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German Pages 47 [48] Year 1953
STUDIEN DER LUTHER-AKADEMIE Herausgegeben im Auftrage des Vorstandes von Carl Stange, Göttingen
NEUE FOLGE / HEFT 1
ECKHART-STUDIEN
1953 VERLAG ALFRED TÖPELMANN
/ B E R L I N W 35
MEISTER ECKHART Von Karl Heussi
MEISTER ECKHARTS STELLUNG INNERHALB DER THEOLOGISCHEN ENTWICKLUNG DES SPÄTMITTELALTERS Von Konrad Weiß
1958 V E R L A G A L F R E D T ö P E L M A N N / B E R L I N W 35
Meister Eckhart Die verwickelte Problematik, die hinter dem Namen des M e i s t e r E c k h a r t steht 1 ), liegt teils in der Beschaffenheit der überlieferten Eckharttexte, teils in der Kompliziertheit der Gedankenwelt Eckharts und der weitreichenden Verästelung ihres Wurzelgeflechtes in den vorausgehenden Jahrhunderten. Der Schwierigkeit der Problematik entspricht eine schwer übersehbare Menge von neueren Untersuchungen 2 ). Besonders die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts waren der Eckhartforschung sehr förderlich. Gewiß sind auf diesem Felde noch manche Fragen zu beantworten. Aber grundstürzende neue Erkenntnisse werden uns schwerlich noch erschlossen werden. Das Neue, das noch kommen mag, dürfte sich in der Hauptsache auf Einzelfragen beziehen, die im wesentlichen nur die Spezialforscher interessieren. Die fol*) Die Uneinigkeit über ihn beginnt schon bei der Form Beines Namens: Eckhart, Eckart, Ekhart, Eckehart, Ekkehart. Lateinisch: Eccardus, Ekardus, Equardus, Ekehardus, Aicardus, Aychardus. 2 ) Aus der überreichen Literatur kann hier nur eine Auswahl zitiert werden. Sehr eingehende, bis 1937 reichende Literaturangaben bietet W i l h e l m Bange, Meister Eckeharts Lehre vom göttlichen und geschöpflichen Sein, 1937, S. X I — X I X , bei Beschränkung auf Arbeiten wissenschaftlichen Charakters 219 Nummern! — Den Fortgang der Eckhartforschung zeigen folgende Forschungsberichte: M. G r a b m a n n , Neuere Eckhartforschungen im Lichte neuerer Eckhartfunde (— Divus Thomas, V, 1927, S. 74—96, 201—217)- — J o s . K o c h , Neue Erscheinungen über Meister Eckehart ( = Theologische Revue X X V I , 1927, Sp. 414—422). — J o s . Q u i n t , Die gegenwärtige Problemstellung der Eckehartforschung ( = Zeitschr. für deutsche Philologie, LH, 1927, S. 271—288). — P e t e r B r o w e , Die neueren Eckehartforschungen ( = Scholastik, I I I , 1928, S. 557—571). — K o n r a d W e i ß , Der heutige Stand der Eckhartforschung (— Christentum und Wissenschaft, X , 1934, S. 408—421). — Dazu die beiden ausgezeichneten Forschungsberichte von E r n s t B e n z ( = ZKG LVII, 1938, S. 566—596, und Blätter für deutsche Philosophie, X I I I , 1939—40, S. 379—104). Zusammenfassende Darstellungen. Von älteren seien genannt: A d o l f L a s s o n , Meister Eckhart der Mystiker, zur Geschichte der religiösen Spekulation in Deutschland, 354 S., 1878. — S. M. D e u t s c h , Art. Eckart ( = RE» V, 1898, S. 142—154). — Von neueren: J o s . Q u i n t , Meister Eckehart ( = Überwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. II, 11 1928, S. 571 ff., 779 f.). — R e i n h o 1 d S e e b e r g , Lehrbuch der Dogmengeschichte, 4 Bd. I I I . S. 679—694. — E r i c h S e e b e r g , Meister Eckhart, 1934 (64 S.). — Dazu die lesenswerte Skizze bei W a l t e r M u s c h g , Die Mystik in der Schweiz, 1935, S. 159—204. — Vor allem: H e i n r i c h E b e 1 i n g , Meister Eckharts Mystik. Studien zu den Geisteskämpfen um die Wende des 13. Jahrhunderts, 1941, 356 S.
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genden Ausführungen sollen eine Übersicht über die neuere Eckhartforschung geben und die Richtung verdeutlichen, die die Eckhartinterpretation mehr und mehr eingeschlagen hat. 1. Wir wissen nicht viel über das äußere Leben von Meister Eckhart 3 ). Er war um 1260, wie man vermutet aus dem ritterlichen Geschlecht derer von Hochheim, in Thüringen geboren 4 ). Er trat, wohl in E r f u r t , in den Dominikanerorden ein und wurde später Prior des Erfurter Dominikanerklosters und Provinzialvikar von Thüringen (vor 1298). Im Jahre 1300 schickte ihn sein Orden nach P a r i s , damit er dort Vorlesungen halten und sich die akademischen Grade erwerben sollte. Seit seiner Aufnahme unter die Pariser Magister hieß er im Deutschen: „Meister" Eckhart. Nach der Rückkehr von Paris wurde er Prior der sehr großen, von Utrecht bis Dorpat reichenden „sächsischen" Provinz des Dominikanerordens (wohl 1303), später (1307) dasselbe für eine zweite Amtszeit. Etwa von 1311 ab ist sein Leben fast völlig in Dunkel gehüllt. Man vermutet eine erneute Lehrtätigkeit in Paris seit 1311. Wirklich bezeugt ist sein Aufenthalt in Straßburg für 1314 und 1315; später — es bleibt ungewiß, seit wann — war er „Lesemeister", magister sacrae theologiae, am Generalstudium der Dominikaner in Köln. Vielleicht ist er abwechselnd in Köln und Straßburg tätig gewesen; die rege Schiffahrt hätte das durchaus ermöglicht. Außer in der schola wirkte er auf der Kanzel; seine Predigten gewannen ihm eine große Anhängerschaft; Männer wie T a u 1 e r und S e u s e haben unter der unmittelbaren Einwirkung seiner Predigten gestanden und die von Eckhart entzündete Flamme mystischer Frömmigkeit weitergetragen. Aber auch die Anhänger der Richtung des „freien Geistes", der radikalen, häretischen Mystik, beriefen sich auf Eckhart, und so erregte Eckhart den Verdacht der Inquisition. In Köln erhob der Erzbischof Heinrich von Virneburg, der in scharfem Kampfe gegen die häretischen Begharden (Brüder des freien Geistes) stand, gegen Eckhart die Anklage auf Häresie. Der Prozeß zog sich längere Zeit hin und endete erst nach Eckharts Tode (er starb vermutlich 1328) mit s ) Zu Eckharts Leben vgl. A n t o n P u m m e r e r , Der gegenwärtige Stand der Eckhartforschung I: Meister Eckharts Lebensgang ( = 12. Jahresbericht des Privatgymnasiums an der Stella matutina zu Feldkirch, 1903). — H. D e n i f l e , Die Heimat Meister Eckeharts (— Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters, V, 1889, S. 349—364). — D e r i , Aktenstücke zu Meister Eckeharts Prozeß ( = Zeitschr. für deutsches Altertum XXIX, 1885, S. 259—266). 4 ) Nach S c h u l z e - M a i z i e r (s. Anm. 20) hatte der Vater Eckharts wahrscheinlich die Feste Waidenfels bei Tambach am Inselsberge zu verwalten; möglicherweise ist Eckhart dort geboren.
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einer Bulle Papst Johanns XXII. vom 27. März 1329 5 ), worin fünfzehn lateinische Sätze Eckharts als häretisch, elf weitere als schlecht klingend, unvorsichtig und der Häresie verdächtig verurteilt wurden; ebenso wurden alle Schriften Eckharts verdammt, die diese Anschauungen enthielten. Eckhart hatte am 27. Februar 1327 in Köln erklärt, daß er, falls etwas Falsches in seiner Lehre gefunden werde, dies im allgemeinen und im besonderen widerrufe. 2. Meister Eckhart hat eine eigenartige N a c h g e s c h i c h t e erlebt 6 ). Trotz der päpstlichen Zensurierung blieb sein Ansehen bei seinen Anhängern ungebrochen in Kraft; in den Mystikerkreisen wurden seine Predigten und Traktate mit Eifer abgeschrieben und verbreitet, wovon die große Menge der Eckharthandschriften noch heute Kunde gibt. Im 15. Jahrhundert tritt uns in dem bekannten N i k o l a u s v o n C u e s noch einmal ein großer Edihartverehrer entgegen; wir verdanken ihm eine ausgezeichnete Handschrift mit lateinischen Eckhartschriften 7 ). Dann aber wird Meister Eckhart mehr und mehr ein Unbekannter, eine „wunderbare, halb in Nebel gehüllte, beinahe christlich-mythische Gestalt" 8 ), was damit zusammenhängen kann, 'daß die areopagitische Mystik von der bernhardinischen überflügelt wurde 9 ). In Luthers Schriften wird Eckhart nicht genannt; es ist also ganz ungewiß, ob Luther je von ihm gehört hat. Führende kirchengeschichtliche Werke des 18. Jahrhunderts kennen ihn entweder nicht in seiner wirklichen Bedeutung (Mosheim 10 ) oder erwähnen ihn überhaupt nicht (Schroeckh). Aber seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts stieß die deutsche Philologie bei ihren Forschungen zur Geschichte der deutschen Sprache zunächst auf Tauler und dann auch auf Eckhart 11 ), doch ohne daß dies sogleich ein lebhafteres Interesse für Eckhart ausgelöst hätte: In den frommen, dem Rationalismus abholden katholischen und evangelischen Kreisen vor und nach 1800, die sich für die Mystik zu erwärmen begannen, beherrschte fürs erste 5 ) Vgl. H. D e n z i n g e r und C. B a n n w a r t , Enchiridion symbolorum, 1 , - 1 7 1928, S. 214—216. 6 ) Zum folgenden: G o t t f r i e d F i s c h e r , Geschichte der Entdeckung der deutschen Mystiker Eckhart, Tauler und Seuse im 19. Jahrhundert, phil. Diss. Freiburg/SAweiz 1931 (134 S.). 7 ) H. D e n i f l e , Das Cusanische Exemplar lateinischer Schriften Eckeharts in Cues ( = Archiv für Literatur- und Kirchengesdiichte II, 1886, S. 673 ff.). 8 ) Ein geflügeltes Wort von J. G ö r r e s , vgl. Fisdier S. 7. *) Gedanke von H. B ö h m e r , vgl. Fischer S.7. 10)Joh. L a u r . M o s h e i m , Inst. hist. eccl., 1755, S. 602 stellt den „vir subtilis" Eccardus zu den häretischen Begharden. u ) So B. J . D o c e n 1806, mit ganz richtiger Einschätzung des Mannes und auch der textkritisdien Probleme; vgl. Fisdier S. 18 f.
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Tauler das Feld. Dann aber lenkte F r a n z B a a d e r das Interesse auf Eckhart, in dem er mehr und mehr den „Zentralgeist der Mystik des Mittelalters" erkannte; durch Baader wurde auch H e g e l 1823 auf Eckhart aufmerksam gemacht. Und nun begann die Kurve von Eckharts Nachruhm steil anzusteigen. Hegel glaubte in den Predigten Eckharts Verwandtschaft mit seinem eigenen spekulativen System zu entdecken, was von der Hegelschule aufgenommen und gegen die protestantische Orthodoxie ausgespielt wurde 12 ). Obwohl man von Eckhart in der Hauptsache nur besaß, was im Anhang der alten Baseler Ausgabe der Predigten Taulers von 1521( 2 1522) abgedruckt war, meinte man doch, einen sehr tiefsinnigen und echt d e u t s c h e n Denker vor sich zu haben. Der erste Versuch eingehender wissenschaftlicher Würdigung Eckharts stammt von dem Straßburger protestantischen Theologen C h a r l e s S c h m i d t 1 3 ) . Von einer zutreffenden Interpretation Edtharts ist die Forschung auf dieser Stufe noch sehr weit entfernt. Schmidt arbeitet ohne nähere Kenntnis der Scholastik. Er sieht Eckhart in Zusammenhang mit den häretischen Begharden. Er betrachtet ihn als reinen Pantheisten. Das alles wirkte sehr ungünstig auf die Forschung der nächsten Jahrzehnte ein. Im Jahre 1857 veröffentlichte F r a n z P f e i f f e r ein umfangreiches Material von Eckharttexten 14 ). Das regte die Eckhartforschung stark an, ohne daß es zu einer grundsätzlich neuen Auffassung gekommen wäre. Man sah in Eckhart allgemein den Vorläufer des deutschen Idealismus, den Vater der deutschen metaphysischen Spekulation 15 ). Die protestantischen Theologen waren geneigt, Eckhart unter die sog. Vorläufer der Reformation einzureihen. Doch da nahm die Eckhartforschung 1866 durch den Dominikaner H. D e n i f l e eine überraschende Wendung. Denifle machte die bedeutsame Entdeckung mehrerer lateinischer Werke Eckharts und wies die Titel einer größeren Zahl weiterer latei" ) Fisdber S. 48—50. 13 ) C h a r l e s S c h m i d t , Meister Eckart. Ein Beitrag zur Geschichte der Theologie und Philosophie des Mittelalters ( = Theologische Studien und Kritiken XII, 1839, S. 663—744). Vgl. Fischer S. 53—56. 14 ) F r a n z P f e i f f e r , Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts Bd. II, 1857 (686 S., ausschließlich dem Meister Eckhart gewidmet). Franz Pfeiffer, gest. 1868, war Germanist. Er war ohne nähere Kenntnis der theologischen Problematik. Er gab einen von ihm selbst hergestellten Normaltext, d. h. er vereinheitlichte die überlieferten Texte sprachlich, ohne doch über eine scharfe Norm hierfür zu verfügen. l s ) J o s e p h B a c h , Meister Eckehart, der Vater der deutschen Spekulation, 1864. — Adolf Lasson, Meister Eckhart, der Mystiker. Zur Geschichte der religiösen Spekulation in Deutschland, 1868.
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nischer S c h r i f t e n Eckharts nach 1 8 ). D a m i t w u r d e k l a r , d a ß die deutschen P r e d i g t e n u n d T r a k t a t e , die m a n bis d a h i n f ü r das G a n z e des Eckhartschen S c h r i f t t u m s gehalten h a t t e , n u r einen Teil seines geistigen Schaffens d a r s t e l l t e n . Lag nicht f ü r E d i h a r t selbst d e r S c h w e r p u n k t in den lateinischen S c h r i f t e n ? M u ß t e n die deutschen S c h r i f t e n nicht nach d e n lateinischen i n t e r p r e t i e r t w e r d e n ? W a r Eckhart ü b e r h a u p t so bed e u t e n d , wie m a n bis d a h i n a n g e n o m m e n hatte, w o ihn doch seine lateinischen S c h r i f t e n , wie wenigstens D e n i f l e meinte, als nicht sehr h e r v o r r a g e n d e n Schüler d e r scholastischen T h e o l o g e n e r k e n n e n l i e ß e n ? H a t t e D e n i f l e recht mit d e m U r t e i l , daß v o n e i n e r o r i g i n a l e n deutschen F r ö m m i g k e i t Eckharts nicht im e n t f e r n t e s t e n die R e d e sein k o n n t e ? In j e d e m F a l l e r h i e l t die Sicherheit, m i t d e r m a n bis dahin ü b e r Eckhart g e u r t e i l t h a t t e , durch das A u f t r e t e n D e n i f l e s einen argen S t o ß ; die G e s t a l t Eckharts w a r in ein seltsames Zwielicht gerückt w o r d e n , in dem sie b e i n a h e u n e r k e n n b a r w a r . So w a r die Lage um 1 9 0 0 . W ä h r e n d die g e l e h r t e Eckhartforschung s o w o h l auf der germanistischen 1 7 ) wie auf der scholastisch-lateinischen L i n i e 1 8 ) rüstig und u n b e i r r t w e i t e r a r b e i t e t e , e r f o l g t e eine n e u e „Entdeckung" Eckharts. Sie begann m i t d e r Eckhart-Ausgabe v o n 18 ) H. D e n i f I e , Meister Eckeharts lateinische Schriften und die Grundanschauung seiner Lehre ( = Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters Bd. II, 1886, S. 417—615). 17 ) F r a n z J o s t e s , Meister Eckhart und seine Jünger. Ungedruckte Texte zur Geschichte der deutschen Mystik ( = Collectanea Friburgensia, fase. 4, Freiburg/ Schweiz 1895). — M a x P a h n c k e , Untersuchungen zu den deutschen Predigten Meister Eckharts, Diss. Halle 1905. — Ders., Kleine Beiträge zur Eckhart-Philologie ( = 34. Jahresbericht des Gymnasium« zu Neuhaidensieben, 1909, S. 1—23). — Ders., Neue Beiträge zur Eckhart-Philologie (ebd., 1913). — Ders., Ein Grundgedanke der deutschen Predigt Meister Eckharts, zugleich ein Beitrag zur Echtheitsfrage ( = Zeitschrift für Kirchengesch., XXXIV, 1913, S. 58—73). — A. S p a m e r , Texte aus der deutschen Mystik des 14. und 15. Jahrhunderts, 1912. — Ders., Zur Überlieferung der Pfeifferschen Eckeharttexte ( = Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur XXXIV, 1909, S. 307^120). — P h i l i p p S t r a u c h , Paradisus anime intelligentis ( = Deutsche Texte des Mittelalters XXX, 1919). — Ders., Meister Eckharts Buch von der göttlichen Tröstung und vom edlen Menschen ( = H. Lietzmanns Kleine Texte LV, 1910, 2 1933). — Ders., Meister-Eckhart-Probleme, 1912 (Rektoratsrede Halle, 38 S.). — Ders., Zur Überlieferung Meister Eckharts ( = Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur IL, 1925, S. 355—402; Bd. L, 1926, S. 214—241). — W o l f g a n g S t a m m l e r , Studien zur Geschichte der Mystik in Norddeutschland ( = Archiv f. Religionswiss., XXI, 1922, S. 122—162). — Ders., Meister Eckhart in Mitteldeutschland ( = Zeitschr. f. deutsches Altertum LIX, 1922). — J o s . Q u i n t , Die Sprache Meister Eckeharts als Ausdruck seiner mystischen Geisteswelt ( = Deutsche Vierteljahsschr. VI, 1928, S. 671—701). 18 ) Hier kommen vor allem zwei wichtige Funde in Betracht: die Wiederauffindung der in einer Soester Handschrift erhaltenen Rechtfertigungsschrift Eckharts vom Jahre 1326 (vgl. A u g u s t i n u s D a n i e l s , Eine lateinische Rechtfertigungsschrift des Meister Eckhart = Beiträge zur Geschichte der Philosophie des MittelEekhart-Studien
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H. B ü t t n e r 1 9 ) . Jetzt war es die nach der Jahrhundertwende aufbrechende, eigenartige, von theologischen Laien geleitete, stark literarisch und ästhetisch gerichtete Bewegung der „modernen Mystik", die sich des Meister Eckhart bemächtigte, ihn in ihrem Sinn deutete und als ihren Führer auf den Schild erhob. Diese Bewegung, so lebhaft sie von theologischer Seite bekämpft wurde, erwies sich als ausdauernd und langlebig; sie verband sich mit der Jugendbewegung, überlebte auch diese und verband sich dann mit der seit den zwanziger Jahren anschwellenden nationalen Strömung. Hier nun galt Meister Eckhart als „einer der wichtigsten Mitbeförderer deutscher Wiedergeburt" 2 0 ). Von großer Bedeutung wurde es eine Zeitlang, daß die nationalsozialistische Weltanschauungspropaganda den Meister Eckhart vor ihren Wagen spannte. So stand Eckhart in den dreißiger Jahren in Deutschland im Scheinwerferlicht der weltanschaulichen Diskussion 21 ). 3. Das war im Grunde um so erstaunlicher, als jeder Versuch zu einer selbständigen Urteilsbildung über Eckhart sehr erhebliche S c h w i e r i g k e i t e n zu überwinden hat. Die erste Schwierigkeit ist die, an den wirklichen Meister Eckhart heranzukommen. Die textliche Überlieferung seines Schrifttums ist so problematisch wie möglich. Bis auf unsere Zeit gab es überhaupt keine genügende Gesamtausgabe; das Material war in einige, zum Teil nicht einwandfreie, Ausgaben der deutschen Schriften 2 2 ) und in eine große Menge zum Teil schwer zualters XXIII, 1923, H. V, 68 S.). — G. T h é r y , Edition critique des pièces relatives au procès d'Eckhart (= Archive d'histoire doctrinale et littéraire du moyen âge /, 1926, S. 129—268). — O t t o K a r r e r und H e r m a P i e s c h , Meister Eckharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, 1927, 172 S.). — Dazu die Entdeckung der Pariser Quästionen (vgl. M a r t i n G r a b m a n n , Neugefundene Pariser Quaestionen Meister Eckharts und ihre Stellung in seinem geistigen Entwicklungsgange (= Abhandlungen der Bayrischen Akademie, philos.-philol. und hist. Klasse XXXII, 1927, Abh. VII; 124 S.) . 19 ) H e r m a n n B ü t t n e r , Meister Eckehart. Aus dem Mittelhochdeutschen fibersetzt. 2 Bde., 1903—1909 (Jena, E. Diederidis). In der Einleitung wird Eckhart als religiöser Neuschöpfer und größter religiöser Redner und Schriftsteller der Deutschen gepriesen, der zuerst zu der seit dem Apostel Paulus verlorenen Religion „Christi" (!) zurückfand und dessen vorzeitiger Tod (er wurde aber etwa 67 Jahre alt!) ein Wendepunkt (!) der deutschen Geschichte war. Nach Büttner steht Meister Eckhart zu Christentum und Kirche in völligem Gegensatz (!). Eine Volksausgabe der Edition Büttners in einem Bande erschien 1934, ohne Verbesserungen. I0 ) F. S c h u l z e - M a i z i e r , Der Kampf um Meister Eckhart (= die Tat XXVII, 1935 f., S. 339—354), S. 339. 21 ) Es besteht heute kein Bedürfnis, die krassen Verzeichnungen der geschichtlichen Wirklichkeit durch die nationalsozialistischen Tendenzschriftsteller (z. B. Meister Eckhart als Verfechter der Rassenlehre) nochmals zu widerlegen. 22 ) Pfeiffer, Bowie die Übersetzungen der deutschen Schriften ins Neuhochdeutsche von Büttner und Walter Lehmann, Meister Eckhart (— Die Klassiker der Religion Bd. XIV—XV), 1919.
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gänglicher Einzelausgaben 23 ) zersplittert oder überhaupt nur handschriftlich vorhanden. Hier befinden wir uns nun seit dem Beginn des Erscheinens der großen Ausgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft 24 ) auf dem Wege des Fortschritts. Bevor mit der Fertigstellung dieser umfassenden Ausgabe die Frage eines zuverlässigen Eckharttextes gelöst ist, bewegen wir uns auf weite Strecken hin immer noch auf unsicherem Boden. Die Konstituierung eines zuverlässigen T e x t e s hat mit sehr großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das gilt für die lateinischen Texte, noch mehr aber für die deutschen. Hier sind der Forschung Aufgaben gestellt, die nur mit ganz ungemein verfeinerten philologischen Methoden gelöst werden können 25 ). Die deutschen Predigten Meister Eckharts sind nur in freien, vielfach sehr unzuverlässigen Nachschriften erhalten. Hier sind die von Eckhart wirklich gehaltenen Reden mit größter Sorglosigkeit behandelt, in andere deutsche Mundarten übersetzt, willkürlich abgeändert, mit Erzeugnissen von anderen mystischen Predigern vermengt. So ist die Textkritik (die Feststellung des ursprünglichen Wortlautes der Predigten) mit der Literarkritik (der Sonderung von echter und unechter Überlieferung) weithin untrennbar verbunden. Sind die komplizierten Fragen der Zuverlässigkeit und Editheit der Texte gelöst 26 ), so erhebt 2 S ) S. das Literaturverzeichnis in W i l h e l m B a n g e , Meister Eckeharts Lehre vom göttlichen und geschöpflichen Sein, 1937, S. X I f. 2 4 ) M e i s t e r E c k h a r t . Die deutschen und lateinischen Werke. Im Auftrage der deutschen Forschungsgemeinschaft. Im Erscheinen seit 1936. Bisher 10 Lieferungen lateinische, 3 Lieferungen deutsche Schriften und 1 Band Untersuchungen. Das Ganze wurde geleitet von der Meister-Eckhart-Kommission unter Vorsitz von E r i c h S e e b e r g (gest. 1945). Die Ausgabe der deutschen T e x t e leitete J o s e f Q u i n t , die der lateinischen J o s e p h K o c h . Über den Stand der Ausgabe 1938 s. Ernst Benz, Zeitschr. für Kirchengeschichte L V I I , 1938, S. 566—569. 2 5 ) Einen Begriff hiervon geben die großen Untersuchungen von J o s e f Quint, Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckeharts, textkritisch untersucht, 1932 (957 S.), sowie: Neue Handschriftenfunde zur Überlieferung Meister Eckharts und seiner Schule, 1940, 292 S. ( = Untersuchungen Bd. I der in Anm. 24 angegebenen großen Eckhartausgabe. M ) Um 1913 ist die Forschung darüber einig, daß von den Traktaten bei Pfeiffer Nr. 3, 6, 7, 8 und 12 Eckhart nicht zugeschrieben werden dürfen, daß dagegen Nr. 5 (das Buch von der göttlichen Tröstung) und vermutlich auch Nr. 17, sowie der T r a k t a t vom edlen Menschen echt sind. Von den Predigten erkannte S p a m e r (s. o. Anm. 17) Nr. 21, 22, 54, 100 als Bicher echt an, P a h n c k e eine größere Zahl (vgl. Haucks Realenzykl. 3 Bd. X X I I I , 1913, S. 362). Die kritische Lage wurde durch die Auffindung der Rechtfertigungsschrift Meister Eckharts vom J a h r e 1326 (s. o. 18) verändert; nunmehr dürfen folgende Stücke als echt angesehen werden: Pfeiffer Predigt Nr. 6, 8, 10, 13, 14, 15, 21, 25, 32, 40, 56, 65, 82—84, 90, 96, T r a k t a t 5 und 17 (vgl. die Zusammenstellung bei K ä t e O l t m a n n s , Meister Eckhart, 1935, S. 7, Anm. 1). Auf Grund „innerer K r i t e r i e n " glaubt Käte Oltmanns S. 9 eine Reihe von Stücken als unzweifelhaft unecht, andere als sehr verdächtig bezeichnen
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sich eine zweite große Schwierigkeit, die der Eckhart - I n t e r p r e t a t i o n . Da der Meister in den modernen Weltanschauungskampf hineingezogen worden ist, schwingen in der modernen Literatur über Eckhart allerlei bewußte oder unbewußte Tendenzen, Wunschbilder, Glaubensüberzeugungen mit. Die einen suchten ihn als den Bahnbrecher einer „ a r t e i g e n e n " R e l i g i o n zu erweisen, die ßich in die moderne Gedankenwelt transponieren ließ 27 ). Die anderen rückten die Quellenaussagen so zurecht, daß ein möglichst korrekter s c h o l a s t i s c h e r T h e o l o g e heraussprang 28 ). Eine dritte Gruppe war ausschließlich an dem p h i l o s o p h i s c h e n G e h a l t der Eckhartschen Gedankenwelt interessiert 29 ). Allen solchen Bestrebungen gegenüber kann die Aufgabe nur darin bestehen, den w i r k l i c h e n , g e s c h i c h t l i c h e n Eckhart zu erfassen. Die sogenannte deutschgläubige Eckhartauffassung der dreißiger Jahre hat doch, ohne daß ihre Vertreter es ahnten, etwas Gutes bewirkt: Sie hat in den protestantisch-theologischen Kreisen eine gewisse Übereinstimmung der Eckhartauffassung geschaffen. Sie hat offenbar gemacht, daß es nicht genügt, mit irgendwelcher romantischen Begeisterung an den Meister Eckhart heranzugehen, sondern daß man vor allem zu können; f ü r sicher echt hält sie außer den genannten Stücken: Pfeiffer, Predigten Nr. 11, 12, 29, 42, 43, 45, 55, 59, 60, 72, 79, 93 (ebd. S. 10, Anm. 1). 2 7 ) Repräsentativer Hermann Vertreter dieser zahlreichen Gruppe w a r S c h w a r z , Ekkehart der Deutsche. Völkische Religion im Aufgang, 1935, 128 S. Vgl. ferner die in der Zeitschrift: Deutscher Glaube 1936, Heft 10 vereinigten Aufsätze von J . W. Hauer, Hermann Schwarz, Ernst Bergmann, Hermann Mandel, Fritz Kudnig; separat und vermehrt um einen Artikel von M. Dalimann unter dem Titel: Der Kampf um Meister Eckehart, 1936, 80 S. Einige charakteristische Überschriften: War Meister Eckhart Atheist? Der lebendige Ekkehart. Deutsche Mystik in ihrem inneren organischen Aufbau. 2 8 ) Der Bahnbrecher der Erforschung der lateinischen Werke Eckharts, D e n i f 1 e , hatte sich von dieser Tendenz freigehalten, Eckhart zwar als Scholastiker zu verstehen gesudit, aber die Abweichungen nicht verharmlost. Dagegen versuchten einige neuere katholische Verfasser Eckhart als dogmatisch f ü r den jetzigen katholischen Standpunkt erträglich zu erweisen; vgl. O t t o K a r r e r , Meister Eckhart, das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit, 1926 (159 S.); ders., Meister Eckehart, der Mensch und der Wissenschaftler ( = Hochland Bd. XXIII, 1, 1925 f., S. 535—549). Gegen Karrer: M. G r a b m a n n ( = Divus Thomas 1927, S. 74—96; Antwort Karrers und Gegenrede Grabmanns ebd. S. 201—222) und P. B r o w e ( = Scholastik III, 1928, S. 557—571). Die gleiche Tendenz wie bei K a r r e r bei A. D e m p f , Meister Eckhart, eine Einführung in sein Werk, 1934 (238 S). Nach Dempf bewegt sidi Eckhart durchaus im Rahmen des Thomismus. Die Inquisition hat ihn mißverstanden; damit widerfuhr ihm das Schicksal, dem Dialektiker nun einmal ausgesetzt sind. 2 8 ) Hierher gehören vornehmlich K ä t e O l t m a n n s , Meister Eckhart, 1935 (213 S.), sowie B a r t h o l d P e t e r s , Der Gottesbegriff Meister Eckharts, Diss. Hamburg 1936. Käte Oltmanns sucht Eckhart im Sinne der Existenzialphilosophie Heideggers, Peters sucht ihn rein idealistisdi zu verstehen.
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solide Kenntnisse haben muß, Kennnis der scholastischen und der mystischen Tradition. Aus der sog. deutschen Substanz, von der in den dreißiger Jahren fortgesetzt die Rede war, ist Meister Eckhart schlechterdings nicht zu verstehen, wohl aber auf dem von Denifle gewiesenen Wege. Die Frage kann nur noch sein, w e l c h e scholastischen und mystischen Traditionen heranzuziehen sind. Es ist das Verdienst von H e i n r i c h E b e l i n g , daß er die Frage der genetischen Analyse der Eckhartschen Gedankenwelt grundsätzlich und allseitig in Angriff genommen hat 30 ). H. Ebeling ist Schüler von Reinhold Seeberg und Johannes von Walter. Er nimmt bei der geistesgeschichtlichen Situation am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts seinen Ausgangspunkt. Sie war bekanntlich vornehmlich durch den Gegensatz zwischen Thomas von Aquino und Duns Scotus, der dominikanischen und der franziskanischen Schule bestimmt. H. Ebeling stellte fest, daß Meister Edihart in weit höherem Grade, als viele angenommen hatten, E k l e k t i k e r gewesen ist. Nach H. Ebeling hat der Gegensatz zwischen den Thomisten und den Skotisten das Denken und Forsdien Eckharts angeregt; Eckhart hätte die hier aufklaffenden Gegensätzlichkeiten auszugleichen gesucht, indem er, obwohl nicht ohne Schwanken, thomistisches und skotistisdies Gedankengut verarbeitete, aber in einen radikalen Neuplatonismus umbog. So ergab sich eine ausgesprochene Yergottungsmystik. Das alles war grundsätzlich nicht neu, trat aber durch Ebelings sorgfältige Analysen sehr eindrüdclich in die Erscheinung. Allerdings bleiben verschiedene Fragen offen: Ist Eckhart wirklich in erster Linie durch die franziskanische Polemik gegen Thomas vorwärts getrieben worden? Konnte Edihart die Unstimmigkeiten bei Thomas gewahr werden, die der moderne Betrachter feststellt? 31 ). Eine Quelle der Unsicherheit bleibt fürs erste Duns Scotus. Die in der protestantischen Theologie in den letzten Jahrzehnten herrschende Duns-Interpretation war vornehmlich durdi das Werk von R e i n h o l d S e e b e r g von 1900 bestimmt. Daneben stand eine Untersuchung des katholischen Theologen P. M i n g e s von 1908 in Ansehen. Die neueren franziskanischen Theologen, die z. B. in der Zeitschrift „Wissenschaft und Weisheit" zu Worte gekommen sind, behaupten, daß das Werk von R. Seeberg durch die neueste Duns-Forschung an Wert eingebüßt habe. Es gibt eine ziemlich umfangreiche 3 0 ) H e i n r i c h E b e l i n g , Meister Eckharts Mystik. Studien zu den Geisteskämpfen um die Wende des 13. Jahrhunderts, 1941 ( = Forschungen zur Kirch enund Geistesgeschichte Bd. XXI. 356 S.). 31 ) So H. B o r n k a m m , Theol. Lit.-Ztg. 1944, 124.
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Literatur über Duns in französischer Sprache, die H. Ebeling nicht herangezogen hat. So sucht man in seinem Literaturverzeichnis vergeblich die Untersuchungen von BaliS, 0 . F. M., die als 6ehr wesentlich angesehen werden. Solange wir kein eindeutiges Bild von der Theologie des Duns Scotus haben, ist jeder Versuch, den Meister Eckhart mit Hilfe des Duns Scotus zu interpretieren, mit einem kräftigen Fragezeichen versehen. 4. Sehr wichtig wäre es, genauere Vorstellungen über die geistige Entwicklung Eckharts zu gewinnen. Hat er e n t s c h e i d e n d e W a n d l u n g e n durchgemadit? Hat sich der Schwerpunkt seiner Gedankenwelt verlagert? Müssen wir einen früheren und einen späteren Eckhart unterscheiden? Hierüber läßt sich wenigstens einiges sagen. Die neuere Forschung hat gezeigt, daß Eckhart den uns bekannten Gesamtplan seines großen Opus tripartitum nicht durchgeführt, sondern während der Ausarbeitung verlassen und seine exegetische Methode abgewandelt hat 3 2 ). Mit dieser Erkenntnis der Wandlung der exegetischen Prinzipien Eckharts ist freilich f ü r das Problem seiner geistigen Entwicklung noch nicht sehr viel gewonnen. Notwendig wäre die Feststellung zum mindesten der relativen Chronologie sämtlicher als echt anzusehender Sdhriften Eckharts; aber dazu werden wir es nicht bringen. 5. Treten wir an die Gedankenwelt Eckharts selbst heran, so erhebt sich als erstes Problem die Frage nach den Q u e l l e n , aus denen Eckhart geschöpft hat. Welche scholastischen und mystischen Autoren haben auf ihn eingewirkt? Nähere Bekanntschaft mit T h o m a s v o n A q u i n o ist bei einem Dominikaner selbstverständlich. Seit 1286 waren die Angehörigen des Dominikanerordens bei Strafe der Exkommunikation eidlich auf die Lehren des Aquinaten verpflichtet. Da Eckhart jahrelang in seinem Orden als theologischer Lehrer gewirkt hat, ist genaueste Kenntnis des Thomas und ständiger Umgang mit «einen Werken für Eckhart ohne weiteres anzunehmen. Mit Thomas verwirft Eckhart z. B. die Lehre von der immaculata conceptio Mariae 3 3 ). Der Anschluß an Thomas besagt nicht, daß für Eckhart nicht 32 ) E r n s t R e f f k e , Studien zum Problem der Entwicklung Meister Eckharts im Opus tripartitum ( = Eckhartiana IY, Zeitsdir. f. Kirchengesch. LVII, 1938, S. 19—95). Danadi „hat Meister Eckhart bei der Ausarbeitung seines ersten Genesiskommentars die exegetische Methode des Maimonides kennen und anwenden gelernt und den Entsdiluß gefaßt, in einem zweiten Genesiskommentar die neuerkannte Methode im großen anzuwenden". Die neue „Exegese Eckharts läuft also darauf hinaus, sein neuplatonisch-aristotelisches System in den Worten der Bibel — zwar unter der Oberfläche verborgen — wiederzufinden" (S. 90 f ) . M ) Vgl. lat. Werke, 5. Lieferung, S. 43.
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ein verhältnismäßig großes Maß von Selbständigkeit innerhalb der gegebenen Grenzen möglich gewesen wäre. Eine denkerische Kraft wie die Eckharts schmolz solche Gegebenheiten wie die früheren Systeme in ihren eigenen Geist ein. Nicht nur Thomas und, wie wir eben sahen, vermutlich auch D u n s S c o t u s , sondern auch der N e u p l a t o n i s m u s , au cli B e r n h a r d von Clairvaux und andere Mystiker 34 ) haben auf ihn eingewirkt, a r a b i s c h e Denker wie Avicenna und Averroes 35 ), und ein j ü d i s c h e r Philosoph, Moses Maimonides 38 ) haben ihre Spuren in Eckharts Denken zurückgelassen. Die thomistischen Bestandteile sind vielfach nach dem Neuplatonischen hin umgefärbt 37 ). Solche Nachweise sind keineswegs nebensächlich; freilich ist es nicht ganz mühelos, etwa den Maimonides zu zitieren 38 ). Allerdings braucht man nicht z u v i e l Gewicht darauf zu legen, daß unter Eckharts Anregern der A r a b e r Avicenna und der J u d e Maimonides zu finden sind, schon weil beide von Aristoteles beeinflußt waren. Aber ganz unwesentlich ist es doch nicht, welchen Vermittlungen ein Denker die von ihm aufgenommenen und verarbeiteten Gedanken zu verdanken hat. Will man die Gedanken des Meister Eckhart richtig erfassen, so muß man einen Sachverhalt beachten, der von den Forschern nicht immer genügend gewürdigt worden ist. Das ist dies, daß man bei einem Scholastiker oder Mystiker des 14. Jahrhunderts nicht in demselben Sinn wie etwa bei Schleiermacher von einem theologischen S y s t e m sprechen kann, bei dem alle wichtigeren Begriffe aufeinander bezogen, aufeinander abgestimmt sind. Theologie ist im kirchlichen Altertum, in der Scholastik, im alten Protestantismus t e x t g e b u n d e n , nicht nur in dem Sinn, daß sie vermeidet, gegen das Schriftwort zu verstoßen, sondern vor allem in dem Sinn, daß sie A u s s p r a c h e a n e i n e m g e g e b e n e n T e x t ist. Eckhart bietet lateinische Sermone über S c h r i f t w o r t e , deutsche Predigten über b i b l i s c h e 34 ) J o s . B e r n h a r t , Bernhardinische und Eckhartische Mystik in ihren Beziehungen und Gegensätzen, 1 9 1 2 . — E. W e c h s s l e r , Deutsche und französische Mystik: Meister Eckehart und Bernhard von Clairvaux ( = Euphorion XXX, 1929, S.40—93). S5 ) M. G r a b m a n n , Neu aufgefundene Pariser Quästionen (o. Anm. 18), S. 1 1 4 , 117, 118. ®6) J o s . K o c h , Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters ( = 1 6 1 . Jahresbericht der Sdilesischen Gesellschaft f ü r vaterländische Geschichte, 1928). Zum Einfluß des Maimonides auf Eckharts Exegese s. o. 87 ) Vgl. hierüber besonders Erich Seeberg, Wilhelm Bange und Walter Muschg, sowie Ebeling. S8 ) Vgl. lat. Werke, 1. Lieferung S. X X I X .
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T e x t e , Kommentare über b i b l i s c h e B ü c h e r . Seine Ausführungen lassen allenthalben seine prinzipiellen Voraussetzungen erkennen; es besteht für ihn aber augenscheinlich gar kein Bedürfnis, diese prinzipiellen Voraussetzungen i m Z u s a m m e n h a n g d a r z u s t e l l e n . Theologie war seit Philo von Alexandria Aussprache an einem gegebenen Text. Bei Meister Eckhart ist es nicht anders, und bei Luther ist es noch ebenso. Damit, daß Meister Eckhart Eklektiker ist und ihm das Bedürfnis nach Systematik in dem eben umschriebenen Sinne fernliegt, ist gegeben, daß manche seiner Begriffe in verschiedenen Farben schillern. Und ferner: Eckhart e tutti quanti werden durdi den Text auf bestimmte Themen geführt und veranlaßt, sich über sie auszusprechen: Man weiß aber nicht, wie weit sie von sidi aus, ohne Anregung durch einen Text, das Bedürfnis empfunden haben würden, gerade d i e s e Themen zu behandeln. Im übrigen ist seine Theologie, wie die des Mittelalters überhaupt, D i a l e k t i k , ein geistreiches Durchsprechen der als feststehend angesehenen Kirchenlehre 39 ). 6. In die Gedankenwelt Eckharts kann man am besten entweder von der Ontologie oder von der Gnadenlehre her eindringen. Wählen wir die O n t o l o g i e , die Lehre vom Seienden. Das ontologische Interesse Eckharts ist so lebhaft, daß moderne Forscher versucht haben, unter Abstraktion von Eckharts religiösem Erleben (das für ihn sicher wesentlich war) das Gerippe seiner Begriffswelt herauszupräparieren und auf den Nenner einer so modernen und so abstrakten Ontologie wie der modernen Existenzialphilosophie oder eines rein idealistischen Systems zu bringen 40 ). Es läßt sidi nicht bestreiten, daß derartige Versuche bestimmte Eigentümlichkeiten des Eckhartschen Denkens erhellen; es bleibt aber die zwar sdiwierige, aber historisch unumgänglidie Frage, wie sich dieser Komplex von Denkmotiven zu dem Ganzen seines Geistes verhalten hat. Der von Eckhart geleistete E v e n t u a l w i d e r r u f (s. o.) ist da keineswegs unbeachtet zu lassen. Wir haben es eben mit einem Denker des 13. und 14. Jahrhunderts und nicht einem modernen Philosophen zu tun. Eckhart hat seine Auffassung nicht als im Widerspruch mit dem katholischen Dogma stehend empfunden. Er kam aus der Scholastik, verharrte freilich tatsächlidi nicht völlig in ihr, sondern sprengte sie, indem er Probleme entdeckte und zu bewältigen suchte, die außerhalb der scholastischen Denkgrenzen lagen, aber er blieb doch immer noch in ihrer Nähe. Dies wird in den AusS9 ) Vgl. S i e d e l , Meister Eckhart und wir Lutheraner ( = Allgemeine ev.-luth. Kirchenzeitung LXVIII, 584). 40 ) Vgl. die in Anm. 29 genannten Arbeiten von O l t m a n n s und P e t e r s .
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führungen von E. S e e b e r g 4 1 ) und in der sauberen Untersuchung des gesamten ontologischen Begriffsapparates Eckharts durch den Katholiken B a n g e 42 ) richtig im Auge behalten. Aus der sehr komplizierten Ontologie Eckharts können hier nur einige Momente herausgegriffen werden. Die wichtigste Frage ist die Frage nach dem S e i n . Grundlegend für Eckharts Spekulation ist der Satz: Esse est Deus43). Grammatisch darf man sich das nicht verdeutlichen wollen; denn grammatisch ist es ein voller Widersinn: Ein Prädikat ist hier zum Subjekt, ein Yerbum zum Substantivum gemacht. Es ist immerhin ganz gut, sich das einmal zu vergegenwärtigen. Nach einer in den vier ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts weit verbreiteten Ansicht hätte Eckhart damit etwa im Sinne des neueren naturalistischen Monismus die Natur (= das kreatürliche Sein) mit Gott gleichgesetzt44). Hier ist ganz willkürlich die eigene Weltanschauung moderner Eckhartinterpreten mit der Anschauung Eckharts in eins gesetzt. In Wirklichkeit unterscheidet Eckhart esse absolutum und esse formale. Gott i s t das Sein, die Kreatur h a t Sein45). Esse bedeutet also entweder A. das absolute Sein Gottes; dieses ist den Geschöpfen gegenüber transzendent; es ist aber zugleich als erhaltende Ursache immanent; — oder B. das den Geschöpfen inhärierende Sein; die geschaffenen Dinge sind nämlich innerlich konstituiert durch zwei Prinzipien: 1. ihr Sein (= die Tatsache des Existierens), und 2. ihr Wesen ( = die Tatsache ihres So-Seins). Wenn Meister Eckhart das Sein mit Gott gleichsetzt, kann das Sein nur in der Bedeutung von A. gemeint sein. Die Wendung Esse est Deus kann also nur besagen: D a s Esse ( = das Sein schlechthin) ist Gott. Wir besitzen eine ausführliche lateinische Erklärung Eckharts über 41 ) E r i c h S e e b e r g , Meister Eckhart ( = Philosophie und Geschichte Heft 50), 1934 (64 S.). Diese Arbeit gibt eine sehr gute Einführung in die Problematik. 4 2 ) W i l h e l m B a n g e , Meister Eckharts Lehre vom göttlichen und geschöpflichen Sein, 1937 (283 S.). 4 3 ) Vgl. zum folgenden B a n g e S. 19—29. 4 4 ) Vgl. H. B ü t t n e r , Meister Eckehart, I, 1903, S. XLIX: „Idi bin so ewig wie Gott. Nicht um zwei gegensätzliche, wesensverschiedene Größen handelt es sich; es gibt im Grunde nur das eine, reiche, ewig lebendige Sein". (Hier scheint das esse im Sinne des materialistischen Monismus als Grundstoff gedacht zu sein.) Vgl. S. XLVII: „Es bedarf keines Weltbildners, der die ,Urbilder' ins Sein überführte, keines Schöpfers, der nadi ihrem Muster die Dinge aus nichts machte". (Dies ist alles andere als Meister Eckhart.) 4 5 ) Vgl. K a r r e r - P i e s c h , Meister Edtharts Rechtfertigungsschrift, 1927, S. 86, Nr. 5.
Eckhart «Stadien
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seine These: Esse est Deus 46). Aus dieser Erklärung ergibt sich folgendes: 1. Für Eckhart ist das mit Gott gleichgesetzte Sein unverursacht, und es hat nichts Höheres über sich. 2. Gott ist die Ursache des Seins aller Geschöpfe; göttliches Sein und geschöpfliches Sein verhalten sich wie Ursache und Wirkung, nicht wie Gott und Gott. 3. Gott ist der Schöpfer, der den Dingen vorausgehende ewige Grund; hier treffen die Ideenlehre Eckharts und seine mystische Tendenz zusammen, nach dem Urbild aller Dinge zu streben 4 7 ). 4. Es gibt kein früheres aus sich selbst Seiendes, als Gott, er hat niemanden über sich, er steht über allen anderen. Hieraus geht wiederum sehr deutlich hervor, daß Eckhart unter dem Sein, das er mit Gott identisch setzt, das absolute Sein versteht. Es liegt also keineswegs Pantheismus vor, Eckhart bewegt sich vielmehr durchaus auf der Bahn der Scholastik 48 ), wenn Thomas sich auch klarer und unzweideutiger äußert als Eckhart 48 ). Bis hierhin ist die Sache einfach. Sie wird dadurch kompliziert, daß es bei Eckhart auch ganz anders lautende Stellen gibt. Und gerade hier dürfte der eigentliche Eckhart anzutreffen sein. Das sind Stellen, an denen Eckhart betont, daß Gott immediate wirkt 6 0 ). „Wie sollte er auf etwas von ihm Entferntes wirken, da es kein Entferntes gibt? Er wirkt ja nicht auf etwas außerhalb seiner selbst, da außerhalb seiner nichts anderes ist. So rührt es also von der allergrößten Vollkommenheit Gottes und wiederum von der allergrößten Unvollkommenheit des Geschöpfes her, daß Gott nidit durch ein Mittleres, nodi auf etwas Entferntes, noch auf etwas außerhalb wirkt" 5 1 ). Diese Betrachtung ist deutlich pantheistisch. Es gibt nur ein einziges „Sein"; dieses „Sein" umschließt alles; neben ihm gibt es nur das Nichtsein. Das ist deutlich Pantheismus, aber ein Pantheismus, der über den neuplatonisch-mystischen Pantheismus hinausgeht, für den das Bild der Stufenleiter der 46 ) Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters Bd. II, 1886, S. 537, 20 ff.; deutsche Übersetzung bei Karrer-Piesch S. 69 f., auch bei Bange S. 19 f. Die Stelle ist älter als die RedbtfertigungsaArift von 1326. Es handelt sich also nicht um eine gezwungene, nicht ganz aufrichtige Selbstinterpretation Eckharts. " ) Vgl. B a n g e S. 26. " ) So D e n i f 1 e und K a r r e r. 19 ) So B a n g e S. 28. Eckhart ist also gar nicht, wie man vielfach geurteilt hat, Pantheist. Ebensowenig ist der Pantheismus, wie das populäre Eckhartverständnis meint, ohne weiteres „deutsch" oder indogermanisch, der Theismus ohne weiteres israelitisch-jüdisch oder orientalisch. Der Pantheismus ist auch von bedeutenden Orientalen vertreten worden. Pseudo-Dionysius Areopagita war vielleicht ein hellenisierter Syrier. In der Zeit der Vorherrschaft der Mauren im westlichen Mittelmeergebiet haben arabische und jüdische Philosophen den Pantheismus vertreten. Der moderne Pantheismus ist bekanntlich von keinem Denker stärker angeregt worden, als von dem Juden Spinoza. M ) Vgl. H. E b e 1 i n g S. 61 f. 51 ) Lateinische Werke, 5. Lieferung S. 60.
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diesseitigen und der jenseitigen Wesen, das Hinüberspielen von der Immanenz in die Transzendenz bezeichnend ist, während es bei Eckhart Äußerungen gibt, bei denen man sich schon an Spinoza erinnert fühlt. Ähnliche Gedanken finden sich bei Maimonides (gest. 1204) und bei Amalrich von Bena (gest. 1204), von dem sich die häretische Sekte der Amalrikaner herleitete (unterdrückt 1209 f.). War Eckhart nun Pantheist oder nicht 62 )? 7. Eckhart unterscheidet begrifflich zwischen Gott und G o t t h e i t , ohne freilich diese Unterscheidung auch terminologisch an allen Stellen durchzuführen. Diese Unterscheidung ist areopagitischen Ursprungs. Für den Areopagiten steht oberhalb der göttlichen Entfaltung in der Trias „die über alles in überseiender Weise überseiende Übergottheit" 6 3 . Das religiöse Denken stieß hier zu einem Letzten, Tiefsten oder Höchsten, über letztes menschliches Begreifen, Benennen und Beschreiben Hinausliegenden, Prädikatlosen, sogar Wirkungslosen, es stieß zum g ö t t l i c h e n A b g r u n d vor, zur stillen Wüste, zur Finsternis, zum reinen Nichts. Während die Scholastik diesen Abgrund in Gott zwar kannte, aber respektvoll im Hintergrunde ließ, hat ihn Eckhart weit stärker zum Gegenstand seiner Spekulation und seines religiösen Erlebens gemacht. Im Unterschied von der „Gottheit" ist „ G o t t " der trinitarische Gott; doch liegt dem Meister Eckhart, ähnlich wie dem Augustinus, weit mehr an der göttlichen Einheit als an ihrer Entfaltung zu den drei Personen. Die scholastische Trinitätslehre liegt zugrunde. Das Charakteristische ist aber nicht die Verwendung der scholastischen Trinitätslehre, sondern die Einschränkung, die Eckhart auf Grund seiner Spekulation der Trinitätslehre gibt: „Alles in allem (in summa) merke, daß alles, was über die selige Dreieinigkeit geschrieben wird oder gesagt wird, sich durchaus nicht so verhält oder wahr ist. Das folgt 1. aus der Natur der condivisio (Teilungsgegensatz), die vor allem vorhanden ist zwischen dem Unterschiedenen und dem nicht Unterschiedenen, zwischen den Dingen der Zeit und denen der und dem Ewigkeit, zwischen dem sinnlich wahrnehmbaren (sensibile) intellektuellen Himmel, zwischen dem materialen und dem spiritualen Leibe. 2. Da Gott in seiner Natur und nach seiner Natur unaussagbar (indicibilis) ist, so i s t n i c h t i n i h m s e l b s t , w a s n a c h d e r a l l g e m e i n e n R e d e i n i h m s e i n m ü ß t e . Daher der Psalm: 5 2 ) Eckhart vertritt die L e h r e von der Unsterblichkeit der S e e l e : Nota quomodo P lat o ponit animam immortalem, quia capax est sapientie (lat. Werke, 10. Lieferung, S . 2 2 9 ) . I m Anschluß an biblische T e x t e spricht Eckhart auch von der A u f erstehung (ebd. 166 f . ) . '*) De divirtis nominibus 13, 3 (Migne, P . G. I I I , Sp. 981 A ) .
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J e d e r M e n s c h e i n . L ü g n e r . Wahr aber ist, daß in G o t t etwas ist, was d e r T r i n i t ä t entspricht, d i e wir von ihm a u s s a g e n u n d die auch d e n s o n s t i g e n ähnlichen A u s s a g e n entspricht. 3. Daß j e d e r N a m e oder ganz allgemein alles was eine Zahl nennt o d e r bewirkt, daß eine Zahl k o n z i p i e r t wird o d e r in unser Gedächtnis k o m m t , w e i t v o n G o t t e n t f e r n t i s t , weil nämlich nach B o e t h i u s „vere unum est, in quo nullus numerus est nec cogitatur quidem" B3a). I m u n m i t t e l b a r e n Anschluß d a r a n f ä h r t er f o r t : D e m g e m ä ß m e r k e ein D o p p e l t e s : 1. D a ß Ausdrücke, wie der G u t e , d e r Wahre, die Wahrheit, die G ü t e u n d ähnliche n i c h t e i g e n t l i c h v o n G o t t a u s g e s a g t w e r d e n , weil sie etwas zu G o t t h i n z u f ü g e n oder in unsern G e d a n k e n oder in u n s e r e r B e g r i f f s b i l d u n g o d e r in unserer I d e e eine Zahl a u f t a u d i e n lassen. 2. Daß deshalb die M a g d a l e n e , als sie die d o p p e l t e Zahl, nämlich d e r E n g e l (am G r a b e ) sah, u m so m e h r Schmerz e m p f a n d , da sie doch den einen suchte, nämlich G o t t . — Wir sahen vorhin: Esse est Deus. D a n e b e n steht a b e r : Deus est intelligere. Wie sind b e i d e A u s s a g e n nebeneinander möglich? Das ist ein schweres P r o b l e m d e r Eckhartforschung. E b e l i n g f ü h r t d e n Widerspruch d a r a u f zurück, d a ß Eckhart zwei verschiedene L e h r e n v o n der K a u s a l i t ä t h a b e ; die eine s t a m m t aus d e m N e u p i a t o n i s m u s , die a n d e r e aus d e m T h o m i s m u s 5 4 ) . G o t t ist E r k e n n e n . G e g e n s t a n d seines Erkennens i s t das ewige W o r t ; ewig erzeugt er den Sohn. E w i g k e h r t der Sohn in ihn zurück. I n diesem Zurückfluten entspringt der Heilige Geist. Dieses ewige W e r d e n in Gott setzt sich aber sozusagen nach unten f o r t u n d g r e i f t ü b e r i n das I n n e r e des Menschen. H i e r in der menschlichen S e e l e vollzieht sich ewig der geheimnisvolle V o r g a n g der G e b u r t G o t t e s . F ü r den F r o m m e n ist diese in ihm selbst sich ereignende G o t t e s g e b u r t das eigentlich Wichtige, wichtiger als die ewige G e b u r t des S o h n e s aus dem V a t e r in der T r a n s z e n d e n z . S o o f t a b e r die G o t t e s g e b u r t in der menschlichen Seele erfolgt, erreicht das H e r a b f l u t e n des Göttlichen seinen unteren E n d p u n k t und setzt sich d a r a u f in d a s Zurückfluten in die göttliche S p h ä r e um. D i e Gottesgeburt erfolgt, wenn die Seele gänzlich leer ist von allem K r e a t ü r lichen, von allen „ B i l d e r n " . Ist kein H i n d e r n i s m e h r zwischen G o t t und der Seele, dann m u ß nach der mystischen, schon bei Augustinus vorliegenden Ansicht 5 5 ) die S e e l e auf G o t t stoßen. D i e S t ä t t e , an der 5 3 a ) Lat. Werke, Lieferung 5, S. 31. " ) H. E b e l i n g S . 5 0 — 7 1 .
") Conf. IX § 24.
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sich die geheimnisvolle Berührung mit der Gottheit abspielt, ist der Seelengrund. 8. Die stark umstrittene Lehre vom S e e l e n g r u n d e oder, wie Eckhart auch sagt, vom „Seelenfünklein", war in der Patristik, der Scholastik und der Mystik weit verbreitet 56 ). Das Problem ist nun, ob nach Meister Eckhart das Seelenfünklein unerschaffen ist. Das Merkwürdige ist, daß bei Eckhart selber einander widersprechende Äußerungen über diesen Punkt begegnen. An einer Stelle, die als sein Eigentum gesichert ist 57 ), lesen wir: daz fünkelin der sèle, das da geschaffen ist von gote und daz ist ein lieht, oben in gedrücket. Hier ist deutlich gesagt, daß der Seelengrund geschaffen ist. An einer andern Stelle aber heißt es ganz klar: ich han etwenne gesprochen von einem liehte, ist in der sèle, daz ist ungeschaffen und unschepfelich,58). An diesen Widerspruch, der sich ebenso auch in Eckharts lateinischen Scliriften findet59), schließt sich eine umfangreiche wissenschaftliche Kontroverse, deren erschöpfende Wiedergabe und Würdigung in der hier gebotenen Kürze unmöglich ist. Bemerkenswerterweise begegnet Eckharts Satz von dem Ungeschaffensein des Seelenfünkleins auch unter den Anklagepunkten, die die Kölner Inquisitoren zusammengestellt hatten; nicht weniger als sechsmal wird er berührt 60 ). Die These wird aber auch in einer Quästion, die der spätere Minoritengeneral G o n s a l v u s als Pariser Professor 1302 oder 1303 abgehalten hat, als Eigentum Eckharts aufgeführt 61 ). Andererseits hat Eckhart ausdrücklich bestritten, jemals gelehrt zu haben, daß die Seele aus einem Geschaffenen und einem Ungeschaffenen zusammengesetzt wäre; er habe vielmehr gerade das Gegenteil hiervon vertreten 62 ). Somit ist die These entweder entstellt oder sie ist eine unvollständige Wiedergabe dessen, was Eckhart tatsächlich gesagt hat. Vermutlich hat er innerhalb seiner sehr komplizierten Spekulationen dodi unter gewissen, ohne Gefährdung des Ver5 8 ) O . K a r r e r , Meister Eckhart, 1926, S. 321 ff. H. E b e 1 i n g S. 207 ff. hat die bisherige Kenntnis erheblidh vermehrt. 5 ' ) P f e i f f e r S . 113, 34. 68 ) P f e i f f e r S. 193, 17. 59 ) Wenigstens in der Form, daß Eckhart einerseits von der Geschaffenheit der Seele, andererseits von der Unerschaffenheit des Erkennens als solchem spricht, vgl. B a n g e S. 190 f.
B a n g e S. 185.
M. G r a b m a n n , Neu gefundene Pariser Quästionen S. 108; Unde archa in mente non est creabilis. Dagegen G o n s a l v u s S. 110: Unde archa in mente est creabilis. 62 ) H. D e n i f 1 e , A r A i v II, 1886, S. 632. — D a n i e l s , Rechtfertigungssdbrift, 1923, S. 5: „Frustra ergo et malitiose vel ignoranter michi imponunt, . . . quod ponam aliquid anime increatum 61 )
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ständnisses nicht wegzulassenden Vorbehalten von dem in der Seele wirksamen, unerschaffenen und unerschaffbaren Licht sprechen können. Er konnte z. B. sagen: „G-ott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Wesen und mit seiner Gottheit, und er ist doch nicht die Seele" ). Man wird mit B a n g e vermuten dürfen, daß der scheinbare Widerspruch mit der Anschauung zusammenhängt, daß „das Erkennen und das Sein ganz anderer Art seien, daß man deshalb von beiden verschieden reden müsse". Sofern das Seelenfünklein „Sein ist, sofern es die Spitze der realen Seele ist, muß man es geschaffen nennen; sofern es Intellekt ist, nennt Eckhart es unerschaffbar und unerschaffen" 64 ). Bei Eckharts Seelenlehre ist durchweg der Piatonismus vorausgesetzt. Die Seele ist nach der Ansicht der Ungelehrten im Leibe, nach der Ansicht der Weisen ist richtiger der Leib in der Seele 65 ). 9. Wie gestaltete sich nun die R e l i g i o s i t ä t , die dieser abstrakten Spekulation entspricht? Die Frömmigkeit Eckharts ist nichts anderes als ein Sonderfall des weit verbreiteten Frömmigkeitstypus der M y s t i k 6 6 ) . Meister Eckhart setzt ein religiöses Erbgut voraus, das aus dem reichen und teilweise sehr verfeinerten religiösen Erleben der Antike stammt und in der katholischen Kirche konserviert worden ist; Augustinus und der christianisierte Neuplatonismus, aber auch der Apostel Paulus und das Johannesevangelium haben zu diesem Erbgut beigesteuert. Eckhart ist überhaupt nicht verständlich, wenn man ihn nicht im Zusammenhang mit diesem religiösen Erbgut sieht. Aber handelt es sich nun, wie bei Augustinus, um eine rein gedankenmäßige Mystik, oder gehört zur praktischen Religiosität Meister Eckharts die E k s t a s e ? Es gibt Forscher, die die Ansicht vertreten, daß Eckhart 63 )
P f e i f f e r s . 180, 39 f. B a n g e S . 195. — Zur Lehre vom Seelenfünklein vgl. unter anderen: F r a n z M e e r p o h l , Meister Edtharts Lehre vom Seelenfünklein ( = Abhandlungen zur Philosophie und Psychologie der Religion X, 1926). — M. G r a b m a n n , Neu aufgefundene Quästionen S. 75—90. — 0 . K a r r e r , Das Göttliche in der Seele des Meister Eckehart ( = Abhdl. zur Philos. und Psychol. der Religion XIX, 1928). — E. W e i ß , Zeitsdir. f. Kirchengesth. LH, 1933, S. 494 ff. — M. M ü l l e r , Das Seelenfünklein in Meister Eckeharts Lehrsystem und die Stellung der Skotisten ( = Wissenschaft und Weisheit III, 1936, S. 169—216. — H. E b e I i n g S. 212—282. 65 ) Vgl. lat. Werke Lieferung 5, S. 61. i 6 ) H e r m a n n S c h w a r z , Ekkehart der Deutsche, 1935, S. 27—33 konstruiert unter reichlicher Verwendung stark abwertender Formulierungen eine Karikatur von Mystik, um daraufhin zu erklären, Eckhart sei „kein Mystiker". In der Vorrede heißt es, es sei „spielend leicht", mit dem „Vorurteil", daß Meister Eckhart ein Mystiker sei, „für immer aufzuräumen". Dies kann nur zu einem Wortstreit über den Begriff „Mystiker" führen, zu weiter nichts. M)
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die Ekstase aus eigenem Erleben gekannt habe 6 7 ), also den anormalen Seelenzustand, der durch ein Doppeltes charakterisiert ist, 1. durch das Einheitserlebnis, die Auslöschung der Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich, und 2. durch das Erlebnis der mystischen Wonne, d. h. das Erleben eines gänzlich objektlosen, überwältigenden Glückseligkeitsgefühls. Einheitserlebnis und Wonneerlebnis kannte bereits Plotinus. Eckhart geht darüber hinaus durch die oben erwähnte Lehre von der Geburt Gottes in der Seele, •—- die Lehre, die den eigentlichen Kern seiner Metaphysik darstellt. Es handelt sich hier um die „Abgeschiedenheit", einen Seelenzustand, in dem jeder seelische Inhalt, selbst die Gottesvorstellung, dahinschwindet und die Gottheit selbst in die völlig leer gewordene Seele eingeht. Alle dogmatischen Lehren, die für das metaphysische Gedankengefüge Eckharts nicht konstitutiv sind, treten in seinem Denken und in seiner religiösen Verkündigung zurück 68 ). Das gilt besonders von dem Gedankenkreis, der um die Größen Sünde und Sündenvergebung läuft, auch vom Tode Christi. Als der metaphysische Gottessohn ist Christus für Eckhart eine unentbehrliche Größe, aber alles hängt bei ihm an der Geburt des Gottessohnes in der menschlichen Seele und an der Nachfolge dieses Christus; doch darf man nicht am Bilde der M e n s c h h e i t des Herrn haften bleiben, man muß vielmehr die G o t t h e i t ergreifen. Spricht er davon, daß der eingeborene Sohn in die Welt gesandt wird, so bedeutet dies: in die menschliche Seele, und zwar in die r e i n e Seele 6 9 ). Die Einrichtungen der Kirche, die Sakramente, das von der Kirche geforderte Gebetsleben usw. werden zwar von Eckhart in keiner Weise bekämpft, sondern sogar e m p f o h l e n , sie treten aber unter der Einwirkung seiner metaphysischen Grundsätze in eine ganz veränderte Beleuchtung. Alle äußeren Werke sind gleichgültig, nicht minder das Gebet in seiner üblichen Form; an seine Stelle tritt bei Eckhart im Grunde die Kontemplation. Das Gesagte schließt nicht aus, daß er die Autorität der Heiligen Schrift und der Kirche gelegentlich betonen kann 7 0 ). Audi 67 ) Vgl. zum folgenden O s k a r B o l z a , Meister Eckehart als Mystiker, eine religionspsychologische Studie, 1938 (38 S.). 68 ) Eckhart hat einmal gesagt, um welche Gedanken seine Predigt sich besonders bewege: „Swenne ich predien, sô pflige ich ze sprechende von abegescheidenheit und daz der mensche lidig werde sin selbes und aller dinge. Zern andern mîe, daz man wider in gebildet werde in daz einveltige guot, daz got ist. Zern dritten mâle, daz man gedenke der grôzen edelkeit, die got an die sêle hat geleit, daz der mensche dâ kome in ein wunder zu gote. Zern Vierden mâle von gütlicher nâtûre lûterkeit, waz clârheit an gütlicher nâtûre si, daz ist unsprechlich" (Pfeiffer 91, 24—30).
«») Lat. Werke, Lieferung 5, S. 56 f., 58 f. '•") Lat. Werke, Lieferungen 10, S. 214.
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die Sakramente werden von ihm geschätzt, aber seine Auffassung von ihnen ist stark vergeistigt; er nimmt auch selten Gelegenheit, sich über sie zu äußern 71 ). 10. Die E t h i k Eckharts 72 ) zeigt bemerkenswerte Ansätze zu späteren wichtigen Entwicklungen. Da Gott Güte und Gerechtigkeit ist, ist der Mystiker, der in seinem Seelengrunde die Vereinigung mit Gott erlebt, gut und gerecht und wirkt Gutes. Also nicht: gute Werke machen einen guten Mann, sondern: ein guter Mann macht gute Werke 7 3 ). Die Grundhaltung und die Grundstimmung sind doch a s k e t i s c h . Im Mitmenschen darf man nicht das ihm Eigentümliche, also das Individuelle, die Person lieben, sondern nur das „Menschliche", das was allen Menschen gemeinsam ist 7 4 ). So spürt man bei Eckhart allenthalben, in seiner Ethik wie in seiner Religion, daß sein Horizont durch das K l o s t e r bestimmt ist. 11. Die Frage nach der „ d e u t s c h e n " M y s t i k . Es ist bekannt, wieviel die Frage nach dem „deutschen" Charakter der Mystik Eckharts erörtert worden ist, zuletzt und besonders lebhaft in den „weltanschaulichen" Auseinandersetzungen der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts. Hier genügt natürlich nicht die damals immer wieder gegebene Versicherung, daß Eckhart „der deutscheste" (!) unter allen großen Vertretern des deutschen Geistes sei, sondern wir fragen: Mit w e l c h e m R e c h t e kann man seine Gedankenwelt als spezifisch „deutsch" bezeichnen? a) Mit dem Hinweis auf die Verwendung der deutschen Spradie ist noch nicht allzuviel gewonnen. Selbstverständlich sind in der deutschen Konkretisierung, die Eckharts Gedankenwelt in seinen Traktaten und Predigten gefunden hat, deutsches Denken, Fühlen und Wollen ) L a t . W e r k e , L i e f e r u n g 5, S. 34 f., 41, 46. ) Herma P i e s c h , M e i s t e r E c k h a r t s E t h i k . Mit e i n e m V o r w o r t v o n O. K a r r e r . 1935 (183 S . ) . 7 S ) V g l . die v i e l z i t i e r t e Stelle P f e i f f e r S . 546 ( R e d e n der U n t e r s d i e i d u n g e n ) : „Niht gedenke heilikeit zu setzen üf ein tuon: man sol heilikeit setzen üf ein sin. Wan diu werc heiligent uns niht, sunder wir süllen diu werc heiligen". l i ) Vgl. K a r r e r und P i e s c h , M e i s t e r E c k e h a r t s R e d i t f e r t i g u n g s s c h r i f t , 1927, S. 97, 116 f. D a n i e l s S. 19:„Qui enirn plus unurn amat, quam alterum, in creaturis creaturam amat nec unum amat deum in omnibus et omnia in deo". S. 4 8 : „Notandum est, quod deus assumpsit prima intentione hominem, naturam scilicet, non personam, docens nos quod si volumus esse filii dei, diligamus in proximo quod est hominis, non huius hominis". S . 4 3 : „Vis ergo diligere proximum sicut te ipsum, tolle quod tuum est . . . tuum est peccatum, mendacium et universaliter malum . . . tuum est quod tibi proprium est, nullius alterius . . . Quanto enim quid magis est domesticum sive proprium, tanto plus est homini inimicum. Tolle quia persona est hec aut hec, ama quia homo est quod commune est". 71 72
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als gestaltende K r ä f t e wirksam geworden. Es gibt ohne F r a g e eine deutsche Mystik, nicht anders wie es eine italienische, spanische, französische, englische gibt. Das Problem beginnt aber erst, sowie man über die allgemeine Feststellung, daß sich in Eckharts Schriften deutsche Art auswirkt, hinausgeht und nach dem c h a r a k t e r i s t i s c h Deutschen in Eckharts Anschauungen fragt. Diese F r a g e aber ist aus verschiedenen Gründen nicht so leicht zu beantworten. Schon dies bedeutet eine große Schwierigkeit, daß der Begriff „deutsch" keineswegs eine feste, jedem Schwanken, jeder geschichtlichen Wandlung entzogene Gegebenheit ist 7 5 ). Und weiter. Mit einem bloßen Subtraktionsverfahren, das das lateinische Gedankengut Eckharts von seinem deutschsprachigen abzieht, kann man zwar ermitteln, was Eckhart an Originalem, über die lateinisch-scholastische Tradition Hinausliegendem bietet, aber die Frage, inwieweit dieses nun spezifisch deutsch sei, ist damit noch nicht beantwortet. Ein Deutscher kann nämlich originale Gedanken haben, ohne daß diese im e m i n e n t e n Sinn „deutsch", d. h. typischer Ausdruck deutschen Wesens zu sein brauchen. Wie behutsam m a n die Linien ziehen muß, wenn keine Verzeichnungen entstehen sollen, können folgende Überlegungen zeigen. Ohne F r a g e liegt dem Deutschen die quietistische Mystik weniger, als eine Mystik, die der vita activa R a u m läßt. Hier wäre also bei Eckhart ein deutscher Zug festzustellen 7 6 ). Man muß aber hinzunehmen, daß quietistische Momente bei Eckhart durchaus nicht fehlen, und weiter, daß es romanische Christen gibt, die aus dem mystischen Erleben eine weit stärkere Aktivität gewinnen, als Eckhart; man denke nur an das Jesuitentum. Oder, man weist gern darauf hin, daß das „ G e m ü t " sich in der Sprache der deutschen Mystik findet, dies in andere Sprachen nicht übersetzbare, offenbar ausgesprochen und eigentümlich „deutsche" Gemüt. Wir müssen aber auch hier die historische Distanz herstellen, die uns vor Modernisierungen bewahrt. Versteht man nämlich unter „Gem ü t " das Gefühlsmäßige in seiner Abgrenzung gegen Denken und Wollen, so dürfen wir nicht vergessen 7 7 ), daß sich dieser Sprachgebrauch erst seit dem 18. Jahrhundert gebildet hat; noch K a n t und Herder brauchen das Wort so, daß Denken und Wollen eingeschlossen sind und „ G e m ü t " ungefähr soviel bedeutet wie „ G e i s t " 7 8 ) . 7 5 ) Vgl. meinen Aufsatz: Die Germanisierung des Christentums als historisches Problem ( = Zeitsdlr. für Theologie und K i r d i e , N. F . XV, 1934, S. 119—145). 7 6 ) Vgl. S u s a n n e H a m p e , der Begriff der Tat bei Meister Eckhart, 1926, und dazu die Bemerkungen von H. D ö r r i e s , Theol. Lit.-Ztg. 1927, 418 f. " ) Vgl. H. S i e b e c k , Der Begriff des Gemüts in der deutschen Mystik, 1891. 7 8 ) Neuere Untersuchungen zum deutschen Sprachgebrauch Eckharts bieten T h e o p h o r a S c h n e i d e r , Der intellektuelle Wortschatz Meister Eckharts, 1935.
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Von der vermeintlich deutschen Art des Meister Eckhart hatte man vor zwanzig Jahren in den Kreisen der sog. deutsdien Glaubensbewegung und verwandter Geister geradezu phantastische Vorstellungen. Man meinte geradezu, die Gedankenwelt Eckharts sei nur die christliche Schale für einen rein germanischen Kern 7 9 ). Aber das Allermeiste, was Eckhart bietet, ist kirchliches Gut oder Weiterbildung kirchlicher Lehren. Es ist nicht bloß unbestreitbar, daß Eckhart aus der reichen patristischen und scholastischen Überlieferung schöpft, es ist auch unverkennbar, daß er in dieser Gedankenwelt l e b t und nicht nur in einem äußerlichen Verhältnis zu ihr steht. Man braucht nur einmal den schönen Traktat von der göttlichen Tröstung zu lesen, eine ganz sicher auf Eckhart selbst zurückgehende Schrift, um sofort zu spüren, daß hier eine ganz tiefe, innerliche Frömmigkeit sich echt und lauter ausspricht 80 ). In einem merkwürdigen Widerspruch bewegten sich die sog. deutschgläubigen Kreise, wenn sie von der „deutschen" Mystik Eckharts schwärmten und zugleich von dem „ g o t i s c h e n M e n s c h e n " Eckhart sprachen. Es gibt ohne Frage verwandte Züge zwischen Eckhart und der Gotik. R u d o l f O t t o hat sie sehr fein erfühlt 8 1 ). Er spricht und K u r t B e r g e r , Die Ausdrücke der unio mystica im Mittelhochdeutschen, 1935; dazu E. B e n z , Zeitschr. f. Kirdiengeschichte LVII, 1938, S. 585—588. 7 *) Diese Auffassung vertrat besonders H e r m a n n n S c h w a r z , Ekkehard, der Deutsche. 1935. Dazuzunehmen ist die systematische Darstellung: H e r m a n n Sc h w a r z , Gott — jenseits von Theismus und Pantheismus, 1935. Zur Kritik: 1) Schwarz zeichnet ein einseitiges und modernes Bild von der altgermanischen Religion; 2) er modernisiert Eckhart, indem er ihn von dem klar erkannten Gegensatz zwischen einem Denken in Substanzen und einem Denken in Funktionen ausgehen läßt. Wenn Eckhart danach ringt, das Unsagbare auszusprechen, das rein Transzendente überhaupt mit Begriffen zu erfassen, so ist das ein im wesentlichen a r e o p a g i t i s c h e s , nicht ein germanisches Anliegen. 80 ) Die berühmte Frage, ob man Eckharts deutsdie Schriften nach den lateinischen interpretieren müsse oder umgekehrt, ist im Sinne der neueren Forschung (vgl. E. S e e b e r g S. 5) so zu beantworten: Man darf die deutschen Schriften nicht ohne Bücksicht auf die lateinischen interpretieren; man muß aber beachten, daß die lateinischen Werke nicht den ganzen Eckhart enthalten. Die metaphysischen Spekulationen in den deutschen Predigten und Traktaten sind keineswegs mehr oder weniger unwesentliche Zutaten zu den lateinischen Werken. Es steht vielmehr so, daß Eckhart sich in seinen Predigten und Traktaten freier und ungezwungener, unbelastet von den scholastischen Traditionen, auszusprechen vermag, so daß in seinen deutschen Schriften sein innerstes Anliegen sehr viel klarer zum Ausdruck kommt. Auf der andern Seite muß man aber beaditen, daß die deutsdien Schriften über mandie Punkte keine volle Klarheit zu geben vermögen, weil die deutsdie Terminologie Edtharts noch nidit ganz fest ist (so richtig S i e d e l Sp. 587). Gewirkt hat Meister Eckhart natürlich vornehmlich durch seine deutschen Schriften, vgl. die Äußerungen von Ph. S t r a u c h und Cl. B a e u m k e r , die Grabmann S. 5 anführt. 81
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) Vgl. R u d o l f O t t o , West-östliche Mystik, 1926, S. 259—264.
von dem „klimmenden Geist einer gotischen, nach immerfort Unendlichem trachtenden Seele". Aber die Gotik ist nicht deutsch, sondern französisch, und der „klimmende Geist" ist ebenfalls nicht deutsch, sondern a r e o p a g i t i s c h . b) Noch schwieriger und nur der Beurteilung weniger Fachgelehrter zugänglich ist die Frage nach dem a r i s c h e n Charakter der Eckhartischen Anschauungen und Frömmigkeit. Auch über dies Thema hat R u d o l f O t t o Entscheidendes gesagt 8 2 ). Er zeigt die überraschenden Analogien, aber auch die eigenartigen Verschiedenheiten, die zwischen Eckhart und dem indischen Mystiker Sankara bestehen 83 ). 12. Da Eckhart die auf ihn folgenden Generationen der Mystiker in Deutschland sehr stark bestimmt hat, und da diese wiederum eine starke Nachwirkung einerseits auf Luther 8 4 ), anderseits auf die spiritualistischen Strömungen der reformatorischen und der nachreformatorischen Zeit bis hin zum Pietismus 85 ) ausgeübt haben, ist die r e l i g i ö s e G e s a m t w i r k u n g E c k h a r t s auf die Folgezeit bedeutend. Von ihr zu unterscheiden ist die spezielle Einwirkung auf die philosophische Problematik; hier läuft eine Linie von Eckhart über Nicolaus Gusanus 08 ) zu Valentin Weigel 87 ) und Jakob Böhme 8 8 ) und weiter zu Leibniz und Kant 8 9 ) und zum nachkantischen deutschen Idea) In dem Buche: West-östli