet, daß zuletzt außer bei den Kartäusern keine Stätte für ein geistliches Leben mehr zu finden war. Da habe das barmherzige Auge Gottes in der wasserlosen Wüste mit Geert Grote einen kleinen Quell entspringen lassen, der zu zahlreichen Flüssen anwuchs und ein neues und dauerhaftes Paradies für die Seelen entstehen ließ.9 Mit dem typologischen Rückbezug auf die Anfänge des Christentums in den Niederlanden konnte man zwar eindrucksvoll die epochale Bedeutung des devoten Neubeginns veranschaulichen, blieb jedoch auf den regionalen Rahmen von Grotes missionarischem Wirken beschränkt. Dabei hätte es für den Windesheimer Prior durchaus nahegelegen, auch eine ganz andere genealogische Linie zu ziehen. Denn seit der Errichtung des Augustinerchorherrenstifts Windesheim, das sich durch Filialgründungen und Assoziationen rasch zum Haupt eines ausgedehnten Klosterverbandes entwickelte, hatte die Devotio moderna Anschluß an den altehrwürdigen und die ganze Christenheit umspannenden ordo canonicus gefunden. Und in der Tat sollte es nicht an Versuchen fehlen, die ‚neue Frömmigkeit‘ als eine grundlegende Reform des Kanonikerordens darzustellen. Allerdings ergaben sich auf dieser historischen Deutungsebene sogleich konkurrierende und divergente Prioritätsansprüche, die die Geltung der Gründerfigur Grotes als fons et origo modernae devotionis in Frage stellen mußten.10 Da man wußte, daß Grote wichtige Impulse für seine geistliche Orientierung von dem Mystiker Jan Ruusbroec im Kanonikerstift Groenendaal bei Brüssel empfangen hatte und daß diese Gemeinschaft durch die Vermittlung des Klosters Eemstein auch für die Gründung Windesheims vorbildlich geworden war, ließ sich mit gutem Grund die Meinung vertreten, die Devotio moderna habe ihre eigentlichen Wurzeln nicht im Ijsselgebiet, sondern in Brabant. Die großen historiographischen Werke des Johannes Gielemans und Petrus Impens folgten in ihrer Konzeption und Ausführung dieser ‚Brabanter Perspektive‘, wie John Van Engen sie genannt hat.11 Johannes Gielemans, Chorherr im Brabanter Stift Rooklooster († 1487), war in seinem Urteil über den Ursprung der Devotio moderna ganz von seinen der Heimat gewidmeten hagiographischen Studien und Interessen geleitet. Brabant betrachtete er als ein heiliges, von Gott auserwähltes Land, das zu allen Zeiten Acquoy (wie Anm. 8), S. 238: Cum itaque […] in tota terra adeo siccitas erat, ut nusquam antique devocionis vestigia apparerent, pius Dominus oculo miseracionis de celo in terram aspexit fecitque in occiduo tempore, ut in terra nostra deserta, invia et inaquosa oriretur fons parvus, qui paulatim crevit in rivos […] ad irrigandum […] animas que revera plante sunt intellectualis et nunquam deficientis paradisi. 10 Zu dieser Metapher s. Lesser (wie Anm. 3), S. 230. 11 John Van Engen, A Brabantine Perspective on the Origins of the Modern Devotion, in: W. Verbeke u. a. (Hrsg.), Serta devota in memoriam Guillelmi Lourdaux, Bd. 1, Louvain 1992, S. 3–78.
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zahllose Heilige hervorgebracht hatte und stets von frommen, um Kirche und Christentum verdienten Fürsten regiert worden war. So stand für ihn fest, daß die jüngste Erneuerung des Kanonikerordens nicht von Windesheim, sondern von Groenendaal ausgegangen sein mußte. Ohne den Anteil Grotes an dem Reformwerk ganz zu leugnen, glaubte er doch die Proportionen zurechtrücken zu müssen – Ruusbroec war seine causa movens, Grote die causa promovens und dessen Schüler die causa exsequens.12 Auch Petrus Impens, Prior des Klosters Bethlehem in Herent bei Löwen († 1523), hat in seiner mit dem etwas irreführenden Titel ‚Chronicon Bethleemiticum‘ bezeichneten Verbandsgeschichte der Windesheimer Kongregation dem Kloster Groenendaal einen maßgeblichen Platz eingeräumt. Ähnlich wie Gielemans revidiert er die Prioritätsverhältnisse, wählt aber dazu kein abstraktes Begriffsschema, sondern ein poetisches Bild: Wenn die Windesheimer Grote als fons et origo modernae devotionis betrachten, so nennt er Ruusbroec die unterirdische Wasserader (vena), die jenen Quell gespeist hat. Zudem reiht er die Windesheimer Kongregation in die lange Geschichte des Kanonikerordens ein.13 Ganz auf die ausgedehnte und verzweigte Tradition des ordo canonicus hatte sich zuvor schon der Windesheimer Chorherr Johannes Mauburnus aus dem Kloster Agnietenberg bei Zwolle konzentriert († 1501).14 Doch begeisterte er sich mehr für die ruhmreiche Vergangenheit der Viktoriner als für Ruusbroec und Groenendaal. So ließ er sich schließlich gar zu dem abenteuerlichen Experiment verleiten, die französischen Chorherrenstifte in Paris und der Ile de France durch eine Abordnung Windesheimer Brüder zu reformieren. Das Unternehmen war teilweise erfolgreich, mußte aber letztlich am französischen Nationalstolz und den entsprechenden Sprach- und Kulturbarrieren scheitern. Mit dieser schmerz lichen Erfahrung hat der universale Reformanspruch der Windesheimer seinen vielleicht empfindlichsten Dämpfer erhalten.15 Für den Geschichtsschreiber und Klosterreformer Johannes Busch gab es dagegen keinen Zweifel an der absoluten Vorrangstellung Windesheims. Dabei beschäftigte er sich so intensiv wie kein anderer mit der Frage nach dem historischen Ort jener religiösen Erneuerungsbewegung, deren Wachstum er nicht nur als Augenzeuge miterlebt und beschrieben, sondern auch tatkräftig gefördert hat. Als er im Frühjahr 1456 nach langer Abwesenheit und wechselvollen Reformakti12 Ausführlich dazu Aloysia E. Jostes, Die Historisierung der Devotio moderna im 15. und
16. Jahrhundert. Verbandsbewußtsein und Selbstverständnis der Windesheimer Kongregation, Diss. Groningen 2008, S. 135–371. 13 Jostes ebd. S. 535–740. 14 Jostes ebd. S. 372–534. 15 Vgl. Nikolaus Staubach, L’influence victorine sur la dévotion moderne, in: Dominique Poirel (Hrsg.), L’école de Saint-Victor de Paris. Influence et rayonnement du moyen âge à l’époque moderne, (Bibliotheca Victorina, 22), Turnhout 2010, S. 583–599, S. 592 ff.
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vitäten in sein Mutterkloster Windesheim zurückkehrte, erhielt er von seinem Prior Johannes Naaldwijk den Auftrag, eine Geschichte dieses Hauses zu schreiben. Seit sechs Jahrzehnten stand das Kloster Windesheim zu jenem Zeitpunkt an der Spitze einer Kongregation, die sich über Erwarten rasch auf rund 60 Mitgliedsgemeinschaften ausgedehnt hatte. Der Erfolg, auf den man zurückblicken konnte, verlangte nach einer Erklärung und ließ eine Bilanz des Erreichten wünschenswert erscheinen. Die verschiedenen Werke des Johannes Busch und ihre Redaktionsstufen spiegeln dieses Bemühen, indem sie geradezu buchhalterisch die jeweils erreichten Fortschritte und Zuwächse registrieren. Zugleich zeigen sie, wie sich das eigene Vergangenheitsbewußtsein von der engeren Klosterperspektive ausweitet zu einer globalen heilsgeschichtlichen Deutung der Devotio moderna.16 Demnach hat das von Geert Grote begonnene Missionierungswerk nicht nur das Bistum Utrecht und die Kölner Kirchenprovinz erfaßt, sondern eine Neuevangelisation per totum pene Almanicum orbem bewirkt.17 Das Ausmaß dieser Heilstaten läßt sich nur mit der Kategorie des Wunders beschreiben, und so zögert Busch nicht, sie den mirabilia Dei miracula der Urkirche und der Apostelmission an die Seite zu stellen.18 Der komplexen Struktur der devoten Bewegung entsprechend würdigt er diese durch die Kombination und Überblendung zweier Sichtweisen. Einerseits ist die Gründung Windesheims für ihn die Erneuerung des durch Augustinus gestifteten Kanonikerordens und bedeutet die Erfüllung seiner heilsgeschichtlichen Sendung nach Jahrhunderten des Verfalls. Der Kirchenvater tritt damit in eine ähnlich unmittelbare Nahbeziehung zu Geert Grote, wie es bereits für den Friesenmissionar Willibrord behauptet worden war.19 Die zweite Perspektive reicht noch über die Anfänge der Ordensgeschichte hinaus bis zum Ursprung des göttlichen opus restaurationis: Um die durch Engel16 Vgl. Nikolaus Staubach, Das Wunder der Devotio moderna. Neue Aspekte im Werk des
Windesheimer Geschichtsschreibers Johannes Busch, in: A. J. Hendrikman u. a. (Hrsg.), Windesheim 1395–1995. Kloosters, teksten, invloeden, (Middeleeuwse Studies, 12), Nijmegen 1996, S. 170–185; Lesser (wie Anm. 3), bes. S. 209–258; Jostes (wie Anm. 12), S. 17–134. 17 Johannes Busch, Liber de viris illustribus, Prologus, in: Karl Grube (Hrsg.), Des Augustinerpropstes Iohannes Busch Chronicon Windeshemense und Liber de reformatio ne monasteriorum, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 19), Halle 1886, S. 1; weitere Belege bei Lesser (wie Anm. 3), S. 222 Anm. 46. 18 Johannes Busch, Liber de origine devotionis modernae, Prologus, in: Grube (wie Anm. 17), S. 245. Ähnlich ebd. cap. 47, S. 372 ff. 19 Busch, Liber de viris illustribus (wie Anm. 17), cap 1, S. 9: O quam gloriosa cum comitiva beatus pater noster Augustinus cum dive memorie magistro Gerardo Magno spiritu eius pleno multisque patribus ordinum diversorum presertim canonicis regularibus […] vultui glorie summi Dei claritatique omnipotencie maiestatis eius semper assistere et in summe bonitatis eius fruibili presencia debent perpetuo iocundari.
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sturz und Sündenfall zerstörte Gemeinschaft des Schöpfers mit seinen Geschöpfen wiederherzustellen, ist Gott Mensch geworden und hat in seinem Erdenwandel mit den Aposteln das gemeinsame Leben – communis vita – als Modell der Vollkommenheit eingeführt. Dies ist die regula Christi, die noch vor und über allen Mönchs- und Ordensregeln die Christen zur Nachfolge des Herrn verpflichtet. Indem Busch sich auf sie beruft, gibt er den Semireligiosen, die sich für eine vita communis ohne Regel und Gelübde entschieden haben, um freiwillig in Armut, Keuschheit und Gehorsam zu leben, eine dem Status der Regularkanoniker gleichwertige göttliche Legitimation. Dennoch ist er davon überzeugt, daß das observante Kloster die sicherste Heilsgewähr bietet und den höchsten Grad der Vollkommenheit, eine Vorwegnahme des Engellebens auf Erden, ermöglicht.20 Von beiden Standesgruppen scharf geschieden sind jedoch die Laien in der Welt. Busch definiert sie traditionsgemäß als solche Christen, die zwar das heilsnotwendige Minimum der Gebote (mandata), aber nicht die Zusatzanforderungen der evangelischen Räte (consilia evangelica) erfüllen müssen. Da jedoch viele unter ihnen, wie er weiß, sich gleichfalls um ein vollkommenes Leben bemühen und nur durch äußere Umstände am Eintritt in eine geistliche Gemeinschaft gehindert werden, schließt er auch diese in seine beeindruckende Bestandsaufnahme der Devotio moderna ein: ‚Einst gab es in unserem verlassenen, öden und unfruchtbaren Lande keinen Ort der Zuflucht, weder im Kloster noch in der Welt, an dem sich die Seelen hätten in Sicherheit bringen und für ihr Heil wirken können, sondern Männer und Frauen, Alt und Jung schritten gemeinsam auf dem breiten und bequemen Weg dahin, der ins Verderben führt. […] Jetzt dagegen gibt es in dieser ganzen Provinz kaum eine Stadt oder einen Ort, in denen sich nicht allenthalben Klöster oder Gemeinschaften und Devotenhäuser fänden, entweder neu errichtet oder durch Reform aus älteren Gründungen entstanden. Haben wir doch mehr als achtzig reformierte Klöster unseres Ordens in siebzehn Diözesen, die dem Generalkapitel von Windesheim angeschlossen und eingegliedert sind. […] Ähnlich wirken in ihrem Stande die Väter, Brüder und Schwestern jener devoten Gemeinschaften, die aus dem Herr-Florens-Haus in Deventer hervorgegangen sind, mehr als fünfzig an der Zahl, und die über hundert Tertiarengemeinschaften, die denselben 20 Ebd. cap. 2–3, S. 10–14; insbes. S. 12: Omnis denique christianus secundum evangelium
Christi vivere et regulam Christi caritatem servare tenetur ex precepto sub pena eterne dampnacionis. […] Cuncta vero consilia evangelica omnes servare non tenentur, nisi quisquam sponte ad illa se obligaverit. Vgl. ebd. S. 14: Meliores enim sancte ecclesie flores, […] virgines, viduas et continentes, ordinis et capituli nostri monasteria de universis christifidelibus in sinus suos colligencia angelicam conversacionem et paradisum terrestrem in terris esse constituerunt, cum valde sit difficile viros vere contemplacionis, angelice puritatis et virginalis castitatis in huius mundi exilio et in hac peregrinacione mortalitatis nostre tempore extra monasteria posse reperiri.
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Ursprung haben. […] Manche dieser Klöster und Gemeinschaften haben mehr Mitglieder, andere weniger, je nach ihrer Größe und Besitzausstattung; einige haben 20, einige 30, einige 40, einige 50, […] einige 150, einige 200, 300 oder gar 400. Wer also könnte schon ohne weiteres berechnen, wieviele Personen jene 80 Klöster und 150 Gemeinschaften zusammen enthalten? […] Und überdies ist zu bedenken, wieviele Menschen weltlichen Standes, Männer und Frauen, mit jenen freundschaftlich verbunden und durch sie von der Eitelkeit der Welt zu einem besseren Leben bekehrt worden sind. […] Auch wenn sie wegen mancher Hindernisse die evangelischen Räte noch nicht annehmen können, bemühen sie sich doch, von jenen angeleitet, ein heiliges und sündenfreies Leben zu führen: Wer könnte sie zählen? […] Wer hätte damals, als mit dem gemeinsamen Leben begonnen wurde, einen solchen Erfolg für möglich gehalten? Wer hätte geglaubt, daß aus so unscheinbarem Ursprung, aus einer so kleinen Zahl von Vätern eine so gewaltige Schar von Heiligen in allen deutschen Ländern – per totum Almanicum orbem – erwachsen werde? […] Dies ist, so möchte ich sagen, eine Erneuerung jener Wunder, die in der Urkirche durch die Gnade des Hl. Geistes von den Jüngern Christi vollbracht wurden.‘21
II. Allen hier vorgestellten Selbstdeutungsmodellen der Devotio moderna ist die Tendenz gemeinsam, den epochalen Neuheitsanspruch ihres Reformansatzes mit der Konstruktion von weit in die Kirchen- und Heilsgeschichte zurückweisenden Traditionslinien zu verbinden. Dabei richtete sich der Blick naturgemäß mehr auf die Einheit der Bewegung als auf ihre institutionelle und personelle Diversität. Selbst Johannes Busch, der die Verschiedenheit der Lebensformen innerhalb der ‚neuen Frömmigkeit‘ durchaus gesehen und diskutiert hat, relativiert und harmonisiert das Statusproblem, um Laien, Semireligiose und Regularkanoniker zu einer auch quantitativ imposanten Devotengemeinschaft zusammenzufassen. Gerade die heterogene Struktur der Devotio moderna und ein ausgeprägtes Standes- und Verdienstdenken, das zur Abwertung des Laienelements zugunsten der geistlichen vita communis führen mußte, haben jedoch ein nicht unerheb liches Konfliktpotential entfaltet. Wenn es überhaupt eine Verbindung von dieser Reformbewegung zur Reformation gegeben hat, so ist sie hier zu suchen. Nicht durch die Antizipation reformatorischer Forderungen haben die Devoten die kirchliche Revolution vorbereitet, wie man lange Zeit behauptete, sondern durch die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, ihre Aversion gegen die Welt zu 21 Busch, Liber de origine devotionis modernae (wie Anm. 18), cap. 47, S. 372–375. Vgl. Les-
ser (wie Anm. 3), S. 213 ff.
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überwinden und die verschiedenen Stände der Christenheit als gleichermaßen verdienstlich und heilsrelevant anzuerkennen.22 In seiner Römerbriefvorlesung (1515/16) kritisiert der junge Luther die scholastischen Theologen, weil sie die Wirkung der Erbsünde auf die Natur des Menschen relativiert und in ihrer Radikalität verkannt hätten. Dagegen habe er nirgends eine überzeugendere Behandlung dieses Problems gefunden als bei Geert Grote, dessen Traktat ‚Beatus vir‘ vernünftige Theologie und nicht willkürliche philosophische Spekulationen enthalte.23 Mit seiner Äußerung attestiert Luther der Devotio moderna eine Affinität zu reformatorischen Positionen, wie er es auch später noch gelegentlich getan hat. Allerdings beruht sie gleich in zweifacher Hinsicht auf einem Irrtum. Daß er die gelobte Schrift nicht ihrem wahren Autor Gerhard Zerbolt von Zutphen zuschreibt, fällt allerdings nicht weiter ins Gewicht. Gravierender ist jedoch, daß Luther Zerbolts Erbsündenlehre offenbar nur sehr selektiv wahrgenommen und dadurch gründlich mißverstanden hat. Beruht doch der gewöhnlich mit seinem Incipit ‚Beatus vir‘ zitierte Traktat ‚De ascensionibus spiritualibus‘ auf dem Postulat, daß sich der Mensch durch ein Programm geistlicher Übungen um die Wiederherstellung der durch den Sündenfall verlorenen originalis iusticia zu bemühen habe. Dem Erlösungswerk Christi wird in diesem Restaurationsprozeß lediglich die Funktion einer Grundsicherung zugeschrieben, einer conditio sine qua non, die der Menschheit Amnestie von der kollektiven Verdammnis gewährt. Dagegen ist der Aufstieg zur ursprünglichen Gottesnähe jedem einzelnen als Übungsaufgabe und verdienstliches Werk anheimgestellt: ‚Zwar hat Christus uns durch seinen kostbaren Tod von der Erbsünde freigekauft, […] damit die ihm Verbundenen nicht verdammt werden. Aber er hat uns keineswegs in den Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit versetzt und auch unsere Seelenkräfte nicht wiederhergestellt, sondern es uns selbst überlassen, 22 Vgl. dazu jetzt Nikolaus Staubach, Christiana perfectio und evangelica libertas. Die Kri-
se des christlichen Lebensideals zwischen Devotio moderna und Reformation, in: Ders. (Hrsg.), Exemplaris Imago. Ideale in Mittelalter und Früher Neuzeit, (Tradition – Reform – Innovation, 15), Frankfurt/M. u. a. 2012, S. 229–282, S. 246 ff. – Zu den ‚vorreformatorischen‘ Bestrebungen der Devoten wurde vor allem ihr Engagement für die volkssprachige Bibellektüre gerechnet, doch ist auch diese Meinung zu revidieren; s. Nikolaus Staubach, Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Apologie der Laienlektüre in der Devotio moderna, in: Thomas Kock/Rita Schlusemann (Hrsg.), Laienlektüre und Buchmarkt im späten Mittelalter, Frankfurt/M. u. a. 1997, S. 221–289; Ders., Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Laienbibel, in: M. Lamberigts/A. A. Den Hollander (Hrsg.), Lay Bibles in Europe 1450–1800, Leuven 2006, S. 3–26. 23 D. Martin Luthers Werke, Bd. 56: Der Brief an die Römer, Weimar 1938, S. 313: Hanc originalis peccati apud nullum inveni tam claram resolutionem quam apud Gerardum Groot in tractatulo suo ‚Beatus vir‘, ubi loquitur non ut temerarius philosophus, sed ut sanus theologus.
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sie durch fromme Übungen zu reformieren, zu unserer Besserung und unserem Verdienst.‘24 Ähnliches gilt für die schuldtilgende Wirkung des Bußsakraments – sie bedeutet Versöhnung, aber nicht vertraute und liebende Vereinigung mit Gott: nec putes sufficere quod per penitenciam sis Deo reconciliatus, ut ad eius familiaritatem recipiaris et perfectam charitatem.25 Es ist kein Zufall, daß Zerbolts Traktat über den geistlichen Aufstieg zum maßgeblichen Meditationshandbuch der Devotio moderna avancierte.26 Denn die hier entwickelte Stufenlehre religiöser Selbstvervollkommnung entspricht dem Anliegen jener Reformbewegung genau. Sie begnügt sich nicht mit dem heilsnotwendigen Minimum der für alle verbindlichen Gebote Gottes, sondern verlangt darüber hinaus eine existentielle Umkehr, eine Conversio, die das künftige Leben total dem durch unausgesetzte exercitia spiritualia zu verwirklichenden asketischen Propositum unterstellt. In seinem Leistungsanspruch berührt sich dieses Programm mit dem klösterlichen Lebensideal, das in der Erfüllung der drei consilia evangelica Armut, Keuschheit und Gehorsam einen der breiten Masse unzugänglichen elitären Heilsweg bot. Allerdings zielte der Reformappell der Devotio moderna ursprünglich nicht auf eine Institutionalisierung der religiösen Lebenspraxis, sondern richtete sich unterschiedslos an alle Christen, gleich welchen Alters, Standes oder Geschlechts, und konnte daher geradezu als ein freieres Gegen- oder Konkurrenzmodell zum Klosterleben verstanden werden. So hatte Geert Grote nach seiner Conversio bewußt auf den Klostereintritt verzichtet und die selbstformulierten Maximen seiner künftigen Lebensführung unter das Motto: Conclusa et proposita, non vota gestellt.27 Statt sich einer speziellen Ordensregel zu unterwerfen, wollte er sich an der allgemeinverbindlichen ‚Regel aller Regeln‘, dem Evangelium Christi, orientieren.28 24 Francis Joseph Legrand (Hrsg.), Gérard Zerbolt de Zutphen, La montée du cœur/De spi-
ritualibus ascensionibus, (Sous la règle de Saint Augustin, 11), Turnhout 2006, cap. 3, S. 112: Sane Christus morte sua preciosissima a culpa originali nos redemit […] ne sit dampnacio aliqua his qui sunt in Christo Ihesu. Sed in pristinum statum rectitudinis nequaquam nos restituit nec vires anime reformavit, sed ad nostrum exercicium et meritum nobis eas reliquit per sancta exercicia reformandas. 25 Ebd. cap. 15, S. 150. 26 Vgl. Nikolaus Staubach, Gérard Zerbolt et son œuvre, in: Legrand (wie Anm. 24), Introduction S. 7–40; Ders., Die Meditation im spirituellen Reformprogramm der Devotio moderna, in: Karl Enenkel/Walter Melion (Hrsg.), Meditatio – Refashioning the Self. Theory and Practice in Late Medieval and Early Modern Intellectual Culture, Leiden/Boston 2011, S. 181–207. 27 Thomas von Kempen, Dialogus noviciorum 2, 18, in: Michael Joseph Pohl (Hrsg.), Thomae Hemerken a Kempis Opera omnia, 7 Bde., Freiburg/Br. 1902–1922, Bd. 7, S. 87. 28 Willem de Vreese (Hrsg.), Geert Groote, De simonia ad beguttas, ’s-Gravenhage 1940, S. 29 f.: Men moet ghene nyge vulcomen religio, dat is ghene nye regulen maken sunder orlof
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Als sich die Anhänger und Schüler Grotes in Hausgemeinschaften zusam menschlossen, um die consilia des Evangeliums ohne die Verpflichtung durch ein Ordensgelübde zu befolgen, mußten sie die universale Geltung und soziale Offenheit dieser Lebensform gegen den Exklusivitätsanspruch der Religiosen verteidigen. Daher gehörte zu den Rechtfertigungsstrategien der zunächst heftig umstrittenen devoten Bewegung der Nachweis, daß ein Streben nach christlicher Vollkommenheit nicht auf bestimmte Stände innerhalb der Kirche beschränkt werden dürfe, sondern für jeden offenstehen müsse. Am erfolgreichsten leistete dies Gerhard Zerbolt von Zutphen mit seiner umfangreichen gelehrten Abhandlung ‚Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium‘.29 Schon ihr Titel zeigt jedoch, daß diese Schrift eine Apologie nicht der laikalen Privatfrömmigkeit, sondern des geistlichen Gemeinschaftslebens außerhalb der kirch lich approbierten Orden ist. Gerade darin aber wird das Dilemma der devoten Reformbewegung deutlich: Ihr asketisches Übungsprogramm war mit einem von den Pflichten und Sorgen des Alltags erfüllten Erwerbs- und Familienleben im Grunde unvereinbar und machte daher die Bildung semireligioser Wohngemeinschaften notwendig, die dem Kloster näher standen als der Welt. Wer sich ihnen anschließen wollte, hatte die consilia evangelica zu befolgen, auch wenn er sich nicht durch Ordensgelübde und Regel unwiderruflich darauf verpflichtete. In Anlehnung an die kanonisti sche Tradition30 bezeichnet Zerbolt diese Frommen als ‚Religiose im weiteren Sinne‘ und definiert ihren Stand als status medius zwischen ‚Weltleuten, die weltlich leben‘ (seculares seculariter et dissolute viventes) und Ordensleuten (religiosi et regulares): ‚Es liegt auf der Hand, daß die evangelischen Räte keinen bestimmten Stand, sondern lediglich die Bereitschaft zu ihrer Befolgung erfordern und daß sie frei des pawes. Mer twe, dre of veir of meer te gader te leven na enigher gheproveden regulen of een deel der na, of na der regulen aller regulen, dat is na den hilghen gebenediden ewangelie, dat en is nicht verboden na mynen duncken. Vgl. Theodore P. van Zijl, Gerard Groote, Ascetic and Reformer (1340–1384), (The Catholic University of America. Studies in Mediaeval History, N. S. 18), Washington, D. C. 1963, S. 239 ff.; Georgette Epiney-Burgard, Gérard Grote (1340–1384) et les débuts de la Dévotion moderne, (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 54), Wiesbaden 1970; S. 154 ff. – Zur regula Christi s. auch oben Anm. 20. 29 A. Hyma (Hrsg.), Het traktaat ‚Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium‘ door Gerard Zerbolt van Zutphen, in: Archief voor de Geschiedenis van het Aartsbisdom Utrecht 52 (1926), S. 1–100. 30 Henricus de Segusio Cardinalis Hostiensis, Summa Aurea, Venedig 1574, lib. III, tit. ‚De regularibus et transeuntibus ad religionem‘, § 2–3, Sp. 1108: Sed et largo modo dicitur religiosus, qui in domo propria sancte et religiose vivit, licet non sit professus, et dicitur talis religiosus non ideo quod astrictus sit alicui regulę certae, sed respectu vitae, quam arctiorem et sanctiorem ducit quam ceteri seculares, qui omnino seculariter id est dissolute vivunt.
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und allgemein gegeben sind: Wer sich durch Gelübde dazu verpflichtet, dem sind sie ein Gebot, wer kein Gelübde ablegt, für den sind sie ein Rat. […] Es gibt aber, allgemein gefaßt, drei Stände der Menschen. Den einen bilden die Weltleute, die weltlich und zügellos leben. Weiter gibt es die Religiosen und Regularen, die sich sowohl in Leben und Sitten wie auch in ihrem äußeren Habitus von den Weltleuten unterscheiden. Dazwischen aber ist der mittlere Stand derer, die zwar nicht eigentlich Religiose sind, wohl aber im weiteren Sinne so genannt werden können, weil sie ein frommeres Leben führen als andere, so etwa Witwen und Jungfrauen, die enthaltsam in ihren eigenen Häusern leben, oder die Laienbrüder im Kloster oder die Säkularkleriker.‘31 Die ältere Forschung sah in der Gründung der semireligiosen Häuser der Schwestern und Brüder vom gemeinsamen Leben die eigentliche Reformleistung der Devotio moderna, einen innovativen Impuls, der die Stellung der Laien in der Kirche aufgewertet und in gewisser Weise der Reformation vorgearbeitet hätte. Vor mehr als 25 Jahren hat Kaspar Elm in einem vielbeachteten Beitrag diese Ansicht in modifizierter Form bekräftigt, indem er der devoten Bewegung ihren historischen Ort in der langen Tradition des mittelalterlichen Semireligiosentums zuwies.32 Damit wurde sie gewissermaßen aus einer vorreformatorisch-protestantischen in eine postkonziliar-katholische Beleuchtung gerückt. Dem Selbstverständnis der damaligen Zeitgenossen entspricht jedoch weder die eine noch die andere Sicht. Denn mit der Errichtung des Klosters Windesheim und der Ausbreitung des unter seiner Leitung konstituierten Klosterverbandes wurden anstelle der semireligiosen Schwestern und Brüder vom gemeinsamen Leben die regulierten Chorherren immer mehr zu maßgeblichen Trägern und Repräsentanten der devoten Bewegung. Auch Johannes Busch ließ daher an seiner Präferenz für das Ordensleben keinen Zweifel. Dennoch hat er die von Geert Grote initiierte religiöse Bewegung nicht auf das Windesheimer Kapitel reduziert. Vielmehr gab er dem Begriff ‚Devotio moderna‘ erstmals bewußt jene umfassende Bedeutung, die noch heute geläufig ist, indem er damit sowohl den organisatorischen Aufbau 31 Hyma (wie Anm. 29), S. 29: Manifestum est […] quod consilia evangelica nullum certum
statum, sed solam disposicionem requirunt in observante, et sunt libere et universaliter tradita, et sicut voventibus sunt deinceps in precepto, ita non voventibus in consilio. Ebd. S. 22 f.: Status autem, large sumendo statum hominum, potest esse triplex. Sunt enim seculares seculariter et dissolute viventes. […] Sunt et religiosi et regulares, qui sicut vita et moribus ita et habitu debent differre a secularibus. […] Inter hos autem est status medius, illorum videlicet, qui etsi proprie non sunt religiosi, large tamen, quia pre ceteris ducunt vitam sancciorem, possunt dici religiosi, sicut vidue vel virgines in propriis domibus caste viventes, sicut confratres religiosorum et clerici seculares. 32 Elm (wie Anm. 2). Ähnlich Ders., Vita regularis sine regula. Bedeutung, Rechtsstellung und Selbstverständnis des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Semireligiosentums, in: František Šmahel (Hrsg.), Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter, (Schriften des Historischen Kollegs, 39), München 1998, S. 239–273.
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von geistlichen Institutionen und Verbänden wie auch das neuerwachte religiöse Bedürfnis und Engagement breiter Bevölkerungsschichten in seiner Zeit bezeichnete.33 Zur Erfolgsbilanz dieser Bewegung rechnete er daher, wie bereits zitiert, neben den Kanonikerstiften nicht nur die congregaciones devotae der Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben und die verwandten Tertiarenkonvente, sondern auch jene Laien in der Welt, die, von den Devoten bekehrt, ‚ein heiliges und sündenfreies Leben nach ihrer Anleitung zu führen bemüht sind, wenngleich sie wegen zahlreicher Hindernisse noch nicht sofort alle evangelischen Räte annehmen können‘.34 Mit der Einbeziehung dieser letzten Statusgruppe, der frommen Laien, die außerhalb geistlicher Gemeinschaften, aber in ihrem Einflußbereich leben und nur durch konkrete temporäre Umstände am Übertritt gehindert werden, erhält das hierarchische Organisationsmodell der Devotio moderna eine weitere Abstufung hin zur laikalen Welt. Maßgeblich für die Einordnung der Gruppe ist bezeichnenderweise auch hier der Grad der Identifikation mit den consilia evangelica. Für die innere Kohärenz der devoten Bewegung barg die Statusdifferenzierung jedoch schwerwiegende Probleme, da sie Rang- und Dignitätsunterschiede repräsentierte, die zu Konflikten führen mußten. Vor allem für die Brüder vom gemeinsamen Leben bedeutete ihre Herabsetzung gegenüber den Chorherren eine ständige Herausforderung, die entweder als Demutsübung angenommen, oder als Appell zur Statusänderung aufgefaßt werden konnte. Daher bemühte man sich zur Harmonisierung der Gegensätze schon frühzeitig um ein Konzept der Aufgabenteilung, das beiden Organisationsformen jeweils spezifische Funktionen zuwies und dem wechselseitigen Nutzen wie auch dem Interesse des Ganzen dienen sollte. Das Grundmuster dieses Konzepts wird bereits in den schwierigen Anfangsjahren der von Florens Radewijns geleiteten Brüdergemeinschaft zu Deventer entwickelt: Die Kanoniker sollten den rechtlichen und moralischen Schutz der Brüder vor Angriffen und Verdächtigungen gewährleisten, während diese unter der zahlreichen Schuljugend der Stadt nach Klosterkandidaten zu suchen hatten. Doch hat auch dieses Kooperationsmodell, das sich nach dem Vorbild von Deventer in der Brüderbewegung durchsetzte, die Spannungen nicht dauerhaft entschärft. Denn aufgrund ihrer Verpflichtung, möglichst wirkungsvoll für den durch Ansehen, Bildungsvoraussetzungen und Lebensstil deutlich privilegierten Kanonikerstand zu werben, wurden die Brüder 33 Vgl. Lesser (wie Anm. 3), S. 211 ff. 34 Wie oben Anm. 21. – Zur Stellung der Tertiarenkonvente in der Devotio moderna s. Koen
Goudriaan/Thom Mertens (Hrsg.), De derde orde van Franciscus in het bisdom Utrecht. Lezingen van het symposium op 8 oktober 1999 te Amersfoort, in: Ons Geestelijk Erf 74 (2000), S. 5–180; Hildebrand van Engen, De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht. Een bijdrage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie, Diss. Amsterdam 2006.
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unausgesetzt mit dem Statusunterschied und der eigenen Inferiorität konfrontiert, zumal sie ihre Existenz in diesem Zusammenhang nur als Negation einer Ordenskarriere definiert sahen: als diejenigen, ‚die durch gewisse Mängel des Körpers oder der Seele behindert nicht imstande waren, in ein Kloster einzutreten, oder von einer anderen Zielsetzung oder göttlicher Eingebung geleitet – denn verschieden sind die Gaben und Wege der Berufung – dies nicht konnten oder wollten‘.35 Verständlicherweise regte sich daher in vielen Brüdern der Wunsch, den Semireligiosenstand zu verlassen und sich um Aufnahme in einen Orden zu bemühen. Diese Tendenz drohte nicht nur den Personalbestand vieler Häuser zu dezimieren, sie konnte auch zum geschlossenen Statuswechsel ganzer Gemeinschaften führen. Bereits Florens Radewijns, der das Kloster Windesheim mit den Ressourcen seines Fraterhauses gegründet hatte und auch für die Kooperationsvereinbarung zwischen Brüdern und Kanonikern mitverantwortlich war, erkannte das sich abzeichnende Konkurrenzproblem und wies in einem Brief an den Windesheimer Prior Johannes Vos van Heusden darauf hin: ‚Ich sehe, daß viele dem Ordensleben zuneigen, aber nur wenige einer Brüdergemeinschaft. Und wenn auch manche sich zunächst für uns erwärmen und eine Zeitlang bei uns zufrieden verweilen, so könnt ihr sie doch später, wenn sie eure Muße und erhabene Lebensweise kennengelernt haben, leicht durch eure vielversprechenden Reden für euch begeistern. […] Seid nicht erregt, daß ich euch dies um Gottes willen schreibe; gern lasse ich mich durch euch und eure Brüder eines besseren belehren.‘36 Daß nur durch das einträchtige Zusammenwirken der unterschiedlichen Statusgruppen der epochale Bekehrungserfolg der Reform möglich geworden sei, zeigt Johannes Busch am Beispiel des Windesheimer Priors Johannes Vos van Heusden, der wie Christus ‚die ganze Welt retten wollte‘ und sich in diesem Anliegen solidarisch allen Devoten verbunden fühlte. Über sein unermüdliches Engagement für den gefährdeten Zusammenhalt der devoten Bewegung schreibt Busch: ‚Auch wenn wir Regularkanoniker in der streitenden Kirche einen höheren Rang innehaben als die Väter und Brüder der Devotengemeinschaften, so hat unser großer Vater Johannes Heusden sie uns doch oft sehr lobend empfohlen, indem er sagte, daß sie uns in wahrer Tugend, heiliger Lebensführung, Verhalten 35 C. van der Wansem, Het ontstaan en de geschiedenis der Broederschap van het Gemene
Leven tot 1400, Leuven 1958, S. 191: qui quibusdam corporis vel animae defectibus praepe diti religionem ingredi non valebant, aut certe alterius propositi aut aliter divinitus inspirati (nam diversa sunt dona et modi vocationum) religionem ingredi non valebant seu non intendebant. 36 Johannes Busch, Liber de viris illustribus (wie Anm. 17), cap. 15, S. 43.
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und Charakter vielfach im Reich Gottes vorangehen würden, weil sie ein wahrhaft apostolisches Leben führen, wie es in der Urkirche unter der Leitung des heiligen Geistes von allen Christen befolgt, aber von der Welt schon damals verachtet und geringgeschätzt wurde. Wir aber […] werden von der Welt geehrt, doch haben wir allen Grund zu fürchten, daß wir vor den Augen dessen, der das Innere beurteilt, ohne Nutzen und Tugend dastehen, während wir uns für heilig und vollkommen halten, weil wir in den Augen der Menschen ehrwürdig und erhaben erscheinen. […] Er pries jene aber nicht nur deshalb, weil sie in einfachem Gewand und niedrigem Stand ein heiliges Leben in Gemeinschaft, einfältigem Gehorsam und Reinheit des Herzens und des Leibes zu führen bemüht sind, von tiefer Frömmigkeit erfüllt und Gott wohlbekannt, wenn auch von den Menschen verachtet, sondern auch und besonders wegen ihres Eifers, alle reformierten Orden, ja die ganze Kirche täglich mit guten, für Klosterleben und Klosterzucht geeigneten Schülern und Erwachsenen zu versorgen. Denn mit ihren frommen Ermahnungen gelingt es ihnen auf wunderbare Weise, bei Schülern, die sie bei sich empfangen, oder Laien, die sie in Dienst nehmen, Weltverachtung und den Entschluß zu einem besseren Leben, Sehnsucht nach dem Klostereintritt, Selbstzucht, Gottesfurcht, Schauder vor der Hölle und Liebe zum himmlischen Vaterland zu wecken. […] Auf diese Weise sind nämlich alle unsere Klöster bekanntlich schon seit mehr als siebzig Jahren durch jene Väter in ihrem guten Zustand erhalten worden. […] Wie also die genannten Väter durch die Bereitstellung geeigneter gottesfürchtiger Personen das heilige Ordensleben in unseren Klöstern bewahren, so wollen wir als Gegenleistung ihre heilige und gottgefällige Lebensweise gegen die Angriffe bösartiger Menschen, vor allem von Seiten der nichtreformierten Mendikanten, entschieden verteidigen, damit sich so das Feuer der ursprünglichen Begeisterung in uns wechselweise neu entfache.‘37 Das Lob der Devotengemeinschaften aus dem Mund des Windesheimer Priors, das der Chronist Busch referiert und bekräftigend weiterführt, sollte zweifellos dazu dienen, den Zusammenhalt der Bewegung zu stärken und das Statusproblem zu entschärfen. Gemäß der christlichen Dialektik, daß die Hohen erniedrigt und die Niedrigen erhöht werden, machte es die Inferiorität der Semireligiosen, ihr Erdulden von Mißachtung und Anfeindung zu einem besonderen Vorzug, zum Zeichen authentischer Christusnachfolge. So überrascht es nicht, daß die Entkoppelung von Status und Verdienstlichkeit für das devote Semireligiosentum zu einem Topos seiner Selbstdefinition wurde: Man rühmte sich seiner Einfachheit und Armut und stellte das freiwillig befolgte propositum an Wert noch über das verpflichtende votum der Regularkanoniker. Doch schützte auch dieses ostentativ gepflegte Demutsideal die Brüderkonvente nicht vor den Verlockungen und Abwerbungsversuchen der klösterlichen Konkurrenz. 37 Ebd. cap. 16, S. 44 f.
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Keiner der Brüder vom gemeinsamen Leben hat wohl die Chancen und Risiken, das geistliche Potential und die gesellschaftliche Labilität des semireligiosen Standes intensiver wahrgenommen und reflektiert als Peter Dieburg, der Rektor und Chronist des Hildesheimer Fraterhauses.38 Die Schwierigkeiten, mit denen seine Gemeinschaft über Jahrzehnte zu kämpfen hatte, wirkten sich nicht zuletzt in einer starken Personalfluktuation aus, die ihrem Zusammenhalt und Solidaritätsgeist nicht zuträglich war. So rechtfertigt Dieburg seine Aufzeichnungen mit dem Anliegen, den Brüdern, von denen neben ihm nur ein einziger noch aus der Gründungsphase stammte, ein Bewußtsein von der Haustradition und ihren Werten zu vermitteln. Es sind dies im wesentlichen die charakteristischen Brüdertugenden Armut und Niedrigkeit (humilitas, paupertas, abjectio), Freiheit und Liebe als Grundlage der evangelischen Räte sowie das Festhalten am selbstgewählten propositum.39 Wie schon Gerhard Zerbolt beschreibt auch Dieburg das Fraterleben als via media zwischen Kloster und Welt, doch ist dieser Weg für ihn kein aus Mangel oder Behinderung aufgenötigter Kompromiß, sondern vielmehr die ‚Goldene Mitte‘, die via virtutis zwischen zwei entgegengesetzten Übeln: der unerfüllbaren Strenge des Ordenslebens (nimia religionum austeritas) und der Nichtigkeit der Weltleute (secularium vanitas).40 Diese pessimistische Polarisierung seines Weltbildes entspricht offenbar dem Gefühl einer doppelten Bedrohung seiner Gemeinschaft: Von den zahlreichen Brüdern, die er verlor, sind die einen zurück in die Welt, die anderen ins Kloster gegangen. Die heuchlerische Arroganz, mit der viele Religiosen die Abwerbung geeigneter Kandidaten betreiben, ist ihm Beweis für ihre Verworfenheit: Wenn sie ihre Opfer mit der Aussicht auf eine sicherere und höhere geistliche Existenz zum Übertritt verlocken, um ihnen Lasten aufzubürden, die sie selbst nicht zu tragen vermochten, so wollen sie sich den Trost verschaffen, Genossen in ihrer Ver-
38 Vgl. die Chronik des Hildesheimer Fraterhauses bei Richard Doebner (Hrsg.), Annalen
und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildesheim, (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 9), Hannover/Leipzig 1903. – S. dazu Gustav Boerner, Die Annalen und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens in Lüchtenhofe zu Hildesheim, Diss. Berlin, Fürstenwalde 1905; Werner Schültke, Die Brüder vom gemeinsamen Leben und Peter Dieburg (1420–1494), Diss. Rostock 1969; Uta Richter, Die Geschichtsschreibung der Brüder des gemeinsamen Lebens im Lüchtenhof in Hildesheim, in: Alt-Hildesheim 51 (1980), S. 29–38; Dies., Bernhard von Büderich und der Lüchtenhof in Hildesheim, ebd. 54 (1983), S. 11–22. 39 Doebner (wie Anm. 38), S. 152 f. 40 Ebd. S. 29: […] defecit quin ymmo derelictus est status medius, in quo ut dicitur consistit virtus. Perditus itaque quondam et nunc reinventus clericorum communis usus non esset utique impugnandus, set pocius defendendus maxime a clero, qui hac inter nimiam religionum austeritatem et secularium vanitatem via incedere posset media, non ex necessitate, set desiderio regni celestis aut perfectionis de sua bona voluntate.
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dammnis zu haben.41 Um ihren Exklusivitätsanspruch zu widerlegen, muß Dieburg die Standeskriterien, mit denen sie die einfachen Brüder zu beeindrucken pflegen, relativieren und entwerten: Ordensregel, Profeß und Gelübde. Es sind, so erklärt er, nur äußerliche Tugendattribute, ein feierlicher Apparat der Heiligkeit, der nichts über die wahre Qualität des Inhabers verrät und wie ein Werkzeug dem Benutzer je nach Art des Gebrauchs zum Guten oder zum Schlechten gereichen kann.42 Wer sich stolz auf Gesetz, Regel und Statuten beruft, mag sich hüten, daß er nicht nach dem Gesetz gerichtet wird, denn ‚nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die es erfüllen‘ (Rom. 2,13).43 Es habe einmal ein Religiose einen einfachen Bruder gefragt: ‚Wenn einst, wie geschrieben steht, jeder in seinem Orden auferweckt wird (unusquisque in suo ordine, 1. Cor. 15,23), wo werdet ihr dann sein, die ihr kein Gesetz habt, keinen Orden und keine Regel?‘ Und als jener stutzte, habe er gesagt: ‚Doch wohl dort, wo es keinen ordo gibt, sondern ewiges Grauen.‘ Gegen solche tückische Bosheit kann Dieburg sich auf das Evangelium, die regula Christi berufen: Ergo in Christiana religione viventes citra religiones sine ordine sunt? Et quis sine lege, sine ordine Christianus? Und er kommt zu dem Schluß: Einfacher Gehorsam, wie die Devoten ihn leisten gemäß ihrem propositum und ihren consuetudines, Selbsthingabe und die Bereitschaft zum Ausharren kommt vor Gott dem feierlichen Gelübde gleich, auch ohne Habit, Regel und Profeß.44 Mochten sie auch miteinander in spannungsvollem oder harmonischem Wettbewerb um Rang, Leistung und Verdienst konkurrieren, gemeinsam war allen Statusgruppen der devoten Bewegung die Abgrenzung von den ‚weltlich lebenden Weltleuten‘, den seculares seculariter viventes. Da man wie selbstverständlich saeculum mit Sünde identifizierte, bedeutete das den Devoten so wichtige Ideal 41 Ebd. S. 30: Sunt preterea et multi religiosi, ‹qui› cum aliquam ydoneam ex fratribus vide
rint personam, furtivis inductionibus, non apertis […] suadere non cessant, ut ascendendo, quemadmodum ipsi dicunt, locum deserat, monachum induat, si quonam modo ei imponere onus prevaleant, quod forte nec ipsimet et aliqui similes portare vix poterant [vgl. Act. 15, 10], set forte ut solacium sit miseris socium habere in penis. 42 Ebd. S. 156: Esse cappatum, esse solempniter professum, esse titulo sanctorum patrum insigni tum […] communius est, felicius est, securius est quam gerere vitam etsi sinceram tamen occultam et suspectam? […] Beatius ergo est, securius est insequi aut habere virtutem pietatis, quam sic ambire speciem tantum virtutis. Cappa non te facit monachum, set ostendit. Quid tibi proderit ostendi et non esse? Umbram persequeris tu, non subsistenciam. Quod hic esse non studes, timeo ne umquam alibi fias. Non enim tantopere pensanda sunt illa exteriora et apparatus solempnis sanctitatis, in quibus veluti mediis in utramque partem pro utencium qualitate declinandis et vertendis non principaliter, set instrumentaliter consistit virtus. Sepe autem contingit, ut instrumenta aut eciam medicamina uni conveniencia alteri reddantur inepta aut eciam nociva et periculosa, ymmo quod uni est vita, alii aliquando est mors. Noli ergo te ipsum decipere cito mutando locum. 43 Ebd. S. 157. 44 Ebd. S. 157 f.
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der puritas cordis in erster Linie peinlichste Vermeidung aller jener Gefahren, die der alltägliche gesellschaftliche Verkehr, das Erwerbs- und Familienleben der gewöhnlichen Menschen, unweigerlich, wie man glaubte, mit sich brachten. Die Heilschancen der Christen in der Welt wurden als überaus gering eingeschätzt, und ein genuines religiöses Ethos der auf Taufe und kirchliche Gnadenmittel beschränkten Laien stand gänzlich außer Betracht. So haben die devoten Gemeinschaften durch ihren elitären Leistungsanspruch in der laikalen Umwelt nicht nur Anhänger und Sympathisanten gewonnen, sondern häufiger noch heftige Ablehnung und Kritik provoziert. Welche Widerstände der als arrogant empfundene Heilsegoismus der Devoten bei selbstbewußten und weltbejahenden Bürgern auslösen konnte, veranschaulicht das fiktive Streitgespräch ‚Contra detractores monachorum‘, das der Rektor des Zwollenser Fraterhauses Dirc van Herxen zur Verteidigung der Ordensleute und Semireligiosen verfaßt hat.45 Die Schrift zitiert der Reihe nach alle jene Vorwürfe, Klagen und kritischen Fragen, die von weltlicher Seite gegen geistliche Personen und Gemeinschaften vorgebracht wurden, um sie dann ausführlich Schritt für Schritt zurückzuweisen und zu widerlegen. Mit ihrem Katalog antiklerikaler Gravamina spiegelt sie die für die städtische Gesellschaft des Spätmittelalters typischen Spannungen zwischen Kirche und Bürgertum, die sich durch den beispiellosen Erfolg der devoten Bewegung mit ihren zahlreichen Neugründungen geistlicher Häuser noch akut verschärft hatten. So beginnt die Auseinandersetzung mit der Klage: ‚Welchen Nutzen hat das Land davon, daß es so viele Mönche und Beginen gibt? Lieber wäre mir der Schutz, den ein tapferer Mann im Kriege bietet, als hundert Beginen. Wenn alle Menschen Mönche und Beginen würden, ginge die Welt zugrunde; wer sollte das Land verteidigen?‘46 Es ist jedoch nicht allein die Sorge um das allgemeine Wohl, was den weltlichen Kritiker erregt. Ein noch größeres Ärgernis bereitet ihm offenbar die Vorzugsstellung, die von den geistlichen Personen aufgrund ihrer vollkommeneren 45 Marcel Haverals, ‚Contra detractores monachorum‘ alias ‚De utilitate monachorum‘ van
Dirk van Herxen, in: Verbeke (wie Anm. 11), S. 241–294. – Vgl. Willem Lourdaux, Dirk of Herxen’s tract ‚De utilitate monachorum‘: A Defence of the Lifestyle of the Brethren and Sisters of the Common Life, in: R. Lievens u. a. (Hrsg.), Pascua mediaevalia. Studies voor J. M. de Smet, (Mediaevalia Lovaniensia, Ser. I, Studia 10), Leuven 1983, S. 312–336; Ders., De utilitate monachorum van Dirk van Herxen: Een verdediging van de Moderne Devoten tegenover de burgerlijke overheid, in: Ons Geestelijk Erf 59 (1985), S. 184–196; Klausmann (wie Anm. 1), S. 116 ff. – Zum Autor vgl. Moderne Devotie. Figuren en facetten, Ausstellungskatalog, Nijmegen 1984, S. 139–148; Lydeke van Beek, Leken trekken tot Gods woord. Dirc van Herxen (1381–1457) en zijn Eerste Collatieboek, (Middeleeuwse Studies en Bronnen, 120), Hilversum 2009. 46 Haverals (wie Anm. 45), S. 249: Quod multi monachi et begine existunt: qualis in hoc patrie profectus? Potius optarem presidium unius fortis viri in bello quam centum beginarum. Si omnes efficerentur monachi et begine, mundus periret: quis patriam defenderet?
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Lebensform in Kirche und Gesellschaft behauptet wird. Sie wirkt in doppelter Weise provozierend: Einerseits fühlt er seine eigene Existenzweise durch die absolute Hochschätzung der consilia evangelica von Armut, Keuschheit und Gehorsam herabgesetzt und entwertet, andererseits glaubt er bei den Vertretern dieses Ideals einen krassen Gegensatz von Anspruch und Wirklichkeit wahrzunehmen. Den Vorwurf der Heuchelei und einer nur äußerlich vorgespiegelten Frömmigkeit belegt er mit den Spruchweisheiten: ‚Heiligkeit ist nicht Sache der Kleidung, sondern des Herzens. Wenn nur das Herz gut ist, ist alles gut. Oft findet man Wölfe in Schafskleidern, weshalb unser Herr selbst uns ermahnt, acht zu geben und uns zu hüten vor jenen, die in Schafskleidern kommen, innerlich aber reißende Wölfe sind.‘47 Als Beweis dient ihm die Erfahrung, daß die Angehörigen des geistlichen Standes trotz des Armutsgebots habgierig sind, Reichtümer sammeln, Erbschaften einfordern und prächtige Bauten errichten. Grundsätzlicher ist sein Protest gegen die Überbewertung des geistlichen auf Kosten des weltlichen Standes und gegen die Verdächtigung des säkularen Lebensstils: ‚Soll man etwa nur diejenigen gute Menschen nennen, die so leben wie die Mönche und Beginen? Wir hoffen doch, daß es auch im weltlichen Stand viele gute Menschen gibt, die Freunde Gottes sind. […] Ist nicht die Ehe von Gott eingesetzt und geheiligt? […] Wenn wir alle jungfräulich blieben, müßte die Welt zugrunde gehen! […] Ihr klingt so, als ob allein die Mönche und Beginen Gottesdiener wären und wir, die Weltleute, Diener des Teufels.‘48 Was entgegnet nun der Vertreter des so attackierten status spiritualis auf die von ihm mit wünschenswerter Deutlichkeit wiedergegebenen Klagen? Er bleibt dem Angreifer einerseits nichts an Deutlichkeit schuldig und wirbt doch andererseits um Wohlwollen und die Bereitschaft zu friedlicher Koexistenz. In aller Härte hält er dem ‚geliebten Freund‘, wie er ihn nennt, vor, daß seine klugen weltlichen Reden Torheit sind vor Gott: O amice, hec et his similia dicere et sentire est prudencia secularis, que stulticia est apud Deum.49 Er führt zunächst aus, welchen unschätzbaren zeitlichen und ewigen Nutzen und Gewinn alle Menschen in Stadt und Land aus dem tugendhaften Leben, den Verdiensten und dem Gebet der Frommen erhielten und zu erwarten hätten. Doch dann konfrontiert er sein 47 Ebd. S. 253: In vestibus non consistit sanctitas, sed in corde. Dummodo cor bonum fuerit,
omnia bona erunt. Bene inveniuntur lupi in vestimentis ovium; unde ipse Dominus noster attendere et cavere nos ammonet ab hiis qui veniunt in vestimentis ovium, intrinsecus autem sunt lupi rapaces. 48 Ebd. S. 253, 263, 267 und 271 f.: Istine soli boni homines sunt dicendi, qui sic vivunt ut monachi et beghine? Nos speramus quod multi boni homines sunt eciam in seculari statu amici Dei existentes. […] Nonne matrimonium a Deo est institutum et consecratum? […] Si omnes maneremus virgines, mundus deberet perire. […] Adhuc videmini sonare, quasi soli Deo servirent monachi et beghine, et nos seculares homines dyabolo serviremus. 49 Ebd. S. 249.
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Gegenüber mit der unverrückbaren Standes- und Verdienstordnung der Kirche, wie sie auf göttlichem Gesetz und den consilia Christi beruht: ‚Alle guten christlichen Weltleute, die die Gebote Gottes im weltlichen Stand befolgen, müssen gleichwohl wissen und beachten, daß ihr Stand in der heiligen Kirche der allerniedrigste ist und daß sie im Diesseits an Rang und im Jenseits an Lohn bei weitem übertroffen werden von jenen, die nicht nur Gottes Gebote (mandata), sondern auch seine Empfehlungen (consilia) befolgen. […] Jene haben einen viel tapfereren, härteren und nützlicheren Kampf begonnen und üben sich täglich darin, denn sie kämpfen gegen das Fleisch, die Welt und den Teufel und werden daher verdienterweise vom äußeren Kampf und Kriegsdienst befreit. Ja, alle guten Weltleute sollten sie gern nach außen verteidigen und unterstützen und Gott überaus dankbar sein, daß sie solche Personen zu Hause zurücklassen und im Weltleben schützen und verteidigen können, die ihrerseits als Gegenleistung für sie bei Gott als Anwälte und Verteidiger eintreten. […] Denn jene haben den ersten Rang und einen höheren Stand in der Kirche Gottes, sie werden Bräute Christi und Engel auf Erden genannt, und sie erhalten einst im Himmelreich einen Vorzugsplatz.‘50 Schließlich wird der Laie über den Sinn der Fortpflanzung des Menschenge schlechts belehrt. Das jungfräuliche Leben in einer geistlichen Gemeinschaft ist ein so hohes Gut, daß man die einzige Rechtfertigung der Ehe in der Erzeugung von Nachwuchs für den geistlichen Stand sehen kann. Die Weltleute sollen also gern und bereitwillig ihre Kinder, die Neigung und Eignung dazu zeigen, für das Klosterleben hingeben und dürfen ihnen nicht das zustehende Erbe vorenthalten. Dagegen wird das Argument: ‚Wenn alle jungfräulich blieben, ginge die Welt zugrunde‘ ungerührt zurückgewiesen mit den Worten: ‚Wir sind nicht dazu da, die Fortdauer der Welt zu sichern. Das menschliche Leben auf der Welt wird vergehen, ob wir es wollen oder nicht, sobald […] die Zahl der Geretteten erfüllt ist, mit der die Engelchöre ergänzt werden sollen.‘51 Ebd. S. 259 ff.: Omnes preterea boni seculares christiani viri, qui mandata Dei in seculari statu observant, hoc nichilominus nosse et attendere debent, quod status eorum in sancta Ecclesia infimus est et quod eos longe precellunt hic in statu et postea in premio hii, qui non solum Dei mandata, sed eciam consilia adimplent. […] Isti quoque multo fortiorem, duriorem et utiliorem pugnam aggressi sunt, in qua se cotidie exercent, videlicet contra carnem, mundum et dyabolum decertare, propter quam pugnam merito a corporali certamine et bellis liberantur. Ymmo omnes boni seculares viri merito libenter deberent eos corporaliter defendere et supportare et Deo non modicum de hoc regraciari, quod tales homines domi relinquerent, quos apud seculum tutari et defendere possent, qui se vice versa apud Deum defenderent et pro ipsis advocati et defensores fierent. […] Tenent enim primum gradum et altiorem statum in Ecclesia Dei, dicuntur sponse Christi et angeli degentes in terris, et in futuro dabitur eis melior locus in regno Dei. 51 Ebd. S. 273: Non enim ideo in hac vita vivimus, ut mundum istum in propagacione et permanencia teneamus. Nam mundus, id est hominum vita, in hoc mundo peribit, velimus 50
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Mit seiner Apologie des geistlichen Gemeinschaftslebens hat Dirc van Herxen die Kluft zwischen Kloster und Welt, die zur Schicksalsfrage der spätmittelalterlichen Kirche werden sollte, mit aller Schärfe als geradezu heilsnotwendig sanktioniert. Gleichzeitig suchte er das konfliktträchtige Statusproblem in ganz ähnlicher Weise zu beheben, wie man es innerhalb der devoten Bewegung getan hatte: durch ein funktional differenziertes Kooperationsmodell, das den beteiligten Gruppen wechselseitigen Vorteil und Nutzen versprach. Fraglich ist allerdings, ob seine Ausführungen geeignet waren, ein gebildetes und wohlhabendes Bürgertum von der Notwendigkeit der Selbstdemütigung unter den geistlichen Stand zu überzeugen und sogar noch zur Dankbarkeit für eine Interzessionsleistung zu bewegen, die sich kaum bemessen ließ und jedenfalls nichts an der Zweitrangigkeit der Laien in dieser und jener Welt zu ändern vermochte. Ein erster Impuls zur Überwindung des Standes- und Verdienstdenkens in der spätmittelalterlichen Kirche und Gesellschaft ist bezeichnenderweise jedoch nicht aus dem Konflikt mit dem laikalen Umfeld der Devotio moderna hervorgegangen, sondern im Milieu der einer ähnlichen Konfliktsituation ausgesetzten Brüderbewegung entstanden. Die Anmaßung der Religiosen, die so tun, ‚als gehöre Gott allein ihnen und nicht auch den anderen‘, hatte Peter Dieburg mit kritischer Schärfe zurückgewiesen.52 Doch bestritt er damit keineswegs die Legitimität des Ordensstandes, sondern beschränkte sich auf den Nachweis, daß es ‚jenseits der Orden andere Lebensweisen und ‑wege zur Vollkommenheit gibt‘53 und daß die vota religiosorum nicht wertvoller sind als das propositum der Devoten. Einen entscheidenden Schritt darüber hinaus hat Dieburgs Zeit- und Standesgenosse Johann Pupper von Goch getan.54 Pupper gehörte, wie man erst seit nolimus, cum tempus a Deo prefinitum advenerit, hoc est cum consummatus fuerit numerus hominum salvandorum in hoc mundo, de quibus supplebuntur chori angelorum. Vgl. Augustinus, De bono coniugali 10, 10. 52 Doebner (wie Anm. 38), S. 154. 53 Ebd. S. 158. 54 Vgl. Otto Clemen, Johann Pupper von Goch, Leipzig 1896; R. R. Post, Johann Pupper van Goch, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 47 (1965/66), S. 71–97; Ders., Modern Devotion (wie Anm. 2), S. 469–476; Luise Abramowski, Die Lehre von Gesetz und Evangelium bei Johann Pupper von Goch im Rahmen seines nominalistischen Augustinismus, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 64 (1967), S. 83–98; David Steinmetz, Libertas Christiana. Studies in the Theology of John Pupper of Goch, in: Harvard Theological Review 65 (1972), S. 191–230; Harry McSorley, Thomas Aquinas, John Pupper von Goch, and Martin Luther: An Essay in Ecumenical Theology, in: John Deschner u. a. (Hrsg.), Our Common History as Christians. Essays in Honor of Albert C. Outler, New York 1975, S. 97–129; C. A. van Kalveen, Johan Pupper van Goch en de broeders des gemenen levens, in: Archief voor de Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 20 (1978), S. 103–113; P. J. N. Nissen, Johannes Pupper van Goch, in: Moderne Devotie. Figuren en facetten (wie Anm. 45), S. 339–343; Gustav Adolf Benrath, Pupper von Goch, in: Theologische Realenzyklopädie Bd. 28, Berlin/New York 1997, S. 6–89; Weiler (wie
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kurzem sicher weiß, dem Amersfoorter Fraterhaus an und war von 1451 bis 1454 unter schwierigsten Bedingungen Rektor der Brüder in Gouda.55 Armut und persönliche Spannungen in der Gemeinschaft erschwerten sein Wirken dort ebenso wie Konflikte mit der städtischen Bevölkerung. Zwar wird er in der Hauschronik als egregius predicator gerühmt, doch heißt es zugleich, daß er sich durch seine Kollationen unbeliebt machte und ‚fast den ganzen Klerus von Gouda gegen sich aufbrachte‘.56 Später wurde Pupper Rektor eines Tertiarinnenhauses in Sluis und gründete 1459 das Augustinerinnenkloster Thabor bei Mechelen, das er bis zu seinem Tode 1475 als Beichtvater betreute.57 Während von seiner geistlichen Laufbahn nur noch wenige dokumentarische Spuren faßbar sind, hat er sich mit seinen theologischen Schriften eine gewisse Berühmtheit erworben, seit sie in den Anfangsjahren der Reformation durch den Druck verbreitet und von Luther empfohlen wurden.58 Allerdings ist über der Diskussion, ob er zu den Wegbereitern des Reformators zu zählen sei, die durchgängige Stoßrichtung seines Werks, das seine Einheit begründende zentrale Anliegen lange Zeit nicht eigentlich wahrgenommen worden. Wenn ich recht sehe, dienen alle seine Schriften mit mehr oder weniger großem Aufwand einem einzigen Zweck: Er will zeigen, daß die Gelübde der Religiosen weder biblisch begründet noch verdienstlich oder hilfreich sind, sondern der lex Christi, dem Gesetz der Freiheit und der Liebe, widersprechen: ‚Nur der kann verdienstlich handeln, der frei ist und nicht in irgendeiner Weise gebun-
Anm. 2), S. 317 ff.; Van Engen (wie Anm. 2), S. 250–265; Staubach, Christiana perfectio (wie Anm. 22), S. 263–282. 55 Kalveen (wie Anm. 54). 56 A. H. L. Hensen (Hrsg.), Henric van Arnhem’s kronyk van het Fraterhuis te Gouda, in: Bijdragen en Mededeelingen van het Historisch Genootschap 20 (1899), S. 1–46, S. 26. 57 Vgl. Post, Johann Pupper (wie Anm. 54), S. 77 ff.; Monasticon Belge VIII: Province d’Anvers, Bd. 2, Lüttich 1993, S. 583 f. Als Todesdatum ist der 8. März 1475 überliefert; Post S. 82. 58 Die handschriftliche Überlieferung der Werke Puppers ist bei der ersten Drucklegung untergegangen, so daß sich nicht mehr feststellen läßt, inwieweit Auswahl und Gestalt der Texte vom reformatorischen Rezeptionsinteresse der Editoren beeinflußt sind. – Schriften Puppers: De libertate christiana, in: F. Pijper (Hrsg.), Geschriften van Joann. Pupper van Goch […], (Bibliotheca Reformatoria Neerlandica, 6), ’s-Gravenhage 1910, S. 41–255; Fragmenta, ebd. S. 280–316; Dialogus, in: Christian W. F. Walch (Hrsg.), Monimenta Medii Aevi I 4, Göttingen 1760, S. 73–239; Epistola apologetica, ebd. II 1, Göttingen 1761, S. 1–24, sowie in: Pijper (wie oben), S. 284–295 (danach hier zitiert). – Textauswahl: Gustav Adolf Benrath (Hrsg.), Reformtheologen des 15. Jahrhunderts, (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 7), Gütersloh 1968, S. 9–38. – Zur Rezeption Puppers durch Luther und seine Anhänger vgl. die Vorreden zu den Erstdrucken bei Clemen (wie Anm. 54), S. 255–263, sowie die Hinweise zur Druckgeschichte seiner Schriften ebd. S. 43–69.
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den.59 […] Auch wenn sich einer durch tausend vota zum Guten verpflichtete, erwirbt er durch die Verpflichtung selbst noch kein Verdienst, wenn er das Gute, zu dem er sich verpflichtet, nicht durch die Freiheit des Geistes vollbringt. […] Ist doch die lex evangelica das Gesetz der Liebe. Lieben aber kann man nur durch die Freiheit des Willens. Denn niemand kann zum Lieben gezwungen werden.‘60 Indem Pupper die evangelische Freiheit als Leitprinzip ethischen Handelns ernstnimmt, entzieht er dem Religiosentum die Grundlage seiner Privilegierung in der christlichen Gesellschaft, während der geringere Stand der Devoten, die sich stets programmatisch auf die lex Christi der libertas und caritas berufen hatten, unausgesprochen zum Hort des wahren Christentums avanciert. Deutlicher noch wird diese Umwertung, wenn Pupper nachweist, daß in der urkirchlichen vita communis nicht das votum, sondern das propositum die handlungsmotivierende Kategorie gewesen ist, und damit wohl auch an Geert Grotes proposita non vota erinnert.61 Eine neue und, wie er selbst zugibt, ungewohnte Konsequenz seiner Freiheits theologie ist es schließlich, daß er die Unterscheidung von praecepta und consilia, auf die sich der Vollkommenheitsanspruch der Religiosen stützte, aufhebt: Die evangelischen Räte sollen nicht einer geistlichen Leistungselite vorbehalten bleiben, sondern sind wie die Gebote jedem Christen als Bedingung zur Vollkommenheit aufgegeben.62 Damit wird anstelle der duplex evangelicae legis perfectio63 die aequalitas perfectionis et sanctitatis proklamiert.64 Auch dieses Programm einer ‚Gleichheit der Tugendchancen‘ ist zweifellos aus dem Modell der Devotengemeinschaften entwickelt, die allen Menschen die Annahme der consilia und die imitatio Christi ermöglichen wollten. Und doch mußte ‚Heiligkeit für alle‘ eine Utopie bleiben, solange man an der strengen, monastischen Auffassung von Armut, Keuschheit und Gehorsam festhielt. Das zumal für fromme Laien drängende und diskriminierende Problem einer standesbedingten Minderung ihrer geistlichen Verdienstmöglichkeiten und Heilsaussichten hat Pupper klar gesehen und mit programmatischer Schärfe formuliert:
59 Pupper, De libertate christiana III 8, Pijper (wie Anm. 58), S. 201: Nullus potest mereri nisi
qui est liber et non est aliunde obligatus.
60 Pupper, Epistola apologetica, Pijper (wie Anm. 58), S. 292 f.: Quamquam ergo per mille
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vota ad bonum se quis obligaverit, ex ipsa obligatione nihil meretur, nisi ipsum bonum ad quod se obligavit per libertatem spiritus operatur. […] Nec mirum, quia lex evangelica est lex amoris. Amare autem nemo potest nisi per voluntatis libertatem. Nemo enim ad amandum potest compelli. Pupper, De libertate christiana IV 1, Pijper (wie Anm. 58), S. 227 f. Vgl. oben bei Anm. 27. Pupper, De libertate christiana IV 10, Pijper (wie Anm. 58), S. 247 ff. Ebd. IV 11, S. 251. Ebd. I 7, S. 55.
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‚Wie kann in einem jeden Stand der christlichen Religion der höchste Lohn der ewigen Seligkeit verdient werden, wo doch nicht in jedem Stand der höchste Akt der christlichen Religion geleistet werden kann, wie z. B. im Ehestand die jungfräuliche Keuschheit mit den ehelichen Pflichten unvereinbar ist?‘65 Als Lösung des Dilemmas führt er aus, daß die Vollkommenheit (summa perfectio sanctitatis) in der Angleichung des menschlichen an den göttlichen Willen besteht, bei der die innere Vorbereitung (interior affectus praeparatio) das entscheidende Element gegenüber dem äußeren Vollzug (actus exterior exhibitio) darstellt. Wenn dieser daher wegen äußerer Hindernisse unterbleiben müsse, so schmälere das die Vollkommenheit nicht: Gott nimmt, so könnte man sagen, den Willen für die Tat.66 Der intentionalen und der faktischen Erfüllung der consilia wird damit ein vergleichbarer Wert zuerkannt. Seine gesinnungsethische Relativierung der asketischen Räte verdeutlicht Pupper am Beispiel des Armutsideals, indem er es als Überwindung der Besitzgier (abdicatio proprietarii amoris) auffaßt.67 Die drei consilia zu bürgerlichen Tugenden umzudeuten – zu ehelicher 65 Pupper, Dialogus cap. 21, Walch (wie Anm. 58), I 4, S. 222 f.: Qualiter […] potest in omni
statu christianae religionis summum praemium aeternae beatitudinis mereri, cum in omni statu non possit summus actus christianae religionis exerceri, sicut in matrimonio non potest castitas virginalis secundum exigentiam matrimonialem observari? Vgl. ebd. cap. 19, S. 192: In omni statu christianae religionis potest summum aeternae beatitudinis praemium mereri, quamvis in omni statu christianae religionis non possit summus actus evangelicae perfectionis exerceri. 66 Ebd. cap. 21, S. 223 f. Vgl. ebd. cap. 4, S. 86: Unde fit, ut ubi exeundi in opus externum facultas suppetit, ibi sola voluntas charitate informata quantum ad perfectam bonitatem christianae vitae non sufficit. Si vero deest facultas in opus externum exeundi, tunc sola voluntas charitate informata pro facto reputari debet. Vgl. Pupper, De libertate christiana III 13, Pijper (wie Anm. 58), S. 224: Si vero facultatem et oportunitatem bona operandi non habuerit, sufficit bona voluntas, dummodo ex parte voluntatis nihil deest quin exiret in actum si posset. 67 Pupper, Dialogus cap. 22, S. 227. Vgl. auch cap. 21, S. 215 ff.: Qui vero sub affluentia rerum temporalium voluntatis affectum liberum reservat, illi utique temporalia nullum detrimentum in perfectione vitae faciunt. […] Omnis enim perfectio sanctitatis consistit in libertate divini amoris. Et ideo nihil ad perfectionem proficit exterior exhibitio operis, nisi exteriori operi correspondeat interior dispositio mentis. […] Dives huius seculi ille dicitur, qui affectu habendi abundans rebus transitoriis per affectum cupiditatis totus immergitur et habitis rebus amore possidendi totus illaqueatur. […] Dives evangelicus ille dicitur, qui affectu cupiditatis a rebus transitoriis absolutus, toto voluntatis affectu ad Deum erigitur et in libertatem divini amoris totus resolvitur. – Ebd. cap. 19, S. 192: […] nihil vel proprio vel communiter habere, ut faciunt Fratres Minores, non est summa perfectio christianae religionis. Sed nihil velle habere et affectum voluntatis liberum et absolutum ab omni creatura, quae est bonum particulare, reservare et in Deo habere resolutum, quod est bonum universale, est summa perfectio christianae religionis. – Puppers Ansatz zu einer Spiritualisierung des Armutsgebots war allerdings nicht so originell, wie er glauben macht. Denn ganz ähnlich hatten in Anlehnung an Augustinus bereits Thomas von Aquin und Johannes Gerson argumentiert, um den Vorrang der Prälaten gegen den Vollkommenheitsanspruch der Mendikanten zu verteidigen; vgl. Staubach, Christiana perfectio (wie Anm. 22), S. 236, 244 und 267 f.
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Treue, Mildtätigkeit und Gehorsam gegen Eltern, Erzieher und Obrigkeit – blieb den Reformatoren vorbehalten, wie etwa Melanchthons Brief ‚De tribus votis ad Carthusianum quendam‘ aus dem Jahre 1520 zeigt. Jetzt war es nicht mehr die vita communis der Semireligiosen, die im Vergleich der Lebensformen gegen das Kloster ausgespielt wurde, sondern die vita communis der ‚gewöhnlichen Christen‘, der Christen schlechthin: ‚Wir wollen die Lebensformen untereinander vergleichen und vor allem darauf sehen, worin sich die vita monastica von der vita communis unterscheidet.‘68 Wenn die Devotio moderna einen Theologen hervor gebracht hat, auf den die Reformatoren sich zurecht berufen konnten, dann war das nicht Gerhard Zerbolt von Zutphen sondern Johannes Pupper von Goch. Im Rückblick ist man versucht, die Devotio moderna trotz ihres epochalen Erfolgs als die Geschichte eines historischen Versäumnisses, einer tragischen Fehlentwicklung zu betrachten. Indem sie ihren innovativen Anspruch auf eine umfassende, die kirchlichen Standesgrenzen transzendierende religiöse Erneuerung der christlichen Gesellschaft immer mehr den Interessen der Selbstorganisation als asketische Leistungselite unterordnete, reihte sie sich in die zahlreichen Ordensreform-Bewegungen des Spätmittelalters ein, die in der Wiederherstellung klösterlicher Observanz ihr vorrangiges Ziel sahen. Zum Selbstverständnis und religiösen Weltbild der Klosterreformer gehörte es aber, die profane Lebenssphäre mit ihren vermeintlich heilsbedrohenden Versuchungen und Gefahren mehr denn je abzuwerten und auszugrenzen. Zwar hielt die Kirche gerade auch für die ‚einfachen Christen‘ eine Reihe von Frömmigkeitsübungen und Heilsangeboten bereit, die ihrer besonderen Gefährdung und Schwäche Rechnung tragen sollten und sozusagen zur äußerlichen Anwendung bestimmt waren: Ablaß, Wallfahrt, Heiligen- und Bilderkult, Gnadenwunder, Bittprozessionen, Benediktionen und Sakramentalien. Aber ein dem ‚Engelleben‘ der Religiosen gleichwertiger status perfectionis wurde den Laien nicht zuerkannt. Daher konnten auch die Chancen einer ‚nahen Gnade‘ gebildete und selbstbewußte Bürger kaum darüber hinweg täuschen, daß sie Christen zweiter Klasse waren.69 Um ihre Gleichstellung zu er68 Philipp Melanchthon, Epistolarum liber II Nr. 77, in: Karl Gottlieb Bretschneider
(Hrsg.), Philippi Melanthonis opera quae supersunt omnia, Bd. 1, Halle/S. 1834, Sp. 191– 200; s. insbes. Sp. 194 f.: Conferenda sunt inter se vivendi genera, ac omnium primum quid intersit inter monasticam et communem vitam spectandum est. […] Nec putes me conferre cum vulgari luxu castitatem, sed cum coniugio coelibatum. Nam vulgatam illam libidinem et nos abominamur. Ebd. Sp. 200: Ipsum per sese coelibatum ita probo, ut non patiar praeferri matrimonio. Rectius nos pauperes sumus, quotquot nostra cum egenis communia habemus. Par est obedientiae laus apud nos, qui parentibus, qui bonis praeceptoribus ac magistratibus obtemperamus. […] De me nihil dico […] verum de toto nostro genere loquor, non minus Christiane vivi posse extra monasteria quam apud vos. 69 Vgl. Nikolaus Staubach, Cusani laudes. Nikolaus von Kues und die Devotio moderna im spätmittelalterlichen Reformdiskurs, in: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), S. 259–337; Berndt Hamm, Die „nahe Gnade“ – innovative Züge der spätmittelalterlichen
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reichen, war es nötig, die institutionelle Differenzierung christlicher Lebenspraxis grundsätzlich zu delegitimieren und aufzuheben zugunsten einer vita communis aller Gläubigen.70
Theologie und Frömmigkeit, in: Jan A. Aertsen/Martin Pickavé (Hrsg.), „Herbst des Mittelalters“? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts, (Miscellanea Mediaevalia, 31), Berlin/New York 2004, S. 541–557; Ders., Die Nähe des Heiligen im ausgehenden Mittelalter: Ars moriendi, Totenmemoria, Gregorsmesse, in: Berndt Hamm/Klaus Herbers/Heidrun Stein-Kecks (Hrsg.), Sakralität zwischen Antike und Neuzeit, (Beiträge zur Hagiographie, 6), Stuttgart 2007, S. 185–221. 70 Auch die Mönchskritik des Erasmus zielte in diese Richtung; vgl. Nikolaus Staubach, Christianam sectam arripe. Devotio moderna und Humanismus zwischen Zirkelbildung und gesellschaftlicher Integration, in: Klaus Garber/Heinz Wismann (Hrsg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, 2 Bde., Tübingen 1996, Bd. 1, S. 112–167, S. 149 ff.
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1. Prolegomena Die Überlieferung der Werke des in Zutphen geborenen Johannes Brinckerinck (1359–1419)1, der dem Begründer der Frömmigkeitsbewegung der Devotio mo derna Geert Groote sehr nahe stand und ihn von 1380–1384 auf seinen Predigtfahrten begleitete, kann als prototypisch für eine Distribution von Schriften im Sprachraum von der IJssel bis Ostwestfalen gelten. Nach dem heutigen Erkenntnisstand hielt Johannes Brinckerinck regelmäßig Kollationen, nicht-liturgische ermahnende Predigten, für die Schwestern des „Meester Geertshuis“ in Deventer und für die Schwestern in Diepenveen.2 Über die von Brinckerinck für die 1
Brinckerinck, in Zutphen geboren und in Deventer gestorben, wurde 1392 Rektor des 1374 von Geert Groote gegründeten „Meester-Geertshuis“ in Deventer und war bis zum Tod Geert Grootes (1384) dessen wichtigster Begleiter (siehe J. J. Mak/J. Reynaert, Brinckerinck, Johannes, in: G. J. van Bork/P. J. Verkruijsse (Hrsg.), De Nederlandse en Vlaamse auteurs van middeleeuwen tot heden met inbegrip van de Friese auteurs, Weesp 1985, S. 107–108; Johannes Madey, Johannes Brinckerinck, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 16 (1999), S. 822–823; Über die verschiedenen Lebensbeschreibungen zu Johannes Brinckerinck siehe Katrien Heene, Hagiografisch herschrijven in de vijftiende eeuw. De casus Johannes Brinckerinck († 1419), in: Ons geestelijk erf 79 (2008), S. 252– 284). Um 1400 gründete Brinckerinck vier weitere Schwestern-Häuser in Deventer, welche die Namen Brandes, Kerstenens, Buusken und Lamme van Dyese trugen. Das Kloster Diepenveen in der Nähe von Deventer, das Brinckerinck 1400 gründete und welches 1412 der Windesheimer Kongregation beitrat, avancierte zum wichtigsten Haus der Bewegung: siehe Wilhelmus J. Kühler, Johannes Brinckerinck en zijn klooster te Diepenveen, Rotterdam 1908, S. 37 (online, wie auch viele der im Folgenden genannten Werke, unter dbnl.nl [digitale bibliotheek voor de Nederlandse letteren]); R. R. Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968, S. 266; siehe auch Wybren F. Scheepsma, „For hereby I hope to rouse some to piety“. Books of Sisters from Convents and Sister-Houses Associated with the Devotio Moderna in the Low Countries, in: Leslie Smith/Jane H. M. Taylor (Hrsg.), Women, the Book and the Godly. Selected proceedings of the St Hilda’s conference, 1993, Cambridge 1995, S. 27–40; Florence W. J. Koorn, Ongebonden vrouwen. Overeenkomsten en verschillen tussen begijnen en zusters van des Gemenen Levens, in: Ons Geestelijk Erf 59 (1985), S. 393–402. 2 Thom Mertens, Postuum auteurschap. De collaties van Johannes Brinckerinck, in: A. J. Hendrikman u. a. (Hrsg.),Windesheim 1395–1995. Kloosters, teksten, invloeden, Nijmegen
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Erstschrift seiner Kollationen verwendete Sprache nimmt man an: „B. sprach zweifellos die ostndl. Mundart. Die erste Redaktion seiner Kollationen war, wie wir annehmen dürfen, in derselben Mundart abgefaßt. Dies erklärt u. a. die Tatsache, dass es von einem großen Teil seiner Werke eine mnd. Version gibt; der Unterschied zwischen dem östl Mndl. und dem westlichen Mnd. war gering“.3 Von Brinckerinck sind neun Kollationen erhalten geblieben, deren Überlieferung nach Mertens in zwei Redaktionen aufzuteilen ist, die er M- und P-Redaktion nennt. Die M-Redaktion, aus neun Kollationen bestehend, ist in sechs Handschriften aus verschiedenen Gebieten des niederländischen Sprachraums und einer deutschen Handschrift (Hs. Berlin, siehe Abb. 1) erhalten.4 Hs. der M-Redaktion Den Haag, KB,5 73 G 24 (zerstört) Gent, UB, 1764 Berlin, SBPK, mgq 525 Halle, ULB, Franckesche Stift. P 4 Den Haag, KB, 133 F 21 Nijmegen, UB, 188 Brussel, KB, 11151–55
Datierung ca. 1350–1450 15. Jh. 15. Jh. ca. 1450 Ende 15. Jh. Ende 15. Jh. 1521
Provenienz Weesp, Tertiarinnen St. Johannes Schagen, Tertiarinnen St. Catharina unbekannt unbekannt nordöstl. Niederlande Arnhem, St. Agnieten Amsterdam, St. Clarissen
Abbildung 1 zeigt das Ende der Kollationen in der Berliner Handschrift, die in einem mittelniederdeutschen Dialekt geschrieben wurde: der Lautstand der Konsonanten in der Berliner Handschrift, die Konjunktionen unde, ofte und wu sowie die Pronomen he und unsen, lassen auf eine westfälische Umschrift schließen.6
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1996, S. 85–97, hier S. 85. Nach Mertens wurden die Kollationen an jedem Sonn- und Feiertag zweimal, jeweils mittags und abends nach den Mahlzeiten, vorgetragen. Cebus C. de Bruin, Brinckerinck, Johannes, in: Wolfgang Stammler, Karl Langosch, Kurt Ruh (Hrsg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 1 (1978), Sp. 1037– 1038. Editionen der M-Kollationen bei: Willem Moll, Acht collatien van Johannes Brinckerinck. Eene bijdrage tot de kennis van den kanselarbeid der broeders van het gemeene leven, uit handschriften der vijftiende en zestiende eeuw, in: Kerkhistorisch archief 4 (1866), S. 98–167; Willem de Vreese: ‚Van swighen‘. Eene collatie van Jan Brinckerinck, in: Het Belfort 13 (1898), S. 231–235; Mathias Goossens, Een onbekende collatie van Jan Brinckerinck, in: Archief voor de geschiedenis van het aartsbisdom Utrecht 72 (1953), S. 184–190. Über die ungerechtfertigte Zuschreibung weiterer Kollationen mit Brinckerinck als Autor siehe Mertens (wie Anm. 2), S. 90 f. Ob es sich tatsächlich um verschiedene Redaktionen oder sogar verschiedene Versionen der Kollationen handelt, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen. Ein Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen findet sich am Ende dieses Artikels. Autopsie der Handschrift Berlin, SBPK, mgq 525.
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Von der IJssel bis Ostwestfalen: ein Kulturgebiet? Sinte Bernaert seit tot synen broederen: Dat is daer myn siel van doerghesteken wort, dat onser sommich hem gheven tot boerten ende tot lichtveerdicheit ende tot ydele woerden, recht of wi vri ende seker waren ende niet beanxt en dorsten wesen, onder so veel stricken ende pilen des viants, daer wi daghelix mede ombeleghen syn Ende dit is een teiken dat wi den viant alrede overghelevert syn ende dat wi dat niet en bekennen; of worden wi noch onthouden dat wi den ghenen herde ondanckbaer syn die ons noch behoet in alsoe veel stricken ende hoe groete perikel is in desen beiden dat is genoeg openbaer (Hs. Brussel, KB, 11151–11155, fol. 183v)7
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Sante Bernhardus secht to synen broderen Dyt is dar myne seile van doer ghesteken weert. Dat unser somyghe em zeer gheven to lijchtverdicheit unde to boerden unde to ydelen woerden recht ofte wij vrij unde seker weren unde nycht beanxtet en droften wesen under also veele strijcken unde pijlen des vyandes. Dat wy dagelijkes mede ome beleghen syn Unde is en teiken dat wij den vijanden over ghelevert synt alrede unde dat wy dat nycht en bekenken ofte werde wy noch untholden. dat wy dan den ghenen harde undancbaer synt de uns noch behoedet in also vele strycken. Unde wu groet perikel is in dessen beiden dat is ghenoech apenbaer (Hs. Berlin, SBPK, mgq 525, fol. 64r)
Bei einem Vergleich der beiden Handschriften fällt die wörtliche nahezu buchstäbliche Übereinstimmung auf. Der Schreiber der Berliner Handschrift scheint bei seiner Übersetzung seiner niederländischen Vorlage7 so nahe wie möglich gefolgt zu haben. Die Überlieferung dieser M-Kollationen des Johannes Brinckerinck, wie auch der P-Kollationen, die am Ende dieses Beitrags zur Sprache kommen werden, können für eine Betrachtung von literarischen Werken im Kulturgebiet von der IJssel bis nach Ostwestfalen, das heute nationale Grenzen überschreitet, als wegweisend gelten. Europäische Geschichte, europäische Ideen, Religionen und Literaturen in nicht-nationalen Zusammenhängen zu denken9, ist trotz der seit Jahrzehnten geforderten Interdisziplinarität und Zusammenarbeit, in einem sich neu findenden Europa besonders bedeutsam, ebenso wie eine Grundhaltung, sich an den 7 8 9
Aufgrund des Entstehungszeitraums kann die Brüsseler Handschrift nicht die direkte Vorlage für die Berliner Handschrift gewesen sein, sie kann aber dennoch als Repräsentant für die niederländische Version gelten. Auch wenn die Brüsseler Handschrift in Amsterdam entstanden ist, zeigt der Vergleich zwischen ihr und der Berliner Handschrift die große Übereinstimmung offenkundig. Erinnert sei an das Veldeke-Problem, bei dem lange Zeit anachronistisch Argumente für einen niederländischen und einen deutschen Ursprung seiner Dichtungen ausgetauscht wurden. Heinrics van Veldeke Dichtungen werden, schaut man sich die Arbeitsgebiete der nationalen Wissenschaften an, noch immer vorwiegend orientiert an den Sprachen der Überlieferungszeugen untersucht, d. h. der Eneasroman von der Germanistik, die Servatiuslegende von der Niederlandistik. Die Erforschung des dietschen Sprachraums wurde vor allem seit den 1930er Jahren unter völkisch-ideolgischen Voraussetzungen betrieben – daher wird der Ausdruck dietsch in der Forschung bis heute vermieden.
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im Mittelalter bestehenden volkssprachlichen Transfer im kontinentalwestgermanischen Raum zu erinnern. Das gilt besonders für die gegenwärtigen deutschniederländischen und auch deutsch-belgischen Grenzen, und hier vor allem für die zu wenig beachteten heutigen Grenzregionen, die in den heutigen Nationalphilologien, der Germanistik und Niederlandistik, zu den peripheren Rändern des jeweiligen Literaturgebietes gehören. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten mehren sich wieder Fragestellungen, die die literarischen Werke – damit sind schriftlich erhaltene Zeugnisse jeden Genres gemeint – von der Nordsee bis in den Osten und Süden des deutschen Sprachraums nationengrenzenübergreifend in den Blick nehmen.10 Genannt sei Helmut Tervoorens Van der Masen tot op den Rijn, das die mittelalterliche Literaturproduktion im Raum von Rhein und Maas untersucht und somit für die heutige Fragestellung wichtige Impulse liefert.11 Ein seit 2009 durchgeführtes Projekt mit dem Titel Mobility of Ideas and T ransmission of Texts (MITT). Vernacular Literature and Learning in the Rhineland and the Low Countries der Universitäten Leiden, Freiburg und Oxford widmet sich der volkssprachigen Verbreitung von religiösen und philosophischen Ideen in den „nideren“ Landen und im unteren Rheingebiet und von ca. 1300 bis 1500.12 In einem 2011 erschienenen Sonderband der Zeitschrift für deutsche Philologie wird die niederländische Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts vorgestellt, um den Dialog zwischen der Altgermanistik und der Medioniederlandistik zu fördern.13 Dieser Beitrag ist ausgerichtet auf eine grundsätzlich erneuernde Darstellung der Verbreitung von Schriften im niederländisch-deutschen Gebiet, welche die niederländische und deutsche Überlieferung eines Werkes gleichrangig berücksichtigt. Ein wichtiger Neuansatz ist, einhergehend mit dem „spatial turn“ in den historischen Wissenschaften, ein kritisches „Re-mapping“, bei dem die Verräum10 Einige Untersuchungen, wie das an der Universität Münster unter der Leitung von Prof.
Dr. Nikolaus Staubach durchgeführte Projekt „Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna“ (1991–1999), widmeten sich der Buchkultur der Devotio moderna grenzübergreifend, wählten aber vorwiegend die lateinische Buchproduktion als Untersuchungsgegenstand oder thematisierten die Unterschiede in verschiedenen volkssprachigen Fassungen weniger vor dem Hintergrund der räumlichen Verbreitung. 11 Helmut Tervooren, unter Mitarbeit von Carola Kirschner und Johannes Spicker, Van der Masen tot op den Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006. Das Buch enthält leider zahlreiche Fehler und präsentiert zum Teil überholte Forschungsergebnisse (siehe u. a. die Rezensionen von Friedel Helga Roolfs, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 71 (2007), S. 296–300; Rita Schlusemann, in: ZfdA 137 (2008), S. 515–520). 12 Siehe die Webseite der Projektpräsentation unter: http://www.hum.leiden.edu/pallas-icd/ research/mitt/news/mittintroduction.html. 13 Bernd Bastert/Helmut Tervooren/Frank Willaert (Hrsg.), Dialog mit den Nachbarn. Mittelniederländische Literatur zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert. (= Sonderheft zu Band 130 der Zeitschrift für deutsche Philologie), Berlin 2011.
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lichung schriftsprachlicher Überlieferung in den Blick genommen wird. Dieses wird im Besonderen bei der Distribution der Texte und Bücher der Devotio moderna als „supranationaler“ Textgemeinschaft augenfällig. Diese wird betrachtet als eine Gruppe, deren „Bindung und Abgrenzung im wesentlichen durch die produktive und rezeptive Teilhabe an einem gemeinsamen Text- und Überlieferungscorpus konstituiert wird“.14 Die herausragende Leistung der am Ende des 14. Jahrhunderts von Geert Groote in Deventer gegründeten Bewegung Devotio moderna besteht in der umfangreichen Handschriftenproduktion auf Latein und in der Volkssprache sowie der damit verbundenen Literaturversorgung pro pretio sowie für die eigenen Gemeinschaften und die eigenen Bibliotheken mit geistlicher Literatur.15 Die Verbreitung der reformerischen Ideen der im IJsselgebiet entstandenen Devotio moderna wird durch die enge Vernetzung sowie durch Übereinstimmungen in den Lektürelisten und Beständen der bisher rekonstruierten Bibliotheken wie Böddeken (südlich von Paderborn) offenkundig.16 Um die Distribution der Werke der Devotio moderna im Raum näher bestimmen zu können, werden im folgenden Abschnitt zeitgenössische Bezeichnungen sowie sprachgeschichtliche Charakteristika dieses Gebietes als Ausgangspunkt gewählt. Der dritte Abschnitt bietet für das Gebiet von der IJssel bis nach Ostwestfalen einen groben Überblick über die Verbreitung von repräsentativen Werken, die zum Textcorpus der Devotio moderna zählen. In einem vierten und fünften Abschnitt verdeutlichen zwei Beispiele der Verbreitung volkssprachlicher Schriftlichkeit die Vorteile einer – aus heutiger Sicht – metanationalen Betrachtung.
2. Zeitgenössische Bezeichnungen des Gebietes von der IJssel bis nach Ostwestfalen Die große politische Verbundenheit im Gebiet von der IJssel bis Ostwestfalen sei beispielhaft durch ein Ereignis belegt: während der Soester Fehde organisierte das Städtedreieck Deventer, Wesel und Soest einen Handelsboykott, so dass letztendlich die Belagerung Soests durch Erzbischof Dietrich von Köln (1414–1463) 14 Nikolaus Staubach, Die Devotio moderna als Textgemeinschaft, in: Angelika Lehmann-
Benz u. a. (Hrsg.), Schnittpunkte. Deutsch-niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 5), Münster u. a. 2003, S. 19–40, hier S. 22. 15 Bertram Lesser, Kaufen, Kopieren, Schenken. Wege der Bücherverbreitung in den monastischen Reformbewegungen des Spätmittelalters, in: Patrizia Carmassi und Eva Schlot heuber (Hrsg.), Schriftlichkeit und Kulturtransfer im norddeutschen Raum (im Druck). 16 Thomas Kock, Die Buchkultur der Devotio moderna. Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels, (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters, 2), Frankfurt a. M. 1999.
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abgebrochen wurde.17 Für die Textgemeinschaft Devotio moderna im späten Mittelalter, d. h. ab etwa 1400 bis in die 60er Jahre des 15. Jahrhunderts, bildete die territoriale Binnengliederung nach der Niederlage der Kölner Bischöfe (Schlacht bei Worringen 1288) eine große Rolle, die bekanntlich zur Ausbildung vieler kleiner Territorien führte.18 Eine Einteilung des Reiches in größere, mehrere Landesherrschaften umfassende, territoriale Einheiten nahm Kaiser Maximilian auf den Reichstagen in Augsburg (1500) und Trier (1512) vor. Das Reich wurde in zehn Reichskreise unterteilt, die in dem 1532 bei Heinrich Steiner in Augsburg erschienenen Druck Hernach volgend die Zehen Krayß, wie vnd auff welliche art die inn das gantz Reych außgethaylt, vnd im 1532. jar Röm. Kay. Maye. hilff wider den Türcken zu geschickt haben … Auch welliche Ständ in yeden Krayß gehörend nach altem herkom[m]en aufgelistet wurden, wobei die zum niderlendisch-westvelisch[en] Kreis (B3v-B4v) enthaltenen Angaben für eine Abgrenzung des zu erforschenden Raumes besonders geeeignet sind.19 Zu diesem als Niderlendisch unnd Westvelisch (siehe Abb. 2) bezeichneten Kreis gehören als geistliche Fürstentümer die Hochstifte Paderborn, Lüttich, Utrecht, Münster, Cambrai, Osnabrück, Verden und Minden, als Reichs prälaturen die Abteien Corvey, Kornelismünster, Stablo-Malmedy und Werden sowie die Frauenstifte in Essen, Herford und Thorn. Dazu werden gerechnet die weltlichen Fürstentümer Jülich und Berg sowie Kleve,20 Geldern, Minden, Ostfriesland, Verden, Moers und Nassau-Dillenburg, die Reichsgrafschaften (u. a. Bentheim, Diepholz, Moers) und die Städte (u. a. Köln, Dortmund, Wesel). Nicht nur in politischer Hinsicht, auch in den sprachlichen Bezeichnungen spiegelt sich ein Bewusstsein der Verbundenheit. Dieser Raum war im Mittelalter durch ein Schreibsprachenkontinuum der Volkssprachen gekennzeichnet.21 Man kann zwischen Utrecht und Ostwestfalen von einem breiten gestaffelten ostnie17 Heinz-Dieter Heimann, Die niederländisch-westfälische Nachbarschaft im späten Mittel-
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alter. Politische Distanz versus Wirtschaftsverbund und kulturelle Dynamik, in: Jos. M. M. Hermans und Robert Peters (Hrsg.), Humanistische Buchkultur. Deutsch-Niederländische Kontakte im Spätmittelalter (1450–1520), Münster 1997, S. 19–36. Mit dem Zusammenschluss von Kleve, Mark und Berg (1511 und 1521) sowie mit Geldern (1538) entstand ein Territorium von beträchtlicher Größe. Um einer weiteren Machtkonzentration vorzubeugen, gliederte Karl V. 1543 Geldern in den Burgundischen Kreis ein. Die weitgehend rechtliche und politische Unabhängigkeit des Burgundischen Kreises vom Reich wurde 1548 im Vertrag von Augsburg besiegelt (siehe Heinz Eickmans: Aspekte einer niederrheinischen Sprachgeschichte, in: Werner Besch u. a. (Hrsg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Bd. 2. Berlin/New York 2000, S. 2630–2638, hier S. 2631). Signatur: VD 16 Z 230; Volltextdigitalisierung über die Webseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft (http://dfg-viewer.de). 1521 vereint als das Herzogtum Kleve-Jülich-Berg. Eickmans (wie Anm. 18), S. 2633.
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derländisch-niederrheinisch-westfälischen Gebiet sprechen, einem „Kontinuum miteinander verwandter regionaler Schreibsprachen“,22 was einen „Sprachsystemgegensatz fragwürdig macht“.23 Von den Zeitgenossen wurde die Volkssprache in Nordholland, Utrecht, Gelderland und im Maasland als duuts und diutesch bezeichnet,24 als dudesch und düdesch im niederdeutschen Raum und als diutesch im rheinischen Raum.25 Allein diese große Übereinstimmung in der Namengebung illustriert weniger eine Grenze als eine enge Zusammengehörigkeit der Schreibsprachen von der IJssel bis nach Ostwestfalen und bis zum Kölner Raum. Der ijsselländische Sprache, die in der Sprachwissenschaft auch „ostniederländisch“ oder im Niederländischen auch „noordoostelijk middelnederlands“ genannt wird, wurde geschrieben in den Gebieten, die heute zu den Provinzen Overijssel, Gelderland, Drenthe und Groningen gehören. Die ijsselländische Schreibsprache war durch große Varianz gekennzeichnet, denn sie wechselte zwischen östlich-niederländischen und westlich-westfälischen Schreibweisen. Gleichermaßen wurden „niederländische“ Schreibungen wie dese, niet, op, ende, ons sowie die „deutschen“ Formen desse, nicht, up, unde und uns verwendet.26 Als niederdeutsches Merkmal findet man auch den Einheitsplural (auf ‑et) und ee für ie in Wörtern wie breef ‚Brief ‘, de ‚die‘ oder abwechselnd ee und ey (breef und breyf).
22 Robert Peters, Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung zu den historischen Sprachstu-
fen IV: Das Mittelniederdeutsche, in: Besch (wie Anm. 18), S. 1409–1422, hier S. 1417.
23 Jan Goossens, Die Herausbildung der deutsch-niederländischen Sprachgrenze. Ergeb-
nisse und Desiderate der Forschung, (Mededelingen van de Vereniging voor Limburgse Dialect- en Naamkunde, 29), Hasselt 1984, S. 3. 24 Im westlichen niederländischen Sprachraum als dietsch und duytsch bezeichnet. 25 In der Sprachgeschichte haben sich für die Sprachlandschaften von der IJssel bis nach Lübeck und Köln die Termini ijsselländisch, niederrheinisch, mittelniederdeutsch (mit westfälisch) und ripuarisch durchgesetzt. Siehe Robert Peters, Die Diagliederung des Mittelniederdeutschen, in: Besch (wie Anm. 18), S. 1478–1490; Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Westfälischen, in: Besch (wie Anm. 18), S. 2640–2650; Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Sassischen, in: Besch (wie Anm. 18), S. 2651–2662; zum Niederrheinischen Eickmans (wie Anm. 18). Für die Schreibsprachen im Gebiet von der IJssel bis Ostwestfalen werden unterschiedliche Termini oft mehrdeutig verwendet: „nordniedersächsisch“ fungiert sowohl als Term für den nordwestlichen Teil des niederdeutschen Sprachraums als auch als Oberbegriff für den nordniedersächsischen und elbischen Raum. „Nedersaksisch“ wird für die Schreibsprachen der nordöstlichen Niederlande gebraucht, was häufig zu Verwechslungen mit dem deutschen Wort „niedersächsisch“ führt, als Adjektiv zum heutigen Bundesland „Niedersachsen“. Siehe hierzu Ludger Kremer, Geschichte der deutsch-friesischen und deutsch-niederländischen Sprachgrenze, in: Werner Besch u. a. (Hrsg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 2.4), 4. Teilband, Berlin/New York 2004, S. 3390–3404. 26 Beispiele nach Peters, Diagliederung (wie Anm. 25), S. 1480.
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Innerhalb des nordniederländisch-westniederdeutschen Kontinuums folgen östlich des IJsselländischen das Geldrisch-Kleverländische und das Westfälische als Verkehrssprache.27 Dabei wäre gerade keine Grenzziehung zwischen dem IJsselländischen und den „deutschen“ Schreibsprachen,28 sondern eher zwischen dem Geldrisch-Kleverländischen und dem Westfälischen möglich.29 Das Westfälische unterschied sich z. B. in den Schreibungen mensche, vrent und wattan vom Nordniedersächsischen minsche, vrünt und woldat, und vom Ostfälischen, das östlich der Weser zu situieren ist (Städte Hannover, Hildesheim, Braunschweig, Goslar, Göttingen), in der Schreibweise desse (westf.) und disse/düsse (ostfäl.). Charakteristische westfälische Schreibungen waren außerdem breef, desse, wu neben wo (‚wie‘), nicht, up, unde und uns.30 Der niederrheinische Sprachraum mit dem Rhein-Maas-Dreieck als Sprachlandschaft wird „traditionell dem alt- bzw. mittelnl. Sprachraum zugerechnet.“31 Politisch handelte es sich um das Gebiet des Herzogtums Geldern und das der spätmittelalterlichen Herzogtümer Kleve, Jülich und Berg, 1521 vereinigt zum Herzogtum Jülich-Kleve-Berg-Mark. Der Sprachraum wurde im Osten von der Grenze des verbalen Einheitsplurals begrenzt, im Süden von der Benrather Linie als Hauptgrenze zwischen dem Niederfränkischen und Mittelfränkischen (Linie maken-machen). Als ein wesentlicher Unterschied zu den mnl. Schreibsprachen kann das Fehlen der Vokalisierung von a und o vor folgendem d/t, (z. B. halden, olt) gewertet werden, sowie die Graphien a für o in offener Silbe wie in apen ‚offen‘ oder baven ‚oben‘. Darüber hinaus sind die Schreibungen a für o in Wörtern wie gaedts ‚Gott‘ kennzeichnend für das Niederrheinische.32 Zu den charakteristi27 Siehe ausführlich Peters, Diagliederung (wie Anm. 25). Eine Karte der sprachlichen Glie28
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derung des westfälischen Raumes bietet die Webseite http://www.lwl.org/komuna/pdf/ mundartregionen_westfalens.pdf. Das Kleverländische zeigt zahlreiche nordwestliche Formen, wie das Possessivpronomen hare, das erst ab dem 15. Jahrhundert mehr und mehr als oere realisiert wird (siehe, auch zu weiteren Merkmalen des Kleverländischen, Georg Cornelissen, Sprache und Sprachen an Rhein und Maas: Ostmittelniederländische Schreibsprachen, in: Helmut Tervooren u. a. (Hrsg.), ‚Van der Masen tot op de Rijn‘. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und Maas, Berlin 2006, S. 327–340, hier S. 337). Peters (wie Anm. 22), S. 1417. Für eine Liste der Merkmale des Westfälischen auf der Basis des Aufsatzes von Peters, Diagliederung (wie Anm. 25) siehe auch: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/gaeste/ Schreibsprachen/Niederdeutsch/DiagliederungPeters.htm [31.01.2012]. Zum Folgenden siehe Eickmans (wie Anm. 18); auf S. 2630 mit einer Karte des RheinMaas-Dreiecks als Sprachlandschaft (nach Mihm). Für eine Übersicht der Schreibsprachlandschaften in Kartenform siehe Konrad Kunze/ Robert Peters, Schreibsprachenlandschaften im Spätmittelalter, in: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/gaeste/Schreibsprachen/KarteSchreib2.pdf [11.2.2012]. Zu den Sprachen am Rhein siehe Robert Möller, Rheinische Sprachgeschichte von 1300–1500,
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schen Merkmalen der niederrheinischen Schreibsprache gehörten weiterhin die mit dem Niederländischen übereinstimmenden r-losen Pronomina (wi, mi), anlautendes h nur im Nominativ der 3.P. S. (he), sonst die h-losen Pronomina oem, oen, oer sowie die Konjunktion ende gegenüber westf. unde und rip. inde. Die von Kaiser Maximilian durchgeführte Einteilung in einen der zehn Kreise sowie das sprachliche Kontinuum zwischen den ijsselländischen, niederrheinischen und westfälischen Schreibsprachen erlaubt es von einer durch viele Gemeinsamkeiten gekennzeichneten politischen und sprachlichen Landschaft zu sprechen, die mit einer sprachgrenzenlosen Verbreitung kanonischer volkssprachlicher Werke der Textgemeinschaft Devotio moderna einhergeht, wie im Folgenden die von Geert Groote zusammengestellte Lektüreliste zeigt.
3. Die Wirkung des Lektürekanons Geert Grootes von der IJssel 33 bis nach Ostwestfalen Geert Groote hat in seinem Propositum Conclusa et proposita non vota, das Thomas von Kempen (1379/80–1471) in seinem Dialogus noviciorum (ca. 1435–1450) veröffentlichte, eine Lektüreliste präsentiert, die sich in der Devotio moderna programmatisch durchgesetzt hat.34 Zu dem Kanon der von Groote als libri devoti bezeichneten Werke gehörten die Evangelien, die Vitas patrum, die Collationes Cassians, die Meditationes des Bernhard von Clairvaux, die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, das Horologium Heinrich Seuses, die pseudo-augustinischen Soliloquia sowie De exterioris et interioris hominis compositione des David von Augsburg. Hinzu kommen weitere zu den libri devoti zählenden Werke wie die Briefe des Jan van Schoonhoven (1356–1432) an das Kloster Eemsteyn sowie De libris teutonicalibus des Gerard Zerbolt van Zutphen. Auch die Schriften des Jan van Ruusbroec und des Godeveerd van Wevele wurden hier einbezogen. Durch die Aufnahme des Propositums in den Dialogus noviciorum des Thomas von Kempen, das Handbuch für die Novizen, wurden diese persönlich gehaltenen Lektüreempfehlungen für jeden zum verbindlichen Ratschlag, zu einem Textkanon als Pflichtprogramm.35 So benutzte Florens Radewijns (1350–1400), in: Jürgen Macha, Elmar Neuss, Robert Peters (Hrsg.), Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte, (Niederdeutsche Studien, 46), Köln u. a. 2000, S. 51–76. 33 Dieser und die folgenden beiden Abschnitte ähnlich in: Rita Schlusemann, Volkssprachlicher Kulturtransfer bei der Devotio moderna, in: Patrizia Carmassi und Eva Schlotheuber (Hg.), Schriftlichkeit und Kulturtransfer im norddeutschen Raum (im Druck). 34 Thomas a Kempis, Dialogus noviciorum, in: Michael Joseph Pohl (Hrsg.), Thomae Hemerken a Kempis opera omnia. Bd. 7, Freiburg/Br. 1922, S. 3–329; siehe auch Kock (wie Anm. 16), S. 114–120. 35 Ebd., S. 119 f.
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der erste Rektor des Fraterhauses in Deventer, die genannten Schriften für die Kompilation seiner Traktate.36 In dem Maße, wie sich Klöster und Häuser der Devotio moderna anschlossen, wurde auch der Literaturkanon angenommen und übernommen. Doch lateinische und volkssprachliche Handschriften wurden in den devoten Gemeinschaften nicht nur lesend oder hörend rezipiert, sondern als wesentlicher Bestandteil der eigenen Lebensorientierung und religiösen Disziplinierung in großem Umfang abgeschrieben, umgeschrieben und auch übersetzt.37 Lateinische Versionen der genannten Werke wurden kopiert und in die regionalen Schreibsprachen des IJsselgebiets und der anderen Regionen des niederländischen Sprachraums übersetzt. Zu den volkssprachig überlieferten Werken des Kanons gehörten aber ebenso die noch kaum untersuchten niederrheinischen, mittelniederdeutschen und ripuarischen Übertragungen der aus dem niederländischen Sprachgebiet stammenden und zu den libri devoti zählenden Werke. Diese bergen einen großen Schatz zur Erforschung der Buchkultur und der Transferwege im Raum von der IJssel bis in den niederdeutschen und ripuarischen Raum. So wurden u. a. folgende Schriften im Umkreis der Devotio moderna ins IJsselländische, Niederrheinische, Westfälische und Ripuarische übertragen: Gerards Zerbolt von Zutphen De libris teutonicalibus38, eine Übersicht der Textsorten und Literaturgruppen, die Laien nicht rezipieren sollen (hoghe ofte dunckere materien off lerynghe), wurde spätestens in der Mitte des 15. Jahrhunderts ins Mittelniederländische übersetzt und ist unter dem Titel Een verclaringhe vanden duytschen boeken bekannt.39 Diese in einer Kasseler Handschrift bewahrte niederländische Version ist jedoch nur fragmentarisch erhalten.40 Eine deutsche, 36 Ebd., S. 118. 37 Ebd., S. 118. 38 In dem Text wird eine Neukonzeption der duplex doctrina (zwei Anforderungsgrade geist-
licher Einsicht und Lehre) entworfen (siehe Nikolaus Staubach, Gerhard Zerbolt von Zutphen und die Apologie der Laienlektüre in der Devotio moderna, in: Thomas Kock/ Rita Schlusemann (Hrsg.), Laienlektüre und Buchmarkt im Spätmittelalter, (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge, 5), Frankfurt a. M. u. a. 1997, S. 221–289). Die verschiedenen volkssprachlichen niederländischen und deutschen Bearbeitungen bedürfen eingehender philologischer Untersuchungen zu den Übereinstimmungen und Unterschieden der Textzeugen, um auch Wege der Textwanderung genauer herausarbeiten zu können. 39 Volker Honemann, Zur Interpretation und Überlieferung des Traktats „De libris teutonicalibus“, in: E. Cockx-Indestege/Frans Hendricks (Hrsg.), Miscellanea Neerlandica. Opstellen voor Dr. Jan Deschamps ter gelegenheid van zijn zeventigste verjaardag, Leuven 1987, Bd. 3, S. 113–124; und Staubach (wie Anm. 38). 40 Eine Textausgabe bietet Jan Deschamps, Middelnederlandse vertalingen van de „Super modo vivendi“ (7de hoofdstuk) en „De libris teutonicalibus“ van Gerard Zerbolt van Zutphen, in: Handelingen van Koninklijke Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal- en Let-
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vollständig erhaltene Übersetzung einer niederländischen Vorlage wurde um 1472 für das Kloster Osterberg bei Lotte (südwestlich von Osnabrück) geschrieben.41 Von einem zweiten Werk Gerards, Een cleyn devoet boecskijn van gheestelicken opclymminghen, wurden eine mittelniederdeutsche und drei ripuarische Übertragungen angefertigt, deren Provenienzen und deren Verhältnis zueinander noch zu untersuchen sind.42 Auch Ruusbroecs Vanden kerstenen ghelove wurde in mehreren mittelalterlichen Handschriften ins Deutsche übertragen, so in einer ripuarischen Handschrift aus dem Jahr 1468 mit dem Titel Her Johan Ruysbroich De fide catholica,43 die für das Kreuzbrüderkloster Heiliges Kreuz in Köln geschrieben wurde. Unter dem Titel Up den creden ist eine mittelniederdeutsche Übersetzung in der bereits genannten in Kalamazoo befindlichen Handschrift aus dem Jahr 1482 erhalten,44 die den Besitzeintrag Item dyt boeck hoert den broderen to in den Oesterberghe enthält.45 In einer weiteren mittelniederdeutschen Handschrift46 trägt das Werk den Titel: De bedudenisse van dem Credo unses gheloven in dudessche. Das Verhältnis der beiden mittelniederdeutschen Handschriften und der ripuarischen bedarf der weiteren Erforschung, die auch mehr Aufschlüsse über die Wege des Kulturtransfers bei der Devotio moderna erwarten ließe. Gregors Homiliae XL in Evangelia und seine Dialogi, die Petrus Naghel jeweils nach lateinischen Vorlagen 1381 ins Mittelniederländische übertrug, wur-
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terkunde en Geschiedenis 14 (1960), S. 175–220; siehe für eine eingehende Strukturanalyse Staubach (wie Anm. 38), S. 233–270. Vgl. Handschrift: Kalamazoo, Institute of Cistercian Studies Library at Western Michigan University, Ms. 18, fol. 211r–225v. Das Haus wurde 1427 an die Kanoniker des Kreuzbrüderordens übergeben, nachdem es 1410 als Haus der Brüder vom Gemeinsamen Leben gegründet worden war. Siehe eine ausführliche Auflistung der deutschen Versionen bei Rita Schlusemann, Bibliographie der niederländischen Literatur in deutscher Übersetzung. Bd. 1. Niederländische Literatur bis 1550, Berlin 2011, G-004N und G-004D1. Die Angaben aus der Bibliographie erfolgen nach den Nummern. Schlusemann (wie Anm. 41), G-003D1 und G-003D4. Vgl. Köln, HA, cod. GB 8° 53, fol. 165r–185r. Siehe Albert Ampe (Zusammenstellung), Jan van Ruusbroec, 1293–1381. Tentoonstellingscatalogus. Tentoonstelling ter gelegenheid van het zesde eeuwfeest van het overlijden van Jan van Ruusbroec. Nassaukapel en Galerij Houyoux van 17 oktober tot 28 november 1981, Brüssel 1981, S. 129, 206; Günther Gattermann (Hrsg.), Handschriftencensus Rheinland. Erfassung mittelalterlicher Handschriften im rheinischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen. Bearb. von Heinz Finger (Projektleitung), Marianne Riethmüller (Hauptredaktion) u. a., Wiesbaden 1993, Nr. 1960; Schlusemann (wie Anm. 41), J-035D1. Handschrift: Kalamazoo (Michigan), Institute of Cistercian Studies Library at Western Michigan University, Ms. 18, fol. 212r–226v. Schlusemann (wie Anm. 41), J-035D2; siehe auch Ampe: Jan van Ruusbroec (wie Anm. 43), S. 84. Handschrift: Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. theol germ. 20 11, fol. 135v–142v; vgl. Schlusemann (wie Anm. 41), J-039D1, J-035D3.
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den noch im 15. Jh. mehrmals ins Deutsche übertragen. Die Homiliae wurden ins Ripuarische umgeschrieben und sind in einer heute in Darmstadt befindlichen Handschrift überliefert, die für das Augustinerinnenkloster St. Maria-Magdalena in Köln entstand.47 Ebenso finden sie sich in einer Handschrift aus dem Kreuzherrenkonvent in Marienfrede bei Wesel mit dem Provenienzeintrag: Dyt boeck hoert den Crusbroderen in gen Marien Vrede (by Wesell).48 Die Dialogi Gregors des Großen, deren Übersetzung ins Niederländische Petrus Naghel am 4. November 1388 vollendete, sind in verschiedenen deutschen Manuskripten erhalten: jeweils mittelniederdeutsch in einer Straßburger und einer Oldenburger Handschrift.49 Während die Provenienz der Oldenburger Handschrift nicht bekannt ist, stammt die um 1400 entstandene Straßburger Handschrift aus dem Kloster Frenswegen. In einer mittelniederdeutschen in der Stadtbibliothek Lübeck aufbewahrten Handschrift sind unter dem Titel Dialogi Gregorius Auszüge aus dem 4. Buch der Dialoge enthalten, die Exzerpten einer Deventer Handschrift entsprechen.50 Auch hier könnte eine Untersuchung des Verhältnisses der Handschriften nähere Aufschlüsse über die Transferwege der Bücher der Devotio moderna bieten. Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, die Petrus Naghel, der „Bijbelvertaler van 1360“,51 ins Südmittelniederländische übertrug und am 9. Januar 1357 47 Handschrift: Darmstadt, ULB, Hs. 813, fol. 1r–167r. Siehe Kurt-Hans Staub/Thomas Sän-
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ger, Deutsche und niederländische Handschriften. Mit Ausnahme der Gebetbuchhandschriften, (Die Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, 6), Wiesbaden 1991. Handschrift: Düsseldorf, ULB, Ms. B 82, fol. 1r–210r. Siehe Eef Overgaauw/Joachim Ott/Gerhard Karpp, Die mittelalterlichen Handschriften der Signaturengruppe B in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf. Teil 1. Ms. B 1 bis B 100, (Kataloge der Handschriftenabteilung. Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, 1), Wiesbaden, 2005. Siehe auch http://www.manuscripta-mediaevalia.de/HS/kataloge/HssInventar Ddf.pdf, sowie zu Marienfrede Agata Mazurek, Volkssprachige Handschriften aus dem Kreuzherrenkonvent Marienfrede in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, in: Das Mittelalter 14 (2009), S. 88–98. Handschriften: Straßburg, Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Ms. 2100 (olim L germ. 176), fol. 1r–86v; Oldenburg, Landesbibliothek (= LB), Cim I 75, fol. 126r– 260. Handschrift: Lübeck, Stadtbibliothek (= SB), Ms. theol germ. 20 11, fol. 142v–154r. Die Handschrift kam 1997 aus Georgien zurück (im VL 3, Sp. 240, als verbrannt verzeichnet). Siehe Schlusemann (wie Anm. 41), G-015D2. Petrus Naghel aus Aalst trat etwa 1344 in das Karthäuserkloster Herne (in der Nähe von Brüssel) ein und starb 1395. Er übersetzte zahlreiche Werke aus dem Lateinischen ins Mittelniederländische, u. a. die Legendea aurea des Jacobus de Voragine (1357), die Homiliae XL in Evangelia des Gregorius (1381) sowie dessen Dialogi (1388), die Collationes des Cassian und die Vitas patrum (o. J.). Eine Aufstellung bietet: Erik Kwakkel, Die dietsche boeke die ons toebehooren. De kartuizers van Herne en de productie van Middelnederlandse handschriften in de regio Brussel (1350–1400), Leuven 2002, S. 139 f.
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fertigstellte, ist in zahlreichen volkssprachlichen Handschriften aus dem Raum von der IJssel bis nach Ostwestfalen und in den Kölner Raum überliefert, u. a. aus dem Kloster Marienfrede bei Dingden52 und dem Kapuzinerkonvent in Essen53. Jans von Ruusbroec Cierheit der geestelijker brulocht, das Hauptwerk des Jan van Ruusbroec, das er 1350 fertigstellte, wurde insgesamt zwölfmal ins Deutsche übersetzt, davon je einmal im niederrheinischen und ripuarischen Gebiet.54 Beide Übertragungen stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, erstere mit dem Titel Van der tzierheit der geistlicher broulofft aus dem Jahr 1453/5455 und letztere mit dem Titel Buch von der zirheit der geistlichen brulauft.56 Da bei dieser Auflistung nur ein Überblick gegeben werden konnte, sei im Folgenden auf zwei wichtige Autoren der Devotio moderna und den Transfer ihrer Werke von der IJssel bis Ostwestfalen genauer eingegangen: zunächst auf die Collationes Cassians, die Geert Groote in seinem Propositum direkt hinter den Vitas patrum an zentraler Stelle nennt,57 noch vor Augustinus († 430),58 Anselm von Canterbury († 1109), Bernhard von Clairvaux († 1153)59 oder Heinrich Seuse († 1295 o. 1297). Ein zweites Beispiel sind die Kollationen des bereits genannten Johannes Brinckerinck, ab 1392 Rektor des „Meester-Geertshuis“, ursprünglich
52 Vgl. Handschrift: Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek (= ULB), C 23; Schrei-
ber: Goert Rameker.
53 Vgl. Handschrift: Düsseldorf, ULB, C 20, aus dem Jahre 1459. Darüber hinaus sind ri-
puarische Übertragungen zahlreicher Legenden in verschiedenen Handschriften sowie in einem Kölner Druck erhalten, die auf einer niederländischen Version beruhen (vgl. die Handschriften Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek (= ULB), Hs. 144; Darmstadt, ULB, Hs. 814; Darmstadt, ULB, Hs. 2196; Köln, Historisches Archiv der Stadt (= HA), cod. W 2° 165; Köln, HA, cod. W 2° 169; den Druck Köln: Ludwig Renchen, 1485 (Ex.: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz [= SBPK], 2° Inc 1064). Siehe z. B. zu den Legenden Barnabas oder St. Paul jeweils Schlusemann (wie Anm. 41), JV-028D1; JV-158D1). Die Legende zu Eligius z. B. ist auch in einem in London aufbewahrten Manuskript ins Ripuarische übertragen worden (Siehe Schlusemann (wie Anm. 41), JV054D1). 54 Siehe Schlusemann (wie Anm. 41), J-033D1 bis J-033D12. 55 Vgl. Trier, Stadtbibliothek, Hs. 148/1196, fol. 198r–289v. 56 Vgl. Gießen, Universitätsbibliothek, cod. 754, fol. 1r–108v. 57 Nach Kock könne die Reihenfolge der Lektüreempfehlungen mit der jeweiligen Bedeutung in Beziehung zu setzen sein, d. h. je früher ein Text genannt werde, als desto wichtiger sei er von Groote betrachtet worden: siehe Kock (wie Anm. 16), S. 116. 58 Zur deutschen Rezeption verschiedener Werke Augustins nach niederländischen Vorlagen siehe Schlusemann (wie Anm. 41), P-013 bis P-017. 59 Groote nennt u. a. die Meditationes Bernhards. Diese erschienen nach der niederländischen Version in mittelniederdeutscher Übertragung (vgl. Handschrift Lübeck, SB, Ms. theol. germ. 20 11, fol. 74v–92v). Siehe Paul Hagen, Die deutschen theologischen Handschriften der lübeckischen Stadtbibliothek, Lübeck 1922, S. 8, und Schlusemann (wie Anm. 41), P-018D2.
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die Wohnung Geert Grootes in Deventer, der 1408 das Augustinerinnenkloster der „Zusters van het gemene leven“ in Diepenveen gründete.
4. Johannes Cassians Kollationen von der IJssel bis nach Ostwestfalen Cassians Collationes, niederländisch Collacien der vaderen, sein in 24 Bücher aufgeteiltes und in Gesprächsform abgefasstes Werk über das Leben der orientalischen Mönche,60 sind neben der lateinischen Überlieferung in über 35 „niederländischen“ Handschriften erhalten. Eine südniederländische wird von einer nordniederländischen Übersetzung unterschieden. Von der südniederländischen Übersetzung, die Petrus Naghel am 5. Januar 1383 fertigstellte, sind nur zwei Handschriften überliefert.61 Die zweite, nordniederländische, Übersetzung, entstand vor 1419 und war viel erfolgreicher. Sie verbreitete sich in über 30 Handschriften vom IJsselgebiet bis nach Brabant, Flandern und Seeland. Man vermutet, dass sie in Kreisen der Devotio moderna entstanden ist.62 In Tabelle 1 sind Handschriften aus dem ijsselländischen, geldrischen, maasländischen und östlich-limburgischen Raum aufgelistet. Vier Handschriften stammen aus dem ijsselländisch-geldrischen Raum: aus Oldenzaal (A), Arnhem (G), Rhenen (E) und Utrecht (B). In den südlicher gelegenen Orten Maaseik und Weert sind die Handschriften D, M und N geschrieben worden. Die niederländische Übersetzung wurde wiederum in verschiedene deutsche Schreibsprachen übertragen (siehe Tabelle 1). In sieben Handschriften hat sich eine deutsche Übersetzung erhalten, die auf die niederländische Tradition zurückgeht (C, F, H, I, K, L, O). Davon stammen drei Handschriften aus dem mittelniederdeutschen Raum (F, H, I). Die älteste datierte mittelniederdeutsche Handschrift der Collationes mit den Kollationen 1–8 wurde 1467 in dem St. Pankratiuskloster in Hamersleben bei Halberstadt (F) geschrieben, einem regulierten Augustinerchorherrenstift und Reformkloster.63 Im Jahr 1478 entstand im Augustinerinnenkloster St. Agnetenberg in Dülmen (H) eine Handschrift, in welcher alle 24 Kollationen enthalten 60 2011 erschien der erste Band einer neuen Edition und deutschen Übersetzung der ersten
10 Kollationen der Werke Cassians: Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern – Collationes patrum. Teil 1: Collationes 1–10. Übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler. Mit einer Einleitung von Georges Descoeudres, (Quellen der Spiritualität, 5), Münsterschwarzach 2011. Siehe auch die Webseite http://www.cassian-projekt.de. 61 Handschriften: Brussel, Koninklijke Bibliotheek, 2341, und Gent, Minderbroederklooster, U a 40 (siehe Jan Deschamps, Middelnederlandse handschriften uit Europese en Amerikaanse bibliotheken. Catalogus. Leiden 1972, S. 209–211). 62 Deschamps (wie Anm. 61), S. 212. 63 Vgl. Handschrift: Berlin, SBPK, mgq 1120, fol. 1r–206v.
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sind. Besonders interessant ist eine im Jahr 2000 aus Armenien in die Stadtbibliothek Lübeck zurückgekehrte Handschrift aus dem 15. Jahrhundert.64 Sie enthält die Kollationen 9–16 und trägt den Besitzvermerk: Dit bok hort den susteren to Lubeke bi sunte Egidijus kerken in sunte Mychels convent (auf dem eingehefteten Papierblatt auf der Rückseite des vorderen Buchdeckels). Die Handschrift stammt aus dem St. Michaeliskonvent in Lübeck, ab 1451 eine Niederlassung der Schwestern vom gemeinsamen Leben.65 In der genannten Handschrift folgt unter der Provenienzangabe eine Notiz zur Schreiberin: Dat heft tuget suster Elsebe Dennersche der susteren. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Elsebe Luneborg, deren Testament erhalten ist und die sich noch vor ihrem Tod als Schwester im Michaeliskonvent aufnehmen ließ.66 Eine Schwesterhandschrift zu der genannten Handschrift67 wurde von der gleichen Hand geschrieben, sie weist das gleiche Format und den gleichen Einband auf und bietet die Kollationen 17–24. Auch sie trägt einen Besitzvermerk und Angaben zur Schreiberin Elsebe, wobei letztere durchgestrichen sind. Verloren ist eine dritte dazu gehörige Handschrift, welche die Kollationen 1–8 enthalten haben muss.68 64 Vgl. Handschrift: Lübeck, SB, Ms. theol. germ. 4° 15 (I). 65 Der Konvent wurde zunächst Segeberg- oder Michaeliskonvent genannt, nach dem Käufer
Berthold Segeberg, der 1397 ein Grundstück für die Errichtung eines Armenhauses kaufte, dem Vorläufer des Michaelishauses, heute St. Annenstraße 5. Im Jahr 1451 gründete Johann Segeberg das Haus der Schwestern vom gemeinsamen Leben, das ab 1463 nach der Regel des hl. Augustinus lebte. Etwa 100 Bände der Bibliothek sind in der Stadtbibliothek Lübeck erhalten. Zur Geschichte siehe: Johann Peter Wurm, Zur Gründung des Michaeliskonventes der Schwestern vom gemeinsamen Leben in Lübeck, in: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 82 (2005), S. 25–55. Siehe auch die Webseite zum Klosterprojekt an der Universität Kiel (http://www.klosterprojekt.uni-kiel.de). 66 Michael Feismann, Das Memorienbuch des St. Michaeliskonventes zu Lübeck. Zwei Handschriften aus den Jahren 1463 und 1498, (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, 24), Lübeck 1994, S. 66, Z. 854; Stefanie Rüther, Zwischen Stand und Geschlecht. Weibliches Selbstverständnis im Spiegel lübeckischer Testamente, in: Sünje Prühlen, Lucie Kuhse, Jürgen Sarnowsky (Hrsg.), Der Blick auf sich und die anderen. Selbst- und Fremdbild von Frauen und Männern in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Klaus Arnold, (Nova mediaevalia. Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter, 2), Göttingen 2007, S. 67–93, hier S. 81–83. 67 Handschrift: Lübeck, SB, Ms. theol. germ. 40 16 (I). 68 Vier Handschriften (siehe ebenfalls Tabelle 1) wurden nach niederländischen Vorlagen auf ripuarisch geschrieben: aus einer Niederlassung der Franziskanertertiaren in Aachen stammt eine in Berlin befindliche Handschrift (C), die nur die 6. Kollation überliefert. Für das Haus St. Michael am Weidenbach, von den Brüdern vom gemeinsamen Leben in Köln, entstand zwischen 1470 und 1480 eine Handschrift (K) mit den ersten zwölf Kollationen, bei der die Kollation 6 zwischen den Kollationen 8 und 9 eingeordnet wurde. Die gleiche Anordnung findet sich in einer weiteren Handschrift (O), die im 16. Jahrhundert entstand und dem Kölner Kloster der Augustinerinnen Chorfrauen St. Caecilien zugeordnet wird. Die vierte ripuarische Handschrift aus dem Jahre 1489 (L) enthält alle Kollationen. Der Schreiber Merten van Dulken bearbeitete sie für die Brüder in Brühl. Hiermit kann das
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5. Räumliche Verbreitung der Kollationen Johannes Brinckerincks Während Johannes Brinckerinck seine Kollationen „zu tun“ pflegte, wie es in einer Handschrift formuliert wird (Alse onse werdighe pater heer Johan Brinckerinck clacie placht toe done, so sat suster Elizabet ende screef dat uut sinen monde in hoer tafele),69 schrieben die Schwestern die für sie wichtigsten Inhalte der Kollationen auf. Mit Elizabet ist Liesbeth van Delft gemeint, später Priorin des Klosters Jerusalem in Utrecht, die einen Großteil der Kollationen Brinckerincks notierte. Rudolf Dier van Muiden, der direkte Nachfolger Brinckerincks als Rektor der Deventer Schwestern, ordnete danach die Aufzeichnungen der Schwestern.70 Außer den am Anfang dieses Beitrags aufgelisteten Kollationen der sogenannten M-Version gibt es eine P-Redaktion, die gegenüber der M-Redaktion zusätzlich einen Prolog aufweist71 und die Texte in acht Kollationen unterteilt, wobei die erste und zweite Kollation der M-Redaktion hier als erste Kollation zusammengefasst sind. Die P-Redaktion ist in folgenden vier Handschriften überliefert, von denen die Amsterdamer Handschrift im niederländischen Raum entstand, die anderen in deutschen Schreibsprachen überliefert sind.72 Hs. der P-Redaktion
Datierung
Provenienz
Amsterdam, UB, I F 29, ca. 1400–1450 Hoorn, Tertiarinnen, St. Caecilia fol. 151–214 Düsseldorf, ULB, B 119, um 1475 Marienfrede bei Wesel, fol. 61r–88r Kreuzherrenkonvent Berlin, SBPK, mgo 329, 15. Jh. Aachen, Franziskanertertiaren fol. 114v–156r Wolfenbüttel, HAB, 1156 Novi, 15./16. Jh. unbekannt fol. 3r–121r
Franziskanerkloster St. Maria in Angelis in Brühl südlich von Köln gemeint sein, oder aber das Franziskanerkloster Wüstenbrühl im Kreis Bernkastel-Wittlich. 69 Zitiert nach Wybren Scheepsma, Medieval Religious Women in the Low Countries. The Modern Devotion, the Canonesses of Windesheim, and their Writings, Woodbridge 2004, S. 130; erhalten in der Handschrift Deventer, Stads- of Atheneumbibliotheek, 101 E 26, fol. 58v–59r. 70 Siehe Mertens (wie Anm. 2), S. 87 f. 71 Eine Transkription des Prologs nach der Düsseldorfer Handschrift bietet Mertens (wie Anm. 2), S. 92. 72 Zur Übersicht der einzelnen Kollationen siehe Schlusemann (wie Anm. 41), B-041 bis B-058; zur Handschrift Amsterdam siehe Daniël Ermens/Willemien van Dijk, Repertorium van Middelnederlandse preken in handschriften tot en met 1550; Bd. 4: Aerdenhout – Darmstadt; Bd. 5: Den Bosch – Leeuwarden; Bd. 6: Leiden – Zwolle; Bd. 7: Verantwoording en Indices, (Miscellanea Neerlandica, 29), Leuven 2008.
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Die bisher nicht edierte P-Redaktion scheint somit im deutschen Sprachraum weiter verbreitet gewesen zu sein als die M-Redaktion. In Tabelle 2 ist die Reihenfolge der Kollationen der P-Redaktion mit dem jeweiligen Incipit in den vier Handschriften aufgeführt. In dieser Tabelle wird ersichtlich, dass die Amsterdamer Handschrift unvollständig ist, denn sie bricht in der siebten Kollation ab. Die Handschriften, welche die P-Redaktion mit den acht Kollationen und dem Prolog vollständig erhalten haben, sind die Düsseldorfer und die Wolfenbütteler Handschrift.73 Die Düsseldorfer Handschrift (vgl. Abb. 3) stammt aus dem Kreuzherrenkonvent Marienfrede bei Wesel, wie ein Eintrag vermerkt: in den Wrede is dit bock gescreven. Domine habe misericordiam in me quia peccavi tibi nimis (fol. 160v). Sie beginnt mit dem Hinweis auf den Autor der Kollationen: Dyt is vergaddert wt den collacien Herr johans brinckerynghes den vnse lieue here h euet wtgheleydet. Der Schreiber verwendet u. a. die Formen unse, unde, up dat, he, geneyget und beholden, die auf eine Sprachform schließen lassen, die näher zum Westfälischen als zum Niederrheinischen neigt. Die Provenienz der Wolfenbütteler Handschrift ist bisher nicht bekannt, aber sie hängt enger mit der Düsseldorfer Handschrift zusammen als mit der Amsterdamer: am Ende des Prologs heißt es in der Amsterdamer Handschrift: dat u allen die hals of weer ende dat Diepenveen waer een grondeloes weel.74 In der Düsseldorfer Handschrift lautet diese Stelle weniger körperlich direkt: dat ghy alle doet weren. vnde dat Dyepenuenne weer een grundelos kolck (fol. 61r). Hiermit übereinstimmend wählt auch der Schreiber in der Wolfenbütteler Handschrift die Lesart: so wer mi lieuer dat gi al doet weren vnde Deypenvenne een grundeloes kollk weer (fol. 3r). Entweder handelt es sich um eine Neuerung in den beiden „deutschen“ Handschriften oder sie haben gerade die ältere Lesart beibehalten. Das könnte in der Zukunft durch eine Edition und eine vergleichende Untersuchung aller erhaltenen Textzeugen erarbeitet werden. Als Basis für die Edition sollte die Marienfreder Handschrift gewählt werden, da sie den Text vollständig erhalten hat. Im Vergleich zur in Berlin aufbewahrten Handschrift aus Aachen, bei der die zweite Lautverschiebung durchgeführt wurde, gibt die Marienfreder Handschrift den Lautstand der ursprünglichen Version besser wieder, und die jüngere Wolfenbütteler Handschrift, die später entstanden ist, enthält verschiedene Neuerungen, so dass auch sie als Leithandschrift weniger geeignet wäre. Die Marienfreder Handschrift ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass deutsche Manuskripte, auch wenn sie in einer „anderen“ Sprache geschrieben worden sind 73 Im Rahmen dieses kurzen Überblicks ist es nicht möglich, die Abhängigkeiten zu untersu-
chen. Die bisher ebenfalls nicht edierte Berliner Handschrift enthält einige Zusätze. Eine nähere Erforschung der Zusammenhänge und eine Edition der P-Redaktion muss einer folgenden Studie vorbehalten bleiben. 74 Mertens (wie Anm. 2), S. 92.
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als die ursprüngliche Version, oftmals den einzigen vollständigen Textzeugen einer verloren gegangenen Version darstellen und somit unentbehrlich für weiterführende Untersuchungen sind. Die volkssprachlichen Denkmäler bieten einen großen Fundus für eine neue raumorientierte Analyse der Verbreitung von Texten, der einen rezeptiven und zugleich produktiven Umgang mit Texten, angepasst an den jeweiligen Bestimmungsort, bloßlegt. Die Produktion der Textgemeinschaft Devotio moderna in den verschiedenen Orten erfordert geradezu einen neuen Ansatz weg vom Textbestand in einem Kloster hin zu einer Übersicht der räumlichen Verbreitung der libri devoti im Raum. In Oldenzaal, Deventer, Arnheim, in Marienfrede, in Dülmen, in Lotte und in Frenswegen entstehen jeweils neue Abschriften und Bearbeitungen, deren Untersuchung zu einer Kulturgeschichte der Textdistribution von der IJssel bis nach Ostwestfalen im nordwestlichen Europa beiträgt. Abkürzungen: Amsterdam, UB Berlin, SBPK Brussel, KB Darmstadt, ULB Düsseldorf, ULB Gent, UB Den Haag, KB Halle, ULB Hamburg, SUB Köln, HA Lübeck, SB Nijmegen, UB Trier, SB Utrecht, UB Wolfenbüttel, HAB
Amsterdam, Universiteitsbibliotheek Berlin, Staatsbibliothek preußischer Kulturbesitz Brussel, Koninklijke Bibliotheek Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek Gent, Universiteitsbibliotheek Den Haag, Koninklijke Bibliotheek Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Hamburg, Staats- und Universitätsbibliotheek Köln, Historisches Archiv der Stadt Lübeck, Stadtbibliothek Nijmegen, Universiteitsbibliotheek Trier, Stadtbibliothek Utrecht, Universiteitsbibliotheek Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek
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Abbildungen:
Abb. 1: Johannes Brinckerinck, „Unse leve here sande synen hilligen gheest synen yungeren“, Ende der 9. Kollation (Berlin, SBPK, mgq 525, fol. 63v und fol. 64r)
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Abb. 2: Hernach volgend die Zehen Krayß, wie vnd auff welliche art die inn das gantz Reych außgethaylt, vnd im 1532. jar Röm. Kay. Maye. hilff wider den Türcken zu geschickt haben … Auch welliche Ständ in yeden Krayß gehörend nach altem herkom[m]en. Augsburg: Heinrich Steiner 1532, fol. B3v.
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Abb. 3: Düsseldorf, ULB, B 119, fol. 61r: Beginn der Collacien eyns paters ghehieten her jan brinckerynghes
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Abb. 4: ehem. Kloster Marienfrede, nach: Herman Josef Stenkamp, Die Aufhebung des Klosters Marienfrede [in Ringenberg], in: Heimatkalender Kreis Wesel 1994, S. 119–129, hier S. 121
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ijssell.
Koll. 9–16
Koll. 14–24
6. Koll.
Koll. 1–12
Koll. 1–15
Koll. 1–8
Koll. 6–16
A. Brussel, KB, 4448
B. Brussel, KB, IV 5
C. Berlin, SBPK, mgo 329, fol. 232r–253r
D. Den Haag, KB, 73 H 4
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E. Utrecht, UB, 5 F 19
F. Berlin, SBPK, mgq 1120 Der ersten achte collacien der vader
G. Nijmegen, UB, 305
geldr.
mnd.
geldr.
maasl.
rip.
ijssell.
Spr.
Aufbewahrungsort und Titel Umfang
ca. 1470
1467
1453
ca. 1440
15. Jh.
15. Jh.
15. Jh.
Dit boec heeft Herman Sonderlaer ghegeven te testament den zusteren te Bethleem buten Utrecht. Ende leest een de profondis voer sijn ziel van mynnen (fol. 4r)3
Dyt boec hoert int convent der susteren van der derder oerden in Oldenziel (fol. 133v)2
Besonderheiten und Provenienzvermerke
Arnhem, Regularierinnen, St. Paulus und St. Agnes
Hamersleben bei Halberstadt, Augustinerchorherrenstift, St. Pankratius7
Rhenen, Tertiarinnen, St. Agnes
Maaseik, Regularierinnen, St. Agnes
Dit boeck hoert den susteren toe bynnen Arnhem tot Sce. Agnieten. Dat yerste boeck vander vader collacien (fol. 3r)8
-
Dit boec wert gescreven ende gheeyndt Int jaer ons heren M cccc ende liii op S. Johans avont te midsomer Dit boec hoert totten besloten convent van S. Agnieten te Rienen Bidt voer die scrifster ende leest om gods willen een Ave maria (fol. 186r)6
Dit bueck hoert den susteren in besloet tot Eyck (vorn), Dyt boeck hoert toe den regularissen int besloten cloester by Maeseyck (fol. 203v)5
Aachen, Brüder der 3. Regel des Hl. Franziskus4
Utrecht, Tertiarinnen, St. Maria
Oldenzaal, Tertiarinnen, St. Agnes
Zeitraum Provenienz
Tabelle 1: Übersicht der volkssprachigen Handschriften von Cassian, Collationes patrum, im ijsselländischen, maasländischen, geldrischen, mittelniederdeutschen und ripuarischen Raum1
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mnd.
mnd.
H. Hamburg, SUB, cod. theol. Koll. 1–24 1055
Koll. 9–16 Koll. 17–24
Koll. 1–12
Koll. 1–24
Koll. 1–12
Koll. 1–24
Koll. 1–24
I. Lübeck, SB, Ms. theol. germ. 4° 15, fol. 3v–153r Lübeck, SB, Ms. theol. germ. 4° 16, fol. 1r–174v
K. Darmstadt, ULB, Hs. 989, fol. 1r–228r
L. Trier, SB, Hs. 807/1337, fol. 1r–217v
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M. Utrecht, UB, 5 E 17
N. Leiden, UB, Ltk. 2064
O. Darmstadt, ULB, Hs. 466, fol. 2r–416r
rip.
maasl.
maasl.
rip.
rip.
Spr.
Aufbewahrungsort und Titel Umfang
16. Jh.
ca. 1550
1497
1489
1470– 1480
15. Jh.
1478
Dit bok hort den susteren to Lubeke bi Sunte Egidijus kerken in Sunte Mychels convent Dit boeck hort in Sunte Mychels convent bi Sunte Ilien bynnen Lubke9
Dyt boeck is gheendet in den jare unses leven heren do men schref MCCCC und LXXVIII up Sante Barbaren dach in der suster hues to Sunte Agneten berghe in Dulmen (fol. 176v)
Besonderheiten und Provenienzvermerke
[Köln, Augustinerinnenkloster, St. Caecilien]14
Weert, Regularierinnen, St. Maria-Wijngaard13
Maaseik, Regularierinnen, St. Agnes
[Brühl, südlich von Köln), Franziskanerkloster St. Maria in angelis, oder Wüstenbrühl (Kreis Bernkastel-Wittlich, Franziskanerkloster]11
Bidt got vur de schreversche (fol. 209r u. fol. 416v); Koll. 6 zwischen 8 und 9
Schreiberin Marie Pijls
Gheeynt int Jaer ons heren M cccc ende xcvii op Sancte Marien van Egypten avont. Dit boeck hoert toe den beslotenen regularissen bynnen Maeseyck. Bidt voer die scryverse om gods wille (fol. 189v)12
Schreiber: Merten van Dulken; zo den bruederen zo Bruel
Köln, Brüder vom gemein- Koll. 6 zwischen 8 und 9 samen Leben, St. Michael am Weidenbach10
Lübeck, Schwestern vom gemeinsamen Leben, St. Michaeliskonvent
Dülmen, Augustinerinnen (ab 1471), St. Agnetenberg
Zeitraum Provenienz
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Weitere niederländische Handschriften der nordniederländischen Cassian-Übersetzung aus dem südlicher gelegenen Sprachraum aufgelistet bei Deschamps (wie Anm. 61), S. 212. 2 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Brussel, KB, 4448 (30.08.2010). 3 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Brussel, KB, IV 5 (30.08.2010). 4 Hermann Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek. Bd. 3. Handschriften in Oktavformat und Register zu Bd. 1–3, Leipzig 1932, S. 109. 5 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Den Haag, KB, 73 H 4 (30.08.2010). 6 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Utrecht, UB: Cat. 1014 (30.08.2010). 7 Hermann Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preussischen Staatsbibliothek. Bd. 2. In Handschriften in Quartformat, (Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek, 8), Leipzig 1926, S. 188. 8 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Nijmegen, UB, 305 (30.08.2010). 9 Siehe für beide Handschriften auch Paul Hagen, Die deutschen theologischen Handschriften der lübeckischen Stadtbibliothek, Lübeck 1922, S. 11–12. 10 Staub/Sänger: Handschriften (wie Anm. 47), S. 74–75. 11 Betty C. Bushey, Die deutschen und niederländischen Handschriften der Stadtbibliothek Trier bis 1600, (Beschreibendes Verzeichnis der Handschriften der Stadtbibliothek zu Trier, 1), Wiesbaden 1996, S. 57. 12 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Utrecht, UB, Cat. 1015 (30.08.2010). 13 Bibliotheca Neerlandica Manuscripta, Database (http://picarta.pica.nl), Eintrag zur Hs. Leiden, UB, Ltk. 2064 (30.08.2010). 14 Staub/Sänger: Handschriften (wie Anm. 47), S. 44–45.
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(= P 5) 197–202 Van striden teghen die ghebreken die vijfte collacie Inc.: in arbeiden
123v–132v Van oitmodicheit
Inc: In arbeyde unde in swete unses anghesychtes soele wy unse broet hijr eten
77v–79v Collacie
Inc.: Im arbeyde ende swete onses unghesychtes [sic] solle wy onse broet eten
93v–100v
Inc.: O Israhel ker dy tot my onde ic sal mi tot dy keren
Inc.: Israhell keir dich -
53v–79v
Inc.: Salich sin die armen van geeste
24r–53v
Inc.: Dat solle wi uns anders achten te wesen
11r–23v
Inc.: Dat herte der jungher is als een tafele de unbeschreven is
3r–11r
Wolfenbüttel, HAB, 1156 Novi
132v–140r Titel: Van den [!]
Inc.: Selych syn dye armen van gheeste Inc.: Salich synt die arme van geyste
67r–73r Collacie
(= P 4) 85–197 73r–77v Van vreedsamheit des herten die vierde collacie Inc.: o israhel Inc.: O ysrahel keer dy tot my unde yc wyl my tot dy keren.
(= P 3) 169–185 Die derde collacie ende is van ootmodicheden Inc.: Salich
118r–123v Van der oitmodicheit
63v–67r Collacie
(= P 2) 159–169 Die ander collacie is van ghehorsamheit Inc.: Wat sulle wi ons Inc.: Wat soele wy uns anders achten te Inc.: Wat solen wir ons anders achten wesen dan unghevallyghe mynschen. tzo wesen
114v–118r Collacie Inc.: Dat hertze der jonger is als eyn taffele
61r–63v Die irste Collacie Inc.: Dat herte der yunggen ys als een tafele dye unbeschreven is
(= P 1) 151–159 Vanden gueden wille collacie Inc.: Dat herte der jonger
Berlin, SBPK, mgo 329
Düsseldorf, ULB, B 119
Amsterdam, I F 29
Tabelle 2: Übersicht der Kollationen Brinckerincks (P-Redaktion) in verschiedenen Handschriften
82 Rita Schlusemann
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83r–85v Collacie Inc.: Dyt syn dye vruchte des hellyghen sacramentes de dye mynschen untfanghen (= P 8) 85v–88r Collacie Inc.: Dat cruce dat ghy schuldych synt te draghen. ys uwe regule
n.erh.
-
140r–142v
Inc.: Dat cruce dat gy sculdych syn […] tot dreghene dat ys u regule
Inc.: Dat cruce dat ir schuldich sijt tzo dragen is ur regule
154r–156r Titel: Collacie Wanne dat die brodere myt deme … tzo samen sprechen so begere ich sunderlyngen dat ir sprecht van geystlichen dyngen ind van nutzen dyngen
150v–154r In deme namen ons lieven heren jesu christi lieven broedere
112r–121r
Inc.: Dyt sen de vruchte de hilligen sacramentes de de mensche ontfeyt
Inc.: Dyt synt die vruchten des heylgen sacrament die die mynschen ontfanghen 147r–150v
79v–93v
Inc.: Dat ys onsen leven here offer hande to done uwes selves nichts nicht te beholdene
100v–112r Titel: Collacie
142v–147r
Inc.: Dit ys unsen lyeven heren offerInc.: Dat is onsen lieven heren offerhande te doene uwes selves nyetes nyet hande tzo doyn ures selves nietes niet te beholden tzo halden
79v–83r Titel: Collacie
(= P 7) 212–214 Die sevende collacie vanden sacramente … sacramentes (Abbruch)
(= P 6) 202–212 Die seste collacie van begheren ver smaet te wesen Inc.: Dat is onsen lieven heren offerhanden to doe uwes selves nietes niet te behouden
Von der IJssel bis Ostwestfalen: ein Kulturgebiet?
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Devotio und religiöse Praxis: Die Ratschläge des Kartäusers Dionysius Ryckel
Iris Kwiatkowski
Die Kartäuser, deren Anfänge bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen, verstanden sich als strenge Eremiten.1 Weltferne und kontemplative Abgeschiedenheit waren ihr oberstes Gebot; nicht von ungefähr hat man ihren Orden als den der „schweigenden Mönche“ bezeichnet. Mit den Zielsetzungen der Devotio scheint eine solche Lebensweise auf den ersten Blick kaum vereinbar, denn wie könnte man von überzeugten Anachoreten ein Interesse an Laienfrömmigkeit oder gar an seelsorglichen Aktivitäten erwarten? Doch bemerkenswerterweise haben sich die Kartäuser selbst bereits in ihrer Frühzeit mit dieser Problematik auseinandergesetzt: In den ältesten Consuetudines, die Prior Guigo I. in den 1120er Jahren aufzeichnen ließ, wird allen Brüdern ans Herz gelegt, sich in ihren einsamen Zellen dem Bücherschreiben zu widmen. Wörtlich heißt es dann weiter: „Wir wollen aber, dass unsere Bücher als die ewige Speise unserer Seelen gehütet werden und dass dies mit höchstem Eifer geschieht, damit wir das Wort Gottes mit den Händen predigen, weil wir es mit dem Mund nicht können – ut quia ore non possumus, dei verbum manibus predicemus.“2 Das Gebot kontemplativen Schweigens stand seelsorglichem Bemühen also durchaus nicht im Wege; vielmehr ermöglichte es die kontinuierliche Bücherproduktion den Kartäusern, ihre eigene Spiritualität einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.3 Als in anderen Orden längst schon der Niedergang der klösterlichen Skriptorien eingesetzt hatte, hielten die Kartäuser unbeirrt an den Postulaten ihrer Grün1
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Eine kurze Einführung in die Geschichte des Kartäuserordens bietet James Lester Hogg, Kartäuser, in: Theologische Realenzyklopädie Bd. 17 (1988), S. 666–673; Ders., Kartäuser, in: Peter Dinzelbacher/James Lester Hogg (Hrsg.), Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, (Kröners Taschenausgabe, 450), Stuttgart 1997, S. 275–296. Siehe auch den Überblick bei Bruno Kammann, Die Kartause St. Barbara in Köln (1334 bis 1953). Kontinuität und Wandel. Ein Beitrag zur Kirchen- und Stadtgeschichte Kölns, (Libelli Rhenani, 33), Köln 2010, S. 31–77. Guigues Ier Prieur de Chartreuse, Coutumes de Chartreuse, (Sources Chrétiennes, 313), Paris 1984, c. 28,3, S. 222–224. Siehe zur Buch- und Schriftkultur der Kartäuser den Sammelband von Sönke Lorenz (Hrsg.), Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski, bearb. von Oliver Auge/Robert Zagolla, Stuttgart 2002.
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derväter fest. In einer Statutensammlung von 1259 heißt es lapidar: „Wer sich aufs Schreiben versteht, es aber nicht tun will, der soll nach Ermessen des Priors auf den Weingenuss verzichten.“4 Die intensive Schreibtätigkeit erklärt, warum die Kartäuser trotz ihrer eremitischen Zurückgezogenheit eine beachtliche Öffentlichkeitswirkung entfalteten, die auch Bereiche der Volksfrömmigkeit erfasste. Die Kartäuser lebten zwar weltfern, sie waren aber alles andere als weltfremd. Durch das Medium des Buches kamen sie mit neuen Frömmigkeitsformen in Berührung, und durch eigene Abschriften trugen sie zu deren Verbreitung bei.5 Vor einigen Jahren hat Uwe Neddermeyer untersucht, welche bedeutende Rolle der Orden in der Rezeption der „Imitatio Christi“ spielte.6 Bemerkenswert ist allein schon die große Zahl von Abschriften kartäusischer Provenienz; aber vielleicht noch aufschlussreicher ist die Tatsache, dass man als Verfasser des Werkes bisweilen einen Carthusianus in Reno, einen Kartäuser aus dem Rheinland, vermutete. Offensichtlich sah man also eine enge Verwandtschaft zwischen dem Gedankengut der Devotio und der kartäusischen Spiritualität. Das hohe Ansehen, das der Kartäuserorden gerade im späten Mittelalter genoss, ist nicht zuletzt auf seine anerkannt strenge Observanz zurückzuführen. Das berühmte Schlagwort Cartusia numquam reformata, quia numquam deformata (Die Kartause wurde niemals reformiert, weil sie sich niemals deformie-
Qui scribere scit et potest et noluerit, a vino abstineat arbitrio prioris. Hier zitiert nach: Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 4. Aufl., Graz 1958, S. 443 f. 5 Über die Beziehungen der Kartäuser zu anderen Frömmigkeitsbewegungen des Mittel alters siehe Gerard Achten, Die Kartäuser und die mittelalterlichen Frömmigkeitsbewegungen, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Die Ausbreitung kartäusischen Lebens und Geistes im Mittelalter, (Analecta Cartusiana, 63:2), Bd. 2, Salzburg 1991, S. 118–131; ferner über die Beziehungen zur Devotio Moderna Gerard Achten, Kartäuser und Devotio Moderna: Kleiner Beitrag zur Geschichte der spätmittelalterlichen Mystik, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Die Geschichte des Kartäuserordens, (Analecta Cartusiana, 125:2), Bd. 2, Salzburg 1992, S. 154–181; R. Th. M. van Dijk, Geert Grote im Lichte seiner kartäusischen Beziehungen, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Die Geschichte des Kartäuserordens, (Analecta Cartusiana, 125:1), Bd. 1, Salzburg 1991, S. 113–129; Ders., ‚Ad instar fratrum ordinis carthusiensis‘. Einflüsse der Kartäuserstatuten auf die Windesheimer Gesetzgebung, in: James Lester Hogg (Hrsg.), Die Ausbreitung kartäusischen Lebens und Geistes im Mittelalter, (Analecta Cartusiana, 63:1), Bd. 1, Salzburg 1990, S. 72–89; Willem Lourdaux, Kartuizers – Moderne Devoten: een probleem van afhankelijkheid, in: Ons geestelijk erf 37 (1963), S. 402–418; Willem Lourdaux, Enkele beschouwingen over de betrekkingen tussen de Kartuizers en de Moderne Devoten, in: Handelingen van het XXVe Vlaamse Filologencongres, Antwerpen 1967, S. 416–423; Heinrich Rüthing, Zum Einfluß der Kartäuserstatuten auf die Windesheimer Konstitutionen, in: Ons geestelijk erf 59 (1985), S. 197–210. 6 Uwe Neddermayer, Verfasser, Verbreitung und Wirkung der „Imitatio Christi“ in Handschriften und Drucken vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Ulrike Bodemann (Hrsg.), Kempener Thomas-Vorträge, Kempen 2002, S. 55–83. 4
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ren ließ.) wurde zwar erst im 17. Jahrhundert geprägt.7 Doch inhaltlich entspricht es durchaus der Wahrnehmung des 14. und 15. Jahrhunderts, einer Zeit also, die im kirchlichen Bereich allenthalben auf eine „Reform an Haupt und Gliedern“ drängte.8 Auch das Ordenswesen blieb von dieser Diskussion nicht verschont, und nur den Kartäusern bescheinigte man, von ihrer ursprünglichen Regelstrenge nie abgewichen zu sein. So brachte ihnen das 14. Jahrhundert einen ungeahnten Expansionsschub: Mindestens 99 Neugründungen, nach anderen Angaben sogar 105 oder 106, sind in diesem Zeitraum zu verzeichnen9 – und das, nachdem der Orden bis 1300 überhaupt erst 62 Niederlassungen zählte. Nach 1400 nahm das Tempo der Ausbreitung wieder ein wenig ab, aber bis zum Jahre 1500 kam es immerhin noch zu 40 weiteren Gründungen. Gerade die Mächtigen, die in ihrem eigenen Auftreten weltlichen Pomp zu schätzen wussten, bewunderten die asketische Disziplin der Kartäuser: Als Grablege der burgundischen Herzöge wurde unter Philipp dem Kühnen die Kartause von Champmol errichtet (Weihe 1388).10 Schon 1320 hatte der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt die erste Kartause in seiner Diözese gestiftet11; ihm folgte sein Trierer Amtskollege Balduin von Luxemburg, der gleich zweimal als Gründer in Erscheinung trat: 1331 Beatusberg bei Koblenz, 1332 St. Alban vor Trier.12 Und als 7
Zur mutmaßlichen Herkunft des Diktums s. Giovanni Leoncini, „Cartusia nunquam reformata“: spiritualità eremitica fra Trecento e Quattrocento, in: Studi medievali, serie terza 29 (1988), S. 561–586, hier S. 561, Anm. 1. 8 Zur Kirchenreform im 14. und 15. Jahrhundert siehe die neueste Überblicksdarstellung von Heribert Müller, Die kirchliche Krise des Spätmittelalters. Großes Schisma, Konziliarismus und Reformkonzilien, (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 90), München 2012. 9 Von 99 Gründungen spricht Sönke Lorenz, Ausbreitung und Studium der Kartäuser in Mitteleuropa, in: Ders. (Hrsg.), Bücher (wie Anm. 3), S. 1–19, hier S. 2; ebenso Heinrich Rüthing, Zur Geschichte der Kartausen in der Ordensprovinz Alemannia inferior von 1320 bis 1400, in: Marijan Zadnikar/Adam Wienand (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 139–167, hier S. 139. 105 Neugründungen zählt James Lester Hogg, Die Ausbreitung der Kartäuser (Analecta Cartusiana, 89), Salzburg 1987, S. 5–26, hier S. 9; sogar 106 sind es nach der Tabelle bei Hubertus Martin Blüm: Die Entwicklung des Kartäuserordens seit seinen ersten Anfängen bis zur Gegenwart, in: Marijan Zadnikar (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 13–19, hier S. 13. 10 Zur Gründungsgeschichte Champmols s. Renate Prochno, Die Kartause von Champmol. Grablege der burgundischen Herzöge 1364–1477, Berlin 2002, S. 18 ff. 11 Johannes Simmert, Die Geschichte der Kartause zu Mainz, (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, 16), Mainz 1958, S. 1–4. Siehe auch hierzu und zum folgenden Rüthing, Geschichte der Kartausen (wie Anm. 9), S. 140–143. 12 Johannes Simmert, Zur Frühgeschichte der Kartause St. Alban bei Trier. 1330/1–54, in: Jahrbuch für Geschichte und Kunst des Mittelrheins und seiner Nachbargebiete 15/16 (1963/1964), S. 5–38; Johannes Simmert, Solitariam vitam diligens. Balduin von Luxemburg und die Kartäuser 1330–1354, in: Franz-Josef Heyen (Hrsg.), Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches 1285–1354, (Quellen und Abhandlungen zur
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letzter der drei geistlichen Kurfürsten rief auch der Kölner Erzbischof Walram 1334 in seiner Domstadt eine Kartause ins Leben.13 Wie diese prominenten Beispiele verdeutlichen, wurde für den Orden im Spätmittelalter das Phänomen der „Stadtkartause“ prägend: Anders als in der Frühzeit ließ man sich nicht mehr in menschenleeren Einöden nieder, sondern man suchte förmlich den Kontakt zu den urbanen Zentren. Zweifellos sind die veränderten Kriterien der Ortswahl ein Ausdruck des zunehmenden seelsorglichen Engagements. In frommen Laienkreisen ist eine starke Hinwendung zu den Kartäusern erkennbar; sie findet ihren Niederschlag in zahlreichen Schenkungen und Memorialstiftungen. Freilich ist nach wie vor die Schriftlichkeit das bevorzugte Medium kartäusischer Seelsorge; mündliche Unterweisung, Volkspredigt gar, kommt nur im Ausnahmefall vor. Zu jenen Kartäusern, die sich vorwiegend in Briefen und Traktaten an die Öffentlichkeit wandten, zählt auch Dionysius Ryckel (bzw. Rijkel, van Leeuwen, van Roermond).14 1402 oder 1403 in Ryckel (Belgisch Limburg) geboren, besuchte er mittelrheinischen Kirchengeschichte, 53), Mainz 1985, S. 213–222; Manfred Oldenburg, Die Trierer Kartause St. Alban von der Gründung (1330/31) bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, (Analecta Cartusiana, 132), Salzburg 1995, S. 14–20; Wolfgang Schmid, Balduin von Luxemburg († 21.1.1354) – eine Nachlese zu seinem 650. Todestag. Ein Bischof, eine Witwe, ein Zahn und ein Messer, in: Neues trierisches Jahrbuch 44 (2004), S. 33–64, bes. S. 38–47; Michael Oberweis, Erzbischof Balduin und die Kartäuser: Anmerkungen zum Memorienbuch der Trierer Kartause St. Alban, in: Karl-Heinz Hellenbrand/Wolfgang Schmid/ Patrick Trautmann (Hrsg.), Augen- und Seelen-Lust. Bibliophiles aus drei Jahrtausenden, (Libri Pretiosi. Mitteilungen der Bibliophilen Gesellschaft Trier, 12), Trier 2009, S. 72–79. 13 Harald Goder, Art. „Köln“, in: Gerhard Schlegel/James Hogg (Hrsg.), Monasticon Cartusiense, Bd. II, (Analecta Cartusiana, 185:2), Salzburg 2004, S. 577–587; Kammann, Kartause St. Barbara in Köln (wie Anm. 1), hier S. 66, S. 86–92. 14 Zur Biographie und zum reichhaltigen Œuvre des Dionysius s. D. D. Martin, Art. „Dionysius der Kartäuser“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3 (1986), Sp. 1092–1094; Martin Anton Schmidt, Art. „Dionysius der Kartäuser“, in: Kurt Ruh (Hrsg.), Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 2, Berlin/New York 1980, Sp. 166–178; Hubertus Maria Blüm, Die Kartäuser-Schriftsteller im deutschsprachigen Raum, in: Marijan Zadnikar/Adam Wienand (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 345–373, hier S. 349 f.; Kent Emery (Jr.), Art. „Denys the Carthusian (1402/3–71)“, in: Edward Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, Bd. 2, London u. a. 1998, S. 884–887; Eugen Ewig, Die Anschauungen des Kartäusers Dionysius von Roermond über den christlichen Ordo in Staat und Kirche, phil. Diss. Bonn 1936; D. A. Mougel, Dionysius der Karthäuser 1402–1471. Sein Leben, sein Wirken, Mühlheim a. d. Ruhr 1898; Peter Nissen, Dionysius de Kartuizer (1402/3–1471): de roem van de Roermondse Kartuis, in: Krijn Pansters (Hrsg.), Het Geheim van de Stilte. De Besloten Wereld van de Roermondse Kartuizers. Verschenen ter gelegenheid van de tentoonstelling in het voorma lige kartuizerklooster ‚O. L. Vrouw van Bethlehem‘ te Roermond, maart-juni 2009, Zwolle 2009, S. 158–165; Stefan Podlech, Discretio: zur Hermeneutik der religiösen Erfahrung bei Dionysius dem Kartäuser, (Analecta Cartusiana, 194), Salzburg 2002; Dirk Wassermann, Dionysius der Kartäuser. Einführung in Werk und Gedankenwelt, (Analecta Cartusiana, 133), Salzburg 1996; Adam Wienand, Bedeutende Prioren in der Kölner Kartause,
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zunächst die Schule zu St-Trond und seit 1415 die städtische Schule in Zwolle, die unter dem damaligen Rektor Johannes Cele († 1417) stark von der Devotio moderna geprägt war. Seine Bildung vertiefte er in Deventer, nach einer legendarisch gefärbten Überlieferung gemeinsam mit Nikolaus Cusanus bei den dortigen Fraterherren. Schon 1420 bewarb er sich um Aufnahme bei den Kartäusern, wurde aber wegen seiner Jugend zunächst abgelehnt. Stattdessen studierte er von 1421–24 an der Universität Köln, wo er die Magisterwürde erlangte. 1424/25 trat er in die Kartause von Roermond ein, zu deren Prior er im Jahre 1433 aufstieg. 1451 begleitete er Nikolaus Cusanus, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verband, auf dessen Visitationsreise durch das Rhein-Maas-Gebiet. Auch den Herzögen von Burgund stand er nahe; sein Traktat De vita et regimine principum ist wahrscheinlich Philipp dem Guten gewidmet; ein weiterer Fürstenspiegel aus seiner Feder ist an Isabella von Portugal, die Mutter Karls des Kühnen, adressiert. Mit herzoglicher Unterstützung betrieb er die Gründung eines Ordenshauses in ’sHertogenbosch, dessen Leitung er von 1466–69 innehatte. Das Projekt erwies sich jedoch als Fehlschlag und zehrte Dionysius‘ physische Kräfte auf. Am 12. März 1471 starb er und hinterließ ein riesiges Œuvre, das sich nicht nur im Orden hoher Wertschätzung erfreute. 1531 veranlasste das Generalkapitel der Kartäuser eine vollständige Werksausgabe, die von der Kölner Kartause betreut wurde. Im Laufe des 16. Jahrhunderts erschienen nicht weniger als 36 Foliobände; die heute maßgebliche Neuauflage (erschienen 1896–1935) umfasst sogar 42 Bände. Schon unter den Zeitgenossen rief der Gelehrtenfleiß des Dionysius größte Bewunderung hervor. Beeindruckend ist das weite inhaltliche Spektrum seiner Schriften: Unter anderem verfasste er ausführliche Kommentare zu den biblischen Büchern, zu verschiedenen Kirchenvätern, aber auch zu den Sentenzen des Petrus Lombardus; er schrieb geistliche Gedichte und griff mit Reformtraktaten in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit ein. Ein Schwerpunkt seines Schaffens war die mystische Theologie, ihr verdankt er den ehrenden Beinamen eines Doctor Ecstaticus, den er sich freilich mit so illustren Persönlichkeiten wie Meister Eckhart und Jan van Ruysbroek teilen muss. Neben seinen großen Hauptwerken hinterließ Dionysius auch viele kleinere Gelegenheitsschriften, unter ihnen eine Abhandlung mit dem Titel De modo agendi processiones sanctorumque veneratione, also: „Wie man Prozessionen abhalten und die Heiligen verehren soll“.15 Dank einer längeren Vorrede wissen wir, in: Marijan Zadnikar/Adam Wienand (Hrsg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 243–287, hier S. 258–261. 15 Dionysius der Kartäuser, De modo agendi processiones sanctorumque veneratione, in: Doctoris Ecstatici d. Dionysii Cartusiani opera minora, Bd. IV, (Opera omnia, 36), Tournai 1908, S. 195–209. – Auf die Bedeutung des Traktats verweist Dieter Scheler, Inszenierte Wirklichkeit: Spätmittelalterliche Prozessionen zwischen Obrigkeit und ‚Volk‘, in: Bea Lundt/Helma Reimöller (Hrsg.), Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen
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welche Umstände Dionysius zur Abfassung dieser Schrift veranlassten: Ein ihm persönlich bekannter städtischer Amtsträger (magistratus) namens Amandus hatte sich brieflich an ihn gewandt und um Auskunft in einer theologisch heiklen Angelegenheit gebeten. In einer Nachbarstadt fand jährlich eine traditionsreiche Reliquienprozession statt, die viele Gläubige aus dem Umland anzog und daher für die Bürger zu einem einträglichen Geschäft wurde: „Sie sagen nämlich, dass die Stadt durch die Prozession reich werde, weil das Volk dort den ganzen Tag verbringe und deshalb gezwungen sei, zu essen und zu trinken und andere Bedürfnisse zu stillen.“16 Allerdings kam es während der Prozession regelmäßig zu Ausschreitungen, Zechgelagen und anderen unschönen Szenen. Amandus bezweifelt, dass derartige Vorkommnisse Gott und den Heiligen wohlgefällig seien; deshalb erbittet er von Dionysius eine „vernunftgemäße und scholastische Abhandlung“ (scholastice rationabiliterque), um die Nachbarstadt zur Abstellung der Missstände zu veranlassen. Leider erfährt der Leser des Traktats nichts darüber, in welcher Stadt Amandus sein Amt bekleidete, und auch der Name des Ortes, in dem die jährliche Prozession stattfand, wird – offenbar bewusst – verschwiegen. Deutlich wird immerhin, dass es sich um ein oppidum satis famosum, also sicher um eine relativ große Stadt, handelte. Gerne wüsste man auch mehr über die Art der angedeuteten Missbräuche, aber abgesehen von dem ausdrücklich benannten Alkoholmissbrauch (potationes, ebrietates) ist stets nur in allgemeinen Formulierungen von abusiones, insolentiae, dissolutiones und ähnlichem die Rede. Vielleicht wird man sich den Ablauf jener Prozession ähnlich vorstellen dürfen, wie es der ältere Brueghel in manchen seiner Gemälde und Zeichnungen karikiert; man denke nur an die zwielichtigen Dudelsackspieler, die den Pilgerzug nach Sint-Jans-Molenbeek begleiten. Dass solche Begleiterscheinungen durchaus zeitüblich waren, zeigt eine Xantener Überlieferung aus dem Jahre 1464: Zur damaligen Viktorstracht warb das Stift eigens Musikanten (fistulatores, „Pfeifer“) aus Aachen, Leiden und Soest an, um für die Unterhaltung des herbeiströmenden Volkes zu sorgen.17 Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters. Festschrift Ferdinand Seibt, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 119–129, hier S. 127. Siehe auch Charles M. A. Caspers, De eucharistische vroomheid en het feest van sacramentsdag in de Nederlanden tijdens de late middeleeuwen (= Eucharistic Devotion and the feast of Corpus Christi in the Low Countries during the late Middle ages/La dévotion eucharistique et la fête-dieu dans les anciens Pays-Bas au Moyen Age Tardif), (Miscellanea Neerlandica, 5), Leuven 1992, hier S. 122 f., S. 238 mit Anm. 49. 16 Dionysius der Kartäuser, De modo agendi processiones (wie Anm. 15), Art. I, S. 199: … quoniam dicunt, quod ex modo processionis suae urbs eorum ditetur, eo quod populus illo die ibi manens cogitur sic et sic manducare ac bibere ac similia exercere. 17 Stephan Beissel, Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten. Bau – Geldwerth und Arbeitslohn – Ausstattung, 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1889, S. 70. Zur Xantener Viktorstracht siehe auch Dieter Scheler, Die Xantener Viktorstracht:
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Devotio und religiöse Praxis: Die Ratschläge des Kartäusers Dionysius Ryckel
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Dionysius begnügt sich nicht damit, die Geschäftstüchtigkeit zu brandmarken, die sich mit der Organisation solcher überregional frequentierten Prozessionen und Wallfahrten verband. In Anlehnung an Thomas von Aquin sieht er die richtige religiöse Praxis in der Mitte zwischen zwei Extremen: Ketzerisch sei auf der einen Seite die Behauptung, man dürfe den Reliquien überhaupt keine Verehrung entgegenbringen. Ebenso falsch sei andererseits die Übertreibung (excessus), die immer dann eintrete, wenn bei gottesdienstlichen Verrichtungen etwas geschehe, was den Vorschriften des Evangeliums und der „wahren Religion“ widerspreche. Diese Übertreibung nennt Dionysius superstitio, und gegen deren Auswüchse wendet er sich mit einem ganzen Arsenal theologischer Argumente.18 Seinem Ruf enormer Belesenheit macht er dabei alle Ehre. Dass er in seinen Darlegungen ausgiebig auf die Hl. Schrift – AT und NT – zurückgreift, wird kaum überraschen, ebenso wenig der häufige Verweis auf die Kirchenväter. Ambrosius, Augustinus und Hieronymus, aber auch Johannes Damascenus werden mehrfach zitiert. In der Reihe der beifällig zitierten Autoritäten erscheint überraschend sogar der dem Mittelalter sonst kaum bekannte Tertullian. Die Kenntnis dieses Namens verdankt Dionysius allerdings nur einer Streitschrift des Hieronymus (Contra Vigilantium), und auch die Würdigung Tertullians als vir eruditissimus ist wörtlich jener Quelle entnommen.19 Mit der Theologie der Scholastik erweist sich Dionysius nicht minder vertraut: geläufig zitiert er neben Thomas von Aquin Autoren wie Wilhelm von Auvergne, Heinrich von Gent oder Pierre d’Ailly (um nur die wichtigsten zu nennen). Auch das Corpus Iuris Canonici wird ausgiebig als Autorität herangezogen. Die beeindruckende Vielzahl der Zitate wirft freilich auch ein verräterisches Licht auf die recht flüchtige Arbeitsweise des Dionysius: Über weite Strecken liest sich sein Traktat wie eine Collage, eine nur notdürftig redigierte Aneinanderreihung einschlägiger Belegstellen. Nicht immer wirken die vorgetragenen Argumente konsequent durchdacht: Um zu veranschaulichen, wie eine wohlgeordnete Prozession ablaufen solle, verweist Dionysius ausgerechnet auf die Überführung der Bundeslade nach Jerusalem: Mit aller Devotion und in spiritualis jucunditas hätten seinerzeit König David, die Priester und das Volk Israel die Lade an ihren neuen Standort überführt.20 Dionysius scheint hier jedoch völlig verdrängt zu haben, dass David sich bei dieser Gelegenheit scharfe Kritik seiner Gemahlin Michal zuzog: „Wie vornehm hat sich heute der König von Israel gezeigt, als Wallfahrt, Politik, und Kommerz am Niederrhein im 15. Jahrhundert, in: Jürgen Petersohn (Hrsg.), Überlieferung, Frömmigkeit, Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung. Vorträge beim wissenschaftlichen Kolloquium aus Anlaß des achtzigsten Geburtstags von Otto Meyer, Würzburg, 25. Oktober 1986, Wiesbaden 1987, S. 96–113. 18 Dionysius der Kartäuser, De modo agendi processiones (wie Anm. 15), Art. V, S. 202 f. 19 Vgl. unten, Anm. 61. 20 Dionysius der Kartäuser, De modo agendi processiones (wie Anm. 15), Art. IX, S. 206 f.
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er sich vor den Augen der Dienstmägde entblößte, wie sich sonst nur ehrloses Volk entblößt (2 Sam 6,20).“ Ob Dionysius dieses ungebührliche Verhalten mit dem Begriff der „spirituellen Heiterkeit“ rechtfertigen wollte, muss offen bleiben. Überzeugender und sachlich angemessener erscheint jedenfalls sein Rückgriff auf die prophetische Kultkritik des Alten Testaments: Vor allem Jesaja kommt ausführlich zu Wort, und natürlich darf das bekannte Diktum nicht fehlen: „Bringt mir keine eitlen Opfer mehr dar; Eure Brandopfer sind mir ein Greuel (Jes 1,13).“ Wenn Gott diese Worte an die „ungehorsamen und abtrünnigen Juden“ gerichtet habe – um wie viel mehr seien sie dann von jenen ungehorsamen, undisziplinierten und fleischlich lebenden Christen zu beherzigen, die ihre Prozessionen durch Missbräuche und Lasterhaftigkeit befleckten? Dass es sich bei der inkriminierten Prozession um einen altehrwürdigen Brauch handle, lässt Dionysius nicht als ernsthaftes Argument gelten: Schon im Decretum Gratiani heiße es, eine schlechte Gewohnheit sei ebenso auszumerzen wie eine gefährliche Verderbnis. Und nicht umsonst habe Papst Gregor VII. gesagt: „Wenn Du Dich etwa auf eine Gewohnheit berufen willst, so bedenke, dass der Herr spricht, ‚Ich bin die Wahrheit‘, und nicht, ‚Ich bin die Gewohnheit.‘“21 Ebenso sei die Behauptung zurückzuweisen, die Stadt, in der die Prozession stattfinde, profitiere ökonomisch vom Zustrom der Gläubigen. Ähnlich hätten schon die heidnischen Römer ihren Götzendienst für heilbringend gehalten, weil sie so viele Siege und schließlich gar die Weltherrschaft erlangten. In Wahrheit jedoch sei materielle Prosperität kein Gradmesser für das Wohlgefallen Gottes und seiner Heiligen. Vielmehr sollten sich die Bürger jener Stadt in Acht nehmen, dass sie den Lohn für ihre Prozession nicht bereits im Diesseits empfingen und dafür im Jenseits bestraft würden. Möglicherweise habe der Teufel sie verführt, damit sie aus Liebe zum Reichtum auf ihren Missbräuchen beharrten. Grundsätzlich dürfe man Gott nicht wegen der Aussicht auf weltlichen Gewinn dienen, und auch die Korrektur von Missbräuchen und abergläubischen Riten dürfe niemals aus Furcht vor materiellen Nachteilen unterbleiben.22 Mit dieser knappen Inhaltsangabe ist deutlich geworden, dass Dionysius in vielerlei Hinsicht dem Gedankengut der Devotio moderna nahesteht: Er favorisiert eine religiöse Praxis, die nicht auf Veräußerlichung und prunkvolle Zurschaustellung, also auf curiositates setzt, sondern die innere Einstellung, den cultus interior, ins Zentrum rückt. Bei allem Respekt vor dem priesterlichen Amt betont er daher auch den Eigenwert der Laienfrömmigkeit. Den Magistraten Amandus, den er in vertraulichem Wortspiel als amande Amande, als „liebenswerten Amandus“ anredet, lobt er geradezu emphatisch für dessen beispielhaftes Engagement: „Obwohl Du in der Welt lebst und verheiratet bist, belastet mit der 21 Ebd., Art. VI, S. 203 f. 22 Ebd., Art. X, S. 207 f.
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Sorge um eine vielköpfige Nachkommenschaft, erglühst Du nichtsdestoweniger von ganzem Herzen in geistlicher Sehnsucht.“23 Dionysius begrüßt es ausdrücklich, wenn sich die städtische Obrigkeit für die Reform und den guten Zustand der Kirche einsetze: „Du gibst Dich nicht zufrieden mit einem guten Stadtregiment im weltlichen Bereich, sondern Du strebst auch mit größtem Eifer nach einer guten Führung in geistlichen Belangen.“24 Das Lob für den frommen Laien verbindet sich mit heftiger Kritik an der mangelnden seelsorglichen Kompetenz des höheren Klerus. Nicht von ungefähr stellt Dionysius an den Beginn seiner Ausführungen das Psalmwort: „Der Eifer für Dein Haus verzehrt mich.“ Manche, die ihr Amt oder ihr Weihegrad zu diesem Eifer verpflichte, seien durch fleischliche Neigungen, moralische Verkommenheit oder Nachlässigkeit verblendet und verhärtet. Gemäß dem Bibelwort „Der Geist weht, wo er will.“ seien daher die einfachen Geistlichen und gute Weltmenschen, boni saeculares, dazu aufgerufen, ihren Eifer für das Haus Gottes zu demonstrieren. Ihnen habe die göttliche Gerechtigkeit jenen Lohn zugewendet, den die fleischlichen, nachlässigen und gottlosen Prälaten und Bischöfe erlangen würden, wenn sie ihren Amtspflichten wirkungsvoll nachkämen.25 Der kleine Traktat des Dionysius ist also mehr als eine Anleitung, wie man eine Gott wohlgefällige Prozession zu organisieren habe. Er ist zugleich ein Plädoyer für eine Frömmigkeitspraxis, die nicht auf spektakuläre Inszenierung, sondern auf Verinnerlichung und spirituelle Einkehr setzt. Dionysius zielt mit seinen Worten auf ein soziales und religiöses Milieu, in dem solche Gedanken offensichtlich einen fruchtbaren Nährboden fanden. Zum biographischen Hintergrund des Amandus lässt sich leider nur wenig sagen. Erkennbar ist immerhin, dass er in seiner Heimatstadt dauerhaft hohe Ämter bekleidete und entsprechendes Ansehen genoss: „Die ganze Gemeinde liebt Dich wie den Vater aller.“26 Er war der lateinischen Sprache mächtig und scheint auch mit Grundbegriffen der Theologie vertraut gewesen zu sein. Seine persönliche Religiosität ist offenbar gekennzeichnet durch eine vertiefte Passionsfrömmigkeit; in seinem – auszugsweise zitierten – Schreiben an Dionysius spricht er mit Nachdruck von der „Liebe zu Jesus und seinen Wunden, aus denen unsere Erlösung geflossen ist.“27 Nicht die Selbstheiligung steht im Mittelpunkt seines Strebens, sondern die Sorge um das 23 Ebd., Proœmium, S. 198: … quamvis sis saecularis et uxoratus, copiosaeque sobolis sollicitu-
dine oneratus, nihilo minus toto corde spiritualibus desideriis aestuas.
24 Ebd.: Non contentus es bono regimine politiae oppidi tui in temporalibus, sed bonam ejus
gubernationem in spiritualibus affectuosissime cupis et pro posse procuras.
25 Ebd., S. 197. 26 Ebd., S. 198: … ut tota communitas te tanquam communem omnium patrem praecipue
amet.
27 Ebd., Art. I, S. 199: … peto, ut amore Jesu et vulnerum ejus, ex quibus nostra profluxit red-
emptio, velis aliqua mihi conscribere …
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Gemeinwohl (bonum commune) und das Seelenheil seiner Nächsten, die salus proximorum suorum. Mit dieser religiösen Orientierung stand Amandus unter seinen Mitbürgern nicht allein: Das schriftliche Gutachten, das er von Dionysius erbat, sollte von einem vir religiosus ac bonus der Nachbarstadt übermittelt werden. Auch hier bleibt leider im Dunkeln, wer der Überbringer der heiklen Botschaft war. Der Ausdruck religiosus deutet wohl auf einen Ordensmann hin; vielleicht handelt es sich bei ihm um einen geistlichen Berater des Amandus, vielleicht sogar um den eigentlichen Initiator des Bittgesuchs an Dionysius. Man hat Dionysius gelegentlich den „letzten Scholastiker“ des Mittelalters genannt, und tatsächlich wirkt seine zitatenreiche Gelehrsamkeit mitunter ein wenig antiquiert. Doch die eher traditionelle Argumentationsweise darf nicht den Blick auf die Aktualität der von ihm vorgetragenen Ideen verstellen. In vielen Punkten berühren sich seine Auffassungen mit denen der Devotio moderna; ja, manches wirkt beinahe wie eine Vorwegnahme reformatorischer Forderungen des 16. Jahrhunderts: die Kritik an der Sittenlosigkeit der Kirchenfürsten, die Hochschätzung der Laienfrömmigkeit und der Appell an den Reformeifer der weltlichen Behörden. Es wäre daher eine lohnende Aufgabe, die Parallelen zwischen den Anliegen der Devotio und denen der kartäusischen Erbauungsliteratur jener Zeit vertiefend zu untersuchen. Besonders zu beachten wäre dabei auch die rege Übersetzungstätigkeit der Kartäuser, die ebenso fleißig lateinische Texte in die Volkssprache übertrugen wie umgekehrt volkssprachliche ins Lateinische. Die vorliegenden knappen Ausführungen zum Prozessions-Traktat des Dionysius Ryckel sollen und können nicht mehr als eine Anregung in diese Richtung sein, deuten aber immerhin an, dass die Kartäuser trotz ihres strengen Schweigegelübdes einen wichtigen Beitrag zur Religiosität des späten Mittelalters geleistet haben.
Anhang: Deutsche Übersetzung des Traktats De modo agendi processiones sanctorumque veneratione Vorbemerkung: Der nachstehenden Übersetzung liegt die lateinische Textausgabe in den „Opera omnia“ (Bd. 36)28 zugrunde. Diese Edition wird der hohen Belegdichte des Traktats nicht annähernd gerecht; nachgewiesen sind lediglich Zitate aus der Bibel, dem Corpus Iuris Canonici und der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Tatsächlich ist es nicht immer leicht, die häufig stark paraphrasierenden Zitate des Dionysius in ihrem originalen Kontext aufzuspüren; 28 Wie oben, Anm. 15.
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dennoch wird im Folgenden versucht, auch die Entlehnungen aus den Kirchenvätern und den geistlichen Autoren des Mittelalters zu kennzeichnen. Damit ergibt sich zugleich ein Einblick in die Arbeitsweise des Dionysius, die oft auf Gedächtniszitaten beruht oder auf Zeugnisse Dritter rekurriert und so gelegentlich auch einem Missverständnis erliegt.29
Wie man Prozessionen abhalten und die Heiligen verehren soll Prooemium Der Eifer für Dein Haus verzehrt mich.30 Dieses Psalmwort ist im buchstäblichen Sinne über Christus gesagt, im allegorischen Sinne kann es aber auf jeden Christen bezogen werden, der sich leidenschaftlich für die Ehre Gottes einsetzt, der sich nicht mit dem eigenen Heil zufrieden gibt, sondern begehrt, dass der Schöpfer und Erlöser aller von allen die schuldige Ehrerbietung empfängt, und der sich um dieses Zieles willen nach Kräften abmüht, an erster Stelle aber sich selbst als getreuen und eifrigen Diener Gottes erweist. Denn die Liebe beginnt bei sich selbst, d. h. bei ihrem eigenen Subjekt. Und es ist dem Heiligen Geist nicht willkommen, wenn ihm jemand etwas darbringt, der seine Pflichten vernachlässigt, d. h. sich nicht um sein eigenes Heil bemüht. Christus selbst bezeugt: Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, sich selbst aber verlöre?31 Nehmen wir also an, jemand sorgt sich derart um das Gemeinwohl, dass ihn der Eifer für das Haus Gottes – d. h. das glühende Engagement für die Reform und den guten Zustand der Kirche – verzehrt, sein Inneres in sich aufnimmt, verwandelt und vereinnahmt, so dass der Betreffende vom heiligen Eifer überwältigt und gleichsam aufgezehrt wird, so wie man sagt, dass ein glühender Liebhaber von seiner Liebe besiegt wird, wenn er nichts anderes denken, begehren und schätzen kann als das, was er so einzigartig liebt. Oh, wie glücklich, wie auserwählt, wie teuer ist Gott derjenige, den der Eifer für das Haus Gottes derart verzehrt, der so sehr das Heil seiner Nächsten begehrt, der so in der Liebe für das Gemeinwohl glüht, dessen Geist so unauslöschlich allem Ehrenhaften und Guten zugeneigt ist, dass er weder Bitten noch Kosten noch Mühen scheut, um seinen heiligen Eifer zum gewünschten Erfolg zu führen! Und wenn er auch niemals in diesen Dingen seinen eigenen Vorteil sucht, sondern allein die Ehre des Allerhöchsten und das Heil der Gemeinschaft, so wird er den29 Vgl. z. B. unten, Anm. 61 u. 74. 30 Ps 69,10. 31 Lk 9,25.
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noch von seinen Mitstreitern den gleichen Dank erhalten, als wenn es um seine eigene Sache ginge. Gewiss, wie der Heiland sagt: Der Geist weht, wo er will.32 Denn einerseits gibt es einige, die durch ihr Amt, ihren Weihegrad oder ihren Stand zu dem besagten Eifer verpflichtet sind, aber aufgrund von fleischlichen Neigungen, Verkommenheit oder Nachlässigkeit so verblendet und verhärtet sind, dass sie das Geschenk und die Gnade eines so überaus heilsamen Eifers gänzlich einbüßen. Andererseits gibt es einfache Geistliche, ja auch gute Weltmenschen, die aus besonderem Erbarmen und durch das gnädige Geschenk des Heiligen Geistes durch diesen Eifer geschmückt und entflammt werden. Ihnen hat die unbegreifliche Höhe der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit den überreichen Lohn bereitet und vorbehalten, den jene fleischlichen, nachlässigen und gottlosen Prälaten und Bischöfe erlangen würden, wenn sie ihren Amtspflichten wirksam nachkämen. Daher müssen solche guten geistlichen und weltlichen Männer in ihrem Vorhaben bestärkt werden, und sie sollen die Glut ihres Eifers nicht erkalten lassen, auch wenn sie den gewünschten Erfolg nicht erreichen können, denn Gott prüft die Herzen33 gemäß der Ernsthaftigkeit und dem Feuer ihres Eifers, und er wird ihnen die Krone verleihen. Außerdem erwächst dieser Eifer, der nach dem Zeugnis des hl. Gregor ein Gott wohlgefälliges Opfer ist,34 aus der Gottes- und der Nächstenliebe. Denn je eifriger jemand Gott liebt, desto glühender wünscht er auch, dass alle ihn verehren mögen. Deshalb stellt der hl. Augustinus fest: Derjenige liebt Gott mehr, der mehrere zu ihm bekehrt,35 d. h. entweder sie zu bekehren begehrt oder sich wünscht, dass sie sich bekehren, und der sich dafür nach seinen Kräften einsetzt, durch Gebet, Bitten, Predigt oder auf andere Weise. Je eifriger also jemand seine Nächsten liebt, desto inständiger wünscht er deren Heil und setzt sich dafür ein. Keine Charaktereigenschaft, keine Tugend handelt so gefällig und erfreulich wie die Liebe, zumal sie ja die Mutter, der Antrieb und die Urheberin aller übrigen Tugenden ist. Auch geht der genannte Eifer aus der Tugend der Gerechtigkeit hervor, aufgrund derer man eifrig bemüht ist, einem jeden das Seine zu geben und heilsame Geradheit gegenüber allen walten zu lassen. Mit Recht verdienen
32 Joh 3,8. 33 Vgl. Spr 24,12. 34 Gregor d. Gr., In Ezechielem I,12,30: Nullum quippe omnipotenti deo tale est sacrificium,
quale est zelus animarum.
35 In der zitierten Form bei Augustinus nicht nachweisbar. Dionysius verwendet das Dik-
tum – stark paraphrasiert – auch in seiner Enarratio in epistolam catholicam beati Jacobi, Cap. V, Art. VII: Atque ut asserit Augustinus, ille in caritate dei est perfectior, qui ad eius amorem plures convertit. Doctoris ecstatici d. Dionysii Cartusiani opera omnia, Tom. XIII, Montreuil 1901, S. 610.
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es diejenigen, die in diesem Eifer brennen, von Christus zu hören: Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.36 Ich freue mich, dass Du, oh liebenswerter Amandus (amande Amande), dem Namen und der Sache nach ein Liebenswerter, zu denen gehörst, die von göttlichem Eifer entflammt sind. Mit dem Propheten Daniel kann man Dich mit Fug und Recht einen „Mann der Sehnsüchte“37 nennen. Obwohl Du in der Welt lebst und verheiratet bist, belastet mit der Sorge um eine reiche Nachkommenschaft, erglühst Du nichtsdestoweniger von ganzem Herzen in geistlichen Sehnsüchten. Und durch Schriften, Mühen und Ausgaben – ja, auch auf andere Weisen – zeigst Du unablässig, dass Du von diesem Eifer entflammt bist. Und schließlich strebst Du in Deiner Stadt, in der Du ununterbrochen ein Amt bekleidest, so gewissenhaft nach dem Gemeinwohl, dass die ganze Gemeinde Dich wie den Vater aller liebt. Doch Du gibst Dich nicht zufrieden mit einem guten Stadtregiment in weltlichen Dingen, sondern Du strebst auch mit größtem Einsatz nach einer guten Führung in geistlichen Belangen. Und nicht nur für Deine Stadt glühst Du in solchem Eifer, sondern auch für andere. Daher hast Du in Demut meine Wenigkeit gebeten, ich solle Dir etwas schreiben, um die Missbräuche einer anderen Stadt abzustellen. Deiner frommen Bitte will ich also vollständig nachkommen, und ich habe vor, über die besagte Materie weitläufiger zu schreiben, wie es der Geist der Wahrheit eingibt, zumal diese Materie nicht nur eine Stadt oder zwei oder wenige betrifft, sondern sehr viele.
Artikel I Über den Gegenstand des vorliegenden Traktats und die Beweggründe, die zu seiner Kompilation führten Der Mann, den ich am Ende des vorstehenden Prologs erwähnte, schrieb mir unter anderem: „Es gibt eine recht berühmte Stadt, durch die einmal im Jahr der Leichnam eines bestimmten Heiligen in einer Prozession herumgetragen wird, aber mit so schwerwiegenden Exzessen, Trinkereien und anderen Schändlichkeiten, dass zu befürchten ist, der allmächtige Gott werde dadurch in beträchtlichem Maße erzürnt. Es wäre daher angebracht, dass man den Rat dieser Stadt mit Gründen der Vernunft und der Hl. Schrift davon in Kenntnis setze, dass ein solcher Missbrauch weder Gott noch ihrem Heiligen und Stadtpatron gefalle. Und so sollten sie dafür Sorge tragen, dass die Prozession ehrbar, fromm und geordnet verlaufe. Mir bleibt also nur die Zuflucht zu Dir, und ich bitte Dich, Du mögest bei der Liebe zu Jesus 36 Matth 5,6. 37 Dan 10,11.
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und seinen Wunden, aus denen unsere Erlösung geflossen ist, mir ein paar Worte schreiben, mit denen ein frommer und aufrechter Mann den Rat der genannten Stadt darüber informieren kann, dass die Bürger die üblichen Missbräuche bei ihrer jährlichen Prozession abstellen mögen. Das wird, wie ich fürchte, nicht leicht fallen, wenn sie nicht durch glaubwürdige Schriften sehr überzeugend unterwiesen werden. Sie sagen nämlich, dass ihre Stadt durch die Art der Prozession reich werde, weil das Volk dort den ganzen Tag verbringe und deshalb gezwungen sei, zu essen und zu trinken und andere Bedürfnisse zu stillen. Zweitens behaupten sie, es handle sich um einen alten Brauch. Angesichts dessen muss bewiesen werden, dass jene Stadt deshalb nicht etwa reicher wird, sondern wegen der Sünden, die an einem so feierlichen Tag geschehen, eher sogar verarmt. Ich bitte Dich also, Du mögest mir ohne Verzug eine vernunftgemäße und scholastische Abhandlung über diese Materie zuschicken, damit der genannte fromme Mann den Rat der Stadt so eindringlich informieren kann, dass die Missbräuche abgestellt werden.“ Soweit das Zitat, soweit die Bitte des erwähnten Mannes. Ich will also, gemäß seinem Vorschlag und seinem Anliegen, etwas niederschreiben, wie es Gott selbst mir eingibt.
Artikel II Dass die Prozessionen der Kirche im Alten Testament ihren Ursprung haben Alles, was das Volk und die Väter des Alten Testamentes erlebten, ist symbolisch zu verstehen, wie der Apostel sagt38 und wie es Ambrosius im Buch von den Mysterien weiter ausführt, indem er darlegt, dass vieles im Gesetz des Evangeliums bewahrt ist, was auf die Tradition und Präfiguration des mosaischen Gesetzes zurückgeht.39 So hat auch das Jubeljahr, das in der Kirche begangen wird und das ein Jahr des vollständigen (Sünden-)Nachlasses ist, seinen Ursprung – oder besser: seine Präfiguration – im Alten Testament. Das schreiben einige Lehrer im Kommentar zum vierten Buch der Sentenzen40, ebenso auch Heinrich von Gent in seinen Quodlibeta41. Denn im Alten Testament war jedes fünfzigste Jahr, das ein Jubeljahr genannt wurde, ein Jahr der Versöhnung und des Schuldnachlasses, in dem das Volk Israel viele materielle Vergünstigungen erhielt: Die Zahlung der Schulden wurde ihnen erlassen, die Schuldknechtschaft wurde aufgehoben, und 38 1 Kor 10,11. 39 Vgl. Ambrosius, De mysteriis III,9: Considera autem quam vetus mysterium sit, in ipsius
mundi praefiguratum origine.
40 Gemeint sind die Sententiae des Petrus Lombardus. 41 Quodlibeta Magistri Henrici Goethals a Gandavo; die genaue Bezugsstelle des paraphra-
sierten Zitats war nicht zu ermitteln.
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die Güter, die sie verkauft hatten, kehrten zum früheren Besitzer zurück. Dieses Jahr wird im Buch Leviticus näher beschrieben.42 In allen genannten Vergünstigungen präfiguriert es das Jubeljahr der Kirche, in dem das christliche Volk von Gott geistliche Wohltaten im Übermaß empfängt. Und wenn jetzt überall in den Klöstern und Kollegiatskirchen sich zwei Chöre psalmodierend gegenüberstehen und Gott im Wechselgesang preisen, dann hat das seinen Ursprung darin, dass der heilige und tieffromme König David – wie es im ersten Buch der Chronik heißt43 – im Haus des Herrn zwei Chöre für den Psalmengesang aufstellte. Dementsprechend geht es auch auf Riten und Frömmigkeitspraxis des Alten Testamentes zurück, wenn in der Kirche Gottes Prozessionen stattfinden und wenn der Leib Christi, das Bild der ruhmreichen Jungfrau, die Körper der Heiligen sowie ihre Reliquien und Bilder in Prozessionen herumgetragen werden. All dies hat im Alten Testament seinen Ursprung und erhält von dort zumindest teilweise – wenn auch nicht vollständig – seine Begründung. Im Buch Josua nämlich liest man, dass die levitischen Priester auf Gottes Befehl die Bundeslade um die Stadt Jericho herumtrugen, an sechs Tagen je einmal, am siebenten Tag sieben Mal.44 Sodann liest man im ersten Buch der Chronik45 und im zweiten Buch der Könige46, dass David mit dem Volk Israel die Bundeslade von Gabaa in das Haus des Obed-Edom überführte und drei Monate später vom Haus des Obed-Edom in die Stadt Jerusalem. Und schließlich wird im dritten Buch der Könige beschrieben, wie König Salomo die Lade vom Zelt Davids in den Tempel überführte, den Salomo selbst erbaut hatte.47 Darüber hinaus ist der besagte religiöse Brauch der Kirche präfiguriert durch den Transport des Zeltes Moses und alles dessen, was sich in jenem Zelt befand – wie des Tischs, des Leuchters, des Altars, der Lade und der Gefäße des Heiligtums, wie im Buch Numeri zu lesen ist.48 Im Übrigen sind die Prozessionen der Kirche auch aus anderen Gründen eingeführt worden. Denn in der Urkirche wurde der fünfte Tag der Woche ebenso feierlich begangen wie der Tag des Herrn. An den Donnerstagen hielt man daher gemeinschaftlich eine Prozession ab, um an jene Prozession zu erinnern, in der Christus die Apostel, die bei ihm im Speisesaal zu Jerusalem waren, nach Bethanien hinausführte und dann vor ihren Augen mit den Heiligen zum Himmel auffuhr, wie es bei Lukas und in der Apostelgeschichte zu lesen ist.49 In der 42 43 44 45 46 47 48 49
Lev 25,8–13. 1 Chr 15,16–18. Jos 6,12–15. 1 Chr 15. 2 Sam 6. 1 Kge 8. Num 4. Lk 24,50–51; Apg 1,9.
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Folge führten der hl. Gregor und andere heilige bischöfliche Väter aus verschiedenen Gründen bestimmte Prozessionen ein. Schließlich sind schon vor Gregor einige Prozessionen von den heiligen Vätern eingeführt worden, um den irrigen Ritus der heidnischen Götzenanbeter zu beseitigen und auszurotten, die vor ihrer Bekehrung zu Christus ihren Abgöttern und Idolen Prozessionen abgehalten hatten. Deshalb ordnete die Kirche an, dass die, die sich bereits bekehrt hatten, auf fromme Weise zur Ehre Gottes und der Heiligen das verrichteten, was sie zuvor auf abergläubische Weise getan hatten. So wird es in der Legenda Aurea erzählt.50
Artikel III Erläuterung aufgrund der alttestamentlichen Schriften, wie die Prozessionen und das Umhertragen von Heiltümern und Reliquien in der Kirche Gottes fromm, geordnet und ehrerbietig stattfinden sollen Der hochheilige Paulus legt in seinen Briefen zur Genüge dar, wie gewaltig und ruhmreich das Gesetz des Evangeliums und die Kirche an Würde, Vollkommenheit und Gnade das mosaische Gesetz und die Synagoge übertreffen.51 In dem Maße also, in dem die Wahrheit das Zeichen übertrifft, das Licht die Finsternis und der Mittag die Dämmerung, so übertreffen zwangsläufig die Gegebenheiten unter dem Gesetz des Evangeliums und in der streitenden Kirche jene, die in der Synagoge und im mosaischen Gesetz herrschen. Damit also klar wird, mit welcher äußersten Hingabe und Schicklichkeit die Prozessionen und das Umhertragen der Heiltümer stattzufinden haben, wollen wir betrachten, wie die Prozessionen und das Umhertragen der Heiltümer im Alten Testament abliefen. Mit welcher Ehrerbietung und Sorgfalt das Zelt Moses und sein Inhalt transportiert wurden, ist ausführlich im Buch Numeri beschrieben.52 Gemäß dem göttlichen Gebot zogen die zwölf Stämme Israels, nach ihren Ständen gegliedert, in wohlgeordneter Formation um das Zelt herum. Von den Söhnen Levis, auf drei Abteilungen verteilt, trug ein jeder, was ihm anvertraut war, und unter Todesstrafe war ihnen auferlegt, nichts anderes zu tun. Darüber hinaus liest man im Buche Josua, wie die Söhne Israels mit der Bundeslade die Stadt Jericho umkreisten und dabei kein Wort reden durften, denn Josua sagte ihnen, wie der Herr es geboten hatte: Eure Stimme soll nicht vernommen werden, und kein Wort soll aus eurem
50 Dionysius bezieht sich hier auf Ausführungen der Legenda Aurea über Gregor den Gro-
ßen: Theodor Graesse (Hrsg.), Jacobi a Voragine Legenda Aurea, 2. Aufl., Leipzig 1850, cap. XLVI,4, S. 191 f. 51 Z. B. 1 Kor 10,11. 52 Num 4.
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Munde kommen, bis ich es euch sagen werde.53 Dadurch wird erkennbar, dass sie die Lade mit gottergebenem und hingebungsvollstem Herzen umhertrugen. Des weiteren wird im ersten Buch der Chronik und im zweiten Buch der Könige beschrieben, mit welcher Hingabe und spirituellen Heiterkeit der König David, die Priester und das Volk Israel die Lade trugen54, und dies ohne jedes fleischliche Trinkgelage und ohne eitles Geschwätz. Denn mit ganzer Kraft sangen sie Psalmen, lobten Gott mit dem Mund und mit Musikinstrumenten, brachten im Überfluss Opfer dar. Das taten auch in feierlichster Weise der König Salomo, die Priester und das Volk Israel, als sie die Lade von dem Zelt, in dem David sie aufgestellt hatte, in den Tempel überführten, wie man im dritten Buch der Könige lesen kann.55 Außerdem kann man im ersten Buch der Könige nachlesen, mit welcher Hingabe und Ehrerbietung die Heiltümer des evangelischen Gesetzes zu behandeln und zu ehren sind. Denn dort wird erzählt, dass die Leute von BetSchemesch, die zu den Söhnen Israels gehörten, die wiederentdeckte Lade ansahen und von Gott geschlagen wurden. Gott tötete nämlich siebzig Männer aus dem Volke und 50000 Mann, weil sie die Lade angeschaut hatten.56 Soweit das erste Buch der Könige. Ähnlich heißt es im zweiten Buch der Könige, dass der Levit Usa von Gott heimgesucht und getötet wurde, weil er sich herausnahm, die Lade Gottes in unziemlicher Weise abzustützen.57 Wenn also schon im Alten Bund das Volk der Synagoge mit so großer Ehrerbietung, Nüchternheit, Hingabe und spiritueller Heiterkeit die Lade transportierte (die doch nur ein materieller Gegenstand war, unbelebt und hölzern) und wenn diejenigen so streng von Gott heimgesucht wurden, die sich gegenüber der Lade unehrerbietig verhielten: Mit welcher Hingabe und Ehrerbietung gegenüber Gott, mit welcher Nüchternheit, Wachsamkeit des Herzens und spiritueller Fröhlichkeit, ja, mit welch kindlicher Furcht vor Gott muss dann erst das christliche Volk seine Prozessionen abhalten, die Sakramente Christi umhertragen, die Reliquien der Heiligen und andere Heiltümer mit sich führen? Wie sehr beleidigen also diejenigen Gott, wie schwer sündigen und welch strenge Vergeltung verdienen diejenigen, die nicht so handeln, sondern sich in den Prozessionen disziplinlos verhalten, indem sie sich dem Geschwätz und Gelächter hingeben, neugierig die Blicke schweifen lassen, der Trunksucht und dem Mutwillen die Zügel schießen lassen und sich unverschämt, zügellos und eitel benehmen? Halten sie ihre Prozession nicht eher für den Teufel als für Gott und seine Heiligen ab? Und wenn sie auch behaupten, sie hielten ihre Prozession zur Ehre Gottes und seiner 53 54 55 56 57
Jos 6,10. 1 Chr 15; 2 Sam 6. 1 Kge 8. 1 Sam 6,19. 2 Sam 6,6–7.
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Heiligen ab, so verkünden sie mit ihren Werken doch das Gegenteil. Von solchen Menschen schreibt der Apostel: Sie sagen, sie kennen Gott, aber in ihren Taten verleugnen sie ihn.58
Artikel IV Wie man den Reliquien der Heiligen die Ehre erweist, zumal wenn sie in einer Prozession umhergetragen werden Wie Pierre d’Ailly in seinem Buch De ecclesiastica potestate ausführt, hält der wahre katholische Glaube die Mitte zwischen zwei extremen Irrtümern59, so wie auch die moralische Tugend die Mitte zwischen zwei extremen Lastern darstellt. So gibt es auch bezüglich der Verehrung der heiligen Reliquien zwei extreme Irrtümer. Einige Häretiker nämlich, wie der frevlerische Enkomius und nach ihm Vigilantius – den man besser Dormitantius [„Schlafmütze“] nennen sollte60 –, behaupten, man dürfe den Reliquien der Heiligen keine Ehrerbietung entgegenbringen. Andere verhalten sich in der Reliquienverehrung abergläubisch, weil sie glauben, sie müssten ihnen die Ehre in Ausdrucksformen erweisen, die allen Heiligen ganz und gar missfallen: Zügellosigkeit, Hingabe an Fleischeslust, Gepränge, auffällige Kleidung, ungezügelte Trinkerei und viele andere Disziplinlosigkeiten. Das alles ist dem Gesetz der Natur ebenso zuwider wie dem göttlichen Gesetz. In der Mitte zwischen diesen Irrenden stehen die wahren Christgläubigen, denn sie verehren die Reliquien mit tiefer Hingabe und allem Eifer, auch mit spiritueller Freude und göttlichen Lobgesängen. Sie umarmen die Reliquien, tragen sie umher, folgen ihnen nach, empfangen sie und ehren sie, als ob diese die Körper wären, die sie einstmals waren, und als Heiligtümer und Tempel, in denen der Heilige Geist wohnte, als die Werkzeuge der Tugend, durch die einst die Heiligen löblich gewirkt haben, und als dasjenige, das den heiligen Seelen am nächsten steht. Denn auch die heiligen Seelen, die jetzt die seligmachende Schau Gottes genießen, lieben die Ihren. Sie ehren und besuchen die Reliquien, und sie zeigen, dass es ihnen besonders willkommen ist, dass ihre Reliquien auf geziemende Weise umhergetragen werden. Sie erflehen und gewähren auch große und vielfältige Wohltaten für die Orte und Städte und Menschen, in denen und von denen ihre Reliquien ehrenvoll aufbewahrt, pflichtgemäß verehrt und hingebungsvoll herumgetragen werden. Darüber hinaus schmückt, ehrt und erhebt der allmächtige 58 Tit 1,16. 59 Pierre d’Ailly, De ecclesiastica potestate, Prooemium: Sic enim (…) ostenditur, quod fides
medium tenet inter duos errores contrarios.
60 Dieses etwas grobschlächtige Wortspiel übernimmt Dionysius von Hieronymus, Contra
Vigilantium 1: Exortus est subito Vigilantius, seu vero Dormitantius …
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Gott die Reliquien der Heiligen durch zahlreiche und herrliche Wunder. Mehr darüber haben der hl. Hieronymus in seinem Buch gegen den Ketzer Vigilantius und auch Tertullian, ein hochgebildeter Mann, in seinem Buch gegen den verbrecherischen Enkomius61 geschrieben. Außerdem legt Damascenus im vierten Buch dar: Die Heiligen sind als Freunde, Söhne und Erben Gottes zu verehren, und als seine Diener.62 Ehre nämlich, die den Dienern bezeugt wird, ist ein Zeichen des guten Willens und der Ehrerbietung gegenüber dem Herrn. Die Heiligen waren gleichsam die Vorratskammern Gottes und seine reinen Speisesäle, die belebten Tempel und Tabernakel des Heiligen Geistes. Wie durch heilsame Quellen bewässert uns der Allherrscher Christus durch ihre Reliquien mit vielfältigen Wohltaten. Aus diesen Reliquien dringt wohlriechendes Salböl. Und daran möge niemand zweifeln. Wenn nämlich durch Gottes Befehl dem Volk Israel Wasser aus dem Felsgestein herausquoll63 und dem Samson aus dem Kinnbacken eines Esels64, dann ist es keineswegs unglaubwürdig, dass aus den Heiligenreliquien wohlriechendes Salböl hervordringt für diejenigen, die dürsten nach der Gnade Gottes und den Tugenden der Heiligen. Durch diese Reliquien werden Dämonen vertrieben und Kranke geheilt, sehen Blinde, werden Aussätzige gereinigt, Versuchungen und Niedergeschlagenheit überwunden. Soweit Damascenus. Siehe also, wie die Reliquien zu verehren sind: mit wahrem Glauben und heiliger Frömmigkeit, durch tugendhafte Werke.
Artikel V Wie sich einige bei den Prozessionen und beim Tragen der Reliquien abergläubisch und lasterhaft verhalten Religion kann auf eine Weise als latria verstanden werden, und demzufolge ist religio oder latria eine moralische Tugend, die Gott kultische Verehrung entgegenbringt. Und diese Tugend befindet sich in der Mitte zwischen zwei Extremen, 61 Hier irrt Dionysius, denn der um 200 lebende Tertullian kann schwerlich eine Streitschrift
gegen den ca. 395 verstorbenen Arianer Eunomius verfasst haben. Wenn Hieronymus in direkter Anrede des Vigilantius schreibt, Tertullian habe sich in einem seiner Werke contra haeresim tuam gewandt (Contra Vigilantium 8), so will er damit lediglich andeuten, dass bereits jener sich mit der Kritik am Reliquienkult auseinandergesetzt habe. In Wahrheit wendet sich Tertullian in dem betreffenden Werk („Scorpiacus“) gegen die Irrlehren gnostischer Sektierer. 62 Johannes von Damaskus, De orthodoxa fide IV,16: Honorare decet sanctos ut amicos Christi, ut filios et heredes dei. 63 Ex 17,6; Num 20,11. 64 Ri 15,19.
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von denen das eine der Religion durch Übertreibung entgegengesetzt ist. Dies nicht etwa, weil man Gott mehr Ehre erweisen könnte, als er verdient, sondern weil Gott von den Menschen auf unangemessene Art verehrt werden kann. Das ist der Fall, wenn bei der kultischen Verehrung Gottes etwas geschieht, was seiner Anbetung und den Vorschriften des Evangeliums und der wahren Religion widerspricht. Dieses lasterhafte Extrem nennt man Aberglaube (superstitio). Das ist es, was der hl. Thomas in der Secunda secundae, Quaestio 92, meint65, und das bekräftigen einhellig Raimund66 und andere Lehrer. Jeder, der die Schrift versteht, ist sich darüber im klaren, dass zwar in jeder menschlichen Handlung sämtliche Exzesse, Eitelkeiten, Maßlosigkeiten, prunkvolles Auftreten und eine zur Wollust reizende Kleidung, überflüssige und zügellose Trinkgelage sowie Frivolitäten zu meiden und verabscheuen sind, am meisten jedoch im Gottesdienst, bei den heiligen Prozessionen, beim Umhertragen der Reliquien, der heiligen Bilder und anderer Heiltümer und am allermeisten beim Umhertragen des hochwürdigsten Sakraments. Wer also die besagten Exzesse, Leichtfertigkeiten, Maßlosigkeiten, Verhaltensweisen, Kleidungen, Trinkereien und Frivolitäten mit den Prozessionen und dem Umhertragen der Heiltümer vermischt und meint oder behauptet, er verehre mit Derartigem Gott und die Heiligen bzw. Heiltümer, der verhält sich abergläubisch. Und das ist sehr gefährlich, denn der Aberglaube ist seiner Art nach eine Todsünde, weil er dem ersten Gebot widerspricht, wo es heißt: Du sollst nur einen Gott verehren.67 Ausführlicher äußert sich dazu Wilhelm von Paris in seinem Buch über den Glauben und die Gesetze.68 Außerdem sagt Thomas an der zuvor zitierten Stelle:69 Etwas kann in zweierlei Hinsicht überflüssig genannt werden. Zum einen bezüglich der absoluten Quantität; in diesem Sinne kann in der Verehrung Gottes nichts überflüssig sein, denn was immer wir Gutes vollbringen oder tun können – es ist weniger als das, was wir dem Schöpfer schuldig sind. Zum anderen kann etwas überflüssig genannt werden bezüglich der Verhältnismäßigkeit, weil es z. B. seinem eigentlichen Zweck nicht angemessen ist. Der Zweck der Verehrung Gottes ist es aber, dass der Mensch sich Gott gänzlich hingibt und opfert, indem er sich mit Geist und Körper vollkommen unterwirft. Das geschieht, wenn er sich selbst und alles, was er hat und tut, auf die Ehre Gottes ausrichtet, indem er seinen Leib bezähmt, die Seele erniedrigt und Gott verherrlicht. Was also nichts zu Ruhm und Ehre Gottes beiträgt, nichts zur Unterwerfung der Seele unter Gott und nichts zur Zähmung 65 66 67 68 69
Thomas von Aquin, Summa theologiae, II,II, qu. 92,1. Gemeint ist vermutlich der Kanonist Raimund von Peñafort. Dtn 6,13; 10,20. Wilhelm von Auvergne, De fide et legibus. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II,II, qu. 92,1.
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des Körpers, das alles ist abergläubisch und bei der Verehrung Gottes überflüssig, denn es trägt nichts zur inneren Verehrung Gottes bei, was auch Augustinus im Buch über die wahre Religion bezeugt. Soweit Thomas. Die genannten Exzesse, Zügellosigkeiten, prunkvollen Ausstattungen, maßlosen Trinkereien und ähnliche Missbräuche tragen also keinesfalls dazu bei, dass der Mensch seinen Körper vollkommen der Seele und die Seele Gott unterwirft und dass der allmächtige Gott mit der schuldigen Ehrerbietung angebetet wird. Vielmehr widersprechen sie all diesen Gütern. Daraus erhellt, dass es abergläubisch, überflüssig, durch und durch lasterhaft und missbräuchlich ist, Derartiges während der Prozessionen und dem Umhertragen der Heiltümer zu praktizieren, die von der Kirche zu Ruhm und Ehre Gottes und der Heiligen angeordnet und eingerichtet sind. Sie müssen daher vollständig von den Prozessionen und dem Umhertragen der Heiltümer ferngehalten werden.
Artikel VI Argumente aus dem Corpus Iuris gegen die genannten Missbräuche, Disziplinlosigkeiten und Exzesse Im Decretum (De Consecratione, Distinctio 3) wird das Konzil von Toledo zitiert: Es ist ein frevlerischer Brauch, den das Volk an den Heiligenfesten pflegt, wenn es sich schändlichen Tänzen hingibt und die Gottesdienste der Frommen durch Lärm übertönt.70 Daher ist er in allen Provinzen zu beseitigen. Diejenigen also, die sich solche Übertreibungen, Exzesse, Trinkereien, Zurschaustellungen und andere Disziplinlosigkeiten zuschulden kommen lassen, entfernen sich nicht nur selbst von Gott. Vielmehr behindern sie auch die Gebete und heilsamen Meditationen der Devoten; sie übertönen die Gesänge der frommen und spirituellen Menschen, die in der Prozession Gott loben, und sie fallen ihnen zur Last. Es steht also fest, dass diese Bräuche ganz und gar zu meiden und als lasterhaft zu beurteilen sind. Zudem sagt Papst Martin, wie es im Decretum heißt: Es ist nicht erlaubt, im Christentum die verwerflichen Riten der Kalenden zu praktizieren und die Häuser mit Lorbeer und Reisern zu schmücken. Das ist nämlich ein vollkommen heidnischer Brauch.71 Aus diesen Worten geht hervor, dass es gegen die Gebote der Kirche ist, wenn das Christenvolk es in seinen Prozessionen und Riten den Heiden gleichtut. Wenn also die götzendienerischen Heiden in ihren Prozessionen und Riten Übertreibungen, Trinkgelage, Exzesse und prunkvolle Gewänder 70 Decretum Gratiani, p. III, dist. 2, c. 2. Emil Friedberg (Hrsg.), Corpus iuris canonici, Pars
I, Leipzig 1879, Sp. 1353.
71 Ebd., p. II, causa 26, qu. 7, c. 13. Friedberg I (wie Anm. 70), Sp. 1044.
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hatten, dann steht fest, dass solche Bräuche gänzlich von den Prozessionen und Zeremonien der Gläubigen fernzuhalten sind. Denn der Apostel sagt: Was hat der Gläubige mit dem Ungläubigen zu schaffen? Und was der Tempel Gottes mit den Götzenbildern? Was die Gemeinschaft des Lichtes mit der Finsternis?72 Und wiederum sagt er: Haltet euch fern vom Bösen in jeder Gestalt.73 Die genannten Missbräuche aber haben nicht nur die äußere Erscheinung des Bösen, sondern auch dessen inneres Wesen. Daher sagt auch Papst Bonifaz im sechsten Buch der Dekretalen: Dem Haus Gottes ziemt Heiligkeit, so dass der Ort, der im Frieden Gottes errichtet wurde, auch in schuldiger Ehrerbietung seinem friedvollen Kult dient.74 In die Kirchen muss man daher demütig und bescheiden eintreten, müßiges Geschwätz ist einzustellen, und ebenso alles andere, was den Gottesdienst stören oder die göttliche Majestät beleidigen könnte. Denn dort, wo man um Gnade für seine Sünden bittet, darf keine Gelegenheit zum Sündigen geboten werden und darf erst recht keine Sünde geschehen. Da also die Prozessionen und das Umhertragen der Heiltümer zur Ehre Gottes und der Heiligen, zur Erlangung des Sündenvergebung und der Gnade eingerichtet wurden, müssen die besagten Disziplinlosigkeiten, Exzesse, Eitelkeiten und Trinkereien von ihnen ferngehalten werden. – Und schließlich gibt es in den Dekretalen noch einen speziellen Befehl, dass derartige Tändeleien nicht im Gottesdienst stattfinden dürfen.75
Artikel VII Zurückweisung dieser Missbräuche aufgrund von Worten der Kirchenväter Der hl. Hieronymus sagt: Nichts ist unvernünftiger, als im Rausch einen heiligen Märtyrer zu ehren, von dem wir wissen, dass er Gott durch seine Abstinenz wohlgefällig war.76 Entsprechend können wir sagen: Nichts ist unvernünftiger, als einen heiligen Märtyrer oder Bekenner oder eine heilige Jungfrau oder gar die Jungfrau der Jungfrauen mit Prozessionen und dem Umhertragen ihrer Reliquien und Bilder zu ehren, wenn diese von Zügellosigkeiten, aufreizender Kleidung, 72 2 Kor 6,14–16. 73 1 Thess 5,22. 74 Offenbar eine Verwechslung, denn die betreffende Dekretale stammt von Papst Gregor X.;
Sexti decretalium lib. III, tit. 23, c. 2. Emil Friedberg (Hrsg.), Corpus iuris canonici, Pars II, Leipzig 1879, Sp. 1061: Decet domum domini sanctitudo, ut, cuius in pace factus est locus, eius cultus sit cum debita veneratione pacificus. 75 Ebd., Sp. 1062: Cessent vana et multo fortius foeda et profana colloquia, cessent confabulatio nes quaelibet. 76 Hieronymus, Epist. 31,3: Quia valde absurdum est, nimia saturitate velle honorare martyrem, quem scimus deo placuisse ieiuniis.
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Gepränge und Trinkereien begleitet werden, die dem Ort und der Zeit nicht angemessen sind. Wir wissen, dass diese Heiligen Gott wohlgefällig waren durch züchtigstes Verhalten, durch tadelloseste Sitten, durch Nüchternheit, Demut und gottesfürchtigste Lebensweise. Gott und seinen Heiligen missfallen also zutiefst die Exzesse und Missbräuche, die sich bei den Prozessionen und dem Umhertragen der Heiligenreliquien ereignen. Außerdem tadelt der hl. Augustinus in den Büchern vom Gottesstaat vielfach die Prozessionen und Tempel der Heiden, weil in ihnen Schauspiele und andere schamlose und frivole Darbietungen stattfinden77. All das und Ähnliches muss für alle Zeit aus den Prozessionen und Gotteshäusern der Christen verbannt werden. – Der hl. Bernhard aber bezeugt:78 Derjenige verehrt wahrhaft die Heiligen, der ihre Tugenden und heiligen Werke nachahmt. Wer aber liebt und tut, was die Heiligen verabscheuen und hassen, der ehrt sie nicht, sondern verachtet sie. Daraus ist derselbe Schluss zu ziehen. Ja, der hl. Thomas bekräftigt in der Secunda secundae, Quaestio 93: Was auch immer gegen die Einrichtung Gottes oder die Anordnung der Kirche verstößt, ist für abergläubisch zu erachten.79 Wenn also die heiligen Väter unter göttlicher Eingebung angeordnet haben, dass die Prozessionen und das Umhertragen der Heiltümer mit besonderer Ehrerbietung und außerordentlicher Ehrfurcht stattfinden müssen, dann ist es abergläubisch, wenn sie statt dessen mit den genannten Missbräuchen, Zügellosigkeiten, Übertreibungen, Trinkereien, Schwätzereien und lasziver Aufmachung begangen werden. Mehr noch: Wie schon gesagt, stellt Damascenus fest80, dass diejenigen von den Reliquien der Heiligen mit göttlichen Wohltaten überschüttet werden, die danach dürsten (d. h. leidenschaftlich begehren und demütig erbitten), dass ihnen die Verdienste und Fürbitten der Heiligen zugute kommen mögen, und die mit entsprechender Achtung ihre Reliquien verehren. Diejenigen also, die ihre Prozessionen mit den genannten Missbräuchen abhalten und die Heiligen umhertragen, verdienen sich den Zorn Gottes und der Heiligen, nicht Gnade und Erbarmen. Wenn der ruhmreiche Hieronymus außerdem sagt, dass Männer oder Frauen, die mit ihrem Gewand oder Schmuck zur Wollust reizen, eine Todsünde bege-
77 Vgl. Augustinus, De civitate dei I,32: ludi scenici, spectacula turpitudinum et licentia vanita-
tum non hominum vitiis, sed deorum vestrorum iussis Romae institute sunt.
78 Das nachstehende Zitat ist in dieser Form bei Bernhard von Clairvaux nicht zu finden;
möglicherweise hat Dionysius hier – wie häufig auch sonst – seine Vorlage stark paraphrasiert. 79 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II,II qu. 93,2. 80 Wie oben, Anm. 62.
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hen81, dann wird deutlich, wie abscheulich und gefährlich es ist, wenn Frauen oder Mädchen, auch Männer oder Jünglinge, sich so kleiden und schmücken und so bei der Prozession auftreten, dass sie sich gegenseitig und den Zuschauern seelischen Schaden zufügen. Daher muss bei der Prozession alles diszipliniert, demütig und dezent ablaufen; jeder Missbrauch ist zu unterbinden.
Artikel VIII Erläuterung aufgrund verschiedener Betrachtungen in der hl. Schrift, dass Prozessionen, die durch die genannten Missbräuche und Exzesse befleckt sind, Gott und den Heiligen missfallen Über die fehlgeleiteten und verkommenen Juden sagt Gott dem Jesaja: Dieses Volk nähert sich mir mit dem Munde und verherrlicht mich mit den Lippen. Sein Herz aber ist weit von mir entfernt.82 Dieses Schriftwort bezieht Christus auf die Pharisäer und Schriftgelehrten: Ihr Heuchler, sagt er, über euch hat Jesaja treffend geweissagt: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit von mir entfernt. Vergebens beten sie mich an.83 Wenn aber Gott diese Worte von den ungehorsamen und abtrünnigen Juden gesagt hat – wird dann nicht der allergerechteste Richter dasselbe sagen von den ungehorsamen, undisziplinierten und fleischlich lebenden Christen, die sich bei ihren Prozessionen und beim Reliquientragen mit solchen Missbräuchen und Lastern abgeben? Und was wird er erst von denen sagen, die sich so sehr auf ihr Geschwätz, ihre Trinkerei, ihre Exzesse und Ausschweifungen des Herzens und der Sinne konzentrieren, dass sie nicht einmal mit den Lippen den Herrn ehren, sondern vielmehr mit Mund, Zunge, Gesicht, Gehör und Herz dem Teufel nachfolgen und so – gegen die Lehre des Apostels – ihre Körperglieder der Sünde als Waffen des Frevels darbieten.84 Darüber hinaus spricht Gott im Buch Jesaja zum Volk der Juden: Was sollen mir eure vielen Schlachtopfer? Bringt mir künftig keine eitlen Opfer dar, denn eure Brandopfer sind mir ein Greuel. Meine Seele (d. h. mein Geist) hasst eure Rituale.85 Mit diesen Worten bekundet der erhabene Gott, dass ihm die Feste und Opfer der Juden missfallen, und zwar wegen ihrer Sünden. Denn den zitierten Worten fügt er hinzu: Eure Zusammenkünfte sind frevlerisch.86 Nach dem glei81 Vgl. Hieronymus, Epistola LIV ad Furiam de viduitate servanda, 7: Quomodo flere potest 82 83 84 85 86
pro peccatis suis, quae lacrymis cutem nudat et sulcos ducit in facie? Ornatus iste non domini est, velamen istud Antichristi est. Jes 29,13. Matth 15,7–9; Mk 7,6–7. Röm 6,13. Jes 1,11–12.14. Jes 1,13.
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chen Maßstab verurteilt er die Prozessionen, Gebete und Gesänge der Christen, die jene mit todbringenden Missbräuchen vermischen. Außerdem sagt der Herr durch Maleachi den fleischlich lebenden Juden: Ich will euch den Unrat eurer Feste ins Gesicht werfen, und er wird euch mit sich nehmen.87 Dazu sagen die Ausleger, dass diese Worte im geistlichen Sinne auf die Christen zu beziehen sind, die an den Feiertagen fleischliche Sünden begehen und sich der Völlerei, der Wollust, der Verschwendung und der Eitelkeit hingeben. Deren Feierlichkeiten verachtet der Herr wie Unrat, und die unreinen Werke, die sie an ihren Festtagen vollbringen, wirft er ihnen ins Gesicht, weil er sie ihnen in aller Öffentlichkeit zur Last legt. Ferner sagt Gott durch Amos zu den lasterhaften Juden: Ich hasse und verwerfe eure Festlichkeiten, und ich verschmähe den Geruch eurer Versammlungen. Erspart mir den Lärm eurer Gesänge, und das Spiel deiner Harfe will ich nicht mehr hören.88 All das sagt Gott auch gegen die ungehorsamen und lasterhaften Christen, deren Feste, Gebete und Instrumentalmusik er wegen ihrer Sünden für unwillkommen erklärt. So wollte auch der Prophet Micha zeigen, was Gott vom Menschen fordert und was er entgegennimmt. Nachdem er dargelegt hatte, wie unzureichend die äußerlichen Ehrerbietungen und Opfergaben sind, fügte er hinzu: Ich will dir zeigen, Mensch, was gut ist, oder was Gott von dir fordert: Recht und Gerechtigkeit üben, die Barmherzigkeit lieben und in Bescheidenheit mit deinem Gott zu wandeln.89 Das also mögen diejenigen beachten und erfüllen, die ihre Prozessionen auf eine Gott und den Heiligen wohlgefällige Art abhalten wollen, und sie sollen fürchten, was im Buch Sirach zu lesen ist: Wehe euch, die ihr lacht90, und was Christus sagt: Wehe euch, die ihr satt seid.91 Weiterhin aber sagt Gott durch Jesaja: Seht, am Tage des Fastens wird euer Wille offenbar.92 Mit diesen Worten deutet er an, dass ihm diejenigen missfallen, deren Fastenbräuche entgegen den göttlichen Geboten dem eigenen Willen folgen. Gleichermaßen missfällt Gott die Prozession derjenigen, die sich dabei mit den genannten Missbräuchen beflecken. Wenn aber schon die Fastenbräuche, Opfergaben, Gebete und Gesänge, die ihrer Art nach etwas Gutes und Tugendhaftes sind, von Gott wegen der beigemischten Laster verurteilt werden – um wieviel mehr missfallen Gott die ungezügelten Trinkereien, die Exzesse, Disziplinlosigkeiten, Schwätzereien und dergleichen, die ihrer Art nach schlecht sind, 87 88 89 90 91 92
Mal 2,3. Am 5, 21.23. Mich 6,8. Sir 2,15. Lk 6,25. Jes 58,3.
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und am meisten dann, wenn sie bei Prozessionen und beim Umhertragen der Heiltümer stattfinden? Die Schwere der Sünden kann nämlich je nach Ort, Zeit und anderen Umständen zunehmen. Deshalb spricht Gott auch durch Sacharja zu den Juden: Als ihr in diesen 70 Jahren gejammert und gefastet habt, habt ihr da für mich gefastet?93 Als ob er sagen wollte: Euer Fasten und eure Tränen zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft waren mir nicht wohlgefällig, weil ihr euch nicht der Laster enthalten habt. Viel Ähnliches könnte ich aus Jeremia, Ezechiel und anderen Propheten und Büchern der Schrift anführen, aber ich will mich der Kürze befleißigen. Obwohl jede Gemeinschaft ihren Patron und ihre heiligen Reliquien täglich verehren soll, so muss sie dies doch auf einzigartige Weise am Tag der Prozession und des Umhertragens der Reliquien tun. Deshalb sind die genannten Missbräuche dann am allermeisten zu vermeiden, und in der Prozession muss man sich so verhalten, dass das angestrebte Ziel, also die Sündenvergebung und das Wachstum der Gnade, erreicht werden kann, ebenso auch die angemessene und reine Ehrerbietung gegenüber dem eigenen Patron. Denn die Mittel sind jeweils den Erfordernissen des Zieles anzupassen. Ja, aus Liebe zum eigenen Patron muss man diesen ganzen Tag mit dem Lob Gottes und tugendhaften Handlungen zubringen, jeden Rausch, Tanzvergnügen und ähnliche Eitelkeiten meiden und ohne zwingende Notwendigkeit nichts während der Prozession trinken, denn auch Salomo bezeugt: Alles hat seine Zeit.94 Ein jedes Werk muss somit zu passender Zeit und am entsprechenden Ort vollbracht werden. Daher tadelt auch der Apostel die Korinther, die in der Kirche aßen und tranken: Habt ihr nicht Häuser, wo ihr essen und trinken könnt? Oder verachtet ihr die Kirche Gottes und beschämt die, die nichts haben?95
Artikel IX Dass eine schlechte Gewohnheit schnellstmöglich abzustellen ist und weder als Autorität akzeptiert noch als Argument angeführt werden darf Wie ich schon im ersten Artikel angedeutet habe, beruft sich die Stadt, von der die Rede ist, auf eine Gewohnheit, um so die Missbräuche bei der Prozession und beim Umhertragen der Reliquien zu rechtfertigen. Damit aber diejenigen, die so argumentieren, die Wahrheit anerkennen und ihre Irrtümer aufgeben, antworte ich ihnen nun weitläufig auf der Grundlage dessen, was im Decretum, Distinctio VIII, zu lesen ist. 93 Sach 7,5. 94 Koh 3,1. 95 1 Kor 11,22.
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Wie es dort nämlich heißt, sagt Papst Nikolaus: Eine schlechte Gewohnheit ist ebenso zu beseitigen wie eine gefährliche Verderbnis. Denn wenn sie nicht rasch mit der Wurzel ausgerottet wird, nehmen die Frevler sie gleichsam als rechtsgültiges Privileg für sich in Anspruch.96 Zudem sagt Augustinus im Buch von der einzigen Taufe: Wenn die Wahrheit offenbar geworden ist, muss die Gewohnheit alsbald der Wahrheit weichen. Denn wer könnte zweifeln, dass die Gewohnheit der Wahrheit weichen muss? Und in demselben Buch heißt es wiederum: Niemand soll die Gewohnheit der Vernunft und der Wahrheit vorziehen.97 Daher schreibt auch Papst Gregor VII.: Wenn Du Dich aber womöglich auf eine Gewohnheit berufst, dann bedenke, dass der Herr sagt, ‚Ich bin die Wahrheit‘, und nicht: ‚Ich bin die Gewohnheit.‘98 Und in der Tat (um ein Wort des hl. Cyprian aufzugreifen): Eine jede Gewohnheit, sie möge noch so alt und noch so weit verbreitet sein, muss hinter der Wahrheit zurückstehen, und ein Brauch, der der Wahrheit entgegensteht, ist gänzlich abzuschaffen.99 Daher sagt wiederum Augustinus im Buch von der Kindertaufe: Wer sich herausnimmt, unter Missachtung der Wahrheit einer Gewohnheit zu folgen, verhält sich entweder neidisch und missgünstig gegenüber seinen Nächsten, denen die Wahrheit offenbart ist, oder er ist undankbar gegenüber Gott, auf dessen Offenbarung die kirchliche Lehre beruht. Und derselbe: Vergeblich halten diejenigen, die durch die Vernunft besiegt sind, uns die Gewohnheit entgegen, als ob die Gewohnheit stärker wäre als die Wahrheit oder als ob man in geistlichen Dingen nicht dem zu folgen habe, was ersichtlich das Bessere ist. Wenn also die Gewohnheit durch die Wahrheit unterstützt wird, dann [und nur dann] soll man unbeirrt an ihr festhalten. Denn eine gute Gewohnheit erlangt die Kraft des Gesetzes.100 Daher sagt auch Cyprian, der Märtyrer, Lehrer und Bischof: Eine Gewohnheit, die sich bei einigen eingeschlichen hat, darf nicht verhindern, dass sich die Wahrheit durchsetzt. Denn eine Gewohnheit ohne Wahrheit und Vernunft ist nichts als ein überkommener Irrtum. Deshalb sollen wir den Irrtum aufgeben und der Wahrheit folgen.101 Es ist nun also auf vielfältige Weise bewiesen worden, dass Missbräuche, Übertreibungen und Exzesse bei den Prozessionen unerlaubt sind, dem natürlichen, dem göttlichen und dem gesetzten Recht zuwiderlaufen und Gott und die Heiligen schwer beleidigen. Diese Missbräuche können daher durch keine Gewohnheit verteidigt oder entschuldigt werden, sondern sind gänzlich abzustellen. Gewiss ist vieles ursprünglich aus vernünftigen Gründen eingeführt worden, 96 97 98 99 100 101
Decretum Gratiani, pars I, dist. 8, c. 3. Friedberg I (wie Anm. 70), Sp. 14. Ebd., c. 4. Ebd., c. 5. Ebd., c. 6. Ebd., c. 7. Ebd., c. 8.
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was mittlerweile verboten ist, weil es sich mit Missbräuchen vermischt hat. So pflegte man an den Tagen vor den Kirchenfesten Vigilfeiern abzuhalten, aber die Kirche hat die Vigilien, weil sich damit üble Bräuche verbanden, in Fasttage umgewandelt. So wurden auch die Turniere und Kampfspiele einst aus vernünftigen Überlegungen eingeführt, nämlich damit sich die Krieger in militärischer Praxis üben konnten und zu gegebener Zeit besser in der Lage waren, ihr Gemeinwesen zu verteidigen. Wegen der Missbräuche aber, die sich diesen Übungen beigesellten, wurden sie von der Kirche verboten, wie aus den Dekretalen102, der Summa Durandi103 und der Summa confessorum104 hervorgeht. Dass eine schlechte Gewohnheit nicht nur aufzugeben ist, sondern sogar das größte Laster und die schlimmste Gefahr ist, erhellt aus den Worten des Augustinus: Die niederdrückende Macht der Gewohnheit ist wie ein Gewicht, das auf dem Grabe lastet.105 Sie bedrückt die Seele, so dass sie weder atmen noch sich leicht erheben kann. Denn die Sünden, seien sie noch so groß und schrecklich, erscheinen klein und verschwindend, wenn sie erst zur Gewohnheit werden. Daher ist es ein schwerer Kampf, die Gewohnheit zu besiegen, denn die Gewohnheit ist gleichsam eine zweite Natur.
Artikel X
Was davon zu halten ist, dass jene Gemeinde behauptet, ihre Stadt blühe und gedeihe aufgrund der Prozession, die wegen ihrer Schamlosigkeiten, Trinkerei und Zügellosigkeit berüchtigt ist Unfasslich und unerforschlich sind die Ratschlüsse des Allmächtigen106, wie der Apostel bezeugt. Deshalb sagt der Prophet: Kommt und seht die Werke Gottes, der furchtbar ist in seinen Ratschlüssen über die Söhne der Menschen.107 102 Decretales Gregorii IX., lib. V, tit. XIII, c. 1–2; Friedberg II (wie Anm. 74), Sp. 804. –
Vgl. dazu auch Sabine Krüger, Das kirchliche Turnierverbot im Mittelalter, in: Josef Fleckenstein (Hrsg.), Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, 80), Göttingen 1985, S. 401–422. 103 Gemeint ist die Summa theologica des Durandus de S. Porciano. 104 Bezogen auf die Summa confessorum des Johann von Freiburg (zu den Turnieren s. dort lib. II, tit. II). 105 Augustinus, Sermo XCVIII,5. 106 Röm 11,33. 107 Ps 66,5.
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Obwohl, wie Gregor sagt, Gottes Ratschlüsse staunenswert sind, wenn in dieser Welt den Erwählten und Gerechten Widrigkeiten zustoßen, frevlerische und verkommene Menschen aber ein günstiges Geschick haben108, so ist es dennoch viel wunderbarer und unbegreiflicher, wenn die erwählten und guten Menschen in diesem Leben erfolgreich sind, die Frevler und Verkommenen hingegen Nachteile erleiden. Gott nämlich prüft und läutert in dieser Welt seine Erwählten durch Widrigkeiten und bewahrt sie so vor vielen Sünden. Den Frevlern aber erlaubt er, im Diesseits Erfolg zu haben, reich und glücklich zu werden, weil dies das Erbteil derjenigen ist, die bald darauf in Ewigkeit bestraft werden. Auch straft Gott häufig die Sünden der Erwählten durch zeitliche Schädigungen und körperliche Leiden und durch Anfechtungen, Unrecht und Verfolgung. Die Bösen aber pflegt Gott in diesem Leben für das Gute zu belohnen, das sie tun. Zwar tun sie das der Sache nach Gute nicht aus Liebe, und daher ist es nicht verdienstlich für das ewige Leben. Weil es sich aber in gewisser Weise um etwas Gutes handelt – z. B. wenn sie Almosen geben, fasten, beten, die Messe hören (sei es aus fehlgeleitetem Glauben, aus sklavischer Furcht oder aus irgendeiner Gewohnheit heraus) –, deshalb schenkt Gott ihnen für derlei Gutes eine Belohnung im Diesseits, also Wohlstand, Reichtum und Ehren oder ein längeres Leben und Gesundheit. Und so erlangen die guten Werke, die für das ewige Heil verdienstlich wären, wenn sie aus Liebe geschähen, denen aber wegen der beigemischten Sünden die Seligkeit verwehrt bleibt, wenigstens einen zeitlichen Lohn. Wie Gregor bezeugt, fürchten sich deshalb tugendhafte und weise Männer mehr, wenn es ihnen gut geht, obwohl sie sich erinnern, dass sie wegen ihrer Sünden Strafe verdient hätten. Sie werden von unermesslicher Sorge gequält und von argen Ängsten heimgesucht, dass sie womöglich schon in diesem Leben für ihre guten Werke belohnt werden und im Jenseits ihre Bestrafung zu erwarten haben. Jene Stadt also sieht, glaubt und behauptet, dass sie dank ihrer Prozession und des Herumtragens ihres Heiligen in zeitlichen Dingen gedeiht und Überfluss hat und dass dem nicht entgegensteht, wenn sich zahlreiche Missbräuche, Schamlosigkeiten, Trinkerei und Zügellosigkeit mit dieser Prozession vermischen. Doch sollte sie sich sehr davor fürchten und in acht nehmen, dass sie nicht womöglich den Lohn für ihre Prozession und das Reliquientragen in diesem Leben empfängt und die Vergeltung ewiger Herrlichkeit einbüßt. Denn jene Prozession ist mit viel Üblem vermischt, das weder Gott noch dem Heiligen, dessen Leib umhergetragen wird, gefallen kann, und deshalb verdient sie weder die Gnade in der Gegenwart noch die Herrlichkeit in der Zukunft. Das also, sage ich, hat jene Stadt zu fürchten. Deshalb möge sie sich also keinesfalls wegen ihrer zeitlichen Reichtümer schmeicheln oder sich einreden, dass jene Prozession formgerecht ablaufe oder so ablaufen müsse und entweder Gott oder seinem Heiligen wohlge108 Vgl. Gregor d. Gr., Moralia in Job XXXV,30.
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fällig sei. Denn das ließe nicht nur auf Unvernunft, sondern sogar auf Unglauben schließen. Aus diesem Grunde glaubten nämlich schon die heidnischen Römer, ihr Götzendienst sei rechtmäßig und wahrhaft heilsam, weil sie viele Triumphe und schließlich die Weltherrschaft erlangten. Das schrieben sie ihren Göttern und Götzen zu. So behaupten auch jetzt die Türken und Sarazenen, ihr Aberglaube und das Gesetz des abgrundtief verworfenen Mohammed seien die wahre Religion, weil sie viele Siege über die Christen errungen haben und das Heilige Land besitzen. Sie erkennen nämlich nicht, dass der ewige Gott, wie er im Alten Bund die Söhne Israels durch die götzendienerischen Chaldäer und Assyrer züchtigte109, im Neuen Bund die Christen durch die Türken und Sarazenen bestraft. Jedenfalls kann ich nicht sicher beurteilen, ob jene Stadt mit der Behauptung recht hat, dass sie durch die Prozession reich werde, oder ob sie sich eher in dieser Wahrnehmung täuscht. Immerhin ist es möglich, dass sie vom Teufel zu einer derart irrtümlichen Meinung veranlasst wird, damit sie aus Liebe zum Reichtum unverbesserlich auf ihren Missbräuchen beharrt. Und vielleicht würde sie daher mit noch größerem Reichtum belohnt, wenn sie die Prozession nicht abhielte. Wie auch immer es sich damit verhalten möge – eines zumindest muss fest geglaubt werden: Wenn die Stadt ihre Prozession und das Reliquientragen mit der schuldigen Ehrerbietung, Bedachtsamkeit, Nüchternheit und Ordnung durchführte, würde sie von Gott viel reicher belohnt werden, und vielleicht würde sie sogar größeren weltlichen Reichtum erlangen. Denn mitunter gewährt Gott seinen Erwählten auch weltlichen Wohlstand, und am ehesten den gut geführten Gemeinwesen. Dennoch darf man Gott grundsätzlich nicht im Hinblick auf zeitliche und weltliche Belohnung dienen, und auch die Korrektur von Missbräuchen und abergläubischen Riten darf nicht aus Furcht vor zeitlichen Nachteilen oder Schäden unterbleiben. Denn Hieronymus sagt: Wer wegen seines Glaubens materiellen Gewinn erhofft, der ist ein Räuber und macht das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle.110 Seine Anbetung ist nämlich nicht eine Anbetung Gottes, sondern bloße Geschäftemacherei. Und schließlich: Wenn einem Übeltäter, der seine Fehler korrigiert, dennoch größeres Unheil widerfährt, darf man deswegen nicht kleinmütig werden oder das gute Vorhaben bereuen und zu den früheren Sünden zurückkehren. Vielmehr soll man Gott danken und sich im Herrn rühmen, weil man von ihm auf väterliche Weise heimgesucht und gezüchtigt wird – von ihm, der diejenigen straft und züchtigt, die er liebt.111 Denn Gott sagt von den Bösen:
109 2 Kge 25,17. 110 Hieronymus, Commentarii in evangelium Matthaei, 3 (zu Matth 21,13). 111 Apk 3,19.
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Ich habe sie gemäß den Neigungen ihres Herzens gehen lassen; sie sollen wandeln nach ihren Ratschlüssen.112 Gemäß der Lehre der Heiligen, die ich hier vorgetragen habe, sollen also Prozessionen und Reliquienverehrung überall unter Ausschluss von Zügellosigkeit und Missbräuchen stattfinden, zum Lob und Ruhm des allmächtigen Gottes, der über alles erhaben und gesegnet ist. Amen.
112 Ps 81,13.
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Die „neuen Frommen“ in der Sicht eines „alten Frommen“
Der Xantener Dekan Arnold Heymerick und sein Traktat „Persuasio de cappata religione non ineunda ante puberes annos“ Dieter Scheler
Es gehört zu den paradoxen Phänomenen der großen Wirkungsgeschichte der Devotio moderna, dass sie auch Bewunderer unter denjenigen fand, deren Frömmigkeitspraxis der ihren geradezu entgegengesetzt war. Eine solche Person näher zu betrachten, verspricht nicht nur die Außenwirkung der Devotio genauer zu erfassen, sondern auch die Vielschichtigkeit mittelalterlicher Religiosität ein Stück weit besser zu verstehen. Genau das soll nun im Folgenden am Beispiel des Xantener Dekans Arnold Heimerick versucht werden, in dessen literarischer Hinterlassenschaft sich ein Traktat findet, der unterschiedliche Orden mit den Windesheimer Chorherren und den Fraterherren vergleicht und sie – neben den Karthäusern – zu den empfehlenswertesten geistlichen Gemeinschaften seiner Zeit zählt. Allerdings war bisher die Persuasio de cappata religione non ineunda wie die meisten Texte Arnolds nur in wenigen Auszügen zugänglich, die, wie sich nach Lektüre des handschriftlichen Texts herausstellte, nur ein unzureichendes Bild dieses Traktats vermittelten.1 Einer zuverlässigen Auswertung dieses Texts musste deshalb eine Edition des vollständigen Texts vorausgehen.2 Sie befindet sich im Anhang dieser Abhandlung. Dass man über Arnold Heymerick besser informiert ist als über jeden anderen Kleriker am Niederrhein im 15. Jahrhundert, ist seinen Schriften zu verdanken, für deren Erhalt er selbst sorgte. Auf diese Weise sind zwei umfangreiche Werke, das „Registrum sophologicum“ und das „Repertorium decani“ und einunddreißig kleineren Abhandlungen und Briefe, seine „Opuscula“ erhalten geblieben.3 Arnold stammte aus der in der Stadt Kleve ansässigen klevischen Dienstmannenfamilie der Heymerick, die als „Heymericksche Partei“ entscheidenden Anteil 1
Friedrich Wilhelm Oediger (Hrsg.), Schriften des Arnold Heymerick. (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 49), Bonn 1939, S. 34–37. 2 Was dazu geführt hat, dass der ursprüngliche Vortrag völlig neu bearbeitet werden musste. 3 Anna Schröder, Die Opuscula des Xantener Humanisten Heymerick in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 108 (1926), S. 67–102. – Oediger (Hrsg.), Schriften (wie Anm. 1), S. 28–53.
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daran gehabt hatte, dass nach dem Tod des letzten Grafen aus dem klevischen Grafenhaus 1368 die Stadt dem märkischen Bewerber um die Nachfolge die Tore öffnete und damit dessen Konkurrenten aus dem Felde schlug. Nicht zufällig war der erste Landrentmeister des siegreichen Grafen Adolf von der Mark ein Heymerick. Die Familie hatte aber nach Angaben Arnolds zu seiner Zeit bereits an Rang verloren, besetzte aber noch immer Ämter am Herzogshof.4 Arnolds Vater obwohl persönlich vermögend, schickte seinen Sohn dennoch aus pädagogischen Gründen als Bettelstudent auf die Schule der Fraterherren in Deventer. Von dort ging er weiter an die Schulen in Zwolle und Zutphen. Die Schulzeit blieb für Arnold prägend, die Hochachtung vor den Fraterherren behielt er sein Leben lang bei. Ob Arnold eine Universität besuchte, ist unsicher. Seine Ausbildung scheint aber so gründlich gewesen zu sein, dass er auf dem Basler Konzil eine Stelle im Haushalt des Kaplans des Papstes Felix V. fand, in dessen Umgebung er 1445 er noch nachzuweisen ist. Von da ging er vermutlich schon 1447 nach Rom und wechselte damit auf die Seite Eugens IV. Das hatte fünf Jahre vorher bereits der Sekretär Felix V., Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., getan. Die Bekanntschaft Arnolds mit dem späteren Papst, unter dem er in Rom Karriere machte, könnte also durchaus bis in Baseler Zeit zurückreichen. In Rom machte Arnold in der päpstlichen Kanzlei ausgehend von einem niederen Rang den Aufstieg bis zum Tischgenossen Pius II., ein Aufstieg, der mit jeder höheren Stufe auch seine Aussichten auf päpstliche Pfründenanweisungen verbesserte, die er unter diesem Papst gründlich nutzte.5 Der räumliche Schwerpunkt seines Pfründenerwerbs war der Niederrhein im weitesten Sinn. 1458 besaß er Pfründen in Koblenz, Utrecht, Deventer und Xanten, aber noch nicht die Dekanspfründe in Xanten, die er erst 1459 durch das Eingreifen Pius II. erhielt. Im Sommer 1459 hielt er sich zum ersten Mal in Xanten auf, 1464 im Jahr seiner ersten Viktorstracht nahm er seinen endgültigen Abschied aus Rom. Neunundzwanzig Jahre seines Lebens hatte er bis dahin, wie er selbst sagt, außerhalb seines Heimatlands verbracht. Arnold war sich seines Ranges als Dekan wohl bewusst – in der Auseinandersetzung um seine Rechte als Dekan mit seinem Kapitel und in der Repräsentation seines Stifts nach außen. In den schon erwähnten prunkvollen Viktorstrachten 1464 und 1487, Prozessionen in denen der Schrein des hl. Viktor als Stiftspatron umgetragen wurde und die nur zu seltenen Anlässen durchgeführt wurden, be4 Ferdinand Schröder, Arnold Heymerick, in: Annalen des Historischen Vereins für den
Niederrhein 100 (1917), S. 152–179. Oediger (Hrsg.), Schriften (wie Anm. 1), S. 1–26.
5 Dieter Scheler, Die Goldene Rose des Herzogs Johann von Kleve: Der Bericht Arnold
Heymericks von der Überreichung der Goldenen Rose im Jahr 1489, (Klever Archiv, 13), Kleve 1992, S. 10–17.
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wies er nicht nur Sinn für die große Inszenierung seines Stifts nach außen, sondern dokumentierte die großartigen geistlichen Umzüge auch in einer Mischung aus Stolz und Pragmatismus in zwei eigenen Darstellungen mit Regieanweisungen für eventuelle Wiederholungen. Vorbild dieser Inszenierungen waren offensichtlich die großen Prozessionen, die er in Italien kennen gelernt hatte, nicht zuletzt die von Pius II. in Szene gesetzten.6 Was den Viktorstrachten besonderen Rang verlieh, war die Teilnahme der herzoglichen Familie aus Kleve, die auch zur Ausstattung des Ereignisse mit Kirchenmusik und Leihgaben zum Kirchenschmuck beitrug. Denn für die Herzöge war der Archidiakonat Xanten räumlich so etwas wie ihre eigene Diözese, den sie tatsächlich auch kurzzeitig zum Landesbistum zu erheben versucht hatten. – Noch einmal, 1489, zwei Jahre vor seinem Tod, sollte Arnold einen weiteren solchen Triumphzug, nicht den des heiligen Viktor, sondern den der Goldenen Rose, des päpstlichen Ehrengeschenks an Herzog Johann II., und ihren Einzug und ihre Überreichung in Kleve miterleben und beschreiben.7 Das Verhältnis zum Herzog scheint beim Amtsantritts Arnolds in Xanten gut gewesen zu sein, denn er gehörte offensichtlich zu dessen weiteren Ratgeberkreis und wurde von Johann I. mit Gesandtschaften zum Papst und später von Johann II., dem Nachfolger, mit einer Gesandtschaft zum Kaiser beauftragt. Als vor allem das erste diplomatische Unternehmen, Verhandlungen mit Pius II. nur zu einem Teilerfolg führte, rückte Arnold offensichtlich in die zweite Reihe der Räte, wie er selbst beklagte. Aber er blieb mit dem Hof in Verbindung. Für Philipp von Kleve, den jüng sten Sohn Herzog Johanns I. verfasste er das „Registrum sophologicum“, ein pädagogisch ausgerichtetes Handbuch in sechs Büchern, das Beispiele moralischen Handelns aus der antiken Literatur, aber auch exemplarische Sentenzen niederrheinischer Zeitgenossen für ein vorbildliches Leben, insgesamt über tausend Sinnsprüche, versammelte. Am 30. Juli 1491 ist Arnold Heymerick gestorben und in der Xantener Stiftskirche beigesetzt worden. Um eine Vorstellung von der Religiosität Arnolds zu gewinnen, muss man nur einen Blick auf die erwähnten Viktorstrachten werfen, die in genau in jenen Formen abliefen, die man gewöhnlich als veräußerlichte Frömmigkeit bezeichnet.
6 Dieter Scheler, Die Xantener Viktorstracht, Wallfahrt, Politik und Kommerz am Nie-
7
derrhein im 15. Jahrhundert, in: Jürgen Petersohn (Hrsg.): Überlieferung – Frömmigkeit – Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung, Vorträge beim wissenschaftlichen Kolloquium aus Anlaß des achtzigsten Geburtstages von Otto Meyer, Würzburg, 25. Oktober 1986, Wiesbaden 1988, S. 96–113. Scheler, Goldene Rose (wie Anm. 5), passim.
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Für diese zweiwöchige Ausstellung des Viktorschreins und die große Prozession wurde mit Ablässen geworben, die bei der Schau der Reliquien innerhalb dieser Zeit gewonnen werden konnten, aber auch eine Gabe für die Kirchenfabrik voraussetzen. 1487 wurden zu diesem Zweck allein 4800 Exemplare des Summariums der päpstlichen Indulgenz gedruckt, wurde der Ablass auch in Friesland und Holland gepredigt. Während der Heiltumsschauen wurden 18 Reliquiare und Schreine mit etwa 130 Reliquienpartikeln gezeigt. Die Schau der Heiltümer selbst fand auf einer überdachten Tribüne statt und bestand nur in der Benennung der Partikel und der Ablässe. Sie wurde insgesamt siebenmal wiederholt. Predigten spielten, abgesehen von der auf den hl. Viktor am Prozessionstag selbst, offensichtlich keine Rolle. Für die notwendigen Beichtmöglichkeiten während der Termine der Heiltumsschauen warb man 1487 über 20 Mitglieder der Bettelorden an. Der feierliche Umgang selbst, die Tracht, der zum Kloster Fürstenberg bei Xanten ging, war 1464 durch die Teilnahme des Fürstenpaars aus Kleve ein prachtvolles Schauspiel. So kam etwa die Herzogin selbst in einem von acht Schimmeln gezogenen purpurfarbenen Wagen mit goldener Dachbespannung. Die beteiligten Gruppen, insbesondere aus den städtischen Pfarreien des Archidiakonats, dessen Mittelpunkt Xanten war, trugen unterschiedlich farbige Uniformen. Und es war für Musik gesorgt. Die Fahnen auf den Kirchtürmen waren mit Glöckchen besetzt, Bläser spielten auf den Galerien, Pfeifergruppen waren in der Prozession verteilt und die Liturgie in der Kirche und unterwegs wurde immer wieder durch Fanfarenstöße unterbrochen.8 So sahen die geistlichen Inszenierungen Arnolds aus, den man aus diesem Grund wohl mit Fug und Recht einen „alten Frommen“ nennen könnte. Und dennoch betrachtete er als Ideal geistlichen Lebens Windesheimer Regularkanoniker und Fraterherren. Wie geht das zusammen? Mit einer genauen Analyse der Persuasio de cappata religione non ineunda soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, diesen Widerspruch zu verstehen, vielleicht ihn sogar aufzulösen. Die Persuasio gehört zu jenen erwähnten 31 seiner kleineren Schriften, die Arnold in einem Band, der heutigen Hs. 1 des Xantener Stiftsarchivs, zusammenstellen ließ – mit der Hoffnung auf weitere Verbreitung.9 Bei diesem Teil seines literarischen Œuvres handelt es sich zumeist um Gelegenheitsschriften, sehr oft in Briefform, zu den unterschiedlichsten Themen. Sie sind zwar keine literarischen Meisterwerke, aber doch gut lesbar. Denn Arnold war kein humanistischer Poet, aber ein guter Texter, der noch dazu aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit in der päpstlichen Kanzlei rasch formulieren konnte. Den Bericht über die Überreichung der Goldenen Rose an Herzog Johann von Kleve in Dialogform hatte er bereits zwei Wochen nach dem Ereignis fertiggestellt. Er war Vielschreiber und 8 9
Scheler, Xantener Viktorstracht (wie Anm. 6), S. 105–109. Schröder, Opuscula (wie Anm. 3), S. 98.
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Schnellschreiber. Sein Stil war der des Rhetorikers. Seine Texte sollen überzeugen und Eindruck machen und deshalb bevorzugt Arnold den prächtigen und auch den verblüffenden Ausdruck mit eingestreuten seltenen lateinische Worten oder Flexionsformen und einen gehobenen nicht immer ganz übersichtlichen Satzbau.10 Zu dessen Verständnis bietet der Autor jedoch seinem Leser, der halblaut liest, eine ausgefeilte Leseinterpunktion, die in der Tat noch heute den Text besser erfassen lässt als eine rein grammatische Interpunktion. Sie ist deshalb auch in der Edition beibehalten worden. Was die Aussagen selbst angeht, neigt Arnold – nicht überraschend – zur Übertreibung. Wird jemand gelobt, so geschieht das nur im Superlativ. Und so ist selbstverständlich der junge Adressat des Brieftraktats der nepos dulcissime, amantissime, carissime 11, sind Benediktiner und Zisterzienser sacrissimi, die Birgittinen modestissimi, die Windesheimer Chorherren prestantissimi und die Fraterherrn viri christianissimi.12 Und die Karthäuser sind diis in terris zu vergleichen und die Fraterherren diis pocius equales.13 Was die Lektüre für den heutigen Leser auch gelegentlich mühsam macht, sind die höchst unterschiedlichen Versatzstücke, aus denen der Text zusammengesetzt wird: Da gibt es nicht nur Sentenzen von Autoritäten, die zu ausführliche Zitaten erweitert werden können, sondern auch unterhaltsame Exempel und bildhafte Sprichwörter, welche ganze Passagen des Textes auf den Punkt bringen, wie etwa jenes angeblich „kindische Sprichwort“, das Arnold ganz bewusst als Zusammenfassung seiner Warnung vor einem übereilten Eintritt in einen „Kapuzenorden“ anführt: Quid prodest bulla. quid cappa. quid ampla cuculla. 14 Mentis in ampulla cum sit devocio nulla? Und auch Satire und Ironie fehlen nicht, wenn Arnold die komischen Effekte des Nebeneinander von Kindermönchen und alten Mönchen im Refektorium und im Chor beschreibt, die Anwerbung von Jungen durch die Bettelorden das Angeln von Fischlein (pisciculos hamo dudum captos)15 nennt oder wenn er jenes etwas zweifelhafte Wortspiel anlässlich des Preises der Karthäuser auf der Grave bei Wesel zitiert, wonach er und die Seinen die Karthause nicht ein Fenster (lacunar) des heiligen Geistes sondern ein Bordell (lupanar) von Engeln nennen.16
10 11 12 13 14 15 16
Scheler, Goldene Rose (wie Anm. 5), S. 18–20. F. 65rb, 69vb, 76vb. F. 74vb, 76va. F. 74ra; 77/79ra. F. 69vb–70ra. F. 73ra. F. 74rb.
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Der Aufbau der gesamten Argumentation ist eher assoziativ, auch Exkurse fehlen nicht. In der Persuasio findet sich beispielsweise ein längerer über Xanten und Köln.17 So aufgebaute Texte mögen einem heutigen Leser buntscheckig vorkommen, die Zeitgenossen dagegen dürften sie so abwechslungsreich wie gute Predigten empfunden haben. Um eine Predigt handelt es sich allerdings bei der Persuasio nicht, sondern stilgerecht um einen ausführlichen Brief, in dem der Verfasser immer wieder den Adressaten anredet, auf mögliche seiner Einwände eingeht und nicht zuletzt ihm auch von sich berichtet, einschließlich seiner Krankheiten, wie hier Arnold von seiner Gicht.18 Und die Zielrichtung dieses Briefs ist im ursprünglichen Sinn des Wortes eine persuasio, eine Überredung, hier die, einen möglichen Fehler zu unterlassen Könnten aber, ließe sich einwenden, bei so viel rhetorischer Konstruktion und angesichts der Hoffnung auf ihre Verbreitung Briefe wie der vorliegende nicht auch bloße gelungene Fiktionen sein? Mit Sicherheit nicht, denn nicht nur die formale Datierung, sondern auch die verifizierbaren angeführten Personen und Sachverhalte sprechen eindeutig dagegen, in unserem Fall allen voran der Adressat des Briefs Johannes Sluter selbst. Von seinem Neffen, der bereits ein Kanonikat in Arnheim besaß, sagt nämlich Arnold, dass er noch ein puer sei und in Köln studiere. Dass das wohl für April 1477 zutrifft, belegt der Immatrikulationseintrag, der im Juli 1475 für Joh. Arnhem, d. Trai; art. i., also für Johann Arnheim aus der Diözese Utrecht für die Artistenfakultät, der den Eid geleistet hat, angelegt worden ist.19 Da man erst mit 14 Jahren zum Eid zugelassen wurde,20 bedeutet das, dass Johann 15 oder 16 Jahre alt war, als ihm sein Onkel schrieb. Daraus ergibt sich aber das Problem, dass er eigentlich die puberes anni schon erreicht hatte, die abzuwarten ihm Arnold nahe legte. Aber der Verfasser bleibt insgesamt in diesem Punkt ungenau, denn er setzt an anderer Stelle auch dem puer den zukünftigen vir entgegen, also das Alter der vollen Geschäftsfähigkeit, das bei 25 Jahren läge.21 Doch es lässt sich auch nicht ausschließen, dass Johann den Eid schon in der Minnorität geleistet haben könnte, angesichts der Tatsache von Immatrikulierten in Köln im Alter von 7 bis 13 Jahren und widersprüchlicher Handhabung der Vorschriften über die Eidesleistung.22 Die Frage muss letztlich offen bleiben.
17 F. 74vb–75vb. 18 F. 80ra. 19 Hermann Keussen, Die Matrikel der Universität Köln, Bd. 1: 1389–1475, (Publikationen
der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 8), 2. Aufl., Bonn 1928, S. 874: 347,6.
20 Keussen, Matrikel (wie Anm. 19), S. 37*. 21 F. 80ra. 22 Keussen, Matrikel (wie Anm. 19), S. 36*f.
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Anlass zum Brief an Johann gab dessen bekannt gewordene Absicht in seinem Alter aus unbekannten Gründen bei den Dominikanerobservanten einzutreten.23 Arnold entwickelt nun als bestürzter Onkel eine Argumentation, die ihn davon abhalten soll, eine solche Entscheidung schon als puer zu treffen Diese Argumentation besteht grob gesagt aus sechs Teilen: • Warnung vor übereilten Entschlüssen (f. 66rb–67rb), • Widerlegung des Glaubens an die Überlegenheit des Lebens unter der Kapuze (f. 67va–69rb), ȤȤ durch philosophische Argumente (f. 67va–67vb), ȤȤ durch lebenspraktische Beispiele und Exempel (f. 68ra–69ra), • Warnung vor dem Leben unter der Kapuze und Aufruf zum Studium der Weisheit (f. 69ra–70rb), • Lobpreis und Lehren der Philosophie (f. 70rb–72va), ȤȤ Rechtfertigung des Rückgriffs auf antike Philosophen und Dichter (f. 70ra– 70rb), ȤȤ philosophische Maximen zur Armut, zum mäßigen Leben, zur Einsamkeit, gegen die Zügellosigkeit, zur Geduld (f. 70va–72va), • Vorstellung ausgewählter Orden (f. 72vb–77/79ra), ȤȤ Dominikanerobservanten (f. 72vb–73ra), ȤȤ Franziskaner (f. 73ra–73vb), ȤȤ Karthäuser (f. 73vb–74va), ȤȤ Benediktiner, Zisterzienser, Birgittinen, Prämonstratenser (f. 74vb), ȤȤ Exkurs: Xanten, Köln (f. 74vb–75vb), ȤȤ Regularkanoniker (f. 75vb–76rb), ȤȤ Gemeinschaft außerhalb der Orden (Fraterherren) (f. 76rb–77/79rb), • Lebensregeln für den Neffen und Abschied (77/79rb–80ra). Schon ein erster Blick auf diese Argumentationskette fördert ein erstaunliche Tatsache zu Tage: Dass nämlich der Versuch Johannes Sluter zum vorläufigen Verzicht auf den Bettelordenseintritt zu bewegen, keineswegs nur geistliche Alternativen, sondern auch weltliche im Visier hat. Denn die Texte zur Philosophie halten dem Umfang nach überraschenderweise denen zu den vorgestellten Orden die Waage. Und blickt man auf die ausführlichen philosophischen Maximen zum tugendhaften Leben, so wird deutlich, dass dem Verzicht auf den Eintritt in einen Bettelorden nicht nur geeignetere Orden gegenübergestellt werden, sondern auch ein Leben nach philosophischen Grundsätzen als Weltkleriker. Darauf wird noch zurückzukommen sein. 23 F. 66rb.
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Aber bleiben wir zunächst bei der Vorstellung der einzelnen Orden. Arnold betont zwar, dass er dabei nur eine Auswahl vorführen wolle, aber auch diese reduziert sich bei näherem Hinsehen ganz erheblich. Denn Benediktiner, Zisterzienser, Birgittinen und Prämonstratenser werden nur im Vorbeigehen erwähnt. Die Darstellung der Orden konzentriert sich auf Dominikaner und Franziskaner einerseits und Karthäuser, Regularkanoniker und Fraterherren andererseits. Lässt man die hochgelobten Karthäuser außen vor, da sie wegen ihrer ungewöhnlich hohen asketischen und spirituellen Anforderungen nach Arnold kaum je eine Alternative für seinen Neffen sein dürften, konzentriert sich die Argumentation auf die kritisch gesehenen Bettelorden und die gefeierten Regularkanoniker und Fraterherren, wobei letzteren größerer Raum eingeräumt wird als ersteren. Die Vorstellung der beiden Bettelorden ist eigenartig. Im Mittelpunkt der Debatte stehen Kapuze, Zelle und Bettel. Doch bevor Arnold auf sie eingeht, führt er ein viel grundsätzlicheres Argument ins Feld: Dass man nämlich nicht nur ohne die Mönchskapuze die ewige Seligkeit erlangen könne, sondern auch, dass die Kapuze allein dazu nicht genüge. Er tut dies einerseits mit philosophischen Argumenten, indem er beispielsweise Ciceros Unterscheidung in De natura deorum zwischen Frommen und Abergläubischen anführt, der die religiosi, die reinen Herzens die Götter verehren, den supersticiosi, die die ständig um ihres Überlebens (superstites) willen den Göttern opfern gegenüberstellt.24 Dem zeitgenössischen Leser wird die Pointe dieser Alternative durch die Doppeldeutigkeit des Begriffs religiosus im Mittelalter kaum entgangen sein, dass nämlich nach dieser Argumentation die wahren Mönche (religiosi) gar nicht Mönche sind, weil diese sich doch nur um ihr eigenes Heil bekümmern und damit eigentlich dem Aberglauben als supersticiosi anhängen. Auf der anderen Seite stützt Arnold sein Argument mit dem Blick auf das gelebte Leben. Glaube denn Johannes wirklich dass der verstorbene große Theologe Johann von Mecheln nicht die ewige Seligkeit erlangt habe, Gerhard und Lambert von s’Heerenberg, Theologen an seiner Universität und seine Landsleute, nicht Stützen des katholischen Glaubens seien, sondern dem Untergang geweiht seien, da sie keine Kapuzen trügen?25 Und wie stehe es denn in Köln mit dem Erzbischof, mit Rat und Schöffen, mit Kaufleuten und Handwerkern? Glaube er denn wirklich, dass sie, die ihr Bestes an ihrem Platz täten, nicht in den Himmel kommen könnten?26 Auf beiden Schienen, der philosophischen wie der lebenspraktischen nimmt Arnold der Mönchskapuze die besondere Aura. Man kann sie zwar wählen, aber sie ist zum Heil nicht notwendig.
24 F. 67rb. 25 F. 68ra, 69ra. 26 F. 68ra.
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Nach dieser Entzauberung fragt Arnold recht nüchtern nach der Qualität des Lebens unter der Kapuze, in der Zelle und mit dem Bettelsack. Und er ist um deutliche Einwände nicht verlegen. Er warnt vor den harten Gelübden von Armut, Gehorsam und Keuschheit und beschwört die Einsamkeit der Zelle. Der Bettel der Franziskaner schließlich widerspräche männlicher Haltung.27 Und er gibt dann die folgende Definition der Kapuze, welche sei: Nichilque aliud quam linum vel lanam cappam esse. animique latentis cavernam. et obducti pectoris velamentum. nudumque signaculum religionis. ac spectaculum paupertatis.28 Sie das bloße Zeichen des Mönchtums und das Schauspiel der Armut zu nennen, ist noch einmal eine deutliche Steigerung der Kritik. Aber Arnold beeilt sich auch zu sagen, dass wer diese harten Anforderungen auf sich nehmen und sich durch den Bettel verdemütigen wolle, ein heilbringendes Leben in diesen Orden führe – wenn dem die innere Haltung entspräche.29 Er will diese Orden nicht kritisieren und kann sich selbst vorstellen, dass seine Neffe, wenn er Mann geworden sein wird, sich auch für sie entscheiden könne.30 Aber diese Behauptung ist in gewisser Weise hinterhältig. Denn ihr steht die beschriebene sich steigernde Kritik entgegen, die ihren handfesten Höhepunkt in den Exempeln des italienischen Kuttenträgers Marianus findet, der die Bauern betrügerisch beim Kauf von Arzneimitteln und mit angeblich schmerzfreiem Zähneziehen übertölpelt.31 Und in der Sache nicht weniger harsch ist die Kritik an den Dominikanerobservanten, die sich Knaben wie Fischlein angeln, um sie in die Kutte stecken, während diese doch noch auf die Grammatikschulen oder in ihre Familien gehörten.32 Schritt für Schritt, zunächst als Unterton und dann immer lauter, will er seinem Neffen klarmachen, dass nicht nur die Kapuze täuschen kann, sondern auch der Kapuzenträger. Das genaue Gegenteil, ja das Ideal, sind für Arnold die Regularkanoniker – gemeint sind die Windesheimer – und die Fraterherren. An die Spitze der Charakterisierung der Regularkanoniker stellt er die Beobachtung, dass sie eine Kongregation bildeten, die jedermann milde und heiter begegne und deren Anforderungen für alle tragbar blieben. Weiterhin hebt er die Fürsorge der Kanoniker für Arme hervor und die Tatsache, dass sie ihren 27 28 29 30 31 32
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Unterhalt durch Bücherschreiben selbst erwerben. Und es beeindruckt ihn sehr, dass sie mit eigener Hände Arbeit ihre Klostergebäude errichteten, wie man das jüngst noch in Gaesdonck habe mit eigenen Augen sehen können. Die eigentliche Ursache seiner Bewunderung für sie ist aber ihre Haltung. Sie sei zunächst gekennzeichnet durch genaue Regelbeachtung und ihren besonderen Habitus: non pendula quidem fronte aut dextrorsum. vel sinistrorsum. deflexo collo. sed erectis penitus cervicibus palam ac modeste incedunt. comes. benigni. hilaresque. apud omnes tum parvos. tum maiores. Nulla quidem vivendi extremitate. sed temperata quadam ac mediocri disciplina religiosissimam. ac prope angelicam vivunt vitam.33 Der ungewöhnlich genau beschriebenen maßvollen Gangart entspricht der höfliche, freundliche Umgang mit Hoch- und Niedriggestellten. Und als Quintessenz dieses Habitus bezeichnet Arnold den Verzicht auf jedes Extrem und eine gezügelte, die rechte Mitte haltende Disziplin. Nachdem er noch eine persönliche Anmerkung für seinen Adressaten, dass nämlich sein Bruder in Utrecht dieser Kongregation angehöre und jahrelang Rektor des Agnietenkonvents in Dordrecht gewesen sei, angefügt hat, vergisst er nicht, besonders darauf hinzuweisen, in welcher Harmonie die Generalkapitel dieser Kanoniker verlaufen. Und der Leser weiß schon, nachdem er vorher vom dauernden Kampf des Xantener Dekans mit seinem Kapitel im Exkurs über Xanten und Köln gehört hatte,34 dass der Autor mit dieser Bemerkung die Windesheimer wahrhaft beneidet. Ausführlicher noch als die Regularkanoniker stellt Arnold die Fraterherren vor, die er als diejenigen bezeichnet, die extra ordines … communis vita führen,35 oder schlicht als clericos seculares vel fratres spirituales.36 Über sie kann er viel berichten, weil er sie von Jugend auf kennt. Allerdings tut er das ausführlicher als in der Persuasio in seinem Traktat über den Schülerbettel und in der Vita Davidis episcopi Traiectini.37 Seinem Neffen gegenüber betont er nur aus seiner eigenen Schülererfahrung in Deventer und Zwolle, dass die Fraterherren Tausende von Schülern leiblich und geistlich versorgten, und das aus ihrem durch Bücherschreiben und Handarbeit erworbenem Vermögen. Überdies hätten sie zahlreiche Männer für Klosterreformen überallhin abgestellt.38 Sie hätten nicht nur Niederlassungen in Deventer und Zwolle, sondern auch in Münster, Herford 33 F. 76ra. 34 F. 75ra 35 F. 76rb. 36 F. 76va. 37 Ferdinand Schröder, Ars mendicandi: Ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen
Schülerbettels, in: Nederlandsch archief voor kerkgeschiedenis; NS 18 (1925), S. 133–145. – Oediger (Hrsg.), Schriften (wie Anm. 1), S. 108–133. – Dazu zuletzt Jan Cornelis Bedaux, Het middeleeuwse Deventer bezongen door Arnold Heymerick. Deventer jaarboek 2008, S. 7–20. 38 F. 77/79ra.
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und Wesel, und nicht zuletzt in Köln, wo Johannes Sluter sich im Fraterhaus Weidenbach selbst einen Eindruck von ihnen verschaffen könne.39 Er werde wahrnehmen, dass sie caritate non fictos. incessu simplices. paciencia modestos. moribus graves. verbis facetos. ingenio integerrimos. vita mundissimos. Erga pauperes misericordes. in hospites dapsiles. et omnem hominem consilio auxilioque promptissimos et efficaces40 seien. Wie bei den Windesheimern werden der schlichte Gang, der freundliche Umgang, Armenfürsorge und Hilfsbereitschaft neben untadeliger Gesinnung hervorgehoben. Die geistliche Seite wird nur pauschal mit dem Begriff der vera vita apostolica umschrieben41. Die Fraterherrn sind Vorbild für alle Priester und Kleriker. Würde dieses Vorbild umgesetzt, wären Kapuzenorden nicht mehr nötig. An dieser Stelle übt Arnold sogar Selbstkritik und wirft sich selbst vor, in jüngeren Jahren nicht dieses Leben erwählt zu haben, immerhin könne er es vielleicht als Greis noch tun. Er beneidet seinen Neffen, der diese Entscheidung noch treffen kann, ja dem er sogar den sofortigen Eintritt nicht ausreden würde. In jedem Fall bliebe diesem noch die Möglichkeit des Eintritts oder die persönliche Befolgung ihrer Lebenspraxis als Kleriker, der er – ist zu ergänzen – mit seinem Arnheimer Kanonikat bereits ist.42 Es fällt auf, dass bei der Beschreibung dieser beiden aus der Devotio moderna stammenden Gemeinschaften in Arnolds Charakterisierung die eigentlich devotio, die besondere Spiritualität, nicht vorkommt. Stattdessen werden gemessener Habitus, soziales Engagement und Zugänglichkeit durch maßvolle Anforderungen herausgestellt. Bei den Fraterherren wird außerdem ihre Stellung zwischen Klerus und Laien betont. Sie seien ein secularis status et ordinis ecclesiastici manipulus, der sub humili habitu. et quidem seculari ein gemeinsames Leben führe.43 Der Akzent liegt auf ihrer Übergangsstellung zwischen der Welt der Laien und der Geistlichen und das macht es in den Augen Arnolds möglich, auch als Weltkleriker ihrer Lebensform zu folgen, einer Lebensform, die durch persönliche Integrität, humanem Umgang mit jedermann, Würde und Maß ausgezeichnet ist. Wobei die Vermeidung jeden Extrems auch zu einer Haltung führt, die bis in den Habitus des Gehens hinein vom Xantener Dekan als ästhetisch empfunden wird. Humanität und Schönheit der Devoten bestimmen seine Wahrnehmung und nicht ein spirituelles Ideal. Oder anders gesagt: Die wahre vita apostolica wird als human und ästhetisch empfunden. Die Vermutung liegt nahe, darin den Blickwinkel des Humanisten zu sehen. Und für die Persuasio trifft das durchaus zu. Denn im Abschnitt über die Philo39 40 41 42 43
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sophie, der dem über die Mönchsorden vorausgeht, entwickelt Arnold eine Ethik, die streckenweise geradezu die spiegelbildlich die Kriterien erfüllt, die an den Devoten so geschätzt werden. Aus den Sentenzen der antiken Philosophen und Dichter wird belegt, dass schon sie nicht nur die Armut empfehlen, sondern auch ein mäßiges Leben, die Liebe zur Zurückgezogenheit in einfacher Behausung, Geduld und den Verzicht auf jede Form des Sichgehenlassens. Auch Sentenzen zum Ideal der Keuschheit und zum Gehorsam ließen sich finden, behauptet Arnold, ohne sie aber auch noch belegen zu wollen. Alle diese Maximen lassen sich aus der menschlichen Natur mit Hilfe der Philosophie ableiten, deren Studium deshalb dem Neffen so entschieden empfohlen wird. Und Arnold unterlässt es deshalb auch nicht, den berühmten Hymnus Ciceros auf die Philosophie in den Tuskulanen, die symphonia, wie Arnold sie nennt, zu zitieren: Cuius in sinum. cum a primis temporibus nostra voluntas studiumque nostrum compulisset. hiis gravissimis casibus in eundem portum de quo eramus egressi magna iactati tempestate confugimus. O vite philosophia dux. O virtutis indagatrix. expultrix viciorum. Quid non modo nos. sed omnino vita hominum sine te esse potuisset. Tu urbes peperisti. tu dissipatos homines in societatem vite conuocasti. tu eos inter se primum domiciliis. deinde coniugiis cum litterarum et vocum communione iniunxisti. Tu inventrix legum et magistra morum et discipline fuisti. Ad te confugimus. Ad te opem petimus. Tibi nos ut ante magna ex parte. sic nunc penitus totosque tradimus.44 Vor allem die letzten Zeilen, die an einen Hymnus auf Maria als Schutzmantelmadonna erinnern, lassen die Philosophie geradezu als religiöse Gestalt erscheinen. Arnold ist sich durchaus bewußt, dass er mit seiner Betonung der antiken Philosophie in Gestalt zahlreicher Zitate vor allem aus Seneca und Cicero sich weit entfernt von der gängigen christlichen Argumentation. Ganze vier Belege aus der Bibel, genauer aus Ecclesiasticus und den Psalmen führt er im gesamten Brief an, ein Nichts gegenüber der Fülle antiker Sentenzen. Und deshalb fühlt er sich auch bemüht, auf diesen Sachverhalt gegenüber seinem Neffen einzugehen, indem er an drei Beispielen betont, dass schon die Kirchenväter heidnische Philosophen und Poeten zitierten und folgert daraus, dass man sich ihrer bedienen solle: Cumque philosophiam maxime philosophicamque vitam a sacre pagine preceptoribus commendatam comperiamus. minime nobis puto liceat. eam aspernari.45 Aber Arnold geht noch einen Schritt weiter, wenn er ganz bewußt die Definition von Religion überhaupt dem zweiten Buch Ciceros über die Natur der Götter entnimmt: Cultus autem deorum idem dicit est optimus. idemque castissimus. atque 44 F. 70ra–70rb. Das Zitat auf .f. 70rb. 45 F. 70rb.
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sanctissimus plenissimusque pietatis. ut eos semper pura integra incorrupta et mente et vote veneremur.46 Und das bedeutet, dass man überall in der Welt fromm sein kann und dazu keine Kapuze benötigt: Nam probe quisquis sit vite. colens deum. ubi loci se teneat. religiosus habetur. deoque optimo maxime carus. Quod et ipsum Tulius de natura deorum probare videtur. Nichil ille inquit amabilius virtute. quam qui adeptus fuerit. ubicumque erit gencium. a nobis diligetur.47 Ein anständiges Leben führen und Gott verehren, das ist gottgefällige Religion überall in der Welt. Arnold greift wohl ganz bewusst auf diese vorchristliche Definition von Religion zurück, denn es geht ihm offensichtlich um die Religiosiät aller Religionen. Man vergesse nicht, dass während Arnolds Tätigkeit in der päpstlichen Kanzlei Nikolaus von Kues als Kardinal nach dem Fall von Konstantinopel seine Abhandlung De pace fidei (1453) veröffentlichte, in der er den Gedanken des Raymundus Lullus von einer von der Vernunft nachvollziehbaren Mindestreligion wieder aufgriff, auf die sich alle großen Religionen einigen können sollten. Es mag sein, dass im religiösen Milieu der alten Niederen Lande diesseits und jenseits der heutigen Staatsgrenzen solche Gedanken keine Rolle spielten, in Rom aber waren sie virulent. Und aus diesem Rom, aus dieser internationalen Gesellschaft der kurialen Institutionen kam Arnold Heymerick, sie hatten ihn geprägt. Während seiner römischen Zeit in der päpstlichen Kanzlei waren dort so berühmte Figuren wie Lorenzo Valla, Poggio Bracciolini oder Pier Candido Decembrio tätig, deren Einfluss an ihm nicht spurlos vorüberging. Ganz sicher gilt das für Poggio, auf dessen weltberühmte Fazetien er in seinen eigenen Werken zurückgriff und den er mehrfach in seinem Registrum sophologicum zitierte. Nicht zu vergessen Pius II. selbst, unter dem er Karriere machte. Der latinus, wie er sich selbst nach den Jahrzehnten in Rom bezeichnete, der sich mit den eher deftigen Lebensgewohnheiten am Niederrhein nach seiner Rückkehr nicht mehr wirklich anfreunden konnte, war zweifellos Humanist, aber nicht im philologisch gelehrten Sinne, sondern in seiner Lebenshaltung, die nicht nur die Art und Weise seines Schreibens, sondern selbst die des Essens und Trinkens betraf.48 Dass sein Humanismus nur aufgesetzt gewesen sei, ja dass er die klassische Literatur nur aus Sentenzensammlungen benutzt habe, ist unrichtig, wie die Persuasio zeigt.49 Denn zweifellos benutzte Arnold nicht nur Cicero und vor allem Seneca aus erster Hand, sondern auch Valerius und die Nikomachische Ethik von Aristoteles, denn sonst gäben Hinweise auf eigene Exemplare dieser Autoren oder knapp gefasste Anregungen zu weiter-
46 47 48 49
F. 67rb. F. 67va. Scheler, Goldene Rose (wie Anm. 5), S. 20–22. Oediger (Hrsg.), Schriften (wie Anm. 1), S. 17, 22.
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führender Lektüre mit Angabe der gemeinten Satzanfänge in den abschließenden Belehrungen für den Neffen keinen Sinn.50 Für Arnolds Verhältnis zu den devoten Gemeinschaften ist entscheidend, dass sich deren Lebensstil aus seiner Sicht mit ethischen Grundhaltungen der Antike und mit einer weltoffenen Religiosiät verbinden lässt. Die Offenheit zur Welt ist das verbindende Moment zwischen den Devoten, wie Arnold sie wahrnimmt, und seiner Auffassung von Religion. Und er bringt diese seine Überzeugung auf den Punkt, wenn er bei der Vorstellung der Fraterherren ihr Verhalten gegenüber der Welt mit dem Satz des Plinius überschreibt: Hec est ad eternam gloriam via. mortalem iuvare mortalem.51 Aber bleiben diese Aussage letztlich nicht doch nur humanistische Rhetorik eines Textes, dessen einziges Ziel es ist, einen vielleicht fünfzehnjährigen Jungen vom Eintritt in einen Bettelorden abzuhalten? Kann man denn irgendetwas auf die Selbstkritik Arnolds und sein Gedankenspiel, in hohem Alter doch zu den Fraterherren zu gehen, geben? Doch zunächst wohl nichts. Aber bei näherem Zusehen kommen doch Zweifel. Denn tatsächlich hat sich Arnold in seinen letzten Jahren wohl mehrfach in Deventer aufgehalten, wo er eine Pfründe in St. Lebuinus hatte und in Deventer stiftete er auch seine Memorie.52 Und schließlich ist da die Handschrift der Athaeneumbibliotheek mit drei Werken Arnolds, darunter der Persuasio, deren Text für die Edition verglichen wurde. Er wird hier als Kanoniker gelebt haben, aber die von den Fraterherren und ihren Schulen geprägte Stadt könnte durchaus einen besonderen Reiz für ihn gehabt habe. Hier bedarf es wie in der Frage der humanistischen Prägung der päpstlichen Kanzlei zu Arnolds Zeit noch weiterer Forschungen. Aber auszuschließen ist es nicht, dass er die Faszination devoten Lebens, so wie er es sah, nicht nur beschrieb, sondern dass sie ihn auch persönlich bewegte. Genau betrachtet muss man also sagen, dass sich in der Persuasio nicht ein „alter Frommer“, sondern ein „alter Frommer“ neuen Stils über die neuen Frommen äußert, in dessen Wahrnehmung allerdings der religöse Kern der Devotio weitgehend verdunstet und nur deren ethische, soziale und ästhetische Haltung übrig bleibt, eine positive humanistische Sicht, die die Devoten aber sozusagen gleichzeitig zu säkularisieren beginnt. Damit ist Arnold auch nicht gezwungen, sich mit dem Gegensatz von verinnerlichter und veräußerlichter Frömmigkeit auseinanderzusetzen. Und eine geistliche Inszenierung wie die Viktortracht muss ihm nicht die geringsten Gewissensbisse verursachen – solange seine eigene Haltung einfach die eines frommen Menschen, von denen es so viele auf der ganzen Welt gibt, bleibt. 50 F. 66va; 77/79va; 77/79vb. 51 F. 77/79ra. 52 Oediger (Hrsg.), Schriften (wie Anm. 1), S. 16.
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Arnold Heymerick: Persuasio de cappata religione non ineunda ante puberes annos Dieter Scheler (Ed.)
Der Text der „Persuasio” ist in zwei Handschriften überliefert, der Hs. l des Stiftsarchivs Xanten vom Ende des 15. Jahrhunderts (Beschreibung bei OEDIGER, Schriften, S. 28) (= Xan) und der Hs. 101 D 15 KL der Athenaeumbibliotheek Deventer aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts (Beschreibung: http://opc4. utsp.utwente.nf/DB=10/LNG=NE/PPN?PPN=215824431) {= Dev). Beide Handschriften gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, doch ist die Handschrift aus Deventer stärker korrigiert als die aus Xanten, die in ihrer Zusammenstellung und Ausstattung auch so etwas wie die Ausgabe letzter Hand Arnolds ist. Auf ihr beruht der folgendeText, die Handschrift aus Deventer wird nur in wenigen Einzelfällen zur Korrektur oder Ergänzung herangezogen. Die Xantener Fassung wirft am Rand Stichwörter zu Personen und Sachen aus und hebt im Text doch Großschreibung nicht nur Satzanfänge sondern auch wichtige Begriffe hervor, schafft also für den Leser sozusagen einen zweifachen Index, der sich so nach heutigen Editionskriterien nicht wiedergeben lässt. Die Marginalien sind deshalb in der Ausgabe in die Anmerkungen verwiesen, auf die Hervorhebung durch Großschreibung im laufenden Text musste verzichtet werden. Doch wird die Interpunktion entgegen gängigen Editionsverfahren beibehalten. Gerade bei einem rhetorischen Text zerstört nämlich die moderne Interpunktionspraxis die Information der mittelalterlichen Zeichensetzung, die eine Mischung von Lese- und Grammatikinterpunktion darstellt. Da der Text aber auch heute, wenn er so wirken soll wie zu seiner Entstehungszeit, der mittelalterlichen Gewohnheit entsprechend halblaut gelesen werden sollte, kann er auf die originale Zeichensetzung, die ihm Hinweise auf Lesepausen unterschiedlicher Länge gibt, nicht verzichten. Danach ist der Text in der Weise „normalisiert“ worden, dass alle Punkte, die Lesepausen signalisieren, beibehalten worden sind, und jeder Satzbeginn, den der Herausgeber zu erkennen glaubte, mit einem Großbuchstaben beginnt. Zusätzlich sind nur Fragezeichen eingefügt. Die Orthographie der Handschrift einschließlich der Worttrennung ist beibehalten worden, nur die Unterscheidung von u und v ist durchgeführt. Die Schreibung ij wurde immer zugunsten ii aufgegeben. Die Gliederung orientiert
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sich an den Spalten der Handschrift einschließlich der vorletzten, wo sich durch Zählfehler eine Folierung mit drei Folienangaben für eine einzige ergibt (f. 77/79). [f. 66ra] Arnoldi Heymericii Clivensis decani Xanctensis Ad Johannem Sluterum canonicum Arnhemensem Colonie studentem eius nepotem Persuasio de c appata religione non ineunda ante puberes annos.1 [f. 66rb] Arnoldus2 Heymericius Clivensis. decanus Xanctensis. Johanni Slutero Colonie studenti suo nepoti carissimo. cum amoris ac fidei studio. salutem plurimam dicit. Inopinus iampridem nepos dulcissime apud me rumor increpuit. quem admodum velox te nescio quis spiritus induxisset. ut ordinis predicatorum te habitu incappare proponas. Quamquidem rem vel ex alto devolaverit. vel ex basso eruperit. quis tute iudicet. non video quidem. Inter ambigua tamen. gravis me tui causa subiit solicitudo. Cum certo scias. me flagrancius. qui te amet. habeas neminem. Qua de re eo pervicacior animo insidet tui cura. quo iam de tota salute. aut toto periculo propius tuo obtrectari conspicio. Subitanea tenerrime puer. ne umquam audisti. persepe consilia fallunt. Rarencius vero digesta. Quonam puer itaque tendis. quem ad locum properas. quorsum dic iter agis. siste parumper. iubeo. Que tua res agitur. prius adverte. quam statum. omnemque vitam tuam. cum ignorancia permutans. in ignotam provinciam inconsulto velociusque traiicias. Memento paulatim longius iri. cautissimi hominis proverbium esse. Conspicareque primum citro ultroque. tum contritas. tum invias methados omnes. quotquot oculis ipse tuis complecti potes. quamque omnibus censueris. apciorem invade. perditum enim sese vadit. qui oculis pedes anteponit. Etenim preceps transcurrere litus. qui te cogat. vides certe nullum. Quo igitur sponte propria accurrere contendis. qui pedetentim ambulare hactenus vix apte novisti. Planus scito. viator. optatos sepius attingit fines. Cursores vero minus raro precipicium fecere. Post feras autem cursitantes. age. quociens vidimus venatu tristes reverti. Itidem et pro bravio defatigatos. pene omnes assecutos [f. 66va] fuisse prorsus nichil. Atqui inter eos. qui cursurum se tardius apparasset. ceteros quosque prevenisse. Que itaque rebus3 consulti. et si segnius agitant. felicius evenire undique solent. Nescit qui nimis accelerat. res satis suas componere. sed quo abierit ocius. eo celerius sese cuiuspiam neglecti penitentem sepe offendit. Solus pro mille. valet consulcior unus. Enimvero nepos dilecte. qui adhuc puer es. natura apprime tua tener. et huiusce religionis nichil tibi conscius. Utrumque hoc ipsum tibi et timendum discutiendumque esse. michi vel saltem ipsi philosopho4 1 2 3 4
Text in roter Tinte. A Initiale. So Dev f. 64r; rot durchgestrichen Xan. Am Rand: Philosophus.
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primo Ethicorum dicenti credere potes. unusquisque autem bene iudicat que cognoscat bene. et horum est bonus iudex. simpliciter autem. qui circa omnia eruditus est5. Et ipsi Lucilio6. qui ait. Virtus est scire id quod queque habeat res. scire hominum. quid rectum. quid utile. quid honestum. que bona. que mala. item quid inutile. quid turpe. quid inhonestum. virtus querendi rei finem. scire modumque.7 Audias adhuc ipsius Senece8 sentenciam in sua qualicumque epistola. cuius numerum seu quotam ponere incertum est. propter librorum multorum discordacionem. in meis tamen quadragesima quarta inscribitur. Sciat inquit ille. quo iturus sit. unde ortus. quod illi bonum. quod malum sit. quid petat. quid deuitet. que sit illa racio. que appetenda. que fugienda discernat.9 Iterum nepos audi. quod proverbium vulgus10 usurpavit. pueros. insipientes. mulieresque novarum rerum gracia. crebrius ad spectacula concurrere. Quod ipsum. et idem Seneca11 quarto declamacionum videtur velle dicens. In omnibus videmus accidere. Ad nova homines concurrunt. Quitquid insolitum est. in turba notabile est.12 Cui et Ovidius13 sublimis poeta sentencie assentiri videtur de Ponto. sic scribens. Est quoque cunctarum novitas carissima rerum.14 Nova tibi ergo res nepos acciderit forsitan putas. cui vita quedam nova incidit in animum. ut Iris ceco. tam incognita. Quamquidem tu ipse [f. 66vb] qualismodi existimes. veluti cecus de coloribus. atque de astris puer iudicium facis. Sed cave nepos te admoneo de incognitis iudicare. ne quasi ignarus ipse tu transeas in rem iudicatam. Non enim esse omni credendum spiritui. sacra docemur scriptura. Et nos quoque admonet racio naturalis. atque doctrina moralis solicitat. Quoniam cito qui credit. corde levis est. Ecclesiastici duodevicesimo.15 Ideoque ammonemur probare spiritus. an ex deo sint. Dicunt enim de ignotis censere rebus. qui presumit. quam umquam presenserit. asperiora plerumque experitur. Siquidem tu si cappatam eligere vitam iam tecum determinasti. qua vellem audire opinione reicere communem vitam velis. sive generalem. quam et nos catholicam appellamus. Quod si illam quidem huic prestare diiudicas. de re tibi ignota sentenciam ferre michi videris. A quaquidem tamquam ab impubere lata. ad tuam adolescentem puberemque etatem. ut tui curator. legittime appello. huiusmodi certe diffinicionis iudicem 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Aristot. eth. Nic. 1, 3. Am Rand: Lucillius. Lucil. fragm. 1196–1200. Am Rand: Seneca. Sen. ep. 82, 6. Am Rand: Prouerbium vulgi. Am Rand: Seneca. Sen. contr. 4, 1, 7; 4, 5; 9. Am Rand: Ouidius. Ov. ep. 3, 4, 70. Am Rand: Ecclesiasticus. – Eccli 19, 4.
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competentem. Interea vero. si quid attemptare lite pendente presumpseris. uti iure nullum revocandum esse. ne ignores. Nichilo tamen minus interim potes mutare propositum. Quod et Senece de beneficiis16 placere videtur. Non est inquit turpe cum re mutare consilium.17 Atque idem tragedia18 titulo nono actu primo. Teneris in annis non satis clara est fides.19 Duo equidem puer nisi te recipias. sunt imprimis gravissima. que tibi impendent. Teterrima primum. ceu pannosa cappa.20 cella21 vero tum angusta. tum opaca. secundum. At illam autem vinciendi tete causa vincendi quoque hanc perpetuo iugo subiturus es. Sed quid nepos sequetur? Humanissimam enim et pene omnibus optabilem excepisse vitam prioribus aliquot diebus tibi fortasse videberis. Cumque presens te puericia aliquantisper defecerit. quotque huic cappe acerbiora pericula immineant perpendere. quando cepisti. tum nisi ad ea perferenda omnium [f. 67ra] membrorum concussione trepidare graviusque inhorrescere omnibus visus fueris. lactente asello. te longe stulciorem predicabunt. cum lupo colluctante. Sed isthec tam gravia. cur et adeo stupenda dixerim. Cum non omnibus gestare cappam. cellamque incolere videatur perdifficile. quodquidem et ita fateor. non omnibus cappatis videri. sed solis tantummode et cappe. et celle veris amatoribus. incultoribusque. Et hii quidem licet quadam mentis elevacione et alacritudine. neglecto penitus seculo eisdem inservire noscantur. Humana tamen infirmitas. facile sentit pondus. Neque tamen illi. nec isti. qualemcumque de cappa et cella faciant existimacionem. iisdem vivere moribus nobis videntur. ymmovero diversis. ac longe zelo differentes. Quod certo22 unum ipsi philosopho23 primo yconomicorum displicere constat. Diversitates enim morum ait ille. nequaquam ad dilectionem sunt apte.24 Quis putas nepos in cappa que delitescunt. inque cella repencia facile novit explorare. Vix perecastor diutissima exercitatus omnia crede. Fforaneis enim nobis fere omnibus. perspicua plurimum et expedita quidem apparere cappa solet. tam et si complurimis eius incolis. ut cahos obscura. et difficilis. Sed id quidem cuiuspiam sinderisi relinquamus. Par enim habitus est. cappa in sua quaque religione. sed impari persepe animo zeloque huc illucque defertur. Nos enim qui e foribus cappam aliquando inspectamus falsa quadam opinione nonnumquam deludimur. necubi autumantes tutam vitam vel beatam. quam in cappa situatam esse. Quapropter ad religiose vivendum. qui solam 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Am Rand: Seneca. Sen. benef. 4, 35. Am Rand: Tragedia (Dev f. 69r). Sen. Oct. pr. 538. Am Rand: Cappa. Am Rand: Cella. certe (Dev f. 70r). Am Rand: Philosophus. Ps. Aristot. Oeconomia 1, 4.
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sufficere cappam. quique extra eam religiose vivi non posse opinantur. hos eque inerrare puto. Qui vero tam in cappa. quam extra eandem. bene beateque vivere nos posse contendunt. eos certe sacius sapere. Quibus ex rebus selegende vite racio tuique proposita plane videtur. preterquam et pueris et stultis ceterisque ea racione vacantibus. Tete idcirco nepos [f. 67rb] inter prima inspectes suadeo. puer an ne vel stultus sis. vel quanto racionabilior. tecum secerne. siquidem illum te esse consentis. citra etatem eligere nichil tibi persuade. Sin vero te iam racione fruentem censeas. inter cappatam religionem. et non cappatam quid intersit. quam eligas prius hac racione. et quid sit religio per se secretum habe. Satis enim Tulium25 ipsum quid sit religio nobis tradidisse secundo de natura deorum constat. Cultus autem deorum idem dicit est optimus. idemque castissimus. atque sanctissimus plenissimusque pietatis. ut eos semper pura integra incorrupta et mente et vote veneremur. Nec enim philosophi solum. verum eciam maiores nostri supersticionem a religione separaverunt. Nam qui totos dies supplicabant et immolabant. ut sibi sui liberi superstites essent. supersticiosi sunt appellati. Qui autem omnia que ad cultum deorum pertinent diligenter retractarent. et tamquam relegerent. sunt dicti religiosi. ex relegendo. ut eligentes. ex eligendo. et a diligendo. diligentes. et ex intelligendo. intelligentes. Hiis enim in verbis omnibus inest vis legendi. Eademque in religioso. Ita factum est in supersticioso. Alterum vicii nomen. Alterum laudis.26 Iam tibi nepotule Tulium ipsum de religione adductum curavi. de cappata vero religione consulto opus fore maxime credas tibi necessum est. Sed quorsum te retuleris. solam hanc velim de te primum facias ipse coniecturam. Hoc est. tu si veloci cuipiam spiritui tam raptim aures atque eciam animum commodasti. quid eidem vel alteri spiritui27 posthac secus forsitan suggerenti concessurus sis? Nonne te cappe si quando indutus eam esses penitentem efficere putas. ille poterit. qui eo tam mobili animo iam te offendit. quo prima eius impeticione succubuisti. Istiusmodi enim spirituum ioculacionibus nepos. qui cicius fidem habet. ocius decipi solet. Neque aberit qui te facili ingenio nunc inventum interdum noctuque. et temptare et ludere aggrediatur. ut [f. 67va] musce estivales. scarrobonesque. adeo hii spiritus importuni sunt. Infestare hominum animos numquam defatigantur. Nec solus est unus. qui horum spirituum incursionibus ac frequencia non animo quandoque varietur. Plures namque nonmodo pueri. verum et natu maiores comperiuntur. quos nichilominus quo celerius animo deiecti fuere. cicius reconsultos ad cor revertisse conspeximus. Tu quoque in disciplina litterarum. ac philosophie studio. qui parum adhuc doctus versaris. sisque nondum sat etate ydoneus. vel persona valens. cum ad ipsarum litterarum. ac philosophie. tuique ipsius agnicionem te studium ipsum. 25 Am Rand: Tulius de Religione. 26 Cic. nat. 2, 71–72. 27 Am Rand: Spiritus.
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etasque traduxerint. plane consencies. Iuvenili corruisse consilio. incitatoque cursu quamplures. eciam te multo grandiores. Satis enim refert dicere. aut instituere animo. ducere uxorem velle. cappam induere. traiicere mare. sed multo profectum sacius. quid expediat. ab rerum exordiis racionem aut coniecturam facere est. At vero tibi si omnis religiosus videtur in cappa. ceteris hominibus vita prestare. sine oculo natus sis. vel in cappa28 verisimile est. Concedi enim simpliciter potest. viros religiosos29 omnes. ubivis terrarum constitutos. bene beateque vivere. cappatos vero quosque homines. alias bene. alias quidem prave. Nam probe quisquis sit vite. colens deum. ubi30 loci se teneat. religiosus habetur. deoque optimo maxime carus. Quod et ipsum Tulius31 de natura deorum probare videtur. Nichil ille inquit amabilius virtute. quam qui adeptus fuerit. ubicumque erit gencium. a nobis diligetur.32 Quoniam ex cappa neutiquam. sed ex animo tantum et operacione virtutum. emergere ipsam religionem iam novimus. Ut et ipse Seneca33 de beata vita ait. Libet diffinire ut beatum dicamus hominem illum. cui nullum bonum malumque sit. nisi bonus malusque animus.34 Et ipse Tulius35 contra Salustium. Noli michi antiquos viros obiectare. Sacius enim est. me meis rebus gestis florere. quam maiorum opinione uti. et ita vivere ut ego sum posteris meis nobilitatis [f. 67vb] inicium et virtutis exemplum.36 Seneca37 Epistola ut quotatam repperi nonagesima sexta Vis dicit deos propiciari. bonus esto. Satis illos coluit. quisquis imitatus est.38 Macrobius39 de sompno Scipionis. Sole virtutes beatum faciunt. Nullaque alia quisquam via. hoc nomine adipiscitur.40 Bias philosophus41. Quesitus quid optimum ait. Mens sibi bone conscia rectitudinis.42 Seneca43 septimo de beneficiis. Scit sapiens. nec malum esse. nec turpe. nisi inhonestum. nec bonum. nec pulchrum. nisi honestum. hac regula vite opera distribuit.44 Tulius45 primo de finibus bonorum et malorum. Que est enim. aut utilior. aut ad bene vivendum 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
F. 72r cappa (Dev). Religiosos (Dev f. 72r). ubi ubi. So auch Dev f. 72r. Am Rand: Tulius. Cic. nat. 1, 121. Am Rand: Seneca. Sen. dial. 7, 4, 1. Am Rand: Tulius. Ps.-Cic. in Sallustium responsio 2. Am Rand: Seneca. Sen. epist. 95, 47. Am Rand: Macrobius. Macr. somn. 1, 8, 3. Am Rand: Bias philosophus. Auson. Septem sapientium sententiae 1. Am Rand: Seneca. Vgl. Sen. benef. 7, 2, 2. Am Rand: Tulius.
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apcior particio. quam illa. qua est usus Epicurus. Qui unum genus posuit earum cupiditatum. que essent et naturales et necessarie. Alterum que naturales essent. nec tamen necessarie. Tercium. que nec naturales. nec necessarie. Quarum ea racio est. ut necesse. ut opera multa. nec impensa expleantur. ne naturales quidem multa desiderent. propterea quod ipsa natura divicias quibus contenta sit. et parabiles et terminatas habet. Inanium autem cupiditatum. nec modus ullus. nec finis inveniri potest.46 Plinius47 nepos ad Pompeyum Saturninum. Meminerimus quanto maiori animo honestatis fructus in consciencia. quam in fama reponatur. sequi enim gloria. appeti non debet.48 Ex quibus nepos dulcissime satis tibi constare potest. que sit beate vite basis. vel habitudo. bonosque ubique posse provinciarum sine cappa degere. atque religiose quidem. Quequidem animo si tecum reputaveris. habita cionis tue locum facile invenias. Neque ex hiis mutatum ire habitum persuaderi videris. qui nondum. que sit huius vite condicio. varietas. aut differencia. vel ipsarum capparum racio. perspectum habes. quemque hactenus fugit. ubinam. vel in cappa. vel extra. sanctior vivitur vita. Sed tuum ne philosophorum sentenciis. ac huiuscemodi racionibus animum interturbasse magis. quam solatus esse tibi videar. Hinc ad proximum abeamus parietem. [f. 68ra] quatenus in ipsis philosophis. ac racionibus. que vel tibi obscura. vel intellectu minus facilia apparere forsitan possint. oculo ad oculum tu ipse concernas. Ecce ergo digne recordacionis Johannes de Mechelinia49 die superiori vita functus. clare vite gracia. ab omnibus veluti de deo benemeritus celo adiudicatur. ecce tantum theologice veritatis professorem minime cappatum. irreligiose vixisse. quis non falso asseverabit aut non salvum e vita migrasse. Quot itidem eiuscemodi religionis. ac ordinis viros omni virtute preditos. ac sciencia clarissimos credis extra cappam se in sancta urbe Colonia50 atque per orbem ubilibet tenere. Quod si puerili ingenio fortasse arbitraris nullum. oculos ultro clausisse te probas. aut verius precio locavisse. omnes cappas. Sed me sic minime depelliculabis. Nam cappa tua undecumque enataverit. citra desistere optimum factum putavero. Quibus enim equis gravius iugum imponitur. segnius detrahere quandoque videntur. Coloniensem presulem51 maximum. et alios quosque secularis. ut aiunt status ecclesiasticos prelatos. ac reliquum clerum canonica salvari vita putas ne posse. an alium quidem nullum. quam ex cappa emigrantem. Qualismodi insuper inclite civitatis Colonie. ceterarumque urbium senatum sapientissime gerentes.
46 47 48 49
Cic. fin. 1, 45. Am Rand: Plinius. Plin. epist. 1, 8, 14. Am Rand: J. (?) de mechelinia. – Dev Johannes de Mechelinia. – Johannes Hulshoet de Mechlinia, Professor der Theologie an der Kölner Universität 1440–1475. Er starb 1475. 50 Am Rand: Colonia. 51 Am Rand: Coloniensis presul.
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illi pretorici viri52 tibi dic rogo videntur. pagani. barbari. Iudei. ne. an alias extra religionem. vel ecclesie graciam vivere. quosquidem quo felicius iustiusque rempublicam gubernant. eo religiosiores et ipsius ecclesie dei necessariora atque magis fructuosa membra esse omnes affirmamus. Idem de scabinis53 omni loco iusticiam preseferentibus iudicium facimus. deque universis dive Colonie. aliisque civibus in suo statu honeste obversantibus. qui secus censeat. ceco sit ingenio natus. ostendit. Sed viri mercatores54 sua mercimonia. architecti. agricultores. opifices. suas operas naucleri quoque et id genus vectores [f. 68rb] res quaslibet humano usui necessarias rite transvectantes exponentesque. quis dubitare potest. quin sub unius universalis ecclesie benedictione. et connivencia hinc salvi tandem e vita avolent. Puerorum55 vero iudicium ad te ipsum refero. qui ut es puer. de pueris sentenciam tuam feras. Atqui iam multos recitavi spectatos ex alto utique viros. fac oro de Cristo. ne cum Iudeo. visa sit michi hec tecum disputacio. annosa quadam pertinacia suum illum Messiam56 expectante. Enimvero nepos insensibilis. si te quispiam spiritus57 ad cappam ineundam allexit. maxime tibi qualis sit ille. investigandum est. Variis equidem multisque modis se spiritus hominum animis ingerunt. egeruntque. Cumque aliquando bonum persuaserint. difficilem nimium callem. persuasis relinquunt. At vero de persuaso veluti huiusmodi ab eis bono. eiusque summa. ubi cercior fieri nemo possit. quam de cappa solum induenda. quisnam fuerit. qui non tam extremum sibi ab eis periculum metuat. quam postremam salutem. ne coniicio quidem. Sunt namque puto nonnulli quos ad eam animi facilitatem natura generavit. vel inexperta voluntas retinuit. ut horum spirituum nutu. tamquam ventilabra animo semper agitentur. Quam prochdolor ob rem longe lateque videmus. suo statu. sorteque paucissimos contentos esse. cappatosque pueros. facti cito sui penitere infinitos. Sin vero macte nepos. sensibilis sit iste spiritus tuus. non cappatus quidem. quas iam audisti erudiciones. pro tua defensione et si non omnino pertinax sit. accepte haud dubium erunt. cappatum autem eum si esse nosti. qui hanc animo demenciam tuo inflavit. quid tibi sit conducibilius. quam Mariani gestum58 ardenter auschultes non habes. Is enim in Ytalia herbalarius et arte vellendorum dencium famosus habebatur. atque vulgari lepore vir apprime insignis. Cumque parum aliquando rerum. vel quam ceteri longe minus iste foro attulisset. suo admirabili sermone penuriam obtegere. [f. 68va] sed et sua ante omnes vendere callide novit. Et tuus quoque spiritus mi nepos interrogetur. pari arte si tecum usus sit. Sed et aliud istius Mariani gestum. 52 53 54 55 56 57 58
Am Rand: Pretorici viri. Am Rand: Scabini. Am Rand: Mercatores. Am Rand: Pueri. Am Rand: Messias. Am Rand: Spiritus. Am Rand: Mariani gesta. – Fehlt Dev, f. 74v.
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si tuo spiritu comparari debeat. tu ipse videris Marianus igitur cum suam aliquando carioris vendere ei cura esset. aliorum sue sortis venundatorum tiriacam depreciando. minimique pendendo. suis verbis de se spectaculum omnibus facere solitus est. Idque experimento. quatenus monstraret. virulentas substancias. tirum. lacertam. archenicum. edere. vel edendas palumbo porrigere ei mos erat. gustatoque veneno. occultatam. sed et expiatissimam tiriacam sese adhibentem. subito curabat. et deinde palumbum. Circumstantibus autem e lebete communi et amplissima. magno precio exiliorem venundabat tiriacam. Huic enim idipsum esse proverbium59 solet. plures facile decipit. qui de seipso prius periculum fecit. Huiuscemodi ergo facti. si quid tibi nepos acciderit. animo volutabis. Sique eius proverbii exemplo is spiritus tuus de se prius id periculum fecerit. in quod contrahere te iam molitus est. Huius adhuc Mariani actitatum tibi recitabo. Predicare enim omni foro consuevit. se dencium extractorem quavis sine lesione existere. Quamobrem omnis ad Marianum vicina rusticitas confluxit. Solus enim in turba erat omnium callidior rusticus. sed eque dentes dolens. qui prius in comitibus. ut rei eventum experiretur. tantisper se subtraxit. Arripit Marianus manu tenellam. et unctum. Apprehensumque ex omnibus robustiorem mox dente cavat rusticum. qui quemadmodum socios sui tormenti reddat eque participes. omnis doloris sese simulat prorsus expertem. Hac quoque ipsa fraude. id genus ut assolet in pressura tumultuare. quisque properat ante alium edentatum iri. Sed Marianus ut ad manus veniebant. singulos quosque. et bonos et malos dentes impigerrime effodit. evellit. extorquet. Neque erat qui pactum sibi precium non [f. 68vb] integerrimum exolueret. ex omnibus unus. Confecto Mariani officio. seipsam turba inspectat. In nullum quisquis sit verbum prorumpit. sed rurali profecto more subsistentes. tum capita confricant viri. tum scalpunt femine culum. Theatralem erat cernere scenam. quociens obiurgaciones demum exissent in turma. Utque ille meliores amisisse. servasseque deteriores dentes. Iste vero mandibula penitus exunccata. Alter certe oculo se orbatum. et reliquus medias vix fauces reportasse queretur. Interea vero qui se subtraxerat. ille callencior rusticus. e latebra exiliens. ad querulam comitiuam sic ait. Salvus diis bene faventibus solus ut evaderem. nimirum licuit. qui nec priori. neque subsequentibus deceptoribus vestris fidem habere persuasus. abieram. nulla quidem labefactatus invidencia. qua socios contrahere in penam solacio michi fore umquam arbitratus sim. Ad quem Marianus. Te omnibus cautiorem reliquisse michi satis est. Ymmovero inquit rusticus. multo michi satius est. tibi ac sociis fallentibus credidisse omnino nichil. At demum sic rurale conclamitat omne agmen. In medium duum sedilium empta fraude heu nunc humi residemus nullo quidem alio penitencie nostre remedio leciores futuri, quam reliquos nostris cruciatibus vicinos pariter omnes implicemus. Marianus autem cappa demum indutus. ut ea 59 Am Rand: Proverbium.
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rusticum illum facilius pellicere ratus est. ipsum mille vulpeculis insequitur. Cui rusticus ipse. Iam aptissimum Mariane fraudis tue vestimentum invenisti. quo meos aucupari dentes maximopere diuque. sed frustra studuisti. Fuge. nullus tibi in me dens reliquus est. Marianus autem. Contectas qui mercancias non comparat. rarius decipitur. Tu quoque rus redi ait amice ilarior. A me vero decepti quorsum evaserint. improvide credulitatis penam daturi sunt. Heccine puer. spiritui tuo poteris obiectare. ut si quid horum in se latescat. ipse sibi conscius sit. tu quoque rei geste exemplo procaueas. Ad [f. 69ra] propinquiora iam transeamus. que ut limpidius quidem valeas intelligere. Qua degas in urbe. primum. quibusque deinde cum hominibus. cohabitas. Quo in preterea versaris gimnasio. non puerili memoria repetas. tibi maxime conducit. Atque iam modo manum huc dexteram tuam extende. qua michi iuncta. ad heroes te nedum communes. ad homines hinc abducam. Jamque apperi oculos. vides ne quos tangere manu potes. venerabili canicie grandevum Gerardum.60 sed et florida pollentem adolescentia. Lambertum de Monte.61 sacre theologie illos inclitos preceptores. tuosque proximo sanguine necessarios. presto istic astare. Ceteros vero divino et humano iure consultissimos viros. quorum eciam splendorem. faculentissimus ipse admiratur Apollo. hos age. et edicisse. et docuisse hattenus sapienciam in perdicionem ne putas. quosquidem nobis in catholice fide robur. ac tuicionem. universalisque ecclesie dei sustentaculum ab eterno. et predestinatos. redditosque fuisse. credere non est obscurum. Sed alios quosque sapientissime scole. florentissime universitatis Colonie. cuius et tu exilius minimumque omnium suppositum es. didasculos. creaturas. et alumnos. circa te. hincindeque platearum dimorantes. qualismodi vellem audire tuo iudices imbecilli ingenio. Quos peritum ire si sompnias. puerilis ignoracionis ac stulti erroris tui precipua signa prodis. Quapropter huiuscemodi tante laudis gloria dignissimos viros. quorum consequi nulla in parte potes vite specimen. a nostro sinamus colloquio intactos abire. Quoniam eorum obtrectare dignacioni profectum anathema est. Porro de constudentibus. coetaneisque tuis. quod suspicaris audiamus. Num tibi soli cappam desideranti videris hiis omnibus sanctior. beatiorque. cum litteris tantum. non cappe operam dare illi videantur. Sed te forsitan fugit. eos quo litteris ardencius invigilant. divinis et humanis rebus eo aptiores futuros esse. Ad id enim si probe intellexti. litteris ipsis traditur [f. 69rb] puerilis ruditas erudienda. quemadmodum rebus ipsis intellectis. sese racione tantum gubernet. Hinc deo certe optimo maximo. omnique seculo grata semper extitit studiosa iuventus. qua in orbe terrarum salubrius nichil haberi 60 Am Rand: G. de monte. – Gerhard Terstegen de Monte aus s’Heerenberg, Professor der
Philosophie, später der Theologie an der Kölner Universität, mehrfach Rektor der Universität und von 1430 bis zu seinem Tod 1480 Regens der nach ihm benannten Bursa Montis. 61 Am Rand: L. de monte. – Lambert, Neffe Gerhards, wie dieser Professor der Philosophie, später der Theologie und sein Nachfolger in der Leitung der Burse (gestorben 1499).
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potest. Contra vero iuvenis etatis indisciplinato rudimento nichil omnino horridius. Nam gravius erraverit certo nemo. quam qui et puer et indoctus id aggressus sit. cuius sero nimis penitet. cappam bone puer deus ipse a nobis exigere minime videtur. sed benivoli animi et intemerate consciencie. hoc solum bonum. quod est in operacione virtutum. Tulius quinto Tuscularum questionum.62 Etenim ille inquit. que pars optima in homine est. In ea situm esse necesse est. id quod queris optimum. Quid est autem in homine sagaci bona mente melius? Eius bono fruendum est. Igitur si bene esse volumus. bonum autem mentis est virtus. Ergo hac contineri bonam vitam necesse est.63 Itaque mi nepos deo conciliari. si quando percupias. virtutibus tantum exercere te. acriter stude. ne ipsam tantummodo persona incapasse. sed et mentem quidem ac conscienciam ex alto iudiceris. Socratis hec sentencia est.64 Conscienciam magis. quam famam intende. falli namque sepe poteris fama. consciencia numquam.65 Seneca Epistola octogesima secunda.66 Nemo michi videtur pluris extimare virtutem. neminem esse illi magis devotam. quam qui boni viri famam perdidit. ne conscienciam perderet.67 At tuos nunc deinceps repetere constudentes. bonum factum puto. Age ergo puer. de hiis quid sompniasti. Quorsum nam hosce tendere sine cappis coniectas. Interitum ne omnes. an grave quidem aliud periculum facturos. Illi quoque te qualem ediverso in cappa futurum prenosticent. quamque viviturum vitam. me certe preterit. par fortassis erit alterutrius de vita suspicio. Unaque et equalis hincinde coniectura arbitror. Hoc est. si extra cappam tute beateque vivere putaveris neminem. Item et ipsi quoque in cappa opinabuntur penitus nullum. [f. 69va] Qua igitur ex re. si alteram ut defenses partem insudas. per Iovem. cum Minerva iam gymnasium admisisti. Extabit caute preponderes. adversus te. ea in parte universalis vite vexillum. et invicta libertas. forasque cappam vivendi lex. et norma generalis. heli tibi idcirco debilis puer. nisi evistigio resipiscentem te venia dignata fuerit ipsa Minerva. Nam te Johannem alioquin de opinione. eciam pariles tibi pueri digitis demonstrabunt. Neque minus eris utrique parti undique exosus. cappa68 siquidem res quedam in se bona est. agendique boni unum eminens quoddam signum. Sed eam omne abegisse periculum. retulisseque vite beatitudinem et securitatem. si putas. heu te. puer deliras. ac inter amentes vadis querere tui fantasmatis atque erroris lucum. Itaque te oro puer. animo revivisce tuo. tibique citra medium iter persuade. minus te multos errare. Nec ubique salubriorem aut magis ratione disputatam florere. quam in scolis sapiencie virtutis disciplinam. Etenim tu si iam 62 63 64 65 66 67 68
Am Rand: Tulius. Cic. Tusc. 5, 67. Am Rand: Socrates. Caec. Balbus, De nugis philosophorum, 65. Am Rand: Seneca. – lxxxiida (Dev, f. 77v). – Xan-ta gelöscht. Sen. epist. 81, 20. Am Rand: Cappa. – Fehlt Dev, f. 77v.
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sapiens tibi videris. scholis ipsis decede. eoque proprie prudencie modo innitaris. ut eciam quod eligibilius censueris. antequam accipias. plerumque tecum retractes. Sicque tardius certe falleris. Sic et tui facti minus tandem te pudebit. Sinautem ut debes. ipseque velim. philosophie studium tamquam tibi salutarius preferas. idipsum quam te cappa includas prius prosequere. Socrates quesitus. quonammodo quis ad culmen sapiencie pervenire posset.69 Respondit. neminem70 in sapiencia locupletem fieri posse. ut doceat. nisi ad discendum. pauperem et egenum se credat.71 Tu idcirco puer. si ediscende sapiencie te pauperem discipulum accommodes. atque indoctum esse non discredas. id est. ne te scire sapiencie quippiam arbitreris. sed solum exoptes. te rerum sagacissimum magistrum. et sui ipsius interpretem sine dubio philosophia remittet. Nam eiusmodi profecto condicionis ipsa sapiencia72 est. Ut se expetentibus ingerat ultro. iactantes [f. 69vb] autem se. ex odio fugit. Optime ergo tibi puer erit. si liberalissime sapiencie vestigia insectari humili animo flagrantique studio non desistas.73 tuisque summisso animo preceptoribus auschultes. paribusque tibi impar ipsi videare. sed et inferioribus te multo inferior. sicque ceteris preterea omnibus. te communem exhibeas. et quoad poteris mansuetum. Porro id unum omnium primum optimumque. si videlicet tete assuefacias. deum maximum pre cunctis creatis ac creaturis et diligere colereque. quippe te hiisce virtutibus. si quando predidisti. vere sapiencie primam partem aggressus es. Oracius ecce dicit.74 Virtus est vicium fugere. et sapiencia prima.75 Sed hec amplius cum tua tibi studia suppeditarint. tum ydoneus eris et vite cuiusvis ac status secretor. et iudex. tunc vero litteris consulcior. et scies poterisque res quaslibet racione metiri. nonmodo quas teipsum circumstare contigerit. verum et quasque reliquas. Tunc temporis spirituum incursus. quedam tibi sompnia videbuntur et ioca. tu quoque de eis apte sentenciam dicturus es. secernes que inter eos. qui pueris. quique ceteris hominibus inspirare consuevere. Tunc tritissimum profecto et admodum conducibile iter ad quam velis vitam invenies. erisque tibi tutus omnismodi vite interpres et explorator indubitatus. et que te modo veluti tenebrosa latent. abacta presenti caligine. linceis oculis penetrabis. Etiam que prope vix cernere potes. in presencia tibi erunt ab eminus etiam visa. Tuncque demum nichil dubitabis. cappatum non minus. quam non cappatum in pravam incidere vite speciem posse. Nichilque aliud quam linum vel lanam cappam esse. animique latentis cavernam. et obducti pectoris velamentum. nudumque signaculum religionis. ac 69 70 71 72 73 74 75
Am Rand: Socrates. Neminem (Dev, f. 78r). Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 30. Am Rand: Sapiencia (Dev, f. 78r). – Fehlt Xan, f. 79va. Am Rand: Doctrine. Am Rand: Oracius. Hor. epist. 1, 1, 41.
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spectaculum paupertatis. Nichilque per se habentem. nilque ceterum conferre posse preterquam id. quod eius ingressor importavit. vel a seipso indipiscitur. Audistin nepos. pueriles illos versiculos. Quid prodest bulla. quid cappa. quid ampla cuculla. mentis in ampulla cum sit devocio [f. 70ra] nulla. cappa tamen nepos amantissime. te prope avisatum facio. quam potes deprehendere. vel ipse queam facile complecti. longe plura experimenta supportat. occultatque. extremam inter prima paupertatem. integerrimam obedienciam. castitatemque perfectam. tria hec substancialia vota.76 Celle77 vero qui tibi incommoda plene enumeret. propediem non invenias reor. quorum minimum esse omnes aiunt. solitudinem. De qua nono Ethicorum philosophus dicit.78 At in solitudine molesta est vita.79 Et Ovidius de remedio amoris.80 Et quis non causas mille doloris habet81. Tristis eris. si solus eris. loca sola caveto. Atqui te iam satis conterrui puer modeste. tuo proposito morem aliquantisper geram opereprecium erit. Quamobrem certe scias velim. nichil eciam horum minimum me in derogacionem cuiuspiam religiosi vel eiusmodi habitus tibi scripsisse. sed tantum ne puer ignotam vitam incurras. cuius te virum penitere. posthac facile posset.82 Sed puericie transactis annis. et etate provectior. litterisque pericior factus. eam eligas. quam malis ducere vitam. Talismodi enim litteris et etate adulcior. quitquid institueris. virile videtur omnibus. viroque dignissimum factum. Neque restabit quispiam. qui docti viri decretum. ea in parte cavillare fuerit ausus. Eris ac pocius omnibus boni exemplo. nemini vero suspectus. nullaque tuis in te parentibus competere poterit obiurgacio. vel michi occurrere causa scribendi. Et quam omnes propemodum mortales effugere suapte natura nituntur. tu ipsam paupertatem tamquam illius religionis unum potissimum institutum. equo animo ferendam esse plurimorum philosophorum. poetarumque testimoniis armatus. nichil penitus hesitabis. Neque tibi alienum videatur haud vel decere poetas philosophosque. me adducere solum. sacrosanctos vero autores paucissimos. Nam divinas humanique iuris litteras. si non pigeat aliquando intueri. variis eorundem philosophorum et poetarum sentenciis inspectas esse multis locis patebit. Innocencius in c. [f. 70rb] Cum omnes extra. de consci. ad consonanciam sue legis; Cathone induxit.83
76 77 78 79 80 81 82 83
Am Rand: Substancialia vota. Am Rand: Cella. Am Rand: Philosophus. Vgl. Aristot. eth. Nic. 9. Am Rand: Ouidius. Ov. rem. 572. Am Rand: Vera tocius libri intencio. X. 1. 2. 6. – Ps.-Cato breves sent. 53.
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Iheronimus84 in sua epistola ad Salvinam. Esopi fabula usus est.85 Crisostomus86 inexecrabile genus probacionis est. inquit. Cum quis inimicos inducit in testes.87 Sed hiis paucis multa relinquo. Plinius nepos de Phinio avunculo at Marcum scribens.88 ait. Nichil enim legebat insigne. quod non excerperet. Dicere enim solebat. Nullum esse librum tam malum. ut non aliqua ex parte prodesset.89 Cumque philosophiam maxime philosophicamque vitam a sacre pagine preceptoribus commendatam comperiamus. minime nobis puto liceat. eam aspernari. Quamquidem. Tulius quinto Tusculanarum. perpulchre sic inscribit.90 Sed et huius culpe ei ceterorum viciorum. peccatorumque nostrorum omnis a philosophia petenda correctio est.91 Cuius in sinum. cum a primis temporibus nostra voluntas studiumque nostrum compulisset. hiis gravissimis casibus in eundem portum de quo eramus egressi magna iactati tempestate confugimus. O vite philosophia dux. O virtutis indagatrix. expultrix viciorum. Quid non modo nos. sed omnino vita hominum sine te esse potuisset. Tu urbes peperisti. tu dissipatos homines in societatem vite convocasti. tu eos inter se primum domiciliis. deinde coniugiis cum litterarum et vocum communione iniunxisti. Tu inventrix legum et magistra morum et discipline fuisti. Ad te confugimus. Ad te opem petimus. Tibi nos ut ante magna ex parte. sic nunc penitus totosque tradimus.92 En puer amabilis ipsius Tulii de philosophia symphoniam iam audisti. quid inquam ais. Nonne teipsa mente capiat. Numquid non tu eam animo amplexaberis. dulcia per Appollinem eius oboscula nimis. que suum numquam deserit amatorem priusquam sciencia. vita. moribusque. illustratum. que et edoctum ire te sane omnia. propria sponte festinat. omnesque tibi ambiguum absque dubio redditura decisum. ut quam vitam aliquando edoctus deligere statueris. quam credere poteris sua solita consolacione factu [f. 70va] sencias faciliorem. fuerit equidem dictu mirabile. quot futuro tibi viro clarissimas tui propositi exequendi gratia. philosophorum et poetarum sentencias allatura sit. quotque ad animi tui corroboracionem congruas habeat persuasiones. quarumquidem minimam. ut iam tibi partem volvi offerret quatenus pro instanti etate intelligere possis. tui propositi quantum satis est. Tulius quarto Tusculanarum.93 Is est beatus ipse asserit. cui nichil humanarum rerum. aut tollerabile ad dimittendum animum. aut minus tollerabile ad ferendum 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93
Am Rand: Iheronimus. Hier. epist. 79, 3, 14. Am Rand: Crisostomus. Jo. Chryst. in Jo. hom. 16. Am Rand: Plinius. Plin. epist. 3, 5, 10. Am Rand: Tulius. Am Rand: De philosophia. Cic. Tusc. 5, 5. Am Rand: Tulius.
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videri potest. Quid enim videatur ei magnum in rebus humanis. cui eternitas omnis totiusque mundi nota sit magnitudo. Nam quid aut in studiis humanis. aut in tam exigua brevitate vite magnum sapienti videri potest. qui semper animo sic excubat. ut ei nichil improvisum accidere possit.94 Seneca primo declamationum septima.95 Omnia honesta opera voluntas inchoat. occasio perficit. Sepe honorata virtus est. ubi eam fefellit exitus. Scelera quoque quamvis citra exitum subsiderunt puniuntur. Nec infelix virtus amittit glorie titulum.96 Idem. Epistola vigesima sexta Quid egeris tunc apparebit. cum animam ages.97 Idem. Epistola quadragesima quarta Insupe rabili loco stat animus. qui externa deservit. et arte sua se collocat. Infra illum omne telum cadit.98 Idem. quarto de ira. Arduum in virtute et aspectu iter est. plano aditur. facilis est ad beatam vitam via.99 Idem Epistola quinquagesima nona Ad illa mittamus manum. que eterna sunt. Et infra. Contempnamus omnia que adeo preciosa non sunt. ut an sint. omnino dubium est.100 Idem Epistola tricesima quarta Habet enim hoc optimum in se generosus animus. ut concitetur ad honesta. Neminem excelsi ingenii humilia delectant et sordida. magnarum rerum spes ad se vocat et extollit. quemadmodum flamma. que surgit in rectum. iacere ac deprimi non potest. non magis quam quiescere. Ita noster animus in motu est. eo mobilior. et actuosior. quo vehementior fuerit. Sed felix qui ad meliora hunc impetum [f. 70vb] dedit. Ponet se extra iurisdictionem fortune. Secunda temperabit. adversa contempnet. et aliis admiranda despiciet. Magni animi est. magna contempnere. et mediocria malle. quam nimia. Illa cum utilia vitaliaque sunt. et ideo quod superflua nocent. Sic segetem sternit nimia vbertas. Sic nimio onere rami franguntur. Sic ad maturitatem non pervenit nimia fecunditas. Idem quoque animis evenit. quos immoderata felicitas rumpit.101 Idem. centesima nona Epistola. Iubeo te habere mentem bonam. hoc est. propicios habere deos. omnes quidem habet placatos et faventes. quisquis sibi illos se propiciavit.102 Idem Epistola vicesima quarta Dissensio ab hiis qui in fluctus medios eunt. et tumultuosam vitam cotidie cum difficultatibus rerum magno animo colluctantur. Sapiens feret ista. non eliget. et malet in pace esse. quam in pugna103. Idem de tranquillitate animi. Si te ad virtutis studia revocaveris. omne vite fastidium effugies. nec noctem fieri optabis. tedio lucis. nec tibi gravis eris. nec aliis supervacuus. Multos in amicitiam attrahes. affluet ad te optimus quisque. 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103
Cic. Tusc. 4, 37. Am Rand: Seneca. Sen. contr. 4, 7. Sen epist. 26, 6. Sen epist. 82, 5. Sen. de ira 2, 13, 1–2. Sen epist. 58, 27. Sen. Epist. 59, 28. Sen. Epist. 110, 1. Sen. Epist. 28, 7.
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Numquam enim obscura virtus latet. sed mittit sui signa.104 Philosophus nono Ethicorum.105 Et est sane virtutis exercitatio quedam. conversari cum bonis.106 Xistus philosophus in Enchiridion. 107 Non est minimum in vita hominum contemp nere minima ait.108 Iam ad paupertatis commendacionem insuper advertas. tuam optime puer canere philosophiam.109 Seneca ipsum epistola prima.110 Non puto pauperem. cui quantumlibet superest satis est.111 Eundem vero epistola secunda. Honesta inquit Epicurus res est leta paupertas. Ymmovero paupertas non est. si leta non est. Qui cum paupertate bene convenit. dives est. Non qui parum habet. sed qui plus cupit pauper est.112 Eundem Epistola septima decima Multis ad philosphandum obstitere divicie. paupertas expedita est. secura est.113 Et ibi. Si vis vacare animo pauper sis. aut pauperi similis oportet. Non potest studium salutare fieri sine frugalitatis cura.114 Frugalitas autem paupertas voluntaria est.115 Eundem Epistola octava decima Incipe cum paupertate habere [f. 71ra] commercium.116 Et ibi. Nemo alius deo dignus est. quam qui opes contempserit117. Eundem. Epistola vicesima. Excitandus est animus admonendusque. naturam nobis minimum constituisse. Nemo nascitur dives. Quisque extra in lucem positus est. lacte et pane iussus est esse contentus.118 Eundem. Epistola vicesima quinta. Panem et aquam natura desiderat. Nemo ad hec pauper est. Intra que quisquis desideria sua clauserit. cum ipso Iove de felicitate contendat.119 Eundem. Epistola centesima nona. Ad veras te pocius converte divicias. disce parvo esse contentus. et illa vocem magnus et animosus exclama. habeamus aquam. habeamus polentam. Iovi ipsi de felicitate. contraversiam faciamus. oro te eciam si ista defecerint. Turpe est beatam vitam in auro et argento reponere. Eque turpe est. in aqua et polenta. Alioquin quid interest. magna sint an exigua. que servire te cogunt. Quid refert quantum sit. quid tibi fortuna negare possit. hec ipsa aqua et polenta in alienum arbitrium cadunt. Liber est autem. non in quem parum licet fortune. sed in quem nichil. Ita est nichil desideres. oportet. Si 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119
Sen. dial. 9, 3, 6. Am Rand: Philosophus. Aristot. eth. Nic. 9. Am Rand: Xistus. Xysti vel Sexti pythagorici philosophi sententiae, 8. Am Rand: Paupertas. Am Rand: Seneca. Sen. Epist. 1, 5. Sen. Epist. 2, 5–6. Sen. Epist. 17, 3. Am Rand: Frugalitas. Sen. Epist. 17, 5. Sen. Epist. 18, 12. Sen. Epist. 18, 13. Sen. Epist. 20, 13. Sen. Epist. 25, 4.
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vis Iovem provocare. nichil desiderantem. hec nobis Attalus dixit. Natura dixit omnibus. Que si voles frequenter cogitare. id ages. ut sis felix. non ut videaris. et ut tibi videaris non aliis.120 Eundem adhuc ad Helbiam. Cupiditati nichil est satis. Nature satis est parum. Nullum ergo paupertas exulis habet incommodum. aut vestem. aut domum desideraturus est exul. Si hec quoque ad usum tantum desiderabat. Nec tectum ei deerit. neque velamentum. Eque enim exiguo tegitur corpus. quam alitur. Nichil enim hominum natura quod necessarium faciebat fecit operosum.121 Empediclem consequenter docentem.122 Tria sunt in rerum varietate precipua. Mobilis affluencie contemptus. future felicitatis appetitus. et mentis illustracio. Quorum primo nichil honestius. secundo nichil felicius. tercio nichil ad amborum compendiosam adepcionem efficacius.123 Cathonem deinde. Paupertatis onus pacienter ferre memento.124 Infantem nudum cum te natura creavit.125 Ypocratem. [f. 71rb] Securitas cum paupertate eligibilior est. quam divicie cum timore.126 Indigentiam vitabit. qui eo quod sibi sufficit contentatur.127 Varronem.128 Non essemus pauperes. si nesciremus quid esset paupertas. Nescire quid est paupertas. optimus est. ad summas divicias progressus. non est miser nisi qui se miserum esse credit.129 Apulegium contra Familiarium.130 Non est erubescenda exprobacio paupertatis. Est enim paupertas acceptum a philosophis crimen. et ultro profitendum. Etenim paupertas olim philosophie vernacula est frugi. sobria parvo potens. habitu secura. cultu simplex. Neminem umquam superbia inflavit. neminem potencia depravavit. neminem tirannide effrenavit. Delicias ventris et ingluviem. neque vult ullas. neque potest.131 Iulium Celsum de bello Cesaris.132 Animi demencia est. ista mollicies. non virtus. inopiam paulisper ferre non posse.133 Cornelium Tacitum libro quarto decimo. Marcellus Asinio Pollione proavo clarus neque morum sprenendus habebatur.134 nisi quod paupertatem precipuum malorum credebat.135 Hec iam ista tuo puer ingenue insineant animo de paupertate dicta. 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135
Sen. Epist. 110, 18. Sen. dial. 12, 10, 1. Am Rand: Empedicles. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 48. Am Rand: Catho. Disticha Catonis 21. F. 71ra am Rand: Ypocrates. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 45. Am Rand: Varro. Ps.-Varro, Sententiae 94, 1–96,1. Am Rand: Apulegius. Apul apol. 18, 1–3. Am Rand: Iulius celsus. Caes. Gall. 7, 77. Am Rand: Cornelius tacitus. Tac. ann. 14, 40.
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Sobrie deinceps vite.136 quodquidem et optate religionis tue aliud quoddam precipuum esse dinoscitur. Si commendacionem auschultaveris. eam profecto collaudabis. De qua et Seneca Epistola quinquagesima quarta sic diseruit.137 Non enim iocunda res est. aqua et polenta. aut frustum ordeacei panis. sed summa voluptas est posse capere. eciam ex hiis voluptatem. et ad id se deduxisse. quid eripere nulla fortune possit iniquitas. Non magnam rem facis quod non desideras lepores. apros. et alia portenta luxurie. Tunc te admirabor. si contempseris eciam sordidum panem. Si tibi persuaseris herbas. ubi necesse est. non pecori tantum. sed homini nasci. Si scires cacumina arborum eciam explementum esse ventris. Quid enim ad rem pertinet. quid accipiat perditurus. quid acceperit. vis ciborum voluptatem contempnere exitum specta.138 Idem Epistola centesima vicesima. Numquam parum est. quod satis est. Nichil enim mi Lucilli interest. utrum non desideres. an habeas. Summa rei [f. 71va] in utroque eadem est. non torqueberis. nec illud precipio ut aliquid nature neges. Contumax est. non potest vinci. suumque poscit. Sed quidquid naturam excedit. scias precarium esse. non necessarium. Esurio. edendum est. Vtrum hic panis sit plebeius. an siligeneus. nichil ad naturam pertinet. illa ventrem non delectari vult. sed impleri. Sicio. utrum hec aqua sit. quam ex lacu proximo excepero. an ea. quam multa nive theserove frigore refrigeretur alieno ad naturam nichil pertinet. Illa hoc unum iubet. situm extingui. utrum sit aureum poculum. an cristallinum. an mirreum. an Tiburtinus calix. an manus concava. nichil refert. finem omnium rerum specta. et supervacua dimitte. fames me appellat. ad proxima queque extendatur manus. Ipsa natura michi commendavit quitquid apprehendero. nichil contendit esuries.139 Idem ad Helbiam. Corporis exigua desideria sunt. frigus submoveri vult tegmentis. alimentis fames et sitis extingui. Quitquid extra concupiscitur viciis. non usibus laboratur. Non est necesse omne perscrutari profundum. nec strage animalium ventrem onerare. nec conchilia ultimi maris ex ignoto littore emere. Dii istos. deeque perdant. quorum luxuria tam invidiosi imperii fines transcendit. passim iacent alimenta que rerum natura omnibus locis disposuit. Sed hec veluti ceci transeunt. et omnes regiones pervagantur. maria traiiciunt. et cum famem exiguo possent sedare magno irritant. Libet dicere. Quid deducitis naves. quid manus adversus feras armatis? quid tanto tumultu discurritis. quid opes opibus augetis? Non vultis cogitare. quam parva vobis corpora sunt. Nonne furor. et ultimus mencium est error. cum tam exiguum capias. cupere tam multum. licet itaque permoneatis census. augeatis fines. numquam tamen corpora laxabitis. Cum bene cesserit negociacio. multum milicia retulerit. Cum
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Am Rand: Sobria vita. Am Rand: Seneca. Sen. ep. 18, 12; ep. 110, 12, 13. Sen. ep. 119, 1–4, 7.
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indagati undique cibi coierint. non habebitis ubi istos cibos collocetis.140 Idem de beneficiis. Illa est voluptas et homine [f. 71vb] et viro digna. non implere corpus. non saginare. non cupiditates irritare.141 Idem Epistola sexagesima septima. Maior sum et ad maiora natus. quam ut mancipium sim corporis mei. Quod equidem non aliter inspicio. quam vinculum aliquid libertati mee circumdatum.142 Idem de tranquillitate animi. Cibus famem domet. Sitim potus.143 Tulius de senectute.144 Nichil est molestum non habere quod non desideres.145 Preterea nepos honeste. ipsi philosophi et poete. ne solitudinem ipsam.146 quam nos per cellam denotamus. desiderate religionis tue veluti necessariam partem. irreconciliatam reliquisse vel non satis extulisse humilia eciam tecta videantur.147 eosdem equo de hac ipsa solitudine animo peraudias. optimum erit officium. Ptolomeus in Almogesto.148 Securitas inquit solitudinis dolorem removet. et pavor multitudinis consolacionem aufert.149 Tulius quarto de officiis.150 Nemo enim iustus esse potest. qui mortem. qui dolorem. qui exilium. qui egestatem timet. aut qui ea que sunt hiis contraria equitati anteponit.151 Plato ut ait Iheronimus contra Iovinianum.152 Cum esset dives. ut possit philosophie vacare. elegit Achademiam villam ab Athenis procul non solum desertam. sed pestilentem. ut cura et assiduitate morborum libidinis impetus frangeretur. Discipulique sui nullam aliam sentirent voluptatem. nisi earum rerum quas ipse discernerent. unde quidam ex ipsis. ut liberius philosophie vacarent. oculos sibi effodisse feruntur.153 Seneca ad Helbiam.154 Non maiores nostri quorum virtus eciam nunc vicia nostra sustentat infelices erant, qui sibi manu sua parabant. quibus terra cubile erat. quorum tecta nondum auro fulgebant. quorum templa nondum gemmis nitebant.155 Seneca tragedia decima actu tercio.156 Aurea rumpunt tecta quietem. vigilesque trahit purpura noctes. O si pateant pectora ditum. Quantos intus agit sublimis fortuna metus. pectora pauper secum ingerit. Carpit faciles 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156
Sen. dial. 12, 10, 1, 5–6. Sen. benef. 7, 2, 3. Sen. ep. 65, 21. Sen. dial. 9, 9, 1. Am Rand: Tulius. Cic. Cato 47. Am Rand: Solitudo. Am Rand: Humilia tecta. Am Rand: Ptolomeus. Cl. Ptolemaeus, Almagestum, Venedig 1515, Praef. f. 1r. Am Rand: Tulius. Cic. off. 38. Am Rand: Plato. Hier. adv. Iovin. 2, 9. Am Rand: Seneca. Sen. dial. 9, 10, 7. Am Rand: Seneca.
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vilesque cibos. sed non strictos respicit enses. Aurea miscet pocula. sed sanguis. nec sibi felix. pauper habetur. nisi felices [f. 72ra] cecidisse videt. Quisquis medium defugit iter. numquam tramite currit.157 Idem tragedia quarta. Rarosque patitur fulminis ictus humida vallis. Non capit umquam magnos mutus humilis tecti plebeia domus.158 Cicero primo de officiis.159 Nec domo dominus. sed domino domus est honestanda probe inquit.160 Seneca Epistola octava. Domus munimentum sit adversus infesta corporis.161 hanc utrum cespes erexerit. an varius lapis. gentis aliene nichil interest. Scitote hominem tam bene culmo. quam auro tegi.162 Idem tragedia nona. Bene paupertas humili tecto latet. Quaciuntur altas sepe procelle. aut evertit fortuna domos.163 Idem de tranquillitate animi. Assuescamus ergo cenare posse sine populo. Et ibi. Et discamus habitare contractius.164 Lucanus in quinto.165 O vite tuta facultas pauperis. angusti lares. o munera nondum intellecta deorum.166 Demum nepos de cappa quid ultra dicturi sumus priora.167 Ut enim verecundia muliebris pudicie persepe custos est. ita et virilis plerumque verecundie ipsa cappa tutrix michi visa est. Tucius certe si verum fatear puto in cappa. quam foris vivitur. Nam minus sibi licere. quam ceteris. quemque sepius cappatum perpendere non ambigimus. arciusque pro verecundia viciis abstinere. Terencius.168 Omnes deteriores licencia sumus. dicit.169 Claudianus.170 Proclivior usus in peiora datur. Suadet licencia luxum. Nec tibi quid liceat. sed quid tibi fecisse licebit occurrat. mentemque domat respectus honesti.171 Seneca Tragedia sexta. actu tercio.172 Quod non vetat lex. hoc vetat fieri pudor.173 Idem tercio declamacionum. Que malam faciem habent. sepe pudice sunt. Nam animus illis deest.174 Idem tercio de naturalibus questionibus. Cito nequicia subrepit. virtus difficilis inventa est. Rectorem ducemque
157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174
Sen. Herc. O. 646, 660, 673–676. Sen. Phaedra 1132–33, 1138–1139. Am Rand: Cicero. Cic. off. 139. Am Rand: Seneca. Sen. epist. 8, 5. Sen. Octavia 896–898. Sen. dial. 9, 3. Am Rand: Lucanus. Lucan. 527–529. Am Rand: cappa. Am Rand: Terencius. Ter. Haut. 483. Am Rand: Claudianus. Claud. carm. Panegyricus de quarto consulatu Honorii, 261–262, 267–268. Am Rand: Seneca. Sen. Tro. 334. Sen. contr. 2, 1, 24.
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desiderat. Eciam sine magistro vicia discuntur.175 Xistus philosophus.176 Vestimentum putato esse anime. corpus tuum. Illud igitur mundum serva.177 Ex hiisce philosophorum ac poetarum insignibus sentenciis. frugi puer. quam modo vales. tantum excipere potes. et item que amplius scire desideras iam [f. 72rb] ipsa tibi philosophia pollicita est suppeditare. Tu quoque fac eam ne solum non intermittas. sed eciam nichil remittas. Ceterum de paciencia. castitate. et obediencia. hiis tribus prestantissimis virtutum ornamentis. multa certe reliqua sunt. sed ut paucioribus preteream prolixius deducta modo iubent. Plerique enim pacienciam ipsam breve quoddam verbum existimant.178 quod magnum profecto volumen esse comperiunt. Sed exaudi nepos ipsum Platonem.179 Tocius philosophie robur paciencia est. inquit ille.180 Seneca primo de providencia.181 Tunc appareat quanta sit. quantumque polleat cum quid possit paciencia ostendit. Et ibi. Paternum deus habet adversus bonos affectum.182 et illos fortiter amat. et agit ut operibus. doloribus. dampnis. exagitentur. ut virium colligant robur.183 Socrates.184 Virilium est scire pati. nec facere iniuriam. victoria sine adversario brevis laus est.185 Hunc Socratem collapho percussum. nil aliud dixisse. quarto de ira Seneca ipse refert.186 quam molestum esse. quod nescirent homines. quando cum galea prodire deberent.187 Istius vero Socratis nepos selecte. qui pacienciam perscrutetur.188 eam facilius multo laturus est. quamque iam hiis paucis remittere libet. Atque eciam castitatem obedienciamque. tamquam species quasdam. ipsis paupertati. sobrietati. solitudini. cappe et celle prorsus subactas.189 Nam dubitare nichil possumus. has simul omnes in vero religioso saltem cappato esse debere quasi individuas. ut et ipsi placere videtur Ciceroni de finibus bonorum et malorum.190 Recte ait eius omnia dicentur. qui sit uti solis omnibus.191 Quibus ex rebus nepos concludere potes. harum virtutum a veri religiosi cappa. ne ullam deesse oportere. De ea vero 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191
Sen. nat. 1, 30, 8. Am Rand: Xistus philosophus. Xysti vel Sexti pythagorici philosophi sententiae, 429. Am Rand: Paciencia. Am Rand: Plato. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 41. Am Rand: Seneca. Am Rand: Nota. Sen. dial. 1, 2, 4, 6. Am Rand: Socrates. Caec. Balbus, De nugis philosophorum, 2, 30. Am Rand: Seneca. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 30. Am Rand: Socratis paciencia. Am Rand: cappa Dev f. 88r. Fehlt Xa, f. 72rb. Am Rand: Cicero. Cic. fin. 3, 75.
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cappa. que mentitam suggerit religionem. presens non est sermo. Neque eciam de obediencia. quo eam pacto nonnulli secularis status canonici usurpant.192 qui ut minus suis debere prelatis videantur. obedienciam ipsam. alias frivolas in disputaciones rapere. alias obducere per dissuetudinem. alias excogitata [f. 72va] provocacione transigere ad primatem. alias vero sua temeritate ac superbia iureiurando penitus post habito dissimulare non verentur. Quorumquidem non paucissimos eciam doctorum nomina virorum gerentes. eo errore. eaque maledictione labefactatos esse plerumque. sed dolenter audivimus. magisque ac magis disputando pervicares. Non satis sanctorum doctorum horribiles adversus sese sentencias animadvertentes. aut ipsum psalmistam cotidie clamicantem.193 Obscurentur oculi eorum. et videant. et dorsum eorum semper incurva. Ideo tenuit eos superbia. operti sunt iniquitate et impietate sua. Opprobrium habundantibus et despectio superbis.194 Atque psalmorum undique sacrarumque litterarum de hiis sparsim plura habentur. Sed puer probissime. quam tu et reliquarum religionum veri observantes in usurpacione habent. de ea tibi tantum obediencia locutus sim.195 velim cercius intelligas. Neque est eius prosecucioni amplior hic locus. Reliquas autem. quarum partim explicavi parum vero intermisi. tue religionis species. in alios remittere locos. tempus exposcit donec tu vel eas. vel illas experiri teipsum contingat. Quasquidem quamdiu foraneus. hoc est non cappatus. solum habueris exploratas. liberior tibi erit electio.196 Sin vero te intraneum. id est. in cappa species tandem ipse exagitaverint. volueris an ne ferre singulas quasque te omnino oportebit. quantumlibet eciam tibi olim tollerabiles vise fuissent. Restes idcirco paululum. tibi nepos opus est. Ut si quid gravi in re et irrecuperabili facturus sis. nullo precipites modo. semel tantum hic. non amplius tibi admittetur electio. Siquidem quam postea forsitan fleturus es. iam vel puer vel inconsulto vitam incurras. velis. an nolis. retrocedere nequieris. Neque te ista ut a proposito dimoveam admoneo. qui variis modo philosophorum sentenciis. religionis tue partes solidavi. Sed tibi ne contingat male deliberatum. perpetuo dolere. Percelebris recte religio est. ad quam aspiras. fateor predicatorum [f. 72vb] observancia.197 In qua salutaris vita viget. Sed fieri non potest. equo ab omnibus animo feratur. pueri enim ingrediuntur. atque adolescentes. sed virorum tantum partes sunt. nullius vero minoris etatis. michi fide. Esto pueros in ea sub aliquantula exali disciplina. Sed ad rem quid pertinet. si sine religionis intellectu. vel racione ambiunt conventum. maneque fragmenta hesterno iure relixa. illotis vorent 192 193 194 195 196 197
Am Rand: Secularium canonicorum obediencia. Am Rand: Psalmista. Ps. 68, 24. 72, 6. 123, 4. Am Rand: Obediencia observantum. Am Rand: Electio religionis. Am Rand: Predicatorum observancia.
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faucibus. vel polentam sine cocleari exorbillent. nec agere quid muneris sit. ulla norint ex parte? Nonne dic michi nepos. id tibi pocius portentuosum videtur. quam officiosum. utpote in religione iniciatos esse. qui nullius officii sint. neque religio quid referat. intelligentes. Pueri enim quam apud teneras grammaticorum scholas. nullibi apcius. vel apud parentes collocantur. Deinde vero ad liberalium arcium studia traducendi sunt. quatenus puerilibus plane desquamatis unguiculis. quitquid eis in mentem veniat. racione et etate maturiores diiudicare tandem valeant. Ecce puer in cappa nepos.198 estne quid aliud. quam de satiris. ut capre saltantibus Augustinus scribit. si tam nobis illi communes essent. id mirabile videri. Ecce iterum et puer in cappa. et in choro cantans. quis tibi alius videtur nepos. quam in medio choree pusinnus. preter intellectum contra cantum balbuciens chorealem. Ecce in refectorio. ille quisnam alius. nisi caniculus apud mensam micas avide gluciens. vel aliud quoddam animal. nichilo quam ei apponatur plus aut minus edere nescium. Extra tamen oculos. omni lepore insegnior. is puer prope modum volat. nullum veltri vestigium relinquens. Neque id quidem in puero valde mirandum. qui naturali agitur pocius. quam doctrina. Que tibi res. ne excidat nepos. oro. Libet dicere ipse perecastor unus sum ex complurimis. cui persepe in admiracionem venit. pusillos ad199 arctissimas. ymmovero quasi importabiles religiones vel regulas passim arripi. quos tamen oneri ferendo minus sufficere novimus. sibique ipsis [f. 73ra] nichil posse. aut aliis quidem consulere. Quid enim iocosius. vel alto propius cachinno, cuique videri potest. veterano sene cum pueris pila ludente? Contra vero. quam puer in cappa. choro et refectorio. cum monachis. fratribus. aut aliis quibusdam barbatis aut severis viris obversans, quid spectaculo dignius? Non enim pueri quatenus adaptentur improbo discipline. quamquam nulla possim racione complecti. cur ante puberes. discretosque annos. in cappas rapiuntur innocentes. eisque naturalis auferatur selegende vite libertas. Vidimus ex hiisce prochpudor viros factos. et quidem non paucissimos. hospite insalutato. conventus. cappasque exiliisse. qui pueri sese veluti pisciculos hamo dudum captos querebantur. Sed hec mi nepos. quid tibi parva retulerim. Num vides intestinum in tuo atque itidem in illo sacrosancto beatissimi Francisci ordine illud differentis vite dissidium.200 De vita igitur disceptacio est. que sit salubrior. veteris. an nove quidem observancie.201 In ipsa enim veteri. si non ignoras. solemnissimi. summaque sciencia. dignitate et doctrina viri in orbe terrarum opere et sermone vel omnium primi vel nullis saltem secundi. sub sua communi ac vetusta. sancteque sedis apostolice obediencia et gracia persistentes. eciam papatu dignissimi. felicem ducere vitam non paucis videntur. Cuiusmodi 198 Am Rand: Puer in cappa. 199 Vor ad getilgt et. 200 Am Rand: Dissidium inter observantes et non observantes. 201 Am Rand: Vetus observancia.
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enim vite religionis et observancie putas extiterit. modernus pontifex maximus.202 qui nulla quam virtutum ac meritorum suorum alia causa summi apostolatus apicem conscendere. ac tocius universalis ecclesie regimen suscipere dignus ab omnibus habitus. iam universa laus deo faustis gubernat incrementis. Ipse sanctissimus dominus noster papa Sixtus.203 Ihesu Cristi salvatoris indubitatus in terris vicarius. In ista quoque novella observancia.204 viros certe et acerrima vita probatos. severosque. et itidem profunda sciencia perspicuos. arduaque disciplina tritissimos versari non inficiamur. Ex hiis omnibus. nemo vita falli sua putat. Nullusque sibi dei graciam [f. 73rb] defuturam. vel eius desse misericordiam. quamquam alteruter speret sese fortassis suapte vita securiorem. Itaque mi nepos vides aliquali omnium horum vitam opinione subiacere. Qui igitur vel illos. vel istos. meliores vel deteriores esse nobis preter ambiguum secernere possit. presto non adest. Quapropter inter eos domesticos et habitu propinquos eiusmodi vite viros si nullum nobis iudicium conceditur. Quid de reliquis humane vite differenciis. varietateque censeamus. non habemus. longior equidem multo distancia est. e veste soluta. ad qualemcumque cappam transire. quam de cappa largiore ad structiorem vel econtra. Quid ergo de sua observancia vitaque ipsi hincinde cappati demum sibi velint. nobis pocius spectandum est. quam sustendandum. Cumque inter sese. ut fatentur. vite habitusque aliquantilla differencia sit. quis est. qui alteram durante controversia partem tute exceperit. vel spreverit quidem? Anfractuosa qui preterire hospicia non solitus sit. puto quandoque perterritus evasit. quique in litigiosam hereditatem sese intrudere non veretur quod acceperit. eciam aliquando non apponit retinere. Quasobres nepos. si tranquillam et securam ingredi vitam tibi animus est. pacificum gratumque ante omnia habitaculum tibi invenias. nullis quidem eiectis exulibus repetundum. Quid autem hiis dixerim. nichil me preterit. Tibi quoque ne prorsus exciderit. reor. quot earundem religionum fratres. olim domibus pulsi. per plateas undique et agros discurrebant. Qui vero illorum loco intraverint cubilia sua studiosius ab omni infestacione preservent. non mediocris cura eis relicta videtur. Nam illis quod evenit. potest item et istis reverso tempore contingere. Quodquidem ut maius. vel spiritualiter vel temporaliter interpreteris. nepos essencior. Tu ipse tecum tamen consideres. qua ex parte tue tranquillitati locum accomodare queas. ut ubivis tibi comparaveris. illum sine periculo incolere possis. Potes enim adhuc puer. quid mendicitatis saccus referat.205 nequaquam deprehendere. Nichil enim [f. 73va] interest. si vel multum vel parum panis reportet. quisquis sit eiusmodi 202 Am Rand: Pontifex maximus. – Pontifex summus (Dev, f. 90v). 203 Am Rand: Sixtus. – Sixtus IV. (1471–1484). 204 Am Rand: Novella observancia. – Große Privilegienbestätigung Sixtus IV. für die Franzis-
kaner-Konventualen (Mare magnum) vom 31. August 1474.
205 Am Rand: Mendicitatis saccus.
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sacci gestator. Sed id unum perpende solum. quam sit miserabile. quamque virili animo. non penitus emortuo vel amencia confecto. contrarium. hostiatim currere cum sacco per civitatem. Que nam ibi adesse possit cuiusvis hominis nobilitas. que vero sancti viri cuiuscumque quietudo. quis docti denique viri pudor. Sed quale pudici preterea sacerdocii decus. aut que intrinseca cuiuspiam hominis voluntas. facile non intelligo. Atqui id quidem fateor. inopie. vel humiliacionis causa ex autenticata sanctorum patrum institucione fieri oportere. supernique meriti et observantissimorum virorum officium esse. Sed vix profecto fateor que pacienti animo. aut equali vicissitudine. vel reciprocis terminis. vel locis. a singulis saccum fratribus deferri. Que si res se ita habeat. torvos peperisse oculos. tociens quociens nemo inficias ibit. Enimvero nepos carissime. hiis nolim putes. sacre religioni obtrectare in animo sit. sed tantum te commonere. ne quid preter etatem racionemque instituere. de teipso festines. Extant et quedam alia a te sciri in hac parte necessaria. etsi non nimium gravia. multo tamen minus iocunda visa.206 Quod quidem unum est. fixe habitacionis necubi fratribus locus. aliud autem. longi itineris sempiterne egestas. vestimentorum tercium est. exilis undique tenuitas. quartum. perpetua carnium vacacio. reliquum vero. quam mendicetur. nichil aliud habere. quod tamen non ultimum sed tibi modo sat dictum est. Hec sunt itaque puer tollerabiliores tue observancie particule. hec quedam eius munera atque exercicia cotidiana. Heccine quam deglucias nepos. antea rumi nabis. ne forte quod puerili fame vocaveris indigestum virus evomere postea te virum oporteat. vel inde penitus emori. Puericia tibi nepos ut verum fateor sola in hac parte duceris. michi fidem habe. nescisque tui propositi ullam racionem neque temptatoris spiritus tui signaculum [f. 73vb] ullum explanare. Novellam ipsam vero predicatorum observanciam et illius severitatem ut repetam si solo auseris verbo nuncupare.207 omnibus es solus pueris presumptuosior. stulciorque michi visus. Desine propterea puer imbecillis. virorum partes tenerum in animum mittere. fantasma namque est. et sompnium puerile. quibus miser agitaris. Tam sublimis religio. tam et acerba regula. puerorum vehiculis minime detrahuntur. sustentaturque. Graviores enim existunt quam perferre puer quispiam potest. aut parum vir barbatus. Eorum namque virorum scias tantummode partes esse. qui et mundo prorsus sepulti. ita solo deo vivere possunt. noruntque uti sic vivere multis videatur. quam emori miserabilius. De ipsis igitur novellis observantibus. nepos amantissime. iam nostrum prosequamur institutum. viris ingenti certe sanctimonia laus deo pollentibus quos omne humane vite severitatem sepiuscule excelluisse plures pie credunt. Dii quoque michi plerique non homines quandoque visi sunt. et adeo salutiferi. ut eorum tantummodo exhortacione deus ipse hunc mundum tardius finire aliquando persuasus sit. At vero de hiis ampliora scribere. 206 Am Rand: Grauia obseruantum incommoda. 207 Am Rand: Nouella predicatorum obseruancia.
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meum non est. qui mea fateor ingenii tarditate minus scribendo possum. quam una emereatur eorum sola minima virtus. Hinc itaque nepos in aliam. sed vastiorem certe provinciam. ymmovero in ipsius Herculis habitaculum te abductum ire consultus sum. Quod si te futili impubertate pueriecieque. induviis prius exonerare maturaveris. virumque efficere. magnis tecum itineribus in divam Cartusiam properabo.208 Tutissima mediusfidius omnibus eo tendentibus ac apprime salubris porticus patet. sed spectandi profecto miraculi gracia. illo mecum pergere. si vir evasisses. ne alias quidem tibi fas est. Cum nullo puer pacto illac intromittitur. te aviso. Virilis tantum ille ac barbatus cetus. omne puerile contempnit ac molle. Sola virorum opera actusque exercitans. sed et eorum quoque virorum. qui et voluptates [f. 74ra] et dolores omnes olim et undique seculorum perpessi. tocius macrocosmi periculum fecere. quosque nullus quispiam iuvenilis aut delicatus. sed robustus quidem atque expertissimus spiritus e mundi fallentis pelago. in tutissimum tranquillumque portum transmisit. innumeris milibus hominum selectos. quo nullus horum umquam retrospicere queat. aut cupiat. quam solo deo iubente solvere locum. Hii siquidem viri sunt omnibus merito admirandi hominibus. ut ad Erurium Plinius nepos scribit. hoc pravum malignumque est. non admirari admiracione dignissimum.209 Sunt nempe et isti nepos quorum vita cunctis mortalibus admirabile speculum est. Viri profecto cum vita sinceri. tum moribus gravissimi. diis in terris facile comparandi. celebem vitam agitantes. hii solido residentes loco nusquam pervagantur. non discurrunt per vicos vel urbes. propria vix umquam temporis septa excedunt. ymmo perrarenter quidem perambulant. In vulgo quoque ut rarissimi sunt. eque monstra quedam divina habentur veneranturque usque adeo. quasi eorum presencia vel deus ipse presto assit. In istis enim viris de veteri aut novella religionis observancia. aut de pane domi pisto vel mendicato fuit numquam una dictio. aut minimum quidem de polenta vel siligineo pulmento verbum. Eadem enim est omnibus. semper observancia atque vivendi norma. unaque edenda sorbendaque porcio atque indetrecta vestimentorum equalitas. Non mendicant. nullis victitant petitoriis. ultro donatis tantum contenti. Ex quis honesta erogant hospitibus prandia. pauperibusque affatin impransis elemosinas. prodigasque plerisque mendicare erubentibus clanculo cenas. Horum autem hostium numquam pultavit egenus incassum vel quisquis sit tollerabilis hospes. omnibus enim sunt pari animo benefici frugalesque. nichil ore simulantes et corde dissimulantes. sed verum preseferentes atque rectum semper dicunt aguntque. Quibus ex rebus horum sanctitudo virorum divina disponente clemencia nunquam ab eius [f. 74rb] origine imminuta est. aut victa voluntas. quorum et status semper immotus permansit. Taliter quidem. ut si de perseverate vite 208 Am Rand: Cartusia. 209 Plin. epist. 1, 16, 9.
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severitate victoriaque iam ipsi eciam Herculi campum indicant. nemini videatur indignum. preter enim pertinaciam credere ausim. Hos dei pietatem pro libito impetrare iramque divertere posse. Neque plura iam de hiis scribo. quamquam longe scio maiora. Quorum et incliti testes extant. qui in sancta Insula Gravea Regine Celorum prope Wesaliam bassam. Quod plerique spiritus sancti lucanar. nos vero angelicum lupanar proba consideracione sepe nuncupamus. Cartusienses feliciter delitescunt. Quos quidem multi candidulos solius dei agnellos bono zelo vocitare soliti sunt. quorum et pater et prior ille Arnoldus existit.210 quem. nepos. aliquando intuitus es. vir dudum mundo quam deditus. tam eciam aptus. atque imprimis fortunatus. maximique ducis Clivensis interior homo. nunc autem nimio discipline. ardore ferme confectus. sanctissimam tandem animam celo redditurus est. Extarent et itidem prope tui natalis opidum Arnhemense illi in Monichusio commorantes Cartusiani.211 testes minime contempnendi. si non. ut quidam vero asserunt. sue domus suique elemosinarii et perquam accessibilis hospicii aditum. inicio fundacionis aptissime institutum. tamquam omnibus accomodum. planum. compendiosum. atque directum. quodam veluti bellico vallo iam nuper interfodissent. exorbitassent. preclusissent. proque sua libencia ne petulancia dixerim. communem domum prorsus privatam. famosum hospitale latens heremitarium ac propinquam ecclesiam in remotum et pene solitarium oratorium redigissent. Indignissimum. per hospitalem Iovem. huius faccionis cambium tibi nepos monstrabo. Intellexisti iam satis. puto. iniquissimam tam meabilis aditus. ut aiunt. diversionem. Nunc restituti novellique accessus advertas velim prolixitatem. Nempe sinistrorsum per invios monticulos. celtibus undique excisos. malleisque fabrilibus laboriose detritos. humidasque valles. sudibus. dumis. sepibus. arbustis. [f. 74va] speciebus. rubis. vepribus. tribulis. spinis. scabris. scopulis aliisque huiuscemodi generis innumeris obstaculis. plenissimos et prepeditos. tritissimi celeris. et expediti itineris. ut audisti. loco. incultum. pergrave. tardissimum et opacum mille meandris. et fracturis dehiscens. et tortuosum. ac pene infinitum viagium reddidere. Quamobrem priscos hospites. pauperes. et vicinos. fere omnes sibi hostes comparasse quamplures opinantur. Nos tamen nepos. si quid est. bona causa se fecisse id pie arbitremur honestum est. Neque tuum res ipsa permoveat animum. Nam scire quis certo potest. sancti viri. si qua culpa criminandi sint. providum contingere potest navitam. eciam in Caribdim trahat commota vel invidiosa tempestas. Sicque rebus probe gerendis intenti. incogitato plerumque malo culpantur. Nobis autem qui perpera 210 Am Rand: Arnoldus Gravee prior prope wesaliam. – Arnt ten Have aus Liemers, Prior des
1417 von Herzog Adolf von Kleve gestiftete Karthäuserklosters Regina Coeli auf der Gravinsel bei Wesel. 211 Am Rand: Monichusium prope Arnhem. – 1342 von Herzog Reinald II. von Geldern gestiftetes Karthäuserkloster Beatae Mariae bei Arnheim.
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quandoque deo bona fortasse videntur. ut Euripidem Lactancius libro suo quinto dixisse commemorat.212 Que sed mala hic putantur. Hec sunt in celo bona.213 Tulius primo Philippicarum ait.214 Nichil numquam tam sanctum est. quod non soleant domestici depravare.215 Seneca tercio de naturalibus questionibus.216 Pauca admodum sine adversario sunt inquit.217 adhuc Tulius ipse quinto Tusculanarum.218 Vir sapiens multo maiore arte preditus. quid verissimum sit. non quid velit vulgus exquiret.219 ait. Sed iam benivole puer Cartusiane sanctitatis vir minimam partem audisti. quantum vero audisti. tantum animo revolvere potes. Cumque tibi alciore contigerit racione. etateque potiri. tutissime poteris. vel ad Cartusiam. vel ad fratres mendicantes proficisci. Neque enim michi venit in dubium. quin alteram tandem. sed divine Cartusie tuciorem eligas partem. aut earum saltem neutram. sed et alia demum tibi in mentem veniat vivendi particio. quam insectari malueris. Nec id quidem mirum. si quando racionis capax peritus evasisti. Nam tot sunt reliqui adhuc securi ac tollerabiliores gerende vite status. gradusque ne quovis potest pacto [f. 74vb] quispiam inter eligendum sane mentis exorbitare. Occurrerent preterea tibi et sancti Benedicti sanctique Bernardi Cisterciensis illi220 omnium sacratissimi per orbem longe lateque dispersi vetustateque precipui ac primeva eorum institucione et Canone cunctis prestanciores. Ceterique omnes monachorum. totque diversimodi habitus. varieque discipline ordines. ne ulla si alterum et elegeris et observaveris falli ex parte poteris. Inter quosquidem et si novellus novissimusque. hac in provinicia habeatur. ille percelebris sancte Brigitte ordo.221 plurimum tamen. tum frugalitatis virtute. tum singulari observancia discipline effloret. Eiusmodi enim ordinis fratres. dei amore prorsus arrepti. strennua admodum vita flagrant. modestissimi profecto omni loco visi fidelesque veri dei servi. Cumque sit novicior horum plantacio mentis bonis. quam temporalibus multomagis habundant. Sed Premonstratensem ubivis provinciarum ordinem eius fratres observant.222 per sancte vite refragranciam ac memorabile omnibus de se exemplum utique prebent. qui ut habitu ceteris nitidiores. eciam vita moribus. ac disciplina esse premonstrant. Hic certe excellentis religionis ordo in ecclesia dei habitus. inter primos locum sortitus est. Cuiusquidem sancte Am Rand: Euripides ex lactancio. Lact. inst. 5, 16. Am Rand: Tulius. Cic. Phil. 1, 33. Am Rand: Seneca. Sen. nat. 4, 5, 1. Am Rand: Tulius. Cic. Tusc. 4, 104. Am Rand: Sancti benedicti sancti bernardi. Am Rand: Sancte brigitte. – Anspielung auf das 1460 von Herzogin Maria von Burgund, Gemahlin Herzog Adolfs von Kleve, gestiftete Birgittinenkloster Marienbaum bei Xanten. 222 Am Rand: Premonstratenses. 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221
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Xanctensis ecclesie quondam canonicus extitit institutor. Ecce nepos igitur. de ipsa Xanctensis ecclesia referre quid satis tibi possum.223 In qua vir tantus semel floruit. sed par illi. ubi nam modo in ea habitet. non invenio. Fuit et alius huius ecclesie scholasticus.224 suo cognomento Grecus vocitatus. qui divini officii notabilia quedam. insigni volumine perquam diserte compilavit. Ex reliquis vero istius ecclesie olim canonicis prestantissimis viris. si plures adduxerim. vel opprimere modernos forsitan vel eis detrahere non parum visus fuero. Ipse tamen propriam testor conscienciam. ut quociens preclara meorum predecessorum facinora fameque dignitatem recordor. indignitatis mee maiorem in modum me pudere. qui tanta in basilica tamque notabilium virorum in numero ac societate. qualismodi in [f. 75ra] presenciarum inibi degere noscantur. decanalis presidencie stallum tam immeritus vendicavi. sicuti meme novi semper inutilem esse. Quamquam ea me vicissitudine sepe contento. ut illi si michi obediencia quadam.225 quam supra iam satis explanavi obnoxii videantur. Ita et ipsi ediverso. alias dignitate. alias litterarum pericia. alias generis nobilitate. alias vero rerum experiencia. alias exquisita parcialitate. me longe inferiorem omnibus esse indicent. eisque eque preter regem. ut preter legem vivere licere. Neque eos propterea canoni vel aliis institutis obiectare quispiam debet. eorum consuetudinis nescius. Nam quo vincere pacto eis pro tempore placuerit. eo ipsa consuetudo eis indulgeat. et obsequatur. usurpatum habent. estque item et id necesse. ne iurisiurandi prevaricatores propria consciencia sese insimulent. vel recognoscant. Quod et ipsum cumprimum ex eis quidam satrape eorum prepedire facciones posse accipiunt. quem sciant omnibus callidiorem. eum veluti Rabbi legis. hoc est faccionis interpretem ex turba constituunt. Cuius consilio et interpretacione singule res excusentur. Neque est opus in tota concione res per racionem aut racionacionem diu contrectari. Nam ut vix nota sit. res quelibet per ipsos faccionarios prius determinata est. Quam ob rem inoccupatum et expeditum istic decanale officium est. atque eorum eciam qui de Ita. Ita fratribus existunt.226 quique vel omnes vel partim in capitulo absint. eciam prope fores deambulantes. non vocantur. nisi favorabilibus eorum vocibus satrape indigere videantur. hoc tamen onus quodcumque iure decanali impendere michi visus sit. quo sit ex iamdictis levius. eo certe michi intollerabilius ac magis molestum est. Atqui archipresulis maximi si non expectaretur officium. quam vivere diucius. emori
223 Am Rand: Xanctensis ecclesia. – Norbert von Gennep, Kanoniker in Xanten, der nach ver-
geblichen Reformversuchen das Stift verließ und 1121 in Prémontré eine neue Gemeinschaft gründete. Er starb als Erzbischof von Magdeburg 1134. 224 Am Rand: Scholasticus. – Herman Kric aus Köln, Scholaster in Xanten 1297–1307, der den Liber ordinarius und das Urbar des Stiftes verfasste. 225 Am Rand: Obediencia Xanctensis. 226 Am Rand: Fratres de Ita.
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eligibilius foret.227 Qua causa nullius pro canonis. aut regule observacione. instar fratrum mendicancium disceptamus. sed ipsius ecclesie ius. ne quoiusmodo depinguescat. aut nostrum interesse depravetur. quotidiana pervigilique cura solicitamur. Et recte quidem eis visum. Nam nichil ad nos pertinere [f. 75rb] arbitrantur. pro canone. aut constitucione domesticum suscipere dissidium. qui universum terrarum orbem intestino vel civili prochdolor bello ferme pessumdatum iacere videmus. eosque rerum anfractibus occupatos. ad quos spectat iuris legisque dictio. ac cleri universalis refrenacio salutaris. O Ropertum Coloniensem pontificem.228 qui regimine deturbarunt. utinam indesecuta mala providissent. nesciebant fortasse intrinsecam piissimi principis scinderisim. Novit enim ille cuius scienciam nulla queque res fugit. ipseque ex vero cercior sum. quanta eius animo reformandi cleri solicitudo insederat. quantaque pro divina laude per universam eius provinciam propaganda. voluntas. si non interturbatus ipse heudolor extitisset. Dii ergo cuius faccione sizaniaque scelestum id facinus excrevit. ipsum Sathanam. omnis discordie principem quamprimum perdant. omnique rupta mora pacis angelum in terram nostram demittere festinent. quatenus sancte intencionis presul. omni iniqua infestacione ereptus. quid in animo habet. tam necessarium bonum perficere feliciter ac propediem queat. Neque in hac parte. quid me dubitare faciat. quitquam invenio. quinymo dei virtute prorsus confido. eiusque rei quam maxime spe nutrior. ut idem pontifex. quemadmodum permulta pacienti animo perpessus sit. ita et ipsius clementissimi dei miseracione tandem in omnibus multo fortunacior resurgat. relevetur et regnaturus sit. Ipsius enim miserantis dei hec proprie precipueque partes existunt. oppressum relevare. bonique propositorem neutiquam deserere. At vero in se sperantibus omnibus. pro sua clemencia. virtutis sue dexteram. porrigere. auxiliari adesse. Nichil itaque refert utrum. paulo serius. an ocius quidem emuli resipiscant. si deus ipse victorie diem solus in mente habens. suo pontifici constituit. Senece illud superius dictum est.229 Infelix virtus glorie titulum non amittit.230 Quod differtur non aufertur. vetus proverbium extat. Neque ista ipse aliqua persumpcione vel alterutri parti ad graciam vel odium scripserim. sed [f. 75va] quomodo obnoxius principi suo graciam prelato suo gloriam. Superiori suo victoriam. ac benefactori suo benedictionem. reique publice salutem. et clero universali consolacionem ab ipso omnipotenti deo optimo maximo quisque et bene sapiens ac catholicus exoptare atque eciam exorare debet. Scio equidem ac subticere non possum. ad omne rei publice bonum. tociusque cleri restauracionem. attentissimum archipontificem nostrum esse. atque adeo dei gracia predispositum. 227 228 229 230
Am Rand: Archipresulis officium. Am Rand: Ropertus Coloniensis. – Ruprecht von der Pfalz, Erzbischof von Köln 1463–1480. Am Rand: Seneca. Sen. contr. 4, 7.
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ne quitquid officio incumbat. eciam unum quidem minimum reddita pace umquam intermissurus sit. Longe enim quam nonnulli opinantur. aut intelligere velint. bonis rebus intentus. commune magis bonum. semper desideravit. quam privatum. Presul utique probissimus. Sin vero secus admissum quispiam asseveret. proprium inspectet volumen. vel aliis legendum obsignet. non suspectis viris. equissimum erit. Pro mea enim vice et consciencia puto sacius esse. proba spe coniecturaque nutriri. quam de meo preside perperam vel sentire vel astruere quidem. qui non a mediocribus vel paucissimis quidem viris pontifex selectus. sed ab illustrissimo profectum ac celeberrimo Coloniensi ecclesie capittulo dinoscitur.231 cui sacrum certe post reverendissimorum dominorum sancte Romane ecclesie cardinalium collegium bono iure locum deberi. plerique sepe credimus. Quodquidem capittulum toto orbe tam constat esse famosum. quam nobilitate et doctrina preditum. Cum in eo. quam clarissimorum principum ac comitum nati. non alii quidem magnificis semper moribus scienciaque floruissent. sitque nullibi natus. qui non hosce conspectos patres atque Romano senatu dignissimos iudicasset. Asserat igitur aliquis Ropertum ex palatinis Bavarie ducibus fere primarium irrite prefectum.232 aut ipsi ecclesie de sua persona indigne provisum. cuius perspecte cunctis hominibus virtutes sunt. cuiusque excelsam prosapiam. nonmodo Europei. verum et Affrice et Asiatice naciones [f. 75vb] maximo in precio habent atque reverentur. Sed non est amplius hiis immorandum. Nisi ut per eius pacienciam et virtutem patria tranquillitatem. eiusque ex bonitate tota ecclesia prosperitatem. denique Xanctensis basilica in capite et in membris atque in abrogatis constitucionibus. moribus. ac disciplina reformacionem adipisci valeant. misericordissimi dei aures nostris precibus reddamus exorabiles. Eiusmodi rei effectum. quam teterrimi cacodemones omnes pariter coniurati. suo monipolio in diem usque ne alii quidem impedierint. creditu facile est. sed faustiores cum pacientissimo Roperto dies nobis expectandi sunt. expetendique. quem ad id ipse deus gloriosus feliciter conservare dignetur. Iam nepos cum non pauca de rebus. deque ipso Coloniensi archiepiscopo et ecclesia Xanctensi233 a me scripta audieris. eciam accipias oro. Siquidem a proposito longe discessimus. aliaque multa interierimus. id memoria repete. quod de quibusdam ordinibus superius explicavimus. tibique ascripsimus. falli videlicet te non posse. si alterum ex huiusmodi ordinibus et eligeres et observares. Sequitur itaque nullum ex hiisce ordinibus deligere si statueris. aliasque rite vixeris. eam ob rem minime eminus aberrasse putaberis. Atqui alia de te iam capior coniectura. si velis advertere plane dicam. Postea enim quam tot commendabiles tibi ordines recitavimus. et vite partitus. inter primos profecto locandum diu nimis reticuimus. utpote illum. 231 Am Rand: Coloniense Capittulum. 232 Am Rand: Ropertus. 233 Ecclesia Xanctensi (Dev, f. 100r).
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omnium benigniorem regularium canonicorum ordinem.234 hunc te utique. nepos. tandem prensurum coniecto. Cum sit adeo clemens. supportabilis. medio cris. et humanus ordo. ne iuvenem etate quemquiam deiciat. aut senem aliquem pregravet. sed eque omnibus sua mititudine arrideat. serenamque exhibeat faciem semperque omnibus equanimam. Perquam celeberrimus certe in ecclesia dei sanctus. qui eum instituit. Augustinus. unde apostolicam benedictionem non in postremis accepit et ordo ipse sacerrimus.235 Cuius professores peculiares [f. 76ra] dei ministri et sue regule exactissimi et infatigabiles semper insectores perstitere. ad dexteram vel sinistram numquam declinantes236. in divino obsequio eque leti quam frequenter semper visi. viri certe ut habitu. sic consciencia quoque candidissimi. non pendula quidem fronte aut dextrorsum. vel sinistrorsum. deflexo collo. sed erectis penitus cervicibus palam ac modeste incedunt. comes. benigni. hilaresque. apud omnes tum parvos. tum maiores. Nulla quidem vivendi extremitate. sed temperata quadam ac mediocri disciplina religiosissimam. ac prope angelicam vivunt vitam. quorum integritas et ingens devocio haud dubium penetrant celum. atque resplendent in terris. In eorum enim hospiciis. quemadmodum grati hospites. ita et apud fores seduli pauperes opipare iugiterque reficiuntur. At ubi quoque introitus non suppeditant. scriptricibus manibus. que usui necessaria sunt aquirunt. nec mirum quidem. qui et manuum consilio eciam pene omnes eorum basilicas edesque a fundamentis extruxerunt. Atqui dictu incredibile quas. quotque propriis iecerint manibus bases. visa referre tuto possumus. Ex paupere unius hominis penitentis proseuca huius ordinis paucissimi fratres Gasadonckam prope Gochgense opidum Clivensi novissime principi adiectatum totam de limo terre glebeisque parietibus erexere. inpresenciarum ex cocto lapide plurimum insigne scenobium et excelsum237. In quo celicus habitare. non hominum quidem cuneus profecto videtur. Ibi etenim vir ille mitissimus annum prope quadragesimum feliciter priorem gessit Helmicus238 noster.239 ex alto spectatus. grandeva iam etate confractus. verus dei amicus. quibusdam sanctis non inepte equandus240. In hoc enim ordine et conventu Traiectensi michi frater est. secundum carnem Heymricus. monasterii Sanctimonialium sancte Agnetis Dordracensis longevus rector. sed delicatus martir.241 cui regimen eius 234 235 236 237 238 239 240 241
Am Rand: Canonici Regulares. Am Rand: Sanctus Augustinus. Num 20, 17. Am Rand: Gasadoncka. – Das 1365 in Goch gegründete Oratorium wurde 1406 nach Gaesdonk verlegt und wurde der Windesheimer Kongregation angegliedert. helmicus von anderer Hand unterstrichen. – Helmich Joekeren, Prior von 1438–1475. Am Rand: Helmicus prior. Gestorben 1480 August 17. Am Rand: Heymricus delicatus martir. – Das Utrechter Haus (B. Maria und Zwölf Apostel) war wie das seit 1416 bestehende Agnietenkloster der Tertiarinnen in Dordrecht 1430 zur
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monasterii prospere semper cessit. cuiusquidem edificia ad milia talentum miro modo restauravit. Sed quid [f. 76rb] amplius meo scribere horum laudes presumo rudimento. qui cum nulla possim ex parte perstringere. subticuisse eas. quam explicasse quaspiam pocius videbor. Quapropter reliqua tue contemplacioni eorum insigniora facta relinquo. Id tamen de istius ordinis professoribus non in ultimis ponendum exaudias. unum in primis commendandum. quod scilicet eorum prelatos et commissarios perraro deponunt. sed senio tantum exhaustis et impotentibus alios ad illorum tantummodo postulacionem sufficere consuetu dinem servant. At ubi quoque in generale consistorium venturi sint. tamquam discipuli ad pedagogium facetissime accedunt. Receduntque deliberatis dispositis que rebus omnes equanimiter contenti. nulla umquam murmuracione vel cavillacione subserpente. Neque de hiis plura iam tempus sustentat.242 Sed hosce extra ordines puer ne te lateat quedam lautissima communisque vita reliqua est. que me Hercule a parvulo243 michi perplacuit. cum sit omni virtute et religiositate plena. ac omnibus bene vivendi legibus consona. adeoque caritativa et suavis. ne cuipiam puero vel natu grandiori. eciam alto laboranti senio. molesta vel umquam fastidio esse possit. Isthec puer te ut cerciorem faciam. vera apostolica vita est. in evangelio tantum fundata. deo maximo gratissima. omnibusque probe voluntatis hominibus imprimis accepta. facilesque ferenda. Hanc tu puer in presenciarum nonmodo eligere. sed et tutissime quoque et indeliberato introire incurrere et assilire potes. Cuius te numquam aut perutere posse certum est. aut pudere quidem. Huiusce tibi vite. si actores describere incipio. certe insipio. nam si idem michi stilus esset. qui Ciceroni. istorum consequi merita minime puto possem. Eorum tamen venia quedam paucioribus dinarrare tui causa confisus. tibi morem gerere. sed ipsis quidem nulla in parte potens sum. Iamque aures arrige puer. lectissimos vita et moribus viros. non recitabo solum. verum ad oculos quoque tibi monstrabo. In alma urbe [76va] Colonia.244 si paucos lustres vicos. felicem dei domum illam in propatulo invenias. quod Widembachium vocitant. In ea quos degere vitam viros comperies. sancti sunt. veri dei et apostolice vite precipui et indefessi cultores245. Eiusmodi enim sanctitatis genus in inclita Monasteriensi ac aliis civitatibus deindeque Hervordie. Wesalie. Davantrie. Zwollis ceterisque insignibus opidis et locis complurimis felicissime enitescit.246 quos ineptum vulgus cappuciatos vel thogatos. emuli autem malivolique per iniuriam beggardos. nos vero clericos seculares vel fratres spirituales congruo vocabulo communique
242 243 244 245 246
Kongregation von Windesheim übergegangen. Am Rand: Secularium fratrum vita moresque. peruulo Xa, Dev. Am Rand: Colonia. Das 1417 gegründete Fraterhaus Weidenbach in Köln. Am Rand: Ciuitas monasteriensis.
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nuncupamus. Et quidem nos recte. Alii autem vel per abusum. vel ex emulacione quadam sibi cognomentum assumpserunt. Sed ad rem quid pertinet. cristianissimi viri. quo nomine appellentur. qui omni excepcione maiores. sub humili habitu. et quidem seculari communem ac beatam agitare certo dinoscuntur. nulli private regule. vel iuramento. vel speciali quadam sponsione cuiquam obnoxii. Taliterque viventes. ut in ecclesia dei splendidissima fructuosa frugaliaque membra proculdubio habeantur. Neque est. que non preter iustum eos criminari posset. ulla quantulacumque facies. Sunt enim tantum malignis exosi. bonis vero viris omnibus carissimi eciam et accepti. Neque nepos admodum id mireris. Nam odium ni pareret comparacio. hos non paucissimis et caritate et paciencia. humilitate. castimonia. ac vite puritate. morumque integritate. longe preferrem. Ne igitur cuipiam visus fuero. vel hiis indignum aliquid adiecisse. hinc que eciam obtrectatores confitentur. ea pauca solum complecti. impresencia satis esse arbitratus sum. Quippe quos cotidie saluberrimos fructus exonerant. exigui non est temporis sermo. Secularis status et ordinis ecclesiastici manipulus eis iure deberi michi visum est. atque utinam eis quamprimum daretur. omnibus nobis in robur et exemplar sacerdotibus. clericisque. quatenus sub eo canonice vite regula nobis in mentem veniente. illorum [f. 76vb] instar. deo bene favente ita viveremus. ut pretactis operam dare cappatis religionibus opus foret nulli. Quid enim de nobis iam qualismodi simus clericis aut prelatis.247 si perpere vivamus aliud. quam de obesis ac saginatis animalibus. apud maccellum stragem de sese spectantibus. Heu me nepos. in dies magis ac magis ea res perterret. atque maiorem in modum percellit animum. meaque tremefacit omnia ossa. quo michi illegaliorem esse vitam prochpudor non ignosco.248 Cumque horum frugi clericorum inspecto vitam. alias letor. alias vero quammaxime contristor. Letor enim ipsam eorum vitam. quociens emulari conversus animus sit. Sed quo tardius cor appono atque eciam operam. vehemencius mente consternor. Tibi quoque nepos. cui adhuc omne tempus restat. ut vel ad eos clericos transeas incorruptus. vel eorum in privato mores calleas. minime dissuadeo. O utinam ea michi vite ac status electio reliqua esset.249 Iam propediem senex consulere michi satis non valeo. Tuque pre manibus habens omnia. que volueris eciam potes. Michi solum amenioris temporis reminiscencia vel amissi planctus datur. unum tamen etsi male iocundum hoc michi adhuc superest. Ut si quando voluntas affuerit eligere cappam. eciam repperire facile queam. que meam obtegat senectutem. Qua vero consciencia contegatur. ubi comperiam. nondum michi certum est. Equidem puericie tue si aliam invenire vestem nequieris. quid yemem.250 quam expectes 247 248 249 250
Am Rand: Clerici. prelati. Am Rand: Preterite vite lamentum. Am Rand: Preterite vite planctus. hyemem (Dev f. 104r).
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aliud. tibi consulere possum. non habeo. Quoniam estate preter cappam incedere. nichil puero levius est. michi videtur. Discessi iam a nostris longe nimis viris. carissime nepos. Ad eos si te convertas. hos sane expertutus es in caritate non fictos. incessu simplices. paciencia modestos. moribus graves. verbis facetos. ingenio integerrimos. vita mundissimos. erga pauperes misericordes. in hospites dapsiles. et omnem hominem consilio auxilioque promptissimos et efficaces. verum emulis eciam. obtractoribusque indulgentissimos non solum. sed et plurimum [f. 77–79ra] compacientes atque benignos. Quod et ipsum Plinius primo de naturali historia satis intendisse videtur.251 Hec est inquit ad eternam gloriam via. mortalem iuvare mortalem.252 Sed isti. nepos suavissime. que apud pauperes clericos et scolares undique collocent beneficia. relatu mirabile est. Quippe cum descriptorum librorum sudore. suarumque fructibus manuum eis victitandum sit. pauperibus queque supersunt scolaribus omnia elargiuntur. A primis enim etatis nostre temporibus plura de hiis miracula vidimus. que longum nimis volumen implerent. Davantrie etenim Zwollisque. ubi nostra puerilia deduximus. pauperum scolarum turbas ab ipsis sanctis dei amicis educatas meminimus. atque non solum temporalibus. sed eciam spiritualibus epulis multifarie multisque modis refectas. Eosque pauperes. atque illis eciam diciores quoslibet. moribus et doctrina ab eis institutos millenis numeris. turmisque evasisse. At vero quot vita disciplinaque instauratos monasteriis et scenobiis iuvenes longe lateque transmiserint. nemo est. qui plene queat scribere. Quos vero suis utiles edibus cognovissent. ut par est reservantes. Ex eis quoque multorum conventuum futuri rectores de die in diem requiruntur. eliguntur. preficiuntur. qui adeo disciplinati in omnibus emicant. ut diis pocius equales quam hominibus videantur. Ea michi in animo persepe insedit opinio. sanctiores communis vite viros. nullibi terrarum offendi. tociusque ecclesiastici ordinis gubernaculo digniores. Sed et eorum invisores et maledicos. et blasphemos. ne ad nimium reddam infensos vel effrenatos. maiorem suarum virtutum intermittere copiam. consilium est. inquit Plinius nepos ad Vicamum.253 Gracia malorum tam infida est. quam ipsi.254 Tulius primo Philippicarum.255 Ea est gloria et laus benefactorum magnorumque in rem publicam meritorum. que tum optimi cuiusque. cum multitudinis testimonio comprobatur.256 Varro.257 contempnendi sunt
251 252 253 254 255 256 257
Am Rand: Plinius. Plin. nat. 2, 18. Am Rand: Plinius. Plin. epist. 1, 5, 6. Am Rand: Tulius. Cic. Phil. 1, 29. Am Rand: Varro.
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maledictorum contemptus. si vis ad summa progredi.258 Tulius 259secundo [f. 77– 79rb] de finibus bonorum et malorum. Sed tamen non gravissimum est. multitudinis testimonium. In omni enim arte vel studio. vel quavis sciencia vel in ipsa virtute. optimum quidque260 rarissimum est. Nunc tibi nepos. celebes viros omnes. vel aliquot ex omnibus remitto spectandos. delegendosque. qui tui observantissimus salutem tibi magnopere exopto.261 Tu quoque specta teipsum. bono consuli fide. tuam ne puericiam precipicio credas. Quam quid egeris. te natu superiores consuluisse prius memento. bonis obtempera rebus tantum. mala vero caveto. Non tua sis opinione pertinax. vel mansivus. multorum eam sentenciis proborum semper postponere cures. plus oculos videre. quam oculum tibi persuade. nosse te puerum. numquam penitebis. teque alios pene omnes prudenciores esse. Ne ullum te proba docturum aspernari umquam aude. Boni enim quitquid nescias discere stude. tuis quoque preceptoribus in omnibus auschulta. At tibi quas legerint lectiones. grate iocundeque semper exsistant. Teque doctiores diligenter auschultes. et que non satis intellexti. confestim interrogare ne verearis. Veteres magistros magna colere reverencia assuesce. novellosque venerare. Et tuis quoque paribus affabilem te prebe. minoribusque equanimum. Ypocrates ad Dimonicum sic ait.262 placide te geras ad omnes. optimis autem utere. Sic enim illis odiosus non eris. Hiis autem amicabilis. ne des illis consorcia. nec longe. nam omnia saturitas mala. Neque plus sis. quam oporteat. in scolis contenciosus. vel alicui verbis tuis molestus. Minus enim sapere videntur. et eciam ediscere. qui plus verbis. quam rebus disputando obnituntur. glori anturque. aut pertinacia contendunt. Satis sit tibi semper magistri demonstracio. Illam tantum non quidem obiurgatorum verbositatem animadvertens. ventosos itaque argumentatores ut virus fugito. Rerum exquire solum raciones. ac dyaleticos locos atque argumentandi formas pre te ferre. Quantum scolaris mos siverit tantummodo discas [f. 77–79va] libris scolisque debitis invigilare. horis perseveres. Nullosque illis ludos iocos vel risum inmisce. ut Panximano displicere legimus.263 sic dicenti. Crimen amare iocos. crimen convivia cantus.264 O miseri quorum gaudia crimen habent. Ysocrates.265 Nec risum precipitem diligas. nec verbum cum acrimonia acceptes. Illud amentis. hoc furiosi est.266 Assuefac teipsum efficere non mestum. sed discretum. delectationes venerare. gloriam afferentes. Delectatio 258 259 260 261 262 263 264 265 266
Ps.-Varro, Sententiae 141, 1. Am Rand: Tulius. Cic. fin. 2, 81. Am Rand: Elegantissime doctrine. Zitat nicht identifiziert. Am Rand: Panximanus. Maxim. eleg. 179–180. Am Rand: Ysocrates. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 27.
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quidem est cum bono optima. hoc vero sine. pessima. Tulius primo de officiis.267 Neque enim ita a natura generati sumus. ut ad ludum et iocum facti videamur. sed ad severitatem pocius et ad quedam studia graviora. atque maiora. Ludo enim quidem et ioco uti licet. sed sicut sompno et quietibus ceteris. tum scilicet cum gravibus et severis rebus satisfecerimus. Ipsumque genus iocandi non profusum. neque immodestum est. sed ingenuum ac facetum esse debet. ut enim pueris non omnem ludendi licenciam damus. sed eam que ab honestis actibus non sit aliena. Sic in ipso ioco aliquid probi ingenii lumen eluceat.268 Horum mi nepos. quem ad hos fortasse ludos et ioca natura peperit. autorum sentencias tibi libens attulerim. Si quas ex tuo Aristotile reliquas velis. quartum Ethicorum in paragrapho. ac deinde decimum eius libri in. paragrapho.269 Cuncta ut ita dixerim, alterius gracia expetimus. etc.270 tu ipse inspectes. Cilo philosophus ut dicit Policratus libro primo.271 Iungende societatis causa a Spartanis missus est. Chorinthium. ubi duces et seniores populi ludentes invenit in alea. propter quod infecto negocio rediit ad suos dicens se nolle gloriam Spartanorum hac maculare infamia. ut dicerentur cum aleatoribus contraxisse societatem.272 Ceterum nepos. si a verbis temperes. ab omnibus eris sapiencior existimatus. Secundus philosophus ab Adriano Cesare interrogatus.273 Quid esset verbum. respondit proditor animi.274 Solon vero ex septem sapientibus.275 respondit esse operum ymaginem.276 Socrates quesitus.277 quonam [f. 77–79vb] modo famam optimam quis consequi possit. Si gesserit inquit magna. et locutus fuerit pauca.278 Sis insuper nepos in sermone verax. adverte. Tulium. quinto Tusculanarum.279 Veritas ille omnia que cadere in hominem possunt subter se habet.280 dicit. et reliqua. Denique tibi nepos suadeo. res ne tuas dispergas. Socrates quesitus ab Inope.281 Quid agere deberet pauca habens. et multis indigens. Ait. Si res tua tibi non sufficit. tu parcendo fac. ut rei tue sufficias.282 Preterea nepos. ut apud omnes mansuescas. pulcherrima virtus est. Aristotiles de laudabilibus 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282
Am Rand: Tulius. Cic. off. 103. Am Rand: Quartus et decimus Ethicorum libri. Arist. eth. Nic. 10, 2, 1. Am Rand: Cilo philosophus ex policrato. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 3. Am Rand: Secundus philosophus. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 122. Am Rand: Solon philosophus. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 2. Am Rand: Socrates. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 30. Am Rand: Tulius. Cic. Tusc. 5, 4. Am Rand: Socrates. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 30.
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bonis ait.283 Mansuetudo est virtus irascibilis. secundum quam ad iras fiunt difficile mobiles. Eius autem opera sunt posse ferre moderate accusaciones et contemptus. et non velociter moveri ad puniciones. et non facile mobilem ad iras. non amarum in mente esse. aut contenciosum in sermone. nec habentem quietum malum in anima aut stabile.284 Iahercium de Socratis mansuetudine.285 si plura percupias. legito. Diogenes quesitus. quomodo agendum sit homini ut non irascetur.286 Recordetur inquit homo. quod non semper necesse est. quod serviatur illi. ymmo versa vice est alteri serviturus. nec oportet. ut iugiter obediatur illi. Sed interdum oportet ut obediatur alteri. Nec necesse est. ut semper ab aliis tolleretur. Sed quandoque paciatur et ipse. Cum hec fuerit debilitabatur ira eius.287 De hac ipsa re Valerium libro quarto.288 Platonis mansuetudinem scribentem poteris intueri.289 atque insuper. Seneca tertio. de ira tradentem.290 Item Aristotilem. quarto Ethicorum in paragrapho. Qui ergo pro quibus oportet etc.291 Itidem. Senecam. tragedia tercia actu secundo paragrapho. nephas nocere etc.292 Zenonem preterea stoicum dicentem.293 Sapientis est non posse turbari. sed ut racio eius pravis cedat affectibus.294 Adhuc Seneca quarto de ira in paragrapho.295 Necesse est ut prius virtutem etc.296 Atque eodem libro. paragrapho. Eo nos loco constituamus etc.297 Aliisque multi locis plura de hiis invenias. si diligenter inscrutari libros non postponas. Postremo te. quod primo loco decuerat omni instancia [f. 80ra] obsecro. Deum optimum maximum in omnibus viis tuis gerere. ne umquam mente obliviscaris. Seneca Epistola nonagesima sexta ille gentilis. ecce quomodo scribit.298 Primus est deorum cultus. deos credere. deinde reddere illis maiestatem suam. reddere bonitatem. sine qua nulla maiestas. Scire illos esse. qui president mundo. qui universa ut sua temperant. qui humani generis tutelam gerunt. Ceterum castigant quosdam et cohercent. et irrogant penas. et aliquando spem boni puniunt. vis deos propiciari. 283 Am Rand: Aristotiles. 284 Thomas de Aquino, Scriptum super libros Sententiarum III, dist. 3 quaest. 3 art. 2 quaest. 3. 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297 298
quaestiuncula 3, solut. 1. – Vgl. Libellus Aristotelis de virtutibus et vitiis, Ingolstadt 1545, S. 11. Am Rand: Iahercium de Socratis mansuetudine. Am Rand: Diogenes. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 50. Am Rand: Valerius. Val. Max. 4, 4, 1, ext. 2. Am Rand: Seneca. Am Rand: Aristotelis. – Aristot. eth. Nic. 4, 3, 1. Sen. Med. 219. Am Rand: Zenon. Gualterus Burlaeus, Liber de vita et moribus philosophorum, c. 78. Am Rand: Seneca. Sen. de ira 2, 11, 3. Sen. de ira 3, 12, 3. Am Rand: Seneca.
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bonus esto etc.299 Desine nepos ultimo te loco adhortor. a velocibus animi insultibus moveri. Ait enim Tulius. quinto Tusculanarum.300 Motus turbulenti iactacionesque animorum et incitate. et impetu inconsiderato elate. racionem omnem repellentes. vite beate nullam partem relinquunt etc.301 Hec te ista ut diligo nepos. quam tamen volui multo prolixius tibi gravi podagra laborans perscripsi. quequidem ut pedes oppressit. calamum. siccada magis garrulum effecit. Nunc vero tuum est. michi morem geras. et que probo scripserim animo. eis pro vicissitudine obtemperare matures. Quod et ita si faxis. qui modo non quam puer es demum vir undique efflorebis. Et vale Ex Xanctia Troya minore. Anno Cristi Salvatoris Millesimo Quadringentesimo Sexto et Septuagesimo. Kalendas Apriles.302
299 300 301 302
Sen. epist. 95, 50. Am Rand: Tulius. Cic. Tusc. 5, 15. 1476 von anderer Hand am Rand.
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Gosewijn van Halen op het raakvlak van Humanisme en Moderne Devotie
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Vaak richt de aandacht bij de bestudering van een tijdvak zich op de ogenschijnlijke hoofdrolspelers, op de uitzonderlijke talenten, de grootste geesten, de meest productieve kunstenaars. Juist in dat uitzonderlijke schuilt echter ook een gevaar. Zelfs als zij degenen zijn die de rijkste oogst van zo’n tijdvak hebben opgeleverd, wordt de tijdgeest waarschijnlijk beter vertegenwoordigd en meer uitgedragen door de grote groep daaronder, waarvan de leden vaak zelfs anoniem blijven. Dit geldt ook voor de ontwikkelingen op het raakvlak van Humanisme en Moderne Devotie die in deze bundel centraal staan. In deze bijdrage richt ik mij op de persoon van Gosewijn van Halen, de rector van het fraterhuis van de Broeders van het Gemene leven in Groningen vanaf 1507 tot zijn sterfjaar in 1530.1 Het geboortejaar van deze Gosewijn moet worden geplaatst rond 1468, wat hem een nagenoeg exacte tijdgenoot maakt van Desiderius Erasmus.2 Het fraterhuis in Groningen (of het ‚Broederhuis‘), gelegen aan het Martinikerkhof, was een van de vele stichtingen in navolging van de prediker Geert Grote, en werd gesticht tussen 1432 en 1436.3 Bij dit broederhuis in Groningen hoorde een hostel waarin jongens werden opgevangen en –later tegen betaling– onderwijs ontvingen, het zogenaamde domus pauperum. Gosewijn van Halen was degene die als rector verantwoordelijk was voor het Broederhuis en het onderwijs aan de jonge mannen in dit domus pauperum, dat gelegen was in de St. Jansstraat. Onder hem verwierf het niveau 1
Van Rhijn meent in tegenstelling tot anderen dat Gosewijn al vanaf 1497 rector van het fraterhuis was. In dit onderzoek wordt echter uitgegaan van de meest gangbare datering, op basis van de latere oorkonden met de naam van Johannes van der Oldekercken. Zie: Regnerus Richardus Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1986, p. 596; Remi van Schaik, De materiële belangen van het Groninger Fratherhuis in Groningen en Drenthe, in: Groningse Volksalmanak. Historisch jaarboek voor Groningen (1985–1986), p. 7–24, p. 11. 2 Fokke Akkerman, Catrien Santing, Rudolf Agricola en de Aduarder Academie in: Groningse Volksalmanak. Historisch jaarboek voor Groningen (1987), p. 7–28, p. 11. 3 Post, The Modern Devotion, p. 371.
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van het onderwijs hier enige roem, en groeide het uit tot een alternatieve school met een volwaardig programma naast de reguliere Latijnse school van de Martinikerk in Groningen.4 Tot nog toe werd deze Gosewijn in de studies naar deze periode vaak beschreven als niet meer dan het knechtje van de beroemde Groninger theoloog Wessel Gansfort -hij was in zijn jeugd diens famulus geweest, wat zoveel betekent als stafknecht, lid van de familia van Gansfort. Deze functie wordt ook wel beschreven als een soort ‚oppasser‘ die zorgde voor het huis en de kleren van Gansfort. 5 Mede hierom kwam Gosewijn nauwelijks aan bod in studies naar deze periode, en bleef hij vaak in de schaduw van intellectuele zwaargewichten als Wessel Gansfort, Rudolf Agricola en Desiderius Erasmus. Het enige artikel dat volledig aan hem is gewijd dateert uit 1925, en is geschreven door M. van Rhijn in het verlengde van zijn dissertatie over Wessel Gansfort.6 Verdere uitlatingen over hem worden vaak gedaan in de marge van onderzoeken naar andere thema’s of personen, en zijn veelal enigszins laatdunkend over de persoon en prestaties van Gosewijn. Een meer recent artikel dat zich enigszins uitgebreider uitlaat over Gosewijn van Halen komt van Akkerman en Santing, die in 1987 de tekst van een brief van Gosewijn aan Albertus Hardenberg vertaalden in een artikel over Rudolf Agricola.7 Het oordeel in dit artikel is iets milder dan de meeste andere literatuur, maar wederom wordt Gosewijn slechts bezien vanuit zijn relatie tot Agricola. Het meest recente artikel tenslotte dat zich enigszins met Gosewijn bezighoudt is van de hand van J. van Moolenbroek, die kort enkele van diens brieven bespreekt in zijn artikel over Wessel Gansfort.8 De tendens in de schaarse opmerkingen over Gosewijn na het artikel uit 1987, is dat hij eigenlijk niet de moeite waard is om veel aandacht te krijgen. Typerend voor deze houding is het volledig ontbreken van zijn naam in John van Engens Sisters and Brothers of the Common Life uit 2008.9 In tegenstelling tot het oordeel van de moderne geschiedschrijvers, lieten zijn tijdgenoten zich echter slechts lovend uit over deze Gosewijn, enkele kritische 4 Ibidem, p. 391. 5 Maarten Van Rhijn, Goswinus van Halen, in: Nederlands Archief voor Kerk Geschiede-
nis 18 (1925), p. 1–24, p. 4. En nog steeds bij Peter G. Bietenholz, Thomas Brian Deutscher, Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, Volume 1 Toronto 1995 (2), p. 121. 6 Ibidem. 7 Akkerman, Santing, Rudolf Agricola en de Aduarder Academie, p. 7–28. 8 Jaap van Moolenbroek, Wessel Gansfort as a Teacher at the Abbey of Aduard, in: Koen Goudriaan/Jaap van Moolenbroek/Ad Tervoort (eds.), Education and Learning in the Netherlands, 1400–1600, Leiden 2004, p. 113–132. 9 John van Engen, Sisters and Brothers of the Common Life. The Devotio Moderna and the World of the later Middle Ages, Philadelphia 2008.
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Dominicanen daargelaten.10 Deze constatering is voor mij het uitgangspunt om in dit stuk Gosewijn van Halen centraal te stellen. Door de combinatie van zijn positie als rector van het Broederhuis in Groningen, zijn opleiding en studie-interesse en de diverse devotionele en humanistische contacten die hij onderhield kan een studie naar Gosewijn een nieuw licht werpen op de verhouding tussen Humanisme en Moderne Devotie in het begin van de 16e eeuw. Eerst zal ik meer ingaan op de achtergrond en vorming van Gosewijn zelf. Daarna zal ik aandacht geven aan het bronmateriaal dat beschikbaar is over hem, en tenslotte zal ik weer terugkomen op zijn positie op het raakvlak van Humanisme en Moderne Devotie.
Gosewijns afkomst, vorming en intellectuele bagage Wat voor persoon was de rector van het fraterhuis in Groningen? Waar kwam hij vandaan, hoe was hij gevormd in onderwijs en studie, en wat droeg hij bij zich aan intellectuele bagage? Voordat ik deze vragen behandel moet er echter eerst duidelijkheid komen over de naam van Gosewijn van Halen; hij komt namelijk onder meerdere namen voor in de bronnen. Albertus van Hardenberg gebruikt in zijn werk over Wessel Gansfort de namen Goswinus en Josquinus door elkaar, en stelt dat deze dezelfde persoon aanduiden. Hij verwijst naar het werk van Melanchton, die iets heeft gelezen van Josquinus oftewel Gosewijn, de vader van het broederhuis in Groningen, geboren aan de Maas in het gebied van Halen: Hactenus Philippus, qui mentionem hic facit Iosquini, seu Gosuuini, qui Pater fuit monachorum in domo Fratrum Groningae, natus ad Mosam, in pago Halen, unde et Halensis vocatus est, vir pius et doctus, mortuus anno 1530.11
Melanchthon zelf duidt in zijn oratio Gosewijn aan met Iosquinem Groningensem.12 Gosewijn wordt dus zowel met Goswinus als Josquinus aangeduid in contemporaine bronnen.13 Ook zijn achternaam komt voor in meerdere varianten, met als meest voorkomende de vormen Van Halen en de Latijnse variant Halensis. 10 Getuige een opmerking van Albertus Hardenberg. Verdere uitwerking hiervan zie hierna. 11 W. Gansfort, P. P. von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, rarae & reconditae
doctrin, e viri, qui olim lvx mvndi vulgo dictus fuit, opera quae inveniri potuerunt omnia: partim ex antiquis editionibus, partim ex manuscriptis eruta, Groningen 1614, p. 13. 12 C. G. Bretschneider (ed.), Corpus Reformatorum XI, kol. 438–446, kol. 444. 13 Uit de archieven van het fraterhuis in Groningen blijkt dat in juridische verhandelingen de naam van Gosewijn ook op hele andere, verkorte manieren wordt gebruikt. In deze documenten wordt hij aangeduid met Ghosen, Gosen, Goosen, Goesen, Goessen, Gosvinus, Gosuinus, Goesswynus en nog andere hierop lijkende varianten: Arent Toncko Schuite-
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Zoals zijn naam verraadt komt Gosewijn uit het Limburgse dorpje Haelen, gelegen aan de Maas. Hij vertelt zelf meerdere details over zijn afkomst in de levensbeschrijving over Agricola van zijn hand.14 Hierin vertelt hij onder andere van zijn schoolgang aan de school van Roermond, waar Johannes Gronius aan het hoofd stond en Johannes Kerckhof diens helper was.15 Gosewijn vertelt dat hij in de laagste klas zat toen Rudolf Agricola op bezoek kwam in Roermond, als gezant van de stad Groningen waarvan hij stadssecretaris was. Van Rhijn stelt in zijn artikel dat Agricola na zijn bezoek Gosewijn heeft meegenomen naar Groningen, waar hij daarna famulus van Wessel Gansfort werd.16 Er zijn echter geen concrete aanwijzingen voor deze bewering, en Gosewijn doet er in zijn levensbeschrijving van Agricola geen uitspraken over, terwijl hij wel beschrijft dat Agricola in Roermond is geweest. In deze levensbeschrijving is Gosewijn niet terughoudend wat betreft persoonlijke details en geeft hij regelmatig naast het eigenlijke onderwerp ook informatie over zijn eigen levensloop. Zo vertelt hij dat hij nogal laat in zijn leven naar school ging, dat er vele dagen waren dat hij niet naar school kwam omdat hij op land met het boerenwerk moest helpen en dat hij uiteindelijk te vroeg van school gehaald is.17 Gosewijn rept er echter met geen woord over dat Agricola hem zou hebben meegenomen. Als dit wel het geval zou zijn geweest, zou het voor de hand liggen dat Gosewijn dit zou hebben vermeld. Dat Agricola Gosewijn zou hebben meegenomen, is op basis van deze gegevens dus niet hard te maken. Een verklaring voor het eventueel niet noemen door Gosewijn van deze gebeurtenis zou kunnen zijn dat hij een anecdote dat Agricola hem uit Roermond zou hebben meegenomen niet tot diens eer vindt bijdragen, en daarom dit feit dus niet vermeldt in zijn verder uitsluitend positieve levensverhaal van Agricola. Dit lijkt echter gelijktijdig minder waarschijnlijk omdat Gosewijn hierna wel de lof zingt op God voor de manier waarop hij uiteindelijk op latere leeftijd kennis van Evangelie heeft verkregen. Hiermee doelt hij waarschijnlijk op zijn eerste jaren in Groningen.18 Gosewijn oordeelt kennelijk dus zeer positief over zijn vertrek naar Groningen op jonge leeftijd. Hiermee vervalt het argument dat Gosewijn Agricola niet zou willen beledigen met zijn eventuele negatieve herinneringen aan dit vertrek. Oftewel, als Agricola hem zou hebben meegenomen naar Groningen, zou het logisch zijn dat Gosewijn dit had vermeld, en zelfs met zeer lovende woorden voor zijn begeleider die hem naar Groningen ma Meijer/Eef van Dijk, Inventaris van de archieven van het klerken- of fraterhuis te Groningen en de daarmee samenhangende stichtingen, Groningen 1973, p. 13, p. 118–139. 14 Voor een bespreking van het auteurschap van de De Rodolphi Agricola zie hieronder. 15 J. B. Kan, Nieuwe levensberichten van Wessel Gansfort en Rudolph Agricola, in: Groningsche Volksalmanak voor het jaar 1899, Groningen 1898, p. 63–83, p. 80. 16 Van Rhijn, Goswinus van Halen, p. 2. 17 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 80. 18 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 81.
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bracht. Gosewijn rept er echter met geen woord over. Het is derhalve niet on mogelijk dat Agricola Gosewijn zou hebben meegenomen naar Groningen, maar dan is het wel zeer opmerkelijk dat Gosewijn hier verder niets over vertelt. Na zijn schoolgang in Roermond en zijn vroegtijdige vertrek hiervandaan naar Groningen heeft Gosewijn ook onderwijs ontvangen in Deventer, tijdens het rectoraat van Alexander Hegius. Hij maakt hier melding van in zijn levensbeschrijving over Agricola, waarin hij vertelt dat hij aanwezig was bij het voorlezen door Hegius van het bericht van het overlijden van Agricola.19 Dit betekent dat Gosewijn in ieder geval aan het einde van het jaar 1485 de school in Deventer bezocht, aangezien Agricola op 27 oktober 1485 overleed. Het einde van het onderwijs in Deventer voor Gosewijn moet ergens voor juni 1489 worden gezocht, wellicht al enige tijd eerder. Dit kan worden afgeleid uit de akte met register-nummer 202 uit ‚Het archief van het klerken- of fraterhuis‘, gedateerd op 25 juni 1489, waarin Gosewijn samen met Petrus Delft, Arnold Teykelenborch en Johannes Rees afstand doet van zijn goederen ten bate van het klerkenhuis in Groningen.20 Deze akte markeert waarschijnlijk de definitieve intreding van Gosewijn en de anderen in dit broederhuis, maar het is niet ondenkbaar dat zij hier al enige tijd waren. De vier mannen worden namelijk in deze akte al aangeduid als inwoners en broeders van het klerkenhuis. De datum van het einde van het onderwijs van Gosewijn in Deventer staat dus redelijk vast, in ieder geval vóór 25 juni 1489. Rond de begindatum is er echter meer speling. Van Rhijn gaat er in zijn artikel van uit dat Gosewijn niet voor 1483 aan de Deventer school kon zijn geweest, aangezien pas vanaf dat jaar Hegius rector werd.21 Deze stelling gaat er vanuit dat Gosewijn in zijn verhaal over Agricola het vermeld zou moeten hebben als hij voor Hegius nog een andere leraar had gehad. Aangezien dit niet het geval is kan volgens Van Rhijn Gosewijn niet voor 1483 op de school in Deventer zijn geweest. Deze redenering gaat echter voorbij aan het feit dat Gosewijn verder ook geen andere docenten noemt behalve Oostendorp, terwijl er in de periode onder Hegius wel degelijk andere docenten zijn geweest. Een voorbeeld hiervan is Johannes Synthen, die in deze periode les moet hebben gegeven in Deventer, en onder andere Erasmus onder zijn leerlingen zou hebben gehad. Deze Synthen stierf ca. 1490 (in ieder geval voor 1493), en was dus ook in de periode dat Gosewijn les kreeg in Deventer zeer waarschijnlijk nog actief. 22 Gosewijn noemt echter noch deze Synthen, noch andere docenten die ook 19 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 71. 20 Schuitema Meijer/van Dijk, Inventaris, p. 13.Te raadplegen via www.cartago.nl/oor-
konde/kfh 202.xml#
21 Van Rhijn, Goswinus van Halen, p. 10. 22 Antonius Weiler, The Dutch Brethren of the Common Life, critical theology, Northern
Humanism and Reformation, in: Fokke Akkerman/Arjo Vanderjagt/A. H. van der Laan (eds.), Northern Humanism in European Context, 1469–1625. From the ‚Adwert Acade-
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in Deventer waren tijdens zijn schoolgang daar. De interpretatie dat Gosewijn niet voor 1483 in Deventer kan zijn geweest lijkt dus iet te stellig. De mogelijkheid is er wel, alhoewel het niet heel aannemelijk lijkt dat hij hier veel eerder was. Uitgaande van een begin van de studie in Deventer in of kort voor 1483 is het echter mogelijk dat Gosewijn tegelijkertijd met Erasmus in de schoolbanken heeft gezeten, hoewel dan waarschijnlijk in een andere klas. Erasmus vertrekt namelijk waarschijnlijk 1483/1484 uit Deventer, maar beschrijft zichzelf wel vaak als leerling van Hegius. Dit laat de mogelijkheid open dat Gosewijn naar school is gegaan tegelijkertijd met deze grote humanist, die hij later in 1521 weer ontmoette in Leuven, en die hem naar aanleiding van deze ontmoeting roemt in een brief als een zeer oprecht, vriendelijk en bewonderenswaardig persoon met de aanduidingen vir longe candidissimi pectoris Gosuuinus en optimum virum.23 Of Gosewijn tijdens zijn schooljaren in Deventer Erasmus net wel of net niet zou hebben ontmoet is echter uiteindelijk niet van het grootste belang. Wel van belang is de constatering dat Gosewijn het grootste deel van zijn onderwijs heeft gekregen aan de school die tijdens het rectoraat van Hegius uitgroeide tot hét humanistische onderwijscentrum van zijn tijd in de oostelijke Nederlanden. Wat het humanistische onderwijsprogramma van Hegius precies inhield is niet bekend. Wel kunnen we met zekerheid zeggen dat Latijn zal zijn geleerd uit de Donatus, stammend van de 4eeeuwse grammaticus Aelius Donatus, en door de gevorderde leerlingen uit het Doctrinale van Alexander de Villa Dei. Dit Doctrinale werd het standaardwerk om Latijn te leren, en alleen al in de periode 1483 tot 1511 zijn er in Deventer 43 drukken bewaard gebleven van deze grammatica.24 Uit een citaat in de brief van Gosewijn aan Hardenberg blijkt dat ook hij was opgegroeid met dit Doctrinale. Hij gebruikt hier een bepaalde zegswijze, en zegt dat hij dat zo volgens Alexander de Villa Dei van Chartres heeft geleerd: Et ut, juxta Alexandrum nostrum de Villa Dei, Carnotensem …25 Verder zal Gosewijn in Deventer ook Grieks hebben moeten leren onder Hegius, die telkens het belang daarvan benadrukte, onder andere in een van zijn gedichten.26 Naast deze gedichtenbundel kan Gosewijn in Deventer ook kennis hebben gemaakt met andere werken van Hegius zoals de onderwijzende dialogen in de Dialogi, en de aanvullingen en vernieuwingen op het grammatica van het Latijn in zijn Farrago en Invectiva.27 my‘ to Ubbo Emmius, Leiden 1999, p. 307–332, p. 327. Post ontkent dat Erasmus leerling van Synthen is geweest: Post, The Modern Devotion, p. 659. 23 P. S. Allen, Opus Opistolarum Des. Erasmi Roterodami IV, Oxford 1922, p. 483. 24 Clemens Hogenstijn, Leren voor het leven aan het Grote Kerkhof. De Latijnse school in Deventer, Deventer 2007. 25 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 14. 26 Jan Bedaux et al., Met Erasmus naar school, Deventer 1998, p. 15. 27 Ibidem, p. 16.
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Verdere kennis over de intellectuele bagage die Gosewijn eventueel heeft opgedaan in Deventer kunnen we ontlenen aan zijn eigen opmerkingen, waaruit zijn bekendheid met vele klassieke en moderne auteurs blijkt. De belangrijkste bronnen hiervoor zijn de brief aan Albertus Hardenberg van 23 november 1528 en de door hem geschreven De Rodolphi Agricola, de levensbeschrijving van Agricola. Door het analyseren van de uitingen van belezenheid en de getoonde kennis van verschillende schrijvers in deze teksten, kunnen wij veel leren over de kennis en opleiding van de auteur van deze teksten. Hierbij ga ik alleen uit van de werken en schrijvers die zichtbaar terugkomen in het werk van Gosewijn, en vallen de werken die hij nooit noemt in zijn eigen werk dus buiten ons blikveld. Het is echter logisch om te veronderstellen dat Gosewijns kennis en intellectuele bagage groter waren dan dat wat hij tentoon spreidt in het weinige werk dat van hem is overgeleverd.28 Wanneer Gosewijn over zijn eigen geleerdheid spreekt is het opvallend dat hij dit vaak enigszins geringschattend doet. Dit is goed zichtbaar in de brief die hij aan Albertus Hardenberg stuurt, zijn vroegere leerling. In deze brief prijst hij de geleerdheid van zijn oud-leerling, en stelt meerdere keren dat Hardenberg hem voorbij is gestoken in geleerdheid. Gosewijn is er echter tevreden mee slechts een beginneling te blijven, een ‚alphabeticus‘: Ego libenter tibi concede, un multo me doctor sis; et istud libentur cuivis concedo. Satis enim mihi est Alphabeticum manere; verum tamen gratum adhuc est eruditum convenire.29 Hoewel het een bekend humanistentopos is om de eigen kennis te bagatelliseren en die van de ander te prijzen, zal Gosewijn er in de relatie tot Hardenberg niet veel naast hebben gezeten met zijn inschatting van de geleerdheid van beiden. Als we verder lezen met welke auteurs Gosewijn allemaal bekend is ontstaat er echter een flinke lijst, die het zeer aannemelijk maakt dat Gosewijn zich ook na zijn schooltijd in Deventer nog aan de studie heeft gewijd en zelf nog werken heeft verzameld. Wat allereerst opvalt is een soort leeslijst die Gosewijn voor Hardenberg heeft opgesteld, en deze meedeelt in zijn brief. Het is heel waarschijnlijk dat Gosewijn de werken van deze lijst zelf ook heeft gelezen, en wellicht vele hiervan zelf in bezit had. Dit blijkt uit het feit dat hij niet alleen de titels noemt ook meerdere opmerkingen maakt over de inhoud van de werken. Allereerst wordt Ovidius genoemd, naar aanleiding van een verzoek van Hardenberg om een boek van deze schrijver. Gosewijn zegt hierover dat hij zelf maar besloten heeft de Metamorfosen mee te geven aan de student die het ver zoek van Hardenberg overbracht, omdat Hardenberg niet naar een specifiek werk
28 Later in deze bijdrage ga ik nog in op het werk dat aan Gosewijn kan worden toegeschre-
ven.
29 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 14.
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van Ovidius had gevraagd.30 Impliciet betekent dit dat Gosewijn de keuze had uit meerdere werken van Ovidius die hij in zijn bezit had. Het werk van Ovidius en andere werken in die stijl hoeft Hardenberg echter maar één keer te lezen volgens Gosewijn: Sed, meo judicio, satis est semel legisse Ovidium, et quidquid ejus est farine.31 Auteurs die meer aandacht verdienen zijn de dichters Vergilius, Horatius en Terentius. Van de geschiedschrijvers raadt hij Hardenberg aan Josephus‘ Historia Ecclesiastica en de Historia Ecclesiastica Tripartita van Cassiodorus te lezen, en verder de seculiere geschiedenissen van Plutarchus, Sallustius, Thucydides, Herodotos en Justinianus. Ook doet het volgens Gosewijn geen kwaad Aristoteles en Plato te bekijken: Deinde non nocuerit etiam perlustrasse Aristotelis et Platonis libros.32 Voor zijn stijl moet Hardenberg Cicero lezen volgens Gosewijn. Ook moet Hardenberg, in tegenstelling tot de vluchtige aandacht voor de eerdere seculiere dichters ernstig studie maken van Augustinus, Hieronymus, Ambrosius, Chrysostomos, Gregorius, Bernard van Clairvaux en Hugo van St. Victor. Dit zijn de helden van het geloof, waaronder de kerkvaders, welke een consciëntieus Devoot als Gosewijn zeker ook zijn leerling aanraadt. Gosewijn presenteert zich in deze lijst als een behoorlijk belezen persoon op het klassieke Latijnse gebied. Het is echter vooral opvallend dat hij enkele Griekse schrijvers noemt en aanraadt. Volgens de historicus Postma waren de specifieke Griekse auteurs die Gosewijn noemt in zijn brief op dit moment in Europa bij veel intellectuelen in Europa slechts bekend als namen.33 Door het noemen en aanraden van deze schrijvers geeft Gosewijn aan dat hij hun werk in ieder geval kende, en ze waarschijnlijk zelf had gelezen. Dit kan een spoor zijn geweest van de invloed van zijn vroegere docent Alexander Hegius, die telkens maar weer het belang van het lezen van het Grieks benadrukte. Tenslotte is er nog een ander werk waarvan we op basis van deze brief van Gosewijn aan Hardenberg kunnen stellen dat hij het moest kennen en in bezit hebben. Hij beklaagt zich namelijk aan het eind van zijn brief over het gedrag van Augustijn Aggeus, een arts uit Den Haag,34 en verwijt hem slinkse streken. Het geschil gaat om een boek dat deze Aggeus volgens Gosewijn van hem geleend had. Aggeus wendde echter voor dat hij het van iemand anders had gekocht. Uiteindelijk beweerde hij zelfs dat hij het boek niet had. Het werk waar het hier over gaat wordt aangeduid als een Suidas. Hier wordt een Grieks lexicon mee bedoeld, een 30 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 15. 31 Ibidem. 32 Ibidem. 33 F. Postma, Regnerus Praedinius (c. 1510–1559) Seine Schule und sein Einfluss, in: Fok-
ke Akkerman/Gerda Huisman/Arjo Vanderjagt (eds.), Wessel Gansfort (1419–1489) and northern humanism, Leiden 1993, p. 291–324, p. 296–297. 34 Voor Aggeus, of Agge zie Bietenholz, Deutscher, Contemporaries, p. 13
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uitgebreid verklarend werk waarvan in Gosewijns tijd nog werd gedachjt dat het van de hand van een schrijver Suidas was, die in het midden van de 10e eeuw in Constantinopel leefde. Inmiddels is duidelijk dat de oorspronkelijke Griekse titel de Suda (ἥ Σουδη) was. Dit lexicon houdt het midden tussen een grammaticaal woordenboek en een moderne encyclopedie, met uitleg over allerlei klassieke Griekse auteurs.35 Naast de werken die Gosewijn opsomt en aanraadt aan zijn vroegere leerling, geeft hij Hardenberg in deze brief ook een voorbeeld van een goede dagindeling: hij beschrijft de dagbesteding van de Italiaanse humanist Giovanni Pico della Mirandola, die de ochtend besteedde aan de filosofen, de middag aan zijn vrienden en zijn welzijn –hoewel soms aan de dichters-, en de nacht werd gedeeld door de slaap en de heilige letteren: Ioannes Picus, Comes Mirandulae, it a partitus fuerat suas horas as discendi, ut matutinum tempus Philosophis; postmeridianas horas amicis, valetudini, interdum Poetis et oratoribus; noctem, inquit, cum somno sibi sacra litera partiuntur.36 Door het noemen en beschrijven van deze dagindeling van Pico della Mirandola geeft Gosewijn te kennen dat hij op de hoogte is van het werk van deze volbloed humanist. Dit is een bewijs dat Gosewijn zijn tijd ook wijdde aan de wereld en het werk van de humanisten, zelfs die van de andere kant van de Alpen.37 Ook haalt Gosewijn nog een ander citaat aan van Pico della Mirandola, waarin deze vertelt dat hij zichzelf al lang geleden aan de slavernij van de boeken heeft overgegeven, die een zware arbeid van hem eisen: Idem asibi dicit; Addixi me jamdudum literis in famulatum; illa pro suo imperio ita severe legendi, dictandi exigunt pensum, ut vix valetudinem redimam. 38 Dat Gosewijn ook dit citaat van Pico gebruikt, bewijst des te meer dat hij goed was ingewijd in het werk van deze Italiaanse humanist. Uit de voorbeelden die Gosewijn in deze brief noemt zijn zowel devotionele als humanistische invloeden duidelijk zichtbaar. Gosewijn geeft aan dat het wel degelijk goed is om studie te maken van de klassieke auteurs, zowel in het Grieks als in het Latijn, maar nog belangrijker is het die teksten te lezen die goed zijn voor de opbouw van het geloof. Deze dubbelheid in zijn brief, gecombineerd met zijn functie als rector van het Groningse fraterhuis, laat zien hoezeer Gosewijn verkeerde op het raakvlak van zowel Humanisme als Devotie. Naast de leeslijst die Gosewijn opstelde in deze brief voor zijn leerling Hardenberg, kunnen we ook op basis van andere teksten zaken vaststellen over de kennis en intellectuele bagage van Gosewijn. 35 W. Hörandner, ‚Suda‘, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 8 (1997), kol. 281. 36 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 15. 37 Over Giovanni Pico della Mirandola zie de bundel: M. V. Dougherty, Pico della Miran-
dola. New essays Cambridge 2008.
38 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 16.
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Uit de levensbeschrijving van Wessel Gansfort, De Wesselo Groningensi, leren we dat de auteur – waarvan ik hieronder zal betogen dat dit toch echt Gosewijn geweest is – in ieder geval ook kennis had van het werk van Volusianus, die in briefwisseling stond met Augustinus.39 Ook gebruikt de auteur van deze tekst een fragment uit de Metamorfosen van Ovidius voor het beschrijven van de relatie tussen Gansfort en Agricola. Dit was een werk dat Gosewijn in ieder geval kende en bezat, getuige de hierboven besproken leeslijst. In de meer uitgebreide biografie over Agricola, De Rodolphi Agricola, is Gosewijn uitvoeriger, en leren we veel over de kennis die hij bezat. Zo lezen we dat Gosewijn ook op de hoogte was van het werk van de Florentijnse humanist Gian Francesco Poggio Bracciolini, kortweg Poggius. 40 Gosewijn laat merken dat hij de inhoud van het werk van deze humanist, die leefde van 1380 tot 1459, goed kent. Hij refereert aan een tekst die Poggius heeft geschreven naar aanleiding van het concilie van Konstanz. Verder merkt de auteur op dat hij een exemplaar van het werk van Hyginus in handen heeft gehad, waarin Agricola tekeningen had gemaakt.41 Waarschijnlijk bedoelt Gosewijn hier een exemplaar van het De Astro nomia van de klassieke auteur Gaius Julius Hyginus. Deze Hyginus leefde rond het begin van onze jaartelling, en was bibliothecaris onder keizer Augustus. Zijn De Astronomia werd voor het eerst gedrukt in 1482 in Venetië. Het andere werk dat van hem is overgeleverd, de Fabulae, werd pas in 1535 voor het eerst uitgegeven op basis van het enige overgeleverde handschrift, een codex uit Freising, dat Gosewijn zeker niet heeft gekend.42 Net zoals in zijn brief aan Hardenberg bleek, wordt ook uit de De Rodolphi Agricola duidelijk dat Gosewijn zijn weg wist in de Griekse literatuur: hij gebruikt de namen Gorgias en Oedipus in een beeldspraak om zijn punt kracht bij te zetten. De naam Oedipus zou hij kunnen kennen uit het werk van Seneca, maar Gorgias kent hij zeer waarschijnlijk alleen als karakter uit het werk van Plato, die hij al eerder aanhaalde. Of hij Gorgias ook kent van de redevoeringen die deze heeft nagelaten blijft slechts giswerk. Gosewijn somt in zijn biografie ook werk van Agricola op. Hij roemt de De Inventione als een geleerd boek, en noemt drie werken die Agricola uit het Grieks in het Latijn had vertaald: de redes van Isocrates tot Nicocles en tot Daemonicus, de Axiochus van Plato en enkele gedichten.43 Deze werken worden slechts genoemd als resultaten van Agricola’s werkzaamheid, en er is geen aanwijzing dat Gosewijn deze ook gelezen had of zelf in zijn bezit had. Tot slot noemt Gosewijn nog 39 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 66; over het auteurschap van deze tekst zie hieronder. 40 Ibidem, p. 74. 41 Ibidem, p. 76. 42 G. Viré, Hygini De astronomia, Stuttgart 1992, p. v. 43 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 79.
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enkele andere werken van Agricola: verschillende redevoeringen, waaronder een gehouden in Ferrara over de lof op de schone letteren; een lange elegie als lof op de Heilige maagd Maria; enkele gedichten, van welke enkele op het moment van schrijven nog in het bezit van Gosewijn waren maar de meeste verloren zijn gegaan, en redes in versvorm tot de heilige Antonius en een aan de heilige Jodocus.44 Het is waarschijnlijk dat Gosewijn enkele van deze werken zelf ook had gelezen, waaronder bijvoorbeeld de gedichten waarvan hij zegt dat deze nog in zijn bezit zijn. Andere werken van Agricola zal hij echter alleen maar van naam kennen, hij noemt ze ook slechts in een opsomming en geeft geen details over de inhoud. Als we de vorming en intellectuele bagage van Gosewijn synthetiserend willen beschrijven, onstaat er een beeld van een belezen en ontwikkeld man, ondanks zijn gebrekkige eerste schoolgang in Roermond. Gosewijn valt op door de uitgebreide lijst van auteurs die hij heeft gelezen en aan anderen aanraadt. Deze belezenheid laat een gretigheid zien waarmee Gosewijn allerlei verschillende werken heeft bestudeerd, ook na zijn schooltijd, en stijgt ver uit boven de geleerdheid van een gemiddelde schoolleraar in zijn tijd. Zo stelt Postma dat Gosewijn zeker een grotere geleerde was dan Nicolaus Lesdorpius, het hoofd van de Latijnse school in Groningen ten tijde van Gosewijn. Doordat Lesdorpius volgens Postma ook een druk bestaan had als rector van deze school, zou Gosewijn beter in staat zijn geweest om begaafde leerlingen – zoals zijn leerling Regnerus Praedinius – op de universiteit voor te bereiden. 45 Qua niveau van het Latijn was Gosewijn het echter de mindere van Lesdorpius, en hierom heeft de Latinist Akkerman het standpunt van Postma dan ook niet onderschreven.46 Ook J. B. Kan beschreef het Latijn van Gosewijn in de De Rodolphi Agricola als ‚van zeer weinig stijl‘.47 In de vorming van Gosewijn zijn elementen zichtbaar die hij had meegekregen van het humanistisch onderwijs dat hij had genoten onder Alexander Hegius. Zijn bekendheid met verschillende Griekse schrijvers kan worden gezien als een verworvenheid van deze schoolgang in Deventer. Al deze elementen samen getuigen van een sterke ontwikkeling van deze Gosewijn van Halen, die zichzelf heel bescheiden beschreef als een beginneling, niet meer dan een alphabeticus en in eigen ogen kennelijk nog geen echte litteratus.
44 Ibidem, p. 82. 45 Postma, Regnerus Praedinius, p. 295. 46 Fokke Akkerman, The early reformation in Groningen, in: Fokke Akkerman/Arjo
Vanderjagt/A. H. van der Laan, Northern humanism in European context, 1469–1625, Leiden 1998, p. 1–42, p. 10. 47 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 64.
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Gosewijn in de bronnen In dit deel zal ik mij richten op de bronnen met betrekking op Gosewijn. Eerst zal ik mij bezighouden met werk dat aan hem kan worden toegeschreven, en daarna met andere bronnen waarin hij wordt genoemd. In dit tweede deel geef ik speciaal aandacht aan de satire Lamentationes Petri, waarin Gosewijn ook een plek krijgt.
Gosewijns schriftelijke nalatenschap In het vorige deel is er regelmatig verwezen naar werken die verondersteld worden van de hand van Gosewijn te zijn. Hier richt ik mij meer specifiek op deze documenten, en zal ik kritisch bespreken wat wel en wat niet tot zijn nalatenschap kan worden gerekend. Allereerst is er de bekende briefwisseling tussen Gosewijn en Albertus Hardenberg, zijn vroegere leerling.48 Deze tekst is ons overgeleverd door Hardenberg zelf. Hij schreef een vita over Wessel Gansfort, en in deze tekst heeft hij de brieven van zijn vroegere leraar Gosewijn van Halen opgenomen naar aanleiding van wat Gosewijn had geschreven over Wessel Gansfort en Rudolf Agricola. De autograaf van deze vita, geschreven door Hardenberg zelf, berust in de Bayerische Staatsbibliotheek München.49 Een afschrift van deze originele tekst is te vinden in een uitgave uit 1614, waarin een verzameling van vitae over Wessel Gansfort is opgenomen. Deze editie, uitgegeven door de drukkers Petrus Pappus a Tratzberg en Joachim Alting, is onder andere beschikbaar in Groningen.50 De tekst van deze latere editie komt nauw overeen met origineel, en volgens de observatie van Akkerman en Santing zijn ‚de verschillen tussen beide gering in aantal en betekenis‘.51 Dit heeft mij er toe gebracht voor dit onderzoek de Groninger editie uit 1614 te gebruiken. Op het eerste gezicht staan er vele brieven in dit werk. De eerste vier teksten betreffen echter in wezen fragmenten die gezamenlijk één lange brief vormen, 48 Afschrift van deze brief te lezen in: Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Gro-
ningensis, p. 7 en volgende.
49 Signatuur: Cod. Lat. Mon. 10351. 50 Signatuur: OKW uklu BACKER 751. 51 Akkerman, Santing, Rudolf Agricola en de Aduarder Academie, p. 12. Een fout in de
latere editie welke mij opviel door een vreemde vertaling, is een keer het ontbreken van het woordje ´non´. In de brief in de autograaf van Hardenberg wordt een dubbele ontkenning gebruikt wanneer Gosewijn stelt dat hij niet niet liefhebben kan wie zich aan de heilige letteren wijden (non possim non amare). Op p. 13 van de editie uit 1614 ontbreekt echter de tweede keer ‚non‘, waardoor de tegenovergestelde vertaling zou ontstaan. Samen met dhr. Akkerman heb ik echter vastgesteld dat in de autograaf van Hardenberg wel degelijk twee keer ‚non‘ staat.
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maar op verschillende tijden zijn geschreven door Gosewijn. Daardoor is deze eerste brief verreweg het langst. Hierna volgen nog twee kortere losse brieven, zodat er in totaal drie verschillende brieven door Hardenberg blijken te zijn afgeschreven. De eerste en meeste bekende brief is gedateerd op 23 november 1528 (die Clementis, Anno salutis 1528). De tweede brief van Gosewijn dateert van 14 mei 1529. Deze datering is niet op te maken op grond van de Groningse uitgave, die alleen de datum van de eerste brief geeft. In het origineel in München staat echter een extra datum in de marge, waardoor W. Janse in zijn studie naar de correspondentie van Albertus Hardenberg deze tweede brief kan dateren op 14 mei 1529.52 Van de laatste brief weten we alleen dat deze is geschreven als een reactie op de brief van Hardenberg die hij verstuurde op de Idus van december. Zodoende moet de derde brief van Gosewijn gedateerd worden na 13 december 1529. De brief van 23 november is van belang vanwege de beschrijving die Gosewijn hierin geeft van de Aduarder academie. Deze beschrijving is bekend geworden door het werk van P. S. Allen, die naar aanleiding van deze brief in 1914 een artikel schreef getiteld ‚The Adwert Academy‘.53 De tweede brief van Gosewijn is de brief waarin hij reageert op het verzoek van Hardenberg om een werk van Ovidius, en waarin hij een opsomming geeft van de lectuur die hij Hardenberg aanraadt. De laatste brief is een stuk korter dan de eerste twee. Hierin verontschuldigt Gosewijn zich voor het uitblijven van zijn reactie, en vertelt hij Hardenberg dat hij last heeft van steen- en buikkolieken (correptus torminibus calculi et ventris …)54 Deze drie brieven geven ons belangrijke informatie over het leven van Gosewijn. Zo leren we veel over zijn contacten door de namen die hij noemt. Ook komen we veel te weten over zijn bibliotheek en de boeken die hij gelezen moet hebben. In het werk van Hardenberg zijn slechts deze drie brieven afgeschreven. Hij geeft zelf echter aan dat hij vele brieven van zijn vroegere leraar heeft ontvangen, waarvan hij één speciaal afdrukt omdat daarin informatie over Wessel Gansfort staat vermeld: Scripsit ad me multas epistolas Gosuuinus Halensis, olim Wesseli famulus, quarum unam hic adscribam, quoniam in ea quoque Weβeli fit mentio luculenti.55 Van deze vele brieven die Gosewijn aan Hardenberg zou hebben geschreven zijn geen overleveringen bekend. Mochten deze overige brieven ooit
52 Willem Janse, Albert Hardenberg als Theologe. Profil eines Bucer-Schülers, Leiden 1994,
p. 503.
53 P. S. Allen, The age of Erasmus, Oxford 1914, p. 7–32. 54 Vertaling komt uit: Akkerman/Santing, Rudolf Agricola en de Aduarder academie,
p. 16.
55 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 13.
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nog boven water komen, dan zouden deze interessante aanvullende informatie kunnen verschaffen over het contact van Gosewijn met Hardenberg. Een voorbeeld van een dergelijk document dat pas na eeuwen is teruggevonden is een brief van Gosewijn, gericht aan de grote Duitse theoloog Philip Melanchthon, met daarin een levensbeschrijving van Rudolf Agricola. Deze tekst werd in 1893 door de Nederlandse latinist J. B. Kan herontdekt en uitgegeven.56 In 1898 publiceerde hij hiervan ook nog een vertaling.57 Deze tekst wordt meestal aangeduid als de De Rodolphi Agricola. Voor Kan was de auteur van deze tekst onbekend, maar voor iemand die let op de details die worden genoemd, komt het profiel van de schrijver nauwkeurig overeen met dat van Gosewijn. Zo schrijft de auteur dat hij in Roermond naar school ging toen hij jong was, en dat Hegius en Oostendorp zijn leermeesters waren in Deventer. Dit komt overeen met de geboorteplaats Haelen van Gosewijn, dat vlak naast Roermond ligt. Ook noemt Gosewijn in zijn brief aan Hardenberg zijn leraren Hegius en Oostendorp bij naam. Verder geeft de auteur te kennen dat hij veel van de informatie in de brief van zijn vriend Willem Frederiks heeft gekregen, wat ook weer overeen komt met Gosewijn in diens Groninger periode. Het laatste puzzelstukje valt op zijn plek wanneer we in een toespraak van Melanchthon lezen dat hij zijn informatie over Agricola bij Gosewijn heeft gelezen: In Theologia quid desideraverit, memini huc scribere Iosquinem Groningensem senem.58 Eerder heb ik al de verschillende namen van Gosewijn behandeld, waar duidelijk werd dat hij ook met Iosquinus wordt aangeduid, zoals Melanchthon hier doet. Hieruit blijkt ook dat Gosewijn met Melanchton in briefcontact heeft gestaan, hoewel de brief die Melanchton gebruikte klaarblijkelijk een andere is dan De Rodolphi Agricola die wij hebben, gezien de feiten die hij noemt. Wellicht heeft Gosewijn op een ander moment een brief geschreven aan Melanchton over de relatie tussen Gansfort en Agricola, een onderwerp dat nauwelijks voorkomt in deze brief. Deze eventuele andere brief is echter niet overgeleverd, en er zijn ook geen andere restanten van de briefwisseling tussen Gosewijn en de Duitse theoloog. H. E. J. M. van der Velden doet in zijn onderzoek naar Rudolf Agricola uit 1911 de suggestie dat de delen waar Melanchton naar verwijst in zijn toespraak, terugwijzen naar het laatste deel van de brief dat niet is overgeleverd. De brief stopt heel plotseling, wat Van der Velden er toe brengt te stellen dat we slechts met een fragment te maken hebben. Dit lijkt een logische gedachte. We kunnen 56
J. B. Kan, Wesseli Groningensis, Rodolphi Agricolae, Erasmi Roterodami Vitae ex codice Vindobonensi typis descriptae, in: Erasmiani Gymnasii Programma Litterarium, Rotterdam 1894, p. 5–9. 57 J. B. Kan, Nieuwe levensberichten van Wessel Gansfort en Rudolph Agricola, in: Groningsche Volksalmanak voor het jaar 1899, Groningen 1898, p. 63–83. 58 C. G. Bretschneider (ed.), Corpus Reformatorum XI, kol. 438–446, kol. 444.
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echter niet meer met zekerheid achterhalen of de ontbrekende informatie welke Gosewijn aan Melanchthon schrijft in het ontbrekende tweede deel van deze brief staat, of dat er nog wel een afzonderlijke tweede brief is geweest. Gezien alle overeenkomende details, plus het gegeven dat Gosewijn in briefcontact stond met Melanchton, ligt het voor de hand deze tekst aan Gosewijn toe te schrijven. Ook Van der Velden komt tot deze conclusie. Hij geeft een opsomming van meerdere zinsneden in deze levensbeschrijving van Agricola die erg veel gelijkenissen vertonen met woordkeuzes in de brief van Gosewijn uit 1528.59 Nu vastgesteld is dat ook dit document gebruikt kan worden als bron om de auteur Gosewijn beter te leren kennen, blijkt dat we er veel nieuwe informatie uit kunnen halen en ontstaat er een nieuw perspectief op Gosewijn van Halen en zijn contacten. De auteur vertelt onder andere dat Jodocus Bernardus Ferreus (Johannus Ferrarius) hem namens Melanchton had gevraagd wat te vertellen over Agricola. Ook spreekt Gosewijn Melanchton aan als zijn vriend, en vertelt hij hoe hij aan de gegeven informatie is gekomen, namelijk het meeste via Willem Frederiks, de toenmalige hoofdpastoor van de Martinikerk in Groningen, en vriend van Gosewijn.60 Ook lezen we in de De Rodolphi Agricola dat de auteur persoonlijk heeft gesproken met Maarten van Dorp, de conservatieve theoloog in Leuven die Erasmus fel aanviel over zijn Lof der Zotheid. Deze verwijzing naar een gesprek met Maarten van Dorp maakt, op basis van informatie uit een brief van Erasmus van april 1518, een datering van de De Rodolphi Agricola na april 1518 waarschijnlijk.61 Deze relevante brieven zullen later worden besproken. Eerst moet echter een andere tekst besproken worden, die ook van de hand van Gosewijn zou kunnen zijn. Dit is een levensbeschrijving van Wessel Gansfort, De Wesselo Groningensi, die samen met de hierboven besproken De Rodolphi Agricola door J. B. Kan werd gevonden in één handschrift in Wenen.62 Zoals gezegd doet Kan geen uitspraken over de mogelijke auteur(s) van deze stukken. Van Rhijn stelt in 1917 dat het voor de hand ligt ook dit stuk aan Gosewijn toe te schrijven. 63 Anderen hebben deze opvatting gevolgd.64In 2002 betoogt J. van 59 H. E. J. M. van der Velden, Rodolphus Agricola, Leiden 1911, p. 15. 60 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 70. 61 Uit een brief van Erasmus weten we ook van een ontmoeting tussen Gosewijn en Maarten
van Dorp. Mocht dit slaan op dezelfde ontmoeting als die waarnaar verwezen wordt in deze tekst, dan kunnen we de datering van deze levensbeschrijving van Agricola bijstellen, en weten we dat deze in ieder geval na april 1518, en voor 1530 moet worden geplaatst. 62 Kan, Nieuwe levensberichten, p. 66–69. 63 Maarten Van Rhijn, Wessel Gansfort, Den Haag 1917, p. iv–vi. 64 Zie o. a.: Marijke Carasso-Kok, Repertorium van verhalende historische bronnen uit de Middeleeuwen, Den Haag 1981, p. 291 en www.narrative-sources.be S. v. Goswinus Halensis.
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Moolenbroek echter in een voetnoot dat De Wesselo Groningensi niet van de hand van Gosewijn kan zijn.65 Hij meent dit te kunnen stellen omdat Gosewijn in 1528 in zijn brief aan Hardenberg zou stellen dat hij Henricus Rees nooit had beluisterd, terwijl in De Wesselo Groningensi de schrijver wél zegt dat zij gewoon waren in Aduard naar deze abt te luisteren. Deze argumentatie wordt dus gebouwd op een verschil tussen deze twee teksten, die ongeveer 30 jaar na elkaar worden geschreven.66 Hier valt het een en ander tegen in te brengen. Ten eerste wordt in De Wesselo Groningensi niet letterlijk gezegd dat de schrijver wel persoonlijk naar een toespraak van Henricus Rees zou hebben geluisterd, maar wordt gesteld dat de lieden in Aduard –de schrijver zegt wij– gewoon waren in Aduard te komen om eerst de geleerde abt Henricus te horen. Hierna wijdt de schrijver direct uit over het echte onderwerp van de tekst: de Groninger Wessel. Ten tweede wordt in de brief van Gosewinus uit 1528 niet gezegd dat hij nooit naar Henricus zou hebben geluisterd. Er wordt de lof gezongen op Henricus, die volgens Gosewijn nooit genoeg geëerd werd, waarna Gosewijn zijn voorganger Johannes Oudkerk aanhaalt die meerdere malen had gezegd dat het spreken van Henricus was doorademd met geleerdheid en de zoetheid van de Heilige Geest.67 De redenering van Moolenbroek is dus niet waterdicht en lijkt nogal gezocht, op basis van uitspraken in de beide teksten die op meerdere wijzen kunnen worden geïnterpreteerd. Het is mijns inziens een wankele constructie om te betogen dat de schrijver van de eerste tekst wel persoonlijk en de tweede niet naar Henricus zou hebben geluisterd, en dus niet dezelfde persoon zou kunnen zijn. Hierbij moet tevens worden bedacht dat Gosewijn in zijn brief uit 1528 schrijft over een periode van ongeveer veertig jaar tevoren. Zijn opmerkingen over het klooster Aduard destijds zijn niet meer dan een loftuiting op wat er in Aduard gebeurde, in plaats van een letterlijk verslag van wie hij allemaal persoonlijk heeft horen spreken. Deze feiten, gecombineerd met verschil van ongeveer dertig jaar tussen de beide teksten, maken de redenering van Moolenbroek niet overtuigend, zodat hij het niet aannemelijk heeft gemaakt dat Gosewijn niet de auteur zou kunnen zijn. In tegendeel, er zijn meerdere argumenten die een auteurschap van Gosewijn ondersteunen. Allereerst is daar het samengaan met de andere tekst, De Rodolphi Agricola, die zeker aan Gosewijn moet worden toegeschreven. Het is goed denkbaar dat Gosewijn zowel een levensbeschrijving van Agricola als van zijn oude patroon Wessel Gansfort zou schrijven, mannen die hij allebei van dichtbij had 65 Jaap van Moolenbroek, Een bijzondere gastdocent. Wessel Gansfort in het Groningse
klooster Aduard, in: Kunstlicht 23 (2002), p. 27–32.
66 Datering van De Wesselo Groningensi op ca. 1500, volgens: Van Rhijn, Wessel Gansfort,
p. vi.
67 Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 14.
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meegemaakt, en dat deze verhalen bij elkaar zouden blijven en gebundeld worden in één handschrift. Daarnaast is er de overeenkomst in de beschrijving van de bezoekers van het klooster in Aduard. In De Wesselo Groningensi worden Rudolf Lange uit Münster, Alexander Hegius en Paulus Palatinus genoemd. Deze drie komen ook voor in de beschrijving die Gosewijn geeft in zijn brief aan Hardenberg uit 1528. Wat echter nog opvallender is, is dat zij in deze brief ook alle drie na elkaar genoemd worden, te midden van een groep van ongeveer 15 anderen. Het zou kunnen zijn dat in zijn perceptie deze drie op een of andere manier aan elkaar worden gelinkt, dat ze voor de auteur bij elkaar horen, waardoor hij bij het noemen van de een ook direct de anderen voor de geest krijgt en opschrijft. Deze manier van redeneren blijft echter speculatief, en is niet hard te maken. Wat echter opmerkelijk blijft, is de opvallende overeenkomst tussen de personen die worden genoemd in beide stukken. Wat tenslotte opvalt is dat de auteur van de tekst spreekt over een gemeen schappelijke stad. Hij noemt Wessel Gansfort een man uit onze stad: Wesselum nostrum municipem … en Johannes Canter wordt omschreven als het schitterend sieraad van onze stad: Joannes Canter, insigne nostrae civitatis ornamentum …68 Deze Johannes Canter kwam uit een geleerde aristocratenfamilie uit de stad Groningen, en had zelf aan vier verschillende universiteiten gestudeerd. Zijn zoon Jacobus Canter werd een beroemd dichter. 69 Het noemen van deze twee grote Groningers als mensen uit ‚onze stad‘ wijst erop dat de auteur zelf ook iemand uit de stad Groningen is. Dit gegeven, gecombineerd met de datering van ca. 1500 beperkt het aantal mogelijke auteurs verder, en maakt het nog aannemelijker dat Gosewijn ook de auteur moet zijn geweest van dit tweede document, De Wesselo Groningensi. Het document is echter niet in zijn geheel overgeleverd, waardoor de tekst abrupt ophoudt. Hierdoor is de tekst ook minder groot in omvang dan De Rodolphi Agricola, en kunnen we uit deze tekst minder leren over de auteur. Wel kunnen we op basis van dit fragment meer te weten komen over het woordgebruik en de intellectuele bagage van de auteur. Al met al zijn er dus vijf verschillende schriftelijke bronnen die met wisselende zekerheid aan Gosewijn kunnen worden toegeschreven: de drie brieven aan Hardenberg, en de levensbeschrijvingen De Rodolphi Agricola en De Wesselo Groningensi. Verder is het zeker dat hij nog meer brieven aan Hardenberg heeft geschreven, en op zijn minst nog een aan Philippus Melanchthon. Hardenberg laat er geen onduidelijkheid over bestaan dat Gosewijn nog vele andere werken heeft nagelaten. Na de brieven die hij van hem heeft afgeschreven, vertelt hij dat Gosewijn vele geschriften aan het nageslacht naliet, en aan hemzelf 68 Van Rhijn, Wessel Gansfort, p. v–vi. 69 B. Ebels-Hoving, Jacobus Canter. Dialogus de solitudine, München 1981, p. 19.
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enkele dialogen vol van vroomheid en geleerdheid: Multa enim scripta sua ad posteros reliquit, et aliquot dialogos, plenos pietatis et doctrina, ad me.70 Er is verder geen enkele aanwijzing waar deze bronnen gebleven zijn. Het zou echter kunnen zijn dat hierin de ‚valse broeders‘ die Hardenberg noemt een rol hebben gespeeld. Hardenberg spreekt namelijk van de afgunst van valse broeders, die er voor heeft gezorgd dat Gosewijn niet de grootste bekendheid heeft gekregen: Deinde, ut testimonium quoque exstet optimi et sanctissimi viri Domini Gosuuini, cujus quod non omnium celebratissimum ut nomen, invidia fecu falsorum fratrum.71 Akkerman en Santing stellen dat Hardenberg met deze ‚valse broeders‘ waarschijnlijk ‚de katholieken‘ aanduidt.72 Hoewel de term ‚katholieken‘ in deze tijd geen verhelderende benaming is, omdat iedereen in principe nog tot dezelfde katholieke kerk behoorde, is wel duidelijk welke ‚broeders‘ hiermee worden bedoeld. Het gaat om diegenen die in hun opvattingen dichter bij de Roomse moederkerk stonden dan Gosewijn en anderen met minder orthodoxe opvattingen. Het is goed mogelijk dat met deze ‚valse broeders‘ fanatieke Dominicanen waren bedoeld, die in deze tijd meerdere humanistische geleerden lastig vielen en zwart maakten. Ook de rector van het Zwolse fraterhuis, Gerardus Listrius, schreef over dit fenomeen in zijn brief aan Gosewijn, en vertelde dat hij in een kwaad daglicht wordt gesteld door deze Dominicanen.73 Het bestaan van extra bronnen van de hand van Gosewijn blijft echter speculatief. Ook in het onderzoek naar Albertus Hardenberg zijn geen documenten in diens bezit gevonden die van Gosewijn zouden kunnen komen. Het zou een geweldige impuls voor het onderzoek betekenen wanneer er nog eens een dergelijke dialoog boven water komt, die een nieuw licht kan werpen op het leven en werk van deze fascinerende Groninger Broederhumanist.
Bronnen met betrekking tot Gosewijn Naast de schriftelijke nalatenschap van Gosewijn zelf komt hij ook voor in andere bronnen, waardoor we een completer beeld van zijn leven en zijn contacten kunnen krijgen. Allereerst zijn er drie brieven van de grote humanist Erasmus waarin zijn naam wordt genoemd. Deze brieven zijn gedateerd op 26 en 29 april 1518, en 30 april 1521. In de tweede brief spreekt Erasmus op een lovende manier over Gosewijn, en laat hij de groeten overbrengen aan de beste en vriendelijke vader Goze70 71 72 73
Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 16. Gansfort/Von Tratzberg, Wesseli Gansfortii Groningensis, p. 16. Akkerman/Santing, Rudolf Agricola en de Aduarder academie, p. 27. Van Rhijn, Goswinus van Halen, p. 15.
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wijn.74 In de derde brief spreekt hij over Gosewijn als een allervriendelijkst en een hoogstaand man.75 We kunnen uit deze brieven afleiden dat Eramus Gosewijn meerdere keren heeft ontmoet, en uit zijn woorden blijkt een hoge achting voor deze rector uit Groningen. De toespraak van de grote Duitse theoloog Philippus Melanchthon is al meerdere keren kort genoemd. In zijn Oratio de vita Rodolphi Agricola noemt hij, tot drie keer toe, Gosewijn van Halen als zijn bron.76 Hij omschrijft de Groninger hier als pietate et gravitate excellentem, ‚uitmuntend in vroomheid en ernst‘. Verder vertelt Melanchthon over de inhoud van de gesprekken tussen Agricola en Gansfort, waar Gosewijn als jongen bij aanwezig is geweest en waarvan hij later een verslag heeft geschreven voor Melanchthon. Tot slot meldt hij dat Gosewijn door dit te schrijven de mening van die monniken verwerpt, die menen dat de mens door werken rechtvaardig voor God wordt. Als derde is er een groep documenten die ook betrekking hebben op Gosewijn, namelijk het werk van Gerardus Listrius, de rector van het broederhuis in Zwolle. Gosewijn wordt meerdere keren genoemd in de uitgave van Listrius‘ Commentarioli in Dialecticen, een commentaar bij het dialectische werk van de 13e eeuwse schrijver Petrus Hispanus. De verschillende uitgaven van dit werk bevatten diverse verwijzingen naar Gosewijn, maar het meest opvallend is een brief van Listrius aan Gosewijn, gedateerd op 13 februari 1520, die is afgedrukt aan het eind van de Commentarioli.77 In deze brief vertelt Listrius over de Dominicanen in Zwolle die hem gehaat maken bij de andere monniken, en het gerucht verspreiden dat hij alle monniken zou haten. In deze brief laat Listrius zich behoorlijk persoonlijk uit over zijn leven en problemen, en vertelt hij hoe hij omgaat met deze laster. Van Rhijn heeft deze brief geïnterpreteerd als dat ‚Goswinus en Listrius zich openhartig tegenover elkander uitspraken.‘78 Hij lijkt hier echter voorbij te gaan aan het feit dat de brief van Listrius werd gepubliceerd in een algemeen handboek. Het lijkt niet heel waarschijnlijk dat Listrius zijn meest persoonlijke zielenroerselen openbaart in een soort open brief, die iedereen kan lezen die zijn werk weet te bemachtigen. Het is zeer aannemelijk dat Listrius zelf verantwoordelijk was voor de plaatsing van deze brief, en niet de drukker Simon Corver. De twee werkten nauw samen, en Corver stelt dat alles wat uit zijn drukkerij komt door Listrius is beke-
74 M. J. Steens, De correspondentie van Erasmus 5, Rotterdam 2008, p. 321. 75 Ton Osinga, Tineke ter Meer, De correspondentie van Erasmus 8, Rotterdam 2011,
p. 218.
76 C. G. Bretschneider (ed.), Corpus Reformatorum XI, kol. 438–446, kol. 444. 77 Exemplaar in Den Haag: KB (227 E 56) Q6r; bespreking van deze tekst: H. C. Rogge,
Gerardus Listrius, in: Archief voor Nederlandsche kerkgeschiedenis 7.2(1898), p. 207–220, p. 216. 78 Van Rhijn, Goswinus van Halen, p. 15.
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ken.79 Daarom moet de vraag worden gesteld waarom Listrius er voor koos om in dít werk zijn brief aan Gosewijn te publiceren. Wat had Listrius voor ogen met het noemen van de naam Gosewijn en het publiceren van zijn brief aan hem? Wat had dit voor effect en uitwerking op de mogelijke lezers van zijn Commentarioli? Een mogelijk verklaring is dat Listrius er van uit ging dat het noemen van de naam Gosewijn, en het tonen van zijn persoonlijke contact met deze rector uit Groningen, een gunstig effect zou kunnen hebben op zijn eigen belaagde positie. De reden waarom hij juist in dit werk zijn brief liet afdrukken, en bijvoorbeeld niet in zijn Epistola theologica, moet worden gezocht in het studiegerichte karakter van zijn Commentarioli. Listrius schreef het werk als een studiehandboek voor de jeugd.80 Het lijkt erop dat het voor hem een voor de hand liggende keuze was om in een dergelijke boek, dat primair was bedoeld voor het onderwijs, de naam van de rector van het broederhuis in Groningen te noemen. Het is op zijn minst opmerkelijk dat hij kiest voor Gosewijn, en niet voor een andere grootheid op onderwijsgebied. Dit lijkt te betekenen dat Gosewijn een bekende naam was op dit gebied, en voor Listrius de juiste man leek om zijn vernieuwende Commentarioli aan op te dragen.
De Lamentationes Petri Op een heel andere manier krijgen wij een beeld van Gosewijn door de plek die hij krijgt in de Lamentationes Petri. Dit is een satire in de vorm van een dialoog tussen enkele kerkvaders en bijbelse auteurs, die zich afvragen waarom toch niemand meer hun geschriften leest. Het werk werd in 1521 gedrukt door de Zwolse drukker Corver, en er zijn slechts enkele exemplaren van overgeleverd. De tekst van dit stuk is nooit in een latere editie uitgegeven, en is slechts toegankelijk in de collecties van de bibliotheken in Cambridge, Hamburg, Kopenhagen, Parijs, Zwickau en Wolfenbüttel.81 Voor dit onderzoek gebruikte ik een kopie van het exemplaar van Hamburg.82 De meest uitgebreide bespreking van deze tekst stamt nog steeds uit 1898, door de kerkhistoricus Otto Clemen.83 Het meest recent heeft F. Akkerman dit werk besproken in zijn artikel over de vroege Reformatie in Groningen, waarbij hij het
79 Jos Hermans, Zwolse boeken voor een markt zonder grenzen, Utrecht 2004, p. 98. 80 Rogge, Gerardus Listrius, p. 213. 81 Voor een bepsreking zie: Hermans, Zwolse boeken, p. 241. 82 Exemplaar in Hamburg: SUB (Scrin A/520; olim: OA IX, 776 I). 83 Otto Clemen, Die Lamentationes Petri, in: Zeitschrift fur Kirchengeschichte 19 (1898),
p. 431–448.
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werk in navolging van eerdere auteurs dateert tussen 16 januari en 23 september 1521.84 Het stuk is geschreven onder de pseudoniem van de bijbelse schrijver Ezra. In het artikel van Clemen worden meerdere suggesties aangedragen voor het auteurschap van dit werk, dat vanaf de eerste druk op de index van de katholieke kerk stond. Hier worden onder andere Erasmus en Gerardus Listrius genoemd als mogelijke auteurs.85 Akkerman betoogt echter overtuigend dat de eerder genoemde Nicolaus Lesdorpius, de rector van de St. Maartensschool in Groningen in het begin van de 16e eeuw, de auteur van deze tekst moet zijn.86 De auteur van de tekst laat blijken erg goed op de hoogte te zijn van de intellectuele elite in Groningen en noemt enkele Groningse grootheden bij naam. Ook is het werk opgedragen aan Willem Frederiks, de hoofdpastoor van de Groningse Martinikerk. In de Dedicatio waarin de tekst aan hem wordt opgedragen, wordt deze Willem Frederiks de hemel in geprezen, en wordt hij zelfs vergeleken met de kerkvader Augustinus. Hierna wijdt de auteur echter uit over een andere persoon, een geleerde nakomeling binnen de gemeenschap van Frederiks, een zeer integer man, en de eerste van het gebouw van de broeders: Habes quoque in tuo municipio aeruditam sobolem te patre dignissimam. Habes virum integerrimun Fratriciarum aedium primatem …87 Dit moet wel de rector van het broederhuis zijn, ten tijde van het schrijven van deze tekst, dus anno 1521. De persoon die hier bedoeld wordt is dus Gosewijn van Halen. Als de persoon naast Willem Frederiks wordt er ook de lof gezongen op deze ‚geleerde nakomeling‘ (aeruditam sobolem). Hij wordt beschreven als een geleerd man (eruditum), meer opvallend door zijn geleerdheid dan iedereen van een meer gestudeerde soort: … virum omni doctrinarum genere insigniter eruditum …88 Vervolgens heeft de auteur nog een hele rij aan loftuitingen voor Gosewijn, en noemt hij hem vroom (pius), bescheiden (modestus), oprecht of schitterend (candidus), ernstig (gravem) en onderscheiden van de rest (discretum). Tenslotte meldt de schrijver van de Lamentationes dat hij zijn taak als rector voortreffelijk uitvoert: Denique quicquid praelationis munus praeclarum exigit … Willem Frederiks mag volgens de schrijver wel blij zijn met deze man, die de beste is die hem terzijde staat: … si quis apud te vir est optimus, is est, quem morum honestat integritas, decorat autem sacerdotium. Na al deze ondubbelzinnige loftuitingen op de persoon van Gosewijn, komt er echter een minder makkelijk te begrijpen omschrijving van de rector van het 84 Akkerman, The early reformation in Groningen, p. 12–14. 85 Clemen, Die Lamentationes Petri, p. 434. 86 Akkerman, The early reformation in Groningen, p. 14. 87 Exemplaar van de druk in Hamburg: Lamentationes Petri, 23r. 88 Ibidem.
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broederhuis. Nadat Frederiks is vergeleken met de grote Augustinus, wordt Gosewijn vergeleken met de Gregorius aan zijn zijde: Quem quaeso is referet tibi alium, nisi diuum magnumque pontificem Gregorium. Deze vergelijking van de rector van het broederhuis met de kerkvader en paus Gregorius de Grote (540–604) roept veel vragen op. Er zijn namelijk geen andere voorbeelden bekend van een dergelijke vergelijking, het is geen bekende stijlfiguur. De schrijver van de Lamentationes zal echter niet willekeurig de persoon van Gregorius de Grote hebben uitgekozen om de plek van Gosewijn binnen Groningen en zijn relatie tot Willem Frederiks te beschrijven. Het is bekend dat Gregorius de Grote in deze periode, en zeker binnen de kringen van de Devoten, zeer geliefd was. Zo was hij de patroonheilige van de Broederhuizen in Den Bosch, Doesburg en Harderwijk. Het Broederhuis in Groningen had echter Hieronymus tot patroon gekozen.89 Als er wordt gekeken naar de onderlinge verschillen tussen Gregorius en de andere meest bekende kerkvaders, valt Gregorius op als een organisator, een praktisch man in tegenstelling tot de meer filosofische Augustinus en de meer op studie gerichte Hieronymus. Gregorius is de paus die zelfstandig Rome verdedigde tegen de invallen van de Langobarden.90 Ook zijn werk wordt beschreven als meer praktisch van aard, met zijn Dialogen als het meest bekende voorbeeld. Wat echter het meest opvalt aan de prestaties van paus Gregorius de Grote, is dat hij wordt omschreven als een brug tussen de klassieke en de Middeleeuwse wereld.91 Gregorius werd gezien als de doorgever van de christelijke levensstijl naar de Middeleeuwen, en hij was een autoriteit op het gebied van morele, ascetische en mystieke theologie.92 Het trekken van een vergelijking tussen Gosewijn en Gregorius door de schrijver van de Lamentationes, zou kunnen betekenen dat de auteur het morele niveau van Gosewijn wil prijzen, door het op een lijn te stellen met de prestaties van Gregorius. Om Gosewijn net als Gregorius te omschrijven als een brug tussen de klassieke en de moderne wereld van de schrijver gaat wel wat ver, maar het zou kunnen zijn dat de schrijver ook deze overeenkomst heeft gezien in Gosewijn, die zich zowel met klassieke Griekse en Latijnse auteurs bezighield, als met het werk van moderne humanisten. Verder is Gregorius, die direct na zijn dood heilig werd verklaard, de patroonheilige van de muzikanten, zangers, studenten en leraren. Ook deze verbintenis met studenten en leraren zou van toepassing kunnen zijn op het werk van Gosewijn in Groningen, als rector van het broederhuis. 89 Post, The Modern Devotion, p. 371. 90 A. C. Rush/K. Hester, Gregory (the great) I, St. Pope, in: B. L. Marthaler et al., The new
catholic encyclopedia Bd. 6, Detroit 2003, p. 478–484.
91 Rush/Hester, Gregory, p. 483. 92 Ibidem.
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Tenslotte is er nog een laatste overeenkomst denkbaar, waar echter geen bewijs voor is te vinden in de bronnen, behalve de eerder geciteerde opmerking van Hardenberg over de dialogen die Gosewijn aan hem zou hebben nagelaten.93 Het zou kunnen zijn dat de auteur van de Lamentationes met zijn vergelijking ook doelde op de overeenkomst tussen de Dialogen die Gregorius heeft nagelaten, en deze dialogen die Gosewijn zou hebben geschreven. Dit is echter op geen enkele manier hard te maken, en blijft vooralsnog wishful thinking. Na de vergelijking in de Lamentationes tussen Gosewijn en Gregorius wordt ook nog de lof gezongen op de roem van het broederhuis, en de geleerdheid die hier aanwezig is: Habet quoque ille domesticum fratrum collegium, plane neque impium, neque ineruditum.94 Tot slot wordt in het voorwoord van de Lamentationes een opmerking gemaakt over de bekendheid van Gosewijn. De auteur stelt dat Gosewijn onbekend is onder de onwetenden, maar dat hij nu eindelijk eens op een niet bescheiden manier is verhoogd, om de reinheid van zijn broeders en zijn uitblinkende geleerdheid: Ille uir ignotus ab ignotissimis non modicis praeconiis dudum euectus est, tum ob suam, tum fratrum suorum summam castimoniam, supraemam eruditionem.95 Al met al wordt in de Lamentationes Petri een uitgesproken positief beeld geschetst van Gosewijn van Halen en zijn broederhuis. De auteur van de tekst heeft niets dan lovende woorden voor hem over, en prijst hem om zijn karakter, zijn integriteit en zijn geleerdheid. Het is opvallend dat aan het eind van zijn woorden over Gosewijn de auteur opmerkt dat Gosewijn eigenlijk onterecht zo onbekend blijft, en dat hij nu eindelijk eens verheven is. Uiteraard is dit allereerst een stilistische topos in de lofprijs op Gosewijn, maar tegelijkertijd komt het sterk overeen met het beeld dat Albertus Hardenberg in zijn werk van Gosewijn schetste: een geleerd man, die lang niet zo bekend is als hij eigenlijk verdient.96 Zo ontstaat uit de bronnen over Gosewijn het beeld van iemand die tijdens zijn leven binnen bepaalde kringen een zeer goede naam heeft verworven, en binnen zijn netwerk van relaties werd herkend om zijn prestaties en geroemd om 93 94 95 96
Zie noot 71. Lamentationes Petri, 23r. Lamentationes Petri, 23r. Om de Lamentationes Petri beter te kunnen doorgronden, is het hard nodig dat iemand zich wijdt aan de hele tekst van dit bijzondere document. Binnen het kader van dit onderzoek ging het te ver om de hele tekst te behandelen, welke ongeveer 70 pagina’s beslaat. Daarom heb ik er voor dit onderzoek voor gekozen alleen die elementen uit te lichten die direct betrekking hebben op Gosewijn. Voor het verder kunnen begrijpen van de opvattingen van de intellectuele elite in Groningen aan het begin van de 16e eeuw, zou het echter een grote winst zijn wanneer deze tekst in zijn geheel zou worden uitgegeven of zelfs vertaald.
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zijn geleerdheid. In het algemeen heeft hij echter buiten deze wereld van humanistische en devotionele contacten geen grote naam gemaakt.
Conlusies Wanneer we samenvattend het werk dat Gosewijn zelf heeft achtergelaten combineren met het beeld dat naar voren komt uit verschillende andere bronnen, wordt duidelijk dat Gosewijn van Halen meer was dan een doorsnee schoolmeester in Groningen. Niet alleen werd hij door zijn tijdgenoten geroemd om zijn vroomheid en zijn uitstekende functioneren als rector van het fraterhuis, maar ook presenteert hij zichzelf als goed ingevoerd in de recente humanistische geschriften van bijvoorbeeld Pico della Mirandola. Daarnaast heeft Gosewijn tijdens zijn leven de invloed ondergaan van bekende humanisten als Rudolf Agricola en Alexander Hegius. Ook onderhield hij een uitgebreid netwerk van contacten met daarin onder andere de grote Erasmus. In dit alles leren wij Gosewijn kennen als iemand die zowel actief was binnen de kringen van de Moderne Devotie als ook zich tegelijkertijd bezighield met de nieuwe humanistische ontwikkelingen en geleerdheid. Het leverde voor hem geen problemen op om deze twee invloeden binnen zijn leven te combineren, en in die zin functioneerde hij uitstekend in de maatschappij waarin hij leefde. En wellicht is dit de belangrijkste reden waarom Gosewijn niet meer naamsbekendheid heeft verworven. Hij valt niet op als een van de personen die botsten met de maatschappij waarin hij leefde, maar hij functioneerde juist moeiteloos temidden van allerlei verschillende ontwikkelingen. Juist om deze reden is hij het waard te worden bestudeerd, en de persoon die door zijn tijdgenoten veelvuldig werd geprezen te herkennen als typerend voor de wereld waarin hij leefde.
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Sind Fraterherren Marginalexistenzen im kulturpsychologischen Transformationsprozess zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit? Victor Wanka
Betrachtet man die Thematik aus der Perspektive ihrer beiden Aspekte, so prallen Kontraste aufeinander, wie sie deutlicher kaum sein können. Warum aber sollten die Fraterherren der Devotio moderna als Außenseiter der Renaissanceepoche gelten? Die hier im Zentrum stehende Frage gewinnt besondere Bedeutung, zumal die Bewegung im nordwesteuropäischen Raum und insbesondere in niederrheinischen Städten über einen Zeitraum von etwa 150 bis 200 Jahren eine so weitreichende Wirksamkeit entfaltete.1 Mit Kommunitäten in Polen2 und in der Schweiz3 gewann die Erneuerungsbewegung sogar supraregionale Bedeutung4. Die Leitfrage gewinnt insbesondere deswegen Relevanz, weil die Bewegung gerade von breiten laikalen Kreisen stark rezipiert wurde. Dies entsprach zentral den programmatischen Intentionen ihres Initiators.5 Denn der aus dem nie-
1 Georgette Epiney-Burgard, Die Wege der Bildung in der Devotio Moderna, in: Hart-
mut Boockmann/Bernd Moeller/Karl Stackmann (Hrsg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse, Dritte Folge 179), Göttingen 1989, S. 182; Emile Gemmeke, Die geistliche Bedeutung der Devotio moderna heute, in: 550 Jahre St. Martini. Eine Gründung der Fraterherren in Wesel, (Weseler Museumsschriften, 12), Köln/Bonn 1986, S. 15. 2 Marek Derwich, Les ordres religieux et le développement de la „nouvelle piété“ en Polo gne, in: Marek Derwich/Martial Staub (Hrsg.), Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spätmittelalter, (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 205), Göttingen 2004, S. 171–185. 3 Martina Klug, Vader ende moder ende alle ydelheit der werlt te verlaten. Schwestern der Devotio moderna im Spannungsfeld von Weltentsagung und Stadtöffentlichkeit, in: Uwe Ludwig/Thomas Schilp (Hrsg.), Mittelalter an Rhein und Maas. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, (FS Dieter Geuenich zum 60. Geburtstag), (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 8), Münster/New York/München 2004, S. 161. 4 Gemmeke, Bedeutung (wie Anm. 1), S. 15. 5 Martina Klug, Arbeit und Armut in der Devotio moderna. Studien zum Leben der Schwestern in niederrheinischen Gemeinschaften, (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 15), Münster/New York/München 2005, S. 8.
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derländischen Deventer stammende Geert Groote6 wollte vor allem Laien ein religiöses Leben in Gemeinschaft ermöglichen. Getragen wurde dieser Impetus besonders durch eine intensive Tätigkeit als Wanderprediger7. Beauftragt vom Utrechter Bischof Florens von Wewelinghoven, führte ihn diese Praxis ausgehend von seiner Heimatstadt in der Ijsselgegend unter anderem nach Zwolle, Kampen und Zutphen.8 Thomas von Kempen zufolge waren seine Predigten stets auf Fasten, Bekehrung, Mahnung vor dem Jüngsten Gericht sowie die daraus resultierende Forderung nach einem tugendhaften Leben ausgerichtet.9 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche Kontraste mit Renaissance und der von Groote postulierten vita religiosa aufeinander treffen. Was hier in Rede steht, hatte der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt in seinem Buch „Die Kultur der Renaissance in Italien“ thematisiert: „Frei von zahllosen Schranken, individuell hoch entwickelt […] wendet sich der italienische Geist auf die Entdeckung der äußeren Welt und wagt sich an deren Darstellung in Wort und Form. Man wird der Bewunderung inne, wie sie von allen Seiten her den Luxus adelt, wie sie […] das mächtige Buffet und die leichte Etagere mit herrlichen Gefäßen, die Mauern mit der beweglichen Pracht der Teppiche […] völlig in ihren Bereich zieht. Dante […] schildert [in seinen Naturbetrachtungen] nicht nur […] die Morgenlüfte mit dem fernzitternden Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde u. dgl., sondern er besteigt die hohen Berge in der Absicht, den Fernblick zu genießen. [Kurz, der Mensch hat Sinn für alles]. Nicht bloß die Schönheit der Landschaft […] reizt ihn zur Darstellung, sondern jeder lebendige Vorgang.“10
Vor dem Hintergrund der somit skizzierten Situation wird deutlich, welche Herausforderung die Devotenbewegung zu bewältigen hatte. Dies gilt gerade hinsichtlich ihrer Zielperspektive, wollte sie doch – und anders ist ihr enormer Erfolg wohl kaum zu erklären – den Menschen fundierte Orientierungsmuster wirklich tragfähiger Lebensgestaltung bieten. Besonders notwendig war dies in der durch vielfältige Wandlungen gekennzeichneten Renaissanceepoche.11 Was somit in 6 Wilhelm Janssen, Die Kirche am Niederrhein im Spätmittelalter. Vom 14. bis gegen die
Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Heinrich Janssen/Udo Grote (Hrsg.), Zwei Jahrtausende Geschichte der Kirche am Niederrhein, Münster 1998, S. 113. 7 Georg Schwaiger/Manfred Heim, Orden und Klöster. Das christliche Mönchtum in der Geschichte, München 2002, S. 59. 8 Anton Weiler, Geert Grote und seine Stiftungen, Bonn 1984, S. 16. 9 Thomas von Kempen, Das Leben Meister Gerhards. Übers. und eingel. von Herbert Rüffel, Freiburg 1939, S. 34. 10 Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, (Bibliothek der Geschichte und Politik, 4), Frankfurt am Main 1989, S. 280, S. 294, S. 346, S. 369. 11 Zur Renaissance in Deutschland siehe: Hans Rupprich (Hrsg.), Die Frühzeit des Humanismus und der Renaissance in Deutschland. Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Hrsg. Heinz Kindermann in
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Rede steht, betrifft also nicht nur die in der Forschungsliteratur12 vielfach thematisierten und bereits von Geert Groote im Kontext seiner Predigten kritisierten innerkirchlichen Missstände13. Bekanntlich waren diese vielfach initiatorischer Impuls nicht nur der Devotio moderna, sondern zahlreicher weiterer Reformbewegungen. Zu erwähnen sind hier etwa Beginen und Begarden14 sowie die im Hochmittelalter geschichtswirksam gewordenen Kommunitäten franziskanischer und dominikanischer Prägung. Letztgenannte monastische Gemeinschaften agieren zwar mit ihrer Zentralintention der Ketzerbekämpfung15 vor diametral gewandeltem historischem Hintergrund, dennoch können sie mit ihrem Impetus religiöser Reform und insofern „Rückkehr […] zum Geist des Evangeliums“16 mit der Devotenbewegung verglichen werden, da sie ebenfalls auf kirchliche Fehlentwicklungen reagieren. Für die hier relevante Epoche der Frühen Neuzeit, die im heutigen kulturellen Gedächtnis mit der Reformationszeit ihren Anfang genommen hat, lässt sich jedoch den Ausführungen Heinz Fingers zufolge zumindest im Rheinland ein modifiziertes Bild dieser Situation erkennen. Der Bildungsstand rheinländischer Priester war aufgrund guter Lateinschulen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts höher als noch im 15. Jahrhundert. Zudem waren Seelsorger oftmals gebildeter als Laien. In finanzieller Hinsicht dominierte vielerorts eher Armut als Habsucht und Reichtum der Kleriker. Die Anzahl der Konkubinarier, verheirateter Priester also, wird am Niederrhein vielfach zu hoch eingeschätzt.17 Zeigt sich insofern auch eine insgesamt positivere religiös-klerikale Situation am Niederrhein, so stellt sich dennoch die Frage nach der spezifischen Qualität des Erfolgsmodells „Devotio moderna“. Diese basierte nicht nur auf der durch Gemeinschaft mit Dietrich Kralik, (Reihe Humanismus und Renaissance, 1), Darmstadt 1964, bes. S. 6 f. 12 Luise Schorn-Schütte, Die Reformation. Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung, 3. Aufl., München 2003, S. 14–16; Ruggiero Romano/Alberto Tenenti (Hrsg.), Die Grundlegung der modernen Welt. Spätmittelalter, Renaissance, Reformation. (Fischer Weltgeschichte, 12), Frankfurt a.M 1982, siehe das Kapitel „Die Mißstände der alten Kirche“, bes. S. 229 f. 13 Hans-Georg Beck/Karl August Fink/Josef Glazik, Die mittelalterliche Kirche, (Handbuch der Kirchengeschichte, Zweiter Halbband, Vom kirchlichen Hochmittelalter bis zum Vorabend der Reformation, 3), Freiburg 1968, S. 522. 14 Georg Schwaiger (Hrsg.), Begarden, in: Mönchtum, Orden, Klöster. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 82. Georg Schwaiger (Hrsg.), Beginen, in: Mönchtum, Orden, Klöster. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 82–84. 15 Christoph Auffahrt, Die Ketzer. Katharer, Waldenser und andere religiöse Bewegungen, München 2005, S. 97. Zum päpstlichen Auftrag der Ketzerbekämpfung durch die Franziskaner siehe: Helmut Feld, Franziskus von Assisi, München 2001, S. 33. 16 Maximilian Forschner, Thomas von Aquin, München 2006, S. 32. 17 Heinz Finger, Reformation und Katholische Reform im Rheinland. Begleitheft zur Ausstellung der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, (Schriften der Universitätsund Landesbibliothek Düsseldorf), Düsseldorf 1996, S. 11.
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Gelübdelosigkeit gegebenen, oben bereits erwähnten laikalen Prägung der Fraterund Schwesternhäuser18, wie dies für semireligiose Gemeinschaften charakteristisch ist. Ein weiterer in diesem Zusammenhang relevanter Aspekt führt zugleich ins Zentrum der hier zu traktierenden Thematik. Wodurch gewinnt die Devotio moderna das Gepräge eines integralen Faktors der Renaissanceepoche? Diese Frage erlangt umso größere Bedeutung, als Religion – zumindest aus der Perspektive ihrer transzendentalen Ausrichtung – den diesseitigen Intentionen dieser Kulturepoche prinzipiell entgegensteht. Will die Devotenbewegung den Menschen aber richtungweisende Orientierung bieten und sich – gerade aufgrund ihrer dadurch gegebenen Konzentration auf das Individuum – als maßgebliches Element des Renaissancezeitalters legitimieren, so muss die Bewegung auf zwei verschiedenen Feldern agieren. Einerseits ist sie gefordert, die traditionelle Religiosität – wie sie das Mittelalter dominierte – zu bewahren. Aufgrund dieser Ambition ist sie den Forschungen Elms zufolge kaum vorreformatorischen Tendenzen zuzuordnen.19 Andererseits jedoch muss sie besonders im Kontext ihres zentralen Wirkungsfeldes städtischen Gepräges, das zugleich Kristallisationskern der Renaissance ist, auf die diesseitsorientierten Ambitionen des Individuums reagieren. Insofern treffen mit Renaissance und Devotio moderna zwei verschiedene Wirklichkeitsbereiche aufeinander, die es seitens der Devoten zu harmonisieren gilt. Als besonders problematisch erweist sich in dieser Hinsicht gerade die für die Anfänge der Erneuerungsbewegung charakteristische Weltabgewandtheit.20 Dieser Topos lässt die Gemeinschaften nicht nur mit Zielsetzungen altmonastischer Kommunitäten vergleichbar erscheinen. Zugleich werden dadurch Parallelen zum ideologischen Kontext der deutsch-niederländisch-flämischen Mystik deutlich. Ihre prominentesten Vertreter findet diese spirituelle Strömung in Hugo von St. Viktor, Heinrich Seuse, Meister Eckhart und Jan van Ruysbroeck.21 In welchem Maße diese Exponenten für die Entwicklung der Bewegung von Bedeutung waren, verdeutlichen exemplarisch die Studien Grootes. Inspiriert durch sie erhielt
18 Jutta Prieur, Zur „devotio moderna“ am Niederrhein, in: Nordrhein-Westfälisches
Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Hrsg.), Kurköln, Land unter dem Krummstab. Essays und Dokumente, Kevelaer 1985, S. 215. 19 Kaspar Elm, Mittelalterliches Ordensleben in Westfalen und am Niederrhein, (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 27), Paderborn 1989, S. 228 f. 20 Finger, Reformation (wie Anm. 17), S. 19. 21 Erwin Iserloh, Thomas von Kempen und die Devotio Moderna, Bonn 1976, S. 7.
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er während seiner Hospitation im Kartäuserkloster22 Monikhuizen bei Arnheim die entscheidenden Impulse zu einem Leben religiöser Innerlichkeit.23 Mit diesem letztgenannten Aspekt aber zeigt sich das für Weltabgewandtheit in spirituellen Kontexten typische Ziel. In funktionaler Hinsicht soll das Individuum durch Weltflucht zu persönlicher Freiheit und Selbstfindung gelangen. Der Grundsatz Wenn du Seelenruhe genießen willst, so lass dich nicht auf zuviel Geschäftigkeit ein24 implizierte diese Zielsetzung bereits im Rahmen pythagoreischer Philosophie. Wenn dies umfassend befolgt wird, gelangt der Mensch zu jenem Maß an Sicherheit und Entscheidungsfreiheit, das es ermöglicht, grundlegende Entscheidungen zu treffen. In Grootes conversio findet das Bewusstsein davon seinen unmittelbaren Niederschlag. Rückzug aus der Welt hatte also gerade für die frühe Devotio moderna konstitutive Bedeutung. Einzig auf dieser Basis ist theozentrische Orientierung – so der Grundkonsens vieler spiritueller Strömungen – und damit eine gelungene vita religiosa möglich. Wie jedoch agiert die Devotenbewegung vor dem Hintergrund dieser teils monastischen Topoi als wirkmächtiges Element im urbanen Kontext gerade der Renaissance? Relevanz gewinnt dieser Problemkomplex in doppelter Hinsicht. Einerseits realisiert die Bewegung gegenüber den diesseitsbezogenen Ambitionen ein offenbar diametrales Existenzmodell. War jedoch andererseits die Stadt ihr Mittelpunkt25, der es dieser Bewegung ermöglichte, ein breites soziales Spektrum für ihre Zielsetzungen zu gewinnen, so musste sie entsprechende Kommunikationsformen entwickeln. Wichtig war dies vor allem, damit auch analphabetische Bevölkerungsschichten das religiöse Anliegen der Reformbewegung verinnerlichen konnten. So warben die Fraterherren nach dem Vorbild ihres Initiators durch regelmäßige, auf das praktische Leben ausgerichtete öffentliche Predigten bei Laien für ihre Lebensweise.26 Diese literarische Gattung religiöser Tradition fungierte 22 Nikolaus Staubach, Christianam sectam arripe. Devotio moderna und Humanismus
zwischen Zirkelbildung und gesellschaftlicher Integration, in: Klaus Garber/Heinz Wismann unter Mitwirkung von Winfried Siebers (Hrsg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, 1, Tübingen 1996, S. 118. 23 Iserloh, Thomas von Kempen (wie Anm. 21), S. 7. 24 DK frg. 3 II, S. 132. 25 Janssen, Kirche am Niederrhein (wie Anm. 6), S. 114; Meinhart Pohl, Die Herzöge von Kleve-Mark und die devoten Brüder- und Schwesterngemeinschaften in ihrem Territorium, in: Werner Arand (Hrsg.), 550 Jahre St. Martini. Eine Gründung der Fraterherren in Wesel, (Weseler Museumsschriften, 12), Köln/Bonn 1986, S. 29; Iserloh, Thomas von Kempen (wie Anm. 21), S. 10 f. 26 Jutta Prieur (Hrsg.), Geschichte der Stadt Wesel. Mit Beiträgen von Isabella Benninghoff-Lühl/Walter Stempel/Clemens von Looz-Corswarem, 2, Düsseldorf 1991, S. 59; Anton Weiler, Soziale und sozial-psychologische Aspekte der Devotio Moderna, in: Klaus
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als Form exegetischer Verkündigung und katechetischer Unterweisung. Relevant sind dazu allerdings nicht nur formale Voraussetzungen. Wenn die Bewegung tatsächlich als gesellschaftsprägendes Phänomen agieren wollte, musste gegenüber dem teils scharfen Rigorismus Groote’scher Predigten ihre inhaltliche Gestaltung verändert werden. Folgen wir an dieser Stelle den Ausführungen Alois Schröers über die Kollatio nen des Johannes Veghe, wie er sie in seiner Studie „Die Kirche in Westfalen vor der Reformation“ über den Münsteraner Fraterherrn dargelegt hat. Diese zeigen eine deutliche Wandlung: „Einseitige Weltfluchtstimmung ist [den Devoten] fremd. Veghe liebt die Natur. Er versteht es, seine [Zuhörer] durch eine anziehende Schilderung der Herrlichkeiten dieser Welt zu fesseln. Er schenkt dabei der Blume am Wegesrand die gleiche Aufmerksamkeit […] wie der brandenden See […].Veghe bejaht auch die bürgerliche Kleinwelt, in der seine Menschen leben. Mit Vorliebe entnimmt er seine Vergleiche dem Alltag der Handwerker, der Maurer und Zimmerleute, der Töpfer und Goldschmiede, der Weber. […] Er schöpft gern aus dem Volksschatz der Sprichwörter und Rechtsgebräuche. Seine Bilder zeugen von der unbeschwerten, frohen Weltoffenheit […]. Veghe führt, […] seine [Hörer], vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Natürlichen zum Übernatürlichen, vom Äußeren zum Inneren. In seiner Verkündigung kommt ein vorbehaltloses Ja zum Schöpfer, so auch zur Schöpfung an sich zum Ausdruck. Gewiß ist auch für ihn die Überwindung der Sünde das pastoraltheologische Hauptanliegen. Der Mensch, so sagt Veghe, ist zur Seligkeit erschaffen. Nur Gott, das höchste Gut, kann ihn wahrhaft ausfüllen. Die Sünde aber entfernt den Menschen von Gott,[…]. Dieses ausgeprägte Sündenbewußtsein teilt Veghe mit den Predigern seiner Zeit. […] bleibt jedoch nicht dabei stehen. Er will seine [Zuhörerschaft] zu einem frohen Glaubensbewußtsein führen.“27
Eindrucksvoll dokumentieren diese Schilderungen, wie deutlich Veghe zwischen Kloster und Welt zu lokalisieren ist. An der Person Veghes wird damit auch deutlich, und dies gilt zugleich für den gesamten laikal geprägten Bereich der Bewegung: Semireligiöse Existenz bedeutet nicht nur die Aufnahme von Laien, die ohne Profess den Gemeinschaften jeder Zeit beitreten oder sie verlassen konnten. Dieses Phänomen förderte ohne Zweifel nicht nur ihre enorme Attraktivität. Vielmehr war sie dadurch in hohem Maße offen für die geschilderten säkularen Tendenzen. Denn gerade die damit gegebene transparente Öffnung nach außen ermöglichte der Devotenbewegung ihre Integration in den sozio-kulturellen Schreiner unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner (Hrsg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge, (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20), München 1992, S. 192. 27 Alois Schröer, Die Kirche in Westfalen vor der Reformation. Verfassung und geistliche Kultur. Mißstände und Reformen, 1, 2. Aufl., Münster 1967, S. 270 f.
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Kontext der Renaissance, der das Individuum durch die vielfältigen Wandlungen in Wirtschaft, Handel und Kultur vor neue Herausforderungen stellte. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat sich in seinem Hauptwerk „Der Gotteskomplex“ grundlegend mit dieser Problematik auseinandergesetzt und kommt unter anderem zu der Überzeugung, der Mensch realisiere bereits im Mittelalter eine Reduktion der Schutzfunktion Gottes. Intendierte das Individuum jedoch aus kompensatorischen Erwägungen in Form seines daraus resultierenden erhöhten Anspruchs auf Wissen und Selbstbestimmung, dieses Sicherheitsgefühl durch eigene Leistung zurück zu gewinnen, so musste es den göttlichen Zorn befürchten.28 Wachsende Gehorsamsunsicherheit erzwang also einen Ausgleich durch egozentrische Selbstsicherung, die das Individuum der Renaissance durch neue rationale Quellen empirischen Wissens zu gewinnen suchte. Messen, Analysieren, Evaluieren sind die Methoden, mit denen der neue Typus des Naturwissenschaftlers nach dem Wesen des Faktischen sucht.29 Im Bewusstsein seiner neu realisierten Fähigkeiten gewinnt der Renaissancemensch ein neues Verhältnis zur Welt, die er jetzt als sein Eigentum begreift30, da er sie durch eigene Fähigkeiten gestalten kann. Sie erscheint ihm als kreativ zu gestaltender Raum für alles Nützliche, die Lebensumstände Erleichternde, als unerschöpfliches Operationsfeld für die Kräfte des individuellen Intellekts.31 Aber dieser, mit der Diesseitsbejahung als großartige Selbstbefreiung des Individuums gepriesene Schritt in die Neuzeit verdeckt nach Auffassung Richters tiefe mit der Gehorsamsunsicherheit verbundene unbewältigte Ängste.32 Deswegen ist die Neuzeit mit Heinz Schilling auch aus psychoanalytischer Sicht sehr treffend mit „Aufbruch und Krise“33 tituliert. Auf diese zeittypische Entwicklung reagierten die Devoten interessanterweise mit klassisch monastischen Topoi. Wichtig war ihnen einerseits ein von äußeren Aktivitäten distanziertes, nach innen gewendetes Leben in religiöser Gemeinschaft, das von Kontemplation und Gebet geprägt wurde. Orientiert am biblischen Ideal der Urkirche, strebten die Devoten nach Seelenheil und Sinnerfül28 Horst-Eberhard Richter, Der Gotteskomplex. Die Geburt und die Krise des Glaubens an
die Allmacht des Menschen, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 22 f.
29 Volker Reinhardt, Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur, München 2002,
S. 9 f.
30 August Buck, Der Begriff der Menschenwürde im Denken der Renaissance. Unter be-
sonderer Berücksichtigung von Giannozzo Manetti, in: Bodo Guthmüller/Karl Kohut/ Oskar Roth (Hrsg.), August Buck, Studien zu Humanismus und Renaissance. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1981–1990, (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, 11), Wiesbaden 1991, S. 323. 31 Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele. Von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, 1, 16. Aufl., München 2005, S. 234. 32 Richter, Gotteskomplex, (wie Anm. 28), S. 29. 33 Heinz Schilling, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648, Berlin 1998.
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lung.34 Maßgeblich dafür waren die im Rahmen ihres Sozialmodells intendierten Grundsätze einer conversio morum und correctio vitae. Vor diesem Hintergrund konzentrierten sie sich auf das Individuum, dessen weltliches Ich für ein wahrhaft christliches Leben umgestaltet werden sollte. In der Konsequenz dieses auf die soziale Umwelt gerichteten Erneuerungswillens hatte der einzelne, zur Umkehr entschlossene Christ diese neue wirkliche Christlichkeit andererseits jedoch auch dezidiert nach außen aktiv deutlich zu vertreten.35 In dieser geschilderten spannungsgeladenen Polarität von Weltflucht und aktiver Verchristlichung der Welt steht das Christentum seit seinen Ursprüngen.36 Als integrales Element urbaner Öffentlichkeit kompensieren die Devoten dies mit ihrer spezifischen Deutung der „Coincidentia oppositorum“. Dieses Diktum des Cusaners, der bei den Fraterherren in Deventer erzogen wurde, findet somit in ihrer Form der vita religiosa gelebten Ausdruck und hat dadurch die Renais sanceepoche entschieden geprägt. Doch woraus resultiert diese Attraktivität in einer Welt, die zunehmend auf immanente Relevanzfaktoren ausgerichtet ist? Bei der Beantwortung dieses Pro blemkomplexes steht die Frage nach dem Menschen im Vordergrund, die Kant im Kontext der Aufklärung unter völlig verwandelten Gegebenheiten thematisieren wird. Für die Devotio moderna konnte sie jedenfalls ohne Bezug auf den göttlichen Logos nicht beantwortet werden. Will der Mensch demnach durch Selbstreflexion seine Persönlichkeit analysieren, wie dies in den Zirkeln dieser Bewegung zur alltäglichen Praxis gehört37, so konstituiert die Hinwendung zu Gott die Erkenntnis der eigenen Persönlichkeit. Darin aber hat die Devotio moderna immer eine ihrer vornehmsten Aufgaben gesehen, dies dokumentieren die zahlreichen Sammlungen von Kernsprüchen des geistlichen Lebens, die sog. Rapiarien. In der Hinwendung zu Gott sollte das Individuum Wesen und Würde erkennen. Gestärkt durch diese individualpsychologischen Intentionen findet der Mensch Zentrum und Fixpunkt. Aber diese Religiosen wissen sehr wohl, die Würde der menschlichen Persönlichkeit wird durch zwei Dimensionen konstituiert. Vor allem in dieser Hinsicht gewinnen die oben zitierten Ausführungen Alois Schröers zentrale Bedeutung. Allerdings wird menschliche Dignität nicht, wie beim objektbezogenen Renaissancekünstler, vornehmlich durch das Werk konstituiert, der im Bewusstsein sei34 Janssen, Gemeinschaften, (wie Anm. 25), S. 113; Ders., Kirche am Niederrhein, (wie
Anm. 6), S. 113.
35 Weiler, Aspekte (wie Anm. 26), S. 192. 36 Georg Schwaiger, Das christliche Mönchtum in der Geschichte, in: Georg Schwaiger
(Hrsg.), Mönchtum, Orden, Klöster. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 9. 37 Hans Norbert Janowski (Hrsg.), Geert Groote, Thomas von Kempen und die Devotio moderna, Olten 1978, S. 20.
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nes kreativen Schaffenspotentials Wesen und Persönlichkeit erlangt und sich damit in der Welt Substanz und Konsistenz verleiht. Findet er darin seine Freiheit, muss er jedoch – und dieser Gedanke folgt gänzlich der Argumentationsstruktur Richters – „für sein eigenes Wesen, für seine Menschlichkeit selbst aufkommen“38, weil die psychoanalytisch diagnostizierte Reduktion der Schutzfunktion Gottes dies erfordert. Vor dem Hintergrund der damit einhergehenden neuen Interpretation der Wirklichkeit wird auch Bildung zur Selbstaufgabe des Menschen. Sie ist in der Konsequenz seiner neu realisierten gewandelten Lebenssituation unabdingbar. In diesem Kontext entfaltet gerade der Humanismus als typische IntellektuellenBewegung der frühen Neuzeit seine epochenprägende Wirksamkeit. Ausgerichtet an den sprachlich-literarischen Leitbildern der Antike39 wollten diese Geistesgelehrten ein alle Lebens- und Lernbereiche durchdringendes Wissen anbieten. Dadurch soll der Mensch zum sittlichen Wesen herangebildet werden. In dieser Hinsicht gilt es, seine Erziehung für das tägliche Leben in der Gesellschaft zu fördern.40 An diesem Prozess war die Devotenbewegung etwa in Emmerich durch ihre Unterrichtstätigkeit am Stiftsgymnasium beteiligt. Äußerst erfolgreich engagierten sie sich darüber hinaus in Wesel, Köln und anderenorts in der religiösen Erziehung bedürftiger Schüler. Sie gewannen also auf pädagogischer wie religiöskatechetischer Ebene im Rahmen öffentlicher Predigten gleichermaßen Einfluss auf ihre urbane Renaissanceumwelt. Stehen also Renaissance und Devotio moderna als Gegensätze unvereinbar gegenüber? Wenn dies zutreffend wäre, widerspräche dies nicht nur der historischen Wirklichkeit, die vor allem im urbanen Kontext das wechselseitige Ineinandergreifen beider Elemente ermöglicht. Ihren literarischen Reflex finden diese neuen Faktoren menschlicher Existenz in den zitierten Schilderungen Schröers über Veghe. Es widerspräche überdies einer zentral durch den frühneuzeitlichen Humanismus vertretenen Grundannahme, wonach das Individuum sein Wesen erst durch sein Handeln verwirklicht.41 So ist auch der homo religiosus hand38 Theodor Ballauff, Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung, 1, (Orbis
Academicus. Problemgeschichten der Wissenschaft in Dokumenten und Darstellungen, I/11), Freiburg/München 1969, S. 512. 39 Lewis Spitz, Humanismus/Humanismusforschung, in: Gerhard Müller in Gemeinschaft mit Horst Robert Balz/Stuart Hall/Brian Hebblethwaite (Hrsg.), (TRE, XV), Berlin/New York 1986, S. 639. 40 August Buck, Der italienische Humanismus, in: Humanismusforschung seit 1945. Ein Bericht aus interdisziplinärer Sicht, (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung, 2), Bonn-Bad Godesberg 1975, S. 23. 41 August Buck, Giovanni Pico della Mirandola und seine „Rede über die Würde des Menschen“. in: Bodo Guthmüller/Karl Kohut/Oskar Roth (Hrsg.), August Buck, Studien zu
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lungsbezogen ausgerichtet. Auch er besitzt das notwendige Potenzial, um künstlerisch tätig sein zu können. Eindrucksvoll belegen dies etwa die hochwertigen, teils floral illuminierten Buchmalereien aus Scriptorien verschiedener Fraterhäuser. Jedoch zeigt er sich aufgrund seiner Religiosität im Dank für diese Fähigkeiten wesentlich stärker als das diesseitsorientierte Renaissanceindividuum, etwa durch Künstler und Kaufleute repräsentiert, der göttlichen Instanz verpflichtet. Diese Ausrichtung auf den transzendenten Gott erfüllt zwei wichtige Funktionen. Einerseits erfährt der Mensch dadurch, sich von dem aus eigenen Fähigkeiten realisierten Objekt innerpsychologisch lösen zu können, denn Gott wird durch geschenkte Fähigkeiten als größer und wertvoller erfahren als das jeweilige Werk. So wird der Mensch in eine neu realisierte Qualität der Freiheit geführt, die seiner individuellen Würde gemäß ist. Andererseits kann diese Dignität nur als solche erkannt werden, wenn sie wesenhaft durch Freiheit konstituiert wird. Würde bedingt also Freiheit und in der Erkenntnis gottgegebener Freiheit gelangt der homo religiosus zu seiner vollen Menschenwürde. In diesem gedanklichen Spektrum gewinnt die Devotio moderna ihr spezifisches religiöses Profil. Konstituiert wurde dieser religiöse Habitus maßgeblich durch Armut, Demut und Gehorsam42, um auf dieser Basis die persönliche Nachfolge Christi zu realisieren, hofften die Devoten doch, auf diese Weise Gott zu begegnen und dadurch das Heil zu finden43. Sind mit praxis caritatis und insofern Imitatio Christi – letztere zugleich der Titel des Thomas von Kempen zugeschriebenen weltberühmten Werkes44 – die beiden entscheidenden Grundanliegen der Bewegung benannt, so scheint das in diesen Kommunitäten praktizierte Lebensideal, zumindest hinsichtlich des Imitatio-Gedankens, den Ambitionen der oben erwähnten deutschen Mystik, die durch Ruysbroeck im Flämischen vertreten wurde, vergleichbar. Humanismus und Renaissance. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1981–1990, (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, 11), Wiesbaden 1991, S. 359. 42 Janowski (Hrsg.), Geert Groote, (wie Anm. 37), S. 28. 43 Janssen, Kirche am Niederrhein, (wie Anm. 6), S. 113. 44 Gisbert Kranz, Thomas von Kempen. Der stille Reformer von Niederrhein. Moers 1993, S. 27; Nikolaus Staubach, Eine unendliche Geschichte? Der Streit um die Autorschaft der „Imitatio Christi“, in: Ulrike Bodemann/Nikolaus Staubach (Hrsg.), Aus dem Winkel in die Welt. Die Bücher des Thomas von Kempen und ihre Schicksale. (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters, 11), Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2006, S. 9–35, bes. S. 12; Wybe Jappe Alberts, Zur Historiographie der Devotio Moderna und ihrer Erforschung, in: Franz Petri (Hrsg.) Westfälische Forschungen. Mitteilungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volkskunde. Im Auftrage des Instituts, 11, Münster/Köln/Graz 1958, S. 51–55; Uwe Neddermeyer, Radix Studii et Speculum Vitae. Verbreitung und Rezeption der „Imitatio Christi“ in Handschriften und Drucken bis zur Reformation, in: Studien zum Kantilenensatz im frühen 15. Jahrhundert. Kantilenensätze mit auswechselbaren Contratenores, München 1994, S. 457.
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Inwiefern die Devotenbewegung jedoch mit ihrem Willen zu religiöser renovatio geprägt ist und mit ihrem Postulat erneuerter Innerlichkeit mystische Intentionen übersteigt, zeigt ihre betont aktive Glaubenspraxis.45 Dieser Impetus zeigt sich vor allem im Dienst am Mitmenschen.46 Die Fraterherren realisierten diese – ihrerseits als Nächstenliebe verstandene Intention – etwa durch die oben erwähnte geistliche Betreuung bedürftiger Schüler.47 So verstanden sie gelebte, tätige Christusnachfolge im Alltag.48 Handlungsmotivation und entsprechende ethische Leitlinien gewannen sie aus den Evangelien, die ihnen Vorbild und Maßstab zugleich waren.49 Betrachtet man diese aktive Dimension, so wird deutlich, warum diese Form devoter Existenz im städtischen Kontext der beginnenden Renaissance so erfolgreich war, ja gerade dieses Wirkungsfeld voraussetzte. Zugleich kann vor dem Hintergrund dieser situativen Gegebenheiten den von Magnus Ditsche referierten Interpretationen des Begriffes „Devotio moderna“ eine weitere Deutung hinzugefügt werden. „Modernus“ bedeutet in der Perspektive dieser Frömmigkeitsbewegung nicht nur „zeitgemäß“ oder „Hinwendung zur Erfahrung“50, sondern in der Konsequenz der letztgenannten Deutung vergleichbar den Intentionen des Renaissancekünstlers vor allem „praxisorientiert“; ein Aspekt der „Modernität des Mittelalters“, den Nikolaus Staubach im Rahmen seiner prominenten Schriftenreihe zur Devotio-moderna-Forschung akzentuiert, war doch diese semireligiose Bewegung besonders erfolgreich in der Verbindung von Tradition – Reform – Innovation51. Traditionsbewusst orientierte sie sich bei der Verwirklichung ihrer Frömmigkeit an der Urkirche52, an biblischen Idealen und an herausragenden Exempla der Kirchengeschichte53. Wie maßgeblich Urchristentum und spätere kirchliche Tradition in Kreisen der Devotio moderna wirksam war, bestätigen zudem wiederum die Ausführungen Schröers über Johannes Veghe:
45 Beck/Fink/Glazik, Kirche, (wie Anm. 13), S 532. 46 Prieur, devotio moderna (wie Anm. 18), S. 215. 47 Ebd., S. 220. 48 Beck/Fink/Glazik, Kirche, (wie Anm. 13), S. 532. 49 Iserloh, Thomas von Kempen (wie Anm. 21), S. 8. 50 Magnus Ditsche, Zur Herkunft und Bedeutung des Begriffes Devotio moderna, in: Jo-
hannes Spörl (Hrsg.), (HJ. Jg. 79), München/Freiburg 1960, S. 125 f.
51 Nikolaus Staubach (Hrsg.), Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität
des Mittelalters.
52 Kaspar Elm, Die „Devotio moderna“ und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter
und früher Neuzeit, in: Marek Derwich/Martial Staub (Hrsg.), Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spätmittelalter. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 205), Göttingen 2004, S. 21. 53 Elm, Ordensleben (wie Anm. 19), S. 225.
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Victor Wanka
„Die Bibel ist für Veghe Glaubensquelle, auf die er sich beruft, wenn er die Wahrheit seiner Lehre bezeugen will. […] Er hält die Kenntnis der Schrift für notwendig, ‚damit unser Glaube fest und klar‘ bleibe […]. Der Tradition gewährt Veghe nicht minder breiten Raum. Besonders häufig beruft sich der Rektor der Niesingschwestern, die der Augustinerregel folgten, auf ‚unseren heiligen Vater und Patron Augustinus‘. Auch die übrigen Kirchenleh rer, wie Gregor, Hieronymus, Bernhard und Thomas von Aquin, werden von ihm als Zeugen genannt. […] Selbst die weisen Gedanken der ‚heidnischen Meister‘ Aristoteles, Cicero und besonders Seneca verschmäht der humanistenfreundliche Prediger nicht, wenn sie dem ewigen Heil dienlich sein können. So war Veghe ein weltoffener Verkünder der ewigen Wahrheiten, kein weltabgewandter Sittenrichter und Bußprediger. Er beherrschte die Sprache des Volkes […] seine Kirchentreue unbezweifelbar, sein Verhältnis zur Welt froh bejahend.“54
Steht diese Haltung Veghes – lässt man seine Persönlichkeit als Beispiel der Gesamtbewegung gelten – nicht geradezu paradigmatisch ein für den neuen Geist der Devotio moderna, mit dem die Bewegung im Kontext der Stadtöffentlichkeit in Erscheinung trat? War nicht insbesondere die Verbindung von Tradition und Innovation Garant für den Erfolg des in den Zirkeln der Devotio moderna verwirklichten Sozialmodells? Viele Menschen suchten offenbar eine neue Frömmigkeit, wollten diese jedoch mit den genannten traditionellen Elementen verbunden wissen. Sie strebten also nach einer Form der Lebensgestaltung, wie sie die Vorbilder der Devoten realisiert haben. Ohne Profess abzulegen und in strenger Klausur zu leben, gaben sie praktischer Arbeit55 den Vorrang und erfüllten mit ihren karitativen sowie mit Bildungstätigkeiten56 – insbesondere Literaturversorgung interessierter Laien – sozial relevante Funktionen. Die vor allem mit ihrem aktiven Glaubensverständnis verbundene gesellschaftliche Offenheit wirkte durch den unmittelbaren Kontakt mit der Stadtbevölkerung positiv überzeugend für eine echte renovatio des christlichen Glaubens in der Renaissance. War demgegenüber für die Frühzeit der Bewegung – möglicherweise nach dem Vorbild von Grootes conversio – die erwähnte Weltabgewandtheit charakteristisch, denn „[f]ür die Schönheit der Schöpfung hatten die Devoten [anfangs] kein Auge.“57, so findet sie etwa in Veghes Naturbewunderung ihren diametralen Kontrast. 54 Schröer, Westfalen (wie Anm. 27), S. 271 f. 55 Bärbel Sunderbrink, Eine schwesterliche Gemeinschaft zwischen Kloster und Welt. Das
Süsternhaus in Herford, in: Olaf Schirmeister (Hrsg.), Fromme Frauen und Ordensmänner. Klöster und Stifte im heiligen Herford, Bielefeld/Gütersloh 2000, S. 155 f.; Iserloh, Thomas von Kempen, (wie Anm. 21), S. 8. 56 Finger, Reformation (wie Anm. 17), S. 19. 57 Beck/Fink/Glazik, Kirche, (wie Anm. 13), S. 525.
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Liegt gerade in der diesseitsbejahenden Haltung der Devotio moderna die Kardinalfrage und damit die zentrale Herausforderung, der sich jeder Devote besonders an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit zu stellen hat, so beantworten die Devoten diese implizit mit der für die Gesamtbewegung lebensgestaltenden Dynamik aus Tradition – Reform – Innovation. Wurden traditionelle Elemente als zentrales Konstitutivum der Bewegung sowie der innovative Impetus aktiver alltagsbezogener Glaubenspraxis bereits oben thematisiert, so stellt sich die Frage nach der spezifischen Qualität ihres Reformgedankens. Interessanterweise wird hier Reform dichotomisch verstanden und praktiziert. Einerseits steht die Devotio moderna für die renovatio des Alten im mittelalterlichen Sinne, andererseits realisiert die Bewegung in ihren Kommunitäten eine zeittypische, am Ideal des Individuellen ausgerichtete praxis christianitatis. Mit diesem Dualismus gewinnt sie demnach als Erneuerin laikal geprägter vita religiosa am Epochenumbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit markantes Profil. So hat der Devote nicht nur die Möglichkeit zu individueller Kontemplation, sondern ist dem antiken homerischen Bildungsideal entsprechend zugleich „beredt in Worten […] und rüstig in Taten“58 und initiiert insofern Modernisierungsprozesse, die den Intentionen des handlungsbezogenen Renaissancekünstlers vergleichbar sind.
58 Homer, Ilias. Gesang IX. Vers 443, in: Homer, Ilias, Odyssee, Übers. Johann Heinrich
Voß, München 2002.
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